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German Pages [396] Year 2016
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit
Band 23
Herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve
Johann von Diest
Wirtschaftspolitik und Lobbyismus im 18. Jahrhundert Eine quellenbasierte Neubewertung der wechselseitigen Einflussnahme von Obrigkeit und Wirtschaft in Brandenburg-Preußen und Kurhannover
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1574 ISBN 978-3-8471-0603-6 ISBN 978-3-8470-0603-9 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0603-3 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) vorgelegt an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam, 2014 T 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: David Splitgerber (1683–1764) gestochen von Georg Friedrich Schmidt nach einem Gemälde von Joachim Martin Falbe. Mit freundlicher Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, D-96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Das 18. Jahrhundert – Verständnis von Wissen und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Quellenlage, -Zugang und -Kritik . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Mengenangaben und statistische Grundlage von Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Zum Herrschaftsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Forschungsüberblick Merkantilismus . . . . . . . . . . 1.5. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Wissen und Wissenstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Wissenstransfer durch Migration . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Anzeigenblätter und schriftliche Wissensweitergabe 2.1.2. Erweiterung des Blickwinkels um Kurhannover . . . 2.1.3. Gegenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Spionage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Ausbildung und Gesellenwanderung . . . . . . . . . . . . . 2.4. Forschung und Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Exkurs: England und Hannover . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Wissensmanagement und Durchdringung des Raums . . . 2.6.1. Fabrikgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2. Marktanalyse und Fragenkataloge . . . . . . . . . . . 2.7. Spezialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Natur und Rohstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Energieversorgung und Transportwesen . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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4. Geldwesen und Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Das frühneuzeitliche Kassenwesen . . . . . . . . . . . . 4.2. Exkurs: Kontribution und Kriegsauswirkungen . . . . . 4.3. Persönliche Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Kontrolle über die Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1. Versuche, auf den Rohstoffpreis einzuwirken . . 4.5.2. Subvention der Lohnkosten . . . . . . . . . . . . 4.6. Vorschusswesen und Zahlungsmoral . . . . . . . . . . . 4.7. Die königlichen Kassen als Versicherung . . . . . . . . 4.8. Förderung durch Gleichstellung mit königlichen Kassen 4.9. Königliche Kredite als Wirtschaftsförderung . . . . . . 4.10. Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Autarkiestreben und Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Contrebande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Abhängigkeit vom Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Abhängigkeit von der Konjunktur . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Initiative und Ausgestaltung von Einfuhrverboten . . . . . . 5.6. Stempel, Siegel und Abnahmezeichen . . . . . . . . . . . . . 5.7. Exkurs: Export von Kriegsmaterial . . . . . . . . . . . . . . 5.8. Die Gewehrfabrik in Herzberg am Harz . . . . . . . . . . . . 5.8.1. Gewehrbeschaffung bis in die 1720er Jahre . . . . . . . 5.8.2. Die schrittweise Gründung der Gewehrfabrik Herzberg 5.8.3. Koordinierung der Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . 5.8.4. Neuregelung der Abnahme . . . . . . . . . . . . . . . 5.9. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Anfang vom Ende der individuellen Förderpraxis und Ausblick . . . .
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3.2. Lagerung und Haltbarkeit . . . . . . . . . . . . . 3.3. Qualität im Untersuchungszeitraum . . . . . . . . 3.4. Die Versorgung mit Rohstoffen . . . . . . . . . . 3.4.1. Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit . . . 3.4.2. Förderung des Rohstoffanbaus . . . . . . . 3.4.3. Ressourceneffizienz / Recycling / Reparatur 3.5. Exkurs: Das Freipasswesen . . . . . . . . . . . . . 3.6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem (GStA PK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptstaatsarchiv Hannover (HStA H) . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Jede Darstellung der Vergangenheit und Geschichtsschreibung ist die Inszenierung eines Bildes, das der jeweilige Autor als Vertreter seiner Zeit von der Vergangenheit zeichnen möchte! Ein plastisches Beispiel: Der Autor hat während der Arbeit an dieser Dissertation für die Jugendarbeit im Johanniterorden Pilgerreisen nach Israel organisiert und durchgeführt. Dort besuchten wir im Oktober 2012 eine Ausgrabungsstätte in Migdal – dem vermuteten Herkunftsort der Maria Magdalena – am See Genezareth, durch die uns eine freundliche südamerikanische Volontärin führte und mit Begeisterung die neuesten Funde präsentierte. Welcher Schock, als wir genau ein Jahr später, im Oktober 2013, an gleicher Stelle standen. Von den Archäologen keine Spur mehr ; stattdessen ein Bagger, der durch die Ausgrabungsstätte fuhr und aus den noch intakten Grundmauern große von kleinen Steinen trennte, um diese zum Verfüllen zu nutzen bzw. am Rand ein ›Ersatzteillager‹ zu errichten. An anderer Stelle waren die Ausgrabungen sorgsam eingezäunt, die Grundmauern mit den ›Ersatzteilen‹ begradigt, mit Zement gesichert und versiegelt. Der ausliegenden Information konnte entnommen werden, dass hier eine Hotelanlage mit Pool entstand. Aus der dafür nötigen Ausgrabung, die uns ein Jahr vorher noch entzückt hatte, war eine Auswahl getroffen worden. Ein Bereich wurde als Touristen anziehender Geschichtspark inszeniert, während der andere Bereich Hotel und Pool weichen musste. Hierbei wurden ganz bewusst Teile der Ausgrabung planiert und überbaut, der Fokus auf den inszenierten Teil gelenkt. Welche legitimierende Kraft die Geschichte in Gegenwart und Zukunft im umkämpften und von vielen Religionsgemeinschaften beanspruchten Heiligen Land hat, wurde uns besonders deutlich. Das Wissen um die Inszenierung erhellte den Blick auf jeden Parkplatz, Informations- und Eingangsbau direkt neben den hergerichteten Ruinen. Neben der örtlichen fand auch eine bewusste zeitliche Auswahl statt. Indem der Fokus der Darstellung auf die vorjüdische, jüdische, römische, christliche bzw. muslimische Epoche oder auf Übergangsund Mischzeiten gelegt wird, soll der Anspruch des jeweiligen aktuellen ›Besitzers‹ auf die Stätte geltend gemacht werden.
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Vorwort
Die an diesem Beispiel besonders deutlich hervortretende Fokussierung auf einige gewünschte und Weglassung von vielen unerwünschten Aspekten der Geschichte eines Ortes finden ihre Parallelen bei der Betrachtung der Forschungsliteratur und der daraus ableitbaren Geschichtsbilder der vergangenen 200 Jahre. Historiker und Geschichtenschreiber haben sich auf einige Quellen oder Quellengattungen beschränkt und anhand dieser ihre Thesen aufgestellt und begründet, während andere, die eigenen Thesen nicht bestätigende oder sogar zuwiderlaufende keine Erwähnung fanden. Und dies ist nötig! Genauso wie es eines Parkplatzes bedarf, um die ausgegrabenen Stätten für die interessierten Besucher zu erschließen, kann eine schriftliche Aufbereitung nicht auf eine Akzentuierung und Weglassung verzichten. Mit der Menge der im Archiv überlieferten Briefe – für diese Arbeit handschriftliches Verwaltungsschriftgut in deutscher Schrift, meist in Entwürfen mit vielen Streichungen und Ergänzungen – kann die Masse der Menschen nichts anfangen bzw. hat nicht die Zeit, diese für sich selbst zu erschließen. Es bedarf also des Historikers, diese zu sichten, unter (s)einer Fragestellung (s)eine Auswahl zu treffen und für den interessierten Leser aufzubereiten. Ältere Arbeiten von Historikern sind damit nicht per se falsch oder schlecht gearbeitet wie auch Arbeiten neueren Datums nicht per se richtiger oder reflektierter sind. Jede Arbeit ist immer unter Beachtung ihres spezifischen Herstellungszeitraums, ihrer Intention und Fragestellung zu lesen. Die Beschäftigung mit dem 18. Jahrhundert erfordert daher über das Erforschen des eigentlichen Untersuchungszeitraums die Kenntnis über die Zwischenzeit bis heute, um bisherige Arbeiten einordnen und entsprechend filtern zu können. Erst die Beobachtung der Veränderung – hier in zwei aufeinanderfolgenden Jahren den gleichen Ort besuchen zu können bzw. die Sicht auf das 18. Jahrhundert zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der NSZeit, der frühen Bundesrepublik, der DDR und bis heute aufzudecken – sensibilisiert für zugrundeliegende Muster und Erzählungen. Das Wissen um das Entstehen und Werden von Geschichtsbildern ist ein Prozess, der Zeit braucht und den Mut, sein eigenes Welt- und Geschichtsbild als ebenso konstruiert zu hinterfragen! Die intensive Beschäftigung mit dem 18. Jahrhundert, das von der hohen Warte der bundesrepublikanischen Demokratie herab als vordemokratisch und vormodern, also rückständig geringgeschätzt wird, zeigt bei genauer Betrachtung viele Parallelen und Gemeinsamkeiten zu heute auf. Daraus ergeht nicht nur die Aufforderung, sich vorurteilsfrei und ergebnisoffen mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern im Umkehrschluss, vom hohen Ross herabzusteigen und die eigene Zeit und Weltwahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Werden die hohen Ansprüche der Würde des Menschen bzw. davon
Vorwort
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abgeleiteten Rechten, der Gleichheit und Freiheit, die wir urteilend an die Vergangenheit anlegen, in der Gegenwart erfüllt? Ich danke herzlich meinen Eltern, dass sie es mir ermöglicht haben, mich intensiv mit Vergangenheit und Gegenwart zu beschäftigen. Ihnen ist diese Dissertation gewidmet. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Ralf Pröve, der die Entstehung dieser Arbeit in unzähligen Gesprächen begleitet und mit Hinweisen und Anmerkungen bereichert hat. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Professor Dr. Stefan Kroll von der Universität Rostock. Für die Finanzierung und bereichernde ideelle Förderung danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung. Berlin, den 20. Juli 2014
1.
Einleitung
Auch neueste Werke zur Wirtschaftspolitik in der Frühen Neuzeit bauen auf das Konzept des »Merkantilismus«1, das kurz zusammengefasst besagt, dass alle Wirtschaftskraft auf eine vom Monarchen zentral vorgegebene Staatsräson ausgerichtet und in ihren Dienst gestellt wird. Der Merkantilismus ist damit als dessen Wirtschaftssystem eng mit dem Absolutismus verknüpft. Wurde das Herrschaftskonzept des Absolutismus in den letzten Jahren kritisch hinterfragt und letztlich als Konstrukt des 19. Jahrhunderts aufgedeckt, das Herrschaftsstrukturen mehr verklärt als erhellt, muss folgerichtig die Frage aufgeworfen werden, ob es sich beim »Merkantilismus« ebenfalls um ein Konstrukt handelt, dessen Einsatz kritisch hinterfragt, wenn nicht ganz in Frage gestellt werden muss. Der eingangs angeführte Sammelband geht auf eine Tagung zum Thema »Merkantilismus? Wiederaufnahme einer Debatte« am Deutschen Historischen Institut in Paris im März 2012 zurück. In deren Abschlussbericht ist zu lesen: »Die Abschlussdiskussion brachte ebenso wie die Diskussionen der einzelnen Vorträge durchaus konträre Standpunkte hervor, insbesondere hinsichtlich des generellen Nutzens des Merkantilismus-Paradigmas für die Geschichtswissenschaft. Weitgehende Einigkeit bestand dagegen in der Forderung nach einer Einengung des Begriffs, der auf der Ebene ökonomischer Diskurse durchaus Anwendung finden könne, zur Beschreibung der wirtschaftlichen Praxis jedoch kaum angemessen sei. Auf dieser Ebene sei neben einer umfassenden Kontextualisierung vor allem eine Analyse vonnöten, die die konkrete Interaktion von Kaufleuten, Händlern und Verwaltungsbeamten an der Schnittstelle von Norm und Praxis in den Blick nehme. Damit einher ging die Forderung nach einer stärkeren Regionalisierung der Perspektive, um etwa auch lokale Märkte einer eingehenderen Untersuchung zuzuführen. Hier, so die Mehrheit der Teilnehmer, stoße der ›Merkantilismus‹ als Idealtyp oder gar als wirtschaftshistorische Epochenbezeichnung an deutliche Grenzen. Es wird daher zu den Aufgaben kommender Forschungen gehören, ergänzende oder auch alternative Konzepte zu ent1 Neuestes Beispiel: Moritz Isenmann (Hrsg.), Merkantilismus, Wiederaufnahme einer Debatte, Stuttgart 2014.
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Einleitung
werfen, mit denen das frühneuzeitliche Wirtschaftsgeschehen in seiner Komplexität erfasst werden kann.«2
Um ein (Zwischen-)Ergebnis dieser Arbeit vorwegzunehmen, ist die dem 19. Jahrhundert entstammende Konstruktion des Merkantilismus nicht geeignet, beim Verstehen der Wirtschaftspolitik und allgemein dem Wirtschaftsgeschehen in der Frühen Neuzeit weiterzuhelfen. Im Gegenteil verbauen die Konzentration auf absolutistische und zentralistische Herrscher sowie das Festhalten an Definitionen und Kategorisierungen des 19. Jahrhunderts den Blick auf zugrundeliegende Abläufe, Strukturen und alternative wie individuelle und lokale Lösungsansätze. Nach ebendiesen wird in dieser Arbeit gesucht.
1.1. Das 18. Jahrhundert – Verständnis von Wissen und Wissenschaft Unser Wissen über die Vergangenheit ist in einem historischen Prozess gewachsen. Geschichte wurde und wird geschrieben, um die eigene Gegenwart zu erklären und/oder zu legitimieren. Wir lernen nicht aus der Geschichte, sondern schreiben uns diese so, dass sie zur eigenen Gegenwart bzw. Position passt. Ein aktuelles Beispiel: Anhand des »Akzise-Streits« findet sich eine praktische Auswahl einiger merkantilistischer Lehrtexte abgedruckt bei Detlef Blesgen und Ralf Welter. Dieser »Nachdruck von Flugschriften, die zwischen 1685 und 1719 erschienen sind«, soll als Brückenschlag zu aktuellen »Debatten zur Novellierung des deutschen Steuersystems« daran anknüpfen, »daß die Diskussion um eine (stärkere) Besteuerung des Konsums mit dem steuerpolitischen Entwurf der Akzise bereits einen Vorläufer im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert hatte.«3 Die Akzise war eine an Zollstationen auf bestimmte Waren erhobene, indirekte Verbrauchssteuer, die allenfalls Ähnlichkeiten zur Mehrwertsteuer aufweist, aber, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, keineswegs mit dieser gleichgesetzt werden kann. Durch bewusste Quellenauswahl – es werden eben nur die Flugschriften abgedruckt, die die eigene Position untermauern4 – soll der eigene Standpunkt in der Gegenwart mit der Vergangenheit – »deren Grundsätze teilweise bis heute Gültigkeit besitzen«5 – untermauert werden. In der Einleitung verschleiern die Autoren ihre Intention durch die Vergangenheit, »denn bereits 2 Zitiert nach Moritz Isenmann, Review of Merkantilismus? Wiederaufnahme einer Debatte/ Mercantilisme? Reprise d’un d8bat, H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. May, 2012. http://www.hnet.org/reviews/ showrev.php?id=36106, 6. September 2014. 3 Detlef J. Blesgen, Ralf P. Welter, (Hrsg.), Der Akzise-Streit, Schriften zur finanztheoretischen Kontroverse deutscher Frühkameralisten, Hildesheim 2006, S. 2f. 4 »Dabei mußte natürlich eine Auswahl getroffen werden.« Ebd., S. 5. 5 Ebd.
Das 18. Jahrhundert – Verständnis von Wissen und Wissenschaft
15
damals standen hinter den jeweiligen Parteien handfeste ökonomische Interessen«.6 Bei der Betrachtung von Forschungs- und Sekundärliteratur muss folglich die Entwicklung seitdem und die Lebenswirklichkeit des Historikers berücksichtigt werden. Geschichtsbücher über das 18. Jahrhundert sind in ihren Entstehungszusammenhang einzuordnen und heranzuziehen unter Bewusstmachung ihrer jeweiligen Intention. So nimmt diese Arbeit über das 18. Jahrhundert immer wieder, wenn es um Relativierung von Positionen der Sekundärliteratur geht, Bezug auf die weitere Entwicklung und versucht aufzudecken, wie und warum sich diese Meinung gebildet haben könnte. Was ist so faszinierend am 18. Jahrhundert? Eben weil die Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert in technischer, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht so eine rasante Fahrt aufgenommen hat, wurde versucht, mit deren Vorläufern Erklärungen zu finden. Das unter preußisch-hohenzollernscher Führung geeinte Deutsche Kaiserreich brauchte eine legitimierende Gründungs- und Vorgeschichte. Das Preußen des 18. Jahrhunderts und besonders die Person Friedrichs II. boten einen enormen Fundus, aus dem sich die Nachwelt je nach der eigenen Intention bedienen konnte.7 Dabei wurde wahlweise der Schwerpunkt auf die Bevölkerungspolitik seit dem Großen Kurfürsten gelegt, die als »hohenzollernsche Staatslegende« bewusst und von oben geplant die Grundlage gebildet habe für die Aufstiegsgeschichte Brandenburg-Preußens vom gänzlich entvölkerten Landstrich nach dem Dreißigjährigen Krieg zur europäischen Großmacht8 und im Abschnitt zu Wissenstransfer durch Migration beleuchtet wird. Oder es war der Preußen von seinen aggressiven Nachbarn aufgedrängte Wirtschaftskrieg, in dem sich das friderizianische Preußen zum Wahrer deutscher Interessen aufschwang9, in der Absicht, die preußische Großmachtstellung schon auf das 18. Jahrhundert vorverlegen zu können, mit dem sich im Kapitel zu Autarkiestreben und Marktabschottung auseinandergesetzt wird. In dieser Deutung als Wirtschaftskriegszeitalter – welches die Religionskriege abgelöst hätte – war der Siebenjährige Krieg ein Kolonialkrieg Englands gegen Frank6 Ebd., S. 3. 7 Ein guter Überblick zur preußischen Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert findet sich bei Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preussischen Geschichte, Bd. 1: Das 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2009. 8 Kapitel Migration und Traditionsbildung, in: Matthias Asche, Neusiedler im verheerten Land, Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus, Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006, S. 647–655, Zitat S. 655. 9 Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungsund Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898.
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Einleitung
reich, in den »Preußens großer König hineingezogen wurde, weil er nicht dulden wollte, daß sein alter Alliierter Frankreich seinen alten Gegner England in Hannover, d. h. in Deutschland, angreife.«10 Für die Historiker des Deutschen Kaiserreichs wurde die Geschichte von großen Männern – Kaisern, Königen und Feldherren – gemacht. Sie regierten und gewannen Schlachten nach dem Prinzip des Befehls und Gehorsams. Als Quelle dienten deren Zeugnisse, etwa das politische Testament Friedrichs des Großen oder gedruckte Verordnungen. Michael Stolleis nennt dies eine »doppelte Irreführung«11 der Historiker. Das Leitbild der Zeitgenossen im 18. Jahrhundert vom perfekt funktionierenden Territorialstaat mit planendem und ordnendem Monarchen entspricht wiederum dem Idealbild eines Staates der Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts, sodass diese in den Selbstzeugnissen unhinterfragt die gute alte Zeit beschrieben sehen. Diese doppelte Irreführung setzt sich beim Bild fort, das sich die späteren Historiker von den scheinbar planbaren und bedingungslos gehorchenden Armeen der großen Könige machten. Aussagen wie »An Artillerie waren jedem Bataillon zwei dreipfündige Kanonen und vier Munitionskarren zugewiesen, zur Bedienung zwei Stückjunker, zwei Feuerwerker und vierzehn Konstabler unter einem Offizier.«12 ; »Die Geschütze der Feldartillerie waren 6, 12 und 24 Pfünder.«, »daß man im Gefecht mit 6 Schuß in der Minute rechnen konnte.«13 zeugen davon, dass das eigene Denkmodell einer geordneten Armee in Verbindung mit dem Wunschdenken der frühneuzeitlichen Planer zur angenommenen Realität wird. Die Beschreibungen der geometrisch exakten Truppenführung zu Linien und Karrees setzten eine flache, hindernisfreie Ebene voraus und erinnern mehr an Zinnsoldaten auf dem heimischen Dielenboden. Nicht ins Bild passende Punkte wie das Quartierwesen – die Einquartierung erfolgte in ›Privathaushalten‹ – werden ausgeblendet. Stattdessen erzeugen Aussagen wie »Die Unterbringung im Felde geschah in Zelten, wie früher«14 Erinnerungen an römische Feldlager, wie sie in Bilderbüchern mit streng geometrischem Grundriss dargestellt wurden. Der Blick in die zeitgenössische Korrespondenz der Truppenführer zeigt hingegen ein deutlich komplexeres Bild. Doch nicht nur die preußische Geschichtsschreibung bediente sich im
10 Ebd., S. 49. 11 Michael Stolleis, Was bedeutet »Normdurchsetzung« bei Policeyordnungen der frühen Neuzeit? In: Ders., Richard H. Helmholz, Paul Mikat, Jörg Müller (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 739–758, hier S. 745. 12 Wilhelm von Wersebe, Geschichte der Hannoverschen Armee, Hannover 1928, S. 130. 13 Ebd., S. 131. 14 Ebd., S. 148.
Das 18. Jahrhundert – Verständnis von Wissen und Wissenschaft
17
18. Jahrhundert. Karl Marx ordnete in seinem »Kapital«15 die gesamte Menschheitsgeschichte in stadienweise stattfindende Klassenkämpfe ein. Das 18. Jahrhundert wurde hier als Manufakturepoche eingeordnet, die Arbeiterbewegung und die sozialen Konflikte des 19. Jahrhunderts vordatiert. Dabei wurde das beschriebene Bild des Befehls und Gehorsams aufgegriffen und in Unterdrücker und Unterdrückte umgedeutet. Diese negative Beschreibung aufgreifend, deutete auch die preußische Geschichtsschreibung das wirtschaftliche Wirken Friedrichs II. um und erklärte die Vorbereitung auf die Herausforderungen des Kapitalismus als »Sinn der friderizianischen Wirtschaftspolitik«. So entstand für Otto Hintze »ein intelligenter, kapitalkräftiger Unternehmerstand und ein Stand von fleißigen, geschickten, disziplinierten Arbeitern. Form und Geist der kapitalistischen Unternehmungen mußten ihren Einzug auch in Preußen halten, wenn das Land sich unter den übrigen Kulturstaaten einen Platz sichern und im Wettbewerb mit ihnen fortschreiten wollte. Das ist es, was durch die Wirtschaftspolitik Friedrichs des Großen erreicht worden ist.«16
Die gegenseitige Bezugnahme der unterschiedlichen Deutungsmuster setzte sich auch zu Zeiten der deutschen Teilung fort. Für die marxistisch-leninistische Forschung in der DDR fügte sich die Beschreibung des Herrschaftssystems Absolutismus mit einem staatlich gelenkten Wirtschaftssystem Merkantilismus hervorragend ein ins eigene Weltbild der Ausbeutung und Unterdrückung bzw. des Kampfes der Arbeiterklasse.17 Die Historiker in der Bundesrepublik antworteten mit einer Neuauflage der Forschungen von Kurt Hinze aus den 1920er Jahren, die einen fürsorgenden Monarchen Friedrich II. herausstellte, der die soziale Frage so abfederte, dass es nicht zum Klassenkampf kommen musste.18 Die Konfrontation mit dem Kommunismus, der Europa auf dem Gebiet Deutschlands teilte und im Westen als russische Bedrohung aufgefasst wurde, bot Anlaß, sich wieder auf Friedrich zu berufen. »So bedeutete der Vormarsch Friedrichs im Osten [im Siebenjährigen Krieg] die Abwehr des russischen Vormarsches in das Herz Europas«, »so wurde von nun an die neue Großmacht 15 Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 23: Das Kapital, Berlin/DDR 1968. 16 Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, 8. Aufl., Berlin 1916 (1. Aufl. 1915), S. 392. 17 Horst Krüger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen, Die mittleren Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1958. 18 Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in BrandenburgPreußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963 (1. Aufl. 1927). Bezeichnend ist, dass in den 1970er Jahren einige Werke der Zwischenkriegszeit mit bestätigenden Vorworten versehen neu aufgelegt wurden. So etwa Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preussen, 3. Aufl., Darmstadt 1961 (2. erg. Aufl. 1929, 1. Aufl. 1923). Hugo Rachel, Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648–1806, 2. Aufl., Berlin 1967 (1. Aufl. 1938).
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Preußen zu einem Garanten der Sicherheit Europas.«19 Intention dieser Auslegung war es, die Auflösung des Staates Preußen durch den alliierten Kontrollrat 1947 als reichlich kurzsichtigen Schritt der westlichen Siegermächte darzustellen, welche sich durch »die Vernichtung dieser jahrhundertealten bewährten Brandmauer im europäischen Osten«20 einen Bärendienst erwiesen hätten. Parallel wurde die von den Nationalsozialisten konstruierte historische Kontinuität mit Hitler als Vollender der friderizianischen gesamtdeutschen Machtpolitik21 nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zur These des deutschen Sonderwegs umgedeutet. Die preußisch-deutsche Gesellschaft sei seit dem Soldatenkönig militarisiert worden.22 Aus der ›positiven‹ wurde eine ›negative‹ Kontinuität23 und dadurch die nationalsozialistische Traditionslinie unbewusst übernommen. Akzentuierte die preußische Geschichtsschreibung die Vorteile, wurde auf hannoverscher Seite genau das Gegenteil beschrieben. Preußen wird hier dargestellt als »eine stete Gefahr für die kleineren deutschen Staaten und für Deutschlands Freiheit«.24 Hier wird die Reichseinigung unter preußischer Führung zwischen 1864 und 1871 als Katastrophe der Königreiche Hannover und Dänemark (der Autor Friis ist Däne) auf die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts vorverlegt. Aus einem Vorwort von Georg Schnath, dem Vorsitzenden der Historischen Kommission für Niedersachsen, offenbart sich das Preußenbild der hannoverschen Nachkriegshistoriker. Preußen wird als Schicksalsmacht des nordwestdeutschen Raums beschrieben, das seit dem 17. Jahrhundert die Welfenlande bedrängt habe, bis es sie sich 1866 einverleibte und Wunden schlug, »die bis ins 20. Jahrhundert nicht verheilt sind.« Nach dem Untergang Preußens (spätestens 1947) wollte man sich nun endlich »in vorurteilsfreier, von Groll und Leidenschaft gereinigter Weise« mit dem Verhältnis der beiden Staaten beschäftigen 19 Heinz Burneleit, Friedrich der Große, Besinnung auf den Staat, Düsseldorf 1981, S. 34. 20 Vorwort ebd., S. 5. 21 Vgl. z. B. die Postkarte »Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat«, Hans von Norden, Köln 1933. http://www.dhm.de/archiv/ ausstellungen/hitler-und-die-deutschen/fuehrermythos_und_fuehrerbewegung.html, 4. Juni 2014. Die im Zweiten Weltkrieg gedrehten Propagandafilme Kolberg und Der große König sollten dem Leiden der Bevölkerung eine historische Dimension und Kontinuität geben. 22 Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807, Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962. 23 Diese Umdeutung durch Otto Büsch deckt auf Martin Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht, Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2005. 24 Aus der Familiengeschichte der hannoverschen Grafen Bernstorff von Aage Friis zitiert nach Joachim Lampe, Aristokratie, Hofadel und Staatspatriziat in Kurhannover, Die Lebenskreise der höheren Beamten an den kurhannoverschen Zentral- und Hofbehörden 1714–1760, Bd. 1, Göttingen 1963, S. 14.
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und offenbart gerade mit der Beschäftigung der Verhältnisse vor der Annexion den Versuch, Hannover/Niedersachsen als Überlebenden der nationalsozialistischen Katastrophe aus dem preußischen Schicksalsverbund herauszulösen und ein eigenständiges Geschichtsbild aufzubauen von Hannover als »Bestandteil des preußischen Staates, ohne jedoch restlos in ihm aufzugehen.«25 Der erste Satz zum Ziel der Untersuchung gibt einen Eindruck davon, wie belastet eben dieses Verhältnis in der jungen Bundesrepublik war. »Fast jede historische, aber auch allgemeine Betrachtung, die über das preußisch-hannoversche Verhältnis angestellt wird, ist belastet durch die Gefühle gegenseitiger Abneigung der beiden Staaten, der Geringschätzung von seiten Preußens und der Furcht und des Hasses von seiten Hannovers.«26 – Die Untersuchung möchte feststellen, ob dieses Gefühl schon zu Zeiten Friedrichs des Großen vorgeherrscht habe. Sie kommt zum Ergebnis, dass die beiden Staaten vom Westfälischen Frieden bis 1740 eine gleichartige Entwicklung in überwiegend freundschaftlicher Natur durchgemacht hätten, bis Friedrich II. mit dem Überfall auf Schlesien und sein Bündnis mit Frankreich gegen Reichsverfassung und Gleichgewicht verstoßen habe, sodass sich Hannover auf die Seite des Rechts – hier Österreich – stellte. Hannover verliert, weil es sich als Wahrer des Rechts gegen die »von traditionellen Fesseln freie Realpolitik« Friedrichs wendet, der gleichzeitig »die Tapferkeit und Standhaftigkeit seines Oheims [Georg II.] zu würdigen« weiß.27 Im gleichen Stil wird auch die weitere bündnispolitische Entwicklung eingeordnet, die das rechtschaffene, Deutschlands Interessen vertretende Hannover als Beute des skrupellosen Preußen zeigt. Die deutsche Geschichtsschreibung folgt den Meta-Erzählungen der preußischen Geschichtsschreibung und deren Interpretationen von schwarz und weiß. Über diese Instrumentalisierung, mit der jeweils auf die Zuschreibungen und (aus heutiger Sicht teils missbräuchlichen) Interpretationen der Nachwelt reagiert wurde, wurde der eigentliche Untersuchungsgegenstand vernachlässigt. Grundlage war immer wieder die Forschungsliteratur des 19. Jahrhunderts mit ihrer Quellenauswahl, an der sich abgearbeitet wurde, ohne zu hinterfragen, ob nicht vielleicht schon diese Grundlagen der Diskussion einseitig geprägt waren. Zur Hinterfragung eben dieser Geschichtsbilder – man könnte auch Mythen sagen – möchte diese Arbeit einen Beitrag leisten mit einer quellenbasierten Neubetrachtung des 18. Jahrhunderts als einer faszinierenden Zeit, die weit mehr ist als die Vorgeschichte der späteren Entwicklungen. Die Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes um Kurhannover bietet in 25 Georg Schnath, Zum Geleit in Hans Portzek, Friedrich der Große und Hannover in ihrem gegenseitigen Urteil, Hildesheim 1958, S. VIIIf. 26 Hans Portzek, Friedrich der Große und Hannover in ihrem gegenseitigen Urteil, Hildesheim 1958, S. 1. 27 Ebd., S. 103f.
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mehrfacher Hinsicht Vorteile. Zum einen hilft sie, die Preußenzentrierung aufzulösen. Zum anderen kann der Blick von ›außen‹, aber aus der Zeit die Untersuchung auf eine breitere Basis stellen und dabei helfen zu relativieren. Bei der Bewertung von ›Normalfall‹ und ›Sonderfall‹ soll als Referenzgröße die zeitgenössische Praxis und nicht das Urteil der Nachwelt dienen. Dort, wo die Quellen Unterschiede aufzeigen, werden diese analysiert und nach möglichen Ursachen gesucht. Wo die Quellen Gemeinsamkeiten zeigen, werden diese als Ergänzung genutzt, um ein umfangreicheres Bild der Abläufe zu erhalten.
1.2. Quellenlage, -Zugang und -Kritik Um sich von den beschriebenen Wertungen und Urteilen bisheriger Historikergenerationen wie auch deren Quellenauswahl und -edition frei zu machen, hat sich der Autor zwei Jahre ins Archiv begeben. Aus der überlieferten Geschäftskorrespondenz der Zeitgenossen hat sich der Autor ein Bild gemacht, das die Grundlage einer Neubewertung der Situation im 18. Jahrhundert bildet. Dem Autor ist dabei bewusst, dass auch seine Quellenauswahl nicht im luftleeren Raum stattfindet. Zum einen haben schon die zur Verfügung stehenden Quellen in den Archiven einen mehrstufigen, zum Teil bewussten, zum Teil zufälligen Auswahlprozess hinter sich. Zunächst mussten sie den Zeitgenossen aufhebenswert erscheinen. Hatten die Schriftstücke den Weg ins Archiv gefunden, mussten sie neben externen Gefahren wie Feuer, Wasser, Licht oder Kriegseinwirkungen die immer wieder stattfindenden Prüfungen, das Aus- und Umsortieren durch die betreuenden Archivare überstehen. Und zu guter Letzt ist eine ordentliche Portion Glück dabei, da aus den Einträgen im Findbuch nur bedingt auf die Ergiebigkeit des Inhalts geschlossen werden kann. Hinter einer Signatur kann sich ein einzelnes Brieffragment verbergen oder mehrere Pakete mit zum Teil mehreren hundert Seiten Entwürfe, Konzepte, Antworten und Anlagen, in denen der Schriftverkehr zu einem Thema über Jahrzehnte gesammelt wurde. Von generalisierenden Aussagen ist also abzusehen bzw. sie sind insoweit zu relativieren, dass sie auf Grundlage der für diese Arbeit gesichteten Quellenbestände getroffen wurden. Zum anderen ist dem Autor bewusst, dass er die Lebenswirklichkeit seiner Zeit – des beginnenden 21. Jahrhunderts – nicht völlig ausklammern kann. Im Sinne der doppelten Irreführung ist es auch hier verlockend, aktuelle Diskussionen in den Quellen wiederzuentdecken und auf die heutige bzw. damalige Situation anzuwenden. Auch diese Arbeit ist folglich in ihrer Zeit geschrieben und beansprucht keine Universalität. Was verraten uns die Briefe bzw. bildet der Schriftverkehr die Wirklichkeit ab? Stimmt das, was in den Briefen steht? Hat etwas, das in einem dieser Briefe
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erwähnt wurde, wirklich stattgefunden? Im Grunde genommen spielt es keine Rolle, was wirklich passiert ist, da es schon für die Zeitgenossen kein allgemeingültiges Richtig oder Falsch gab, sondern die Beurteilung von ihrer jeweiligen Wahrnehmung abhing. Um eben diese Wahrnehmung, die sich in den Briefen herauslesen lässt, geht es. Bei der Betrachtung der Quellen muss bewusst sein, dass diese alle mit Intention verfasst worden sind. Es handelt sich überwiegend um Verwaltungsschriftgut zwischen bzw. mit staatlichen Stellen. Die Schriftstücke stellen dabei immer Momentaufnahmen dar. Auch wenn sie meist Bezug auf die Vorgänge, die zu ihrem Entstehen geführt haben, und Vorschläge enthalten, wie der Situation begegnet werden könne, bilden sie die Sicht des oder der Verfasser ab. Erst durch Hinzuziehung ergänzender Informationen und Schriften kann eine Einordnung in den Entstehungszusammenhang versucht bzw. beleuchtet werden, ob die Vorschläge auch umgesetzt wurden. Hinweise zum Hintergrund des Autors bieten biographische Werke.28 Auch gedruckte Verordnungen entfalten so eine breitere Bedeutung und bieten mit diesen Zusatzinformationen ganz neue Interpretationsansätze, was am Beispiel des von Georg II. im März 1748 erlassenen »Mondierungsreglement derer Unter-Officiere und Corporale bey Unserer Infanterie in Kriegs und Friedenszeiten«29 deutlich wird. Mit diesem Reglement sollte die Beschaffung und Bezahlung der Uniformen der Unteroffiziere und Korporale neu geregelt und vereinheitlicht werden. Dazu heißt es in der Präambel der Verordnung: »Wir [Georg. II] aber gnädigst gerne sehen : daß bey Unseren Truppen überall eine durchgängige Gleichheit gehalten und beobachtet werde; daß Wir demnach, auf vorgängigen Vorschlag Unserer im Felde dermahlen dienenden Generalität, deshalb folgendes veste setzen, und verordnen.«30
Nimmt man den Entwurf des gedruckten Reglements hinzu, findet sich in der Präambel die gestrichene Ergänzung »und eingefordertem Guhtachten Unserer Kriegs-Cantzeley«31, die besagt, dass zumindest das ›zivile‹ Ministerium mit beteiligt war. Es handelt sich aber immer noch um eine Verwaltungsentscheidung von oben. Der Schriftverkehr zur Entstehung erhellt hingegen, dass ein Sergeant beim Regiment von Zastrow sich bei der Kriegsgerichtskommission 28 Z. B. für ›Verwaltungsbeamte‹ Rolf Straubel, Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740–1806/1815, 2 Bde., München 2009 oder für hohe Militärs Kurt von Priessdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 und 2, Hamburg 1937. Daneben auch die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Allgemeine Deutsche Biographie und Neue Deutsche Biographie, die online verfügbar sind http://www.deutsche-biographie.de, 23. Juli 2014. 29 Erlass Georgs II. vom 26. Februar/8. März 1748, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 100–103. 30 Ebd., S. 103. 31 Entwurf der Kriegskanzlei ohne Datum, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 36.
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beschwert hat, dass er bei seinem Abschied von der Truppe seine Uniform abgeben musste, obwohl ihm für diese doch monatlich etwas vom Lohn einbehalten wurde. Die Initiative für die Neugestaltung geht also von einer Beschwerde ›von unten‹ aus. Damit nicht genug, nach der nächsten Uniform-Erneuerung zwei Jahre später wird das Reglement ein weiteres Mal angepasst, da es sich in der Praxis als nicht tauglich erwiesen hat und die Unteroffiziere sich erneut beschweren.32 Und auch hier kann nicht sicher gesagt werden, dass die genauere Betrachtung alle Aspekte beleuchtet hat oder ob neue Quellenfunde weitere Interpretationen ermöglichen. Folglich steht diese – wie jede – Arbeit unter dem Vorbehalt weiterer Quellenfunde. Die zeitgenössische Wirtschaftspolitik zielte nicht auf Allgemeingültigkeit, sondern es handelt sich um Einzelfallentscheidungen. Diese konnten aber durchaus den Charakter von Präzedenzfällen erlangen, indem sich bei ähnlichen Anträgen auf bekannte Fälle bezogen wurde. Daraus ergeht für diese Arbeit, dass eine Verallgemeinerung der Entscheidungen – im Sinne: alle Unternehmer bekamen einen Bauzuschuss – nicht zielführend ist. Es heißt aber, dass, wenn ein Fall überliefert ist, in dem ein Unternehmer einen Bauzuschuss bekam, die prinzipielle Möglichkeit bestand, dass auch andere Unternehmer diesen erhalten haben. Unter dem Gesichtspunkt, dass nur ein Bruchteil der Quellen überliefert ist, uns ohnehin nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtbild vorliegt, der keine Verallgemeinerungen zulässt, kann der Einzelfall doch für die Zeit stehen. Die Quellenlage ist sehr gut. Es kann folglich nicht um die vollständige Erfassung der überlieferten Quellen gehen, die damit schon rein zeitlich nicht möglich wäre. Sie ist auch gar nicht erstrebenswert und würde nur den Anschein der Vollständigkeit erwecken, da aus den erwähnten Gründen nur ein Bruchteil der Quellen überliefert ist. In den staatlichen Archiven findet sich für die Frühe Neuzeit weitestgehend Schriftgut der Obrigkeit, das nach dem Provenienz-Prinzip in Aktenbeständen nach den einzelnen Behörden geordnet ist. Schriftgut der Untertanen findet sich hier nur insoweit, als sich diese an die Obrigkeit gewendet haben und diese Eingabe zu einer Antwort geführt hat. Ein Glücksfall für den Historiker, der sich mit dem Zustandekommen obrigkeitlicher Entscheidungen und Handlungen beschäftigt, ist die zeitgenössische Verwaltungspraxis, bei Schriftwechseln die eigenen Entwürfe aufzubewahren. Teilweise befinden sich diese in derselben Akte zwischen den das Verwaltungshandeln auslösenden Anträgen und den Antworten. Aus entsprechenden Korrekturen, Aktennotizen und Namenszeichen in den Entwürfen können Rückschlüsse gezogen werden auf den Entste32 Begleitschreiben des kommandierenden Generals von Sommerfeld zur Erneuerung vom 16. Oktober 1752, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 86.
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hungsprozess und die Beteiligten. Einblicke ins Innenleben bieten auch Entscheidungen, die von mehreren Akteuren der Obrigkeit schriftlich ausgehandelt wurden. Sind nur die Antworten oder die gedruckten Erlasse überliefert, muss zwischen den Zeilen gelesen werden. In den wenigsten Fällen sind ›alle‹ – soweit man dies überhaupt feststellen könnte – Briefe zu einem Vorgang überliefert. Dank der Praxis, in Antworten zunächst die Frage bzw. den bisherigen Schriftwechsel kurz zusammenzufassen, können, auch wenn nur ein Brieffragment überliefert ist, Rückschlüsse auf einen größeren Vorgang oder Schriftwechsel gezogen werden. Die Beteiligung verschiedener Behörden an einem Vorgang bietet die Möglichkeit paralleler Überlieferungen, sodass sich Spuren in anderen Behördenüberlieferungen finden, selbst wenn ganze Aktenbestände vernichtet sind. Für Hannover ist etwa der Bestand des 1786 gegründeten und für Wirtschaftsfragen zuständigen Kommerzkollegiums beim Bombenangriff auf Hannover 1943 vernichtet worden.33 In Preußen ist das Heeresarchiv in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen. Für letzteres bietet das 2002 bis 2004 erstellte Inventar »Ersatzüberlieferung des Brandenburg-Preußischen Heeresarchivs 1713–1806«34 einen daran anknüpfenden Zugang zu vermeintlich verlorenen Aktenbeständen. Um die relevanten Aktenbestände zu finden, gibt es Findbücher, in denen alle bei einer bestimmten Behörde angefallenen Schriftstücke verzeichnet sind, wobei der Zustand von digitalisierten und im Volltext durchsuchbaren Dateien und Datenbanken bis hin zu Sicherheitskopien der handschriftlichen, im 19. Jahrhundert angefertigten Originale reicht. So wurde sich etwa in Hannover über die Aktenbestände der »Deutschen Kanzlei in London«, der »Kriegskanzlei« und dem »Amt Herzberg« genähert. Die dort gefundenen Eigennamen und Begriffe wurden anschließend auf Vorkommen in anderen Beständen abgeglichen. Zum Teil sind die reinen Herkunftsverzeichnisse ergänzt um Schlagwortoder Personenregister, die eine recht komfortable thematische Erschließung ermöglichen. Die Auswahl der Stichworte und Personen lässt dabei schon Rückschlüsse zu, was die kategorisierenden Archivare für untersuchenswert hielten. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wurde sich zunächst thematisch genähert und die Bestände etwa nach den Begriffen »Gewehrfabrik«, »Pulvermühle«, »Splitgerber und Daum« und »Kanzlei des von Massow« gesichtet. Von diesen ersten Treffern ausgehend wurden in den Findbüchern die in dem Zusammenhang überlieferten Aktenbestände hinzugezogen. So befand 33 Vorwort Findbuch HStA H, Hann. 33 Geheime Räte/Kommerzkollegium: Kommerzsachen. 34 Ralf Pröve, Cives ac Milites, Konzeption und Design des Militärinventars BrandenburgPreußen im 18. Jahrhundert, in: Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V. (Hrsg.), Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Jg. 12 (2008), Heft 1, S. 96–109.
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sich neben der Kanzlei des von Massow, die für die Ausrüstung der preußischen Infanterie und Kavallerie zuständig war, auch deren Äquivalent bei der Artillerie, die von den Offizieren von Linger und von Dieskau organisiert wurde. In einer Akte, die Fragmente des Schriftverkehrs der Kaufleute Splitgerber und Daum mit Friedrich II. zwischen 1743 und 1772 enthält, geht es unter anderem um die Abwicklung einer vom Sohn des Daum gegründeten und mit königlichen Privilegien ausgestatteten Barchend-Fabrik. Barchend ist ein festes, besonders dichtes Gewebe aus Baumwolle, das für Westen, Röcke, Hosenfutter und als Matratzenbezug genutzt wurde.35 In diesem Zusammenhang wird von der Barchend-Fabrik eines Barons von Vernezober in Hohenfinow berichtet, die dem königlichen Privileg zuwiderlaufend seine Kundschaft abspenstig gemacht und den Daum Junior in den Bankrott getrieben habe. Je nach Sichtweise eine Ausrede oder ein Vorwurf, dem weiter nachgegangen wurde. Von diesem Baron führte die Spur weiter zu dessen Krapp-Plantage, aber auch zur Barchend-Fabrik des von Massow in Hinterpommern, deren Wiedererrichtung nach einem Bankrott der Bruder des Fabrikinspektors der Vernezoberschen Barchend-Fabrik übernehmen sollte. Der Verweis auf die Bankrotte deutet schon an, dass sich das Handeln der Obrigkeit im Wirtschaftssektor vor allem um Fälle dreht, in denen etwas nicht funktionierte und Untersuchungen angestellt wurden. Die Wirtschaftstreibenden wenden sich an die Obrigkeit, wenn sie unzufrieden sind oder eine Unterstützung erhalten wollen. Klagen über unhaltbare Zustände sind immer mit der Intention um Hilfe oder Besserung verfasst. Dies gilt es, bei der Bewertung zu beachten. Der ›Normalfall‹ findet vergleichsweise wenig Niedergang im Schriftgut, da er den Zeitgenossen als bekannt und nicht berichtenswert erschien. Umso spannender, wenn sich Ausnahmen finden, in denen sie doch Eingang gefunden haben. Im Siebenjährigen Krieg übernimmt etwa die Kriegskanzlei persönlich die Ausrüstung neu aufzustellender Bataillone, weil sie meint, dass diese damit im Angesicht des Feindes schneller vonstatten gehen würde. So ist der Schriftverkehr zu einem Vorgang überliefert, der normalerweise von den Regimentern selbst übernommen wurde. Deren Schriftverkehr ist, da die Regimenter von deren Kommandeuren als ›private‹ Unternehmen geführt wurden, kaum in staatlichen Archiven vorhanden. Die bereits erwähnte von Massowsche Barchend-Fabrik geht bankrott und wird mit königlichem Startkredit ausgestattet an einen Unternehmer verpachtet. Dieser hat die vergangenen Jahre die von Vernezobersche Barchend-Fabrik geleitet und kann die besten Zeugnisse vorweisen, besitzt aber kein persönliches Kapital als Sicherheit für den königlichen Kredit. Er wird genehmigt unter der Zusicherung, dass ein 35 Auch »Parchent, Barchet, Barchent=Zeug« Art. Barchent, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 3 (1. Aufl. 1774, 2. Aufl. 1782), S. 540ff.
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königlicher Amtmann sich einmal jährlich ein Bild vom Fortgang der Fabrik und dem Zustand des königlichen Vorschuss macht. Durch diese Revisionsberichte erhalten wir über mehr als zwanzig Jahre ein Bild von der Entwicklung einer privaten Fabrik. Der Amtmann wie der Fabrikbetreiber fordern dabei unter Verweis auf die Sicherheit der königlichen Gelder darüber hinausgehende Unterstützung, sodass wir auch erfahren von dessen Problemen im Betriebsalltag mit der Konkurrenz, Rohstoffzulieferern, säumigen Kunden, anderen Vertretern der Obrigkeit, der eigenen Arbeiterschaft oder den Erben des ursprünglichen Fabrikbetreibers von Massow, die weiterhin die gemieteten Fabrikgebäude besitzen. So lassen sich auch im Schriftverkehr der Obrigkeit zahlreiche Einblicke in die private Wirtschaft gewinnen. Die Quellenbestände aus Brandenburg-Preußen und Kurhannover ergänzen sich gut.
1.2.1. Begriffe Schon der Begriff ›Frühe Neuzeit‹ impliziert ein Übergangsstadium. Die Epocheneinteilung, die sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat, ist ein Zugeständnis, dass die Zeitspanne zwischen um 1500 und um 1800 aus heutiger Sicht nicht mehr dem Mittelalter zuzurechnen ist, aber es seitdem so große Veränderungen und Umwälzungen gegeben hat, dass der Terminus ›Neuzeit‹ – als Gegenwart – nicht unergänzt um ein ›früh‹ stehen gelassen werden kann.36 Die Beschreibung der Epoche steht dabei natürlich nicht für sich, sondern ist schon durch die zeitliche Einordnung ›früh‹ und ›neu‹ eng mit dem davor und danach verwoben. Durch diese Grundannahme wurde und wird die Frühe Neuzeit an sich und besonders das 18. Jahrhundert teleologisch als Übergangszeit beschrieben, in dem Altes aus dem Mittelalter sich mit Neuem der Gegenwart des Historikers mischt. Dieser Kreis soll in dieser Arbeit durchbrochen werden und das 18. Jahrhundert aus sich heraus gedeutet werden. Bei aller Unzulänglichkeit wird der Begriff in dieser Arbeit verwendet und soll, wenn er als Adjektiv ›frühneuzeitlich‹ auftaucht, den Leser sensibilisieren, dass es sich um Strukturen und Praktiken handelt, die durch gleiche oder ähnliche Namen den Anschein des aus der Gegenwart Bekannten erregen, aber eben mit anderen Rahmenbedingungen und Assoziationen der Zeitgenossen keine Be- oder Verurteilung nach heutigen Gesichtspunkten zulassen. Soll das vermutete Verständnis der Menschen im 18. Jahrhundert oder danach dargestellt werden, wird dies mit dem Verweis auf ›zeitgenössisch‹ geschehen. Alle Begriffe sind konstruiert und wir assoziieren mit ihnen Bilder. Handelt es 36 Vgl. z. B. Helmut Neuhaus (Hrsg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche, München 2009, S. 2.
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sich um Begriffe, die aus dem allgemeinen Sprachgebrauch gekommen sind, ist es vergleichsweise offensichtlich, dass es hier einer Klärung bedarf. Besonders trügerisch ist es, wenn es sich um Begriffe handelt, die uns nicht fremd erscheinen, weil sie auch heute Verwendung finden. Die Bedeutung kann sich dabei in den letzten 200 Jahren gewandelt haben. Der Bedeutungswandel des Begriffs »Brandschatzen« sei hier exemplarisch angeführt. Unter einer »Brandschatzung« wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts das Erpressen einer Abgabe lediglich unter Androhung einer Brandstiftung bezeichnet. Auf die erpresserische Eintreibung der Kontribution zur Kriegsfinanzierung und die Folgen für die Bevölkerung wird im entsprechenden Kapitel eingegangen. Diese Bedeutung gerät mit der zunehmenden staatlichen Regulierung der Abgabenerhebung in den Hintergrund. So nutzt der Schriftsteller Ludwig Ganghofer in dem Roman »Der Ochsenkrieg« von 1914 den Begriff Brandschatzung, um die Brandstiftung der marodierenden Kriegsknechte zu beschreiben. Dieser Wandel findet alsbald auch Einzug in die wissenschaftliche Literatur. Der Kulturwissenschaftler Felix Niedner übersetzt 1922 »Snorris Königsbuch« und bezeichnet dort eine Brandstiftung durch das normannische Heer als Brandschatzung. Die neue Bedeutung ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, dass selbst mancher Experte bei der Betrachtung frühneuzeitlicher Chroniken fälschlicherweise ein Niederbrennen des Ortes annimmt, wo es sich ›nur‹ um die Eintreibung der Steuern handelte.37 Die ursprüngliche Bedeutung drückt dabei genau das Gegenteil aus: So wird im Artikel »Brandschatzen« im Wörterbuch der Gebrüder Grimm zitiert »dasz es möchte unverwüstet und stehen bleiben, brandschatzt ers für eine grosze summa gelts«.38 Diese Begriffe zu übernehmen, ist problematisch, weil sich damit beim heutigen Menschen unterschwellige Assoziationen verknüpft haben und mitschwingen. Wir sehen die Begriffe eben nicht in der (vermuteten) Bedeutung des 18. Jahrhunderts, sondern nehmen die Zeit durch die zwei- bis dreihundertjährige Entwicklung seitdem und unsere Gegenwart wahr. Es besteht somit die Gefahr, den Zeitgenossen Assoziationen zu unterstellen, die sie in Unkenntnis der späteren Entwicklung nicht haben konnten, während wir umgekehrt von individuellen, aber auch kollektiven, positiven und negativen Erfahrungen der Zeitgenossen nichts wissen. Einen möglichen Ansatz bieten zeitgenössische Enzyklopädien, wie die in dieser Arbeit oft zu Rate gezogenen von Johann Georg Krünitz. Die insgesamt 37 Nach Ralf Gebuhr, Eine Welt gerät aus den Fugen, Feuerwaffen und früher Festungsbau, in: Militärgeschichte, Zeitschrift für historische Bildung, Heft 3 (2012), S. 4–9, hier S. 4f. 38 Artikel Brandschatzen, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde in 32 Teilbänden, Leipzig 1854–1961, Quellenverzeichnis Leipzig 1971, Bd. 2, Spalte 300. http:// dwb.uni-trier.de/de, 6. September 2014.
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242 Bände sind von verschiedenen Autoren zwischen 1773 und 1858 zusammengestellt worden und hatten den Anspruch, den damaligen Wissensstand abzubilden. Durch die Universitätsbibliothek Trier ist dieses Werk online verfügbar gemacht worden.39 Einen neueren Ansatz bietet das Nachschlagewerk »Geschichtliche Grundbegriffe«, das versucht – soweit das den Autoren möglich war –, den Bedeutungswandel einiger Begriffe im Verlauf der Zeiten nachzuvollziehen.40 An einigen Begriffen sei hier erläutert und exemplarisch dargelegt, wie in dieser Arbeit damit umgegangen wird. Die zeitgenössischen Titel und Amtsbezeichnungen sind sehr lang, sodass hier Verkürzungen vorgenommen werden, wo dies der besseren Lesbarkeit dient und eine klare Zuordnung im Zusammenhang möglich ist. Das »Königlich=Preußische General=Ober=Finanz=Krieges= und Domainen=Direktorium« wird verkürzt zum Generaldirektorium. Die »Chur=Märkische Krieges= und Domainen=Kammer« taucht sowohl als Kurmärkische Kammer oder schlicht die Kammer auf. Die »Königlich Großbritannische und Kurfürstlich Braunschweig=Lüneburgische Kriegskanzlei« wird kurz zur Hannoverschen Kriegskanzlei oder der Kriegskanzlei. Das staatsrechtlich korrekte Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg wird verkürzt Kurhannover genannt. Dieser Kompromiss muss eingegangen werden, obwohl Verkürzungen bzw. Umbenennungen eben bei weitem nicht nur der besseren Lesbarkeit dienen, sondern von den Zeitgenossen oder der Nachwelt mit Intention getätigt wurden. Kurhannover sollte im 19. Jahrhundert einen entwicklungsgeschichtlichen Vorläuferstaat des Königreichs Hannover mit ähnlichem Aufbau und Intentionen nahelegen.41 Die Bezeichnungen Brandenburg-Preußen oder nur Preußen für das Herrschaftsgebiet von »Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König in Preussen, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Römischen Reichs Erz=Kämmerer und Churfürst, Souverainer Prinz von Oranien, Neufchatel und Vallengin, in Geldern, zu Magdeburg, Cleve, Jülich, Berge, Stettin, Pommern, der Cassuben und Wenden, zu Mecklenburg, auch in Schlesien zu Crossen Herzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden, Camin, Wenden, Schwerin, Ratzeburg und Mörs, Graf zu Hohenzollern, Ruppin, der Marck, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Schwerin, Bühren und Lehrdam, Marquis
39 http://www.kruenitz1.uni-trier.de, 24. Juni 2014. 40 Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Kosseleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972– 1992. 41 Vgl. auch die Einleitung zu Karl Heinrich Kaufhold, Markus Denzel A. (Hrsg.), Historische Statistik des Kurfürstentums/Königreichs Hannover, St. Katharinen 1998, S. 3 hier Fußnote 3.
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zu der Vehre und Vlißingen, Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock, Stargard, Lauenburg, Bütow, Arlay und Bredal etc.«42,
sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen, assoziieren aber ein geeintes Land, wie es später vom Deutschen Kaiser und König von Preußen regiert wurde. Die dadurch ausgelöste Irritation und damit Sensibilisierung der Leser wäre durchaus wünschenswert, weil sie ihnen bewusst machen würde, dass die späteren Vereinfachungen und Assoziationen bei den Zeitgenossen nicht bestanden und die Länge der Titel und Gebietsbeschreibungen, die sich in Quellen finden, auch die Komplexität der damaligen Verhältnisse widerspiegeln. Daneben gibt es Begriffe, die damals wie heute benutzt werden, deren Bedeutung sich aber gewandelt hat. Der Begriff »Gewehr«, mit dem man heutzutage das Schiessgewehr meint, beinhaltete im 18. Jahrhundert »Alles, wodurch man zur Wehre […] geschickt wird. […] In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung versteht man unter diesem Ausdrucke nur die aus Eisen bereiteten kleinen Werkzeuge dieser Art«.43 Mit Gewehr meinten die Zeitgenossen also neben Büchsen und Flinten ebenso Pistolen, Blankwaffen, Bajonette, aber auch Rüstungen. Folglich hatten auch die zeitgenössischen Gewehrfabriken eine deutlich breitere Produktpalette anzubieten, wie denn in Zeiten der Auftragsarmut dort auch Ambosse, Schraubstöcke und Klingen aller Art, Äxte, Beile, Schaufeln und Spaten angefertigt wurden.44 Diese Beschreibung passt für den heutigen Leser mehr zu dem Bild einer mittelalterlichen Schmiede als die begrifflich näher stehende moderne Gewehrfabrik. Waffen wurden als Werkzeug bezeichnet, was sich heute allenfalls im ›Mord-Werkzeug‹ erhalten hat und einen Bedeutungswandel andeutet. Und genau dafür soll hier sensibilisiert werden: die Lage im 18. Jahrhundert ist deutlich zu komplex, um sie in einen rein teleologischen Entwicklungsprozess zu zwängen. Hier gilt es, genau hinzuschauen. Das Festhalten an neueren Definitionen verstetigt nicht nur unbewusst das Bild, das die Nachwelt vom 18. Jahrhundert erzeugen wollte und das uns heute zum Teil sehr fremd ist, sondern verengt auch den Blickwinkel. So beginnt etwa Wilfried Reininghaus in seinem Teilband der »Enzyklopädie Deutscher Geschichte« zum »Gewerbe in der Frühen Neuzeit« mit der Definition der unterschiedlichen Betriebsformen vor 1800 – als da wären Heimgewerbe, Handwerk, Verlag und Manufaktur. Diese unterschieden sich von 42 Hier in einem gedruckten »Edict Daß alle Woll=Arbeiter und Fabricanten von der Werbung frey seyn sollen« vom 8. Februar 1721, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 98f. 43 Art. Gewehr, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 18 (1779), S. 104. 44 Hier in einem Bericht des Kriegssekretärs Ramberg vom 4. April 1776 über die Reaktionen auf den Auftragseinbruch nach Ende des Siebenjährigen Krieges, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28ff.
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der mit der Industrialisierung aufkommenden Fabrik durch den dort erfolgenden Maschineneinsatz.45 Eine definitorische Unterscheidung von Manufaktur und Fabrik nach dem Einsatz von Handarbeit bzw. (Dampf-)Maschinen, wie sie erst nach deren Erfindung und breiter Durchsetzung erfolgen konnte, ist im 18. Jahrhundert wenig hilfreich, in dem die Zeitgenossen beide Begriffe synonym verwenden.46 Schon die Betrachtung der lateinischen Wurzeln der Worte Manu factus – mit der Hand gemacht – und fabrica, von faber – der Handwerker – lässt die auf Karl Marx zurückgehende Einordnung in einen Entwicklungsprozess fragwürdig erscheinen.47 Die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Marxsche Beschreibung wurde und wird bis heute bewusst oder unbewusst weiter gebraucht. So konstruiert Werner Hassenstein einen Unterschied zwischen der »Gewehrfabrik in Spandau«, in der »alle damals freilich sehr einfachen maschinellen Einrichtungen« gestanden hätten und der »kgl. GewehrManufaktur in Potsdam«, in der »nur handwerksmäßiger Betrieb« geherrscht hätte.48 Ein künstlicher Versuch, die Definition anzuwenden, der keinerlei Entsprechung in den beiden Betriebsstandorten findet. Die beiden Namen wurden von den Zeitgenossen vielmehr parallel und ohne inhaltliche Unterscheidung genutzt. Auch die ebenfalls auf Karl Marx zurückgehenden Unterscheidungen von Verlagswesen und Manufaktur nach dem Besitz an Produktionsmitteln wie von Heimgewerbe, Verlag und Manufaktur danach, ob zu Hause oder im Fabrikgebäude gearbeitet wurde, muten im 18. Jahrhundert merkwürdig an.49 Vielmehr waren auch Fabrik- und Manufakturarbeiter auf dem Betriebsgelände untergebracht. Die Zur-Verfügung-Stellung der Wohnung machte einen Aspekt der zeitgenössischen Entlohnung aus. Hier hatte Karl Marx versucht, mit den Erfahrungen seiner Zeit die Situation hundert Jahre zuvor im Sinne seiner Theorie zu erklären. Die Schwierigkeit der Unterscheidung nach Kriterien des 45 Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der Frühen Neuzeit, Oldenburg 1990, S. 3–5. 46 Siehe auch: »Eine systematische Abgrenzung gegenüber der Verwendung des Begriffes ›Fabrik‹ konnte aber nicht gefunden werden.« Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 475. 47 »In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine.« Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, Bd. 1: Das Kapital, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1968, S. 445; http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm#Kap_ 13_4, 19. Juli 2014. 48 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie, Bd. 4, Berlin 1912, S. 27–62, hier S. 31. 49 Im gleichen marxistischen Sinne konstruieren Kriedte, Medick und Schlumbohm eine Protoindustrialisierung im 18. Jahrhundert, in der die Grundlagen des späteren Klassenkampfes schon angelegt seien. Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm, Industrialisierung vor der Industrialisierung, Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977.
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Einleitung
19. Jahrhunderts ist dabei durchaus auch schon früheren Historikern aufgefallen. Sie behalten die Definitionen und damit verbundene spätere Assoziationen aber bei – so Kaufhold über Heimgewerbe und Verlag: »Die Grenzen sind dabei im einzelnen schwer zu ziehen, da es zahlreiche Zwischen- und Mischformen gab.«50 Und über Manufaktur und Fabrik »Es ist allerdings schwierig, oft sogar unmöglich, sie in den Quellen sicher zu erkennen.«51 Und auch Reininghaus führt an, die Unterschiede zwischen mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Gewerbe seien schwer feststellbar, da kein klarer Fortschritt zu erkennen sei.52 In die gleiche Richtung ist der Kampf zwischen Zünften als fortschrittsfeindlichen Bewahrern und Verteidigern des Überkommenen, als Institutionen, die sich spätestens 1800 überlebt hätten53 und den neuartigen Fabriken dem Bild der Nachwelt entsprungen. Der konstruierte Kampf – »bei der grundsätzlichen, instinktiven Feindschaft zwischen den Zünften und dem neuen Wirtschaftssystem«54 – findet sich selbst in neueren Geschichtsbüchern.55 Auch Arnd Kluge, der ansonsten einen sehr guten allgemeinen Überblick über die Zunftgeschichtsschreibung bietet,56 behandelt den Themenbereich Zünfte, Fabriken und Manufakturen nur am Rande im Rahmen des Kapitels zum Abstieg der Zünfte. Er problematisiert zwar die fehlende Griffigkeit der Definitionen von Verlag, Manufaktur und Fabrik, behält sie aber bei und den Gegensatz zu den Zünften aufrecht. Das 18. Jahrhundert als Abstiegsphase der Zünfte zu deuten, an deren Ende ›endlich‹ der Übergang zur Gewerbefreiheit gestanden hätte, führt aber ebenso an der Situation vorbei, wie die Aussage »In Fabriken wurden teilweise dieselben Produkte hergestellt wie im Handwerk, nur billiger und besser.«57 Vielmehr wählten die ›Neuen‹ die Strukturen der Zünfte zur Organisation ihrer Betriebe. Die Betriebsverfassungen der untersuchten Fabriken nannten sich nicht nur Gilde58- oder Innungsordnung59, sondern regelten das 50 Manfred von Boetticher, Christiane van den Heuvel, Geschichte Niedersachsens, Bd. 1: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hannover 1988, S. 458. 51 Ebd., S. 464. 52 Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der Frühen Neuzeit, Oldenburg 1990, S. 5. 53 Ebd., S. 61. 54 Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in BrandenburgPreußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963, S. 71. 55 Dieser Ansatz des Kampfes gegen die Zünfte als konservative und traditionsbehaftete Bewahrer des Überkommenen wird noch aufrecht erhalten bei Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 25. 56 Arnd Kluge, Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 13–18. 57 Kapitel zum Abstieg der Zünfte ebd., S. 394–398, Zitate S. 398 und 410. 58 Z. B. »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben. Hannover gedruckt in der königl. und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739« gedruckt in dreifacher Ausführung, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019.
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Verhältnis von Meistern und Gesellen, die frühneuzeitliche betriebliche Mitbestimmung und frühneuzeitliche soziale Absicherung innerhalb der Fabrik oder Manufaktur, sodass ein Gegensatz zu den Zünften mehr den Gedanken der Nachwelt als der Praxis im 18. Jahrhundert entsprach. Wer an alten Erklärungsmustern festhält, ist mehr mit der Beschreibung von Ausnahmen und Sonderfällen beschäftigt als eine ergebnisoffene Herangehensweise, die sich auf die Suche nach Alternativen macht.
1.2.2. Mengenangaben und statistische Grundlage von Verwaltungshandeln Diese Vorsicht muss sich bei Zahlenangaben fortsetzen.60 Bei den meisten Angaben in den Quellen handelt es sich um Kostenvoranschläge, Schätzungen bzw. In-Aussicht-Stellungen, die mehr von der Intention des (auch im übertragenen Sinne) Angebenden beeinflusst waren, als von tatsächlich Zugrundeliegendem. Hinzu kommt, dass es im 18. Jahrhundert kein einheitliches System für Gewichte, Maße und auch Währungen gab. Dies gilt sowohl territorial zwischen Brandenburg-Preußen und Kurhannover als auch innerhalb dieser Landesherrschaften hatten die einzelnen Provinzen und Städte historisch gewachsene eigene Maßeinheiten. Auch zeitlich hat es im 18. Jahrhundert Veränderungen gegeben, die einem bei der Bewertung von Mengenangaben bewusst sein müssen. Albrecht Peter, der die Förderung des Landesausbaus in BraunschweigWolfenbüttel untersucht, hat festgestellt, dass die Obrigkeit durchaus versucht hat, Maße und Gewichte zu vereinheitlichen, dies aber wegen technischer Unzulänglichkeiten nicht erfolgreich gewesen sei. Er hat eine tendenzielle Verkleinerung der Mengen im Zuge des 18. Jahrhunderts erkannt.61 Ein Vergleich anhand der überlieferten Angaben, die zudem unterschiedliche Berichtszeiträume umfassen, kann so schnell zu falschen Schlüssen führen. Da jede Tabelle oder Abschrift bewusst angefertigt wurde, um etwa eine Verlängerung des Förderanspruchs mit der Größe des eigenen Betriebs zu belegen, können diese ohne den Entstehungszusammenhang nicht eingeordnet und gewürdigt werden. Was diese Arbeit nicht leisten kann und will, ist ein numeri59 »Innung oder Gilde des vereinigten Parchen, Canefas, Damast, drall, Linnen und Zeug Macher Gewerks auf der Colonie Friedrichshuld« vom 22. Oktober 1764 erlassen durch den Etatsminister von Massow, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 141–161. 60 Vgl. dazu den Vortrag Ralf Pröve, Numerische Zeichen und die Repräsentation von Sinn Zahlen und Zeit-Räume im Spiegel der Wissenschaft von vergangenen Zeiten http://ralfproeve.de/numerische-zeichen, 19. Juli 2014. 61 Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 92.
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Einleitung
scher Vergleich der beiden Landesherrschaften, Armeen sowie deren Wirtschaftskraft. Es geht in dieser Arbeit um die Aufdeckung der Abläufe. Sofern es bei Verhandlungen um Größen- und Mengenangaben geht, sind diese im Zusammenhang der jeweiligen Verhandlungen betrachtet. Der Wunsch der Obrigkeit nach Planung und Kontrolle führte dazu, dass sich diese Inventarlisten und Rechenschaftsberichte schicken ließ. Deren Aussagekraft – sie dienten auch der Profilierung der sie aufstellenden Verwalter – ließ in vielen Fällen zu wünschen übrig.62 Sie wurden aber nicht selten – im Sinne der doppelten Irreführung – von nachkommenden Historikern, die nun erreichte größere Unabhängigkeit von den Unbilden der Natur auf die Vergangenheit projizierend, für bare Münze genommen. Die Zeughäuser und Festungen sowohl in Brandenburg-Preußen als in Kurhannover mussten jährliche Bestandslisten aufstellen. Über den Zustand der aufgeführten Materialien wie die tatsächliche Verfügbarkeit erlaubten diese Aufstellungen allerdings wenig Rückschlüsse. Der hohe Anteil unbrauchbaren Materials erklärt sich auch mit der Funktion der Zeughäuser als Reparaturwerkstätten. Vor der Auslieferung von neuer Ausrüstung mussten die Truppen ihr altes Material abliefern, damit dieses als Ersatzteillager dienen konnte. Aber auch Angaben von Wirtschaftsbetrieben an die Verwaltung sind mit Vorsicht zu genießen. Die Gewehrfabrik in Herzberg hat einmal jährlich ebenfalls einen Rechenschaftsbericht mit Inventarliste aufzustellen. Eine Inspektionsreise der Generalität 1768 findet heraus, dass deren Wert deutlich zu hoch angegeben wird. Als Folge der Arbeitsteilung produzieren die einzelnen Arbeiter Bauteile, die von den so genannten Fertigmachern zusammengesetzt werden. Dem unterschiedlichen Arbeitsaufwand der einzelnen Bauteile – wie Läufen, Schäften, Schlössern und Garnituren, Bajonetten und Ladestöcken – aber auch der unterschiedlichen Anzahl der zuständigen Meister ist es geschuldet, dass die Anzahl der vorrätigen Bauteile variiert. Wird nun ein neues Gewehrmodell eingeführt, bleiben die alten Bauteile im Lager übrig. Im Inventar der Gewehrfabrik wurde nicht unterschieden, ob die auf Lager vor sich hin rostenden Bauteile überhaupt noch verbaut werden können, sondern der Neuwert ange-
62 Zu Problemen statistischer Angaben in der prästatistischen Zeit vgl. Udo Obal, Zollregister als Quelle einer Handelsstatistik des Kurfürstentums/Königreichs Hannover, in: Karl Heinrich Kaufhold, Markus A. Denzel (Hrsg.), Der Handel im Kurfürstentum/Königreich Hannover (1780–1850), Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 51–100. Statistikämter gab es in Preußen seit 1805 in Kurhannover seit 1851. Vgl. die Einleitung zu Karl Heinrich Kaufhold, Markus A. Denzel (Hrsg.), Historische Statistik des Kurfürstentums/Königreichs Hannover, St. Katharinen 1998, indem kaum Daten zum 18. Jahrhundert angeführt werden. Für Braunschweig-Wolfenbüttel bei Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 547.
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geben.63 Zur Angabe des Wertes der Gebäude und Werkzeuge der Gewehrfabrik wird über einen Zeitraum von 1741 bis 1764 jeweils der Wert aus dem Vorjahresbericht übernommen.64 Prinzipiell – wenn es der eigenen Intention dienlich ist – waren Abschreibungen schon bekannt, wie eine Rechnung über Geschütze zeigt, bei der der Wertverlust des Gießofens mit eingerechnet und auf den Stückpreis aufgeschlagen wird.65 Im Fall der Gewehrfabrik erschien es den Berichtenden aber zielführend, den Wert der Fabrik höher zu berechnen, damit in Relation die jährlichen Zuschüsse aus der Kriegskasse nicht so auffielen. Auch Produktionskapazitäten stellen mehr Wunschvorstellungen dar. Bei der starken Abhängigkeit von der Natur als Energielieferant – im Sommer konnten die Flüsse Niedrigwasser, im Frühjahr und Herbst Hochwasser führen, im Winter zufrieren – konnten verlässliche Aussagen über Produktionskapazitäten schon von den Zeitgenossen nicht getroffen werden. Durch starke Arbeitsteilung und Spezialisierung reichte ein kranker Meister und das damit fehlende Bauteil aus, um die Lieferung einer ganzen Fabrik lahmzulegen. 1741 müssen vier Regimenter auf ihre Gewehrlieferung warten, weil einige Schleifer der Gewehrfabrik Herzberg krank waren und die benötigten Bajonette und Ladestöcke nicht fertig werden.66 Aber nicht nur die Mengenangaben, auch die Maß- und Währungssysteme sowie die Verkaufspraktiken konnten schon innerhalb einer Landesherrschaft verschieden sein – selbst wenn die Bezeichnungen die gleichen waren. So muss bei einer Berechnung der Zusammensetzung von Schießpulver bedacht werden: Ein Zentner des hiesigen (preußischen) Salpeters werde zu 110 Pfund gewogen, der holländische Zentner habe lediglich 105 Pfund, werde zudem ungeläutert verkauft, sodass ein holländischer Zentner nur für 95 Pfund hiesigen Gewichts genommen werden könne.67 Preise werden von den Zeitgenossen durch unterschiedliches Einfließen-Lassen der Nebenkosten je nach der Intention hoch oder runter gerechnet. Die Arbeiter der Gewehrfabrik Potsdam beschweren sich, dass ein Klafter Brennholz im Forst mehr Holz beinhalte als auf dem Holzmarkt in der Stadt und wie viel günstiger für sie der direkte Bezug wäre. Sie begründen damit, warum sie an ihrem Privileg festhalten wollen, nicht auf den Holzmärkten 63 Untersuchungsbericht des kommandierenden Generals von Spörcken an Georg III. vom 26. August 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 61. 64 Vgl. die Inventarlisten jeweils Anfang Mai für die Jahre 1739–1755 und 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1 und Nr. 4. Im Siebenjährigen Krieg konnten wegen der Kriegswirren keine Abrechnungen erstellt werden. Nr. 4, S. 128. 65 Kostenvoranschlag der königlichen Stückgießerei Celle vom 6. Juli 1762, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. VI, 1, S. 231. 66 Begleitschreiben zur Generalabrechnung vom 2. Mai 1741, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 339f. 67 Spezifikation über benötigte Rohstoffe zu 250 Zentner Schießpulver vom 28. Oktober 1715, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 54.
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Einleitung
ihr Brennholz kaufen zu müssen, sondern dies direkt bei den Förstern im Wald bestellen zu dürfen.68 Im Gegenzug rechnen die Brennholzhändler vor, welche sonst fälligen Kosten und Abgaben bei ihrem Angebot inklusive wären, das damit viel günstiger sei.69 Jede Klage und Beschwerde muss zunächst auf die Intention des Vortragenden hinterfragt werden. Auf Preise und Mengenangaben fußende Vergleiche in dieser Arbeit sind dementsprechend auf den speziellen Fall beschränkt. Hinzu kommt, dass die Qualität schon für die Zeitgenossen schwer zu fassen war bzw. ganz bewusst verschleiert wurde. Rohstoffe, aber auch fertige Waren wie Tücher und Schießpulver wurden in verschiedenen Qualitäten verkauft, nicht nur, um unterschiedliche Preise erzielen zu können, sondern auch, um Verbote und Auflagen der Obrigkeit zu umgehen und Vergleiche zu erschweren. So wird die mangelhafte Qualität einheimischer Waren und Rohstoffe angeführt, um nicht verpflichtet zu werden, diese abnehmen zu müssen.70 Um Verbote zu umgehen, werden die eigenen Stoffe als schmaler und leichter angegeben.71 Die Obrigkeit holt sich Proben und lässt diese von einschlägigen Fachleuten prüfen. Objektiv sind diese Probeberichte damit nicht, da die befragten Experten meist selbst in den Prozess involviert sind. So bekommen etwa die großen Berliner Tuchfabriken Proben des aus der Wurzel der Krapp-Pflanze gewonnenen roten Farbstoffs. Ihr Probeergebnis soll dabei entscheiden, ob dieser eine Qualität erreicht habe, die ein Einfuhrverbot ausländischen Krapps möglich machen würde.72 Ein Verbot, von dem also gerade die befragten Tuchfabrikanten betroffen wären. Ein Qualitätsvergleich auf Grund der Quellen kann also nicht Ziel dieser Arbeit sein. Es geht nicht um die Erzeugnisse der Rüstungsproduktion, sondern wie diese zu Stande kamen. Für die Realienauswertung sei auf die großformatige Reihe »Das Altpreussische Heer – Erscheinungsbild und Wesen 1713–1807« verwiesen, die unter Leitung von Hans Bleckwenn seit 1971 herausgegeben wurde.73 In bewundernswerter Detailarbeit wurden hier die in Museen und Privatsamm68 Bericht des Potsdamer Bürgermeisters Egerland an Friedrich II. vom 23. Oktober 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 69 Dito vom 14 November 1783 in: ebd., o.S. 70 So das Lagerhaus als Begründung, nicht zur Abnahme einheimischen Krapps verpflichtet zu werden vom 25. Oktober 1779, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 140. 71 Versuch des Tuchmachers Scharf, ein Monopol für bestimmte Stoffsorten zu umgehen vom 3. Juli 1755, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S. 72 Probebericht des Lagerhauses an das VI. Departement vom 17. Juli 1754. Die Proben seien zwar von Gesicht und Geschmack gut, aber auf rot getestet von der schlechtesten Qualität, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 120. 73 Eine Würdigung des Wirkens von Hans Bleckwenn, der Arzt und als Autodidakt Heereskundler war, in Vorwort und Geleitwort zu Hans Bleckwenn, Altpreußische Offizierporträts, Studien aus dem Nachlaß, im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bernhard R. Kroener und Joachim Niemeyer, Osnabrück 2000.
Zum Herrschaftsverständnis
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lungen überkommenen Realien ausgewertet, katalogisiert und kategorisiert.74 Neben zahlreichen Museumskatalogen und heeres- bzw. technikgeschichtlichen Bildbänden bekommt man einen Über- und Einblick in das, was das Ergebnis des hier behandelten wirtschaftlichen Prozesses ergab. In Analogie zu den Naturwissenschaften wurden die vorgefundenen Stücke in ein System eingeordnet und das Bild industrieller Massenproduktion und Produktreihen auf das 18. Jahrhundert vorverlegt. Das Wunschdenken der planenden Obrigkeit nach Einheitlichkeit wurde hier bereitwillig aufgegriffen. In Zusammenhang mit der oben beschriebenen Ausschlachtung alter Gewehre zu Reparaturzwecken und dem ständigen Umschmelzen der Kanonen kann von einheitlichen Modellreihen, wie es die technikgeschichtliche Forschung getan hat, nur mit Einschränkungen gesprochen werden.
1.3. Zum Herrschaftsverständnis »Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft gehören zu den zentralen Themen der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe Neuzeit war maßgeblich von einem Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt.«75 Wurde Herrschaft im Mittelalter als eine Wahrnehmung von Herrschaftsrechten, die nicht notwendig räumlich verbunden sein mussten, ausgeübt, fand in der Frühen Neuzeit ein Konsolidierungsprozess des frühmodernen Staates statt, der seine Herrschaft in einem fest umgrenzten Territorium unter Ausschluss fremder Herrschaftsrechte zu festigen suchte. Auch wenn zeitgenössische Zeugnisse, wie etwa farbige Landkarten ein anderes Bild der inneren Geschlossenheit des eigenen Herrschaftsgebiets suggerieren sollten, kann von einer flächenhaft gleich strukturierten Gebietsherrschaft vor 1800 keine Rede sein.76 Die Fragen, wann und wie sich der eigene Staat herausgebildet hat und damit 74 Für Waffen mit umfangreichem Bild- und Skizzenband Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Text- und Tafelband, Osnabrück 1976. Für Uniformen mit Erklärung der Fachbegriffe und Fertigungsmethoden Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983. Für Blankwaffen mit vielen Detailfotos auch der Abnahmezeichen Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam, Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001. 75 Vorwort zur Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V. von Matthias Asche, Horst Carl, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert, Ralf Pröve, Jörg Rogge. 76 Joachim Bahlcke, Landesherrschaft, Territorium und Staat in der Frühen Neuzeit, München 2012, S. 7.
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Einleitung
zusammenhängend, wie bzw. wie gut oder schlecht die Gesellschaft davor funktionierte, sind so bewegende Fragen, weil sie das eigene Weltbild und aus Sicht der Herrschenden die Legitimation der eigenen Herrschaft betreffen. Als Ziel der Geschichte wurden alle vorherigen Begebenheiten auf den Staat westeuropäisch-atlantischer Prägung hingeführt und das nicht ins Bild Passende ausgeklammert. Dem Blickwinkel von oben entsprechend ging es in den MetaErzählungen von Absolutismus und Sozialdisziplinierung um die Durchsetzung von Herrschaft von oben, während die Untertanen zu gehorchen hatten oder sich eben widersetzten. Ihnen wurde aber der Spielraum zur Gestaltung ihrer eigenen Welt abgesprochen. Sind nun die Erklärungsmodelle der Vergangenheit als einseitig abgetan und mit die jeweilige Gegenwart legitimierender Intention als der Frühen Neuzeit nicht gerecht werdend, gilt es, ein neues Modell aufzubauen, wie Gesellschaft und Herrschaft im 18. Jahrhundert funktioniert haben könnten. Der Ansatz, der in dieser Arbeit weiter verfolgt wird, ist die Beschreibung von Herrschaft als dynamischen und kommunikativen Prozess. Herrschaft im 18. Jahrhundert wird nicht im absolutistischen Sinne als bipolares Modell des Befehlens und Gehorchens interpretiert, indem Abweichendes als Auflehnung oder Durchsetzungsdefizit erklärt wird, sondern als multipolarer Prozess. Zwischen sich gegenseitig beeinflussenden Befehlsgebern und Befehlsempfängern, wobei die eigene Rolle entsprechend einer Hühnerhackordnung je nach Gegenüber wechselt, findet ein Aushandeln statt, das sich im Rahmen obrigkeitlich gesetzter Normen und ungeschriebener Traditionen bewegt. Dazwischen sind die unterschiedlichsten Berater und Befehlsmittler tätig, die nicht unabhängig sind, sondern beim Zustandekommen ihre eigenen Positionen einbringen sowie bei der Kommunikation ihre zum Teil sehr freien Interpretationen einfließen lassen. Dieser Ansatz ist von Markus Meumann und Ralf Pröve im Vorwort zum gleichnamigen Sammelband beschrieben77 und seitdem weiterentwickelt worden.78 In die gleiche Richtung geht Achim Landwehr, der die Anwendung von »Policeyordnungen« in Württemberg untersucht und zum Ergebnis kommt, dass frühneuzeitliche Herrschaft und »Policey« durch die Wechselwirkung zwischen am Herrschaftsprozess beteiligten Gruppen lebt. Statt einer einfachen 77 Markus Meumann, Ralf Pröve, Die Faszination des Staates und die historische Praxis, Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Dies. (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11–49. 78 u. a. in der seit 2000 erscheinenden Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V. von Matthias Asche, Horst Carl, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert, Ralf Pröve, Jörg Rogge.
Zum Herrschaftsverständnis
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Dialektik zwischen unterdrückenden Herrschenden und leidenden Beherrschten wäre angemessener, von einer »Polylektik« zu sprechen.79 Aus der Perspektive der Rechtsgeschichte beschäftigt sich Michael Stolleis mit der Normdurchsetzung von Polizeiordnungen in der Frühen Neuzeit und wendet sich gegen das Erklärungsmodell des Durchsetzungsdefizits, das die Unzulänglichkeiten des Systems und der Zeit als Missstand der Obrigkeit anprangert. Vielmehr stellten Normdurchsetzungen einen Regelkreis dar, in dem die Obrigkeit nach einem Erlass die Reaktion der Bevölkerung abwartet, um zu entscheiden, ob es zum Regelverzicht, Wiederholung und Einschärfung oder Änderung kommt.80 Der »absolutistische Polizeistaat« sei damit keine externe fremde Agentur, kein Vorgang staatlicher Unterdrückung im Gegensatz zur nach Freiheit strebenden Gesellschaft, sondern erwächst aus dem Bedürfnis der Mittel- und Oberschicht nach Regelungs- und Steuerungsbedarf.81 Stolleis beklagt, dass »solche Urteile über Defizite der Normdurchsetzung oft weniger durch genauere historische Forschungen über wirkliche Nichtbefolgung begründet sind – tatsächlich gibt es solche Forschungen bisher kaum – als durch bestimmte moderne Vorstellungen über die Funktionsweise von Gesetzgebung und Verwaltung.«82 Zum Beweis der These soll diese Arbeit einen Beitrag leisten und geht dabei noch einen Schritt weiter, indem nicht nur die Durchsetzung, sondern auch das Zustandekommen obrigkeitlicher Erlasse beleuchtet wird. In dieser Arbeit kann gezeigt werden, dass der Einfluss der Untertanen auf die Normgestaltung nicht erst mit der Verkündung und einem zögerlichen Abwarten der Reaktion einsetzt, sondern bereits bei der Impulsgebung und Ausgestaltung der Erlasse. Oberstes Ziel der Zeitgenossen war nicht die im Nachhinein festgestellte Intensivierung von Herrschaft oder die Etablierung eines Gewaltmonopols, sondern das schlichte Funktionieren der Gesellschaft.83 Diese Sicht deckt sich damit, dass die Obrigkeit auf Beschwerden, Klagen und Probleme reagierte, aber nicht von sich aus tätig wurde. Solange man nicht mit Problemen konfrontiert wurde, 79 Achim Landwehr, Policey vor Ort, Die Implementation von Policeyordnungen in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Klaus Härter (Hrsg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt/Main 2000, S. 47–70, S. 70. 80 Michael Stolleis, Was bedeutet »Normdurchsetzung« bei Policeyordnungen der frühen Neuzeit? In: Ders., Richard H. Helmholz, Paul Mikat, Jörg Müller (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 739–758, hier S. 754. 81 Ebd., S. 755. 82 Ebd., S. 744f. 83 Sieht auch Ursula Löffler, Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen, Zum Aufgabenprofil dörflicher Amtsträger in der Frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve, Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht, Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600– 1850, Berlin 2001, S. 101–120, S. 120.
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schien alles zu laufen. Die Betroffenen wurden dabei in den Lösungsprozess mit eingebunden. In dieser Arbeit soll die Theorie auf dem Feld der Wirtschaftspolitik untersucht werden. ›Wirtschaftspolitik‹ ist ein moderner Begriff und trifft mit seinen heutigen Assoziationen nicht das, was im 18. Jahrhundert damit verbunden wurde.84 ›Lobbyismus‹ geht vom Wortstamm auf die Lobby als Vorhalle eines Parlamentsgebäudes zurück und bezeichnet die dort tätigen Interessenvertreter.85 Folglich trifft auch dieser Begriff nicht die Lage im Preußen und Hannover des 18. Jahrhunderts. Statt Parlamentariern galt es hier, den Monarchen und die Verwaltungsangestellten – die Bezeichnung Beamter wird, wie im Zuge der Arbeit erläutert, bewusst nicht gewählt – davon zu überzeugen, die eigenen Unternehmungen zu fördern. Der Begriff Lobbyismus ist heute in der Öffentlichkeit problematisch bis negativ konnotiert,86 was die Lage im 18. Jahrhundert ebenfalls nicht widerspiegelt. Im Titel verwendet, soll er zusammen mit dem Begriff Wirtschaftspolitik den Leser abholen und deutlich machen, dass es hier nicht um die einseitige Beschreibung staatlicher Maßnahmen geht, sondern vielmehr um ein Aushandeln unterstützender und fördernder Maßnahmen zwischen Vertretern der Wirtschaft und der Obrigkeit. Ein Blick in die bisherige Forschungslandschaft zur Wirtschaftspolitik in der Frühen Neuzeit zeigt, dass das wirtschaftspolitische Konzept des Merkantilismus, das eng verbunden ist mit dem Absolutismus, sich bis heute gehalten hat, und sich viele Anknüpfungspunkte ergeben, dieses zu hinterfragen.
1.4. Forschungsüberblick Merkantilismus Seit dem Aufkommen des Begriffs »Merkantilismus« hat sich die Geschichtswissenschaft und historische Wirtschaftswissenschaft mit diesem beschäftigt. Seine Bedeutung für den deutschsprachigen Raum rührt aus der durch die borussische Geschichtsschreibung am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten Umdeutung des Merkantilismus zum wirtschaftlichen Machtinstrument des abso-
84 Wirtschaftspolitik ist ein moderner Oberbegriff. In der frühen Neuzeit kursierten eine Vielzahl oft wenig präziser Begriffe für Teilaspekte wirtschaftlichen Handelns. Vgl. Karl Heinrich Kaufhold, Die Wirtschaft in der frühen Neuzeit, Gewerbe, Handel und Verkehr, in: Christine van den Heuvel, Manfred von Boetticher (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens Bd. 3, Teil 1, Hildesheim 1998, S. 350–632, hier S. 353. 85 Dieter Nohlen, Florian Grotz (Hrsg.), Kleines Lexikon der Politik, 4. Überarb. und erw. Aufl., Bonn 2007, S. 308. 86 Ebd., S. 308.
Forschungsüberblick Merkantilismus
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luten87 Monarchen zur Herstellung volkswirtschaftlicher Autarkie.88 Um es in zwei Sätzen zusammenfassen zu lassen: »Das Verhältnis von Fürst, Staat und Unternehmer in der Zeit des Merkantilismus ist prinzipiell durchaus klar : der Fürst befiehlt oder ordnet an; der Staat ist ihm zugleich Instrument zur Durchsetzung seiner Befehle und Ziel von deren Ergebnissen. Der Unternehmer gehorcht den Befehlen, die gewöhnlich nicht in seinem Interesse gegeben werden, sondern im Interesse von Fürst und Staat.«89
Die Wirtschaft wird durch den Monarchen auf das Ziel der Staatsräson eingeschworen und ordnet sich diesem unter. Von einer Umdeutung wird gesprochen, weil Adam Smith, der das theoretische Konzept eines »mercantile system« im vierten Buch seines Hauptwerks »An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations«90 1776 beschrieb91 und in seiner frühliberalen Sicht einer scharfen Kritik unterzog, dieses eben nicht als Staatswirtschaft, sondern als »politisches Pressionsinstrument privilegien- und monopolbesessener Kaufleute interpretierte«.92 Unsere Sicht auf das Wirtschaftssystem des 18. Jahrhunderts entspringt also der Feder eines Autors, der in Abgrenzung zu diesem negativen Vorläufer sein eigenes neues Wirtschaftskonzept entwickelt. Diese Beschreibung wird 100 Jahre später durch sehr freie Interpretation und Einordnung in die eigene Weltanschauung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt und bestimmt fortan die historische wie wirtschaftsgeschichtliche Forschung. Blickt man in die Hand- und Schulbücher93, hat sich der Epochenbegriff bis heute gehalten.94 87 Zu Entstehung, Gebrauch und Problematisierung des Absolutismusbegriffs vgl. Markus Meumann, Ralf Pröve, Die Faszination des Staates und die historische Praxis, Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Dies. (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Umrisse eines dynamischkommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11–49. 88 »Es ist das Gesetz der Autarkie, von dem die Handelspolitik jener Tage ausschließlich geleitet war.« Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 45. Vgl. hierzu ausführlich den Forschungsüberblick im entsprechenden Kapitel dieser Arbeit. 89 Wilhelm Treue, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 82. 90 Adam Smith, An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Dublin 1776. 91 Er bezieht sich dabei auf die Philosophie rurale des Victor Riquetti, Marquis de Mirabeau von 1763. Vgl. Moritz Isenmann Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Merkantilismus, Wiederaufnahme einer Debatte, Stuttgart 2014, S. 9–17, hier S. 9. 92 Hinrichs, Ernst, Merkantilismus in Europa, Konzepte, Ziele, Praxis, in: Ders. (Hrsg.), Absolutismus, Frankfurt/Main, 1986, S. 344–360, hier S. 344. 93 Im aktuell gültigen Rahmenlehrplan für Berlin und Brandenburg heißt es dazu: »Mit dem ersten Themenbereich [Herrschaft und Legitimation – Jahrgangsstufe 7/8] ›Absolutistischer Staat am Beispiel Frankreichs‹ erarbeiten sich die Lernenden die Grundlagen eines abso-
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Einleitung
Die »Merkantilismusdebatte«95 hat sich dabei soweit vom historischen Gegenstand wegbewegt, dass »sich die Auseinandersetzung zweier Interpreten des Merkantilismus nicht mehr allein darum dreht, was die Merkantilisten wirklich taten oder wollten, sondern es immer mehr darum geht, was ein früherer Interpret des Merkantilismus aussagen wollte und was nicht.«96 Diese Debatte um die Deutung des Merkantilismus als evolutionären Vorläufer oder Antipode dessen, was die Autoren für ihre jeweilige Gegenwart konstruieren wollten, stellt Jutta Hosfeld-Guber im ersten Teil ihrer Dissertation sehr gut dar. Im zweiten Teil macht sie sich explizit daran, die Unangemessenheit des Merkantilismus für die Charakterisierung staatlichen Handelns im preußischen Ancien R8gime sichtbar zu machen und die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung des absolutistischen Merkantilismus für die Genese der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft in Frage zu stellen.97 Sie dekonstruiert damit eine Deutungslinie des Merkantilismus. Indem sie sich dabei an den Argumentationsketten der Forschungsliteratur entlangbewegt, übernimmt sie auch deren Quellenauswahl und es ist ihr nicht möglich, eine alternative Deutung anzubieten. Begünstigt wurde diese Debattenkultur durch die Annahme des Merkantilismus als abstraktem Wirtschaftsmodell mit universellem Anspruch. Diese Modelle neigen dazu, »unterschiedliche Wirtschaften unterschiedlicher Länder aus unterschiedlichen Zeiten denselben, scheinbar dauerhaft gültigen Maßstäben zu unterwerfen.«98 Damit musste sich mit der Ausgangslage im 18. Jahrhundert und der Umsetzung gar nicht en Detail auseinandergesetzt werden,
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lutistischen Staatsmodells am Beispiel Frankreichs. Dabei spielen sowohl die Fragen der Legitimation als auch der konkreten Strukturen und Merkmale der Machtausübung, des Merkantilismus und der Ständegesellschaft die zentralen Rollen. Schülerinnen und Schüler erwerben hier nicht nur Wissen über absolutistische Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen, sondern setzen sich auch mit den Folgen, insbesondere für den Dritten Stand, auseinander.« Landesinstitut für Schule und Medien Berlin (Hrsg.), Rahmenlehrplan Sekundarstufe I, Methodisch-didaktische Hinweise und Empfehlungen, Berlin 2006, S. 8. Vgl. Fritz Blaich, Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973, S. 1; Neuere Beispiele: Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620– 1800, München 1998. Rolf Walter, Wirtschaftsgeschichte, Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, 3. überarb. und akt. Auf, Köln 2000. Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 2: Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien, Münster 2005. Vgl. zur »Merkantilismusdebatte« Jutta Hosfeld-Guber, Der Merkantilismusbegriff und die Rolle des absolutistischen Staates im vorindustriellen Preussen, München, 1985. Fritz Blaich, Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973, S. 3. Jutta Hosfeld-Guber, Der Merkantilismusbegriff und die Rolle des absolutistischen Staates im vorindustriellen Preußen, München 1985, S. 10. Klaus Neitmann, Vorwort, in: Radtke, Wolfgang, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003.
Forschungsüberblick Merkantilismus
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sondern es genügte, sich mit dem normativen Anspruch zu beschäftigen99 bzw. aktuelle Probleme und Diskussionen im eigenen Sinne in die Frühe Neuzeit vorzudatieren. Um dieses universelle Modell wiederum mit der Sicht der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts in Einklang zu bringen, bemühten sich die Theoretiker, unterschiedliche nationale Ausprägungen und Unterformen zu konstruieren. In Frankreich war dies der nach dem französischen Finanzminister Jean-Baptiste Colbert benannte Colbertismus.100 Die deutsche Variante wurde als Kameralismus bezeichnet und geht auf das Cameral-Wesen bzw. auf die Cameral-Wissenschaft zurück. Auch wenn sich die deutsche Deutung des Merkantilismus überwiegend auf den preußischen (aufgeklärten) Absolutismus gründet, gab es zahlreiche Versuche, dieses Erfolgsmodell auch in anderen Landesherrschaften nachzuweisen. Für Kurhannover beschreibt etwa Walter Höttemann die absolutistische Wirtschaftspolitik der hannoverschen Regierung anhand der Tuchindustrie in Göttingen.101 Nachdem der Merkantilismus in allen großen absolutistischen Staaten abgehandelt war, kamen auch kleinere Territorien im Reich hinzu.102 Sogar für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – auch wenn dies auf den ersten Blick ein »innerer Widerspruch« sei, da hier der starke, absolutistische Herrscher fehlte – sollten nach dessen Wiederentdeckung in der föderalen Bundesrepublik merkantilistische Strukturen erkannt werden.103 Dabei war so manchem Autor schon bewusst, dass es sich um eine nachträgliche Konstruktion handelte, wie ihren Einleitungen oder Schlussworten zu entnehmen ist. So beginnt Eli Heckscher sein umfangreiches Werk zum Merkantilismus von 1931 mit dem Satz »Der Merkantilismus hat niemals existiert«. »Es ist nur eine Hilfsvorstellung, die, wenn sie glücklich gewählt ist, uns ermöglichen soll, einen Abschnitt der geschichtlichen Wirklichkeit besser zu verstehen, als ohne ihre Hilfe möglich gewesen wäre.«104 Sie ist nicht glücklich gewählt! In Einzelfall-Studien waren dabei schon überraschende Ergebnisse zu Tage getreten, sodass sich etwa Gustav Aubin und Arno Kunze 1940 genötigt sehen, 99 Vgl. ebd., S. 16. 100 Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 2: Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien, Münster 2005, S. 13f. 101 Walter Höttemann, Die Göttinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1931. 102 Maximilian Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Wirtschaftspolitik und Realentwicklung, 1648–1802,1803, Stuttgart 1995. 103 Ingomar Bog, Der Reichsmerkantilismus, Studien zur Wirtschaftspolitik des Heiligen Römischen Reiches im 17. und 18. Jahrhundert, Stuttgart 1959, S. 1. 104 Eli F. Heckscher, Der Merkantilismus, autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von Gerhard Mackenroth, Bd. 1, Jena 1932, S. 1.
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Einleitung
den Leser auf ihre Zusammenfassung mit dem Satz vorzubereiten: »Mancher Leser wird sich vielleicht die Frage vorgelegt haben, warum in unserer Darstellung so wenig oder eigentlich gar nicht vom Staat und seinen Einflüssen die Rede gewesen ist.« So entschuldigen die Autoren sich geradezu, wenn sie anmerken, dass ansonsten »der Staat eine sehr aktive Rolle gespielt«105 habe, nur auf dem von ihnen untersuchten Gebiet müssen sie doch feststellen, »daß die Initiative zu der schlesischen Gesetzgebung nicht vom Staat ausgegangen, sondern den Kreisen der städtischen Kaufleute entsprungen ist, die für ihre Wünsche und Interessen bei der Landesherrschaft ein geneigtes Ohr fanden.«106 Klaus Peter Tieck bemerkt im Einleitungssatz seines Aufsatzes zu »Merkantilismus und Eigennutz in Preußen 1740–1786«: »Preußens Aufstieg zur Großmacht vollzog sich im Zeichen des Merkantilismus, der als theoretisches und politisches System zwar nicht existiert und eigentlich nur ein polemischer Begriff der Physiokraten und Adam Smith’s in die ökonomische Dogmenund in die Wirtschaftsgeschichte Eingang gefunden hat, aber dennoch einige prägende Züge des 18. Jahrhunderts als Epochenstruktur bezeichnet.«107
Rainer Gömmel stellt klar : »Es handelt sich dabei [»dem Begriff ›Merkantilismus‹«] um Wirtschaftslehren, die zu keinem Zeitpunkt den Rang einer geschlossenen Theorie erreichten, sondern in eine kaum überschaubare Vielfalt praktischer Rezepte und Empfehlungen zerfielen.«108 Alternativ werden die Grenzen des Merkantilismus beschrieben109 und insbesondere in neueren Studien ein Durchsetzungsdefizit oder ein Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit konstruiert. So schreibt Wilhelm Treue nach seinem einleitend abgedruckten Zitat zum Verhältnis von befehlendem Fürst und gehorchendem Untertan. »Die Wirklichkeit spielte sich dann praktisch freilich in sehr viel komplizierteren Zusammenhängen ab.«110 Bei Wolfgang Neugebauer heißt es: »Freilich, bei aller merkantilistischen Programmatik, wie sie vor allem in Behördeninstruktionen dem politischen Handeln zugrunde 105 Gustav Aubin, Arno Kunze, Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftkäufe, Ein Beitrag zur industriellen Kolonisation des deutschen Ostens, Stuttgart 1940, S. 281. 106 Ebd., S. 282. 107 Klaus Peter Tieck, Staatsräson und Eigennutz, Drei Studien zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1998, S. 65. 108 Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620– 1800, München 1998, S. 41. 109 z. B. bei Karl Heinrich Kaufhold, Der preußische Merkantilismus und die Berliner Unternehmer, in: Industrie- und Handelskammer zu Berlin (Hrsg.), Berlin und seine Wirtschaft, Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft, Lehren und Erkenntnisse, Berlin 1987, S. 19–40, S. 37. 110 Wilhelm Treue, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 82.
Forschungsüberblick Merkantilismus
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gelegt wurde, blieb doch insbesondere bei den Bemühungen, den einheimischen Markt zu schützen und die Einfuhr von Waren zu verbieten, die auch im Inland hergestellt werden konnten, zwischen Anspruch und Wirklichkeit des (preußischen) Absolutismus selbst auf diesem Felde staatlicher Tätigkeit eine Kluft.«111 Sie werden dann aber erklärt als das Nichtabsolutistische im Absolutismus112 und zum Ende zusammengefasst »Im Mittelpunkt der Staatstätigkeit im Alten Preußen aber standen Militär und Merkantilwirtschaft.«113 Burkhard Nolte deckt in seiner Dissertation die Genese des Merkantilismusbegriffs als wirtschafts- und sozialpolitisches Gegenstück zum Absolutismus auf und kritisiert dessen Missbrauch.114 Anhand der Zollpolitik Friedrichs II. stellt Nolte fest, dass die Einführung der Zölle auf die geschickte Beeinflussung der »Zentrale [in Berlin und Potsdam]« durch die schlesischen Flachsgarnund Leinenhandelskaufleute zurückgehen. Die Um- und Durchsetzung der getroffenen Maßnahmen sei an einem ungenügenden Sicherheitssystem, dem eine Schmuggelbereitschaft der Bevölkerung entgegenstehe, gescheitert.115 Um dann allerdings in seiner Zusammenfassung wieder auf das alte Erklärungsmuster der Staatsräson zurückzugreifen, in der »das Primat politischer und militärischer Bedürfnisse […] die Grundsätze einer durch regulierende und lenkende Maßnahmen gekennzeichneten Staatswirtschaft« bestimmen lässt.116 Hans-Werner Holup geht auf die einzelnen Theoretiker der Zeit und ihre Positionen ein. Er stellt fest, dass es eigentlich kein System oder eine einheitliche Theorie des Merkantilismus gab, um dann aber zu dem Schluss zu kommen: »Trotzdem halte ich, auch wenn damit mehr Einheitlichkeit der Autoren signalisiert wird als vorhanden war, nicht zuletzt wegen der ständigen Revitalisierung entsprechender Ideen über die Jahrhunderte, die generelle Bezeichnung ›Merkantilismus‹ für die vielen in Denkschriften, Anordnungen und Pamphleten niedergelegten Gedanken für statthaft.«117
Hier wird also der Ge- bzw. härter Missbrauch der Nachwelt zum Argument, ein eigentlich widerlegtes Konzept weiter aufrechtzuerhalten. Es schließt sich der 111 Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preussischen Geschichte. Bd. I: Das 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2009, S. 292f. 112 Ebd., S. 293. 113 Ebd., S. 296. 114 Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsräson in Preußen, Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in den westfälischen Provinzen (1740–1786), Marburg 2004, S. 5–10. 115 Ebd., S. 257ff. 116 Ebd., S. 266. 117 Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 2: Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien, Münster 2005, S. 278f, Zitat S. 14.
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Kreis zu Gustav Schmoller, der seine Untersuchung »Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert« begonnen hatte mit der Aussage: »Erst der Gegenwart ist es beschieden, vom höheren Standpunkte aus die beiden Epochen zu überblicken, die Theorien und die Ideale, die wirklichen psychischen Triebfedern und die praktischen Resultate beider Zeitalter gerecht zu würdigen und zu verstehen.«118 Aus einem Geschichtsbuch erfährt der Leser deutlich mehr über die Werte und Geschichtsbilder in dessen Entstehungszeit bzw. des Autors als über den eigentlichen Gegenstand. Die Aussage Holups ist aber auch symptomatisch für alle zitierten Studien, dass die Zweifel am Konzept des Merkantilismus überwiegen bzw. dieses einer kritischen Hinterfragung nicht standhalten kann, der folgerichtige Schritt aber nicht gewagt wird. Eine Neubewertung (nicht nur der wirtschaftlichen Situation) Preußens im 18. Jahrhundert bedarf eines erneuten Blicks in die Quellen. Auf wen gehen also die Ideen zurück, die Adam Smith als Wirtschaftssystem des Merkantilismus zusammenfasst? Für Preußen entstammen sie wesentlich dem an der Universität Halle 1727 gegründeten Lehrstuhl für Kameralwissenschaften, der die Aufgabe hatte, das obrigkeitliche Funktionspersonal auszubilden. Axel Rüdiger kommt zu dem Ergebnis, dass dieser keine eigenständige wissenschaftliche Autonomie erreicht, sondern »als reine Gebrauchswissenschaft des Fürstenstaates« fungiert hätte, wobei sie auch »nicht umstandslos als akademisches Pendant der modernen bürokratischen Verwaltung interpretiert werden« könne.119 Diese Autoren, die unter die Rubrik der Merkantilisten bzw. Kameralisten gezählt werden,120 analysiert Hans-Werner Holup. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Autoren kein Gesamtsystem bzw. ein Verständnis für den Gesamtzusammenhang allen Wirtschaftens hätten. Ihnen fehle ein Leitmotiv, das alle Teilaspekte wirtschaftlichen Handels zu einem Wissensganzen eine und erkläre. Stattdessen handele es sich um eine Vielzahl von Einzelschriften – er schreibt »Traktate« –, die jeweils für konkrete Probleme anwendungsorientiert nach 118 Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 59. 119 Axel Rüdiger, Staatslehre und Staatsbildung, Die Staatswissenschaften an der Universität Halle im 18. Jahrhundert, Tübingen 2005, S. 423. In die gleiche Richtung Marcus Sandl, Ökonomie des Raumes, Der kameralwissenschaftliche Entwurf der Staatswissenschaft im 18. Jahrhundert, Köln 1999. 120 Wobei Holup anführt, dass diese Zuschreibung, ob jemand als Merkantilist oder Kameralist zu gelten habe, unklar und sehr grob sei. Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 2: Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Münster u. a. 2005, S. 10f.
Aufbau der Arbeit
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einer Lösung suchen. Die Autoren sind dabei nicht wissenschaftlich unabhängig121 oder beanspruchen Allgemeingültigkeit, sondern geben einseitige Stellungnahmen, die stark von den eigenen Interessen geprägt sind.122 Hier wird die Funktion des nicht uneigennützigen Beraters erkannt. In die gleiche Richtung stellt Hermann Schulz, der unter rechtsgeschichtlicher Warte die Schriften der Kameralisten untersucht, fest, dass es sich bei diesen um »edukatorische« Schriften handelt, die nicht beschreiben, wie es ist, sondern wie es idealerweise sein sollte. Da den zeitgenössischen Adressaten die »realen Verhältnisse« bekannt waren, sei es nur schwer und zwischen den Zeilen möglich, aus den Schriften über die »Soll-Ordnungen« den »Ist-Zustand« herauszulesen.123
1.5. Aufbau der Arbeit Konnte der auf Einzelanfertigungen spezialisierte Handwerksmeister noch für Kundenakquise, Produkt(weiter-)Entwicklung, Rohstoffbeschaffung, Herstellung und den Verkauf zuständig sein, überstieg dies bei steigenden Stückzahlen seine Möglichkeiten. Es boten sich damit zahlreiche Ansatzpunkte, bei denen die Obrigkeit unterstützend eingreifen konnte bzw. um Unterstützung ersucht wurde. Als Untersuchungsgegenstand bot sich aus mehrfacher Hinsicht die ›Rüstungsindustrie‹ an.124 Neben der Luxusproduktion für den Hof war sie der Bereich, der in der klassischen Forschungsliteratur als Einsatzfeld staatlicher, absolutistisch-merkantilistischer Wirtschaftsförderung genannt wurde, ohne dass dies am Einzelfall wirklich überprüft worden wäre. Dies hatte auch mit der 121 Zu dem gleichen Ergebnis kommt Rüdiger »Im Bereich von Politik und Staat führt dies so weit, daß die auf ein unabhängiges Urteil Anspruch erhebenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewußt oder unbewußt zu Agenten ihres Gegenstandes werden, was nichts anderes bedeutet, als daß sie an der substantialistischen Konstruktion des Staates, den sie eigentlich nur analysieren, beschreiben und besprechen wollen, mitwirken.« Axel Rüdiger, Staatslehre und Staatsbildung, Die Staatswissenschaften an der Universität Halle im 18. Jahrhundert, Tübingen 2005, S. 417. 122 Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. II Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Münster u. a. 2005, S. 278f. 123 Hermann Schulz, Das System und die Prinzipien der Einkünfte im werdenden Staat der Neuzeit, dargestellt anhand der kameralwissenschaftlichen Literatur (1600–1835), Berlin 1982, S. 23. 124 Zur Rolle des Militärs als Impulsgeber vgl. Bernhard R. Kroemer, »Das Schwungrad an der Staatsmaschine?« Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Ders. Ralf Pröve, Krieg und Frieden, Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 1–23.
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gegenseitigen Berührungsangst der Gesellschafts- und der Militärhistoriker zu tun. Durch Ausklammerung des militärischen Faktors bei Strukturwandlungen in Gesellschaft und Politik auf der einen und isolierter Betrachtung der Operations- und Kriegsgeschichte auf der anderen Seite wurden die zahlreichen Wechselwirkungen von der deutschen Forschungslandschaft lange vernachlässigt,125 was u. a. im negativen Bild des Militärs nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ursache hatte, zum anderen aber auch an der spezifischen Historiographie der älteren Militärgeschichte lag.126 Wer sich hingegen offen mit dem 18. Jahrhundert auseinandersetzt, erkennt, dass es damals diese Berührungsängste und künstliche Trennung nicht gegeben hat. So öffnet sich ein faszinierendes und weitgehend unerforschtes Feld,127 auf dem es gerade deswegen besonders viele Vorurteile abzubauen gilt. Da es sich, wie erwähnt, bei dem in den staatlichen Archiven überlieferten Aktenmaterial überwiegend um Schriftverkehr mit der Obrigkeit handelt, bot sich die eng mit dieser verbundene ›Rüstungsindustrie‹ für einen Einstieg förmlich an. Dass im 18. Jahrhundert von einer Rüstungsindustrie im heutigen Sinne128 nicht gesprochen werden kann, ist eine frühe Erkenntnis der Beschäftigung mit diesem Thema und führt dazu, dass die Beschränkung auf diesen Bereich der Wirtschaft nicht beibehalten wurde. Dem Theorieaufbau folgend, waren die Beziehungen der einzelnen Akteure 125 Diese sei »von einer faktisch unüberbrückbaren Trennung zwischen Militär- und Zivilgesellschaft ausgegangen« Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung, Tübingen 2002, S. 131; Ralf Pröve, Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München 2006, S. 1. 126 Vgl. zur Historiographie der Militärgeschichte allgemein: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000. Darin zur Wirtschaft: Stefanie van de Kerkhof, Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft, Vom Nutzen und Nachteil wirtschaftshistorischer Methoden für die Militärgeschichte, S. 175–194. 127 Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin, Die neue Militärgeschichte in der Frühen Neuzeit, in: Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (Hrsg.), Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612. Einen Überblick über Ansatzpunkte bei Bernhard R. Kroener, Militär in der Gesellschaft, Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 283–299. 128 Laut Kerkhofs Definition stellen Rüstungsgüter in moralischer wie ökonomischer Hinsicht keine normalen Verbrauchsgüter dar. Ihr Konsum bzw. Verbrauch finde neben langfristigem Verschleiß nur im Krieg statt. Sie seien tendenziell monosoptisch mit dem Staat als einzigem Nachfrager, welcher die Abgabe an andere Staaten zumindest reguliere, wenn nicht unterbinde. Die teilweise Staatsregulierung habe Einfluss auf die Preisbildung und auch die Produktionsstandorte würden nicht nach ökonomischen, sondern sicherheitsstrategischen Überlegungen gewählt. Darüber hinaus reichten staatliche Eingriffe von der Impulsgebung über Vergünstigungsgewährung bis hin zur Verstaatlichung im Kriegsfall. Stefanie van de Kerkhof, Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft, Vom Nutzen und Nachteil wirtschaftshistorischer Methoden für die Militärgeschichte, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 175–194, hier S. 182f.
Aufbau der Arbeit
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zu- und untereinander vielfältig. Auch wenn die Entscheidungsträger teilweise den Anspruch hatten, losgelöst planen, entscheiden und befehlen zu können, konnten spätestens bei der Umsetzung vor Ort die Auswirkungen im Umfeld nicht vernachlässigt werden. Um diese Auswirkungen aufdecken zu können, bedarf es einer Beleuchtung der frühneuzeitlichen Wirtschaft, Verwaltung und Wirtschaftsförderung von verschiedenen Ebenen und Seiten. Das führt zwangsläufig zu Überschneidungen in den einzelnen Kapiteln, ist aber auch reizvoll, wenn die beschriebenen Sachverhalte unter anderem Blickwinkel völlig neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Da es in dieser Arbeit um die Auflösung teleologischer Erklärungsmodelle geht, wurde statt dem chronologischen der thematische Zugang gewählt. Zunächst beschäftigt sich das Kapitel zu Wissen und Wissenstransfer mit den Grenzen des zeitgenössischen Lebens und frühneuzeitlichen Verwaltungs- und Wirtschaftshandelns. Wie funktionierte eine überwiegend auf mündlicher Kommunikation aufgebaute Gesellschaft? Was war die Basis des Verwaltungshandelns bzw. wie wurde die Entscheidungsgrundlage gewonnen? Wie war der Weg der Information zwischen Provinz und Hauptstadt und zwar in beide Richtungen? Wie gelang es einer auf ungeschriebenen Regeln basierenden Verwaltung, Entscheidungen für nachfolgende Beamtengenerationen oder nicht beteiligte Behörden verfügbar zu machen? Bzw. ganz allgemein: wie wurde Wissen weitergegeben? Diese Grundlagen müssen ausgelotet werden, um das System und die daraus resultierenden Entscheidungen der Zeitgenossen einordnen und bewerten zu können. Aus der Aufdeckung der Strukturen zum Umgang mit begrenztem persönlichem Wissen lassen sich einige Erklärungsansätze für die frühneuzeitliche Gesellschaft herauslesen. Gleichzeitig stellte die Unterstützung bei Know-How-Transfer, sei es durch Ausbildung oder Migration einen großen Bereich obrigkeitlicher Wirtschaftsförderung dar. Die frühneuzeitliche Wirtschaft kennt alleine die Natur als Energie- und Rohstofflieferanten. Sie ist damit unabdingbare Grundlage jedes Wirtschaftstreibens. Der Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen bzw. mit den zeitgenössischen Mitteln nicht zu ändernden Natureinflüssen ist besonders geeignet, die Strukturen der Herrschaft und das Herrschaftsverständnis der Obrigkeit aufzuzeigen. Die Unterstützung bei der Rohstoffbeschaffung stellt damit einen weiteren Ansatzpunkt obrigkeitlicher Wirtschaftsförderung dar. An ihm soll geklärt werden, auf wen die Initiative für die Unterstützung zurückging. Wer hatte Aussicht, gefördert zu werden? Wie stellte sich die Förderung dar und wie die Umsetzung vor Ort? Wie wirkte sich diese auf die geförderten Betriebe aus? Gab es eventuelle negative Auswirkungen oder musste gar mit Gegenstrategien der Konkurrenz gerechnet werden? Geld ist im 18. Jahrhundert noch nicht das alleinige Referenzsystem. Was hat das für Auswirkungen sowohl für die persönlichen Einkünfte zum Lebensun-
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Einleitung
terhalt als auch bei Abgaben für das Gemeinwesen? Den Zeitgenossen fehlte ein grundlegendes Verständnis für die (Markt-) Preisbildung durch Angebot und Nachfrage und daraus resultierende schwankende Preise. Beschwerden und Klagen über steigende Einkaufspreise auf der einen und sinkende Preise der Konkurrenzprodukte auf der anderen Seite treffen auf ein Sicherheits- und Planungsbedürfnis der Obrigkeit, das ebenfalls feste Preise voraussetzt bzw. anstrebt. Welche Maßnahmen ergreift die Obrigkeit, um auf diese Klagen zu reagieren und den schon am Umgang mit der Natur festgestellten Willen zu Planung und Ordnung durchzusetzen? Wie wirken sich diese aus? Die Vergabe von Krediten aus königlichen Kassen und die Gewährung von Vorschüssen bei Auftragserteilung machten einen weiteren großen Aspekt frühneuzeitlicher Wirtschaftsförderung aus, der in diesem Kapitel von verschiedenen Seiten ausgeleuchtet wird. Welche Sicherheiten wurden verlangt? Wie funktionierte die Rückzahlung und wie wurde bei Kreditausfällen reagiert? Um es vorwegzunehmen, Autarkiestreben und Marktabschottung können weder in Brandenburg-Preußen noch in Kurhannover als Leitlinien frühneuzeitlicher Wirtschaftspolitik festgestellt werden. Diese wie die Wirtschaft an sich waren auch nicht auf eine vom Monarchen bestimmte Staatsräson ausgerichtet. Damit wird dem Kernpunkt des Merkantilismus der Boden entzogen und es soll anhand der Ein- und Ausfuhrverbote nach alternativen Deutungsmustern gesucht werden. Auf wen gingen diese zurück? Welche Ziele verfolgten sie und wie wirkten sie sich aus? Anhand der Gründung und Entwicklung der Gewehrfabrik in Herzberg am Harz soll anschließend deutlich gemacht werden, welche alternativen Ursachen die zeitgenössischen Entscheidungsträger zur Anlegung einer Gewehrfabrik im eigenen Land bewegten, wenn es nicht der vom Monarchen vorgegebene Wille zur Autarkie war. Bei der Durchsicht der Aktenpakete zur Wirtschaftsförderung fiel auf, dass sich in den Briefen zum Ende des 18. Jahrhunderts die Grundeinstellung einiger Vertreter der Obrigkeit wandelte. Statt der zuvor an Einzelfällen orientierten individuellen Förderung ließ sich nun beobachten, dass versucht wurde, gleiche Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftstreibenden zu erreichen. Diese zunächst vereinzelten Initiativen der Vereinheitlichung trafen auf große Widerstände sowohl innerhalb der Verwaltung als auch auf der Wirtschaftsseite. Sie blieben deshalb zumeist im Ansatz stecken, sollen dem Leser aber nicht vorenthalten werden und bieten einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.
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Wissen und Wissenstransfer
Ansätze zur Entpersonalisierung von Wissen durch Verschriftlichung und Sammlung bzw. Ordnung sind im 18. Jahrhundert in vielen Lebensbereichen zu erkennen. In Enzyklopädien – wie die in dieser Arbeit oft zu Rate gezogene von Johann Georg Krünitz, deren Abfassung sich über fast 100 Jahre erstreckte – machten es sich die Autoren zur Aufgabe, das Wissen der Welt zu sammeln, zu ordnen und durch Veröffentlichung ›allen‹ verfügbar zu machen.129 Adressbüros stellten Listen mit Waren und Dienstleistungen auf, die an einem Ort zu bekommen waren und gaben die Informationen über Einkaufsmöglichkeiten130 und Preise in »Intelligenz-Blättern« heraus.131 Kartographen vermaßen Länder und stellten Kartenwerke zusammen.132 In Kalendern wurden seit dem 129 Vorformen der Enzyklopädien waren Sammlungen und Wunderkabinette. Zugrude liegt immer ein Ordnungskonzept. Sie richten sich an Ratsuchende und sollen Zeit sparen. Einleitung zu Paul Michel, Madeleine Herren, Martin Rüesch (Hrsg.), Allgemeinwissen und Gesellschaft, Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme, vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins, Aachen 2007, S. 13, 15. Zielgruppe war die »kaufkräftige, gebildete und interessierte Öffentlichkeit«. Ina Ulrike Paul, Niemals ohne Gewähr, Über die Quellen nationaler Eigen- und Fremdbilder in europäischen Enzyklopädien und Universallexika in: ebd., S. 195–223, hier S. 195. 130 Wieland Sachse fasst diese mit »Münz-, Maß- und Gewichtsbeschreibungen […] Warenkunden […] Länderbeschreibungen […] Kaufmännische Lexika […] Kaufmanns- und Handelszeitungen« zur Kaufmannsliteratur zusammen, in der »überwiegt ganz klar der praktische Zweck der Nutzanwendung für die professionellen Notwendigkeiten des Kaufmanns«. Sie hatten »unmittelbare Bedeutung für die Intensivierung der europäischen Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert.« Sachse, Wieland, Wirtschaftsliteratur und Kommunikation bis 1800, Beispiele und Tendenzen aus Mittelalter und Früher Neuzeit, Kaufmannsbücher, Enzyklopädien, kameralistische Schriften und Statistiken, in: Pohl, Hans (Hrsg.), Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, Stuttgart 1989, S. 199–215, hier S. 206ff. 131 Anton Tanter, Adressbüros in der Habsburgermonarchie und in deutschen Territorien, Eine Vorgeschichte der Suchmaschine, in: Arndt Brendecke, Markus Friedrich, Susanne Friedrich (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit, Status, Bestände, Strategien, Berlin 2008, S. 215–236; Holger Böning, Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Hans-Wolf Jäger (Hrsg.), Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 151–163. 132 So etwa Frankreich, das beginnend 1750 (bis 1815) im Auftrag des Kriegsministeriums
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17. Jahrhundert die Heiligen des Tages, wichtige Termine für Ernte und Jahrmärkte, günstige Zeiten für Geburten und Aderlässe gesammelt.133 In Hofkalendern wurden Nachrichten von den herrschenden Häusern und Informationen über ihre Landesherrschaften veröffentlicht.134 In Gesetzessammlungen sollten alle königlichen Entscheidungen zusammengestellt werden.135 Diese parallel, aber unabhängig voneinander betriebenen Innovationen eröffneten ganz neue Möglichkeiten und legten in ihrer Gesamtheit eine Grundlage für die technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, die mit dem Begriff »Industrialisierung« nur unzureichend charakterisiert werden. Sie waren aber im 18. Jahrhundert nur in Ansätzen vorhanden136 bzw. ihre Entstehungen zogen sich über Jahrzehnte hin und
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vermessen und erstmals maßstabsgerecht abgebildet wird. Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß, Militärische Beobachtungen und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2007, S. 59. Dem Vorbild folgend Bayern, das seit 1751 systematisch vermessen werden soll. Daniel Schlögl, Der planvolle Staat, Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750–1800, München 2002. Paul Michel, Madeleine Herren, Unvorgreifliche Gedanken zu einer Theorie des Enzyklopädischen, Enzyklopädien als Indikatoren für Veränderungen bei der Organisation und der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, in: Dies., Martin Rüesch (Hrsg.), Allgemeinwissen und Gesellschaft, Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme, vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins, Aachen 2007, S. 9–74, hier S. 16. »Der so genannte Stats= und Geschichts= oder genealogisch=historische Kalender, wozu man gemeiniglich das Taschenbuch=Format wählt, enthält gemeiniglich die Genealogie der jetzt lebenden hohen Häupter und anderer fürstlichen Personen; die Geschichte des Landes, und Lebensbeschreibungen der alten und neuern Landesregenten; die Beschreibung und Erklärung der Wapen der regierenden hohen Häupter in Europa; ein Verzeichniß der Postcourse, woraus zu ersehen ist, wie die Posten abgehen und ankommen, wie weit ein Ort von dem andern gelegen, und wie viel eine reisende Person von einem Orte zum andern zu bezahlen hat; eine Vergleichung der verschiedenen Meilen; ein Verzeichniß und eine Vergleichung der in Europa bekannten Münzen. Man pflegt auch wohl die Geschichte eines geführten Krieges und den darauf erfolgten Friedenstractat, die Solennitäten eines fürstlichen Beylagers, einer Huldigung oder Krönung, eines Begräbnisses, und andere dergleichen bey den hohen Häusern sich öfters zutragende merkwürdige Begebenheiten, in diesem Kalender zu beschreiben.« Art. Kalender, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 32 (1784), S. 444–605, hier S. 558ff. In Preußen: Corpus Constitutionum Marchicarum de Chr. O. Mylius, Berlin und Halle 1715–1751 und Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium, praecipue Marchicarum, Oder Neue Sammlung … vom Anfang des Jahres 1751 herausgegeben von der preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin ab 1753. Vgl. Gerd Kleinheyer, Friedrich der Große und die Gesetzgebung, in: Richard H. Helmholz u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 777–793, hier S. 781f. Eine frühneuzeitliche ›Enzyklopädie‹ mit ›modernen‹ Wissenssammlungen wie dem Brockhaus zu vergleichen, greift zu kurz. Diese sind in Europa erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden. Paul Michel, Madeleine Herren, Unvorgreifliche Gedanken zu einer Theorie des Enzyklopädischen, Enzyklopädien als Indikatoren für Veränderungen bei der Organisation und der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, in: Dies., Martin
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konnten mit dem persönlichen Wissen nicht konkurrieren, sondern ergänzten dieses. In dieser Arbeit geht es folglich darum, Strukturen und Praktiken vor dieser Entpersonalisierung – also schriftlich-allgemeinverfügbarem Wissen – aufzuzeigen, die zwar nicht den heutigen Maßstäben des Informationszeitalters eines gleichen Zugangs zu Wissen für alle genügen, aber ein leidliches Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft ermöglichten. Die Kodifizierung des Rechts steckt noch in den Kinderschuhen. In Preußen wird 1755 die Ordre an alle rechtsanwendenden Stellen erlassen, die begonnene Gesetzessammlung für den Gerichtsgebrauch anzuschaffen. Damit werden die gesammelten königlichen Legislativakte auch den Behörden und Gerichten zugeteilt, deren unmittelbarer Adressat sie nicht waren. Sie bereitete zwar deren Allgemeingültigkeit den Boden, löste aber den Einzelfallcharakter des Rechts noch nicht ab.137 Außenstehende hatten damit zumindest die Möglichkeit, sich über Entscheidungen zu informieren und ähnliche Anträge zu stellen. Es bestand aber kein Rechtsanspruch auf eine gleiche Förderung, sondern es zählten weiterhin die individuellen Umstände des Antragstellers.138 Das Nicht-Lesen-und-Schreiben-Können stellte keinen Ausschluss vom öffentlichen und wirtschaftlichen Leben der frühneuzeitlichen Gesellschaft dar. Für die meisten Tätigkeiten, wie etwa die Ausübung des Handwerksberufs, war es nicht unbedingt nötig, lesen und schreiben zu können. Wissensweitergabe und Kommunikation fanden mündlich und nicht schriftlich statt. Wer für den lokalen Markt produzierte, bedurfte keiner Geschäftskorrespondenz und blieb Analphabet, »nicht aus Dummheit oder Trägheit[139], sondern, wenn man so will, aus Rationalität. Was nützte es schon, Zeit und Geld für das Erwerben von Kenntnissen aufzuwenden, die man später nicht brauchen würde?«140 Laut Wolfgang Schmale reichte es für eine dörfliche Gemeinschaft aus, wenn einige
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Rüesch (Hrsg.), Allgemeinwissen und Gesellschaft, Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme, vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins, Aachen 2007, S. 9–74, hier S. 12. Gerd Kleinheyer, Friedrich der Große und die Gesetzgebung, in: Richard H. Helmholz u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 777–793, S. 782. Sieht für Braunschweig-Wolfenbüttel genauso Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 550. Oder der bewussten Fernhaltung von Bildung als Unterdrückungsinstrument der Obrigkeit. Mit steigendem Alphabetisierungsgrad ging das mittelalterliche Privileg des Schriftgebrauchs als Herrschaftsinstrument verloren. Reiner Prass, Die Brieftasche des Pfarrers, Wege der Übermittlung von Information in ländlichen Kirchengemeinden des Fürstentums Minden, in: Ralf Pröve, Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht, Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600–1850, Berlin 2001, S. 69–83. hier S. 82. Esther-Beate Körber, Die Zeit der Aufklärung, Eine Geschichte des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 2006, S. 129f.
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Wenige lesen und schreiben konnten.141 Er stellt eine »Volks-« und eine »Elitenkultur des Wissens« fest, die er im Wesentlichen an der Alphabetisierung festmacht. Im Laufe des 18. Jahrhunderts sei durch die Konzentration von Wissensvermittlung auf die Schule, die »eine vereinheitlicht organisierte Technik des Wissenserwerbs bietet«,142 eine Verbindung der beiden Wissenskulturen angestoßen worden.143 Statt schriftlicher Aufzeichnungen zählt das persönliche Wissen. Bei der Anlage einer neuen wasserbetriebenen Schmiede in Herzberg am Harz wird die Gefahr der Überflutungen am erwählten Ort dadurch ergründet, dass man im Dorf die alten Leute gefragt habe und selbst der über 60 Jahre alte Sägemüller sich an keine Überflutung dieser Uferstelle erinnern könne.144 Ewa Anklam stellt fest, dass die Zeitgenossen zur Nachrichtenübermittlung noch häufig auf die herkömmlichen Informationsträger Gespräch, Erzählung und Gerücht zurückgriffen und über die Unsicherheit der schriftlichen Mitteilung klagten.145 Das deckt sich mit Reiner Prass, der auf die Unsicherheit der schriftlichen Nachrichtenübermittlung für die Verwaltung eingeht.146 Wissen und Kenntnisse werden vom Meister an die Gesellen bzw. im Falle von Wissensvorsprüngen an den erwählten Nachfolger meist vom Vater an den Sohn weitergegeben. Der größte Vorteil der französischen Artillerie läge in der Gießerei, die von dem gebürtigen Schweizer Moritz in Straßburg und Lyon sowie dessen in sein »Arcanum«147 eingeweihten Sohn in Douai ausgeübt werde. So das
141 Wolfgang Schmale, Das 18. Jahrhundert, Wien 2012, S. 200. 142 Dem entgegen Winnige, der für Preußen eine starke lokale und regionale Differenzierung der Schulbildung feststellt, da der preußische Staat auf eine durchgreifende Schulpolitik verzichtete und sich die frühneuzeitliche Schule aus lokalen Wurzeln entwickelte. Norbert Winnige, Alphabetisierung in Brandenburg-Preußen 1600–1850, Zu den Grundlagen von Kommunikation und Rezeption, in: Ralf Pröve, Ders. (Hrsg.), Wissen ist Macht, Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600–1850, Berlin 2001, S. 49–67, hier S. 66. 143 Eine »Revolution des Wissens« wird beschrieben im Kapitel Wissenskulturen in Wolfgang Schmale, Das 18. Jahrhundert, Wien 2012, S. 131–204, Zitate S. 203. 144 Begleitschreiben für den Kostenvoranschlag einer neuen Bajonettschmiede in Herzberg vom 24. Juni 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 5, S. 162–169. 145 Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß, Militärische Beobachtungen und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2007, S. 38. 146 Reiner Prass, Die Brieftasche des Pfarrers, Wege der Übermittlung von Information in ländlichen Kirchengemeinden des Fürstentums Minden, in: Ralf Pröve, Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht, Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600–1850, Berlin 2001, S. 69–83., hier S. 78f. 147 Latein: Geheimnis, hier im Sinne des Geschäftsgeheimnisses als Geschäftsgrundlage zu verstehen.
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Urteil eines preußischen Artilleristen über die französische Artillerie, der deren Überlegenheit in dem Wissen eines einzigen Gießers begründet sieht.148 Daniel Schlögl untersucht die Kartographierung Bayerns seit 1745 und stellt fest, dass diese wesentlich durch die Person des Ingenieur-Leutnants Castulus Riedl und seine neue Kartographierungsmethode geprägt sei, die »schon von den Zeitgenossen als deutlicher Qualitätssprung wahrgenommen« worden sei. Er involviert seine beiden Söhne in die Arbeit, die diese nach seinem Tod fortführen. Karten seien vorher in der Tradition des Philipp Apian ohne Straßen und nur zu spezifischen, meist fiskalischen Zwecken angefertigt worden. Erstmals sei der Versuch einer »universell ausgerichteten Landesaufnahme« gemacht worden.149 Für den Siebenjährigen Krieg stellt Anklam fest, dass es für den nordwestdeutschen Raum kein Kartenmaterial gab. Das Kurfürstentum Hannover war kartographisch nicht erfasst, sodass sowohl die Franzosen als auch die Hannoveraner auf das Aussenden von Kundschaftern bzw. den Rückgriff auf Ortskundige angewiesen waren.150 Wissen, Kenntnisse und technische Fähigkeiten waren nicht allgemein verfügbar, sondern ein persönliches Kapital, das nicht gerne preisgegeben151 und mit dem sich um Förderung bzw. Lebensunterhalt beworben wurde. Der »Künstler«152 Johann Gottfried Wetzel wendet sich an Friedrich II. und stellt eine Bohrapparatur in Aussicht, mit der in einem Stück gegossene Kanonen besser ausgebohrt werden könnten. Gegenüber dem mit der Untersuchung beauftragten Artilleristen von Dieskau will der Wetzel seine Pläne aber nicht offenlegen, sondern die Konstruktion selbst überwachen, da er diese für sein Arkanum hält. Er bittet dafür um eine »Diät«.153 Für Wolfgang Radtke war aus Sicht der Herrschenden die ursprüngliche Intention bei der Vergabe von Monopolen der Schutz bzw. die Bündelung von Wissen.154 Ganz ähnlich die marxistische 148 Bericht des Kapitäns der Artillerie von Holtzendorff an Friedrich II. vom 2. Juni 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 149 Daniel Schlögl, Der planvolle Staat, Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750–1800, München 2002, S. 251f. 150 Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß, Militärische Beobachtungen und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2007, S. 271. 151 Wobei gerade der Begriff ›preisgeben‹ in seiner eigentümlichen Bedeutung ausdrückt, dass etwas als wertvoll erkannt und mit einem Preis versehen wird. 152 Vom Wortstamm »Können« ist ein Künstler in der Frühen Neuzeit zunächst jemand, der etwas kann und nicht Künstler im heutigen Wortsinne. Vgl. Art. Kunst, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 55 (1791), S. 91. 153 Friedrich II. an von Dieskau vom 7. und 21. Juli 1754 sowie dessen Antworten vom 10. und 24. Juli 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S. 154 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 471f.
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Sicht, laut der aus Mangel an Facharbeitern diese in wenigen Betrieben konzentriert werden mussten.155 Die Verfügbarkeit bzw. Verfügbarmachung von Wissen und technischem Know-How stellte unter den angerissenen Rahmenbedingungen des 18. Jahrhunderts einen wesentlichen Aspekt obrigkeitlicher Wirtschaftsförderung dar. Um ihre Ausgestaltung geht es im folgenden Kapitel.
2.1. Wissenstransfer durch Migration Wer sich auf Preußen und dessen gedruckte Edikte und Anwerbeplakate beschränkt, gewinnt das Bild eines Landesherren, der »eine typisch merkantilistische Einwanderungspolitik [betreibt] mit dem Ergebnis auch einer Verpflanzung wirtschaftlichen Könnens und technischer Erfahrung aus den sozialökonomisch und technisch weit entwickelten westeuropäischen Staaten nach Brandenburg-Preußen«156. Kurt Hinze erzählt damit eine Vorgeschichte der »Arbeiterfrage« des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, indem er sich mit Wissen und Stand der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Abläufe des 18. Jahrhunderts erklärt und mit einigen dazu passenden Aktenzitaten unterfüttert. Seine zentrale Erkenntnis ist, dass im Gegensatz zur »Arbeiterfrage« des 19. und 20. Jahrhunderts »in erster Linie der Mangel an Arbeitern, zumal an wirtschaftlich rational denkenden und technisch ausreichend geschulten Arbeitskräften, also gerade nicht ihr massenhaftes Auftreten für jene Epoche bezeichnend war«157. Es ist in der Tat bezeichnend, wie eingängig, allgemein akzeptiert und wenig hinterfragt diese seine Erkenntnisse waren, dass die Ausgabe von 1927 mit einem bestätigenden Vorwort versehen 1963 neu aufgelegt wird.158 Der fürsorgende Regent habe sich also laut Hinze nicht in neuzeitlich, Bismarckscher Prägung mit der Abmilderung der sozialen Folgen, sondern in erster Linie mit der Anwerbung von Facharbeitern zu beschäftigen. Das Bild der gezielten brandenburgischen Einwanderungspolitik159 ist ge-
155 Horst Krüger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen, Die mittleren Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1958, S. 77–86. 156 Otto Büsch im Vorwort zur 2. Auflage Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963 (1. Aufl. 1927), S. IX. 157 Ebd., S. VII. 158 Gömmel verweist auf Hinze und beschreibt in dessen Sinne die Arbeiterfrage und Bevölkerungspolitik in Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 45, 59, 61. 159 Weniger Glaubensflüchtlinge als vielmehr ausgesuchte Wirtschaftsfachkräfte holte Friedrich der Große ins Land. Ilja Mieck, Große Themen der preußischen Geschichte, Preußen
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prägt vom Potsdamer Edikt von 1685. Diese »Rechte, Privilegien und andere Wohltaten, welche Seine Churfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg denen Evangelisch-Reformierten Französischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden« in Aussicht stellte, wurde eingeordnet in die Aufstiegsgeschichte Brandenburg-Preußens vom gänzlich entvölkerten Landstrich nach dem Dreißigjährigen Krieg zur europäischen Großmacht.160 Matthias Asche, der sehr detailliert die Vorgeschichte und Ausgestaltung des Potsdamer Edikts untersucht, stellt fest, dass dieser Aufstieg stattgefunden habe und die Bevölkerungsentwicklung dafür eine wesentliche Grundlage darstellte. Die Kristallisation auf gedruckte Edikte des Monarchen stelle aber eine »unzulässige teleologische Interpretation ex post«161 als eine »hohenzollernsche Staatslegende«162 dar. Stattdessen stellt Asche Kriegs- und Nachkriegszeiten gleichermaßen als Phasen verstärkter räumlicher Mobilität fest.163 Dieses differenziertere Bild kann auf die Arbeitsmigration im 18. Jahrhundert erweitert werden. Offizielle Anwerbeplakate hat es in Preußen gegeben. Daneben zeigt der Blick in die Akten der Verwaltung aber zahlreiche Einreisewillige, die sich mit ihrem Wissen und Können an den Landesherrn oder deren Residenten wenden und um finanzielle und logistische Unterstützung bei der Über- und Ansiedlung bitten bzw. Residenten und Gesandte, die sich vor Ort gezielt nach potentiellen Einwanderern mit gesuchtem Wissen und Können umhören. Es gibt dabei keinen festen Kanon an Förderungen, der jedem zusteht – wie obrigkeitliche Anwerbeplakate nahelegen würden –, sondern die Unterstützung wird individuell ausgehandelt. Wissen und Können des Einreisewilligen sind dabei sein Kapital, mit dem er sich um Förderung bewerben kann. Wie diese Angebote von Einreisewilligen und gezielte Anwerbung ineinandergehen und dass Wissen und Kenntnisse personengebunden verbreitet wurden, wird hier am Beispiel der Etablierung des Waid- und Krapp-Wurzelanbaus in Preußen dargelegt. Bei Krapp und Waid handelt es sich um Pflanzen, deren Wurzeln getrocknet und pulverisiert zum Rot- bzw. Blaufärben verwendet wurden. Zwei Farben, die nicht nur für die preußischen Uniformen – außen blau, innen das rote Futter, der Boy164 oder Futterboy – gebraucht wurden und von diesem in großen Mengen,
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und Westeuropa, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preussischen Geschichte, Bd. I: Das 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2009, S. 411–853, hier S. 628. Zur älteren Literatur zum Potsdamer Edikt vgl. Matthias Asche, Neusiedler im verheerten Land, Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus, Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006, S. 409f, insb. Anm. 1404. Ebd., S. 409. Kapitel »Migration und Traditionsbildung« ebd., S. 647–655, Zitat S. 655. Ebd., S. 623. Boy ist ein leichtes tuchartiges Gewebe, das als Uniforminnenfutter verwendet wurde und
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wie die jährlichen Freipassgesuche des Lagerhauses belegen, aus dem Ausland eingeführt wurden.165 Die über 20 Jahre konstant großen, durch Freipässe von der Obrigkeit geförderten Bestellungen im Ausland, obwohl parallel der Anbau der Pflanzen im Inland gefördert wurde und sich die Produzenten über mangelnden Absatz ihrer Produkte beschwerten, zeugen weder von einer einheitlichen Wirtschaftspolitik noch von dem Ziel der Selbstversorgung besonders des Armeebedarfs. Vielmehr gehen Impulse wie Förderinitiativen von den Untertanen aus. Der Krapp-Planteur Johann Heinrich Stiefel wendet sich 1751 an Friedrich II. und berichtet davon, wie er bereits 1736 mit einigem Erfolg den Krapp-Anbau betrieben habe. Dies belegt er mit drei beigefügten Zeugnissen. Da es damals die für die Verarbeitung nötigen Stätten – Stampfmühlen und Dörrhäuser – nicht gegeben habe, sei der Anbau wieder eingestellt worden und das von ihm angelernte Fachpersonal mittlerweile verstorben. Jetzt wolle er dieses Unternehmen wieder aufnehmen und bittet dazu um logistische und finanzielle Unterstützung. Als Begründung führt er an: es sei sehr nützlich für das Land, statt für die Einfuhr Geld zu bezahlen, würde durch die Ausfuhr Geld ins Land geholt. Man würde eigene Manufakturen und Handel befördern und schaffe viele neue Arbeitsplätze.166 Stiefel führt damit genau die Argumente ins Feld, die von der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung dem merkantilistischen Herrscher als Intention allen Handelns unterstellt wurden.167 Stiefel bringt alle nötigen Voraussetzungen mit, um gefördert zu werden. Er hat eine Idee, dessen Umsetzung er glaubhaft machen kann, indem er sein bezeugtes Wissen anbietet. Gleichzeitig stellt er die benötigten Setzlinge aus dem Anbaugebiet erster Güte in Zeeland in Aussicht. Wer hingegen unglaubwürdig wirkt, dessen Förderung wird abgelehnt. Einem Antragsteller, der für den Waid-Anbau um einen Acker vor den Toren Potsdams bittet, wird negativ beschieden, da der geforderte Acker laut Meldung des zuständigen Amtes in Potsdam nicht für den Waid-Anbau geeignet sei.168 Zwei Antragsteller, die vor den Toren Berlins Krapp anbauen wollen und sonst alle obengenannten Voraussetzungen mitbringen, werden abgelehnt, da der
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auch als Montierungsboy bezeichnet wurde. Art. Boy, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 6 (1. Aufl. 1775, 2. Aufl. 1784), S. 300ff. Sammlung der jährlichen Freipässe für das Lagerhaus von 1771 bis 1790, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 2. Johann Heinrich Stiefel an Friedrich II. vom 29. November 1751 mit drei Zeugnissen als Anlage, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 2ff. Z. B. die positive Handelsbilanzpolitik als Staatsziel bei August Oncken, Geschichte der Nationalökonomie, Teil 1: Die Zeit vor Adam Smith, Leipzig 1902, S. 153. Schönfärber Johann Philipp Krüger bittet Friedrich II. am 22. April 1756 um einen Acker, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 23 und negativer Bescheid der kurmärkischen Kammer vom 24. Juni 1756 in: ebd., S. 36.
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geforderte Acker für die Größe ihres geplanten Unternehmens zu klein sei, mithin an ihrer fachlichen Kompetenz gezweifelt wird.169 Die Entscheidung über den Förderantrag wird vom König oder der Verwaltung im Einzelfall getroffen. Ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht nicht. Das deckt sich mit der Erkenntnis, die Peter Albrecht anhand der Fabriken- und Manufakturförderung in Braunschweig-Wolfenbüttel erlangt hat. Die Gesuche gehen von den Antragstellern aus und werden von der Verwaltung im Einzelfall entschieden, was bei der geringen Anzahl der Anträge auch möglich gewesen sei.170 Stiefel erhält nicht nur das Vertrauen der königlichen Verwaltung, sondern kann auch den Baron von Vernezober von seiner Nützlichkeit überzeugen. Auf dessen Gut in Hohenfinow soll Stiefel eine Plantage mit 20.000 Krapp-Pflanzen anlegen.171 Mit dem für Wirtschaft zuständigen V. Departement schließt Stiefel ebenfalls einen Vertrag über 40.000 Pflanzen, die er auf königliche Rechnung bei Bernau anpflanzen soll.172 Wichtiger Punkt beider Verträge: Der Stiefel hat den Baron von Vernezober sowie zwei Personen in Bernau genau zu unterrichten, wie Krapp anzubauen, zu verarbeiten und zu behandeln ist. Dafür bekommt er jeweils freie Wohnung am Ort und ein Gehalt sowie eine Prämie für je 1.000 ins Land gebrachter Pflanzen. Zusätzlich einen Vorschuss bei Vertragsabschluss sowie je einen Erfolgsbonus, sobald die Pflanzen angekommen, eingepflanzt, verarbeitet/handelbar sind und wenn er sein Wissen ausreichend weitergegeben hat. Stiefel verkauft damit sein Wissen an zwei Herren bzw. die königliche Kasse und der Gutsbesitzer und Unternehmer teilen sich die ›Entwicklungskosten‹. Ein dennoch bestehendes Misstrauen äußert sich in der schrittweisen und erfolgsabhängigen Auszahlung der Belohnung. Bei einem späteren Arbeitsvertrag besteht der Baron von Vernezober darauf, dass der angeworbene Sachverständige sein Wissen geheim zu halten habe und nur ihm weitergeben dürfe.173 Mittlerweile hatten sich Nachahmer gefunden und der Baron fürchtete um Absatz und Preis seines Krapps. Statt einem von der Merkantilismus-Forschung konstru-
169 Konzept Hofrat Ferdinand Heinrich Metzing und Ratmann Joachim Bücker an Friedrich II. vom 8. Januar 1757, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 92 und Antwort des Generaldirektoriums vom 21. Januar 1757 in: ebd., S. 94. 170 Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 477. 171 Vertrag zwischen Baron von Vernezober, Erbherr auf Hohenfinow, Tornow, Sommerfeldt und Pothen und dem Krapp-Planteur Johann Heinrich Stiefel zur Pflanzung, Kultivierung und gänzlichen Zubereitung der so genannten Färberwurzel Krapp vom 8. Februar 1752, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 13f. 172 Vertrag zwischen dem V. Departement und Johann Heinrich Stiefel vom 24. Februar 1752 in: ebd., S. 21f. 173 Vertragsentwurf, den der Baron von Vernezober am 14. Februar 1756 dem Generaldirektorium mitteilt, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 15f.
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ierten Staatsziel, neue Rohstoffe im Land anzusiedeln, zeigt sich der Vorrang des persönlichen wirtschaftlichen Vorteils. Soweit die vertraglichen Regelungen; doch wie sieht die Umsetzung aus? Zunächst erweist sich der Transport der Pflanzen schwieriger als erwartet. Stiefel bricht nach Vertragsabschluss Mitte Februar 1752 mit 60.000 Setzlingen, die sorgfältig in von der Obrigkeit zur Verfügung gestellten Korbwagen verstaut sind, in Zeeland auf. Zwischenstopp legt er von Juni bis August in Kleve ein, wo er die Setzlinge einpflanzt und wartet, bis diese angewachsen sind. Im Oktober überführt er die Pflanzen, von denen mittlerweile nur noch 8.000 übriggeblieben sind – 6.900 nach Bernau und 1.100 nach Hohenfinow. In Hohenfinow wachsen diese gut an, wie der Baron im August des darauffolgenden Jahres berichtet.174 In Bernau nimmt das Unternehmen hingegen keinen guten Fortgang. Stiefel berichtet, es sei zu trocken und der Bürgermeister von Bernau habe ihn nicht ausreichend unterstützt – ein gängiges Muster, die Schuld an Missständen auf natürliche und/oder menschliche Sündenböcke zu schieben –, sodass sich das V. Departement entschließt, den dortigen Anbau einzustellen und die restlichen Pflanzen dem Baron zu schenken.175 Schon vorher war das V. Departement nach anfänglicher Euphorie deutlich reservierter eingestellt. Im Mai 1753 war der Stiefel auf einer Reise von der Schweiz nach Berlin durch Halberstadt gekommen und hatte die dortige Domänenkammer dafür begeistert, ebenfalls eine KrappPlantage anzulegen, was das V. Departement harsch abwehrt. Man wolle zunächst sehen, ob die mitgebrachten Pflanzen wirklich anwüchsen.176 Schon in Kleve beim Zwischenstopp hatte der Stiefel den Präsidenten der dortigen Domänenkammer davon überzeugen können, auf eigene Rechnung eine KrappPlantage mit 1.000 Pflanzen anzulegen. Ein weiteres Indiz für die Initiative des Stiefel, aber auch dafür, dass die Verwaltungsangestellten ihr im offiziellen Dienstverkehr erlangtes Wissen für private Unternehmungen nutzen. Diese werden nicht geheim gehalten, sondern als positiver Beleg für ihr Streben zum Landesbesten an die Berliner Zentrale gemeldet.177 Das Bild deckt sich mit der Beschreibung, die Carl Hinrichs vom Minister und ersten Betreiber des Berliner Lagerhauses von Kraut liefert. Hinrichs findet es eigentümlich, »daß diese seine Unternehmertätigkeit nicht als private neben seiner amtlichen als hoher Verwaltungsbeamter einherläuft, sondern daß beide 174 Baron von Vernezober an das V. Departement vom 30. August 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 97. 175 V. Departement an den Bürgermeister von Bernau und den Baron von Vernezober vom 16. Oktober 1753 in: ebd., S. 105. 176 Halberstädter Kammer an das V. Departement vom 2. Mai 1753 in: ebd., S. 76f. und dessen Antwort vom 15. Mai 1753 in: ebd., S. 79. 177 Bericht des Kammerpräsidenten von Bessel aus Kleve vom 18. Juli 1752 an das V. Departement in: ebd., S. 60f.
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wieder in Wechselwirkung treten«178 Eigentümlich ist das nur, solange man das seit dem 19. Jahrhundert vorherrschende Beamtenverständnis zugrunde legt, auf das unten noch näher eingegangen wird. Ende 1753/Anfang 1754 stirbt Stiefel mitten bei der Arbeit und ohne sein Wissen ganz weitergegeben zu haben. Man179 ist im Besitz einer Plantage, ohne um die Verarbeitung der Pflanzen zu wissen. Der Baron hatte von seiner ersten Ernte eine Probe an das Lagerhaus nach Berlin gesandt, dessen Ergebnis verheerend war : das Rot sei von der schlechtesten Qualität.180 Dies entschuldigt der Baron gegenüber der königlichen Verwaltung mit dem Tod des einzigen Wissensträgers, während die Rahmenbedingungen seiner Plantage von diesem als exzellent bezeichnet worden seien.181 Das V. Departement beginnt daraufhin die Suche nach einem neuen Sachverständigen. Die Antworten auf einen zunächst an den Residenten in Amsterdam gesandten Fragenkatalog sind enttäuschend.182 Auch die Provinzverwaltung des Zeeland am nächsten liegenden Kleve kann nicht weiterhelfen und verweist auf die Rückkehr einiger mit Zeeland handelnder Kaufleute.183 Der nächste Versuch – anderthalb Jahre später ist immer noch kein Ersatz gefunden – wird in Schlesien unternommen, wo ebenfalls Krapp angebaut wird.184 Gleichzeitig wird nochmal mit Nachdruck in Kleve nach den Erfahrungen der Kaufleute gefragt.185 Als Ergebnis des erneuten Anwerbeversuchs finden sich endlich zwei Kandidaten – einer aus Zeeland über den klevischen Kontakt und einer aus Schlesien, deren Forderungskataloge an das V. Departement und den Vernezober übermittelt werden. Ersteres fasst die Angebote für Friedrich II. zusammen und bittet um eine Entscheidung mit dem Verweis auf den großen Krapp-Verbrauch des Lagerhauses. Sie würden den aus Holland bevorzugen, da dort für Frankreich und England der Krapp-Anbau betrieben würde. Außerdem habe der Vernezober darum gebeten, die Hälfte der nötigen Bezahlung des Sachverständigen sowie dessen Transportkosten aus königlichen Kassen zu
178 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I, Berlin 1933, S. 19. 179 ›Man‹ – eigentlich nur der Baron von Vernezober, der aber die zuvor ausgestiegene königliche Verwaltung in Mithaftung nimmt. 180 Probenergebnis des Lagerhauses vom 17. Juli 1754, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 120. 181 Bericht des Baron von Vernezober vom 19. August 1754 in: ebd., S. 121. 182 Fragenkatalog des V. Departements an die Residenten Barth und Elberfeldt in Amsterdam vom 22. Januar 1754 in: ebd., S. 113 und Antworten Elberfeldt (12. Februar 1754) in: ebd., S. 114f. und Barth (1. März 1754) in: ebd., S. 116. 183 V. Departement an die Domänenkammer in Kleve vom 13. März 1754 in: ebd., S. 118 und deren Antwort vom 30. Mai 1754 ebd., S. 118. 184 V. Departement an den Etatsminister von Massow in Schlesien vom 26. März 1755 in: ebd., S. 127. 185 V. Departement an die Domänenkammer in Kleve vom 12. November 1754 in: ebd., S. 125.
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bezahlen. Der Vorschlag wird vom König angenommen. Krinjans Ribbe aus Holland soll nach Hohenfinow kommen.186 Was bleibt von der planenden und ordnenden Hand des Monarchen übrig, der neue Wirtschaftszweige im Land ansiedelt? – »… es war einzig die Person des neuen Herrschers [Friedrich Wilhelm I.], dessen angeborene Dynamik und staatswirtschaftliche Einsicht […], die […] ein eigentümliches, festgeschlossenes, ganz konsequentes System des preußischen Merkantilismus schufen.«187 –
Die Initiative geht von einem Krapp-Planteur aus, der sich mit Bitte um Förderung an den Monarchen, dessen Verwaltungsangestellte in der Provinz und gleichzeitig an einen Gutsbesitzer und Unternehmer wendet. Nach dessen Tod kümmert sich die königliche Verwaltung um einen Ersatzmann für den Vernezober – die Plantage auf königliche Rechnung in Bernau ist bereits eingestellt worden – bekommt zwei Angebote und trifft eine Vorauswahl, die der König annimmt. Auch hier geht der Forderungskatalog von den anzuwerbenden Sachverständigen aus. Der König darf vor allem die Kosten übernehmen und logistische Unterstützung wie Wagen und Vorspannpferde stellen. Diese Erkenntnis lässt sich mit einem weiteren bei Kurt Hinze angeführten Fall unterlegen. Hinze schreibt »Zur Erhaltung des Arbeiterstandes unter allen Umständen – darauf kam es der Staatspolitik am meisten an – wie zur Ansetzung einer bestimmten Anzahl neuer Arbeiter innerhalb einer gewissen Frist mußten sich die Unternehmer in solchen Fällen oft verpflichten.«188
Er belegt seine Aussage damit, dass der Unternehmer Splitgerber die Messerund Scheren-Fabrik in Neustadt-Eberswalde nur verpachtet bekäme, wenn er sich verpflichtet, 30 weitere Arbeiter im Land anzusiedeln. Eine Verdrehung der Tatsachen, wie der Blick in die Akten offenbart! Das V. Departement suchte einen neuen Betreiber für die bankrott gegangene Fabrik und schlägt Friedrich II. den Unternehmer Splitgerber vor, da er durch den von ihm betriebenen Kupferhammer bereits Kontakt zur besagten Fabrik hätte. Der Unternehmer stellt allerdings Bedingungen: unter anderem, dass bei der Ansiedlung 30 neuer Arbeiter finanziell geholfen werde, indem deren Umzugskosten aus königlichen Kassen getragen würden.189 Statt einer vom Monarchen geplanten Wirtschafts186 V. Departement an Friedrich II. vom 11. Juli 1755, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 138 und dessen Antwort vom 25. Juli 1755 ebd., S. 143. 187 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 1. 188 Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in BrandenburgPreußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963, S. 76. 189 Schriftverkehr zwischen V. Departement, Friedrich II. und Splitgerber im August 1752, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 1–10.
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politik, wie sie Hinze sehen wollte, geht die Initiative für Förderung vielmehr von den Antragstellern aus. Die Förderung der Arbeitsmigration und damit zusammenhängend die Beschaffung wirtschaftlichen Know-Hows waren ein wesentliches Feld der Wirtschaftsförderung. Die Abwerbung von ausgebildeten Arbeitskräften, die mit ihren Familien ins Land geholt und angesiedelt wurden, war die Antwort der Zeitgenossen auf eine im Vergleich zu heute statischere Gesellschaft. Die zünftige Ausbildung war teuer und zeitintensiv und damit für einen schnellen Unternehmensaufwuchs nicht geeignet. Außerdem war der Markt an potentiellen Auszubildenden beschränkt. Da überregionale Lehrstellenbörsen fehlten, waren die Väter bei der Suche einer Lehrstelle für ihre Söhne auf ihre persönlichen Netzwerke angewiesen. Als zweiten Beleg für seine Aussage führt Hinze die Verpflichtung eines Tuchmachers an, seine Fabrik mit einer Mindestanzahl von 46 bis 50 Webstühlen zu betreiben. Diese Praxis konnte sowohl in Hannover als auch in Preußen beobachtet werden. Allerdings liegt auch hier die Initiative auf der Seite der Antragsteller. In Ermangelung anderer wirtschaftlicher Kennzahlen wurde die Anzahl der in Arbeit gehaltenen Webstühle als Beleg für die Größe einer Fabrik angeführt. Um ihre Bedeutung und Förderungswürdigkeit zu unterstreichen, führten die Betreiber der Fabriken die Anzahl der Stühle an, die sie sich verpflichteten, in Arbeit zu halten. So etwa der Tuchfabrikant Grätzel in Göttingen, der Georg II. um ein Monopol für bestimmte Tuchsorten im Umkreis einer Meile um Göttingen ersucht, das es ihm ermögliche 40, 50, 60 oder mehr Stühle zu betreiben.190 Die bewusst ungenaue Anzahl der Stühle, die sich auch bei Hinze findet, ist schon ein Indiz dafür, dass es sich eher um eine In-Aussicht-Stellung als eine wirkliche Verpflichtung handelte. So wird denn, als es der Grätzelschen Fabrik nach dem Siebenjährigen Krieg schlecht geht, nicht von der Obrigkeit, sondern von der Konkurrenz vor Ort auf die mangelnde Anzahl an betriebenen Stühlen verwiesen. Grätzel klagt gegen einen Konkurrenten, der die Tuchsorten, auf die ihm das Monopol zusteht, verfertigt. Dessen Antwort legt das Monopol genau aus und führt die Größe der Fabrik als dessen Voraussetzung an – Grätzel betreibe zu diesem Zeitpunkt nur 30 Webstühle, sodass sein Monopol nicht mehr wirksam sei.191 Wie wenig aussagekräftig die Anzahl der Stühle ist, erhellt sich aus einem Untersuchungsbericht im Zuge des weiteren Gerichtsverfahrens, aus dem hervorgeht, dass die Anzahl der in den letzten drei Jahren von Grätzel verfertigten Tuche mit 24 Stühlen herzustellen sei, obwohl der Grätzel behauptet 30 bis 36, manchmal 38 Stühle zu betreiben.192 Obwohl die im Monopol genannte 190 Präambel zum Monopol vom 18. Oktober 1754, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S. 191 Beschwerdebrief der Witwe Scharf an die königliche Regierung vom 19. Juni 1777 in: ebd., o.S. 192 Gutachten der Meisterschen Camelot-Fabrik zu Uelzen vom 16. Oktober 1780 in: ebd., o.S.
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Voraussetzung von 40 permanent betriebenen Stühlen weder durch den Grätzel selbst noch durch die Untersuchung als erfüllt angesehen wird, bekommt er in dem Verfahren Recht und der Konkurrenz wird ein Betätigungsverbot ausgesprochen. Da sich diese daran nicht hält und die Regierung ein für alle Mal Ruhe haben will, wird eine Strafzahlung von 50 Goldgulden verhängt.193 Grätzel muss allerdings die Prozesskosten tragen, da es um die Durchsetzung seines Monopols gehe.194 Statt einer Vorgabe der Obrigkeit, eine Mindestzahl von Webstühlen zu betreiben, handelt es sich um eine unverbindliche Selbstverpflichtung und InAussicht-Stellung. Im Fall des empfohlenen Krapp-Sachverständigen Krinjans Ribbe bleibt es nicht bei den Umzugskosten. Wie der Baron von Vernezober entrüstet nach dessen Ankunft an das Generaldirektorium, der vorgesetzten Stelle des V. Departements meldet, gebe der Ribbe ganz offenherzig zu, dass er nichts vom Krapp-Anbau verstehe, sondern nur von der Verarbeitung der getrockneten Wurzeln zu Pulver. Für die Anpflanzung habe er einen kundigen Knecht mitgebracht, der allerdings ein eigenes Gehalt von 60 Dukaten jährlich fordere. Das habe er (der Baron) ihm sofort versprechen müssen, um nicht die kurze Pflanzzeit in diesem Jahr zu verpassen. Vernezober fordert das Generaldirektorium auf, zumindest die Hälfte der zusätzlichen Kosten zu übernehmen, da nach ihrem Empfehlungsschreiben davon auszugehen gewesen sei, dass der Ribbe den ganzen Prozess vom Anbau bis zur Verkaufsfertigkeit beherrsche.195 Er fordert damit eine Entschädigung für eine Fehlinformation der Verwaltung, die er nicht völlig, aber in Teilen erhält. Wenig später beschwert sich Vernezober erneut über den Ribbe. Dessen Sprache sei unverständlich und er könne weder lesen noch schreiben, sodass Vernezober bittet, seine Rechnung mit ihm schließen zu dürfen.196 Warum das nicht so einfach ist, ergeht aus einer weiteren Meldung des Vernezober an das Generaldirektorium, in der sich über die Brutalität des Ribbe beschwert wird. Seine Arbeiter hätten Angst vor Ribbe, nachdem dieser mehrere von ihnen blutig geschlagen habe. Auf seiner Plantage könne er nicht länger arbeiten. Der Ribbe habe auch schon von sich aus mehrmals um Abschied ersucht. Da seine Majestät den Ribbe allerdings extra aus Holland geholt und seine Reisekosten bezahlt habe, könne man ihn nicht einfach entlassen.197 193 Regierung in Hannover an das Manufakturgericht in Göttingen und den Grätzel vom 5. Juni 1781 in: ebd., o.S. 194 Regierung in Hannover an den Grätzel vom 16. Januar 1781 in: ebd., o.S. 195 Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 13. Mai 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 41f. 196 Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 26. Juli 1756 in: ebd., S. 63. 197 Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 30. August 1761, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 32.
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An dieser Aussage lassen sich einige Punkte deutlich machen. Der König wird vor allem für die Aufbringung der hohen Anfangsinvestitionskosten gebraucht. Allein die Reisekosten für den Ribbe, der nicht nur den Knecht, sondern auch seine Familie – das kleinste seiner fünf Kinder ist gerade zehn Monate alt – mitbringt, belaufen sich bis Kleve auf 340 Reichstaler198 und von dort über Berlin bis Hohenfinow auf weitere 140 Reichstaler.199 Zum Vergleich: sein gefordertes Jahresgrundgehalt beträgt 300 Reichstaler.200 Neben der finanziellen Unterstützung kommt es vor allem auf den Vorspannpass201 an, der es dem Inhaber erlaubt, das System der Relaisstationen zu nutzen, an denen die Pferde gewechselt werden konnten.202 Durch diese königliche Investition – finanziell und durch Gewährung von Rechten – begeben sich die Geförderten in eine Abhängigkeit, die sie mit dem Ribbe vier Jahre zusammenarbeiten lässt, obwohl bereits in der ersten Woche und erneut nach wenigen Monaten dessen Nicht-Eignung beklagt wird. Der König selbst ist dabei nur abstrakt an dem ganzen Unterfangen beteiligt. Der gesamte Schriftverkehr findet zwischen dem Generaldirektorium und dessen für Wirtschaftsfragen zuständigen V. Departement, dem Baron sowie den beteiligten Kriegs- und Domänenkammern als lokale Provinzverwaltungen statt. Die Verwaltung in Berlin schreibt allerdings im Namen des Königs und wird auch so adressiert. Die einzige in diesem Zusammenhang persönlich vom König unterschriebene Resolution ist die ihm vom Generaldirektorium mit deutlicher Empfehlung zur Entscheidung vorgelegte, ob der Krapp-Planteur aus Holland oder Schlesien den Zuschlag bekommen solle, die dieser im Sinne der 198 Begleitschreiben der klevischen Kammer vom 5. April 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 21–25 und die Reisekostenabrechnung in: ebd., S. 26–28. 199 Reisekostenabrechnung Kleve bis Hohenfinow vom 23. April 1756 in: ebd., S. 43f. 200 Bericht der klevischen Kammer über die Forderungen des Ribbe vom 19. Januar 1756 in: ebd., S. 7–11. 201 Ursprünglich als Unterstützungsleistung anliegender Bauern, wenn ein Wagen feststecken blieb, ihre Pferde oder Ochsen vorzuspannen und den Karren aus dem Dreck oder den Berg hochzuziehen, entwickelten sich die Vorspanndienste als Verpflichtung der Untertanen für Militärtransporte, ihre Zugtiere zur Verfügung zu stellen. Daraus entstand ein über das Land verteiltes Etappensystem an Relais- und Poststationen. Mit einem königlichen Vorspannpass konnten auch andere Reisende den obrigkeitlichen Auftrag nachweisen und auf diesen Dienst zurückgreifen. Vgl. Art. Vorspann, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 231 (1855), S. 450f. Nach Missbräuchen weist Friedrich Wilhelm I. an, dass egal ob frei oder gegen Bezahlung auf das Vorspannwesen nur zurückgreifen kann, wer einen eigenhändig unterschriebenen Pass hat. »Edict daß niemand Bey 10. Reichstahler Straffe vor jedes Pferd Ohne Sr. Königlichen Majestät hohenhändig unterschreibenen Paß einige Freye Vorspann, oder VorOrdonnanz=mäßige Bezahlung Eine Paß=Fuhre nehmen soll« Berlin 24. Januar 1723 in Churfürstl Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4‹‹ Gr. 3515R. 202 Vorspannpass für einen Korbwagen mit vier Pferden von Kleve bis Berlin für den Ribbe. Ausgestellt und an die Kammer in Kleve gesandt vom Generaldirektorium am 17. Februar 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 17–20.
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Verwaltung tätigt. Dass der König seine Entscheidung auf Grundlage fehlerhafter Informationen seiner Verwaltung getroffen hat, spielt keine Rolle. Die Entscheidung ist bindend. Noch deutlicher wird diese Einstellung, als sich im Januar 1756 – der Ribbe ist gerade erst in Kleve angekommen – der Baron von Vernezober an das Generaldirektorium wendet und darum bittet, der klevischen Kammer zu schreiben, dass der Planteur nicht mehr nach Hohenfinow zu kommen brauche. Bei ihm habe sich ein Sachverständiger vorgestellt und sein Können vorgeführt. Er verlange weder Diäten noch hohe Kosten und scheine sein Handwerk sehr gut zu beherrschen.203 Das Generaldirektorium antwortet darauf, seine königliche Majestät habe unterm 25. Juli 1755 eine Resolution bezüglich des anzuwerbenden Krapp-Planteurs aus Holland erlassen und diese könne nicht einfach so aufgelöst werden.204 Diese Resolution ist auch noch 1761 die Grundlage für die Antwort des Generaldirektoriums auf die obengenannte Bitte, den Ribbe zu entlassen. In Abwesenheit des Königs könne keine Entscheidung getroffen werden. Der Baron solle die gesetzlichen Möglichkeiten anwenden, um den Untertanen Ribbe an »gehörig-bürgerliches Betragen« zu halten.205 Der Ribbe bleibt bis zu seinem Tod 1782 beim Vernezober.206 Es ist folglich nicht damit getan, nur die Rolle des Monarchen herunterzuspielen. Auch wenn er an der Entscheidungsfindung weniger Anteil hatte, als die ältere Forschung es sehen wollte,207 war er der bedeutendste Akteur, in dessen Namen agiert wurde und die zentrale Anlaufstelle für Gesuche. Seine Entscheidungen wurden nicht grundlegend in Frage gestellt. Damit eignen sie sich besonders gut, um von den betroffenen Akteuren gegenüber Verwaltung oder Konkurrenz als schlagkräftiges Argument angeführt zu werden. Die Interpretation des aus der Entscheidung gezogenen königlichen Willens kann sehr frei erfolgen. Die Bedeutung, die dem König als Entscheider beigemessen wurde, wird unterstrichen durch einen weiteren Krapp-Planteur aus Arnstadt in Thüringen, der sich 1774 an den König mit der Bitte um Unterstützung bei der Anlegung einer Plantage in Preußen wendet.208 Der an den König adressierte Bittbrief geht beim Generaldirektorium ein und wird von diesem zur Prüfung an die zustän203 Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 6. Januar 1757 in: ebd., S. 1. 204 Antwort des Generaldirektoriums vom 7. Januar 1756 in: ebd., S. 3. 205 Generaldirektorium an den Baron von Vernezober vom 8. September 1761, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 33. 206 Brief der Tochter des Ribbe, die nach dessen Tod sein Gehalt weitergezahlt bekommen möchte, vom 27. Februar 1783, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 4. 207 Z. B. »Der Monarch fasst alle Entscheidungen selbst. Niemals ist ein Einfluß von Persönlichkeiten des Kabinetts auf seine Entschlüsse ausgeübt worden.« Gustav Schmoller, Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte, Berlin 1921, S. 128. 208 Carl Gottlob Böhm an Friedrich II. vom 21. Juni 1774, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 77.
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dige kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer weitergeleitet. Diese kommt zum Ergebnis, dass die geforderte Unterstützung zu hoch, die angebotenen Sicherheiten zu gering seien und empfiehlt einen negativen Bescheid. Das Generaldirektorium teilt dem Antragsteller diese Entscheidung im Namen des Königs mit.209 Daraufhin reicht dieser einen neuen, bescheideneren Antrag ein, in dessen Begleitschreiben er sich zusätzlich beschwert, dass sein Gesuch nicht den König erreicht hätte, sondern, wie ihm mündlich beschieden worden wäre, nur von untergeordneten Departements und Kammern bearbeitet worden sei.210 Erst auf Nachfrage – er wollte die Gründe für die Ablehnung genannt bekommen – erfährt der Bittsteller, dass sein Gesuch gar nicht dem König persönlich vorgelegt wurde. Aus der Sicht der Zeitgenossen, die das Innenleben und die Praxis der Verwaltung nicht kannten, machte es folglich keinen Unterschied, ob der König persönlich oder ›nur‹ seine Verwaltung einen Bescheid erteilte, weil ihnen beides als im Namen des Königs bekannt gemacht wurde. Diese Sichtweise wurde von manchem Historiker in sein Bild eines absolutistischen Monarchen übernommen. Ein ähnlich gelagerter Fall zeigt sich beim Waid-Anbau. Dort wendet sich ein namentlich nicht genannter Waidbau-Sachverständiger aus Sachsen-Gotha – ein Anbaugebiet mit bestem Ruf – an den preußischen Residenten in Mühlhausen und bietet sein Wissen und die nötigen Samen an. Der Name wird im Schriftverkehr nicht genannt, weil es nach Aussage des Residenten Waid-Sachverständigen streng verboten sei, außer Landes zu gehen.211 Der Brief des Residenten ist an Friedrich II. adressiert, wird aber vom V. Departement bearbeitet, das in der Provinz bei den Halberstädter und Magdeburger Domänenkammern nachfragt, ob sie einen Sachverständigen gebrauchen können.212 Magdeburg äußert sich daraufhin positiv, da ein Kammerrat sich alle Mühe gebe, Waid anzusiedeln und Unterstützung gebrauchen könne213, während Halberstadt ablehnt. Sie wollten es erst einmal selbst versuchen, Waid anzubauen und nicht gleich Leute von außerhalb hinzuziehen.214 Dieses Ergebnis wird dem Residenten erst zwei Jahre später215 mitgeteilt, sodass dieser vermeldet, dass der ursprüngliche Ausreisewillige nicht mehr in Frage komme. Nach einem per209 Generaldirektorium an Böhm vom 6. August 1774 in: ebd., S. 79. 210 Böhm an Friedrich II. vom 10. März 1776 in: ebd., S. 86f. 211 Resident Georg Ludwig Avenarius aus Mühlhausen an Friedrich II. vom 29. Februar1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 2. 212 V. Departement an die Kriegs- und Domänenkammern in Halberstadt und Magdeburg vom 9. März 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 16f. 213 Kriegs- und Domänenkammer Magdeburg an Friedrich II vom 30. März 1756 in: ebd., S. 19. 214 Kriegs- und Domänenkammer Halberstadt an Friedrich II vom 26. April 1756 in: ebd., S. 25. 215 Vermutlich wegen des Siebenjährigen Krieges, der 1756 ausbricht.
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sönlichen Schicksalsschlag sei dieser verarmt und er würde ihn in diesem Zustand ungern in seiner Majestät Lande schicken. Er habe sich aber schriftlich und persönlich in Sachsen-Gotha umgehört und einen Ersatzmann gefunden, der bereit sei, nach Preußen überzusiedeln. Alle Briefe werden an den König persönlich adressiert und in dessen Namen vom V. Departement beantwortet. Aus den Aktenvermerken und der Archivierung im Schriftgut des V. Departements ist nicht ersichtlich, dass dieser Kontakt mit dem Vorgang gehabt hat. Die Initiative ergeht zunächst von einem Einreisewilligen, der sich mit seinem Spezialwissen und den benötigten Samen an den preußischen Residenten wendet. Erst durch die langen Post- und Bearbeitungszeiten und daraus resultierender Hinfälligkeit des ersten Angebots beginnt der Resident die gezielte und aktive Suche nach Sachverständigen. Letztlich wird das Angebot zur Einreise abgelehnt, weil die Bedingungen des Waid-Anbauers der Magdeburger Kammer überzogen erscheinen. Man brauche zwar einen Sachverständigen, habe aber keinen Fond, aus dem das geforderte Gehalt oder ein eigentümliches Stück Land bezahlt werden könnte.216 Eine königliche Aufforderung, den Anbau der Färberwurzel Waid zu fördern, um unabhängiger vom Import des ebenfalls blaufärbenden Indigo zu werden, ergeht erst 1776, vermutlich nachdem der amerikanische Unabhängigkeitskrieg den Import des Indigo aus Nordamerika verteuert. Der Anbau der Färberwurzeln dürfe aber nicht zu Lasten des Ackerbaus oder der Viehzucht erfolgen, die Vorrang haben.217 Eine Aufforderung zur Anwerbung von Sachverständigen ergeht nicht.
2.1.1. Anzeigenblätter und schriftliche Wissensweitergabe Im Zuge der Suche nach einem Krapp-Sachverständigen wird eine neue Form der Wissensweitergabe genutzt. Dem V. Departement werden zwei Ausgaben der »Hannoverschen Anzeigen« zugespielt, in denen berichtet wird »Vom Baue der Seeländischen Krappe, und wie diese Pflanze in den zunächst an der See gelegenen Gegenden mit Nutzen gebauet werden könne«218. Das V. Departement erbringt die Transferleistung und leitet die Anzeigen an die ostfriesische Kammer in Aurich weiter. Sie verweist auf die dort beschriebene Nähe zur See und 216 Kriegs- und Domänenkammer Magdeburg an das V. Departement vom 3. Juni 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 58. 217 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 6. November 1776 in: ebd., S. 80. 218 Hannoversche Anzeigen, Jahrgang 1757, Ausgabe 2 (7. Januar 1757), in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 17–32 und Ausgabe 3 (10. Januar 1757) in: ebd., S. 96–104 sowie Begleitschreiben des Finanzrat von Hagen vom 22. Januar 1757 in: ebd., S. 95.
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fragt an, ob dies in der Provinz bekannt sei.219 Die Antwort aus der ostfriesischen Provinz ist deutlich. Die übersandten »Braunschweiger Anzeigen« würden in ihrer Provinz ebenfalls gelesen. Außerdem habe man bereits selbst dreimal in den »Ostfriesischen Anzeigen und Nachrichten« den Krapp-Anbau beschrieben und die Untertanen zum Nachahmen aufgefordert, bisher allerdings ohne Erfolg.220 In Preußen werden Intelligenz-Blätter seit 1727 durch die Obrigkeit herausgegeben als eine Mischung aus Anzeigenblatt221 und Verkündigungsorgan der Obrigkeit mit dem Ziel der Volksaufklärung.222 So beschreibt etwa Daniel Schlögl, dass der bayrische »Staat« im »Churbairischen Intelligenzblatt« über ein neues Zollsystem von 1765 durch die »Dreiheit von Gesetzestext, Tariftabelle und Karte« die Öffentlichkeit informiert habe. Dies schaffe eine schriftliche Rechtsgrundlage, auf Grund derer die Untertanen und Reisenden die fälligen Zölle und Chausseegelder berechnen könnten.223 Damit bietet sich aber auch die Möglichkeit der Überprüfung obrigkeitlicher Anweisungen anhand einer schriftlichen Grundlage.224 Dem steht Peter Albrecht entgegen, der die Verkündung obrigkeitlicher Entscheidungen in BraunschweigWolfenbüttel untersucht hat. Bis 1806 hätte es kein zentrales Organ für Veröffentlichungen gegeben, sodass diese für die eigenen Untertanen weiterhin von Kanzeln verlesen oder auf Tafeln angeschlagen wurden. Für Fremde fanden sich Aushänge in Herbergen, an Stadttoren und den Landesgrenzen. Seit 1745 hätte es zwar die Braunschweiger Anzeigen gegeben, in denen Entscheidungen veröffentlicht wurden. Sie wurden dadurch theoretisch nachschlag-, aber nicht sachlich recherchierbar, sodass ihnen der Charakter eines Rechtskatalogs abgesprochen werden müsse.225 219 V. Departement an die ostfriesische Kammer vom 19. Januar 1757 in: ebd., S. 106. 220 Antwort der ostfriesischen Kammer an das V. Departement vom 19. März 1757 in: ebd., S. 109 und im Anhang den Artikel »Unterricht vom Röthe-Bau und deren Appretierung« in Wöchentliche Ostfriesische Anzeigen und Nachrichten vom 8. März 1756 in: ebd., S. 110– 115. 221 Dort wird z. B. der für den Transport des Ribbe nach Berlin angeschaffte Wagen, den dieser im Gasthaus »Im weißen Schwan« in der Berliner Jüdenstraße zurückgelassen hat, inseriert in: ebd., S. 35. 222 z. B. Beschreibung des Krapp-Anbaus mit dem Ziel, die Untertanen dazu anzuregen. 223 Daniel Schlögl, Der planvolle Staat, Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750–1800, München 2002, S. 253. 224 Die von der Obrigkeit beabsichtige Wirkung war von Anfang an ambivalent, da sie auch die Voraussetzung für kritisches Hinterfragen schuf. Lothar Schilling, Policey und Druckmedien im 18. Jahrhundert, Das Intelligenzblatt als Medium policeylicher Kommunikation, in: Klaus Härter (Hrsg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt/Main 2000, S. 413–452. 225 Für Braunschweig-Wolfenbüttel stellt Albrecht fest, dass die landesherrlichen Entscheidungen einzeln eingingen und damit schwer nachschlagbar waren. Peter Albrecht, Die
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Holger Böning stellt fest, dass die Funktion zum Verkünden von Gesetzen den Blättern den Vorwurf der »Nähe zum absolutistischen Staat« eingebracht habe. Diese Staatsnähe sei aber nicht so ausgeprägt gewesen wie vermutet, da eigene redaktionelle Berichte und Kommentare eine bedeutende Rolle gespielt hätten. Die Reichweite sei groß gewesen bis in die Provinz und die unteren und mittleren Schichten und hätte zu einer die Grenzen der Kleinstaaten überschreitenden, nationalen Öffentlichkeit geführt.226 Die grenzüberschreitende Weitergabe von Wissen wird auch hier nachgewiesen. Dass die Weitergabe von Wissen in schriftlicher Form durch Anzeigen und (Lehr-)Bücher aber noch in den Kinderschuhen steckte und warum die Aufforderung zum Krapp-Anbau in Ostfriesland vielleicht nicht die Nachahmer gefunden hat, – während es dem Sachverständigen Stiefel im persönlichen Kontakt geradezu mit Leichtigkeit gelingt, in Bernau, Hohenfinow, Kleve und Halberstadt Landbesitzer dazu zu bewegen – kann der Antwort des Barons von Vernezober auf die ihm ebenfalls weitergeleiteten Artikel entnommen werden. Vernezober bedankt sich für den gut geschriebenen Artikel, führt aber an, ohne das nötige Arbeitsgerät, das es nur in Holland gäbe, sei die Herbstarbeit nicht zu bewältigen. Er bittet das V. Departement, ihn bei der Beschaffung eines gut und leicht gehenden Pfluges aus Holland zu unterstützen und vor allem den Transport zu ermöglichen. Der im Artikel beschriebene Pflug lasse sich nur in Holland bzw. von einem dort ausgebildeten Sachverständigen herstellen. Erst wenn der Transport aus Holland aus Sicht des Generaldirektoriums als unmöglich – der Siebenjährige Krieg ist im zweiten Jahr – angesehen würde, müsse man versuchen, den Pflug nach der Beschreibung anfertigen zu lassen.227 Theoretisches Wissen wird ohne die praktische Erfahrung eines Sachverständigen als nicht ausreichend angesehen.228 Es zählt das individuelle Wissen. Der im April 1757 in Holland bestellte Pflug braucht über ein Jahr und kommt erst Oktober 1758 in Hohenfinow an.229
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Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 549. Holger Böning, Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Hans-Wolf Jäger (Hrsg.), Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 151–163, hier S. 159f. Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 28. April 1757, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 117. Das sieht auch so Gabriele Wohlauf, die feststellt, dass technische Neuerungen bis ins 19. Jahrhundert durch Facharbeiterabwerbung und nicht durch Literatur verbreitet wurden in Ulrich Troitzsch (Hrsg.), Technologischer Wandel im 18. Jahrhundert, Wolfenbüttel 1981, S. 242. Dankschreiben des Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 26. Oktober 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 161. Laut Nachfrage vom 6. Juni 1758 war der Pflug am 18. Oktober 1757 in Amsterdam aufgegeben worden in: ebd., S. 153.
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2.1.2. Erweiterung des Blickwinkels um Kurhannover Die einseitige Betrachtung Preußens führt erst zur eingangs zitierten Annahme, dass das rückständige Preußen durch eine geschickte Einwanderungspolitik und Wissenstransfer aus dem weiter entwickelten Westeuropa die Grundlage für seinen wirtschaftlichen Aufstieg gelegt hätte.230 Eine Erweiterung des Blickwinkels auf Hannover zeigt, dass die preußischen Anwerbeplakate und Fördermöglichkeiten kein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Zunächst ist auch in Hannover zu beobachten, dass Historiker dieses als rückständigen Agrarstaat beschrieben. Hier dient dieser Zustand als Erklärung bzw. Entschuldigung für den Untergang Hannovers nach dem Sieg der Preußen 1866. Dazu führen andere als Ehrenrettung der hannoverschen Entscheidungsträger an, »daß auch im agrarischen Hannover das Gewerbe unter tätiger Mitwirkung der Regierung sich durchaus kräftig entwickelt hat. – Im 18. Jahrhundert bemühte sich die Regierung ganz im merkantilistischen Sinne der Zeit, mittelbar und unmittelbar das Gewerbe und den Handel zu heben«231. Neuere Forschungen – von der Intention, die Katastrophe von 1866 zu erklären, kann heute keine Rede mehr sein – haben aufgezeigt, dass »der vermeintlich den Anschluss an die Moderne verpasste Agrarstaat Hannover«232 gar nicht so rückständig und abgeschlagen war, als Agrarstaat eben dem Bild der Zeit entsprach und mit der beginnenden Industrialisierung durchaus mithalten konnte.233 Bei den Arten der Wirtschaftsförderung in Preußen und Hannover konnten keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden, so auch nicht bei der Unterstützung von Arbeiterwerbung und Know-How-Transfer. Ein Anwerbeplakat 230 Vgl. das oben angeführte Zitat bei Otto Büsch im Vorwort zur 2. Auflage Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963 (1. Aufl. 1927), S. IX. 231 Georg Ludewig, Oskar von Voigt, Friedrich Erdmann, Wirtschaftliche und kulturelle Zustände in Alt-Hannover, 2. Aufl., Hannover 1929, S. 72. Vgl. auch »Dank der umfangreichen Maßnahmen der Regierung erholte sich das Gewerbe allmählich und gelangte im Laufe des 18. Jahrhunderts wieder zu einer gewissen Blüte.« Walter Höttemann, Die Göttinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1931, S. 58. 232 Markus A. Denzel, Der Außenhandel und die Außenhandelsstatistik des Königreichs Hannover bzw. des Steuervereins im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts, Eine Einführung, in: Ders., Karl Heinrich Kaufhold (Hrsg.), Der Handel im Kurfürstentum/ Königreich Hannover (1780–1850) Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 9–50, hier S. 9. 233 Entsprechend der Sicht des 18. Jahrhunderts seien nur Landwirte produktiv, während Handel und Gewerbe lediglich landwirtschaftliche Produkte umverteilen und zusammenführen würden. Karl Heinrich Kaufhold, Zur wirtschaftlichen Entwicklung im Königreich Hannover – Überlegungen zu einer Revision eines überkommenen Bildes, in: Peter Aufgebauer, Christine van der Heuvel (Hrsg.), Herrschaftspraxis und soziale Ordnung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Ernst Schubert zum Gedenken, Hannover 2006, S. 531–542, hier S. 535, 542.
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von Georg I. aus dem Jahr 1718 – erneuert 1730 – stellt allen »Comercianten, Handelsleuten, Manufakturiers oder andere nützliche Handwerkern«, die ins Land kommen, in Aussicht: Sie sollen für zehn Jahre keinen Pflichten und Abgaben unterworfen sein. Sollten sie ein unbebautes Grundstück finden, können sie es für sich reklamieren. Der bisherige Besitzer hat ein Jahr Zeit, das Grundstück selbst zu nutzen, andernfalls erhält der Einwanderer es frei und ohne Entgelt geschenkt. Er kann dort ein Haus errichten und bekommt dafür 15 Prozent der Bausumme als Zuschuss sowie eine Befreiung von allen sonst Hausbesitzern üblichen Abgaben und Pflichten – etwa der Einquartierung – für fünf oder zehn Jahre. Die Bürgerschaft und Gilde-Mitgliedschaft erhalten Neuankömmlinge frei. Sie können in den Rat oder Magistrat kommen sowie Stadtbediente werden. Sollten die Einheimischen ihnen mit Missgunst und Neid begegnen, können sie herrschaftlichen Rechtsschutz anrufen. Wer eine Arbeit im Land aufnehmen will, die es noch nicht oder nicht gut gibt, kann sich an die Geheime Ratsstube in Hannover wenden und bekommt dafür über die genannten Vorteile hinaus Unterstützung. Alle bisher an Einheimische vergebenen Privilegien gelten weiter. Jeder Neuankömmling hat aber die Möglichkeit, ein halbes Jahr vor deren Auslaufen schriftlich darzulegen, ob er den Zweck besser erfüllen könne. Wer das Land wieder verlassen möchte, kann dies nach Bezahlung seiner Schulden ohne weitere Hinderung oder Abgaben tun. Diese Regelungen gelten in allen »Unseren Teutschen Landen«.234 Ähnliche Plakate werden zur »Aufhebung der Cultur« nach dem Siebenjährigen Krieg verteilt.235 Damit steht Hannover den preußischen Anwerbepatenten und damit den theoretischen Fördermöglichkeiten in nichts nach. Auch in Hannover lassen sich französische (Glaubens-) Flüchtlinge nieder und werden gefördert.236 Die Initiative muss allerdings auch hier von den Einreisewilligen ausgehen. In Ermangelung zentraler Verzeichnisse und schriftlicher Aufzeichnungen – entsprechende Anhänge zu den Anwerbepatenten sind nur vereinzelt vorhanden237 – müssen sie hören, dass irgendwo ein Privileg ausläuft, ein Grundstück 234 Gedrucktes Patent Georg I. 1./12. Juli 1718, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 72–74. Erneuerung vom 13./24. März 1730 in: ebd., S. 70f. 235 Gedruckte Ordnung der königlichen Kammer vom 10. März 1763, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 288, Vol. V, S. 10f und Erneuerung durch Georg III. vom 23. Mai 1763 in: ebd., S. 67f. 236 Vgl. die Akte Förderung der französischen Flüchtlingskolonie in Hameln. HStA H, Hann. 74 Hameln, Nr. 3265–3267. 237 So z. B. »Patent wegen Beforderung des Anbaues der in den pommerischen Städten befindlichen wüsten Stellen und Ansetzung der in jeder Stadt noch fehlenden Handwerker«, Berlin vom 20. November 1771. Mit Anhang »Specification der wüsten Stellen in den Hinter=Pommerschen Städten, auch daselbst noch mangelnden Handwerckern.« Enthält eine Liste der pommerschen Städte mit Angabe, wieviele wüste Stellen, also unbebaute Grundstücke, frei sind und welche Handwerksberufe noch benötigt werden. Churfürstl
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ungenutzt oder ein Berufszweig nicht vertreten ist. Als Ausführungsbestimmung wird dazu eine Weisung an »allen und jeden Unsern Bedienten/Hohen und Niedern/auch Gerichts=Obrigkeiten im Lande« erlassen, »wenn sich jemand bey ihnen anmeldet/denenselben freund= und bescheidentlich zu begegnen/ ihnen von allen Umständen und Beschaffenheiten des Orts aufrichtige Nachricht zu ertheilen«238. Zur Relativierung dieses gedruckten Patents und um deutlich zu machen, dass seiner Majestät Deutsche Lande nicht im heutigen Sinne als einheitliches Staatsgebiet zu verstehen sind, sei die Umsetzung beleuchtet. 1736 beschweren sich die Arbeiter der Schlossmacher-Fabrik in Linden239 bei der Kriegskanzlei, dass der Graf von Platen sie dazu verpflichte, einen Schutztaler zu bezahlen, obwohl ihnen im beigefügten, 1730 erneuerten Patent von 1718 die Abgabenfreiheit zugesichert worden wäre. Die Kriegskanzlei stellt sich auf die Seite der Arbeiter und bittet die hierfür zuständige Geheime Ratsstube, diesen Recht zu verschaffen. Die gibt aber dem Grafen von Platen Recht. Das Patent gelte in Städten und Flecken, nicht aber gegenüber einem Gerichtsherren auf seinen Dörfern.240 Auch Freiheiten aus dem erwähnten Anwerbeplakat nach dem Siebenjährigen Krieg müssen nach einer Beschwerde der Klosterkammer eingeschränkt werden auf königliche Kammerämter, während klösterliche und adlige Gerichte davon ausgenommen werden. In dem einen beanstandeten Fall werde aber eine Ausnahme gemacht.241 Sie bezeichnen sich selbst als »königl. KlosterCammer«, legen aber Wert darauf, dass sie der königlichen Weisung nicht unterworfen sind. Mit dem Verweis auf die einmalige Ausnahme macht die Klosterkammer ihr generelles Recht geltend, zeigt damit aber auf, dass es auf den Einzelfall ankommt, ob der Antragsteller als förderungswürdig angesehen wird oder nicht. Generell sind die gedruckten Anwerbepatente als Aufzählung der prinzipiell möglichen Unterstützungen aufzufassen. Sie stellen damit einen Versuch dar, Fördermöglichkeiten zu sammeln und durch Verschriftlichung persönliches Wissen abzulösen. Sie sind aber nicht als konkrete Stellenanzeige oder allgemeingültiges Angebot zu verstehen. Die Förderung erfolgte nicht automatisch, sondern es musste sich um spezielle Formen der Förderung beworben werden.
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Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4‹‹ Gr. 3515R . Gedrucktes Patent Georg I. 1. Juli/12. Juli 1718, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 72–74, hier S. 74. Eine Fabrik, die Schlösser für Schusswaffen herstellte und später nach Herzberg verlegt wurde, um dort die Gewehrfabrikation zu zentralisieren. Geheime Ratsstube an die Kriegskanzlei vom 23. Juli 1736, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 69. Königliche Klosterkammer an die Kriegskanzlei vom 29. November 1763, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 288, Vol. V, S. 55.
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Ob und wie diese gewährt wurde, bedurfte der Ausgestaltung im Einzelfall. Grundlage der Besserstellung war damit neben den Fördermöglichkeiten das persönliche Wissen um die Anwendung, Antragstellung und Durchsetzung. Die gezielte Anwerbung erfolgte vor Ort mündlich durch dazu Beauftragte.242 Die Beschaffung von Fähigkeiten zur Gewehrschlossherstellung wurde bei besagter Schlossfabrik in Linden durch die Anwerbung ausländischer Arbeiter betrieben, die im Gegenzug finanziell und logistisch unterstützt wurden. Dafür wurde der hannoversche Oberrüstmeister und designierte Direktor der Schlossfabrik Johann Bernhard Fischer nach Lüttich geschickt, um in Zusammenarbeit mit einem dortigen Büchsenmacher passende Meister anzuwerben. Als Ort der Gewehrfabrik dient zunächst das Wohnhaus des Fischer in Linden, das die Kriegskanzlei von ihm für sechs Jahre mietet und auf ihre Kosten nach dessen Plänen umbauen lässt.243 Die in Lüttich Angeworbenen bekommen dabei weitreichende Unterstützung bei der Über- und Ansiedlung zugesichert. Ihnen wird Freizügigkeit gewährt. Wenn sie wieder zurück nach Lüttich wollen, stünde ihnen dies frei. Sie müssten es lediglich drei Monate vorher anzeigen, dass man Ersatz finden könne.244 Diese Praxis und damit die große Mobilität der Facharbeiter belegen die Tabellen der Arbeiter der Gewehrfabrik Herzberg, die neben Namen, Berufsbezeichnung und Familienstand – dieser umfasst auch die Anzahl der Gesellen, Lehrjungen, Kinder und Mägde im Haus – anführen, wo die Meister geboren sind und wo sie wohnhaft waren, bevor sie nach Herzberg gekommen sind. Viele kommen aus den bekannten Gewehrfabrikationszentren in Thüringen Suhl, Zella und Mehlis, aber auch aus Straßburg und Lüttich. Drei Meister geben als vorherigen Wohnort Spandau an, sodass nicht von einer generellen Anziehungskraft der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik bzw. eines reinen West-OstTransfers gesprochen werden kann. Einige Meister kommen aus Herzberg selbst, sodass anzunehmen ist, dass sie ihre Ausbildung bei der Fabrik gemacht haben. Dass Wissen vor Ort weitergegeben wurde, belegt die durchgehend große Anzahl an Gesellen und Lehrjungen.245 Mit Stand 13. März 1740 werden insgesamt 138 Personen bei der Gewehrfabrik genannt, davon 28 Meister mit 40 Gesellen und
242 Auch in Preußen reist der Gewehrfabrik-Betreiber Daum persönlich nach Lüttich, um dort gezielt Arbeiter anzuwerben und mit ihnen die Förderkonditionen auszuhandeln. Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 29. 243 Mietvertrag zwischen Oberrüstmeister Fischer und der Kriegskanzlei vom 4. September 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 100. 244 »armurier de la Cour« Houel teilt den Angeworbenen die Konditionen mit. Ohne Datum (vermutlich 1730) in: ebd., S. 110. 245 Lückenhaft für 1740 bis 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1 und Nr. 4.
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sieben Lehrjungen.246 1764 sind es bei 233 Personen 26 Meister mit 74 Gesellen und 18 Lehrjungen.247 Das Abwerben von Meistern aus bereits bestehenden Produktionsstätten ist sowohl in Potsdam-Spandau als auch in Herzberg als Initial-Wissensschub nachzuweisen. In späteren Jahren wird als vorherige Wohnstätte der neuen Meister zunehmend Herzberg genannt, was dafür spricht, dass die Weitergabe von Wissen durch persönliche Ausbildung vor Ort sichergestellt wurde. Dass die letzte Wohnstätte Herzberg nicht immer dem Geburtsort entsprach, spricht dafür, dass sich die Herzberger Gewehrfabrik einen Ruf als Ausbildungsstätte erworben hatte, der Lehrlinge und Gesellen aus dem ganzen Land und darüber hinaus anzog. Einen Fall, der die Ausbildung am Ort beleuchtet, ist in einem Bericht der Kriegskanzlei an Georg II. überliefert. Der angeworbene Rohrschmied sowie sein Geselle kämen aus Österreich, sodass die Gefahr bestünde, dass er wieder zurückwandern würde. Um die Zukunft der Rohrschmiede bei der Gewehrfabrik sicherzustellen, haben sie ihm je 40 Reichstaler versprochen, wenn er zwei Landeskindern sein Handwerk beibringe. Diese beiden hätten dafür einen Lehrvertrag unterschrieben, in dem sie sich verpflichten, im Land zu bleiben und ihr auf königliche Kosten erlerntes Handwerk unentgeltlich weiterzugeben.248 Der anhand der statistischen Daten gewonnene Eindruck der Mobilität der Facharbeiter sei durch den Lebensweg des Pulvermachers Peter Heinrich Wever illustriert. Er zeigt, dass es Fachleute gab, die ihr Wissen verschiedenen Herren anboten und versuchten, diese gegeneinander auszuspielen. Wever hat sowohl den Preußen als den Hannoveranern – Braunschweig-Lüneburg und Wolfenbüttel – und Dänen seine Kenntnisse im Pulvermachen angeboten. Aus den verschiedenen Akten in Berlin und Hannover lässt sich seine Lebensgeschichte in groben Zügen nacherzählen. 1713 hat Wever mit finanzieller Unterstützung des preußischen Königs eine Pulvermühle in Wutzdorf bei Küstrin angelegt, die er bis zu ihrer Explosion 1720 betrieben hat. Anschließend siedelt er nach Braunschweig über, betreibt eine Pulvermühle in Brunkensen bei Alfeld an der Leine und hat eine »Pulver-Livrance« für den König von England. Für 1742 findet sich in Hannover ein Arbeitsvertrag zwischen ihm und dem See-EtatsGeneral-Kommissariat des Königs zu Dänemark und Norwegen, eine Pulvermühle bei Kopenhagen zu betreiben.249 Vermutlich ist dieser Vertrag in Han246 Tabelle der Personen bei der Gewehrfabrik vom 13. März 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 308f. 247 Tabelle der Personen bei der Gewehrfabrik vom 4. Februar 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 116f. 248 Kriegskanzlei an Georg II. vom 8. Oktober 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 109ff. 249 Vertrag zwischen Peter Heinrich Wever und dem See-Etats-General-Kommissariat des
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nover überliefert, weil Wever mit dem Konkurrenzangebot einen besseren Lieferungskontrakt aushandeln wollte. 1745 wendet er sich aus Kopenhagen an den dortigen preußischen Residenten. Sein Arbeitsvertrag in Kopenhagen sei nicht eingehalten worden und er mit einem Abstand abgespeist worden, sodass er darum bittet, seine alte Pulvermühle bei Küstrin wieder aufmachen zu dürfen. Das Angebot wird abgelehnt.250 Sein Sohn Johann Christoph Wever gibt an, bis 1750 bei seinem Vater in Brunkensen und seitdem in Grünenplan im Wolfenbüttelschen Pulver hergestellt zu haben.251 Als der General Braun die Pulvermühle in Meckelfeld bei Harburg übernehmen will und 1770 mit der Kriegskanzlei einen Pulververtrag aushandelt, führen beide Seiten das Schicksal des Wever an. Für die Kriegskanzlei gilt der Vertrag des Wever als Maßstab, um den Braun auf seine überzogenen Preisvorstellungen hinzuweisen. Braun kontert, der Wever sei mit diesen niedrigeren Preisen bankrottgegangen.252 Er ist nicht bzw. nur vordergründig bankrottgegangen, sondern hat sich einen anderen Landesherrn gesucht, mit dem er bessere Konditionen aushandeln konnte.
2.1.3. Gegenstrategien Entgegen der von Hinze angenommenen fehlenden Freizügigkeit253 sprechen die dargelegten Fälle für eine Freizügigkeit, die sich mit den Zusagen in Anwerbeplakaten und Verträgen deckt, mit drei- oder sechsmonatiger ›Kündigungsfrist‹ wieder zurückwandern zu dürfen. Bei der Untersuchung, warum einige Weber die Massowsche Barchend-Fabrik verlassen hätten, gibt der Amtmann an, diese hätten aus »Lust zur Veränderung« die Fabrik gewechselt.254 Faktisch wurde diese Rückwanderung jedoch wegen der oben beschriebenen hohen Transportund Umzugskosten begrenzt bzw. die Rück- oder Ausreisewilligen waren wieder auf eine Reiseunterstützung angewiesen, um die sich bei einem neuen Dienstherrn beworben werden musste. Die Kleinstaaterei, die es möglich macht, deren
250 251 252 253 254
Königs zu Dänemark und Norwegen vom 12. Februar 1742, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 52–60. Legationssekretär Heusinger an Friedrich II. vom 6. November 1745, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. AA 17, S. 75 und Antwort des Generaldirektoriums an das Departement der Auswärtigen Affairen vom 12. Dezember 1745 in: ebd., S. 76. Johann Christoph Wever an die Kriegskanzlei vom 5. Mai 1753, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 12. Kriegskanzlei an General Braun vom 1. Oktober 1770, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 106 und dessen Antwort vom 8. Oktober 1770 in: ebd., S. 116. Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in BrandenburgPreußen 1685–1806, 2. Aufl., Berlin 1963 (1. Aufl. 1927), S. 71. Bericht des Lüdemann über die Barchend-Fabrik vom 24. Oktober 1782, in: GStA PK, II. HA, Abt 25, Tit CCLVI Nr. 9, Vol. 2, S. 146.
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Landesherren gegeneinander auszuspielen, stellt sich damit für den kundigen Fachmann durchaus als Vorteil heraus. In den Anwerbeverträgen der PotsdamSpandauer Gewehrfabrik mit Lütticher Facharbeitern findet sich die Klausel, dass die Arbeiter das Recht hätten zurück zu reisen, sollten sich die Fabrikbetreiber an die Abmachungen nicht halten. Der Betreiber müsse die Kosten der Rückfahrt tragen.255 Ob diese Klausel wirksam wurde bzw. anstandslos gezahlt wurde, konnte nicht nachgewiesen werden. Sie zeigt aber, dass diese Hürde den Arbeitern bei ihren Vertragsverhandlungen durchaus bewusst gewesen ist. Die Gesellen bei der Herzberger Gewehrfabrik haben ein gegenseitiges vierzehntägiges Kündigungsrecht.256 Für diese war ein Wechsel der Betriebsstätte wegen geringerem Besitz und familiären Verpflichtungen deutlich einfacher möglich.257 Die Betreiber der großen Fabriken haben es immer wieder verstanden, mit der Drohung, die auf königliche Kosten mühsam angeworbenen Arbeiter würden wieder zurück ins Ausland abwandern, von der Obrigkeit Zugeständnisse und Vergünstigungen zu erhalten. So führen etwa die Betreiber der Gewehrfabrik Potsdam-Spandau an, wenn der Holzpreis jetzt angehoben werden würde, hätte das einen Aufstand unter ihren Arbeitern zur Folge und da diese überwiegend aus dem Ausland kämen, würden sie wieder wegziehen.258 In Herzberg begründet die Kriegskanzlei den Bau eines neuen Wohnhauses vor dem König damit, dass die mühsam angeworbenen Arbeiter wieder ins Ausland wandern würden, wenn keine angemessenen Unterkünfte für ihre Frauen und Kinder gebaut würden.259 Facharbeiter wurden vorwiegend mit Arbeit und Vergünstigungen im Land gehalten – das war die erfolgreichste Gegenstrategie. Darüber hinaus gab es Gegenmaßnahmen, um die es im Folgenden geht. Um jede Anbahnung einer Abwerbung zu unterbinden bzw. zu erschweren, wurden in den Fabrikordnungen und Arbeitsverträgen Kontaktverbote bzw. -Restriktionen und Residenzpflichten erlassen. Die ersten Artikel der Arbeitsverträge des Inpektors der Herzberger Gewehrfabrik Tanner sowie seines 255 Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 31. 256 »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben. Hannover gedruckt in der königl. Und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739« erlassen von Georg II. am 31. August/11. September 1739, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S., Art. 29. 257 Es gab verheiratete Gesellen, was aber nicht gerne gesehen wurde. Die Gesellenordnung der Herzberger Gewehrfabrik vom 21. Januar 1742 sieht vor, dass verheiratete Gesellen mit Kindern, wenn sie Sonderrechte verlangen sollten, abzuweisen sind. HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S. Art. 5. 258 Kurmärkische Kammer gibt die Argumente der Splitgerberschen Erben weiter an das Forstdepartement vom 23. September 1776, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, S. 7. 259 Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. April 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 77.
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Nachfolgers regeln die Dienstwohnung im Fabrikgebäude, die sie nur auf Anweisung verlassen dürfen.260 Außerdem haben beide die Aufgabe und zwar im Zusammenhang, den Arbeitern das »Saufen« zu verbieten, darauf zu achten, dass diese keinen privaten Handel treiben und dafür mit Fremden sprechen oder diesen Formen und Modelle zeigen.261 Die Verbindung von Alkohol mit nichtsystemkonformem Handeln und der Versuch der Obrigkeit, dessen Konsum zu kontrollieren, ziehen sich durch den gesamten Untersuchungszeitraum. Dass durch die Residenzpflicht die Möglichkeit, externe Aufträge zu bekommen, eingeschränkt wird, ist ihnen durchaus bewusst, wird aber billigend in Kauf genommen.262 In den Jahresabschlussrechnungen der Gewehrfabrik, die von 1739 bis 1764 weitgehend überliefert sind, machen die externen Verkäufe nur einen Bruchteil aus.263 Neben dem persönlichen wird der schriftliche Kontakt kontrolliert, indem die Gildeordnung der Gewehrfabrik festlegt, dass eingehende Briefe nur in Gegenwart der Herzberger Amtmänner geöffnet werden dürfen. Das Innungssiegel liegt in der Amtslade, für die je ein Schlüssel bei den Amtmännern und der zweite beim Altmeister der Fabrik in Verwahrung ist, sodass ausgehende Briefe nur mit Wissen der Obrigkeit abgesandt werden können.264 Dass diese Vorgaben überhaupt möglich sind, zeigt, welch geringen Stellenwert die schriftliche Korrespondenz in Geschäftsangelegenheiten hatte, die eben mündlich-persönlich ausgehandelt wurden. Im Zuge der Verhandlungen über die Betriebsverfassung der Messer- und Scheren-Fabrik in Neustadt-Eberswalde zwischen Splitgerber und dem V. Departement erfahren wir den Grund dieser Restriktionen. Die Meister sollen damit verpflichtet werden, nur für den Fabrikbesitzer zu produzieren und sich keine Aufträge an ihm vorbei zu besorgen. Der Fabrikbesitzer versorgt die Arbeiter mit den benötigten Rohstoffen und nimmt ihnen exklusiv die fertigen Produkte ab. Dafür steht ihm ein fünfzehnprozentiger Aufschlag zu, der je zur Hälfte von den Arbeitern und den Kunden gezahlt
260 Arbeitsvertrag zwischen der Kriegskanzlei und Inspektor Tanner vom 30. Juni 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95, hier S. 88 und dito mit Leutnant Steigleder vom 31. Januar 1769, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 34–42, hier S. 34. 261 Ebd. Tanner Art. 6 und Steigleder Art. 9. 262 Bericht des Kriegssekretär Ramberg über Absatzschwierigkeiten der Gewehrfabrik vom 4. April 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28ff. 263 Für die Jahre 1739–1751, 1753, 1754, 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1 und 4, die Fehlzeiten erklären sich mit dem Siebenjährigen Krieg. 264 »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben. Hannover gedruckt in der königl. und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739« erlassen von Georg II. am 31. August/11. September 1739, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S., Art. 11.
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wird.265 Der Vorwurf – hier, wie auch bei der Gewehrfabrik Herzberg – lautet, wenn die private Produktion erlaubt werde, würde der Missbrauch befördert, vom Betreiber zur Verfügung gestellte Werkzeuge und Rohstoffe für private Aufträge zu nutzen.266 Damit haben die Kontaktverbote oder -beschränkungen, die sowohl von der Obrigkeit als von privaten Fabrikbetreibern erlassen wurden, zunächst den Sinn, ihr Geschäftsmonopol und weniger geheimes Wissen zu sichern. In Suhl und Mehlis lässt der König von Polen eine Wache aufziehen, um den Kontakt der dortigen Rüstungsproduzenten mit potentiellen Auftraggebern zu verhindern.267 Die Obrigkeit versucht, die Nachfrage zu regulieren, um damit die Marktpreisbildung auszuschalten – ohne dass ihr die genauen Zusammenhänge zwischen Angebot und Nachfrage bewusst gewesen wären. Über Ausreiseverbote und Wachmannschaften auf den Fabriken erfahren wir aus Meldungen von Ausreisewilligen, die sich an den preußischen König oder dessen Residenten wenden. Diese führen zum Teil die Motive für ihre Ausreiseabsicht an. So etwa Kriegsunruhen,268 mangelnde Rohstoffe und fehlenden Absatz für ihre Produkte in Verbindung mit gestiegenen Abgaben für die Obrigkeit.269 Ein Indiz, dass polizeiliche – heißt in der Frühen Neuzeit militärische – Gegenmaßnahmen erst eingesetzt werden, wenn Arbeit und Vergünstigungen keinen ausreichenden Anreiz mehr bieten, im Land zu bleiben. Alle Gegenmaßnahmen können die Ausreise nicht verhindern, sondern nur erschweren bzw. verteuern. Den schon erwähnten Thüringer Waidbauern ist die Ausreise bei drei Jahren Zuchthaus verboten. So ist neben der strikten Geheimhaltung der Ausreiseabsicht eine der Forderungen des Ausreisewilligen an den preußischen Residenten die Bestechung des Amtmanns seines jetzigen Wohnortes mit zehn Louis d’Or. Der Resident führt dazu an, sollte der Thüringer Amtmann Probleme machen, sei der dortige Kommandant ein intimer Freund von ihm.270 Zwei Messerschmiede aus Eisenach wenden sich an den Residenten in Mühlhausen. Der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach habe die Ausreise bei Zuchthausstrafe verboten, weshalb sie heimlich weg seien.271 Bei drei 265 Verhandlungen zur Übernahme der Messer- und Scheren-Fabrik in Neustadt-Eberswalde 1752 und 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1. 266 Bericht der Kriegskanzlei an Georg III. vom 15. April 1766, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 7, S. 21. 267 Bericht Rüstmeister Fischer an die Kriegskanzlei vom 2. Dezember 1729, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 157ff. 268 Marcus Niessel aus Breslau an Friedrich II. vom 19. September 1764, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 57–61. 269 Resident Avenarius aus Mühlhausen an Friedrich II. vom 22. Juli 1747, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 2, Bd. 1, S. 1. 270 Resident Avenarius aus Mühlhausen an Friedrich II. vom 19. Mai 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 42–46. 271 Resident Avenarius an das Generaldirektorium vom 2. September 1747, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 2, Bd. 1., S. 25f.
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weiteren Messerschmieden ist die Ausreiseabsicht bekannt geworden, sodass die sächsische Obrigkeit ihre Häuser und Handwerkszeug konfisziert habe. Sie bitten nun darum, dass ein preußischer Gesandter sie abholt und ihnen hilft, ihr Vermögen zu veräußern.272 Die Betreiber der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik wenden sich 1746 an Friedrich II. Der Herzog zu Sachsen hätte sich über die Anwerbung von Arbeitern in Suhl und Zella beschwert und diese untersagt. Da sie trotzdem Arbeiter angeworben hätten, deren Familien jetzt um Strafe fürchten, bitten sie den König zu vermitteln. Da der Herzog zudem versuche, seine Arbeiter zurück zu werben, bitten sie Friedrich II., die Grenzposten nach Sachsen anzuweisen, keine Fabrikarbeiter ausreisen zu lassen.273 Auch diese Maßnahme geht also auf Anregung und Bitte der Fabrikbetreiber zurück und muss explizit den Grenzposten befohlen werden. In Göttingen wird auf Initiative des Tuchfabrikanten Grätzel mit hoher Geldbuße belegt, wer ihm einen Arbeiter abspenstig macht.274 Diese Strafandrohung richtet sich aber mangels Verfügungsgewalt des Gerichts im Ausland gegen die Konkurrenz am Ort, wie ein Fall zeigt, in dem sich ein Konkurrent bei der Regierung in Hannover gegen einen entsprechenden Strafbescheid des lokalen Gerichts beschwert.275 Diese Regelung überträgt die Gildeordnungen, die es verbieten, anderen Meistern die Gesellen oder Lehrjungen abspenstig zu machen,276 auf den Wettbewerb zwischen den einzelnen Tuchfabriken am Ort. Sie trägt damit der neuen Situation Rechnung, dass es nur eine Gilde oder Zunft277 am Ort geben konnte, aber durchaus mehrere Fabriken. Es liegt allerdings eine deutliche Parteinahme für die größte Fabrik am Ort vor. Versuche, das Wissen zu beschränken, bieten ebenfalls keine Sicherheit. Der Herzog von Sachsen habe die Verarbeitung von Waid nur in den Städten erlaubt, sodass die Anbauer auf dem Land davon keine Kenntnisse hätten. Der Ausrei272 Resident Avenarius an das Generaldirektorium vom 31. August 1747, in: ebd., S. 21. 273 Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 35. 274 Verordnung zur Einrichtung eines Fabrikgerichts in Göttingen vom 19. August 1743, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 3287, o.S. 275 Witwe des Johann Georg Scharff an die Regierung in Hannover vom 19. Juni 1777, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S. 276 »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben. Hannover gedruckt in der königl. und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739« erlassen von Georg II. am 31. August/11. September 1739, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S., Art. 13. 277 Auch »Innung, Amt, Gaffel, Handwerk im engern Sinne, Gülte, Gilte, Zeche, Gewerk, Brüderschaft, Amtsgilde, Gaffelamt« Die Zeitgenossen machten hier inhaltlich keine Unterschiede. »Vornehmere Zünfte pflegen sich lieber Innungen und Gilden, hier und da auch Aemter zu nennen« nach Art. Zunft, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 242 (1858), S. 386.
Spionage
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sewillige gibt an, er sei eigentlich Zimmermann und als solcher lange Meister, betreibe aber seit einiger Zeit nebenbei auf eigenes Risiko den Waid-Anbau und die Veredelung, dessen guten Erfolg er mit einigen Zeugnissen belegen kann.278 Bei der mit großer Mühe und Kosten verbundenen Entdeckung der Herstellung von Porzellan dauerte es trotz strenger Geheimhaltungsvorschriften keine zehn Jahre, bis sich Mitarbeiter abwerben ließen.279 Alle Gegenmaßnahmen und strengen Geheimhaltungsvorschriften konnten einmal Entdecktes nicht vor der Verbreitung schützen. Mitarbeiter verließen wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder attraktiver Angebote die Arbeitsstätte und nahmen ihr Wissen als Kapital mit. Gerade wenn sie begehrtes Wissen oder handwerkliche Fertigkeiten ihr Eigen nennen konnten, hatten sie die Möglichkeit, den Landes- bzw. Dienstherrn zu wechseln.
2.2. Spionage Durch Spionage versuchten die Landesherren gezielt, Erkenntnisse zu gewinnen. Im Bereich von Kriegsvorbereitungen wurden Händler, Bürger und Kaufleute nach Geschäftsreisen und Jahrmarktsbesuchen im Ausland befragt, um sich aus diesen Informationen ein Bild der Lage aufbauen zu können. Im Juli 1756 befragt der Kommandeur der in Ostpreußen stehenden Truppen einen Juden nach seiner Rückkehr von einer Reise ins russische Grenzland. Er gibt dessen Beobachtungen verschlüsselt mit einem Zahlencode an den König in Berlin weiter und vermeldet unter anderem, dass die Russen die zuvor verbotene Getreideausfuhr wieder zugelassen hätten.280 Aus diesem und weiteren Berichten zieht er den Schluss, dass die Russen dieses Jahr nicht angreifen würden und bittet darum, die Überkompletten wieder zu beurlauben. In Erwartung eines russischen Angriffs hatte man die Kompanien, die im Frieden nur aus einem kleinen Kader an Soldaten bestanden, aufgefüllt. Die Kompaniechefs, deren Etats sich an der geringeren Friedensstärke orientierten, seien nicht in der Lage, deren Sold aus eigener Tasche zu bezahlen. Der nötige Zuschuss aus königlichen Kassen könne gespart werden.281 Im weiteren Sinne werden wirtschaftliche Beobachtungen militärisch genutzt und umgekehrt. Eine klare Trennung beider Bereiche ist für die Zeitgenossen weder möglich noch gewollt. 278 Resident Avenarius aus Mühlhausen an Friedrich II. vom 19. Mai 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 42–46. 279 Günter Schade, Berliner Porzellan, Zur Kunst- und Kulturgeschichte der Berliner Porzellanmanufakturen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1978, München 1987, S. 11. 280 General von Lehwaldt an Friedrich II. vom 6. Juli 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 606 E, o.S. 281 General von Lehwaldt an Friedrich II. vom 23. Juli 1756 in: ebd., o.S.
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Neben dem Abschöpfen von Informationen durch Befragung Zurückgekehrter wurden gezielt Aufträge verteilt, im Ausland Informationen zu sammeln und Techniken zu erlernen. Dies geschah einerseits vergleichsweise offen durch Anfragen an die Residenten, die sich bei ihren Kontakten vor Ort umhören sollten oder verdeckt durch Aussenden eigener Angestellter, die inkognito oder unter falschen Angaben Techniken herausbekommen, aber auch Geschäftsbeziehungen aushorchen sollten. Auf diese Praxis wurde zurückgegriffen, wenn, aus welchen Gründen auch immer, ein Abwerben der Wissenträger nicht möglich oder gewollt war. Die Kriegskanzlei möchte 1731 auf dem hannoverschen Zeughaus Bomben und Kanonenkugeln in Eigenregie gießen lassen. Sie beauftragt den hannoverschen Residenten in Stockholm – die skandinavischen Rüstungsstätten haben einen guten Ruf – herauszubekommen, welche Technik die Schweden verwenden, dass ihre Kanonenkugeln so »glatt und eben gegoßen als eine Billardkugel« sind und wie die Rohstoffpreise und der Macherlohn vor Ort seien.282 Der Resident antwortet ausführlich und führt an, er habe mit befreundeten Offizieren der Artillerie und Unternehmern gesprochen sowie die Freundschaft des Kammerrats von Wattrang gesucht, den er für den vornehmsten der schwedischen Gießer halte.283 Ein hannoverscher Oberst der Artillerie wird ein halbes Jahr nach Kopenhagen geschickt, wo sich sieben Pulvermühlen befinden, um die Technik der Pulverherstellung zu erlernen.284 Die Nützlichkeit seines Berichts führt der General der Artillerie Braun an, um die Kriegskanzlei zu überzeugen, einen Stückjunker285 nach Friedrichswerk bei Kopenhagen zu schicken, um in den dortigen Gießereien, Pulvermühlen, Salpeter-Siedereien und -Brennereien Informationen einzuholen, die seiner privat betriebenen Pulvermühle nutzen könnten.286 Militärische wie wirtschaftliche, private wie öffentliche Interessen spielen ineinander und sind nicht klar zu trennen. Diese künstliche Trennung ist auch gar nicht gewollt, denn die frühneuzeitliche Wirtschaft und Verwaltung lebt von Personen, die Wissen und Kenntnisse verknüpfen. Neben der offenen Informationsbeschaffung wird diese verdeckt betrieben. Ein preußischer Baumeister wird nach Holland gesandt, um an die Baupläne für 282 Kriegskanzlei an den Residenten Friedrich Christian Weber in Stockholm vom 8. November 1731, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 45. 283 Resident Friedrich Christian Weber aus Stockholm an die Kriegskanzlei vom 24. November/5. Dezember 1731 in: ebd., S. 49–56. 284 Bericht des Oberst Graf von der Schulenburg an die Kriegskanzlei vom 16. April 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 68. 285 Offizieranwärter der Artillerie, vergleiche den Fahnenjunker der Infanterie und Standartenjunker der Kavallerie. 286 General Braun an Premierminister von Münchhausen vom 25. Juni 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 66.
Ausbildung und Gesellenwanderung
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eine Krapp-Mühle zu gelangen. Er solle sich als ein Baumeister ausgeben, der in Holland eine Mühle bauen wolle, da »solches sehr geheim gehalten«.287 Ein preußischer Kapitän bekommt den Auftrag, während des Manövers einen anwesenden französischen Militärbeobachter zu begleiten. Mit der Entsendung bzw. Aufnahme von Militärbeobachtern wurden von beiden Seiten Erkenntnisse erhofft. Neben der Sorge um dessen Wohl steht der Auftrag im Vordergrund, dessen Reaktion auf die präsentierte preußische Artillerie zu ergründen und im Gespräch über diese Informationen zur Art und Weise der französischen Fertigung zu bekommen. Deren neueste technische Verfahren seien auf einen aus der Schweiz stammenden Stückgießer und dessen Sohn zurückzuführen, die in Straßburg, Lyon und Douai gießen würden. Dem ersten Bericht folgt ein Auftrag mit genauen Nachfragen zur Zusammensetzung des Metalls und der Fertigungsmethoden. Ursächlich sei die Konstruktion des Ofens, die größere Hitze und damit reineres Metall erzeugen könne, was das Ausbohren der in einem Stück gegossenen Kanonen in einer geheimen Maschine erleichtere. Die Konstruktion von Maschine und Ofen seien die große Kunst des Gießers und das Geheimnis nur Vater und Sohn bekannt.288 Wissen und Fertigungsmethoden sind auf einzelne Personen beschränkt und werden vom Meister auf den Lehrling oder eben vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Auch der Kapitän ist bewusst gewählt und bestätigt die These, dass Wissen bei Wenigen gebündelt war. Wie wir in dessen Bericht erfahren, war er in jungen Jahren als Volontär zur französischen Artillerie entsandt, hatte deren Schlagfertigkeit bei der Belagerung von Bergen op Zoom 1747 kennengelernt und durch die Kontakte zu einem verwandten französischen General und Kommandanten der Schule der Artillerie Bomben und Kugelgießereien in der Champagne besichtigen können. Das leitet über zum Thema Ausbildung.
2.3. Ausbildung und Gesellenwanderung Die Ausbildung ist nicht zentralstaatlich organisiert. Für Preußen stellt Norbert Winnige eine starke lokale und regionale Differenzierung der Schulbildung fest, da der preußische Staat keine durchgreifende Schulpolitik betrieben habe, sondern die frühneuzeitliche Schule sich aus lokalen Wurzeln entwickelt habe.289 287 Domänenkammer in Kleve teilt dem Generaldirektorium ihren Plan mit und bittet um Übernahme der Reisekosten vom 19. Januar 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 7–11. 288 Bericht des Kapitän von Holtzendorff an Friedrich II. vom 2. Juni 1755 und 20. Juni 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 289 Norbert Winnige, Alphabetisierung in Brandenburg-Preußen 1600–1850, Zu den Grundlagen von Kommunikation und Rezeption, in: Ralf Pröve, Ders. (Hrsg.), Wissen ist Macht,
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Die lokale Selbstverwaltung bei finanzieller Unterstütztung durch die Obrigkeit belegt die Situation bei der Barchend-Fabrik in Hinterpommern. Dort kümmern sich die Arbeiter eigenverantwortlich um die Einstellung eines geeigneten Schulmeisters. Da sie dessen Gehalt nicht aufbringen können, wird der König um Unterstützung ersucht und bewilligt ein Gnadengehalt von 40 Reichstalern.290 Aus dem Zusatz »Gnaden-« ist zu entnehmen, dass es sich nicht um einen allgemeinen Rechtsanspruch auf die Finanzierung eines Lehrers handelt, sondern im Einzelfall eine Unterstützung gewährt wird. Berufsschulen sind nicht im heutigen Sinne vorhanden, auch wenn deren Namen dies suggerieren. In Spinnschulen wird kein hochkomplexes Handwerk ausgebildet, sondern sie dienen eher der Zuarbeit und als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. So hat die Verlegung der Kösliner Garnison, in der die geschicktesten Spinner waren, der nahegelegenen Barchend-Fabrik die Materialbasis entzogen. Dem soll mit einer Spinnschule Abhilfe geschaffen werden.291 Von 1722 hat sich das königliche Reglement für eine in der Stadt »Alten=Stettin zu etablirende publique Spinn=Schule« erhalten, aus dem einige Artikel zitiert werden, um den Charakter dieser Spinnschulen deutlich zu machen.292 Zielgruppe sind alle zur »schweren Hand=Arbeit untüchtige« armen Leute, die »mit Betteln dem Publico beschwerlich fallen« (Art. I.). »Die Schul=Stunden gehen im Sommer um 6.Uhr / im Winter aber um 7. Uhr des Morgens an, und dauern bis halb 12.Uhr Vormittag : Des Nachmittags kommen die Spinner um 1. Uhr wiederum zusammen und bleiben im Winter bis 6., im Sommer bis 7. Uhr zu Abend in der Schule« (Art. XIV.) Zum Inhalt des ›Unterrichts‹ gibt Artikel XX. Auskunft. »Denen Spinnern muß der Spinn=Meister und Meisterin deutlich weisen, wie sie die Wolle tractiren, und den Faden, daß er fein und allenthalben gleich, und an einem Ort nicht dicker als am andern werde, ziehen, auch sie sich sonst dabey zu verhalten sollen.« Noch davor wird in Artikel XVII. festgelegt, dass die »Arbeit […] mit Gebet, und Verlesung eines Capitels aus der heiligen Bibel, anfangen, und mit einem kurzen Gesang geendigt werden«. Ziel ist also primär, dass die Leute nicht mehr der Öffentlichkeit zur Last fallen und betteln, sondern tagsüber eine geregelte Beschäftigung haben, die sie langfristig dazu befähigt, für sich selbst sorgen zu können. Da dies anfangs nicht der Fall sein Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600–1850, Berlin 2001, S. 49– 67, hier S. 66. 290 Bericht über die Inventur für 1784 durch den Fabrikbevollmächtigten Lüdemann und Referendar Vogel, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 36.–39. 291 Bericht über die Lage der Fabrik 1793 in: ebd., S. 193–202. 292 Königlich=Preußisches Reglement, Vor die in Alten=Stettin zu etablirende publique Spinn=Schule, Stettin 1723. Erlassen von Friedrich Wilhelm I. am 17. November 1722 und zweisprachig deutsch/französisch gedruckt in Churfürstl Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4‹‹ Gr. 3515R .
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würde – es wird ein Stück- und kein Stundenlohn gezahlt –, erhalten sie eine Lohnaufstockung. »wie auch die Arme beym Anfang unmöglich ihr Brot völlig verdienen können, so muß denenselben in denen ersten sechs Wochen eine Zulage von 4. Groschen par Woche aus der Armen=Casse gereichet werden […] und so lange bis sie ihr Brod selbst völlig verdienen können« (Art. VIII.). Sollten sie durch die Arbeit, der nach pietistischer Auffassung im Gegensatz zum schädlichen Müßiggang eine positive Wirkung auf den Menschen zugeschrieben wird,293 animiert worden sein, ein »in Woll=arbeitenden Handwercks« zu erlernen, wird ihnen die Zeit in der Spinnschule »nach Ermessen derer Directorum« auf die Lehrjahre angerechnet. Diese Ausbildung hat bei »Zünfften und Gewercken« stattzufinden und »wenn sie arm sind«, unentgeltlich oder gegen die halbe Bezahlung zu erfolgen (Art. XXI.). Die handwerkliche Ausbildung liegt folglich im Verantwortungsbereich der Zünfte. Lehrbücher in heutiger Form gibt es nicht, sodass Ausbildung nicht schriftlich-theoretisch, sondern durch praktische Übung stattfindet.294 Rainer Fremdling stellt für die Ausbildung der Eisenarbeiter in Großbritannien und Kontinentaleuropa fest, dass diese durch »on-the-job-training und learning-bydoing gelernt hatten.« Die Produktionsverfahren basierten in Unkenntnis der physikalischen und chemischen Prozesse auf langjähriger erworbener Erfahrung.295 Der daraus folgende Einzelunterricht hält die potentielle Anzahl der Schüler gering. Die Rahmenbedingungen der zünftigen Selbstverwaltung stellen die durch die Obrigkeit erlassenen oder wie die Zeitgenossen sagen »privilegierten« Zunftordnungen dar. In den Präambeln und Artikeln wird Bezug genommen auf Missbräuche, die mit der neuen Ordnung abgeschafft werden sollen. Der Bezug auf diese Missbräuche deutet schon an, dass hierin nicht alle erdenklichen Problemfälle pro forma geregelt werden sollten bzw. die Obrigkeit von sich aus gestalterisch tätig wurde, sondern auf konkrete Beschwerden reagierte. Allgemein kann festgestellt werden, dass die Obrigkeit auf Vorkommnisse reagierte und nicht aktiv einen großen gestalterischen Plan verfolgte. Kaum 293 Waisenhäuser hatten die gleiche Zielrichtung wie Spinnschulen, die Kinder durch Arbeit vom schädlichen Müßiggang zu bewahren. Bernhard R. Kroener, Bellona und Caritas, Das Königlich-Potsdamsche Große Militär-Waisenhaus, Lebensbedingungen der Militärbevölkerung in Preußen im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.), Potsdam, Staat, Armee, Residenz, Frankfurt/Main 1993, S. 231–252, S. 237. 294 Vgl. die Ausbildung der Ingenieure der französischen Armee bei Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtungen und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2007, S. 53. Dort wird auch auf die Gründung von Militärschulen und -Akademien seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eingegangen. 295 Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert, Die Eisenindustrie in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 372.
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deutlicher wird dies bei Betrachtung des 1722 erlassenen Verbots, Kinder oder Gesinde in die von der Trocknung des Flachses noch warmen Backöfen zu sperren.296 Der in ebendiesem erwähnte Auslöser des Verbots waren zwei Kinder, die man zur Strafe einsperren wollte und für die – wohl in Verkennung der Gefahr oder Ermangelung eines anderen abschließbaren Raums – der Backofen als Gefängnis herhalten musste. Am nächsten Morgen – man hatte die Armen über Nacht vergessen – konnte das eine Kind nur noch tot geborgen werden, während das andere am Leibe sehr beschädigt überlebt. Aus diesem schrecklichen Fall wird ein landesweites Edikt, das noch absurder wirkt durch die Spezifizierung auf Backöfen zur Flachstrocknung. So ist auch in dem landesweit gültigen Edikt noch der Charakter des Einzelfalls zu erkennen. Auch die ›neuen‹ Fabriken haben solche Ordnungen und sind zünftig mit Meistern, Gesellen und Lehrjungen organisiert. Die vom Etatsminister von Massow auf seinen Gütern in Hinterpommern gegründete Barchend-Fabrik erhält von diesem eine Innungsordnung. Diese nennt in der Präambel als Rahmen »das allgemeine Reichs=Conclusium, und kayserliche im gantzen Römischen Reiche und Sr. Königl. Majestät Landen angenommene Constitution von 16. Aug. 1731, und das in den königl. Preuß. Landen publicierte General=Patent vom 6. Aug. 1732«297 Das Reichsrecht gilt damit nicht per se, sondern muss durch den Landesherren angenommen werden.298 Darauf beruft sich widerum der Gutsherr, der auf seinen Gütern für die Gerichtsbarkeit zuständig ist. Als diese Ordnung nach Besitzerwechsel aufgehoben wird, nehmen die 17 Arbeiter der Fabrik in der nächstgelegenen Stadt Schlawe das Meisterrecht an, um weiter zünftige Lehrburschen ausbilden zu können und Gesellen für die Fabrik zu bekommen.299 Um ausbilden zu können, mussten die Fabriken entweder als Zunft privilegiert oder einer benachbarten Zunft angeschlossen sein. Das persönliche Lehrverhältnis Meister – Geselle – Lehrjunge ist ausschlaggebend. Ausbilden dürfen nur zünftige Meister. Die kurhannoversche Gewehrfabrik erhält mit Zusammenlegung in Herzberg 296 »Königl. Preußisches allgemeines Edict, worinn verbohten wird, Die Kinder oder das Gesinde In die noch warme Back-Ofen Bey Trocknung des Flachses zu versperren« vom 21. Januar 1722 in Churfürstl Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4‹‹ Gr. 3515R. 297 »Innung oder Gilde des vereinigten Parchen, Canefas, Damast, drall, Linnen und Zeug Macher Gewerks auf der Colonie Friedrichshuld« vom 22. Oktober 1764 erlassen durch den Etatsminister von Massow, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 141–167, hier S. 144. 298 Vgl. zur Annahme bzw. den Gründen der Nicht-Annahme der »Reichshandwerks- oder Reichszunftordnung« von 1731, deren praktische Umsetzung bis zum Ende des Reiches 1806 nicht vollendet wurde. Arnd Kluge, Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 414ff. 299 Bericht des Fabrikbeauftragten Lüdemann vom 7./8. Oktober 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 170f.
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1739 ebenfalls einen »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben.«300 Dieser scheint Rainer Zenke nicht bekannt gewesen zu sein, sodass er die fehlende zünftige Handwerksordnung als Indiz für die sich abzeichnende Wandlung zur staatlich und/ oder kapitalistischen Wirtschaftsverfassung deutet.301 In der Tat hatte es der für Policey302-Sachen eigentlich zuständige Geheime Rat abgelehnt, einen Innungsund Gildebrief für die Gewehrfabrik zu erlassen mit der Begründung, es sei mit dieser Fabrik etwas anderes. Daraufhin hat allerdings die Kriegskanzlei eigenständig eine Ordnung entworfen, die sie dem König zur Approbation und Unterschrift vorlegt.303 Sie ist besonders aufschlussreich für das Herrschaftsverständnis der Obrigkeit, da die Kriegskanzlei hier ohne entsprechende Erfahrungen das für sie Wünschens- bzw. Regelungswerte den Arbeitern der Fabrik vorschreiben möchte. Nach Erlass der Ordnung versammeln sich die Meister und bitten um die Änderung einiger Artikel. Einen Teil der Änderungsvorschläge lehnt die Kriegskanzlei ab mit Verweis darauf, dass es sich um in seiner Majestät deutschen Landen gewöhnliche Regelungen handle. Andere Änderungsvorschläge, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch behandelt werden, finden Eingang.304 Die Meister der Herzberger Gewehrfabrik weigern sich mit Verweis auf ebendiese Gildeordnung, den Büchsenschäfter Johann Drechsler als Meister bei der Fabrik anzuerkennen. Die Aufgabe des Büchsenschäftens werde in den Gewehrfabriken von den Büchsenmachern mit übernommen, sodass es seit 1732 in Hannover keine Büchsenschäfterzunft mehr gebe. Damit ist der Vater des Johann Drechsler kein zünftiger Büchsenschäftermeister und die Ausbildung, die er seinem Sohn hat zuteil werden lassen, wird nicht akzeptiert. Darauf beschweren sich die Büchsenmacher der Gilde in Hannover und verweisen darauf, dass sie in Ermangelung einer Büchsenschäftergilde die Berechtigung hätten, diese mit auszubilden und zu beschäftigen.305 Die Regierung – der zuständige 300 Hannover, gedruckt in der königl. und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S. 301 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum, Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 36. 302 Im Sinne von Ordnung, Verfassung einer Sache vgl. Art. Polizey, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 114 (1810), S. 174. 303 Kriegskanzlei an Georg II. vom 1. September 1739, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 251ff. und dessen Antwort mit unterschriebener Gildeordnung vom 31. August/11. September 1739 in: ebd., S. 257. 304 Kriegskanzlei teilt dem Amt Herzberg die Änderungen mit. Vom 11. Februar 1740, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S. 305 Meisterrecht als Büchsenschäfter für Johann Barthol Drechsler ausgestellt durch die Büchsenmachergilde zu Hannover am 17. April 1743, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1020, o.S.
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Geheime Rat – gibt ihnen Recht und weist die Herzberger Amtleute an, den Sohn Drechsler als Büchsenschäftermeister anzustellen.306 Der Niedergang eines ehemals eigenständigen Berufszweiges deutet sich an. In Potsdam werden zur gleichen Zeit Schäfte von Bauern der Umgebung im Winter hergestellt, die ohne Ausbildung das mitgelieferte Modell nachzubauen haben.307 Dennoch bestehen die Meister der Herzberger Gewehrfabrik auf eine zünftige Ausbildung. Die Regierung wird zum Schlichten angerufen, wenn es zu Streitigkeiten zwischen zwei Zünften kommt und beide Seiten auf ihrer Position beharren. Ansonsten regeln diese das Alltagsgeschäft eigenständig unter sich. Bei Streitigkeiten zwischen einzelnen Zünften wird die Obrigkeit auch landesherrschaftsübergreifend zum Schlichten eingesetzt. Das Arbeitszeugnis eines Gesellen, der beim Lagerhaus, der großen Berliner Tuchmanufaktur angestellt war, wird von dessen neuem Arbeitgeber, dem Zeugmachergewerk in Ronnenburg in Sachsen-Gotha nicht anerkannt. Das Lagerhaus beschwert sich daraufhin beim preußischen Generaldirektorium, das den Fall den Räten in Gotha vorträgt. Letzlich geht es darum, dass die beim Lagerhaus geltenden Berliner Qualitätsstandards nicht anerkannt werden. Der lokalen Verwaltung wird aufgetragen, die Ronnenburger zu ermahnen: es könne nicht sein, dass ein Gewerksoberer dem anderen nicht traue.308 Diese melden zurück, dass der besagte Geselle nicht wieder gekränkt werde.309 Die Obrigkeit vermittelt und stellt sicher, dass die Ausbildungsabschlüsse wechselseitig anerkannt werden. Die jeweiligen Rechte und Pflichten des Ausbildungsverhältnisses machen einen wesentlichen Anteil der Zunftordnungen aus und sind ein Versuch der Obrigkeit, nach »Missbräuchen« – also an sie herangetragenen Beschwerden – gewisse Qualitätsstandards der Ausbildung aufzustellen und generell das Miteinander der Zunftmitglieder möglichst konfliktfrei zu regeln. Die Innungsordnung der Barchend-Fabrik legt etwa fest, dass als Lehrjunge nur angenommen werden darf, wer lesen und schreiben und wenigstens die fünf Hauptstücke des Katechismus aufsagen kann. Andernfalls muss der Meister sich verpflichten, den Jungen wöchentlich vier Stunden zur Schule oder zum Pastor zu schicken, bis er es kann. Besonders genau beschrieben sind die Abschlussarbeiten und deren Abnahmeprozedur. Unter anderem muss vor der Lossprechung ein 306 Hannoversche Regierung an Amtleute zu Herzberg vom 8. April 1743, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1020, o.S. 307 Vertrag der Schulzen und Bauern von Ruhlsdorf und Klosterfeld mit der Gewehrfabrik vom 30. September 1728 über je 12.000 Flintenschäfte, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 79f. 308 Generaloberfinanzdirektorium an die Sachsen-Gothasche Räte in Friedenstein vom 9. Februar 1737, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 4, S. 24f. 309 Räte aus Ronnenburg vom 26. März 1737, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 4, S. 37.
Ausbildung und Gesellenwanderung
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Spruch aus der Bibel aufgeschrieben und ein Hauptstück des Katechismus aufgesagt werden.310 Die Ausbildung findet als Lehrjunge während der Lehrjahre statt, die mit dem Gesellenstück abgeschlossen wird. Der Geselle ist hingegen ein Gehilfe311 des Meisters, bei dem er angestellt ist. Auch die Gesellen sind in den Ordnungen erwähnt, die ihr Miteinander und ihre Wanderschaft regeln. Um wichtige Arbeiter vor Ort zu behalten, kann von einer allzu strengen Auslegung der Ordnungen abgesehen werden. Die Kriegskanzlei schreibt 1740 an die Herzberger Amtmänner, dass die Sorge bestehe, dass die ausländischen Gesellen die Gewehrfabrik wegen allzu strenger Regeln wieder verlassen würden. Es handelte sich, wie erwähnt, um die Wunschvorstellung der Kriegskanzlei nach geordneten Verhältnissen. Es wird eine Ausnahme im Kleinen zugelassen und den Gesellen verkündet, dass ihre Forderungen zwar den Reichsgesetzen und Landesgewohnheiten widersprächen, man sie aber ausnahmsweise gestatte. Sollte durch dieses Entgegenkommen Unordnung entstehen oder andere Gilden sich an die Regierung wenden und ähnliche Vergünstigungen fordern, würden sie sofort wieder abgeschafft.312 Ausnahmen sind immer möglich. Man ist nur darauf bedacht, dadurch keine Präzedenzfälle zu schaffen und die Gesetze an sich in Frage zu stellen. Den Diskurs innerhalb der Geschichtswissenschaft über Motive und Zweck des Gesellenwanderns von der Wissensweitergabe bis zur Abschottung fasst Arnd Kluge zusammen.313 Rainer Elkar spricht dem Gesellenwandern seinen Bildungswert ab und stellt die These auf, dass dieses nicht dem Wissenstransfer diente, sondern vielmehr eine allgemeine Horizonterweiterung im Erwachsenwerdungsprozess der Gesellen darstellte, der mit der Zeit zum faktisch verpflichtenden Teil der Ausbildung wurde. Wissen sei hingegen durch die Abwerbung und Neuansiedlung von Spezialkräften sowie Spionage abgezogen bzw. verbreitet worden. Er begründet dies damit, dass das Gesellenwandern strengen Regularien unterlegen und sich in unfreien Märkten ohne Niederlassungsfreiheit abgespielt hätte. Besondere Qualität und Produktionswissen sei von den 310 »Innung oder Gilde des vereinigten Parchen, Canefas, Damast, drall, Linnen und Zeug Macher Gewerks auf der Colonie Friedrichshuld« vom 22. Oktober 1764 erlassen durch den Etatsminister von Massow, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 141–167, Art. 20. 311 Der Geselle ist »Ein Gehülfe, welche Bedeutung sich nur noch bey den Handwerkern erhalten hat, welche ihre Gehülfen Gesellen zu nennen, und dadurch solche Handwerks=Genossen zu bezeichnen pflegen, welche die Lehrjahre überstanden haben, aber noch nicht Meister geworden sind.« Art. Gesell, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 17 (1. Aufl. 1779, 2. Aufl. 1787), S. 509. 312 Kriegskanzlei an Amtmänner in Herzberg vom 8. April 1740, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1020 o.S. 313 Arnd Kluge Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 170–180.
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Meistern als Geheimnis gehütet und nicht befristet anwesenden Gesellen weitergegeben worden. Andernfalls hätte es bei europaweiter Gesellenwanderung auch einen europaweit einheitlichen technischen Stand geben müssen, was nicht der Fall war. Das Bild des Gesellenwanderns als Bildungsreise sei begründet im Ideal der durch die Aufklärung beeinflussten bildungsbürgerlichen Ideen von der Nützlichkeit des Reisens.314 Die These vom allgemeinen Reifungsprozess wird gestützt durch die Ausführungen in der Innungsordnung der BarchendFabrik des von Massow in Hinterpommern. Dort wird in Artikel 1 »Von den Bewerbern auf eine Meisterstelle« ausgeführt, dass sie mit Beleg nachweisen müssen, für drei Jahre entweder gewandert oder bei einem Meister der Fabrik als Geselle gearbeitet zu haben. Es wird als zwei Jahre Dienstzeit angerechnet, wenn der wandernde Geselle unter die Soldateska gerät, den Dienst nimmt, Soldat wird und hiernach ehrlichen Abschied aus dem Regiment erhält. Desgleichen, wenn er bei Herrschaften im Dienst gestanden hat und einen ehrlichen Abschied vorweisen kann.315 Im Zusammenhang mit für diese Arbeit gesichtetem Quellenmaterial wurde kein Hinweis darauf gefunden, dass die Gesellenwanderung tatsächlich dem Transfer von neuen Kenntnissen und Fertigkeiten gedient hätte. Vielmehr diente die Gesellenmobilität dem Ausgleichen bzw. Anpassen an Konjunkturschwankungen und bot die Möglichkeit, durch die vermehrte Annahme von Gesellen auch größere Aufträge bewältigen zu können, wie sie im Abschnitt zur Konjunktur beschrieben wird. Nichtsdestotrotz wurde Lernen im Ausland hoch angesehen. Die erste Version der von Georg II. erlassenen Gildeordnung der Herzberger Gewehrfabrik schreibt vor, dass Gesellen, um das Meisterrecht zu bekommen, nachweisen müssen, mindestens zwei Jahre gewandert zu sein. Auf Wunsch der Meisterversammlung, die nach Erlass der Gildeordnung zusammengetreten war, wird dies auf drei Jahre verlängert.316 Als der Leutnant Steigleder dem Inspektor Tanner als Fabrikaufsicht folgt, wird in dessen Arbeits-
314 Rainer S. Elkar, Lernen durch Wandern? Eine kritische Anmerkung zum Thema Wissenstransfer durch Migration, in: Knut Schul (Hrsg.), Handwerk in Europa, Vom Spätmittelalter bis zur Frühen Neuzeit, München 1999, S. 213–232. 315 »Innung oder Gilde des vereinigten Parchen, Canefas, Damast, drall, Linnen und Zeug Macher Gewerks auf der Colonie Friedrichshuld« vom 22. Oktober 1764 erlassen durch den Etatsminister von Massow, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 141–167, Art. 1. 316 »Gilde-Brief für die königliche Gewehr-Fabrique zum Herzberg, Wornach sich die sämtliche darauf befindliche Ouvriers, sowol Meisters als Gesellen und Lehr-Jungens achten haben. Hannover gedruckt in der königl. und Chur-Fürstl. Hof-Druckerey, 1739« Georg II. vom 31. August/11. September 1739 und durch die Kriegskanzlei genehmigte Änderungswünsche der Meister vom 11. Februar 1740, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1019, o.S, hier Art. 16.
Ausbildung und Gesellenwanderung
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vertrag, der dem des Tanner sonst sehr ähnlich ist, ein zusätzlicher Artikel aufgenommen, dass er auf die Einhaltung der Wanderschaft zu achten habe.317 Wer sich an die Obrigkeit mit der Bitte um ein Stipendium oder eine Reisebeihilfe für die Gesellenwanderung wendet, hat fast immer Erfolg. Dies kann sowohl die individuelle Förderung bedeuten, wenn ein tüchtiger Lehrling Waise oder die Eltern bzw., wie die Alten-Stettiner Spinnschule zeigt, er selbst arm sind als auch die allgemeine Förderung einer Wirtschaftssparte. So findet sich eine Liste mit fünfzig Seidenwirker-Gesellen, die gute Arbeit leisten, tüchtig sind und Meister werden könnten. Es wird vorgeschlagen, ihnen das jährliche Lehrgeld zu erlassen, um allgemein die Anzahl der Seidenwirker im Land zu erhöhen.318 Die Kriegskanzlei wendet sich an Georg II. und weist diesen auf einen Gesellen Francke hin, der sehr geschickt sei »und zu der Büchsenmacherey besonderes Genie hat«. Da er aber kein Vermögen habe, bitten sie, seine Reise in die Fremde, wo man am besten die Perfektion des Handwerks erlernen könne, mit 120 Reichstalern in den kommenden zwei Jahren zu unterstützen. Sie seien sich sicher, dass er zurückkommen und der Gewehrfabrik nützliche Dienste erweisen werde.319 Auf die hier erfolgte Genehmigung des Königs beruft sich sechs Jahre später der Inspektor Tanner. Er habe seinem Sohn Rechnen, Schreiben und das Gewehrhandwerk beigebracht und ihm schon eine Reise nach Stockholm bezahlt. Jetzt habe er aber wegen seiner großen Familie kein Geld mehr und bitte um eine Unterstützung von 250 Reichstalern in den kommenden vier Jahren. Der jetzige Rüstmeister Francke sei schließlich auch gefördert worden.320 Tanner nutzt das Wissen um die Fördermöglichkeit, um einen ähnlichen Zuschuss für seinen Sohn zu beantragen. Darüber hinaus werden Landeskinder gezielt zur Ausbildung ins Ausland geschickt, um im Land nicht oder technisch nicht ausreichend vorhandene Berufszweige zu erlernen. Im Gegenzug für die Verpflichtung zurückzukommen und ihre Kenntnisse weiterzugeben, werden ihre Ausbildungs- und Reisekosten übernommen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Wissen vor allem durch persönliche Erfahrung und (noch) nicht durch Bücher weitergegeben wurde.
317 Arbeitsvertrag zwischen der Kriegskanzlei und Inspektor Tanner vom 30. Juni 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95 und dito mit Leutnant Steigleder vom 31. Januar 1769, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 34–42, Art. 12. 318 Promemoria über die Vermehrung der Seidenwirker-Arbeiter von Holtz vom 10. September 1769, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CX, Nr. 37, Vol. I, S. 12–16. Radtke beschreibt einen ähnlichen Fall, in dem 40 Seidenspinnermeistern ein Lehrling bezahlt wird, um einen Stamm an ausgebildeten Leuten zu bekommen. Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806. Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 53. 319 Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. Mai 1741, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 335. 320 Kriegskanzlei an Georg II. vom 24. Juli 1747 in: ebd., S. 405.
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2.4. Forschung und Weiterentwicklung Nach der Gründung der Gewehrfabrik in Herzberg musste sich deren Führung und die betreibende Kriegskanzlei erstmals um das Gewehrmodell kümmern. Zuvor hatten Gewehrhändler oder direkt die Büchsenmacher Prototypen vorgeführt, die anschließend bestellt und zum ausgehandelten Preis geliefert wurden. Die fertige Lieferung wurde mit dem Prototyp verglichen und nur Gewehre abgenommen, die diesem äußerlich entsprachen und deren Lauf die Beschussprobe mit doppelter Pulverladung aushielt. Die Entwicklung der Prototypen lag bei den Büchsenmachern. Mit der Zentralisierung der Produktion fällt diese Aufgabe an den Fabrikinspektor, der neue Modelle im Austausch mit den Auftraggebern entwickelt, wobei grundsätzlich zwischen Infanterie und Kavallerie unterschieden werden muss. Erstere sollte weitgehend mit einheitlichem Dienstgewehr ausgestattet werden, letztere hatte die Freiheit, sich ihre Gewehre nach eigenen Vorstellungen bei einem Produzenten ihrer Wahl fertigen zu lassen. Am Beispiel der Bestellung neuer Gewehre durch das 1. Bataillon der Garde zu Pferd werden einige grundlegende Entwicklungen und Tendenzen aufgezeigt. Im August 1740 wendet sich dessen Kommandeur, der General von Grote schriftlich an den Fabrikinspektor Tanner und macht deutlich, welche Eigenschaften er bei den neuen Gewehren gerne hätte.321 Der Fabrikinspektor entwirft daraufhin einen Prototypen – die Zeitgenossen sprechen von Probemodellen –, den er dem Kommandeur zukommen lässt. Im Begleitschreiben geht er auf die geforderten Eigenschaften ein und begründet, wenn bzw. warum er von diesen abweicht. Für Änderungen sind dessen Erfahrungen ausschlaggebend. Der geforderte, besonders dünne und leichte Lauf wird »jedoch deswegen etwas stärker gelaßen, weil im Reiten mannigmahl die Kugeln im Lauffe fortzurücken pflegen, also im etwas stärkeren Lauff desto dauerhafter ist.« Praktische Erwägungen wie größerer Pflegeaufwand fließen ein: »ist es deswegen geschehen, daß die Bünde nicht zu nahe stehen, und zu viel Arbeit im Putzen kosten.« Auf den Sonderwunsch, besonderes Material für die Garnituren zu verwenden, wird neben den teureren Materialkosten eingewendet, dass im Schadensfall, »da etwas von denen Garnitures zerbricht, der Tomback[322] aber von dieser Art und Farbe so gleich nicht zu haben ist.«323 Damit spielen neben den finanziellen vor allem praktische Gründe eine Rolle. Noch zweimal gehen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge hin und her. Im Februar 1741 werden die Prototypen, auf die sich geeinigt wurde, an die Kriegskanzlei gesandt, die diese und die Mehr321 Von Grote an die Gewehrfabrik vom 17. August 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 3, o.S. 322 Tombak ist »ein durch Kunst bereitetes Metall, welches dem Golde ähnlich sieht« vgl. Art. Tombak, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 185 (1844), S. 635f. 323 Alle Zitate des Tanner an von Grote vom 14. Oktober 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 3, o.S.
Forschung und Weiterentwicklung
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kosten bewilligt. Im März werden die versiegelten Proben an das Regiment und die Gewehrfabrik zurückgesandt und der Auftrag erteilt.324 Die Prototypen werden im Wechselspiel von Forderungen des Auftraggebers und Erfahrung des Fabrikinspektors entwickelt und von der Kriegskanzlei abgesegnet. Das Grundkonzept der Vorderlader-Steinschlossflinte wird nicht angetastet. Eigene Abteilungen für Forschung und Weiterentwicklung sind in den gesichteten Quellen in den Gewehrfabriken in Potsdam und Herzberg nicht erwähnt. Das Dienstgewehr für die Infanterie soll vor allem einheitlich sein und funktionieren. Georg II. stellt dazu fest, »wasmaßen es nicht darauf ankomme, daß solches Gewehr schön, sondern das es gut, tüchtig und uni sei.«325 Grundlegende Neuerungen werden zunächst skeptisch betrachtet, teils abgelehnt. 1780 berichtet die Kriegskanzlei von einer neuen Methode, in Gesenken zu schmieden, die man sich vor zwei Jahren in England abgeschaut habe. Es handelt sich dabei um den Beginn der einheitlichen Massenproduktion. Das Gesenk ist eine fertige Form, die es ermöglicht, einförmige und austauschbare Bauteile zu produzieren, was, so schreibt die Kriegskanzlei, ermöglicht, zur feldmäßigen Reparatur einen Vorrat anzulegen. Die Meister bei der Gewehrfabrik hätten sich allerdings geweigert, sodass sie den geschicktesten Meister ausgewählt hätten, um sich mit den neuen Gesenken auseinanderzusetzen. Er hätte damit guten Erfolg gehabt, sodass den anderen Schlossmachern nur noch die weitere Ausarbeitung zukomme. Die Technik ist allerdings noch nicht ausgefeilt. So würden sie das Schlossblech nicht hinbekommen, da es zu lang und dünn sei, sodass das Eisen an der Seite austrete, wenn der Schmiedehammer draufschlage.326 Für Preußen stellt Wilhelm Hassenstein fest, dass die Gesenk-SchmiedeTechnik zwar bekannt war, aber als fachlicher Rückschritt empfunden wurde. Man befürchtete, durch diese Verfahren würde die Handfertigkeit der Schmiede und Schlossmacher erheblich leiden. Der Wechsel von Baureihen würde erschwert und letztlich der Ruf der Fabrik leiden.327 Der Kontakt mit anderen Truppen sorgte für Innovationsschübe. Sie werden angestoßen sowohl durch Offiziere, die bereit sind überzuwechseln und wie die behandelten Handwerker als ›Eintrittskarte‹ in den neuen Dienst technische Kenntnisse anbieten,328 als auch durch die Erkenntnis der Überlegenheit der Kriegskanzlei an die Gewehrfabrik vom 6. März 1741, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 3, o.S. Georg II. an die Kriegskanzlei vom 1./12. Mai 1741, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 332. Bericht der Kriegskanzlei vom 23. Oktober 1780, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 20. Bei Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 64f. 328 Z. B. Promemoria des Kapitän der sächsischen Artillerie Christian Ferdinand Oettner an Friedrich II. mit Empfehlung des General Graf von Schmettau vom 12. Oktober 1746, in: GStA PK, I. HA. Rep. 96, Nr. 612 B, o.S.
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Gegenseite.329 Gisela Krause hat untersucht, dass der Schnitt und die Farbe der preußischen Uniformen durch zahlreiche andere Landesherrschaften übernommen wurden. In Hannover sei die Farbe rot, aber der Schnitt der preußische gewesen.330 Die preußisch-blaue Farbe331 für das hannoversche Uniformtuch wird mit General-Ordre 1837 eingeführt.332 Schon 1796 war ein entsprechender Vorschlag von Prinz Ernst von Mecklenburg-Strelitz, der im Zuge der Revolutionskriege mit preußischen Truppen in Kontakt gekommen war, beim König in London eingegangen. Die Umsetzung war aber daran gescheitert, dass bei Erlass bereits die roten Tuche bestellt worden waren, sodass die Einführung bis zur nächsten Uniform-Erneuerung 1799 ausgesetzt333 und dann vermutlich vergessen oder in den weiteren Kriegswirren aufgeschoben wurde. Auch aus der eigenen Truppe334 werden Friedrich II., der Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen ist, Vorschläge mit der Bitte um Förderung oder Umsetzung unterbreitet. Es ist eine wesentliche Aufgabe des preußischen Beauftragten für die Artillerie, die zahlreichen dem König zugespielten Angebote auf ihre Seriosität und Tauglichkeit zu prüfen, wobei Friedrich regen Anteil an den Versuchen nimmt. Die Praxis fügt sich damit nahtlos ein in das Bild, dass sich Untertanen oder Ausländer mit der Bitte um Förderung an die Obrigkeit wenden, die im Einzelfall entscheidet, ob diese als förderungswürdig angesehen werden. Gezielte Forschungsaufträge der Obrigkeit konnten nicht festgestellt werden, sondern es wurde auf Angebote reagiert. Hier kritisiert Radtke, dass die Unternehmer aufgrund der ihnen gewährten Monopole nicht innovativ werden müssen.335 Auf der anderen Seite deckt sich diese Praxis mit der erwähnten Feststellung Fremdlings, dass die Zeitgenossen keine Kenntnis der physikali329 Z. B. Auftrag Friedrich II. an von Dieskau, 120–130 neue Kanonen in Berlin und Breslau und zwar nach Art wie die Österreicher zu gießen vom 28. November 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 190. 330 Etwa Braunschweig, Hessen, Württemberg, Münster sowie einige Reichskreise nach Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 189. 331 Diese hat den Vorteil, dass sie Qualitätsmängel im Tuch vertuscht. Klaus-Peter Merta, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 2: Die Uniformierung, Brandenburg 1991, S. 66. 332 Ordre vom 24. November 1837 und 7. Dezember 1737 abgedruckt in Joachim Niemeyer, Die königlich hannöversche Armee, Ein Beitrag zur gleichnamigen Ausstellung im BomannMuseum Celle 1987, Rastatt 1987, S. 33–43. 333 Georg III. an den kommandierenden General von Freytag vom 13. Mai 1796, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 461, o.S. 334 Z. B. Premierleutnant von Fölckersamb vom Nettelhorstschen Regiment wendet sich am 24. August 1756 mit einem neuen Gewehr an Friedrich II., in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 G, S. 47. 335 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 163.
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schen und chemischen Prozesse hätten.336 Damit stößt nicht theoretische naturwissenschaftliche Forschung auf Innovationsmöglichkeiten, sondern praktische, langjährige oder zufällige Beobachtung wird zum Auslöser von Experimenten, für deren Finanzierung ein Förderer gefunden werden muss. In Hannover fehlt dieser zentrale Ansprechpartner, der Initiativen aufgreifen, die beteiligten Akteure an einen Tisch bringen, Ressourcen zur Verfügung stellen und finanziell fördern kann. Ideen für Neuerungen richten sich an die unterschiedlichsten Adressaten. Beim Geheimen Rat liegt eine Akte unter der Kategorie »Artillerie und Zeughaussachen«, in denen Vorschläge aus der Bevölkerung gesammelt wurden. Darunter befinden sich jeweils mit Bauzeichnungen kugelsichere, schiebbare Brustwehren, mehrschüssige Kanonen oder Amphibienfahrzeuge, die als Kutsche und Boot genutzt werden können, aber auch neue Techniken der Salpetergewinnung.337 Inwieweit diese Vorschläge allerdings ausprobiert wurden oder sogar zur Ausführung gelangen, geht aus dieser Akte nicht hervor. Einzelne Akteure können in Hannover durchaus die Rolle übernehmen, die der König in Preußen hat. Der General der Artillerie Braun hört, dass für das Fort Georg in Hameln 50 bis 60 neue Kanonen benötigt werden und bringt ins Spiel, dass diese eisern sein könnten. Er nutzt sein persönliches Wissen und erinnert sich, dass vor 40 Jahren, als er in Stade in Garnison war, in Schweden eiserne Kanonen für die königliche Elbfregatte bestellt worden seien. Sonst nutzte man in Hannover nur metallene Kanonen – aus einer Bronzelegierung. Braun schreibt die nötigen Leute an: den kommandierenden General von Hardenberg, der alles genehmigen muss, die Kriegskanzlei, die die Kosten übernimmt, den Berghauptmann von Reden, aus dessen Bergwerken und Hochöfen im Harz das nötige Eisen kommen soll sowie einen Eisenfabrikanten in Altona, in dessen Fabrik die Arbeit ausgeführt werden soll. Außerdem fordert er den in England in der Eisenverarbeitung ausgebildeten hannoverschen Stückjunker Stuckner zur Verbesserung der Gießtechniken an.338 Im Siebenjährigen Krieg kommt derselbe General Braun in Hessen auf eine Eisenhütte und sieht dort, wie Bomben und Kugeln mit einer metallenen Form gegossen werden. Er besorgt sich diese und sendet sie mit einem Empfehlungsschreiben, dass es mit metallenen deutlich besser als mit den bisher verwendeten tönernen Formen ginge, an die Kriegskanzlei und das Zeughaus in Hannover.339 Als die königliche Kammer für die von 336 Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert, Die Eisenindustrie in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 372. 337 Alle aus den 1740er Jahren, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. IV. 338 Alle 1779 bis 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. I. 339 General Braun aus dem Winterquartier in Ockershausen an die Kriegskanzei vom 18. Januar 1760 in Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. II, 1, S. 11.
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ihr verwaltete Pulvermühle bei Harburg keinen neuen Pächter finden kann, übernimmt Braun, der zu dem Zeitpunkt Kommandant der Festung Harburg ist, die Pulvermühle auf eigene Rechnung. Er nutzt seine Kontakte und sein Wissen um die Pulverbeschaffung der Armee, Pulverfertigung und Rohstoffwege. Weiter fragt er bei der Regierung an, ob sie die Reisekosten eines Stückjunkers nach Kopenhagen übernehme, damit sich dieser mit dem technischen Fortschritt der dortigen Pulvermühlen, Salpetersiedereien und -Brennereien auseinandersetzen könne.340 Es kommt auf das persönliche Wissen und die Initiative Einzelner an.
2.5. Exkurs: England und Hannover Mit dem Thema Wissenstransfer in der Personalunion beschäftigt sich ein Promotionskolleg an der Universität Göttingen341, sodass das Thema hier nur angerissen wird. Die Herzberger Gewehrfabrik ist gegründet worden, um die deutschen Truppen des Monarchen mit Dienstgewehren auszustatten. Auf dieses Ziel ist die Fabrik zunächst ausgerichtet und damit völlig ausgelastet. In Zeiten, in denen der heimische Absatz die Fabrik nicht auslastet, werden Versuche unternommen, den Absatzmarkt in England zu erschließen, allerdings ohne nennenswerten Erfolg.342 Eine von London ausgehende gezielte Nutzung der Rohstoff- und Produktionsstätten Kurhannovers wird 1777 während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges angeregt. Der in London weilende Minister von Alvensleben fragt bei den Kollegen in Hannover an, ob dort eiserne Seekanonen gegossen werden können. In England war eine neue Bohrmaschine zum Ausbohren der in einem Stück gegossenen Läufe erfunden worden, sodass der Befehl an die Königshütte im Harz ergeht, einen ungebohrten Lauf nach London zu senden.343 Hierfür muss ein besonderes Gießhaus und ein kombinierter Hochofen gebaut werden, dessen Baukosten nach mehrmaligem Nach340 HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I und II. 341 Innerhalb des Promotionskollegs »Die Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover 1714 bis 1837 als internationaler Kommunikations- und Handlungsraum« besonders der Themenkomlex »Ware Wissen – Technologie als Trägerelement ökonomischen Handelns«. Vgl. http://www.uni-goettingen.de/de/forschungsfelder/200234.html, 7. Januar 2014. 342 Begleitschreiben vom 10. August 1752 für fünf aus England nach Hannover zurückgesandte Probegewehre aus der Zeit, als man den Absatz nach England befördern wollte, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 112f oder Bericht des Kriegssekretärs Ramberg an die königliche Regierung mit Bitte, den Absatz im Ausland zu befördern vom 4. April 1778, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28f. 343 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 10. Januar 1778, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. II, S. 298.
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fragen der König übernimmt.344 Nachdem ein erster Guss misslungen ist, wird die Kanone im August 1778 abgesandt und erreicht nach einigen kriegsbedingten Umwegen – die Schiffer in Bremen verweigern sich aus Angst vor Kaperern, sodass auf einen begleiteten Konvoi in Hamburg gewartet werden muss – im Januar 1779 London. Dort wird festgestellt, dass die Qualität des Eisens und Gusses aus dem Harz sehr zu wünschen übrig lasse. Anbei wird ein Probestück englischen Eisens gesandt mit der Aufforderung, damit Proben im Harz anzustellen.345 Die kriegsbedingte Forderung nach Nutzung der Produktionskapazitäten offenbart damit einen Wissens- und Könnensrückstand der Hütten im Harz bzw., dass bis dahin kein nennenswerter Know-How-Transfer zwischen den englischen und deutschen Provinzen und Fertigungsstätten des Königs stattgefunden hat. Zunächst hatte der für das Hüttenwesen im Harz zuständige Berghauptmann von Reden seine Arbeiter in Schutz genommen und reflexartig alle Schuld auf die mindere Qualität des Rohmaterials geschoben.346 Zugleich bekommt aber der in England weilende hannoversche Stückjunker Anton Stuckner die Möglichkeit, die englischen Produktionsstätten zu besichtigen und sich in die Kenntnisse der Eisenveredelung und Gusstechnik einweisen zu lassen. Stuckner war vom König persönlich in London unter Eid genommen worden, nicht in fremde Dienste zu gehen und sein in England erlangtes Wissen nur auf königlichen Befehl weiterzugeben.347 Er bringt aus England einen enormen Wissensschub für die Eisenverarbeitung mit, die er zum Teil als schriftliche Berichte und Analysen zur Verfügung stellt, im Wesentlichen aber die beteiligten Stellen besucht und sein Wissen persönlich anbringt. So erfahren wir von den Reisen des Stuckner durch dessen Untersuchungsberichte, die Reisekostenabrechnungen, die Anfragen, wann der Stuckner sie endlich besuchen könne sowie die lobenden Berichte der Besuchten.348 Auch in Kurhannover legt Stuckner Wert darauf, dass er mit Verweis auf den dem König geschworenen Eid seine Konstruktionspläne geheim halten müsse,349 aber auch die Kriegskanzlei erinnert ihn an den Eid und ermahnt ihn zur Zurückhaltung. Ein im Juni angeworbener Gehilfe muss, bevor er ihm helfen kann, den gleichen Eid wie Stuckner schwören, was wegen vorheriger Erlaubnisanfrage beim König in London und den 344 Von Alvensleben in London an die Kriegskanzlei vom 21. April 1778 in: ebd., S. 264. 345 Kriegskanzlei gibt den Tadel an den Berghauptmann von Reden weiter am 20. Februar 1779 in: ebd., S. 192. 346 Antwort der Kriegskanzlei auf diesen Bericht an von Reden vom 7. März 1779 in: ebd., S. 179. 347 Bericht des Stuckner an die Kriegskanzlei vom 8. Januar 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. I, S. 147. 348 So etwa der General der Artillerie von Braun in Harburg an die Kriegskanzlei vom 11. April 1780 und die Genehmigung der Reisekostenabrechnung der Kriegskanzlei vom 17. April 1780 in: ebd., S. 8 und Bericht des Stuckner in: ebd., S. 9–17. 349 Von Reden berichtet an die Kriegskanzlei vom 1. Juni 1780 in: ebd., S. 116.
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vielen beteiligten Stellen den Prozess in die Länge zieht.350 Wegen des ab Mitte Oktober befürchteten Frostes erfolgt zudem eine Zwangspause bis April des Folgejahres. Der Know-How-Transfer in der Eisenverarbeitung von England nach Hannover ist damit ein durch Krieg ausgelöster Wissensschub. Die Geheimhaltung wird auch gegenüber den eigenen Landsleuten hoch gehalten. Er wird getragen durch eine einzige Person, die sich das Wissen aneignen und begrenzt weitergeben darf. Es handelt sich nicht um einen Handwerksmeister, sondern einen Stückjunker, der anschließend von Kriegskanzlei, Berghauptmann und Generälen umworben und gelobt wird. Das deckt sich mit der Erkenntnis von Fremdling. Da die neuen Eisentechniken und »Verfahren aber weitgehend auf empirischer Grundlage betrieben wurden, konnten sie nur durch Menschen, die wie Handwerker Träger des Know-How waren, verbreitet werden.«351 Nach der Gründung der Gewehrfabrik in Herzberg sendet Georg II. eine Lieferung mit in England hergestellten Werkzeugen, Maßen, Formen und Maschinen nach Herzberg. Die Kriegskanzlei habe dem Fabrikinspektor Tanner und allen damit in Berührung kommenden Gewehrfabrikanten einen Eid auf die Geheimhaltung abzunehmen. Inwieweit diese Werkzeuge ohne eine entsprechende ›Gebrauchsanweisung‹ bzw. Einweisung genutzt wurden, lässt sich aus den gesichteten Akten nicht ergründen. Ein sachkundiger Engländer wurde anscheinend nicht mitgesandt und die beiliegende Anlage beschäftigt sich vorwiegend mit der genauen Beschreibung, wie die fertigen Gewehre zu probieren und abzunehmen seien.352 Ein Austausch der Gewehrmodelle findet ebenfalls statt. Der mit der Entwicklung beauftragte Fabrikinspektor Tanner sendet seinen, wie er im begleitenden Bericht schreibt, teils nach dem englischen, teils hannoverschen und teils eigenem Modell gefertigten Prototyp nach London.353 Georg II. lässt diese Probeflinten in London auf dem Tower von einem Brigadier und einem Rüstmeister untersuchen und für gut befinden. Sie empfehlen einige kleinere Änderungen. Ansonsten gibt der König aber seine Zustimmung zur Produktion.354 Ein persönlicher Austausch von Personal findet damit nicht statt, sondern das Modell, nach dem auf der Gewehrfabrik Herzberg
350 Der Anfrage für einen Gehilfen vom 26. Juni 1780 (S.101) folgt erst am 3. Oktober 1780 die Genehmigung durch Georg III. in: ebd., S. 79. 351 Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert, Die Eisenindustrie in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 373f. 352 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 17./28. Oktober 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 119. 353 Bericht des Johann Casimir Tanner als Anlage A zum Schreiben der Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. Dezember 1738 in: ebd., S. 165–170. 354 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 23. Januar/3. Februar 1739 in: ebd., S. 219.
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zunächst gearbeitet wird, ist eine Eigenentwicklung des dortigen Fabrikinspektors. Von diesen Einzelfällen abgesehen, war der festgestellte Austausch der beiden Landesteile gering, sodass nicht von gleichberechtigten, zusammen für den gleichen Landesherrn und das gleiche Ziel arbeitenden Produktionsstätten gesprochen werden kann. Ein Grund hierfür mag in der Entfernung und den insbesondere in Kriegszeiten, wie der angesprochene Transport der Kanone nach London zeigt, schwierigen Transportbedingungen gelegen haben. Zudem betrafen die kriegs- und friedensbedingten konjunkturellen Schwankungen beide Landesteile gleichermaßen, sodass hier ein Ausgleichen nicht möglich war. War dies nicht der Fall, wie im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, wurde der Austausch versucht. Daneben sahen einige unternehmensführende Vertreter der Obrigkeit, wie der oben erwähnte Berghauptmann von Reden, zunächst nicht den positiven Aspekt des Technologietransfers, sondern eine Bedrohung der eigenen Marktposition und damit der persönlichen Reputation. Als die Güte des auf ›seiner‹ Hütte produzierten Eisens gerügt wird, fühlt er sich persönlich angegriffen und verteidigt seine Arbeit(er), indem er auf die schlechtere Qualität des Harzeisens verweist. Er muss erst durch den in England ausgebildeten Stückjunker Stuckner davon überzeugt werden, dass es nicht an der Eisenqualität des Harzes, sondern dem besseren Wissen um Verarbeitungsmethoden liegt. Der sonst Neuerungen und technischem Fortschritt sehr aufgeschlossene General der Artillerie Braun, der auf private Rechnung die Pulvermühle bei Harburg betreibt, weigert sich, eine Pulverprobe nach England zu senden. Er habe gerade erst mit der Pulverproduktion angefangen, sodass er nicht mit dem besseren englischen Pulver gemessen werden könne. Außerdem vermutet er, dass in England bei der Probe getrickst würde, um sein Pulver schlechter abschneiden zu lassen.355 Statt das gemeinsame Ganze zu verfolgen, ist jeder Amtsträger auf seinen Aufgabenbereich fixiert. Konkurrenz wird als Bedrohung und schädlich angesehen.
2.6. Wissensmanagement und Durchdringung des Raums Am Beispiel der schon mehrfach erwähnten Barchend-Fabrik in Friedrichshuld in Hinterpommern soll dargelegt werden, wie der Instanzenweg lief bzw. wie Wissen zwischen der Hinterpommerschen Provinz und der Berliner Zentrale hin und her wechselte. Anfang Januar 1776 erfährt Friedrich II., dass es Probleme mit der besagten Barchend-Fabrik gibt und fragt bei dem Erben Valentin 355 Generalleutnant Braun an die Kriegskanzlei vom 18. November 1773, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 5–10.
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Georg Anton von Massow schriftlich an, warum er die mit königlichem Privileg ausgestattete Fabrik seines 1775 verstorbenen Vaters nicht fortführen wolle. Dieser antwortet einen Monat später und berichtet von den Problemen, die zum Rohstoffmangel und letztlich Stillstand der Fabrik geführt hätten.356 Der König gibt daraufhin an das für Wirtschaftsfragen zuständige V. Departement des Generaldirektoriums den Auftrag, eine Untersuchung anzustellen und einen geeigneten Mann zu finden, der sich der Sache annehmen soll.357 Noch am gleichen Tag gibt das V. Departement den Auftrag an die Pommersche Kriegsund Domänenkammer in Stettin weiter. Anderthalb Monate später, am 10. April, fragt das V. Departement nach, warum immer noch keine Antwort eingegangen sei und erhält die Entschuldigung bzw. den Verweis, dass man den Auftrag erst am heutigen Tag, dem 20. April, an das zuständige Kösliner Deputations Collegio weitergeleitet habe. Diese Post- bzw. Bearbeitungszeit Berlin – Provinz von etwa/frühestens zehn Tagen zieht sich durch den gesamten Schriftverkehr, während Briefe innerhalb Berlins bzw. Potsdams etwa/mindestens zwei Tage brauchen, bis eine Antwort abgeht. Auch Antwortschreiben zwischen London und Hannover erfolgen etwa/frühestens nach neun bis zehn Tagen, während Hannover – Herzberg fünf Tage benötigt. Der ausführliche Untersuchungsbericht des Kriegs- und Domänenrats Lüdemann358, dem Protokolle seiner Verhöre, die er mit sämtlichen an der Fabrik Beteiligten vor Ort zwischen dem 11. und 19. April geführt hat, angeheftet sind, geht mit Begleitschreiben vom 24. April von der Kösliner Kammer-Deputation an die Pommersche Kammer in Stettin.359 Diese versieht den Bericht mit einem weiteren Begleitschreiben mit Handlungsempfehlung vom 7. Mai und leitet ihn weiter an das V. Departement in Berlin. Sie schlagen vor, den bisherigen Fabrikinspektor Jeremias Stephanus Roussel mit der Wiederaufnahme der Fabrik zu betrauen. Dieser begibt sich daraufhin nach Berlin und verhandelt mit dem V. Departement, welche Förderungen er von Seiten der Obrigkeit hierfür bekommen kann. Da er für eine nötige finanzielle Unterstützung weder über Sicherheiten noch Bürgen verfügt, bietet er an, jedes Jahr einem Amtmann seine
356 Von Massow an Friedrich II. vom 10. Februar 1776, indem er auf die Anfrage des Königs vom 10. Januar 1776 verweist, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 3. 357 Friedrich II. an das V. Departement vom 21. Februar 1776 in: ebd., S. 2. 358 Johann Georg Ludwig Lüdemann (1736–1805) Rolf Straubel, Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740–1806/1815, 1. Bd., München 2009, S. 599. 359 Abschlussbericht des Lüdemann vom 20. April 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 39–48, nebst Protokollen ebd., S. 14–38 und Begleitschreiben aus Köslin vom 24. April 1776 in: ebd., S. 9–13 und Begleitschreiben aus Stettin vom 7. Mai 1776 in: ebd., S. 8.
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Bücher offen zu legen, um damit Rechenschaft über den königlichen Kredit zu geben.360 Das V. Departement erstellt einen zusammenfassenden Bericht für Friedrich II. mit einer klaren Empfehlung, dem Roussel den Zuschlag zu geben. Der König antwortet zwei Tage später, er werde die Resolution aufsetzen, sobald er aus Preußen zurück sei. Auf dem Entwurf des königlichen Schreibens ist ein Vermerk des Ministers von Borcke vom 5. Juni, dass dem Roussel mitzuteilen ist, dass er positiv beschieden werde, sich aber bis zur Rückkehr seiner Majestät gedulden müsse.361 Die Informationen der Untersuchung vor Ort werden damit durch die Instanzen – mit heutigen Worten Kreisstadt, Provinz- bzw. Landeshauptstadt, dem Ministerium in der Hauptstadt und dem Souverän – weitergereicht, wobei sie jeweils mit einer Handlungsempfehlung an die nächsthöhere Ebene aufbereitet bzw. angepasst werden. In diesem Fall dringt der Lüdemann zum Wohl der in der Fabrik arbeitenden 116 Seelen und zuliefernden Spinnerfamilien, diese unbedingt zu erhalten und mit königlichen Geldern aufzuhelfen. Die Kösliner Kammer-Deputation empfiehlt, den von Massow einzusetzen, da er mit seinem Grundbesitz für die königlichen Gelder haften könne, während sich die Stettiner Kammer für den Roussel ausspricht, da er fachlich geeigneter wäre als der Massow. Dieser Meinung schließt sich das V. Departement zunächst an und setzt in der Folge Briefe auf, in denen sowohl dem Roussel, der Stettiner Kammer und der Kösliner Kammer-Deputation die Entscheidung des Königs mitgeteilt wird. Es kommt aber nicht zur Ausführung, wie auch diese drei Briefe nicht abgegangen zu sein scheinen, da sich auf ihnen die Notiz des Ministers befindet, alles ruhen zu lassen, bis sich ein neuer Interessent, der über die besten Zeugnisse verfüge, erklärt habe.362 Dieser, Johann Georg Forckel, der zuvor 18 Jahre lang als Fabrikinspektor der Vernezoberschen Barchend-Fabrik bei Neustadt-Eberswalde tätig war, wendet sich mit einem Angebot und mehreren Empfehlungsschreiben an den König und bittet, ihm die Barchend-Fabrik zu übertragen.363 Der Brief des Forckel ist an den König adressiert, wird aber gleich dem zuständigen Minister zugestellt. Die Verhandlungen zum Übernahmevertrag zwischen dem Fabrikbesitzer von Massow, der den Ernst der Lage, dass ihm seine Fabrik weggenommen werden soll, erkennend nach Berlin eilt und dem potentiellen neuen Fabrik360 Ergebnisprotokoll des Gesprächs in Gegenwart des »Commissaire General de Commerce Herrn Baron von Borcke« vom 20. Mai 1776 in: ebd., S. 50. 361 V. Departement an Friedrich II. vom 28. Mai 1776 und dessen Antwort vom 30. Mai 1776 in: ebd., S. 54 und 53. 362 Angehefteter Zettel des Ministers S. 60 auf den drei Berichten vom 19. Juni 1776 in: ebd., S. 61–64. 363 Forckel an Friedrich II. vom 30. Juni 1776 in: ebd., S. 65–67.
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pächter Forckel finden im V. Departement in Berlin im Juli/August 1776 statt, wobei sich die Protokolle in der Akte erhalten haben. Als Ergebnis der Verhandlungen setzt das V. Departement Mitte August die Rahmenlinien für eine Konzession der Fabrik fest. Diese werden vor Ort vom Beauftragten Lüdemann, mit Massow und Forckel weiter ausgehandelt, wobei auch die Arbeiter der Fabrik gehört werden.364 Am 29. Oktober 1776 wird eine Reinschrift der Konzession aufgesetzt, die mit gleichem Datum vom Minister von Borcke an Friedrich II. übersandt wird, mit dem Hinweis, dass endlich eine Lösung für die Friedrichhuldsche Fabrik gefunden wurde.365 Aus diesem Vorfall lässt sich herauslesen: Die Förderung durch die Obrigkeit – neben dem ursprünglich dem Vater Massow gegebenen Privilegien und dem Startkredit erhält die Fabrik auch weitere Vergünstigungen und Rechte – wird vom V. Departement in Berlin im Einzelfall ausgehandelt, wobei die Beteiligten persönlich zugegen sind. Der König ist nur indirekt beteiligt, als er ursprünglich den Auftrag zur Untersuchung gegeben hat und sich in der Präambel der Konzession auf seine landesväterliche Huld berufen wird, Gelder zur Verfügung gestellt zu haben. Die Bittsteller wenden sich in ihren Schreiben zwar persönlich an Seine Königliche Majestät – der erhält die Gesuche allerdings nicht selbst, sondern das V. Departement antwortet in dessen Namen. Die Ausgestaltung findet vor Ort durch den lokalen Amtmann statt. Er kennt die Begebenheiten in der Provinz, stellt Untersuchungen an und gibt Handlungsempfehlungen ab. Der Instanzenweg Forckel bzw. Lüdemann – Kösliner Kammer-Deputation – Pommersche Kammer – V. Departement – König wird auch in den folgenden Jahren eingehalten, wobei der König selbst kaum beteiligt wird. Kommt es zu direktem Kontakt zwischen der Fabrik und dem V. Departement werden die Zwischeninstanzen zumindest informiert. Der ursprünglich von Roussel stammende Vorschlag, die Fabrik einmal jährlich einer Revision zu unterziehen, wird auch dem Forckel auferlegt, wobei der betreuende Rat Lüdemann mindestens für zwanzig Jahre bis 1795 die Untersuchung übernimmt.366 Er ist dabei nicht nur Vertreter der Obrigkeit gegenüber dem Fabrikpächter, sondern tritt auch als Vermittler zwischen diesem, seinen Arbeitern und dem Grundherrn von Massow auf. Gegenüber dem V. Departement tritt er als Fürsprecher für die Fabrik auf. So beantragt er weitere Fördermaßnahmen bzw. befürwortet Anträge des Forckel durch positive Stellungnahmen. Als das 364 Z. B. Stellungnahme der Weber und Arbeiter zum Übernahmevertrag vom 11. September 1776 in: ebd., S. 181. 365 Konzession vom 29. Oktober 1776 in: ebd., S. 190–194 und Begleitschreiben an Friedrich II. in: ebd., S. 195. 366 Bericht des Nachfolgers Zschock, der angibt, seit 1796 zweimal jährlich die Fabrik kontrolliert zu haben, vom 9. Juli 1803, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 4, S. 28.
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V. Departement versucht, deren in der Konzession zugestandene Privilegien zu beschneiden, wie im Kapitel zum Ende der individuellen Förderung beschrieben wird, verteidigt Lüdemann diese erfolgreich etwa mit Verweis auf die abgelegene Lage der Fabrik. Diese Mittlerfunktion der lokalen Amtsträger lässt sich auch an anderer Stelle beobachten. Um einen für beide Seiten – Wollproduzenten und Tuchfabrikanten – erträglichen Wollpreis auszuhandeln, wird 1717 eine Konferenz in Berlin anberaumt, auf der der Wollpreis für die kommenden sechs Jahre festgelegt werden soll. Die Kreise sollen Deputierte schicken, die für die ihnen unterstehenden Schäfer verhandeln sollen. Diese kommen der Einladung jedoch nicht nach, sondern bitten um Aufschub. Der Fall betreffe jeden, der eine Schäferei habe und diese müssten alle um Erlaubnis und Instruktion gefragt werden, was bei der Weitläufigkeit der Kreise viel Zeit in Anspruch nehme.367 Es offenbart sich eine Amtsauffassung der Landräte, die sich nicht nur als Stellvertreter des Königs in der Provinz ansehen, sondern auch als Interessenvertreter ihrer lokalen Untertanen gegenüber der landesherrlichen Verwaltung. Dieses Bild deckt sich mit der These von Löffler, die feststellt, dass die Amtmänner Mittler zwischen Bevölkerung und Regierung seien. Sie würden nicht zerrieben, sondern minderten die Reibung.368 Wolfgang Neugebauer stellt fest, dass es gerade die symbiotische Verquickung zwischen der Krone und ihren regional und lokal verwurzelten Amtsträgern war, die es möglich gemacht habe, mit wenigen 100 Personen die Verwaltung aufrechtzuerhalten. Er widerspricht damit der Auffassung, dass es dem (preußischen) Monarchen gelungen sei, durch die Einrichtung eines Militärstaates die ständischen Reservatsrechte auszuschalten und damit den Weg zu einem Einheitsstaat zu ebnen.369 Susanne Friedrich geht in die gleiche Richtung, wenn sie feststellt, dass die Obrigkeit in der Residenz das eigene Herrschaftsgebiet nicht kennen würde und auf die Informationen und Zusammenarbeit mit lokalen Amtsträgern angewiesen sei.370 367 Antwort des Syndikus der Neumark für alle Landräte am 5. August 1717 als Antwort auf die Einladung zur Konferenz vom 25. Juli 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 70. 368 Ursula Löffler, Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen, Zum Aufgabenprofil dörflicher Amtsträger in der Frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve, Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht, Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen, 1600–1850, Berlin 2001, S. 101–120, hier S. 118. 369 Wolfgang Neugebauer, Staatsverfassung und Heeresverfassung in Preußen während des 18. Jahrhunderts, in: Peter Baumgart, Bernhard R. Kroener, Heinz Stübig (Hrsg.), Die preußische Armee, zwischen Ancien R8gime und Reichsgründung, Paderborn 2008, S. 27– 44, hier S. 29. 370 Susanne Friedrich, Zu nothdürfftiger Information. Herrschaftlich veranlasste Landeserfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Alten Reich, in: Dies., Arndt Brendecke, Markus
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Diese Bedeutung war auch einigen zeitgenössischen Entscheidungsträgern schon bewusst. 1769 fragt Georg III. die königliche Regierung in Hannover, wie es um die Wirtschaft in ihrem Verantwortungsbereich bestellt sei und welche Maßnahmen zur Förderung der Fabriken ergriffen würden. Für die Regierung antwortet der Geheime Rat von Münchhausen, da die Fabriken weder einheitlich aufgebaut noch betrieben werden könnten, käme es vor allem auf die Amtmänner vor Ort an. Um deren Eigeninitiative zu befördern, hätten sie Prämien ausgelobt für Verwaltungsangestellte, die sich bei der Förderung der Fabriken hervortun würden. Ziel sei es, den geringen Mann auf dem Land in Arbeit zu bringen.371 Die vielen Ebenen bergen zwar gerade bei den langen Postlaufzeiten die Gefahr, dass Prozesse verschleppt werden, gewährleisten aber, dass die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Die Dekonstruktion der Zentralstaatlichkeit ist damit kein Aufzeigen der Mängel der ungeordneten frühneuzeitlichen Welt des 18. Jahrhunderts, sondern deren Lösungsansatz.
2.6.1. Fabrikgerichte Die vom Grundherrn von Massow bei Gründung der Barchend-Fabrik erlassene Innungs- und Gildeordnung wird nach dem Besitzerwechsel aufgehoben und durch eine »Policey der Fabrique« ersetzt.372 Mit ihr werden die Fabrikangehörigen aus der Grundherrschaft des Massow, der aber weiterhin als Vermieter im Besitz der Fabrikgebäude bleibt, herausgelöst und der Rechtsprechung der Kammer-Deputation in Köslin unterstellt. Eine Praxis, die wie im Folgenden am Beispiel der Grätzelschen Tuchfabrik in Göttingen gezeigt wird, der Tatsache geschuldet ist, dass sich die Fabrikinspektoren und -Direktoren in ihren Fabriken gegenüber ihren Arbeitern – ehemals selbstständigen Meistern – zunächst Respekt verschaffen müssen. Hierzu erscheint es der wirtschaftsfördernden Obrigkeit sowohl in Preußen wie Hannover angebracht, die Fabrikarbeiter aus der herkömmlichen Gerichtsbarkeit – in Göttingen der Stadt, in Hinterpommern des Gutsbesitzers – zu entlassen und eine eigene Gerichtsbarkeit zu schaffen, die den Fabrikinspektor bzw. Direktor darin unterstützt, seine Position auszufüllen. Diese bekommen damit zur rechtlichen Durchsetzung der Arbeitsverträge Friedrich (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit, Status, Bestände, Strategien, Berlin 2008, S. 301–334, hier S. 302. 371 Königliche Kammer an Georg III. vom 28. September 1769, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 10. 372 Vertrag über die »Policey der Fabrique« zwischen von Massow, Forckel und Lüdemann vom 11. September 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 175–180.
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und Qualitätsstandards ein lokales Sanktionsinstrument an die Hand gegeben. In Göttingen wird 1743 ein Fabrikgericht eingerichtet, dem alle für die »Grätzelsche Camelott-Fabric nebst der damit verknüpften Montirungs-Fabric« arbeitenden Personen unterstehen. Auf ihm werden die Arbeiter auf ihre Arbeitsverträge vereidigt. Es dient zum einen den Arbeitern als Beschwerde- und Hilfsinstanz gegenüber dem Fabrikbesitzer – mit der Einschränkung: solange sie ihre Arbeitsverträge einhalten – und soll auf der anderen Seite eine Verfahrensverschleppung und damit einen Stillstand der Fabrik verhindern. Das Fabrikgericht hat deshalb die Befugnis, ohne Rückfrage in Hannover eigenständig zu entscheiden. Die Strafen sind der Landesregierung zur Durchsetzung anzuzeigen. Beim Gericht ist ein Schauamt aus zwei oder drei sachverständigen Männern zu bilden, das die Waren auf Fehler beschaut und nach einem festen Schlüssel Strafen verhängt. Bei Arbeitsantritt ist dieser Fehler- und Strafenkatalog jedem Meister auszuhändigen. Die Geldstrafen sind zur Hälfte in die Armenkasse und zur Hälfte der Fabrik als Ausgleich für den Rufschaden zu zahlen. Wer gegen seinen Vertrag verstößt und »die Arbeit aus neglienz oder Boßheit zu verderben« sucht, wird vom Fabrikgericht beim ersten Mal mit vier Wochen Gefängnis-Strafe halb zu Wasser, halb zu Brot belegt und anschließend belehrt. Bleibt es beim Fehlverhalten, ist bei der Geheimen Ratsstube in Hannover Resolution einzuholen.373 Das Fabrikgericht ist nicht neutral und unabhängig im heutigen Sinne eines Gerichts. Das war aber auch das Justizsystem an sich nicht.374 Es ist jedoch ein Garant dafür, dass der Fabrikbesitzer seine Arbeiter nicht willkürlich behandeln kann, sondern sich ebenfalls an Verträge zu halten hat. Es gibt festgelegte und veröffentlichte Regeln und mit der Landesregierung eine Vollstreckungsinstanz, bei der auch Berufung eingelegt werden kann. Die Möglichkeit der Berufung bzw. der Beschwerde über eine als ungerecht empfundene Behandlung bei der nächsthöheren Instanz lässt sich an vielen Stellen nachweisen. Diese löst daraufhin immer – bzw. es sind nur Fälle überliefert, die bearbeitet wurden – eine Prüfung durch eine Kommission oder einen Beauftragten aus, der sich vor Ort ein Bild zu machen hat. So wird, wie in dieser Arbeit beschrieben, etwa ein Pulverturm nicht weiter als Lagerstätte genutzt, 373 Verfassung des Fabrikgerichts vom 19. August 1743, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 3287, o.S. 374 Die Unterwerfung der Justiz unter die Kontrolle der Regierungs- und Verwaltungsapparate und die Schaffung eines homogenen Rechtssystems als Voraussetzung für die Gleichheit vor dem Gesetz und damit die Werdung eines Staatsvolks »war wahrscheinlich erst um 1750 zu einem vorläufigen Höhepunkt gelangt.« Christian Wieland, Verstaatlichung und Homogenisierung, Justiznutzung und Privilegierung, Das frühneuzeitliche Rechtssystem als Motor und Hindernis von Staatlichkeit, in: Ders., Peter Eich, Sebastian Schmidt-Hofner (Hrsg.), Der wiederkehrende Leviathan, Staatlichkeit und Staatswerdung in Spätantike und Früher Neuzeit, Heidelberg 2011, S. 181–204, S. 200.
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weil sich die Anwohner über die Explosionsgefahr und den uneinsichtigen Stadtkommandanten bei der Kriegskanzlei beschweren375 oder ein neues Reglement für die Unteroffiziersausrüstung erlassen, nachdem sich ein Sergeant bei der Kriegsgerichtskommission über eine ungerechte Behandlung durch seinen Regimentskommandeur beschwert.376 Schon zuvor hatte der Grätzel darum gebeten, von der Amtsjurisdiktion ausgenommen zu werden. Grätzel betrieb seine Fabrik nicht nur in Göttingen, sondern hatte auch Betriebsstandorte in der Umgebung, die zum Teil anderen Rechtsbereichen unterstellt waren. So hatte er sich beschwert, dass seine Walckmühle in Grone vor den Toren Göttingens der Gerichtsbarkeit des Amtes Münden zugehörig sei. Würden seine Arbeiter nun vor Gericht geladen, müssten sie ins drei Meilen entfernte Münden und die Arbeit würde stillstehen.377 Vor Einrichtung des Gerichts hatte die Landesregierung mehrfach Ermahnungen an den Bürgermeister und Rat der Stadt Göttingen ausgesprochen, dass sie die Arbeiter zu ermahnen haben, »daß so lange Sie, Tuch und Zeugmacher, von einem Entrepreneur Arbeit unter Händen haben Sie sich in allen Stücken nach dem vom Entrepreneur schrift- oder mündlich mit ihnen errichteten accord richten«. Es ging dabei um Beschwerden des Fabrikdirektors über seine Arbeiter, die Waren unterschlagen und auf eigene Faust verkaufen würden und zu wenig Öl für das Wachstuch nehmen würden, was zu schlechter Qualität führe. Durch die langwierigen Untersuchungen des Gerichtsschulzen der Stadt würden die Arbeiter darauf spekulieren, dass ihre Taten in Vergessenheit geraten.378 Sie werden aufgefordert, das Monopol des Grätzel, das es keinem außer ihm erlaubt, in Göttingen und Umgebung Camelotte herzustellen, durchsetzen zu helfen.379 Verboten wird rufschädigendes Verhalten. Grätzel klagt beim Gericht, dass sein ehemaliger Angestellter am Sonntag auf dem Apothekergarten bei einem Krug Bier ausgerufen habe »Vivat Hr. Küster in Bovenden, es sterbe der Commissarius Grätzel der Betrüger«. Dabei waren viele seiner Meister und Gesellen zugegen.380 So wird in der Verfassung des Fabrikgerichts das Abspenstig-Machen von Arbeitern als ein Straftatbestand definiert, der mit Haft, hoher Geldstrafe, Karrenschieben oder Zuchthaus belegt wird. Der Grätzel erhält mit dem Fabrikgericht eine Instanz an die Seite gestellt, 375 Vgl. den Abschnitt zu Lagerung und Haltbarkeit. 376 Vgl. den Abschnitt zu königlichen Kassen als Versicherung. 377 Geheime Ratsstube an die königliche Kammer vom 29. Dezember 1734, in: HStA H, Hann. 74 Münden, Nr. 826, o.S. 378 Königliche Regierung an den Bürgermeister und Rat der Stadt Göttingen vom 15. November 1735, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 3287, o.S. 379 Königliche Regierung an das Amt Göttingen vom 27. Juni 1741 in: ebd., o.S. 380 Grätzel an das Göttinger Gericht vom 16. Juni 1741 in: ebd., o.S.
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nicht nur um Ansprüche gegen ihn abwiegeln, sondern um seinen Willen durchsetzen zu können, seien es die Arbeitsverträge gegenüber den eigenen Angestellten oder das Monopol gegen die Konkurrenz. Ein gleichgelagertes Gericht ist auch bei der Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau eingerichtet.381 Mit gleicher Stoßrichtung haben die Betreiber des Berliner Lagerhauses ein Gericht aufgestellt, mit dessen Hilfe, so beschwert sich ein Leidtragender, der Kontakt der Arbeiter mit Wollproduzenten und Kunden unterbunden werde, um sie vom Lagerhaus abhängig zu machen.382 Neben den extra für die Belange der Fabrikbetreiber eingerichteten Gerichte ist das Versprechen des Rechtsschutzes ein Lockmittel. In einem gedruckten Edikt, das zur Anregung der heimischen Wirtschaft Ausländer zur Gründung einer nützlichen Handlung im eigenen Herrschaftsbereich anregen möchte, wird unter anderem damit geworben, dass Neubürgern Schutz und Schirm gegen Magistrat und Privatpersonen, die sie behindern sollten, zuteil wird.383
2.6.2. Marktanalyse und Fragenkataloge Untertanen können auf Marktanalysen der Verwaltung zurückgreifen, wobei diese vor allem die Begrenztheit des Wissens der Verwaltung aufzeigen. Nachdem die Barchend-Fabrik des Daum Junior zahlungsunfähig ist, führt dieser als einen Grund dafür eine Fehlanalyse des Generaldirektoriums an. Er habe vor Anlegung seiner Fabrik das Generaldirektorium um eine Marktanalyse gebeten. Dieses habe ihm für die Mark Brandenburg 64 Barchend-Webstühle angezeigt, woraufhin er seine Fabrikkapazitäten entsprechend dem Landesbedarf vermehrt habe. Diese Zahl habe sich aber als viel zu niedrig erwiesen. Der vom König eingesetzte ›Insolvenzverwalter‹ kommt zu dem Ergebnis, dass Daum zu viele Meister und Spinner eingestellt habe und seine Waren nicht abgesetzt bekomme.384 Die Nutzung von Verwaltungswissen für private Unternehmungen scheint nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein. In den untersuchten Quellen ist keine Weigerung oder nur Bedenken gegen die Herausgabe von Wirtschaftskennzahlen zu erkennen gewesen. Der Splitgerber als Betreiber der Messer- und 381 Wilhelm Treue, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 524. 382 Denkschrift ohne Datum und Autor, in der sich über die Machenschaften des Lagerhauses beschwert wird, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 84ff. 383 Gedrucktes Edikt Georgs I. vom 1./12. Juli 1718, in: HStA H, Hann. 74 Bleckede (w), Nr. 192, S. 4ff. 384 Daum an Friedrich II. vom 23. Februar 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F 4, S. 53 und Splitgerber unterm gleichen Datum in: ebd., S. 54.
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Scheren-Fabrik in Neustadt-Eberswalde lässt sich vom V. Departement berichten, wie hoch die Einfuhr an schneidenden Waren in den letzten drei Jahren jeweils war. Dieses fordert daraufhin von den für die Provinzen zuständigen Kriegs- und Domänenkammern Auszüge aus den Akzise-Büchern der Provinzstädte an.385 Der Baron von Vernezober erfragt beim Generaldirektorium den Krapp-Verbrauch in den Provinzen während der letzten sechs Jahre.386 Aus dem Untersuchungsansatz bzw. den Antworten, die zum Teil erst nach mehrmaligem Nachfragen eingehen, ist die Schwierigkeit ersichtlich, eine derartige Aussage im 18. Jahrhundert zu treffen. Eine Möglichkeit boten die bei der Eintreibung der Akzise – einer Mischung aus Zoll und indirekter Verbrauchssteuer – anfallenden Daten. An den Stadttoren kontrollierten Akzise-Bediente die ein- und ausgehenden Waren. Gegen die Entrichtung der festgelegten Abgabe wurde die Ware mit einem Akzise-Siegel versehen und ins Akzise-Buch der Stadt eingetragen. Die Antworten sowohl für Krapp als für schneidende Waren erfolgten nach keinem einheitlichen Muster, was eine landesweite Zusammenfassung der Ergebnisse erschwerte bzw., da sich zudem weite Teile des Landes außerhalb der Städte dem Wissen der Obrigkeit entzogen, reichlich ungenau machte. Hier, wie Blesgen und Welter dies bei ihrer Lobeshymne auf indirekte Verbrauchssteuern tun, »die steuertechnisch einfache Erhebung« als Vorteil der Akzise zu sehen, die »damit das Problem der direkten Steuern, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuersubjekts adäquat zu identifizieren«, umgehen würde, spricht mehr für das Wunschdenken nach einer Vereinfachung des Steuersystems im Jahr 2006 als der Lage im 17. und 18. Jahrhundert.387 Ausgemachtes Ziel der jeweiligen Marktanalysen waren in Aussicht gestellte Einfuhrverbote, die nur erteilt wurden, wenn die Deckung des heimischen Bedarfs nachgewiesen werden konnte. Die Aussicht darauf lässt sich Splitgerber gleich im Pachtvertrag bestätigen. In Artikel 16 heißt es, sobald die Messer- und Scheren-Fabrik den heimischen Bedarf decken könne, würde die Einfuhr ausländischer Waren verboten.388 Das Wissen der Verwaltung soll auf Nachfrage für einen konkreten wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmers genutzt werden. Neben der durch Untertanen angestoßenen, gezielten Nachfrage wurde von 385 V. Departement an die Kammern der Neumark, Pommern, Königsberg, Gumbinnen, Magdeburg, Halberstadt und Minden vom 13. Dezember 1752, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 30ff. 386 Anfrage des Baron von Vernezober an das Generaldirektorium vom 26. Oktober 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 161 und dessen Anfrage an alle Kammern vom 31. Oktober 1758 in: ebd., S. 163. 387 Detlef J. Blesgen, Ralf P. Welter (Hrsg.), Der Akzise-Streit, Schriften zur finanztheoretischen Kontroverse deutscher Frühkameralisten, Hildesheim 2006, S. 14f. 388 Vertrag zwischen dem V. Departement und David Splitgerber vom 2. Februar 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 75–81, hier Art. 16.
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der Verwaltung versucht, durch Fragebögen einen Überblick des Wirtschaftsgeschehens zu bekommen.389 Als 1786 in Kurhannover ein »Königlich Großbritannisches und Churfürstlich Braunschweig-Lüneburgisches CommerzCollegium« gegründet wird, mit der Aufgabe, »die zu dem Commerz- Fabrickund Manufactur-Wesen in Allerhöchst Deroselben deutschen Landen gehörenden Angelegenheiten« zu regeln, ist eine der ersten Amtshandlungen des neuen Ministers die Einleitung einer umfangreichen Bestandsaufnahme. Ziel des Fragenkatalogs, der gedruckt und an alle Ämter verteilt wird, ist es, einen Überblick über bestehendes Gewerbe zu bekommen und sollte dies nicht vorhanden sein, Entwicklungspotentiale zu erkennen bzw. aufzuzeigen. Nach Angaben zu Einwohnern, aufgelistet nach Beruf, »wobei extra die Tagelöhner, arbeitende Weibs Personen, Kinder unter 14 Jahren beyderley Geschlechts und Schutz Juden« aufzuführen sind, sollen Ackererzeugnisse mit Menge und Verbrauch angegeben werden. Sollte eines der angeführten Erzeugnisse nicht angebaut werden, wird nach Gründen für den Nichtanbau gefragt. Es folgen in gleicher Fragestellung die »Producten des Thierreiches« und »Producten des Steinreiches«, ehe sich Handel und Gewerbe zugewandt wird, was Art und Zustand der Handelsrouten und Frachtstraßen genauso umfasst wie die Frage, ob der Im- und Export über Hamburg oder Bremen laufe. Zu Handel und Gewerbe wird gefragt: »69) Was sind in dasigem Gerichtsbezirke für Manufacturen und Fabriken vorhanden? Eine jede ist namhaft anzuzeigen, und so viel man zu erfahren im Stande seyn wird, ist dabey zu bemerken, welche Quantität Waaren in dem letzten Jahre verfertigt worden? Woher die rohen Materialien dazu genommen werden? wie viele Personen bey jeder Fabrik und Manufactur arbeiten? Wie theuer die Waaren verkauft werden= wohin ihr stärkster Debit ist? 70) Sind Fabriken oder Manufacturen vorhanden, die binnen den letzten Zehn Jahren eingegangen sind, oder dermahlen nicht betrieben werden, und was ist bey jeder die Ursache davon?«
Der Aktenbestand des Kommerzkollegiums ist laut Findbuch beim Bombenangriff auf Hannover 1943 vernichtet worden.390 Es sind aber in einigen angeschriebenen Ämtern – etwa Göttingen391, Hameln392 oder Harburg393 – die 389 Friedrich beschreibt die Versuche der Obrigkeit, durch standardisierte Fragebögen Informationen über die Zustände des eigenen Herrschaftsbereichs zu erhalten. Susanne Friedrich, Zu nothdürfftiger Information. Herrschaftlich veranlasste Landeserfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Alten Reich, in: Dies., Arndt Brendecke, Markus Friedrich (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit, Status, Bestände, Strategien, Berlin 2008, S. 301–334. 390 Vorwort Findbuch HStA H, Hann. 33 Geheime Räte/Kommerzkollegium: Kommerzsachen. 391 Hieraus alle Zitate, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 3221. 392 HStA H, Hann. 74 Hameln, Nr. 3070. 393 HStA H, Hann. 74 Harburg, Nr. 1387.
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Antwort-Entwürfe überliefert, in denen allerdings auf diese Fragen gar nicht oder nur sehr dürftig eingegangen wird. Diese Beschränktheit der Antworten bestätigt die These von Justus Nipperdey, dass die Versuche der Obrigkeit, durch Fragenkataloge Wissen über Zustände, Geschäftsbeziehungen und Preise zu erhalten, in den Ansätzen stecken blieben. Die rücklaufenden Antworten hätten nur eine beschränkte Aussagekraft, was auch teilweise den zeitgenössischen Fragenstellern schon bewusst gewesen sei.394 Die Befragten beriefen sich auf Geschäftsgeheimnisse und verweigerten die Offenlegung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten. So war in dem oben zitierten Fragebogen bereits die Möglichkeit vorhanden, sensible Geschäftsdaten vertraulich zu behandeln – »wofern sie Bedenken tragen sollten, Nachrichten von dem Zustande ihrer Handlungen und Gewerbe, durch die dermahlen von Uns gefoderten obrigkeitlichen Berichte anhero gelangen zu lassen, Wir solche gerne von ihnen unmittelbar annehmen wollen, und davon nichts öffentlich werden bekant werden lassen«.
Der Wunsch und Anspruch der Zentrale, alles über die Zustände in der Provinz zu erfahren, sollte als Grundlage dienen, eben keine kleinteilige und auf Einzelfällen beruhende Wirtschaftspolitik mehr zu betreiben, sondern mit Überblick über die Verhältnisse eine Planung aufzustellen. Er scheiterte vielleicht gerade wegen des umfangreichen Ansatzes395, der die Befragten vor Ort mit der Detailliertheit und schieren Masse der Fragen zu allen Aspekten des wirtschaftlichen Lebens schlicht überforderte und zur nicht- oder oberflächlichen Beantwortung der Fragen führte. Wer hier allerdings nur den gedruckten, detaillierten Fragenkatalog betrachtet, kann zu dem Ergebnis einer planenden Zentralverwaltung gelangen. So zum Beispiel Otto Hintze, der für die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg erklärt, »insonderheit auch die industrielle Produktion sollte auf Grund einer Bedarfsstatistik planmäßig geregelt und auf die einzelnen Fabrikunternehmungen verteilt werden.«396 Karl Heinrich Kaufhold 394 Justus Nipperdey, Intelligenz und Staatsbrille, Das Ideal der vollkommenen Information in ökonomischen Traktaten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Arndt Brendecke, Markus Friedrich, Susanne Friedrich (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit, Status, Bestände, Strategien, Berlin 2008, S. 277–300, hier S. 277f, 296. 395 Albrecht stellt einen Übereifer der Beamten bei der Einholung der Daten fest. Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 547. Schlögl stellt fest, dass die umfassende kartographische Aufnahme Bayerns, die wohlfundierte geographische Wissensbasis für die neue Verkehrs- und Wirtschaftsplanung bilden sollte. Der gesamtstaatliche Ansatz scheiterte an den geringen finanziellen und personellen Ressourcen. Daniel Schlögl, Der planvolle Staat, Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750–1800, München 2002, S. 253, 259. 396 Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, 8. Aufl., Berlin 1916, S. 381. Auch Hinrichs, der beschreibt, wie erstmals auf statistischer Grundlage Wirtschaftspolitik betrieben wird. Carl Hinrichs, Die Wollindustrie
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stellt fest, dass es eine offizielle Statistik im heutigen Sinne in Preußen erst seit 1805 und in Kurhannover seit 1851 gegeben habe. Alle Daten davor seien mit Vorsicht zu genießen.397 Anders sah das Ergebnis nach dem Siebenjährigen Krieg aus. Die hannoversche Regierung sendet einen gedruckten Fragenkatalog an alle Stadtoberen aus: »Da Wir nach nunmehro wieder hergestellter Ruhe zu wissen begehren, wie der dermahlige Zustand der Manufacturen in den hiesigen Städten beschaffen sey«. Sie geben ihm aber den Schwerpunkt, wie sich die Lage vor und nach dem Krieg verändert hat und welche Verbesserungsvorschläge die Fabrikanten haben, wie ihnen geholfen werden kann.398 Damit haben die Stadtoberen und Fabrikanten zunächst die Gelegenheit, sich ihren Frust über Einquartierungen, Sonderzahlungen und Zerstörungen des Krieges von der Seele zu schreiben und im Anschluss persönliche Vorschläge zu machen, wie ihnen geholfen werden kann. Wieweit diese Vorschläge umgesetzt wurden, lässt sich heute nur schwer ergründen. Zumindest der Umfang der Antworten war deutlich größer. Diese Fragestellung entspricht viel mehr dem Bild frühneuzeitlicher Wirtschaftspolitik, die eben nicht von oben einen für alle gültigen Generalplan aufstellte, sondern sich einzelner, ihnen vorgebrachter Initiativen der Betroffenen annahm. Die Politik der Leuchtturmprojekte ist die Antwort auf starke regional-differenzierte, historisch-gewachsene Rahmenbedingungen, die mit den frühneuzeitlichen Informationsmitteln nicht zu erfassen und abzubilden waren sowie der Begrenztheit der finanziellen Mittel. Diese individuelle Förderpraxis hat zur Folge, dass auch die Entscheider nicht immer wissen, was sie wem gewährt haben. Es fehlt eine Struktur, die Entscheidungen des Königs und der Verwaltung für die künftigen Thronerben und Angestelltengenerationen zugänglich zu machen. Dieses mangelhafte Wissensmanagement ist schon Ende des 19. Jahrhunderts thematisiert worden. So stellt Ernst von Meier fest, dass die Grundlage der hannoverschen Verwaltung zur Zeit der Personalunion das Reglement von 1714 bildete. Dieses sei aber, so Meier, allmählich in Vergessenheit geraten, sodass seit Mitte des Jahrhunderts alles auf Observanz beruhe.399 Zur gleichen Zeit – nach dem Siebenjährigen Krieg – schreibt Friedrich II. an das Generaldirektorium. Er erinnere sich, dass er seit seinem Regierungsantritt 1740 verschiedenen Leuten Häuser und Baumaterialien geschenkt habe, um in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 141. Für Kurhannover Walter Höttemann, Die Göttinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1931. 397 Karl Heinrich Kaufhold, Markus A. Denzel (Hrsg.), Historische Statistik des Kurfürstentums/Königreichs Hannover, St. Katharinen 1998, S. 3. 398 Gedruckter Fragenkatalog der hannoverschen Regierung an alle Stadtoberen vom 6. Dezember 1762, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 1. 399 Ernst von Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1680–1866, Leipzig 1898, Bd. 1. S. 168.
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deren Fabriken und Arbeit zu unterstützen. Das Generaldirektorium solle nun über die Kammern und örtlichen Kommissare eine Liste dieser geschenkten Häuser und Baumaterialien aufstellen und wenn diese an eine Auflage oder Bedingung geknüpft waren, prüfen, ob diese weiterhin erfüllt sei. Ausschlag für diese Untersuchung war das an den König getragene Gerücht, dass einige dieser von ihm geförderten Fabriken gar nicht mehr bestehen würden und der Verdacht, dass mit den auf seine Kosten gebauten, ehemaligen Fabrikgebäuden vielleicht sogar Handel getrieben würde.400 Bezeichnend ist, dass sich der König nur auf seine eigene Regierungszeit beruft, obwohl die Vorwürfe sich ja durchaus auch auf Geschenke zu Zeiten seines Vaters beziehen könnten und dass auch hier eine Beschwerde den Ausschlag für Regierungshandeln gibt. Die Antworten aus den Provinzen sind denkbar verschieden. Die gesetzte Frist von einem Monat hält keiner ein. Die letzten Antworten brauchen durch Nachfragen angeregt über ein Jahr401 und spiegeln in Ermangelung einheitlicher Strukturen die Bedeutung der regionalen Amtspersonen wider. So führen einige alle ihnen bekannten Bauunterstützungen auf402, andere vermelden keine Vorkommnisse in den von ihnen verantworteten Kreisen,403 wieder andere fassen die Frage so auf, dass sie nur die des Missbrauchs Verdächtigen oder Überführten anzeigen sollen.404 Der Kriegsrat Nattermöller aus Hamm fasst in der Einleitung zu seiner Auflistung das Problem zusammen. »Weil mir nun seit 1740 bis zu dem Antritt meiner Bedienung in anno 1751 dergleichen Vorfälle nicht bekannt«405. Er hat zwar Erkundigungen eingezogen – bei wem, erwähnt er nicht – und so einen Missbrauchsfall aus seinem Dienstantrittsjahr melden können, letztlich bestätigt aber auch dieser Fall, dass es im ureigenen Interesse des Beschenkten ist, auf seine Privilegien hinzuweisen oder sie in diesem besonderen Fall eben in Vergessenheit geraten zu lassen. Gleichzeitig zeigt er aber auch auf, wie wichtig es war, seine Interessen bei Hof zu vertreten und auf diese hinzuweisen. Was der einen Provinz nützt, kann der anderen die Geschäftsgrundlage oder hier den Absatzmarkt entziehen. In diesem von Nattermöller beschriebenen Fall war ein Stahl- und Eisenfabrikant aus Solingen nach Schwerte gezogen und hatte vom König eine alte Kornmühle und Baumaterialien geschenkt bekommen, wofür er zehn Familien aus dem Bergischen ins Land holen und bei seiner Fabrik be400 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 8. Dezember 1763, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 90, Nr. 8, S. 2. 401 Generaldirektorium an alle Kammern vom 13. Dezember 1763 und dito Fristverlängerung bis Ende Januar vom 3. Januar 1764, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 90, Nr. 8, S. 3f. 402 So die Kurmark vom 8. Oktober 1764 in: ebd., S. 50. 403 So Minden vom 13. Oktober 1764 in: ebd., S. 73. 404 So die Litauische Kammer vom 6. Januar 1764, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 90, Nr. 8, S. 8f. 405 Bericht aus Kleve vom 9. Februar 1764 zusammengefasst im Bericht aus Kleve vom 18. April 1764 in: ebd., S. 37ff, hier S. 41.
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schäftigen wollte. Die Fabrik sei gut gelaufen, bis ein königliches Reskript allen diesseits der Elbe gelegenen Fabriken den Warenabsatz über die Messe in Frankfurt an der Oder untersagt habe. Sein Absatz sei eingebrochen und er habe die Arbeiter wieder entlassen müssen, sodass er die Fabrik derzeit nur mit seinem Sohn und einem Gesellen betreibe. Damit erfüllt er die Voraussetzung für die Schenkung der Kornmühle nicht mehr. Auf Nachfrage gesteht er außerdem, dass er das vom König zur Verfügung gestellte hochwertige Eichenholz weiterverkauft und stattdessen anderes Holz für den Umbau der Fabrik verwendet hätte. Von Seiten der Verwaltung gibt es keine Strukturen, über das persönliche Erinnern der direkt Beteiligten hinaus Verwaltungsentscheidungen für künftige Beamtengenerationen festzuhalten. Soweit die Vorgänge nur mündlich verhandelt wurden, existiert nach Versetzung oder Tod der Beteiligten gar kein Wissen mehr. Nach dem Tod des Oberrüstmeistes und des alten Fabrikinspektors der Herzberger Gewehrfabrik Tanner tauchen Unregelmäßigkeiten auf, die eine Untersuchung nach sich ziehen. Die Rekonstruktion der Geschäftsbeziehungen und Rechnungslegung scheitert aber an fehlenden Aufzeichnungen. Zum Teil war der Geschäftsverkehr mündlich und direkt erfolgt. Zum Teil steht in den Büchern die Auslieferung vermerkt, die Käufer hätten aber auf Nachfrage den Empfang der Ware geleugnet oder die nicht verbuchte Bezahlung versichert. Zusätzlich erschwert werden die Nachforschungen durch die zweimalige Verwüstung durch feindliche Truppen im Siebenjährigen Krieg, in deren Verlauf der Stadtschreiber und Lizent406-Einnehmer von Herzberg von den Franzosen als Geisel mitgeführt wurde.407 Der neue Fabrikinspektor wird daraufhin dazu verpflichtet, dass Auftragseingänge sofort dem Fabrikschreiber zu melden sind, damit dieser für Nachfragen oder Probleme die Schreiben abheften kann. Sollten die Auftraggeber persönlich in Herzberg vorsprechen, hat er trotzdem schriftliche Verträge aufzusetzen.408 Dieser explizite Befehl spricht für die sonst betriebene Selbstverständlichkeit und rechtliche Bindung mündlicher Vertragsabschlüsse. Die reine Aufbewahrung des Schriftverkehrs garantiert zwar nicht, dass die Nachfolger um Vorgänge wissen, schafft aber die Voraussetzung, dass spätere 406 »die Abgaben von den aus= und einpassirenden Waaren, und denjenigen Dingen die zur Consumtion gerechnet werden, in den Hannoverischen Staaten mit dem Nahmen Licent beleget«. Bei deren Erhebung durch Lizent-Einnehmer fällt Verwaltungsschriftgut an. Art. Licent, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 77 (1. Aufl. 1799, 2. Aufl. 1806), S. 534. 407 Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei an Georg III. vom 27. Juli 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 128 sowie vom 15. Juli 1768 in: ebd., S. 78ff. 408 Regulativ der Kriegskanzlei an den Fabrikinspektor Tanner und den Fabrikschreiber Abich vom 22. März 1776 in: ebd., S. 6–10.
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Verwaltungsangestellte und letztlich wir Historiker im Archiv Nachforschungen anstellen können. So etwa 1784 bei der im Kapitel Preispolitik behandelten Beschaffung der Patronentaschen für hannoversche Regimenter. Die Kriegskanzlei lehnt einen Antrag des Kommandeurs der Garde, auch die Koppeln zu den Taschen zu bezahlen, mit dem Hinweis ab, man habe alte Akten durchgesehen und festgestellt, dass zuvor und auch im Jahr 1771 die anderen Regimenter und auch die Garde ihre Koppeln selbst bezahlt hätten. Die Kriegskasse gewähre lediglich einen Zuschuss von 30 Mariengroschen.409 Als die Tochter des oben erwähnten Krapp-Planteurs Krinjans Ribbe elf Jahre nach dessen Tod das V. Departement um die Weiterzahlung von dessen Gehalt bittet, wie ihr versprochen worden sei, wird ihr Gesuch abgelehnt. Sie hätten in den Akten nachgesehen und die Zahlung des Gehalts sei auf drei Jahre begrenzt gewesen.410 Die Bedeutung von Schriftlichkeit und Archivwesen nimmt im Laufe des 18. Jahrhunderts zu. Per Dekret, wie bei der Herzberger Gewehrfabrik gezeigt, werden sie als Reaktion auf konkrete Missstände und Beschwerden eingeführt. Sie ergänzen das bestehende System persönlicher Wissensträger, in dem diese ihr Wissen durch entsprechende Aktenzitate untermauern können, ohne es abzulösen oder gar überflüssig zu machen.
2.7. Spezialisten411 Das nur in Anfängen vorhandene bzw. bei rein mündlicher Geschäftstätigkeit fehlende Archivwesen steigert die Bedeutung einzelner Verwaltungsangestellter (mit gutem Erinnerungsvermögen), die an zentralen Punkten eingesetzt, sich um ihren Aufgabenbereich kümmern bzw. zumindest beteiligt werden. Das Wissen um Abläufe und Geschehnisse ist bei ihrer Person gebündelt. Sie sind die Träger des Gewohnheitsrechts. Diese Verwaltungspraxis spiegelt sich in der zentralen Rolle des brandenburg-preußischen Monarchen als Herzstück der Verwaltung, über dessen Schreibtisch alle wichtigen Vorgänge laufen. Wie aber der Fall der verschenkten Fabrikgebäude zeigt, stellt auch diese Praxis keine Garantie dafür dar, dass er sich im Detail erinnern kann, was er wem geschenkt 409 Kriegskanzlei an den Oberstleutnant von dem Borck vom 6. Dezember 1784, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 78. 410 V. Departement an die Frau des Johann Gottlieb Cranzen geb. Ribbe vom 5. März 1783, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 5. 411 Zunächst hatte der Autor dieses Kapitel mit »Sonderbevollmächtigte« überschrieben, hat sich von diesem Begriff aber wieder distanziert, da es impliziert, dass die Verwaltung eigentlich schon im modernen Sinne aufgebaut sei und hiermit eine Ausnahme beschrieben wird.
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bzw. allgemein angeordnet hat. Er weiß aber zumindest, wen er fragen kann. Antwort des Königs auf die ihm vom Generaldirektorium zugestellte Zusammenfassung: er ist zufrieden, künftig sollten solche Aufstellungen öfter gemacht werden.412 Nicht nur der Monarch ist auf Lebenszeit der Landesherr, sondern auch Funktionen und Dienstposten werden bis zum Tod vergeben und sind mit der Person verknüpft. Exemplarisch sei dies anhand der Personalakten des 1746 als VI. Departement des Generaldirektoriums gegründeten Ministeriums für Magazin, Marsch, Einquartierungs- und Servissachen gezeigt. Als dessen erster dirigierender Minister wird 1746 Heinrich Christoph von Katte ernannt.413 Diese Ernennung wird mit dem Hinweis, dass alle Dinge auf diesem Felde ab sofort an ihn zu adressieren sind, vom Generaldirektorium an alle Kriegs- und Domänenkammern, sämtliche Serviskommissionen, Gouvernements und Kommandanten sowie das Generalproviantamt bekannt gemacht.414 Der Anspruch wird deutlich, alles auf diesem Themengebiet Anfallende bei einer Person zu bündeln, womit auch der König einen klaren Ansprechpartner und Verantwortlichen bekommt. Katte hat diese Aufgabe inne bis zu seinem Tod 1760.415 Die nötige Neubesetzung wird vom Generaldirektorium dazu genutzt, den Aufgabenbereich des VI. Departements zu beschneiden. So werden das Lagerhaus, die Goldund Silbermanufaktur, das Alaunwerk und das Potsdamer Waisenhaus416 dem für Wirtschaft zuständigen V. Departement übertragen, wo sie, wie es heißt, »ihrer Beschaffenheit nach eigentlich hingehören«.417 Desgleichen die »Kartenkassensachen« sowie die »Musikantennahrung«, die dem V. Departement sowie die Chargen- und Stempelgelderkassen, die dem II. Departement zugeschlagen werden.418 Diese Praxis, einmal gegebene Zuständigkeiten erst nach 412 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 23. November 1764, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 90, Nr. 8, S. 72. Dieses hatte die Ergebnisse zusammengefasst, auch wenn einzelne Antworten erst danach eintreffen. 413 Ernennungsschreiben durch Friedrich II. vom 25. Februar 1746, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 1, S. 1. 414 Schreiben des Generaldirektoriums an diese vom 21. Juli 1746 in: ebd., S. 17–20. 415 Todesanzeige des Generaldirektoriums an Friedrich II. vom 23. November 1760 in: ebd., S. 39. 416 Zur Geschichte des Waisenhauses, das nicht im heutigen Wortsinne Waisen aufnahm, sondern sich um die Kinder der Militärbevölkerung allgemein kümmerte, die dort eine Ausbildung erhielten bzw. arbeiten durften/mussten, um sie vor dem als schädlich angesehenen Müßiggang zu bewahren. Bernhard R. Kroener, Bellona und Caritas, Das Königlich-Potsdamsche Große Militär-Waisenhaus, Lebensbedingungen der Militärbevölkerung in Preußen im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.), Potsdam, Staat, Armee, Residenz, Frankfurt/Main 1993, S. 231–252. 417 Generaldirektorium an Friedrich II. vom 4. Dezember 1760, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 1, S. 40. 418 Oberkriegs- und Domänenrechenkammern an das Generaldirektorium vom 24. März 1761, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 2, S. 30.
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dem Tod zu ändern bzw. zu beschneiden, konnte auch bei der Vergabe von Meisterstellen nachgewiesen werden.419 Gleichzeitig geht aus den jeweiligen Zuständigkeiten hervor, dass ein klarer Zuschnitt der Ressorts nach sachlichen Kriterien zwar angestrebt wurde – da, wo sie ihrer Beschaffenheit nach eigentlich hingehören – weiterhin aber das historisch Gewachsene dominierte. Zunächst nur ad interim vorgesehen, solange er wegen gesundheitlicher Probleme nicht wieder zur Armee zurück kann, wird der Generalleutnant Carl Heinrich von Wedel, der sich zunächst mit Verweis auf ebendiese gesundheitlichen Probleme weigert,420 als Ministre de Guerre zum Chef des VI. Departements ernannt.421 Trotz wiederholter Nachfrage um den Abschied aus gesundheitlichen Gründen422 wird ihm dieser erst 1779 gewährt. Wedel muss den König mehrfach darauf hinweisen, dass er seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. Ein Ruhegehalt ist nicht vorgesehen und wird Wedel auch auf dessen explizite Bitte hin nicht gewährt.423 Sein Nachfolger wird der Generalmajor Levin Rudolph von der Schulenburg, der das Amt bis zu seinem Tode 1788 bekleidet.424 Die Ablösung aus gesundheitlichen oder Altersgründen erfolgte nicht automatisch bei Erreichen einer Altersgrenze oder wurde von Seiten des Königs bzw. der Behörde ausgesprochen, sondern es bedurfte des Gesuchs des Altersschwachen um Ablösung. Nicht nur die Führungsämter, auch niedere Chargen waren langfristig besetzt. Der Schreiber der Generalkriegskasse Lesser war bei seinem Tod 1719 dreißig Jahre als Kanzleischreiber tätig.425 Der Hoffiskal Rosenfeld wird 1733 für ein halbes Jahr zum Lagerhaus beordert. Er bekommt die Aufgabe, als königlicher Fiskal den Forderungen des Lagerhauses Nachdruck zu verleihen, um dessen Rechnungen besser eintreiben zu können. Damit sollen die Gerichte, die zuvor in Schuldenfällen angerufen wurden, entlastet werden. Er hat diese Funktion bis zu seinem Tod 1761 inne.426 Für die Steuerräte in Regensburg stellt Jürgen Ne-
419 Vgl. die Umstrukturierung der Gewehrfabrik Herzberg 1788, die im Kapitel zum Ende der individuellen Förderung beschrieben wird. 420 Von Wedel an das Generaldirektorium vom 19. Dezember 1760, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 2, S. 6. 421 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 11. Dezember 1760 in: ebd., S. 2 sowie die Ernennung vom 25. Januar 1761 in: ebd., S. 8. 422 Z. B. 1773 vgl. auch Bernhard von Poten, Karl Heinrich von Wedell, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 41, Leipzig 1896, S. 410–413, hier S. 413. 423 Ebd. 424 Todesanzeige des Generaldirektoriums vom 23. September 1788, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 3, S. 5. 425 Todesanzeige des General-Finanzkassen Schreibers Lesser vom 2. August 1719 an Friedrich Wilhelm I., in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. C5I, Fasc 4, o.S. 426 Anzeige über den Tod des Abraham Rosenfeld vom 12. Mai 1761 und die Bitte, den Namen
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mitz fest, dass diese »regelmäßig bis zum Lebensende im Amt verblieben, auch wenn sie aufgrund von schweren Krankheiten oder Altersgebrechen ihren Amtsgeschäften nicht mehr nachkommen konnten.«427 Durch ihre oft jahrzehntelange Tätigkeit trügen die Schreiber wesentlich zur Kontinuität der Amtsverwaltung bei. Nemitz führt dazu an, dass die (Kassen-)Schreiber als Geheimnisträger angesehen wurden, die man sich scheute zu entlassen.428 Der Ingenieur-Fähnrich Olffen wird 1739 als Bau-Conducteur429 angestellt, um den Neu- bzw. Umbau der Herzberger Gewehrfabrikgebäude zu beaufsichtigen.430 Er hat diesen Posten bis zu seinem Tod 1771 inne. Ausgelöst durch den Tod erteilt die Kriegskanzlei der Fabrikführung die Aufgabe zu prüfen, ob ein dauerhaft angestellter Bau-Sachverständiger überhaupt noch nützlich sei, da nicht mehr jedes Jahr wichtige Bauarbeiten stattfinden würden, sondern überwiegend Reparaturen.431 In der Folge erhält ein am Ort ansässiger Zimmermann einen Reichstaler im Monat dafür, dass er den Bauzustand der Gewehrfabrikgebäude überwacht. Erst wenn größere Bauvorhaben anstünden, solle ein Sachverständiger aus dem nahen Harz verpflichtet werden.432 Erst im Todesfall, wenn es nicht mehr anders geht, werden Überlegungen zu einer Neuverteilung der Aufgaben gemacht. Von sich aus wird die Verwaltung nicht tätig, sondern sie reagiert auf konkrete Anfragen bzw. Beschwerden. Ansonsten lässt man den Dingen seinen Lauf. Der Herzberger Lizent-Einnehmer Ritter, der seit 1740 die Rechnungslegung und das Materialregister der Gewehrfabrik mitführt, bittet 1771 um seinen Abschied und verweist darauf, dass er seit 50 Jahren als Lizent-Einehmer und 30 Jahre als Rechnungsführer bei der Gewehrfabrik tätig sei. Dazu fühle er sich jetzt mit 70 Jahren gesundheitlich nicht mehr in der Lage. Ritter bittet um eine Pension und, dass sein Schwiegersohn, der bei der Königshütte stehende Eisenfaktorei-Schreiber Abich mit seiner bisherigen Aufgabe betraut werde.433 Der
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seines Nachfolgers allen 18 Gerichten bekannt zu machen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 4, S. 52f. Jürgen Nemitz, Die direkten Steuern der Stadt Regensburg, Abgaben und Stadtverfassung vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, München 2000, S. 127ff, 619. Ebd., S. 620. »heißt derjenige Baubediente, welchem die Aufsicht über einen zu vollführenden herrschaftlichen Bau anvertrauet wird.« Art. Bau-Conducteur, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 3 (17741, 17822), S. 658. Kriegskanzlei an den Olffen vom 7. November 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136 ,Vol. III, Fasc 1, S. 79. Kriegskanzlei an die Fabrikführung vom 16. März 1771 in: ebd., S. 19. Berghauptmann und Aufsicht über die Gewehrfabrik von Reden an die Kriegskanzlei vom 15. April 1771 in: ebd., S. 14. Kriegskanzlei teilt das Abschiedsgesuch Georg III. am 22. November 1771 mit, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 18.
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Wechsel wird vom König bestätigt.434 Vier Jahre später beklagt sich Abich. Früher zu Zeiten seines Schwiegervaters sei es kein Problem gewesen, beide Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Mittlerweile habe sich das Lizentwesen aber derart vermehrt, dass er bittet, das Amt des Lizent-Einnehmers niederlegen zu dürfen, um sich ganz auf die Rechnungslegung der Gewehrfabrik konzentrieren zu können.435 Aus einer ursprünglich nebenher zu erledigenden Aufgabe ist durch Professionalisierung – etwa die Ablösung der Mündlichkeit durch die Schriftlichkeit436 – eine hauptberufliche Beschäftigung geworden. Daneben zeigt sich, dass nicht nur persönlicher Besitz, sondern auch Ämter in der Familie vererbt werden konnten. Nach dem Tod des Herzberger Fabrikinspektors Tanner wird dessen Sohn sein Nachfolger. Auch hier wird der Tod zu einer Umstrukturierung genutzt. Die Rechnungslegung für feine437 Gewehre, die zuvor der Vater Tanner innehatte, wird dem Lizent-Einnehmer Ritter zugesprochen.438 Mitgau, der heimatgeschichtlich die Familienstrukturen der Herzberger Gewehrfabrikangestellten untersucht, stellt fest, dass manche Familiennamen oft über Generationen bei der Fabrik vorkommen und regelrechte Mitarbeiterfamilien nachgewiesen werden können.439 Besonders herausstechend die Familie Tanner, die seit dem Dreißigjährigen Krieg und bis zum Aussterben im Mannesstamm 1912 in sieben Generationen Büchsenmacher und Rüstmeister hervorgebracht habe.440 Diese Praxis ist begründet in der großen Bedeutung von persönlichem Wissen und Netzwerken sowohl für persönlichen wirtschaftlichen Erfolg wie auch für das Funktionieren der frühneuzeitlichen Verwaltung, die nicht auf eine ausgefeilte schriftliche Verwaltungspraxis zurückgreifen konnte, sondern des persönlichen Erinnerns bedurfte. Ursula Löffler, die die Funktion dörflicher Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit untersucht, stellt fest, dass die personelle Kontinuität für die Landesherrschaft der wichtigste Aspekt der Unterbedienten war. Sie blieben deshalb im Normalfall lebenslang im Amt. Eine totale und zentrale Kontrolle sei weder möglich noch angestrebt worden. 434 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 6. Dezember 1771 in: ebd., S. 16. 435 Kriegskanzlei an Georg III. vom 5. Dezember 1775 in: ebd., S. 13. 436 Bei der Gewehrfabrik die oben beschriebene Einführung durch das Regulativ der Kriegskanzlei an den Fabrikinspektor Tanner und den Fabrikschreiber Abich vom 22. März 1776 in: ebd., S. 6–10. 437 Von feinem Gewehr wurde gesprochen, wenn dieses im Gegensatz zum für die Infanterie des Königs bestimmten Dienstgewehr für private Auftraggeber hergestellt wurde. Vgl. auch feines Pulver für die Jagd. 438 Kriegskanzlei an Georg III. vom 4. Mai 1765, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 125. 439 Hermann Mitgau, Die Gewehrfabrik zu Herzberg (Harz) (1739–1876) und die Hof-Rüstmeisterfolge der Tanner, in: Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, 6. Jg. Heft 6 (Dezember 1961), S. 271–284, hier S. 284. 440 Stammfolge der Hofrüstmeister Tanner, ebd., S. 282f.
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Stattdessen wurde auf die Kenntnis der lokalen Amtmänner vertraut.441 Für Gisela Krause habe die innere Organisation der preußischen Heeresverwaltung durch die verwaltungstechnische Verzahnung und den persönlichen Einsatz auf allen Ebenen funktioniert.442 Albrecht Milnik, der die Forstverwaltung der Provinz Brandenburg untersucht, erklärt die Funktion des Oberforstmeisters: »Im Grunde war seine Stellung in erster Linie als hochflexibles Kommunikationsorgan zwischen der brandenburg-preußischen Zentralverwaltung und der höchsten provinzialen Administrationsinstanz, der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer, den lokalen (Forst-)Ämtern und den dazugehörigen Revierbeamten unterschiedlichen Dienstranges, angelegt.«443
Grundlegendes Problem dieser Praxis ist damit die Bewahrung von Wissen und die Übergabe an den Nachfolger, die besonders zu Buche schlägt, wenn erst der Tod des Vorgängers der Auslöser für die Suche des Nachfolgers ist. Der oben erwähnte Kriegsminister von Wedel ersucht das Generaldirektorium mehrfach um eine Einweisung in die ihm zufallenden Geschäftsbereiche.444 Als 1719 der mit der Führung der Manufakturkasse betraute Geheime Hofrat stirbt, übersendet dessen Witwe die Akten ihres Mannes an den König. Aus den Akten geht zwar hervor, wer zu welchen Konditionen gefördert wurde und wie es um die Rückzahlung bestellt ist. Der Grund der Förderung wird aber nur in einigen wenigen Fällen genannt. Der Aufbewahrungsort der Akten spricht dafür, dass die Manufakturkasse zumindest zum Teil von zuhause aus geführt wurde.445 Nach dem Tod des Lagerhausbetreibers von Kraut wird dessen Wohnhaus mit einer Wache belegt, um die dort lagernden Akten und zum Betriebsvermögen Gehörendes zu sichern.446 Das deutet an, dass eine klare räumliche Trennung zwischen privat und geschäftlich bzw. Dienst- und Freizeit im 18. Jahrhundert nicht existierte. Sie findet auch Ausdruck in dem System, Soldaten in ›Privathäusern‹ einzuquartieren, wie sie Ralf Pröve für Göttingen beschrieben hat.447
441 Ursula Löffler, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster 2005, S. 218. 442 Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 142. 443 Arbrecht Milnik (Hrsg.), Im Dienst am Wald, Lebenswege und Leistungen brandenburgischer Forstleute, 145 Biographien aus drei Jahrhunderten, Remagen 2006, S. 39. 444 Von Wedel an das Generaldirektorium vom 19. Dezember und erneut vom 20. Dezember 1760, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 2, S. 5 und 6. 445 Akten der Manufakturkasse 1708 bis 1719, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1612. 446 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 150. 447 Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995.
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Die persönliche Verbindung mit der Aufgabe findet gleichfalls Ausdruck in der hierzu gehörenden Dienstwohnung.448 Einige der untersuchten Unternehmen geraten in Schwierigkeiten oder gehen bankrott, weil der entsprechende Nachfolger nicht über das nötige Geschäftswissen und die erforderlichen Beziehungen verfügt. So der Sohn und Nachfolger des Herzberger Fabrikinspektors Tanner, der sich bereits nach kurzer Zeit als mit der Leitung überfordert herausstellt. Weihnachten 1764 stirbt der Vater und die Kriegskanzlei schlägt dessen ältesten Sohn als Nachfolger vor.449 Obwohl dieser von seinem Vater ausgebildet wurde, mit königlichem Stipendium im Ausland gelernt hat und zuvor als Vice-Inspektor bei der Gewehrfabrik angestellt war,450 erweist er sich als der Lage nicht gewachsen451 und wird als Fabrikinspektor von der Gesamtleitung abgelöst. Als Rüstmeister soll er sich fortan nur um die technische Ausgestaltung der Fabrik und Abnahme der fertigen Produkte kümmern, während die kaufmännische Leitung und Aufsicht vom Berghauptmann von Reden und dem zur Fabrik abkommandierten Leutnant Steigleder übernommen wird.452 Hier konnte der Bankrott noch abgewehrt werden. Anders bei der Barchend-Fabrik des Etatsministers von Massow in Hinterpommern. Der Vater hatte es geschickt verstanden, sein als königlicher Angestellter erlangtes Wissen zur Errichtung einer Barchend-Fabrik auf seinen hinterpommerschen Gütern zu nutzen und für dieses Unternehmen königliche Unterstützung zu bekommen. Nach dessen Tod erweist sich der Sohn und Erbe als nicht im Stande, die Fabrik weiterzuführen. Die Fabrikinspektoren hätten ihn hintergangen, es sei überteuertes Rohmaterial gekauft worden, die Qualität der Produkte würde nicht mehr stimmen, so der Sohn. Die Fabrik steht still, weil nicht rechtzeitig neue Rohstoffe eingekauft wurden und der Sohn schlecht gewirtschaftet habe, so das Ergebnis einer Untersuchung.453 Der König erfährt vom Bankrott, enteignet die Fabrik, um sie mit königlicher Finanzhilfe ausgestattet 448 So bittet die Witwe des für das königliche Gießhaus in Berlin zuständigen Oberstleutnant Kalauer, in diesem weiter wohnen zu dürfen. Dies wird abgelehnt und sie muss die Wohnung für den Nachfolger ihres Mannes frei machen. Oberstleutnant Brink an Friedrich Wilhelm I. vom 10. Juli 1714 mit negativer Entscheidung als Marginalie, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 521 C, o.S. 449 Kriegskanzlei an Georg III. vom 4. Mai 1765, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 125. 450 Ersuchen der Kriegskanzlei an Georg II., den Gottfried Sigismund Tanner als Vice-Inspektor bei der Gewehrfabrik anzustellen, damit die Arbeiter mehr Respekt vor ihm haben vom 16. Mai 1760 in: ebd., S. 134. 451 Er kann die Vorwürfe gegen die Geschäftsführung seines Vaters nicht entkräften und muss als Sündenbock für die im Zuge des Siebenjährigen Krieges entstandenen Unregelmäßigkeiten herhalten. 452 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 29. Juli 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 69. 453 Von Massow an Friedrich II. vom 10. Februar 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 3 sowie Bericht der Untersuchungskommission vom 24. April 1776 in: ebd., S. 9–13.
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und der Kontrolle des V. Departements unterworfen von einem externen Sachverständigen führen zu lassen.454 Die Kaufleute Splitgerber und Daum beherrschen es, ihren Einfluss bei Hof zu nutzen,455 Vergünstigungen gewährt zu bekommen und immer wieder an deren Durchsetzung zu erinnern. Nach dem Tod des Daum Senior gründet dessen Sohn mit dem ererbten Kapital eine Barchend-Fabrik. Die Kontakte seines Vaters nutzend, gelingt es ihm zwar, eine königliche Förderung zu erwirken. Er verlässt sich aber auf die schon erwähnte Marktanalyse der Verwaltung und unterlässt es, an die Durchsetzung seiner königlichen Förderzusage zu erinnern. So meldet der vom König mit der Untersuchung des Bankrotts beauftragte Kompagnon des Vaters Splitgerber, in der Fabrik habe der Daum Junior 250.000 Reichstaler eingesetzt und damit sein Erbe und das seiner beiden Schwestern verspielt.456 Hatte es der Vater, der hannoversche General der Artillerie Braun verstanden, seine vielen Kontakte zu nutzen, um seine privat betriebene Pulvermühle in Harburg mit Rohstoffen und Absatz zu versorgen, ist der Sohn damit überfordert. Er unterlässt es, die Kriegskanzlei, die laut Vertrag für die Salpetergestellung der Pulvermühle zuständig ist, mit Nachdruck an ihre Verpflichtung zu erinnern. Die Mühle steht mangels Rohstoffen still und geht bankrott.457 In allen vier Fällen gelingt es den Söhnen nicht, das durch Wissen und Netzwerk aufgebaute Unternehmen der Väter fortzuführen. Beides war wesentliche Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Vielleicht aus dem sich abzeichnenden negativen Vorbild seines Kompagnons Daum lernend, gelingt die Einarbeitung und Übernahme des Splitgerberschen Erbteils deutlich besser. Dieser hat drei Kinder, von denen die Schwiegersöhne für seine beiden Töchter wohl bewusst von ihm gewählt werden. Seine kaum 17jährige Tochter Ernestina Johanna heiratet 1754 Johann Jacob Schickler, der sich zuvor zehn Jahre als Comptoirbedienter des Vaters Splitgerber bewährt hat.458 Seine zweite Tochter Charlotta Catharina wird 18jährig mit dem 30jährigen Friedrich Heinrich Berendes verheiratet, der ebenfalls seit über zehn Jahren in der väterlichen Firma tätig ist.459 Sein leiblicher Sohn David (von) 454 Friedrich II. an das V. Departement vom 21. Februar 1776 in: ebd., S. 2. 455 »Das Wohlwollen ihres Herrschers erlaubte durch Immediateingang an allerhöchster Stelle ihre Pläne wirksam zu verfolgen und manche Bedenklichkeit der Behörden zu besiegen.« Treue, Wilhelm, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 526. 456 Splitgerber an Friedrich II. vom 23. Februar 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F 4, S. 54. 457 Vgl. das Kapitel Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit. 458 Friedrich Lenz, Otto Unholtz, Die Geschichte des Bankhauses Gebrüder Schickler, Festschrift zum 200jährigen Bestehen, Berlin 1912, S. 55. 459 Ebd., S. 56.
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Splitgerber und ein Neffe David Friedrich Splitgerber, den die 200jährige Firmenchronik von 1912 als »verschwenderischen Jägermeister« bezeichnet, werden zwar nicht völlig enterbt, müssen aber per Testament bzw. späteren Vertrag auf jegliche Einmischung in die Geschäfte und Entnahme von Kapital verzichten,460 während die Schwiegersöhne und später Enkel das Bankhaus und Firmenkonsortium fortführen. Die gängige Möglichkeit war die Weitergabe von Ämtern und Positionen innerhalb der Familie, die es möglich machte, durch eine frühzeitige Festlegung des Nachfolgers dessen Einarbeitung zu ermöglichen und Wissensverluste zu minimieren. Dass hier vier negative Beispiele angeführt werden, erklärt sich mit der in der Einleitung angeführten Praxis, dass die Obrigkeit erst eingreift, wenn etwas schiefläuft, der ›Normalfall‹ der funktionierenden Betriebsübergabe in der Regel also keinen Eingang in den Schriftverkehr fand. Im Bereich des preußischen Heeres verkörpert die Bündelung von Aufgaben und Wissen bei einer Person die Kanzlei des Generals Hans Georg/Jürgen461 Detlef von Massow. Massow war seit 1713 bis zu seinem Tod 1761 unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. der zentrale Ansprechpartner für die Ausrüstung der Infanterie und Kavallerie. Für die Artillerie hatte diese Funktion der General von Linger und nach dessen Tod 1755 der spätere General von Dieskau inne. Von ihren Kanzleien hat sich ein Teil des Schriftverkehrs im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz erhalten, wobei wohl davon auszugehen ist, dass die Archivare besonders die Briefwechsel mit den Monarchen für aufhebenswert erachtet haben. In Zeiten der Hochkonjunktur – im Krieg ist dies das Winterquartier, in dem die Vorräte aufgefüllt werden – sind jeweils mehrere Briefe pro Tag überliefert.462 Wenn überwiegend dieser Schriftverkehr überliefert ist, nimmt es kein Wunder, dass das Bild entsteht, der König sei an allem direkt beteiligt und hätte bis ins kleinste Detail eingegriffen. Dass auch der König sich auf die wichtigen Entscheidungen beschränken musste und wollte, ergeht aus einem Randvermerk auf die Frage, ob die Offiziere statt seidener silberne Aufsätze tragen dürfen. Friedrich II. antwortet, dies seien Kleinigkeiten, von denen
460 Ebd., S. 118ff. Die Verträge sowie eine Stammtafel sind im Anhang der Chronik abgedruckt. Dort finden sich auch die Gesuche des Splitgerbers an Friedrich II., die Vermählung seiner Töchter zu approbieren, in denen er die jeweiligen Vorzüge seiner Schwiegersöhne für das Unternehmen herausstellt sowie das Testament des David Splitgerber vom 16. Dezember 1762. 461 Bei Priessdorff heißt er Jürgen, bei Jany Georg. Die massowsche Familiengeschichte kennt ihn als Jürgen. Wilhelm von Massow (Hrsg.), Die Massows, Geschichte einer pommerschen Adelsfamilie, Halle 1931, S. 188. 462 Z. B. die Korrespondenz zwischen von Dieskau und Friedrich II. im Winter 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, o.S.
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er nichts wissen will.463 Die Abstimmungen zwischen den in Berlin ansässigen Kanzleien und dem König erfolgen schriftlich und mündlich, wie Terminverabredungen für persönliche Treffen nahelegen.464 Während dieser werden dem König Entwürfe für Ausrüstungsgegenstände präsentiert,465 neue Erfindungen vorgeführt466 oder vorgelegte Kostenvoranschläge und Abschlussrechnungen besprochen.467 In Kriegszeiten, wenn der König bei der Armee steht und Massow von Berlin aus den Nachschub organisiert468, erfolgt die Abstimmung zwangsläufig schriftlich. Ob im Friedensalltag die schriftliche oder die mündliche Abstimmung überwiegt, lässt sich heutzutage nicht mehr feststellen. Die enge Vertrautheit findet auch Ausdruck in der Anrede. Friedrich II. beginnt seine Briefe an Massow mit »M. L.« – Mein Lieber. Untergebracht ist die Kanzlei des von Massow seit 1751 im »Fürstenhaus« in Berlin. In diesem eigentlich dem Fürstbischof von Breslau während dessen Berlin-Besuchen zur Verfügung stehenden Haus bekommt der Massow fünf Kammern zugewiesen. In einer dieser Kammern wohnt ein Sekretär, damit die sich dort befindliche Registratur und die Barkasse ständig bewacht sind. Ein Wunsch des Massow, nachdem er ursprünglich nur drei Kammern bekommen sollte469 und ein weiterer Beleg der engen Verknüpfung von Wohn- und Arbeitsräumen.470 Mit der ständigen Bewachung ist ein weiterer Vorteil der Dienstwohnungen genannt. An dem geringen Platzbedarf seiner Kanzlei ist zu 463 Randvermerk Friedrich II. vom 24. Januar 1752 auf Schreiben von Massow vom 22. Januar 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 464 Radtke stellt für die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer fest, dass besonders der persönliche Kontakt des Kammerpräsidenten als Informationsträger mit dem Monarchen ausschlaggebend gewesen sei. Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 182. 465 Friedrich II. an von Massow, der am Donnerstag oder Freitag um 15.00 Uhr zu ihm kommen und die Huttressen mitbringen soll vom 19. Dezember 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 466 Z. B. Friedrich II. an von Dieskau mit der Aufforderung, in zwei Wochen mit den neuen Kanonenmodellen nach Potsdam zu kommen vom 3. Juli 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep 96, Nr. 612 E, o.S. 467 Z. B. schreibt Friedrich II. am 26. November 1751 an von Massow »So wird es Mir lieb seyn, wenn Ihr morgenfrüh, auf einen Tag zu Mir anhero kommen werdet«, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 555. 468 Von Massow bleibt auch in Kriegszeiten in Berlin und managt von dort die Versorgung der Armee mit Nachschub, während die Generale der Artillerie im Feld bei der Truppe stehen. 469 Friedrich II. an von Massow sowie Anweisung an den für Gebäude zuständigen Graf von Hacke, fünf Kammern im Fürstenhaus zur Verfügung zu stellen vom 5. August 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 341. 470 Dienstwohnungen bzw. bei Fabriken Arbeiterhäuser sind gängige Praxis. Vgl. z. B. auch die baugeschichtliche Beschreibung dreier Fabriken bei Hans Frommhold, Spiegelschleife, Pulvermühle und Kanonenbohrwerk. 3 churfürstliche Industrieanlagen an der Weißeritz in Dresden, Dresden 1929.
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ersehen, mit wie wenig Hilfe bzw. Personal von Massow die gesamte Verwaltung der Ausrüstung der preußischen Armee bewerkstelligt. Diese zeichnet sich durch ihre Vielfalt aus. Von einer uniformen Ausrüstung der Armee im Wortsinn »uni-form« kann im 18. Jahrhundert nicht gesprochen werden.471 Jedes Regiment hatte seine eigene Uniform, die sich in der farblichen Ausstattung wie in den Accessoires von den anderen Regimentern unterscheiden musste. In Kenntnis dieser Besonderheiten schlägt Massow bei der Neuaufstellung dem König die Zusammensetzung der Rockfarben und Zusatzausstattung wie Farben der Krägen, Aufschläge, Knöpfe und Tressen vor. Er erwähnt dabei als Vorteil, wo sich diese zu anderen, farblich ähnlich ausgestatteten Regimentern unterscheiden. Am Rand hat der König handschriftlich vermerkt, wo er mit den Vorschlägen zufrieden war – »recht« – und wo Massow Änderungen vornehmen soll – »gut aber mit Gold«.472 Massows Kanzlei stellt für jedes Regiment ein eigenes Ökonomie-Reglement auf, in dem dessen individuelle wirtschaftliche Verhältnisse geregelt werden.473 In diese fließen auch die Verpflegungsetats der Regimenter ein, die je nach Aufstellungsart und Garnisonsort variieren und ebenfalls von Massow erstellt werden.474 Änderungswünsche der Regimentskommandeure gehen zunächst an Massow, der sich mit dem König abstimmt.475 Damit zeigt sich auch hier, dass es keine einheitlichen Regelungen gab, sondern eine Vielfalt an individuellen Regeln – Klaus-Peter Merta vermutet über 300 verschiedene Ausführungen des Ökonomie-Reglements.476 Massow macht einen sehr sparsamen Eindruck477 und ist bedacht, keine Präzedenzfälle zu schaffen. Als sich der General von Katte an ihn wendet und darauf hinweist, dass sein Regiment seit zwölf Jahren keine neuen Huttressen 471 Vgl. auch Hans Bleckwenn, Altpreußische Offizierporträts, Studien aus dem Nachlaß, im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bernhard R. Kroener und Joachim Niemeyer, Osnabrück 2000, S. 11. 472 Z. B. für drei neue Dragoner-Regimenter im Schreiben von Massow an Friedrich II. vom 4. April 1744, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr 83 B.b.b.2, o.S. 473 Von Massow übersendet die Ökonomie-Reglements der Husaren Regimenter zur Unterzeichnung an Friedrich II. am 24. August 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. Vgl. dazu die von Hans Bleckwenn zusammengetragenen überlieferten Reglements und in dessen Einführung die Rolle der »Dienststelle v. Massow« in: Hans Bleckwenn, Die Ökonomie-Reglements des altpreussischen Heeres, Osnabrück 1973, S. 21f. 474 Z. B. 1755 für die in Preußen stehenden Regimenter, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 D, S. 43. 475 Z. B. Anfrage von Massow an Friedrich II., ob die Garnison-Regimenter statt drei auf jeder Seite sechs Knöpfe haben dürfen und die Offiziere statt seidener silberne Aufschläge vom 22. Januar 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 476 Klaus-Peter Merta, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 2: Die Uniformierung, Brandenburg 1991, S. 50 und bezieht sich dabei auf Bleckwenn. 477 Jany nennt ihn den »sparsamen General v. Massow« in Curt Jany, Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, Bd. 2: Die Armee Friedrich des Großen 1740– 1763, 2. erg. Aufl. von Eberhard Jany, Osnabrück 1967, S. 115.
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bekommen habe, lässt er sich einen Hut schicken. Er nimmt die Tresse ab, lässt sie waschen und erneut ansetzen. Zur Begründung führt Massow an, wenn ein Regiment neue Tressen bekommen würde, wollten alle welche haben, was für die ganze Armee 22.000 Reichstaler kosten würde.478 Im Frieden479 ist die im Mai und den darauf folgenden Monaten stattfindende Revue der Zeitpunkt im Jahr, auf den die Planungen abzielen. Bei der Revue mustert der König seine Regimenter. Für sie bzw. vor ihr werden die Reihen der Rekruten und Pferde aufgefüllt, erhalten die Regimenter ihre neuen Uniformen. Ihr Ablauf ist genau durchgeplant.480 Den Rest des Jahres ist ein großer Teil der Soldaten beurlaubt – zum einen aus Kostengründen, zum anderen damit diese der heimischen Wirtschaft als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.481 Verstorbene Pferde – die Zeitgenossen sprechen von abgegangenen – werden nicht ersetzt, um das Geld für deren Futter und Unterhalt zu sparen.482 Um im Moment der Revue den planmäßigen Stand zu erreichen, gibt es die so genannten Überkompletten bei den Pferden und Rekruten, die vorgehalten werden, um eventuelle Ausfälle kurzfristig zu ersetzen.483 Massow ersucht für einige Regimenter, die 1750 erst im September die Revue passieren, um die Anschaffung zusätzlicher Pferde. Die Regimenter würden im Sommer Manöver abhalten, bei denen selbst beim Schonen der Pferde mit erhöhten Abgängen zu rechnen sei. Bei der Revue müssten sie aber komplett sein.484 Wohl vorwiegend aus finanziellen Gründen überspringen einige Regimenter die Revue, müssen also nicht neu ausgerüstet bzw. Verluste nicht ersetzt werden. So lehnt von Massow die Auffüllung der seit dem vergangenen Jahr beim Regiment von Ziethen abgegangenen Pferde im Sommer 1756 ab, weil dessen Regiment dieses Jahr bei der Revue nicht dabei sein werde.485 Der General von Lehwaldt, der in Ostpreußen 478 Von Massow an Friedrich II. vom 25. August 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 479 Am 28. Januar 1756 fragt von Massow bei Friedrich II. an, wo, sollte es nicht zum Marsch, d. h. zum Krieg kommen, die Revue abgehalten werden soll, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 D, S. 9. 480 Ablaufplan der Berliner Revue 1731 als Entwurf mit Notizen sowie in Reinschrift, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 522C. 481 Vgl. Martin Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht, Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2005 S. 82. 482 Am 18. Mai 1756 fragt von Massow bei Friedrich II. an, ob die Regimenter die untüchtig gewordenen Pferde auch schon vor der Revue ausrangieren dürfen, um deren Futter zu sparen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 D, S. 15. 483 Laut Ökonomie-Reglement sind pro Regiment 60 Pferde vorzuhalten, damit es bei der Revue komplett ist. Massow an Friedrich II. vom 28. April 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 17. 484 Ebd. 485 Von Massow an Friedrich II. vom 12. Juni 1756 und dessen bestätigende Antwort vom 14. Juni 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 D, S. 24f.
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1756 die Vorbereitungen auf den Krieg gegen die Russen koordiniert, bittet Mitte Juli darum, die Überkompletten zu beurlauben. Dieses Jahr werde es nicht mehr zum Marsch – das heißt Krieg – oder zur Revue kommen, sodass die Kosten gespart werden könnten.486 Auch bei der Ausstattung mit Uniformen überspringen Regimenter die Revue und tragen diese mehr als ein Jahr.487 Die Aussage, dass in Preußen jedes Jahr neue Uniformen für die Soldaten ausgegeben wurden,488 entspricht damit, ebenso wie die Verwendung des Terminus Uniform statt des zeitgenössischen Montierung, mehr dem Wunsch der Nachwelt nach Einheitlichkeit und Planung als der festgestellten Lage im 18. Jahrhundert. Die Zeitgenossen bezeichneten mit Montierung – auch als Mondierung, Mundierung, Mondur oder Montur – allgemein die einem geringeren Bedienten von seinem Dienstherren zur Verfügung gestellte Kleidung. Als Uniform wurde nur die Kleidung der Offiziere bezeichnet.489 Dem Wunsch der Nachwelt nach klaren Zuständigkeiten und der Annahme, dass sich große, bürokratisch-organisierte Ministerien bereits im 18. Jahrhundert gegen kleine, persönlich-geführte Kanzleien durchgesetzt hätten, entspricht auch Curt Janys Zuordnung der Kanzlei von Massow als »Konkurrenz« zum für die Aufgaben »Bekleidung, Ausrüstung und Remontierung« eigentlich zuständigen II. Departement.490 Aus dieser und noch weiterer von ihm aufgeführter Selbstständigkeiten und Konkurrenzsituationen folgt für Jany, dass der einzige, der den Überblick habe, der König selbst sei, der »mit seiner staunenswerten Arbeitskraft, seiner in alle Einzelheiten eindringenden Geschäftskenntnis, nicht zuletzt mit der Strenge und Schärfe seiner Anforderungen die verwickelte Maschine im Gange« hielte.491 Diese Zuschreibungen an den allwissenden König schießen übers Ziel hinaus. Vielmehr hatte der König durch die von ihm eingesetzten Bevollmächtigten direkte Ansprechpartner und konnte delegieren. Massow hat durch die Bündelung den Überblick und kann dem Monarchen Rede und Antwort stehen. Als bei Friedrich II. ein Angebot für neue Pferdedecken eingeht, in dem behauptet wurde, zu besseren als den bisherigen Kondi486 Von Lehwaldt an Friedrich II. vom 23. Juli 1756 und 1. August 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 606 E, o.S. 487 Anweisung an drei Füsilier-Regimenter, ihre Montierung zwei Jahre zu tragen, im Schreiben von Massow an Friedrich II. vom 4. April 1744, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr 83 B.b.b.2, o.S. 488 Z. B. bei Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 20. 489 Art. Montur, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 93 (11803), S. 646f. 490 »Als militärischer Sachverständiger ›concurrirte‹ beim 2. Departement der Generalmajor« in Curt Jany, Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, Bd. 2: Die Armee Friedrich des Großen 1740–1763, 2. erg. Aufl. von Eberhard Jany, Osnabrück 1967, S. 211. 491 Ebd., S. 213.
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tionen und nur im eigenen Land zu produzieren, bekommt Massow einen Prüfauftrag. Er stellt eine namentliche Liste aller Regimenter auf. Zwölf Regimenter bekommen von seiner Kanzlei die Decken direkt geliefert, zwanzig lassen diese selbst anfertigen und bekommen von Massow die entsprechenden Gelder angewiesen, wobei er den angesetzten Preis, Farbe, Anzahl und den Lieferanten der letzten Erneuerung aufführt.492 Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass die Pferdedecken entweder direkt oder über Zwischenhändler bei Landesfabriken eingekauft wurden und das neue Angebot preislich nicht überzeugen kann, sodass der König dieses negativ bescheiden lässt.493 Massow kann schnell und umfassend Auskunft geben, während in anderen Sachgebieten, wie die königliche Nachfrage zu von ihm verschenkten Häusern und Bauzuschüssen zeigt, ein langjähriger persönlicher Ansprechpartner fehlt. Damit kommt Massow auch die Aufgabe zu, den König an dessen eigene Entscheidungen zu erinnern. Als sich ein Mützenblech-Hersteller, der die zwölf alten Regimenter mit diesen beliefert hat, an den König wendet und darum bittet, auch die Mützenbleche der elf neu aufzustellenden Regimenter anfertigen zu dürfen, antwortet Massow dem König. Er (der König) habe befohlen, dass künftig Aufträge nicht mehr an einzelne Meister, sondern an Gewerke vergeben werden, damit alle Nahrung haben. Er (Massow) habe also den MützenblechHersteller negativ beschieden und stattdessen das Goldschmiedegewerk angeschrieben.494 Diese Wissensbündelung bei Wenigen setzt Spezialisten voraus, die sich über lange Zeiträume mit ihrem Themenbereich beschäftigen und widerspricht damit einer hierarchischen Aufstiegsgesellschaft. So stellt Hans Bleckwenn, der sich mit den Ökonomie-Reglements des altpreußischen Heeres auseinandersetzt, fest: »Im Verhältnis zu Stellung und vielfältiger Tätigkeit […] avancierte er [Massow] dann ausgesprochen langsam: 1733 Oberst, 1741 Generalmajor und 1751 Generalleutnant.«495 Auf der anderen Seite ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass sich der Aufgabenzuschnitt seiner Kanzlei währenddessen kaum verändert, folglich dem Major vor 1733 – Bleckwenn stellt die ersten von »Herr Major v. Massow« für alle Regimenter aufgestellten Montierungs-Reglements für 1724 fest496 – Aufgaben zugetraut werden, die auch den Rang eines General492 Anlage zum Schreiben von Massow an Friedrich II. vom 16. August 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 22. 493 Friedrich II. an von Massow und den Hofrath Voss vom 14. Oktober 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 460. 494 Von Massow an Friedrich II. vom 8. Januar 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 2. 495 Hans Bleckwenn, Die Ökonomie-Reglements des altpreussischen Heeres, Osnabrück 1973, S. 22. 496 Ebd., S. 22 und 103. Krause sieht ihn bereits seit 1713 als Premierleutnant mit der Materie befasst. Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft. Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 144.
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leutnants rechtfertigen. Gisela Krause stellt anhand der preußischen Militärbekleidungswirtschaft fest, »die verschiedenen Aufgabengebiete wurden vielfach vom König nicht einer bestimmten Verwaltungsabteilung, sondern besonders geeigneten Persönlichkeiten zugewiesen, ohne daß diese unbedingt einen entsprechenden Diensttitel führten.« Dies erscheine »besonders unübersichtlich«, weil sich parallel von 1640 bis 1740 die tiefgreifende Wandlung »von der ständischen Provinzial – zur landesherrlichen Zentralregierung« vollzogen habe.497 Zwar nicht übersichtlicher, aber zumindest verständlicher wird die Lage, wenn man die Entwicklungen hin zu landesherrlicher Zentralverwaltung mit Ministerien und hierarchischen Dienstgraden nicht 1740 als abgeschlossen ansieht, sondern anerkennt, dass die Lebenswirklichkeit im 18. Jahrhundert noch deutlich mehr historisch Gewachsenes enthielt. Äußerlich spiegelt sich diese Gesellschaftsform, in der man nicht ausschließlich aufgrund von Leistung, sondern von Geburt wegen und mit der Anciennität befördert wurde,498 darin wieder, dass keine Dienstgradabzeichen, sondern nur Dienstgradgruppen bekannt waren. Die Uniformen der Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere unterschieden sich nach Material, Schnitt und Verzierung. Ob man es mit einem Leutnant oder Oberst zu tun hatte, musste dem Alter und der Stellung angesehen werden bzw. man kannte sich persönlich.499 Bei Zugrundelegung von Max Webers Definition von »Bürokratismus« muss dem 18. Jahrhundert diese Form der Verwaltung abgesprochen werden.500 Nach Max Weber zeichnet sich die spezifische Funktionsweise des modernen Beamtentums durch folgende Prinzipien aus: I. fester, durch Regeln generell geordneter Kompetenzen, II. der Amtshierarchie und des Instanzenzuges, III. der Schriftlichkeit der Amtsführung und örtlichen Trennung des Büros von der Privatbehausung, die die inhaltliche Trennung von Amtstätigkeit und privater Lebenssphäre widerspiegelt, IV. der eingehenden Fachschulung als Vorbereitung auf die Tätigkeit. Diese Annahme führt zum V. Prinzip, dass die Arbeit die 497 Ebd., S. 139. Krause bezieht sich dabei auf Curt Jany, Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, Bd. 2: Die Armee Friedrich des Großen 1740–1763, 2. erg. Aufl. von Eberhard Jany, Osnabrück 1967, S. 198. 498 Vgl. Bernhard R. Kroener, Des Königs Rock, Das Offizierkorps in Frankreich, Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert, Werkzeuge sozialer Militarisierung oder Symbol gesellschaftlicher Integration? in: Ders., Peter Baumgart, Heinz Stübig (Hrsg.), Die preußische Armee, zwischen Ancien R8gime und Reichsgründung, Paderborn 2008, S. 72–95, hier S. 79. 499 Klaus-Peter Merta, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 2: Die Uniformierung, Brandenburg 1991, S. 55. 500 Vgl. auch Löffler, die bei der Untersuchung lokaler preußischer Amtmänner zum Ergebnis kommt, diese seien keine Beamten. Ursula Löffler, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit, Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster 2005, S. 218.
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gesamte Arbeitskraft des Beamten in Anspruch nimmt. Und VI. erfolgt die Amtsführung nach generellen Regeln, die eine »Regelung durch Einzelbefehle von Fall zu Fall« ausschließen.501 Keines dieser Prinzipien beschreibt die Situation im 18. Jahrhundert. Genau dieser »Webers Idealtypus der Bürokratie« wird aber zu Grunde gelegt bei der »Ausbildung der modernen Bürokratie im Absolutismus«, die neben dem Heer die »zweite ›Säule‹ des modernen Staates« gewesen sei.502 Was für Blüten die Hochstilisierung und Idealisierung des Bildes vom (preußischen) Beamten treiben kann, sei an Werner Sombarts Rede auf dem mitteldeutschen Beamtentag 1927 dargelegt. Für Sombart waren es in »Zeiten des Frühkapitalismus, als der sogenannte Merkantilismus herrschte« der Fürst und seine Beamten gewesen, die »alle fortschrittliche Wirtschaft vertraten.« Der Beamte habe »alles, was kapitalistisches Wesen auszeichnet: die Langsichtigkeit der Unternehmung, die Dauerhaftigkeit der geistigen Energie, das mußte bei staatlichen Unternehmungen wie von selbst aus ihrem Wesen herauswachsen.«503 Erst die »zweifellose Verirrung [des ungezügelten Kapitalismus] des 19. Jahrhunderts« habe der Wirtschaft eine »überragende Bedeutung beigemessen« und es bedürfe für Sombart wieder der Zügelung der Wirtschaft durch den Staat, wie sie bereits im 18. Jahrhundert vorgeherrscht habe. »Die Verbeamtung, die jetzt begonnen hat, ist nichts anderes als die Rückkehr zur natürlichen, gottgewollten Gestaltung der menschlichen Gesellschaft: zur Unterwerfung auch der Wirtschaft unter höhere und höchste Zwecke der Allgemeinheit, der Kultur und des Heils der menschlichen Seele. […] An der Beamtenschaft wird die Wirtschaft genesen und aus der augenblicklichen Gegnerschaft wird ein fruchtbares Zusammenwirken der beiden wichtigen Bestandteile der Gesellschaft zum Heile der Menschheit hervorgehen.«504
Birgit Emich stellt heraus, dass die moderne, bürokratische Verwaltung geprägt ist von der »Dienst- statt Dienertreue«.505 Die Diensttreue stellte im Weberschen 501 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen der Mächte, Nachlaß, Teilband 4: Herrschaft, Herausgegeben von Edith Hanke, Tübingen 2005, S. 157–160. 502 Friedrich Pohlmann, Politische Herrschaftssysteme der Neuzeit, Absolutismus, Verfassungsstaat, Nationalsozialismus, Opladen 1988, S. 59. Bei reiner Auswertung älterer Literatur lobt Thomas Simon »den preußischen Verwaltungsapparat ohne Zweifel als den modernen Behördentyp […], als er hinsichtlich seiner Arbeitsweise und funktionalen Ausrichtung dem heutigen Verwaltungsverständnis bereits erheblich näher stand [als die meisten anderen Territorien des Reiches].« Thomas Simon, Policey im kameralistischen Verwaltungsstaat, Das Beispiel Preußen, in: Klaus Härter (Hrsg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt/Main 2000, S. 473–496, S. 475 und 496. 503 Werner Sombart, Beamtenschaft und Wirtschaft, Vortrag gehalten auf dem Mitteldeutschen Beamtentag am 11. September 1927, Berlin 1927, S. 4f. 504 Ebd., S. 20. 505 Birgit Emich, Die Formalisierung des Informellen, Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte
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Wissen und Wissenstransfer
Sinn die Aufgabe und das Amt in den Vordergrund und klammerte die Person und das Persönlich-Informelle durch feste Strukturen und Regeln aus. Verwaltungsentscheidungen müssten rechtlich überprüfbar sein, die Beamten damit austauschbar. Im theoretischen Idealfall506 müssten unterschiedliche Beamte bei rein rationaler Anwendung fester und allgemein bekannter Regeln zum gleichen und damit besten Ergebnis kommen. Die Dienertreue erkenne hingegen an, dass die Person des Amtsträgers eine Rolle spiele und er seine persönliche Erfahrung und Sozialisation beim Fällen s(!)einer Entscheidung nicht ausklammern könne. Zählen im ersten Fall das Ansehen der Institution und Regeln, damit deren Entscheidungen anerkannt werden, ist es im zweiten Fall das Ansehen der Person, das wiederum auch mit dem verliehenen Amt verbunden ist. Letzteres gibt dabei einen Aspekt der festgestellten Lage im 18. Jahrhundert deutlich besser wieder als das Überstülpen des Weberschen Bürokratieverständnisses, das auch seit seiner Aufstellung ein unmenschliches507 Idealbild beschreibt.508 Massows Äquivalent bei der Artillerie ist seit spätestens dem Feldzug in Pommern 1715 gegen die Schweden Christian Nicolaus von Linger.509 Er wird 1716 Oberst, 1728 Generalmajor, 1739 Generalleutnant und ist zugleich Chef der Artillerie.510 Sein Nachfolger Karl Wilhelm von Dieskau, der ihn seit dem zweiten Schlesischen Krieg unterstützt, ist bei Lingers Tod 1755 Oberstleutnant und übernimmt als dieser die Generalinspektion der Artillerie, der Zeughäuser und der Pcole d’Artillerie. Er hat diese Funktion ebenfalls bis zu seinem Tod 1777 inne, zuletzt als Generalleutnant.511 Sie sind nicht rein militärische Chefs ihrer Truppengattung, sondern für Ausrüstung und Pferdeersatz zuständig. Die Artillerie ist dabei für die Munitionsversorgung der gesamten Armee verantwortlich, sodass neben dem Einkauf von Pulver, Blei und Papier auch die Patronenfertigung und der Transport zu den Regimentern in ihren Aufgabenbereich fallen. Ebenso die Zeughäuser und Festungen, von denen sie jährlich ein
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der Frühen Neuzeit, in: Peter Eich, Sebastian Schmidt-Hofner, Christian Wieland, (Hrsg.), Der wiederkehrende Leviathan, Staatlichkeit und Staatswerdung in Spätantike und Früher Neuzeit, Heidelberg 2011, S. 81–96, S. 81. Dass diese strikte Trennung von Amt und Formalie von der Person und dem Informellen nicht möglich ist, hat die moderne Organisationssoziologie seit den 1930er Jahren erkannt. Ebd., S. 83ff. Wertneutral! Nach Luhmann habe die wissenschaftliche Beschäftigung mit Entscheidungsprozessen »großer bürokratischer Verwaltungsorganisationen in Staat und Wirtschaft […] den alten Glauben an einzig richtige Entscheidungen, die aus ziemlich einfachen Prämissen durch Nachdenken gewonnen werden können, sehr rasch zersetzt.« Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt/Main 1983, S. 203. Vgl. Lingers Schriftverkehr mit dem König von 1715 bis 1733, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B. Vgl. den Lebenslauf bei Kurt von Priessdorff, Soldatisches Führertum, Teil 1: Die Generale von den Anfängen der kurbrandenburgisch-preußischen Armee bis 1740, S. 156ff. Ebd., S. 521ff.
Spezialisten
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Generalinventar beim König vorzulegen haben.512 Neben der bereits beschriebenen Aufgabe, technische Eingaben und Erfindungen zu probieren, sind sie für den Guss neuer Kanonen und den Bau des Fuhrparks zuständig. Sie sind am Aufbau der Berliner Pulvermühle513 wie auch der Gewehrfabrik in PotsdamSpandau514 beteiligt. Die Arbeit der Kanzleien greift dabei ineinander. So liefern Splitgerber und Daum die in der Gewehrfabrik gefertigten Waffen an das Berliner Arsenal. Dort nimmt Linger diese entgegen und attestiert den Empfang. Mit diesem Attest wenden sich die Kaufleute an den König und erbitten die Bezahlung, die dieser wiederum bei Massow in Auftrag gibt.515 Von Linger auf Dieskau wie auch bei Massow funktioniert die Übergabe an den Nachfolger gut. Massow kümmert sich selbst um seinen Nachfolger. Als er 1751 krank wird, erbittet er sich, den Oberst von Stechow vom Meyerinckschen Regiment als Unterstützung hinzuziehen zu dürfen und zu seinem Nachfolger aufzubauen. Als Bedingung führt der Oberst von Stechow neben seinen Gehaltsvorstellungen an, dass er seinen militärischen Rang behalten dürfe.516 Ein Indiz dafür, dass, obwohl Massow einen militärischen Rang bekleidet und während seiner Arbeit militärisch befördert wird, die Kanzlei und sein Aufgabenbereich im Ansehen der Zeitgenossen nicht als genuiner Teil der Streitkräfte angesehen wurde. Ein halbes Jahr später berichtet Massow, dass er krank zu Hause liege. Er lasse sich aber alle Vorgänge schicken. Der Stechow führe die Arbeit vor Ort. Eingearbeitet worden sei Stechow anhand der Kassenabrechnungen der letzten zwölf Jahre, mit denen er sich bereits ein Bild von den Aufgaben der Kanzlei gemacht habe.517 Massow führt die Kanzlei bis zu seinem Tod Juli 1761 weiter. Stechow wird sein Nachfolger. Die Kanzlei existiert in der Form bis 1787 weiter.518
512 Z. B. Generalinventar der Artillerie für 1742 mit Stand 1. Januar 1743 gebunden mit Neujahrswünschen von Lingers »mit Glück und Sieg meinem allergnädigsten König und Herrn zu allezeiten dabei ein beständiges gesundes langes Leben«, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 83 Xx2. 513 Kostenvoranschlag für die Errichtung der Pulvermühle vom 10. März 1744 durch von Linger in: ebd., S. 19. 514 Von Linger verwaltet bis 1725 die Baukasse der Gewehrfabrikgebäude vgl. GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255. 515 Friedrich II. an von Massow und den Kaufmann Splitgerber vom 13. Februar 1751, der ihm zuvor am 11. Februar 1751 das Attest des von Linger eingereicht hatte, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 67. 516 Von Massow an Friedrich II. vom 13. Juli 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 14. 517 Von Massow an Friedrich II. vom 21. Januar 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 518 Hans Bleckwenn, Urkunden und Kommentare zur Entwicklung der Altpreussischen Uniform als Erscheinungsbild und gesellschaftliche Manifestation, Osnabrück 1971, S. 159.
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Wissen und Wissenstransfer
2.8. Zwischenfazit Der Prozess der Entpersonalisierung von Wissen durch Verschriftlichung und Sammlung hatte im 18. Jahrhundert erst begonnen. Die aufgedeckten Ansätze konnten das persönliche Wissen ergänzen, aber dessen Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Verwaltung nicht einschränken oder gar ersetzen. Dies umfasst sowohl technisches Wissen und Fertigkeiten als auch das Wissen um Beziehungen, Abläufe, königliche Entscheidungen und Fördermöglichkeiten. Damit hat sich die Gesellschaft eingerichtet. Es geht in dieser Arbeit darum, Strukturen und Praktiken aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft funktioniert, die auf persönlichem und nicht auf schriftlich-allgemeinverfügbarem Wissen basierte. Die rein schriftliche Wissensweitergabe wurde als nicht ausreichend angesehen. Die Ausbildung – heißt Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten bzw. begleitete Sammlung von Erfahrungen – erfolgte mündlich-persönlich und praktisch-direkt; im eigenen Haus vom Meister an den Lehrjungen, vom Vater an den Sohn oder bei Töchtern an den erwählten Schwiegersohn. Waren geforderte Fähigkeiten im eigenen Land nicht vorhanden, bestand die Möglichkeit, eigene Angestellte/Untertanen ins Ausland zu schicken, um dort Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen oder Wissensträger zur Übersiedlung zu bewegen. Die nicht vorhandene Allgemeinverfügbarkeit von Wissen machte dieses zu einem persönlichen Kapital, mit dem sich etwa um Förderung – und dies war meist die Obrigkeit bzw. von ihr haben sich die Akten erhalten – beworben wurde. Der in Aussicht gestellte Transfer von nützlichen Fertigkeiten und Wissen war die Grundlage, mit der sich bei einem potentiellen neuen Landesherren um finanzielle und logistische Umzugsbeihilfe beworben werden konnte. Die hohen Umzugskosten und logistischen Hürden machten eine Unterstützung der Umsiedlung unerlässlich und behinderten die Freizügigkeit weit mehr als (gewaltsame) Gegenstrategien der bisherigen Landesherren. Diese konnten eine Umsiedlung behindern, aber nicht verhindern. Die Vielzahl unterschiedlicher Landesherrschaften und deren Konkurrenz um die fähigsten Köpfe und geschicktesten Hände waren Triebfedern, diese durch Vergünstigungen und individuelle Förderung ins eigene Land zu holen und dort zu halten. Unternehmer können benötigte Spezialisten persönlich im Ausland anwerben oder hierfür auf das königliche Residentennetz zurückgreifen. Die Konditionen werden jeweils persönlich ausgehandelt. Daneben können sich Einreisewillige an den König bzw. dessen Residenten wenden und einen entsprechenden Antrag auf Umzugshilfe und Ansiedlungsförderung stellen. Die königliche Verwaltung entscheidet im Einzelfall, ob ihnen das Angebot förderungswürdig erscheint und welche Art und Höhe der Unterstützung gewährt wird. Der Monarch ist in diesem Prozess meist nur indirekt beteiligt, indem er
Zwischenfazit
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der Adressat der Bittgesuche ist und die Verwaltung ihre Entscheidungen in seinem Namen bekannt macht. Für den Geförderten wie auch für andere nicht direkt beteiligte Verwaltungsinstanzen ist es hingegen nicht ersichtlich, ob der König selbst eine Entscheidung gefällt hat oder ob dies nur in seinem Namen geschehen ist. Da die Förderung aus königlichen Kassen bzw. durch Gewährung königlicher Rechte erfolgt, ist die rechtliche Bindung dieselbe. Auf diese Präzedenzfälle können sich wiederum andere Antragsteller berufen. Die Gesellschaftsordnung beruht nicht auf einer schriftlichen Verfassung, sodass sich auch innerhalb einer Landesherrschaft historisch-gewachsene und regional-differenzierte Zustände und denen angepasste Verwaltungsstrukturen finden. Die ›Zentrale‹ hat nur begrenztes Wissen über die Zustände in der Provinz und ist auf die lokale Zuarbeit bzw. das lokale Anpassen durch die dortigen Amtsträger angewiesen. Diese haben eine Mittlerfunktion in beide Richtungen als Vertreter der Obrigkeit in der Provinz, aber auch als Vertreter der Provinz gegenüber der Obrigkeit. Versuche, umfassendes Wissen über die Zustände in der Provinz zu erhalten, als Grundlage eines neuen generellen Politikansatzes bleiben in den Ansätzen stecken. Frühneuzeitliche Wirtschaftsförderung orientiert sich an konkreten vorgetragenen Anliegen, kleinteilig und auf den Einzelfall bezogen. Dabei gibt es von Seiten der Verwaltung oder des Königs keine Struktur über das persönliche Erinnern der Beteiligten hinaus, Verwaltungsentscheidungen festzuhalten. Das Archivwesen steckt noch in den Kinderschuhen. Schriftverkehr wird zwar teilweise aufgehoben, es fehlt aber die recherchierbare Verfügbarmachung, sodass auch die Verwaltung oder der König keinen Überblick haben, wen sie oder ihre Vorgänger wie gefördert haben. Von einer einheitlichen Wirtschaftspolitik kann deshalb keine Rede gewesen sein. Dem liegt eine Rechtsauffassung zugrunde, die eben nicht von der Gleichheit der Untertanen und Allgemeingültigkeit des Rechts ausging, sondern von königlichen Erlassen, die im Einzelfall erkannte Missstände abstellen und für gut Befundenes fördern sollten. Diese Praxis der Einzelfallentscheidungen steigerte die Bedeutung einzelner beteiligter Beamter und deren persönlichem Erinnerungsvermögen auf der einen Seite. Auf der anderen machten sie es nötig, dass der Antragsteller für die Durchsetzung seiner Förderung zuständig war bzw. an diese in gewissem Abstand erinnern musste. Daraus resultiert die möglichst langfristige, meist lebenslange Betrauung mit Aufgaben und das Problem, das Wissen nach dem Tod des Amts- oder Funktionsträgers zu bewahren. Dies betrifft alle Ebenen, die ›öffentliche Verwaltung‹ wie die ›private Wirtschaft‹. Eine bzw. die gängige Möglichkeit war die Weitergabe von Ämtern und Positionen innerhalb der Familie, die durch eine frühzeitige Festlegung des Nachfolgers dessen Einarbeitung ermöglichen und Wissensverluste minimieren sollte. Die persönliche langjährige Verknüpfung von
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Wissen und Wissenstransfer
Posten mit Personen, denen der König vertraut und bei denen Aufgaben und Wissen gebündelt werden, ist das Rückgrat der frühneuzeitlichen Verwaltung. Es kam auf die individuelle Verknüpfung von Wissen an.
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Natur und Rohstoffe
3.1. Energieversorgung und Transportwesen Durch die Abhängigkeit von der Natur als Energie- und Rohstofflieferant war die frühneuzeitliche Wirtschaft witterungsbedingt starken jahreszeitlichen Produktivitätsschwankungen unterworfen. Aussagen zur kontinuierlichen Wirtschaftsleistung müssen relativiert werden. Wilhelm Hassenstein beschreibt die stete Steigerung der Produktionsraten der Gewehrfabrik Potsdam und Spandau. Bei einer »anfängliche[n] Leistungsfähigkeit von über 200 Gewehren in der Woche« habe man 1726 »bereits eine wöchentliche Leistung von über 300 Stück« erreicht, die 1759 »auf 500 Stück wöchentlich gestiegen«519 sei. Diese Beschreibung entspringt dem technikbegeisterten Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts. Die Zahlen sind auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern gehen auf Angaben der Zeitgenossen zurück. Sie entspringen aber sowohl bei Zeitgenossen wie Historikern deren Wunschdenken. Im September 1791 meldet die Führung der Gewehrfabrik Herzberg an die Kriegskanzlei, man könne 250 Gewehre monatlich verfertigen.520 Wie aussagekräftig diese Meldung ist, ergeht aus dem folgenden Schriftverkehr. Diese Zahl aufgreifend, erfolgt eine entsprechende Bestellung der Kriegskanzlei, die bis März ausgeliefert werden soll. Die Führung der Gewehrfabrik muss sofort zurückrudern, man könne den Auftrag schaffen, »wenn nicht in diesem Winter ein anhaltender Frost die umgehenden Werke hemmt«.521 Schon im ersten Jahr ihres Bestehens musste die Kriegskanzlei an den König melden, der lange harte Frost im letzten Winter habe die Arbeit um einige Wochen zurückgeworfen, sodass sie die geforderten 519 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie, Nr. 4, 1912, S. 27–62, hier S. 33f. 520 Kriegskanzlei gibt die Meldung an den kommandierenden General von Reden weiter vom 7. September 1791, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, S. 229. 521 Leutnant Frankenstein und Fabrikinspektor Petersen an die Kriegskanzlei vom 2. Oktober 1791, in: HStA H, Hann. 47 I Nr. 462, S. 219.
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Natur und Rohstoffe
2.000 Stück pro Jahr nicht erfüllen könnten.522 Neben dem Frost sorgen die kurzen Tage im Winter für geringere Produktivität.523 In den genauen Angaben spiegelt sich durchaus der Anspruch der Obrigkeit, das Wirtschaftsleben zu ordnen und zu planen. Als der Fabrikinspektor der Gewehrfabrik Herzberg einen Arbeitsvertrag bekommen soll, sieht der erste Entwurf der Kriegskanzlei einen detaillierten Arbeitsplan vor. In diesem soll festgelegt werden, wann er wo zu sein und welche Arbeitsschritte er vorzunehmen habe. Den Arbeitern soll ein tägliches Pensum vorgeschrieben werden. Sollten sie dieses am Tag nicht schaffen, müssen sie am nächsten Tag mehr arbeiten, sodass zumindest am Ende der Woche die »veraccordierte« Stückzahl reichlich und ohne Mangel vorhanden ist. Von den Laufschmieden soll er zum Beispiel jeden Sonnabend genau 126 Läufe fertig abnehmen. Diese Eingriffe und unrealistischen Vorgaben in den Arbeitsablauf verbietet sich der Fabrikinspektor. Sie entfallen in seinem endgültigen Vertrag.524 Die hannoversche Gewehrproduktion soll 1739 in Herzberg zentralisiert werden, durch das die aus dem Harz kommende Sieber fließt. Durch den durch sie und ihr Gefälle gespeisten Mühlengraben werden die nötigen Schmiedehämmer, Schleif- und Poliermühlen angetrieben. Schon bei ihrer Gründung machen sich die Bauverantwortlichen Gedanken, ob die Stelle gut gewählt sei. Alte Leute im Ort werden nach ihren Erfahrungen befragt und berichten sowohl von Überschwemmungen als auch geringem Wasserdruck in trockenen Zeiten.525 Überlegungen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Gewehrfabrik auf zwei Wassergefälle aufzuteilen, um sie nicht abhängig von einem Fluss zu machen, werden angestellt, aber nicht weiter verfolgt.526 Es wird entschieden, stattdessen den oberhalb gelegenen Jues-See durch einen Damm zu erhöhen, um ein Wasserreservoir zu erhalten, das in Zeiten der Dürre und des Frostes zugelassen werden könne, um den Wasserdruck zu erhöhen. Da dies auch den an der Sieber gelegenen herrschaftlichen Mühlen zu Gute komme, kann die königliche 522 Kriegskanzlei an Georg II. vom 10. Mai 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 302 und Bestätigung der Anlegung der Gewehrfabrik und Festlegung der Kapazität auf 2.000 Stück pro Jahr in Georg II. an die Kriegskanzlei vom 1. Dezember/12. Dezember 1738 in: ebd., S. 174. 523 Anweisung, neue Arbeiter dazu anzuhalten, wegen kurzer Tage im Winter erst Ostern nach Herzberg zu kommen. Gutachten ohne Unterschrift vom 2. Dezember 1738 in: ebd., S. 176– 180. Vgl. auch das erwähnte Reglement für die Spinnschule in Alten-Stettin, die im Winter morgens und abends je eine Arbeitsstunde weniger als im Sommer vorsieht. 524 Entwurf der Instruktionen für den Fabrikinspektor Tanner vom 30. Juni 1738 in: ebd., S. 88–95 und von Georg II. unterschriebene Endfassung vom 23. Januar 1739 in: ebd., S. 200–205, hier insbesondere die Art. 2 und 11. 525 Begleitschreiben zum Kostenvoranschlag für die Anlegung einer Gewehrfabrik in Herzberg vom 24. Juni 1739 durch Maschinendirektor Hansen und Oberbergmeister Harzig, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 5, S. 160–177. 526 Bericht der Kriegskanzlei an Georg II. vom 18. August 1739 in: ebd., S. 6.
Energieversorgung und Transportwesen
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Kammer überzeugt werden, sich finanziell und durch Gestellung des nötigen Holzes an der Infrastrukturmaßnahme zu beteiligen.527 Diese Maßnahme kann nur bedingt helfen. Im Januar 1742 berichtet der Fabrikinspektor, der Graben sei vor acht Tagen das erste Mal zugefroren, hätte aber von den Arbeitern und unterstützenden Tagelöhnern noch einmal aufgerissen werden können. Jetzt sei das Wasser versiegt und reiche nur noch für ein Rad. Damit wenigstens etwas gearbeitet werden könne, habe er angeordnet, dass Rohrschmied, Bohrer und Schleifer sich in Dreitagesschicht abwechseln sollen.528 Der Fabrikinspektor hat die Aufgabe, bei Ressourcenknappheit die Arbeit zu koordinieren. Sorgt Dürre und Frost nur für Produktionsausfälle, gehen von starkem Regen oder Schneeschmelze, die im Frühjahr bzw. Herbst die Sieber anschwellen lassen, reale Gefahren aus, die mehrfach Schäden verursachen. 1742 stürzt der Mühlengraben ein und muss ausgebessert werden. 1743 stürzt das Ufer auf beiden Seiten ein und es wird begonnen, den Graben mit Bohlen zu sichern. Wenige Wochen nach Fertigstellung wird die Wand nach starkem Regen weggerissen.529 Ein darauf 1744 zum Schutz errichteter, verstärkter Holzdamm genügt ebenfalls nicht.530 Als dieser im kommenden Frühjahr nach starkem Regen und Schneeschmelze im Harz einbricht, wird die Wand aus Steinen errichtet. 1746 entscheidet man sich, da auch das nicht ausreichend Schutz bietet, die Wand des Grabens mit Steinquadern zu befestigen.531 Ausbesserungen an den Mauern des Mühlengrabens müssen auch in den kommenden Jahren durchgeführt werden. Nach jedem Schadensfall steht die Arbeit zunächst still. Das freitretende Wasser unterspült Mauern, reißt ganze Gebäude weg oder macht sie unerreichbar.532 Es dauert etwa zehn Jahre, bis die Naturgewalten weitgehend gebändigt werden können. Als 1795 der Bau eines zweiten Kanals genehmigt wird, heißt es im Begleitschreiben, der Mühlengraben, an dem die Schleif- und Poliermühlen liegen, werde durch die Sieber gespeist, die, wenn sie über die Ufer tritt, zu Schäden führe. Besonders im Frühjahr sei die aus dem Harz kommende Sieber ein wilder Fluss.533 Radtke berichtet von einer Eisenhütte bei Luckenwalde, die »theoretisch gute Absatzchancen« habe, aber aufgrund von Problemen bei der Wasserzufuhr nur 527 Königliche Kammer an die Kriegskanzlei vom 4. Juli 1739 in: ebd., S. 91. 528 Tanner an die Kriegskanzlei vom 11. Januar 1742, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 4, S. 302. 529 Tanner an die Kriegskanzlei vom 18. November 1743 in: ebd., S. 234. 530 Kostenvoranschlag für eine Verdammung der Sieber vom 30. August 1744, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 3, S. 182. 531 Tanner und Ritter an die Kriegskanzlei vom 6. Juli 1746 in: ebd., S. 88. 532 Z. B. Berichte des Tanner an die Kriegskanzlei über die großen Schäden nach den Überschwemmungen im November 1743, u. a. sei das Beschieß-Haus nicht erreichbar, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 4, S. 227, 234. 533 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 13. Oktober 1795 in: ebd., S. 6.
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Natur und Rohstoffe
30 Wochen im Jahr arbeiten könne, was »zu bedenklichen Produktionsausfällen führte.«534 In Potsdam und Spandau liegt die Gewehrfabrik an der Havel und wird durch diese angetrieben. Hier gibt es Klagen wegen mangelnden Wasserdrucks und der Konkurrenz zu den in der Nachbarschaft gelegenen Wassermühlen.535 Dafür eignen sich Spree und Havel mit den angeschlossenen Kanälen zum Warentransport. Von der Herzberger Gewehrfabrik sind Klagen überliefert, man läge im Harz abseits großer Flüsse und könnte wegen hoher Transportkosten mit den großen Gewehrfabriken in Suhl und Essen nicht konkurrieren.536 Hier ist man neben dem Wetter von den Fuhrleuten in Herzberg abhängig. Diese haben den Auftrag, die Kästen mit fertigem Gewehr zum nächsten Hafen an die Weser zu fahren. Sie beschweren sich 1772 über den hohen Haferpreis und fordern eine Anhebung des Fuhrlohns. Ihr derzeitiger Vertrag sei von 1746 und beruhe auf den damaligen, nur halb so hohen Haferpreisen. Die Kriegskanzlei ist gegen eine Anhebung und beauftragt die lokalen Amtmänner mit den Verhandlungen. Die geben zu bedenken, dass man auf die örtlichen Fuhrleute angewiesen sei. Laut dem Vertrag seien die Fuhrleute verpflichtet, kleinere Fuhren am Ort unentgeltlich mit zu erledigen, sodass sie sich für eine Anhebung des Preises aussprechen. Es wird ein neuer Vertrag mit Sonderpreisen ausgehandelt und von der Kriegskanzlei ratifiziert, der so lange gültig sei, wie die Haferpreise so hoch sind. Zwei Jahre später wird der Kriegskanzlei gemeldet, dass der Haferpreis wieder deutlich gefallen sei, die Fuhrleute sich aber weigern würden, mit dem Fuhrpreis herunter zu gehen. Die angesetzten Verhandlungen vor Ort kommen zum gleichen Ergebnis wie zwei Jahre zuvor, man sei auf die Fuhrleute am Ort angewiesen und werde den höheren Preis zahlen.537 Die Fuhrleute setzen sich damit mit ihren Preisvorstellungen gegen das Ministerium in Hannover durch, weil sie sich zusammengetan und nicht gegeneinander haben ausspielen lassen. Die Verträge schließt jeweils ein Abgeordneter der Herzberger Fuhrleute 534 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 152f. 535 Anweisung Friedrich II. an den kurmärkischen Kammerpräsidenten vom 21. November 1751, die Spandauer Mahlmüller aufs Nachdrücklichste daran zu erinnern, am Sonntag das Mahlen zu lassen, damit die Gewehrfabrik genug Wasserdruck hat, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 1372, o.S. Auch Hassenstein nennt einige Beispiele in: Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie, Nr. 4, 1912, S. 27–62, hier S. 33f. 536 Bericht des Kriegssekretärs Ramberg vom 4. April 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28. 537 Schriftverkehr zwischen der Kriegskanzlei und Amtmann Lueder in Herzberg von 1772 bis 1774, dabei Abschrift des Vertrags vom 5. Dezember 1746, in: HStA H, Hann. 74, Nr. 1026, o.S.
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für seine Konsorten. Die königliche Verwaltung vor Ort ist auf die gute Zusammenarbeit mit den Fuhrleuten angewiesen. Die Vertragsklausel der Gewehrfabrik, für kleinere Fahrten unentgeltlich zur Verfügung zu stehen, wird unter dem Umstand, dass man sich daran gewöhnt hat, zum Druckmittel, höhere Preise durchzusetzen. So hat jede Betriebsstätte ihre Vor- und Nachteile. Auch das Transportwesen ist von jahreszeitlichen Einschränkungen geprägt. Schwerere Lasten lassen sich wegen der überwiegend unbefestigten Straßen nur auf dem Wasser transportieren. Beim Transport von Waren aus der preußischen Festung Wesel nach Berlin wird der Weg über den Rhein zur Nord- und Ostsee bis Stettin und die Oder und Kanäle bis nach Berlin gewählt.538 Im Sommer führen Flüsse weniger Wasser, was sich auf die Transportkosten auswirken kann. Die Arbeiter der Gewehrfabrik beklagen sich, dass die Schiffer dann nicht so viel Holz aufladen könnten, während der Fährlohn der gleiche bliebe.539 Der für das Transportwesen der Artillerie zuständige Offizier muss im Sommer an den König melden, dass derzeit schwere Lasten wegen des Tiefgangs der Schiffe nicht befördert werden könnten.540 Im Frühjahr und Herbst können Regen, Wind und Schneeschmelze den Transport beeinträchtigen. Der außerordentlich beständige Regen habe alle Flüsse und Bäche anschwellen lassen, sodass sie die ländlichen Teile der Grafschaft Mark nicht erreichen könnten.541 Wegen starken Windes könne das Pulver seit drei Tagen nicht verladen werden.542 Im Winter frieren Flüsse zu. Frachtkähne mit Nachschub für die Artillerie sind auf der Oder eingefroren. Eine weitere Lieferung ist wegen Frostgefahr in Breslau wieder eingelagert worden und kann erst im Frühjahr nach Berlin abgesandt werden.543 Im überlieferten Schriftverkehr tauchen besonders viele Klagen über das Wetter auf, die überwiegend damit zusammenhängen, dass Verzögerungen oder die Nicht-Einhaltung von Fristen erklärt werden sollen bzw. im Vorfeld Druck gemacht werden soll, besagte Fristen einzuhalten, da sonst ein wetterbedingter 538 Vgl. die entsprechenden Freipässe der Jahre 1743 bzw. 1749, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8, o.S. 539 Arbeiter der Gewehrfabrik an die königliche Forstverwaltung vom 14. Juni 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, o.S. 540 Von Linger berichtet Friedrich Wilhelm I. über mangelnden Wasserstand der Peene am 14. Juli 1715, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 11. 541 Klevische Kammer an das V. Departement vom 20. Januar 1764, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 90, Nr. 8, S. 31. 542 Von Linger an Friedrich Wilhelm I. vom 24. August 1715, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 25. 543 Von Dieskau meldet an Friedrich II. vom 13. Dezember 1753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 48 und vom 15. Dezember 1753 in: ebd., S. 47.
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Aufschub nötig wäre. Auf der anderen Seite sind im Winter gerade wegen des Frostes die Landwege auch mit schwereren Lasten befahrbar.544 Man nutzt die jeweiligen Vorteile der Jahreszeiten aus, passt sich an und lebt mit diesen im Einklang. Zu Problemen und Klagen führt es, wenn man sich darüber hinwegsetzen möchte.
3.2. Lagerung und Haltbarkeit Die Vor- und Nachteile der Natur wirken sich auch auf die Lagerung aus. Das Zeughaus in Königsberg liegt direkt am Wasser. Für Hannover stellt Andrea Günther, die die Zeughäuser auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen im 18. Jahrhundert aus baugeschichtlicher Sicht betrachtet, fest, dass die meisten am Wasser gelegen waren. Ausnahmen erklärt sie mit der direkten Einbettung in Festungsbauwerke oder ins repräsentative Stadtbild.545 Die Anbindung an das Wasserverkehrsnetz ist für die Transportierung von schwereren Lasten ein großer Standortvorteil. Auf der anderen Seite lebt man unter der ständigen Gefahr von Überschwemmungen. Der zuständige General in Königsberg beklagt sich bei Friedrich II., dass das Zeughaus auf dem Niveau des Flusses liege, sodass es, als dieser angeschwollen sei, beinahe sechs Monate unter Wasser gestanden habe. Die dort gelagerten Artillerie-Wagen seien verfault und das Pulver unbrauchbar.546 Die über das Herrschaftsgebiet verstreuten547 Zeughäuser sind weit mehr als nur Zwischenlager von Armeematerial. Unter Aufsicht des kommandierenden Offiziers der Stadt sind dort Zeugverwalter, Rüstmeister und/oder Offiziere zuständig und verantwortlich für das eingelagerte Material. Die Zeughäuser dienen auch als Wohn- und Werkstätten, wie Günther anhand der Auswertung des Planungsschriftverkehrs dreier zeitgenössischer Architekten nachweist. Sie nennt neben möglichen Stückgießereien, Zeug- und Waffenschmieden, einem Zimmerhof für Zimmerleute, Wagner, Stell- und Rademacher 544 Generalmajor von Trew vom Zeughaus an die Kriegskanzlei vom 24. Januar 1791, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, S. 200. 545 Andrea Günther, Die Zeughäuser des 17. und 18. Jahrhundert im Raum des heutigen Niedersachsen, Hannover 1989, S. 150. 546 Von Lehwaldt an Friedrich II. vom 24. August 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 K, S. 61. 547 Andrea Günther nennt für den Raum des heutigen Niedersachens 18 Zeughäuser. Eine Übersichtskarte macht deren Dislozierung bei deutlicher Konzentration auf das südliche Niedersachsen deutlich. Andrea Günther, Die Zeughäuser des 17. und 18. Jahrhundert im Raum des heutigen Niedersachsen, Hannover 1989, nach S. 8. Die Größe und das eingelagerte Material, damit die Bedeutung der Zeughäuser unterschieden sich. Ebd., S. 47. Für Preußen nennt der Kriegsetat von 1731 Wesel, Berlin, Magdeburg, Küstrin, Pillau, Memel, Kolberg, Spandau, Stettin, Minden, Peitz, Dreisen, Friedrichsburg, Regenstein, Spahrenberg, Lippstadt, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 C.
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und andere Handwerker.548 So wird etwa eine Grunderneuerung des hannoverschen Artillerie-Fuhrparks auf die einzelnen Zeughäuser bzw. ihre Werkstätten aufgeteilt.549 Neben den Dienstwohnungen der Arbeiter haben auch die militärischen Zeughausbedienten dort Wohnungen, was nebenbei der Sicherheit und Bewachung dient. Eine klare Trennung von militärischer gegenüber wirtschaftlicher und privater Nutzung lässt sich damit für das 18. Jahrhundert nicht feststellen. Die von Daniel Burger für die Zeughäuser der großen (Reichs-) Städte – er führt als Beispiele Augsburg und Nürnberg an – festgestellte Funktion als »Warenkatalog«, in dem Modelle der für den Export produzierten Rüstungsgüter von potentiellen Käufern angesehen werden konnten,550 belegt ebenfalls diese enge Verbindung, konnte anhand der gesichteten Quellen für Brandenburg-Preußen und Kurhannover aber nicht bestätigt werden. An die Zeughäuser lieferten die Produzenten ihre für die Armee hergestellten Waren. Dort wurden sie nach genau vorgeschriebener Prozedur, die sich vor allem mit der äußeren Gleichheit befasste, abgenommen. Damit ging die Verantwortung für eventuelle Mängel oder Schäden auf die Zeughausbedienten über. Einmal im Jahr hatten die Zeughausangestellten eine schriftliche Inventarliste aufzustellen und mit dieser Rechenschaft über die in ihrer Obhut befindliche Ausrüstung abzulegen.551 Bei Auslieferung der Waren an die Regimenter fand eine erneute Abnahme statt, nach der die Verantwortung für das Material an den abholenden Offizier überging. Durch dieses eng gestrickte System der Proben und Abnahmen, auf die im Folgenden noch genauer eingegangen wird, sollten klare Ansprechpartner und Verantwortliche für meist naturbedingte bzw. auf Transport und durch Lagerung verursachte Schäden und Mängel geschaffen werden. Alle ergriffenen Maßnahmen, mit denen die Obrigkeit versuchte, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, um möglichst schnell und eindeutig Schuldige für Qualitätsmängel zu finden, richten sich gegen menschliche Akteure. Aus heutiger Sicht lässt sich die Verantwortlichkeit im Einzelfall nicht mehr rekonstruieren, da die überlieferten Berichte stark gefärbt sind und als Anklage- oder Verteidigungsschrift jeweils den anderen als Schuldigen darstellen wollten. Es 548 Andrea Günther, Die Zeughäuser des 17. und 18. Jahrhundert im Raum des heutigen Niedersachsen, Hannover 1989, S. 29ff. 549 Anschlag des Generalmajors Braun von 1770 zur Erneuerung des Artillerie-Fuhrpark und wie die 553 Wagen und 207 Karren auf die Zeughäuser aufzuteilen sind. HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 119. 550 Daniel Burger, Waffenkammern und Zeughäuser in Mittelalter und Früher Neuzeit zwischen Funktion und Repräsentation, in: Olaf Wagener, (Hrsg.), Symbole der Macht, Aspekte mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Architektur, Frankfurt/Main 2012, S. 406– 428, hier S. 424f. 551 Anweisung Kurfürst Georg Ludwig an die kommandierenden Offiziere der Städte mit Zeughaus vom 7. März 1706, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. II, S. 8.
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können aber, da die individuelle Schuldfrage für uns völlig irrelevant ist, losgelöst vom Einzelfall Einflussfaktoren aufgeführt werden. Bei Mengenverbrauchsgütern wie Salpeter oder Flintensteinen tritt häufig Schwund während des Transports auf. Als potentielle Verursacher werden die Lieferanten beschuldigt. Nicht immer können mangelhafte Transportbehältnisse für den Schwund verantwortlich gemacht werden. Zusätzlich erschwert wird die Überprüfung der Vorwürfe durch verschiedene Messeinheiten und Methoden. So werden etwa in Hamburg Salpetersäcke pauschal mit elf Pfund berechnet, während in Harburg das exakte Gewicht angegeben wurde.552 Auch wenn in den meisten überlieferten Fällen die Unregelmäßigkeiten durch unterschiedliche Messmethoden oder Gewichte aufgeklärt werden können, haben sich die Lieferanten und Transporteure zunächst mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Den Untersuchungsberichten ist zu entnehmen, dass auf dem Transport Fässer kaputt und damit Flintensteine verloren gehen. Der Zeugverwalter aus Nienburg erklärt damit das Fehlen von 67 Flintensteinen bei einer Lieferung von insgesamt 12.600 Steinen. Er habe extra zweimal nachzählen lassen.553 Tonnen müssen auf dem Weg ausgetauscht werden, weil sie zu zerbrechen drohen. Ein Postmeister meldet, während der Fahrt sei eins der Fässer auseinandergefallen. Er habe sofort angehalten und die Steine aufgesammelt. Bei Ankunft hätten aber 905 der bestellten 20.000 Steine gefehlt, sodass der für das Zeughaus zuständige Generalmajor nun die Kriegskanzlei um Entscheidung bittet, ob der Versicherung des Postmeisters, keine Steine verloren zu haben, geglaubt werden soll oder er zu haften habe.554 Die Salpetersäcke sind undicht, sodass auf dem Transport Schwund entsteht, der noch dadurch vermehrt wird, dass der Salpeter durch Feuchtigkeit in die Säcke einzieht.555 Die angeordneten Maßnahmen zur Transportsicherheit können nur bedingt Abhilfe schaffen. Gewehre gehen auf dem Transport oder beim Umladen kaputt. Die Maßnahme des Versiegelns vor und gemeinsames Öffnen nach dem Transport kann nur gegen menschliche Manipulation absichern, nicht jedoch gegen die Unbilden der Natur.556 Bei Empfang der für die Deutschen Truppen in Gibraltar und Minorca bestimmten Ausrüstung muss festgestellt werden, dass durch den Seetransport viele Kisten beschädigt wurden. Seewasser und Seeluft 552 Attest, das die Praxis des Salpeterverkaufs in Hamburg bestätigt vom 27. Oktober 1798, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 213. 553 Bericht Zeugverwalter Eden an die Kriegskanzlei vom 26. Mai 1715, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 307. 554 Generalmajor von Gauvain an die Kriegskanzlei vom 17. Juli 1715 in: ebd., S. 285. 555 Bericht des Zeughaus Harburg an die Kriegskanzlei vom 20. September 1798, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 220. 556 Vorschlag Oberst Quernheim zur Vermeidung von Transportschäden vom 18. Dezember 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. III, S. 124.
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hätten die Klingen rosten lassen und das Lederzeug sei beschlagen557.558 Aber nicht nur die Umstände des Transports, auch das mangelnde Wissen um Konservierung führen zu Beschuldigungen der Zeughausbedienten, die für das eingelagerte Gut verantwortlich sind. Die entsprechenden Verteidigungsschriften der Zeughausbedienten, in denen sie ihre Bestände verteidigen, zeugen davon, dass sich diese wirklich verantwortlich fühlten. Statt Qualitätsmängel mit Lagerschäden zu entschuldigen, sind für sie die Schäden entweder schon vorher oder erst nach Auslieferung entstanden, aber auf keinen Fall in ihrer Obhut. Als grundlegendes Problem der Obrigkeit kann festgestellt werden, dass man sich in der Position des Chefs sieht, befehlen möchte und erwartet, dass das so umgesetzt wird. Auf dem komplexen Feld der Wirtschaft und des Handels und erst recht, wenn die Natur mit im Spiel ist, lässt sich dieser Anspruch aber nicht durchsetzen. Man versucht Dinge zu regeln, die nicht bzw. unter den Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Wirtschaft nicht zu regeln sind und sucht Schuldige, wenn die Maßnahmen ins Leere greifen. Die Proben stellen dabei ähnlich wie die jährlich aufzustellenden Inventarlisten der Zeughäuser nur eine Momentaufnahme unter den Idealbedingungen der Probe dar und sind zudem abhängig von deren Intention. Sie können den tatsächlichen Zustand und die Einsatzbereitschaft der gelagerten Ausrüstung nicht abbilden oder konservieren. Sie bilden aber die Grundlage obrigkeitlicher Planungen, denen damit schon aufgrund unzureichender Grundannahmen Grenzen gesetzt sind. Als Friedrich II. auf Grundlage einer solchen Bestandsmeldung 1752 befiehlt, das in Wesel vorhandene Schanzzeug nach Schlesien zu transportieren, wo es gebraucht werde, antwortet der zuständige Offizier : Große Teile der geforderten Schippen und Hacken seien unbrauchbar, die Eisenteile verrostet, die Stiele wurmstichig, sodass sich weder Transport noch Reparatur lohnen würden.559 Der Zeugverwalter im Zeughaus Nienburg antwortet auf den Befehl, die vorrätigen 346 Patronentaschen auszuliefern, diese seien noch aus dem letzten Krieg und von so schlechtem Leder und Beschaffenheit, dass sie für das Regiment unbrauchbar seien.560 Selbst wenn der Zustand des Materials mit abgefragt wird, kann er nicht als Planungsgrundlage dienen. Der Oberrüstmeister meldet, alle Gewehre im Zeughaus Hannover könnten sofort an die Truppe ausgeliefert werden. Als diese daraufhin wirklich angefordert werden, 557 Verschimmeln vgl. Art. Beschlagen, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 4 (1774), S. 260. 558 Bericht Rittmeister Kettenburg vom 6. Mai 1783, in: HStA H, Hann. 38B, Nr. 28, o.S. 559 Von laut Inventar 19.984 in Wesel gelagerten Schippen seien 8.623 unbrauchbar und irreparabel. Von Dieskau an Friedrich II. vom 7. März 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep 96, Nr. 612 C, o.S. 560 Von Issendorf an die Kriegskanzlei vom 15. Februar 1789, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 65.
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reichen die tauglichen Bestände nicht mal für ein Bataillon, der Rest könne binnen sechs Wochen instand gesetzt werden.561 Als die im Zeughaus-Inventar Göttingen angeführten 173 Degengehenke an zwei neuaufgestellte Kompanien ausgegeben werden, meldet der Zeugverwalter, man habe 100 davon bereits an eine andere neue Kompanie ausgegeben.562 Viele Mängel zeigen sich zudem erst beim Tragen bzw. Nutzen der Produkte. Tücher, die schnell die Farbe verlieren, deren Nähte wieder aufgehen oder die bei Nässe einlaufen, sind bei der ballenweisen Abnahme nur schwer zu erkennen.563 An gleicher Stelle beschweren sich zwei Schneidermeister, die für die Abnahme bürgen sollen, dass sich die Haltbarkeit der Farbe erst durch das Tragen zeige.564 Fehler an den Gewehren sind anscheinend ebenso auf mangelhafte Handhabung wie auf Fertigungsfehler zurückzuführen. Ein entsprechender Untersuchungsbericht, der den Oberrüstmeister vom Vorwurf der Auslieferung mangelhafter Gewehre freisprechen soll, führt zahlreiche Fälle auf, in denen das Versagen der Gewehre auf falschem Gebrauch beruhe. Gebrochene Schäfte entstünden durch das feste auf den Boden Schlagen,565 eine Handlung, die das Infanteriereglement beim Laden der Waffen und »Das Gewehr beym Fuß.«Nehmen vorschreibt.566 Für ein Nichtzünden der Gewehre sei das falsche Einsetzen der Feuersteine, verunreinigte Läufe und verstopfte Zündlöcher oder ein unzureichendes Feststopfen der Patronen verantwortlich. Daneben seien die Patronen schon vor einem halben Jahr hergestellt, sodass die Qualität des Pulvers zu wünschen übrig ließe. Auch kleinere und durch den Fachmann leicht zu behebende Fehler – wie zu fest angezogene Schrauben – zeugen davon, dass es bei Versagen eines Gewehrs naheliegender war, den ausliefernden Zeugwärter zu beschuldigen, als nach einer (einfachen) Lösung des Problems zu suchen.567 Zu den Gebrauchsfehlern tritt der ›normale‹ Verschleiß. So meldet der für die Artillerie zuständige Oberst, dass beim jährlichen Exerzieren Kanonen un-
561 Kommandierender General de Melleville an die Kriegskanzlei vom 24. November 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. III, S. 22. 562 Zeugverwalter Georg Friedrich Lotzen an die Kriegskanzlei vom 22. Oktober 1744, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. IV, S. 57. 563 Vgl. Akte zu Beschwerden über gelieferte Montierungstücher 1795 HStA H, Hann. 38 E, Nr. 417. Z. B. Oberst Diepenbroick vom 6. Juli 1795 in: ebd., S. 12. 564 Major Scheidemann an die Kriegskanzlei vom 8. Oktober 1795 in: ebd., S. 48. 565 Vernehmungsprotokoll des Oberrüstmeisters vom 24. Juli 1727, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 87. 566 Für Preußen »Im sechsten Tempo stoßt man das Gewehr an die Erde« in »Der wohl exercierte Preußische Soldat oder vollständiges preußisches Manuale« durch Johann Conrad Müller 1759 als Faksimile bei Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 222–289, hier S. 244. 567 Berichte an die Kriegskanzlei vom 4. April 1734, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 80f und vom 30. April 1734 in: ebd., S. 84ff und 89ff.
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brauchbar geworden wären, die nun umgegossen werden müssten.568 Auch bei einem schonenden Umgang sei es nicht zu verhindern, dass bei Manövern Pferde abgehen, die vor der Revue zu ergänzen wären.569 Die Knopflöcher seien vom vielen Knöpfen ganz ausgeleiert.570 Größere Lagerbestände waren wegen mangelhafter Lagermöglichkeiten und unzureichendem Wissen um Haltbarmachung gar nicht möglich. So drängen die Holzlieferanten darauf, dass ihnen das für neue Artillerie-Karren gelieferte Holz endlich abgenommen wird, weil sie für weitere Lagerschäden – das Aufreißen des Holzes – nicht aufkommen könnten.571 Und auch die Gewehrfabrik Herzberg bittet die Kriegskanzlei darum, fertige Gewehre schnellstmöglich an das Zeughaus abliefern zu dürfen, um das Risiko von Lagerschäden auf die dann zuständigen Zeughausbedienten abzuwälzen.572 Bei längerfristiger Lagerung von Holz ist mit Fäule oder Holzwurmbefall zu rechnen.573 Als nach dem Siebenjährigen Krieg die hannoverschen Landregimenter abgemustert werden, müssen die Soldaten die für den Heimweg noch belassene Montierung in ihren Ämtern und Gerichten abgeben. Die Gerichte dringen darauf, diese möglichst schnell an die Zeughäuser weiterzugeben, da sie nicht für Schäden durch Mäuse, Motten und Staub haften wollen.574 Das Zeughaus Nienburg meldet, von den aus den Depots der abgemusterten Regimenter abgelieferten Uniformstücken und Tuchrollen sei ein Drittel nur noch »zum flicken oder ausbessern der Mondierungen […], die übrigen aber sind des aufhebens nicht wehrt«575. In den Zeughäusern wird sich bemüht, die eingelieferten Uniformen mit den bekannten natürlichen Mitteln zu konservieren. In Stade sollen diese hängend an einem trockenen Ort gelagert werden. Bei Frostwetter wolle man sie tüchtig ausklopfen.576 In Hameln setzt der dortige Zeugverwalter auf Wermut, mit dem er die Uniformen behandelt, ehe er sie fest zu Paketen verschnüren und trocken lagern
568 Oberst von Dieskau an Friedrich II. vom 16. Oktober 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 569 Von Massow an Friedrich II. vom 28. April 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 17. 570 Oberst Druchtleben an die Kriegskanzlei vom 26. Oktober 1733, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 74. 571 Zeugverwalter Owenus meldet die Beschwerden an die Kriegskanzlei am 8. März 1779, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465/2, S. 426. 572 Gewehrfabrik Herzberg an die Kriegskanzlei vom 1. November 1792, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, S. 164. 573 Bericht über faules und wurmstichiges Nussbaumholz, das eigentlich für Gewehrschäfte genommen werden sollte vom 12. Januar 1735, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 231. 574 Vgl. verschiedene Berichte vom Herbst/Winter 1762/63, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 302. 575 Bericht des Zeugverwalter Bülte aus Nienburg vom 3. März 1764 in: ebd., S. 138. 576 Zeugverwalter aus Stade an die Kriegskanzlei im Januar 1764 in: ebd., S. 73.
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will.577 Die Bedeutung der trockenen Lagerung für die Haltbarkeit ist den Zeitgenossen durchaus bewusst. Trotzdem oder gerade deswegen muss Feuchtigkeit immer wieder zur Erklärung von Lagerschäden herhalten. Die Folge ist, dass gerade für die Armee mit ihren Großbestellungen nur Auftragsbestellungen in Frage kommen. Kein Holzhändler oder Tuchfabrikant würde – vom gebundenen Kapital ganz abgesehen – das Risiko auf sich nehmen, hierfür ausreichende Lagerbestände dauerhaft vorzuhalten. Besonders schwierig zu konservieren und darüber hinaus gefährlich ist die Lagerung des Schießpulvers. Es muss sowohl vor Feuchtigkeit als auch vor Brand- und Hitzequellen geschützt werden, ist aber in einer mit Schusswaffen ausgerüsteten Armee unverzichtbar und muss in großen Mengen verfügbar sein. Die Verweise zu Sicherheitsmaßnahmen bei Transport und Lagerung von Pulver sind entsprechend umfangreich. Für einen Schiffstransport über die Weser wird zuvor die Dichte des Schiffes geprüft. Die Verladung dürfe nur bei trockenem Wetter erfolgen. Die Mannschaften bekommen doppelten Lohn, dass sie nicht Feuer machen und rauchen. Es sollten nur gekochte Esswaren an Bord genommen werden.578 Für den Landtransport von Munition wird eine Anweisung erlassen, dass die Fässer in doppelten Körben mit Stroh festgestopft und gut abgedeckt gegen Regen in Wagen zu transportieren sind, deren Pferde mit Geschirr und Schwangeln579 festgemacht zu sein haben. Als Begleitung sollen sechs bis acht Mann dienen, die von einem vernünftigen Unteroffizier geführt werden, der das Rauchverbot strikt zu überwachen hat.580 Aus der Beschreibung der preußischen Artillerie durch Kurt Wolfgang von Schöning 1844 geht hervor, dass bei einem Pulvertransport aus Spandau nach der Oranienburger Vorstadt 1737 am 1. Juli vor dem Transport in der Kirche durch öffentliche Fürbitten für diesen gebetet wurde und am 4. Juli nach dem Transport in der Predigt aus Psalm 28, 6 und 7 für die glückliche Erlösung aus augenscheinlicher Gefahr gedankt wurde.581 Zu erfahren ist, dass die Kanzel sowohl zur Ankündigung und Warnung der Bevölkerung genutzt wird als auch, dass göttlicher Beistand zu den Sicherheitsmaßnahmen gezählt wurde. Der für die Festung Glatz zuständige Kapitän der Artillerie muss 1755 sein Entsetzen melden. Die Untersuchung des dort gelagerten Pulvers habe ergeben, 577 Zeugverwalter aus Hameln an die Kriegskanzlei vom 27. Januar 1764 in: ebd., S. 156–165. 578 Bericht aus Bremen über die Sicherheitsmaßnahmen an die Kriegskanzlei vom 27. November 1712, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 373. 579 Schwängelriemen sind eine Lederaufhängung an Kutschen, die wohl ähnlich einer Federung Erschütterungen der Fracht vermindern sollen. Art. Kutsche, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 57 (1792), S. 288f. 580 Vorschlag zum Landtransport von Munition vom 17. Dezember 1721, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 2, S. 215. 581 Kurt Wolfgang von Schöning, Historisch-biographische Nachrichten zur Geschichte der Brandenburg-Preußischen Artillerie, 1. Bd., 1844, S. 266.
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dass mit 195 Zentnern nur ein Bruchteil des Pulvers brauchbar sei. 2.215 Zentner seien ganz verdorben. Weitere 2.000 Zentner seien halbverdorben und könnten nochmal aufbereitet werden. Der Schaden werde auf 80.000 Reichstaler geschätzt. Der Offizier bittet um Entschuldigung für den Schaden. Er hätte alles in seiner Macht Stehende getan und genaue Lagervorschriften aufgestellt. Es läge an den feuchten Pulvermagazinen der Festung, auf deren schlechten Zustand er schon mehrmals mündlich und schriftlich hingewiesen habe. Diese werden genau beschrieben, wobei unterschieden wird zwischen kurzfristiger Lagerung im Krieg und langfristiger im Frieden. Zu letzterer sei die Festung derzeit ungeeignet, sodass die Bitte folgt, drei neue Magazingebäude zu errichten. Nachdruck wird der Forderung dadurch verliehen, dass die Festung und damit die Stadt Glatz im beschriebenen Zustand nicht zu verteidigen seien.582 Auch wenn bei der Bewertung dieser Klage beachtet werden muss, dass mit ihr der Neubau von Magazingebäuden begründet werden soll, wird deutlich, dass die Lagerkapazitäten einen direkten Einfluss auf die Durchhaltefähigkeit einer Festung haben. Neben der Feuchtigkeit ist die Explosionsgefahr ständig präsent. Als Unglück empfundene Explosionen von Pulvermühlen583 und -Lagerstätten sprechen sich europaweit herum und werden von Anwohnern bei Protesten gegen die Obrigkeit vorgebracht. 1700 reichen die Nachbarn der Osterstraße in Hannover eine von knapp zwanzig Anwohnern unterschriebene Protestnote beim zuständigen Artilleriekommandanten ein. Im Turm hinter ihren Häusern lagere eine große Menge Pulver. Der sei zwar nach außen durch eine Brandmauer geschützt, aber nicht zur ihnen zugewandten Innenseite. Sie befürchten, dass, wenn die in den dortigen Hütten wohnenden Soldaten nicht mit dem Licht aufpassen oder ein Gewitter komme, eine Katastrophe geschehen könne, wie vor sechs oder sieben Jahren in Spandau oder Küstrin oder noch letztes Jahr in der Stadt Wismar. Sie bitten um die Verlegung des Pulvers.584 Nachdem der Oberst der Beschwerde zunächst nicht nachgeht, wenden sich die Bürger an die Kriegskanzlei, die im Zusammenspiel mit dem Bürgermeister eine alternative Lagerstätte auf der Bastion hinter dem neuen Haus ausmacht.585 1733 entsteht eine ganz ähnliche Situation. Die Anwohner beschweren sich 582 Untersuchungsbericht einer Artilleriekommission an den Kommandanten Generalleutnant de la Motte-Fouqu8 vom 8. November 1755 und Schreiben von Dieskau an Friedrich II. vom 6. Dezember 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 583 Frommhold beschreibt zahlreiche Explosionen mit Toten und Verletzten in: Hans Frommhold, Spiegelschleife, Pulvermühle und Kanonenbohrwerk, 3 churfürstliche Industrieanlagen an der Weißeritz in Dresden, Dresden 1929. 584 Nachbarn der Osterstraße in Hannover an den Oberst der Artillerie vom 27. Dezember 1700, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. II, S. 23 hier ohne Datum und in Kopie S. 37. 585 Kriegskanzlei an den Bürgermeister von Hannover vom 28. Februar 1701, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. II, S. 30.
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bei der Kriegskanzlei über das im Turm am kleinen Wolfshorn gelagerte Pulver. Wenn in der Gegend ein Feuer ausbräche, käme wegen der Explosionsgefahr keiner zum Löschen. Die Kriegskanzlei wiegelt die Beschwerde nach Rückfrage beim zuständigen Zeugverwalter als unbegründet ab, da bei dem festen Mauerwerk keine Gefahr bestünde.586 Daraufhin wenden sich die Bürger an die königliche Regierung und tragen ihre Sorgen und Bedenken gegen die Lagerung von Pulver in ihrer Nachbarschaft vor.587 Diese nimmt die Klagen ernster und sorgt für die Umlagerung des Pulvers.588 In beiden Fällen haben die Anwohner erfolgreich die Lagerung von Gefahrgut in ihrer Nachbarschaft verhindert. Bei beiden hat die fachlich zuständige Stelle zunächst negativ auf das Bürgerbegehren reagiert und dieses als unbegründet zurückgewiesen. Die nächsthöhere Beschwerdeinstanz ist diesem aber nachgegangen und hat im Sinne der verängstigten Bürger entschieden. Die Bedrohungssituation ist dabei nicht konkret zu fassen, sondern man beruft sich auf Katastrophen, von denen man gehört hat – vor sechs oder sieben Jahren in Küstrin oder Spandau und verbindet sie mit Vorurteilen – die Soldaten würden unachtsam mit Licht umgehen. So ist dem Bürgerprotest mit rationalen Argumenten nicht beizukommen. Damit kann eine Antwort auf die Frage von Bernhard Kroener gegeben werden, wo die Grenzen der Akzeptanz des Militärs lagen als an sich akzeptierter Faktor gesellschaftlichen Lebens in der Frühen Neuzeit.589 Sobald die eigene Sicherheit und der eigene Besitz betroffen waren, kam es zu Protesten der betroffenen Gruppen. Diese werden von der Obrigkeit, die in ihrem Handeln von den Reaktionen der Untertanen abhängig ist, ernst genommen. Einzelne Untertanen können sich zusammentun und gemeinsam ihre Anliegen vortragen. In Braunschweig-Wolfenbüttel stellt Peter Albrecht fest, dass die Untertanen ein direktes Beschwerderecht bei ihrem Landesherrn hatten, das als eine Art Kontrollinstrument funktionert hätte. Der Landesherr nimmt die Beschwerden Ernst und lässt den Geheimen Rat entsprechende Untersuchungen anstellen.590
586 Kriegskanzlei an den Bürgermeister von Hannover vom 14. März 1733 in: ebd., Vol. VI, S. 99. 587 Bürgermeister an die königliche Regierung vom 16. November 1733 in: ebd., S. 97f. 588 Kriegskanzlei meldet die Umladung am 5. Dezember 1733, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. VI, S. 109. 589 Bernhard R. Kroener, Des Königs Rock, Das Offizierkorps in Frankreich, Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert, Werkzeuge sozialer Militarisierung oder Symbol gesellschaftlicher Integration? in: Ders., Peter Baumgart, Heinz Stübig (Hrsg.), Die preußische Armee, zwischen Ancien R8gime und Reichsgründung, Paderborn 2008, S. 72–95, hier S. 77. 590 Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 547.
Qualität im Untersuchungszeitraum
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3.3. Qualität im Untersuchungszeitraum Die Qualität der Ausrüstung kann direkte Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Truppe haben. Offensichtlich ist dies bei Gewehren und Kanonen. So wird beklagt, dass der Feuerstrahl aus dem Zündloch so stark sei, dass der Nebenmann gefährdet werde. Die zu dünnen Läufe erhitzen sich bei schnellem Feuer zu stark, was zu Rohrkrepierern führen könne.591 Es betrifft aber auch die Patronen, die mit Papier umwickelt waren. War dieses zu dünn, verlieren sie Pulver und sind kürzer haltbar,592 war es zu dick, blieben die Kugeln stecken.593 Beeinträchtigt wird deren Haltbarkeit zusätzlich durch schlechte Patronentaschen, die die Munition nicht vor Feuchtigkeit schützen,594 ebenso wie durch feuchte Pulvermagazine.595 Finden sich hier direkte Auswirkungen, hat Krause in ihrer Arbeit zur altpreußischen Militärbekleidungswirtschaft festgestellt, dass schlechte Kleidung über den Gesundheitszustand der Truppe mittelfristig die Kampfkraft der Soldaten beeinträchtige.596 Bei Belagerungen sollten Schutzschilde aus Säcken mit gestopfter Wolle die Soldaten schützen, über die sich beschwert wird, dass von vier Probeschüssen nur zwei steckengeblieben, während zwei glatt durchgegangen seien.597 Munitions- und Proviantwagen, die wurmstichige Achsen haben, können eine reelle Gefahr für die Truppe darstellen;598 beschädigte Planen die Fracht nicht ausreichend vor Feuchtigkeit schützen;599 zu schwache Pferde die Bewegungsfähigkeit der Armee einschränken.600 591 Kriegskanzlei an Generalfeldmarschall von Reden vom 9. Juli 1792, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, S. 191. 592 Von Dieskau an Friedrich II. vom 12. Oktober 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 C, o.S. 593 Kriegskanzlei an van Campen vom 10. Juli 1741, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 317. 594 »daß die Patrontaschem bey dem mir gnädigst anvertrauten Regiment in sehr schlechtem Stande sein, daß man keine Munition mehr trocken darin Conservieren kann« Oberst von Lucius an die Kriegskanzlei vom 26. Januar 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 116. 595 Bericht über die feuchten Pulvermagazine in der Festung Glatz vom 8. November 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 596 Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft. Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 109. 597 Von Linger an Friedrich Wilhelm I. vom 6. Juli 1715, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 7. 598 Zeugwärter aus Göttingen an die Kriegskanzlei vom 29. Oktober 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol I, S. 92. 599 Von Dieskau an Friedrich II. vom 2. Januar 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 93. 600 Von Dieskau beklagt sich bei Generalleutnant von Tresckow über zu matte Pferde, die den ganzen Winter tagtäglich in Arbeit gestanden hätten, sodass er den geforderten Transport nicht gewährleisten könne vom 20. März 1758 in: ebd., 164.
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Solange die Chefs und Offiziere als Kriegsunternehmer, wie Fritz Redlich sie beschreibt, die Söldner mit eigener Ausrüstung angeworben bzw. die Ausrüstung ihrer Soldaten selbst beschafft haben, sind diese für die Funktionsfähigkeit verantwortlich. Redlich stellt drei Entwicklungsschritte fest. Zunächst (bis Ende 16. Jahrhundert) waren die Söldner mit eigener Ausrüstung angeworben worden, für die sie je nach deren Qualität unterschiedlich hohe Anwerbeprämien kassierten. Nur wenn diese unzureichend war, steuerten die Hauptleute vor Ort nach. Zur Hochzeit der Kriegsunternehmer (1600–1650) hatten die Regimentskommandeure oder Kompaniechefs ihre Soldaten ausgerüstet und in diesem Wirtschaftsbetrieb eine Einnahmequelle. Seit Wallensteins Tod 1636 geht dieser lukrative Ausrüstungshandel in die Hand der Kriegsherren – heißt Landesherren – über.601 Damit beginnt laut Redlich der schleichende Niedergang der Kriegsunternehmer, die ihre vorherigen Einkommen nicht mehr erreichen können und in vertragliche Abhängigkeit zu den sie anstellenden Kriegsherren geraten. Die Einhegung der Offiziere, die als freie Kriegsunternehmer unabhängig vom Monarchen gewesen seien, in das System des stehenden Heeres mit zentralen Beschaffungsinstitutionen,602 ist damit Redlichs Beitrag zur Erklärung des auf die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols fokussierten Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Um die Ausgestaltung dieser von Redlich als Niedergang bezeichneten Phase geht es im Folgenden. Es wird aufgezeigt, dass diese Verdrängung der Regimentskommandeure aus dem Ausrüstungsgeschäft kein linearer Prozess war. Sie war kein Allheilmittel staatlicher Gewaltdurchsetzung, sondern eröffnete für die Obrigkeit ganz neue Problemfelder, die die Unzulänglichkeit obrigkeitlicher Planung offen zu Tage treten lassen. Durch sie geht die Verantwortung für gelieferte Ausrüstung an die sich entwickelnden obrigkeitlichen Beschaffungsorgane über, die sich fortan der Kritik der von ihnen belieferten Truppe über mangelhafte Ausrüstung zu stellen haben. Von den oben erwähnten, die Truppe real gefährdenden Sachzwängen abgesehen, geht es hier vor allem um Verantwortung bzw. Verantwortungsabgabe. Beschwerden der Regimentskommandeure über Gewehre sind zahlreiche überliefert. Sie reichen von allgemeinen Aussagen bis zu genauen Aufstellungen der Mängel, von Klagen über altes unbrauchbares bis zu neuem untauglichen Material. Auf der anderen Seite unterstellen die Rüstmeister, die für Abnahme und Ausgabe der Ausrüstung in den Zeughäusern zuständig sind, dass die Schäden erst auf dem Transport durch mangelnde Vorsicht oder von den Soldaten durch falsche Handhabe entstanden 601 Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his work force, Vol. I, Wiesbaden 1964, S. 323. 602 Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his work force, Vol. II, Wiesbaden 1964, S. 23.
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seien. Inwieweit die Vorwürfe oder Entschuldigungen begründet sind, lässt sich heute nicht mehr nachweisen und die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Die beschriebenen natürlichen Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Wirtschaft und des Transportwesens, mangelndes Wissen um Konservierung ebenso wie die Tatsache, dass es sich um Gebrauchsgegenstände handelt, stehen dabei dem Wunschdenken gegenüber, durch Regelung der Prozesse tadellose und dauerhafte Ausrüstung garantieren zu können bzw. zumindest klare Schuldige benennen zu können, falls dies nicht der Fall sein sollte. Die Qualität wurde im Untersuchungszeitraum durch Proben festgestellt. Prinzipiell gilt es zwar, zwischen der Qualität von Rohstoffen und fertigen Produkten zu unterscheiden, beides hängt aber eng zusammen. Die Rohstoffe sind abhängig vom Vorkommen, aber auch von Lagerung, Aufbereitung und Auswahl – das heißt der Nutzbarmachung durch den Menschen. Die fertigen Produkte sind hingegen genauso Ausdruck der Handwerkskunst des Herstellenden wie der zugrundeliegenden, verarbeiteten Rohstoffe. Eine Trennung von natürlichen und menschengemachten Ursachen bei der Qualitätsbeurteilung ist in einer Zeit, in der ein synthetisches Herstellen von Materialien und ein maschinell-automatisiertes von Produkten nicht bekannt war, wenig sinnvoll. Allgemeingültige Qualitätsstandards sind im 18. Jahrhundert nicht festzustellen. Das Bewusstsein unterschiedlicher Qualitätsstufen war bei den Zeitgenossen aber vorhanden und wurde gezielt eingesetzt, um die eigene Position zu untermauern. Es zeigt sich bei Rohstoffen, die in unterschiedlichen Qualitäten verkauft wurden, wobei die Messlatte der Preis war. Zur Illustration sei hier die Werbeanzeige wiedergegeben, die der Baron von Vernezober 1758 in den Intelligenz-Blättern abgedruckt hat, um den bei ihm angebauten Krapp als roten Farbstoff – etwa für Uniform-Innenfutter – anzupreisen. »Da das von Seiner Königlichen Majestaet allergnädigst privilegierte Crap Etablissement zu Hohenfinow, bey Neustadt Eberswalde belegen, nunmehro so weit gediehen, daß man von demselben die Liebhaber mit gutem und dem Holländischen vollkommen gleich kommenden Crap versehen kann, so dient denselben hiermit zur Nachricht, daß dergleichen Crap, nach allen folgenden Nummern, in großen und kleinen quantitäten auf der Niederlage zu Berlin, bey den Herrn Boerger und Wessling, Handelsleuten in der Spandauer Straaße neben der Landschaft, nach folgenden, vor dieses mahl fest gesetzten Preisen, zu bekommen ist, als Von No. 0. als die allerfeinste Sorte, der Centner a 28 biß 30 RT No. 00. Als die zweite feine Sorte, der Centner a 22 biß 24RT Das diese beyde qualitäten nicht jedermanns Lauff seyn mögten, so hat man davon nur einige wenige Centner gemacht, damit sie, wenn sich Liebhaber finden, vorhanden wären, wie man denn auch erbötig ist, denselben, wenn sie diese Sorten Crap gewiß bestellen, die verlangte Quantitäten ins künfftige anfertigen zu lassen
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No. 1. a 18 biß 20 RT pro Centner No. 2. a 16 biß 18RT pro Centner No. 3. a 13 biß 14RT pro Centner Es verstehet sich von selbst, daß bey diesem Gerichte der hiesige Centner a 110 Pfund gebraucht wurde. Auf dem Etablissement selbst wird zwar auch Crap nach obigen Preisen zu haben seyn, aber nicht anders als daß wenigstens 5. Fäßer zugleich genommen werden […]603. Wer diese Preise und das hiesige Gewicht mit den holländischen vergleicht, wird leicht einfallen, daß der hiesige Crap um ein vieles wohlfeiler als der holländische seyn. Da auch auf Befehl Sr. Königl. Majestaet die probe mit dem hiesigen Crap in verschiedenen Färbereyen gemacht worden, welche nach den eingeschickten attesten sehr gut aus gefallen, so wird auch hoffentlich an deßen Bonität nicht zu desiderieren seyn. Damit aber die Herrn Liebhaber noch einige Versuche damit anstellen können, so ist aus hiesigen Niederlagen jedem von den folgenden Herrn: Herrn Commercien Rath Artzberger zu Stettin H. Diederich Adolph Hedenius zu Breslau H. Friedrich Diercks zu Magdeburg H. Samuel Wöllmitz zu Frankfurth an der Oder Ein halber Centner von No. 1 zur ohnentgeltlichen Distribution überführet worden, von denen sich dann die H. Liebhaber einige Pfund abholen, und damit ihre Probe machen können.«604
Aus dieser Anzeige kann ersehen werden, dass als Vergleich für die Qualität der holländische Krapp angeführt wird, dem der eigene vollkommen gleichkomme. Dieser hatte einen besonders guten Ruf, war aber natürlich auch in unterschiedlichen Qualitäten und Preisen zu bekommen. Schon zwanzig Jahre zuvor hatte Vernezober versucht, die Tuchfabrikanten und Färber dazu zu bringen, seinen Krapp abzunehmen und eine Vergleichsprobe des Lagerhauses angeführt. Die Fabrikanten sprechen diesem Vergleich aber die Legitimität ab, indem der feine Vernezobersche Krapp mit dem mittelmäßigen holländischen verglichen worden sei.605 Zu der Einteilung in fünf verschiedene Qualitätsstufen, deren Preisspanne von 13 bis zu 30 Reichstalern sehr groß ist, kommen noch unterschiedliche Maße und Währungen hinzu, die eine Vergleichbarkeit der Proben nach allgemeingültigen Standards unmöglich machen. Es zeigt sich aber auch in den angegebenen Preisspannen, dass es keine Festpreise gibt, sondern der 603 Es folgt die Auflistung der Mindestabnahmemengen je Qualitätsstufe. 604 Anzeigeentwurf vom 26. Oktober 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 162f. 605 Kurmärkische Kammer an das Generaldirektorium vom 22. Mai 1758 in: ebd., S. 150.
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persönlichen Verhandlung eine große Bedeutung zukommt.606 Eine unabhängige Beurteilung ist durch das nur begrenzt vorhandene Fachwissen unmöglich. Wer über das nötige Fachwissen zur Prüfung verfügt, ist damit selbst involviert. Als der Vernezober seine erste Ernte eingefahren hat und an das Generaldirektorium eine Probe schickt, lässt dieses das Lagerhaus damit Proben anstellen. Intention des V. Departements ist es, das Lagerhaus, das den benötigten Krapp aus Holland bezieht, dazu zu bringen, den im Lande angebauten und veredelten Krapp zu nutzen – worum sie der Baron von Vernezober zuvor ersucht hatte. Dazu lässt sich dieses aber nicht verpflichten.607 Die erfolglosen Bemühungen des V. Departements, das Lagerhaus und andere Berliner Tuchfabrikanten dazu zu animieren, den Krapp des Vernezober abzunehmen, ziehen sich über Jahre hin. Auslöser sind die Beschwerden des Vernezober, dass er seinen Krapp nicht verkauft bekommt. Das V. Departement versucht daraufhin, durch Nachweis der guten Qualität für Absatz zu sorgen. Als 1756 die Qualität des im Lande angebauten blauen Farbstoffes Waid ebenfalls durch das Lagerhaus getestet werden soll, lobt dieses die Farbeigenschaften in höchsten Tönen. Im darauf erfolgten Einfuhrverbot für ausländischen Waid gibt es eine Sonderklausel. Das Lagerhaus sei davon ausgenommen und dürfe weiterhin Waid aus Thüringen einführen.608 In einem Untersuchungsbericht der kurmärkischen Kammer kommen die Tuch-Fabrikanten zu Wort. Das Lagerhaus erklärt, jede Lieferung müsse von ihnen einzeln geprüft werden, sodass man keine generelle Abnahmegarantie aussprechen könne. Ein Fabrikbesitzer gibt zu Protokoll, dass keine Fabrik sich langfristig festlegen könne, bestimmte Mengen abzunehmen, da der Einkauf je nach Bedarf immer wieder neu festgesetzt werden müsse.609 Eigentlich geht es weder dem V. Departement noch den Abnehmern tatsächlich um die Qualität der angebotenen Waren, sondern diese wird als Mittel zum Zweck verwendet, die Fabriken zu einer Mindestabnahme zu bewegen bzw. von ebendiesen den Eingriff in ihre Wirtschaftsführung abzulehnen. Dabei hat sich die Obrigkeit mit der Qualität aber ein denkbar schlechtes Argument ausgesucht, da diese vielen Einflussfaktoren unterliegt und den Abnehmern genug Hintertüren bietet, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine verallgemeinernde 606 Vgl. auch Alessandro Monti, Der Preis des weißen Goldes, Preispolitik und -strategie im Merkantilsystem am Beispiel der Porzellanmanufaktur Meißen 1710–1830, München 2010, S. 30. 607 V. Departement an Friedrich II. vom 11. Juli 1755, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 138. 608 Resolution an die Akzise-Direktion und sämtliche Steuerräte zum Einfuhrverbot von Waid vom 15. März 1756, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 13. 609 Untersuchungsbericht der kurmärkischen Kammer vom 25. Oktober 1779, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 140–143.
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Aussage lässt sie schon daher nicht zu, da das Ergebnis immer von der Vergleichsprobe abhängig ist. Wie die Fabrikanten sehr richtig festgestellt haben, bedarf es immer der Prüfung im Einzelfall. Das Ergebnis der Probe kann dabei durchaus erhebliche Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg einer Unternehmung haben. Der Generalleutnant Braun, der die Meckelfelder Pulvermühle betreibt, wendet sich in einem Protestbrief an die Kriegskanzlei. Diese hatte ihm zuvor mitgeteilt, eine Probe seines Pulvers nach England zu schicken, um dieses dort mit dem englischen Pulver vergleichen zu lassen. Braun wehrt sich gegen die Probe in England, die er ohne seine Gegenwart nicht zulassen könne. Er befürchtet, sein Pulver könnte, um ihm zu schaden, ausgetauscht, vor Nässe nicht richtig geschützt oder falsch gehandhabt werden. Das Vergleichspulver könnte gegen stärkeres ausgetauscht werden. Er habe zudem gerade erst angefangen Pulver herzustellen, sodass man sein Pulver mit bisherigem (mittelmäßigem) holländischen und nicht gleich mit (so befürchtet er bestem) englischen messen solle. Wenn die Kriegskanzlei dennoch auf der Probe in England bestehe, müssten einige neue Herzberger Gewehre und ein tüchtiger hiesiger ArtillerieOffizier mitgesandt werden, da Pulver in England mit Mörsern probiert würde, was ihm kaum aussagekräftig erschiene.610 Neben der Erkenntnis, dass dem Generalleutnant der wirtschaftliche Erfolg seiner Pulvermühle wichtiger ist als das Wohl des Landes – er befürchtet einen Schaden, wenn bessere Methoden und Rohstoffe aus England eingeführt werden – erfahren wir von einem ganzen Strauß an Möglichkeiten, den natürlich auch Braun dazu verwendet haben könnte, sein Pulver als dem holländischen gleichwertig darzustellen. Er stellt damit indirekt das Ergebnis seiner eigenen Probe in Frage, weil er eine Wiederholbarkeit nur unter von ihm bestimmten und kontrollierten Bedingungen für aussagekräftig erachtet. In Ermangelung von klar definierten Qualitätsstandards und der daraus resultierenden Schwierigkeit, diese zu fassen, bedeutet Qualität für die Obrigkeit angestrebte äußerliche Gleichheit. Sie stellt im gesamten Untersuchungszeitraum eine wesentliche Handlungsmaxime dar und ist eine Reaktion auf die Neuerung der Massenbestellung in dem auf Einzelanfertigungen spezialisierten frühneuzeitlichen Handwerksbetrieb. Wie oben festgestellt, handelt es sich aufgrund der Menge der bestellten Produkte immer um Auftragsanfertigungen. Eine vorherige Kontrolle der Waren ist damit nicht möglich. Von ›angestrebter Gleichheit‹ wird gesprochen, da unter den frühneuzeitlichen Produktionsbedingungen nicht von einer einheitlichen Massenproduktion gesprochen werden kann, sondern jedes Produkt ein Unikat darstellt. Arnold 610 General Braun an die Kriegskanzlei vom 18. November 1773, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 5–10.
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Wirtgen hat 1975 überlieferte preußische Waffen des 18. Jahrhunderts in Museen und privaten Sammlungen untersucht und nachgemessen, wobei die gemessenen Werte auch innerhalb von »Modellreihen« zum Teil erheblich voneinander abweichen.611 Durch Regelung der Prozesse und Nachbau von Musterstücken wurde jedoch versucht, die Ergebnisse weitgehend anzunähern. Zunächst wurde ein Prototyp hergestellt, der vom König persönlich oder in Kurhannover vom kommandierenden General abgenommen wurde. Anschließend bekommt sowohl der Handwerker als auch das zu beliefernde Regiment ein versiegeltes Exemplar des Protostücks. Bei Auslieferung wird genau geprüft, ob die gelieferten Exemplare dem Prototyp entsprechen. Diese Praxis beschreibt Gisela Krause ebenfalls für die Anfertigung der preußischen Uniformen. Die Schnittmuster seien in Berlin zentral erstellt worden, die Ausfertigung in den jeweiligen Stationierungsorten von lokalen Schneidern nach dem gelieferten Modell ausgeführt worden.612 Es ist ein allgemeines Misstrauen gegen Rohstoffe und Produkte aus dem eigenen Land zu beobachten. Beschwerden und Berichte über die schlechte Qualität sind zahlreich überliefert. Werden diese allerdings in den Kontext ihrer Entstehung gesetzt, lassen sie sich relativieren. Je ein Beispiel der Eisenverarbeitung aus Kurhannover und Brandenburg-Preußen sollen hier exemplarisch stehen. Der für das Hüttenwesen im Harz zuständige Berghauptmann von Reden beklagt sich über die schlechte Qualität des Eisenerzes im Harz. Im Jahr 1777 erkundigt sich die hannoversche Kriegskanzlei, ob jemand in der Lage sei, eiserne Kanonen zu gießen.613 Der Auslöser dieses Gesuchs wurde bereits im Exkurs zum Wissenstransfer zwischen England und Hannover behandelt. Während der Stückgießer in Celle den Auftrag ablehnt mit Verweis darauf, man gieße nur metallene Kanonen, gibt der Berghauptmann von Reden zu erkennen, dass man den Versuch auf der Harzhütte in Uslar wagen werde, auch wenn man 611 Vgl. Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976 für Henoul-Gewehr 1713, S. 214, Gewehr 1723, S. 298 und 300, Gewehr 1723/1740, S. 302 und 304, Gewehr 1740, S. 306 und zusammengefasst als Durchschnittsmaße preußischer Infanteriegewehre, S. 308. Müller stellt viele Mischformen fest, die aus mehreren »Modellreihen« zusammengesetzt seien. Heinrich Müller, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806. Bd. 1: Die Bewaffnung, Brandenburg 1991, S. 88. 612 Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 178. Merta spezifiziert hier, dass es sich nicht um Schnittbögen im heutigen Sinne gehandelt habe, sondern es hätte vier Grundgrößen gegeben, an denen sich orientiert wurde. Klaus-Peter Merta, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 2: Die Uniformierung, Brandenburg 1991, S. 48. 613 Kriegskanzlei an den Berghauptmann von Reden und den Stückgießer Meyer zu Celle vom 28. Oktober 1777, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. II, S. 307 und 308.
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dort seit 150 Jahren keine eisernen Kanonen mehr gegossen habe.614 Die Kriegskanzlei hatte den Auftrag erhalten, nach einem englischen Modell eine in einem Stück gegossene Kanone als Prototyp ungebohrt nach London zu schaffen.615 Dort angekommen und in der englischen Stückgießerei ausgebohrt, erreicht ein Bericht die Kriegskanzlei, laut dem die Qualität des geschickten Modells nicht den Erwartungen entspräche.616 Daraufhin schiebt zur Verteidigung der angewandten Gusstechnik der Berghauptmann alle Schuld auf die schlechte Qualität des benutzten Eisens aus den Harzbergwerken. Dass die Eisengüte im Harz der englischen ziemlich nahe kommt, kann hingegen der Stückjunker Anton Stuckner feststellen.617 Er war im Sonderauftrag der Kriegskanzlei und mit Genehmigung des Königs ein halbes Jahr in England und durfte die englischen Fertigungsmethoden studieren. Seine Versuche im Harz zeigen auf, dass es nicht an der Güte des vorhandenen Eisens mangelt, sondern am Wissen um Säuberung und Veredelung der Rohstoffe. Damit deckt sich, dass Radtke feststellt, dass der Ruf des preußischen Eisenerzes im eigenen Land so schlecht gewesen sei, dass man trotz höherer Preise und Transportkosten lieber auf das Eisen aus dem Harz zurückgegriffen hätte.618 Aus Sicht des Berghauptmanns erscheint es jedoch einfacher, die Schuld an der beanstandeten Qualität auf die Natur zu schieben, als den Fehler bei den eigenen Fertigungsmethoden zu suchen und das obwohl, wie er zuvor selbst anführt, in seinem Betrieb keinerlei Erfahrungen im Guss eiserner Kanonen vorhanden seien. Die Zeitangabe seit 150 Jahren scheint ziemlich willkürlich. Die Arbeiter der Potsdamer Gewehrfabrik schieben die Schuld am Aufreißen von Gewehrläufen auf die schlesischen Kohlen, »so vielleicht zu viel Schwefel oder andere Sachen so das Eisen spröde machen, bey sich führen« und bitten um die Erlaubnis, auch weiterhin englische Kohlen einführen zu dürfen. Als Antwort bekommen sie zwar die geforderte Einfuhrgenehmigung, werden aber dazu angehalten, es erneut mit den schlesischen Kohlen zu versuchen, da »zu Lüttich die besten und feinsten Gewehre bey dasigen Steinkohlen […] verfertigt würden.«619 Es geht eher um Schuldzuweisungen für Mängel, die Bitte um Freipässe 614 Berghauptmann von Reden an die Kriegskanzlei vom 26. Januar 1778 in: ebd., S. 292 und Stückgießer Meyer an die Kriegskanzlei vom 30. Oktober 1777 in: ebd., S. 305. 615 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 26. Dezember 1777 in: ebd., S. 300. 616 Kriegskanzlei gibt Bericht des Ministers von Alvensleben aus London am 20. Februar 1779 an den Berghauptmann von Reden weiter in: ebd., S. 179. 617 Bericht des Anton Stuckner an die Kriegskanzlei vom 15. August 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. I, S. 107. 618 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 152f. 619 Nach Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 57.
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oder das Zurückweisen der Verpflichtung, sich auf bestimmte Rohstoffe zu verpflichten, als dass man wirklich etwas gegen die schlesischen Kohlen in der Hand hätte. Da diese Klagen aber ständig (als Ausrede) vorgebracht werden, bleibt das Bild der schlechten einheimischen Rohstoffe und Produkte in den Köpfen der Zeitgenossen haften und findet sich bis heute immer wieder.620 So sitzt zum Beispiel Rainer Zenke diesem Vorurteil auf, wenn er feststellt, dass für die Waffenproduktion in Kurhannover nach der herrschenden kameralistisch-ökonomischen Anschauung nur einheimische Materialien Verwendung gefunden hätten, was zu Lasten der Qualität gegangen sei.621 Das deckt sich damit, dass auswärtige Produkte hoch angesehen werden und als Qualitätsvergleich für einheimische Waren herhalten. Besonders eindrücklich ist dies beim Schießpulver, für das das holländische Pulver der Qualitätsmaßstab ist. Die Berliner Pulvermühle wird auch holländische Pulvermühle genannt, weil sie nach deren Art konstruiert ist und von einem Holländer betrieben wird.622 Auch das technische Equipment wie die Mahlsteine werden aus Holland bezogen.623 Letztlich soll der Zusatz ›holländisch‹ den Absatz der Berliner Pulvermühle befördern. In Hannover werden Pulverlieferungen mit dem holländischen verglichen. Ein Kaufmann, der sein Pulver anbietet, bekommt keinen Zuschlag, weil ein Vergleich mit holländischem Pulver zu seinen Ungunsten ausfällt.624 Bei Anlegung einer Pulvermühle im eigenen Land muss sich der Pulvermüller verpflichten, in holländischer Qualität zu liefern. Im Amt werden hierfür extra Gewichte nach holländischem Maß angeschafft, da er das Pulver nach diesem Gewicht abzuliefern hat.625 Bei der Neuverpachtung der Harburger Pulvermühle an den General Braun erklärt sich die Kriegskanzlei zu einer Mindestabnahmemenge bereit, wenn das Pulver dem holländischen an Güte gleichkomme. Aber nicht nur beim Pulver, auch beim Farbstoff Krapp müssen Qualitätsproben sich immer mit Zeeländischer Qualität messen lassen.626 Arbeitsgeräte werden, wie oben beschrieben, aus Holland importiert627
620 So z. B. die »höherwertigen ausländischen Erzeugnisse« bei Klaus Peter Tieck, Staatsräson und Eigennutz, Drei Studien zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1998, S. 114. 621 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum, Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 50. 622 Vgl. Kriegsetat für 1733, der unter Sonstiges Ausgaben für die holländische große Pulvermühle zu Berlin aufführt, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 C. 623 Wolfgang Seel, Preußisch-deutsche Pulvergeschichte, in: Deutsches Waffen-Journal 19 (1983) Nr. 3, S. 294–301, S. 286. 624 Oberst der Artillerie Herrmanns an die Kriegskanzlei vom 12. Dezember 1757, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. I, S. 200. 625 Vertrag zwischen der Kriegskanzlei und dem Pulvermüller Wever vom 27. März 1742, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 44. 626 Vergleichsbericht der Krapp-Proben des Baron von Vernezober vom 12. März 1758, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 135f.
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und die oben abgedruckte Werbeanzeige rühmt den eigenen Krapp, der »dem Holländischen vollkommen gleich« komme.628 Im Gründungsvertrag der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik verpflichten sich Splitgerber und Daum, die Gewehre »ebenso gut und eben so conditioniert als dasjenige, welches zu Lüttich gemachet wird« herzustellen. Mit Verweis auf ebendiese geforderte Qualität lassen sie sich die Erlaubnis zusichern, Rohstoffe aus dem Ausland beziehen zu dürfen, weil dort die Qualität besser sei.629 Ursächlich für dieses Misstrauen gegen die landeseigene, bei gleichzeitigem Loben der Qualität ausländischer Rohstoffe und Erzeugnisse, scheinen die an die Regierung gewandten Klagen einheimischer Produzenten über mangelnden Warenabsatz zu sein. Die auf diese Klagen hin erfolgenden Versuche der Obrigkeit, einheimische Produzenten zur Abnahme zu bewegen, werden mit Verweis auf die Qualität abgewehrt. Die Unternehmer wollen sich nicht in ihre Rohstoffbeschaffung hereinreden und zur pauschalen Abnahme verpflichten lassen. Wenn auch unter Zielrichtung auf deren Adaption adliger Gepflogenheiten, stellt schon Treue fest, dass im 18. Jahrhundert Unternehmer ihre eigenen Herren gewesen seien und sich langsam vom staatlichen Machtanspruch lösen würden.630 Dies schaffen sie dadurch, dass sie die Obrigkeit mit ihren eigenen Argumenten schlagen und die Qualität in ihrem Sinne auslegen. Unter den angeführten Umständen ist jedes Probeergebnis und jede Qualitätsangabe zunächst auf die Intention des Beauftragenden wie des Prüfenden zu hinterfragen. Aus heutiger Sicht viel Lärm um nichts, da die Qualität damals nicht objektiv messbar war. Aber aus der Sicht der Zeitgenossen stellten die Qualitätsproben ein ernsthaftes Verfahren dar, da es um handfeste wirtschaftliche Interessen, Verantwortlichkeiten und Schuldzuweisungen ging.
3.4. Die Versorgung mit Rohstoffen Die Wirtschaft verarbeitet natürliche Rohstoffe – die Zeitgenossen sprechen von rohen Materialien –, deren Vorkommen, Verfügbarkeit und Qualität von der Natur abhängig sind. Die Qualität der Rohstoffe wirkt sich dabei direkt auf die 627 Baron von Vernezober meldet die Bestellung eines Pflugs in Holland an das Generaldirektorium vom 6. Juli 1756 in: ebd., S. 59. 628 Entwurf einer Werbeanzeige des Baron von Vernezober vom 26. Oktober 1758 in: ebd., S. 161ff. 629 Art. 4 und 16 des Gründungsvertrags vom 31. März 1722 in Hassenstein, Wilhelm, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts in Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 30. 630 Wilhelm Treue, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 105.
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Produktqualität aus. Der Rohrschmied der Herzberger Gewehrfabrik beschwert sich über die gelieferten Eisenplatinen, die zu dünn seien, um gute Pistolenläufe daraus herzustellen.631 Anhand einiger Beispiele wird deutlich, welche Auswirkungen die Versorgung mit Rohstoffen für eine Fabrik (nicht nur) im 18. Jahrhundert hatte. Die Barchend-Fabrik in Friedrichshuld, Hinterpommern steht 1776 vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Untersuchung der Umstände ergibt, dass der Fabrikinspektor die Rohstoffe zur falschen Zeit eingekauft und 30 Prozent mehr als üblich bezahlt habe. Jetzt fehle der Fabrik das nötige Kapital und sie stehe aus Mangel an Rohstoffen still.632 Um die Arbeiter und ihre Familien – insgesamt 116 Seelen – und damit wertvolles Know-How in dieser Zeit nicht zu verlieren, erhalten sie ein Wartegeld aus königlichen Kassen. Oberste Priorität des eingesetzten Verwalters ist es, Rohstoffe zu beschaffen, um den Betrieb der Fabrik wieder aufrichten zu können. Er merkt allerdings an, dass es zu dieser Jahreszeit – im Frühjahr – nicht möglich sei, das Benötigte zu bekommen, sodass die Übergangsgelder mindestens vier Monate abdecken müssten.633 Aus den Erfahrungen lernend, wird vertraglich festgelegt, dass sich der neue Betreiber verpflichtet, den Arbeitern immer Materialien zur Verfügung zu stellen. Sollte die Arbeit aus Mangel an Materialien länger als zwei Tage stillstehen, verpflichtet sich der Fabrikinspektor, seinen Arbeitern drei Groschen pro Tag zu zahlen.634 Hier liegt ein weiterer Versuch vor, durch vertragliche Regelungen die Schuld an Missständen einem Menschen zuzuschieben. Ob verschuldet oder unverschuldet kann der Fabrikinspektor diese Kosten nicht tragen. Sie übersteigen seine finanziellen Mittel, sodass letztlich – wie 1776 – die königliche Kasse unterstützend eingreifen muss. In der Gewehrfabrik Herzberg werden die Materialkosten für nicht abgenommene Teilprodukte den Arbeitern in Rechnung gestellt, die diese nacharbeiten müssen. So soll sichergestellt werden, dass nur gute Qualität abgeliefert wird. Wie eine Untersuchung ergibt, müssen die sich dadurch aufhäufenden Schulden von Zeit zu Zeit erlassen werden.635 Auch wenn die Bezahlung nach Stück- und nicht Stunden- oder gar Monatslohn erfolgt und schlechte Qualität den Arbeitern angelastet wird, muss letztlich doch der Fabrikbesitzer oder wenn dies dessen Finanzen übersteigt die Obrigkeit ein-
631 Fabrikinspektor Tanner an die Kriegskanzlei vom 25. August 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 172f. 632 Valentin von Massow an Friedrich II. vom 10. Februar 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 3. 633 Untersuchungsbericht Lüdemann, von Massow vom 11. April 1776 in: ebd., S. 14–25. 634 Konzession für die Übernahme der Barchend-Fabrik durch den Johann Georg Forckel vom 29. Oktober 1776 in: ebd., S. 190–194, hier Absatz a) und e). 635 Bericht der Kriegskanzlei über die Gewehrfabrik Herzberg vom 22. Oktober 1780, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 13.
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springen. Die Fabriken gehen bankrott, die Fabrikbesitzer werden ausgetauscht, die Facharbeiter werden versucht, um jeden Preis zu halten. Aus Rohstoffmangel resultierende Arbeitslosigkeit wird als Ursache für Migrationsbewegungen genannt. Zehn Messerschmiede mit ihren Familien aus Ruhla in Sachsen-Gotha bitten um Übersiedlung nach Preußen, da es in ihrer Heimat keine Kohlen mehr gäbe, um ihrer Arbeit nachzukommen.636 Nicht nur die Verfügbarkeit der Rohstoffe schwankt saisonal, sondern die ganze Produktion ist, wie oben beschrieben, wetterbedingten, starken jahreszeitlichen Schwankungen unterlegen. Starkes Pulver könne im Winter nicht hergestellt werden.637 Die dafür nötige Läuterung erfolgte unter Einsatz von Wasser.638 Die Tuchmacher und -färber merken an, dass sie im Winter nicht so viel produzieren können, da das Trocknen große Probleme bereite.639 Ein Rohstoffmangel in Zeiten mit günstigen Arbeitsbedingungen macht sich dadurch besonders bemerkbar. Die Pulvermühle auf dem Grünenplan steht Juni 1758 trotz der besten Jahreszeit zum Pulvermachen still, weil es an Schwefel fehlt.640 Die Pulvermühlen in Meckelfeld und im Amt Aerzen stehen ebenfalls wegen Salpetermangel still und gehen bankrott.641 In Ermangelung zentraler Rohstoffbörsen hängt es wesentlich vom persönlichen Wissen und Netzwerk des Fabrikbetreibers ab, ob eine Fabrik die für den Betrieb nötigen Rohstoffe in ausreichender Menge und Qualität beschaffen kann. Als die besagte Pulvermühle auf dem Grünenplan wegen Salpetermangel droht stillzustehen, wendet sich der Pulvermüller an die Kriegskanzlei. Er habe gehört, dass im Zeughaus zu Hameln noch Salpetervorräte lagern würden, die er bittet anzuweisen.642 Im Winter 1701 wendet sich ein Schwertfeger aus Einbeck an die Kriegskanzlei. Er habe erfahren, dass sich auf dem Zeughaus etliche hundert alte Degenklingen befänden. Diese seien zum Teil rostig, ohne Scheide und Kreuz, aber an sich noch gut. Er bittet um den Auftrag, diese aufarbeiten zu dürfen. In Hannover kämen die Handwerker den Aufträgen kaum nach, während die 636 Resident Avenarius an Friedrich II. vom 22. Juli 1747, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 2, Bd. 1, S. 2. 637 Von Dieskau an Friedrich II. vom 10. April 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S. 638 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 131. 639 Tuchfabrikant Greve aus Osterode an die Kriegskanzlei vom 23. Dezember 1793, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, S. 148. 640 Pulvermüller Wever an die Kriegskanzlei vom Juni 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 4. 641 Bericht der Kriegskanzlei an Georg III. vom 26. September 1798, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 227. 642 Pulvermacher Johann Christoph Wever an die Kriegskanzlei vom 5. Mai 1753, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 12.
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Handwerker in den kleinen Städten wenig zu tun hätten, ihr Handwerk aber ebenso gut verstünden wie die Meister in Hannover.643 Die Möglichkeit, Zeiten der Auftragsarmut mit Reparatur und Aufarbeitung zu überbrücken, findet sich auch an anderer Stelle.644 Das persönliche Wissen ist hier ausschlaggebend und spiegelt sich in der vom Schwertfeger beklagten Gesamtlage. In der Festungsund Residenzstadt Hannover bekommen die ansässigen Handwerker mit, wenn neue Aufträge winken oder können sich bei ausgemachtem Bedarf initiativ bewerben, während die in der Provinz weiter weg vom Geschehen sind. Die im vorherigen Kapitel behandelte große Bedeutung des persönlichen Wissens der Betriebsleitung ist damit auch bei der Beschaffung von Rohstoffen und Aufträgen festzustellen. Mit dieser Feststellung lässt sich auch die These von Rolf Straubel zur Entwicklung der Residenzstadt Potsdam etwas anders auslegen. »In keiner anderen Stadt [als Potsdam] flossen dem großgewerblichen Sektor mehr Subventionen zu als hier, so daß die Neben-Residenz geradezu als Paradebeispiel merkantilistischer Wirtschaftspolitik angesehen werden kann.«645 Wird der ausschlaggebende Schwerpunkt nicht bei der staatlichen Wirtschaftspolitik gesehen, sondern bei den Handwerkern und Manufakturbetreibern, dann hatten die vor Ort in der Residenz Angesiedelten den kürzesten Draht zum Monarchen bzw. dessen Verwaltung und bekamen mit, wann es lohnend war, sich um Aufträge oder Förderung zu bewerben. Alle Beispiele zeigen eine enge Verknüpfung der Obrigkeit mit der Wirtschaft, die auf dem Feld der Rohstoffbeschaffung besonders ausgeprägt ist. Neben der Finanzierung, um die es im folgenden Kapitel geht, war die Beschaffung begrenzt vorkommender Rohstoffe eine Unterstützung, um die sich bei der Obrigkeit beworben werden konnte.
3.4.1. Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit Ein großer Förderungsbereich der Obrigkeit war die Rohstoffgestellung. Dies konnte sowohl die bevorzugte oder verbilligte Lieferung aus Domänen oder landesherrlichen Vorratslagern sein wie auch die Unterstützung bei der Beschaffung von schwer zu bekommenden Rohstoffen im Ausland. Es zeigt sich, 643 Schwertfeger Hans Hansen aus Einbeck an die Kriegskanzlei vom 10. Dezember 1701, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. II, S. 29. 644 Z. B. bittet der Betreiber der Meckelfelder Pulvermühle Braun die Kriegskanzlei am 22. September 1770 um verdorbenes Pulver zum Aufbereiten, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 93ff. 645 Rolf Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam am Ende des Alten Reiches, Studien zur städtischen Wirtschafts- und Sozialstruktur, Potsdam 1995, S. 18.
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dass die Initiative von den Nutznießern der Rohstoffgestellung ausging und diese für die Ausgestaltung der Durchsetzung Sorge tragen mussten. Besonders deutlich wird dies in Fällen, in denen Fabriken stillstehen oder bankrott gehen, weil sich auf die Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit verlassen wurde. Neben Wasserkraft zur Antreibung der Schmieden brauchten die Gewehrfabriken Brennholz bzw. Kohle zur Befeuerung der Schmieden.646 Die Betreiber der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik Splitgerber und Daum hatten sich im Gründungskontrakt von 1722 auf diesem Feld landesherrliche Unterstützung zusichern lassen. Dort heißt es: »Nr. 18. Vor Holz für erforderten Kohlen soll denen Entrepreneurs bey Potsdam und Spandow und zwar so viel als vor 20. Jahr nöthig seyn möchte, angewiesen, von denenselben aber und zwar nach der alten Holz Taxe jedesmahl, sooft ein Stück gefället wird, an das Forstambt richtig bezahlet werden. Das zur Reparatur dieses Werkes benötigte Bauholz wollen S.Königl.Majt. ihnen aber ohnentgeltlich anweisen lassen.«647
War für die ältere Forschung die Sache mit den Holz- und Kohlelieferungen geklärt – der König befiehlt, die Untertanen liefern648 – bietet ein Blick in die Akten der kurmärkischen Kammer ein wesentlich differenzierteres Bild. Die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer, 1723 gegründet von Friedrich Wilhelm I., war die dem Generaldirektorium direkt unterstellte Provinzial- und Exekutivbehörde, die in der Kurmark Brandenburg »unmittelbar alle Kammeral= und Polizey=Geschäfte, nähmlich die landesherrlichen Regalien, Domänen= Steuer= Polizey= Militär= Servis= und Lieferungs=Sachen« verwaltete.649 Der kollegial organisierten Kammer stand ein adliger Kammerpräsident vor, dem mehrere Kriegsund Domänenräte mit lokalen und sachlichen Schwerpunkten unterstanden – 646 Zu den Grenzen des Wachstums frühneuzeitlicher Wirtschaft Joachim Radkau, Das Rätsel der städtischen Brennholzversorgung im »hölzernen Zeitalter«, in: Dieter Schott (Hrsg.), Energie und Stadt in Europa, Von der vorindustriellen ›Holznot‹ bis zur Ölkrise der 1970er Jahre, Stuttgart 1997, S. 43–75, S. 73; Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 149. 647 Diese Abschrift, mit der die Betreiber die Umsetzung erwirken möchten, entstammt GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 10. Weitere Abschrift der Nummer 18 bei Hassenstein vereinfacht ohne Verweis auf die »alte« Holztaxe und Zahlungsmodalitäten in Hassenstein, Wilhelm, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts in Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie, Bd. 4, 1912, S. 27–62, hier S. 30. 648 Etwa Hassenstein, der auf Steinkohle-, Eisen- und Schaftholz-Beschaffung eingeht, für Holzkohlen aber nur den Gründungskontrakt zitiert. Ebd., S. 41–46. Wirtgen beschreibt die Rohstoffbeschaffung der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik anhand der Regelungen im Gründungskontrakt in Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Textband, Osnabrück 1976, Gründungskontrakt S. 26–28, Rohstoffe S. 53–57, Kohle S. 57. 649 Art. Kammer-Collegium, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 33 (1785), S. 222.
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unter ihnen ein Oberforstmeister. Ihm oblag die Aufsicht der königlichen Forste. Er war in der Residenz bei der Kammer angesiedelt, hatte sich auf Inspektionsfahrten vor Ort über deren Zustand und Bewirtschaftung auf dem Laufenden zu halten und sowohl der Kammer als auch dem König direkten Bericht zu erstatten. Wer Holz aus den königlichen Forsten beziehen wollte – und auch der König hielt hier den Dienstweg ein – musste sich an ihn wenden. Jede Anweisung von Holz aus seinem Zuständigkeitsbereich entstammte seiner Feder bzw. musste zumindest von ihm gegengezeichnet werden.650 Für die Umsetzung der Anweisungen waren die königlichen Forstangestellten in den Heiden und Forsten – die Heidereiter – zuständig. Ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten legte seit 1720 die »neue Holzordnung«651 fest, auf die sie vereidigt waren. Nach dieser waren sie zuständig für den Zustand und Erhalt der ihnen anvertrauten Reviere. Sie hatten Buch zu führen über alles in ihrem Revier geschlagene und gesammelte Holz, das sie nur gegen oben erwähnte Anweisung – genannt Assignation – abholzen lassen durften. Die Preise für die verschiedenen Baumarten und Holzqualitäten waren genau festgelegt, aber auch, wie mit vom König ganz oder teilweise verschenktem Holz zu verfahren war.652 Hier zeigt sich eine erste Vergünstigung bzw. ein Ansatz für Konflikte. Waren die Holzpreise in der neuen Holzordnung auf dem Stand 1720 festgelegt, sollten Splitgerber und Daum dies weiterhin zum Preis der alten Holzordnung beziehen dürfen. Lässt die neue Holzordnung den Eindruck aufkommen, jetzt sei alles einheitlich im Sinne der Obrigkeit geregelt, zeigt die Sonderregelung für die Gewehrfabrik, dass damit nicht alle alten Privilegien aufgehoben waren, vielmehr nach nur zwei Jahren neue hinzukamen. Dass alte wie neue Privilegien und Sonderregelungen nicht in der Holzordnung erwähnt werden, sondern die Schenkung einseitig erfolgte, begründet den folgenden Streit um die Ausgestaltung des Geschenks. Ansonsten ist der Gründungskontrakt der Gewehrfabrik ungenau, sodass sich die ersten fünf Jahre ein reger Schriftverkehr zwischen den Beteiligten erhalten hat, in dem die Konditionen der Holzgestellung ausgehandelt werden. Neben den Fabrikbetreibern sind dies die kurmärkische Kammer und deren Forstbedienten. Der König wird immer dann ins Spiel gebracht, wenn sich die Situation für einen der Beteiligten als unhaltbar darstellt. Wobei sich der kö650 Albrecht Milnik (Hrsg.), Im Dienst am Wald, Lebenswege und Leistungen brandenburgischer Forstleute. 145 Biographien aus drei Jahrhunderten, Remagen 2006, S. 39. 651 »Unsere Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelms Königs in Preussen, etc. Renovierte und Verbesserte Holz- Mast- und Jagd-Ordnung Wie es hinführo in der Mittel, Alte, Neue und Ucker-Mark auch im Wendischen und zugehörigen Creysen Mit dem Holz-Verkauf und sonst in denen Heyden und Gehegen gehalten werden soll« vom 20. Mai 1720 gedruckt bei George Jacob Decker, Königl. Preuß. Hof-Buchdrucker, Berlin 1720. 652 Holzordnung von 1720 Tit. III Vom Verkauff und Werth des Holzes und Tit. VII Abfolgung des freyen Holzes.
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nigliche Wille bzw. die freie Interpretation dessen, was dafür gehalten wird, als Argumentationsuntermalung deutlich besser eignet, als wenn dieser tatsächlich hinzugezogen wird. Zunächst werden den Betreibern die geforderten und gelieferten Kohlen nach den aktuellen Marktpreisen in Rechnung gestellt, bis sich diese durchsetzen können, dass sie vom König den Festpreis aus der alten Holzordnung garantiert bekommen haben. Für die Forstbedienten ist dieser Punkt wichtig, da das Hauer- und Stammgeld, das je nach Wert des gefällten Baumes an sie entrichtet wird, einen wesentlichen Teil ihrer Entlohnung ausmacht. Der handfeste Vorteil für den Einen – Einfrierung des alten Holzpreises – bedeutet damit einen direkten Nachteil für den anderen. Doch auch das Hauer- und Stammgeld an sich macht einen Streitpunkt aus. Die Betreiber weigern sich, mit Bezug auf die königliche Schenkung dieses an die Forstbedienten zu bezahlen. Der König gibt in diesem Fall zunächst den Forstbedienten Recht und verpflichtet Splitgerber und Daum zur Zahlung. Nach einem weiteren Beschwerdebrief weist er allerdings die königliche Kasse an, den Ausstand zu bezahlen.653 Im Grunde genommen ein Schuldeingeständnis des Königs, in seinem Schenkungsbrief nicht eindeutig die Rahmenbedingungen der Schenkung geklärt zu haben. Als nächster Streitfall stellt sich die Frage dar, wie viel Holz benötigt wird, um die gleiche Menge Kohlen zu schwelen und ob sich die Preisgarantie des Königs auf die benötigte Menge an Holz oder die geforderte an Kohlen bezieht. Zusätzlich kompliziert wird dieser Fall durch uneinheitliche Mengeneinheiten – ein grundlegendes Merkmal frühneuzeitlichen Wirtschaftens. Besteht im Revier Falkenhagen, nahe Spandau ein Haufen Brennholz aus zehn Klaftern, sind am anderen Betriebsstandort in Potsdam, keine 25 Kilometer entfernt, nur fünf Klafter für einen Haufen nötig. Probleme bzw. Ermessensspielräume sind geradezu vorprogrammiert, wenn der Versuch gestartet wird, durch eine landesbzw. provinzweite Holzordnung eine einheitliche Bezahlung festzulegen, die zugrundeliegenden Mengenangaben aber nicht vereinheitlicht werden, sondern mit ähnlichen, zum Teil sogar selben Namen Gleichheit nur suggerieren. Die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer und die durch sie vertretenen Heidereiter ziehen in allen Punkten den Kürzeren und auch ihre Proteste beim König verhallen ungehört. Im Gegenteil bestätigt der König die niedrigen Preise und führt weiter aus, dass das Kohlenholz möglichst nahe am Wasser angewiesen werden solle, um auch die Transportkosten so gering wie möglich zu halten. Die Argumentation der Betreiber dreht sich im Wesentlichen um das Wohl ihrer im Ausland angeworbenen Arbeiter, die die Fabrik wieder verlassen würden. Damit wäre alle Mühe der Etablierung einer Gewehrfabrik umsonst und 653 Friedrich Wilhelm I. an die kurmärkische Kammer vom 24. April 1724, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 21.
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die Consumtions-Akzise654 würde für so viele hundert Familien wegfallen.655 Die Auslandskarte bzw. die Angst um das Wohl der mühsam angeworbenen Arbeiter ist bei Argumentationen gegenüber dem König nahezu immer erfolgversprechend. Damit sind nach knapp vier Jahren des Verhandelns die Rahmenbedingungen der Kohlenlieferungen klar zugunsten der Gewehrfabrik geregelt, die – so beschwert sich die Kammer – für ihre Kohlen nur 25 Prozent des Marktwertes zahlen müsste.656 Doch dies sollte nur ein Pyrrhussieg der Betreiber der Gewehrfabrik sein. Sah es zunächst so aus, als wären alle Unstimmigkeiten beseitigt und die Brennstoffversorgung gesichert, melden sich schon bald die Forstbedienten bei der vorgesetzten Kammer und mahnen, in den letzten zwei Jahren habe man derart viel Kohlenholz an die Gewehrfabrik geliefert, dass kein geeignetes Holz mehr vorhanden sei. Man müsse andernfalls junges oder starkes gutes Holz verkohlen, das für andere Zwecke geeigneter sei.657 Die Kammer weicht auf die Jungfernheide aus, die zwar weiter entfernt von der Fabrik liegt, aber durch Havel und Kanäle immerhin mit dieser verbunden ist, sodass ein vergleichsweise kostengünstiger Transport per Schiff möglich ist. Anders sieht es aus, als auch diese Heide nach wenigen Jahren »leergeschlagen« ist. Nun weist der neue Oberforstmeister das Brennholz in Wandlitz an, das 3 12 Meilen von Spandau entfernt liegt und über keine Wasseranbindung verfügt, sodass die Transportkosten – von Länge und Beschwerlichkeit ganz zu schweigen – merklich ansteigen. Alle Proteste der Fabrikbetreiber werden ebenso wie Bitten um Brennholz aus näheren Heiden abgeschlagen. Als der König auf deren Beschwerde unbestimmt antwortet, das Brennholz solle so nah als eben möglich angewiesen werden, lautet der Randvermerk des Oberforstmeisters »Die Kauffleuthe sind hiernach zu bescheiden, und da ich denenselben keine anderen Forsten als da sie anitzo arbeiten lassen, zu ihre benöthigte Kohlenholtz zu assignieren weiß werden sie sich solche wohl müßen gefallen laßen, d.07. 06. 1734 DeSchwerin«658 Für die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer stellte sich durch das Privileg der Gewehrfabrik die Chance dar, Brennholz entfernter und nicht an den 654 »eine landesherrliche Anlage auf alles, was zu Speise, Trank, Kleidung und andern Nothwendigkeiten des Lebens verbrauchet wird.« Art. Consumtion, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 8 (1. Aufl. 1776, 2. Aufl. 1785), S. 330. 655 Z. B. Splitgerber und Daum an die kurmärkische Kammer vom 17. Februar 1729, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 73–76. 656 Oberforstmeister Schwerin an Friedrich Wilhelm I. vom 12. Mai 1734 in: ebd., S. 111ff. 657 Heidereiter Hildesheim vom 27. Februar 1728 und Landjäger Eckardt vom 2. April 1728 an die kurmärkische Kammer in: ebd., S. 67f. 658 Friedrich Wilhelm I. an die kurmärkische Kammer vom 26. Mai 1734 in: ebd., S. 117.
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Kanal- und Flussverkehr angebundener Heiden, das aufgrund der hohen Transportkosten schwer Abnehmer auf dem ›freien Markt‹ gefunden hätte, der Gewehrfabrik als alternativlos anzubieten. Die letzte Bestellung ist für April 1739 überliefert, obwohl die im Vertrag zugesicherte Zwanzig-Jahresfrist noch bis 1742 gegolten hätte. Da aus der Akte für die kommenden Jahre weiterhin Lieferungen von Bau- und Reparaturholz nachzuweisen sind, muss wohl davon ausgegangen werden, dass sich die Kaufleute um anderweitige Quellen zur Brennholzversorgung bemüht haben. Dies unterstützt die These von Schäfer und Radkau, dass die Holzversorgung in der Zeit bis zum Bau der Eisenbahn in erster Linie eine Transportfrage gewesen sei. Die Brennholzpreise wären so niedrig gewesen, dass sie nur in wenigen Gegenden einen Landtransport gerechtfertigt hätten.659 Für Fremdling, der die kontinentale Eisenindustrie untersucht, erzwang ein »unterentwickeltes teures Verkehrssystem« und »der lokal begrenzt regenerierbare Wald als Lieferant für das Kohlenholz […] verstreut liegende Kleinbetriebe.«660 Erst die Eisenbahn schuf damit die Voraussetzung größerer eisenverarbeitender Betriebe.661 Von einem wirklichen Holzmangel kann auch im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, aber das nahe gelegene und damit kostengünstigere Brennholz ging zur Neige oder wurde der Gewehrfabrik vorenthalten. Die Klagen über Holzmangel sind hingegen mit Hintergedanken verfasst worden. Mit Schäfer und Radkau ist hier anzumerken, dass man den (angeblichen) Holzmangel geradezu brauchte, um seine traditionellen oder versprochenen Holzrechte zu behaupten. Vielmehr war die frühzeitig vorgetragene Sorge vor Holznot selbst eine Kraft, die durch Gegenmaßnahmen dafür sorgte, eben jene beklagte zu verhindern.662 Der Fall macht deutlich, dass die Umsetzung bzw. Ausgestaltung königlicher Geschenke im ureigenen Interesse des Nutznießers lag. Nicht der Landesherr wies seine Forstverwaltung an, der Gewehrfabrik Kohlenholz zu liefern, sondern diese wendete sich mit der Abschrift des Gründungsvertrags an die Forstbedienten. Um auf ihre Einhaltung pochen zu können, war es unabdingbar, ein Archiv zu führen, um Resolutionen und Schreiben des Königs belegen zu können. Nicht nur die Untergebenen, auch der König musste des Öfteren an seine eigenen früheren Entscheidungen erinnert werden. Die betroffenen Untergebenen versuchten dabei, den aus Unklarheiten in den Formulierungen herrührenden 659 Joachim Radkau, Ingrid Schäfer, Holz, Ein Naturstoff in der Technikgeschichte, Hamburg 1987, S. 149f. 660 Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert, Die Eisenindustrie in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 373. 661 Ebd., S. 375. 662 Ebd., S. 155ff.
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Spielraum auszunutzen und in ihrem Interesse auszugestalten. Die Relevanz, die Friedrich Wilhelm I. der Rüstungsproduktion im eigenen Land zumisst, scheint von seinen Verwaltungsangestellten und in diesem Fall Forstbedienten nicht geteilt worden zu sein. Es entsteht vielmehr das Bild zweier Instanzen, die zwar beide für den gleichen Landesherrn tätig sind, aber alles andere als an einem Strang ziehen. Von einer sorgenfreien, kontinuierlichen und sicheren Brennholzversorgung für 20 Jahre, wie im Vertrag zugesichert, kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Auch die Vorgaben der Holzordnung können allerhöchstens als Rahmen für Preisverhandlungen angesehen werden. Auch in Kurhannover machen die Betreiber der Gewehrfabrik die Erfahrung, dass die Zusicherung forstzinsfreien Bauholzes einer Ausgestaltung bedarf und bei dessen Unterlassen zu Problemen führen kann. Die Kriegskanzlei drängt zwar die zuständige Rentkammer dazu, das Holz für die oben erwähnte Einfassung des SieberFlusses forstzinsfrei anzuweisen, damit ist dieses aber bei Forstbedienten und im Sägewerk ganz unten auf der Prioritätenliste. Der Baubeauftragte der Gewehrfabrik beklagt sich, dass damit die beste Jahreszeit für die Arbeiten verstreiche und im Anschluss wieder mit Regen und Hochwasser zu rechnen sei. Er bittet die Kriegskanzlei darum, das Bergamt anzuschreiben und dafür zu sorgen, dass sie bevorzugt behandelt werden. Letztlich muss das Holz mit der Hand geschnitten werden, was mit 50 Reichstalern extra zu Buche schlägt.663 Im Jahr 1740 beim ersten Vorfall dieser Art hatte sich die königliche Kammer noch dazu verleiten lassen, die Sägemühle anzuweisen, dem Holz der Gewehrfabrik Priorität einzuräumen.664 Aber bereits 1741 hatte sich der Pächter der Sägemühle erneut mit Verweis auf die viele Arbeit geweigert, das forstzinsfreie Bauholz der Gewehrfabrik bevorzugt zu sägen, sodass man auch hier schon mit der Hand sägen musste.665 Die vielen beteiligten Stellen, die sich schriftlich abstimmen müssen, verzögern zudem den Betriebsablauf. Für eine bereits im Sommer 1744 genehmigte, verstärkte Sieber-Schutzwand bittet der Fabrikinspektor »Forst-Zins-frey«666 um unverzügliche Anweisung des benötigten Bauholzes. Der Schriftverkehr zwischen diesem, der Kriegskanzlei, der königlichen Kammer und dem königlichen Berg- und Forstamt zieht sich so 663 Bau-Beauftragter Olffen an die Kriegskanzlei vom 19. Juli 1745, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 3, S. 113 und Antwort vom 23. Juli 1745 in: ebd., S. 112. 664 Königliche Kammer an die Amtmänner zu Herzberg vom 7. April 1740, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1033, o.S. 665 Olffen an die Kriegskanzlei vom 24. Februar 1741, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 4, S. 368. 666 Fabrikinspektor Tanner verleiht seiner Forderung durch die Unterstreichung des Wortes forstzinsfrei Nachdruck. Dieser an die Kriegskanzlei vom 6. Juli 1744, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, Fasc 3, S. 187.
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lange hin, dass die Bauvorhaben vor der Schneeschmelze im kommenden Jahr nicht abgeschlossen sind und die alte Seitenwand dem Wasserdruck nicht standhalten kann.667 Zwischenzeitlich war ein zweites Gutachten über die Gefahr der Sieber-Überflutung eingefordert worden, wobei der entsprechende Sachverständige wegen schlechten Wetters auf sich warten ließ und schriftlich zwischen den beteiligten Stellen geklärt werden musste, warum das Forstamt der Gewehrfabrik missverständlich doch eine reguläre Rechnung über das zu liefernde Holz gestellt hatte. Der Bezug von Rohstoffen aus königlichen Quellen war eben nur vermeintlich die bessere, günstigere oder sogar kostenfreie Lösung. Diese Erfahrungen mögen zum Misstrauen der Kriegskanzlei in späteren Jahren beigetragen haben. Der Oberforstmeister zu Lüchow bietet der Kriegskanzlei Holz aus landesherrlichen Forsten an. Diese plant gerade mit der Artillerieführung, den Fuhrpark der Artillerie grundlegend zu erneuern. Das Angebot des Oberforstmeisters wird aber nach Rücksprache mit dem kommandierenden General zurückgewiesen, da sie vermuten, es handle sich um Windbruch – das heißt schlechte Qualität. Um dem entgegenzuwirken, müsse man für die Abholung und Prüfung des Holzes einen Offizier abstellen, was zusätzliche Kosten verursache. Man entscheidet sich bewusst für private Lieferanten, denen gegenüber man eine rigidere Preispolitik betreiben und die man zur Lieferung guter Qualität verpflichten könne.668 Der Oberforstmeister als landesherrlicher Angestellter ist hingegen auf der gleichen ›Hierarchiestufe‹. Dieser Befund deckt sich mit einem Gutachten der königlichen Kammer. Auf den Vorschlag, die nicht bewirtschaftete Pulvermühle mangels eines geeigneten Pächters selbst auf königliche Rechnung zu führen, antwortet diese, die Kriegskanzlei würde immer lieber von einem Privatier Pulver kaufen als von der Kammer, da sie es zurückweisen könne, wenn es nicht probemäßig sei.669 Der oben bereits erwähnte Anspruch der Obrigkeit wird deutlich, auf dem Feld der Wirtschaft als Chef zu agieren. Der Einfluss auf die Untertanen wird dazu noch erschwert durch unterschiedliche Zuständigkeiten. Ein Holzhändler, mit dem die Kriegskanzlei einen Lieferungskontrakt über Holz für die Artillerie hat, untersteht eben nicht dieser, sondern der königlichen Kammer. Die im Zeughaus Harburg angestellten Verwalter, die für die Kriegskanzlei den Vertrag ausgehandelt haben, beklagen sich bei dieser über einen Holzhändler, der mittlerweile seit über fünf Jahren im Verzug mit der Lieferung sei. Die Kriegskanzlei gibt die Beschwerde an die für 667 Fabrikinspektor Tanner an die Kriegskanzlei vom 21. März 1745 in: ebd., S. 127. 668 Vgl. Schriftverkehr zwischen Oberforstmeister zu Lüchow von Lenthe, der Kriegskanzlei und dem kommandierenden General von Spoercken 1773, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Nr. 1, S. 98–116. 669 Königliche Kammer an das Amt zu Harburg vom 3. Oktober 1783, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 134.
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Wirtschaft zuständige königliche Kammer weiter, die sich wiederum an den Inhaber der örtlichen Gerichtsbarkeit wendet mit der Bitte, den Holzhändler nachdrücklich aufzufordern, endlich zu liefern. Dieser stellt sich jedoch auf die Seite des Holzhändlers, der sich bis jetzt im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu Schulden hat kommen lassen – auf dem hiesigen Pfandhaus habe er keine Schulden – und bittet für ihn um einen weiteren Aufschub der Lieferung. Ein weiteres halbes Jahr später entscheidet die Kriegskanzlei, letztlich die Lieferung für erfüllt anzusehen, auch wenn das Gelieferte nicht der geforderten Qualität entspricht. Man wolle endlich Ruhe haben.670 Dass die gleichen Verwalter vom Zeughaus Harburg besagtem Holzhändler unter fünf eingegangenen Angeboten kaum drei Jahre später erneut einen Auftrag zur Lieferung von Artillerieholz erteilen,671 zeugt davon, dass der Lieferaufschub keine große Ausnahme, sondern eher die Regel gewesen zu sein scheint. Von ›der Obrigkeit‹ zu sprechen als einheitlich auftretendem und handelndem Organ und dieses gegen ›die Untertanen‹ zu stellen, erweist sich für das 18. Jahrhundert als wenig zielführend. In dieser Sichtweise zeigt sich das Herrschaftsverständnis des späten 19. Jahrhunderts und zwar sowohl das Staatsverständnis des Deutschen Kaiserreichs672 als auch ein marxistisches, von Klassengegensätzen geprägtes Geschichtsbild673. Es zeigt sich vielmehr sowohl in Hannover als auch in Preußen ein Ressortdenken der einzelnen herrschaftlichen Akteure. Diese sind dem König gegenüber für die Verwaltung der ihnen anvertrauten Aufgabenbereiche verantwortlich. Die Kontrolle findet im Wesentlichen in der jährlichen Prüfung und Abnahme der Kassenbücher statt. So zählt die Ausgeglichenheit der eigenen Ressortrechnung, an der der eigene Posten und damit die Grundlage der Entlohnung und Besserstellung hängt und nicht das große Ganze des Landesbesten, zu dem alle Ressourcen in einem Strang gebündelt werden. Darüber hinaus bedurfte die Unterstützung der Rohstoffbeschaffung durch die Obrigkeit auch in Hannover der Ausgestaltung durch den Nutznießer. Der 670 Schriftverkehr zwischen Zeughaus Harburg, Kriegskanzlei, königlicher Kammer und von Engelbrechten zwischen 1764 und 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 5–89. 671 Zeughaus Harburg an die Kriegskanzlei vom 24. Oktober 1770, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. II, S. 347. 672 Vgl. z. B. die »Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871« insbesondere Art. 2 und 3, in denen dem »Unterthan, Staatsbürger« »die Obrigkeit« und »das Reich« gegenüberstellt werden. Art. 36 »Der Kaiser überwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch Reichsbeamte« Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes Nr. 16, 1871, S. 63–85, hier http://dhm.de/lemo/html/dokumente/verfassungkai/index.html, 28. Mai 2014. 673 Vgl. z. B. Karl Marx, der die »jetzt herrschenden Klassen« »der Arbeiterklasse« gegenüberstellt und erklärt, dass eine Gesellschaft ihre »naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren« kann. Vorwort zur 1. Aufl. 1867 in Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 23: Das Kapital, Berlin/DDR 1968, S. 15f, hier http://www.mlwerke. de/me/me23/me23_011.htm, 28. Mai 2014.
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General der Artillerie Anton Ulrich Braun erfährt, dass es in Meckelfeld bei Harburg eine alte Pulvermühle gibt, die seit dem Tod des bisherigen Erbzinsmannes vakant steht. Trotz erheblicher Mühen der zuständigen königlichen Kammer findet sich kein neuer Pächter. Nach langjährigem Hin und Her bekommt Braun den Zuschlag, die Mühle als eine Art Private-Public-Partnership zu betreiben. Die Kriegskanzlei liefert den benötigten Salpeter und bekommt im Gegenzug das Pulver gegen Bezahlung des Macherlohns. Der General kauft die Arbeitsgebäude und stellt einen Pulvermüllermeister sowie Knechte und Gehilfen ein. Sein Know-How und weiterer Einsatz für die Unternehmung sind wesentlich für dessen Erfolg. Braun schickt Offiziere – er nutzt geschickt die Doppelfunktion des Militärs und Unternehmers – ins Ausland,674 um die dortige Pulverproduktion zu erkunden, stellt Experimente mit Pulver an und verbessert dessen Qualität.675 Vor allem kümmert er sich darum, dass der entsprechende Salpeter in der benötigten Qualität eingekauft wird. Er wendet sich rechtzeitig, bevor die Lager erschöpft sind, an die Kriegskanzlei und hört von guten Angeboten. So schreibt Braun – er ist Festungskommandant von Harburg – 1779 an die Kriegskanzlei. Es seien auf dem Zeughaus Harburg noch 13.118 Pfund Salpeter vorrätig. Für seine Jahreslieferung von 300 Tonnen Schießpulver benötige man 22.500 Pfund, sodass er bereits jetzt um den Ankauf einer größeren Menge Salpeter ersucht. Dies sei besonders ratsam, da in Hamburg und Altona derzeit eine große Menge Salpeter lagere, der damit sehr günstig zu bekommen sei. Des Weiteren schlägt er vor, in Kopenhagen, das näher gelegen sei als der bisherige Lieferant in Holland, zunächst durch den dortigen Residenten 500 bis 1.000 Pfund Salpeter anzukaufen, um die Qualität mit der holländischen zu vergleichen. Von der Qualität des Salpeters als wesentlichem Bestandteil des Schießpulvers hinge dessen Qualität maßgeblich ab.676 Die Kriegskanzlei findet den Plan gut und gibt ihm freie Hand. Braun stellt Kontakt mit dem Kaufmann Lauritzen in Kopenhagen her, der ihn fortan mit den neuesten Angeboten versorgt. Die großen Handelsschiffe kämen gewöhnlich August bis Oktober aus Indien und der Verkauf finde nach gehöriger öffentlicher Anzeige etwa sechs bis acht Wochen später statt. Es wird deutlich, wie kurz die Zeitspanne ist, in der die Rohstoffe eingekauft werden können. Die Einkaufssituation sei gerade sehr günstig, da sich, wie der Kaufmann berichtet, sowohl Wien als auch Berlin bereits im letzten Jahr mit großen Mengen Salpeter eingedeckt hätten. Der Preisdruck sei folglich gering. Als Braun bei der Kriegskanzlei unter Angabe des 674 Anfrage Brauns an Premierminister von Münchhausen vom 25. Juni 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 66 und angehängter Reisebericht des Oberst von der Schulenburg vom 16. April 1767 in: ebd., S. 68. 675 Bericht Brauns an die Kriegskanzlei vom 8. September 1770 in: ebd., S. 89. 676 Braun an die Kriegskanzlei vom 3. November 1779 in: ebd., S. 152.
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veranschlagten Preises um den Einkauf von 50.000 Pfund Salpeter bittet, ist diese so begeistert, dass sie zwar formal noch beim König in London um die Freigabe des Einkaufs ersucht, dessen Antwort aber nicht abwartet, sondern den Einkauf gleich genehmigt.677 Der eingekaufte Vorrat reicht für drei Jahre, sodass sich die Kriegskanzlei 1783 um die Aufstockung des Vorrats kümmern muss. 1780 war der betagte General Braun gestorben und die Pulvermühle von dessen Sohn übernommen worden, der bei weitem nicht über Netzwerk und Gespür seines Vaters verfügt. So wendet sich der Kaufmann Lauritzen mit seinem Angebot nicht an ihn, sondern direkt an die Kriegskanzlei. Diese hat zwar ein Interesse an der Versorgung mit Pulver und Salpeter, für sie ist aber der Zustand der Mühle nicht entscheidend. Diese wird von Braun betrieben und dessen Pachtzahlungen gehen nicht an sie, sondern an die königliche Kammer. Wo das Problem liegt, zeichnet sich bereits 1783 ab. Man spekuliert auf fallende Salpeterpreise nach dem in Aussicht stehenden Frieden im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und kauft deshalb nur 30.000 Pfund, obwohl der Jahresbedarf bei Steigerung der Kapazität auf 355 Tonnen Pulver jährlich mittlerweile 26.625 Pfund Salpeter beträgt.678 Zum Verhängnis der Meckelfelder Pulvermühle wird diese Einkaufspraxis der Kriegskanzlei, als die Salpeterpreise im Zuge der Revolutionsund Koalitionskriege steigen. Als Mai 1797 der Kaufmann Lauritzen die Ankunft eines Schiffes meldet und um Auftrag zum Salpeterankauf ersucht, antwortet die Kriegskanzlei, alles sehe nach Frieden aus, der Preis sei zu hoch und man wolle warten. September 1797 warnt das Zeughaus Harburg die Kriegskanzlei, die Vorräte an Salpeter seien fast aufgebraucht. Doch der Kriegskanzlei ist der Preis immer noch zu hoch.679 Erst August 1798 sinkt der Salpeterpreis etwas, sodass 25.000 Pfund angekauft werden. Was für Folgen diese Einkaufspolitik für die von der Rohstofflieferung durch die Obrigkeit abhängige Pulvermühle hat, ist einem Bericht der Kriegskanzlei an Georg III. zu entnehmen. Es sei kein Salpeter zu bekommen gewesen, sodass die Mühle zu Meckelfeld seit einem Jahr stillstehe.680 In Kenntnis des Schriftverkehrs mit Lauritzen ist zu ersehen, dass Salpeter durchaus zu bekommen war und die Kriegskanzlei lediglich die Schuld am Stillstehen der Mühle von sich weist. Ein
677 Kriegskanzlei an Georg III. vom 2. Mai 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 106 und an Braun vom 6. Mai 1780 in: ebd., S. 110 und Antwort Georg III. an die Kriegskanzlei vom 16. Mai 1780 in: ebd., S. 101. 678 Bericht der Kriegskanzlei an Georg III. vom 27. Juni 1783 in: ebd., S. 56. 679 Schriftverkehr zwischen Lauritzen, Zeughaus Harburg und der Kriegskanzlei 1797 in: ebd., S. 243–250. 680 Kriegskanzlei an Georg III. vom 26. September 1798 in: ebd., S. 227.
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Angebot des Lauritzen von Juni 1799 wird erneut mit Verweis auf den Preis und erhofften baldigen Frieden abgelehnt.681 Walczok nennt Salpetermangel als Grund für den Untergang der Meckelfelder Pulvermühle682 und der Blick in den Beschaffungsprozess zeigt auch warum. War es für den General Braun vorteilhaft, den Salpeterankauf über die Kriegskanzlei regeln zu lassen – er hatte weder das Kapital vorzustrecken noch Risiken und Kosten des Transports sowie der Lagerung zu verantworten – kümmert sich sein Sohn nicht um die Beschaffung des Salpeters, sondern verlässt sich auf die Rohstoffgestellung durch die Kriegskanzlei. Diese kauft direkt Pulver ein, wie aus der Ablehnung weiterer Salpeterangebote von 1801 hervorgeht.683 Die Pulvermühle in Meckelfeld geht damit bankrott, als aufgrund der Kriegsereignisse der Salpeterpreis steigt und der Besitzer es versäumt, die für den Einkauf zuständige Kriegskanzlei an ihre vertragliche Verpflichtung zum Einkauf zu erinnern. Hatten Pulvermühlen, wie Walczok feststellt bzw. vermutet,684 unter dem Konjunkturrückgang im Frieden zu leiden, geht die Meckelfelder Mühle gerade wegen der Hochkonjunktur und damit steigenden Preisen bankrott, weil sie sich beim Rohstoffeinkauf auf die Obrigkeit verlässt. Die enge Verknüpfung von landesherrlichen und privaten Unternehmungen ist keineswegs ein Einzelfall. Die Berghandlung im Harz, die für Sprengungen Pulver benötigt, kauft den Salpeter ein und liefert zum Festpreis an einen Vertrags-Pulvermüller in Osterode. Das nötige Holz bekommt er forstzinsfrei aus landesherrlichen Forsten gestellt.685 Der Pulvermüller Wever schließt einen entsprechenden Pulverlieferungsvertrag mit der Kriegskanzlei.686 Laut einer Klage stehe dessen Pulvermühle trotz der besten Jahreszeit seit beinahe einem Jahr wegen fehlenden Schwefels still.687 Auch die Berliner Pulvermühle bekommt ihre Rohstoffe von der Obrigkeit gestellt.688 Der Beauftragte für die Artillerie
681 Kriegskanzlei an Lauritzen vom 24. Juni 1799 in: ebd., S. 204. 682 Carsten Walczok, Die Pulvermühlen von Meckelfeld und Bomlitz. Die Fabrikation von Schießpulver im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel zweier Pulvermühlen, Berlin 2009, S. 274. 683 Kriegskanzlei an Kaufhaus Lorent & Co vom 15. Oktober 1801, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 194. 684 Carsten Walczok, Die Pulvermühlen von Meckelfeld und Bomlitz. Die Fabrikation von Schießpulver im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel zweier Pulvermühlen, Berlin 2009, S. 238 und 242. 685 Hofrat Best berichtet auf Nachfrage an die Kriegskanzlei vom 16. Oktober 1738, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 145. 686 Vertrag zwischen Pulvermacher Wever und der Kriegskanzlei vom 27. März 1742 in: ebd., S. 44. 687 Wever an die Kriegskanzlei im Juni 1758 in: ebd., S. 4. 688 Aufstellung der jährlich anfallenden Rohstoffkosten der Berliner Pulvermühle vom 23. November 1733, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 86.
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bezieht diese über die Kaufleute Splitgerber und Daum.689 Parallel versucht die Obrigkeit, die Salpeter-Herstellung im eigenen Land zu befördern, wie im folgenden Abschnitt dargelegt. Die Verträge vor der Errichtung der Gewehrfabrik in Herzberg mit privaten Büchsenmachern über Gewehrlieferungen für die Armee beinhalten ebenfalls die Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit.690
3.4.2. Förderung des Rohstoffanbaus Rohstoffe wie Holz, die im Verfügungsbereich des Landesherrn meist reichlich vorhanden waren, wurden sowohl in Preußen als in Kurhannover recht bereitwillig verschenkt bzw. angewiesen. Hier hatten sich die Geförderten, wie dargelegt, mit den entsprechenden Stellen, die ihre je eigenen Interessen vertraten, um die Ausgestaltung zu kümmern. Im Folgenden geht es darum, wie die Obrigkeit damit umging, wenn ein benötigter oder geforderter Rohstoff im eigenen Land nicht ausreichend verfügbar war, Anbau oder Gewinnung aber prinzipiell möglich waren. Der für die Schießpulverherstellung691 nötige Salpeter kam in großen natürlichen Vorkommen in Südostasien, von wo er vor allem von den Holländern und Engländern nach Europa gehandelt wurde, und Osteuropa vor.692 Von dort musste er, wie im vorherigen Absatz dargelegt, von der Obrigkeit eingekauft werden und unterlag starken Preisschwankungen. Es war daher naheliegend zu versuchen, die geringen heimischen Salpetervorkommen zu vermehren und zu nutzen. Salpeter bildet sich unter bestimmten klimatischen Voraussetzungen an Orten, an denen sich menschliche oder tierische Ausscheidungen ablagern und mit zersetzten pflanzlichen Stoffen verbinden, so etwa an Stallwänden.693 Zum einen wurde versucht, die bestehenden Vorkommen im Land einzusammeln – 689 Bestellung über 1.600 Zentner ostindischen Salpeter bei Splitgerber und Daum im Bericht von Linger an Friedrich Wilhelm I. vom 4. Dezember 1733, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 504 B, S. 87. 690 Etwa das Eisen in einem Vertrag der Kriegskanzlei mit Schlosser Johann Heinrich Borchers aus Hannover über 6.000 Bajonette vom 21. Januar 1730, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 131. 691 Allgemein zu Funktion und Betriebsweise frühneuzeitlicher Pulvermühlen vgl. den technikgeschichtlichen Ansatz bei Walczok. Dieser nimmt die theoretische Beschreibung bei Krünitz und vergleicht sie mit den an Quellen festgestellten Vorgängen u.a in Meckelfeld. Carsten Walczok, Die Pulvermühlen von Meckelfeld und Bomlitz, Die Fabrikation von Schießpulver im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel zweier Pulvermühlen, Berlin 2009. 692 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 129. 693 Carsten Walczok, Die Pulvermühlen von Meckelfeld und Bomlitz. Die Fabrikation von Schießpulver im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel zweier Pulvermühlen, Berlin 2009, S. 152.
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das heißt abzukratzen – sowie durch Aufstellen entsprechender Wände und Anbringen der nötigen Substanzen die Bildung von Salpeter zu ermöglichen. Im Dezember 1752 berichtet der preußische Beauftragte für die Artillerie über den schlechten Fortgang zweier im Vorjahr bei Stettin angelegter Salpeterhütten. Sie würden hohe Kosten verursachen und erbrächten nur niedrige Leistung.694 Ein zur Untersuchung angestellter Sachverständiger stellt die bisherigen Fehler fest und ein Konzept zur Errichtung von vier weiteren Salpeterhütten auf, die er verspricht, gewinnbringend zu führen.695 Dafür wird er zum Generaldirektor aller Salpeterhütten ernannt,696 was aber anscheinend nicht den gewünschten Erfolg hat, da der zwischenzeitlich zum Generalinspekteur des Salpeterwesens ernannte Dieskau 1755 berichten muss, dass er die von ihm besuchten Salpeterhütten und Anstalten in sehr schlechtem Zustand vorgefunden habe. Es sei nicht verwunderlich, wenn aus diesen wenig oder gar kein Salpeter zu bekommen sei.697 Die Ernennung zum Generaldirektor und zum Generalinspekteur verdeutlicht das zeitgenössische System, durch die Einsetzung von Beauftragten klare Verantwortlichkeiten zu verteilen. Eine Untersuchung der schlesischen Salpetersiedereien ergibt, dass von den dort tätigen acht Salpetersiedern nur einer erfolgreich mit einer fahrbaren Hütte durch die Lande ziehe, während die anderen wenig oder gar keinen Erfolg hätten. Die fahrbare Hütte spricht dafür, dass die Vorkommen im Land so gering bzw. verstreut waren, dass sie eine dauerhafte Produktion an einem Ort nicht zuließen. Dieskau schlägt daraufhin vor, die Pulverherstellung in Schlesien zu verbieten, um den vorhandenen Salpeter nach Berlin zu bringen, damit die dortige Pulvermühle weniger importieren müsse. Das lehnt der König aber ab.698 Auch aus späteren Jahren sind Belege überliefert, dass Salpeter im Ausland eingekauft werden muss. So existiert ein Freipass über eine Salpeter-Lieferung aus Hamburg von 1767.699 Zeitgleich wird ein neues Salpeter-Edikt erlassen, dass die Ablieferung alles im Land vorkommenden Salpeters und dessen Verarbeitung regeln soll.700 Im Jahr 1780 694 Von Dieskau an Friedrich II. vom 1. Dezember 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 C, o.S. 695 Bericht Obristwachtmeister Johann Albrecht Dorguth vom 22. November 1752 in: ebd., o.S. 696 Friedrich II. an von Dieskau vom 20. Januar 1753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 1. 697 Von Dieskau an Friedrich II. vom 2. November 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 698 Von Dieskau an Friedrich II. vom 20. Januar 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 G, S. 1 und dessen negative Antwort vom 22. Januar 1756 in: ebd., S. 2. 699 Geheimer Rat aus Mecklenburg genehmigt Freipass vom 13. April 1767, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 10, o.S. 700 »Königl. Preußischen erneuerten und vermehrten Salpeteredikte für das Herzogthum Magdeburg, das Fürstenthum Halberstadt und die Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischer Hoheit, de dato Berlin den 1. März 1767« abgedruckt im Art. Salpeter=Verordnungen, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 132 (1822), S. 93–98.
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berichtet der Kaufmann Lauritzen aus Kopenhagen, dass sich Berlin im letzten Jahr mit einem großen Vorrat Salpeter eingedeckt habe.701 Ebenfalls aus dem Jahr 1780 ist eine Erneuerung des Salpeter-Edikts überliefert, das laut Präambel auf die Erkenntnisse einer Inspektionsreise der Salpeterhütten gründet.702 Es wird also durchaus versucht, die Kapazitäten im eigenen Land zu nutzen und die Ausbeutung heimischer Vorkommen zu betreiben. Dies scheint aber nicht auszureichen. Die von Julia Zunckel für den Dreißigjährigen Krieg festgestellte Mangelversorgung mit Salpeter kann auf das 18. Jahrhundert erweitert werden.703 Die Förderung des Anbaus eines im eigenen Land anbaubaren, aber nicht bedarfsdeckend angebauten Rohstoffs sei anhand der Förderung des KrappAnbaus in Preußen dargelegt. Über die bereits im vorherigen Kapitel behandelte individuelle Förderung des Krapp-Planteurs Stiefel hinaus werden allgemein Prämien ausgelobt, um den Krapp-Anbau im eigenen Land anzuregen. So findet sich etwa eine Prämienzusage an einen Kolonisten in Schönwalde nordwestlich Berlins, für jeden leichten Stein Krapp / elf Pfund acht Groschen aus der Manufakturkasse zu erhalten.704 Aus einem späteren Bericht erfahren wir die Fördermodalitäten, die deutlich auf den Aufwuchs abzielen. Seit 1776 erhält derjenige, der erstmals einen Stein Krapp erntet, dafür zwölf Groschen Prämie. Danach erhält er für jeden darüber hinaus geernteten Stein acht Groschen. Diejenigen zwei Bauern, die den meisten und feinsten Krapp angebaut haben, erhalten 20 Reichstaler als Extra-Prämie. Die Förderung soll auf einige Jahre begrenzt sein.705 Diese Beschreibung der Förderung des An- und Abbaus von Rohstoffen im eigenen Land deckt sich mit dem idealtypischen Bild des absolutistischen Herrschers, der eine merkantilistische Wirtschaftspolitik betreibt.706 Auch das Ziel der Autarkie ließe sich hier konstruieren – als Ziel der Förderung wird die Deckung des heimischen Bedarfs genannt. Es handelt sich bei dem aus der Wurzel des Krapps gewonnenen roten Farbstoff um ein für die Uniformproduktion nötiges Grundprodukt. Der Blick ins Detail muss diese 701 Abschrift des Berichts als Anlage zu General Braun an die Kriegskanzlei vom 3. Januar 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 143. 702 »Königlich=Preußisches Rescript in Salpetersachen, Berlin, den 29. März 1780« abgedruckt im Art. Salpeter=Verordnungen, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 132 (1822), S. 126–35. 703 Julia Zunckel, Rüstungsgeschäfte im Dreissigjährigen Krieg, Unternehmerkräfte zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg, Berlin 1997, S. 82. 704 Prämienschreiben an den Kolonisten Johann Friedrich Horchert vom 6. Oktober 1779, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 139. 705 Kurmärkische Kammer an das V. Departement vom 24. August 1786, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 38ff. 706 Z. B. bei Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 24f.
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Sichtweise auf den planenden Monarchen und dessen herausragende Rolle aber relativieren. Die Initiative geht von einem Krapp-Planteur aus, der sich um Förderung bewirbt. Anbauinitiativen der Obrigkeit sind im Gegensatz zu denen des Krapp-Planteurs nicht erfolgreich. Die königliche Plantage in Bernau stellt den Anbau nach kürzester Zeit wieder ein. Während die ostfriesische Kammer auf Nachfrage angibt, man habe bereits dreimal die Untertanen zum KrappAnbau animiert, aber bisher nichts gehört von jemanden, der sich zum Anbau hätte motivieren lassen,707 kann der Stiefel auf seinen Reisen etliche davon begeistern. Darunter den Baron von Vernezober, dem es gelingt, in seiner näheren Umgebung zahlreiche Bauern zum Krapp-Anbau zu bewegen, damit seine Verarbeitungseinrichtungen – er hat eine Mühle und ein Trockenhaus bauen lassen708 – ausgelastet werden. Es handelt sich folglich nicht um einen persönlichen Plan des Monarchen, den Krapp-Anbau im eigenen Land zu fördern. Stattdessen wird dessen vorgeblicher Wille angeführt, um andere Untertanen vom eigenen Projekt zu überzeugen. Die Folgen dieser fehlenden Generalplanung bzw. freien Interpretation des königlichen Willens ergehen aus einem Beschwerdeschreiben des Barons von Vernezober vom August 1778, der neben ihm von 79 Personen unterschrieben ist, die angeben, von der königlichen Förderansage und den in Aussicht gestellten Prämien zum Krapp-Anbau angeregt worden zu sein. Zum Teil hätten sie sich ausschließlich auf den Krapp-Anbau verlegt. Allein im letzten Jahr hätten sie knapp 240 Zentner Krapp geerntet und in ihre Niederlage nach Berlin gebracht. Es wären aber nur etwa 100 Zentner verkauft worden. Sie befürchten, auf ihrer Ernte sitzenzubleiben und fordern das Verbot der Einfuhr allen ausländischen Krapps, zumindest, bis aller im eigenen Land produzierter verkauft sei. Andernfalls drohen sie damit, den Krapp-Anbau einzustellen und wieder Getreide anzubauen.709 Die darauf eingesetzte Untersuchungskommission kommt zu dem Ergebnis, dass im Verantwortungsbereich der kurmärkischen Kammer im letzten Jahr 174 Pflanzer Krapp angebaut hätten und man im nächsten Jahr von einer Ernte von 300 Zentner ausgehen könne. Die Kommission rate aber von einem Einfuhrverbot ab, da beim aus Holland importierten Krapp der Vorteil bestünde, nur den in guter Qualität einzukaufen, während sich bei den heimischen Produzenten verpflichtet werden solle, pauschal die gesamte Erne abzunehmen. Bei 707 Ostfriesische Kammer an Friedrich II. vom April 1757, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. II, S. 109. 708 Privileg, dass im Umkreis von zwei Meilen um seine Mühle keine zweite Krapp-Verarbeitung betrieben werden darf vom 15. September 1779, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 136. 709 Baron von Vernezober und 79 Krapp-Pflanzer an Friedrich II. vom 10. August 1778 in: ebd., S. 92f.
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einem Bedarf allein in den Berliner Fabriken von 1.000 Zentner Krapp jährlich könne ein Einfuhrverbot nicht erteilt werden. Daraus zieht der Baron den Schluss, er müsse nur groß genug werden, um den Landesbedarf komplett decken zu können. Das kann er aber auch mit den von ihm zum Krapp-Anbau motivierten Bauern der Umgebung nicht erreichen. Die vergeblichen Bitten um Einfuhrverbote und Besserstellung des eigenen Krapps, da man auf der eigenen Ernte sitzen bleibe, werden auch in den folgenden Jahren vorgebracht. Die Akte endet 1796 mit einer abgelehnten Bitte der Erben des Vernezober.710 Den Krapp verbrauchenden Tuchfabriken und -Färbern gelingt es, mit Verweis auf Qualität und Preis jede Abnahmegarantie oder Einfuhrverbot zu verweigern. Man könne sich als Fabrikant nicht darauf einlassen, en gros die Warenabnahme zu garantieren, sondern es bedürfe einer Probe vor jedem Einkauf.711 Das Lagerhaus verweist dabei auf seine Aufträge für die Armee. Da ihnen diese nur bei guter Qualität abgenommen würden, müssten sie auf die Qualität der Rohstoffe achten.712 Sie könnten keine höheren Preise zahlen, da die Preise für die Montierungstuche festgesetzt seien.713 Im Gegenteil erhalten sie sogar parallel durch Freipässe die Einfuhr des ausländischen Krapps vergünstigt. Die obrigkeitliche Wirtschaftslenkung erweist sich als kontraproduktiv, da die Fabriken nicht dazu verpflichtet werden können, den im Land angebauten Krapp zu verwenden. Genau darauf verlassen sich aber im Gegenzug die Produzenten. Auch hier handelt es sich um Einzelfallförderung und kein ganzheitliches Förderungskonzept. Aussagen wie die von Carl Hinrichs müssen relativiert werden. Für Hinrichs war die Vereinfachung und Setzung eines großen politischen Ziels als Vision die große Leistung Friedrich Wilhelms I. Bei ihm schließe sich »die Fülle gewerbepolitischer Einzelmaßnahmen seiner Vorgänger zu einem Ganzen zusammen«. Das wirtschaftspolitische Konzept habe bei Regierungsantritt im Kopf des Monarchen festgestanden und nur der Umsetzung bedurft.714 Im Gegenteil hat sich die königliche Verwaltung von der Bitte bzw. dem Antrag eines Untergebenen dazu verleiten lassen, den Krapp-Anbau im eigenen Land umfangreich zu fördern und damit anzuregen, ohne sich entsprechend mit der Abnehmerseite abzustimmen. Die Wirtschaft organisiert sich selbst und lehnt obrigkeitliche Bevormun710 Die Tochter des 1782 verstorbenen Matheus Vernezober an das V. Departement, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 62. 711 Kurmärkische Kammer gibt die Bitte der Berliner Tuchfabrikanten an das V. Departement weiter vom 4. Mai 1779, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 111. 712 Untersuchungsbericht der kurmärkischen Kammer vom 25. Oktober 1779 in: ebd., S. 140. 713 Kurmärkische Kammer an das V. Departement vom 24. August 1786, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 38ff. 714 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 3f.
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dung ab. Die Wirtschaftsführer sehen eben kein großes Ganzes oder lassen sich einem Ziel der Autarkie unterordnen, wenn dies gleichzeitig wirtschaftliche Einbußen oder Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit bedeuten würde. Auf der anderen Seite werden Förderungen des eigenen Betriebs mit dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen und Landesbesten begründet. Aussagen wie die von Rachel und Wallich – »Zu keiner Zeit war die private Wirkungssphäre von staatlicher Zielsetzung, Förderung und Leitung in solchem Maße abhängig wie unter der Regierung dieser beiden tatkräftigsten preußischen Könige [Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.]«715 – können nicht aufrecht gehalten werden. Die Einbindung von Störenfrieden bzw. der Wunsch nach direktem Zugriff und Kontrolle ist ein Motiv der Obrigkeit, Produktionsstätten im eigenen Land anzulegen bzw. deren Anlegung zu fördern. Durch den direkten Zugriff auf die Produzenten erhofft sich die Obrigkeit, dass diese vertraglich zu festen Preisen, pünktlicher Lieferung und guter Qualität verpflichtet werden können. Dies zeigt zum Beispiel der Vertrag, den die Kriegskanzlei mit dem Inspektor der neugegründeten Gewehrfabrik in Herzberg abschließen möchte. Er hat die Qualität der gelieferten Rohstoffe zu prüfen und zu verantworten. Mängel an den Gewehren hat er, ohne dass die Arbeit darunter leidet, abzustellen. Sollte ein ausgeliefertes Gewehr dennoch Mängel aufweisen, ist er dafür haftbar.716 Dem vorausgegangen waren Beschwerden über die Qualität der aus dem Ausland gelieferten Gewehre. Im eigenen Land erhoffen sich die obrigkeitlichen Angestellten, einen direkten Zugriff auf die Produzenten zu haben, was sich in den Lieferverträgen widerspiegelt. In Kurhannover sollen August 1758 im Angesicht der Gefahr, der schon vor Göttingen stehenden Franzosen, zügig zwei neue Bataillone aufgestellt und ausgerüstet werden. Für diese werden 1.000 Mannschaftsmontierungen benötigt, die zur Hälfte an das Schneidergewerk in Altona und zur Hälfte an das in Stade gehen. Die ansonsten identischen Lieferverträge unterscheidet, dass die Meister zu Stade für jedes nicht binnen 14 Tagen gelieferte Stück eine Mark Strafe zahlen müssen717, während diese Klausel in Altona entfällt.718 Weitere 500 Montierungen werden beim Gewerk der Schneider zu Lüneburg bestellt, das sich ebenfalls verpflichtet, für jedes nicht binnen 14 Tagen gelieferte Stück eine Mark 715 Hugo Rachel, Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 2. Bd.: Die Zeit des Merkantilismus 1648–1806, 2. Aufl., Berlin 1967, S. 9. 716 Entwurf Arbeitsvertrag des Fabrikinspektors Tanner vom 30. Juni 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95. 717 Vertrag zwischen den Amtsmeistern Dieckmann und Brunswick zu Stade und der Kriegskanzlei über 500 Montierungen vom 9. August 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 244, S. 97. 718 Vertrag über 500 Montierungen der Kriegskanzlei mit dem Amtsschneidermeister zu Altona Johann Joachim Rothbarth vom 3. August 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 245, S. 3f.
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Strafe zu zahlen. Das Gewerk der Schuster, mit dem ein Vertrag über 1.000 Paar Regimentsschuhe geschlossen wird und das Amt der Riemer, das einen Vertrag zur Lieferung von 900 kalbsledernenTornistern abschließt, verpflichten sich beide zur Lieferung innerhalb von 14 Tagen. Andernfalls wird eine Strafe von einem Reichstaler je fehlendes Stück fällig.719 Zu dieser und weiteren Doppelbestellungen, die für viel Verwirrung sorgen und um deren Abwicklung sich die Akte unter anderem dreht, kommt es, da es der Kriegskanzlei mit der Ausrüstung der beiden Bataillone im Angesicht des Feindes nicht schnell genug gehen kann. So schickt sie neben dem eigentlich mit der Ausrüstung der Bataillone beauftragten Hauptmann einen Kriegssekretär als Sondergesandten los, um bei den Produzenten zur Eile zu drängen.720 Dass es kein Primat des Inlandes gibt, sondern vor allem die zügige und günstige Lieferung zählt, ergeht aus einem Protestbrief des Bürgermeisters und Rat der Stadt Buxtehude im Auftrag der dort ansässigen Schuster. Sie hätten etliche Probeschuhe angefertigt, die von den Offizieren für tauglich befunden worden seien. Daraufhin hätten die Schustermeister das benötigte Leder eingekauft und zusätzliche Gesellen eingestellt, um die vier in Buxtehude stationierten, neu aufgestellten Kompanien auszurüsten. Jetzt müssen sie erfahren, dass der Auftrag nach Altona und andere fremde Orte gegangen sei. Ein großer Schaden sei den Schustern entstanden, die nicht verstünden, warum ihr König Fremden vor den eigenen getreuen Untertanen einen Auftrag erteile, wo ihre Qualität doch besser sei.721 Das Argument der Bevorzugung der eigenen Untertanen vor auswärtigen wird nicht von der Obrigkeit, sondern von den geprellten Untertanen ins Feld geführt. Statt eines Autarkiestrebens der Obrigkeit ist eher ein Unter-Druck-Setzen durch die eigenen Untertanen festzustellen, ihren Produkten Absatz zu verschaffen. Die Produzenten – sowohl Fabrikanten als auch zünftige Handwerker – denken dabei nicht nationalstaatlich. Als fremd wird alles außerhalb des eigenen Fürstentums/Landesteils bzw. genauer der eigenen Stadt und eigenen Fabrik angesehen. Das deckt sich auch mit der unten behandelten Praxis in Kurhannover, Verbote nur für einen Landesteil gelten zu lassen. Es erklärt, warum in der im Abschnitt Contrebande abgedruckten Liste Einfuhrverbote auch zwischen den Provinzen desselben Landesherren genannt werden. Tücher aus Cleve und der Grafschaft Mark, Leinwand aus Bielefeld und den königlichen Provinzen jenseits der Weser, ebenso wie Tücher und Castor719 Vertrag der Kriegskanzlei mit dem Amt der Schneider vom 4. August 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 246, S. 20, mit dem Amt der Riemer über 900 Tornister vom 8. August 1758 in: ebd., S. 26 und mit dem Amt der Schuster über 1.000 in: ebd., S. 29. 720 Vgl. Auftrag der Kriegskanzlei an von dem Bussche, mit Nachdruck die Ausrüstung zu betreiben vom 3. August 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 244, S. 75. 721 Bürgermeister und Rat der Stadt Buxtehude an die Kriegskanzlei vom 17. August 1758 in: ebd., S. 49.
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strümpfe durften nicht nach Berlin und die Mark Brandenburg eingeführt werden. Ein deutliches Indiz dafür, dass es sich beim Herrschaftsgebiet des brandenburg-preußischen Monarchen nicht um ein einheitliches, zentral geführtes Staatsgebilde gehandelt hat. Fiedlers Aussage »Alles planmäßig gelenkt, wurden die Teile des Staatsgebietes zu einem nach außen abgeschlossenen, relativ autarken Wirtschaftskörper in der Einheit von Münze, Maß und Gewicht zusammengefaßt, mit einem freien Innenmarkt und strengen Zollgrenzen.«722 kann nicht geteilt werden. Wenn die Wirtschaftspolitik wirklich nur nach Willen und Intention des absoluten, das Wohl des Gesamtstaates im Sinn habenden Monarchen erfolgt wäre, hätte der Handel zwischen seinen eigenen Provinzen nicht beschränkt sein brauchen. Die Strafandrohungen in den Lieferverträgen decken sich mit den Regelungen der Beschauordnungen, die ebenfalls Strafen für das Abliefern mangelhafter Qualität aufführen.723 Neben Strafen können die Meister im Inland zur Gewährleistung verpflichtet werden. Die Witwe des Büchsenmachers Jacob Francken schickt einen Gesellen zum Regiment de Melleville, um die schadhaften Gewehre der letzten Lieferung auf ihre Kosten reparieren zu lassen.724 Doch auch diese Kontrolle über die einheimischen Meister – das heißt Untertanen – ist nur eine scheinbare, da sie nur innerhalb von Toleranzgrenzen greift. So habe der Ajusteur/Fertigmacher Rosenberg bei der Visitation 700 Gewehre zur Nachbearbeitung zurückbekommen. Damit könne er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen und die Seinigen ernähren.725 In seinem Untersuchungsbericht von 1780 beschreibt der zuständige Kriegssekretär der Kriegskanzlei, da die Rohrschmiede gesprungene Läufe auf ihre Kosten reparieren müssen, haben sich bei diesen immer wieder große herrschaftliche Schulden für Kohle und Eisen aufgehäuft. Um die Fabrik im Gange zu halten, müssten diese von Zeit zu Zeit erlassen werden.726 Da die Gewinnspannen bzw. Preise und Arbeitsabläufe sehr knapp kalkuliert sind, lassen sie eine Nachbesserung kaum zu. Die Nachbesserung auf Kosten der 722 Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegsführung im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 13. 723 Nach einem Fehlerkatalog »Wann die Schau- und Siegel-Meister diese und dergleichen Fehler finden, sind sie befugt, dem Meister, […] mit einer kleinen Geld-Buße von 3. bis 12. Mariengroschen der Gilde zum besten […] zu bestrafen;« im »Reglement Wegen Schauund Siegelung der Land-Tücher, item für die Tuchscherer und Presser zu Göttingen« vom 11. Dezember 1737, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 724 Attest über die erfolgte Nachbesserung vom 13. August 1727, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 114. 725 Meldung der Kriegskanzlei an den Fabrikinspektor Tanner vom 5. November 1751, in: HStA H, Hann. 74, Nr. 1022, o.S. 726 Bericht Kriegssekretär Ramberg an die Kriegskanzlei vom 22. Oktober 1780, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 7, S. 13.
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Produzenten und ohne dass die weitere Arbeit darunter leidet, wie es die Obrigkeit gerne hätte, ist praktisch nicht umzusetzen.727 Statt Strafen besteht im Inland die Möglichkeit, die Produzenten für die Einhaltung des Liefervertrags bzw. ihnen gewährte Vorschüsse mit ihrem Hab und Gut haften728 oder eine Kaution stellen zu lassen.729 Fabrikdirektoren haften mit ihrem privaten Vermögen für die richtige Abrechnung und Betriebsführung.730
3.4.3. Ressourceneffizienz / Recycling / Reparatur Für begrenzt vorkommende oder teure Rohstoffe stellte Recycling eine gängige Praxis im 18. Jahrhundert dar. Als die Artillerie neue Wagen braucht, weil die alten »gantz zu nichts mehr nutze« seien, wird der Auftrag erteilt, die alten Wagen zu zerschlagen und die noch brauchbaren Eisenbeschläge in die neuen Wagen einzubauen.731 Bei der preußischen Armee werden die Uniformröcke jährlich ausgetauscht. Während die alten Röcke bei den Soldaten verbleiben und weiterverkauft bzw. (im ›zivilen‹ Leben) aufgetragen werden, werden die Besätze abgenommen und wiederverwendet. Laut Reglement war für einige alte Kleidungsstücke vorgesehen, deren Stoff nach Erneuerung für die Herstellung von Schlafmützen und Handschuhen zu verwenden.732 In die Arbeitsanweisungen des Inspektors der Herzberger Gewehrfabrik soll explizit aufgenommen werden, dass dieser Sprung- und Abfalleisen jeden Abend aus den Rohrschmieden einzusammeln und wenn möglich wiederzuverwenden hat. Diesen Eingriff in seine Betriebsführung verbittet sich der Inspektor allerdings, sodass die entsprechenden §§15 bis 17 aus dem Vertragsentwurf gestri727 Vgl. die Verhandlungen zur Betriebsverfassung und zur Rolle des Fabrikinspektors der Gewehrfabrik Herzberg 1738/1739, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95 und 200–205. 728 Z. B. ein Vertrag über die Lieferung von 924 Gemeinen- und 120 Grenadier-Patronentaschen zwischen der Kriegskanzlei und dem Weißgerber Andreas Weiß in Hannover vom 6. Juli 1715, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 239ff. 729 Bericht von Münchhausen vom 9. August 1753 über die Grätzelsche Fabrik, in dem er auf eine entsprechende Anweisung Georgs II. vom 31. Juli/11. August 1733 hinweist, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 2. 730 Z. B. der Vertrag über die Sozietät-Tuchfabrik zu Hameln vom 4. Januar 1769, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 731 Fragenkatalog der Kriegskanzlei an Georg Ludwig und dessen Antworten ohne Ort und Datum vermutlich Sommer 1702, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. I, S. 22. 732 Die zivile Weiterverwendung finde ihren Niederschlag in der Ausgestaltung der männlichen bäuerlichen Trachten etwa in Berlin, Pommern und Schlesien. Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 145, 185.
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chen werden.733 Aber auch bereits ausgegebene Gewehre werden dem Kreislauf wieder zugeführt. Einem Regiment werden 70 neue Flinten geliefert, von denen sich zehn als nicht funktionsfähig herausstellen. Diese sollen zerschlagen und als Alteisen verkauft werden.734 Bei der Ausgabe von neuem Gewehr – im zeitgenössischen Sinne als Waffen allgemein – auf den Zeughäusern müssen die Regimenter ihre alten Ausrüstungsgegenstände im Tausch auf dem Zeughaus abgeben. Diese dienen dort als Ersatzteillager für die Reparatur oder werden als Alteisen verkauft. Sie dienen außerdem als Reserve, um die Landregimenter, Bürgermilizen, Freicorps oder sonstigen Hilfstruppen auszurüsten.735 Besonders gut überliefert ist die Wiederverwertung beim Eisen der Geschützrohre. Geschütze wurden im 18. Jahrhundert aus Eisen oder Bronze, das die Zeitgenossen »metall« nannten, gegossen.736 Das ständige Umgießen der Kanonen hatte vor allem zwei Ursachen. Die gewaltigen Kräfte, die auf die Geschütze beim Abfeuern wirkten, konnten Risse und Rohrkrepierer verursachen, welche die Geschütze unbrauchbar machten. So meldet der preußische Artillerie-Beauftragte nach der Belagerung von Öllmütz die Schäden an den eigenen Belagerungsgeschützen durch das Dauerfeuer.737 Wurden sie nicht genutzt, befiel sie Rost. 1732 meldet die Festung Stade, dass von den 153 vorhandenen Geschützen nur 19 brauchbar seien. Die Unbrauchbaren werden darauf in der Eisenhütte in Uslar zu Stabeisen umgeschmolzen, das wiederum an die Herzberger Gewehrfabrik ausgeliefert wird.738 Auch Fehlgüsse oder Geschütze, die die Probe mit doppelter Ladung nicht bestanden hatten, wurden sofort wieder eingegossen.739 Einen weiteren Grund für permanentes Umgießen der Geschütze stellte das Streben der Obrigkeit nach Vereinheitlichung der Kaliber dar. Wobei sowohl in Hannover wie Preußen beobachtet werden kann, dass in Friedenszeiten die Vereinheitlichung betrieben wird, während man in Kriegszeiten dankbar über jedes zur Verfügung stehende Geschütz ist. Die Kriegskanzlei schreibt 1743 an 733 Redigierte Fassung der Instruktionen für den Fabrikinspektor Tanner vom 30. Juni 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95. 734 Anweisung der Kriegskanzlei an den Bauverwalter Schöllermann im Zeughaus Harburg vom 14. Mai 1734, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 45. 735 Z. B. für Patronentaschen im Schreiben des kommandierenden Generals von Reden an die Kriegskanzlei vom 17. Februar 1789, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 63. 736 Den zeitgenössischen Produktionsprozess beschreibt Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 63. 737 Bericht von Dieskau an Generalfeldmarschall von Keit vom 26. Juni 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 184 sowie an Friedrich II. ebd., S. 213. 738 Bericht des Brigadier Welligen aus Stade vom 2. Dezember 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. VI, S. 234f. 739 So Generalmajor von Kühlen an Friedrich Wilhelm I. vom 4. September 1714 nach Priesdorf, Soldatisches Führertum, Nr. 179, Johann von Kühlen, Bd. 1, S. 109.
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die Bürger und Räte bewaffneter Städte und ersucht um den Verkauf vorhandener Geschütze. Die Liste der angekauften Kanonen nennt dabei nicht das Kaliber, sondern diese sind nach Evangelisten oder den Besitzern etwa MarcusKanone oder Brauer-Gilden-Schlange benannt.740 In Harburg werden 1733 Geschütze angekauft, die nach Sternkreiszeichen benannt sind.741 Ein Indiz dafür, dass Geschütze zumindest auf der lokalen Ebene nicht als rein technische Kriegsgeräte betrachtet wurden, sondern auch rituell aufgeladene Objekte waren, mit denen göttlicher Beistand beschworen wurde bzw. die den eigenen Beitrag zur Verteidigung der Stadt deutlich machen sollten. Die Geschützgießer waren zugleich auch Glockengießer, die Kanonenrohre nicht schlicht glatt, sondern mit Motiven verziert.742 Der Kontakt mit der Feuerkraft der gegnerischen Artillerie regt dazu an, neben den ebenfalls übernommenen Beutegeschützen743 auch eigene Geschütze dieser Art nachgießen zu lassen. So befiehlt Friedrich II. dem Artillerie-Beauftragten von Dieskau, 1758 in Berlin und Breslau 120 bis 130 Zwölf-Pfünder Kanonen nach der österreichischen Art gießen zu lassen.744 In Hannover sollen die leichten Truppen statt der Drei-Pfünder Kanonen französische Amusseten bekommen.745 Nach dem Krieg beginnt das große Sortieren. So wird nach Ende des Siebenjährigen Krieges berichtet, dass der Generalmajor Braun und der englische Kommissar Mudie seit 14 Tagen dabei seien, die sich gegenseitig überlassene Artillerie zu untersuchen und wieder zu trennen.746 Anweisungen der Obrigkeit, nicht dem Kaliber entsprechende Stücke einzuschmelzen oder umzuarbeiten, finden sich über den gesamten Untersuchungszeitraum und in beiden Landesherrschaften. Als der König von [sic!] Preußen sich vor Stralsund schlecht über den Zustand der hannoverschen Artillerie äußert, nimmt dies der kommandierende General von Bülow zum Anlass, bei Georg I. um jährlich 2.000 Reichstaler zu ersuchen, mit denen die Kaliber 740 Liste, der in Einbeck gekauften Kanonen vom 11. Mai 1743, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. IV, S. 106. 741 Liste, der Juli 1733 von Harburg kommenden Kanonen, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. VI, S. 144. 742 Vgl. Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 158 oder Bewerbungsschreiben des Glockengießers Justus Andreas Meyfeld um die Stelle des verstorbenen Stück- und Glockengießers Riedeweg vom 8. Oktober 1737, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. IV, S. 135. 743 Z. B. von Dieskau, der Friedrich II. unterm 9. März 1758 meldet, wie viele österreichische Haubitzen übernommen worden sind, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 153. 744 Friedrich II. an von Dieskau vom 28. November 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 190. 745 Kriegskanzlei an Georg III. vom 6. November 1761 in Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. III, 2, S. 281. 746 Bericht Georg III. an die Kriegskanzlei vom 8. Juli 1763, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. VI, 1, S. 332.
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vereinheitlicht werden sollen.747 Neben dem Einschmelzen beantragt er, die Zwei-Pfünder zu Drei-Pfündern aufzubohren.748 1753 melden die ArtillerieBeauftragten Linger und Dieskau, sie hätten alle metallenen Kanonen außer den Kalibern drei, sechs, zwölf und vierundzwanzig Pfund nach Schlesien zum Eingießen gesandt bzw. als Ballast für Schiffe verkauft.749 Trotzdem lässt 1759 der Kommandant von Berlin die vorhandenen Vier-Pfünder zu Sechs-Pfündern aufbohren.750 Auf den jährlichen Zeughaus- und Festungsinventarlisten werden immer wieder Geschütze, Gewehre und Kugeln angegeben, die nicht den vorgegebenen Kalibern entsprechen. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass Initiativen zur Vereinheitlichung nur vereinzelt ausgegeben werden, man aber im Ernstfall froh über jedes Geschütz oder Gewehr ist, das gegen den Feind ins Feld geführt werden kann. Der Recyclingwert der Kanone hat schon bei der Entwicklung bzw. Einführung Bedeutung. Ein neues Kanonenmodell, bei dem der Lauf aus einzelnen Eisenringen besteht, zeigt in der Probe ein gutes Schussbild. Es wird sich aber letztlich dagegen entschieden, da die Eisenringe den Nachteil hätten, dass sie nicht wieder zu verwenden seien, während bei der so genannten Lingerschen Kanone im Falle des Umgießens nur der Macherlohn und der Abgang im Feuer bezahlt werden müsse.751 Mit Abgang im Feuer wird der Anteil an Material bezeichnet, der beim Schmelzvorgang verlustig geht. Dieser wird bereits in den Kostenvoranschlägen mit angegeben.752 Ein weiterer Beleg für den Versuch der Obrigkeit, Vorgaben zu machen, die nicht planbar sind. Als die Kriegskanzlei der Celler Geschützgießerei die Vorgabe macht, beim Geschützguss dürften maximal zehn Prozent des Materials im Feuer abgehen, antwortet der dortige Artillerieoffizier, das könne er nicht garantieren. Der Abgang hänge von der Qualität und Reinheit des Eisens ab. Je mehr Rost, Pech oder Teer beigemengt sei, desto mehr Abgang.753 Parallel zur Aussonderung kaputter bzw. nicht den geforderten Kalibern entsprechender Geschütze wird auch die zugehörige bzw. nicht mehr zuzu747 Frhr. von Bülow an Georg I. vom 25. Februar 1716, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. III, S. 85–89. 748 Georg I. an General Frhr. von Bülow vom 11. März/22. März 1715, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. I, S. 174. 749 Von Dieskau und von Linger an Friedrich II. vom 15. Februar 1753 und 2. März 753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 2 und 7. 750 Von Rochow meldet am 2. September 1759 an Friedrich II., in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 89 K.k.5, S. 89. 751 Von Dieskau an Friedrich II. vom 1. Juli 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S. 752 Vgl. den Kostenvoranschlag des von Dieskau für einen Drei-Pfünder vom 5. Dezember 1755, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 F, o.S. 753 Kriegskanzlei an Oberst von Strachwitz in Celle vom 3. April 1713, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. I, S. 189 und Antwort vom 4. Mai 1713 in: ebd., S. 194.
Exkurs: Das Freipasswesen
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ordnende Munition umgeschmolzen. Ein Hamburger Kaufmann bietet sich an, alte Munition umzugießen. Bei einem Aufenthalt in Hannover, um eine Genehmigung von der Kriegskanzlei zu erwirken, habe er im Zeughaus die großen Berge alter, »unbrauchbarer« Munition gesehen. Daraufhin meldet er sich mit einem Kostenvoranschlag bei der Kriegskanzlei und bietet an, aus 120 Pfund alten Kugeln 100 Pfund neue Kugeln zu verfertigen. Dafür verlangt er pro 100 Pfund einen Reichstaler Macherlohn und gibt an, pro Tag 5.000 bis 6.000 Pfund Kugeln umgießen zu können. Er bekommt den Zuschlag, auch weil man bereits positive Erfahrungen mit seinen Lieferungen gemacht habe und seine Bonität ebenfalls gut sei.754 An diesem Fall sind zusammenfassend die festgestellten gängigen Praktiken öffentlicher Auftragsvergabe deutlich zu machen. Es gab kaum öffentliche Ausschreibungen, sondern der kundige, über die Landesgrenzen hinweg tätige Kaufmann hörte von Bedarf oder Angebot und bot seine Dienstleistung an. Wichtig war das persönliche Wissen und Netzwerk sowie damit zusammenhängend der gute Ruf. Die Rohstoffe werden von der Obrigkeit gestellt bzw. die Fabrikanten ersuchen diese um Unterstützung bei der Beschaffung. Diese kann auch finanziell durch Vorschüsse erfolgen, wie im nächsten Kapitel ausgeführt. Auf den Zeughäusern lagern große Mengen Ausrüstung, die aufgrund mangelhafter Lagerbedingungen oder fehlender Kompatibilität unbrauchbar geworden sind. Der Kaufmann berechnet 20 Prozent Abgang im Feuer.
3.5. Exkurs: Das Freipasswesen Am Freipasswesen lässt sich besonders gut die Ambivalenz obrigkeitlicher Einflussnahme auf der einen und geschickter Ausnutzung durch die Wirtschaftsführer auf der anderen zeigen. Sowohl auf Rohstoffe als auch auf die fertigen Produkte mussten Abgaben/Zölle entrichtet werden. Der Begriff Zoll wurde weit gefasst und beinhaltete als Maut, Ausschlag, Lizent oder Impost »jede indirecte Abgabe, die an einer besondern Zollstätte entrichtet wird«755. Dazu zählen nicht nur die der Neuzeit bekannten Landesgrenzen, sondern auch an Stadttoren, beim Landtransport an Brücken und Fähren, beim Flusstransport an Wehren und Kanälen konnten vom Erbauer bzw. Unterhalter einer Infrastruktureinrichtung monetäre oder Natural-Abgaben erhoben werden. Auf einer neu erbauten Brücke über die Pritter in Hinterpommern mussten pro Pferd sechs 754 Schriftverkehr Kaufmann Wuppermann mit der Kriegskanzlei von Juli bis September 1756, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. I, S. 241–254. 755 Art. Zoll, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 242 (1858), S. 54.
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Pfennig Brückengeld bezahlt werden,756 beim Holztransport den Fährleuten die beiden besten Kloben Holz gegeben werden,757 am Tor den Wachen von jedem Viertel Holz ein guter starker Kloben, der mit acht Pfenning gerechnet wird.758 Die frühneuzeitlichen Landesherrschaften stellten dabei keine territorial homogenen Gebilde dar, sondern die einzelnen historisch gewachsenen (Rechts-)Räume überlappten sich auf mehreren Ebenen, gingen ineinander über oder existierten parallel. Auch wenn zeitgenössische Zeugnisse, wie etwa farbige Landkarten ein anderes Bild der inneren Geschlossenheit des eigenen Herrschaftsgebiets suggerieren sollten, kann von einer flächenhaft gleich strukturierten Gebietsherrschaft vor 1800 keine Rede sein.759 Ursula Löffler stellt fest, dass die dem brandenburg-preußischen Monarchen unterstehenden Provinzen ihre eigene Gesetzgebungsgeschichte hatten, die sich in einer beträchtlichen Partikulargesetzgebung fortsetzte. Auch innerhalb dieser gab es noch lokal abweichendes Recht. Statt eines allgemeingültigen Rechts war dieses auf einzelne Gebiete beschränkt.760 Milan Kuhli beschreibt, dass »die preußischen Staaten unter Friedrich Wilhelm I. von diesem Ideal [Rechtseinheit] noch weit entfernt waren.« Vielmehr standen »Provinzialrechte unterschiedlichen Alters« und das römische Recht »mehr oder minder unverbunden nebeneinander« und widersprachen sich teilweise sogar. »Je nach Landstrich galten zudem unter Umständen noch das Sächsische Recht, das kanonische Recht, Statutarrechte sowie verschiedene Gewohnheitsrechte.«761 Versuche der Vereinheitlichung unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. blieben erfolglos.762 Durch Erbschaften vermehrt, Erbteilungen vermindert, durch Schenkungen, in Kriegen und bei Unterstellungswechsel verändert, hatte sich ein ›Flickenteppich‹ gebildet – der Begriff trifft gut zu, da auch bei einem Flickenteppich sich die einzelnen Flicken überlappen.763 Damit waren Transporte keine interne
756 Bericht des Fabrikbeauftragten Lüdemann vom 24. Oktober 1788, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 105. 757 Bericht des Potsdamer Bürgermeisters Egerland vom 23. Oktober 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 758 Protokoll C vom 18. November 1783 zur zweiten Untersuchung des Egerland vom 21. November 1783 in: ebd., o.S. 759 Joachim Bahlcke, Landesherrschaft, Territorium und Staat in der Frühen Neuzeit, München 2012, S. 7. 760 Ursula Löffler, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit, Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster 2005, S. 12. 761 Milan Kuhli, Carl Gottlieb Svarez und das Verhältnis von Herrschaft und Recht im aufgeklärten Absolutismus, Frankfurt/Main 2012, S. 117. 762 Ebd., S. 119. 763 Zum gleichen Ergebnis »des bunt zusammengewürfelten brandenburg-preußischen Staates« und »die vollständige Unmöglichkeit einer freien Verbindung zwischen seinen ver-
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Angelegenheit, sondern betrafen auch die zu durchquerenden Landesherrschaften. So musste der brandenburg-preußische Monarch (unter anderem) in Dresden anfragen, wenn er Ausrüstung und Truppen, aber auch Waren von Brandenburg nach Schlesien verlegen wollte. Im Gegenzug musste der sächsisch-polnische Monarch (nicht nur) in Berlin anfragen, wenn Transporte zwischen seinen Landesteilen Sachsen und Polen durchgeführt werden sollten.764 Ein Munitionstransport von Hameln nach Münden ›einfach‹ die Weser hinauf hatte an zahlreichen Zollstationen zu halten. Wie wir einem Angebot eines Schiffers entnehmen können, kostet der Zentner Transportgut von Hameln nach Münden 18 Mariengroschen mit und 12 Mariengroschen ohne Zoll. Dieser sei zu entrichten in Hameln, Ohsen, Grohnde, Polle und Lauenförde, die als hannoversche Zollstationen angegeben werden, des Weiteren im braunschweigwolfenbüttelschen Holzminden, in Höxter, der Abtei Corwey, in Wehrden sowie im zum Hochstift Paderborn gehörenden Beverungen und zuletzt im hessischen Gieselwetter.765 Die Zölle machten damit ein Drittel des Transportpreises aus. Sie konnten aber auch deutlich höher liegen. Ein großer Munitionstransport aus Amsterdam von Bremen über die Weser bis Nienburg, der 75 Reichstaler kostete, musste alleine vor der Einfahrt nach Bremen in Elsfleth 60 Reichstaler Zoll bezahlen.766 Aber nicht nur durch zahlreiche Insellagen waren den Landesherren in ihrem eigenen Territorium im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen des Handelns gesetzt, sondern auch die eigenen Untertanen beharrten auf ihren überkommenen Rechten. An der Oder werden sieben Mühlen angegeben – eine königliche und sechs von Adligen oder Klöstern –, die für eine bessere Wasserversorgung Wehre gebaut haben. In diesen befinden sich Durchlässe für die Schiffe, die dafür aber jeweils sechs Groschen zahlen müssen. Dass 1743 der für das Logistikwesen der Artillerie zuständige General explizit fordern muss, dass Armeetransporte diese Wehre abgabenfrei passieren sollen, zeigt: Dies ist nicht selbstverständlich, sondern königliche Transporte haben im eigenen Land genauso Abgaben an die lokalen Untertanen – in der Anfrage heißt es »Vasallen« – zu entrichten.767
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schiedenen Teilen« kommt Eli F. Heckscher, Der Merkantilismus, autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von Gerhard Mackenroth, 1. Bd., Jena 1932, S. 56. Vgl. Schriftverkehr zu Freipässen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8. Allgemein zur Lage des Kurfürstentum Sachsen, »einer Verbindung halb selbstständiger Gebiete, die nur durch das Fürstenhaus zusammengehalten wurden und keine staatsrechtliche Einheit bildeten« Kroll, Stefan, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung, Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn 2006, S. 53ff. Angebot des Hamelner Schiffers Dörfe vom 13. Februar 1736, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. VI, S. 11. Bericht des Residenten in Bremen an die Kriegskanzlei in Hannover vom 27. November 1712, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 373. Anfrage General von Linger vom 14. März 1743, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 83 Xx2, S. 3f.
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Natur und Rohstoffe
Georg Ludewig stellt fest – auch wenn er einen neuzeitlichen Begriff von Grenzzöllen zugrunde legt –, dass in Hannover »infolge der Vereinigung der einzelnen Landesteile aus Grenzzöllen […] Binnenzölle geworden waren. Auch in Preußen bestanden solche damals noch«.768 An einmal gefundenen Einnahmequellen oder Vergünstigungen wurde festgehalten, auch wenn die eigentlichen Grundlagen dieser weggefallen waren. An ihren eigenen Zollstätten befreiten die Monarchen ihre eigenen Transporte, um diese Einschränkung für sich selbst abzumildern und Kosten einzusparen. Zusätzlich hatten die europäischen Monarchen, die auf Augenhöhe kommunizierten und die Mehrzahl der Zollstätten besaßen, ein auf Gegenseitigkeit beruhendes System eingerichtet, nachdem so genanntes Fürstengut zollfrei passieren konnte. Als Fürstengut wird von Nahrungs- und Genussmitteln über Baumaterialien und Luxusgüter wie Schwäne und Falken all das aufgefasst, was für den persönlichen Bedarf des Monarchen bestimmt ist. Hierzu zählt eben auch der Armeebedarf. Zur Vorbeugung von Missbrauch wurden keine General-Freipässe erteilt, sondern für jede Lieferung musste die Zollfreiheit beim Inhaber der Zollrechte eigens beantragt werden. Als die Preußen zu Beginn des Siebenjährigen Krieges bei den Hannoveranern erbitten, ihren Artillerie-Transporten zur Festung Wesel, die zu Wasser über die Elbe, die Nordsee und den Rhein führen, allgemeine Zollfreiheit zu gewähren, weist die Regierung in Hannover die königliche Ratsstube in Stade an, besonders auf jeden Freipass der Preußen zu achten. Es wurde ein vom Monarchen persönlich unterschriebener Freipass zurückgesandt, der dem Händler bzw. den Fuhrleuten oder Schiffern mitgegeben wurde. Auf ihnen waren die Menge des zu transportierenden Gutes und der Zeitraum des Transports festgelegt. Im oben erwähnten Fall meldet die Ratsstube in Stade, dass die Preußen einen abgelaufenen Freipass dabei gehabt hätten, sodass sie zahlen mussten.769 Kam ein Händler, der im Besitz eines Freipasses war, an eine Zollstätte, zeichneten die Zöllner mit Ort und Datum auf der Rückseite gegen und vermerkten, ob es sich um die vollständige oder eine Teillieferung handelte. Die Frist der Pässe konnte dabei durchaus sehr lang sein. Ein Freipass zur Ausfuhr von 200 Zentnern gearbeitetem Kupfer an die Kaufleute Splitgerber und Daum, die den Kupferhammer bei Neustadt-Eberswalde betreiben, wird zwischen 1744 und 1759 in Teillieferungen von 11 bis 20 Zentnern eingelöst. Nicht nur die deutlichen Gebrauchsspuren, auch die mit Datum versehenen Unterschriften
768 Georg Ludewig, Oskar von Voigt, Friedrich Erdmann, Wirtschaftliche und kulturelle Zustände in Alt-Hannover, 2. Aufl., Hannover 1929, S. 131. 769 Kriegskanzlei Hannover an die königliche Ratsstube in Stade vom 30. September 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 306, o.S.
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der Zöllner auf insgesamt fünf angefügten Bögen belegen, dass der Pass bei den Lieferungen immer dabei war und vorgezeigt wurde.770 Diese umständliche Regelung kostete Zeit und verlangsamte beim großen Einfluss der Natur und Jahreszeiten auf das Wirtschaftsleben und insbesondere Transportwesen dieses erheblich. Kam ein beantragter Freipass nicht rechtzeitig zum Herbst an, war ein Transport oft erst wieder im Frühjahr nach der Eisschmelze möglich. Die Vielzahl der beteiligten Akteure – die Beantragung der Freipässe lief über das für auswärtige Angelegenheiten zuständige Ministerium, das sich an den jeweiligen Residenten am Hof des Rechte-Inhabers wandte. Dieser bringt ihm die Bitte vor, worauf der Rechte-Inhaber seine unterstehende Verwaltung mit der Prüfung der Anfrage beauftragt und auf dem gleichen Weg zurück – gepaart mit der großen Anzahl der zu durchfahrenden Territorien nahmen viel Zeit in Anspruch. Als für die Gewehrfabrik zu Potsdam 24.000 Gewehr- und 6.000 Paar Pistolenschäfte aus Nussbaum in der Schweiz bestellt werden, läuft der Transport über den Rhein bis Holland und über Hamburg, die Elbe und Havel bis Potsdam. Zur Organisation des Transports korrespondiert das für auswärtige Angelegenheiten zuständige preußische Kabinettsministerium mit dem Kanton Bern über die Ausfuhr und bezüglich einer zollfreien Durchfuhr mit dem Kurfürst von der Pfalz in Mannheim, dem französischen Hof in Paris, den Markgrafen von Baden-Baden sowie Baden-Durlach, den Fürsten Salm, den Landgrafen von Hessen, den Kurfürsten von Mainz und Trier, dem Bischof zu Speyer, der kurhannoverschen Regierung, dem Herzog zu Mecklenburg, die Stadt Polothurn und dem kaiserlichen Gesandten in Regensburg, aber auch der König von Schweden hat in St. Goar am Rhein eine Zollstatt. Die Anfrage für die Freipässe geht in Berlin am 24. April 1743 raus, die ersten Antworten trudeln Anfang Mai ein, die letzten lassen fast ein Jahr auf sich warten.771 Eine Geheimhaltung – bei militärischen Transporten, aber auch bei Wirtschaftsverbindungen – ist damit nahezu unmöglich. Man ist auf Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen, für die entweder ein Freipass erforderlich ist oder man wird an den Zollstationen durchsucht, was mit Aus- und Umladen der Waren als noch größeres Übel bezeichnet wird.772 Nachdem Dresden in Berlin um einen Freipass für polnischen Salpeter ersucht, bekommt der preußische Beauftragte
770 Freipass durch Friedrich II. vom 15. Januar 1744, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDLIX, Nr. 44, S. 1. 771 Vgl. Akte zu diversen Freipässen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8. 772 Kaufleute Schmitz und Wolf im Februar 1783, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 2, S. 91.
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Natur und Rohstoffe
für das Salpeterwesen unverzüglich den Auftrag zu prüfen, ob man diesen polnischen Salpeter auch für die Berliner Pulvermühle gebrauchen könne.773 Die Möglichkeit, die Abgaben zunächst zu bezahlen und diese nach Erhalt des entsprechenden Freipasses zurückerstattet zu bekommen, war nicht automatisch vorhanden, sondern hing vom Entgegenkommen der anderen Seite ab. Generell ist festzustellen, dass es keine festen Regeln für die Freipassgewährung gab, sondern diese im Wesentlichen dadurch geprägt waren, dass man ebenso vom Entgegenkommen der anderen Seite abhängig war. Als Friedrich II. 1752 ein sächsisches Gesuch um einen Freipass für Munition und Ausrüstung von Sachsen nach Polen zunächst ablehnt, wird er von der eigenen Verwaltung überzeugt, diesen besser doch zu gewähren, da man beim Transport von und nach Schlesien vom Entgegenkommen der Sachsen abhängig sei.774 Eine größere Lieferung für das Berliner Lagerhaus wird von der kurhannoverschen Regierung mit dem Verweis genehmigt, da im Gegenzug die hessischen Rekruten ihre Ausrüstung auch unverzollt nach Amerika mitnehmen durften;775 eine Blei- und Zinn-Lieferung an die königliche Stückgießerei, da im Gegenzug auch dem Bedarf und den Produkten der Harzhandlung in Preußen Zollfreiheit gewährt würde.776 Besonders die Verwaltung ist auf gute Zusammenarbeit mit anderen Stellen erpicht. Das Entgegenkommen wird aber auch als Druckmittel genutzt. Ein Freipass an die Generalstaaten der Niederlande für eine größere Pulverlieferung soll nach Vorgabe Friedrichs II. nur ausgestellt werden, wenn diese im Gegenzug versichern, preußischen Gütern keine Schwierigkeiten zu machen.777 Genauso werden Freipässe als Druckmittel nach innen eingesetzt. Ein Unternehmer bekommt seine Waren nicht abgesetzt, worauf das Ministerium an potentielle Kunden schreibt, bevor sie Freipässe für ausländische Waren erteilen würden, müsse erst der Vorrat des besagten Unternehmers aufgekauft werden.778 Letztlich bleibt dies aber eine leere Drohung, wie eine erneute Klage des Unternehmers zeigt. Die Kunden lassen sich zur Abnahme nicht zwingen.779 773 Friedrich II. an den General der Artillerie von Linger vom 5. April 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 43 o.S. 774 Generaloberfinanzdirektorium an Friedrich II. vom 8. Februar 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8, o.S. 775 Bericht der königlichen Kammer an Georg III. vom 15. März 1782, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792, S. 109. 776 Bericht der königlichen Kammer an Georg III. vom 21. Juni 1782, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792, S. 116. 777 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 7. Mai 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8, o.S. 778 V. Departement an das Polizeidirektorium vom 7. August 1782, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 207. 779 Erneute Klage des Kommissars der Krapp-Fabrik an das V. Department vom 4. November 1782 in: ebd., S. 211.
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Zu Problemen führt es, wenn ein Freipass genau bei der Macht – die Zeitgenossen sprechen von Puissancen – beantragt wird, deren Güter umgangen werden sollen. In Minden hat ein Unternehmer die Salzsiederei übernommen und möchte als Absatzmarkt das preußische Ostfriesland beliefern. Mit der Bezeichnung als königliche Salzsiederei zu Minden lässt er nun über Berlin in Hannover einen Freipass für sein Salz auf der Weser beantragen. Dort horchen die zuständigen Verwaltungsangestellten auf. Bisher würde Ostfriesland vor allem mit Salz aus den Salzsiedereien in Lüneburg beliefert, die vor dem neuen Konkurrenten aus Minden zu schützen seien. Die Gefahr, dass daraufhin die Preußen die Lüneburger Salzausfuhr nach Sachsen behindern könnten, wird abgewogen und in Kauf genommen, sodass ein ablehnender Bescheid nach Berlin abgesandt wird. Zugleich wird der Sachverhalt dem hannoverschen Residenten in Berlin geschildert, bei dem, so erwartet man, der Protest der preußischen Regierung eingehen werde. Doch stattdessen findet sich ein Geheimer Rat der Mindener Kammer direkt in Hannover ein. Was war geschehen? In Erwartung einer positiven Antwort hatte der Kaufmann diese gar nicht erst abgewartet, sondern eine erste Ladung von 50 Lasten780 Salz auf zwei Schiffen gen Ostfriesland abgeschickt. Diese waren nun an der ersten kurhannoverschen Weser-Zollstation in Stolzenau angehalten und beschlagnahmt worden. Der Mindener Rat, dem als Grund der Ablehnung der Schutz des Lüneburger Salzprivilegiums angezeigt wird, droht daraufhin, andere Transportwege nach Ostfriesland zu finden und dort das Lüneburger Salz ganz zu verbieten. Die Hannoveraner beugen sich dem Druck und geben die Schiffe frei, allerdings unter der Bedingung, dass im Gegenzug der Salzhandel in Ostfriesland nicht eingeschränkt werden dürfe. Keine drei Monate später beantragen die Preußen erneut einen Freipass über 365 Lasten Salz. Es zeigt sich, dass die erste kleine Lieferung nur ein Versuchsballon war. Als die zweite Lieferung zwar unter Protest, aber doch genehmigt wird, werden fortan jedes Jahr Freipässe für 700 Lasten Salz gefordert. Protestiert wird von hannoverscher Seite, weil man sich erkundigt und erfahren hat, dass das Mindener Salzwerk an einen Unternehmer verpachtet ist, man also vermutet, dass hier missbräuchlich Freipässe beantragt werden für normales Handelsgut statt Fürstengut. Der Protest wird mit dem Hinweis, es würde aber auf königliche Rechnung gearbeitet, abgewiegelt.781 Die Preußen setzen sich durch. An diesem Fall können einige Punkte zu Praxis und Missbrauch des Freipasswesens deutlich gemacht werden. Im eigenen Land ist der Monarch na780 Eine Last ist ein »Getreide=Maß aber nach der Verschiedenheit der Länder und Städte bald größer, und bald kleiner«. Eine Last Salz im »Niedersächsischen« wird bei Krünitz mit 12 Tonnen angegeben. Art. Last, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 64 (1. Aufl. 1794, 2. Aufl. 1803), S. 190ff. 781 Vgl. den Schriftverkehr 1766 bis 1768, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792, S. 10–36.
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türlich frei, Unternehmern oder allgemein Untertanen, die er für förderungswürdig hält, Zölle an eigenen Zollstätten zu erlassen. Im Ausland beschränkte sich dies auf den eigenen Bedarf – das Fürstengut. Da es aber keine festen Regeln für die Vergabe gibt, sondern diese aufgrund gegenseitiger Abhängigkeiten geschieht, ›gewinnt‹ der Dreistere und in diesem Fall sind das die Preußen gegenüber den Hannoveranern. Es sind mehrere Fälle überliefert, in denen die hannoversche Seite unter Protest und mit Verweis auf das Entgegenkommen »für das mahl aus Freundschaft für den König von Preußen verstattet, fürs künftige aber sich lediglich an die Grundsätze halten wollten, daß die zum Commercio gehörigen Sachen keine Zollfreiheit fähig seyn kann«782. Zu diesem Missbrauchsverdacht kommt es, da der König von Preußen bzw. dessen Verwaltung den Begriff Fürstengut sehr weit auslegt und auf Antrag auch Freipässe ausstellen lässt für Untergebene, die in seinem Sinne handeln oder in deren Unternehmungen königliches Kapital steckt. Dies stößt bei anderen Regierungen, die den Begriff eng auf den persönlichen Bedarf des Monarchen auslegen, auf Unverständnis. Sie trauen sich aber aus Angst vor Repressalien – in den Quellen steht Reciproci – (lange) nicht, Freipässe auszuschlagen. Ein weiterer Grund, warum die hannoversche Regierung dem preußischen Treiben so lange zusieht, könnte darin liegen, dass die bilateralen Absprachen von den Monarchen direkt getroffen worden sind. Die mit der Verwaltung in Hannover Betrauten haben den Auftrag, diese auszuführen und sich im bestehenden System einzurichten, nicht jedoch, dieses in Frage zu stellen. Das Freipasswesen stellt damit in Preußen einen der großen Förderungsbereiche dar. Auch hier findet sich die These bestätigt, dass die Initiative von dem zu Fördernden ausgeht. Dieser wendet sich an den König und fordert Freipässe für einzuführende Rohstoffe oder auszuführende Produkte. Dem Autor ist kein Fall bekannt, in dem ›von oben‹ angeboten worden wäre, Rohstoffe oder Fabrikwaren mit Freipässen auszustatten. Diese werden damit faktisch als für den Fürsten bestimmt geführt. Am besten funktioniert dies im Bereich der Militärproduktion, weil Protestnoten der auswärtigen Regierungen mit dem Verweis auf die Armee als Bedarf des Fürsten abgeschlagen werden können. Aber auch in weiteren Bereichen wie dem oben erwähnten Salzhandel ist man um Konstruktionen nicht verlegen. Die von Splitgerber und Daum betriebenen Eisenund Messingwerke in Neustadt-Eberswalde, die überwiegend Produkte des täglichen Bedarfs wie Scheren und Messer herstellen, lassen sich mit dem Verweis auf die Zulieferung zur königlichen Stückgießerei ihre Rohstoffeinfuhr vom
782 Bericht der königlichen Kammer an Georg III. vom 15. März 1782, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792, S. 109.
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hannoverschen Zoll befreien.783 Das dem Fabriknamen vorangestellte »königlich« dient hier vor allem im Ausland zur Verschleierung der wahren Betriebsverhältnisse. Vom Lagerhaus, der größten Wollmanufaktur und Tuchfabrik in Berlin, sind die jährlichen Freipassgesuche über den Zeitraum von fast zwanzig Jahren von 1771 bis 1790 erhalten.784 Das Lagerhaus, nach dem Tod des Gründers von Kraut 1723 dessen Erben weggenommen und dem Wohl des Potsdamer Waisenhauses anvertraut, war 1764 erneut privatisiert worden und wurde seitdem von dem aus Aachen stammenden Kaufmann Heinrich Schmidt geführt. Er zahlte dafür jährlich 22.000 Reichstaler Erbpacht an das Waisenhaus.785 Diese Abgabe – es könne nicht im Sinne des Königs sein, wenn er die Erbpacht an das Waisenhaus wegen mangelnden Einkommens nicht zahlen könne786 – und der Name königliches Lagerhaus werden von Schmidt geschickt genutzt, um sich Vorteile beim Einkauf der Rohstoffe zu besorgen. Als 1771 ein erster Freipass für Rohstoffe beantragt wird, antworten die Regierungen in Hannover und Mecklenburg noch, solche Gefälligkeiten täte man gerne bzw. man erwarte im umgekehrten Fall ein ähnliches Entgegenkommen. Aber bereits 1773 äußert man in Hannover Verwunderung, dass für Waren für eine Fabrik, die diese weiterverkauft, Zollfreiheit gefordert würde. Man stelle jedoch aufgrund der bilateralen Absprachen zwischen den beiden Kurfürstenhäusern trotzdem einen Pass aus, müsse aber, um Missbrauch zu vermeiden, künftig noch genauer darauf achten, dass die Waren auf dem Pass mit den tatsächlich bei ihnen durchkommenden Waren übereinstimmen. Vorausgegangen war, dass das Lagerhaus nicht für eine spezielle Lieferung einen Pass gefordert hatte, sondern in Richtung eines Generalpasses alle in einem Jahr benötigten Rohstoffe auf einen Pass schreiben ließ, unabhängig, ob sie über Hannover oder Mecklenburg nach Berlin eingeführt wurden. Beide Regierungen bzw. Herrscherhäuser protestieren zwar gegen den Missbrauch der Freipässe, stellen diese aber aus Kulanz immer wieder aus. Die Argumentation des Herzogs von Mecklenburg ist dabei, dass es eigentlich eines eigenhändigen Gesuchs des Monarchen bedürfe, womit quasi ausgeschlossen werden könne, dass diese missbraucht werden. Die hannoversche Regierung – hier ist der Monarch nicht vor Ort, sodass dessen eigenhändiges Bittschreiben keine so große Rolle spielt – regt sich hingegen über die sehr großen Mengen auf, die gefordert werden und bittet die preußische Regierung zu versichern, dass die Materialien wirklich für den Monarchen bestimmt seien und nicht der Vorsteher 783 Bericht der königlichen Kammer an Georg III. vom 21. Juni 1782, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792, S. 116. 784 GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 2. 785 Vgl. Art. Lager=Haus, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 58 (1792), S. 742. 786 Beschwerde des Lagerhausbetreibers Schmidt vom September 1767, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 145–148.
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Natur und Rohstoffe
der Fabrik diese für privaten Gewinn weiterverkaufe. Der Missbrauch wird damit von beiden klar gesehen und angeprangert. Da die preußische Verwaltung aber (noch) mitspielt, sehen die Hannoveraner keine Möglichkeit, diesen zu verhindern. Von einem Preußen von außen aufgezwungenen Handelskrieg, wie ihn Gustav Schmoller in seinem Aufsatz »Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert.«787 von 1898 schildert, kann hier keine Rede sein. Vielmehr nutzen Kaufleute und Fabrikbesitzer die auf gegenseitigem Vertrauen der Fürsten gegründeten Absprachen geschickt aus, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Auch die Einigung bzw. Verbindung der eigenen Landesteile kann unter diesen Voraussetzungen nicht als vernunftgeleitete Handlungsmaxime der Monarchen festgestellt werden. So erklärt Sebastian Haffner den »Militärstaat« Preußen als Notwendigkeit, »wenn es aus seinen unverbundenen Landesteilen einen zusammenhängenden Gebietskörper machen wollte – und das mußte es wollen, die Vernunft seiner Lage erforderte es.«788 Im Gegenteil hatten die Fürsten für sich und ihren Bedarf gegenseitige Befreiungen von Zoll und Abgaben ausgehandelt und profitierten von den Einnahmen ihrer Zollämter. Die Abhängigkeit von anderen Landesherren war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, die alle gleichermaßen betraf und in der man sich eingerichtet hatte. Die Fabrikbetreiber fordern für ihren Rohstoffeinkauf die Gleichstellung mit Fürstengut, da man für die Armee liefere. Dies geschehe nach langjährigen Verträgen und zu festgesetzten Preisen, die nur zu halten seien, wenn die Rohstoffe zu Vorzugspreisen eingekauft werden könnten. Besonders bei der Gewehrfabrik Potsdam und Spandau und dem Lagerhaus in Berlin findet sich diese Argumentation immer wieder. Die massiven Beschwerden auswärtiger Regierungen gegen den Missbrauch durch das Lagerhaus, das nur einen Teil seiner Waren wirklich für die Armee liefert, aber für enorme Warenmengen aus ganz Europa zollfreie Einfuhr verlangt, sorgen schließlich auch für Unmut in der preußischen Verwaltung. Es ist ein Glücksfall, dass von diesem Vorfall sowohl in Hannover als auch in Preußen der Schriftverkehr der Verwaltungen überliefert ist. Nachdem die Hannoveraner über zehn Jahre lang gegen den Missbrauch der Freipässe durch das Lagerhaus protestiert haben, ohne aber die letzte Konsequenz zu ziehen und die Freipässe abzuschlagen, stellen sie 1783 ihre Grundsätze auf. Ein Versuch, durch klare schriftliche Regeln eine Legitimation zu schaffen, Freipassgesuche ablehnen zu können, ohne die Revanche der Gegen787 Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 46. 788 Sebastian Haffner, Preußen ohne Legende, Hamburg 1978.
Zwischenfazit
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seite fürchten zu müssen. Aus Sicht der hannoverschen Regierung würden Fürstengut und Regierungsbedürfnisse weiterhin Zollfreiheit genießen, jegliches Handelsgut davon aber ausgeschlossen sein, sodass sie zwar den Freipass für eine Kupferlieferung an die königlichen Messing- und Eisenwerke und damit der Stückgießerei genehmigen, das Gesuch für das Lagerhaus aber ablehnen. Dass erstere vom Kaufmann Splitgerber bzw. dessen Erben betrieben werden, zeigt, wie geschickt diese vorgehen. Die Preußen ignorieren jedoch diese aufgestellten Regeln und lehnen als Konsequenz der hannoverschen Ablehnung Anfragen wie für eine Artillerielieferung auf der Weser von Nienburg nach Hameln sowie für die deutschen aus Amerika zurückkommenden Hilfstruppen ab, die nach klassischer Auslegung klar freipasswürdig gewesen wären. Regeln müssen eben immer von zwei Seiten akzeptiert bzw. ausgehandelt werden. Aus der internen Kommunikation der preußischen Verwaltung erfahren wir, dass die Diplomaten im Auswärtigen Amt die Argumentation aus Hannover voll mittragen und darum bitten, in Zukunft nicht mehr in den Fall versetzt zu werden, diese beantragen zu müssen. Das Lagerhaus könne zudem die Abgaben mit Leichtigkeit tragen. Da der zuständige Minister sich jedoch für die Förderung des Lagerhauses ausspricht, ändert sich an der Praxis vorerst nichts.789 Erst nach dem Tod Friedrichs II. 1786 und Regierungswechsel in Preußen kommt es zu einer grundlegenden Änderung der Wirtschaftspolitik. Da zuvor, wie oben festgestellt, die Initiative zur Freipassgewährung nicht von der Regierung ausging, sondern von den Unternehmern erbeten wurde, kann auch auf diesem Gebiet nicht von einer Wirtschaftspolitik aus einem Guss gesprochen werden, sondern von einer Vielzahl unkoordinierter Einzelfallentscheidungen.
3.6. Zwischenfazit Für die Menschen in der Frühen Neuzeit war die Natur der ausschließliche Energie- und Rohstofflieferant. Ihre Kräfte und Möglichkeiten wurden geschickt und intensiv genutzt, machten die Menschen aber auch abhängig von den Launen der Natur. Die Produktion, aber auch das Transport- und Postwesen waren stark witterungsabhängig. Letztere konnten sowohl die Anlieferung der benötigten Rohstoffe – die zudem nicht unbegrenzt das ganze Jahr über zu gleicher Qualität zur Verfügung standen – als auch die Auslieferung der fertigen Waren beeinträchtigen. Eine gleichmäßige Produktion war unter den jahreszeitlich schwankenden Rahmenbedingungen nicht möglich. Die Versorgung mit Rohstoffen hatte weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaftsbetriebe. 789 Schriftverkehr zur Freipassgewährung in Preußen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 2 und in Hannover, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 792.
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Natur und Rohstoffe
Ohne ausreichende Versorgung mit den benötigten Rohstoffen konnte der Betrieb nicht produzieren, das Werk stand still, es fielen aber weiterhin Kosten für die Arbeiter an. Schlechte oder weniger geeignete Rohstoffe schlugen sich auf die Qualität der Produkte aus. Auf der anderen Seite dienten das Wetter und Natureinflüsse den Betriebsführern als Ausrede für Lieferverzögerungen und mangelhafte Rohstoffe für beanstandete Produktqualität. Qualität ist mit den zeitgenössischen Mitteln im Untersuchungszeitraum nicht zu fassen. Bei größeren Bestellmengen, wie sie etwa für die Armee benötigt werden, bedeutet sie für die Obrigkeit angestrebte äußerliche Gleichheit. Sie soll durch Proben festgestellt werden, deren Ergebnis und Aussagefähigkeit aber nicht nur von der jeweiligen Vergleichsprobe abhängt, sondern vor allem von der Intention des die Probe Durchführenden. Aufgrund der festgestellten Begrenztheit der Wissensträger sind diese selbst Beteiligte und verfolgen mit dem Probeergebnis eigene Absichten, die eine unabhängige Probe verhindern. Das macht die Qualität zu einem viel und von allen Seiten genutzten Argument, um je nach Intention mit entsprechenden Proben die eigene Position zu untermauern. Das mangelnde Wissen um Lagerung und Konservierung bzw. das Unzureichende der ergriffenen Maßnahmen – etwa der Schutz vor Feuchtigkeit – beschränken einerseits die Rohstofflager und führen andererseits dazu, dass Waren nicht unbegrenzt auf Vorrat produziert werden konnten. Bestellungen in größeren Stückzahlen, wie sie gerade für die Armee nötig waren, waren damit nur als Auftragsanfertigung denkbar. Der Rohstoffeinkauf erfolgte erst nach Auftragseingang. Die Unterstützung bei der Beschaffung im Verfügungsbereich der Obrigkeit vorhandener, aber auch seltener Rohstoffe machte einen großen Bereich frühneuzeitlicher Wirtschaftsförderung aus. Die Obrigkeit wird tätig auf Nachfrage/ Bitte/Klage der Betriebsführungen und unterstützt finanziell und logistisch bei der Gestellung oder dem Anbau von Rohstoffen. Die Förderzusage muss sich aber nicht in jedem Fall auch positiv auf das Wirtschaftsunternehmen auswirken. Es kommt vielmehr darauf an, wie es dem Geförderten gelingt, diese Förderzusage gegenüber der Obrigkeit und anderen beteiligten Akteuren auszugestalten. Da die die Rohstoffgestellung zusagende Stelle meist nicht die mit deren Ausführung betraute Stelle ist, wird hierbei besonders deutlich, dass die unterschiedlichen Akteure, die unter dem Oberbegriff ›Obrigkeit‹ zusammengefasst werden, nicht an einem Strang ziehen, sondern ein Ressortdenken vorherrscht. Eine obrigkeitliche Bevormundung, die gefühlt oder tatsächlich zum Nachteil des eigenen Betriebs beitragen könnte, wird von Seiten der Wirtschaft abgelehnt und führt zu entsprechenden Klagen. Die Abwehr bzw. Anpassung versuchter obrigkeitlicher Einflussnahme zeugt davon, dass diese auf dem komplexen Feld der Wirtschaft und des Handelns keine bedingungslose Verfügungsgewalt besitzt.
Zwischenfazit
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Dieser festgestellten großen Abhängigkeit von der Natur sowie wirtschaftlichen Sachzwängen steht ein Selbstverständnis der Obrigkeit gegenüber, die durch Planung, strafbewährte Verträge und Kontrolle ebendiese zu leugnen bzw. sich darüber wegzusetzen versucht. Ihr Herrschaftsanspruch führt dazu, Verantwortliche zu benennen, die in Ermangelung der Kenntnis über die möglichen Zusammenhänge schuld an festgestellten oder schlicht beklagten Missständen sind. Sie dienen als Sündenböcke, dank derer man sich mit den eigentlichen Ursachen und der Unzulänglichkeit eigener bzw. allgemein menschlicher Planungen nicht auseinanderzusetzen braucht.
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4.1. Das frühneuzeitliche Kassenwesen Das frühneuzeitliche ›öffentliche‹ Kassenwesen ist nicht von klaren Strukturen und abgegrenzten Zuständigkeiten bestimmt.790 Der öffentliche Haushalt setzt sich aus einer Vielzahl verschiedener, historisch gewachsener und neu hinzukommender Einzel- und Unterkassen zusammen, deren Namen zwar klare Zuständigkeiten suggerieren. Der Blick in die Akten zeigt aber ein deutlich komplexeres Geflecht an Beziehungen, als es etwa Otto Hintze bei allzu wörtlicher Interpretation der Kassennamen im preußisch-ordentlichen Kassenwesen sehen wollte: »Es gab daher zwei Generalkassen: die General-Kriegskasse und die General-Domänenkasse, und diesen beiden Kassen entsprachen auch zwei getrennte Etats für den Staatshaushalt: der Militäretat und der Ziviletat.« Dabei hätte »Friedrich Wilhelm absichtlich die beiden Gruppen von Kassen getrennt erhalten […]. Er wollte offenbar verhüten, daß nicht, wie es unter seinen Vorgängern geschehen war, die Kriegsgefälle für Zwecke der Hofhaltung oder sonstige Zivilbedürfnisse Verwendung finden könnten.«791
Dazu einige Beispiele aus dem Bereich ebenjener Kriegskasse: Für 1731 ist die Generalabrechnung der preußischen Kriegskasse überliefert. Aus dieser werden die Gehälter und die Verpflegung der Armeeangehörigen bezahlt. Hierzu zählen auch die Invaliden, wobei die zwölf invaliden Offiziere namentlich genannt werden. Daneben fallen unter dem Punkt »Sonstiges« Kosten an für den Unterhalt der großen holländischen Pulvermühle in Berlin, der Laternen in den hiesigen Residenzen, Gehälter für Prediger und Schulbe790 Vgl. hierzu Peter Rauscher, Andrea Serles, Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Das »Blut des Staatskörpers«, Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2012, S. 10f. 791 Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, 8. Aufl., Berlin 1916, S. 292.
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diente, aber auch Kosten für das Spandauer Spinnhaus, die Hofapotheke und das Armenwesen. Alle Ausgaben zusammen belaufen sich bei 77.517 Militärangehörigen auf monatlich etwas über 390.000 Reichstaler792. Es folgt die Auflistung der regulären793 Einnahmen der Kriegskasse nach Provinzen und Städten, die je nach regionaler Herkunft als Akzise, Kontribution, Zins- oder Lizentgefälle, aber auch Kriegsmetze794, Stempelpapier795- oder Lohn- und Ritter-Pferdegelder796 bezeichnet werden, von monatlich knapp 340.000 Reichstalern. Es existiert keine landeseinheitliche Besteuerung, sondern jede Stadt oder Provinz hat individuelle Steuern und Abgaben zu entrichten, die sich historisch entwickelt haben. Ursprünglich für den Kriegsfall erhobene Abgaben haben sich dabei zu stetigen Einnahmen entwickelt, die mit dem ursprünglichen Zweck ihrer Erhebung allenfalls dem Namen nach noch etwas zu tun haben. Da diese ›regulären‹ Einnahmen schon im Frieden nicht ausreichen, schießt der König, um den monatlichen Fehlbetrag von über 50.000 Reichstalern auszugleichen, für das Rechnungsjahr 740.000 Reichstaler aus der Generaldomänenkasse zu.797 In derselben Rechnung wird angemerkt, dass die Verpflegung der Regimenter Seiner Majestät aus der Generaldomänenkasse bezahlt werde. Die aus der königlichen Leibwache hervorgegangenen Garde Regimenter hatten eine Sonderstellung als persönliche Regimenter des Monarchen. Die übrigen Regimenter gehörten, was sich auch in deren Benennung und an dessen Wappenfarben angelehnten Besonderheiten der Uniform widerspiegelte, ihrem jeweiligen Kommandeur. Das Kadettencorps erhält seine Verpflegung aus einer anderen, nicht näher bezeichneten Kasse und die Garnison-, Invaliden- und Rezepturgelder werden aus der Invalidenkasse und anderen Fonds genommen. 792 Genau 393.000 Reichstaler und 20 Groschen bei Einnahmen von 339.413 Reichstaler 23 Groschen und 11 Pfennigen nach Generalabrechnung des Kriegsetat für 1731, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 C. 793 In der Akte wird vom »ordinairen Etat« gesprochen. 794 Auch als Mahl- und Braumetze angeführt »eine noch in einigen Provinzen übliche Abgabe von dem in die Mühlen zum Mahlen gebrachten Getreide, wo, ausser der ordentlichen Metze von einem Scheffel, noch eine Metze gegeben werden muß. Diese Abgabe wurde in denen Ländern, wo sie eingeführt ist »in: Kriegs=Zeiten zu Unterhaltung der Truppen angeordnet, und hernach auch in Friedens=Zeiten beybehalten.« Art. Kriegsmetze, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 51 (1791), S. 437f. 795 »Die Steuer des Stämpelpapiers oder die Stämpelpapiersteuer ist eine von den mannigfaltigen Steuern, die man erfunden hat, um die vermehrten Bedürfnisse eines Landes oder Staats, und die des Hofes zu befriedigen, als die Domainen, Regalien und Geldstrafen nicht mehr dazu hinreichen wollten«. Schriftstücke sind nur gültig, wenn das Papier einen Stempelabdruck vorweisen kann, für den eine Gebühr fällig wird. Art. Stämpelgelder, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 169 (1838), S. 474f. 796 »in einigen Provinzen, eine Steuer, welche die Besitzer der Rittergüter, anstatt des ehemaligen Ritterpferdes dem Landes= und Lehensherren entrichten« Art. Rittersteuer, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 125 (1819), S. 726f. 797 Vgl. die Generalabrechnung des Kriegsetat für 1731, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 C.
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Die Verpflegungsgelder variieren je nach Quartier. In Berlin werden sie den Regimentern aus dem königlichen Magazin in Natura geliefert. Dazu kommen weitere Kassen wie die General-Pferde- und Kleiderkasse, aus denen Pferde und Ausrüstung bezahlt und die nicht in den Kriegsetat des Generaldirektoriums eingerechnet werden soll.798 Als der für diese Kasse zuständige General von Massow im Juli 1751 deren Jahresabschlussrechnung beim König vorstellt, erklärt er deren geringen Kassenstand damit, dass der König aus dieser Kasse die Verpflegung der Garde du Corps und schlesischen Kürassierund Dragoner-Regimenter bezuschusst habe.799 Aber auch umgekehrt wird sich ausgeholfen. Der für die Artillerie zuständige General von Dieskau meldet an den König, dass die Artillerie eine größere Pulverlieferung nach Schlesien transportiert habe. Da sie dafür nicht genügend Mittel vorrätig gehabt hätte, sei die Generalkriegskasse eingesprungen.800 Zu den bestehenden Kassen werden neue Unterkassen für besondere Zwecke gebildet. Um die Überkompletten im Kriegsfall beritten zu machen, soll ein extra Fond von 100.000 Reichstalern angelegt werden. Das Geld soll dem Überschuss der Breslauer und Glogauer Steuerkasse entnommen und angefüllt werden mit den Pferdeverpflegungsgeldern, die man derzeit einspare. Als Ausführungsbestimmung wird angemerkt, dass diese sich aus Dukaten und Louis d’Or zusammensetzen sollen, da die Rosshändler in Holstein kein anderes Geld annehmen würden.801 Ein Anzeichen dafür, dass verschiedene Währungen parallel kursierten, die aber nicht von allen angenommen wurden. Diese Erkenntnis, die das gesamte Kassenwesen zusätzlich unübersichtlich macht, deckt sich mit der Antwort des Oberst von Stechow auf einen ihm weitergeleiteten Beschwerdebrief des Kriegszahlmeisters Köppen. Dieser beklagt sich, dass seine Kasse mit August d’Or angefüllt sei, da sich der Stechow weigere, diese anzunehmen. Stechow, der als dessen Nachfolger die Kanzlei des Generals von Massow leitet, führt erklärend an, dass er auf das Silbergeld zur Bezahlung der Tuchmacher bestehe, da diese wiederum zum Einkauf der Wolle und Färberstoffe sächsische Drittel und Groschen benötigten. Würde er sie mit August d’Or bezahlen, wären die Tuche und Futterboye wegen des schlechten Wechselkurses noch teurer.802 Die Berliner Pferdehändler verlangten hingegen, dass 798 Ordre Friedrich II. an die Geheimen Räte und Kriegszahlmeister Köppen und Richter vom 29. Juni 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 9. 799 General von Massow an Friedrich II. vom 3. Juli 1751 in: ebd., S. 10. 800 General von Dieskau an Friedrich II. vom 25. September 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 C, o.S. 801 General von Massow an Friedrich II. vom 31. Juli 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 23. 802 Von Stechow an Friedrich II. vom 1. Oktober 1762, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 80 U2, o.S.
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ihre Pferdelieferung zur Hälfte in Friedrich d’Or und zur Hälfte in sächsischen Dritteln bezahlt würde, weil sie damit außerhalb die Pferde ankaufen würden.803 In Deutschland und Europa kursierten parallel eine Vielzahl der unterschiedlichsten Währungen und überregional gültiger Münzsysteme, deren schwankende Wechselkurse Bände füllen. Einheitlichkeit in der eigenen Landesherrschaft wurde nicht angestrebt. Auch die Landesherren ließen auf ihren Münzen nicht nur ›ihre eigene‹ – mit ihrem Konterfei versehene – Währung prägen und in Umlauf bringen. Zum Teil wurde dabei bewusst der Edelmetallanteil der geprägten ›fremden‹ Münzen reduziert.804 Für das Herzogtum Magdeburg ist ein königliches »Edict Wegen Reducierung der gering=haltigen Münz=Sorten« von 1725 überliefert, in dessen Anhang sich drei Seiten mit Kupferstichen der Vor- und Rückseiten der Münzen befinden, die fortan gültig sein sollen.805 Zusätzlich erschwert wurde die Lage, da die Namen der unterschiedlichen Währungen sich zum Teil sehr ähnelten oder sogar identisch waren. Als Kommentar zu einem Vertragsentwurf fügt die hannoversche Kriegskanzlei an, schriftlich zu fixieren, dass es sich bei den Mariengroschen um Lüneburger Geld handele. So werden aus den 29 Mariengroschen und 4 Pfennig im Vertragsentwurf in der Endfassung 27 Mariengroschen Lüneburgischen Geldes.806 Der Reichstaler hatte zumindest in Norddeutschland die Funktion einer Einheits- und Rechnungswährung, wurde aber auch in einigen Gegenden mit 24 Groschen zu 12 Pfennigen, mit 36 Mariengroschen zu 8 Pfennigen oder mit 28 Schilling zu 12 Pfennigen gerechnet.807 Wenn in dieser Arbeit Geldwert in Reichstalern angegeben wird, handelt es sich um eine von den Zeitgenossen betriebene Umrechnung und Vereinfachung. In den Geldbeuteln der Zeitgenossen fanden sich aber eine Vielzahl der unterschiedlichsten Münzen. Aus dem Jahr 1779 ist das Übergabeprotokoll der königlichen Magazin- und deren Nebenkassen an General Levin Rudolph von der Schulenburg überliefert, den neuen Chef des VI. Departements, das für Magazin, Marsch, Servis und Einquartierungssachen zuständig ist. Sie setzt sich aus sieben Hauptkassen und 803 Von Stechow an Friedrich II. vom 20. November 1762 in: ebd., o.S. 804 Bernd Sprenger, Das Geld der Deutschen, Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. erg. Aufl., Paderborn 1995, S. 138ff. 805 »Edict wegen Reducierung der gering=haltigen Münz=Sorten Im Herzogthum Magdeburg« Berlin 13. August 1725 in Churfürstl Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4‹‹ Gr. 3515R. 806 Vertrag zwischen dem Proviantverwalter Hahn und dem Sattler Oldwig vom 14. März 1718, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 223 mit Begleitschreiben der Kriegskanzlei in: ebd., S. 220 und Vertragsentwurf vom 21. Februar 1718 in: ebd., S. 226. 807 Bernd Sprenger, Das Geld der Deutschen, Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. erg. Aufl., Paderborn 1995, S. 130ff.
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ebenso vielen Unterkassen zusammen. Um einen Einblick zu gewinnen, wie die Kassen vor Ort verwaltet werden, sei hier auf einige Angaben eingegangen. Die königliche Magazinkasse hat vier Unterkassen als die Haupt-Magazin-Kasse, die Proviant-Fuhrwesen-Kasse, die Ordinäre-Stadt-Magazin-Kasse sowie die Depositen-Gelder-Kasse. Der Kassenbestand von insgesamt etwas über 142.000 Reichstalern befindet sich im Spinde rechter Hand sowie in einem kleinen Kasten mit diversen Bank-Obligationen und Banknoten, Depositen Scheinen sowie Beuteln und Tüten mit Hartgeld, während sich der Bestand der Hauptund Extraordinären-Fourage-auch-Revue-Kasse mit drei Unterkassen im Spinde linker Hand sowie im Kasten Nr. 3 befindet. Als »Auf der Bank« werden mit 13.831 Reichstalern nur etwa ein Zehntel der Einlagen bezeichnet.808
4.2. Exkurs: Kontribution und Kriegsauswirkungen »Contribution« bezeichnet zunächst allgemein jede Art von Abgabe, die ein Untertan für die Bedürfnisse seines Landes abgibt. In Friedenszeiten heißen die regulären Abgaben an die eigene Obrigkeit in einigen Provinzen Kontribution.809 Die Bedeutung als »Beitrag zum Unterhalt von Besatzungstruppen«810 im Sinne eines von feindlichen Truppen erpressten Schutzgeldes erhält sie erst später. Markus Meumann und Jürgen Rogge gehen in der Einleitung eines Tagungsbandes, der sich mit militärischer Besetzung vor 1800 beschäftigt, auf die »Schatten der jüngsten Geschichte des 20. Jahrhunderts und ihrer Interpretationen« ein, aus der die Geschichtsschreibung hervorgeholt werden müsste.811 Im Siebenjährigen Krieg, um den es im Folgenden geht, kommt die Kontribution in beiden Funktionen vor. Für Horst Carl, der die preußischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg untersucht, haben einige der dortigen
808 Übergabeprotokoll vom 10. September 1779, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 3, S. 22ff. 809 Vgl. die Kontribution aus der Mark Brandenburg für 1731/32 als reguläre Einnahme des Kriegsetats, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 C oder in Kurhannover für 1749/59, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 163, Vol. XXXII. 810 Vgl. Renate Wahrig-Burfeind, Fremdwörterlexikon, Gütersloh 1991, S. 400. 811 Etwa die durch die Nationalsozialisten betriebene Gleichsetzung der napoleonischen Besatzungspolitik mit der Besetzung von Rhein, Ruhr und Saar nach dem Ersten Weltkrieg, die ein Feindbild verfestigen sollte und das Bild einer Epoche nachhaltig beeinflusst hat. Markus Meumann, Jörg Rogge, Militärische Besetzung vor 1800, Einführung und Perspektiven, in Dies. (Hrsg.), Die besetzte res publica, Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2006, S. 11–25, hier S. 12ff.
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»Feldzüge aufgrund verbreiteter Versorgungsprobleme beider Armeen den Charakter von Kontributions- und Fouragezügen.«812 Die Preußen stehen im Siebenjährigen Krieg in Sachsen. Im Winterquartier bekommt der dortige Befehlshaber den Auftrag, in den nahegelegenen sächsischen Ämtern die Kontribution für sechs Monate im Voraus einzutreiben. Dazu teilt er jedem der drei dort stehenden Regimenter zwei Ämter zu, in denen sie mit einem Offizier und zwanzig Gemeinen die Kontribution einzutreiben haben.813 Anderthalb Wochen später meldet er, die geforderten 40.000 Reichstaler beisammen zu haben. Zum Teil werden diese in Naturalien geliefert. Die dortigen Tuchmacher liefern einige tausend Ellen blaues Uniformtuch und roten Futterboy.814 Dass bei der Eintreibung der Kontribution auf die lokalen Herrschaftsstrukturen zurückgegriffen wird, zeigt sich in Kurhannover, das im Siebenjährigen Krieg zu Teilen von französischen Truppen besetzt war. An den Berichten der vor Ort gebliebenen Amtspersonen an ihre geflüchteten Chefs bzw. die Regierung in Hannover lassen sich einige grundlegende Praktiken festmachen.815 Zunächst muss unterschieden werden, ob es sich um einen kurzen Durchzug der Truppen handelte oder ob sich diese etwa im Winterquartier einrichteten, längerfristig zu bleiben. In beiden Fällen greifen die Truppen auf die lokalen Vertreter der Obrigkeit zurück, um die Ressourcen des Landes zu nutzen. In Göttingen halten sich die französischen Truppen September 1758 nur wenige Tage auf. Als die geforderten 30.000 Reichstaler Kontribution bei ihrem Abzug noch nicht aufgebracht sind, nehmen sie einige Ratsmitglieder und Sekretäre als Geiseln mit.816 Auch aus dem Harz ziehen sich die Franzosen Richtung Kassel zurück und nehmen den Vice-Berghauptmann, einen Sekretär und einen Richter und Rat aus Clausthal als Geiseln mit. Diese müssen für ihre Reisekosten selbst aufkommen.817 In Briefen an ihre Kollegen berichten sie von ihrer Gefangenschaft, bitten um die Nachsendung von Geld und bauen die 812 Horst Carl, Okkupation und Regionalismus, Die preußischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg, Mainz 1993, S. 57. 813 Von Letulus an Friedrich II. vom 28. Januar 1760, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 88 E, S. 44. 814 Von Letulus an Friedrich II. vom 3. Februar 1760 in: ebd., S. 47. 815 Der Minister von Münchhausen in Hannover weist den Berghauptmann von Bülow am 16. September 1761 an, trotz des Abzugs der Franzosen aus dem Harz sicherheitshalber vorerst in Braunschweig zu bleiben, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. II, S. 1. Der Schriftverkehr des geflohenen Chefs mit seiner Behörde ist zum Teil überliefert. 816 Stadtschreiber Schröder meldet aus Göttingen am 25. September 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 139. 817 Die Geiseln Vice-Berghauptmann von dem Bussche und Sekretär Leyser bitten das Bergamt zu Clausthal um die Aufbringung des Lösegeldes vom 28. September 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 186.
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Drohkulisse auf, man werde sie in die Zitadelle nach Paris verschleppen.818 Die Kollegen bemühen sich um die Aufbringung des geforderten Lösegeldes.819 Der Vice-Berghauptmann berichtet zwei Monate später, dass er gegen die Zahlung von 4.000 Reichstalern und einer goldenen Tabaksdose im Wert von fast 400 Reichstalern freigelassen worden sei.820 Indem Angehörige der lokalen Verwaltung verschleppt werden, erhoffen sich die Erpresser, dass deren Kollegen für das Aufbringen des Lösegeldes sorgen werden. Anders sieht die Lage aus, wenn sich auf einen dauerhaften Aufenthalt eingestellt wird. Hier werden die lokalen Obrigkeiten geschont und bestehende Herrschaftsverhältnisse nicht angetastet.821 Auch hier wird eine Drohkulisse aufgebaut, die ein Eskalieren der Gewalt und Aufhebung der Ordnung ankündigt, für den Fall, dass mit den Besatzungstruppen nicht kooperiert werden sollte. Im Herbst 1761 erlässt der französische Oberbefehlshaber eine Verordnung, die zweisprachig gedruckt, veröffentlicht wird. Zunächst richtet sie sich an die vielen Oberen, die sich aus Angst vor Plünderungen und übler Behandlung von ihren Posten und Wohnungen entfernt hätten. Diese Angst sei unbegründet, wenn sie binnen acht Tagen zurückkehren würden. Nur wer nicht zurückkomme, werde geplündert und wer woanders aufgegriffen würde, bestraft. Ziel dieser Maßnahme ist es, das kurhannoversche lokale Regierungspersonal für die Umsetzung der Anordnungen, für die Ausbesserung der Straßen und die Sicherheit der französischen Truppen verantwortlich machen zu können. Sie haben die geforderte Kontribution einzutreiben, Fuhrdienste zu ermöglichen – in jedem Amt haben pro 100 Häuser 15 mit vier Pferden oder Ochsen bespannte Karren für Fuhren der Armee zur Verfügung zu stehen – und Einquartierungen vorzunehmen.822 Jeder, der mit den Franzosen zusammenarbeite, werde vor Plünderungen geschützt bzw. wenn sie doch geschähen, habe er Anspruch auf Entschädigung und Bestrafung der Täter. Durch den Rückgriff auf lokale Amtsträger können bestehende Herrschaftsstrukturen genutzt und deren Vertreter haftbar gemacht 818 Z. B. Vice-Berghauptmann von dem Bussche aus Kassel vom 13. Oktober 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. II, S. 368. 819 Auf der Münze in Clausthal seien 25.375 Reichtaler, deren Transport nach Göttingen man prüfe, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 161. 820 Vice-Berghauptmann von dem Bussche berichtet über seine Freilassung und die Erlebnisse in Gefangenschaft am 30. November 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. II, S. 371– 377. 821 Plassmann geht sogar soweit, eine Abhängigkeit der Militärs von der Zusammenarbeit mit lokalen Fürsten und Ständen des Operationsgebietes festzustellen. Max Plassmann »…so hoerete man heulen, weinen und seuffzen«, Landbevölkerung, Obrigkeit und Krieg in Südwestdeutschland (1688–1713), in: Stefan Kroll, Kersten Krüger, (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, S. 223–250, hier S. 247. 822 Zweisprachige Verordnung des Mar8chal Victor Francois Duc de Broglie vom 8. September 1761, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. IV, S. 341.
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werden. Sie sind nicht nur klare Ansprechpartner, sondern kennen die regionalen Besonderheiten – etwa bei der Abgabeneintreibung – und haben ein eigenes Interesse daran, dass diese gewahrt bleiben. Diese Informationen bzw. das Wissen um die lokalen Gegebenheiten nennt Horst Carl als »eine Grundvoraussetzung für eine rationale und bürokratische Herrschaftsausübung«. Deren Bedeutung spitze sich »in einer Besatzungssituation noch zu, war es nun doch der von außen kommende ›Neuling‹, der sich binnen kurzer Zeit – oftmals unter Zwangandrohung – eine Informations- und Handlungsgrundlage verschaffen musste.«823 Als einige Harzbewohner »Unfug« getrieben und damit einen französischen Kapitän verärgert hätten, weisen die Amtsvorsteher in Zellerfeld ihre lokalen Repräsentanten an, das Bergvolk zur genauen Befolgung der französischen Anweisungen zu ermahnen. Die Rottmeister sollten von Haus zu Haus gehen und dabei den aufmüpfigen Bergmann verhaften.824 Aus dieser Praxis des Zurückgreifens auf die lokale Obrigkeit beruht es, dass deren Herrschaftsverhältnisse nicht angetastet bzw. gewahrt werden. Vom eigenen Landesherrn gewährte Befreiungen von Einquartierung und Kontributionszahlungen können unter diesen Umständen durchaus auch von feindlichen Besatzungstruppen akzeptiert werden. Für die Zuweisung der Quartiere der französischen Truppen ist die lokale Obrigkeit zuständig. Der Bauernmeister825 weist dem Faktorei-Gebäude einer herrschaftlichen Hütte im Harz einen Truppenteil zu. Als der französische Offizier nebst Leuten und Bagage vor der Faktorei auftaucht und sein Quartier verlangt, wird er vom dortigen Faktor abgewiesen. Es handle sich um ein herrschaftliches Gebäude, über das der Bauernmeister als lokale Obrigkeit keine Verfügung hätte. Die Franzosen ziehen erstmal wieder ab. Nun verlangt der Faktor von der Obrigkeit eine Bestätigung der Freiheit von Einquartierung. Da sich eine Abteilung französischer Husaren nähere, befürchte er, dass »der dasige Bauermeister vielleicht so impertinent seyn könnte, auf der angemaßten Einquartierung im herrschaftl. FactoreyHause zu bestehen.«826 Und die bekommt er. Der französische Befehlshaber Marschall Richelieu habe versichert, dass die herrschaftlichen Gebäude, unter welche die Faktorei und Bergwerke fallen, unter besonderem Schutz der aller823 Horst Carl, Militärische Okkupation im 18. Jahrhundert, Anmerkungen zu einer spezifischen Situation in Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica, Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2006, S. 351–362, hier S. 357. 824 Die Berg- und Oberhauptleute zu Zellerfeld an ihre Kollegen in Clausthal vom 30. September 1757, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 60ff. 825 Dorfobrigkeit auch mit Funktion des Dorfrichters Art. Dorf=Obrigkeit, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 9 (1. Aufl. 1776, 2. Aufl. 1785), S. 411–425, hier S. 411. 826 Bergsekretär Meyer aus Goslar an die Berghauptmannschaft vom 25. Oktober 1757 in Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 21f.
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christlichen Majestät (von Frankreich) stehen und von Einquartierungen verschont bleiben sollen. Ähnlich dem System der Freipassgewährung haben sich die Herrschenden darauf verständigt, ihren gegenseitigen Besitz zu schonen. Nebeneffekt ist natürlich, dass die öffentliche Ordnung wie auch die Wirtschaftskraft aufrechterhalten wird, damit die geforderten Zahlungen aufgebracht und erwirtschaftet werden können. Deshalb kann dieser Schutz durchaus auch an Privatleute weitergegeben werden. So etwa an die Barchend-Fabrik in Hinterpommern, die sich 1776 u. a. die Freiheit von der Kontribution zusichern lässt.827 Als sich der Fabrikinspektor 1809 allerdings auf diese alten Rechte beruft, ist die Zeit darüber hinweg gegangen und er muss nicht nur die Kontribution aufbringen, sondern auch die Gerichtskosten tragen.828 Die mit Kontributionszahlungen konfrontierten lokalen Verwaltungsangestellten rechnen den geforderten Betrag nach einem festgelegten »CollectenFuß«829 auf die Mitglieder der Bürgerschaft und abgabenpflichtige Grundstücke um.830 Diese Praxis hat Gerhart Ritter nach dem Zweiten Weltkrieg als im stehenden Heer »gezähmte Bellona«831 bezeichnet und Siegfried Fiedler hat dies 1986 bestätigt. »Die strenge militärische Disziplin, die bewußte Ausschaltung nationaler Leidenschaften, die allgemeine Sorge um das Wirtschaftsleben, die chevalereske Internationalität des Militäradels, der Grundsatz der Heereserhaltung, das schnelle Auswechseln der Gefangenen, die Neutralisierung der Nichtkombattanten und die humanitären Tendenzen der Aufklärung, das alles hat zusammengewirkt, die kriegerischen Kräfte zu bändigen.«832 Aus rechtsgeschichtlicher Sicht stellte Carl Schmitt ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg fest: »Der Okkupant des 18. Jahrhunderts ließ das bisherige Recht, insbesondere das Privatrecht, meist in Kraft: Privateigentum und wohlerworbene Rechte, also die soziale Gesamtstruktur, blieben in weitem Umfange unangetastet.« Schmitt konstruiert, wobei er ein modernes Staats- und Rechtsverständnis zugrunde legt, ein »Jus Publicum Europaeum«, nach dem Eigentum, Rechte und Institutionen 827 Inspektor Forckel bittet das V. Departement, die Freiheit von Werbung, Akzise und Kontribution den zuständigen Stellen bekannt zu machen vom 25. Oktober 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 202. 828 Inspektor Forckel beschwert sich beim Fabriken-Departement über die lokale Gerichtsbarkeit vom 1. März 1809, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 4, S. 44ff. Vgl. das Kapitel zum Ende der individuellen Förderung. 829 Ist eine freiwillige oder befohlene Gabe/Sammlung für die Gesellschaft, die nach ordentlichem Fuß auf deren Glieder aufgeteilt wird nach Art. Collecte, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 8 (1. Aufl. 1776, 2. Aufl. 1785), S. 222. 830 Entschuldungsplan der Stadt Göttingen nach dem Siebenjährigen Krieg vom 20. Dezember 1764, in: HStA H, Dep. 113, Nr. 23, o.S. 831 Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 1, München 1959. 832 Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegsführung im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 21.
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unterworfener feindlicher Untertanen akzeptiert worden seien.833 Dieses (positiv-) eurozentrische (Völker-)Rechtssystem sei beginnend mit der Kongokonferenz 1885, in der sich erstmals die USA aktiv eingemischt hätten, untergegangen und hätte »mit dieser Abdankung des Völkerrechts« zum Ersten Weltkrieg und der folgenden Entwicklung geführt.834 Hier wurde nach den Grausamkeiten der beiden Weltkriege835 der Versuch unternommen, zwischen diesen und den Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges eine Epoche zu beschreiben, in welcher der Krieg durch starke Regierungen und Regeln humanisiert werden konnte. Kriege seien emotionslose Spiele der Herrschenden – Kabinettskriege – gewesen.836 Diese Interpretation kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Schon die zeitgenössischen Herrschenden begleiteten die Einführung stehender Heere mit »einer umfangreichen offiziösen publizistischen Kampagne«, in der »juristisch geschulte Hofhistoriographen im Interesse des Landesherrn den vergangenen Krieg und die zuchtlose Soldateska in den schwärzesten Farben zu malen« versuchten, um für die »neue Wehrform alle erkennbaren negativen traditionsgenetischen Bindungen zu tilgen«. Bernhard Kroener zeichnet die Entstehung und gezielte Weiterentwicklung des Bildes von den marodierenden Söldnerhaufen des Dreißigjährigen Krieges,837 das sich bis heute gehalten hat, nach. Genauso wie dieses negative Bild überspitzt ist und relativiert werden muss,838 ist auch das Bild der Zäsur und Neubeginn mit humanem Kriegsspiel überzogen. Kroener weist die personelle Kontinuität der Söldner in den frühen stehenden Heeren nach.839 833 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, S. 173. 834 Ebd., S. 200–212. 835 Sowie der bürgerkriegsähnlichen Zustände nach dem Ersten Weltkrieg. Die Wiederkehr der Geißel des Dreißigjährigen Krieges beschwor u. a. der Reichswehrminister Gustav Noske, als er die Freicorps mit Wallensteins Söldnerhaufen verglich. Nach Rüdiger Bergien, Republikschützer oder Terroristen? Die Freicorpsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in Militärgeschichte, Zeitschrift für historische Bildung, Heft 3 (2008), S. 14–17, hier S. 14. 836 Die gleiche Hoffnung auf Neuanfang und Humanisierung hier durch eine Demokratisierung und starke Kontrolle durch das Parlament mag sich in der Bezeichnung der Bundeswehr als Parlamentsarmee widerspiegeln bei gleichzeitiger Betonung der Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges. 837 Bei denen eben nicht nur die Soldaten, sondern auch die Offiziere und Truppenführer skrupellos gewesen seien. »With few exceptions one should not expect human greatness of the men with whom we deal in this part of the book [The Heyday of Military Entrepreneurship 1600–1650].« Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his work force, Vol. I, Wiesbaden 1964, S. 199. 838 Bernhard R. Kroener, Soldat oder Soldateska? Programmatischer Aufriß einer Sozialgeschichte militärischer Unterschichten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Manfred Messerschmidt u. a. (Hrsg.), Militärgeschichte, Probleme, These, Wege, Stuttgart 1982, S. 100–123, Zitate S. 101. 839 Ebd., S. 123.
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Dass die geordnete Ausplünderung nicht so reibungslos und diszipliniert ablief, zeigt der Schriftverkehr nach Abzug der Feinde bzw. dem Ende des Krieges. Die Frage an die heimische Wirtschaft nach den Auswirkungen des Krieges führt eine ganze Reihe von Klagen auf. Göttingen habe unter der zweijährigen französischen Besetzung sehr gelitten. Besonders die Fabrikanten, da sie einen Großteil der Geldzahlungen aufbringen mussten, während auf der anderen Seite der Mangel an Arbeitern und Holz ihnen sehr zugesetzt habe. Der Absatz auf Jahrmärkten sei wegen der stark gestiegenen Transportkosten eingebrochen. Von vor dem Krieg 70 Tuchmachermeistern seien nur noch 39 in Arbeit. Die Einquartierungen und die fast wöchentlichen persönlichen Dienste hätten sie sehr belastet. Der Tuchfabrikant Grätzel beklagt sich, dass seine Häuser zu Lazaretten, Magazinen und Gefangenenlagern umfunktioniert worden seien, wobei seine Webstühle zerschlagen und die Häuser ruiniert worden seien.840 Aus Osterode wird sich beklagt, dass 30 Stühle weniger als vor dem Krieg betrieben würden, da die Gesellen aus Furcht vor Werbung weggegangen seien. Außerdem sei durch die zahlreichen Truppendurchmärsche im Eichsfeld weniger gesponnen worden.841 Aus Einbeck wird sich beschwert, dass die Einquartierungen und ständigen Ordonnanzdienste sie an der Arbeit gehindert hätten. Die Kontribution hätte den eigenen Kredit geschmälert und die Tuchmacher und Färber litten darunter, dass die Gestelle auf den Wällen, die sie zum Trocknen brauchen würden, zerstört worden seien.842 Der Fabrikinspektor Tanner berichtet an den Berghauptmann über die starken Verwüstungen der Gewehrfabrik.843 Im Herbst 1761 ziehen die französischen Truppen nach Herzberg, wo sie beginnen, die Fabrikantenhäuser zu plündern. Gegen ein Schutzgeld werden die herrschaftlichen Gebäude, in denen sich zum Schutz ein französischer Offizier mit einigen Männern einquartiert, aber verschont. Nach dem Krieg fordern die Quartiersteller, die auch die Verpflegung übernehmen und für diese arbeiten mussten, eine Entschädigung. Da sich bei der vom Fabrikinspektor durchgeführten Untersuchung Widersprüche ergeben, werden die Forderungen nur zu einem geringen Teil erstattet.844 Sowohl aus Kurhannover als auch Brandenburg-Preußen sind Aufforderun840 Bericht aus Göttingen vom 11. Oktober 1762, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 1ff. 841 Bericht aus Osterode vom 23. Dezember 1762, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 18ff. 842 Bürgermeister und Rat der Stadt Einbeck vom 1. März 1763, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 43ff. 843 Fabrikinspektor Tanner an Berghauptmann von Bülow vom 11. Mai 1761, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. V, 1, S. 127. 844 Untersuchungsbericht des Fabrikinspektors vom Dezember 1763, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1024, o.S.
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gen und Berichte überliefert, in denen die Untertanen nach dem Abzug aufgefordert werden, herrschaftliche Besitztümer abzuliefern, die von den Besatzern geplündert und anschließend – wie diese sich entschuldigen – zwangsweise an die Bevölkerung der näheren Umgebung verkauft wurden.845 Die Bürger von Clausthal beschweren sich nach dem Abzug der Franzosen bei ihrer lokalen Obrigkeit, dass die Franzosen einen Teil ihrer Rechnungen nicht bezahlt hätten. Diese beauftragt daraufhin einen Advokaten, der diesen nachreisen und offene Rechnungen eintreiben soll. Erfolglos.846 Auch die Zusage des französischen Befehlshabers Richelieu, herrschaftliche Gebäude zu verschonen, wird nicht eingehalten. Zwei französische Kapitäne quartieren sich im besagten Faktorei-Gebäude ein.847 Ob die Zusage, die Unterkunft sei kostenfrei zu stellen, für alles Weitere würde aber bezahlt werden, eingehalten wurde, geht aus dem Schriftverkehr nicht hervor. Auch gegenüber den eigenen Bauern werden in Aussicht gestellte Bezahlungen nicht immer eingehalten. Zu Beginn des ersten Schlesischen Krieges hatte die preußische Armee Pferde gebraucht und diese bei den einheimischen Bauern eingekauft. In Ermangelung des Geldes wurde in Aussicht gestellt, diese nach der Kampagne zurückzugeben und verlorene Pferde nach der Taxe848 zu entschädigen. Nach dem Krieg ist das Generaldirektorium mit der Abwicklung befasst und beklagt sich, zum Teil seien Pferde nicht mehr vorhanden, zum Teil hätten die Eigentümer sie nicht wiedererkannt. Da die den Bauern bei Beginn des Krieges zugesicherte Taxe für Pferde sehr hoch gewesen sei, hätten sie entschieden, nur ein Viertel der Summe zu erstatten.849 Eine nur scheinbar gezähmte Bellona.850 Die Plünderungen sollen nicht im Affekt geschehen, sondern in geordneten Formen durch Rückgriff auf die lokale 845 Münchhausen berichtet an das Amt Herzberg, dass sie in den Intelligenz-Zetteln inseriert hätten, dass gestohlene Gewehre und Materialien abzuliefern seien vom 9. September 1762, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1024, o.S. und Protokoll Georg Voigt und Christoph Becker, was die Franzosen ihnen gebracht und dafür Geld gefordert hätten vom 11. Dezember 1762 in: ebd., o.S. Für Preußen vgl. Müller, Heinrich, Das Berliner Zeughaus, Vom Arsenal zum Museum, Berlin 1994, S. 40. 846 Schriftverkehr zu diesem Vorfall vom Februar 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. V, 2, S. 260–273. 847 Bericht an den Oberfaktor Bergmann vom 24. Oktober 1757, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 77. 848 »der bestimmte Preis oder Werth einer Sache (Arbeit, Waare etc.), besonders wenn ihn die Obrigkeit festsetzt« Art. Kammer-Collegium, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 181 (1843), S. 379. 849 Generaldirektorium an Friedrich II. vom 8. Januar 1747, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 K, o.S. 850 In die gleiche Richtung zielt Rink. Das Konzept sei »im kriegerischen Alltag nur sehr unvollkommen verwirklicht.« Martin Rink, Die noch ungezähmte Bellona, Der kleine Krieg und die Landbevölkerung in der Frühen Neuzeit, in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, S. 165–189, S. 166.
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Obrigkeit erfolgen. Durch die vorherige Androhung erhalten sie den Charakter scheinbarer Legitimität und Bestrafung nach Fehlverhalten. Aber die Tatsache, dass sich das Geforderte erst mit Gewalt geholt wird, wenn es zuvor nicht ›freiwillig‹ herausgegeben wurde, ändert nichts an den Folgen für die Bevölkerung und dem entstandenen wirtschaftlichen Schaden. Dazu kamen die indirekten Folgen der Anwesenheit von eigenen oder fremden Heeren.851 Monika Schulte untersucht die Folgen des Siebenjährigen Krieges anhand der »ruinierten Stadt. Minden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts« und kommt zu dem Ergebnis, »Der volkswirtschaftliche Schaden ist nicht zu unterschätzen«, während »die vom Staat geleisteten [Wiederaufbau-]Hilfen nur ein Tropfen auf den heißen Stein« gewesen seien.852 Im gleichen Band zur Schlacht bei Minden findet sich auch der Bericht über »Das Leiden unserer bäuerlichen Vorfahren« von Paul Gerhard Ostermann, der das Kirchenbuch zu Ovenstädt auswertet,853 sodass der Herausgeber Steffen Martin zu dem Schluss kommt, dass beim Schonen der Zivilbevölkerung im »Zeitalter der so genannten Kabinettskriege […] Anspruch und Wirklichkeit häufig auseinander klafften.«854 Diese Aussage kann anhand der gesichteten Quellen voll bestätigt werden.
4.3. Persönliche Einkünfte Vom erwähnten VI. Departement wird auch die Invalidenkasse verwaltet, wobei aus dieser sowohl namentlich aufgeführte Hof- und Kriegsräte, aber auch eine Frau von Bockelbergen Pensionen oder Douceurs beziehen, während der Dispositionsfond der Haupt-Alaun-Kasse einen Invaliden im Rang eines Feldwebels unterstützt. Als Einnahmen der Invalidenkasse werden Strafzahlungen, konfisziertes Vermögen, Erbschaften, Zinsen und Verwaltungsgebühren aufgeführt. 851 Etwa Krankheiten, die eine durch Hunger geschwächte Bevölkerung trafen oder Verluste von Nutztieren, vermehrte Abgaben zur Kriegsfolgenbewältigung, Fourage eintreibende Soldaten, die nur schwer zu kontrollieren waren, aber auch Konflikte, die durch unklare Regelungen hervorgerufen wurden. Max Plassmann, »…so hoerete man heulen, weinen und seuffzen«, Landbevölkerung, Obrigkeit und Krieg in Südwestdeutschland (1688– 1713), in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, S. 223–250, S. 224ff. Zur Relativierung nennt Plassmann auch positive Aspekte, etwa die Möglichkeit der Heeresbelieferung oder von in Not geratenen Nachbarn und Konkurrenten zu profitieren. Ebd., S. 238. 852 Monika Schulte, Leben in einer vom Siebenjährigen Krieg ruinierten Stadt. Minden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Steffen Martin (Hrsg.), Die Schlacht bei Minden, Weltpolitik und Lokalgeschichte, 2. Aufl., Minden 2008, S. 30–53, hier S. 53. 853 Paul Gerhard Ostermann, Das Leiden unserer bäuerlichen Vorfahren, Das Kirchenbuch zu Ovenstädt verrät, was kein Bericht zu melden weiß, in: ebd., S. 94–96. 854 Steffen Martin (Hrsg.), Die Schlacht bei Minden, Weltpolitik und Lokalgeschichte, 2. Aufl., Minden 2008, S. 13.
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Die Haupt-Alaun-Kasse verwaltet die Gelder des Alaun-Bergwerks zu Freienwalde und hat im engeren Sinne nichts mit dem Militär zu tun.855 Wie es zu diesen für die Nachwelt nur durch Zufallsfunde aufzuklärenden Sold-Zahlungen kommt, ergeht zum Beispiel aus dem Schriftverkehr zur General-Pferde- und Kleiderkasse. Der General von Massow beklagt sich bei Friedrich II., dass dessen Vater sein Gehalt auf das eines Obersten festgesetzt hätte. Diese hätten aber noch ihre Kompanie856, Amtshauptmanns-Einkünfte oder Gouvernements, sodass er sicher der ärmste General in Seiner Majestät Diensten sei. Er bittet um einen Zuschuss von 1.000 Reichstalern jährlich, der nach seinem Tod auf Lebenszeit seinen Erben als Pension ausbezahlt werden soll. Dieser Zuschuss wird aus der von ihm verwalteten General-Pferde- und Kleiderkasse bezahlt.857 Die Zusicherung, dass er nach seinem Tod seinen Erben – zwei Brüder sowie fünf Kinder seiner verstorbenen Schwestern – bis zu deren Tod ausbezahlt wird, verlängert die Sonderzahlung auf Jahrzehnte, ohne dass der ursprüngliche Bezug zur Kasse mehr sichtbar wäre. Schon aus der Klage des Massow, ihm stünden keine Nebeneinkünfte zur Verfügung, geht hervor, dass es das eine, für den Lebensunterhalt ausreichende Gehalt nicht gab. Es war dabei übliche Praxis, dass Gehälter und Zulagen aus verschiedenen Kassen stammten. Friedrich II. ernennt 1746 Heinrich Christoph von Katte zum dirigierenden Minister des oben erwähnten, neu gegründeten VI. Departements für »Magazin, Marsch, Einquartierungs- und Servis- Sachen und was sonst dahin gehört«. Im Ernennungsschreiben setzt der König sein Jahresgehalt fest, das sich wie folgt zusammensetzt: Zunächst erhält Katte die 1.600 Reichstaler weiter, die er bisher als Küstriner Kammerpräsident als Gehalt erhalten hat. Dazu kommen 190 Reichstaler an Deputat-Holzgeldern, welche in Kleve verkauft und der Generaldomänenkasse zugeschlagen werden. 800 Reichstaler erhält er aus den 1.700 Reichstalern, die der vorher mit den Aufgaben betraute Etatsminister von Happe bisher bekommen hatte, weil dieser jetzt weniger zu tun hat. 410 Reichstaler bekommt er 855 Das sehen schon die Zeitgenossen so und verlegen dessen Zuständigkeit 1760 zum für Wirtschaftsfragen verantwortlichen V. Departement, wo sie »ihrer Beschaffenheit nach eigentlich hingehören« Generaldirektorium an Friedrich II. vom 4. Dezember 1760, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 1, S. 40. 856 Bernhard Kroener beschreibt die lukrativen Zuverdienstmöglichkeiten durch die Kompaniewirtschaft, in: Bernhard R. Kroener, Des Königs Rock, Das Offizierkorps in Frankreich, Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert – Werkzeuge sozialer Militarisierung oder Symbol gesellschaftlicher Integration? in: Ders., Peter Baumgart, Heinz Stübig, (Hrsg.), Die preußische Armee, zwischen Ancien R8gime und Reichsgründung, Paderborn 2008, S. 72–95, hier S. 86f. 857 Bittschreiben General von Massow an Friedrich II. vom 17. Mai 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. und Dankschreiben über den gewährten Zuschuss vom 3. März 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 604 J, Bd. 1, o.S.
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aus der königlichen Landrentei zu Königsberg, die zuvor der von Lesgewang als jährliche Zulage zu seinem Gehalt erhalten hat.858 Ab 1748 bekommt Katte zusätzlich noch die 1.000 Reichstaler aus der kurmärkischen Rentei, die dem verstorbenen Jägermeister von Schlieben zukamen.859 Es folgen die Anweisungen an die jeweiligen Kassen, die Beträge jährlich oder vierteljährlich auszuzahlen. Nach Kattes Tod 1760 ist in der Ernennungsurkunde dessen Nachfolgers Carl Heinrich von Wedel nicht mehr auf die Ursprünge des Geldes verwiesen, sondern die entsprechenden Kassen bekommen Anweisungen zu bezahlen: 1.710 Reichstaler aus der Generaldomänenkasse, 1.100 Reichstaler aus der Generalkriegskasse, 1.000 Reichstaler aus den Neujahrsgeldern, 1.000 Reichstaler aus der Landrentei der kurmärkischen Kammer und 190 Reichstaler aus dem klevischen Forstetat.860 Wo diese Gelder unter anderem herkommen, ergibt sich aus der Holzordnung, die im Zusammenhang mit der Gestellung von Holz für die PotsdamSpandauer Gewehrfabrik bereits behandelt wurde. Laut dieser wird für alles aus königlichen Forsten gemäß der Holz-Ordnung gelieferte Holz ein Stamm- und Hauergeld fällig, das auch zu zahlen ist, wenn der König Holz unentgeltlich anweist. Es beträgt drei Groschen pro Taler Holzwert, die wiederum wie folgt aufgeteilt werden. »§ 3. Die 3 Groschen sollen aufgeteilt werden Ober-Jägermeisters 10Pf Jagd-Secretarii 2Pf Und des Einnehmers werden ad Cassam berechnet 3Pf Ober-Forst-Meisters 8Pf Amtmanns 4Pf Holz-Schreibers 2Pf Heyde-Reuters 7Pf Summa 3Gr«861
Die Holzlieferungen stellen dabei für alle beteiligten Instanzen einen lukrativen Zuverdienst bzw. wesentlichen Anteil der Mischentlohnung dar.862 Hans-Werner 858 Ernennungsschreiben Friedrich II. vom 11. März 1746, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 1, S. 3. 859 Generaldirektorium an die kurmärkische Kammer vom 23. Dezember 1760 in: ebd., S. 39. 860 Friedrich II. an das Generaldirektorium vom 25. Januar 1761, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Abt. Militärdepartement, Nr. 2, S. 8. 861 Holzordnung von 1720 Tit. X Vom Stamm-Gelde. 862 Dieses Bild der Haupt- und Nebeneinkünfte aus anteiligen Gebühren deckt sich mit Nemitz Feststellung für die Regensburger Steuerräte und Schreiber in Jürgen Nemitz, Die direkten
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Holup stellt anhand der Schriften zeitgenössischer Ökonomen fest, dass Willkür, Bestechung und private Bereicherung auch durch öffentliche Posten üblich gewesen seien und aus der Sicht der Zeitgenossen nicht negativ wahrgenommen wurden.863 Stolleis geht einen Schritt weiter und erkennt, dass die Beamtenbesoldung nicht ausreichte, sodass diese von ihren Nebenverdiensten lebten, die damit auch Staatstätigkeit stimuliert hätte.864 Für Hinrichs war die Auseinandersetzung zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Lagerhausbetreiber und Minister von Kraut noch der Kampf des neuen Preußentums gegen das beutekapitalistische Finanzpächtertum französischer Prägung, nachdem Beamte ihre Macht zur freien Vermögensbildung genutzt hätten.865 Mit Holups Feststellung deckt sich auch, dass zu den finanziellen Einkünften Naturalabgaben und Rechte kommen, die deutlich machen, dass sich Geld als ausschließliches Belohnungs- und Referenzsystem noch nicht vollständig durchgesetzt hatte und es nicht als verwerflich angesehen wurde, wenn mit einem Posten auch weitere Vergünstigungen und Sonderrechte verbunden waren. Für Kurhannover beschreibt Meier die Gehaltszusammensetzung eines Amtmanns zu Ende des 18. Jahrhunderts. Von insgesamt errechneten 692 Talern Jahresgehalt seien nur 248 eine feste Besoldung im heutigen Sinne. Der Rest setzt sich aus (von Meier) in Geldwert umgerechneten Naturalabgaben zusammen.866 Daraus ergeht, dass es keinen monatlich gleichen Gehaltseingang gab, sondern saisonal schwankende Verdienste. Meier zeigt hier am Einzelfall auf, dass es eine Mischentlohnung aus monetären und nichtmonetären Anteilen gab, kommt aber zu dem Schluss: »Abgesehen davon war die Geldwirtschaft durchgedrungen«.867 Dem muss widersprochen werden. Für den Inspektor der Herzberger Gewehrfabrik ist in seinem Arbeitsvertrag festgesetzt, dass er ein monatliches Gehalt von 30 Reichstalern erhält, dazu eine freie Dienstwohnung und 24 Klafter Brennholz jährlich. Der von ihm, seiner Frau, Kindern und Hausgesinde gezahlte Lizent – einer der Akzise vergleichbaren indirekten Verbrauchssteuer auf bestimmte Waren – wird ihm zurückerstattet. Dazu bekommt er als Erfolgsbe-
863 864 865 866 867
Steuern der Stadt Regensburg, Abgaben und Stadtverfassung vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, München 2000, S. 142f. Die Stadt hatte damit bis zur Gehaltsreform Ende des 18. Jahrhunderts keinen exakten Überblick über die Personalkosten. Ebd., S. 154f. Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. II Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien u. a. 2005, S. 275. Michael Stolleis, Was bedeutet »Normdurchsetzung« bei Policeyordnungen der frühen Neuzeit? in: Ders. u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 739–758, hier S. 748. Hinrichs, Carl, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 152. Ernst von Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1680–1866, Bd. 2, Leipzig 1898, S. 328. Ebd., Bd. 1, S. 517.
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teiligung für verkaufte Gewehre je nach Art zwischen ein und zwei Prozent der Kaufsumme.868 Noch deutlicher wird die Bedeutung der nicht-monetären Abmachungen bei der Barchend-Fabrik in Hinterpommern. Diese wurde vom Etatsminister von Massow auf dessen Gutsherrschaft gegründet. Nach dessen Tod ist der Sohn nicht mehr in der Lage, die Fabrik weiterzuführen, sodass mit Vermittlung des V. Departements ein externer Fabrikbetreiber gefunden wird. Die schriftlich geführten Verhandlungen zwischen dem Grundherrn von Massow, dem neuen Fabrikinspektor Forckel und dem von der Obrigkeit eingesetzten ›Mediator‹ Kriegs- und Domänenrat Lüdemann sind überliefert. Zunächst geht es um die Fabrikgebäude, die der Forckel erhält und für die er dem Besitzer Massow eine Miete zu zahlen hat. Zu den Fabrikgebäuden gehören die Wohnhäuser der Fabrikanten nebst Gärten und Ländern. Der Grundherr verpflichtet sich, einen guten Übergabezustand herzustellen und zukünftig Dach und Fach aufrechtzuerhalten. Die Mieter sind für Öfen, Fenster und Schlösser zuständig. Die Obrigkeit setzt dabei einen starken Mieterschutz durch. Diese bekommen Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Mieterrechte. Die Miete wird von der Obrigkeit den Verhältnissen der Bewohner angepasst und nach unten korrigiert.869 Außerdem wird die Beweislast umgedreht, sodass die Mieter dem Vermieter zu Ostern Schäden anzeigen. Dieser hat daraufhin die Verpflichtung, bis Oktober der Obrigkeit die Abstellung zu melden.870 Von einem Kartell der adligen Funktionselite gegen die Untertanen kann keine Rede sein. Der Inspektor hat das Recht, zwei Kühe – die Arbeiter je eine Kuh zu halten, wozu sie zusammen dem Grundherrn jährlich 16 Reichstaler Hütegeld zahlen. Federvieh außer Tauben darf gehalten, aber nicht auf die herrschaftlichen Felder gelassen werden. Brennholz, Bier und Brandwein haben sie zum Festpreis über den Massow zu beziehen. Korn dürfen sie sich kaufen, wo sie wollen, wobei es dem Inspektor untersagt ist, Kornhandel zu betreiben. Von der Verpflichtung, dieses auf der herrschaftlichen Mühle mahlen lassen zu müssen, kaufen sie sich für 20 Groschen Mehlgeld pro Familie pro Jahr frei.871 Für alle Seiten machen die ausgehandelten Rechte einen wesentlichen Teil des Lebensunterhalts aus. Sowohl der Grundherr ist auf sein Liefermonopol für Brennholz, Bier und Brandwein, Mehl- und Hütegelder angewiesen als auch die Fabrikarbeiter, zu 868 Arbeitsvertrag zwischen der Kriegskanzlei und Inspektor Tanner vom 30. Juni 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95, hier Art. 35. 869 Korrektur der Miete durch das V. Departement vom 13. August 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 97. 870 Im Anhang Begehung der Häuser zum Untersuchungsbericht von Oktober 1784, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 40f. 871 Vertrag zwischen von Massow, Forckel und Lüdemann vom 11. September 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 175–180.
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deren Dienstwohnungen das Recht auf die Selbstversorgung mit Gemüsegärten, Federvieh und eigener Kuh gehört. Dem Fabrikinspektor wird explizit untersagt, seine Stellung gegenüber den Arbeitern für den Kornhandel zu nutzen, was nur ausdrückt, dass der Grundherr befürchtet, das eigentlich ihm zustehende Recht würde nun durch den Inspektor wahrgenommen. Die Durchsetzung der jeweiligen Rechte mit Hilfe der Kammer-Deputation – einer lokalen Zweigstelle des V. Departements in der Provinz – macht einen großen Teil des überlieferten Schriftverkehrs aus. Die Streitigkeiten drehen sich u. a. um Schäden an den Mietshäusern, die der Grundherr nicht abstellt, aber auch um von den Arbeitern illegal betriebene Bierbrauerei. Zu den mit dem Grundherrn ausgehandelten Rechten wird den Fabrikangehörigen vom Landesherrn die Befreiung vom Militärdienst und von der Kontribution gewährt. Dazu kommt die Zoll- und Akzisefreiheit sowohl für Rohstoffe, deren Einkauf keiner Beschränkung unterliegt, als auch für fertige Produkte sowie für den persönlichen Bedarf der Fabrikangehörigen.872 Die Befreiung vom Militärdienst, die vielfach gewährt wurde und sich zum Teil auch auf Kinder und Enkel bezog, widerspricht der von Otto Büsch aufgestellten These, die Ansiedlung von Kolonisten hätte unter dem Primat des Militärs den Zweck, ein Reservoir für Rekrutierungen zu erhalten.873 In der gleichen Weise konnten Fabrikbesitzer gute Arbeiter vom Militärdienst befreien lassen.874 Was auf der Ebene der persönlichen Einkünfte festgestellt wird, ist auf die Ebene der Landesherrschaften zu übertragen, auf der Abgaben für den Landesherrn nicht rein monetär durch Steuern beglichen wurden. Neben Naturalabgaben – deren Gegenwert sich noch vergleichbar einfach berechnen und aufschlagen ließe – setzten sie sich aus Dienstpflichten und abgetretenen Rechten zusammen. Einen konkreten finanziellen Gegenwert dieser Rechte und Pflichten zu bestimmen, wird der Zeit nicht gerecht. Das Gefüge der frühneuzeitlichen Welt ist zu komplex, um es auf den Geldwert zu reduzieren. Auch die Wirtschaftsförderung durch die Obrigkeit kann nicht auf die rein finanzielle Förderung reduziert werden. Die Ablösung der Natural- durch die Geldwirtschaft wird aber als einer der Auslöser des Wandels von der »Domänenwirtschaft« des Mittelalters zum
872 Konzession für die Barchend-Fabrik vom 29. Oktober 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 190–194. 873 Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807, Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962, S. 72. 874 Bei der Barchend-Fabrik erreicht der Fabrikbeauftragte Lüdemann für mehrere tüchtige Arbeiter die Befreiung. Z. B. Schreiben des Generals von der Schulenburg an das V. Departement, dass der Bitte um Demission des Webers Ruschmann nachgekommen wird vom 21. Januar 1786, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 101.
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»Steuerstaat«875 der Moderne angesehen.876 Der Kampf des absoluten Monarchen mit den widerstrebenden Ständen um die Bewilligung der Steuern zur Heeresfinanzierung gilt als Inbegriff der Durchsetzung zentralstaatlicher Macht gegen lokale Widersacher877 – »wobei der Verzicht der Landstände auf ihre Rechte [der Kontributionseintreibung zur Heeresfinanzierung] – vielfach als der Sieg des absolutistischen Regimes im innenpolitischen Bereich beschrieben« wurde.878 Hier spiegelt sich mehr das Ringen des Kaisers mit dem Reichstag um das Budgetrecht Ende des 19. Jahrhunderts879 wider als die Situation im 18. Jahrhundert. Das sich hier zeigende Bild offenbart deutlich historisch Gewachsenes und zeugt davon, dass die Entwicklung zum »Steuerstaat« mitnichten im 18. Jahrhundert abgeschlossen war.880 Es gab nicht einen Staatstopf, in den die Einnahmen fließen und aus dem die Ausgaben getätigt werden, sondern zahlreiche unterschiedliche Kassen. Diese waren historisch gewachsen und bekamen ihre Einnahmen aus ihnen zugewiesenen Quellen. Da sich die Einnahmen und Ausgaben bzw. Ansprüche und Bedürfnisse nach oben wie unten änderten, 875 Einen Forschungsüberblick zur Entwicklung des »Steuerstaates« im Zuge des Staatsbildungsprozesses bei Joachim Bahlcke, Landesherrschaft, Territorium und Staat in der Frühen Neuzeit, München 2012, S. 85–88. 876 Michael Stolleis, Pecunia Nervus Rerum, Zur Staatsfinanzierung in der frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1983, S. 68f, zum »Finanzstaat« und der zentralen Rolle der Finanzen in der Erklärung der Entstehung der frühmodernen europäischen Staaten bei Peter Rauscher, Andrea Serles, Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Das »Blut des Staatskörpers«, Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2012, S. 7f. 877 »Der Staatsgedanke einer modernen Zeit, in der Person des Kurfürsten, in seiner Armee, seinem Beamtentum zunächst sinnfällig verkörpert, hat den ständisch-territorialen Partikularismus allmählich besiegt, die Personalunion der einzelnen Lande in eine Realunion verwandelt […] einen einheitlichen Staat gestaltet.« Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preussen, 3. Aufl., Darmstadt 1961 (2. erg. Aufl. 1929, 1. Aufl. 1923), S. 13; Johannes Kunisch, Absolutismus, Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien R8gime, Göttingen 1986, S. 86. Neugebauer regt an, die Rolle der Stände neu zu bewerten Wolfgang Neugebauer, Staatsverfassung und Heeresverfassung in Preußen während des 18. Jahrhunderts, in: Baumgart, Peter, Kroener, Bernhard R., Stübig, Heinz (Hrsg.), Die preußische Armee, zwischen Ancien R8gime und Reichsgründung, Paderborn 2008, S. 27–44, S. 30. 878 Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer, Wehrwesen im Absolutismus, München 1983, S. 216. 879 Z. B. Wiegand Schmidt-Richberg, Die Regierungszeit Wilhelms II., in: Friedrich Forstmeier u. a. (Hrsg. für das Militärgeschichtliche Forschungsamt), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648–1939, Bd. 3 Abschnitt V. Von der Entlassung Bismarcks bis zum Ersten Weltkrieg 1890–1918, München 1983, S. 9–155, hier S. 116ff. 880 Für Ullmann entsteht der Steuerstaat im 16. Jahrhundert und wird seit dem 18. Jahrhundert kräftig ausgebaut. Die Wendemarke zum modernen Staat beim Finanzwesen hätten erst die Revolutions- und napoleonischen Kriege gesetzt. Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat, Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2005, S. 13 und 22.
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wurden die Mittel aus diesen ursprünglich zweckgebundenen Kassen zur Ergänzung zugezogen. Ursprünglich genügten die Einnahmen aus den königlichen Domänen und Regalien – das heißt die erwirtschafteten Gewinne und Erträge der dem Landesherrn gehörenden Güter und Rechte –, um die Aufwendungen zu bestreiten, in Verbindung mit von den Untertanen zu erbringenden Diensten und Pflichten. Mit den wachsenden Auf- und Ausgaben des ›Staates‹ wurden zu deren Begleichung neue zweckgebundene Abgaben erdacht,881 die nach und nach die Dienste und Pflichten der Untertanen ersetzten bzw. in monetäre Abgaben umwandelten. Dadurch wird das persönliche und auf Gegenseitigkeit beruhende (Lehns-) Verhältnis von Landesherr und Untertan langsam aufgelöst und der ›Staat‹ generiert als handelndes Subjekt.882 Axel Rüdiger analysiert den sich hiermit beschäftigenden staatswissenschaftlichen Diskurs an der Universität Halle im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und stellt fest, dass mit dieser Emanzipation der Untertanen »die Legitimität des preußischen Königs nur noch als Souverän im Staat vorstellbar war.«883 Erst damit kommt es zu einem Gegensatz zwischen ›privaten‹ Einnahmen des Landesherrn und öffentlich-allgemeinen Steuereinnahmen des ›Staates‹.884 Da im 18. Jahrhundert das ›neue‹ Steueraufkommen noch nicht genügt, um die ›alten‹ Einnahmen aus königlichen Domänen zu ersetzen, schießen sowohl in Brandenburg-Preußen als auch in Kurhannover die Monarchen aus ihrer ›privaten‹ Kasse Gelder zu. Die geplante Mehrung des Staatsschatzes als oberstem Ziel merkantilistischer Wirtschaftspolitik zur Sicherung der absolutistischen Machtbasis885 kann nicht als Motivation bei der Einführung immer 881 Dietmar Stutzer, Das preußische Heer und seine Finanzierung in zeitgenössischer Darstellung 1740–1790 in Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 24, Jg. 2/1978, S. 23–47, hier S. 40ff. 882 Für Sombart waren es die kraftvollen Monarchen, die »gleichsam über sich selber hinauswachsen, indem sie sich zur Idee des Staates erweitern. […] Das Staatswohl deckt sich mit dem Wohl des Fürsten, aus dessen Machtvollkommenheit heraus die Idee der Obrigkeit sich entwickelt.« Im nächsten Schritt löst »sich die Staatsidee von der Person des Fürsten los« und verselbstständigt sich. Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Historischsystematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, 1. Bd.: Einleitung, Die vorkapitalistische Wirtschaft, Die historischen Grundlagen des modernen Kapitalismus, 3. Aufl., München u. a. 1919, S. 334. 883 Axel Rüdiger, Staatslehre und Staatsbildung, Die Staatswissenschaften an der Universität Halle im 18. Jahrhundert, Tübingen 2005, S. 424. 884 Schulz stellt fest, dass es ab 1740 im theoretischen Diskurs der kameralwissenschaftlichen Literatur den Unterschied zwischen öffentlichen und Privateinkünften des Regenten gegeben hätte. Hermann Schulz, Das System und die Prinzipien der Einkünfte im werdenden Staat der Neuzeit, dargestellt anhand der kameralwissenschaftlichen Literatur (1600–1835), Berlin 1982, S. 156. Die Domänen teilen sich nun auf in privat oder chatoul-Güter und solche die »der Staat« selbst innehat. Ebd., S. 177f. 885 Z. B. bei Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 43.
Persönliche Einkünfte
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neuer Abgaben herausgelesen werden. Vielmehr wurde auf neue Kostenpunkte reagiert. Das Entschlüsseln der einzelnen Kassenberichte wird dadurch erschwert, dass die mit dem Kassenwesen beauftragten Kriegssekretäre den Auftrag erhalten, den Stand und jede Veränderung der von ihnen betreuten Kassen geheim zu halten.886 Erst wenn auch der betreffende Schriftverkehr überliefert ist, was nicht systematisch, sondern nur zufällig aufgedeckt werden kann, lassen sich die meist zweckgebundenen Einnahmen näher ergründen. Dies geht z. B. aus dem Verkauf unbrauchbarer Ausrüstung hervor, der von den Zeughäusern organisiert wird. So ergeht der Befehl, unbrauchbare Kanonen und Kanonenkugeln, die nicht den (mal wieder) neu eingeführten Standard-Kalibern entsprächen, zu verkaufen, um mit dem Erlös für 3.000 Reichstaler vier neue Salpeterhütten in Pommern anzulegen, die Reparatur alter Flinten in Kolberg und Anschaffung neuer Kanonen zu bezahlen.887 Diese Verkäufe erfolgen nicht nur auf Initiative des Königs oder der Kassensekretäre, sondern es kann sich auch darum bewerben, wer einen Bedarf hat und von Veräußerbarem weiß. Der Mindener Kammerpräsident und spätere Etatsminister von Massow bittet den König, 1.200 Morgen »von denen häufig vorhandenen wiesen Grunde« in der Grafschaft Lingen zu verkaufen und ihm die Erlöse zur Anlegung der besagten BarchendFabrik auf seinen hinterpommerschen Gütern anzuweisen.888 Dieser in Preußen gewonnene Gesamteindruck bestätigt sich bei Sichtung der Einnahmen- und Ausgabenbücher der hannoverschen Kriegskasse.889 Auch hier zahlt der König aus dem »Gewölbe«890 Zuschüsse von monatlich je 43.000 Reichstalern. Das Einnahmenbuch der für die Vergabe von Krediten zuständigen Manufakturkasse nennt das Gewölbe ebenfalls als Einnahmequelle.891 Die Ge886 Ordre Friedrich II. an die Geheimen Räte und Kriegszahlmeister Köppen und Richter vom 29. Juni 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 9. Für Regensburg Jürgen Nemitz, Die direkten Steuern der Stadt Regensburg, Abgaben und Stadtverfassung vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, München 2000, S. 620. 887 Von Dieskau an Friedrich II. vom 14. Februar 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S. 888 Genehmigungsscheiben Friedrich II. vom 21. November 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 139f. 889 Z. B. als gebundenes Buch für Dienstag 1. Juli 1749 bis Sonnabend 31. Oktober 1750, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 163, Vol. XXXII. 890 »Das Krieges-Gewölbe ist schon aus dem vorigen Seculo her von Subsidien vor gestellte Trouppen, von den dadurch an den Landes-Verwilligungen ad statum militiae gemachten Ersparnissen, und von Zinsen von vorrähtig gewesenen und verliehenen Geldern entstanden, und ist der Vorrahts-Kasten der Krieges-Kasse, aus welchem dieser die Insufficientz der Landes-Beyträge ad statum militiae suppliret und geschaffen werden muss.« Gutachten vom 10. Juli 1779 zitiert aus dem Vorwort zum entsprechenden Findbuch HStA H, Hann. 66 Geheime Räte: Kriegsgewölbe, Hannover 1955 auf http://aidaonline.nieder sachsen.de/, 18. März 2014. 891 Akten der Manufakturkasse von 1708 bis 1719, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1612.
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hälter werden zum Teil monatlich, zum Teil zwei- und mehrmonatlich, quartalsweise oder jährlich ausgezahlt. Auf Rechnungen werden Vorschüsse gewährt, sie werden in Teilzahlungen oder erst deutlich später bezahlt. Einige Ortschaften haben Naturallieferungen etwa für Pferdefutter zu tätigen, die der Kriegskasse in Geld als Eingang gutgeschrieben werden, während etwa ein Drittel der Gelder als Remission892 an die betroffenen Ortschaften zurück erstattet wird und auf der Ausgabenseite erscheint. Die ordentlich geführten Einnahmen- und Ausgabenbücher mit wöchentlichen Abschlussrechnungen sind Augenwischerei. Sie können nur den aktuellen Kassenstand abbilden, geben aber keinerlei Auskunft über die tatsächlich im Berichtszeitraum entstandenen Kosten oder die noch verfügbaren finanziellen Mittel. Sie sind aber nichtsdestotrotz Grundlage obrigkeitlicher Planungen. Die ›Umsatzbeteiligung‹ an der Geschäftstätigkeit des eigenen Ressorts ist nicht nur ein Bonus, sondern trägt einen wesentlichen Teil zur Entlohnung bei. Das steigert die Bedeutung des eigenen Verantwortungsbereichs gegenüber dem großen Ganzen und führt zu einem Ressortdenken.
4.4. Kontrolle über die Ausgaben In beiden Landesherrschaften vollzieht sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung. Durch die Einführung eines Berichtswesens wird versucht, einen Überblick über die entstandenen Kosten zu bekommen. Da diese Abrechnungen einer Revision unterliegen und von der nächsthöheren Instanz geprüft werden, haben sie eine Kontrollfunktion. Parallel wird eingeführt, dass alle bzw. größere Ausgaben einer Genehmigung durch den Landesherrn bedürfen. Diese Planungen haben die in dieser Arbeit oft angeführten Kostenvoranschläge zur Folge, welche die Planer vor der Freigabe eines Auftrags einzureichen hatten. Sie können schon deshalb nicht das ganze Feld der Ausgaben bzw. Aufwendungen abdecken, weil wie beschrieben die finanziellen Zuwendungen eben nur einen Anteil ausmachten, während daneben bei Einkommen Rechte und Pflichten eine Rolle spielten und bei wirtschaftlichen Aufträgen und Verträgen die Rohstoffgestellung mit einfloss. Direkt nach seiner Regierungsübernahme Februar 1713 setzt Friedrich Wilhelm I. Ehrenreich Bogislaw von Creutz als obersten Rechnungsprüfer ein. Sein Auftrag lautet, 892 »Besonders Erlaß der schuldigen Zahlung der Steuer und anderer Abgaben der Unterthanen und des Mieth= und Pachtgeldes, oder eines Theils desselben, wegen Unglücksfälle und Beschädigungen, die nicht von der Schuld des Miethers oder Pächters herrührten.« Art. Remission, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 122 (1813), S. 550f.
Kontrolle über die Ausgaben
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»daß alle undt jede Rechnungen so in Unseren Landen, es sey allhier oder anderswo, so wohl bey dem Civil- als Militair Etat abzulegen sindt, mit dem Ausgang jeden Jahres würklich abgenommen werden, ohne zu gestatten, daß damit bis in das folgende Jahr gesäumet werde.«893
Dies führt zur Praxis, dass alle Rechnungsführer königlicher Kassen Belege für ihre Ausgaben aufzubewahren haben, mit denen sie am Ende des Jahres eine Generalabrechnung vorweisen müssen. Sie ermöglicht durch die Revision dieser Generalabrechnung, dass zumindest im Nachhinein ein Überblick über alle Kosten des vergangenen Jahres aufgestellt wird, der wiederum als Planungsgrundlage der Ausgaben für das kommende Jahr dienen kann. Dass auch diese Kontrolle keine völlige Sicherheit geben kann, zeigt die oben beschriebene zeitgenössische Praxis, Gehälter, aber auch Rechnungen nicht sofort, sondern in mehreren Tranchen (aus-) zu bezahlen. Aber auch die Kosten fallen nicht immer so an, dass sie ins Rechnungsjahr passen. So reicht Massow an Friedrich II. die geforderte Jahresabrechnung der General-Pferde- und Kleiderkasse mit dem Hinweis ein, die Pferdekasse sei verzerrt dargestellt, da die Pferde erst nach Rechnungsschluss Ende Mai eingekauft worden seien.894 Für die zeitgenössischen Entscheidungsträger entstand so aber zumindest der Anschein, eine auf den Pfennig genaue Abrechnung der Ausgaben vorliegen zu haben. Diese Vorgehensweise gleicht im Wesentlichen der in Kurhannover. Auch hier haben Untergebene die Belege für Rechnungen zu sammeln und am Ende des Jahres zur Revision an die übergeordnete Führung bzw. Prüfinstanz abzusenden. In der Praxis stellt sich der Vorgang so dar, dass sich der für Rechnungslegung zuständige Zeugverwalter im Zeughaus Harburg Februar 1765 an die Kriegskanzlei in Hannover wendet. Er reicht die Abschlussrechnung für 1764 ein, fügt als Anlage die Belege über Ausgaben der laufenden Nummern 1 bis 81 bei und bittet um Entlastung.895 Von den jahrweise geführten Einnahmen- und Ausgabenbüchern der kurhannoverschen Kriegskasse sind einige im Landeshauptarchiv Hannover überliefert.896 Sie umfassen unter anderem in chronologischer Reihe, bei welchem Handwerker für welches Regiment welche Ware bezahlt wurde. Jeweils zum Wochenende am Sonnabend folgt eine Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben seit Monatsbeginn, wie auch jedes Monatsende gesondert abgerechnet wird.897 893 Generalkommissariat an von Creutz vom 21. März 1713, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. C5I, Fasc 4, o.S. 894 Von Massow an Friedrich II. vom 23. November 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 31. 895 Zeugverwalter Hartje an die Kriegskanzlei vom 27. Februar 1765, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 82. 896 Bestand HStA H, Hann. 47 I, Nr. 163, Vol. I bis LIV. 897 Z. B. vom 1. Juli 1749 bis 31. Oktober 1750, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 163, Vol. XXXII.
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Dass auch diese Neuerung zunächst für Protest sorgte, sei der Reaktion auf die Anweisungen der Kriegskanzlei zur Abrechnung des Artilleriekommandanten von Celle für 1712/1713 entnommen. Dieser bekommt die Anweisung, alle Befehle für Reparaturarbeiten im Original anzufügen, um damit seine Ausgaben zu belegen. Der Oberst bittet daraufhin, nur Abschriften einsenden zu müssen, da er die Originale zu seiner eigenen Versicherung behalten wolle. Es sei ihm schon passiert, dass abgesandte Befehle von der Kriegskanzlei erneut eingefordert würden. Außerdem sei es schwierig, wenn verschiedene Aufträge in einem Befehl gebündelt worden seien.898 Handelte es sich zunächst um eine nachträgliche Kontrolle, geht in Preußen die gedruckte »Circulair-Ordre an alle Ober- und Unter Receptores derer Steuerund Accise Cassen«899 von 1719 weiter, in der festgelegt wird, dass fortan jegliche Ausgabe aus königlichen Kassen nur noch durch eine königliche Spezialordre erfolgen darf. In Hannover ist diese Anweisung schon auf 1714 datiert. Um seine Abwesenheit als König in London zu regeln, hatte Georg I. ein Reglement erlassen, in dem es u. a. heißt, Auslagen von über 50 Reichstalern müssten erst durch ihn genehmigt werden.900 Den Ministern wurde aber das Recht eingeräumt, außergewöhnliche Anweisungen auch über 50 Reichstaler zu tätigen. Der Autor hat für Kurhannover keinen Fall gefunden, in dem eine angeforderte Ausgabe nicht genehmigt worden wäre. Vielmehr wurde die Praxis beobachtet, dass zwar formal beim König in London um Freigabe der Mittel ersucht, parallel der Auftrag aber schon vergeben wurde. So geschah es mit einer größeren Menge Salpeter für die Meckelfelder Pulvermühle, deren Ankauf beim König am 2. Mai 1780 erfragt wird. Obwohl die positive Antwort des Königs aus London erst am 16. Mai erfolgt, ergeht die Freigabe zum Einkauf bereits am 6. Mai.901 Da auf diesem Feld nur schwerlich Gefahr im Verzug – periculum in mora,902 die im Reglement eine sofortige Entscheidung zulassen würde, geltend gemacht werden kann, muss wohl davon ausgegangen werden, dass es sich mehr um eine formelle
898 Kriegskanzlei an Oberst Strachwitz vom 3. April 1723 und Antwort vom 4. Mai 1713, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. I, S. 189 und 194. 899 Gedruckte Circulair-Ordre an alle Ober- und Unter Receptores derer Steuer- und Accise Cassen vom 21. Juli 1719, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. C5I, Fasc 4, o.S. 900 Hier nach Uta Richter-Uhlig, Hof und Politik unter den Bedingungen der Personalunion zwischen Hannover und England, Hannover 1992, Anm. 8. Das ganze Reglement ist abgedruckt bei Drögereit, Quellen zur Geschichte Hannovers im Zeitalter der Personalunion mit England 1714–1803, Hildesheim 1973. 901 Schriftverkehr zwischen Braun, der Kriegskanzlei und Georg III. Mai 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 473, Vol. I, S. 100–110. 902 Ebenfalls nach Uta Richter-Uhlig, Anm. 8, die bedient sich bei Ernst von Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1680–1866, Leipzig 1898, Bd. 1, S. 160, Art 17.
Kontrolle über die Ausgaben
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Absegnung der Ausgaben handelt bzw. diese, wenn schon befürchtete Preissteigerungen als Gefahr aufgefasst wurden, sehr weit ausgelegt wurde. Die preußischen Minister sind sich ihrer Ausgaben ebenfalls recht sicher. Zu welchen Problemen dies führen kann, zeigt ein Beispiel aus Zeiten knapper Kassen nach dem Siebenjährigen Krieg. Eine Zeit, die Otto Hintze beschrieben hat: »Eben in dieser kritischen Zeit nach dem Kriege ging der König mit großen Plänen um, die hinausliefen auf eine großartige Konzentration der Kapitalien und des Geldverkehrs, auf eine einheitliche und planmäßige Einrichtung von Handel und Fabrikation unter Leitung und Aufsicht des Staates. Es sind Pläne, die an die Idee einer staatssozialistischen Organisation des gesamten Wirtschaftslebens streifen.«903
Der Blick in die Akten offenbart hingegen ein differenzierteres Bild. Das für Wirtschaftsförderung zuständige V. Departement bittet um die Anweisung der zur Aufhebung der Fabriken veranschlagten Kosten, die allerdings von Friedrich II. mit der Marginalie, er sehe nicht ein, auch nur einen Groschen zu bezahlen, abgelehnt wird.904 Das aufgeschreckte V. Departement wendet sich daraufhin an den König, malt den großen Schaden an die Wand, sollten die Gelder nicht angewiesen werden und schreibt, die Nicht-Anweisung der Mittel würde sie sehr in Verlegenheit bringen. Warum dies so ist, erfahren wir aus einem Brief gleichen Datums an den Geheimen Kabinettsrat Galater, in dem sie ihren Kollegen bitten, auf den König einzuwirken, die Mittel anzuweisen. Sie hätten schon 7.000 Reichstaler vorgeschossen.905 Dass diese Offensive nicht erfolgsgekrönt war, zeigt das erneute Gesuch vom Dezember des Jahres, in dem beim König um die Anweisung der Fabriken-Förderung gebeten wird, wobei die ursprünglich geforderte Summe von über 22.000 Reichstaler auf 7.941 Reichstaler reduziert wird.906 Der König hatte sich damit ein Veto-Instrument geschaffen, um einen Überblick über die Ausgaben zu bekommen. Im Großen und Ganzen handelte es sich aber trotzdem um Selbstläufer und angeforderte Kosten wurden angewiesen bzw. bezahlt. Vor allem war aber eine Grundlage geschaffen, mit der zukünftige Ausgaben geplant und gedeckelt werden konnten. Um diese Planungen und die daraus resultierende Preispolitik soll es im Folgenden gehen. Es wird aufgezeigt, wie der obrigkeitliche Anspruch zu planen auf dem Feld der Wirtschaft an Grenzen stößt. Hans-Werner Holup stellt bei Analyse der Schriften der »Merkantilisten« 903 Otto Hintze, Otto, Die Hohenzollern und ihr Werk, Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, 8. Aufl., Berlin 1916, S. 381. 904 Friedrich II. an das V. Departement vom 1. Juni 1769, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CX, Nr. 37, Vol. 1, S. 9. 905 V. Departement an Friedrich II. und Kabinettsrat Galater vom 8. Juni 1769 in: ebd., S. 10 und 11. 906 V. Departement an Friedrich II. vom 31. Dezember 1769 in: ebd., S. 24.
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fest, dass diese generell die Möglichkeiten des Staates überschätzt hätten.907 Auch Viktor Siemers stellt am Beispiel des braunschweigischen Papiergewerbes eine Überschätzung der Auswirkungen obrigkeitlicher Gewerbeförderung fest.908 Man möchte vorbereitet sein. So nimmt der für die Ausrüstung und Beschaffung der preußischen Armee zuständige General von Massow 1751 die Materialverluste der Kampagne von 1745 doppelt als Maßstab für die Reserven, die er auf den Zeughäusern vorrätig haben möchte.909 Aus seinem Bericht wenige Tage später geht die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hervor. Die Verluste von 1745 doppelt gerechnet, bräuchten sie 26.592 Säbel vorrätig. Derzeit sei allerdings kein einziger vorhanden, die Anfertigung in der Potsdamer Gewehrfabrik bräuchte sehr lange Zeit. Außerdem würden die ordinären jährlichen Gelder hierfür nicht ausreichen.910 Ähnlich sieht es mit dem Ansatz der Pferdegelder aus. Massow nimmt die Verluste der Kampagnen 1744 und 1745 und was für deren Ersetzung aufgewendet wurde als Maßstab. Aus seiner Rechnung geht hervor, dass auf den Pfennig genau 259.135 Reichstaler 12 Groschen und 1 Pfennig in der Pferdekasse fehlen.911 Von schwankenden Preisen geht er hingegen nicht aus. Dies deckt sich mit der Auffassung seines Königs. Als im Laufe des Siebenjährigen Krieges 1760 der Ersatz der Pferde wirklich ansteht und die Pferdehändler statt den veranschlagten 40 nun 45 Reichstaler fordern, tobt der König. Das sei unverschämt teuer. Die Händler wollten die Situation wohl ausnutzen; er sei nicht bereit, mehr als 40 Reichstaler pro Pferd zu zahlen.912 Der Antwort, man könne die Pferdehändler nicht zwingen, muss sich auch der König beugen.913 Die 45 Reichstaler werden genehmigt. Zur Gesichtswahrung wird angefügt, dann sollten die Pferde aber auch gut, tüchtig und kräftig sein.914 Offenkundig tritt der Wille des Königs zum Befehlen zu Tage. Bei der Preisgestaltung von Händlern gerät die absolute Macht des Königs aber auch im eigenen Land – die Pferdehändler werden als »hiesige« bezeichnet – an Grenzen. 907 Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. II Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien u. a. 2005, S. 281. 908 Viktor Siemers, Braunschweigisches Papiergewerbe und die Obrigkeit, Wolfenbüttel 2002, S. 272. 909 Bericht von Massow an Friedrich II. vom 24. Juli 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 17. 910 Kabinettsresolution Friedrich II. vom 26. Juli 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 18 sowie ebd., S. 17 bzw. GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 42, S. 320. 911 Von Massow an Friedrich II. vom 28. Mai 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 912 Friedrich II. an den Stadtkommandanten von Berlin von Rochow vom 11. April 1760, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 89 K.k.5, S. 149. 913 Antwort vom 13. April 1760 in: ebd., S. 151. 914 Antwort vom 16. April 1760 in: ebd., S. 153.
Kontrolle über die Ausgaben
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1756 wendet sich der General von Schwerin an Friedrich II. und bittet diesen, beruhigend auf den General von Massow einzuwirken. Die ursprünglich pro Husaren Regiment veranschlagten 70 bis 80 Pferde Ersatz würden nicht ausreichen und außerdem seien tüchtige Pferde teurer als angenommen.915 Im Kriegsalltag bzw. schon bei Beginn des Krieges geraten die Planungen des Massow an ihre Grenzen. 1756 bereitet sich die Armee in Ostpreußen auf den sich abzeichnenden Krieg mit Russland und eine befürchtete Abschneidung vom Stammland vor. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass dem Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall von Lehwaldt 100 Blanko-Offizierspatente nach Königsberg übersandt werden, damit er ohne mögliche Rücksprache mit dem König Personalverluste ersetzen kann,916 sondern auch in der finanziellen Vorplanung des kommenden Kriegsbzw. Geschäftsjahres. Hierzu wird festgelegt, dass die Überschüsse der preußischen Kammer, die für die Bewirtschaftung der landesherrlichen Besitztümer in Königsberg und Gumbinnen zuständig ist, direkt der Kriegskasse in Königsberg zufließen sollen. Die Überschüsse werden auf Groschen und Pfennig genau im Hunderttausenderbereich für das nächste Jahr angegeben. Auf Grundlage der genau festgelegten Kosten der Regimenter, die monatlich anfallen, sei die Kasse so wenigstens ein Jahr in gutem Vorrat.917 In einem erwarteten Krieg sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite auf den Pfennig genau vorherzubestimmen, zeugt von einem Bedürfnis nach Planbarkeit, der mit dem Kriegsalltag wenig zu tun hat. Schon im Frieden werden die aufgestellten Kostenplanungen für die Ausrüstung der Truppe überschritten. Im Dezember 1750 muss Massow an Friedrich II. melden, dass die Ausrüstung der Infanterie 72.000 Reichstaler mehr kostet als veranschlagt. Als Gründe werden sich verändernde Mannschaftstärken bei den Feld- und Garnisonregimentern, Unterstellungswechsel von der Artillerie an die Infanterie, Preiserhöhungen bei Tüchern und Futterboy sowie Extra-Ausgaben bei einigen Regimentern etwa für versilberte Mützenbleche oder neue Strümpfe angeführt.918 Im Mai 1752 stellt der General von Massow eine Tabelle für die Kavallerie auf, welche Ausrüstungsgegenstände in den kommenden zwölf Jahren bis 1764 wann 915 General von Schwerin an Friedrich II. vom 12. November 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 90 L.2, S. 95. 916 Friedrich II. an von Lehwaldt vom 6. Juli 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 606 E, o.S. 917 Kammerüberschüsse für Trinitatis 1756–57 aus Königsberg von 175.567 Reichstaler 5 Groschen 7 Pfennig und aus Gumbinnen von 216.111 Reichstaler 11 Groschen 6 Pfennig bei monatlichen Kosten von 122.703 Reichstaler 16 Groschen 2 Pfennig abzüglich der von Massow einzubehaltenden Kosten. Friedrich II. an von Lehwaldt vom 30. Juli 1756 in: ebd., o.S. 918 Von Massow an Friedrich II. vom 29. Dezember 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 34.
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ausgetauscht werden müssen. Dazu stellt er die Kosten auf, die die GeneralPferde- und Kleiderkasse jährlich einbehalten müsse, um diese Ausgaben bestreiten zu können. Während Friedrich II. auf diesen Kostenvoranschlag mit der Aufforderung reagiert, man solle bei den langlebigen Ausrüstungsgegenständen sparen, die in zwölf Jahren nur ein oder zweimal erneuert werden, muss Massow im Dezember des Jahres einlenken. Ein weiteres Sparen sei nicht möglich, vielmehr würde das Lederzeug, insbesondere die Gehenke so stark beansprucht, dass sie schon die veranschlagten zwölf Jahre nicht halten würden, sondern vorher ausgetauscht werden müssten. Da das einbehaltene Geld der Kleider- und Pferdekasse dafür nicht ausreiche, werde man versuchen, solange reparieren zu lassen, wie möglich.919 Es wird deutlich, dass die Berechnungen der Obrigkeit ein ziemliches Wunschdenken erkennen lassen und aus heutiger Sicht naiv erscheinen, weil sie viele Einflussfaktoren ausklammern bzw. als im wahrsten Wortsinne beherrschbar ansehen. Nichtsdestotrotz stellten sie für die Zeitgenossen die Planungsgrundlage dar. Diese Berechnungen wurden von manchem Historiker wörtlich genommen, sodass etwa Gerhard Papke den Einkünften aus dem Lande zugesteht »Sie garantierten ein exakt einzuschätzendes, sicheres Einkommen.«920 Bei Siegfried Fiedler heißt es: »Durch die Beschaffenheit ihrer Staatsund Heeresverfassung waren die Großmächte zur Zeit des Absolutismus erstmals in der Lage, eine planmäßige Rüstungspolitik zu betreiben und die bereitgestellten Kriegsmittel zum gegebenen Zeitpunkt einzusetzen.«921 »Sie bezeugen den Willen des Staates, seine bewaffnete Macht in den Grenzen ihrer existenziellen Abhängigkeit von der merkantilistischen Leistungskraft des arbeitenden Volkes zu halten.«922
4.5. Preispolitik An der Preispolitik lässt sich sehr gut Anspruch und Wirklichkeit obrigkeitlicher Planungen darlegen. Dem Wunsch, durch Festsetzung der Preise eine finanzielle Planung der Einkäufe (nicht nur) für die Armee möglich zu machen, stehen schwankende Rohstoffpreise entgegen. Statt die Preise für die benötigten Produkte – hier vor allem Gewehre und Tücher – anzupassen, sind eine Reihe 919 Von Massow an Friedrich II. vom 18. Mai 1752 und 19. Dezember 1752 sowie dessen Antwort vom 20. Mai 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 920 Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer, Wehrwesen im Absolutismus, München 1983, S. 215. 921 Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegsführung im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 19. 922 Ebd., S. 17.
Preispolitik
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von Maßnahmen zu beobachten, den Festpreis zu halten und stattdessen die Rohstoffe oder Lohnkosten zu subventionieren, um den Schein von Festpreisen aufrechtzuerhalten. Zur Relativierung der Beschwerden über Preise sei angeführt, dass die Preisfestsetzung ähnlich wie die Bestimmung der Qualität so vielen Faktoren unterliegt, dass es ein Leichtes ist, den ›Endpreis‹ zu manipulieren und für seine Zwecke hoch oder runter zu rechnen. Zur Illustration sei der Streit der Arbeiter der Potsdamer Gewehrfabrik mit den Angestellten der Brennholzkompanie über zu lieferndes Brennholz angeführt. Die Arbeiter hatten sich berufend auf den Gründungsvertrag von 1722 das Sonderrecht herausgenommen, ihr Brennholz frei einkaufen zu dürfen, während die neu gegründete Brennholzkompanie per Edikt von 1766 das Monopol auf den Verkauf von Brennholz erhalten hatte. Damit stehen sich zwei königliche Erlasse gegenüber. Durch je unterschiedliche Berechnung der Holzpreise versucht die Potsdamer Gewehrfabrik deutlich zu machen, dass die neue Regelung für sie deutlich schlechter ausfalle, während die Brennholzkompanie berechnet, dass die Arbeiter mit ihrem Angebot deutlich günstiger wegkämen. Jede Seite rechnet sich, je nachdem, ob sie Transport-, Arbeits- und sonstige Nebenkosten hinzufügt oder weglässt, den Preis so, dass er zu ihrer Argumentation passt. Zusätzlich undurchsichtig werden die Berechnungen, da es keine klaren Definitionen über die zugrundeliegenden Mengeneinheiten und Verkaufsmodalitäten gibt. So beschweren sich die Arbeiter, dass der Klafter Brennholz in den Forsten mehr Holz umfasse als auf den Holzmärkten, was sie damit erklären, dass auf den Heiden das Holz ohne Unterlage, auf dem Holzmarkt mit und kreuzweise angeordnet, verkauft würde.923 Folglich sind in Ermangelung fester Regeln und Modalitäten die Preisdiskussionen mehr Mittel zum Zweck, die eigene Position durchzusetzen. Die hannoversche Kriegskanzlei meldet nach Anlegung einer eigenen Rohrschmiede im Amt Schwarzfels 1738 an den König in London, nun sei man nicht mehr vom teuren Import aus Thüringen abhängig.924 Eine sehr naive Vorstellung, wenn man diese mit der späteren Klage vergleicht, man könne preislich nicht mit den Thüringer Fertigungsstätten konkurrieren925 und den immensen Zuschüssen, welche die königliche Kasse der Herzberger Gewehrfabrik Monat für Monat zahlt, um den Schein niedriger Preise aufrechtzuerhalten. Neben den bereits angeführten Qualitätsstufen machen unterschiedliche Maßeinheiten, Lieferbedingungen und Berechnungsmethoden, die aus den 923 Untersuchungsbericht des Bürgermeisters Egerland vom 21. November 1783. In den Anlagen A bis D und X die jeweiligen Argumentationen der Streitparteien, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 924 Bericht der Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. April 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 77. 925 Bericht Kriegssekretär Ramberg vom 4. April 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28ff.
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Geldwesen und Preispolitik
Rechnungen nicht oder nur teilweise (mit Intention) hervorgehen sowie die versteckten Kosten, um die es im Folgenden geht, einen rationalen Preisvergleich schon für die Zeitgenossen schwierig, für uns heute jedoch unmöglich.
4.5.1. Versuche, auf den Rohstoffpreis einzuwirken Den in Preußen wie Hannover aufgestellten Reglements für die Armee kommt eine Kostendeckelfunktion zu. In diesen werden die Preise für Ausrüstungsgegenstände festgesetzt und die Bezahlung geregelt. So ist in ihnen festgelegt, welche Beträge den Soldaten monatlich vom Lohn abgezogen werden, um davon die Uniform bezahlen zu können. Das gedruckte »Mondierungsreglement derer Unter-Officiere und Corporale bey Unserer Infanterie in Kriegs und Friedenszeiten«, gültig ab 1. Mai 1749, legt fest, dass eine Unteroffiziersuniform mit allem Zubehör maximal 24 Reichstaler kosten darf. Dafür werden monatlich 24 Mariengroschen vom Lohn der Unteroffiziere einbehalten, die der Regimentskasse zufließen. Diese Preise sind bindend. Es soll »einem Chef des Regiments nicht erlaubt seyn, sothane Mondierungen kostbarer verfertigen zu lassen, noch diese gesetzte Summe zu übersteigen«926. Daran wird deutlich, dass für die Kriegskanzlei die Regimentschefs verantwortlich dafür sind, wenn ihre Soldaten zu teure Uniformen haben. Um diesen einen Anreiz zum Sparen zu geben, haben sie Mehrkosten aus eigener Tasche zu zahlen, während sie bei günstigeren Abschlüssen den Differenzbetrag behalten dürfen. Diese Deckelung funktioniert nur solange, wie die Ausrüstung günstiger in guter Qualität zu bekommen ist. Die Regimentschefs können höhere Preise auf Dauer nicht ausgleichen. Der Grund für die Neufassung des Reglements nach nur einer Uniform-Erneuerung scheint aber ein anderer zu sein. Der Anreiz, den Differenzbetrag zu behalten, hat die Regimentskommandeure offensichtlich dazu veranlasst, an der Qualität der Stoffe zu sparen. Nach Beschwerden durch die Unteroffiziere wird der Paragraph dahingehend geändert, dass der Preis für die Uniform nicht unterhalb der veranschlagten Kosten liegen dürfe, damit die Unteroffiziere gute Ausrüstung erhielten.927 Die im Reglement festgesetzten Preise werden als Druckmittel eingesetzt, dass man keine höheren Preise für die Tücher zahlen könne.928 Der Göttinger Tuchfabrikant Grätzel erklärt sich 1794 unfähig, zu den bisherigen ausgehan926 Mondierungsreglement derer Unter-Officiere und Corporale bey Unserer Infanterie, in: Kriegs und Friedenszeiten erlassen durch Georg II. vom 26. Februar/8. März 1748, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 103ff. 927 Ebd., S. 100ff. 928 Marginalie Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz auf Schreiben des 11. Regiments an diesen vom 27. April 1794, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, S. 162.
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delten Konditionen Tücher für die Armee zu liefern. Grund seien die mit Ausbruch der Revolutionskriege gestiegenen Materialpreise.929 Nachdem Grätzel nach mehrmaligem Nachfragen nicht von seinen Preisvorstellungen abweicht, erteilt die Kriegskanzlei den zur Grätzelschen Fabrik zugeteilten Regimentern den Auftrag, sich bei anderen Fabriken nach einem Lieferanten umzuhören, der zum festgelegten Preis liefern könne.930 Als Marginalie hat der Oberbefehlshaber persönlich auf dem Schreiben angefügt, man sei an die Preise im Reglement gebunden und könne die Ausgaben nicht erhöhen. Dies sei dem Fabrikanten so zu bedeuten.931 Um diesen Schritt des Oberbefehlshabers zu verstehen, sei kurz auf die Folgen einer Preiserhöhung beim wichtigsten Rohstoff eingegangen. Durch einen Preisanstieg von 18 auf 21 Groschen je Elle Tuch, wie er Anfang der 1790er Jahre erfolgte, drohten der Kriegskasse erhebliche Mehrkosten. Alleine für den Rock veranschlagt ein Schneider viereinhalb Ellen Oberstoff und ebenso viele Ellen an Futtertuch.932 Zur gleichen Zeit war der Oberbefehlshaber mit weiteren Anfragen konfrontiert. Das 1. Regiment bittet wegen gestiegener Wollpreise um einen Zuschuss von drei Mariengroschen je Hut.933 Das 12. Regiment meldet, dass wegen gestiegener Zinnpreise die pro Montierung benötigten Musketierknöpfe zwei Pfennig teurer würden.934 Unter dem Gesichtspunkt der beschriebenen, zeitgenössischen Präzedenzfall-Praxis musste er zudem damit rechnen, dass, sollte er einem Regiment ein Zugeständnis machen, andere Regimentskommandeure mit der gleichen Bitte an ihn herantreten würden. Daraufhin holen die Regimenter zum einen bei anderen Fabriken – etwa in Osterode und Uelzen – Proben und Preisvorstellungen ein, die aber bei den Preisvorgaben, so berichten die Regimenter, an die Qualität und Farbe der Grätzelschen Proben nicht heranreichen.935 Zum anderen bietet Grätzel an, allerdings mit Abstrichen bei der Qualität, zum alten Preis zu liefern. Einige Regimenter bestellen daraufhin bei Grätzel, einige weichen auf andere Fabriken aus. Damit ist den vorgeschriebenen Preisen Rechnung getragen, aber schon 929 Grätzel an Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz vom 26. Mai 1794, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, S. 156. 930 Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz an die Regimenter 3 und 7 vom 25. Juni 1794 in: ebd., S. 158. 931 11. Regiment an Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz vom 27. April 1794 in: ebd., S. 162. 932 Kostenvoranschlag des Schneidermeisters Blender in Stade vom 5. August 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 245, S. 5. 933 Von Stockhausen an Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz vom 4. Juli 1793, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, S. 104. 934 Generalmajor von Linsingen an Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz vom 27. Juli 1793, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, S. 110. 935 7. Regiment an Herzog Ernst von Mecklenburg-Strelitz vom 6. August 1794 in: ebd., S. 171.
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wenige Wochen nach Ausgabe der neuen Montierungen an die Soldaten Mai 1795 mehren sich die Beschwerden. Juli 1795 meldet ein Regiment, die aus Osterode bezogenen Tücher seien schlechter, loser und dünner als die des Grätzel, sodass sie zum Teil schon jetzt der Ausbesserung bedürften.936 Ein anderes Regiment beschwert sich, dass die Tücher aus Osterode bereits nach 14 Tagen die Farbe verlören, der Faden so grob sei und schnell aufgehe, dass ein Flicken unmöglich sei. Es wird der Verdacht geäußert, dass die gelieferten Tücher mit Gewichten auseinandergezogen worden seien, um sie auf die geforderte Breite zu bekommen.937 Das Durchsetzen des im Montierungsreglement festgelegten niedrigeren Preises hat sich damit als ziemlich kurzsichtig herausgestellt. Eine gleichgelagerte Form der Druck-Ausübung ist parallel in Preußen zu beobachten. Dort haben verschiedene Tuchmachergewerke dem für Einkauf der Tücher und Futter(-boy) zuständigen Oberkriegskollegium erklärt, sie könnten die Bestellung für 1789/90 nicht zu den im Reglement festgelegten Etat-Preisen liefern. Aufgrund der hohen Wollpreise erbitten sie eine Zulage von 2 Groschen je Elle Tuch.938 Daraufhin ergeht die Anweisung an die zuständigen Kammern, den Tuchmachergewerken klarzumachen, dass nicht mehr als die etatmäßigen Preise gezahlt werden könne. Man solle den Gewerken außerdem bekannt machen, dass man nach anderen Lieferanten suche. Sie sollten sich bewusst machen, dass die Wollpreise nur vorübergehend so hoch wären, sie aber riskieren würden, dauerhaft die Armeeaufträge zu verlieren.939 Eine andere Argumentation geht noch weiter und droht offen. Wenn sie die Tücher teurer machen würden, treibe dies den Preis für die Montierung der großen Armee in die Höhe. Diese Mehrausgaben könnten nur durch eine Abgabenerhöhung aufgebracht werden, was ihnen ebenfalls beschwerlich fallen würde.940 Die Tuchmachergewerke lassen sich dadurch jedoch nicht bewegen, sondern erklären ihre Unfähigkeit, zu den Preisen zu liefern, was das Oberkriegskollegium in arge Verlegenheit bringt.941 Die daraufhin in den Provinzen angeordneten Untersuchungen, die sich mit dem Preisanstieg auseinandersetzen, finden einen einfachen und schnellen Schuldigen: Die Juden. Sie hätten mit dem Wollpreis spekuliert, preußische Wolle illegal ins Ausland ausgeführt und damit 936 Oberst von Düring vom 6. Juli 1795, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 417, S. 10. 937 Oberst von Diepenbroick vom 6. Juli 1795 in: ebd., S. 12. 938 Oberkriegskollegium fragt am 6. Juli 1789 das Generaloberfinanzdirektorium, ob eine Zulage gezahlt werden könne, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 939 Generaloberfinanzdirektorium an die kurmärkische und Magdeburger Kammer vom 16. Juli 1789, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 940 Kurmärkische Kammer an das Generaldirektorium vom 28. Juli 1789, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 941 Oberkriegskollegium an das Generaldirektorium vom 1. September 1789 in: ebd., o.S.
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das Wollangebot im Lande verknappt. Wolle sei kein Handelsgut, sondern solle von den Produzenten direkt an die Fabrikanten verkauft werden. Als Folge wird den Juden Ankauf und Ausfuhr inländischer wie polnischer Wolle ganz verboten.942 Dass nicht allen Zeitgenossen diese einfache ›Lösung‹ des Problems zusagt, belegt ein Protestschreiben der westpreußischen Kammer auf dieses Verbot. Den Tuchmachern in der Provinz gehe es gut und es sei das ganze Jahr keine Beschwerde über fehlende und zu teure Wolle bei ihnen eingegangen. Das heißt Angebot und Nachfrage funktionieren hervorragend. Dieses Gleichgewicht würde aber außer Kraft gesetzt, wenn die Beschaffungsorgane der Armee mit vor Jahren festgesetzten Preisen die Fabrikanten unter Druck setzen würden. Sie hätten zwar wie befohlen den neun in ihrer Provinz akkreditierten Juden ihre Konzession zum Wollhandel abgenommen, hielten dies aber nicht für zielführend. Selbst wenn diese Schleichhandel betrieben hätten, würde dieser durch die Einfuhr bei weitem ausgeglichen.943 Die angestellte Untersuchung entlastet die beschuldigten Händler und Kaufmänner vollständig,944 kann das Generaldirektorium aber nicht umstimmen. Es bleibt dabei, die Juden hätten Schuld.945 In Preußen stellt die Obrigkeit seit Beginn des 18. Jahrhunderts ÖkonomieReglements auf, mit denen die Ausrüstung der Armee zu Festpreisen geregelt werden soll. Von Anfang an stellen die schwankenden Wollpreise die Planungen der Obrigkeit vor große Herausforderungen. Für Carl Hinrichs stellt die daraus resultierende preußische Wollindustrie im 18. Jahrhundert das Paradebeispiel merkantilistischer Wirtschaftspolitik dar. Im Vorwort nennt Hinrichs das Ziel seiner Habilitation: »mit der Endabsicht, das Gesamtbild einer frühkapitalistischen, staatlich gelenkten Wirtschaft in allen ihren Bereichen zu entwerfen, wobei die Wollindustrie mehr denn als ein bloßes Beispiel zu gelten hat, da sie damals die einzige Industrie war, die als Objekt einer umfassenden staatlichen Wirtschaftspolitik in Betracht kam.«946
Folglich eignet sich die »Wollindustrie« besonders gut, dieses Bild eines absolutistischen Masterplans zu dekonstruieren und stattdessen alternative Handlungsmotive und -akteure frühneuzeitlicher Wirtschaftspolitik aufzuzeigen. Inbegriff dieser Wollindustrie ist das 1713 als große Berliner Wollmanufaktur durch den Minister und Unternehmer von Kraut gegründete Lagerhaus. Dieser 942 Anweisung des Generaldirektoriums an das Oberkriegskollegium, das preußische Provinzial-Departement, die pommersche, litauische, ost- und westpreußische Kammer vom 30. November 1789 in: ebd., o.S. 943 Antwort der westpreußischen Kammer vom 19. Januar 1790 in: ebd., o.S. 944 Untersuchungsbericht der westpreußischen Kammer vom 8. Februar 1790 in: ebd., o.S. 945 Generaldirektorium an das Fabriken-Departement vom 27. Februar 1790 in: ebd., Bd. 1, o.S. 946 Auszug als Vorwort der Habilitationsschrift Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 3.
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hatte sich August 1713 mit einem Forderungskatalog an den König gewendet, unter welchen Bedingungen er bereit sei, das Geforderte mit eigenem Kapital zu versuchen. Er habe gehört, dass der König »ein ansehnliches Wahren-Lager verlangen, auß welchen Dero Armee Ihre Nothdurfft jederzeit holen kann«947. Schon aus dem Namen »Wahren-Lager« bzw. »Lagerhaus« ist die ursprüngliche Intention zu ergründen. Für die im Reglement vorgesehene zwei- und bald einjährige Ausstattung der königlichen Truppen mit neuen Montierungstuchen wurden für den damaligen Markt riesige Mengen Tuch gebraucht, die entsprechend abhängig vom zugrundeliegenden Wollpreis waren. Da alternative Ursachen, wie sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts erkannt werden – als Begründung für Preissteigerungen werden neben Kriegen, die eine Verknappung des Angebots durch unterbrochenen Import zur Folge haben konnten,948 Schafseuchen949 oder Schafsterben nach harten Wintern950 genannt – nicht gesehen werden, nimmt man menschliche Ursachen an, die man hofft, durch die Zentralisierung und damit Schaffung eines persönlichen Ansprechpartners beherrschen zu können. Dieser sollte ein Lager betreiben, in dem immer ausreichend Tuchrollen in guter Qualität und zum festen Preis zur Verfügung sein sollten. Um diese Aufgabe zu erfüllen, fordert Kraut unbeschränktes Vortragsrecht beim König. Der König habe, bevor er etwas in Manufaktur- und KommerzAngelegenheiten entscheide, seine Meinung einzuholen und sich nach dieser zu richten. Seine Vorschläge sollten mit königlichem Nachdruck umgesetzt werden, dass nicht nur die Waren gut und ohne Tadel produziert werden, sondern auch vom Preis mit denen im Ausland konkurrieren können. Die Antwort des Königs fällt positiv aus.951 Damit hat die neue Wollmanufaktur nicht nur allerhöchste Protektion, sondern der Betreiber hat sich geradezu zum alleinigen Berater des Königs in Wirtschaftsfragen bestimmt. Der König hofft im Gegenzug, durch die Errichtung des Lagerhauses und langfristige Lieferkontrakte zu Festpreisen die Ausrüstungskosten der Armee vom steigenden Rohstoffpreis entkoppelt zu haben. Das Lagerhaus hat laut 947 Forderungskatalog von Kraut an Friedrich Wilhelm I. vom 19. August 1713, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 1–4. 948 So in der Akte HStA H, Hann. 38 E, Nr. 413, die sich mit dem durch die Revolutionskriege ausgelösten Preisanstieg der Rohstoffe beschäftigt. 949 Anonyme Denkschrift ohne Ort und Datum von 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 84–87 oder Klage über Wollmangel nach Schafsterben wegen Pocken vom 20. April 1771, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 37. 950 Kurmärkische Kammer an das Generaldirektorium vom 28. Juli 1789 oder westpreußische Kammer an das Generaldirektorium vom 19. Januar 1790, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 951 Friedrich Wilhelm I. an von Kraut vom 22. August 1713, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 7f.
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Kontrakt die Tücher zum Festpreis zu liefern und damit auch das Risiko des Wolleinkaufs zu tragen. Da der Betreiber des Lagerhauses sich im Gründungsvertrag weitreichende Unterstützung durch den König hat zusichern lassen, muss er bzw. die königliche Verwaltung sich schon bald wieder mit den Wollpreisen beschäftigen. Schon in den ersten Jahren des Lagerhauses treten Beschwerden von Seiten des Betreibers über zu hohe Wollpreise auf. Oktober 1717 beziffert Kraut seine Verluste der letzten vier Jahre mit 56.000 Reichstalern. Neben den laufenden Kosten des Lagerhauses, die sich auf 20.000 Reichstaler belaufen würden, hätte er beim Armeekontrakt 30.000 Reichstaler Verlust eingefahren. Der Lieferungsvertrag mit der Armee sei auf Grundlage der Wollpreise von 1715 geschlossen worden, seitdem sei der Wollpreis täglich gestiegen. Hinzu kämen die Zinsverluste, weil die Armee erst nach Auslieferung zahle, er aber vorher viel investieren müsse.952 Statt nun die Preisbildung der Armeetücher zu überdenken und die Lieferkontrakte anzupassen, werden die hohen Wollpreise als das Problem erkannt. Der König – die Wollpreise sollen wieder so werden wie zu Zeiten seines Vaters953 – genehmigt auf Vorschlag des Kraut und der betreuenden Verwaltungsangestellten einen ganzen Maßnahmenkatalog, um den Preis zu senken. Ursächlich für die Maßnahmen sind die jeweiligen (menschlichen) Schuldigen, die identifiziert worden sind und um die es im Folgenden geht. Als einer der Schuldigen werden die Schafbesitzer erkannt, die – so vermutet man – aus Gewinnsucht hohe Preise verlangen würden. Der Plan ist so einfach wie genial. Wenn man die Schafbesitzer finanziell am Lagerhaus beteiligt, hätten diese selbst ein Interesse daran, die Preise niedrig zu halten.954 Da das Lagerhaus zudem eine Finanzspritze benötigt, um trotz der Verluste weiter arbeiten zu können, wird ein Vertrag entworfen, um die kurmärkische Landschaft als Vertretung der Gutsbesitzer in die Führung des Lagerhauses mit einzubinden. Sie beteiligt sich mit einem Kapital von 100.000 Reichstalern für zunächst acht Jahre am Lagerhaus. In Artikel 14 des Vertrags wird ausgeführt, worum es ›noch‹ geht. Das Lagerhaus könne nur bestehen, wenn der Wollpreis niedrig sei. Die Landschaft wird sich deshalb mit königlichem Beistand bemühen, den Wollpreis auf ein erträgliches Maß für Landmann und Manufakturier zu setzen.955 Der Versuch durch Einbinden von Akteuren einer Fabrik aufzuhelfen, ist auch in Kurhannover zu beobachten. Dort war nach dem Siebenjährigen Krieg die 952 Von Kraut an Friedrich Wilhelm I. vom 29. Oktober 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 3, S. 39f. 953 Resolution vom 18. Juli 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 38–42. 954 Konzept für die Beteiligung vom 13. Juli 1717 von Ilgen und von Creutz an Friedrich Wilhelm I., in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 3, S. 3–5 führt zum Befehl an die Landschaft vom 23. Juli 1717 in: ebd., S. 6. 955 Vertrag unterzeichnet 24. August 1717 in: ebd., S. 31–38.
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Gewehrfabrik Herzberg in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Untersuchungskommission kam zu dem Ergebnis, dass der bisherige Fabrikinspektor zwar ein geschickter Handwerker sei, aber mit der Leitung der Fabrik überfordert wäre956 – ein Sündenbock, der es überflüssig macht, sich mit den strukturellen Schwächen der Unternehmung auseinandersetzen zu müssen. Nachdem Georg III. zunächst vorgeschlagen hatte, dass der Generalfeldmarschall selbst die Aufsicht über die Gewehrfabrik führen soll, schafft es die Kommission, den Vice-Berghauptmann von Reden zu überzeugen, die formelle Aufsicht über die Fabrik zu übernehmen.957 Dass Reden, wie schon der Generalfeldmarschall, nicht für die Aufsicht vor Ort geeignet ist – diese wird einem Leutnant der Artillerie übertragen – berichtet dieser selbst an den König. Er sei mit seinen Harzgeschäften so eingebunden, dass er nur sporadisch nach Herzberg reisen könne.958 Reden bringt aber ein ganz anderes Pfund mit. Er ist ›hauptberuflich‹ für das Bergamt Clausthal zuständig, das mit der Gestellung von Eisen und Stahl sowie Bau- und Kohlenholz einen großen Rohstofflieferanten der Gewehrfabrik ausmacht. Die gleiche Strategie der Einbindung konnte auch bei den Versuchen der Qualitätssicherung festgestellt werden. Kaufleute, die sich über die schlechte Qualität der inländischen Waren sowie Offiziere, die sich über schlechte Gewehre aus den Zeughäusern beschweren, werden in den Abnahmeprozess eingebunden. Neben den Rohstoff-Produzenten werden die Kaufleute und Händler als Schuldige identifiziert. Ständig vorgebracht wird der Vorwurf, der Wollpreis sei so hoch, weil so viel Wolle ins Ausland ausgeführt werde. Um dem zu entgegnen, wird 1717 eine Sonderabgabe auf die Ausfuhr von Wolle eingeführt. Der Anweisung an die zuständigen Steuerkommissare und sämtliche betroffenen Grenzzöllner ist zu entnehmen, dass der zeitgenössischen Praxis entsprechend keine Regelung für den ganzen Herrschaftsbereich, sondern nur für einzelne Provinzen ergeht. In diesem Fall betrifft es nur die kur- und neumärkische Wolle, während die pommersche Wolle explizit von dieser Abgabe befreit wird. Die Grenzzöllner haben deshalb besonders darauf zu achten, dass keine märkische Wolle als pommersche ausgegeben wird. Als Begründung für diesen Schritt wird angeführt, es komme dem Lagerhaus darauf an, dass der gestiegene Wollpreis wieder auf das Niveau zur Zeit seines Vaters (Friedrich I.) sinkt.959 Die
956 Feldmarschall von Spoercken an Georg III. vom 23. Februar 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 91. 957 Feldmarschall von Spoercken an Georg III. vom 26. August 1768 in: ebd., S. 61. 958 Claus Friedrich von Reden an Georg III. vom 4. Dezember 1768 in: ebd., S. 49. 959 Resolution Friedrich Wilhelm I. vom 17. Juli 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 35ff.
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Initiative für den Schritt, den Ausfuhrzoll zu erhöhen, geht vom Betreiber des Lagerhauses aus. An diesem Fall lassen sich einige grundlegende Beobachtungen zum Wirtschaftsverständnis darlegen. In diesem wie in vielen beobachteten Fällen haben Untersuchungen zur Folge, dass ein einzelner oder eine ganze Gruppe als Schuldige identifiziert werden. Auffallend häufig wird im Bereich der Wirtschaft den Kaufleuten und Händlern, die wiederum mit den Juden gleichgesetzt werden, die Schuld zugeschoben. Diese sind gut vernetzt und handeln über Provinz-, aber auch Landesgrenzen hinweg. Die auf einzelne Provinzen angelegten Verbote oder Gebote sind damit leicht zu umgehen bzw. lassen schon von sich aus große Ermessensspielräume und Hintertüren offen. In diesem Fall fällt unter das Verbot nur Wolle aus der Mark, die sich aber äußerlich nicht von der aus anderen Provinzen unterscheidet. Ist ein Verbot auf eine spezielle Stoffsorte begrenzt, die nicht näher als über den Warennamen bestimmt wird, lässt sich dieses durch Einfuhr ähnlicher Stoffe unter anderem Namen umgehen.960 Besonders zielführend bei Beschwerden ist der Verweis auf das Ausland. Die Anschuldigungen der Beschwerdeführer sind damit zum einen schwer nachprüfbar und zum anderen ist der Adressat – die landesherrliche Verwaltung – nicht für das Wohlergehen des Auslands zuständig, kann also Maßnahmen zu Lasten Auswärtiger leicht anordnen. Da der Kontakt mit dem Ausland über Kaufleute und Handel läuft, kommen diese schnell in den Verdacht, die wohlgemeinte Politik der Obrigkeit zu unterlaufen, wenn sie nicht die erhoffte Besserung bietet. In Unwissenheit über die komplexen Zusammenhänge der Wirtschaft wird lieber schnell ein Schuldiger präsentiert. Die Verwaltungsangestellten sind skeptisch, ob der Ausfuhrzoll alleine reicht, um den Wollpreis zu senken und wollen darüber hinaus ein Konzept ausarbeiten, wie mit der Einrichtung von Wollfaktoreien der Markt reguliert werden könne.961 Alle Wollproduzenten – genannt werden Adlige und Ämter – das heißt private und herrschaftliche – sollen dazu verpflichtet werden, gleich nach der Wollschur bis Ende Juni die Wolle in der nächsten Hauptstadt des Kreises abzuliefern. Dort soll die Ware gewogen und sicher gelagert werden. Bis Ende August haben das Lagerhaus und alle inländischen Manufakturen ein Vorkaufsrecht, zum festgesetzten Höchstpreis des Jahres 1712/1713 so viel Wolle einzukaufen, wie sie benötigen. Das gleiche Vorrecht genießen inländische Wollhändler und Kaufleute, die allerdings die Vorgabe bekommen, beim Wei960 Stellungnahme der Calenberger Landschaft zum Kattun-Verbot vom 3. Dezember 1753, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1886, S. 206. 961 Von Ilgen und von Creutz an Friedrich Wilhelm I. vom 18. Juli 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 38ff.
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terverkauf maximal sechs Prozent auf den Wollpreis aufzuschlagen. Im Anschluss ab September dürfen Adel und lokale Amtsverwalter den Rest meistbietend verkaufen oder ins Ausland ausführen. Damit die Besitzer nicht allzu lang auf ihren Waren sitzen bleiben, wird eine prozentuale Faktoreiabgabe erhoben, die monatlich steigt. Sie schlagen vor, dass diese Verfassung drei Jahre gelten könnte, um zu sehen, ob sie ihren Zweck erfüllt, nachgebessert oder abgeschafft werden könne.962 Nicht nur an der Testphase, auch an der oben beschriebenen Begrenzung der Wollausfuhrgebühren auf eine Provinz ist zu entnehmen, dass sich das zeitgenössische Verwaltungspersonal unsicher ist, wie ihre Konzepte auf dem Feld der Wirtschaft wirken. Man zieht es deshalb vor, zunächst ein begrenztes Versuchsprojekt zu starten, um die Auswirkungen ergründen zu können und sicherzugehen, ob der erwünschte Effekt wirklich eintritt. Die von vornherein eingeplante Begrenzung der Laufzeit hat zudem den Vorteil nach Ablauf der Frist gesichtswahrend aus dem Projekt aussteigen zu können, sollte sich der Erfolg nicht einstellen. Versuche, durch Woll-Lager die Marktpreisbildung auszuhebeln – auch das Lagerhaus hatte schon genau diesen Zweck – sind auch aus Hannover überliefert. Ihnen geht wie bei jedem Antrag an die Obrigkeit das Benennen der vermuteten Schuldigen voran. Die Tuchfabrik in Scharnebeck habe stark gelitten. Grund dafür sei, dass die Kaufleute die Wolle im hiesigen Herzogtum aufkaufen und nach Bremen brächten. Dort würde die Wolle sortiert und ins Ausland, vor allem nach Frankreich verkauft. Für die fertigen Tuche würden die Kaufleute nur geringe Preise zahlen, sodass den hiesigen Tuchmachern das Kapital fehle, gute Wolle einzukaufen. Als Lösung wird vorgeschlagen, zweimal im Jahr einen Wollmarkt abzuhalten, auf dem die heimischen Tuchhändler Vorkaufsrecht zu günstigen Preisen genössen. Dazu solle ein Woll- und Tuchlager nach Osnabrücker Vorbild eingerichtet werden, auf dem immer Wolle vorhanden sei und an das die fertigen Tuche zu angemessenen Preisen geliefert werden könnten, um Unabhängigkeit von den Bremer Kaufleuten zu erlangen. Um dieses Lager einzurichten, bitten sie die Regierung in Hannover um ein zinsfreies Kapital von 7.000 bis 8.000 Reichstalern.963 Aus der Akte geht nicht hervor, ob dieses WollLager eingerichtet wurde. Es ist aber ein Verlängerungsantrag für ein ähnliches Woll-Lager in Diepholz vorhanden. Nach Klagen über den hohen Wollpreis war dort 1768 ein Woll-Lager eingerichtet worden, zu dem der König 1.000 Reichstaler zinsfreien Kredit auf zunächst sechs Jahre bewilligt hatte – auch hier eine Probezeit. Kurz vor Ablauf der sechs Jahre wendet sich die königliche Kammer an Georg III. und bittet mit Verweis auf die Notwendigkeit, das Lager weiter zu 962 Von Ilgen und von Creutz an Friedrich Wilhelm I in: ebd., S. 47ff. 963 Amtmann Reimers an die königliche Kammer vom 18. April 1771, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 55ff.
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betreiben, um eine Verlängerung des Kapitals für weitere sechs Jahre. Da es den Tuchmachern gut gehe, wird die Bereitschaft erklärt, drei Prozent Zinsen zu zahlen. Aus dem Bittbrief geht außerdem hervor, dass das Lager von einem heimischen Tuchmacher betrieben wird. Die Bürgschaft für das Kapital habe ein bemittelter Kaufmann und Einwohner übernommen.964 Doch so positiv wie hier werden Woll-Lager nicht überall gesehen. Gegen den Plan, in Preußen Wollmagazine einzuführen, regt sich Protest von verschiedenen Seiten. Der Protest der Landräte, die für die Schäfer in ihren Kreisen sprechen, wurde bereits im Abschnitt zur Durchdringung des Raums beschrieben. Zeitgleich beschweren sich die Berliner Tuch-Manufakturbetreiber beim König über das Projekt, ein Wollmagazin einzurichten. Dieses beschränke die Freiheit, die Wolle auf dem Land einzukaufen und die beste Qualität zu wählen. Stattdessen sei man auf die Auswahl des Lagerbedienten angewiesen, der dafür auch noch sechs Prozent mehr verlangen dürfe. Es sei zudem offensichtlich, dass der Lagerist bis Ende der Vorkaufsfrist im September die beste Ware unter Verschluss halten würde, um sie anschließend meistbietend außer Landes zu verkaufen. Die Regulierung gehe zu Lasten der Landbevölkerung, sodass sie – die Fabrikbesitzer – doppelt geschädigt werden, da sie auf deren Kaufkraft angewiesen seien, um ihre Tücher abzusetzen. Für sie ist der Schuldige hingegen klar : der Betreiber des großen Lagerhauses, der nicht für seine Meister oder das öffentliche Wohl spreche, sondern nur das eigene im Sinn habe. Ihm sei wegen sicherer großer Armeeaufträge das Wohl der Landbevölkerung als Kunden egal.965 Aus diesem wie weiteren Protestschreiben der Akte geht hervor, dass dieses nicht als königliches Lagerhaus wahrgenommen wird. Es wird zwar im Vertrag zwischen Landschaft und Kraut in Artikel 10 festgelegt, dass man im Inland unter dem Titel »Königliches Lagerhaus« oder »Interessenten des Königlichen Lagerhauses« auftreten und nur der Handel nach Auswärts unter »J.A.v.Kraut« geführt werden solle.966 Aus Sicht der Konkurrenten und Zulieferer wird das Lagerhaus aber nicht zum Wohle des Landes von königlicher Hand beschützt und gelenkt, sondern von ruchlosen, nur auf den eigenen Vorteil bedachten Geschäftemachern betrieben. Auf diesen Aspekt wird im folgenden Abschnitt zur Gleichstellung mit landesherrlichen Kassen noch näher eingegangen. Aus den Protesten gegen den Versuch der Obrigkeit, auf die Preisbildung einwirken zu wollen, lässt sich ablesen, dass Wollproduzenten wie Verarbeiter im 964 Verlängerungsantrag der königlichen Kammer an Georg III. vom 28. März 1773 in: ebd., S. 87 und Bittbrief vom 3. Juli 1768 in: ebd., S. 83. 965 Berliner Manufakturiers an Friedrich Wilhelm I. vom August 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 77ff. 966 Art. 10 Sozietätsvertrag vom 24. August 1717, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 3, S. 12–15.
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Großen und Ganzen mit der Preisbildung zufrieden sind. Zu Problemen führt es erst, wenn die Armee als Großabnehmer auf den Markt drängt und Festpreise von vor fünf Jahren verlangt. Inwieweit die große Nachfrage durch das Lagerhaus selbst auf die Preisbildung Einfluss hat, kann nur vermutet werden. Dass feste Preise als Kalkulationsgrundlage angenommen werden, ohne den eigenen Einfluss daran einzurechnen, sich aber auch über zu niedrige Preise beschwert wird, zeigt der Krapp-Anbau in Preußen. Diese Färberpflanze, die für die Rotfärbung der Uniform-Innenfutter verwendet wurde, wurde aus Frankreich und Holland eingeführt. Der Baron von Vernezober wittert eine Chance, als ein Krapp-Anbauer seine Dienste in Preußen anbietet, den heimischen Markt zu versorgen. Er stellt diesem Land und Kapital zur Verfügung und legt eine KrappPlantage in Hohenfinow östlich Berlin an.967 Von seinem positiven Beispiel angespornt, wird der Krapp-Anbau in Preußen durch das V. Departement mit Prämien belebt. Mit wachsendem Angebot aus der Nachbarschaft sinken die Preise und die Holländer passen ihre Preise der preußischen Konkurrenz an. Vernezober beschwert sich, er bekomme seinen Krapp nicht verkauft, da die Fabrikanten den günstigeren Krapp der Konkurrenz abnehmen würden. Er könne mit den Krapp-Preisen nicht weiter heruntergehen, da ein kostendeckender Anbau so nicht mehr möglich sei. Als eigentlichen Wert seiner Erzeugnisse und Grundlage seiner Preiskalkulation gibt er den holländischen Preis an, bevor Krapp in Preußen angebaut wurde – dieser also noch ein Importprodukt und Mangelware war. Er fordert das V. Departement auf, Maßnahmen zu ergreifen, dass der Krapp-Preis wieder steige und ihm sein Krapp zum angemessenen Preis abgenommen würde.968 Das V. Departement erlässt daraufhin eine Empfehlung an die großen Wollfabrikanten, den Krapp des Vernezober zu kaufen, was aber, wie dieser schreibt, keine Abhilfe geschafft habe.969 Auf ein erneutes Ansuchen wird entgegnet, man könne die Fabrikanten nicht zwingen, mehr Rohstoffe zu kaufen, als sie benötigten.970
967 Vertrag zwischen Baron von Vernezober und Krapp-Planteur Stiefel vom 8. Februar 1752, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. I, S. 13. 968 Baron von Vernezober an das V. Departement vom 30. Juli 1782, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 204ff. 969 V. Departement an das Polizeidirektorium vom 7. August 1782, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. III, S. 207 und Antwort des Baron von Vernezober vom 30. August 1782 in: ebd., S. 208. 970 Witwe Vernezober an Friedrich II. vom 4. Februar 1783 und Ablehnung durch das V. Departement vom 12. Februar 1783, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 1 und 2.
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4.5.2. Subvention der Lohnkosten Neben den Rohstoffen waren die Lohnkosten ein weiterer Kostenpunkt, der indirekt durch die Lebenshaltungskosten der Arbeiter stark von Rohstoffpreisen abhängig war. Unabhängig von den genauen Zahlen, welche historische Sozialwissenschaftler in den 1970er Jahren zum durchschnittlichen Warenkorb der Frühen Neuzeit errechnet haben, machten Nahrungsmittel und Feuerholz einen erheblichen Anteil aus.971 Ein Anstieg der Getreidepreise wirkte sich damit direkt und lebensbedrohlich auf die Situation der Arbeiter aus und stellte einen Handlungsbedarf dar. Ähnlich lebensbedrohlich konnte im Winter ein Anstieg der Brennholzpreise sein. Am Beispiel der Gewehrfabriken in Herzberg und Potsdam-Spandau sollen die Reaktionen der Obrigkeit auf entsprechende Klagen der Arbeiter dargelegt werden. In Herzberg trat das Problem steigender Getreidepreise schon sehr früh in der Aufbauphase der Gewehrfabrik zu Tage. 1739 wendet sich die Kriegskanzlei an den König in London und bittet darum, ein Roggenmagazin anlegen zu dürfen, um den starken Preisanstieg des Roggens für die Arbeiter der Gewehrfabrik auffangen zu können. Sie äußern die Befürchtung, die Arbeiter könnten andernfalls den festgesetzten Gewehrpreis und damit die Anlage der ganzen Fabrik in Frage stellen.972 Hier zeigt sich die Preispolitik als ein Motiv der Kriegskanzlei, welche die Anlegung der Gewehrfabrik gegenüber dem König damit rechtfertigte bzw. lobpries, Gewehre zu einem festgelegten Preis zu bekommen und nicht mehr auf schwankende Einkaufspreise im Ausland angewiesen zu sein. Schon im ersten Jahr des Bestehens der Gewehrfabrik in Herzberg geriet dieser Plan an seine Grenzen. Steigende Getreidepreise treten in den kommenden Jahren immer wieder auf. Als Auslöser der Preissteigerungen werden etwa das Bekanntwerden der Kriegstrouble in Sachsen 1745,973 die schlechte Ernte jenseits von Nordhausen 1746974 oder 1753 langanhaltender Regen, der die Getreidezufuhr aus Halberstadt unterbrochen habe,975 genannt. Um deren Einfluss auf die Lohnkosten abzufangen, bitten die örtlichen Amtmänner zusammen mit dem Fabrikinspektor darum, Getreide ankaufen zu dürfen, um dieses sukzessive an die Arbeiter weiterverkaufen zu können. Die hierbei neben der Kapitalbindung entstehenden Kosten – ein La971 Nicht jedoch die Ausgaben für die Wohnung, die nach Gömmel »das Budget eines Arbeiters in nicht unerheblichem Maße« belastet hätten. Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 66. 972 Kriegskanzlei an Georg II. vom 30. Oktober 1739, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 268. 973 Amtverwalter Herzberg an die Kriegskanzlei vom 29. Dezember 1745, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 170. 974 Kriegskanzlei an den Amtmann in Herzberg vom 1. Oktober 1746 in: ebd., S. 261. 975 Fabrikinspektor an die Kriegskanzlei vom 28. August 1752, in: HStA H, Hann. 74, Nr. 1022, o.S.
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gerraum muss angemietet werden, ein Fabrikknecht das Magazin bewachen, zweimal wöchentlich das Korn umwälzen und Ein- und Ausgabe kontrollieren – werden von der Kriegskanzlei getragen: eine verdeckte Subventionierung des Gewehrpreises. 1754 gehen Fabrikinspektor und Amtmann noch einen Schritt weiter. Sie reichen bei der Kriegskanzlei einen Kostenvoranschlag für ein Roggenmagazingebäude ein. In diesem könnte der zu günstigen Konditionen angekaufte Roggen zwischengelagert werden und Platz für die Wohnung eines Fabrikknechts sein. Man erhoffe sich, den Roggen für 17 bis 18 Mariengroschen einzukaufen, um ihn für 22 Mariengroschen an die Arbeiter weiterverkaufen zu können. Die Rechnungslegung könnte der Fabrikfaktor gleich mit übernehmen und den Arbeitern das Korn vom Lohn abziehen.976 Der Versuch, aus einer aus der Not geborenen Subventionierung der Roggenpreise ein dauerhaftes Geschäftsmodell zu machen, das aber von der Kriegskanzlei mit Verweis auf die großen Baukosten des Magazingebäudes abgelehnt wird.977 Zwei Punkte, die den Rohstoffeinkauf für die Zeitgenossen beeinflussen, werden deutlich. Fehlendes Kapital und teure bzw. mit konservatorischem Aufwand verbundene Lagerung verhindern den günstigen Rohstoffeinkauf und machen abhängig von einem direkten und schwankenden Preisen unterworfenen Rohstoffeinkauf. Das ›Geschäftsmodell‹ Kornmagazin, das nur Gewinn abwerfen kann, wenn die Preise beständig steigen, zeigt, dass die Verwaltungsangestellten die Rohstoffpreise nicht als schwankend wahrnehmen. Sie werden in Klagen eben nur mit steigenden Preisen konfrontiert.978 Dass diese Unterstützung bzw. das Geschäftsmodell als Zusatzverdienst der Fabrikführung durchaus üblich waren, zeigt der oben behandelte Übernahmevertrag der Barchend-Fabrik, in dem der Grundherr von Massow dieses Recht des Fabrikinspektors explizit ausschließen lässt. Er dürfe keinen Kornhandel betreiben.979 Zeigt dieser Fall in Herzberg, dass bereits kurz nach Errichtung der Gewehrfabrik schwankende Getreidepreise die Festpreise für Gewehre in Frage stellen und über landesherrliche Kornmagazine eine Quersubvention nötig machen, nutzen die Betreiber der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik die im Gründungskontrakt festgesetzten Preise gezielt als Druckmittel, um verbilligte 976 Amtmann und Fabrikinspektor an die Kriegskanzlei vom September 1754, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 231. 977 Antwort der Kriegskanzlei vom 14. September 1754, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 238. 978 Zu dem gleichen Ergebnis kommt für Braunschweig-Wolfenbüttel Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 553. 979 Vertrag zwischen von Massow, Forckel und Lüdemann vom 11. September 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 175–180.
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Rohstoffe zu bekommen. Für die Durchsetzung der Vergünstigungen des Gründungskontrakts war nicht der König oder dessen Verwaltung zuständig, sondern es lag im ureigenen Interesse der Unternehmer, dass die wenig konkret gefassten Formulierungen des Vertrags weitreichend zu ihren Gunsten ausgelegt wurden. Hierbei ist das Wohl der mit viel Mühe für seine Majestät im Ausland angeworbenen Arbeiter der Gewehrfabrik ein willkommenes Mittel, um dem Gegenüber Zugeständnisse abzutrotzen. Das im Kapitel Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit geschilderte Aushandeln der Konditionen von Holz- und Kohlelieferungen für die Gewehrfabrik wurde von diesen im Wesentlichen mit dem Wohl der Arbeiter erreicht. Sollte die Fabrik wegen Kohlenmangel stillstehen, würden die Arbeiter weggehen, alle Mühe der Fabriketablierung sei umsonst und der Steuerausfall so vieler hundert Familien wäre ein großer Schaden, gegenüber dem das wenige Kohlenholz nicht zu Buche schlage.980 Schon hier steckten hinter der ›einfachen‹ Zusage – Holz und Kohlen stellt der König aus königlichen Forsten – handfeste Ansprüche und finanzielle Vorteile. Diese setzen sich fort, als ein Kaufmannskonsortium das Monopol auf den Brennholzverkauf in Berlin und Potsdam erhält und dies gegen die konkurrierenden Privilegien der Gewehrfabrik durchzusetzen versucht. Es stehen sich damit zwei Unternehmen gegenüber, die ihre wirtschaftliche Grundlage beide auf ein königliches Monopol bzw. Privileg gründen. Gerd Kleinheyer stellt aus rechtsgeschichtlicher Perspektive fest, dass Widersprüche in Legislativakten bei Einzelfallentscheidungen mehrerer Könige nicht vermeidbar seien.981 Die Argumentation der Betreiber der Gewehrfabrik gründet dabei über fünfzig Jahre nach dem Gründungskontrakt von 1722 immer noch auf dem in ebendiesem festgesetzten Gewehrpreis. Der Arbeitslohn sei nach damaligem Lebensmittelund Brennholzpreis von seiner Majestät höchstpersönlich festgelegt worden. Sie hätten darum ein Anrecht, weiterhin das Brennholz zum Vorzugspreis zu erhalten.982 Als Druckmittel funktionieren die gestiegenen Lebenshaltungskosten, da die Drohkulisse aufgebaut wird, die Arbeiter würden ins Ausland zurückgehen.983 In beiden Fällen der Holzgestellung, die sich jeweils über Jahre hinziehen, haben die Betreiber der Gewehrfabrik nicht Kontakt mit dem König selbst, 980 Splitgerber und Daum an die kurmärkische Kammer vom 17. Februar 1729, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 84f. 981 Gerd Kleinheyer, Friedrich der Große und die Gesetzgebung, in: Richard H. Helmholz u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn 2000, S. 777–793, S. 782. 982 Splitgerbersche Erben an die Brennholzoctroi vom 19. August 1776, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, S. 5. 983 Z. B. die kurmärkische Kammer, die die Argumentation der Splitgerberschen Erben an das Forstdepartement weiterreicht vom 23. September 1776 in: ebd., S. 7f.
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sondern mit der königlichen Verwaltung oder Konkurrenten. An den König selbst wird sich erst gewandt, wenn die reine Anführung des königlichen Willens nicht erfolgreich war und man meint, nicht weiterzukommen. Dass dieser die ihm unterstellte Intention und Angst um das Wohl der Arbeiter nicht unbedingt teilen muss, zeigen folgende Beispiele. Bei der Abwägung zwischen dem Wohl der Arbeiter und dem Wohl der königlichen Forste entscheidet sich Friedrich Wilhelm I. für den Schutz des Waldes.984 Als sich die Arbeiter der Gewehrfabrik Dezember 1770 direkt beim König über den gestiegenen Brotpreis beklagen und eine Unterstützung aus dem königlichen Kornmagazin erbitten, ist Friedrichs Antwort ablehnend. Sie sollten lieber durch doppelten Fleiß ihr Bedürfnis stillen.985 Die Betreiber nutzen die unklare Formulierung und fehlende allgemeingültige Regelungen geschickt aus. Noch unübersichtlicher wird die Lage, wenn Subventionen weitergegeben werden. 1781 wenden sich zwei Kohlenschweler an die kurmärkische Kammer. Sie hätten den Auftrag von der Gewehrfabrik, Kohlen zu schwelen. Da diese aber nur bereit sei, die Festpreise von 1722 zu zahlen, erbitten sie, ebenfalls zu diesen Preisen Kohlenholz angewiesen zu bekommen, damit sie dem Auftrag nachkommen könnten. Die Genehmigung wird erteilt.986 Festgesetzte Gewehrpreise sind in beiden Landesherrschaften festzustellen, die Auswirkungen sind aber grundsätzlich verschieden. In Preußen dienen sie den Betreibern der Gewehrfabrik in Verbindung mit dem suggerierten königlichen Willen zur Ausgestaltung der ebenfalls im Gründungsvertrag in Aussicht gestellten Förderungen. In Hannover werden sie von der landesherrlichen Verwaltung, hier der Kriegskanzlei als Anreiz benutzt, um dem König die Anlegung einer Gewehrfabrik im eigenen Lande schmackhaft zu machen. Im Folgenden ist die Kriegskanzlei bemüht, Maßnahmen zu ergreifen, um gegenüber dem König in London den Schein der Festpreise und Vorteile der Gewehrfabrik im eigenen Land aufrechtzuerhalten. Aus ihr spricht der Wunsch bzw. die SelbstÜberschätzung der landesherrlichen Verwaltung, auf dem Feld der Wirtschaft planen und befehlen zu können. Waren bei der Aufstellung der Herzberger Gewehrfabrik noch deren Kosten anteilig auf den Gewehrpreis aufgeschlagen worden, konnte dieser Aufschlag bei weitem nicht die tatsächlichen Kosten tragen. Dem Konzept der Kriegskanzlei 984 Friedrich Wilhelm I. an die kurmärkische Kammer vom 26. Mai 1734, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 117f. 985 Friedrich II. an die Gewehrfabrikanten vom 31. Dezember 1770, in: GStA PK, IV. HA, Rep. 3, Nr. 32, S. 6. 986 Schriftverkehr zwischen Kohlenschwelern, kurmärkischer Kammer, Oberforstmeister und Friedrich II. von Februar und April 1781, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, S. 26f und 30f.
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vom 2. Dezember 1738 an Georg II. waren als Anlagen angefügt genaue Aufstellungen über die Baukosten der Fabrikgebäude als Einmalkosten (E) sowie die jährlichen laufenden Kosten (F). War der Gewehrpreis mit Arbeitslohn und Materialien auf 4 Reichstaler, 13 Groschen und 3 1/2 Pfennig genau errechnet worden (G), sollten von den Regimentern 5 Reichstaler dafür bezahlt werden. Dieser anteilige Preisaufschlag ergäbe sich bei dem errechneten Bedarf je Regiment (C) und dem Gesamtbedarf der deutschen Truppen des Königs (D), der mit 2. 000 Stück pro Jahr errechnet wurde.987 Der König, der alles genehmigt, ist von dieser genauen Planung sehr angetan und erwähnt, dass er es besonders gut fände, die Zinsen auf den Gewehrpreis anzurechnen.988 Ein mahnender Bericht, der ohne Unterschrift angefügt ist, und laut einem Aktenvermerk wegen Missfallen der Generale nicht dem Konzept an den König beigegeben wurde, gibt zu bedenken, dass es immer unvorhergesehene Kosten gäbe, sodass man, um den König nicht zu verärgern, den Gewehrpreis gleich höher ansetzen solle.989 So ist die Kriegskanzlei in der Folge ständig bemüht, den errechneten Festpreis zu halten und Faktoren, die auf ebenjenen einwirken (könnten), auszuschalten bzw. abzumildern. Die Kriegskanzlei bezuschusst die Gewehrfabrik Herzberg über den gesamten Zeitraum direkt und indirekt, um den Gewehrpreis künstlich niedrig zu halten. Dies führt so weit, dass Georg III. 1765 anregt, die Gewehrfabrik zu privatisieren, da ihm die durch die Kriegskanzlei erfolgten steigenden Zuschüsse zur Fabrik zu hoch seien. Ergebnis der darauf angeordneten Untersuchung ist die dauerhafte Bestellung eines Artillerieoffiziers bei der Gewehrfabrik, der auf die Kosten zu achten hat.990 Aus Sicht der Kriegskanzlei und Generalität sind nicht ihre Planungen schuld, sondern die Umsetzung müsse besser kontrolliert werden. Die Motivation, Rohstoffe und Arbeitslohn zu subventionieren, war nicht die Kosteneinsparung, sondern die Aufrechterhaltung des Scheins der Möglichkeit, feste Preise für Endprodukte setzen zu können. Von diesem Schein haben sich auch manche Historiker blenden lassen. So lobt Mitgau die Herzberger Gewehrfabrik: deren »Herstellungspreis war dabei um 1 rth. billiger als der thüringische«.991 Was sind die Ursachen für diese Politik? Warum werden nicht die Preise für 987 Konzept für die Errichtung einer Gewehrfabrik mit Anlagen A-G, Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. Dezember 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 149–173. 988 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 2./12. Dezember 1738 in: ebd., S. 174. 989 Bericht ohne Unterschrift vom 2. Dezember 1738 in: ebd., S. 176–180. 990 Untersuchungsbericht vom 3. Januar 1766, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 6, S. 32ff und Bericht des Generalfeldmarschalls von Spoercken vom 9. Mai 1766 in: ebd., S. 5. 991 Hermann Mitgau, Die Gewehrfabrik zu Herzberg (Harz) (1739–1876) und die Hof-Rüstmeisterfolge der Tanner in Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, 6. Jg. Heft 6 (Dezember 1961), S. 271–284, S. 277.
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die Endprodukte erhöht, wie dies schon in einem zeitgenössischen Gutachten gefordert wurde? Um die Wollpreise zu senken, wolle man das Wollangebot im Land erhöhen. Dies solle durch Prämienausschreibung für die Anhebung des Schafstandes im Lande und die vermehrte Einfuhr von Wolle erfolgen. Es wird vorgeschlagen, das Geld aus dem Prämienfond zu nutzen, um höhere Preise für die Armeetücher zu zahlen. Das hätte den Nebeneffekt, dass durch die höheren Preise, die die Tuchmacher den Wollproduzenten zahlten, der Schafstand angeregt würde.992 Als Grund kann die Furcht angesehen werden, ein (schlechtes) Beispiel abzugeben. In beiden Landesherrschaften wird die Befürchtung geäußert, zahle man dem einen mehr, würden auch die anderen mehr fordern. So befürchtet das preußische Oberkriegskollegium, wenn man den Tuchmachern mehr zahle, würden auch die anderen Armeelieferanten mehr verlangen.993 Diese Befürchtung gründet sich in den festgestellten Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Wirtschaftspolitik. Es handelte sich nicht um eine Politik aus einem Guss, in der Entscheidungen allgemeingültig getroffen und veröffentlicht wurden. Vielmehr wurden Entscheidungen für den Einzelfall getroffen, die aber wiederum als Präzedenzfall auf andere Fälle übertragen werden konnten. Diese Praxis konnte in allen untersuchten Bereichen beobachtet werden. Der geringeren Reisekosten wegen sollten nicht mehr Offiziere, sondern Unteroffiziere die eingekauften Pferde ihres Regiments vom Sammelplatz abholen. Das Regiment von Schwerin hatte aber einen Major geschickt, worauf die Befürchtung geäußert wird, wenn dies die anderen Regimenter erführen, wollten sie alle einen Stabsoffizier schicken, was obige Absicht zunichte machen würde.994 Beim Neubau von Arbeiterhäusern für die Barchend-Fabrik in Friedrichshuld wird ein Bauzuschuss mit der Begründung beantragt, der Baron von Vernezober in Hohenfinow habe für die gleiche Art Häuser ebenfalls einen Bauzuschuss erhalten.995 Hinzu kommt, dass die Marktpreisbildung ein den Zeitgenossen relativ neues Phänomen darstellt, das sich aus dem Übergang der Einzel- zur Massenanfertigung ergab. Zuvor sei der direkte Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer entscheidend gewesen. Aus heutiger Sicht »recht willkürlich, mitunter nach eingehender Begutachtung der Person des Käufers, seines Stands und möglicher Zahlungsfähigkeit« wurde der Verkaufspreis verhandelt. Alessandro Monti be992 Fabriken-Departement an das Generaldirektorium vom 21. August 1789, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 993 Fabriken-Departement an das Generaldirektorium vom 21. August 1789 in: ebd., Bd. 1, o.S. 994 Von Massow an Friedrich II. vom 29. Mai 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 995 Untersuchungsbericht des Lüdemann vom 28. Oktober 1777, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Vol. II, S. 25.
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schreibt die langsame, aber stetige Entwicklung einer Konsumgesellschaft ab dem 18. Jahrhundert, die erst zur von ihm behandelten Preispolitik im Merkantilsystem geführt hätte. Erst durch erhöhten Konsum und damit Anonymisierung der Verkäufer-Käufer-Beziehung sei eine Versachlichung des Handels zu beobachten gewesen.996 Darin mag die aus heutiger Sicht naive Preispolitik der zeitgenössischen Entscheidungsträger begründet liegen. Alessandro Monti stellt dürftige kaufmännische Bildung, nicht vorhandenes Kostenbewustssein und mangelde Rechenkenntnisse als ein Strukturmerkmal frühneuzeitlicher Wirtschaft heraus.997
4.6. Vorschusswesen und Zahlungsmoral Mit dieser Erkenntnis muss auch die Ausschaltung der Zwischenhändler bei Armeelieferungen in Frage gestellt werden. Hinrichs nennt für die Tuchbestellungen der Armee in Preußen die Ausschaltung der Kaufleute als Zwischenhändler für 1725.998 Krause schreibt, der neuartige Weg sei seit 1713 beschritten worden.999 Mit ihr sollte der neue Weg des sparsamen Preußenherrschers untermalt werden, der unnütze Kosten, wie die für Zwischenhändler rational ausschaltet und direkt bei den Handwerkern bestellt. Einer Aufstellung des Generals von Massow von 1751, wo und über wen die Kavallerie-Regimenter ihre Pferdedecken beziehen, ist zu entnehmen, dass keineswegs generell die Zwischenhändler ausgeschaltet wurden,1000 wie auch zuvor nicht ausschließlich Zwischenhändler und Kaufleute für Armeebestellungen verantwortlich waren. Schon aufgrund der beschriebenen Rahmenbedingungen waren größere Lagerbestände gar nicht möglich, sodass nur Auftragsbestellungen in Frage kamen. Handelt es sich um Einzelanfertigungen oder geringe Stückzahlen, war eine Vorfinanzierung durch den Handwerker möglich. Größere Bestellungen und dies traf im Wesentlichen auf die Armeebestellungen zu, überstiegen deren Finanzkraft und erforderten andere Maßnahmen. Durch die Gewährung von Vorschüssen oder Anzahlungen soll dem begegnet werden. 996 Kapitel Preispolitik im Merkantilsystem und Abgrenzung zu den Vorepochen, in: Alessandro Monti, Der Preis des weißen Goldes, Preispolitik und -strategie im Merkantilsystem am Beispiel der Porzellanmanufaktur Meißen 1710–1830, München 2010, S. 29–60, hier vor allem S. 30. 997 Ebd., S. 34, 43. 998 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin, 1933, S. 204. 999 Gisela Krause, Altpreussische Militärbekleidungswirtschaft, Materialien und Formen, Planung und Fertigung, Wirtschaft und Verwaltung, Osnabrück 1983, S. 114. 1000 Aufstellung des Generals von Massow vom 12. Oktober 1751, wo und über wen die Regimenter ihre Pferdedecken beziehen in GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 28.
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Vorschüsse sollen die Anfertigung und Auslieferung beschleunigen, da sich der Handwerker dann ganz auf die Bestellung konzentrieren könne. Ein lokaler Verantwortlicher führt als Entschuldigung für eine verspätete Lieferung an, die beauftragten Handwerker seien gut. Da man ihnen aber keinen Vorschuss gewährt habe, mussten sie zwischendurch andere Aufträge annehmen, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können.1001 Bei einer Montierungsbestellung wird angeführt, da es keinen weiteren Zeitverschub geben dürfe, solle die Hälfte der Summe als Anzahlung erfolgen. Die Kaution solle für dieses Mal die Manufakturkasse übernehmen.1002 Diese hat damit auch die Funktion der Bürgschaftsgewährung in dringenden Fällen. Ansonsten ist die Zeitersparnis bei Vorschüssen deutlich zu relativieren. Das schon erwähnte Misstrauen gegen Handwerker führt dazu, dass Vorschüsse nur gewährt wurden, wenn entsprechende Sicherheiten gestellt werden konnten. Im August 1733 erlässt Georg II. eine Anordnung, dass jeder Verlust für die Regimentskassen ausgeschlossen werden müsse. Tuchlieferanten wie der Grätzel hätten eine »gehörige Praecaution« zu stellen.1003 Die Handwerker müssen entsprechende Bürgen-Schreiben vorlegen oder mit Attest der lokalen Obrigkeit nachweisen, dass sie über Besitz verfügen, der die Höhe des Vorschusses deckt. Ein Holzhändler, der das benötigte Material für 100 neue Artillerie-Munitionswagen liefern soll, bittet um einen Vorschuss. Dieser wird zunächst wegen fehlender Sicherheiten abgelehnt. Erst als der Senat von Celle in einem Attest den Grundbesitz des Bürgers bestätigt, den dieser als Sicherheit einbringt, genehmigt die Kriegskanzlei die Auszahlung der Anzahlung.1004 Eine Anzahlung auf eine Tuchlieferung bekommt die von einem Verwalter geführte Tuchfabrik Funcke in Göttingen erst, als die Witwe Funcke mit ihrem persönlichen Besitz für den Auftrag bürgt und das Manufakturgericht die ausreichenden Besitzverhältnisse bestätigt.1005 Den dadurch entstehenden Zeitverlust entschuldigt der zuständige Offizier damit, dass er davon ausgegangen sei, 1001 Michael Haack aus Stade an die Kriegskanzlei vom 18. Juni 1760, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. II, 2, S. 193. 1002 Hannoversche Regierung an Oberst von dem Bussche vom 14. Mai 1771, in: HStA H, Hann. 41 XX, Nr. 47, o.S. 1003 Erlass von Georg II. vom 31. Juli/11. August 1733, erwähnt in einem Bericht des Geheimen Rats von Münchhausen über die Grätzelsche Fabrik vom 9. August 1753, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 2ff. 1004 Attest des Senats von Celle für Johann Hinrich Brackenhöfer über seinen Grundbesitz und ziemlichen Holzhandel vom 23. November 1779, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S, 197 und Anweisung des Vorschusses von 400 Reichstalern durch die Kriegskanzlei vom 15. Dezember 1770 in: ebd., S. 190. 1005 Kriegskanzlei an den Oberstleutnant Graf Oeynhausen vom 20. November 1777, in: HStA H, Hann. 41 XX, Nr. 47, o.S.
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dass eine große Fabrik, wie die Funckesche genügend Wolle auf Lager hätte und keines Vorschusses bedürfe.1006 Die Bevorzugung weniger großer Fabriken geht also weniger auf eine Bevormundung der kleinen Handwerker zurück, sondern ist vielmehr den frühneuzeitlichen Wirtschaftsverhältnissen geschuldet. Man ging davon aus, dass sie wegen ihrer Größe eine höhere Kapitalausstattung hätten, die nicht nur mehr Sicherheiten bot. Durch die Möglichkeit, Rohstoffe und Waren auf Lager zu halten, könnten größere Aufträge schneller und sicherer erfüllt werden. Die Grenzen dieser Möglichkeit sind im Abschnitt zu Lagerbedingungen bereits aufgezeigt worden. Im Nachgang des Siebenjährigen Krieges fragt die hannoversche Obrigkeit nach, wie aus Sicht der Untertanen der Wirtschaft aufgeholfen werden könne. Aus Osterode kommt daraufhin die Bitte nach vermehrten Regimentsaufträgen. Da hierbei Vorschüsse gewährt würden und zumindest Unterfutter jeder machen könne, bestünde die Möglichkeit, mittellose Meister in Arbeit zu bringen.1007 Diese Äußerung spricht dafür, dass es allgemein bekannt war, dass bei Armeebestellungen Vorschüsse gezahlt wurden. Es zeigt aber auch das Unwissen über die genauen Modalitäten. Vorschüsse wurden nur bei ausreichender Sicherheitsgestellung gewährt. Anhand der Patronentaschenbestellungen der kurhannoverschen Infanterie sei die Entwicklung der Vorschussgewährung und Auftragsvergabe beleuchtet. Sie zeigt sehr schön – es sind Akten von 1683 bis 1806 überliefert – die Auswirkungen sich verändernder Preise bei gleichzeitigem Festhalten an alten Preisvorstellungen. Beim Schriftverkehr, der über diesen langen Zeitraum überliefert ist, handelt es sich um Korrespondenz der Kriegskanzlei und Generalität mit einzelnen Regimentern. Die Entscheidungen der Kriegskanzlei sind Einzelfallentscheidungen nach Klagen der Regimenter über alte, als nicht mehr tauglich angesehene Patronentaschen. Die Qualität der gelieferten Patronentaschen schwankt stark. Bei einigen Regimentern halten diese 20 Jahre und mehr, andere melden bereits nach acht Jahren, dass eine Reparatur der Taschen teurer sei als die Neuanschaffung.1008 In einem Fall wird mit Verweis auf die Anfertigung in großer Eile 1747 bereits nach vier Jahren 1751 um neues Lederzeug gebeten.1009 Hierbei geht es nicht nur, wie bei der Garde erwähnt wird um das gute Aussehen, sondern die Funktion. Wenn die Taschen, wie 1715 bei einer 1006 Oberstleutnant Graf Oeynhausen an die königliche Regierung ohne Datum (vermutlich Frühjahr 1778), in: HStA H, Hann. 41 XX, Nr. 47, o.S. 1007 Vorschläge aus Osterode vom 23. Dezember 1762, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 18ff. 1008 Das Regiment de Monroy nutzt eine Ausstattung 20 Jahre, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 49, das Regiment von Campen sogar 24 Jahre in: ebd., S. 57 und das Regiment von Vincke nur 8 Jahre in: ebd., S. 18. 1009 Regiment Wangenheim an die Kriegskanzlei vom 26. September 1751, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 205.
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Neuanforderung angeführt wird, keine Nässe mehr abhalten, haben sie direkten Einfluss auf die Einsatzfähigkeit der Truppe.1010 Die Erlaubnis zur Neuanschaffung wird von den Regimentern bei der Kriegskanzlei eingeholt. Die Entscheidung, ob die alten Patronentaschen untauglich sind, ist mit Attest des kommandierenden Generals nachzuweisen, die dieser allerdings in allen überlieferten Fällen anstandslos erteilt. Im Jahre 1715 – der König ist seit dem vergangenen Jahr in London – übernimmt die Kriegskanzlei erstmals die Bestellung neuer Patronentaschen. Sie holt Erkundigungen ein und schließt einen Vertrag mit einem Weißgerber. Dieser verpflichtet sich, binnen eines halben Jahres einen Regimentssatz – 924 Gemeine- und 120 Grenadier-Patronentaschen – nach dem mitgelieferten approbierten Modell zu liefern. Dafür erhält er ein Drittel der Gesamtsumme als Vorschuss, wobei er für diesen mit seinem gesamten Hab und Gut haftet. Der Rest soll bei Lieferung und Abnahme der Ware ausgezahlt werden.1011 Ein ähnlicher Vertrag ist zwei Jahre später für eine Bataillonsbestellung – 518 Gemeineund 42 Grenadier-Patronentaschen – überliefert. Die Lieferzeit beträgt ein Vierteljahr, ein Vorschuss wird gegen Stellung einer nicht näher bezeichneten Kaution gewährt.1012 Für die kommenden Jahre sind einige ähnliche Verträge in der Akte überliefert. Es handelt sich um regiments- oder bataillonsweise Bestellungen bei einem einzelnen lederverarbeitenden Handwerker, der hierfür etwa ein halbes Jahr Zeit bekommt und gegen Sicherheiten etwa ein Drittel der Vertragssumme im Voraus erhält, um die benötigten Rohstoffe einkaufen zu können. Gute Arbeit zahlt sich aus. So finden sich immer wieder Bestellungen bei den gleichen Produzenten,1013 was unter dem Aspekt, dass diesen Vorschüsse gewährt werden, zusätzlich zur Sicherheit beiträgt.1014 Es beschleunigt zudem die Bestellung, da entsprechende Sicherheiten, Kautionen oder Bürgen bereits überprüft sind. Einer dieser Produzenten ist der Weißgerber Andreas van Dadelsen aus Stade,1015 der 1733 gleich zwei Regimenter mit Patronentaschen ausstatten soll 1010 Anforderung von August 1717 ohne Datum, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 235. 1011 Vertrag zwischen Weißgerber Andreas Weiß und der Kriegskanzlei vom 6. Juli 1715, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 239–243. 1012 Vertrag zwischen dem Proviantverwalter Hahn und dem Sattler Heinrich Oldewig aus Ratzeburg vom 14. März 1718 in: ebd., S. 223. 1013 Zum gleichen Ergebnis kommt Kroll bei Betrachtung der Armeelieferungen der Stader Handwerker an die Schweden. Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg, Sozialstruktur, Bevölkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade 1700 bis 1715, Göttingen 1997, S. 398. 1014 Mehrfach kommen vor: der Sattlermeister Johannes Lempe in Göttingen, der Gerber Andreas van Dadelsen in Stade sowie in Hannover der Weißgerber Andreas Weiß, der Handschuhmacher David Reuter und der Riemer Gutapfel. 1015 Dass dieser schon zur Schwedenzeit regelmäßig Großaufträge zur Ausrüstung von Regimentern erhält, zeigt Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg, Sozialstruktur, Bevölkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade 1700 bis 1715, Göttingen 1997, S. 358 und 397.
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und entsprechende Verträge abschließen lässt. Als er allerdings seinen Vorschuss von der Kriegskanzlei verlangt – er stünde mit mehreren Regimentern im Vertrag und habe immer ein Drittel als Vorschuss erhalten – lehnt diese ab. Der Vorschuss sei im Vertrag nicht ausdrücklich erwähnt.1016 Schon drei Jahre später im Jahr 1736 erklärt die Kriegskanzlei im Zuge der Vertragsverhandlungen, die Kriegskasse gäbe generell keine Vorschüsse.1017 Bis 1733 wurde in der Regel ein Drittel als Vorschuss bezahlt. Ein einmaliges Vergessen führt dazu, dass einige Jahre später aus Gewohnheit kein Vorschuss mehr gezahlt wird. Möglicherweise floss hier die Fehl- bzw. Überinterpretation der oben erwähnten Anweisung des Königs zum Schutze der Regimentskassen von August 1733 mit ein. Erst für 1749 ist wieder ein Vertrag überliefert, in dem bei Gestellung von zwei Bürgen ein Vorschuss gewährt wird.1018 Es gelten Gewohnheitsrecht und Einzelfallentscheidungen statt fester und allgemeingültiger Regeln. Die Einzelfallentscheidungen erlangen, da sich auf diese als Präzedenzfall bezogen werden kann, durch die direkten Kontakte zwischen den Truppenführern eine gewisse Allgemeingültigkeit. Als Oberst von Lucius die Kriegskanzlei Januar 1732 um neue Patronentaschen bittet, führt er an, dass »der Hr Obrister D’Amproux auf Eur. Excellence gnädigste erlaubnis alhier in Stade für deßen Regiment neue Patron Taschen daß Stück / 30mgr«1019 bekommen hat und er nun für sein Regiment ebenfalls darum bittet. Vermutlich haben sich die beiden Regimentskommandeure getroffen und der eine wird auf die neuen Patronentaschen des anderen aufmerksam, fragt, bei wem er diese bestellt habe und zu welchem Preis. Oberst Lucius bekommt die Genehmigung und bestellt beim selben Hersteller mit einem gleichlautenden Kontrakt. Mit den 30 Mariengroschen hat es folgende Bewandtnis: Während die Riemen aus den Regimentskassen bezahlt werden, hat sich seit 1720 die Praxis etabliert, dass die Regimenter sich einen Vertragshändler im Land aussuchen dürfen, der die Patronentaschen herstellt. Die Bezahlung übernimmt die Kriegskanzlei für 27 bis maximal 30 Mariengroschen.1020 Die Bezahlung der Taschen war ein Zugeständnis, mit dem die Verpflichtung eingeführt wurde, diese bei Herstellern im eigenen Land zu beschaffen. Zuvor durften die Regimentskommandeure auch im Ausland – etwa in Hamburg oder Lübeck – ihre Patronentaschen beziehen, 1016 Andreas van Dadelsen an die Kriegskanzlei vom 26. August 1733, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 89f und deren Antwort vom 1. September 1733 in: ebd., S. 84. 1017 Kriegskanzlei an Oberst von Bothmer vom 25. September 1736 in: ebd., S. 26. 1018 Vertrag mit dem Handschuhmacher David Reuter aus Hannover mit Begleitschreiben vom 5. Juni 1749, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 254 und 259. 1019 Oberst von Lucius an die Kriegskanzlei vom 26. Januar 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 116f. 1020 Kriegskanzlei an die Regimenter von Roeder und Wurmb vom 26. September 1720, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 197.
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wenn diese dort günstiger zu bekommen waren.1021 Statt Zwang nutzt die Obrigkeit finanzielle Anreize, um ihre Untergebenen zum Einhalten von Vorgaben zu bewegen. Dafür haben die Regimenter die alten Patronentaschen auf dem Zeughaus abzugeben. Dort wurden diese gelagert, zur Ausbesserung benutzt bzw. standen für die Land- und Garnisonregimenter zur Verfügung. Nach zehn Jahren taucht die Einschränkung bis maximal 30 Mariengroschen nicht mehr auf. Aus der damaligen Höchstgrenze ist der gewöhnlich gezahlte Preis geworden. 1749 lesen wir die Beschwerde, dass wegen hoher Lederpreise schon die Tasche einen Reichstaler koste und Schnalle und Schieber noch einmal so viel.1022 Zuvor hatte die Kriegskanzlei geäußert, es sei ein Prinzip, dass für Patronentaschen 30 Mariengroschen gezahlt würden.1023 Der Preis steigt, der ursprüngliche Anlass für die Bezahlung der Patronentaschen ist genauso in Vergessenheit geraten wie die Unterscheidung von Tasche und Riemen im Bezahlprozess. Dem angepasst ändert sich der Sprachgebrauch. Es wird ein Zuschuss von 30 Mariengroschen gewährt,1024 der bei der Anforderung als »gewöhnlicher Zuschuss« beschrieben wird.1025 Aus dieser Praxis leitet sich wiederum ab, dass 1789 in Frage gestellt wird, ob die alten Patronentaschen auf den Zeughäusern abzuliefern sind. Diese seien nur zum Teil von der Kriegskasse und wenigstens zur Hälfte von der jeweiligen Regimentskasse bezahlt, sodass diese Anspruch hätten, die Taschen zu behalten.1026 Die In-Frage-Stellung der Besitzverhältnisse ist nur folgerichtig. Die Kriegskanzlei passt sich der Preisentwicklung nicht an, sondern beharrt über 50 Jahre auf den einmal ausgehandelten Preisen. So wird aus der Bezahlung bis maximal 30 Mariengroschen eine Bezuschussung mit 30 Mariengroschen, die nicht einmal mehr die Hälfte des eigentlichen Preises ausmachen. Für die anschließende Untersuchung zieht die Kriegskanzlei ihre Akten zu den vergangenen Vorgängen heran – im Wesentlichen wird es sich um genau die Akten handeln, die sich heute im Hauptstaatsarchiv in Hannover befinden – und rekonstruiert die Entwicklung der Beschaffungspraxis. Sie decken die Ursache für die 30 Mariengroschen auf und verweisen darauf, dass die Riemen schon seit jeher von den Regimentern bezahlt worden wären. Zieht man diese ab, seien die 1021 Z. B. Kriegskanzlei an Proviantverwalter Hahn vom 17. Januar 1718, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. I, S. 231. 1022 Regiment Block an die Kriegskanzlei vom 6. Januar 1749, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 284. 1023 Ebd., S. 290. 1024 Z. B. Georg III. an die Kriegskanzlei vom 22. Mai 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 147. 1025 Oberstleutnant von Trew an die Kriegskanzlei vom 17. Februar 1784, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 89. 1026 Kommandierender General von Reden an die Kriegskanzlei vom 17. Februar 1789, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 63.
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Patronentaschen bei einem Preis von einem Reichstaler (= 36 Mariengroschen) immer noch zu einem großen Teil von der Kriegskasse bezahlt und müssten weiterhin auf den Zeughäusern abgeliefert werden. Seit 1750 wäre damit kein Fall mehr vorgekommen, in dem das Regiment Anspruch gehabt hätte, die Patronentaschen zu behalten.1027 Es bestätigt sich ein weiteres Mal, wie wichtig das aufkommende Archivwesen für die Durchsetzung eigener bzw. in diesem Fall Abwehr zuwiderlaufender Ansprüche war. In Ermangelung allgemeingültiger Regeln wurden durch Präzedenzfälle Fakten geschaffen, auf die sich dann bei ähnlichen Vorkommnissen als »gewöhnliche« Praxis berufen werden konnte. Warum die Obrigkeit Vorschüsse kritisch sieht und diese nicht gerne vergibt, zeigt der folgende Fall. Im Februar 1762 schließt die Kriegskanzlei einen Vertrag zur Lieferung von Holz zur Ergänzung und Reparatur der schweren Artillerie. Es kommt zu Lieferverzögerungen, die sich bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges und damit des Bedarfs hinziehen. Im Dezember 1765 mahnt der Minister von Münchhausen, da die zugrundeliegenden Holzpreise von 1762 viel höher seien, solle der Vertrag annuliert werden. Der Holzhändler habe ursprünglich binnen sechs Monaten liefern sollen, was den Vertrag ohnehin hinfällig mache. Diese Option wird mit der Anmerkung verworfen, es sei aber schon eine Anzahlung getätigt worden.1028 Zuvor hatte die Kriegskanzlei dem Holzhändler mitgeteilt, dass, da mittlerweile keine schwere Artillerie mehr benötigt werde, er stattdessen Holz für die leichte Artillerie und Munitionswagen liefern solle.1029 Es bedarf noch mehrmaligen Frist-Setzens und Frist-Verlängerns durch die Kriegskanzlei, ehe die Rechnung Mai 1767 geschlossen werden kann. Auch wenn die Qualität des gelieferten Holzes nicht der gewünschten entspricht, entscheidet sich die Kriegskanzlei zur Annahme, um endlich Ruhe zu haben.1030 Durch die erfolgte Anzahlung begibt sich die Kriegskanzlei in Abhängigkeit zum Lieferanten. Sie sieht sich genötigt, schlechtes Holz anzunehmen, statt darauf zu verweisen, die Bezahlung erfolge erst bei Abnahme des für gut befundenen Holzes, wie dies bei anderen Lieferungen geschieht.1031 Die Praxis, Aufträge an große und persönlich bekannte bzw. empfohlene Produzenten zu vergeben, dient der Risikominimierung. Eine Alternative zur Vorschussgewährung ist die Stückelung des Auftrages. 1027 Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei vom 23. Februar 1789, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 61. 1028 Von Münchhausen an die Kriegskanzlei vom 18. Dezember 1765, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 54ff. 1029 Generalmajor Braun an die Kriegskanzlei vom 13. November 1765 in: ebd., S. 65ff. 1030 Endabrechnung der Holzlieferung vom 6. Mai 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 12ff. 1031 Die Bezahlung wird erst freigegeben, nachdem ein Sachverständiger die Qualität des gelieferten Holzes für gut befunden hat. Meldung des Zeughauses Nienburg an die Kriegskanzlei vom 13. Juni 1771, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. III, S. 242.
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Eine Bestellung über 168 Karabiner und ebenso viele Paar Pistolen bei einem Büchsenmacher in Hannover wird über drei Jahre in elf Margen ausgeliefert. Nach jeder wird der fällige Teilbetrag vom Regimentsquartiermeister, den dieser zuvor bei der Kriegskanzlei angefordert hat, überwiesen.1032 Dies dauert länger und ist aufwändiger als die zentrale Bestellung bei der Gewehrfabrik. Entsprechend drückt der König in London seinen Unmut aus. Dies sei eine einmalige Ausnahme. In Zukunft solle die Kriegskanzlei darauf achten, dass bei der Gewehrfabrik in Herzberg bestellt werde.1033 Es deutet sich einer der großen Vorteile der Herzberger Gewehrfabrik an. Da hier die Kriegskanzlei in Hannover sowohl die administrative Aufsicht über die Gewehrfabrik als auch die Bestellung und Bezahlung übernimmt, fallen lästige Vorschussgewährungen, Sicherheiten-Abfrage und Stückelungen fort. Man hat einen zentralen Ansprechpartner für die Ausrüstung und muss nicht ständig Kostenvoranschläge und Proben einholen. Eine Risikominderung, die sich als ein teures und nur vermeintlich schnelleres Unterfangen herausstellt. Die Fehlbeträge summieren sich und müssen aus königlichen Kassen ausgeglichen werden.1034 Schon im Begleitschreiben des ersten Rechenschaftsberichts der Gewehrfabrik für 1739/1740 geben die Planer in der Kriegskanzlei zu, dass sie davon ausgehen, dass die Fabrik ohne einen dauerhaften Vorschuss von 10.000 bis 12.000 Reichstalern nicht werde bestehen können. Dies sei zur Vorfinanzierung der Materialien und Aufrechterhaltung des Arbeitsbetriebs nötig.1035 Tatsächlich ist der in den nächsten Jahren zur Unterstützung ausgewiesene Zuschuss deutlich höher. Die Kriegskasse schießt pro Jahr 16.000 bis 20.000 Reichstaler zu. Als nach dem Siebenjährigen Krieg der Absatz einbricht und den Arbeitern gestattet wird, den Verdienstausfall mit der Produktion auf eigene Rechnung auszugleichen, beklagen sie sich, kein eigenes Vermögen zu haben, um die benötigten Materialien vorzustrecken. Der Fabrikinspektor bekommt daraufhin einen zinslosen Vorschuss aus der Kriegskasse, um die Zwischenfinanzierung ermöglichen zu können.1036 Von den Vorschüssen führt es direkt zum Thema der allgemeinen Zahlungsmoral bzw. Kreditwürdigkeit der Obrigkeit. Die von den Kaufleuten Splitgerber und Daum betriebene Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau stellt 1032 Elf Einzelquittungen Generalmajor von Grote und Büchsenmachermeister Drechsler zwischen 3. September 1746 und 23. Dezember 1749, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 3, o.S. 1033 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 1. August/12. August 1746 in: ebd., o.S. 1034 Beschwerde Georgs III. vom 26. November 1765, dass die Zuschüsse zur Gewehrfabrik von Monat zu Monat steigen würden. Erwähnt im Antwortschreiben der Kriegskanzlei vom 3. Januar 1766, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 6, S. 32. 1035 Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei an Georg II. vom 10. Mai 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 302. 1036 Kriegskanzlei an Georg III. vom 3. September 1771, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 7, S. 6.
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sicher, was die Höhe des nötigen Betriebskapitals angeht, einen Sonderfall dar. Die angesammelten Rechnungen der Gewehrfabrik für das Rechnungsjahr Juni 1751 bis Mai 1752 werden geschlossen im Juni 1752 bezahlt. Insgesamt fast 134.000 Reichstaler.1037 Splitgerber hatte darum gebeten, die Rechnung auf einmal zu bezahlen. Zunächst sollte Massow diese in monatlichen Raten überweisen.1038 Für 1756 fordert Splitgerber über 89.000 Reichstaler für bestellte und gelieferte Gewehre. Darauf erhält er eine Anzahlung von 50.000 Reichstalern.1039 Wirtgen nennt für 1758 eine offene Rechnung über 243.662 Reichstaler, an die Splitgerber den König erinnert.1040 Selbst wenn man den zur Bestreitung der laufenden Kosten erfolgten jährlichen Vorschuss von 30.000 Reichstalern1041 einberechnet, war ein enormes Betriebskapital der Kaufleute von Nöten, um diese Summen vorfinanzieren zu können. Aber auch sonst muss Reininghaus, der die frühneuzeitliche Wirtschaft als wenig kapitalintensiv beschreibt,1042 widersprochen werden. Im März 1715 schreibt der Verwalter des Zeughauses Harburg an die Kriegskanzlei und gibt eine Klage der dortigen Handwerker weiter, die seit einem Jahr auf ihren Lohn warten müssten. Er bittet, ihm das nötige Geld zu senden, damit er die Arbeiter für ihre vollbrachte Arbeit bezahlen könne.1043 Bei einer Holzlieferung für die hannoversche Artillerie war kein Vorschuss gewährt worden. Die Lieferanten bitten darauf um eine schnelle Bezahlung, da sie sich, um die Lieferung stemmen zu können, Geld bei hiesigen Juden schwerverzinst geliehen hätten.1044 Trotz der verspäteten Zahlung wird den in königlichem Auftrag Handelnden und Einkaufenden Kredit gewährt, was auch an der prinzipiell gewahrten Rechtssicherheit liegen mag. Als sich ein Regimentschef weigert, die Rechnung für eine Tuchlieferung zu bezahlen, weil die Qualität der Tuche mangelhaft sei, wird er vom Kommerzkollegium in Berlin zur Zahlung verdonnert. Die Ware sei ausgeliefert und angenommen worden. Der Verweis wird angeführt, sollte es
1037 Zahlungsanweisung an den Kriegszahlmeister Köppen vom 11. Juni 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F 4, S. 13. 1038 Von Massow an Friedrich II. vom 10. Juni 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 1039 Friedrich II. an von Massow von 5. Juni 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 D, S. 18a. 1040 Der König antwortet, er solle Geduld haben. Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700–1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 38. 1041 Friedrich II. an die Kaufleute Splitgerber und Daum vom 26. November 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 555. 1042 Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der Frühen Neuzeit, Oldenburg 1990, S. 55. 1043 Zeugverwalter Brückmann an die Kriegskanzlei vom 2. März 1715, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 340. 1044 Bauverwalter aus Harburg an die Kriegskanzlei vom 8. Februar 1764, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 465, Vol. I, S. 89.
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zum Verfahren kommen, würde jedes Gericht das Regiment bezahlen lassen.1045 Ein Schuhmacher, der sich bei Friedrich II. über die von einem Regimentsquartiermeister nicht bezahlte Rechnung beschwert, bekommt umgehend Recht. Massow solle sich um die Angelegenheit kümmern und das Regiment ermahnen, fortan Rechnungen sofort zu bezahlen.1046 Ausnahmen kommen in Kriegszeiten vor. Bevor sie ihre Lieferung Richtung Hannover absenden, fordern Amsterdamer Pulverhändler 1712 eine schriftliche Bestätigung, dass die Ladung bezahlt werde.1047 Im Juli 1758 bestellt die kurhannoversche Armee in Amsterdam Pulver. Der begleitende Brief des kommandierenden Generals von Spoercken führt an, man bräuchte das Pulver sofort bei der Armee am Rhein, könne aber erst später zahlen, worauf die holländischen Kaufleute die Lieferung verweigern und auf Vorkasse bestehen. Dass dies keine alltägliche Entscheidung der Kaufleute ist, ergeht aus der noch am selben Tag erfolgten Antwort des hannoverschen Residenten an die Kaufleute, in der er auf die lange Geschäftsbeziehung verweist und dass es sich um einen dringenden Auftrag für die Armee des Königs handeln würde. Trotzdem ergeht gleichzeitig ein Brief an die Kriegskanzlei, in dem diese über die Forderung der Kaufleute informiert und um Maßnahmen gebeten wird.1048 Die Außenstände bei Munitionszahlungen, die sich im Siebenjährigen Krieges laut Angabe der Kriegskanzlei pro Jahr auf etwa 500.000 Reichstaler belaufen, und die entsprechenden Weigerungen der Kaufleute scheinen im Kriegsverlauf weiter zuzunehmen, sodass Georg III. zum Ende des Krieges entscheidet, fortan solle Munition immer bar und sofort bezahlt werden.1049 Zur gleichen Zeit meldet der die Kanzlei des von Massow weiterführende Oberst von Stechow an Friedrich II., dass die Handwerker sich wegen zu hoher offener Forderungen weigern würden, weiter für die Armee zu liefern. Er fleht den König an, die benötigten Gelder anzuweisen, damit der Nachschub wieder laufen könne. Außerdem habe er fertige Ausrüstungsgegenstände in Berlin, die er wegen fehlender Frachtgelder nicht zu den im Felde stehenden Truppen senden könne. Der Prinz Heinrich habe ihm persönlich die Schuld daran gegeben, ohne das nötige Geld könne er aber nichts machen und sei ohne Verantwortung.1050 Wenig später beklagt er, wegen Geldmangel könne er kein Leder 1045 Kommerzkollegium an den General der Kavallerie Walmoden vom 31. Oktober 1795, in: HStA H, Hann. 38 E, Nr. 417, S. 50. 1046 Friedrich II. an von Massow vom 20. April 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 43, S. 179. 1047 Kriegskanzlei an Resident Klinggräff in Amsterdam vom 1. September 1712, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 404f. 1048 Briefe der Kaufleute Gebrüder de Neufvielle an Resident Laurenz in Amsterdam vom 14. Juli 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. I, S. 46 und unter gleichem Datum dessen Antwort in: ebd., S. 49 sowie Brief an die Kriegskanzlei in: ebd., S. 44. 1049 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 9. November 1762 in: ebd., S. 307. 1050 Von Stechow an Friedrich II. vom 24. Juni 1762, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 80 U2, o.S.
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einkaufen, sodass der Nachschub an Sätteln, Lederhosen, Stiefeln und Lederzeug ausbleiben müsse.1051 Die Antwort des Königs macht die allgemeine klamme Kassenlage deutlich. Er könne derzeit nicht mehr erübrigen und vor Dezember sei auch nicht mit mehr Geld zu rechnen.1052 Die finanziellen Probleme zu Ende des Krieges ergeben sich auch daraus, dass die Berechnungen und Planungen, die der von Massow auf Grundlage der Erfahrungen aus den Schlesischen Kriegen angestellt hat, davon ausgehen, dass angelegte Vorräte bzw. alte Ausrüstungsgegenstände auf den Zeughäusern vorhanden sind. Nach mehreren Jahren Krieg sind die Vorräte allerdings aufgebraucht.1053 Hier spiegelt der zeitgenössische Ausdruck »Campagne des Jahres«1054 die Vorstellung der Verantwortlichen eines begrenzten Kräfte-Messens besser als der im Nachgang geprägte Begriff des Siebenjährigen Krieges. Die planende Vorstellung ging von begrenzten Kampagnen oder Feldzügen aus. Im Winterquartier und zwischen den Kampagnen sei ausreichend Zeit, die Vorräte wieder aufzufüllen. Diese Außenstände aus dem Krieg ziehen sich noch länger hin. Die Gewehrfabrik in Herzberg, die versucht, ihre Außenstände einzutreiben, stellt 1768 fest, der Oberst von Müller habe die ihm 1760 gelieferten Gewehre noch nicht bezahlt.1055 Darauf angesprochen, schiebt der Oberst die Schuld von sich. Er habe in den Kampagnen der Jahre 1760, 1761 und 1762 Verluste gehabt, für die ihm noch Verlustgelder zustehen würden. Solange diese nicht ersetzt würden, könne er nicht bezahlen.1056
4.7. Die königlichen Kassen als Versicherung Die Verlustgelder schneiden einen weiteren Punkt königlicher Unterstützung an. Wenn ein Geschädigter nachweisen kann, dass ein Schaden ohne sein Verschulden eingetreten ist, kann er beim König finanzielle Hilfe beantragen. Diese Versicherung kann vertraglich festgelegt werden, beruht aber prinzipiell nicht auf einem Rechtsanspruch. Sie unterliegt ebenfalls der Prüfung im Einzelfall, wobei gerade die Feststellung der Schuldhaftigkeit einen weiten Ermessen1051 Von Stechow an Friedrich II. vom 1. Oktober 1762 in: ebd., o.S. 1052 Friedrich II. an von Stechow vom 4. Oktober 1762 in: ebd., o.S. 1053 Von Massow an Friedrich II. vom 21. April 1761 beklagt sich, dass er kein Geld mehr habe und die Vorräte aufgebraucht seien, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 89 E.2, o.S. 1054 Z. B. Friedrich II. an von Massow vom 6. Juli 1751, der sich über die Aufstellung bedankt, wie viele Pferde in der Campagne des Jahres 1745 abgegangen seien und welche Vorräte angelegt werden müssen, um zwei Campagnen zu überstehen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 273. 1055 Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei zu den Auswirkungen des Krieges für die Gewehrfabrik vom 15. Juli 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 79. 1056 Oberst von Müller an Georg III. vom 6. August 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 10.
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spielraum zulässt. Eine vertragliche Regelung wird etwa aufgesetzt, wenn die Fabrikgebäude dem König gehören und den Fabrikbetreibern nur zur Verfügung gestellt werden. So legt der Gründungsvertrag der Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau fest, dass Feuer- und Wasserschäden an den Fabrikgebäuden auf Kosten des Königs zu ersetzen sind.1057 Im Übernahmevertrag der Messerund Scheren-Fabrik zu Neustadt-Eberswalde lässt sich der Betreiber Splitgerber auf seinen Antrag zusichern, dass er bei höherer Gewalt – Überschwemmung, Platzregen, Sturmwinde, Feuer vom Himmel und aus der Nachbarschaft, Krieg und Verheerung – für Schäden an den ihm zur Verfügung gestellten Fabrikgebäuden nicht haftet.1058 Die kurhannoversche Gewehrfabrik wird zunächst in einem gemieteten Haus in Linden untergebracht. Im Mietvertrag versichert die Kriegskanzlei, sollte an den gemieteten Wohnräumen ein Schaden entstehen, den die Fabrikarbeiter nicht beseitigen können, zahle die Kriegskanzlei den Schaden.1059 Als 1735 ein Feuer alle gehenden Werke der Spandauer Gewehrfabrik vernichtet, wird der Schaden sofort ersetzt.1060 Dies geschieht ebenso, als wegen verfaulter Schwellen und Bretter ein Teil der Gewehrfabrik Potsdam einstürzt.1061 Bei Kompanien ist die vertragliche Grundlage das Ökonomie-Reglement, laut dem, wie der Massow nach einem entsprechenden Gesuch um Schadensersatz anführt, würden Montierungsstücke, die ohne Schuld des Regiments auf den Montierungskammern verbrannt seien, aus königlicher Kasse ersetzt. Jede Kompanie hat eine Kammer, auf der sie ihr überzähliges Material lagert. Bei einem Feuer seien die gelagerten Materialien zweier Kompanien verbrannt, die nun bei Massow um Schadensersatz bitten. Dieser wendet sich an den König und führt an, bisher habe der König die Gnade gehabt, auch persönliche Habe zu ersetzen. Er gibt allerdings zu bedenken, sollte das öfter passieren, würde die General-Pferde- und Kleiderkasse sehr in Mitleidenschaft gezogen werden.1062 1057 Art. 21 des Gründungsvertrags vom 31. März 1722 in Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 31. 1058 Art. 25 des Übernahmevertrags zwischen V. Departement und David Splitgerber vom 2. Februar 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 75–81. 1059 Art. 5 Locations-Conductions-Contract zwischen der Kriegskanzlei und dem Oberrüstmeister Fischer vom 4. September 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 100. 1060 Antrag Splitgerber und Daum mit Auflistung der verbrannten Gegenstände vom 24. Dezember 1735, in: GStA PK, X. HA, Rep. 2 A, Nr. 255, S. 120 und Anweisung der kurmärkischen Kammer, das Geforderte zu ersetzen vom 31. Dezember 1735 in: ebd., S. 121. 1061 Antrag Splitgerber und Daum mit Auflistung der Schäden vom 24. März 1739 in: ebd., S. 128 und Anweisung des Generaldirektoriums, das Geforderte zu ersetzen vom 31. März 1739 in: ebd., S. 130. 1062 Von Massow an Friedrich II. vom 13. August 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S.
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Die Gnade des Königs hängt mit der Kassenlage zusammen, woran ihn der dafür zuständige Massow erinnert. Der Generalmajor von Bornstedt schildert die Begebenheiten einer Feuersbrunst in Oppeln, die siebzehn Häuser nebst den dazugehörigen Stallungen in die Asche gelegt habe. Anbei schickt er eine Aufstellung über die verbrannten Ausrüstungsgegenstände sowie das verlorene Pferdefutter mit Angabe der beglaubigenden Zeugen. Außerdem habe der Regimentsbüchsenmacher seine ganzen Habseligkeiten verloren und bittet um Ersatz. Massow bestätigt die Rechnungen. Es besteht aber kein Rechtsanspruch oder eine automatischen Erstattung, sondern »Es dependiert also an eurer königl. Majt. Gnade«,1063 ob eine Zahlung erfolgt. Dieser entscheidet, dass ihm, wenn der Massow die Erstattung für notwendig ansehe, wohl nichts anderes übrig bleibe, als die Rechnung zu bezahlen. Der Büchsenmacher, durch dessen Schuld oder Nachlässigkeit die Feuersbrunst entstanden sei, erhalte aber nichts vergütet.1064 Aus diesem Schriftverkehr ist zu ersehen, dass nur, wer unverschuldet in Not gerät, mit Hilfe rechnen kann. Außerdem geht hervor, dass die Entscheidung zwar von der Gnade des Königs abhängig gemacht wird, dessen Entscheidung aber nicht willkürlich erfolgen kann, sondern durchaus zu beachten hat, dass das Regiment andernfalls bankrott und damit nicht einsatzfähig wäre. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn die Gewehrfabrik wegen Defekten nicht arbeitsfähig ist. Dieser Eindruck, dass der König das ersetzt, was zum Funktionieren der Armee nötig ist, bestätigt sich durch einen weiteren Fall aus dem gleichen Jahr, bei dem ein Rittmeister um Erstattung der einer Feuersbrunst zum Opfer gefallenen Ausrüstungsstücke seiner Eskadron bittet. Der König findet die geforderte Summe zu hoch. »Indes da Ihr [Massow] die Rechnung davon examinieret und dagegen nicht zu sagen habet; So will Ich agreiren, dass solche aus dem Bestande der General=Kleider=Casse bezahlet werden möge.« Die gleichzeitig geforderte Ersetzung des persönlichen Hausrats des Rittmeisters wird abgelehnt. Es sei zwar für diesen ein Verlust, er könne aber keine Vergütung erwarten.1065 Die Montierungsstücke muss er wohl oder übel ersetzen. Da dem König diese Summe aber zu hoch erscheint, ist er bei der Ersetzung der persönlichen Verluste weniger spendabel. Die Gnade des Königs ist von dessen Stimmung abhängig. Die rationalen Erwägungen – Kassenlage und Notwendigkeit der Ersetzung – bringt Massow durch seine Gutachten, in deren Sinne der König in den beschriebenen Fällen entscheidet, ein. Im Nachgang einer Schlacht
1063 Von Massow an Friedrich II. vom 28. Mai 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 7. 1064 Friedrich II. an von Massow vom 30. Mai 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 42, S. 231. 1065 Friedrich II. an von Massow vom 14. Oktober 1751 in: ebd., S. 459.
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kann dies die Kanzlei des Massow bzw. seinen Nachfolger Stechow vor größere Probleme stellen.1066 In Kurhannover legt das Montierungsreglement der Unteroffiziere und Korporale von 1748 fest, dass, sollte die Montierung vor dem Feind oder durch den Träger unverschuldet verloren gehen, die Regimentskasse haftet. Die neugegründete große Montierungskasse solle dabei unterstützen.1067 Drei Jahre später wird nach Beschwerden ein überarbeitetes Reglement erlassen. Im abgeänderten Artikel zum unverschuldeten Verlust heißt es nun ergänzt: der Regimentschef entscheidet nach Kassenlage des Regiments. Notfalls sollten die Unteroffiziere bis auf weiteres mit einer Mannschaftsmontierung ausgestattet werden.1068 Die große Montierungskasse war, wie aus einem Begleitschreiben zu den Änderungen hervorgeht, mit den ständigen Zuschüssen überfordert.1069 Der Rechtsanspruch wird nach missglücktem Praxistest relativiert und (wieder) vom persönlichen Ermessen des Regimentskommandeurs abhängig gemacht. Die von der Armeeführung – dem kommandierenden General und der Kriegskanzlei – ausgearbeiteten und vom König erlassenen Reglements werden von den Untergebenen keinesfalls als unveränderlich angesehen. Es besteht die Möglichkeit, sich zu beschweren mit ernsthafter Chance, dass das empfundene Unrecht als solches erkannt und abgestellt wird. Schon die Ausarbeitung des Reglements von 1748 war durch eine Beschwerde von unten ausgelöst worden.1070 Durch Brand zerstörte Gewehre werden in Hannover aus den Zeughausbeständen ersetzt.1071 Wie der eingangs erwähnte Fall des Oberst von Müller zeigt, werden auch im Krieg verlorene Gewehre zunächst in natura ersetzt, womit dem Regimentskommandeur die Motivation genommen zu sein scheint, sich um die Bewilligung seiner Verlustgelder zu kümmern. Erst als sieben Jahre später bei 1066 Von Stechow fleht Friedrich II. am 24. Juni 1762 an, mehr Gelder anzuweisen, da die Abgangslisten der Regimenter nach der letzten »Affaire« die Schulden in die Höhe getrieben hätten. Am 1. Oktober 1762 beklagt sich Stechow beim König, es vergehe keine Woche, in der nicht Abgangslisten der Regimenter eingehen würden, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 80 U2, o.S. 1067 Art. 9 Mondierungsreglement derer Unter-Officiere und Corporale bey Unserer Infanterie durch Georg II. vom 26. Februar/8. März 1748, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 100ff. 1068 Ebd., Art. 10. 1069 General von Sommerfeldt an Georg II. vom 16. Oktober 1752, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 95, S. 86. 1070 Beschwerde des Sergeants Riehling vom Regiment von Zastrow vom 24. Juli 1747 im Schreiben des Generals der Infanterie von Sommerfeld an die Kriegskanzlei vom 19. Oktober 1747 in: ebd., S. 54. 1071 Z. B. General von Mutio zeigt der Kriegskanzlei an, ihm würden 457 Gewehre fehlen, die beim letzten Barackenbrand verbrannt seien vom 29. Januar 1793, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, S. 161 und Anweisung der Kriegskanzlei an das Zeughaus Hannover in: ebd., S. 159 oder Anweisung der Kriegskanzlei an den Rüstmeister Fischer vom 6. Juli 1734, die bei einem Brand vernichteten Gewehre der Kompanie des Oberstleutnants Rathmann zu ersetzen, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 44.
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der Untersuchung der Bücher der Gewehrfabrik bemerkt wird, dass die gelieferten Gewehre noch nicht bezahlt sind, wird der Regimentskommandeur daran erinnert und verweist auf die ihm zustehenden Verlustgelder.1072 Die Planungen der Obrigkeit wollen mit geringen Mitteln auskommen. Sie sind so angelegt, dass das Material geschont wird und nichts Außergewöhnliches passiert. Für Schäden werden die Benutzer verantwortlich gemacht, denen im Schadensfall unsachgemäßer Umgang vorgeworfen wird. Diese Praxis gerät allerdings an ihre Grenzen, wenn der Schadensfall, etwa durch Natur- oder Kriegseinwirkungen die wirtschaftliche Fähigkeit des Benutzers übersteigt und damit seine Existenz bedroht. Nach rechtlicher Auffassung – der »Versicherung in den heutigen Erscheinungsformen« – handelt es sich damit um keine Versicherung, da die dafür kennzeichnenden Merkmale der Risikoabschätzung, der Selbstständigkeit, der Entgeltlichkeit und des Rechtsanspruchs nicht gegeben sind.1073 Folgerichtig erwähnt Albert Schug die Schadenszahlungen aus königlichen Kassen in seiner Aufzählung (früh-)neuzeitlicher Versicherungsformen nicht.1074 Die Problemlösungsansätze der frühneuzeitlichen Gesellschaft sind eben mit heutigen Rechtsansprüchen nicht zu fassen, haben aber nichtsdestotrotz zu einem Funktionieren der Gesellschaft und Absicherung im Schadensfall geführt. Neben der königlichen Rückversicherung gab es diese auch geschäftlich. So bieten Splitgerber und Daum einen versicherten Transport von Stettin nach Friedrichsburg an. Für den Transport von Pulver und Artilleriezubehör im Wert von 38.000 Reichstalern reichen sie einen Kostenvoranschlag ein. Die Transportkosten für zwei Schiffe belaufen sich auf 1.530 Reichstaler plus 70 Reichstaler extra Unkosten. Für 5 Prozent des Warenwertes bieten sie eine Versicherung (»Assurance«) an, sodass die Transportkosten für die versicherte Fracht 3.500 Reichstaler betragen.1075
1072 Oberst von Müller an Georg III. vom 6. August 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 10. 1073 Albert Schug verzichtet auf eine allgemeingültige Definition des Versicherungsbegriffs und beschränkt sich auf die vier genannten Merkmale in Albert Schug, Der Versicherungsgedanke und seine historischen Grundlagen, Göttingen 2011, S. 27, 59. 1074 Ebd., S. 219–267. 1075 Kostenvoranschlag durch Splitgerber und Daum, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 46. Dass das Angebot angenommen wurde, ergeht aus einer Zusammenstellung der Artillerietransportkosten durch von Dieskau an Friedrich II. vom 14. Februar 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S.
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4.8. Förderung durch Gleichstellung mit königlichen Kassen Im Konkursfall hat die Bedienung landesherrlicher Schulden Vorrang. Im Jahr 1744 stellt Friedrich II. die Regimentskassen seinen eigenen Kassen gleich. »Daß die Regiments-Cassen, wann das Regiment Waaren, oder Mundierungs-Stücke bestellt, und Vorschuß darauf thut, wegen solchen Vorschusses gleich Seiner Königl. Majestät Immediat-Cassen eine Priorität vor andren Creditoribus haben sollen, wann der Livrant ehe er die Waaren völlig abgelieffert hat, banquerout wird.«1076 Diese Gleichstellung bedeutet eine größere Sicherheit für die Regimenter bei der Auftragsvergabe. Dass die Gleichstellung allerdings erst 1744 erfolgt, zeigt die Vielgestaltigkeit frühneuzeitlicher Obrigkeit, die eben keine einheitliche Staatsmacht war. Die Regimenter werden von ihren Chefs privat geführt. Die Geldgeschäfte sind zwar eng mit den königlichen Kassen verbunden, aber diesen nicht gleichgestellt. Ihre Einnahmen stammen aus den königlichen Kriegskassen, ihre Ausgaben sind nach den Ökonomie-Reglements streng reguliert. Geraten sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten, springt der König ein, aber dennoch waren sie bis 1744 nicht wie landesherrliche – das heißt staatliche Kassen – geführt, sondern hatten den ›Rechtsstatus‹ privater Geschäftsleute. Die Stadt Göttingen, die durch das harte Schicksal des Krieges »in eine ihr Vermögen weit übersteigende Schulden-Last gerathen ist«, bekommt einen Entschuldungsplan. In ihm wird neben einem bedeutenden Zuschuss der Landschaft auch eine Sonderabgabe der Bürger festgelegt, die sich gemäß dem Kollekten-Fuß auf die Bürger und Grundstücksbesitzer verteilt. Sollte es zu Konkursen kommen, hat die Bedienung dieser Kontributions-Schulden Vorrang. Die Verordnung ist für alle Gerichte bindend.1077 Als die Calenberger Landschaft dem Fabrikanten Grätzel einen auf Vermittlung der hannoverschen Regierung zustande gekommenen Kredit gewähren soll, fügt diese an, sie könne das zinsfreie Darlehen neben den gewöhnlichen Sicherheiten nur zugestehen, wenn sie die Zusicherung auf Priorität im Konkursfall bekomme.1078 Auch hier zeigt sich mit ihrer Vielzahl an unterschiedlichen Akteuren die Vielgestaltigkeit der Obrigkeit des 18. Jahrhunderts. Die Stadt Göttingen, ebenso wie die Landschaft des Fürstentums Calenberg erfüllen obrigkeitliche Aufgaben, erheben Zwangsabgaben von ihren Untertanen und vergeben zinsfreie Darlehen
1076 Declaration der Concurs-Ordnung vom 16. Juni 1744, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. X 1 D, Fasc 8. 1077 Entschuldungsplan für Göttingen vom 20. Dezember 1764, in: HStA H, Dep. 113, Nr. 23, o.S. 1078 Calenberger Landschaft an die Regierung in Hannover vom 18. Februar 1767, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1914, S. 31.
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auf Anweisung der Regierung. Sie sind aber nicht königlichen Kassen gleichgestellt, sondern müssen sich eine Bevorzugung im Einzelfall zusichern lassen. Darüber hinaus scheint es allgemeine Praxis zu sein, seinen Kunden Kredit zu gewähren1079 – von der Zahlungsmoral der Obrigkeit, die ihre Rechnungen verspätet begleicht, wurde bereits berichtet. Die jährlichen Untersuchungsberichte der Barchend-Fabrik in Hinterpommern verzeichnen für jedes Jahr namentlich die Kunden und Handelskontakte, die ihre Rechnungen noch nicht bezahlt haben. Die offenen Beträge werden dabei dem Vermögen der Fabrik zugerechnet. Kommt es zum Konkurs, haben sie sich an reguläre Gerichte zu wenden, um aus der Konkursmasse entschädigt zu werden. In den beiden im entsprechenden Schriftverkehr überlieferten Fällen geht die Barchend-Fabrik leer aus1080 bzw. kann ihre Schulden nicht eintreiben.1081 Ein Bierbrauer wendet sich an die Kriegskanzlei. Einige der Arbeiter der Herzberger Gewehrfabrik würden ihm Geld für Bier schulden. Er bittet, ob ihnen dies nicht gleich vom Lohn abgezogen werden könne. Die Antwort der Amtmänner ist klar. Sie lehnen ab – die Nahrung der ihnen anvertrauten Leute habe Vorrang – und empfehlen dem Brauer, häufiger abzurechnen.1082 Unter diesen Umständen wird deutlich, was für eine Besserstellung es für ein privates Wirtschaftsunternehmen bedeutet, wenn es einer königlichen Kasse gleichgestellt wird. Im Falle des Lagerhauses erbittet sich dessen Führung, den königlichen Hoffiskal Abraham Rosenfeld zur Eintreibung offener Rechnungen abgestellt zu bekommen. Ursprünglich kommt diese Forderung 1733 auf, da etliche Gerichte mit der Eintreibung von Schulden beim Lagerhaus beschäftigt wären und entlastet werden sollten. Die Abstellung bei Beibehaltung seiner fiskalischen Privilegien soll zunächst für ein halbes Jahr erfolgen1083 – Rosenfeld bleibt bis zu seinem Tod 1761 beim Lagerhaus.1084 Damit agiert das Lagerhaus 1079 Vgl. auch Alessandro Monti, Der Preis des weißen Goldes, Preispolitik und –strategie im Merkantilsystem am Beispiel der Porzellanmanufaktur Meißen 1710–1830, München 2010, S. 33. 1080 Antwort des Fabriken-Departements an den Fabrikinspektor Forckel vom 5. November 1807, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 4, S. 43. 1081 Der Jacob Abraham Moses aus Neustettin schuldet der Fabrik 115 Reichstaler. Eine Aufforderung an den dortigen Bürgermeister ist nicht erfolgreich. Auch die Bitte an den Magistrat, bei der Schuldeneintreibung zu helfen, scheint nicht erfolgreich, da der Moses bzw. seine Witwe auch in den kommenden Jahren als Schuldner geführt wird. Untersuchungsbericht des Lüdemann für 1783/84, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 36–39. 1082 Brauinspektor Stellmann an die Kriegskanzlei vom 5. Juni 1758 und Antwort des lokalen Amtmannes Nannen vom 5. Juli 1758, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1023, o.S. 1083 Etatsminister von Broich an die Lagerhauskommission vom 14. September 1733, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 4, S. 38ff. 1084 Todesanzeige des Rosenfeld und Bekanntgabe seines Nachfolgers an alle 18 betroffenen Gerichte vom 12. Mai 1761 in: ebd., S. 52ff.
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nicht nur unter dem Namen »Königliches Lagerhaus«, sondern hat zur Unterstützung bei Gerichtsverfahren einen Juristen angestellt, der als königlicher Hoffiskal auftritt. Ist es damit aber auch einer königlichen Kasse gleichgestellt oder täuscht sie dies nur vor? Von zwei Rechtsstreitigkeiten haben sich teilweise die Akten erhalten. 1736 meldet der Kaufmann Daniel Borchards aus Stargard, der dem Lagerhaus knapp 300 Reichstaler schuldet, Konkurs an. In der Verhandlung vor dem Stadtgericht Stargard lehnt dieses eine bevorzugte Behandlung des Lagerhauses als königliche Kasse ab, woraufhin sich Rosenfeld an den König wendet. Das Lagerhaus gehöre dem Waisenhaus, welches ohne Frage eine königliche Kasse sei. Damit sei das Lagerhaus de Jure auch eine königliche Kasse und er bittet den König um eine offizielle Bestätigung.1085 Dieser bekommt den Brief des Rosenfeld allerdings nicht zu Gesicht, sondern der Etatsminister von Broich. Der erklärt sich für nicht zuständig und schiebt die Entscheidung an das Generaldirektorium weiter. Nach mehrfacher Nachfrage des Rosenfeld verläuft die Angelegenheit im Sande. Ohne die Beglaubigung besteht keine Hoffnung auf Auszahlung – die ist aber nicht zu bekommen. In einem weiteren Rechtsstreit von 1767, in dem der neue Betreiber des Lagerhauses, der Kaufmann Schmidt erhofft, wenn nicht unbeschränkt, so doch (erstmal) für eineinhalb Jahre die Rechte einer königlichen Kasse zu erhalten, führt er die geschichtliche Entwicklung an. Bevor das Lagerhaus an das Waisenhaus gekommen sei, wäre es ein landesherrliches Etablissement gewesen, dessen Einnahmen in die königlichen Kassen geflossen seien. Zu diesen Zeiten hätte es unstreitig alle Vorrechte einer königlichen Kasse gehabt. Das Waisenhaus habe diese Vorrechte ohne Frage übernommen, auch wenn es keine besondere Verordnung darüber gäbe. Unter dem 23. Dezember 1737 habe es dann ein königliches Reskript gegeben, wonach das Lagerhaus bei Konkursen gleich nach den königlichen Kassen loziere und deren Vorrechte habe. Aufgrund der Missgunst der Particuliers1086 und Wollfabrikanten sei dieses Reskript 1743 und 1746 eingeschränkt worden. Die Kunden des Lagerhauses würden Waren für 15.000, 20.000, 30.000 und mehr Reichstaler auf Kredit bekommen und erst ein halbes Jahr oder später zahlen. Wenn diese nun vorher Konkurs anmelden würden, wären die Waren nicht mehr zu finden. Ohne Kassenvorzug müsse das Geld abgeschrieben werden, während die jährliche Erbpacht an das Waisenhaus 1085 Rosenfeld an Friedrich Wilhelm I. vom 27. Oktober 1736 in: ebd., S. 130 und Nachfragen vom 29. Januar 1737 in: ebd., S. 133 und 5. März 1737 in: ebd., S. 136. 1086 »ein Mann welcher für sich lebt, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden.« Art. Particulier, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 107 (1807), S. 659. Hier zu verstehen in Abgrenzung zu einem Wirtschaftstreibenden, der parallel auch ein öffentliches Amt bekleidet, wie etwa der Minister von Kraut beim Lagerhaus oder der Etatsminister von Massow bei der Barchend-Fabrik. Schmidt scheint zu unterstellen, dass diese im Gegensatz zu den ersteren auch an das Landeswohl denken.
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trotzdem fällig wird. Ihr Verlust geht damit zu Lasten des Waisenhauses und das könne eigentlich nicht im Sinne des Königs sein, wie der Intention seines seligen Vaters zuwidergehandelt werde.1087 Ein schönes Beispiel, wie bereits in der dritten Generation versucht wird, ein Geschichtsbild des Lagerhauses als königlicher Einrichtung aufzubauen, um (nie dagewesene)1088 Vorrechte (wieder) zu bekommen. Man handle nach der – im eigenen Sinne interpretierten – Intention des verstorbenen Königs und leide unter der dieser zuwider laufenden Missgunst der Konkurrenten. Die Antwort des Justizministeriums ist allerdings negativ, man könne das verlangte Kassenvorzugsrecht nicht gewähren.1089 Nur mit dem Blick in den Schriftverkehr, der sich mit der Umsetzung königlicher Entscheidungen beschäftigt, kann ergründet werden, wie diese umgesetzt bzw. interpretiert wurden. Für das Lagerhaus ist es 1733 und erneut 1767 klar, dass man aufgrund der Geschichte der Einrichtung de Jure eine königliche Kasse mit allen damit zusammenhängenden Vorteilen sei. Das lokale Gericht 1736, die Konkurrenz in den 1740er Jahren und das Justizministerium 1767 sehen dies allerdings anders, wehren sich gegen diese Interpretation und können sich damit durchsetzen. Die Vorteile im Reskript von 1737 werden in den 1740ern eingeschränkt und 1767 abgelehnt. Einen ganz ähnlichen Fall hat schon Carl Hinrichs beschrieben, auch wenn ihn das nicht hindert, seine Sicht auf das Lagerhaus als Staatsbetrieb zur Heerestuchherstellung beizubehalten. Das Monopol des Lagerhauses auf die Belieferung der Armee sei so nicht belegt. Der spätere Besitzer Schmidt sowie dessen Nachfolger hätten sich 1769 und 1781 auf eine unklare Formulierung in der Gründungsurkunde des Potsdamer Waisenhauses von 1734 berufen, in der es hieße, dass dem Lagerhaus das Privileg erteilt werde, die jetzt betriebenen Fabrikationszweige zu ewigen Zeiten ungehindert fortzusetzen und sämtliche Kaufleute im Lande verpflichtet sein sollten, alle Tücher und Zeuge, die dieses herstellt, von diesem zu beziehen. Friedrich II. habe das Monopol auch nie anerkannt.1090 1087 Beschwerde des Lagerhausbetreibers Schmidt als Anhang eines Schreibens des Kriegsministers von Wedel an den Justizminister von Danckelmann vom 24. Oktober 1767, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 144 und 145–148. 1088 Friedrich Wilhelm I. hatte in den Verhandlungen um die Einrichtung des Lagerhauses 1713 explizit angeführt, dass der Kraut das ganze Werk auf eigenen Kredit und Verlag betreiben solle. Die Erfahrung von vielen Jahren habe gezeigt, wenn ein Particuliers auf königliche Rechnung ein Werk betreibe, dass der König dabei immer verliere und dieser Umstand eher nachteilig als zuträglich wäre. Im Antwortschreiben Friedrich Wilhelm I. an Kraut vom 22. August 1713, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 7f. Der König hat hier eine andere Auffassung von Particulier als Schmidt 55 Jahre später. 1089 Antwort des Danckelmann an den von Wedel vom 2. November 1767 in: ebd., S. 143. 1090 Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 25.
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Aber wie sieht die Vorrangstellung königlicher Kassen im Konkursfall aus, wenn auch sie sich nicht von wirtschaftlichen Erwägungen loslösen können. Nach dem oben geschilderten Befund, dass sich Geld noch nicht als alleiniges Referenzsystem durchgesetzt hat, gilt dieser prinzipielle Schutz auch für erfolgte Naturallieferungen. Die Justizkanzlei zu Celle informiert die Kriegskanzlei, dass die Pulvermühle des Braun Konkurs angemeldet hat und zwangsversteigert wird. Daraufhin verweist die Kriegskanzlei auf einen noch nicht erfüllten Pulverliefervertrag mit dem Braun und weist das Zeughaus in Harburg an, vor der Zwangsversteigerung die bereits an die Mühle gelieferten Materialien und das schon fertige Pulver als herrschaftliches Eigentum sicherzustellen.1091 Prinzipiell – weil die Justizkanzlei die Kriegskanzlei davon überzeugen kann, dass die Mühle ohne die entsprechenden Materialien die Arbeit sofort einstellen müsste und damit noch schwerer zu verkaufen sei als ohnehin schon. Damit würden die Schulden, die der Braun auch bei königlichen Kassen habe, nie zurückgezahlt und müssten abgeschrieben werden. Es wird entschieden, einen Zwangsverwalter einzusetzen und die Mühle mit königlichem Kapital neu zu beleben, damit der Braun seine Schulden langsam abstottern könne.1092 Die Prinzipien müssen und werden der Realität angepasst. Wenn die königlichen Angestellten mit von ihnen verwaltetem bzw. königlichem Kapital in einer Unternehmung mit drinstecken, sind deutlich mehr Interessen abzuwägen und das Befehlen gestaltet sich nicht so einseitig, wie es die Entscheider und mancher nachgeborene Historiker gerne gesehen hätte. Als der Sohn Tanner als Sündenbock für die im Zuge des Siebenjährigen Krieges entstandenen Unregelmäßigkeiten in der Fabrikführung seines verstorbenen Vaters haftbar gemacht werden soll, entbrennt eine Diskussion innerhalb der Kriegskanzlei, von der sich, weil es zwei unterschiedliche Meinungen gab, ein Ergebnisprotokoll erhalten hat. Zunächst folgt eine allgemeine Beschreibung der Missstände: Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung der Gewehrfabrik, die aber, weil es keine schriftlichen Aufzeichnungen gäbe und sowohl der Fabrikinspektor als auch der Rüstmeister verstorben sind, nicht mehr aufzuklären seien. Besonders bei auswärtigen Schulden habe man keine Handhabe und müsse diese wohl abschreiben. Die Untersuchung habe aber ergeben, dass die Hälfte der Außenstände erst nach dem Tod des Vaters Tanner aufgelaufen seien. Der Sohn Tanner entschuldigt sich, er habe »aus kindlicher Achtung gegen denselben« die Rechnung weitergeführt. Er bietet sich jetzt aber an, alle Schulden abzutragen. Aus dieser Ausgangslage ergeben sich für die Kriegskanzlei zwei Optionen, die 1091 Justizkanzlei zu Celle an die Kriegskanzlei vom 2. Oktober 1782, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 352 und dessen Antwort vom 5. November 1782 in: ebd., S. 346 und Anweisung an die Amtmänner in Harburg in: ebd., S. 348. 1092 Vorschlag des Obersts der Artillerie von Trew an die Kriegskanzlei vom 28. Dezember 1786 in: ebd., S. 303.
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sie dem König zur Entscheidung vorlegen. Eine Meinung ist, der Tanner müsse für den Schaden haften und entfernt werden. Dann sei aber alles Geld verloren und außerdem habe man keinen anderen Fabrikinspektor parat. Man solle also wohl oder übel den Tanner weiterbeschäftigen, damit dieser seine Schulden abstottern könne. Die andere Meinung ist drastischer. Der Tanner habe herrschaftliche Gelder und Effekten veruntreut, er habe bei den Arbeitern keinen Respekt mehr und sei, wie die Erfahrung gezeigt habe, ungeeignet zur Direktion der Fabrik, sodass sie sich für eine Suspendierung aussprechen. Aber auch sie wollen den Tanner nicht gänzlich fallen lassen. Sie schlagen vor, ihn bei einer geringen Pension als Rüstmeister bei der Fabrik anzustellen und statt seiner den ohnehin als Aufsicht zur Fabrik abgeordneten Leutnant Steigleder als Interimsleitung einzusetzen.1093 Der König entscheidet sich für die zweite Lösung: Steigleder als Interimsdirektor, Tanner als Rüstmeister, damit dieser die aufgestauten Schulden abtragen kann.1094 In beiden Vorschlägen wirken sich die Schulden, die der Tanner bei der Obrigkeit hat, als mildernde Umstände aus. Schulden können1095 damit sogar eine Beschäftigungsgarantie darstellen. Die dargelegten Fälle zeigen, dass die Bevorzugung königlicher Kassen nur eine scheinbare Sicherheit gibt. Auch die königlichen Kassen können ihre Außenstände nicht rücksichtslos eintreiben, sondern müssen die wirtschaftlichen Umstände des Schuldners (be-)achten. Es bedarf auch hier einer Beschäftigung mit dem Einzelfall, ob eine königliche Anweisung zur Umsetzung kommt. Es zeigt, warum die Vertreter der Obrigkeit trotz dieser Vorzugsstellung nicht gerne Vorschüsse gewähren. Sie begeben sich damit in Abhängigkeit und letztlich sind sie für die Einlagen der von ihnen verwalteten Kasse gegenüber ihrem Landesherrn verantwortlich.
4.9. Königliche Kredite als Wirtschaftsförderung Neben dem nicht zurückzuzahlenden königlichen Geldgeschenk machen zinslose oder niedrig verzinste Darlehen aus königlichen Kassen einen großen Anteil der Wirtschaftsförderung in allen Bereichen aus. Ähnlich dem Vorschusswesen 1093 Kriegskanzlei an Georg III. vom 15. Juli 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 78. 1094 Antwort Georg III. an die Kriegskanzlei vom 29. Juli 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 69. 1095 Ein verstorbener Schäftermeister der Herzberger Gewehrfabrik hinterlässt 211 Reichstaler Schulden. Sein Bruder – ein Schäftergeselle – bietet darauf an, mit der Witwe die Werkstatt weiterzuführen, um die Schulden abzustottern. Das Angebot wird abgelehnt. Er sei ein so schlechter Schäfter, dass man ihn verjagen und die Schulden abschreiben solle. Amtmann Wedemeyer an die Kriegskanzlei vom 18. August 1766, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1025, o.S.
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spielen auch hier die geforderten Sicherheiten eine große Rolle. Dies kann sowohl große Kredite, die die Freigabe durch den König erfordern, als auch die kleine unmittelbare Förderung vor Ort betreffen. Die Manufakturkasse fördert mit kleinen Krediten zwischen 50 und 100 Reichstalern mit durchschnittlicher Laufzeit von zwei bis drei Jahren. Bei Säumigkeit wird im Einzelfall vor Ort geprüft. Der Stadtschulze bekommt eine Liste aller säumigen Kreditnehmer in seinem Verantwortungsbereich. Er solle die Außenstände binnen acht Tagen eintreiben, »sollte jedoch ein oder anderer dieser Schuldner aus Dürftigkeit oder ohne merklichen Nachtheil seines Betriebes den Rückstand nicht bezahlen können, so habt ihr in obiger Zeit davon zu berichten und weitere Verfügung zu gewärtigen.«1096 Voraussetzung für die Gewährung eines Kredits ist die gestellte Sicherheit, die meist aus Häusern und Grundbesitz besteht. Sie kann den Ausschlag für die Vergabe einer Konzession geben, wie im Abschnitt zur Durchdringung des Raums anhand der Vergabe der Barchend-Fabrik an den Inspektor Forckel beschrieben wurde. Dieser hat die Fabrik bis zu seinem Tod 1783 inne, leitet sie aber nicht persönlich vor Ort. Er führt weiterhin die Barchend-Fabrik des Baron von Vernezober und hat seinen Bruder Friedrich Michael Forckel als Fabrikinspektor in Hinterpommern eingesetzt. So taucht das gleiche Problem der fehlenden Sicherheiten nach dem Tod des Johann Georg Forckel erneut auf. Dessen Witwe möchte aus dem Vertrag aussteigen und nicht für ihren Schwager die Bürgschaft übernehmen.1097 Dieser hat aber keine eigenen Grundstücke – er wohnt in einer Dienstwohnung im Fabrikgebäude – und könne nur mit seinem Hab und Gut bzw. dem Engagement in der Fabrik bürgen. Jetzt erweist es sich als Glücksfall für den Friedrich Forckel, dass die von ihm geführte Fabrik einmal im Jahr von einem Kammerbedienten in Augenschein genommen wurde. Dieser stellt ihm, da er als Fabrikinspektor schon die faktische Leitung der Fabrik innehatte, die besten Zeugnisse aus. Die Leitung und damit das Lob für den guten Zustand der Fabrik gebühren ihm. Er habe neben einer sehr ordentlichen Lebensart auch die Waren der Fabrik immer nach dem sich verändernden Geschmack anfertigen lassen, sodass den königlichen Fondgeldern keine Gefahr drohe.1098 Mit dieser zwar nicht finanziellen, aber inhaltlichen Bürgschaft bekommt er die Konzession zum Betreiben der Fabrik erneuert und den königlichen Vorschuss seines Bruders verlängert.1099 Er führt die Barchend-Fabrik bis 1809 weiter. 1096 Von dem Bussche an Stadtschulze Avenarius vom 29. Juni 1781, in: HStA H, Hann. 74 Hameln, Nr. 3267, o.S. 1097 Witwe Forckel zeigt Friedrich II. den Tod ihres Mannes an vom 20. Dezember 1783, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 26. 1098 Bericht des Kriegs- und Domänenrats Lüdemann vom 16. Oktober 1784 in: ebd., S. 72f. 1099 Konzession für Friedrich Michael Forckel vom 27. April 1785 in: ebd., S. 81f.
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Die individuelle Begutachtung der Kreditvergabe unter Einbeziehung lokaler, mit dem Fall vertrauter Sachverständiger und die daraus resultierende Abweichung von festen Vergabekriterien ermöglicht es, im Einzelfall eine Förderung zum Landesbesten – Begründung der finanziellen Unterstützung der Fabrik war immer das Wohl der daran hängenden Arbeiter und ihrer Familien, die im Land gehalten werden sollen1100 – zu erwirken. Die Sicherheitsgewährung ist auch auf dem Gebiet der Kassenbevollmächtigten nachweisbar. Mit größeren Summen darf nur umgehen, wer eine gehörige Kaution stellt und selbst vermögend ist. In Preußen ist für die Auszahlung der Gelder an die Regimenter aus der Generalkriegskasse der Geheime Rat Hund zuständig. Dieser könne, weil er bemittelt sei und eine reiche Frau geheiratet habe, die geforderten 10.000 Reichstaler Kaution stellen. Nach dessen Weggang 1746 hätten keinem so viele Gelder anvertraut werden können, sodass er, der General von Massow, die letzten drei Jahre die Gelder selbst ausgezahlt habe.1101 Die Regimentsquartiermeister müssen laut königlicher Ordre 3.000 Reichstaler Kaution stellen.1102 Als 1787 beim Berrenhauerschen Garnison-Regiment ein »beträchtlicher CassenDefect« auffällt, wird als Schuldiger der Regimentsquartiermeister ausgemacht, der die monatlichen Kassenabschlüsse verschleiert habe. Dieser habe keine reglementmäßige Kaution bestellt. Die Regimentschefs werden ermahnt, auf die Gestellung der Kaution und richtige Kassenführung zu achten. Andernfalls müssen sie die fehlenden Gelder erstatten.1103 Ein konkreter Missbrauchsfall wird zum Anlass genommen, die Beteiligten an das bereits bestehende Reglement zu erinnern bzw. dessen Bekanntmachung zu erneuern. Rechnungsführer bei der Herzberger Gewehrfabrik kann nur werden, wer die besten Zeugnisse habe und die gewöhnliche Kaution stellen könne.1104 Als die Fabrik einen neuen Bau-Sachverständigen einstellt, kann der auserkorene Kandidat als Alleinstehender die Kaution nicht aufbringen. Er leitet damit die Bauarbeiten und führt die Baurechnung. Gelder werden ihm aber nicht anvertraut, sondern der lokale Amtmann, der über ausreichend Sicherheiten verfügt, 1100 Z. B. Minister von Borcke an den von Massow vom 3. Juli 1776. Um die Arbeiter und ihre Familien bis sie wieder Arbeit haben im Land zu halten, erhalten sie rückwirkend ab April eine Arbeitslosenunterstützung von 50 Reichstalern monatlich, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 69. 1101 Von Massow an Friedrich II. vom 26. Januar 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 B, S. 1. 1102 Von Massow an Friedrich II. vom 24. Dezember 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 1103 Gedruckte »Circulare an sämmtliche Regimenter und Bataillons, die Verwaltung der Regiments-Cassen betreffend : Berlin, den 15. October 1787.« http://digital.staatsbibliothekberlin.de/werkansicht/?PPN=PPN773446451& PHYSID=PHYS_0001, 30. April 2014. 1104 Kriegskanzlei an Georg III. vom 22. November 1771, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 18.
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erhält die Summen aus der Kriegskasse und leitet diese gegen Nachweis sukzessive zur Bezahlung der Materialien und Bauarbeiter weiter.1105 Als im Amt Diepholz ein Woll-Lager errichtet werden soll, das aus königlichen Kassen mit 1.000 Reichstalern ausgestattet wird, muss der dieses betreibende Tuchmacher eine entsprechende Bürgschaft vorlegen, bevor er das Geld ausbezahlt bekommt.1106 Besitz wird dabei als Sicherheit angesehen, dass sich derjenige nicht so leicht ins Ausland absetzen kann. Als bei drei Arbeitern aus Mühlhausen ihre Absicht, nach Preußen zu emigrieren bekannt wird, beschlagnahmt die lokale Obrigkeit ihre Häuser, Handwerkszeug und Besitz. Das Auswärtige Amt in Berlin vermeldet darauf, man solle die Ausreisewilligen so schnell als möglich aus dem Einflussbereich des Herzogs von Weimar nach Preußen bringen. Anschließend könne man den Herzog damit beschwichtigen, dass er als Entschädigung den Besitz behalten könne.1107 Dies bestätigt auch der im Folgenden beschriebene Zwangsverkauf der in Blanckenburg gelegenen Fabrikgebäude des Göttinger Tuchfabrikanten Grätzel. Kann der Kredit dennoch nicht bedient werden, werden individuelle Lösungen geplant. Der Sohn eines verstorbenen Schuldners bittet um Stundung, die gewährt wird. Von den 100 Reichstalern hat er nächstes Ostern 50 und in den darauf folgenden Jahren je 25 Reichstaler abzustottern.1108 Bei einem anderen Schuldner lässt die wirtschaftliche Lage keine Stundung zu, so »muß auf den gerichtlichen Verkauf des zur Sicherheit für jenes Capital haftenden Hauses gedrungen werden.«1109 »Die darauf rückständig gebliebenen Zinsen haben Wir beliebet den Erben in betracht der von euch angeführten Umstände hiermit zu erlaßen.«1110 Das Verzichten auf die Zinsen in Härtefällen scheint durchaus üblich zu sein. Der Verzicht auf Zinsen für geliehenes Kapital kann auch eine Form der Förderung sein.1111 Es kommt der Obrigkeit weniger darauf an, mit dem Verleihen des Geldes zu verdienen, sondern dass ihr Kapital, für das sie dem König gegenüber verantwortlich sind, nicht geschmälert wird. Diese Erkenntnis deckt sich mit der von Wolfgang Radtke anhand von »Gewerbe und Handel in 1105 Amtmann Nannen an die Kriegskanzlei vom 3. Oktober 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136 ,Vol. III, Fasc 1, S. 79. 1106 Amt Diepholz an Georg III., in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 83. 1107 Auswärtiges Amt an das Generaldirektorium vom 12. September 1747, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 2, Bd. 1, S. 29. 1108 Avenarius an die Regierung in Hannover vom 5. Januar 1787, in: HStA H, Hann. 74 Hameln, Nr. 3267, o.S. 1109 Von Arnswaldt an Avenarius vom 21. Dezember 1786 in: ebd., o.S. 1110 Von Arnswaldt an Avenarius vom 21. Juni 1787 in: ebd., o.S. 1111 Grätzel bekommt die Zinsen für ihm aus der Manufaktur- und Impostkasse geliehene Kapitalien bis Michaelis 1756 erlassen im Schreiben Georg II. an die Kammer in Hannover vom 18. Oktober 1754, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S.
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der Kurmark Brandenburg 1740 bis 1806« festgestellten Ursache von aus heutiger Sicht fehlgeleiteten Investitionen. Der Obrigkeit fehlte das Bewusstsein von der grundlegenden Bedeutung des Kapitals im Wirtschaftsleben.1112 In Göttingen hatte der Grätzel 1766 ein zehnjähriges, zinsfreies Darlehen beantragt. Als Bedingung musste er seine im benachbarten Blanckenburg betriebene Zeugfabrik schließen und sich verpflichten, fortan weder selbst noch als Kompagnon im Ausland zu produzieren. Dies bestätigt Grätzel per eidesstattlicher Erklärung, wobei er dies wiederum verknüpft mit dem königlichen Privileg vom 18. Oktober 1754, laut dem ihm und seinen Söhnen zugestanden worden sei, elf Regimenter mit Tuch zu beliefern. Grätzel knüpft damit die Bedingung – nicht mehr im Ausland zu produzieren – für die Gewährung eines Kredits an eine weitere Bedingung. Er sei daran nur insoweit gebunden, wie er elf Regimenter mit Tuch versorgen dürfe.1113 Das ist umso dreister, da in dem erwähnten Privileg vom 18. Oktober 1754, in dem Grätzel sich zusichern lässt, dass im Umkreis einer Meile um Göttingen kein anderer Tuchmacher Camelotte und Baracan verfertigen dürfe, mit keinem Wort die Regimentslieferungen erwähnt werden.1114 Lediglich im Begleitschreiben des Königs, in dem dieser das in London unterschriebene Privileg an die Kammer in Hannover zurückschickt, wird angeschnitten, dass der Vertrag des Grätzel zur Belieferung von »neun« Regimentern mit Tuch verlängert werden solle, soweit er sich an die Vertragsbedingungen halte.1115 Vergleichbar dem Fall des Lagerhauses wird versucht, durch freie Interpretation der überlieferten königlichen Entscheidungen – auch hier handelt es sich um den Vater des aktuellen Monarchen – nie gehabte Vorrechte bestätigt zu bekommen. Hier kann keine Rede von einer bewussten Initiative und Förderung der hannoverschen Regierung sein.1116 Diether Koch geht sogar so weit, dass Grätzel den König und die Regierung unter Druck gesetzt habe, um Zugeständnisse und Privilegien zu erhalten. Grätzel habe vom König so viele Vorschüsse erhalten und nicht zurückgezahlt, dass dieser die Gefahr an
1112 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 469. 1113 Eidesstattliche Erklärung des Johann Heinrich Grätzel vom 24. Dezember 1767, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1914, S. 10. 1114 Privileg Georg II. vom 18. Oktober 1754 für Johann Heinrich Grätzel, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S. 1115 Begleitschreiben zum Privileg vom 18. Oktober 1754 Georg II. an die Kammer in Hannover in: ebd., o.S. 1116 »Die Hannoversche Regierung hatte bald erkannt, welche Fähigkeiten in diesem sächsischen Färber [Grätzel] steckten, und suchte daher ihn und sein Unternehmen zum Wohle der Allgemeinheit auf alle mögliche Art zu fördern.« Walter Höttemann, Die Göttinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1931, S. 60.
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die Wand malt, sollte die Fabrik bankrott oder ins Ausland gehen, seien die königlichen Gelder verloren.1117 Grätzel erhält, nachdem das Göttinger Manufakturgericht den Umzug der Blanckenburger Fabrik attestiert hat,1118 1768 auf zehn Jahre zinsfrei 5.000 Reichstaler von der Calenberger Landschaft und 3.000 Reichstaler aus der königlichen Kasse. Die 3.000 Reichstaler sind dabei auch als Entschädigung zu verstehen, da die in Blanckenburg mit 3.000 Reichstalern bewerteten Fabrikgebäude verkauft werden und der Erlös quasi als Abstandszahlung der Blanckenburger Regierung zukommt.1119 Zehn Jahre später verweist Grätzel darauf, dass ohne Schaden für die Fabrik eine Rückzahlung des Kredits nicht möglich sei und erbittet eine Verlängerung, die genehmigt wird. Er werde fortan jedes Jahr 500 Reichstaler zurückzahlen. Er erbittet sich, im Mai zahlen zu dürfen, da im ursprünglich geforderten Monat Februar die Frankfurter Ostermesse bevorstehe, sodass die Fabrik das wenigste Bargeld habe.1120 Die kommenden Jahre wird pünktlich – sollte die Rate nicht bis zum 17. Mai eingegangen sein, wird im Juni die ganze Summe auf einmal fällig – zurückgezahlt. 1786 wird wegen gestiegener Wollpreise ein Aussetzen der Ratenzahlung erbeten, die genehmigt wird.1121 Statt allgemein gültiger Regeln wird auf die individuellen Bedingungen der Fabrik und der Familie – nach dem Tod des Vaters Grätzel muss der erbende Sohn seine drei Geschwister ausbezahlen, was in die Bewertung mit einfließt1122 – Rücksicht genommen. Die Stadt Einbeck hatte 1739 aus einem Lizent-Überschuss der Grubenhagenschen Landschaft einen Kredit über 9.000 Reichstaler zur Sanierung des St. Jacobi Kirchturms erhalten. Als die Kriegskanzlei 1743 die Bürger und Räte bewaffneter Städte anschreibt und fragt, ob sich dort Kanonen in Stadt- oder Bürgerschaftsbesitz befinden, die angekauft werden können, erinnert man sich des Kredits. Man stellt siebzehn Kanonen und Schlangen, die mit dem Kredit verrechnet werden.1123 Zwei verschuldete preußische Regimenter sollen sich 1733, solange sie in 1117 Diether Koch, Das Göttinger Honoratiorentum vom 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhundert, Eine sozialgeschichtliche Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der ersten Göttinger Unternehmer, Göttingen 1958, S. 129f. 1118 Attest des Manufakturgerichts Göttingen vom 16. November 1767, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1914, S. 27. 1119 Bericht des Grätzel vom 23. November 1767 in: ebd., S. 23. 1120 Johann Heinrich Grätzel an die Regierung vom 22. Mai 1780, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1928, S. 25f und deren Zustimmung vom 9. April 1781 in: ebd., S. 17. 1121 Grätzel an die Regierung vom 14. August 1786, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1928, S. 11 und Zustimmung der Regierung vom 13. November 1786 in: ebd., S. 5. 1122 Bericht der königlichen Regierung an die Calenberger Landschaft vom 2. Oktober 1779 in: ebd., S. 58. 1123 Inventarliste vom 11. Mai 1743, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. IV, S. 106 und Rechnungsabwicklung ebd., S. 121.
Aktiengesellschaften
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Mecklenburg eingesetzt werden, in natura aus dem Land verpflegen. Die dadurch eingesparten Verpflegungsgelder von monatlich 3.129 Reichstaler sollen vom Massow gleich eingezogen und dazu genutzt werden, die Schulden abzutragen.1124 Aus einem Prüfauftrag, ob dies Land und Bevölkerung zuzumuten sei, ist zu ersehen, dass die Schuldenabtragung als Motiv genannt wird, die Truppen länger im Ausland stationiert zu lassen. Der kommandierende General antwortet, er werde persönlich die örtliche Ritterschaft aufsuchen und diese zur Eintreibung der Fourage hinzuziehen.1125
4.10. Aktiengesellschaften Eine weitere Möglichkeit der Kapitalbeschaffung war die Anteilszeichnung. Für eine Kapitalerhöhung des Lagerhauses kommen 1723 insgesamt 75.000 Reichstaler zusammen, die mit fünf Prozent verzinst werden. Eine Liste der Erstanteilszeichner mit jeweiliger Berufsbezeichnung ist überliefert. Darunter befinden sich viele Verwaltungsangestellte und Frauen sowie einige Militärs, die Anteile ab 100 Reichstaler zeichnen. Den größten Posten zeichnet mit 4.000 Reichstalern Sophia Dorothea Königin in Preußen, die Frau Friedrich Wilhelms I.1126 In Hannover ist ein »Grundgesetz« einer Sozietät überliefert. In Hameln war im Zuge des Siebenjährigen Krieges eine Tuchfabrik bankrott gegangen und sollte neu belebt werden. Das dazu nötige Kapital von 6.000 Reichstalern sollte durch 240 Aktien zu 25 Reichstalern aufgebracht werden. Die Manufakturkasse beteiligt sich, indem sie ein leerstehendes Fabrikgebäude im Wert von 1.675 Reichstalern zur Verfügung stellt. Dafür erhält sie 67 Aktien. Um den Rest aufzutreiben, gibt es eine Bekanntmachung, in der für die Fabrik damit geworben wird, dass an den guten Flor der Fabrik von vor dem Krieg sicher angeknüpft werden könne, »zumal zu einer Mondirungs-Lieferung sichere Hoffnung ist«1127. Die In-Aussicht-Stellung eines Liefervertrags für die Armee soll den Anteilszeichnern Sicherheit und gute Geschäfte suggerieren. Als zusätzlichen Anreiz verkündet die Manufakturkasse, in den ersten acht Jahren auf ihre Dividende zu Gunsten der anderen Interessenten zu verzichten. Im Grundgesetz der Fabrik 1124 Briefe Friedrich Wilhelm I. an Oberst van Wreech vom 18. November 1733 und an Oberst von Möllendorf vom 24. November 1733 sowie Anweisung an von Massow vom 15. Dezember 1733, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 513 A, o.S. 1125 Friedrich Wilhelm I. an Generalleutnant von Schwerin vom 15. Dezember 1733 und dessen Antwort unter gleichem Datum in: ebd., o.S. 1126 Liste der Anteilseigner zwischen 12. November und 28. Dezember 1723, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 103–107. 1127 Bekanntmachung zur Aufnahme der Melarezschen Etamin-Fabrik zu Hameln vom 15. August 1768, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S.
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Geldwesen und Preispolitik
wird festgelegt, dass die Besitzer der Aktien die Hauptversammlung bilden, die sich einmal im Jahr jeweils im Januar versammelt. Dort werden die Bücher vorgelegt, die Dividende festgelegt und andere wichtige Entscheidungen für die Fabrik mit Mehrheit der Stimmen getroffen. Die Hauptversammlung wählt drei Aufsichtsräte, die die Revision der jährlichen Rechnung vornehmen. Sie wählt zwei Direktoren aus ihrer Mitte, die als Gehalt zwei Prozent des Absatzes erhalten. Wählbar sind nur in Hameln ansässige Interessenten, die vorzügliche wohlhabende Kaufleute sein sollen. Auch sie haften mit ihrem persönlichen Vermögen. Nach Möglichkeit sollen nicht beide Direktoren gleichzeitig ausgetauscht werden, was wohl einen Versuch darstellt, Wissen zu bewahren. Aktien können verkauft oder übertragen werden, was auf dem Schein zu vermerken und den Direktoren anzuzeigen ist.1128 Hier wie auch bei der preußischen Seehandlung, die 1772 als Aktiengesellschaft gegründet wurde und von deren Anfangsaktienbestand von 2.400 Aktien Friedrich II. 2.100 im Wert zu je 500 Reichstalern zeichnete,1129 zeigt sich eine enge Verknüpfung königlicher Gelder mit der Wirtschaft. Der Gegensatz, den Wilhelm Treue zwischen der »Seite des Fürsten und des Staates und die Gegenseite des Subsidien-Unternehmers, der Stadt, der Bank und Börse, kurz, der Wirtschaft« sieht, kann nicht aufrechterhalten werden.1130 Vielmehr hat der Fürst bzw. haben die königlichen Kassen auch die Funktion einer Bank inne. Er bzw. seine Verwaltung vergibt auf Anfrage und nach Einzelfall-Prüfung des Geschäftsmodels und der Sicherheiten langfristige wie kurzfristige Kredite und beteiligt sich finanziell an Unternehmen.
4.11. Zwischenfazit Sowohl bei persönlichen Einkünften als auch bei Abgaben für das Gemeinwesen ist Geld nicht das alleinige Referenzsystem. Neben monetären Leistungen existiert ein vielfältiges Geflecht aus Rechten und Pflichten, Abgaben, Befreiungen und Erstattungen, die ein Funktionieren der Gesellschaft ermöglichen. Dieses Geflecht ist historisch gewachsen und unterliegt einer ständigen Wandlung bzw. Anpassung. Es spiegelt sich wider in einem öffentlichen Kas1128 Grundgesetz der Sozietät vom 4. Januar 1769 in: ebd., o.S. 1129 Werner Vogel, Geschichte und Wirkungskreis der Preußischen Seehandlung (Staatsbank), in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.), Die Seehandlung. Preußische Staatsbank. Handel, Verkehr, Industrie, Bankwesen, Eine Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und der Stiftung Preußische Seehandlung, Berlin 1993, S. 9–20, hier S. 10. 1130 Wilhelm Treue, Unternehmens- und Unternehmergeschichte aus fünf Jahrzehnten, Stuttgart 1989, S. 91.
Zwischenfazit
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senwesen, das aus einer Vielzahl unterschiedlicher Kassen besteht, in denen die zweckgebunden erhobenen Einnahmen verwaltet werden. Da sowohl die Höhe der Einnahmen als auch der Ausgaben schwanken, gleichen sich die Kassen untereinander aus und weichen damit die ursprüngliche Zweckbindung bis zur Unkenntlichkeit auf. Eine Trennung zwischen privaten Einnahmen des Landesherrn, aus denen dieser seinen privaten Bedarf bestreitet und öffentlichen Steuern und Abgaben zur Bestreitung staatlicher Aufgaben existiert nicht. Das eine für den Lebensunterhalt ausreichende Einkommen gab es nicht, sondern die persönlichen Einkünfte setzten sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen zusammen. Geldzahlungen machten neben Naturalien, Rechten und Privilegien nur einen Teil der zeitgenössischen Entlohnung aus. Meist beinhalteten sie eine Gewinn- bzw. besser Umsatzbeteiligung – das Erwirtschaften von Gewinn konnte nicht als Handlungsmotiv festgestellt werden – am eigenen Geschäftsbereich. Dieser Beitrag zur Mischentlohnung ist ein Grund für das vorherrschende Ressortdenken der einzelnen Funktionsträger, die ihren Funktionsbereich im Blick haben und nicht das große Ganze verfolgen. Dieses Denken wird unterstützt durch das Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführte Kassenberichtswesen und die jährliche Revision. Diese Aufstellungen können zwar den ›tatsächlichen‹ Kassenstand nicht abbilden, suggerieren aber Überblick und Kontrolle und dienen als Grundlagen für die Planungen der Obrigkeit. In Unkenntnis der Marktmechanismen und Marktpreisbildung werden menschliche Schuldige ausgemacht. An dieser Analyse orientieren bzw. gegen diese richten sich auch die ergriffenen Maßnahmen der Obrigkeit. Auch auf dem Feld der finanziellen Planung wirken diese damit aus heutiger Sicht naiv, da sie viele Einflussfaktoren nicht berücksichtigen bzw. im wahrsten Wortsinne als beherrschbar ansehen. Zur Aufrechterhaltung des Scheins der Planungen bzw. fester Preise wurden Lohnkosten und Rohstoffe subventioniert. Durch die Berichte und Revisionen müssen die Verwalter obrigkeitlicher Kassen Rechenschaft über die ihnen anvertrauten Mittel ablegen. Das Sicherheitsbedürfnis der Obrigkeit verlangt, dass nur wer persönlich bekannt und vertrauenswürdig erscheint sowie eine ausreichende Kaution stellen kann, mit landesherrlichen Kassen betraut wird. Die Kassenverantwortlichen haften damit auch privat, was dazu führt, dass diese ebenfalls für jede Bewilligung bzw. Anweisung von Mitteln – sei es als Startkredit für Wirtschaftsunternehmen oder zur Gewährung von Vorschüssen bei vergebenen Aufträgen – eine entsprechende Sicherheit fordern. Um finanzielle Förderung muss sich beworben werden. Die Vergabe erfolgt dabei nicht nach festen allgemeingültigen und rechtsverbindlichen Kriterien, sondern wird am Einzelfall entschieden. Diese Vorkehrungen können allerdings keine vollständige Sicherheit herstellen, da die frühneuzeitliche Wirtschaft und Verwaltung durch vielfältige,
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gegenseitige Abhängigkeiten miteinander verbunden ist. Durch die Gewährung eines Kredits oder Vorschusses begeben sich beide Seiten in Abhängigkeit zueinander. Daraus resultiert die Praxis, dass Aufträge der Obrigkeit vor allem an die gleichen großen und (persönlich) bekannten Unternehmer – in Preußen etwa die Kaufleute Splitgerber und Daum – vergeben wurden, da hier das Risiko eines Lieferausfalls bzw. schlechter Qualität geringer erschien. Gerade die Besitzenden und wirtschaftlich Erfolgreichen werden damit weiter unterstützt, während Besitzlosen misstraut wird. Die Obrigkeit kann auf dem komplexen Feld der Wirtschaft eben nicht willkürlich regieren und (be-)herrschen, wie es mancher Landesherr und Amtsträger im Selbstverständnis an den Tag gelegt und mancher Historiker so beschrieben hat.
5.
Autarkiestreben und Marktabschottung
5.1. Forschungsüberblick Ein Konstrukt, das sich besonders hartnäckig gehalten hat, ist das den merkantilistisch-absolutistisch Herrschenden unterstellte Streben nach Autarkie – »Es ist das Gesetz der Autarkie, von dem die Handelspolitik jener Tage ausschließlich geleitet war.«1131 Es rührt im Wesentlichen aus der durch die preußische Geschichtsschreibung am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten Umdeutung des Merkantilismus als wirtschaftlichem Machtinstrument des absoluten Monarchen zur Herstellung volkswirtschaftlicher Autarkie.1132 Die Außenhandelsbilanzpolitik – als einem Kernstück des Merkantilismus – wurde zum Instrument im nationalen Daseinskampf konstruiert, der Deutschland durch die aggressive Wirtschaftspolitik seiner Nachbarn England, Frankreich und Holland aufgedrängt worden war und in dem sich das friderizianische Preußen zum Wahrer deutscher Interessen aufschwang1133 – in der Absicht, die preußische Großmachtstellung schon auf das 18. Jahrhundert vorverlegen zu können.1134 Gustav Schmoller kritisiert dabei den Merkantilismus als aggressiven, eigentlich undeutschen Wirtschaftskrieg und führt zur Ehrenrettung Preußens an: »Es giebt nur eine Hilfe: wir müssen thun, was Holland, Frankreich und England uns 1131 Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert: in, Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 45. 1132 Wesentlich geprägt durch Gustav (von) Schmoller und fortgeführt durch seinen Schüler Otto Hintze. 1133 Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem und der wirtschaftliche Wettkampf der Staaten im 17. und 18. Jahrhundert: in, Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898. 1134 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 17.
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vorgemacht hat, wir müssen die fremden Waren ausschließen, wir müssen wieder Herr im eigenen Hause werden.«1135 Dies sei nötig, weil Deutschland zersplittert und die Reichsregierung in Regensburg unfähig sei. In dieser Deutung als Wirtschaftskriegszeitalter – welches die Religionskriege abgelöst hätte – war der Siebenjährige Krieg ein Kolonialkrieg Englands gegen Frankreich, in den »Preußens großer König hineingezogen wurde, weil er nicht dulden wollte, daß sein alter Alliierter Frankreich seinen alten Gegner England in Hannover, das heißt in Deutschland, angreife.«1136 Erst als nach Übernahme der zu verachtenden Methoden der Feinde diese besiegt gewesen seien, habe sich »unter wesentlicher Führerschaft Preußens das humanitäre Völkerrecht durchgesetzt, welches ihr Verhalten untereinander humanisiert habe«.1137 Damit habe die aggressive Wirtschaftspolitik des Merkantilismus überwunden werden können. Solche Deutungsmuster des friedliebenden Deutschlands, das mitten im Frieden vom Feind überfallen wird, trafen im Zuge des Ersten Weltkriegs und danach auf offene Ohren. Zahlreiche Dissertationen der Nachkriegszeit beschäftigen sich mit dem Autarkiegedanken und machen ihn zum Zielpunkt des historischen wie neuen Merkantilismus. Egal, ob dieser positiv,1138 negativ1139 oder vergleichweise neutral-beschreibend1140 gesehen wird, die Grundannahme bestimmt bei allen die Sicht von Schmoller und Sombart, dass das ungeeinte Deutschland im Zeitalter
1135 Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 55. 1136 Ebd., S. 49 1137 Ebd., S. 58. 1138 Die »Raumnot [in der europäischen Enge] müssen früher oder später die Umstellung zur wehrwirtschaftlichen Autarkie erzwingen.« Otto Gerlach, Der Wandel des Begriffs und der Aufgabe einer Staatlichen Autarkie als Folge zeitlicher und räumlicher Entwicklung, Würzburg 1939, S. 57. 1139 »Autarkie ist abzulehnen, da sie nur aufgrund romantisch-mittelalterlicher oder sozialistischer Gedanken vorbehaltlos erstrebt werden kann.« Der Gedanke der Autarkie sei »zutiefst antikapitalistisch«. Otto Haussleiter, Der Gedanke der Autarkie als Leitsatz der auswärtigen Handelspolitik und seine Begründung, ein Beitrag zur Geschichte einer wirtschaftspolitischen Idee, Halle 1922, im Vorwort o.S. Die merkantilistische Autarkie eine Epoche, die überwunden sei. Hans Weigmann, Die Idee der Autarkie im deutschen Merkantilismus, Kiel 1923. 1140 »Militärisch war Deutschland für den Krieg bis ins einzelne vorbereitet, auf wirtschaftlichem Gebiete fehlte es hieran fast gänzlich.« August Genth, Die preußischen Heereswerkstätten, ihre Entwicklung, allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung und ihr Übergang in privatwirtschaftliche Betriebe, Berlin 1926, S. 63. Wobei Genth feststellt, dass die Umstellung der Rohstoffversorgung im Krieg ausreichend war und der Krieg nicht deswegen verloren ging. »Beim Abschluß des Krieges, im November 1918, waren große Rohstoffbestände vorhanden, mit denen die Industrie durchschnittlich bis zum Mai 1919 in mäßiger, aber befriedigender Weise beschäftigt werden konnte;« ebd., S. 74.
Forschungsüberblick
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des Merkantilismus von Feinden umgeben gewesen sei und sich unter Preußens Führung hätte wehren müssen. Laut Schmoller war : »Das Allgemeine dieser Maßnahmen: erschwerte die Einfuhr von Industriewaren und beförderte ihre Herstellung und ihre Ausfuhr durch Verbot des Exports der Roh- und Hilfsstoffe, durch Exportprämien und Handelsverträge; man beförderte die heimische Rhederei, Fischerei und Küstenschiffahrt durch Erschwerung oder Verbot der fremden Konkurrenz, man behielt den Handel nach den Kolonien und ihre Versorgung mit europäischen Waren dem Mutterlande allein vor, man duldete die Einfuhr von Kolonialprodukten nur direkt aus den Kolonien, nicht über andere Europäische Häfen; man suchte möglichst überall direkte Verkehrsbeziehungen und förderte sie durch die mannigfachen Staatsunterstützungen, durch große privilegierte Handelscompagnien.«1141 Die Staatsräson, auf die alles Handeln ausgerichtet gewesen sei, beherrschte wiederum »die damals gehegte Ansicht, der wirtschaftliche Vorteil des einen Staates sei immer der Nachteil des andern.«1142
Dieses Grundgerüst wird dann je nach eigener politischer Sicht ergänzt. Zum Beispiel bei Gerlach, der in deutlicher Anspielung auf die Nationalsozialisten die Perspektive des Kampfes um Lebensraum mit hineinnimmt. »Mit ihm [Merkantilismus] begann ein Zeitalter realistischen Staatsdenkens«, in dem der »Traum der Welteinheit« des Mittelalters dem Konkurrenzsystem der Staaten weicht. »Es kann als Wirtschaftsform des enger werdenden europäischen Lebensraumes aufgefaßt werden«.1143 Neben der wissenschaftlich-universitären Auseinandersetzung mit Merkantilismus und Autarkie befassten sich auch die Militärs mit den Schlussfolgerungen aus der Geschichte.1144 Markus Pöhlmann fasst die Debatte über den Krieg der Zukunft in deutschen Militärzeitschriften der Zwischenkriegszeit zusammen. Auf der Suche nach Ursachen für die deutsche Niederlage – im Felde fühlte man sich ungeschlagen – wurde die Wirksamkeit der britischen Seeblockade gesehen1145 und damit die Schuld an der Niederlage auf fehlende Kriegsvorbereitungen geschoben. Durch die Erfahrungen der »Hungerblockade« und im »Steckrübenwinter« hätte diese These in breiten Teilen der Bevölkerungen 1141 Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 42. 1142 Ebd., S. 46. 1143 Otto Gerlach, Der Wandel des Begriffs und der Aufgabe einer Staatlichen Autarkie als Folge zeitlicher und räumlicher Entwicklung, Würzburg 1939, S. 18–21. 1144 Und das nicht nur in Deutschland, wie der Sammelband zeigt. Stig Förster (Hrsg.), An der Schwelle zum Totalen Krieg, die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1919– 1939, Paderborn 2002. 1145 Markus Pöhlmann, Von Versailles nach Armageddon, Totalisierungserfahrung und Kriegserwartung in deutschen Militärzeitschriften, in: Stig Förster (Hrsg.), An der Schwelle zum Totalen Krieg, die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1919– 1939, Paderborn 2002, S. 323–391, S. 316.
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Anhänger gefunden und die Abhängigkeit von Importen jedermann vor Augen geführt.1146 Die Verknüpfung der englischen Seeblockade im Ersten Weltkrieg mit der Kontinentalblockade gegen Napoleon stellte dieses britische Handeln damit gleichsam in einen historischen, gegen den Kontinent gerichteten Kontext. Daraus resultierte auf militärischer Seite die Erkenntnis, dass der Erste Weltkrieg nur zum Teil einer der Armeen war, sondern dahinter die Volkswirtschaften und wirtschaftlichen Ressourcen einen viel größeren Kampf ausfochten.1147 Das Streben nach Unabhängigkeit von Einfuhren aus anderen Staaten musste damit jede Vorbereitung auf einen kommenden (totalen) Krieg bestimmen. Im zu erwartenden Krieg musste die Ausweitung des eigenen Wirtschaftsraums eine entscheidende Voraussetzung für jede weitere Kriegführung sein.1148 In beidem konnte man im Zeitalter des Merkantilismus große und erfolgreiche Vorbilder finden. Hatte doch Friedrich der Große mit seiner von Autarkiestreben bestimmten Wirtschaftspolitik als auch in den als präventiv angesehenen Eroberungen Schlesiens und Sachsens, die die Voraussetzung für seine weitere erfolgreiche Kriegführung bildeten, gezeigt, wie man es richtig macht. Verknüpft wurden diese Gedanken der Autarkie mit romantischen Vorstellungen vom Mittelalter, autarken Burgen und Städten, die einer Belagerung standhielten.1149 Sie greifen damit den Trugschluss Werner Sombarts auf: »Der Merkantilismus ist zunächst nichts anderes als die auf ein größeres Territorium ausgedehnte Wirtschaftspolitik der Stadt.«1150 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bestimmten diese Konzepte die Vorbereitungen auf den Krieg.1151 Hitlers Streben, durch die Schaffung eines »blockadefesten Kontinentalreiches« den erwarteten ökonomischen Abnutzungskrieg führen zu können und die zum Teil nach wirtschaftlichen Erwägungen geführten Eroberungsfeldzüge, zeigen die Bedeutung, die dieser der Wirtschaft und Autarkie beigemessen hat.1152 1146 1147 1148 1149
Ebd., S. 373. Ebd., S. 340. Ebd., S. 377. Vgl. z. B. Otto Haussleiter, Der Gedanke der Autarkie als Leitsatz der auswärtigen Handelspolitik und seine Begründung, ein Beitrag zur Geschichte einer wirtschaftspolitischen Idee, Halle 1922. 1150 Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1: Einleitung, Die vorkapitalistische Wirtschaft, Die historischen Grundlagen des modernen Kapitalismus, 3. Aufl., München u. a. 1919, S. 363. 1151 Z. B. Eckart Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930–1939, Außenwirtschaftspolitische Konzeptionen zwischen Wirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg, München 1984. 1152 Sönke Neitzel, Von Wirtschaftskriegen und der Wirtschaft im Kriege, in: Dornik, Wolfram u. a. (Hrsg.), Krieg und Wirtschaft, Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert, Insbruck 2010, S. 49–66, Zitat S. 57.
Forschungsüberblick
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Schufen die Geisteswissenschaften in der theoretischen Debatte den Unterbau, wurde von den Naturwissenschaften aktiv geforscht. Günther Luxbacher untersucht im Zuge der NS-Autarkiepolitik und Kriegswirtschaft die Versuche, durch Forschung an Textilfasern die Schaffung inländischer Materialien zu ermöglichen, um die Einfuhr aus und damit Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren.1153 Unter dem Eindruck des historischen Bruchs 1945 stellt Jürg Niehans, der seine Arbeit im Krieg 1942 begonnen hat, als die »Autarkieidee noch machtvolle Gegenwart« war, fest, dass diese tot sei.1154 Er zieht einen Vergleich zwischen dem Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhunderts und der Politik des Neomerkantilismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beiden sei ein Wesensmerkmal, dass sie als Ziel des politischen Systems nicht den Wohlstand, sondern staatliche Machterhaltung hätten, der sich folglich die Wirtschaftspolitik unterzuordnen habe. Dabei sei Autarkie schon im historischen Merkantilismus »höchstens ein verherrlichtes Ideal« gewesen, das sich real nicht hätte durchsetzen lassen können. Im Neomerkantilismus sei die Autarkie geradezu »ein Hauptmittel der Wirtschaftspolitik geworden«.1155 Damit stehe »der Autarkiegedanke in zwei vielfach so ähnlichen Wirtschaftsideologien an einer so verschiedenen Stelle«.1156 In dieser Aussage wird deutlich, dass Niehans zwar zur Ehrenrettung des 17. und 18. Jahrhunderts ansetzt, aber alleine schon in der Beibehaltung der Termini – Merkantilismus und Neomerkantilismus – an der von den Nationalsozialisten konstruierten historischen Kontinuität als Vollender der friederizianischen gesamtdeutschen Machtpolitik1157 festhält. Welche Blüten diese Gleichsetzung treiben kann, sei an einem Beispiel illustriert. Nach Niehans sei das Autarkiestreben der Neomerkantilisten entstanden durch die im Ersten Weltkrieg begründete Erschütterung des »Glaube[ns] an die Zukunft des Welthandels«. Diese sei konstituierend für die Autarkie-Ideologie.1158 Die pessimistische Sicht auf die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft war durch die Wirtschaftskrise von 1929/30 noch verstärkt worden. Aus dieser Grundannahme resultiert, wer den ›historischen‹ Merkantilisten ein Autarkie1153 Günther Luxbacher, Roh- und Werkstoffe für die Autarkie, Textilforschung der KaiserWilhelm-Gesellschaft, Berlin 2004, S. 7. 1154 Jürg Niehans, Der Gedanke der Autarkie im Merkantilismus von einst und im Neomerkantilismus von gestern, Zürich 1945, S. III. 1155 Ebd., S. 222. 1156 Ebd., S. 248. 1157 Vgl. z.B. die Postkarte »Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat«, Hans von Norden, Köln 1933. http://www.dhm.de/ archiv/ausstellungen/hitler-und-die-deutschen/fuehrermythos_und_fuehrerbewegung. html, 4. Juni 2014. 1158 Jürg Niehans, Der Gedanke der Autarkie im Merkantilismus von einst und im Neomerkantilismus von gestern, Zürich 1945, S. 247.
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Autarkiestreben und Marktabschottung
streben unterstellt, muss diesen auch ein gestörtes Verhältnis zum Welthandel verschaffen. Dies tut zum Beispiel Klaus-Peter Tieck, der konstatiert: »So viel ist sicher : Preußen stand außerhalb des frühmodernen Welthandelssystems […] Seine ganze Wirtschaftspolitik trägt diesem Sachverhalt Rechnung.«1159 Damit wird das negative Bild vom gescheiterten nationalsozialistischen Streben nach Autarkie und Großraumwirtschaft dem 18. Jahrhundert übergestülpt. Diese Deutungsmuster haben sich fest gehalten und sind durch die ganze Forschungsliteratur hindurch zu beobachten. Friedrich Pohlmann, dessen Werk zu politischen Herrschaftssystemen der Neuzeit schon durch den Untertitel »Absolutismus, Verfassungsstaat, Nationalsozialismus« auf die Kontinuität zu Hitler hinweist, geht auch auf den »Merkantilismus – der Wirtschaftspolitik der absolutistischen Fürsten« ein. »Die Wirtschaft soll nicht sich selbst überlassen bleiben, sondern sie soll – mittels absolutistischer Herrschaftstechniken [»das ihm unterstellte zentralisierte Heer und das ihm allein gehorchende, spezialisierte Berufsbeamtentum«1160] – auf Herrschaftszwecke des Staates bezogen sein. Die Wirtschaft hat dem Staat, den Herrschaftszwecken des absolutistischen Fürsten, zu dienen;«1161
Das »Basalprinzip des Merkantilismus« sei das der »Unifizierung«1162, »die Einhaltung der für das Gesamtterritorium einheitlich geltenden Regeln wird von staatlichen Beamten kontrolliert.«1163 Die hier vorgenommene Unterstellung des Führerprinzips für die Wirtschaftspolitik Friedrichs II. geht an der festgestellten Lage im 18. Jahrhundert weit vorbei. Arnold Wirtgen spricht bei der Gründung der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik vom »Zuge der Bestrebungen, die wirtschaftliche Abhängigkeit Preußens auch auf dem Gebiet der Schusswaffen vom Ausland zu beseitigen«1164. Er führt zwar an, dass die benötigten Rohstoffe für die Gewehrfabrik überwiegend aus dem Ausland eingeführt werden mussten, unterstellt, »aber auch auf diesem Gebiet wollte sich Friedrich II. vom Ausland lösen«1165. 1159 Klaus Peter Tieck, Staatsräson und Eigennutz, Drei Studien zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1998. S. 67. 1160 Friedrich Pohlmann, Politische Herrschaftssysteme der Neuzeit, Absolutismus, Verfassungsstaat, Nationalsozialismus, Opladen 1988, S. 54. 1161 Ebd., S. 53. 1162 Hier orientiert sich Tieck an Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Historischsystematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1: Einleitung, Die vorkapitalistische Wirtschaft, Die historischen Grundlagen des modernen Kapitalismus, 3. Aufl., München u. a. 1919, S. 375– 393. 1163 Ebd., S. 55. 1164 Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 25. 1165 Ebd., S. 54.
Contrebande
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Für Bernd Windsheimer ist der Aufbau der Rüstungsbetriebe in Preußen eine historische Notwendigkeit. »Für den ›Plusmacher‹ Friedrich Wilhelm I. konnte es nicht angehen, die ungeheuren Summen für diesen Ankauf ins Ausland fließen zu lassen; die merkantile Wirtschaftspolitik verlangte geradezu den Aufbau von Rüstungsbetrieben im eigenen Lande.«1166 Bei Rainer Gömmel wird diese Sicht auf die gesamte Wirtschaft erweitert. »Die Förderung des Gewerbes diente auch dem Ziel der Autarkie, wie es vor allem ab 1740 in Brandenburg-Preußen unter Friedrich dem Großen deutlich zum Vorschein kam.«1167 Aber nicht nur in Preußen, auch in Kurhannover greifen noch neuere Forschungen auf alte Erklärungsmuster zurück. Jenny Mex ordnet ihre Untersuchung zum kurhannoverschen Eisenhüttenverband ein. »Das Streben nach Autarkie und die Verfolgung fiskalischer Interessen sind eng mit der merkantilistischen/kameralistischen Wirtschaftsauffassung des 18. Jahrhunderts verbunden.«1168 Für Rainer Zenke waren »die landesherrlichen Manufakturgründungen gezwungen, den herrschenden kameralistisch-ökonomischen Anschauungen gemäß auf einheimische Roh-, Brenn- und Werkstoffe zurückzugreifen, was in der Regel auf Kosten der Qualität ging. Auch wurde meist nicht das technisch, sondern finanziell günstigste Material gewählt«1169 Für Zenke stand also dem Autarkieansatz folgend die landeseigene Produktion vor dem Preis und der Qualität fest. Die einseitige Betrachtung verschließt die Augen für alternative Motive, Erklärungsmuster und Handlungszusammenhänge. Der Blick in die Quellen, wie er im Zuge dieser Arbeit geworfen wurde, erhellt hingegen ein deutlich differenzierteres Bild. Wie sich zeigen wird, kann die einfache Priorisierung Zenkes für die landesherrliche Auftragsvergabe nicht aufrechterhalten werden.
5.2. Contrebande Eine allgemeine Einführung zu den von den Zeitgenossen Contraband »aus dem Ital. contrabando, einem Verbothe zuwider« oder französisch »Contrebande« genannten »Waaren, welche in einem Lande ein= oder auszuführen verbothen sind«, bietet Krünitz. Die Landesherren verbieten die Einfuhr von Waren, weil 1166 Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 1. 1167 Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620– 1800, München 1998, S. 24. 1168 Jenny Mex, Der kurhannoversche Eisenhüttenverband und sein Markt (1765–1806), Eine volkswirtschaftliche Untersuchung, Bochum 2002, S. 25. 1169 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 50.
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Autarkiestreben und Marktabschottung
diese im eigenen Land ausreichend vorhanden sind und verhindert werden soll, dass die eigenen Untertanen auf ihren Waren sitzen bleiben. Die Ausfuhr wird verboten, weil das Warenvorkommen im eigenen Land den Bedarf der Bevölkerung nicht decken kann oder um ein Stärken des Feindes in Kriegszeiten zu verhindern. Sie schränken damit ganz allgemein die Freiheit des Handels ein, wobei Krünitz das Wohl des Untertanen, dessen Absatz aufgeholfen bzw. Bedarf gesichert werden soll, in den Vordergrund stellt. Den Wettstreit der Staaten führt er nur für den Fall eines Krieges an. Als Rechtsgrundlage der Einschränkung des Freihandels gibt Krünitz das Recht des Stärkeren an, dass »der Mächtigere den Schwächeren oft wider seinen Willen dazu zwingt« und dem Schwächeren das Berufen auf seine Neutralität, die Freiheit des Handels und der See »vergebens ist, wenn er nicht die Kräfte, sich dabey zu mainteniren, in den Händen hat.«1170 Diese Beschreibung von Krünitz deckt sich mit einem Beschwerdebrief des Kaufmanns Splitgerber an Friedrich II. im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges. Splitgerber beschwert sich beim König über dessen an die Berliner Kaufmannschaft weitergegebenen Rat, weder Engländern noch Franzosen Anlass zu geben, ihre Schiffe und Güter aufbringen zu lassen. Splitgerber bezeichnet den Handel als ein »Recht zu allen Zeiten« und bittet um einen Schutzbrief für eines seiner Schiffe, das Stabholz und polnische Wolle nach Bordeaux transportieren soll. Er bittet darum, dass bei den Engländern nachgefragt würde, was bei ihnen unter verbotene »Contrebanda« fällt. Ohne eine genaue Liste könne »man das Wort Contrebande auf alles extendieren«, sodass der Handel ohne Sicherheit sei und zum Erliegen käme.1171 Der Kaufmann erkennt dabei das Recht der Landesherren, die Ein- und Ausfuhr von Waren in ihre Landesherrschaften zu regulieren, grundsätzlich an, fordert aber eine schriftliche und rechtsverbindliche Aufstellung dieser Waren. Eine solche Liste und damit die ›gesetzliche Grundlage‹ ist bei Krünitz abgedruckt und bietet für Berlin und die Mark einen Einblick in die vielfältigen Einschränkungen des an sich freien Handels. Sie ist hier in für diese Arbeit relevanten Auszügen abgedruckt. »In den Brandenburgischen Landen, sind, nach dem Accise=Tarif für Berlin und sämmtliche Chur= und Neumärkische Städte, v. 1. Jul. 1769, folgende Waaren einzuführen verbothen: fremde Alaune; Alibanes (Indianische baumwollene Zeuge); fremde Ambosse; Armoisin (ganz seidener Bast) […]; Baumwollene Strümpfe und Mützen aus Chursachsen; Bergames (eine Art Tapeten von Wolle, Baumwolle, Leinen und Leder); […] Canefas; Canten und Spitzen; […] grobe und weiße sogenannte Futter= Cattune; gemahlte oder gedruckte Cattune; weiße Cattune zum Drucken; weißer mit seidenen 1170 Art. Contraband, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 8 (1776), S. 343–349, hier S. 345. 1171 Splitgerber an Friedrich II. vom 19. Februar 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F 4, S. 38.
Contrebande
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Blumen ausgenäheter Cattun; […]; Clevische Tücher, it. aus der Grafschaft Mark; […] Duisburger Tücher ; Eisenwaaren; Elatsches ( ein indianisch Zeug von Seide und Baumwolle); Elfenbeinerne Waaren; Englisch Flanell; Englischer Mohr ; Englisch Tuch; unächtes Erdenzeug, Fayance genannt; […]; Leder und lederne Waaren aus Sachsen; Leinwand aus Bielefeld und andern Provinzen jenseits der Weser, sowohl rohe, als gedruckte, gemahlte, gestreifte, gewichste, auch alle ausländische ganz und halb leinen Zeuge; […] Parchent; […] Schieß= Pulver ; […] fremd Salz; […] seidene Strümpfe, ohne Unterscheid; auch wollene gewebte, imgleichen Castorstrümpfe, auch die aus Wesel; […] Tücher, wollene fremde, als: Englische, Spanische, Holländische, Achener, Sächsische, auch die aus den Königl. Provinzien jenseits der Weser, incl. Castor= oder Bibertuch; […] Zeuge, alle fremde wollene, halb=seidene und halb=leinene, sie seyn glatt oder faÅonirt, picquirt oder geblümt, ganz und halbwollene und halb=baumwollene, halb=leinene und halb=wollene, oder halb=leinene und halb=baumwollene; it. halb=seidene und halb=wollene; ganz= und halb=seidene; fremder Zitz und gedruckter Kattun; fremder Zucker ; holländischer und anderer fremder Tisch= und Bett= Zwillich; auch fremd gestreift leinen Bettzeug und Drill. Was die auszuführen verbothene Waaren betrifft: so ist verbothen die Ausfuhre des Flachses; roher Häute und Felle; der Hirschgeweihe, Rinds= und Bockshörner, auch Rindsknochen und Schwänze; der Hornabgänge; des alten Kupfers; der Gerberwolle; des alten Silbers, des Specks etc.«1172
Einige Punkte, die auffallen und für die im weiteren Verlauf Erklärungen folgen sollen: Ein deutlicher Schwerpunkt wird auf Einfuhrverbote gelegt. Diese beschränken sich auf das Land, später würde man sagen die Provinz Brandenburg und auch in diesem nur auf die Städte. Wie oben dargelegt wurde, beschränkte sich die Handelskontrolle der Obrigkeit auf die mit Stadtmauern und Akzisestellen versehenen Städte. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um Textilerzeugnisse, die in einer Vielzahl uns heute nicht mehr gebräuchlicher und zum Teil auch für die Zeitgenossen erläuterungsbedürftiger Bezeichnungen für Arten und Sorten en Detail beschrieben werden. Für die meisten Waren ist die Einfuhr allgemein verboten, während bei einigen Waren eine Herkunftsbezeichnung – und auffallend häufig ist dies Sachsen – diese zusätzlich eingrenzt. Auch Waren aus anderen, dem gleichen Landesherrn unterstehenden Provinzen sind aufgeführt. Aus dieser Liste geht wenig bzw. kein Militärbedarf hervor, obwohl Berlin und die Mark Brandenburg ein wesentliches Stationierungsgebiet der königlichen Truppen und Standort der großen Gewehrfabrik waren. Sieht man ab von Tüchern bzw. Stoffsorten, die auch für Uniformen Verwendung finden können, bleibt nur das Schießpulver. Zur Einordnung bzw. um deutlich zu machen, dass auch eine derartige Liste keine vollständige (Rechts-)Sicherheit geboten hat, seien die Auswirkungen des 1172 Art. Contraband, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 8 (1776), S. 345–348.
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von Krünitz angeführten Rechts des Stärkeren an einem Beispiel aus dem Jahr 1748 illustriert. Die Kaufleute Splitgerber und Daum beschweren sich beim König, dass ein englischer Kaperer eines ihrer Schiffe trotz korrekter Zertifikate aufgebracht und nach England gezwungen hätte. Dieses Schiff sei unter neutraler schwedischer Flagge1173 für sie gesegelt und sollte eine große Menge schlesischer Leinwand und etwas Weißblech von Hamburg nach Marseille befördern. Die Engländer würden in ihrem Versuch, den Seehandel mit Frankreich und Spanien zu unterbinden, auch neutrale Schiffe aufbringen. Durch die Beschlagnahme ihres Schiffes, dem nun in England der Prozess gemacht wird, würden ihnen große Reklamationskosten entstehen – sie geben insgesamt einen Schaden von 100.000 Reichstalern an. Sie bitten den König, seinen Legationsrat in London anzuweisen, ihre Waren freizubekommen und die entstandenen Kosten dem englischen Kaperer in Rechnung zu stellen.1174 Auf diese energische Vorstellung des königlichen Gesandten, die aber keinen Effekt gehabt habe, bezieht sich die Kaufmannschaft von Stettin, von denen wenig später zwei Schiffe das gleiche Schicksal ereilt hat. Sie seien von Frankreich mit Wein auf dem Weg nach Amsterdam gewesen und hätten ein Zertifikat der französischen Admiralität, dass sie auf holländische Rechnung fahren würden. Damit hätten die Engländer ein neutrales Schiff, das auf Rechnung einer befreundeten Nation fahren würde, »welches für alle Zeiten als erlaubet gegolten«, ohne jeden Grund aufgebracht.1175 Die Handelsleute sind zutiefst verunsichert, dass sich England über das »principe des trait8s« hinwegsetzt und zur See sein Recht des Stärkeren reklamiert. Diese Praxis des Rechts des Stärkeren oder Dreisteren deckt sich mit der im Abschnitt Freipasswesen gewonnenen Erkenntnis. Nebenbei ist den Protestbriefen zu entnehmen, dass die Handelshäuser länderübergreifend europaweit tätig sind und sich nicht an ›nationalstaatliche‹ Vorgaben halten. Zur Umgehung von Handelsverboten werden Schiffe unter neutraler Flagge fahren gelassen, die Herkunft und Bestimmung der Waren verschleiert. Diese Praxis betrifft vor allem die zahlreichen, durch eine spezielle Herkunftsbezeichnung klassifizierten Waren in der Liste und zeigt die beschränkte Durchsetzungsmöglichkeit der Ge- und Verbote. Dass sich im (Schadens-)Fall, die Engländer wollen ihr erlassenes Embargo auch wirklich durchsetzen, an den eigenen Monarchen gewandt wird und diesem die Praktiken zur Umgehung landesherrlicher Anweisungen als Recht des Handels zu allen
1173 Die geschickte Nutzung der schwedischen Flagge auch bei Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg, Sozialstruktur, Bevölkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade 1700 bis 1715, Göttingen 1997, S. 59. 1174 Splitgerber und Daum an Friedrich II. vom 2. Februar 1748, in: GStA PK, I. HA, Rep. 11, Nr. 2321, o.S. 1175 Kaufmannschaft von Stettin an Friedrich II. vom 12. Februar 1748 in: ebd., o.S.
Abhängigkeit vom Ausland
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Zeiten geschildert werden, mag eine Ursache für die kritische Sicht der zeitgenössischen Entscheidungsträger auf den Handel sein.
5.3. Abhängigkeit vom Ausland Neben dem Durchsetzungsdefizit sind der frühneuzeitlichen Wirtschaftspolitik der einzelnen Landesherren und ihrer Ministerien durch die grenzüberschreitende Dimension von Rohstoffvorkommen, Wirtschaft und Handel enge Grenzen gesetzt.1176 Besonders bei den Feuer- oder Flintensteinen, die als Mengenverbrauchsgut1177 wesentliche Voraussetzung für die mit – daher der Name1178 – Flinten hauptbewaffnete Infanterie darstellt, ist weder in Hannover noch in Preußen eine Versorgung aus dem eigenen Land möglich. In Hannover fragt 1738 die Kriegskanzlei nach, ob es nicht möglich sei, Feuersteine im eigenen Land zu schlagen. Darauf antwortet der Kommandant der Festung Harburg, dass bei ihm ein alter Konstabler sei. Dieser sei der Überlebende von zwei Konstablern, die 1727 vier Wochen lang bei einem mittlerweile über 80 Jahre alten Feuerstein-Meister in Hamburg das Feuerstein-Schlagen auf Kosten der Kriegskanzlei gelernt hätten. Nach Rückkehr wären sie durch das Land gezogen und hätten etliche tausend Steine geschlagen, welche ihr Lieferant aber als zu hart empfunden habe. Die Feuersteine aus Frankreich gäben einfach besser Feuer. Zur gleichen Zeit hätte der König von Preußen für viel Geld versucht, denselben Hamburger Feuerstein-Meister nach Berlin zu holen, was dieser aber genau wie ihren Anwerbeversuch mit Verweis auf sein hohes Alter abgelehnt habe.1179 Inwieweit die Beurteilung des bisherigen Lieferanten über die Qualität der einheimischen Feuersteine zutrifft, lässt sich heute nicht mehr ergründen, zeigt aber das Strukturproblem auf, dass Sachverstand auf wenige Kundige beschränkt ist, die folglich nicht unabhängig urteilen, sondern ein eigenes Interesse an der Aussage und Wirkung ihres Gutachtens haben. Vorher wie nachher werden Feuersteine in Lieferungen zu mehreren Hunderttausend bis 1176 Zu diesem Ergebnis, das eine effektive Blockade in Verbindung mit der Möglichkeit des Schmuggelns unmöglich mache, kommt schon Jürg Niehans, Der Gedanke der Autarkie im Merkantilismus von einst und im Neomerkantilismus von gestern, Zürich 1945, S. 46. 1177 Zu Beginn der Kampagne bekam jeder Infanterist und Kavallerist drei Feuersteine, die Husaren sechs. Nach Generalplan der Artillerie und wo was hingefahren werden muss vom 25. November 1753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 21–25. 1178 »Es ist wohl nicht zu zweifeln, daß das Gewehr, welches durch Hülfe dieses Steines gezündet ward, von ihm den Nahmen Flintgewehr, Flint oder Flinte erhalten hat, (zum Unterschiede von denjenigen Gewehren, welche mit Lunten abgefeuert wurden,)« in Art. Horn-Stein, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 25 (1782), S. 279. 1179 Bericht Oberst von Walmoden an den Geheimen Rat von Steinberg vom 23. August 1738, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 157.
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Autarkiestreben und Marktabschottung
Millionen Steinen eingekauft. Krünitz schreibt dazu: »Die meisten und besten Flintensteine, welche in Deutschland verbraucht werden, kommen aus Italien, insonderheit dem venediger Gebiethe, und aus Frankreich. Weil aber bey einem ausbrechenden Kriege der Verkauf und die Ausfuhre der Flintensteine aus Frankreich, sofort verbothen wird, werden davon auch außerhalb Landes beständig ansehnliche Niederlagen, insonderheit in Holland, unterhalten.«1180 Diese Aussage deckt sich mit den im überlieferten Schriftverkehr festgestellten Lieferbeziehungen, die Frankreich1181 und Tirol1182 als Ursprungsort nennen und laut denen der Handel über Holland1183 abgewickelt wurde. Krünitz erwähnt in dem Artikel auch den erfolglosen Anwerbe-Versuch der hannoverschen Kriegskanzlei von 1727.1184 Aus dem Enzyklopädieartikel geht zudem hervor, dass es allgemein bekannt war, dass Handelshäuser bereits in Friedenszeiten Vorkehrungen trafen, um offensichtliche und erwartbare Verbote wie das der Feuerstein-Ausfuhr in Kriegszeiten zu umgehen. Im gesichteten Quellenmaterial wie in der Sekundärliteratur konnten keine Belege gefunden werden, dass in Kriegszeiten ein Mangel an Feuersteinen bestanden hätte. Neben den Feuersteinen wird auch das Blei für Kugeln im Ausland und hier vornehmlich in England, dem Marktführer beim Bleiverkauf,1185 eingekauft oder gleich fertig gegossene Kanonenkugeln aus Schweden eingeführt. Der Import läuft in Preußen über die Kaufleute Splitgerber und Daum, wie einer Auflistung der Artilleriekosten von 1746 bis 1753 zu entnehmen ist. Die Artillerie war für die Munitionsversorgung der Armee zuständig und nennt die beiden Kaufleute
1180 Art. Horn-Stein, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 25 (1782), S. 284. 1181 Z. B. Bestellung und Freipass für den Berliner Kaufmann Johann Engelhardt über vier Millionen Flinten- und eine Million Karabinersteine vom 11. Oktober 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S. 1182 Z. B. Bitte um zwei Freipässe für je 100.000 Flintensteine aus Tirol vom 15. Juli 1718, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 523 H, o.S. 1183 Bericht des Oberrüstmeisters über Preise und Qualitäten der Feuersteine in Amsterdam vom 2. Dezember 1729, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 157–160. 1184 »Im J. 1727 soll die Kriegskanzelley in Hannover einige Constabler ausgeschickt haben, um die Kunst, Flinten=Steine zu schlagen, zu erlernen; sie sollen aber nach ihrer Rückkunft vorgegeben haben, unsere inländische Hornsteine wären dazu untüchtig. Es könnte auch wohl seyn, daß diejenigen Steine, welche als Geschiebe in Flötzen vorkommen, sich leichter nach einer beliebigen Richtung spalten lassen, als die, welche einzeln gefunden werden; so wie auch letztere härter und fester als die ersten zu seyn scheinen.« Art. HornStein, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 25 (1782), S. 286. 1185 Durch die Kontinentalsperre wird der Blei-Import aus England unterbunden und die Berghandlung in Teilen Europas zum Monopolisten. Martin Stöber, Die Königlich Hannoversche Berghandlung und ihr Handel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Karl Heinrich Kaufhold, Markus A. Denzel (Hrsg.), Der Handel im Kurfürstentum/ Königreich Hannover (1780–1850) Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 213–248, hier S. 218f.
Abhängigkeit vom Ausland
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mehrfach und als einzige Lieferanten namentlich.1186 Diesen Befund bestätigen entsprechende Verträge1187 und Freipässe1188. In Hannover lagen hingegen im Harz beträchtliche Bleivorkommen, die seit 1714 von der Berghandlung abgebaut wurden. Martin Stöber stellt fest, dass der Bleiexport besonders in Kriegszeiten von in anderen Ländern ausgesprochenen Bleiimport- und Exportverboten profitierte und erhebliche Mittel in die Kassen einbrachte.1189 Das gleiche Spiel findet sich beim Pulver, das Wolfgang Seel in seiner Darstellung der preußisch-deutschen Pulvergeschichte als Beispiel für das Autarkiestreben diente. »Es mußte das Interesse des preußischen Landesherrn Friedrich Wilhelm I. sein, die Pulverfertigung in Preußen selbst anzusiedeln«1190 und für seinen Sohn »Pulvereinkäufe im Ausland vertrugen sich nicht mit den merkantilistischen Wirtschaftsprinzipien Friedrichs II.«1191 Doch wie im Folgenden gezeigt wird, handelt es sich auch hier mehr um Augenwischerei als wirkliche Unabhängigkeit und eigenständige Produktion. Die Produktion kann zwar im Inland auf der Berliner Pulvermühle nach holländischem Muster seit 1716 aufgebaut werden – der Schwefel und Salpeter wird aber weiterhin aus Ostindien über Holland beschafft. Die erfolglosen Versuche, in Preußen Salpeterhütten anzulegen, sind im Abschnitt zur Förderung des Rohstoffanbaus beschrieben.1192 Parallel ergeht aus der Artillerierechnung, dass die Berliner Pulvermühle zwischen 1746 und 1753 jährlich mit fast 40.000 Reichstalern aus der Artilleriekasse bezuschusst wird. Die gleiche Situation findet sich in Kurhannover, wo die in Harburg vom Artilleriegeneral Braun wiedererrichtete Pulvermühle der dauerhaften Unterstützung bedarf. Wie im Abschnitt zur Rohstoffgestellung durch die Obrigkeit beschrieben, wurde der Salpeter hier unter Federführung der Kriegskanzlei aus 1186 Auflistung, was zwischen 1746 und 1753 für die Artillerie ausgegeben wurde, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 82. 1187 So am 14. Dezember 1758 über 1.800 Zentner englischen Bleis zwischen von Dieskau sowie Splitberger und Daum, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 192. Kostenvoranschlag über 200.000 Mortier-Bomben in Schweden, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 70f. 1188 Freipass über 3.000 Mulden (nach Krünitz etwa 1 12 Zentner) englisches Blei vom 12. Juli 1743, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8, o.S. und über eiserne Kanonenkugeln aus Schweden vom 25. August 1749 in: ebd., o.S. 1189 Vgl. Martin Stöber, Die Königlich Hannoversche Berghandlung und ihr Handel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Karl Heinrich Kaufhold, Markus A. Denzel (Hrsg.), Der Handel im Kurfürstentum/ Königreich Hannover (1780–1850) Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 213–248, hier S. 216f. 1190 Wolfgang Seel, Preußisch-deutsche Pulvergeschichte, in: Deutsches Waffen-Journal 19 (1983) Nr. 3, S. 296. 1191 Ebd., S. 301. 1192 Von Dieskau an Friedrich II. vom 1. Dezember 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 C, o.S.
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Autarkiestreben und Marktabschottung
Holland und Kopenhagen importiert. Die Pulvermühle in Harburg geht Ende des 18. Jahrhunderts bankrott, als der Rohstoff-Nachschub aus dem Ausland abbricht wie auch schon eine Vorgängermühle auf dem Grünenplan, die 1758 wegen Salpetermangel die Arbeit einstellen muss.1193
5.4. Abhängigkeit von der Konjunktur Neben dem nötigen Rohstoff-Import verhindert die schwankende Konjunktur bei Kriegsgütern ein Autarkiestreben und führt vielmehr im Frieden zu einer Marktabschottung, um den Absatz der heimischen Produktionsstätten halbwegs aufrechtzuerhalten. Der große Unterschied zwischen Friedens- und Kriegsbedarf macht ein kontinuierliches Wirtschaften und Produzieren unmöglich. Neben mangelndem Kapital verhindert das schon beschriebene mangelnde Wissen um effektive Lagerung und Konservierung – besonders beim Pulver, aber auch bei Oxidation und Holzwurm ausgesetzten Gewehren und Fuhrwerken sowie von Motten gefährdeten Tüchern – ein Produzieren auf Vorrat. Für Preußen wird 1756 als Friedensbedarf ein Zentner Pulver pro Kompanie pro Jahr angegeben, was nicht ausreicht, um die Berliner Pulvermühle dauerhaft in Arbeit zu setzen.1194 Als Folge von Beschwerden über mangelnden Absatz der Berliner Pulvermühle verbietet Friedrich II. den Verkauf auswärtigen Pulvers nach Preußen,1195 was sich auch in der bei Krünitz abgedruckten Einfuhrverbotsliste von 1769 bestätigt. Für die Zeit nach dem Zweiten Schlesischen Krieg nennt Seel zunächst die Anregung des Königs, Pulver ins Ausland zu verkaufen. Als dies nicht ausreicht, um den Absatz der Pulvermühle zu befördern, folgt ein Jahr später ein Einfuhrverbot.1196 Für Kurhannover stellt die Kriegskanzlei 1766 einen Friedensbedarf von jährlich insgesamt 235 Tonnen Pulver fest, sodass der Bestand in den Zeughäusern und Festungen für die kommenden zwölf Jahre reiche. Sie antworten damit ablehnend auf eine Anfrage der königlichen Kammer, die um Absatz für die von ihr betriebene Pulvermühle bittet. Deren Absatz war nach dem beendeten Siebenjährigen Krieg eingebrochen, der zur Reduzierung der Truppen und Ablieferung der Pulvervorräte der Regimenter in den Magazinen geführt 1193 Bericht des Pulvermüllers Wever vom Juni 1758, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. I, S. 4. 1194 Von Dieskau an Friedrich II. vom 20. Februar 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 G, S. 9. 1195 Friedrich II. an die Kammerpräsidenten in Gumbinnen und Königsberg sowie an von Linger und von Dieskau vom 7. Juli 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 43, S. 66ff. 1196 Wolfgang Seel, Preußisch-deutsche Pulvergeschichte, in: Deutsches Waffen-Journal 19 (1983) Nr. 3, S. 294–301, S. 300.
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hatte.1197 Gleichzeitig waren die königlichen Kassen leer, sodass eine Unterstützung durch Neuankauf ausblieb, lediglich das Angebot bestand, dass altes, durch Lagerschäden verdorbenes Pulver aufbereitet werden könne.1198 Eine weitere Bitte der königlichen Kammer um Abnahme von Pulver wird von der Kriegskanzlei mit der Begründung abgelehnt, bei dieser und anderen einheimischen Pulvermühlen sei die Beschaffenheit und Stärke des Pulvers schlechter als bei auswärtigem und darauf allein käme es an.1199 Für die Kriegskanzlei ist damit ein deutliches Primat der Qualität vor der landeseigenen Produktion festzustellen, während sich die königliche Kammer, von der die Initiative zur Wiederaufnahme der betreiberlosen Pulvermühle ausgeht, vor allem um ihre ausbleibenden Pachteinnahmen sorgt. Von einem bewussten Ansiedeln von Rüstungsproduktion im eigenen Land keine Spur. Es wird nicht zum Wohl des Landes an einem Strang gezogen, sondern am eigenen Haushalt orientiertes Ressortdenken bestimmt das Verwaltungshandeln. Als der alte General Braun stirbt, zahlt der Sohn und Erbe seine Geschwister aus, gerät darüber in wirtschaftliche Schwierigkeiten und muss die Pulvermühle zwangsverkaufen.1200 Deren Rettung geht nicht von der Kriegskanzlei aus – immerhin der einzigen verbliebenen, nennenswerten Pulvermühle im eigenen Land –, sondern von den Zeughausbedienten in Harburg vor Ort.1201 Die erwähnte Pulvermühle auf dem Grünenplan wird, nachdem kein Betreiber gefunden wird, zur Ölmühle umgebaut.1202 Als Problem bei der Suche nach einem neuen Pächter wird der fehlende Absatz im Frieden klar erkannt.1203 Zu Beginn des Jahrhunderts ist der Pulververbrauch im Frieden noch geringer. Für 1706 wird dieser für Hannover mit 75 Zentnern angegeben und 1705 sogar nur mit 27 Zentnern.1204 Die jährlichen Schwankungen sind damit begründet, dass die Artillerie nur alle zwei Jahre exerziert.1205 Eine Ergänzung und 1197 Kriegskanzlei an Feldmarschall von Spoerken vom 26. November 1766, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 16f. 1198 Antwort des Feldmarschall von Spoerken vom 2. Dezember 1766 in: ebd., S. 18. 1199 Bericht der königlichen Kammer an Georg III. vom 17. März 1767 in: ebd., S. 53. 1200 Bericht des Braun an die Kriegskanzlei von Oktober 1782, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. II, S. 342. 1201 Zeughausbediente aus Harburg an die Kriegskanzlei vom 28. November 1783, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. II, S. 310. 1202 Vgl. online Findbuch zur Akte Staatsarchiv Wolfenbüttel 2 Alt, Nr. 9951. http://aidaonline. niedersachsen.de/, 24. September 2013. 1203 Königliche Kammer berichtet über die Pulvermühle an Georg III. vom 17. März 1767, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 53ff. 1204 Zeughausbestände, Abgang an Pulver 1702: 28 Zentner.; 1703: 45Z.; 1704: 38Z.; 1713: 24Z.; 1714: 15Z.; 1719: 15Z. in Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 420, 419, 490, 489, 341 und 127. 1205 Kriegskanzlei an Feldmarschall von Spoerken vom 26. November 1766, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 16f.
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Erneuerung des Vorrats ist so selten nötig, dass in der Kriegskanzlei kein Wissen um Beschaffungswege und Produktionsstätten (mehr) vorhanden ist. Diese fragt 1707 bei allen Ämtern an, ob in ihrem Verantwortungsbereich Pulvermühlen existieren, bei denen der Bedarf gedeckt werden könnte. Die Befragung ergibt, dass es keine funktionierenden Pulvermühlen im Land gibt. Die Mühlen in Hannover und Osterode seien in die Luft geflogen, kaputt bzw. reparaturbedürftig. Die Harburger Mühle sei binnen eines Jahres drei Mal in die Luft geflogen, sodass der derzeitige Betreiber, ein Hamburger Kaufmann, nur für den eigenen Bedarf mahlen lasse. In Celle hatte es eine Pulvermühle gegeben, die auf königliche Kosten von zwei aus Sedan hergekommenen Pulvermüllermeistern betrieben wurde. Diese hatten pro Monat ein festes Gehalt bezogen. Da festgestellt wurde, dass das Pulver in besserer Qualität und zu günstigeren Preisen aus Hamburg zu beziehen war, wurde die Mühle schließlich abgerissen, die Gerätschaften im Zeughaus eingelagert und die beiden Pulvermüller von der Artillerie – der Vater als Konstabler, der Sohn als Feuerwerker – übernommen.1206 Hier, wie oben bei den als Feuerstein-Schläger ausgebildeten Konstablern und dem General der Artillerie, der privat die Harburger Pulvermühle betreibt,1207 zeigt sich, dass eine klare Trennung des Zivilen und Militärischen1208 zumindest bei der Artillerie nicht festgestellt werden kann. Quereinstiege in beide Richtungen sind möglich. Außerdem zeigen diese Fälle, wie auch die an einen Hamburger Kaufmann verpachtete Harburger und die von einem Holländer betriebene Berliner Pulvermühle, dass die Pulverversorgung der Armee nicht als sensibler Bereich der Rüstungsproduktion angesehen wurde, der mit ›sicheren‹ Landeskindern zu besetzen ist bzw. dass das landesherrliche Verständnis seiner Untertanen nicht mit dem neuzeitlichen Staatsbürgerbegriff zu fassen ist. Ist der Absatz der Pulvermühlen im Frieden gering, stellt sich die Lage im Krieg entgegengesetzt dar. Der General der Artillerie von Linger muss 1744 im Lager vor Prag an Friedrich II. melden, dass die Pulvervorräte zur Neige gehen
1206 Anfrage Oberzahlkommissar Schultze an alle Amtsschreiber vom 15. Januar 1707, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 137, Vol. III, 1, S. 487 und Antwort aus Osterode in: ebd., S. 431, Harburg in: ebd., S. 480, Hannover in: ebd., S. 466 und Celle in: ebd., S. 447. 1207 Kein Einzelfall. Zenke beschreibt, dass die Königsberger Pulvermühle 1687 von einem Ober-Hauptmann gepachtet wird. In Neiße sei 1811 eine Pulvermühle von einem preußischen Generalmajor gegründet worden. Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum, Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 141. 1208 Allgemein kommt Kroll zu dem Ergebnis, dass es zahlreiche Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen Zivil- und Militärbevölkerung gegeben hat, sodass ein duales Modell die komplexe Praxis nicht abbilden kann. Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung, Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn 2006, S. 579.
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und er vorschlägt, bei der Belagerung Pulver zu sparen.1209 Aus der gleichen Akte stammt ein Schreiben des Generals, in dem er anmahnt, bei der derzeitigen Produktion würden Schwefel und Salpeter auf der Berliner Pulvermühle nur noch ein halbes Jahr reichen, sodass er dringend empfiehlt, über Splitgerber Nachschub zu ordern.1210 Seel nennt für den Siebenjährigen Krieg eine weitere, über Splitgerber abgewickelte Bestellung in Holland.1211 Vor Beginn der Kampagne 1758 beschwert sich Lingers Nachfolger Oberst von Dieskau beim König über die Infanterie. Einige Regimenter würden zur Auffüllung ihrer Bestände so viele Patronen fordern, dass er einen Mangel an Pulver und Kugeln hätte. Er bittet den König, die Regimenter zum Munitionssparen aufzufordern. Die Antwort des Königs ist harsch, das sei Dieskaus Problem, im Krieg könne man nicht auf den Munitionsverbrauch achten.1212 Allein für die Belagerung von Schweidnitz werden 6.000 Zentner Pulver veranschlagt.1213 Dem gegenüber steht die Anweisung Dieskaus an die Berliner Pulvermühle zu Beginn des Siebenjährigen Krieges, fortan kein feines Pulver mehr zu verfertigen, sondern ab sofort jährlich 5.000 Zentner ordinäres Pulver herzustellen.1214 Damit findet schon eine bewusste Umstellung von Friedens- auf Kriegsproduktion statt. Es reicht aber bei weitem nicht aus, den Bedarf der Armee zu decken, sodass Pulver im Ausland zugekauft werden muss. Zugleich erfahren wir aus der Anweisung, dass die Pulvermühlen im Frieden feineres Pulver etwa für Jagdwaffen herstellten, aber auch, dass in deren Betriebsführung massiv eingegriffen wurde. Statt eines absoluten Monarchen, der nach merkantilistischen Grundsätzen handelnd, die Pulverproduktion im eigenen Land stärkt, baut sich ein Bild auf von einer auf importierte Rohstoffe und massive finanzielle Zuschüsse aus königlichen Kassen angewiesene Pulvermühle, deren Absatz im Frieden durch Einfuhrverbote notdürftig aufrecht erhalten wird, während sie in Kriegszeiten den eigenen Bedarf bei weitem nicht decken kann. Autarkie war schon deshalb nicht herzustellen, weil die Wirtschaft stark vernetzt war und Rohstoffe europaweit gehandelt/eingekauft wurden. Gerade die Rohstoffe für Pulver und Feuersteine als unerlässliche Verbrauchsgüter für eine frühneuzeitliche, auf
1209 Von Linger an Friedrich II. vom 10. September 1744, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 83 Xx2, S. 36f. 1210 Von Linger an Friedrich II. aus dem Winterquartier in Breslau vom 27. Dezember 1744 in: ebd., S. 38. 1211 Über 20.000 Zentner. Wolfgang Seel, Preußisch-deutsche Pulvergeschichte in Deutsches Waffen-Journal 19 (1983) Nr. 3, S. 294–301, S. 301. 1212 Von Dieskau an Friedrich II. vom 10. März 1758, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 85 Ll, Vol. II, S. 54 und Antwort vom 12. März 1758 in: ebd., S. 61. 1213 Von Dieskau an Friedrich II. vom 20. Februar 1758 in: ebd., S. 142. 1214 Von Dieskau meldet an Friedrich II. vom 18. August 1756, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 G, S. 41.
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Feuerwaffen gegründete Streitmacht waren nicht in hinreichender Menge und Qualität im eigenen Land zu bekommen.1215 Das gleiche Bild zeigt sich sowohl in Potsdam-Spandau als auch in Herzberg bei den Gewehrfabriken. In Kriegszeiten sind die Fabriken ausgelastet und es häufen sich die Bestellungen im Ausland. So sprechen Splitgerber und Daum Januar 1759 beim Kommandanten von Berlin vor und schildern die Lage der Gewehrfabrik. Derzeit könnte die Fabrik wöchentlich, wenn sie sich nur auf diese beschränkt, 550 Musketier-Gewehre verfertigen. Diese Kapazität sei auch mit mehr Hilfsarbeitern nicht zu erhöhen, da die Schmieden und Essen bereits maximal ausgelastet seien und der Wasserdruck auf dem Gewehrplan keine Steigerung ermögliche. Facharbeiter seien derzeit nicht zu bekommen, da auch alle auswärtigen Fabriken voll ausgelastet seien. Unter diesen Umständen bräuchten sie für die geforderten 20.000 Gewehre 40 Wochen – wären dann aber nicht in der Lage, andere Aufträge anzunehmen. Sie empfehlen deshalb, ein Angebot des Gewehrlieferanten Schübler aus Zella anzunehmen, der binnen eines halben Jahres 8.000 Gewehre liefern könnte.1216 Dem angehängten Angebot des Schübler ist zu entnehmen, dass auch im Sachsen-Gothaschen Zella Hochkonjunktur herrscht. Der kalkulierte Gewehrpreis könne nur gehalten werden, wenn keine weiteren Großaufträge bei anderen Büchsenmachern eingehen würden, da diese die Preise für Rohstoffe und Arbeiter steigen ließen und sich die Arbeiter gegenseitig behindern würden. Eine Anmerkung der Gewehrhändler fügt sich hervorragend ins Bild, dass durch kleinteilige Auslegung Befehle und Gebote der Obrigkeit geschickt umgangen werden. Der Kriegsfeldmarschall Prinz von Zweibrücken sei derzeit mit viel Kriegsvolk in der Gegend und habe durch schriftlichen Befehl die Ausfuhr von kompletten Gewehren ausdrücklich verboten. Sie würden also zunächst die Gewehrteile produzieren und könnten diese nach Abzug der feindlichen Truppen montieren. Sollte das Kriegsvolk wider Erwarten länger bleiben, würde er die Einzelteile mit ausreichend Arbeitern nach Potsdam senden, um diese dort zusammensetzen zu lassen.1217 Bei Hassenstein sind weitere Bestellungen von Gewehren in Suhl, Zella und Holland während der Schlesischen und des Siebenjährigen Krieges aufge-
1215 Vgl. Zenke zu den Kapazitäten der Pulverherstellung »sie reichten auch zur Bedarfsdeckung der eigenen Truppen im Kriegsfall nicht aus« in Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 154. 1216 Splitgerber und Daum zur Niederschrift bei von Rochow am 31. Januar 1759, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr 89 K.k.5, S. 5. 1217 Angebot Johann Wolfgang Schneider und Jacob Friedrich Schübler aus Zella, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr 89 K.k.5, S. 6.
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führt.1218 Auch aus Hannover sind Bestellungen von Gewehren im Ausland mit dem Verweis, dass die Gewehrfabrik Herzberg ausgelastet sei, überliefert.1219 Wie anders sieht die Lage nach Friedensschluss aus. Nachdem im Januar 1766 der kommandierende General die Kapazität der Herzberger Gewehrfabrik von jährlich 3.500 auf 3.000 Gewehre drosseln lässt, wird diese im April desgleichen Jahres auf 2.000 Stück reduziert. Von diesen Auftragszahlen können die Arbeiter der Gewehrfabrik nicht leben und nebenbei erwähnt auch nicht ihre gewährten Vorschüsse – das heißt Schulden – abbezahlen. Auch der Befehl an alle Kavallerie- und Dragoner-Regimenter, ihr benötigtes Schiessgewehr bei der Herzberger Fabrik zu bestellen, kann die Auftragslage der Fabrik nicht wesentlich verbessern.1220 Trotz massiver Bedenken wird den Arbeitern darum erlaubt, auch privat auf eigene Rechnung zu produzieren. Als negativ wird gesehen, dass die Gefahr bestünde, dass neben dem herrschaftlichen Werkzeug auch herrschaftliche Materialien für private Aufträge genutzt würden. Außerdem würde die private Produktion es nahezu unmöglich machen, die Vielzahl der vorhandenen Modelle und Bauteile abzubauen und zu vereinheitlichen.1221 Der herrschaftliche Anspruch, durch Verbot auswärtiger Produktion den Missbrauch zu beschränken und durch Reduzierung der Produktpalette die Gewehrproduktion zu vereinheitlichen, müssen den realwirtschaftlichen Gegebenheiten und dem Wohl der Arbeiter angepasst werden. Aber auch das bringt nur bedingt Abhilfe. In einem Untersuchungsbericht des für die Gewehrfabrik Herzberg zuständigen Sekretärs der Kriegskanzlei bittet er die königliche Regierung um Unterstützung beim Absatz der Gewehre und fasst die Entwicklung der letzten zehn Jahre zusammen. Nach dem Siebenjährigen Krieg seien die Regimenter auf Friedensstärke reduziert und alte Gewehre auf den Zeughäusern abgeliefert worden. Die vollen Zeughäuser in Verbindung mit der leeren Kriegskasse hätten einen massiven Auftragseinbruch bei Gewehrneubestellungen zur Folge gehabt. Als Reaktion habe die Kriegskanzlei, nachdem man ungeschickte und überflüssige Gesellen entlassen habe, den Meistern der Gewehrfabrik fortan erlaubt, auch auf eigene Rechnung im Ausland Gewehre zu verkaufen. Es bestätigt sich das Bild, das Gesellen als angeworbene Hilfsarbeiter angesehen werden, denen man kündigen kann, wäh1218 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts in Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, hier S. 34f. 1219 Z. B. Freigabe für 1.000 Gewehre, die in Rotterdam bestellt werden, in Georg II. an die Kriegskanzlei vom 7. April 1761, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. III, 2, S. 142. 1220 Kommandierender General von Spoercken an Georg III. vom 28. Dezember 1764, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 86. 1221 Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei an Georg III. vom 15. April 1766, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 7, S. 21.
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rend Meister als haltenswert eine Art Kündigungsschutz genießen. Die Zahl der Meisterstellen ist begrenzt bzw. gesetzt. Durch Anstellung und Entlassung von zusätzlichen Gesellen kann sich der schwankenden Konjunktur angepasst werden.1222 Lediglich frei gewordene Meisterstellen sollten nicht neu besetzt werden. Um die Meister zu halten, seien sie angehalten worden, statt Gewehren Ambosse, Schraubstöcke und Klingen aller Art, Äxte, Beile, Schaufeln und Spaten anzufertigen. Der Kriegssekretär führt aber einige strukturelle Defizite der Gewehrfabrik Herzberg auf, die die Regierung dazu bewegen sollen, bei der Absatzsteigerung zu unterstützen. Mit den fremden Gewehrfabriken etwa in Suhl und Essen könne Herzberg vom Preis nicht konkurrieren. Man sei im Harz abgelegen von großen Flüssen – heißt nicht an das Verkehrsnetz angebunden. Die Essener und Suhler Fabriken würden von Entrepreneurs und Kaufleuten geführt, die alles auf das genaueste fertigen ließen und ihre Arbeiter zur sparsamen und fleißigen Lebensart erzogen hätten. Ihre Herzberger Arbeiter seien dagegen durch allerlei Versprechen ins Land gelockt worden und deshalb verwöhnt. Außerdem verschafften sich die Kaufleute in Suhl und Essen Absatz, indem sie ins Ausland reisen und ihre Ware anbieten würden.1223 Dies ist laut Arbeitsvertrag den Herzberger Meistern nicht erlaubt. Sie haben Residenzpflicht in Herzberg, was sicher auch deshalb erfolgte, weil die Betreiber Angst hatten, die Arbeiter würden sich ins Ausland absetzen. Die große Anzahl ausländischer Namen und Herkunftsangaben unter den Potsdamer und Herzberger Arbeitern zeigt, dass diese Sorge nicht ganz unbegründet war. Eine Sonderstellung nehmen in Preußen die Kaufleute Splitgerber und Daum ein. Deren Bankhaus ist mit einem vielseitigen Firmenkonsortium in der Realwirtschaft aktiv und unter anderem Betreiber der Gewehrfabrik in PotsdamSpandau, aber auch der mehrfach behandelten Messer- und Scheren-Fabrik bei Neustadt-Eberswalde. Sie sind Meister im Umgang mit Monarch und Verwaltung, von denen sie vielfältige Förderungen erwirken können. Es gelingt ihnen, um diese erstmalig zu bekommen, die eigene Nützlichkeit deutlich zu machen und sie beherrschen auch die Kunst, durch Klagen und Beschwerden die Umsetzung zu erwirken und bei Bedarf immer wieder an einmal gewährte Vergünstigungen zu erinnern. Bei Windsheimer – dieser zitiert nach Hassenstein und übernimmt auch dessen Lesart – sind vier Aufforderungen des Monarchen von 1743, 1753, 1781 und 1785 abgedruckt, in denen dieser seine Zoll- und Akzisebedienten auffordert, nur Produkte »es bestehe in gantz fertigen Flinthen, Carabiner, Pistholen, Säbeln, Degen, Bajonet oder in einzelnen dazugehörigen Stücken, als Schlößern, 1222 Sigrid Wadauer, Die Tour der Gesellen, Mobilität und Biographie im Handwerk vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2005, S. 16. 1223 Bericht Kriegssekretär Ramberg vom 4. April 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28ff.
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Hahnen und dergleichen einpassieren zu lassen, als welches aus der Splittgerber und Daumschen Gewehr Fabrique zu Potsdam kommt«1224. Diese königlichen Befehle sind damit Erneuerungen des Gründungsvertrags von 1722, in dem es schon sinngemäß in den Worten des beginnenden 20. Jahrhunderts geheißen hatte: »19. Die Unternehmer sollen ein staatliches Monopol auf Lieferung von Militärgewehren haben. 20. Andere Gewehrfabriken sollen im Lande nicht angelegt werden.«1225
Aus den bei Hassenstein zitierten Aufforderungen konnte man entnehmen, dass diese Erneuerungen auf Anregung der Betreiber der Gewehrfabrik erfolgt sind. So beginnt die von 1753 zitierte mit den Worten »Was die Kaufleuthe Splittgeber und Daum […] vorgestellt«1226. Da Hassenstein allerdings keine Quellenangaben anführt, sind diese zur Unterlegung seiner These des fürsorglichen Monarchen genutzten königlichen Anordnungen aus dem Zusammenhang gerissen und nur durch Zufall wieder in diesen einzuordnen. Für zwei weitere königliche Erneuerungen, von denen eine laut Windsheimer »im Wortlaut nicht bekannt ist«1227 und die hier abgedruckt wird, ist auch der Schriftverkehr, der zu deren Zustandekommen geführt hat, im Geheimen Staatsarchiv überliefert. Er zeigt, was diese »vorgestellt« haben, und belegt eindeutig die Initiative der Fabrikbetreiber. Einer Erneuerung bedarf es, so schreibt die Splitgerbersche Handlung Juli 1772, weil sie aus den fehlenden Bestellungen der Regimenter »schließen müssen, dass diese königliche Verordnung den derzeitigen Chefs der Regimenter ganz unbekannt geworden und sie sich mit fremden Gewehrstücken versorgen«1228. Außerdem wüssten sie bei der derzeitigen Auftragslage nicht, wie sie ihren Arbeitern notdürftigen Unterhalt verschaffen sollen. Als Anhang teilen sie dem König in Kopie dessen eigene Resolution von 1746 mit: »Seine Königliche Majestät in Preußen unser allergnädigster Herr, haben zwar bishero bey denen verschiedenen Umständen erlaubet, daß auch außerhalb Landes einiges Gewehr für dero Arm8e bestellet und verfertigt werden mögen. Nachdem aber höchst dieselbe nunmehro alles Ernstes wollen, daß durchaus kein Gewehr vor Dero Arm8e, es 1224 Zitat aus einem Schreiben Friedrichs II. an die kurmärkische Kammer vom 27. April 1753 nach Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 4. dort auch die weiteren Aufforderungen. 1225 Zitat nach Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts in Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 31. 1226 Zitat nach Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 4. 1227 Ebd., S. 4. 1228 Splitgerbergsche Handlung an Friedrich II. vom 25. Juli 1772, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F 4, S. 81.
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bestehe in gantz fertigen Flinthen, Carabinieres, Pistolen, Säbel, Degen oder Bajonets, oder in eintzelne dazu gehörige Stücke, an Schlössern, Hahnen und Dergleichen außerhalb Landes weiter gemacht oder bestellet werden, sondern es lediglich und absolute bey der, von Dero in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät gemachten Privilegien gelaßen, mithin alles und jedes Gewehr vor Dero Arm8e bey der Potsdamsche Gewehrfabrique, so wie vorhin bestellet und gemacht, folglich kein fremdes Gewehr für die Arm8e weiter importiert werden soll. Als hat der Commandeur Anhaltschen Regiments zu Fuß sich darauf stricte zu achten, und unter keinerley Vorwand darunter zu ermangeln. Wie denn demselben hierbey abschriftlich communicieret wird, was wegen der Accise Amter und Zoll Bediente, um darauf genaue acht zu haben, daß kein fremdes Gewehr einpassiret werde, an die Kriegs und Domainen Kammern verfüget worden. Signatum Berlin denen 17. Febr. 1746 Friedrich An den Commandanten Anhaltinische Regiments daß durchaus kein Gewehr vor das Regiment außer Landes mehr bestellet, sondern alles wie vorhin bey der Potsdamschen Gewehrfabrique gemacht werden soll. In similie an alle Regimenter Infanterie, Cavallerie, Dragoner und Husaren.«1229
Der König muss an seine eigene Verordnung erinnert und gebeten werden, deren Umsetzung anzumahnen. Zu erfahren ist, dass zu Beginn der Regierungszeit Friedrichs II. die Einfuhr erlaubt war – die Armee musste schnell vermehrt und Verluste im ersten Schlesischen Krieg ersetzt werden; die Gewehrfabrik war ausgelastet. Nach dessen Ende erinnern sich die Betreiber der Gewehrfabrik an den mit dessen Vater Friedrich Wilhelm I. geschlossenen Gründungsvertrag und bitten den König darum, diesen zu bestätigen und allen Regimentschefs sowie Zoll- und Akzisebedienten erneut bekannt zu machen. Statt einer zentralen Beschaffung sind die jeweiligen Regimentskommandeure für die Ausrüstung ihrer Einheiten zuständig. Aus den Anweisungen an die Zoll- und Akzisebedienten ist ersichtlich, dass dieses Einfuhrverbot nur für den Armeebedarf gültig ist. »Was das übrige zum Handel und Wandel oder anderen privaten Gebrauchs gehörige feine Gewehrs und Degen Klingen betrifft es möge seyn vor wen, was kosten es wolle; So bleibet demselben Einführung gegen den darauf gefasten Accise Impost nach wie vor erlaubet«
Zur Durchführung wird festgelegt, dass »Zu solchem mussen die obangeführten Atteste der Potsdamschen Gewehrfabrique dabey nicht nur ohnfehlbar produiert sondern auch genau examiert und derselben 1229 Resolution vom 17. Februar 1746 an alle Regimentschefs in: ebd., S. 82.
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Richtigkeit erkannt, bey entstehendem Zweifel aber bey denen Kaufleuthen Splitgerber und Daum nachgefraget und darüber Erklärung eingezogen werden.«1230
Die Kriegs- und Domänenkammern bekommen damit Musterexemplare eines Herkunftsscheins von der Potsdamer Gewehrfabrik ausgestellt und haben diese bei einkommender Ware genau zu vergleichen und sich im Zweifel an die Betreiber der Gewehrfabrik zu wenden. Zur Durchsetzung des Monopols ist dieses an die zuständigen Einkäufer – Regimentschefs – und Kontrolleure – Zoll- und Akzisebedienten – bekannt gemacht. Die Initiative, die Durchsetzung in Angriff zu nehmen, geht von den Nutznießern aus, die alle paar Jahre – 1743, 1746, 1753, 1772, 1781, 1785 und diese Daten decken sich auffallend mit auftragsärmeren Friedenszeiten – an ihr Monopol aus dem Gründungsvertrag von 1722 anknüpfend um eine erneute Bekanntmachung bitten. Zur Durchsetzung der Ausrüstung der preußischen Armee mit Waffen aus eigener Produktion, die den Preußenkönigen angeblich so am Herzen gelegen habe und für die sie alle Mühen in Kauf nahmen1231, bedarf es also der vorherigen Klage um ihre Absätze bangender Unternehmer. Diesen Befund decken Aufstellungen über Gewehrbestände. Die Inventarlisten der Zeughäuser und Festungen führen sächsische Karabiner, schwedische und Moskowiter Flinten auf1232 und eine Auflistung des in Ostpreußen lagernden Gewehrs führt explizit auf, dass von den insgesamt 1.014 vorhandenen Gewehren nur 304 – als 149 Flinten und 155 Karabiner – aus Potsdam seien1233. Im Generalinventar der Artillerie, das alle Festungs- und Zeughausbestände umfasst und vom General der Artillerie von Linger am Neujahrstage 1743 für das vergangene Jahr »mit Glück und Sieg meinem allergnädigsten König und Herrn« übergeben wird, sind ebenfalls viele alte und andere Gewehrbestände angeführt. Es werden aber auch Bestände neuer Suhler Flinten aufgeführt,1234 die darauf schließen lassen, dass auch noch bzw. gerade 20 Jahre nach dem Gründungsvertrag von 1722 Gewehre im Ausland bestellt werden. Dies kann entweder daran liegen, dass die Ge1230 Resolution vom 17. Februar 1746 an sämtliche Kriegs- und Domänenkammern in: ebd., S. 83. 1231 Z. B. »Für den ›Plusmacher‹ Friedrich Wilhelm I. konnte es nicht angehen, die ungeheuren Summen für diesen Ankauf ins Ausland fließen zu lassen; die merkantile Wirtschaftspolitik verlangte geradezu den Aufbau von Rüstungsbetrieben im eigenen Lande.« Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 1. 1232 Bericht von Dieskau an Friedrich II. vom 6. Dezember 1753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 D, S. 39ff. 1233 Von Lehwaldt an Friedrich II. vom 30. November 1753, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 K, S. 26ff. 1234 Generalinventar der Artillere vom 1. Januar 1743 mit Widmung des Generals von Linger für Friedrich II., in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 83 Xx2, o.S.
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wehrfabrik auch nach 20 Jahren noch nicht den heimischen Bedarf decken kann oder dass die Beschaffungsinstitutionen nach 20 Jahren und einem Regierungswechsel die Zusage, nur bei der Gewehrfabrik einzukaufen, allmählich vergessen haben. Hassensteins Aussage, »die Wirtschaftspolitik mußte sich der Staatspolitik [Friedrichs II.] unterordnen«,1235 kann unter diesen Umständen nicht aufrechterhalten werden. Ist die Auftragslage gut, scheren sich weder Unternehmer noch König um das Monopol, lassen Bestellungen im Ausland zu bzw. tätigen diese bei Kapazitätsengpässen selbst. Von einer Handlungsmaxime des Autarkiestrebens – »Es ist das Gesetz der Autarkie, von dem die Handelspolitik jener Tage ausschließlich geleitet war.«1236 – kann keine Rede sein. Damit ist zu erklären, warum in der eingangs zitierten Einfuhrverbotsliste keine Gewehre bzw. Waffen aufgeführt sind. Die Beharrung auf dem Monopol in Zeiten der Auftragsarmut und dessen Aussetzen in Zeiten von Kapazitätsengpässen sorgt bei den Produzenten, besonders in der Übergangszeit nach dem Krieg für einige Probleme, weil sich neben der Auftragslage auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für sie ändern. Während im Krieg jede Waffe dankbar angenommen wurde, steigen die Ansprüche nach dem Krieg wieder bzw. es wurde versucht, die Vorschriften und Gebote auch wirklich durchzusetzen. Ein Berliner Schwertfeger beklagt sich 1752, dass er noch große Klingenbestände auf Lager habe. Im letzten Krieg habe er den Auftrag bekommen, neue Seitengewehre für die Infanterie zu liefern, woraufhin er die benötigten Klingen in Solingen bestellt habe. Die Potsdamer Fabrik sei ausgelastet gewesen und habe diese nicht liefern können. Wegen des schnellen Friedensschlusses sei es aber nicht mehr zur Auslieferung gekommen. Nach dem Krieg habe man sich dann wieder darauf berufen, dass Klingen für die Armee nur bei Splitgerber und Daum in Potsdam bestellt werden dürften. Er bittet nun darum, ihm seine Lagerbestände – immerhin 2.542 Infanterie Säbel, 785 Dragoner Degen und 1.240 Husaren Säbel im Wert von 11.842 Reichstalern – dennoch abzunehmen.1237 Durch diese Praxis erklären sich die an Realien festgestellten auswärtigen Meisterzeichen.1238 1235 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts in Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 38. 1236 Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 45. 1237 Von Massow an Friedrich II. vom 11. Dezember 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 1238 Z. B. der Stempel eines Solinger Meisters auf einer bikonvexen Reiterklinge, die Windsheimer auf um 1750 datiert. Photo bei Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 268. Dort auch weitere
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Aber nicht nur aus verständlichem Eigeninteresse sind die Unternehmer daran interessiert, Aufträge zu bekommen. Gemäß der Betriebsverfassung haben sie auch die Verpflichtung, ihre Arbeiter, die kein festes Monatsgehalt erhalten, sondern stückweise bezahlt werden, mit Aufträgen zu versorgen. Ein festes Monatsgehalt war den Zeitgenossen ebenso unbekannt, wie eine regelmäßige Beschäftigung.1239 Doch auch Arbeitervertreter wenden sich an den Monarchen und bitten um Aufträge. 1770 wenden sich die Vertreter der Meister der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik schriftlich an Friedrich II. und beschweren sich über die Direktoren ihrer Fabrik, dass sie ihnen keine Arbeit verschaffen würden. Der König fordert darauf die Direktoren auf, ihren Arbeitern Absatz im Ausland zu verschaffen.1240 Die gleichzeitig vorgetragene Bitte der Meister um Unterstützung aus dem königlichen Kornmagazin, die einer Arbeitslosenunterstützung bzw. einem Wartegeld gleichkäme, wird rigoros abgelehnt mit dem Verweis, sie sollten sich fremde Arbeit suchen und durch verdoppelten Fleiß ihr Bedürfnis stillen.1241 Als die erhoffte Verbesserung der Auftragslage nach Ausbruch des bayrischen Erbfolgekriegs 1778 ausbleibt – bei ihnen seien lediglich 150 Gewehre die Woche bestellt worden, was bei der Menge der Arbeiter ein Gewehr pro Woche bedeute und davon könne eine Familie nicht ernährt werden – schicken die Arbeiter der Gewehrfabrik zwei Deputierte zum Winterquartier des Königs nach Breslau, um ihn (erfolglos) persönlich um weitere Aufträge zu bitten.1242 Dass die Initiative zur Marktabschottung auch von den Arbeitern ausgeht, kann schon im bei Hassenstein angeführten Zitat erkannt werden. Er zitiert: »So erließ Ihro Königliche Majestät unterm 14. Februar 1781 auf das dringende Ansuchen derer Klingen Schmiede bey der Königlichen Gewehrfabrique, welche bey denen jetzigen kleinen Königlichen Bestellungen kein Brodt hätten und außer Landes gehen müssen, durch dero General acciße und Zoll Administration ein Verboth gegen die Einbringung aller Sorten fremder Degenklingen.«1243
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Photos von Abnahme- und Meisterstempeln. Vgl. auch die Marken, Stempel und Kennzeichnungen der Sammlung des Zeughauses Berlin in Heinrich Müller, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 1: Die Bewaffnung, Brandenburg 1991, S. 225–229. Hans-Werner Holup, Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. II Merkantilismus, Kameralismus, Colbertismus und einige wichtige Ökonomen des 17. und 18. Jahrhunderts (ohne Physiokraten und Klassiker), Wien u. a. 2005, S. 18. Friedrich II. an die Direktoren der Gewehrfabrik vom 7. Dezember 1770, in: GStA PK, IV. HA, Rep. 3, Nr. 32, S. 5. Friedrich II. an die Gewehrfabrikanten vom 31. Dezember 1770 in: ebd., S. 6. Streit, wer die Reisekosten der beiden erfolglos gebliebenen Meister von 80 Reichstalern zu zahlen habe. Protokoll des Potsdamer Bürgermeisters Egerland vom 14. November 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter
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Hassenstein zieht aus diesem Zitat allerdings den Schluss, »Friedrich der Große bemühte sich, mit allen Mitteln seine Gewehrfabrik auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit zu halten.« Der zur Durchsetzung dieser königlichen Anweisung erfolgte Rechtsstreit mit der Konkurrenz würde für ihn »den damals schon vorhandenen Streit zwischen Handwerk und Fabrik drastisch beleuchten.«1244 Der König, der die – Hassenstein schreibt »seine« – Fabrik unterstützt, wird damit aus der Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts, in dem sich die Fabriken gegen die Zünfte durchgesetzt haben, auf die Gewinnerseite der Geschichte gestellt. Diesen Gegensatz aufgreifend macht die marxistisch-leninistische Forschung die Zünfte zur »Arbeiterbewegung im Merkantilismus«, welche »die Klassenkämpfe gegen das Kapital« und »die Interessenidentität von Kapitalisten und Fürsten« durch »Zunftmißbräuche« geführt hätte. Sie seien die Vorform der Gewerkschaften.1245 Zur Relativierung der Klagen – mit denen das Bild der unterdrückten Arbeiter untermalt wurde – sei angeführt, dass diese mit Hintergedanken vorgebracht werden.1246 So wenden sich die Betreiber der Gewehrfabrik 1780 an das Forstdepartement und klagen darüber, dass ihre Arbeiter unter den friedensbedingt geringen Bestellungen leiden und kaum über finanzielle Mittel verfügen würden, um damit Sonderpreise und Bevorzugung beim Brennholzeinkauf zu erwirken.1247 Mit der festgestellten Gründung der Verbote auf Beschwerden um Absatz bangender Untertanen ist die starke Fokussierung auf Einfuhrverbote zu erklären. Diese These deckt Burkhard Nolte, der anhand der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien eine geschickte und erfolgreiche Einflussnahme der schlesischen Flachsgarn- und Leinenhandelskaufleute auf die politischen Entscheidungsträger festgestellt hat, die diese mit besserem, zum Teil manipulierten Fachwissen gegenüber der »Zentrale« begründen.1248 Ausfuhrverbote – wie etwa das in der Brandenburger Liste angeführte für Hirschgeweihe – gehen ebenfalls auf Initiativen der Untertanen zurück. In dem oben behandelten Pachtvertrag für die Messer- und Scheren-Fabrik erwirkt der Kaufmann Splitgerber, dass alles im
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besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 36. Ebd. Martin Henkel, Zunftmißbräuche, Arbeiterbewegung im Merkantilismus, Frankfurt/Main 1989, S. 148. Sieht auch Joachim Radkau, Das Rätsel der städtischen Brennholzversorgung im »hölzernen Zeitalter«, in: Dieter Schott (Hrsg.), Energie und Stadt in Europa,Von der vorindustriellen ›Holznot‹ bis zur Ölkrise der 1970er Jahre, Stuttgart 1997, S. 43–75, S. 58. David Splitgerber seel. Erben an Friedrich II. vom 7. September 1780, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, S. 17. Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsräson in Preußen. Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in den westfälischen Provinzen (1740– 1786), Marburg 2004, S. 257.
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Land gesammelte Hirschgeweih zu Festpreisen an seine Messerfabrik abgeliefert werden muss, damit diese daraus Messergriffe herstellen kann.1249
5.5. Initiative und Ausgestaltung von Einfuhrverboten Anhand der Einfuhrverbote für Gewehre in Preußen wurde bereits dargelegt, dass diese weniger von Seiten des Monarchen ausgingen, sondern von um ihren Absatz bangenden Unternehmern. Diese Sicht auf die Initiativen und Ausgestaltung landesherrlicher Aus- und Einfuhrverbote soll um die kurhannoversche und ›zivile‹ Perspektive erweitert werden. Die Wirtschaftspolitik der hannoverschen Landesregierung – ein eigenes Wirtschaftsministerium gab es in Kurhannover erst ab 1786 – wird nicht mit Priorität betrieben, sondern stellt sich ebenfalls dar als reine Reaktion auf Beschwerden der Untertanen. Folglich ist sie keine Politik aus einem Guss oder nach einem festen Plan, sondern erfolgt nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Folgender Fall mag hier exemplarisch für zahlreiche, ähnlich gelagerte Fälle stehen und ein Bild auf die kurhannoversche Wirtschaftspolitik werfen. Im Mai 1753 beklagt sich die Zeug- und Raschmachergilde zu Osterode bei der Landesregierung in Hannover über mangelnden Absatz. Als Ursache hierfür hatten sie die attraktiveren Stoffe aus dem Ausland identifiziert, die dazu führten, dass die Einheimischen »sich beynahe schämen die im Lande verfertigten Zeuge zu tragen.« Der Handel mit ausländischen Stoffen betreffe mittlerweile nicht nur die zu Luxus neigenden Bürger, sondern es würde selbst »die allergeringste Dienstmagd bey einem Bauersmann Zitzes und Cattons1250, Berliner Flanell und andere ausländische Zeuge tragen.« Sie bitten deshalb darum, die Einfuhr ausländischer Luxusprodukte zu verbieten, um ihren eigenen Stoffen Absatz zu verschaffen.1251 Die Tuchmacher fordern ein Einfuhrverbot der ausländischen Konkurrenzprodukte, weil sie mit diesen nicht mithalten – ob können oder wollen sei dahingestellt. Es offenbart sich ein zugrundeliegendes Staats- und Wirtschaftsverständnis, dass bei Absatzschwierigkeiten der Mangel nicht am eigenen Geschäftsmodell gesucht wird. Statt diesem durch Werbung, bessere Qualität oder niedrigere Preise aufzuhelfen, wird die Obrigkeit dazu aufgefordert, für mehr Absatz zu sorgen. An diesem Beispiel lässt sich noch eine weitere vielgelesene These in Frage 1249 Vertrag zwischen V. Departement und David Splitgerber vom 2. Februar 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 75–81, hier Art. 17. 1250 Catton oder Kattun wird ein Baumwollstoff genannt, dessen feinere Ausführung Zitze oder Spitze, Art. Kattun, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 36 (1786), S. 10. 1251 Zeug- und Raschmachergilde zu Osterode an die königliche Regierung vom 30. Mai 1753, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1886, S. 219.
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stellen. Es waren eben nicht nur die ›neuen‹ Unternehmer und Fabriken, die sich auf Kosten der ›herkömmlichen Wirtschaft‹ durch den Staat unterstützen ließen, sondern genauso die ›alten‹ Zünfte und Gilden.1252 Es deckt sich auch mit dem erwähnten Fall einer Mützenblechbestellung in Preußen, für die die Weisung ergeht, statt einem einzigen Hersteller den Auftrag an eine Zunft zu vergeben, damit alle Meister gleichermaßen profitieren.1253 Genauso wie es nicht die ›neuen‹ Unternehmer und Fabriken waren, die für den Freihandel und gegen Beschränkungen eintraten. Die Landstände als regionale Verwaltung und die königliche (Zentral-)Regierung arbeiten in der Folge Konzepte aus, wie dieser unhaltbaren Situation entgegnet werden könne. Hierbei bemerkt die für die Stadt Osterode zuständige Calenberger Landschaft, dass man bereits 1740 die Einfuhr ausländischer Kattune verboten hatte. Es war der Interessenvertretung der Kaufleute aber gelungen, die gegen sie gerichtete Gesetzesinitiative durch Klagen wieder aufzuheben. Sie macht der Regierung deutlich, dass sich die Untertanen heimlich im Ausland mit den verbotenen Stoffen versorgen würden. Darunter litten die einheimischen und profitierten die ausländischen Krämer, während der eigentliche Zweck, die heimische Wirtschaft anzukurbeln, nicht erfüllt würde. Aus dieser Erfahrung lernend, dass ein Einfuhrverbot sich als nicht zielführend erwiesen hatte, sollte stattdessen das Tragen der »ausländischen« Stoffe verboten werden. Um den eigenen Händlern und Untertanen zu ermöglichen, ihre vorhandenen Bestände zu verkaufen bzw. aufzutragen und der heimischen Wirtschaft ihre Kapazitäten auf die Versorgung des ganzen Landes einzustellen, soll es eine Übergangszeit von fünf Jahren geben. Des Weiteren gäbe es »einige sogenannte Kaufleute, welche ihres Profits halber zum Schaden des Landes jederzeit beflissen sind«, Verbote zu umgehen. Verbiete man Kattune, fänden sie ähnliche auswärtige Waren, die sie stattdessen einführen. Man wolle ein Jahr warten, um das Verbot auch auf diese Ersatzstoffe zu erweitern.1254 Es zeigt sich die auch in Preußen beobachtete Tendenz, Kaufleute und Händler als gerissen und hinterhältig anzusehen. In der Auffassung einiger zeitgenössischer Verwaltungsangestellter sind diese Störenfriede, welche aus Gewinnsucht ihre gut gemeinten Maßnahmen bewusst unterlaufen und sabotieren würden. Aus heu1252 »Ein relativ probates Mittel gegen den Widerstand der Zünfte war die Errichtung der Manufaktur, auf die die Zunft keinen Einfluß hatte.« Die Manufaktur als Kampfmittel des Staates gegen die »konservativen und traditionsbehafteten« Zünfte in Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800, München 1998, S. 25. Ebenso »Im frühneuzeitlichen Staat erwuchs ihnen [den Zünften] ein Gegner« bei Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der Frühen Neuzeit, Oldenburg 1990, S. 16. 1253 Von Massow an Friedrich II. vom 8. Januar 1750, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 A, S. 2. 1254 Konzept zum Kattun-Verbot der Calenberger Landschaft vom 3. Dezember 1753, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1886, S. 206ff.
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tiger Sicht haben sie einfach mehr Durchblick, schauen über die Landesgrenze hinweg und nutzen die naive Wirtschaftspolitik der Landesherren – ob geschickt oder unbewusst sei ebenfalls dahingestellt – aus. Diese bezieht sich eben nur auf ihr eigenes Herrschaftsgebiet, das nicht im heutigen Sinne als zusammenhängender Flächenstaat mit durchgehender Grenze zu verstehen ist, sondern als Streubesitz mit vielen Ein- und Ausschlüssen. Wirtschaft und Handel agieren grenzüberschreitend, haben so zum einen die Möglichkeit, Verbote zu umgehen, während dies auf der anderen Seite bei mangelhafter Publikation durch die verbietende Obrigkeit oder freier Interpretation auch unbewusst geschehen kann. Die königliche Regierung in Hannover befürwortet das Konzept der Landschaft und erlässt Januar 1754 im Namen des Königs eine gedruckte Verordnung. Es wird demnach verboten, Kleidungsstücke aus Kattun oder Spitze von neuem anzukaufen. Ab dem 1. Januar 1759 sollen alle Kleidungsstücke zum Besten des Denunzianten konfisziert werden. Es wird aber nur das Tragen verboten. Den einheimischen Kauf- und Handelsleuten ist der Handel mit dem Ausland und dafür erforderlicher Besitz und Lagerung weiterhin erlaubt. Bekannt gemacht werden soll die Verordnung durch Aushängen und Verlesen von den Kanzeln jeweils an Maria Heimsuchung und am vierten Sonntag im Advent während der kommenden fünf Jahre.1255 In Ergänzung werden 4.000 Reichstaler ausgelobt, um die Produktion einheimischer Stoffe, die in nicht genügender Menge vorhanden sind, zu fördern.1256 Die Situation wird 1758 zusätzlich kompliziert, da zwei Kaufleute in Northeim, also im eigenen Land eine Kattun- und Spitzen-Fabrik gegründet haben. Sie bitten darum, einen Herkunftsschein ausgestellt zu bekommen, dass auch nach Eintreten des Trageverbots Januar 1759 ihre Waren davon ausgenommen werden. Aus deren Antrag geht weiterhin hervor, dass das Verbot von der Bevölkerung nicht so interpretiert wurde, wie es von der Regierung gemeint war. In Annahme, das Verbot des Tragens sei eines des Einkaufens, gingen die/einige Untertanen davon aus, man könne sich bis 1759 mit einem gehörigen Vorrat eindecken, der im Anschluss aufgetragen werden dürfe.1257 Zuvor hatte schon die Göttinger Kaufgilde darum gebeten, das Kattun-Verbot weiter aufzuschieben, da die Einwohner noch nicht aufgetragene Vorräte besäßen.1258 Die Landesregierung berät sich mit der Landschaft und kommt zu dem Entschluss, die Übergangszeit um ein Jahr zu verlängern. Um den Eindruck zu vermeiden, das Verbot würde ganz aufgehoben, sollte am vierten Advent die 1255 Gedruckte Verordnung vom 25. Januar 1754, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1886, S. 184. 1256 Königliche Regierung an die Calenberger Landschaft vom 26. Januar 1754 in: ebd., S. 172. 1257 Antrag Kaufleute Heinen an die königliche Regierung vom 22. Dezember 1758 in: ebd., S. 90. 1258 Kaufgilde Göttingen an die königliche Regierung vom 30. Oktober 1758 in: ebd., S. 110.
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Begründung verlesen werde, man trage den schweren Kriegszeiten Rechnung.1259 Ein Jahr später genau das gleiche Spiel. Mit Verweis auf den Krieg wird die Übergangsfrist bis zur Einführung des Verbots weiter aufgeschoben. Die Northeimer Kattun-Fabrik bekommt eine Garantie, dass auch nach Eintreten des Verbots ihre Kattune getragen werden dürfen.1260 Die königliche Regierung in Hannover und die Calenberger Landschaft sind mit Auswirkungen ihres gut gemeinten Verbots beschäftigt, während es um die eigentliche Ursache – die Anhebung des Absatzes der Wollzeugmacher in Osterode – schon lange nicht mehr geht. Warum dies so ist, erfahren wir aus einer Anfrage der Regierung an die Landschaft September 1760, ob man das Verbot nicht ganz aufheben wolle. Ungeachtet, dass das Verbot noch gar nicht greife, hätten die Wollzeugmacher in Osterode mehr Aufträge, als sie erfüllen könnten.1261 Der Krieg wird damit gegenüber den eigenen Untertanen nur als Vorwand benutzt, gesichtswahrend die Einführung des Verbots weiter aufschieben zu können, während selbst erkannt wurde, dass der erwünschte Effekt der Absatzsteigerung ohne das eigene Zutun eingetreten ist. In den nächsten zwei Jahren ist sowohl Regierung als auch Landschaft – vermutlich aufgrund der Kriegswirren – nicht mit dem Kattun-Verbot beschäftigt und erst Januar 1763 setzt sich die Calenberger Landschaft auf ihrer jährlichen Sitzung wieder mit diesem auseinander, wie wir dem Protokoll entnehmen können, in dem die unterschiedlichen Positionen festgehalten wurden. Schließlich wird per Mehrheit beschlossen, dass es schädlich für das Ansehen der Obrigkeit wäre, das Verbot nicht durchzusetzen, da der Krieg nicht als hinreichender Grund für die Aufhebung angesehen wird. Die Einführung solle aber bis Ende 1764 nochmals verschoben werden.1262 Die königliche Regierung merkt daraufhin an, dass sie praktische Probleme bei einem Trageverbot sehe. Es gäbe im eigenen Land Fabriken, die Stoffe herstellten, die äußerlich von den ausländischen nicht zu unterscheiden seien. Sie schlagen deshalb vor, eine Steuer auf Kattune einzuführen, die eigenen Fabriken aber von dieser zu befreien.1263 Dieser Vorschlag wird von der Landschaft abgelehnt. Wie schon aus dem Protokoll zu entnehmen war, gibt der Landrat von Münchhausen an, »er halte allen Licent und Impost da Handel und Werk dadurch eingeschränkt werden 1259 Calenberger Landschaft an die königliche Regierung vom 4. Dezember 1758 in: ebd., S. 97. 1260 Verlängerung der Frist vom 12. Dezember 1759 in: ebd., S. 37 und Tragegarantie vom 3. März 1760 in: ebd., S. 33. 1261 Königliche Regierung an die Calenberger Landschaft vom 25. September 1760 in: ebd., S. 30. 1262 Protokoll der Landschaftssitzung vom 28. Januar 1763 in: ebd., S. 24. 1263 Königliche Regierung an die Calenberger Landschaft vom 11. April 1763 in: ebd., S. 12.
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[für] gefährlich.« Er mache nur Ärger und im Falle des Kattuns sei er überflüssig, da dieses wieder aus der Mode komme. Lieber sollte man die Fabriken im Lande mit Prämien stärken.1264 Es wird vorgeschlagen, den Status Quo beizubehalten und der Öffentlichkeit weder von Durchsetzung noch Aufhebung des Verbots etwas zu sagen.1265 Dem stimmt die königliche Regierung zu.1266 In Bewusstsein der Unzulänglichkeit der eigenen wirtschaftspolitischen Maßnahme hatte die Landschaft zunächst noch darauf gedrängt, diese aus Prinzip durchsetzen zu wollen. Letztlich setzt sich aber die Auffassung durch, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren, es würde sich schon keiner beschweren. In Ermangelung eines eigenen Wirtschaftsressorts – dieses wurde erst 1786 gegründet – holt sich die königliche Regierung wirtschaftlichen Sachverstand bei der Landschaft in der Provinz. Die ergriffene Maßnahme hat nur Gültigkeit in einer Provinz – hier dem Fürstentum Calenberg –, wird ausgelöst durch eine Beschwerde der Untertanen, ausgearbeitet durch die Selbstverwaltung der Provinz, beeinflusst durch weitere Beschwerden der Betroffenen und aufgehoben, weil ihre Unzulänglichkeit vor Augen geführt wurde. Von einer autoritären Regierung kann hier keine Rede sein.1267 Statt einer Politik, laut der »der absolutistische Staat den Einfluß der Stände zu beschneiden suchte«1268, handelt die Regierung vielmehr mit den Landständen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in enger Abstimmung aus. Die gesamte Akte, in der der Schriftverkehr zum beschriebenen Fall überliefert ist und die sich mit der Förderung der landeseigenen Tuchfabriken von 1708 bis 1806 befasst, liest sich als eine Beschwerdesammlung der Tuchfabrikanten und Zunftvertreter, welche die Schuld an ihrer schlechten Lage auf die Kaufleute, die auswärtige Konkurrenz oder die einheimische Bevölkerung schieben. Zur Disziplinierung der Kaufleute gehen die Maßnahmen von der Einbindung in den Beschauprozess und der freiwilligen Selbstverpflichtung der Kaufleute zur Tuchabnahme bis hin zum offenen Drohen. »Man will jedoch noch zur Zeit zu einigen Zwang-Mitteln nicht schreiten, sondern von denen eingesessenen Kaufleuten annoch die Hoffnung fassen, sie werden, wo nicht aus Liebe für ihre Mit-Bürger, dennoch in Rücksicht bevorstehender näherer Vorkeh-
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Protokoll der Landschaftssitzung vom 28. Januar 1763 in: ebd., S. 24. Calenberger Landschaft an die königliche Regierung vom 3. Mai 1763 in: ebd., S. 7. Königliche Regierung an die Calenberger Landschaft vom 19. Mai 1763 in: ebd., S. 5. Die absolutistische Wirtschaftspolitik Kurhannovers anhand der Tuchindustrie hat z. B. Höttemann beschrieben. Walter Höttemann, Die Göttinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1931. 1268 Horst Carl, Okkupation und Regionalismus, Die preußischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg, Mainz 1993, S. 4.
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rungen hinführo ihre benöhtige geringe Tücher nicht mehr von auswärtigen, sondern von inländischen Fabriquen nehmen.«1269
Das Drohen mit Ein- und Ausfuhrverboten erweist sich dabei als wesentlich effizienter als das wirkliche, nur schwer durchzusetzende und leicht zu umgehende Verbot. Deutlich wird damit, dass auch in Hannover die Kaufleute und der Handel kritisch gesehen und für Missstände verantwortlich gemacht werden. Die von Radtke aufgestellte These, dass die Preußen dem Handel jede Art von Kapital- und Wertschöpfung absprachen und ihn sehr stiefmütterlich behandelt haben,1270 lässt sich auf Hannover ausdehnen. Dies mag auch daran liegen, dass die Kaufleute landesherrschaftsübergreifend tätig waren und damit im Gegensatz zu den ortsfesten Fabriken und Zünften keinen festen Ansprechpartner für ihre Interessenvertretung hatten, dem sie den Vorteil des eigenen Geschäfts hätten deutlich machen können. Dass das nicht überall der Fall war und auch Kaufleute eine Interessenvertretung hatten, zeigt eine Beschreibung der »Handels- und Gewerbepolitik«, die Stefan Kroll für Schwedisch-Pommern liefert. Dort hatte die schwedische Regierung die Einfuhrzölle auf billige Tücher erhöht. Diese wirtschaftspolitische Maßnahme war – ausgelöst durch eine Eingabe sämtlicher Tuchmacher, die sich über ihre dauernde Benachteiligung beklagt hätten – nach längerer Rücksprache mit dem Städtekonvent in Anklam eingeführt worden. Mit einem »Proteststurm« gelingt es den pommerschen Tuchhändlern, dass diese Maßnahme wieder zurückgenommen wird. Diese hatten unter anderem argumentiert, dass die mecklenburgischen Tücher eine bessere Qualität als die pommerschen Tücher aufweisen würden, die Beschränkung der Einfuhr also zum Nachteil des Landes erfolge. Dass diese Argumentation nur für den Einzelfall Anwendung fand und kein generelles Vorurteil gegen pommersche Tuche bestand, zeigt das ein Jahr später an den Wismarer Bürgermeister erteilte Privileg zur Errichtung einer Tuchmanufaktur, um die in Pommern stehenden schwedischen Dragonerregimenter mit Montur auszustatten.1271 Qualität als nicht zu greifendes Universalargument, das auswärtige Waren je nach Zielrichtung als besser oder schlechter anführt; unterschiedliche Interessenvertretungen, die sich an die 1269 Rundschreiben der Regierung vom 18. November 1748, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 1270 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 13, 469. 1271 Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg, Sozialstruktur, Bevölkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade 1700 bis 1715, Göttingen 1997, S. 59f. Dort finden sich auch weitere wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf Initiative der Untertanen ausgehen. Etwa Handelserleichterungen für pommersche Städte nach einer entsprechenden Eingabe von 1698.
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Regierung wenden; Verwaltungsangestellte, die ihr Wissen zu persönlichem wirtschaftlichen Vorteil nutzen; Initiativen aus der Provinz, derer sich die Regierung annimmt, – die Verhältnisse scheinen sich sehr zu ähneln. Die weitestgehende Form, um die gebeten wurde, war das Einfuhrverbot. Auch den zeitgenössischen Entscheidungsträgern war dessen Tragweite und die potentiellen Nebenwirkungen bewusst, sodass es nicht leichtfertig vergeben wurde, sondern an einige Voraussetzungen geknüpft war. In einem Antwortschreiben an die Regierung in Hannover macht der Landrat von Münchhausen seine Position zu Verboten deutlich und offenbart dabei ein sehr differenziertes Bild, das zeigt, dass zumindest einigen Zeitgenossen die Unzulänglichkeit von Verboten durchaus bewusst gewesen ist. Die Regierung in Hannover hatte die Calenberger Landschaft aufgefordert, Stellung zu nehmen zu einem geplanten Einfuhrverbot einiger Stoffsorten und dabei die Voraussetzungen hierfür aufgeführt: »Da es bey einem Verbot der Einführung einer ausländischen Waare darauf ankomt, daß Diese Waare hinreichend im Lande selbst zu haben sey, und Die gleiche Güte, und Zu eben den Preisen, wie die ausländische, gemacht werde, und Nach dem Verbot keine Steigerung im Preise eintreten könne, so haben Wir diese Umstände sorgfältig untersuchen laßen und es ist zuverläßig befunden worden.«
Qualität und Preis stehen hier deutlich vor der Marktabschottung. In dem Fall meint die Regierung, Preissteigerungen – heißt eine Ausnutzung der marktbeherrschenden Position – könnten »unter anderem durch die Societaets-Fabrik zu Hameln, in deren Direction Wir einen unmittelbahren Einfluß haben, sehr leicht verhindert werden.«1272 Diese Fabrik war eine 1769 auf Anregung und unter Federführung der hannoverschen Regierung als Aktiengesellschaft neugegründete Tuchfabrik zu Hameln. Einer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Tuchfabrik war durch eine Finanzspritze und einer den neuen Besitzverhältnissen Rechnung tragenden Betriebsverfassung aufgeholfen worden.1273 Damit zeigt sich hier, wie so häufig festgestellt, dass die Meldung über eine in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Fabrik die Regierung zum Handeln veranlasst. Nachdem zunächst finanziell geholfen wurde, fühlte sich die Landesregierung verpflichtet, – auch zum Schutz des eingesetzten Kapitals – weitere Fördermaßnahmen zu genehmigen. Beschwerden über mangelnden 1272 Regierung in Hannover an Calenberger Landschaft vom 9. November 1771, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1853, S. 16f. 1273 Bekanntmachung der Regierung Hannover zur Eröffnung der Sozietät vom 4. Januar 1769, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S.
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Absatz folgte der Versuch, durch ein Einfuhrverbot für ausländische Konkurrenzprodukte den Absatz der Fabrik sicherzustellen. Der Landrat von Münchhausen zeigt hingegen die Unzulänglichkeit der obrigkeitlichen Maßnahmen auf. Er stellt fest, »daß alle Verbothe dieser Art für unsere Provintz doppelt gefährlich sind: 1) Weil unser Fürstenthum dazu zu klein ist. 2) Weil die dazu gehörenden Ämter nicht einem Umfang sondern zerstreut umher liegen, sodaß die mehresten Unterthanen auf eine halbe Stunde in ein fremdes Territorium kommen können. 3) Wir verbannen also aus unseren Landesstädten allen Handel, 4) Fremde werden abgehalten bey uns einzukaufen, und ihr Geld zu uns zu bringe. 5) Hingegen werden fremde an den Gräntzen wohnende Kaufleuthe bereichert, zumahlen 6) Durch den Verboth einzelner Stücke gleich mehrere unentbehrliche Waren vertheuert oder deren Ankauf beschwehrlicher gemacht wird; hinzukommt 7) Daß selten ein Zwang eine Fabrik in Aufnahme bringet«, da »der Fabrikant aber vielleicht gar bewogen wird, weniger Fleiß anzuwenden.«1274
Münchhausen macht sehr deutlich, dass er Verbote und Zwang generell als schädlich für Wirtschaft und Handel ansieht, besonders wenn sie nicht durchgesetzt werden können. Die zersplitterten Territorien verhindern wirkungsvolle Grenzkontrollen, die Untertanen haben die Möglichkeit, schnell (innerhalb einer halben Stunde) in benachbarte Territorien zu reisen und Verbote zu unterlaufen.1275 Während sich die eigenen, einer Kontrolle unterliegenden Kaufleute an die Verbote halten müssten, könnten die Untertanen das Verbot ungestraft umgehen, wovon die grenznahen auswärtigen Kaufleute profitierten. Diese Erkenntnis deckt sich mit einer Beschwerde der Kaufgilde zu Göttingen zu einem ähnlich gelagerten Einfuhrverbot.1276 Die offenen, grünen Grenzen machen eine Kontrolle allenfalls punktuell an den Straßen möglich. Eine wirkungsvolle Kontrolle war – soweit vorhanden – auf die Stadttore und die sich dort befindenden Zoll- und Akzisestuben begrenzt.1277 Diese neben der Feindabwehr bestehende Funktion der Stadtmauern erklärt, warum nach dem Sie1274 Landrat von Münchhausen an die Regierung in Hannover vom 22. November 1771, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1853, S. 14. 1275 Münchhausen widerlegt damit das »Basalprinzip« des Absolutismus/Merkantilismus – »die Einhaltung der für das Gesamtterritorium einheitlich geltenden Regeln wird von staatlichen Beamten kontrolliert.« Friedrich Pohlmann, Politische Herrschaftssysteme der Neuzeit, Absolutismus, Verfassungsstaat, Nationalsozialismus, Opladen 1988, S. 55. 1276 Kaufgilde zu Göttingen an die Regierung in Hannover vom 19. November 1753, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1892, S. 26. 1277 Zur Funktion der Festungswerke vgl. Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995, S. 194.
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benjährigen Krieg, als die Festung Göttingen aufgehoben, die Festungswerke planiert und mit Hainbuchen bepflanzt werden, die militärisch nutzlose, mittelalterliche Stadtmauer wieder errichtet wird.1278 Die Bürger der Städte Lüneburg, Uelzen und Celle beschweren sich nach der Einführung eines neuen Zolls, dass sie unter der direkten Beobachtung der lokalen Verwaltung stünden, während der Landbevölkerung die Umgehung freistünde.1279 Die Kontrollen konnten den verdeckten Handel nicht ver-, sondern nur behindern – auch Münchhausen spricht davon, dass Verbote den Handel verteuern und beschwerlicher machen, nicht unterbinden. Die Durchlässigkeit der Stadtmauer und Festungswerke in Göttingen und den damit möglichen Steuerbetrug beschreibt Ralf Pröve und stellt ein Durchsetzungsdefizit fest, dass die »Zielsetzungen des Staates« – disziplinierende Anordnungen und Weisungen – sabotiert.1280 Zur Wirksamkeit der Kontrollfunktion der Stadttore sei der Reisebericht eines Bergsekretärs aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges angeführt, aus dem hervorgeht, dass die Stadttore abends geschlossen würden, im Krieg früher als im Frieden, sodass er nach Verspätung vor verschlossenem Tor der Stadt Goslar stand. Gegen ein entsprechendes Douceur – heute würde man Schmiergeld sagen – habe ihn der wachhabende Offizier aber dennoch passieren lassen.1281 Dieses Durchsetzungsdefizit von Zoll- und Akziseverordnungen der Obrigkeit stellt Nolte für die Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und den westfälischen Provinzen fest. Durch die geringe Gefahr des Entdeckt-Werdens wegen ungenügender Sicherheitssysteme und inneffizienter Beamter verlören die hohen Strafandrohungen ihre abschreckende Wirkung und führten bei gleichzeitig hohen Gewinnmargen zu einer Schmuggelbereitschaft der Bevölkerung.1282 Über die fehlende Durchsetzung hinaus führt Münchhausen an, dass das Verbot einzelner Produkte und die Beschränkung auf einzelne Provinzen nur für Verwirrung sorgen würden. Diese Praxis resultiert aus der Wirtschaftspolitik, die eben nicht nach einem großen Plan und aus einem Guss erfolgte, sondern ausgelöst wurde durch Beschwerden einzelner Untertanen. Die Beschränkung 1278 Bericht der Stadt Göttingen über die Kriegsauswirkungen vom 22. Dezember 1766, in: HStA H, Dep. 113, Nr. 23, o.S. 1279 Denkschrift ohne Ort und Datum zu einem Schreiben der drei Städte an Georg III. von Oktober 1768, in: HStA H, Dep. 113, Nr. 23, o.S. 1280 Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert, Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995, S. 200ff. 1281 Reisebericht des Bergsekretärs Meyer aus Goslar vom 19. Oktober 1757, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 90, Vol. I, S. 14. 1282 Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsräson in Preußen. Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in den westfälischen Provinzen (1740– 1786), Marburg 2004, S. 258f.
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auf eine Provinz ergab sich dadurch, dass die Regierung in Unwissenheit der Auswirkungen ihrer Maßnahmen zunächst Versuchsballons steigen ließ und Verbote zeitlich und örtlich begrenzt wurden. Dies deckt sich auch mit der Schlussformel mancher königlicher Erlasse: »Schließlich reservieren sich Seine königliche Majestät dieses Reglement, nach künfftig vorkommenden Umständen zu verändern, solches zu vermehren, oder zu verminden, und, wenn es die Nothdurfft erfordern sollte, dasselbe gar wiederum zu cassieren und aufzuheben.«1283
So wird auch das geforderte Verbot – man hat nicht auf die Meinung Münchhausens gehört – zunächst im Fürstentum Calenberg für drei Jahre auf Probe eingeführt und auf Strümpfe beschränkt.1284 Aus diesen auf den Einzelfall zugeschnittenen Verboten resultiert die auch an der bei Krünitz abgedruckten Liste für Preußen festgestellten Kleinteiligkeit der Verbotslisten.1285 Dies animiert wiederum die Spitzfindigkeit für ein Umgehen der Verbote durch wörtliche Auslegung. Wenn beschossene Läufe verboten sind, versucht man diese ohne Beschusszeichen einzuführen;1286 sind ganze Gewehre verboten, werden die Einzelteile ausgeführt;1287 sind bestimmte Stoffsorten verboten, werden diese durch solche mit ähnlichen bzw. gleichen Eigenschaften, aber anderen Namen ersetzt1288 oder die Verbote werden mit fantasievollen Ausreden umgangen. Landwehr beschreibt die Umgehung von Bekleidungsvorschriften in Florenz, statt dem verbotenen Hermelin trage man Winterwiesel, statt Knöpfen Boutons.1289 Ein milderes Mittel als Einfuhrverbote ist die Belegung mit Einfuhrzöllen. Die 1283 Hier aus »Königlich=Preußisches Reglement, Vor die in Alten=Stettin zu etablirende publique Spinn=Schule«, Stettin 1723, S. 22f in Churfürstl Brandenb. und Königl. Preuss. Landesverord. 1720–1728 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Abteilung Historische Drucke – 4 ’’ Gr. 3515R. 1284 Calenberger Landschaft an die königliche Regierung vom 20. Februar 1772, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1853, S. 7. 1285 Sie widerlegt eindeutig generalisierende Aussagen: »Indem so durch die Gesamtausrichtung der staatlichen Handelspolitik ganze Zweige der einheimischen gewerblichen Produktion vor ausländischer Konkurrenz geschützt wurden« Friedrich Pohlmann, Politische Herrschaftssysteme der Neuzeit, Absolutismus, Verfassungsstaat, Nationalsozialismus, Opladen 1988, S. 57. 1286 Anfrage der Kriegskanzlei bei der Regierung in Sachsen-Gotha vom 25. Januar 1735, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 234. 1287 Zwei Gewehrhändler aus Zella an Splitgerber und Daum, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr 89 K.k.5, S. 6. 1288 Bericht der Kaufgilde Göttingen über das Kattun-Verbot vom 30. Oktober 1758, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1886, S. 110. 1289 Achim Landwehr, Policey vor Ort, Die Implementation von Policeyordnungen in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit in Klaus Härter (Hrsg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt/Main 2000, S. 47–70, S. 47f.
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Füllung herrschaftlicher Kassen ist hierbei allenfalls ein Nebeneffekt. Diese Deutung der finanziellen Einnahmen aus Einfuhrzöllen als positiven Nebeneffekt für die herrschaftliche Kasse widerspricht grundlegend der gängigen Auffassung der Vertreter des Merkantilismus. Für diese ist oberster Zweck aller staatlichen Zwangsabgaben die Füllung des Staatsschatzes, um damit die Machtmittel des Absolutismus – Heer und Bürokratie – zu finanzieren.1290 Es geht vielmehr um die Verteuerung auswärtiger Produkte mit dem Ziel, die einheimischen zumindest für die eigene Kundschaft konkurrenzfähig zu machen. In einem Edikt von 1708 erwähnt Kurfürst Georg Ludwig explizit, dass das Ziel der Einfuhrzölle – Impost oder Lizent genannt – sei, die Händler davon abzuschrecken, sich auf der nächsten Messe mit auswärtigen Tuchen einzudecken. Man wolle stattdessen den Verkauf der Waren der mit großen Kosten angelegten einheimischen Tuchmachereien fördern.1291 Diese Verteuerung wird auch kritisch gesehen. So schreibt die hannoversche Landesregierung, dass durch Einfuhrzölle nur die Waren verteuert würden. Der eigentliche Sinn, die inländischen Manufakturen zu stärken, würde hingegen nicht erfüllt, sodass sie die Göttinger Landschaft bitten zu prüfen, ob ein gänzliches Einfuhrverbot vielleicht zielführender sei.1292 Eine weitere Form der Einfuhrzölle zeigt die Förderung der Wachstuch-Fabrik, an der deutlich wird, dass von Seiten der politischen Entscheidungsträger ein großes Misstrauen vorherrschte und Vergünstigungen nicht leichtfertig vergeben wurden. Ein bemittelter Hamburger Kaufmann hatte sich an die hannoversche Regierung gewandt, weil er einen seiner Söhne im Hannoverschen ansiedeln wollte. Er bittet die Regierung, eine Wachstuch-Fabrik gründen zu dürfen und verlangt zu deren Unterstützung die Belegung ausländischer Wachstuche mit einer Steuer oder aber eine Befreiung der Abgaben des zur Herstellung nötigen Öls. Die Anlegung wird genehmigt. Der Unternehmer hatte um keinen finanziellen Zuschuss gebeten, sondern wollte sein eigenes Kapital aufwenden. Was die Befreiung angeht, ist man misstrauisch. »Man hat mich aber mit guten Vertröstungen bißhero hingehalten und erst erwarten wollen, wie seine Fabric von statten gehen, und was für beyfall sie finden würde.« schreibt der besagte Sohn einige Jahre später und bittet erneut um Befreiung. Er be1290 So z. B. »Im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik Friedrichs II. stand […] die Steigerung der fiskalischen Einnahmen zur […] Erhaltung des Regierungssystems [Absolutismus].« in Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsräson in Preußen, Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in den westfälischen Provinzen (1740– 1786), Marburg 2004, S. 266. 1291 Edikt Kurfürst Georg Ludwig vom 13. April 1708, in: HStA H, Hann. 74 Bleckede (w), Nr. 192, S. 3. 1292 Regierung in Hannover an die Göttinger Landschaft vom 19. Oktober 1751, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1892, S. 93.
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gründet dies damit, dass er gegenüber auswärtigen Wachstuch-Fabriken nicht konkurrenzfähig sei.1293 Da er die Qualität seiner Wachstücher und damit die Nützlichkeit für das Land als wesentliche, immer wieder geforderte Voraussetzung nachgewiesen hat, soll die Landschaft die Fördermöglichkeiten prüfen und vor allem acht darauf geben, wie Missbrauch verhindert werden könne. Zunächst wird dazu aufwendig festgestellt, wie viel Öl zur Herstellung eines Wachstuches gebraucht wird. Dazu werden Erkundigungen bei Wachstuch-Fabriken im Ausland eingeholt und mit einer Wachstuch-Herstellung in Beisein des zuständigen Lizent-Einnehmers verglichen. Diese festgestellte Menge Öl ist die Grundlage, nach der dem Wachstuch-Fabrikanten der gezahlte Lizent erstattet wird. Im Gegenzug hat der Lizent-Einnehmer jedes Wachstuch in der Mitte zu stempeln. Auswärtiges Wachstuch, das eingeführt werden soll, wird hingegen mit einer Nachzahlung belegt für den Lizent auf Leinwand und Öl, das zu seiner Herstellung im Inland fällig gewesen wäre.1294 Die so genannte Restitution – das heißt Erstattung gemachter Ausgaben – ist ein beliebtes Mittel, um Missbrauch zu vermeiden. Hier sollte mit der Beschränkung auf tatsächliche Ausgaben verhindert werden, dass mit einer allgemeinen Abgabenfreiheit Leistungen erschlichen werden. Statt auswärtige Tuche mit einer allgemeinen Einfuhrsteuer zu belegen, müssen deren Materialien bei Einfuhr faktisch nachversteuert werden. Nachteil dieser Maßnahme ist ein hoher Verwaltungsaufwand.
5.6. Stempel, Siegel und Abnahmezeichen Die Stempelung des Wachstuchs durch den Lizent-Einnehmer nach der Entrichtung der entsprechenden Abgaben bzw. hier der Erstattung der zuvor gemachten Ausgaben schneidet ein vielschichtiges Kapitel frühneuzeitlicher Beeinflussung der Wirtschaft an. Schon beim Kattuntrageverbot wurde angeschnitten, wie die Obrigkeit erfolglos versuchte, die Schwierigkeit zu bewältigen, ein Trageverbot für ausländische Waren einzuführen, die auch im eigenen Land hergestellt wurden. Um Einfuhrverbote bei durchlässigen Grenzen1295 überhaupt 1293 Pro Memoria der Calenberger Landschaft für die Regierung in Hannover vom 14. November 1752, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1894, S. 5. 1294 Stellungnahme der Calenberger Landschaft an die Regierung in Hannover vom 14. Dezember 1752, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1894, S. 1 sowie Edikt der Regierung in Hannover für die Fürstentümer Calenberg und Grubenhagen vom 6. April 1753, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 1295 Der Aussage von Kunisch ist zu widersprechen, dass durch die »planmäßige Durchführung einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik […] die Landesgrenzen […] schärfere Kontur« erhielten und damit die »Ausprägung des souveränen, institutionell gefestigten Flächen- und Anstaltsstaates« vollendet wurde. Johannes Kunisch, Absolutismus, Euro-
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durchsetzen zu können, werden Herkunftsstempel eingeführt, die eine Zuordnung der äußerlich kaum zu unterscheidenden Waren auch nach dem Grenzübertritt möglich machen sollen. Diese werden entweder auf einem mitzuführenden Attest oder auf der Ware selbst angebracht – etwa auf dem Gewehrlauf eingeschlagen oder als Siegel auf der Stoffbahn. Als 1787 für zunächst sechs Jahre die Einfuhr ausländischer Friese im Fürstentum Lüneburg verboten wird, zeigt sich aus den Ausführungsbestimmungen, dass aus Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde. Das Edikt lässt sowohl Händlern wie Untertanen Spielraum. Einheimische Händler, die Friese im Angebot führen, haben sich sofort auf einem Akzise-Amt zu melden, um ihre vorhandene Ware anzuzeigen und siegeln zu lassen. Jedem Fries ist fortan ein Attest der Fabrik und eines der landschaftlichen Rezeptur des Herkunftsortes beizugeben. Andernfalls sind diese zu konfiszieren. Jeder Untertan, der nicht gesiegelte Friese angeboten bekommt, hat diese zurückzuweisen. Sollten auf einem Jahrmarkt keine einheimischen Friese verkauft werden, ist der Verkauf ausländischer nach Anzeige an die Obrigkeit gestattet. Untertanen, die in der Nähe zur Grenze wohnen, dürfen sich ihren Eigenbedarf im Ausland decken, diesen aber nicht weiterhandeln.1296 Damit sind die potentiellen Kritikpunkte und Durchsetzungsdefizite schon von vornherein eingeschlossen. Hier wird sowohl die Deckung des Eigenbedarfs entkriminalisiert als auch den Beschwerden über mangelnde Versorgung Wind aus den Segeln genommen, dass in diesem Fall die ausländischen Waren zugelassen werden. Zur Unterstützung des Einfuhrverbots wird eine Schauordnung erlassen.1297 Diese soll die Qualität sicherstellen und damit den Untertanen das Argument nehmen, die im Inland produzierten Friese seien qualitativ minderwertig. Diese Qualitätssicherung ist neben dem Herkunftsnachweis das große Einsatzfeld entsprechender Kennzeichnungen. Damit kann der Verbraucherschutz als Motiv obrigkeitlicher Wirtschaftsaufsicht festgestellt werden.1298 In Braunschweig-Lüneburg wird 1712 eine Zinnordnung erlassen, in deren Präambel Bezug darauf genommen wird, dass es dem Laien als Käufer bei rein äußerlichem Anblick des Zinns nicht möglich sei, Rückschlüsse auf die Qualität und den angemessenen Preis zu erhalten. Es werden folglich drei Güteklassen des Zinns eingeführt und mit festen Preisen versehen. Um Missbrauch zu verhinpäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien R8gime, Göttingen 1986, S. 94. 1296 Edikt Georg III. vom 23. März 1787, verlängert für weitere sechs Jahre am 10. Juni 1793, in: HStA H, Hann. 74 Bleckede (w), Nr. 192, S. 16. 1297 Reglement wegen Schau- und Siegelung der in Lüneburg verfertigten Friese vom 29. Oktober 1787, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 1298 Dies deckt sich mit der Erkenntnis für Braunschweig-Wolfenbüttel bei Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806), Braunschweig 1980, S. 484.
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dern und das verkaufte Zinn dem Meister klar zuordnen zu können, ist dieses mit dem Stadtwappen, dem Meisterwappen und dem Preis zu versehen.1299 So soll nebenbei auch die Preisbildung ausgeschaltet werden. Ebenfalls dem Verbraucherschutz geschuldet ist eine Verordnung von 1717, dass Kupferkessel keine eisernen Füße, Ohren, noch starke eiserne Ringe haben dürfen. Dies rührt daher, dass Kupferkessel nach Gewicht verkauft wurden und man den Machern und Händlern unterstellte, das günstige, aber schwerere Eisen zu nutzen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Die Erneuerung der Ordnung von 1739 zollt dem geänderten Brauch Rechnung, dass Kupferkessel nunmehr nicht nach Gewicht, sondern Aussehen verkauft werden. Der Verkauf nach Gewicht wird gänzlich verboten. Dafür werden zweckmäßige Tragevorrichtungen aus Eisen, die man als nötig erkannt hat, wieder zugelassen, während unnötige Verzierungen weiterhin verboten bleiben. Die Händler bekommen eine Frist von einem halben Jahr, um ihre alten ungestempelten Waren zu verkaufen. Ab Ostern dürfen nur noch die mit dem dieser Verordnung beiliegenden Stempel gezeichneten Waren verkauft werden.1300 In Parallele zu ähnlichen Fällen kann, ohne dass der entsprechende Schriftverkehr hinzugezogen worden wäre, aus dem Zusatz, dass das Handelsverbot für Juden von 1717 explizit bestehen bleibe, geschlossen werden, dass bei Aufstellung des Verbots den jüdischen Händlern und Hausierern die Schuld am Missbrauch gegeben wurde. Der Käufer bzw. Verbraucher, dem nicht zugetraut wird, qualitative Unterschiede der Waren beurteilen zu können, soll hier vor den Produzenten und Händlern, denen prinzipieller Wille zum Betrug unterstellt wird,1301 geschützt und gleichzeitig zum bedenkenlosen Kauf animiert werden. Zur Sicherstellung der Qualität werden von der Obrigkeit Schau- und Siegelstellen eingerichtet, in denen vereidigte Meister als Fachleute mit ihrem Zeichen und Stempel die geprüfte Qualität beweisen sollen. Neben dem Meisterstempel wird in Kurhannover bei Schneidwerkzeugen ein Pferde-Stempel eingeführt, den es nur gibt, wenn zwei von der Obrigkeit vereidigte Schaumeister die Qualität der Sensen, Äxte und Messer geprüft haben. Die Sensenschmiede hatten zuvor mehrfach geklagt, dass sie ihre Waren nicht abgesetzt bekämen.1302 In die gleiche Richtung gehen die Schau- und Siegel-Ordnungen für Tuche, 1299 Kurfürstlich Braunschweig-Lüneburgische Zinn-Ordnung vom 5. Dezember 1712, in: HStA H, Hann. 74 Fallersleben, Nr. 8, o.S. 1300 Erneuerung zur Verordnung des Kupfer und Messing Handels im Fürstentum Lüneburg vom 13. September 1739 in: ebd., o.S. 1301 Vgl. im politischen Testament Friedrichs II. die Aussagen zur fehlenden Produktehrlichkeit der Produzenten nach Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, 51f. 1302 Erlass der Regierung in Hannover vom 2. Juni 1710 und Ergänzungen vom 10. Februar 1720 sowie 21. März 1733, in: HStA H, Hann. 74 Fallersleben, Nr. 8, o.S.
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die zahlreich überliefert sind.1303 Auf sie werden von der Obrigkeit bestellte Beschaumeister vereidigt, die für die Qualitätskontrolle der Waren zu sorgen haben. Die Kontrollkriterien sind dabei ebenso genau festgeschrieben wie die zu verteilenden Strafen. »Wann die Schau- und Siegel-Meister diese und dergleichen Fehler finden, sind sie befugt, dem Meister, welchem das Tuch gehöret, solches ernstlich zu verweisen, da aber die Erinnerung fruchtlos, oder der Mangel gar zu grob seyn würde, selben mit einer kleinen Geld-Buße von 3. bis 12. Mariengroschen, der Gilde zum besten,(…) , zu bestrafen.«
Es wird der Praxis gefolgt, nicht gleich zu bestrafen, sondern zunächst eine Ermahnung oder Erinnerung vorzuschalten bzw. die Möglichkeit zum Nachbessern zu geben. Waren, bei denen eine Nachbesserung nicht möglich erscheint, werden an die Armen verteilt. Den Schaumeistern werden bei nachsichtiger Abnahme hohe Strafen angedroht. Bei Verletzung der Unparteilichkeit droht der Verlust des Amtes und eine empfindliche Geldstrafe. So soll sichergestellt werden, dass die Käufer sich darauf verlassen können, nur gute Waren zu bekommen. Der Abnahmeprozess ist mit einem Stempel nachzuweisen. Wer ungestempelte Tücher zu verkaufen versucht, muss vier Reichstaler Strafe zahlen. Dass die Strafzahlungen an die Gilde gehen, wird damit begründet, dass bei der Erstellung von schlechten oder dem Vertrieb ungeprüfter Waren der Ruf der Gilde leide. Sie fließen in eine Kasse der Gilde, mit der in Not geratene Gildemitglieder unterstützt werden. Diese Vorabnahme ist nötig, da es ein Rückgaberecht oder Gewährleistung nicht gibt, sondern die Waren wie gesehen verkauft werden. Aus dem Jahr 1748 ist die Einführung eines vierzehntägigen Gewährleistungsrechts mit Rücknahmegarantie aus Göttingen zwar überliefert, hat aber eine andere Stoßrichtung als den Verbraucherschutz. Die Kaufleute waren ihrer Selbstverpflichtung, alle einheimischen Tuche abzunehmen, nicht nachgekommen, woraufhin ihnen – die Regierung hatte Bedenken, ein angedrohtes Verbot der Einfuhr ausländischer Tuche auch wirklich durchzusetzen – der Einkauf durch ein Gewährleistungsrecht schmackhaft gemacht werden sollte. Durch einen Faktor sollte in Göttingen ein Tuchlager eingerichtet werden, deren Waren mit dem Siegel »Göttingische Land-Tuch-Fabric« gekennzeichnet würden. Sollten dennoch Fehler an den Waren gefunden werden, könnten diese zurückgegeben werden. Verantwortlich sind die Schaumeister, an die sich der die Reklamation abwi-
1303 Z. B. das »Reglement Wegen Schau- und Siegelung der Land-Tücher, item für die Tuchscherer und Presser zu Göttingen« vom 11. Dezember 1737, aus dem die folgenden Zitate stammen, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S.
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ckelnde Faktor zu wenden habe.1304 Die Verantwortung geht damit wie bei den Gewehren durch den Abnahmeprozess und die Stempelung mit dem Landessiegel von den herstellenden Meistern an die landesherrlich vereidigten Schaumeister über. Ziel ist neben der Schaffung von klaren Verantwortlichen, die Untertanen von der Qualität der eigenen Waren zu überzeugen und zum Kauf zu animieren. In der Präambel des Schau- und Siegel-Reglements für die Tuchund Zeugmacher zu Einbeck wird das Ziel klar angesprochen: die Absatzsteigerung der Einbeckschen Woll-Manufacturen.1305 Vorausgegangen waren jeweils Beschwerden der einheimischen Produzenten, dass die Untertanen auswärtige Waren als qualitativ hochwertiger bevorzugen und den eigenen misstrauen würden. Durch Anbringung eines von der Obrigkeit approbierten Siegels (z. B. zur Versiegelung von Transportbehältnissen und auf Stoffballen), Prägezeichens (bei Metallerzeugnissen) oder Stempels (auf begleitenden Papieren) soll dieses dem Käufer die Gewissheit geben, dass die enthaltenen Waren von obrigkeitlich bestellten Fachleuten geprüft wurden und bedenkenlos gekauft werden können. Da, wie im Kapitel zu Natur und Rohstoffen dargelegt, die nicht zu fassende Qualität nur als Ausrede genutzt wurde, um sich nicht festlegen zu müssen, konnten natürlich auch diese Maßnahmen keine wirkliche Abhilfe schaffen. Als Unterkategorie des Verbraucherschutzes kann der Markenschutz genannt werden. Der Göttinger Tuchfabrikant Grätzel hatte sich das Privileg erbeten, dass in der Stadt und im Umkreis einer Meile bestimmte Stoffsorten nur von seiner Fabrik hergestellt werden durften. Im Ausland vertreibe seine Fabrik unter dem Namen Göttinger Camelot Fabrik, sodass man dort Waren aus Göttingen mit seiner Fabrik in Verbindung bringe. Diese Kunden würden getäuscht, wenn andere Göttinger Fabriken schlechte(re) Waren mit Herkunft Göttingen angäben. Die hannoversche Regierung gibt Grätzel Recht und weist die Stadtobrigkeit an, dessen lokale Konkurrenz mit 50 Goldgulden Strafe zu belegen.1306 Die Strafzahlung geht zur Hälfte an den klagenden Grätzel, um wie bei der Gilde den der Fabrik entstandenen Schaden auszugleichen. Andere Herkunftsbezeichnungen sind überliefert. So macht die kurhannoversche Regierung 1739 nach Missbrauchsvorfällen allen Ämtern bekannt, welche Stempelbilder Ware als aus dem Harz kommend legitimieren, was wie-
1304 Erlass der Regierung Hannover vom 12. November 1748, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 1305 Schau- und Siegel-Reglement für die Tuch- und Zeugmacher zu Einbeck vom 24. Januar 1769 in: ebd., o.S. 1306 Johann Heinrich Grätzel an die königliche Regierung vom 9. Mai 1777 und deren Anweisung an den Göttinger Stadtsekretär vom 6. Juni 1777, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S.
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derum nur für Waren der Communion Kupfer und Messing Hütte erlaubt wird.1307 Zur Durchsetzung ist die Bekanntmachung unabdingbar. Die gedruckten obrigkeitlichen Verordnungen, denen meist ein Abdruck des Stempelbildes beigefügt ist, werden an die jeweils betroffenen Ämter verteilt. Bei den Ämtern sind ganze Sammlungen von gedruckten Verordnungen, zum Teil mit handschriftlichen Ergänzungen und Nachbesserungen der kommenden Jahre überliefert. Die im Archiv festgestellten Unterschiede in diesen Sammlungen sprechen dafür, dass nicht jede Bekanntmachung in jedem Amt angekommen zu sein scheint. Für die Bekanntmachung ›privater‹ Siegel an die jeweils zuständigen Ämter, aber auch Grenzstätten ist der Nutznießer verantwortlich. Als der Inspektor Forckel die Barchend-Fabrik in Hinterpommern übernimmt, ergänzt er das bisherige Fabriksiegel mit seinen Initialen »I[ohann].G[eorg].F[orckel].« und sendet dem V. Departement zwei Bögen mit insgesamt 60 Abdrücken des neuen Siegels mit der Bitte, dieses den nötigen Bedienten bekannt zu machen.1308 Warum diese sich noch in der Akte befinden und nicht verteilt wurden, ist dem überlieferten Schriftverkehr nicht zu entnehmen. Eine andere Deutung und sicher ein Nebeneffekt der Beschau und Siegelung ist natürlich die Kontrolle über die heimische Wirtschaft. Für Werner Sombart ist die »Unifizierung« eines der drei Wesensmerkmale der merkantilistischen Wirtschaftspolitik des absolutistischen Fürstenstaats. Die geforderte Einheitlichkeit biete dem Staat die Möglichkeit, als Aufsichts- und Kontrollorgan umfassenden Einfluss auf die Wirtschaft auszuüben und damit seinen Machtanspruch deutlich zu machen bzw. zu festigen.1309 Für August Genth, der die preußischen Heereswerkstätten untersucht, hat die Abnahme und klare Haftung die »Bestimmung, welche die Ueberlegenheit des Staates hervorkehrte« und damit »unlautere Elemente fernhalten.«1310 Für Zenke ist es das wesentliche Motiv des Staates, in Potsdam-Spandau und Herzberg mit entsprechenden Beschuss-Stempeln die Abnahme zu regeln, dass der Qualitätskontrolle durch die
1307 Erneuerung zur Verordnung des Kupfer und Messing Handels im Fürstentum Lüneburg vom 13. September 1739, in: HStA H, Hann. 74 Fallersleben, Nr. 8, o.S. 1308 Inspektor Forckel an das V. Departement vom 25. Oktober 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 202ff. 1309 Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1: Einleitung, Die vorkapitalistische Wirtschaft, Die historischen Grundlagen des modernen Kapitalismus, 3. Aufl., München u. a. 1919, S. 375–393. 1310 August Genth, Die preußischen Heereswerkstätten, ihre Entwicklung, allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung und ihr Übergang in privatwirtschaftliche Betriebe, Berlin 1926, S. 47.
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Produzenten nicht mehr vertraut wird.1311 Der oben beschriebene Blick in die Akten zeugt aber davon, dass dies nur eine Seite der Medaille war. Die Initiative ging weniger vom Monarchen aus als vielmehr von den Handwerkern und Produzenten selbst, die sich durch die erbetene öffentliche Qualitätsbestätigung Absatzsteigerungen erhofften. Sie dient auch der Einbindung vermeintlicher Störenfriede. Solches ist z. B. bei den Tuchhändlern zu beobachten. Diese beklagen sich bei der hannoverschen Regierung über mangelnden Absatz und schieben die Schuld daran auf die Kaufleute. Ein Kattun-Fabrikant aus Northeim beklagt sich, dass die Kaufleute wahre Fabrikfeinde seien, die den Untertanen Ekel vor einheimischen Waren machen würden.1312 Um dem entgegenzutreten und die Kaufleute zum Handel mit heimischen Fabrikwaren zu bewegen, hatte die hannoversche Regierung schon 1753 eine Verordnung erlassen, laut der die Kaufleute an den Schau- und Siegelstuben zu beteiligen wären.1313 Damit wollte man bewirken, dass die Kaufleute in den Qualitätssicherungsprozess eingebunden wären und ihnen die Möglichkeit nehmen, gering über die heimische Produktion zu sprechen. Diese Praxis wird auch bei der 1768 erfolgenden Erneuerung des »Reglement Wegen Schau- und Siegelung der Land-Tücher, item für die Tuchscherer und Presser zu Göttingen« mit aufgenommen.1314 Neben der Anpassung an die »gegenwärtigen Zeit- und Local-Umstände« folgt eine deutlich detailliertere Auflistung der zu prüfenden Fehlermöglichkeiten nebst aufgeführten Mindeststrafen und die Festlegung der Kommission. Diese hat aus zwei Meistern zu bestehen, die nicht zu sehr verwandt und verschwägert sein dürfen und einem des Tuchhandels kundigen Kaufmann. 1737 hatte es noch geheißen, zwei wohl kundige Meister der hiesigen Tuch- und Raschmachergilde, die ohne Parteilichkeit und Ansehen der Person sowie ohne Nebenabsicht und privaten Nutzen die Tuche zu prüfen haben. Zwei Kaufleute sollten lediglich anwesend sein. Auch die oben erwähnte Beteiligung des Berliner Lagerhauses durch Proben am Vertrieb der für das Landeswohl nützlich angesehenen Rohstoffe geht in die gleiche Richtung. Die Beschau und Siegelung ist ein Instrument der obrigkeitlichen Wirtschaftsförderung, mit der versucht wurde, den Beschwerden der heimischen Produzenten über mangelnden Absatz der eigenen Erzeugnisse zu begegnen und deren Absatz zu steigern. Sie werden ad absurdum geführt, wenn auf Antrag des 1311 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 38. 1312 Friedrich Chr. Heinen aus Northeim an die Regierung vom 17. Februar 1763, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1887, S. 80. 1313 Georg II. vom 27. März 1753, in: HStA H, Dep. 7 B, Nr. 1892, S. 32. 1314 »Reglement Wegen Schau- und Siegelung der Land-Tücher, item für die Tuchscherer und Presser zu Göttingen« vom 11. Dezember 1737 und Erneuerung vom 8. April 1768, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S.
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Fabrikbetreibers dieser einen Stempel oder Siegel erhält, mit dem er selber oder einer seiner Angestellten den landesherrlichen Akt der Abnahme bezeugen kann. Der Kaufmann Splitgerber erbittet als eine Bedingung zur Übernahme der betreiberlosen Messer- und Scheren-Fabrik in Neustadt-Eberswalde um ein königliches Fabrikensiegel, mit dem er seine eigenen Waren als königlich kennzeichnen könne, um den Absatz zu befördern und sich selber Freipässe ausstellen zu können.1315 Auch der Betreiber der Barchend-Fabrik in Friedrichshuld, Hinterpommern bekommt ein Fabriksiegel, mit dem er fertige Waren selbst kennzeichnen kann. Ihm kommt damit die Aufgabe zu, die Herkunft und Qualität seiner eigenen Fabrikwaren zu bezeugen. Unter großem Protest wird ihm dieses Privileg 1791 wieder entzogen. Fortan muss er seine Waren in die nächste Stadt bringen und dort von den Akzise-Einnehmern gegen eine geringe Gebühr siegeln lassen.1316 Dies ist auch die ›normale‹ Praxis, dass ein bei der Obrigkeit Angestellter Stempel und Siegel innehat und wenn er nicht selbst über den Sachverstand verfügt, zumindest bei der Beschau anwesend ist. In Lüneburg haben zwei vereidigte Meister jeden Montagnachmittag auf der Walckmühle die Abnahme im Beisein der zuständigen Magistratsperson, die Stempel und Siegel in ihrer Obhut hat, durchzuführen.1317
5.7. Exkurs: Export von Kriegsmaterial Für die historische Forschung stellte der Militärbedarf einen Sonderfall dar. In der zitierten Auflistung finden sich keine Güter, die im heutigen Sinne1318 Rüstungsgüter gewesen wären. Eine klare Trennung zwischen Militärbedarf und zivilen Gütern konnte im 18. Jahrhundert nicht festgestellt werden.1319 Bei ihrer 1315 Übernahmevertrag zwischen dem Kaufmann David Splitgerber und dem V. Departement vom 2. Februar 1753, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CDXXXIX, Nr. 11, Bd. 1, S. 75–81, hier §19 und im Entwurf des Splitgerber vom 14. Dezember 1752 in: ebd., S. 33–37 hier §12. 1316 Minister von Struensee an Forckel vom 16. November 1791, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 150. 1317 Reglement wegen Schau- und Siegelung der in Lüneburg verfertigten Friese vom 29. Oktober 1787, in: HStA H, Cal.Br. 23 b, Nr. 561, o.S. 1318 Vgl. Liste für Waffen, Munition und Rüstungsmaterial sowie Liste für national erfasste Dualuse Güter als Anlage der Außenwirtschaftsverordnung vom 2. August 2013 in Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 45, ausgegeben zu Bonn am 5. August 2013 ab S. 2898 oder http://www. ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/gueterlisten/ausfuhrliste/index.html, 8. Oktober 2013. 1319 Vgl. auch Zenke. Eine bewusste Trennung von Militär- und Zivilbedarf habe erst seit den 1770er Jahren stattgefunden. Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum. Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 158.
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Untersuchung Genueser Handelsströme hat Julia Zunckel für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges festgestellt, dass ein Hauptcharakteristikum der frühneuzeitlichen Handelshäuser in deren Vielseitigkeit – heißt dem Handel mit Militär und Zivilbedarf – bestand.1320 Reine, an ein staatliches Gewaltmonopol gebundene Kriegsgeräte wie Panzer und Maschinengewehre gab es noch nicht. Kanonen wurden auch auf ›zivilen‹ Handelsschiffen gebraucht und Gilden und Zünfte besaßen zu Repräsentationszwecken oder zur Aufbringungen ihres Beitrags zur Stadtverteidigung Kanonen. Gewehre wurden ebenso für die Jagd und Schützenfeste, aber auch für Bürger und Bürgermilizen hergestellt,1321 Blankwaffen zur Repräsentation genutzt und unterschieden sich von der Militärproduktion lediglich durch die großen bestellten Stückzahlen bzw. die dadurch bedingten Qualitätsabstriche. Sprachlich wurde nicht zwischen militär und zivil, sondern zwischen feinem Gewehr und ordinärem Gewehr für die Truppen unterschieden. Diese Unterscheidung bestand auch beim feinen und ordinären Pulver. Als in einer ehemaligen Rüstkammer in Berlin beim Aufräumen drei Kisten mit Gewehren und Pulver gefunden werden, sollen diese in Magdeburg auf der nächsten Messe verkauft werden. Für den Transport dorthin wird ein Freipass ausgestellt.1322 In einer Lotterie wurde als Hauptpreis ein Paar Pistolen der Herzberger Gewehrfabrik ausgelobt.1323 Die Sicht der Nachwelt, die eine Militarisierung der preußischen Gesellschaft1324 sehen wollte, die zwangsläufig Richtung Nationalsozialismus führt,1325 1320 Julia Zunckel, Rüstungsgeschäfte im Dreissigjährigen Krieg, Unternehmerkräfte zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg, Berlin 1997, S. 335. Für Sevillia bestätigt diese These Philipp Lesiak, Kanonen für den Krieg, Rüstung in europäischen Handels- und Industrienetzwerken im 17. Jahrhundert, in: Wolfram Dornik u. a. (Hrsg.), Krieg und Wirtschaft, Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert, Insbruck 2010, S. 327–342. 1321 »Ein Bürger muß es heut zu Tage als eine seiner Pflichten ansehen, daß er mit einer Flinte, und als ein Mitglied der Schützengesellschaft, mit einer Kugelbüchse versehen ist. Und wie viele Personen giebt es nicht, die zu ihrer Sicherheit, oder auch zu ihrem Vergnügen, sich Gewehr halten.« in Art. Büchsen=Macher, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 7 (1. Aufl. 1776, 2. Aufl. 1784), S. 357. 1322 Friedrich II. stellt dem für Gebäude zuständigen Grafen von Hacke einen Freipass aus vom 11. August 1751, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, B 43, S. 111ff. 1323 1744 veranstaltet die Herzberger Gewehrfabrik eine Gewehrlotterie, deren Rahmenbedingungen im Schreiben der Kriegskanzlei an die lokalen Amtmänner vom 5. Oktober 1744 geregelt werden, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1020 o.S. Zu Lotterien aller Art, die im 18. Jahrhundert sehr beliebt waren, Franz Pelgen u. a. (Hrsg.), Bücherlotterien im 18. Jahrhundert, Roßdorf 2008. 1324 Prägend entwickelt von Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807, Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962. 1325 Vgl. zur Rezeption Otto Büschs und der Sonderwegsthese Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin, Die neue Militärgeschichte in der Frühen Neuzeit in Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (Hrsg.), Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612.
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verengt den Blickwinkel und wird der Lage im 18. Jahrhundert nicht gerecht. Wie Zunckel für die vielseitig interessierten Handelshäuser im 17. Jahrhundert festgestellt hat, waren auch die Handelshäuser im 18. Jahrhundert vielseitig wirtschaftlich tätig. Für Splitgerber und Daum ist die Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik nur ein Geschäftszweig in ihrem breiten Portfolio, der darüber hinaus auch nicht ausschließlich für das Militär produziert. Für das Lagerhaus, weitere Tuchfabriken und Gewerke bedeuten die Herstellung der feinen Offiziertuche bzw. Armeelieferungen zwar einen Großauftrag, bilden aber nicht das ausschließliche Geschäft der Tuchmacher. So merkt die Magdeburger Kammer an, vom Armeeabsatz allein könne kein Tuchmacher leben. Diese seien auf den Absatz ins Ausland angewiesen.1326 Das hängt auch damit zusammen, dass die Preiskalkulationen für Armeetücher sehr knapp bemessen sind, der Tuchmacher also über die Masse sein Auskommen erhält, aber nicht gut daran verdient. Die kurmärkische Kammer gibt zu bedenken, dass die Preise für Armeetuch so angesetzt seien, dass die Tuchmacher bei mittleren Wollpreisen gerade so ihre Familien ernähren könnten. Auf großen Gewinn oder gar das Bilden von Rücklagen zum Ausgleich höherer Wollpreise seien sie nicht angelegt.1327 Wer sich bei der Beschreibung der frühneuzeitlichen preußischen Wirtschaft auf das Militär beschränkt – »Maßgebender Faktor in der Wirtschaft wurde die Versorgung des anwachsenden Heeres, dazu kam unter Friedrich II. der umfangreiche Kriegsbedarf, aus dem einzelne Berliner Unternehmer große Gewinne zogen.«1328 –, versucht eher, die Rolle und großen Gewinne eines Krupp im 19. Jahrhundert1329 auf das 18. Jahrhundert zu übertragen, als diesem selbst gerecht zu werden. Jede Beschränkung der Ausfuhr von Gütern durch die Obrigkeit steht deshalb, wie die Magdeburger Kammer anführt, auch unter dem Vorbehalt der Absatzsicherung und damit letztlich der Arbeitsplätze. Der Export von Rüstungsgütern an Mächte, gegen die man sich im Kriegszustand befindet, scheidet schon deshalb aus, weil, wie dargelegt wurde, zu diesen Zeiten nicht einmal der eigene Bedarf gedeckt werden konnte und die vollen Auftragsbücher keine Auftragsannahme aus dem Ausland nötig machten. Dass die Fabriken nicht unbegrenzt wachsen konnten, wurde neben der fehlenden Verfügbarkeit aus1326 Magdeburger Kammer an das Generaldirektorium vom 7. August 1789, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement. Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 1327 Kurmärkische Kammer an das Generaldirektorium vom 28. Juli 1789 in: ebd., o.S. 1328 Johannes Schultze im Vorwort zur Neuauflage von Hugo Rachel, Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648–1806, 2. Aufl., Berlin 1967 (1. Aufl. 1938), S. 7. 1329 Manfred Messerschmidt, Die Rüstungsfirma Krupp, in: Friedrich Forstmeier u. a. (Hrsg. für das Militärgeschichtliche Forschungsamt), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648–1939, Bd. 2. Militärgeschichte im 19. Jahrhundert (1814–1890), 1. Teil: Die politische Geschichte der preußisch-deutschen Armee, S. 372–377.
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gebildeter Facharbeiter schon anhand begrenzter Rohstoff- und Energieversorgung gezeigt. Es geht also vielmehr um auftragsärmere Friedenszeiten. Der Export in das Ausland ist in den Gründungsverträgen beider Gewehrfabriken erwähnt. Hassenstein zitiert zum Teil wörtlich den 7. Artikel »Gewehrlieferungen an andere Mächte, ›die nicht etwa mit S.K.M. oder den Alliierten in Krieg begriffen‹, sind gestattet und sollen ›Zoll und Licent- auch andere Impostenfrey passieren‹.«1330 Die Ausfuhr von Waffen wird damit noch durch Abgabenfreiheit gefördert. 1770 erteilt Friedrich II. den Direktoren der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik explizit den Auftrag, sich Absatz im Ausland zu besorgen, da im eigenen Land kein Bedarf an Gewehren bestünde.1331 Für 1801 ist eine Annonce in einer Hamburger Zeitung überliefert, in der für das neue preußische Gewehr geworben wird.1332 1731 sendet Friedrich Wilhelm I. einige Handwerker nach Tula in Russland, weil er der Zarin versprochen habe, beim Aufbau einer eigenen Gewehrfabrik zu unterstützen. Für Wirtgen ist dies der Beleg, dass die Preußen die Technik der Gewehrfabrikation nach Russland exportiert hätten.1333 Schmoller beschreibt die Geschichte der russischen Companie in Berlin, die von 1724 bis 1738 den Export von Uniformtüchern nach Russland betrieben hätte. Er stellt diese Companie in den Zusammenhang des Wirtschaftskampfes des preußischen Königs mit den Engländern um den russsichen Markt.1334 Unabhängig der Deutung ist aus der Beschreibung zu erfahren, dass die Initiative der Absatzsteigerung nach Russland vom preußischen Gesandten in St. Petersburg ausgeht. Daraus zeigt sich sowohl die oben beschriebene Bedeutung von Residenten vor Ort, die in Ermangelung öffentlicher Ausschreibungen von Absatzmöglichkeiten hören bzw. die ein Ansprechpartner für Interessenten sind, als auch die Tendenz der Funktionsträger zu wirtschaftlichen Initiativen. Der Export von Uniformtuchen nach Russland stellt kein Problem dar. Neutralitätsverträge werden ernst genommen. 1795 ersucht ein Zwischenhändler beim Auswärtigen Amt in Berlin um die Ausfuhr von 250 Pistolen und 1330 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, In: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 30. 1331 Friedrich II. an die Direktoren der Gewehrfabrik am 7. Dezember 1770, in: GStA PK, IV. HA, Rep. 3, Nr. 32, S. 5. 1332 Oberkriegskollegium informiert Oberst von Zastrow am 10. April 1801, in: GStA PK, I. HA, Rep. 63, Nr. 2432, o.S. 1333 Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 35f. 1334 Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 458ff. Fortgesetzt im Kapitel Die Belieferung der russischen Armee bei Carl Hinrichs, Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I., Berlin 1933, S. 211–252.
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250 Karabinern, die er bei der Splitgerberschen Handlung gekauft habe. Dieses fordert daraufhin eine Versicherung des Käufers – eines Hamburger Kaufmanns – an wen dieser die Waffen weiterverkaufen möchte, um sicherzustellen, dass die Waffen nicht an eine kriegführende Macht ausgeführt würden. Da dieser die Auskunft mit Verweis, dass »es wider kaufmännische Principien ist, jemanden mit seinen Speculationen bekannt zu machen«1335 verweigert, wird die Ausfuhrgenehmigung nicht erteilt. Es bestünde die Möglichkeit, dass ein britisches Corps beliefert würde, was dem Neutralitätsvertrag Preußens mit Frankreich zuwiderlaufe. Parallel wird die Ausfuhr von 84 Gewehren an eine Hamburger Bürgerkompanie genehmigt mit der Begründung, es sei kein Problem zwischen zwei neutralen Nationen Waren und auch Kriegsbedürfnisse zu handeln.1336 Die Verwaltungsbürokratie hat damit einen möglichen Versuch, ein Waffenembargo durch die Einschaltung von Zwischenhändlern zu umgehen, aufgedeckt und vereitelt. Die Ausfuhr von Produkten der Gewehrfabrik bedarf in Preußen der Genehmigung durch die königliche Verwaltung bzw. wir haben aufgrund der überwiegend auf deren Schriftverkehr beschränkten Überlieferung der Akten nur Kenntnis davon, wenn um eine Genehmigung ersucht wurde. Diese beschränkt sich dabei nicht nur auf die Ausfuhrgenehmigung, sondern umfasst zusätzlich die Bitte um Ausstellung von Freipässen. So etwa der holländische Oberst Graf von Salm, der in Berlin 36 Kanonen für die Republik Holland kauft und um freie Ausfuhr bittet,1337 der Herzog zu Mecklenburg-Schwerin, der 500 Gewehre kauft1338 oder der Graf von der Lippe, der 60 Gewehre nach der Art des Prinz Heinrich Regiments bestellt.1339 In Hannover ist man vor allem dankbar über jede Bestellung aus dem Ausland. Schon bei der Anlegung der Herzberger Gewehrfabrik wird ausgehandelt, dass für das In- und Ausland Gewehre gefertigt werden sollen. Bestellungen aus dem Ausland seien besonders von Vorteil, da sie die Reputation der Fabrik befördern würden.1340 Um entsprechende Aufträge hat sich der Fabrikinspektor zu kümmern, der dafür eine Prämie von ein bis zwei Prozent des Warenwerts erhält. Die Preise der privaten und auswärtigen Bestellungen sollten allerdings an den Preis für Gewehre für die königlichen Truppen gebunden sein, damit die Arbeiter nicht private den königlichen Aufträgen vorziehen würden.1341 Die 1335 Kaufmann Christian Heinrich Keibel an das Oberkriegskollegium vom 30. August 1795, in: GStA PK, I. HA, Rep. 63, Nr. 2432, o.S. 1336 Auswärtiges Amt an Oberkriegskollegium vom 5. September 1795 und 5. Oktober 1795 in: ebd., o.S. 1337 Freipass vom 18. Mai 1786, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. EE 8, o.S. 1338 Freipass vom 3. Oktober 1789 in: ebd., o.S. 1339 Ausfuhrgenehmigung Friedrich II. an Splitgerber vom 30. August 1749, in: GStA PK, IV. HA, Rep. 15 B, Nr. 201, o.S. 1340 Bericht vom 2. Dezember 1738 ohne Unterschrift, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 176ff. 1341 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 1./12. Dezember 1738 in: ebd., S. 174.
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Bevorzugung herrschaftlicher Aufträge vor privaten, die sich in weiteren Anweisungen an die Herzberger Gewehrfabrik finden1342, ist also gar nicht so »bemerkenswert«, wie Hassenstein dies für die preußische »Staatspolitik« Friedrichs II. herausstellt.1343 Aus den jährlichen Generalabrechnungen, die für den Zeitraum 1739 bis 1764 weitgehend überliefert sind, geht hervor, dass fast ausschließlich Dienstgewehre verkauft wurden und die sonstigen Bestellungen sich mit Ausnahme einer Lieferung von 2.000 Gewehren an die Stadt Hamburg 1753 auf Einzelanfertigungen – heißt feine Gewehre – beschränken.1344 Die Lieferung nach Hamburg bedarf keiner Genehmigung des Königs. Dieser wird lediglich informiert, drückt seine Freude über die positive Entwicklung der Gewehrfabrik aus und regt an, wenn Hamburg beliefert werde, könne auch versucht werden, aus Bremen Aufträge zu erhalten.1345 Diese Praxis ändert sich nach dem Siebenjährigen Krieg, in dessen Folge der Absatz der Gewehrfabrik massiv einbricht. Nach Klagen an die Regierung1346 wird ein Artillerieoffizier abgestellt, der sich um Extrabestellungen zu kümmern hat. Dafür bekommt er fünf Prozent des Warenwertes als Courtage, die er sich mit dem Rechnungsführer der Gewehrfabrik zu teilen hat. Dieser hat Bestellungen für auswärtige Truppen vorher der Kriegskanzlei anzuzeigen.1347 Zu dieser Sensibilisierung könnte geführt haben, dass ein Jahr zuvor 1775 eine Lieferung von 1.000 Kavalleriesätteln beschlagnahmt worden war und für großen Wirbel gesorgt hatte. Man hatte den Verdacht, dass diese Bestellung der dänisch-asiatischen Kompanie nach Kopenhagen in Wirklichkeit für die amerikanischen Rebellen bestimmt sei. Man muss die Lieferung zwar nach vierzehn Tagen wieder freigeben, da dem Händler nichts nachzuweisen ist, weist aber eine von der dänischen Regierung geforderte Entschädigungszahlung zurück – mit der Begründung, verbotenen Handel in Kriegszeiten unterbinden zu müssen. Interessant ist der Einschub der hannoverschen Regierung zum Terminus Kriegszeiten »– in sofern der Gebrauch der Waffen, wozu die Cron Engelland gegen ihre rebellischen Colonien in Amerika genöhtiget worden ist, dafür genommen werden muß –« aus dem hervorgeht, dass der Einsatz gegen Rebellen in den eigenen Kolonien eigentlich nicht als Krieg zu
1342 Art. 20 des Vertrags zwischen der Kriegskanzlei und dem Fabrik-Unternehmer Carl Crause vom 22. Januar 1816, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1038, o.S. 1343 Wilhelm Hassenstein, Zur Geschichte der Königlichen Gewehrfabrik in Spandau unter besonderer Berücksichtigung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie Bd. 4, 1912, S. 27–62, S. 38. 1344 Vgl. die Generalabrechnungen, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1 und 4. 1345 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 4. Mai 1753, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 146. 1346 Bitte des Kriegssekretärs Ramberg um Aufträge vom 4. April 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 9, S. 28. 1347 Art. 1 und 13 der Anweisung an den Leutnant Steigleder vom 22. März 1776, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 6ff.
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werten sei.1348 Erst beim Verkauf der Herzberger Gewehrfabrik an einen privaten Betreiber 1816 wird in den Kaufvertrag aufgenommen, dass auswärtige Lieferungen nur erlaubt sind, wenn der Empfänger sich nicht im Krieg mit Hannover befindet. Ab 1.000 Stück sind Auslandslieferungen meldepflichtig, wobei königliche Aufträge Priorität haben.1349 Insoweit kann die Definition von Rüstungsindustrie von Stefanie van de Kerkhof, nach der diese in moralischer wie ökonomischer Hinsicht keine normalen Verbrauchsgüter produziere,1350 nicht auf das 18. Jahrhundert erweitert werden. Vielmehr fügte sich die Rüstungsproduktion als ein Teil der Wirtschaft in diese ein. Dies deckt sich mit der These von Rainer Zenke, der die allgemeinwirtschaftliche Entwicklung mit der der Rüstungsindustrie vergleicht und feststellt, dass diese sich im 18. Jahrhundert ähnlich entwickelt hätten.1351 Eine Sonderstellung kann nur insoweit erkannt werden, dass der Monarch bzw. die königliche Verwaltung durch Auftragsvergaben engen gegenseitigen Kontakt hatten, was sich bei den in dieser Arbeit beschriebenen Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Wirtschaftsförderung positiv auswirkte. Man hatte einen direkten Draht zu den Entscheidungsträgern. Was die Verbindung der Rüstungsproduktionen in England und Kurhannover betrifft, werden diese getrennt und unabhängig voneinander geführt. Ein im entsprechenden Exkurs behandelter Know-How-Austausch findet nur sehr begrenzt statt. Probegewehre werden von der Herzberger Gewehrfabrik nach London gesandt in der Hoffnung, man könne den Absatz der Fabrikprodukte in England befördern.1352 Die Herzberger Gewehrfabrik produziert überwiegend für den eigenen kurhannoverschen Markt. Der Versuch, die kurhannoverschen Rohstoffe und Fertigungsstätten für den Bedarf des englischen Militärs zu nutzen, konnte nur im Zuge des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges nachgewiesen werden, in dem eiserne Kanonen im Harz gegossen werden sollten. Die wirtschaftlich getrennte Führung der beiden, einem Monarchen unterstehenden Landesteile deckt sich dabei mit der für Preußen festgestellten getrennten ›Bewirtschaftung‹ der einzelnen Provinzen.1353 1348 Hannoversche Regierung an die dänische Regierung vom 7. Mai 1777, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 839, S. 62. 1349 Art. 20 des Vertrags zwischen der Kriegskanzlei und dem Fabrik-Unternehmer Carl Crause vom 22. Januar 1816, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1038, o.S. 1350 Stefanie van de Kerkhof, Rüstungsindustrie und Kriegswirtschaft, Vom Nutzen und Nachteil wirtschaftshistorischer Methoden für die Militärgeschichte, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 175–194, hier S. 182f. 1351 Rainer Zenke, Ultima Ratio Regum, Feuerwaffen und ihre Produktion im Kurfürstentum Hannover und im Alten Reich im 18. Jahrhundert, Osnabrück 1997, S. 156f. 1352 Bericht an die Kriegskanzlei vom 10. August 1752, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 112. 1353 Radtke stellt fest, dass es sich nur in der Theorie um ein einheitliches Wirtschaftsgebiet
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5.8. Die Gewehrfabrik in Herzberg am Harz Anhand der Ausrüstung der kurhannoverschen Truppen mit Dienstgewehren durch die Kriegskanzlei lässt sich sehr gut die fragile Wirtschaft und europaweite Verknüpfung aufzeigen. Statt eines bewussten Strebens nach Autarkie, zu deren Erreichung die planmäßige Anlegung eines Staatsbetriebs beitragen soll, zeigt sich vielmehr ein Getrieben-Sein der kurhannoverschen Kriegskanzlei, die auf Probleme und Beschwerden mit einer Ausweitung ihres Engagements reagiert, was sie vor immer neue Herausforderungen stellt.
5.8.1. Gewehrbeschaffung bis in die 1720er Jahre Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kauft die Kriegskanzlei – die Gewehrbeschaffung ist bereits von den Regimentskommandeuren in die Zuständigkeit der Kriegskanzlei gewechselt – bei Gewehrhändlern außerhalb der eigenen Landesherrschaft ein bzw. nur von auswärtigen Händlern haben sich Verträge erhalten, da die Abmachungen vor Ort mündlich geschlossen wurden. Die Bestellmengen variieren zwischen 400 und 600 Stück, sodass davon ausgegangen werden kann, dass regimentsweise neue Gewehre bestellt wurden. Aus einem Lieferkontrakt zwischen der Kriegskanzlei und dem Gewehrhändler Andreas Dombret aus Lüttich von 1699 lassen sich hierzu einige Informationen herauslesen. In der Präambel wird erwähnt, dass die Gewehre für das 1. Bataillon der Garde bestimmt sind und nach der Art verfertigt werden sollen, wie für die in Brabant stehenden Regimenter, für die der Dombret bereits geliefert habe. Man verlässt sich also auf Lieferanten, mit denen bereits zusammengearbeitet wurde und verweist darauf, die bestellten Gewehre sollten den schon ausgelieferten und in Brabant in Gebrauch befindlichen entsprechen. Sich darauf nicht verlassend, folgt auf anderthalb Seiten die genaue Beschreibung der Gewehre. Zur Kennzeichnung soll auf dem Lauf »Guarde d’Hannover« gestochen sein, ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Gewehre für ein bestimmtes Regiment – hier das 1. Bataillon der Garde – bestimmt sind und ein Vertauschen verhindert werden soll. Pro Kompanie hat er zwei, also insgesamt 14 passende Kugelformen mitzuliefern. Mitbestandteil des Vertrags sind zwei Probegewehre, von denen eines der Dombret erhält und das andere einem Offizier der Garde übergeben wird. Anhand dieser Probe – dem Prototyp – soll nach Auslieferung überprüft werden, ob die Bestellung auftragsgemäß ausgeführt wurde. Falls ein Gewehr nicht dem gehandelt habe. Die Praxis sei kleinteiliger nach Provinzen organisiert gewesen. Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 164.
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Modell entsprechen, an Schaft oder Lauf springen sollte, hat der Dombret dieses auf seine Kosten zu ersetzen. Der Auftrag ist binnen fünf bis sechs Monaten bei angenommen 100 bis 150 Stück Fertigungskapazität pro Monat auszuführen. Die Anlieferung an das Zeughaus Hannover hat auf Kosten des Händlers zu erfolgen. Dort ist der hannoversche Büchsenmeister Johann Sanders als Abnehmer bestimmt worden. Ihm zur Seite stehen zwei Offiziere des Gardebataillons. Damit erfolgt die Anlieferung nicht nur auf Kosten des Gewehrhändlers, sondern er trägt das Risiko von Transportschäden, da die Abnahme erst in Hannover erfolgt. Das Zeughaus hat dabei weit mehr als nur die Funktion als Ort der Zwischenlagerung von Rüstungsgütern vor der Auslieferung an die Truppe, sondern in ihm bzw. seinen Lagerbediensteten ist der nötige Sachverstand vorhanden, die Qualität der angelieferten Waren zu prüfen. Diese Funktion haben Zeughäuser im gesamten Untersuchungszeitraum und sie ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, da durch den Akt der Abnahme – symbolisch durch das Anbringen des Abnahmezeichens – die Verantwortung für die gelieferten Ausrüstungsgegenstände vom Produzenten bzw. Händler auf die jeweiligen Zeughausangestellten übergeht. Eine Gewährleistungspflicht über den Tag der Auslieferung hinaus ist nicht bekannt. Beschwerden über mangelhaft gelieferte Ausrüstung werden folglich nicht den Produzenten zur Last gelegt, sondern den Zeugverwaltern und Rüstmeistern im Zeughaus. Diese Praxis soll sie dazu anhalten, besonders gewissenhaft zu kontrollieren, was allerdings, wie unten ausgeführt wird, keine Garantie für gleichbleibende, gute Qualität und Einheitlichkeit liefern kann. Als Zusatz und Ansporn für den Gewehrhändler wird im Vertrag angeführt, dass man bereit sei, auch das 2. Bataillon der Garde von ihm beliefern zu lassen, sollte man mit der Qualität der Lieferung zufrieden sein.1354 Es folgt im November der Abnahmebericht, der unterschrieben ist vom bestellten Büchsenmeister Sander und zweier Offiziere der Garde. Damit hat die auf fünf bis maximal sechs Monate veranschlagte Auslieferung mit neun Monaten etwas länger gedauert – und das, obwohl die Fertigungskapazität mit 100 bis 150 Stück monatlich deutlich offener und damit realistischer angegeben wurde als die oben behandelten späteren genauen Vorgaben der Obrigkeit für die eigenen Gewehrfabriken. Außerdem ergibt die Untersuchung, dass von den 567 Flinten 32 Schäfte und 41 Läufe schadhaft seien, 30 Zündlöcher seien zu groß, neun ziehen aus der Ruh1355, drei Schlagfedern und vier Deckelfedern seien zu schwach. Außerdem fehlen noch die 14 Kugelformen.1356 Unabhängig von der 1354 Lieferkontrakt zwischen der Kriegskanzlei und dem Gewehrhändler Andreas Dombret aus Lüttich vom 26. Januar 1699, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. I, S. 34ff. 1355 Der Hahn arretiert nicht, wenn das Schloss gespannt wird. Vgl. Art. Schloß, am Feuergewehr, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 146 (1827), S. 376. 1356 Abnahmebericht vom 2. November 1699, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. I, S. 38ff.
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Schwere der Schäden und der Möglichkeit der Reparatur sind 20 Prozent der bestellten Gewehre eingeschränkt bzw. gar nicht einsatzfähig und es fehlen die Kugelformen, um passende Munition herstellen zu können. Dass Lieferverzögerungen und eine hohe Anzahl an Reklamationen keine als negativ angesehene Ausnahme, sondern die Regel darstellen, zeigt sich daran, dass man anscheinend zufrieden ist: Unter dem 11. November 1699 erfolgt ein identischer Liefervertrag der Kriegskanzlei mit demselben Gewehrhändler über 567 Flinten für das 2. Bataillon der Garde.1357 Auch diese Gewehre werden nicht innerhalb der vertraglich festgelegten maximal sechs Monate – also rechtzeitig vor der nächsten Kampagne – fertig, sodass Anfang April 1700 eine Ordre ergeht, dem 2. Bataillon der Garde stattdessen das reparierte Gewehr eines anderen Regiments aus dem Zeughaus auszuhändigen. Nach der Kampagne sollten sie diese wieder im Zeughaus abliefern und dann das neue Gewehr bekommen.1358 Aus dieser Anweisung ist zu erfahren, dass die an der Kampagne in Brabant beteiligten Regimenter ihre Gewehre bei Einzug ins Winterquartier auf den Zeughäusern abgegeben haben. Über den Winter werden sie dort unter Aufsicht der Rüstmeister und Zeugverwalter repariert. Vor dem Auszug in die neue Kampagne wird festgelegt, welches Regiment aus welchem Zeughaus neue oder seine alten Gewehre bekommt. Diese Lösung widerspricht dem oben erwähnten Anspruch, Gewehre durch Kennzeichnung einem bestimmten Regiment zuordnen zu können und damit auch klare Materialverantwortlichkeit zu schaffen. Neben Lüttich sind in der Akte weitere Bestellungen von Gewehren in Essen, Zella und Mehlis überliefert. Zusätzlich zur Abnahme im Zeughaus sind Atteste der jeweiligen Heimatstädte der Gewehrproduzenten vorhanden. So etwa das Attest des Bürgermeisters und Rat der Stadt Essen, dass die vom Gewehrhändler und Ratsfreund Nicolas Meyer für Hannover bestimmten 500 Flinten vom vereidigten Probiermeister sorgfältig probiert und ihnen das Schwert als Zeichen der Stadt Essen aufgeschlagen wurde.1359 Hierbei handelt es sich um ein Beschusszeichen, mit dem nachgewiesen wurde, dass die Läufe mit der doppelten Ladung Pulver probiert wurden. Qualität wird rein quantitativ gefasst, dass die Läufe den Schuss mit der doppelten Menge des vorgesehenen Pulvers aushalten müssen, ohne dass sich Risse bilden. Mechanik oder Treffgenauigkeit werden nicht geprüft. Letztere spielte im Gegensatz zur heutigen Bewertung im 18. Jahrhundert bei Militärgewehren keine Rolle. Es gab gezogene Läufe, die wesentlich treffsicherer waren. Sie seien aber länger, schwerer zu laden und
1357 Lieferkontrakt zwischen der Kriegskanzlei und dem Gewehrhändler Andreas Dombret aus Lüttich vom 11. November 1699 in: ebd., S. 42ff. 1358 Kurfürst Georg Ludwig an den Zeughausverwalter vom 13. April 1700 in: ebd., S. 62ff. 1359 Attest der Stadt Essen vom 24. Juni 1705 in: ebd., S. 47.
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damit für die Formation nicht geeignet.1360 Die Waffen werden auch nicht eingeschossen, sondern Kimme und Korn nach dem Muster aufgesetzt.1361 Wie Martin Steffen bei Betrachtung von Taktik und Technik zur Zeit des Siebenjährigen Krieges feststellt, »erinnerte der Gebrauch von Waffe und Munition an das Schießen mit Schrot […] Präzises Schießen war also weder denkbar noch beabsichtigt.«1362
5.8.2. Die schrittweise Gründung der Gewehrfabrik Herzberg Diese Praxis der Gewehrbestellung wird auch in den kommenden Jahrzehnten so betrieben, bis eine Beschwerde des kommandierenden Generals von Bülow Anlass gibt, sich mit der Beschaffung auseinanderzusetzen. Georg I. wendet sich an die Kriegskanzlei und bittet um Untersuchung der ihm von Bülow vorgetragenen Vorwürfe, unter den in den Zeughäusern gelagerten Waffen sei viel schlechtes und dem Kaliber nicht entsprechendes Gewehr. Außerdem seien die Reparaturkosten in den Regimentern sehr hoch.1363 Dies wird vom verantwortlichen Verwalter des Zeughauses Hannover, dem Oberrüstmeister Jakob Francke, massiv zurückgewiesen. Alle Gewehre im Zeughaus seien von ihm probiert und für gut befunden worden. Die Offiziere sollten lieber gleich bei Ablieferung Mängel anzeigen und nicht erst sechs Jahre später. Dass die Kaliber nicht stimmen, könne nicht sein. Er hole vor jeder Lieferung Atteste ein, dass diese mit doppelter Ladung probiert sind. Er könne sich nicht erklären, wie alte Läufe in die Zeughäuser kommen sollten, da er Zeit seines Lebens keine angenommen habe. Sollten doch welche zu finden sein, will er hart bestraft werden. Es ist herauszulesen, dass der Zeugverwalter persönlich verantwortlich für die in seinem Zeughaus gelagerten und an die Regimenter ausgegebenen Gewehre ist. Er verweist als Grundlage der Verantwortlichkeit nicht auf Akten, die er geprüft habe, sondern allein auf seine Person bzw. das mit ihr verbundene Wissen. Konkret scheint sich die Beschwerde auf die Gewehre des Regiments des Oberst von Roeder zu beziehen. Diese seien vor sechs Jahren von den Brüdern Dombret aus Lüttich geliefert worden und von ihm und drei 1360 Heinrich Müller, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806. Bd. 1: Die Bewaffnung, Brandenburg 1991, S. 96. 1361 Arnold Wirtgen, Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle und Manufakturen 1700– 1806, Textband, Osnabrück 1976, S. 83. 1362 Steffen Martin, Waffen, Taktik und Militärstruktur zur Zeit des Siebenjährigen Krieges, in: Ders. (Hrsg.), Die Schlacht bei Minden, Weltpolitik und Lokalgeschichte, 2. Aufl., Minden 2008, S. 13–17, hier S. 15. 1363 Georg I. an die Kriegskanzlei vom 24. Januar/4. Februar 1727, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 17.
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Offizieren geprüft worden.1364 Obwohl die Auslieferung also sechs Jahre zurückliegt, in denen die Gewehre im Regiment genutzt wurden, wird weder das Regiment als Nutzer noch der Dombret als Produzent, sondern der Zeugverwalter, der die Abnahme vorgenommen hat, für deren mangelnde Qualität verantwortlich gemacht. Und der fühlt sich verantwortlich! Dass er bemerkt, die Offiziere hätten sich gleich bei Abnahme beschweren können, macht deutlich, dass er davon ausgeht, die Schäden hätten schon zu diesem Zeitpunkt bestanden und seien nicht erst durch die Nutzung entstanden. Die Beschwerde löst jedenfalls eine Reihe von Maßnahmen und Reaktionen aus. Zunächst bekommt der Rüstmeister Johann Bernhard Fischer den Auftrag, eine Inspektionsreise zu den Regimentern vorzunehmen und den allgemeinen Zustand der Gewehre zu überprüfen. In der Person des Rüstmeisters bzw. Oberrüstmeisters vereinigt sich im Optimalfall handwerklicher Sachverstand mit Organisationstalent. Seine Aufgaben sind nicht fest umrissen, sondern er stellt für die Obrigkeit den Berater und Ausführer in allen Waffenfragen dar. Sie sind selbst als Büchsenmacher und/oder Zwischenhändler tätig, wie mehrere Verträge über Gewehr- und Pistolenlieferungen bei diesen zeigen1365 und haben zudem die Aufgabe, auf dem Zeughaus die nicht von ihnen verfertigten Gewehre abzunehmen. Man zieht sie (meist im Winter) für Reparaturen heran. So lautet der Vorschlag des Oberst d’Amproux: da in seiner Garnison Verden weder ein Modell – das heißt Prototyp – noch fähige Arbeiter vorhanden seien, die schadhaften Gewehre seines Regiments zum Rüstmeister Fischer nach Hannover zu schaffen. Er erbittet diese zum Frühjahr zurück, da er ab März mit Exerzieren beginnen wolle.1366 Er wird für Spionageaufträge ausgewählt, wie bereits im entsprechenden Abschnitt behandelt. Aus dem Bericht seiner inkognito erfolgten Reisen geht hervor, dass die Gewehrfabrikation in Essen und Steele, vor wenigen Jahren noch die berühmteste in Europa, daniederliege, da die meisten Arbeiter nach Potsdam gegangen seien, wo ihnen die Arbeit gut bezahlt würde. In anderen Produktionsstätten – etwa in Suhl und Mehlis – würde für den König von Polen gearbeitet. Dieser habe seinen Arbeitern bei schwerer Leibes- und Gefängnisstrafe verboten, für andere zu arbeiten und auf der Gewehrfabrik eine militärische Wache unter Führung eines Oberstleutnants eingesetzt.1367
1364 Zeugverwalter Francke an die Kriegskanzlei vom 14. März 1727, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 20ff. 1365 Z. B. Vertrag zwischen Oberrüstmeister Francke über 171 Flinten vom 12. Juli 1712 in: ebd., S. 99 oder mit Rüstmeister Fischer über 616 Dragonerpistolen vom 19. Januar 1727 in: ebd., S. 107. 1366 Oberst d’Amproux an die Kriegskanzlei vom 8. Dezember 1728 in: ebd., S. 47. 1367 Untersuchungsbericht durch Rüstmeister Fischer vom 2. Dezember 1729, in: HStA H,
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Auch wenn der Auslöser zunächst Beschwerden über schlechte Gewehrbestände im eigenen Land gewesen zu sein scheinen, legt der Untersuchungsbericht deutlich offen, welche enormen Auswirkungen die Anlegung einer Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau seit 1722 auf die sensiblen, europaweit vernetzten Wirtschaftsstrukturen gehabt hat. Die massive Abwerbung von Arbeitern durch Splitgerber und Daum hat den Niedergang von Produktionsstätten zur Folge. In anderen Stätten wird das Abwandern der Arbeiter und die Produktion für fremde Auftraggeber durch den Aufzug von Militär, wenn nicht verhindert, so doch erschwert. Das Angebot wird durch den deutlichen Rückgang der Produktion in Essen und Steele verknappt, was sich noch dadurch verschärft, dass die Landesherren, die, wie der König von Polen, über Rüstungsstätten im eigenen Land verfügen, diese für Bestellungen aus dem Ausland schließen, um zunächst ihren eigenen Bedarf decken zu können. Die folgende schrittweise Neugründung einer eigenen kurhannoverschen Gewehrfabrik in Herzberg am Harz stellt sich damit als eine Reaktion auf die Gründung der preußischen Eigenproduktion dar. Dieser Verdacht wird dadurch untermauert, dass die vorhandenen Verträge mit Gewehrhändlern seit der Jahrhundertwende alle in Hannover geschlossen worden sind – das heißt der Gewehrhändler reist mit einigen Probegewehren nach Hannover und bietet dort der Kriegskanzlei seine Dienste an. Die Verknappung des Angebots führt dazu, dass diese Verkaufsreisen nicht mehr stattfinden, sodass im Februar 1729 der kurhannoversche Oberrüstmeister mit einer Vollmacht ausgestattet und nach Zella geschickt wird, um dort im Namen der Kriegskanzlei Verträge abzuschließen.1368 Im September bekommt er den oben beschriebenen Auftrag, inkognito die bekannten Rüstungsstätten im Reich zu besuchen. Nötig geworden waren die Neubestellungen, da die von der Beschwerde des Bülow ausgelöste, oben bereits erwähnte Inspektionsreise des Rüstmeisters, bei der er im Sommer und Herbst 1728 insgesamt 18 Regimenter besucht hatte, große Mängel an den Gewehren festgestellt hatte. Seine Untersuchungen haben dabei anscheinend das Augenmerk einiger Kommandeure auf den Zustand ihres Materials gelenkt. So meldet sich der General van Campen bei der Kriegskanzlei und gibt an, sein Regiment habe die Gewehre 1707 beim Marsch ins Oberreich bekommen und damit seit 22 Jahren in Gebrauch. Sie
Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. V, S. 157ff. sowie der hier nicht behandelte Bericht aus Amsterdam vom 9. Dezember 1729 in: ebd., S. 142ff. 1368 Vertrag mit drei Büchsenmachern aus Zella vom 24. Februar 1729, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 169f sowie die Vollmacht für Rüstmeister Fischer vom 4. Februar 1729 in: ebd., S. 175.
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seien »so schlecht befunden, daß man dasselbe so wenig beim exercieren als im Ernste ohne risque sich zu gebrauchen getrauet.«1369 Dem Planungsbedürfnis der Zeit entsprechend hat die Kriegskanzlei in Zusammenarbeit mit dem kommandierenden General von Bülow ein Konzept ausgearbeitet, wie die festgestellten Mängel an Gewehren bei der Infanterie ausgeglichen werden können – die Kavallerie ist in Eigenregie für die Beschaffung der Reiter-Karabiner und Pistolen verantwortlich. Wobei dem Datum zu entnehmen ist, dass man die Ergebnisse des Fischerschen Untersuchungsberichts nicht abgewartet hat, sondern gleich zur Tat geschritten ist. Laut Konzept sollten fortan pro Jahr 880 neue Gewehre angeschafft werden. Bei 20 Bataillonen würde also jedes Bataillon pro Jahr 44 neue Gewehre bekommen, sodass bei gleichbleibend 700 Mann je Bataillon in 14 Jahren die gesamte Infanterie mit neuem Gewehr ausgerüstet worden sei. Für Reparaturkosten erhielte jedes Bataillon zusätzlich 180 Reichstaler ; die Garde, da sie in Hannover viel mehr Dienst täte, 210 Reichstaler. Im Gegenzug sollte jedes Bataillon pro Jahr die 44 schlechtesten Gewehre auf den Zeughäusern abliefern. Durch Verkauf dieser 880 Gewehre erhoffe man sich Einnahmen von 1.000 Reichstalern jährlich – eine Aufgabe an den Oberrüstmeister ist es herauszufinden, wo man gebrauchte Gewehre verkaufen könne.1370 Mit diesem Konzept wäre ein kontinuierlicher Austausch gewährleistet und die jährlich planbaren Kosten beliefen sich für die Infanterie insgesamt auf nur etwa 7.200 Reichstaler. Vorausgesetzt haben die Planer, dass die Gewehre einheitlich produziert werden, aber dabei nicht bedacht, dass damit jede Änderung und Anpassung am Gewehrmodell oder der Wechsel des Vertragshändlers zwangsläufig eine unterschiedliche Ausrüstung innerhalb einer Einheit zur Folge hätte. Dem Rechnung trägt ein zweites Konzept, das Bülow am 25. August 1730 nach London einreicht. Es sollten auf einen Schlag 6.000 neue Gewehre bestellt werden, mit denen zehn Regimenter vollständig ausgerüstet werden sollen. Mit deren in den Zeughäusern abgelieferten alten Waffen sei es ohne Frage möglich, die restlichen Regimenter mit »untadelhaften« Gewehren auszustatten.1371 Der Schriftverkehr zur Umsetzung vor Ort zeigt aber ein Bild, dass weder die einen noch anderen Planungen umgesetzt wurden. Generalmajor von Roeder meldet 1736 mit Bezug auf den Plan von 1729, je 44 Gewehre pro Jahr auszutauschen, es seien 1729: 102; 1730: 0; 1731: 30; 1732 und 1733: 44 und 1734: 70 Gewehre an ihn ausgeliefert worden. Von den letzten 70 seien aber bereits zehn
1369 General van Campen an die Kriegskanzlei vom 22. Februar 1729, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 81. 1370 Konzept für die einheitliche Bewaffnung der Infanterie vom 21. April 1728 in: ebd., S. 57ff. 1371 Georg II. an die Kriegskanzlei vom 29. September/10. Oktober 1730, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 14ff.
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Läufe im ersten Monat gesprungen. 1735 habe er keine und 1736 erst 26 Gewehre erhalten, sodass ihm noch 110 Gewehre am Soll fehlen würden.1372 Die zeitgleich beginnende Produktion von zunächst einzelnen Gewehrteilen – wie Schlössern oder Schäften – im eigenen Land, mit der eine kontinuierliche Bewaffnung der eigenen Truppen gewährleistet werden sollte, stellt die dieses Projekt forcierende Kriegskanzlei vor immer neue Herausforderungen. Das Projekt der Gewehrfabrikation im eigenen Land macht – entgegengesetzt zu der in Brandenburg-Preußen – nicht den Anschein, von Anfang an geplant und verwirklicht worden zu sein. Vielmehr reagiert die Kriegskanzlei auf immer neue Probleme und Beschwerden, bis sie letztlich eine Gewehrfabrik in Herzberg am Harz unter ihrer Führung etabliert hat. Zunächst – seit 1731 – ziehen einzelne Handwerker nach Lonau am Harz und fertigen dort Gewehrteile.1373 Es handelt sich aber um keine vollständige Gewehrproduktion, sondern es werden nur einzelne Gewehrteile verfertigt. Es fehlt an Koordination. Der Oberrüstmeister, der das Zusammensetzen der Gewehrteile übernimmt, meldet, er habe alle vorhandenen Läufe verbaut und fragt an, ob er, damit die Schäfter nicht arbeitslos würden, noch brauchbare Gewehrteile aus alten, auf dem Zeughaus eingelagerten Gewehren wiederverwenden dürfe.1374 Es zeigt sich das Bild einer aufgrund vieler ineinander greifender Produktionsschritte sehr fragilen Wirtschaft. Fällt ein Arbeitsschritt oder Arbeiter aus, steht die ganze Produktion still. Andere Baugruppen werden auswärts von der Kriegskanzlei über Dritte angekauft. Da deren Stückzahlen nicht abgestimmt sind, bemüht sich die Kriegskanzlei, fehlende Handwerker ins Land zu holen. Nach Berichten, es mangele an Schlössern, weil im Lande nur drei Schlossmacher ansässig seien, wird der König in London um Unterstützung ersucht. Man habe fünf bis sechs Leute aus Lüttich, die sich bereit erklärt hätten, gegen Erstattung der Reisekosten, Bereitstellung der Arbeitsräume und Werkzeuge sowie der üblichen Freiheiten herzukommen.1375 Die Befürchtung, die angeworbenen Arbeiter würden wieder zurückgehen, wenn ihre Familien keine angemessene Wohnung fänden, führt dazu, dass beim König um die Bewilligung zum Bau von Arbeiterwohnhäusern ersucht wird.1376 1372 Generalmajor von Roeder an die Kriegskanzlei vom 12. September 1736, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 7. 1373 Vgl. auch Hans-Heinrich Hillegeist, Die Geschichte der Lonauerhammerhütte bei Herzberg/Harz, Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte der Eisenverhüttung und Eisenverarbeitung im Südharz, Göttingen 1977. 1374 Oberrüstmeister Fischer an die Kriegskanzlei vom 27. Oktober 1734, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 106, Vol. VI, S. 30. 1375 Kriegskanzlei an Georg II. vom 21. März 1732, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 6. 1376 Kriegskanzlei an Georg II. vom 2. April 1738 in: ebd., S. 77.
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Letztlich kommen so immer mehr Kosten – hier ein neues Wohnhaus, da ein neuer Kohlenschuppen, ein Probierhaus – hinzu, die der König in London pro forma abnickt. Die Anträge stellen dabei die Herzberger Amtmänner gemeinsam mit dem betreuenden Kriegsrat der Kriegskanzlei. Nur in sehr wenigen Fällen wird ein Bau aus Kostengründen abgelehnt.1377 Der Vorstoß des Königs, die Gewehrfabrik zu privatisieren, da ihm die von Monat zu Monat steigende Bezuschussung missfalle, kann von der Kriegskanzlei mit Verweis auf den großen Nutzen abgewehrt werden.1378 Ein Kaufmann wendet sich an die Kriegskanzlei und bietet an, zum Festpreis zunächst für sechs Jahre jährlich 3.000 Rohre zu verfertigen. Dazu erbittet er die üblichen Vergünstigungen, Bau- und Kohlenholz sowie Anwerbung der benötigten Arbeiter auf Kosten des Königs.1379 Als der Kaufmann bankrott geht, übernimmt die Kriegskanzlei die Fabrik, auch wenn sie in besagtem Konzept an den König noch geschrieben hatte, es lohne sich nicht, für nur 3.000 Rohre im Jahr eine eigene Produktion einzurichten. Zwischenzeitlich hatte allerdings die sächsisch-polnische Regierung die Ausfuhr von Läufen verboten. Ein Gewehrfabrikant aus Zella meldet an die Kriegskanzlei, die bestellten 1.000 Läufe seien fertig, ihm sei aber die Ausfuhr von seiner Regierung verboten worden.1380 Auch die Spitzfindigkeit der Kriegskanzlei, es sei ja nur die Ausfuhr probierter Läufe verboten und man wolle unprobierte – das heißt ohne obrigkeitliches Beschusszeichen – einführen, wird abgelehnt. Das sächsisch-polnische Amt macht deutlich, dass die Ausfuhr von Rohren, Schlössern und Zeug verboten sei.1381 Eine Maßnahme, die man aus Sicht der dortigen Regierung verstehen kann. Wenn dort nur noch Einzelteile bestellt werden, die in Hannover zusammengesetzt und fertiggemacht – die Berufsbezeichnung lautete Fertigmacher – werden, bringt dies das fragile Gleichgewicht der Herstellung einzelner Baugruppen durcheinander. Ohne den Schriftverkehr zwischen den Produzenten in Zella und der Regierung in Gotha zu kennen, kann davon ausgegangen werden, dass dem Verbot die Protestschreiben der anderen Meister vorausgegangen sind. Die Fertigmacher beschweren sich über fehlende Läufe und die Schlossmacher, dass ihre Schlösser keinen Absatz finden, weil die im Ausland nur noch 1377 Etwa beim im Kapitel Subvention der Lohnkosten erwähnten Roggenmagazingebäude. Kriegskanzlei an das Amt Herzberg vom 14. September 1754, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 238. 1378 Vgl. den Schriftverkehr der Jahre 1765/66, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 6. 1379 Kriegskanzlei an Georg II. vom 21. März 1732, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 2. 1380 Gewehrfabrikant Lichterheld aus Zella an die Kriegskanzlei vom 3. März 1735, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 245. 1381 Kriegskanzlei an die sächsische Regierung in Gotha vom 25. Januar 1735, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 234 und Antwort des königlich-polnisch, kurfürstlichsächsischen Amtes zu Zella als Anhang eines Schreibens des Lichterheld an Rüstmeister Fischer vom 23. Februar 1735 in: ebd., S. 246.
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Läufe bestellen. Für die Hannoveraner hat der Ausfall der Zulieferer aber zur Folge, dass ihre Arbeiten stillstehen bzw. die Waffen nicht rechtzeitig fertig werden. So muss Rüstmeister Fischer an den auftraggebenden Regimentschef melden, wegen des Lieferausfalls der Läufe könne er die bestellten Pistolen nicht rechtzeitig liefern.1382 Parallel muss sich um die technische und qualitative Ausgestaltung des Gewehrmodells gekümmert werden. Waren zuvor die Gewehrhändler mit einer Auswahl an Probegewehren nach Hannover gekommen, ist man nun selbst für die Entwicklung der Modelle und technische Verbesserungen zuständig. Diese wurde im entsprechenden Kapitel zu Forschung und Weiterentwicklung behandelt.
5.8.3. Koordinierung der Arbeitsteilung Der stückweise Aufbau einer Gewehr-Produktion im eigenen Land in Verbindung mit einer Ausdifferenzierung von Arbeitsschritten als Reaktion auf die Bestellung größerer Stückzahlen stellt die hannoversche Obrigkeit vor neue Herausforderungen. Die Erhöhung der Stückzahlen und der Wunsch nach Einheitlichkeit und zügiger Lieferung führen zu Arbeitsteilung und Spezialisierung. Waren bei der Bestellung des Oberrüstmeisters in Zella 1729 noch drei Meister – Rohrschmied, Schlossmacher und Büchsenschäfter – für ein Gewehr zuständig,1383 werden 1740 bei der Personenstandsanzeige der Gewehrfabrik Herzberg 28 Meister aufgeführt, die sich auf 16 Berufszweige verteilen. Als Meister werden 1740 geführt ein Graveur, ein Rohrschmied, ein Bohrer, zwei Rohrschleifer, zwei Rohrverschrauber, drei Schlossmacher, ein Garnitur-Gießer, zwei Garnitur-Ausarbeiter, drei Büchsenschäfter, ein Schaftbauer, zwei Polierer, ein Glatt-Auszieher, zwei Fertigmacher, zwei Bajonett-, Esponton-, Kurzgewehrund Klingenschmiede, ein Schleifer und ein Feilenhauer. Diese Meister beschäftigen 40 Gesellen und sieben Lehrjungen.1384 Bei nur drei am Endprodukt beteiligten Meistern mit klar umrissenen Aufgabenbereichen war die Verantwortlichkeit für Baugruppen relativ deutlich zuzuweisen und die Abnahme erfolgte durch einen externen Gewehrhändler. Kamen größere Bestellungen, konnten die Meister durch die Anstellung zusätzlicher Gesellen die Produktionskapazitäten erhöhen. Diese arbeiteten in 1382 Rüstmeister Fischer an Oberst Wedding vom 30. März 1735, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. II, S. 254. 1383 Vertrag mit drei Büchsenmachern aus Zella vom 24. Februar 1729 in: ebd., S. 169f sowie die Vollmacht für Rüstmeister Fischer vom 4. Februar 1729 in: ebd., S. 175. 1384 Liste aller Personen bei der Gewehrfabrik Herzberg mit Stand 13. März 1740, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 308f.
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einem Lohn-Abhängigkeitsverhältnis für den Meister, wobei die Verantwortlichkeit für das Endprodukt beim Meister blieb. Durch die Arbeitsteilung sind in der neuen Gewehrfabrik deutlich mehr Meister an der Produktion eines Gewehrs beteiligt, was neben einem erhöhten Koordinierungsaufwand, bei einer aufeinander aufbauenden Produktionskette eine Regelung der Verantwortlichkeiten erfordert. War zuvor der Rohrschmied klar für die Qualität des Rohrs verantwortlich, bestand bei einer aufeinander aufbauenden Arbeitsteilung von Rohrschmied, Bohrer, Rohrschleifer und Rohrverschrauber eher die Möglichkeit, Qualitätsmängel abschieben zu können. Hierfür wird der Posten des Fabrikinspektors geschaffen. In Herzberg ist dies der bisherige Zeugwärter Johann Casimir Tanner, dessen Arbeitsvertrag von 1738 überliefert ist.1385 Mitgau reduziert den Dienstvertag des Tanner auf die »Oberaufsicht über die gesamten ›ouvriers‹ und über die fachgerechte Herstellung brauchbarer, nach Modell zu liefernder Militärgewehre.«1386 Der ebenfalls überlieferte Schriftverkehr zur Entstehung dieses Arbeitsvertrags mit Entwurf der Kriegskanzlei und Kommentar durch den Tanner erhellen jedoch, dass die Kriegskanzlei diesem noch deutlich mehr Vorschriften machen und Verantwortlichkeiten zuschustern wollte als letztlich im Vertrag festgehalten. Die Ausgestaltung des Arbeitsvertrags im Betriebsalltag stellte sich dann auch wesentlich komplexer dar. Der Inspektor hat die Aufsicht über alle Arbeiter zu führen und sicherzustellen, dass sie das, was sie an einem Tag nicht schaffen, am nächsten machen und zumindest am Ende der Woche ausgeglichen haben (§2). Er ist folglich für die Koordinierung zuständig, dass den jeweiligen Meistern ein Tagespensum an Arbeit zugewiesen wird und die Baugruppen in aufeinander abgestimmten Stückzahlen hergestellt werden. Damit kein Meister auf Vorarbeit warten muss, hat der Inspektor dafür zu sorgen, dass »eine Arbeit in die andere gehe« (§3). »Findet er, daß ein oder anderer von denen ouvriers die zu seiner Arbeit nöthige Geschicklichkeit nicht hat, oder auch unfleißig arbeitet, hat er denselben wo es ihm fehlet, zu unterrichten, und zu mehreren Fleiß mit guter Manier zu vermahnen, und wann solches wieder verhoffen nicht verfangen sollte, ohngesäumbt davon an königl. Kriegs-Cantzley zu berichten, vor sich selbst aber keinem die Lose zuthun, oder durch hartes begegnen mißvergnügt zu machen; damit jedoch kein Abgang an tüchtigen Ouvriers sich finde, wird er besorgt seyn in Zeiten sich nach dergleichen umzusehen,
1385 Arbeitsvertrag zwischen der Kriegskanzlei und Fabrikinspektor Tanner vom 30. Juni 1738, ratifiziert von Georg II. am 23. Januar 1739, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 88–95 und 200–205. 1386 Hermann Mitgau, Die Gewehrfabrik zu Herzberg (Harz) (1739–1876) und die Hof-Rüstmeisterfolge der Tanner in Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, 6. Jg. Heft 6 (Dezember 1961), S. 271–284, S. 273.
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um erfordernden Falls andere in Vorschlag bringen zu können, vor deren Geschicklichkeit und betragen aber er als dann haften wird.« (§4).
Der Fabrikinspektor hat damit die Verantwortlichkeit für das Zusammenspiel der einzelnen Meister, hat sich von deren Fähigkeiten zu überzeugen – muss sich folglich handwerklich-technisch mit allen Arbeiten der Fabrik auskennen, ist aber kein Disziplinarvorgesetzter, der seine Untergebenen bestrafen oder gar entlassen kann. Auch im Falle von Streit und Uneinigkeit unter den Arbeitern hat er keine weiteren Befugnisse, sondern soll diese mit aller »Vorsicht und Gelindigkeit« auseinanderzuhalten suchen und den Vorfall der lokalen Obrigkeit wie der Kriegskanzlei melden (§7). Gleichzeitig soll er aber für die Geschicklichkeit der vorgeschlagenen Arbeiter haften. Eine schwierige Zwitterposition, die zu Klagen des Inspektors über die Arbeiter führt, die sich nicht an seine Anweisungen halten. Sie trägt der Auffassung Rechnung, dass die Arbeiter mühsam zusammengeführte Spezialisten sind, auf die man angewiesen ist und die man nicht mit Gewalt und Zwang, sondern mit Milde und Zugeständnissen dazu bewegen möchte, im eigenen Herrschaftsbereich zu bleiben. Eine Erkenntnis, welche sich sowohl in Hannover als auch in Preußen im Umgang mit Fachkräften zeigt. Immer wieder wird das Wohl der Arbeiter angeführt, um Vergünstigungen und weitere Bauvorhaben durchzusetzen. Des Weiteren soll der Inspektor auch für Einkauf und Qualität der Rohstoffe verantwortlich gemacht werden. Im Entwurf heißt es dazu, er hat die benötigten Platinen, Stangeneisen und Stahl auf der Königshütte einzeln nach Gewicht und vor allem Güte zu prüfen, mit einem Siegel zu versehen und nach dem Transport in der Vorratskammer in Empfang zu nehmen (§ 8). Doch diesen Schuh lässt sich der Inspektor nicht anziehen und verweigert die Verantwortlichkeit für die Rohstoffe, sodass im unterzeichneten Vertrag die entsprechenden Punkte entfallen. Auch weitere Eingriffe in den Betriebs- und Tagesablauf und offensichtlich unrealistische Vorstellungen der Kriegskanzlei verbietet sich der Inspektor. Im Entwurf war ihm von der Kriegskanzlei ein genauer Tagesablauf mit entsprechenden Stückzahlvorgaben vorgeschrieben worden, der im Vertrag entfällt. Er habe genaue Aufsicht über die fertige Arbeit zu führen und bemerkte Mängel, ohne dass die weitere Arbeit darunter leidet, abzustellen (§ 10). In der Endfassung hat Tanner die Streichung der Bedingung »ohne daß die weitere Arbeit darunter leidet« erwirkt, wie er auch hat aufnehmen lassen, dass jeder Meister sein Teilprodukt mit seinem Zeichen markiert. Der Arbeitsvertrag wird nicht ›von oben diktiert‹, sondern der Sachverstand des Experten wird berücksichtigt. Tanner lässt alle Punkte, die ihn für ein Stillstehen der Fabrik verantwortlich machen, etwa mangelnde oder qualitativ minderwertige Rohstoffe, kaputte und
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fehlende Werkzeuge und Fabrikeinrichtung sowie nötige Nacharbeiten der Meister aus dem Vertrag nehmen. Die Abnahme und Probe wird hingegen bis ins kleinste Detail festgelegt und ist Teil seines Arbeitsvertrags. Neben den bereits hier festgelegten Punkten (§ 12) bekommt er noch weitere Instruktionen, die jeden kleinsten Arbeitsschritt umfassen und genau erfassen, wo er das Kaliber zu prüfen und nachzumessen hat.1387 Kaliber ist dabei nicht im heutigen Wortsinne zu verstehen, sondern bezeichnet die Größe und das Verhältnis der einzelnen Baugruppen.1388 Zu welchen Problemen die mangelnde Kaliberbestimmung – in der heutigen Bedeutung – führen kann, geht aus einer Beschwerde des Oberst Maydell hervor. Die ihm gelieferten Kugeln, von denen 14 auf ein Pfund gehen, seien nicht zu gebrauchen. Auch der Versuch mit 16 Kugeln auf ein Pfund, was zu Beginn gut funktioniert habe, würde zu Problemen führen, nachdem ein paarmal gefeuert wurde. Er erbittet, 17 Kugeln auf ein Pfund zu nehmen.1389 Die Probe bei Kugeln vor der Abnahme erfolgt durch das Wiegen von zweimal je zehn Kugeln. Sind diese gleich schwer, werden alle zwanzig angenommen.1390 Aus Preußen meldet ein Artillerist, man habe mit einer neuen Kanone geschossen. Beim 24. Schuss sei die Kugel steckengeblieben. Mit viel Mühe habe man diese herausbekommen und mit der kleinsten Kugel der Lieferung weiterprobiert.1391 Der Probe kommt eine so hohe Bedeutung bei, weil der prüfende Inspektor die Läufe nach der Abnahme mit seinem Zeichen versieht und damit die Verantwortung für die Qualität an seine Person übergeht. Er haftet persönlich für hiernach festgestellte Mängel. Sollte einer der von ihm gezeichneten Läufe »brüchig, grubicht, untüchtig, verschroben, oder auch nicht nach der gegebenen Proportion, Calibre und Gewicht« sein (§ 14), ist nicht mehr der herstellende Meister dafür verantwortlich, diesen unentgeltlich zu reparieren, sondern der Fabrikinspektor. Im Zuge der Einführung von Arbeitsteilung bei der Produktion von arbeitsund know-how- intensiven Waren dienen die von den Meistern auf ihrem fertigen Teilerzeugnis anzubringenden Zeichen der klaren Zuordnung von Verantwortlichkeiten. Sowohl in Hannover als auch in Preußen weisen neben dem Abnahmezeichen zusätzliche Stempel des verantwortlichen Meisters die Pro1387 Instruktion zur Probe vom 20. Oktober 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 120ff. 1388 Vgl. Art. Caliber, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 7 (1776), S. 533. 1389 Oberst Maydell an den kommandierenden General vom 6. Juli 1741, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 93, Vol. II, S. 321. 1390 Vertrag über eine Munitionslieferung zwischen Kaufmann Wuppermann und dem General der Artillerie Braun vom 9. August 1757, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. I, S. 267ff. 1391 Bericht von Dieskau an Friedrich II. vom 1. Juli 1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 612 E, o.S.
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duzenten aus. Heinrich Müller stellt auf einem preußischen Infanteriegewehr »Modell 1749« insgesamt 23 verschiedene Meisterzeichen fest.1392 Windsheimer hat bei der Untersuchung überlieferter Säbel zahlreiche Meister- und Abnahmezeichen festgestellt, bei denen er davon ausgeht, dass sie dazu dienen, mangelhafte Ware einem namentlich bekannten Produzenten zuordnen zu können.1393 Durch die Abnahme und Stempelung von Zwischenarbeitsschritten sollte es den Meistern unmöglich gemacht werden, die Schuld an Qualitätsmängeln auf einen der Vorproduzenten abwälzen zu können. In die gleiche Richtung geht auch die Kennzeichnung mit Seriennummern. Bei der Einrichtung der Herzberger Gewehrfabrik legt die Kriegskanzlei fest, dass der Graveur nach dem Funktionstest des zusammengebauten Gewehrs den Lauf, Bajonette und Ladestock mit einer eigenen Nummer versieht, um die Verwechslung zu vermeiden.1394 Dies gilt sowohl im Kleinen als auch im Großen. So soll es dem Soldaten nicht möglich sein, wenn ihm aus Unachtsamkeit etwa der Ladestock zerbricht, dass er diesen mit dem eines Kameraden vertauschen kann.1395 Aber auch zwischen den Kompanien sollte ein Vertauschen vermieden werden. 1732 ergeht die Anweisung an den Oberrüstmeister, alle Gewehre über der Pulverkammer mit einer Nummer zu versehen. Beginnend beim Regiment des kommandierenden Generals sollten die Gewehre seiner Leibkompanie die Nummer »R[egiment]. A. C[ompagnie]. 1 No 1–87« erhalten und die zweite Kompanie »R.A. C.2« und so fort für alle sieben Kompanien. Das Regiment von Quernheim erhält den Buchstaben »B«.1396 Windsheimer hat in seiner Untersuchung von Realien-Säbeln auch in Preußen eine Nummerierung nachgewiesen, z. B. auf der Parierstange eines Husarensäbels die Gravur »L:E: No.7« für Leib Eskadron Waffe Nummer 7.1397 Im Zuge der Marktanalyse bei Einrichtung der Herzberger Gewehrfabrik ist eine Liste aller Regimenter aufgestellt, mit Angabe, wann dieses letztmals mit neuen Gewehren ausgestattet wurde und wann bei einer Laufzeit von 18 bis 20 Jahren neue Gewehre nötig wären sowie
1392 Heinrich Müller, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 1: Die Bewaffnung, Brandenburg 1991, Tabelle S. 225. 1393 Bernd A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 8ff und 16f sowie zahlreiche Abbildungen derselben in den Anlagen. 1394 Anleitung für die Gewehrproduktion ausgearbeitet von der Kriegskanzlei als Anlage A zum Schreiben an Georg II. vom 18. August 1739, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 225– 227. 1395 Major von Hugo an die Kriegskanzlei vom 17. Januar 1733, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. III, S. 136. 1396 Anweisung an den Oberrüstmeister vom 29. November 1732 in: ebd., S. 56. 1397 Bild Nr. 495 in Berndt A. Windsheimer, Me Fecit Potzdam. Altpreußische Blankwaffen des 18. Jahrhunderts, Bissendorf 2001, S. 397.
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welchen Buchstaben das jeweilige Regiment hat.1398 Völlige Sicherheit lässt sich aber auch so nicht herstellen. Der Oberst von Bothmer meldet der Kriegskanzlei, dass in seinem Bataillon vier Gewehre fehlen würden, die beim besten Willen nicht mehr zu finden seien. Er vermutet, das 10. Regiment habe diese mitgenommen, weil sie noch nicht nummeriert waren.1399 Die oben erwähnte Praxis, die Gewehre während des Winterlagers im Zeughaus zur Überholung und Reparatur einzuliefern, steht diesem Versuch entgegen. Zum einen, weil dort alte Gewehre als Ersatzteillager ausgeschlachtet werden, zum anderen, weil die Regimenter nicht immer die Gewehre wieder erhalten, die sie eingeliefert haben. So hat das Regiment des kommandierenden Generals de Melleville, was 1732 mit dem Buchstaben »A« angegeben wird, 1738 keine Gewehre, während der Buchstabe »A« dem Regiment von Bothmer zugeordnet wird. Die Kennzeichnung der Bauteile und Waffen geht damit in die Richtung einer klaren Zuordnung, unterliegt in der Ausführung aber vielen Unwägbarkeiten. Diese Funktion als Fabrikinspektor behält Tanner bis zu seinem Tod Weihnachten 1764 bei. Als Nachfolger wird sein Sohn Gottfried Sigismund Tanner von der Kriegskanzlei vorgeschlagen,1400 der seit 1750 seinem Vater bei der Leitung der Gewehrfabrik zur Seite gestanden hat und 1760 zum Vice-Inspektor ernannt wurde, damit die Arbeiter vor ihm mehr Respekt bekommen.1401 Diese 15 Jahre Einarbeitungszeit durch den Vater reichen jedoch nicht aus. Gottfried Sigismund wird zum Sündenbock für die durch den Siebenjährigen Krieg bei der Fabrikführung entstandenen Unregelmäßigkeiten, die zu einer Umorganisation der Fabrikführung genutzt werden.1402 Ihm wird attestiert, zwar fachlich ein guter Büchsenmacher zu sein, mit der Führung einer Fabrik aber überfordert zu sein. So wird dem Sohn Tanner mit dem Vice-Berghauptmann von Reden ein Fabrikdirektor vorgesetzt, der aufgrund seiner anderen Geschäfte in Clausthal nicht selbst vor Ort sein kann, aber fortan bei allen Entscheidungen zu beteiligen ist.1403 Als Vertreter vor Ort wird der Leutnant der Artillerie Heinrich Matthias Steigleder als Inspektor ad interim ex Commissione eingesetzt. Tanner wird auf 1398 Anlage C zum Bericht der Kriegskanzlei vom 27. November 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 149. 1399 Oberst von Bothmer an die Kriegskanzlei vom 26. März 1793, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 462, Vol. II, S. 135. 1400 Kriegskanzlei zeigt Georg III. dessen Tod an vom 4. Mai 1765, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 125. 1401 Kriegskanzlei zeigt Georg II. die Beförderung des Tanner Junior zum Vice-Inspektor an vom 16. Mai 1760 in: ebd., S. 134. 1402 Bericht des kommandierenden Generals von Spoercken an Georg III. vom 23. Februar 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 91f und Untersuchungsbericht der Kriegskanzlei vom 15. Juli 1768 in: ebd., S. 78ff. 1403 Bereitschaftserklärung des Claus Friedrich von Reden an Georg III. vom 4. Dezember 1768, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 4, S. 49.
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die Funktion des technischen Leiters und Beschauers reduziert. In seinem Arbeitsvertrag wird die Abnahme bis ins kleinste Detail beschrieben und als Entlohnung zwei Mariengroschen je abgenommenes Stück festgesetzt.1404 Der Fabrikinspektor Steigleder bekommt die Aufsichtsfunktion.1405 Er hat bei der Probe und Abnahme dabei zu sein und stichprobenartig nachzukontrollieren, ob der Tanner diese korrekt durchführt. Er hat darauf zu achten, dass jedes Bauteil vom herstellenden Meister gezeichnet wird. Die Verantwortung der abgenommenen und besiegelten Stücke geht vom Arbeiter nicht mehr auf den Fabrikinspektor, sondern auf den Beschaumeister über. Damit ist die technisch-fachliche von der organisatorischen Leitung der Fabrik entkoppelt und um eine Aufsicht ergänzt. Hatte Vater Tanner als zweiten und wichtigsten – nach der Residenzpflicht – Punkt die Aufsicht über die Arbeiter, bekommt der Steigleder eine klare, organisatorische Zielvorgabe. Er hat darauf zu achten, dass jährlich 1.000 Infanterie-, 350 Dragoner- und 300 leichte Dragoner-Gewehre sowie 350 Reiter-Karabiner an das Zeughaus in Hannover geliefert werden (§ 2). Explizit aufgenommen wird, dass die Arbeiter nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel produzieren und unter den verfertigten Gewehrteilen Gleichheit herrscht bei einem ständigen Vorrat von 250 vorgeschmiedeten und probierten Läufen (§§ 3,4). Damit wird den Erfahrungen und geänderten Rahmenbedingungen nach dem Siebenjährigen Krieg Rechnung getragen. Ging es in der Gründungsphase der Gewehrfabrik, aus der die Instruktionen des ersten Fabrikinspektors stammen, um Aufbau und Erweiterung der Fabrik und Hebung der Produktionskapazitäten, hat die Praxis gezeigt, dass der Koordinierung der einzelnen Arbeitsschritte wesentlich mehr Bedeutung zugemessen werden musste. Nach dem Siebenjährigen Krieg hatte eine Untersuchungskommission festgestellt, dass auf den Lagern der Fabrik große Mengen »unbrauchbarer« Gewehrteile lagerten. »Unbrauchbar«, weil die Arbeiter Bauteile produziert hatten, die mengenmäßig nicht zusammenpassten, sondern zu verschiedenen Baureihen und Modellen gehörten. Bei den im Krieg anfallenden vielen Aufträgen für unterschiedliche Truppenteile war man mit den Bestellungen durcheinandergekommen. Außerdem hatte die zweimalige Plünderung der Gewehrfabrik durch französische Truppen dazu geführt, dass Formen und Modelle entwendet oder vorher im Wald versteckt worden waren. Auch die Buchführung der Fabrik hatte unter der Geiselnahme des Fabrikschreibers gelitten. Bei Einführung eines neuen Gewehrmodells wurden die auf Vorrat produzierten Bauteile des alten Modells mit ihrem geschätzten Marktwert zum Inventar der Gewehrfabrik gerechnet und rosteten auf dem Lager vor sich hin. Aber auch von der 1404 Arbeitsvertrag Gottfried Sigismund Tanner vom 13. Januar 1769 in: ebd., S. 43–46. 1405 Arbeitsvertrag Heinrich Matthias Steigleder als »Inspektor ad interim ex Commissione« vom 13. Januar 1769 in: ebd., S. 34–42.
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Nachfrageseite war man während des Krieges, in dem man über jedes Gewehr dankbar war, bei der Abnahme nachsichtiger. Diese Missstände hatte die Untersuchungskommission aufgedeckt1406 und dem seit zwei Jahren die Fabrik führenden Sohn Tanner zur Last gelegt. War im Krieg noch alles erlaubt, was zweckmäßig war, wurde nach wiederhergestelltem Frieden ein General eingesetzt, der die Ordre bekommt, das Armaturwesen in Ordnung zu bringen und eine Inventarliste der Ausrüstung bei den Regimentern zu erstellen. Priorität bekommt dabei die Modellmäßigkeit – heißt Gleichheit – der Gewehre.1407 Die Maßnahmen der Kriegskanzlei nach dem Siebenjährigen Krieg gehen weg von der bedingungslosen Expansion der Fabrik hin zur Verkleinerung und Sicherung der Qualität. Sie tragen der veränderten Auftragslage genauso Rechnung wie den gemachten Erfahrungen mangelnder Koordination der Arbeitsteilung. Hatte der Fabrikinspektor in der Gründungsphase der Fabrik eine ständige Personalreserve an fähigen Meistern parat zu haben, um ausscheidende Meister sofort ersetzen zu können bzw. neue einzustellen und die Fabrik zu erweitern (§ 4), wird diese Praxis der geänderten Nachfrage durch die Truppenreduzierung nach dem Siebenjährigen Krieg angepasst. Einmal eingestellte Meister können zwar nicht entlassen werden, sie haben aber die Anzahl ihrer Gesellen zu reduzieren. Ein Kritikpunkt im Untersuchungsbericht war die Anstellung von Hilfsarbeitern im Krieg, bei denen weniger auf die qualitative Eignung geachtet worden war. Um dem zu entgegnen, haben Meister fortan um Erlaubnis beim Fabrikinspektor anzusuchen, wenn sie neue Lehrjungen und Gesellen aufnehmen wollen (§ 7). Im Todesfall eines Meisters oder falls dieser kündigen sollte, hat der Steigleder zunächst beim Aufsicht führenden von Reden anzufragen, ob die Stelle zu ersetzen ist oder vacant bleiben soll (§ 6). Sie sind Reaktion auf die Beschwerde des Königs in London über stetig steigende Kosten der Fabrikführung und dessen Vorschlag, diese zu privatisieren.1408 Durch die Trennung der fachlichen von der organisatorischen Leitung wird die Qualitätskontrolle von der Koordination entkoppelt. Mit dem geänderten Aufgabenzuschnitt des Fabrikinspektors und dem neueingeführten Aufsichtsrat werden zwei weitere interne Kontrollfunktionen eingeführt und die Kriegskanzlei entlastet. Die Einführung des Vice-Berghauptmanns von Reden als Aufsicht über die Gewehrfabrik, die zuvor von der Kriegskanzlei ausgeübt wurde, ist eine Reaktion auf die festgestellten Mängel im Siebenjährigen Krieg. Die Herzberger Gewehrfabrik ist von der Kriegskanzlei in Friedenszeiten aufgestellt worden. Als 1406 Untersuchungsbericht vom 11. Februar 1767, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 62ff. 1407 Georg III. an die Kriegskanzlei und General von Spoerken vom 27. Februar 1767, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 5, S. 43ff und 48ff. 1408 Georg III. an die Kriegskanzlei vom 26. November 1765 zitiert im Antwortschreiben vom 3. Januar 1766, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 6, S. 32.
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für deren Mitglieder selbst relativ wenig Arbeit anfiel, war es attraktiv, sich um den Auf- und Ausbau einer landeseigenen Gewehrproduktion zu kümmern, mit der man in Berichten an den König in London punkten konnte. Für engagierte Arbeit waren auch Belohnungen möglich.1409 Im Krieg hatte man dagegen genügend andere Probleme und die Aufsicht über die Gewehrfabrik, die jetzt besonders nötig gewesen wäre, wurde vernachlässigt.1410 Die im Frieden aufgebaute, weitreichende Kontrolle über die Gewehrfabrik erwies sich im Ernstfall mit feindlichen Truppen im eigenen Land, unterbrochenen Kommunikationswegen und aus Hannover evakuierter Kriegskanzlei als wenig praktikabel. Aber auch im Frieden erweist sich die Aufgabenbündelung bei der Kriegskanzlei als anfällig. Am 1. Juni 1780 meldet die Kriegskanzlei, die Anfrage werde erst Mitte Juni beantwortet werden können. Er (der antwortende Kriegsrat) sei zur Zeit alleine und müsse sich um den Transfer der Rekruten aus Hessen und Braunschweig nach Amerika kümmern.1411 Die Preußen mit ihrer privatwirtschaftlichen Leitung durch die Kaufleute Splitgerber und Daum gingen hier den zweckmäßigeren Weg. Die Obrigkeit bestellt, muss sich um die Betriebsabläufe der Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik nicht kümmern und lässt in wirtschaftlichen Fragen den Betreibern relative Freiheit. Für Anstellung, Kontrolle und eventuelle Entlassung der Arbeiter haben die Unternehmer freie Hand (§ 14). Zur Abnahme wird ein Artillerieoffizier bei der Fabrik angesetzt, der für die Qualitätskontrolle der Fabrikprodukte zuständig ist. Er hat einen Adlerstempel, mit dem er sowohl Schlösser (§ 12) als auch Läufe (§ 13), die er für gut befunden hat, zu kennzeichnen hat. Als Leitung der Fabrik wird ein Fabrikkommissar auf Vorschlag der Unternehmer vom König ernannt und vereidigt. Dessen Amtseid ist abgedruckt bei Hassenstein und ist ähnlich dem des Fabrikinspektors in Herzberg. Er hat zunächst auf die Qualität der Gewehre zu achten und soll die fertigen Stücke »mit größtem Fleiß durchsehen und nichts, was nicht gut und tüchtig gemacht, passieren lassen und dadurch die gute Reputation der Gewehrfabrique zu conservieren trachten«. Er soll die Arbeiter »zur fleissigen Arbeit, Ordnung und Einigkeit anmahnen« und wird selbst ermahnt, unparteiisch zu sein, »niemand unnöthige Chicanen« zu machen und mit den Arbeitern in Harmonie zu leben.1412 1409 Der Kriegssekretär Eichfeld hat sich bei der Einrichtung der Gewerhfabrik hervorgetan und soll ein Geldgeschenk erhalten. Bericht ohne Unterschrift vom 2. Dezember 1738, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 176–180. 1410 Im Begleitschreiben zum Generaletat der Gewehrfabrik für 1744–1746 verweist die Kriegskanzlei darauf, dass sie wegen der sonstigen Arbeit der Kriegskasse in den letzten drei Jahren keine Abrechnung hätten aufstellen können und diese nun nachreichen. Kriegskanzlei an Georg II. vom 24. Juli 1747 in: ebd., S. 400. 1411 Kriegskanzlei an Berghauptmann von Reden vom 1. Juni 1780, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 470, Vol. I, S. 125. 1412 Amtseid des Fabrikkommissars Schübler vom 20. November 1762 abgedruckt bei Wil-
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5.8.4. Neuregelung der Abnahme Dieser Abschnitt steht unter dem Anspruch der Obrigkeit, die Qualität produzierter und auf königliche Rechnung gekaufter Waren sicherzustellen. Sie sind im Wesentlichen dadurch beeinflusst, dass sich andere – untergebene oder vorgesetzte – Stellen über mangelhafte Qualität der gelieferten Ausrüstung beschweren. Mit dem Wegfall des Gewehrhändlers als Zwischenhändler muss die Abnahme neu geregelt werden. Zuvor waren die Gewehre im Zeughaus vom Rüstmeister und einer Offiziersabordnung auf ihre Tauglichkeit geprüft worden. Aufgrund der vertraglichen Verpflichtung des Gewehrhändlers, nur tadellose Gewehre abzuliefern, war es aber schon in dessen Sinne, eine Vorabnahme bei den Handwerkern vorzunehmen, um den Austausch schadhafter Gewehre auf seine Kosten zu minimieren. Bei den Handwerkern selbst konnte man hingegen nicht immer davon ausgehen, dass diese nur tadellose Waren abgeben. Es sind mehrere Fälle überliefert, in denen diese handgreiflich gegen denjenigen wurden, der ein von ihnen produziertes Stück nicht abnehmen wollte. So etwa die Bitte des Herzberger Fabrikinspektors Tanner um die Statuierung eines Exempels, um nicht zum Gespött der Arbeiter zu werden. Als er einen GarniturAusarbeiter auf einen zu dünn gefeilten Bügel angesprochen habe, hätte ihn dieser tätlich angegangen.1413 Über die ihm eigentlich unterstehenden Schlossmacher beschwert er sich, dass, wenn er diesen schlecht gearbeitete Schlösser zur Nachbesserung zurückreiche, diese sich zusammentun und die Arbeit ruhen lassen oder ihm die Ware unverändert zurückschicken würden.1414 Doch besagter Tanner wird erst 1738 als Fabrikinspektor angestellt, als die private Rohrfabrik nicht den erwünschten Fortgang nahm und man sich seit Mai 1737 nach Alternativen umschaut, die in der Erweiterung und Zusammenlegung der bisherigen Produktionsstätten in einer Gewehrfabrik münden.1415 Nach weiteren Beschwerden über schlechtes Gewehr ergeht eine Anweisung von Georg II. an den kommandierenden General, eine Gewehr-Untersuchungskommission einzusetzen. Diese solle alle Gewehre untersuchen, um die untauglichen an die Lieferanten zurückzusenden bzw. wenn sie schon im Zeughaus sind, den jeweiligen Rüstmeister und Zeugverwalter in die Veranthelm Hassenstein, Abnahme und Preise der Gewehre und Waffen in der Gewehrfabrik Spandau im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen, München 1940, Nr. 35, S. 250. 1413 Inspektor Tanner an die Kriegskanzlei vom 25. August 1739, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. I, Fasc 2, S. 172ff. 1414 Kriegskanzlei an das Amt Herzberg vom 9. November 1745, in: HStA H, Hann. 74 Herzberg, Nr. 1021, o.S. Dort auch weitere Fälle des Ungehorsams der Arbeiter gegenüber dem Fabrikinspektor. 1415 Kriegskanzlei an Georg II. vom 28. Mai 1737, in: HStA H, Hann. 41 XI, Nr. 1, S. 79ff.
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wortung für sein eingelagertes Material zu nehmen. Daraufhin wird von der Kriegskanzlei eine hochrangig besetzte Kommission zusammengerufen. Neben drei Regimentskommandeuren setzt sich diese zusammen aus zwei Stabsoffizieren, die sich auf dem Gebiet der Gewehre besonders gut auskennen, dem Oberrüstmeister und vier weiteren Rüstmeistern sowie einem Büchsenschäfter und als Vertreter der Kriegskanzlei einem Oberzahlkommissar und Protokollant. Sie setzen sich im November 1732 auf der Münze in Hannover zusammen – das Zeughaus sei zu kalt zum Arbeiten – und nehmen sich zunächst die Zeughausbestände vor. Doch nach nur sieben Tagen wird die Kommission durch den kommandierenden General wieder eingestellt. Wie wir dem Untersuchungsprotokoll entnehmen können, hatte man pro Tag nur etwa 16 Gewehre besehen. Von diesen insgesamt 79 Gewehren seien 26 schadhaft, davon wiederum 18 reparierbar.1416 Die Idee, die Offiziere an der Untersuchung zu beteiligen, um durch deren Einbindung in den Beschaffungsprozess ein für alle Mal Ruhe vor Beschwerden zu bekommen, ist insoweit gut, erweist sich aber als sehr langwierig, zu teuer und allenfalls im Frieden durchführbar.1417 Außerdem erfahren wir aus der Begründung der Einstellung durch den kommandierenden General, dass dieser am Sinn der Kommission, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, zweifelt. Würden Fehler entdeckt, wäre der hier verantwortliche Oberrüstmeister um Ausreden nicht verlegen. So behaupte er, das hätte er so nicht kontrolliert, da sei ein anderer für verantwortlich und wenn sich die Regimenter über schlechtes Gewehr beschwerten, sei es immer beim Umladen und auf dem Weg passiert. Statt der Kommission solle doch wieder der Oberrüstmeister mit einigen Offizieren des zu beliefernden Regiments die Abnahme übernehmen.1418 Hier, wie Mitgau dies sieht, die Abnahme zu reduzieren als »Ein weiterer Vorteil [der Gewehrfabrik im eigenen Land]: Eigens damit beauftragte Offiziere der Truppenteile konnten mit der Überprüfung der Schußleistung beauftragt werden«,1419 greift zu kurz. Außerdem geht es bei der Abnahme im 18. Jahrhundert nicht um die Schussleistung. Doch auch diese Regelung schafft keine Abhilfe. Welche Auswüchse die gegenseitigen Schuldzuweisungen und das Zuschieben des Schwarzen Peters der Verantwortlichkeit für mangelhafte Qualität der Ausrüstungen haben kann, wird an einem Beispiel aus dem übernächsten Jahr deutlich. Der Oberst von Behr beschwert sich bei der Kriegskanzlei, dass von den 44 1416 Untersuchungsprotokoll vom 19. bis 26. November 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. III, S. 59–85. 1417 Kostenübernahme durch die Kriegskanzlei vom 2. Dezember 1732 in: ebd., S. 94. 1418 General de Melleville an die Kriegskanzlei vom 24. November 1732 in: ebd., S. 22. 1419 Hermann Mitgau, Die Gewehrfabrik zu Herzberg (Harz) (1739–1876) und die Hof-Rüstmeisterfolge der Tanner, in: Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, 6. Jg. Heft 6 (Dezember 1961), S. 271–284, S. 277.
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ihm für 1734 aus dem Zeughaus Hannover gelieferten Gewehren einige »Schad= und Mangelhaft befunden wurden«. Zwei Schäfte seien kaputt, vier Bajonettklingen brüchig und fünf Ladestöcke verbogen – von neuen Gewehren könne man hingegen erwarten, dass sie schadlos und alle genau gleich seien.1420 Daraufhin verweist die Kriegskanzlei auf ein von Leutnant Reichen vom Regiment des Oberst von Behr unterschriebenes Abnahmeprotokoll, aus dem hervorgeht, dass die Gewehre ordnungsgemäß vom Oberrüstmeister übergeben worden seien. Die Schäden müssten auf dem Transport passiert sein.1421 Der Leutnant hatte den Auftrag, mit einem Sergeanten die Gewehre auf dem Zeughaus in Hannover zu empfangen, zu überprüfen und zum Stationierungsort Hoya zu überführen. Dieser verteidigt sich: er sei am frühen Morgen des 3. Juni mit dem Sergeanten auf dem Zeughaus erschienen und habe gemäß seinem Auftrag die Gewehre genau visitieren wollen. Dies habe der Oberrüstmeister abgelehnt mit Verweis darauf, dass er der Fachmann sei und die Gewehre bereits genauestens untersucht habe. Er habe ihm bedeutet, dass er sich zur Abnahme höchstens einen anderen sachverständigen Rüstmeister auf Kosten des Oberst besorgen könne. Das habe er abgelehnt, weil er vermute, dass dieser dem Oberrüstmeister mehr verbunden sei als ihm, dem Leutnant aus der Provinz. So habe er die Gewehre nur selbst oberflächlich besehen, wobei er die oben erwähnten Fehler erkannt hätte. Gleichzeitig sei er vom Oberrüstmeister genötigt worden, besagte, ihm vorgelegte Abnahmequittung zu unterschreiben, was er leider voreilig getan habe.1422 Die Kriegskanzlei, bei der die Beschwerde- und Entschuldigungsschreiben zusammenlaufen, ist ungehalten und gibt dem Oberst von Behr zu verstehen, dass es deshalb besonders wichtig sei, einen sachverständigen Offizier zur Abnahme zu schicken, damit etwaige Schäden gleich abgestellt werden könnten.1423 Um dem Vorwurf der Transportschäden entgegenzuwirken, wird festgelegt, dass der Oberrüstmeister die Gewehre prüft und in Kästen versiegelt. Diese werden an das Regiment geliefert und am Ziel im Beisein des Kompaniechefs und eines sachverständigen Soldaten vom Oberrüstmeister geöffnet und erneut besehen. Was auf dem Weg kaputt gehe, sei ein dem Regiment unverschuldet entstandener Schaden.1424 So soll sichergestellt werden, dass das Gewehr gut ankommt. Mit einem Siegel außen an der Kiste kann aber die Qualität drinnen 1420 Oberst von Behr an die Kriegskanzlei vom 14. Juni 1734, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. IV, S. 63 und Schadensprotokoll vom 12. Juni 1734 in: ebd., S. 64. 1421 Kriegskanzlei an Oberst von Behr vom 22. Juni 1734 in: ebd., S. 58. 1422 Oberst von Behr an die Kriegskanzlei vom 5. Juli 1734 in: ebd., S. 55 mit angehängter Erklärung des Leutnants Reichen vom 28. Juni 1734 in: ebd., S. 56. 1423 Kriegskanzlei an Oberst von Behr vom 8. Juli 1734 in: ebd., S. 54. 1424 Oberst Quernheim an die Kriegskanzlei vom 18. Dezember 1732, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 103, Vol. III, S. 124ff.
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nur gegen menschliche Manipulation gesichert werden, nicht gegen Transportschäden und Naturgewalten. Da Transportschäden explizit als unverschuldeter Schaden gewertet werden, tritt die Kriegskasse als Versicherung ein. Dieser Versuch, durch Einbindung der als Störenfried festgestellten Beschwerdeführer in den Abnahmeprozess, diesen den Wind aus den Segeln zu nehmen, konnte bei weiterer militärischer Materialbeschaffung und in der ›freien Wirtschaft‹ festgestellt werden. Der hohe Abgang an Pferden bei der Kavallerie und für das Logistikwesen der Armee verantwortlichen Artillerie führte dazu, dass viele Beschwerden bei dem für die Pferdebeschaffung zuständigen General von Massow eingingen. Für 1752 erfahren wir aus einem Entschuldigungsschreiben des Massow an Friedrich II. von der gewöhnlichen Praxis. Jedes Jahr besieht der Bereiter des Regiments Gens d’Armes in Berlin die von den Pferdehändlern gelieferten Pferde und entscheidet, welche für die Armee als tüchtig angesehen werden. Ihm zur Seite steht ein Sekretär der Kanzlei des Generals von Massow, der über eine versiegelte – das heißt geeichte – Pferdestange und – nach Meinung des Massow – Pferdesachverstand verfügt. Schon an der Pferdestange zeigt sich, dass versucht wird, die auf äußerliche Gleichheit angelegten Kriterien, wie sie auch bei der Überprüfung der Gewehre zu erkennen sind, auf die Pferde zu übertragen. Auch aus Hannover ist als Kriterium für die Pferdeauswahl überliefert, dass die Pferde nur Stuten und Wallache zwischen vier und acht Jahre alt und zwischen 16 und 17 Hand hoch sein sollen.1425 Eine wirkliche Aussage über Eignung und Gesundheitszustand der Pferde lässt sich damit nicht treffen. Die für die Armee als tauglich befundenen Pferde werden anschließend auf die Regimenter verteilt. Massow muss nun diese seine Auswahlpraxis vor dem Monarchen rechtfertigen, da der mit 33 Pferden belieferte Rittmeister von Bülow nur 13 davon als dragonertauglich ansieht.1426 Noch vertrackter stellt sich die Situation beim Regiment von Schorlemmer dar. Dort hatte der Kapitän von Tresckow von den 270 ausgesuchten und gelieferten Pferden nur 116 angenommen. Daraufhin waren die brüskierten Rosshändler nach Berlin gezogen und hatten die Annahme der restlichen Pferde, die sie ebenfalls als tauglich empfanden, verlangt. In Gegenwart seines Stellvertreters Oberst von Stechow – Massow selbst war erkrankt – wurden die 154 übrigen Pferde besehen, weitere 121 als tauglich angenommen und dem Tresckow übergeben, der sie von Berlin zum Stationierungsort des Regiments zu überführen hatte. Dort angekommen hat der Regimentschef von Schorlemmer die Pferde erneut besehen und bei 69 der 121 zuletzt angenom1425 Auftrag über 330 Pferde an den Schutzjuden Moses Levi vom 31. Dezember 1760, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 252, Vol. II, 2, S. 290. 1426 General von Massow an Friedrich II. vom 18. April 1752 und 23. April 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S.
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menen Pferde die Annahme als mangelhaft verweigert. Massow beschuldigt nun den Tresckow, die Pferde auf dem Marsch mit Absicht hart rangenommen und zu Schanden geritten zu haben, um eine Ausrede dafür zu haben, dass er diese zunächst nicht angenommen hatte.1427 Es wird sich gegenseitig die Schuld zugeschoben. Die Kanzlei des Massow – als militärische Beschaffungsinstitution – hat dabei nicht als oberste Priorität die Belieferung der Regimenter mit geeigneten Pferden, sondern ist durch Vorkasse und Verträge in Abhängigkeit zu den Rosshändlern getreten bzw. hat eine Vorauswahl an Pferden getroffen, für die sie sich nun zu rechtfertigen hat. Um diesen Beschwerden über mangelnde Qualität der gelieferten Pferde zu entgehen, wurde eingeführt, dass ein Offizier des zu beliefernden Regiments mit einem sachverständigen Pferdeabholkommando zu den großen Pferdemärkten reist und dort die geeigneten Pferde selbst ankauft. Ein Schritt ›zurück‹ von der zentralen hin zur regimentsweisen Pferdebeschaffung. So können zwar die gegen die obrigkeitlichen Beschaffungseinrichtungen – hier die Kanzlei des Generals von Massow – geführten Beschwerden verhindert werden, es entstehen aber hohe Reisekosten für das Kommando, das sich aus bis zu 50 Mann zusammensetzt. Versuche, statt Offizieren tüchtige und sachverständige Unteroffiziere zu schicken – diese könnten statt der Extrapost mit der ordinären Post oder auf Bauernkarren mitfahren – werden von den Regimentern mit Verweis auf das Gewohnheitsrecht abgewiesen.1428 Ein weiterer Nachteil ergibt sich daraus, dass im Kriegsfall, wenn der Pferdeersatz besondere Dringlichkeit hat, größere Kommandos nicht entbehrlich sind. Diesen Missstand sehend haben nach dem bayrischen Erbfolgekrieg 1781 zwei preußische Generale mit zwei Breslauer Pferdehändlern einen vom König bestätigten Vertrag abgeschlossen, dass letztere im Kriegsfalle die Belieferung sämtlicher Dragoner und Husaren Regimenter übernehmen. In diesem wird auch darauf Bezug genommen, dass so die Reisekosten für das 50 Mann umfassende Pferdekommando entfallen würden. Aus dem folgenden Schriftverkehr, in dem es darum geht, dass die Pferdehändler bitten, auch in Friedenszeiten die Belieferung der Armee zu übernehmen, ist eine nach Landesteilen aufgeschlüsselte Tabelle zu entnehmen, wie viele Pferde 1786 woher und zu welchem Preis angekauft wurden. Aus ihr geht hervor, dass allein für die Artillerie 13.532 Pferde im Inland und 29.629 Pferde im Ausland angekauft wurden. Die Preise – insgesamt wurden für 1.800.000 Reichstaler Pferde eingekauft – variieren zwischen knapp 30 und 55 Reichstalern, wobei nicht nach Qualität, sondern Verwendung der Pferde als
1427 General von Massow an Friedrich II. vom 11. April 1752, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 614 C, o.S. 1428 General von Massow an Friedrich II. vom 29. Mai 1752 in: ebd., o.S.
Zwischenfazit
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großes Gens d’Armes- (5Fuß, 2Zoll), geringfügig kleineres Dragoner- (5Fuß, 1Zoll) oder kleines Husaren Pferd (4Zoll) unterschieden wird.1429 Durch die Einbindung der vermeintlichen Störenfriede und Beschwerdeführer lassen sich zwar die Beschwerden reduzieren, das eigentliche Ziel, einheitliche und qualitativ hochwertige Waren zu bekommen, lässt sich damit nicht erreichen. Statt der Ursache werden die Symptome bekämpft. Zu den Beschwerden kam es durch den Übergang der Ausrüstungsbeschaffung vom Söldnerführer und Regimentskommandeur auf die zentralen Beschaffungsinstitutionen der Armee. Dieser Übergang ist nicht stringent und ab einem festen Zeitpunkt vorhanden bzw. festzustellen. Vielmehr probiert sich die Armeeführung auf einzelnen Feldern aus, erfährt Proteste, re-integriert die untergeordnete Führung, verteilt Großaufträge, ist mit der Qualität nicht zufrieden bzw. mit Protesten über schlechte Qualität konfrontiert und greift in den Produktionsprozess ein.
5.9. Zwischenfazit Autarkiestreben und Marktabschottung waren keine Handlungsmaximen frühneuzeitlicher Wirtschaftspolitik. Es konnte vielmehr nachgewiesen werden, dass das Bild der merkantilistischen Wirtschaftspolitik des absolutistischen Monarchen, das sich bis heute gehalten hat, dem 19. Jahrhundert entstammt. Wirtschaft und Handel waren landesherrschaftsübergreifend/europaweit vernetzt, sodass Autarkie im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts nicht möglich war. Hinzu kamen besonders im Bereich der Rüstungsgüterbeschaffung starke, durch Krieg und Frieden hervorgerufene konjunkturelle Schwankungen, die eine gleichmäßige Auftragslage und damit Produktionsauslastung verhinderten. Die Rüstungsproduktion benötigt im Frieden Aufträge aus dem Ausland, um die Produktionskapazitäten auch nur halbwegs aufrecht halten zu können, – im Krieg, um den gestiegenen eigenen Bedarf zu decken. Die benötigten Rohstoffe wurden europaweit gehandelt. Initiativen für Ein- und Ausfuhrverbote gehen von um den Absatz ihrer Waren bangenden Unternehmern aus. Erlasse zur Marktabschottung fügen sich damit nicht in eine einheitliche Autarkiepolitik, sondern sind vielmehr Zugeständnisse an einzelne einheimische Produzenten. Ausschlaggebend für Rüstungsbestellungen der Obrigkeit waren hingegen die, wenn auch mit den zeitgenössischen Mitteln nicht rational zu fassenden Preise und die Qualität der 1429 Vertrag vom 4. Oktober 1781 und ein Vertragsentwurf vom 4. Dezember 1783 sowie Tabelle der im Jahr 1786 neubeschafften Artilleriepferde, in: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 95Nn 5, o.S.
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Autarkiestreben und Marktabschottung
Waren. Daraus resultierend sprach für die Produktion im eigenen Land neben den Klagen der einheimischen Produzenten über mangelnden Absatz die dem Herrschaftsverständnis der Zeit entspringende, vermeintliche Sicherheit, gegenüber den eigenen Untertanen makellose und einheitliche Qualität zum Festpreis durchsetzen zu können. Auch die Initiative zur Ansiedlung neuer Fabriken und Anbau neuer Rohstoffe geht von den Unternehmern aus. Diese wenden sich an den König bzw. dessen Verwaltung und bitten um entsprechende Maßnahmen zur Sicherung der Rohstoffbasis bzw. ihres Absatzes. Die königliche Verwaltung entscheidet nach Prüfung am Einzelfall, wobei die gebotenen Sicherheiten für königliche Gelder eine große Rolle spielen, ob und wie dem Antrag stattgegeben wird. Eine Koordinierung und Absprache der einzelnen Maßnahmen findet nicht statt, sodass diese auch zuwiderlaufend sein können. Dies liegt zum Teil daran, dass die königlichen Entscheidungen, soweit nicht anders gekennzeichnet, kein Verfallsdatum haben. Auch wenn sie ursprünglich für den Einzelfall getroffen wurden, kann sich auf diese noch Jahrzehnte später berufen werden. Die Erinnerung an bzw. Durchsetzung dieser Entscheidungen liegt im ureigenen Interesse der Antragsteller, wird mit entsprechenden Aktenzitaten eingefordert und unterliegt einer aus heutiger Sicht sehr freien Interpretation zu eigenen Gunsten. Lediglich von einem Durchsetzungsdefizit obrigkeitlicher Maßnahmen zu sprechen, trifft deswegen nicht den Kern. Die Ausgestaltung und Durchsetzung ist nicht deren primäre Aufgabe, sondern die Obrigkeit stellt den Rahmen, innerhalb dessen die jeweiligen Antragsteller und Nutznießer königlicher Erlasse deren Aushandlung vornehmen können. Konkurriert eine königliche Entscheidung mit anderen Interessen, haben die Betroffenen die Möglichkeit, sich gegen diese zu wehren. Gerade die in Vertragsverhältnis mit der Obrigkeit stehenden Unternehmen verbieten sich eine Einflussnahme in ihre Geschäftsführung/Einkaufspraxis mit Verweis auf die gewünschte Qualität der Waren oder den im Vertrag/Reglement festgesetzten Preis. Von einer autoritären Wirtschaftspolitik kann keine Rede sein, sondern es wird vielmehr auf entsprechende Bitten und Klagen der eigenen Untertanen reagiert.
6.
Anfang vom Ende der individuellen Förderpraxis und Ausblick
Zum Ende des Untersuchungszeitraums ist das Aufkommen einer neuen Auffassung von Herrschaft und damit auch Einflussnahme auf die Wirtschaft festzustellen, die zunächst anhand einiger Aktenzitate beleuchtet werden soll. Die westpreußische Kammer geht 1790 davon aus, dass die Anzahl der Schafe in ihrer Provinz weiter steigen werde und dies am freien Handeln der Schafhalter liege, während sich Eingriffe der Obrigkeit negativ auswirken würden. Sie schreiben, »daß diese Vermehrung nicht unser Verdienst oder die Wirkung irgend einer Aufmunterung seyn, sondern daß blos das eigene Interesse des Landmanns sie bewirken wird. Dieses Interesse aber wird wegfallen, wenn Zwang und Strafen dem Landmann die Cultur verleiden und solche Anstalten gemacht werden, daß er sein Product an den Fabricanten zu wohlfeileren Preisen verkaufen muß, als er nach dem durch Concurrenz bestimmten Preise erhalten könnte.«1430 Das V. nun umbenannte Fabriquen-und-Commercial-Departement in Berlin lehnt 1792 die Besserstellung eines einzelnen Fabrikanten, der auf die Durchsetzung seiner Privilegien pocht, mit Verweis auf die Pflicht zur Gleichbehandlung ab. »Allgemein als gut anerkante Berichtigungen, die bey Landes Fabriquen zum Besten des Ganzen gemacht werden, und selbst Abgaben, die ieden Fabrikanten ohne Ausnahme treffen, können zu keiner gegründeten Beschwerde Anlaß geben. Im Gegentheil wird es gewissermaßen Härte gegen alle übrigen, wenn ein einzelner Fabricant davon ausgenommen ist. Und macht unter dergleichen Umständen ein solcher avantagirter Fabricant mehrere Fortschritte in der Fabrication, als andere so ist es nicht die Frucht seiner besseren Industrie, die nur allein Vorzug bringen sollte, sondern es ist nur die Wirkung eines Monopoli.«1431 1430 Westpreußische Kammer an das Generaldirektorium vom 19. Januar 1790, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 1431 Fabriken-Departement an die pommersche Kammer vom 30. August 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 156.
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Die königliche Kammer in Hannover lehnt 1783 den Wunsch der lokalen Amtmänner in Harburg ab, die dortige Pulvermühle, für die kein neuer Betreiber gefunden werden kann, auf königliche Rechnung zu führen. Sie verweist darauf, dass die Obrigkeit noch bei keinem von ihr verwalteten Unternehmen wirtschaftlichen Vorteil gehabt hätte. Es gelte der Grundsatz, dass »eine jede Fabrik am besten in den Händen eines Privati ist, der zu seinem eigenen Vorteile und Gewinstes, mehreren Fleiß und Sorgfalt anzuwenden pflegt.«1432 Allen Aktenzitaten ist gemein, dass die Obrigkeit die eigene Einflussnahme auf die Wirtschaft und Bevorzugung Einzelner kritisch betrachtet. Aus dieser veränderten Sicht des eigenen Handelns resultiert die neue Maxime, Sonderrechte abzuschaffen und stattdessen die Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftstreibenden anzugleichen. Dieser Versuch soll im Folgenden anhand einiger Beispiele beleuchtet werden. Zu den Ursachen dieses Umschwungs können und werden hier nur Vermutungen aufgestellt. Sie umfassend zu erforschen, bedarf eines eigenen Forschungsansatzes. Der Fokus dieser Arbeit liegt in der Aufdeckung einer an Einzelfällen orientierten Wirtschaftsförderung. Diese sich wandelnde Auffassung lässt sich auch sprachlich erkennen. Ein Untersuchungsbericht zu gestiegenen Wollpreisen schiebt 1789 die Schuld auf die Händler und insbesondere die Juden, welche die heimische Wolle aufkaufen und illegal ins Ausland verkaufen würden.1433 Die westpreußische Kammer weist die daraufhin vorgeschlagenen Verbote mit der Begründung zurück, dass auch die Produzenten und Händler »Staatsbürger« seien.1434 Erstmals taucht 1790 im für diese Arbeit gesichteten amtlichen Schriftverkehr der Begriff Staatsbürger auf – zuvor wurde in Abgrenzung zu Ausländern der Begriff »Einländer« oder »Inländer« verwendet. Dieser Begriff bezieht sich auf alle Untertanen und soll in diesem Zusammenhang ausdrücken, dass nicht mehr einzelne Untertanen – etwa Fabrikanten – als nützlicher und damit unterstützenswerter angesehen werden als andere. War es bis dato eine erfolgversprechende Argumentation, um eine persönliche Förderung oder Besserstellung zu erwirken, auf die Größe und damit den Erfolg und Nutzen des eigenen Unternehmens hinzuweisen, ändert sich diese Sicht ins Gegenteil. Der Schönfärber Schultz zu Drossen wendet sich März 1797 an die neumärkische Kammer in Küstrin und bittet zur Errichtung eines neuen Waidhauses um einen Kostenzuschuss von fünfzehn Prozent der Bausumme. Die Kammer in Küstrin leitet den Förderantrag an das Fabriken-Departement in Berlin weiter 1432 Königliche Kammer an die Amtmänner zu Harburg vom 3. Oktober 1783, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 477, Vol. I, S. 134. 1433 Untersuchungsbericht des Kommerzienrats Tamm vom 24. Oktober 1789, in: GStA PK, II. HA, Militärdepartement, Vorakten, Nr. 7, Bd. 1, o.S. 1434 In einem Bericht der ostpreußischen Kammer vom 2. Januar 1790 in: ebd., o.S.
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und gibt eine befürwortende Einschätzung. Da dieser pro Jahr 50 Zentner Waid gewinnen würde, sei er förderungswürdig. Das Fabriken-Departement sieht genau hierin allerdings einen Ausschlussgrund. Wenn der Schönfärber 50 Zentner Waid pro Jahr gewinnen würde, sei er groß genug, dass er seine Kosten selbst aufbringen könne und solle.1435 Wirtschaftlicher Erfolg dient nicht mehr der Begründung weiterer Unterstützungswürdigkeit, sondern dem Verweis auf Eigenständigkeit. Mit dieser neuen Argumentation zur Vergabe von Förderung muss sich auch der Fabrikinspektor und Betreiber der Barchend-Fabrik in Hinterpommern Forckel abfinden. Ein Kredit-Ersuchen zur Erweiterung seiner prosperierenden Barchend-Fabrik wird abgelehnt mit dem Verweis, für eine derart avantagierte Fabrik könnten keinerlei weitere Mittel aufgewendet werden. Er müsse die Kosten selbst tragen.1436 Dabei hat er den lokalen, mit der jährlichen Revision seiner Fabrik betrauten Amtmann durchaus noch auf seiner Seite. Als Forckel wenig später ein neues Material- und Trockenhaus bauen möchte und um die Gestellung der Baumaterialien bittet, befürwortet dieser die Unterstützung. Er schlägt vor, dass die benötigten Gelder aus dem Baumwoll-Magazin-Fond entnommen werden könnten.1437 Das Fabriken-Departement lehnt aber auch diese Unterstützung ab. Der Fond sei vom König nicht mit dem Ziel gegründet worden, einzelne Fabriken mit großen Summen zu unterstützen, sondern zum Wohle aller kleinen Fabrikanten.1438 Parallel beginnen die Bestrebungen, bestehende Einzelförderungen abzulösen und in allgemeine Lösungen zu überführen. Bei Krünitz im Artikel »Privilegium« heißt es dazu: »Jetzt [der Band ist 1811 erschienen] ist man aber im Begriffe, die mehrsten sonst bestandenen Priviligien dieser und anderer Art allenthalben aufzuheben, nicht nur, weil die mehresten Staaten durch die Begebenheiten der neuern Zeit gezwungen sind, die Staatseinkünfte zu vermehren, sondern vorzüglich auch, weil man eine Ungerechtigkeit gegen andere Mitglieder der Staatsgesellschaft begeht, denen dafür eine desto größere Bürde aufgelegt werden muß.«
Zugrunde liege die neue Auffassung der Gleichheit, dass »Je mehr die Freyheit auf der einen Seite ausgedehnt wird, desto mehr muß sie auf der andern Seite eingeschränkt werden, und aus Begünstigungen, Vortheilen und Vorzügen ei1435 Neumärkische Kammer an das Fabriken-Departement vom 16. März 1797, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 87f. 1436 Fabriken-Departement an die pommersche Kammer vom 12. Dezember 1793, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 203–205. 1437 Revisionsbericht des Lüdemann von 1793, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 193–202. 1438 Fabriken-Departement an die pommersche Kammer vom 29. April 1795 in: ebd., S. 210.
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niger Stände folgen Verkürzungen, Nachtheile und Zurücksetzungen anderer.«1439 Zur Betreibung der Barchend-Fabrik wurde dem Forckel im Übernahmevertrag von 1776 ein zinsfreier Vorschuss aus königlicher Kasse von 4.600 Reichstalern gewährt, solange er die Fabrik in Betrieb hält.1440 Dieser königliche Vorschuss soll nun abgelöst werden. Das Fabriken-Departement stellt Forckel vor die Wahl, entweder den Vorschuss zurück zu zahlen oder diesen künftig mit jährlich vier Prozent der Haupt-Manufaktur-Kasse zu verzinsen, wobei ihm eine Frist von vierzehn Tagen gesetzt wird, sich hierzu zu äußern.1441 Da die entsprechende Forderung außer in einer Mahnung, dass die Frist nicht eingehalten wurde, im Schriftverkehr nicht weiter auftaucht, im weiteren Verlauf aber weiterhin von dem zinsfreien Vorschuss die Rede ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese nicht durchgesetzt wurde.1442 Die Versuche der preußischen Verwaltung, die Außenhandelspolitik zu vereinheitlichen, indem individuell zugesicherte Freipässe nicht mehr verlängert oder neu ausgestellt werden, begegnen in mehreren Akten. Die Tochter des April 1782 verstorbenen Baron Matheus von Vernezober, die die Krapp-Plantage ihres Vaters fortführt, bittet im Dezember 1796 zur Sicherung des Absatzes ihres auf Lager liegenden Krapps, diesen von Abgaben zu befreien und keine Freipässe mehr für ausländischen Krapp auszustellen.1443 Der zuständige Minister antwortet ihr darauf, dass seit 1787 keine Freipässe mehr ausgestellt würden. Auch eine Abgaben-Befreiung für ihren Krapp komme nicht in Frage. Zum einen betrügen diese nicht einmal ein Prozent des Verkaufspreises, zum anderen könne man Seine Königliche Majestät damit nicht behelligen.1444 Aus dieser Antwort ist nicht nur der grundlegende Wechsel der Wirtschaftspolitik zu erfahren. Die Gewährung von Freipässen ebenso wie die Befreiung von Abgaben war eine individuelle Förderung, um die sich beim König beworben werden konnte. Die direkte Antwort des Ministers an die Baroness, die sich an den König persönlich gewandt hatte und der Hinweis, damit könne man den Monarchen nicht belästigen, zeigt einen grundlegenden Wandel der Position des Monarchen. Hatte sich zuvor der Untertan mit der Bitte um Förderung an den Monarchen gewandt und die königliche Verwaltung in dessen Namen entschieden 1439 Art. Privilegium, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 117 (1811), S. 466. 1440 Übernahmevertrag vom 29. Oktober 1776, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 1, S. 190–194, hier Art. 4. 1441 Fabriken-Departement an die pommersche Kammer vom 30. August 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 156ff. 1442 Mahnschreiben an Inspektor Forckel mit Durchschlag an die pommersche Kammer vom 8. November 1792 in: ebd., S. 160. 1443 Tochter des Matheus von Vernezober an Friedrich Wilhelm II. vom 29. Dezember 1796, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. 311, Nr. 2, Vol. IV, S. 62. 1444 Minister von Struensee an Baroness von Vernezober vom 26. Januar 1797 in: ebd., S. 65f.
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und geantwortet, wird hier eindeutig darauf verwiesen, dass dieser sich mit solchen als gering angesehenen Einzelfallentscheidungen nicht befassen könne. Es ist aber auch zu erfahren, dass die Veränderung der Außenhandelspraxis nicht öffentlich und allgemein bekannt gemacht wurde. Erst auf Nachfrage erfährt die Wirtschaftstreibende von der Abschaffung der individuellen Freipässe. Ähnlich ergeht es der Barchend-Fabrik in Friedrichshuld, Hinterpommern, an deren Beispiel die versuchte Beschneidung der Sonderrechte auf Freipassgewährung beleuchtet werden soll. Im Vorfeld der geplanten Vereinheitlichung fragt das V. Departement im Juni 1787 bei allen Entrepreneurs und Fabriken an, aufgrund welcher Privilegien sie Anrecht auf welche Zoll- und Akzisefreiheit hätten. Die Antworten werden so zusammengefasst, dass fortan bestimmte Rohstoffe ganz von Zoll und Akzise befreit sind und die nur einzelnen Fabrikanten erteilten Freipässe für hinfällig erklärt werden. Die Auswahl der generell von Abgaben befreiten Rohstoffsorten richtet sich nach deren Verfügbarkeit und weicht damit gar nicht so weit von der bisherigen Praxis ab. Rohstoffe, die im eigenen Land nicht genügend vorhanden seien, werden von Einfuhrzöllen befreit. Sind sie hingegen ausreichend im Inland zu bekommen, wird die zollfreie Einfuhr abgeschafft.1445 Als Begründung bzw. Antwort auf seine Beschwerde, warum seine Sonderrechte abgeschafft würden, wird ihm das eingangs abgedruckte Zitat bekannt gemacht. Allgemein gültige Abgaben können kein Beschwerdegrund sein, wie auch eine Fabrik nicht aufgrund einer Sonderstellung, sondern nur durch ein besseres Geschäftsmodell Gewinne erzielen solle.1446 Statt einzelne Fabrikbesitzer zu unterstützen, soll eine Vereinheitlichung durchgesetzt werden. Die Beweislast wird umgedreht. Es ist nicht ungerecht, dass dem Unternehmer seine Privilegien weggenommen werden, sondern es wäre ungerecht allen anderen Unternehmern gegenüber, sollte ein Einzelner aufgrund von Privilegien wirtschaftlichen Erfolg haben. Der Beginn dieser Vereinheitlichung mit einer Bestandsaufnahme deutet schon darauf hin, dass die Verwaltung zuvor keinen genauen Überblick hatte, wem aufgrund welcher königlichen Entscheidung Sonderrechte zustanden. Noch im Versuch der Abschaffung ein Indiz dafür, dass für die Umsetzung königlicher Geschenke der Nutznießer verantwortlich war, der sich an die Verwaltung wenden musste, um hier seine Freipässe zu erhalten. Dass es bei der Beschneidung der Privilegien ein Durchsetzungsdefizit gab, hat hingegen auch die preußisch-friderizianische Geschichtsschreibung gesehen. 1445 Zirkular-Reskript vom 31. März 1788, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 152f. 1446 General Fabriquen und Commercial Departement an die pommersche Kammer vom 30. August 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 156–159.
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»Preußen war 1786 der modernste Staat in Europa. Aber die Weiterbildung seiner Institutionen erfolgte nach dem Tode Friedrichs des Großen nicht so, wie es erforderlich gewesen wäre.« »Dies war der Punkt, an dem die späteren Reformen, zunächst die Stein-Hardenbergschen ansetzen mußten.«1447
Wer Friedrich II. so hoch lobt, muss zwangsläufig nach dessen Tod eine Zeit des Niedergangs oder Stillstands beschreiben, um die Katastrophe von 1806 zu erklären, auf die dann wieder der Ruhm folgen kann. Wer das Loben relativiert und auf den ›Boden der Tatsachen‹ zurückholt, kann auch die Zeit nach diesem weniger kritisch betrachten. Doch die Geschichte ist mit diesem Reskript und der offiziellen Abschaffung der Freipässe seit März 1788 noch nicht zu Ende! Die Obrigkeit kann eben nicht einfach durchregieren und auch nicht als ›die Obrigkeit‹ genommen werden. Die regionalen Verwaltungsangestellten, die mit dem Unternehmer vor Ort seit fast zwanzig Jahren in Kontakt stehen, stellen sich auf dessen Seite und wenden sich gegen die Entscheidung ›der Zentrale‹ in Berlin. Was geschieht? Im April 1792 beschwert sich der Fabrikinspektor Forckel beim Fabriken-Departement, dass die Akzise- und Zolldirektion ihn aufgefordert habe, Abgaben für eingeführte Rohstoffe zu entrichten, obwohl er vertraglich davon befreit sei. Für den Inspektor stellt sogar die Abfrage der seiner Fabrik zukommenden Vorteile, die im Sinne des Ministeriums deren Abschaffung vorbereiten sollten, deren Bestätigung dar. Er äußert die Vermutung, dass das Ministerium vergessen habe, die königlichen Offizianten in der Provinz von diesen von ihm angezeigten Sonderrechten zu informieren und bittet dies nachzuholen.1448 Die Aussage macht deutlich, dass diese es zumindest versäumt hatten, die Neuregelung vom März 1788 in der Provinz bekannt zu machen. Forckel scheint bei der Abfrage seiner Sonderrechte vielmehr von der gängigen Praxis ausgegangen zu sein, dass nach einem Regierungswechsel – 1786 von Friedrich II. auf Friedrich Wilhelm II. – die erteilten Privilegien erneuert werden müssen.1449 Das Ministerium in Berlin erteilt der lokalen pommerschen Kammer-Deputation den Auftrag, den Fabrikinspektor der Barchend-Fabrik von der Aufhebung des Freipasswesens zu informieren. Darüber hinaus sollte dem Inspektor vorgeschlagen werden, gegen eine Entschädigung auch auf die Akzise-
1447 Gustav von Schmoller, Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte, Berlin 1921, S. 168. 1448 Inspektor Forckel an das Fabriken-Departement vom 20. April 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 121ff. 1449 »Wenn ein neuer Landesherr an die Regierung kömmt, pflegen die Privilegia erneuert und bestätigt zu werden« Art. Privilegium, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 117 (1811), S. 462f.
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freiheit für seine fertigen Waren zu verzichten.1450 Beides wird vom Inspektor massiv zurückgewiesen. Er findet dabei Unterstützung durch die lokale Verwaltung. Die Fabrik sei abseits der großen Handelswege, nur mit den Vergünstigungen gewinnbringend zu führen. Sie plädieren für eine Beibehaltung der Akzisefreiheit und sprechen sich dafür aus, der Fabrik auch weiterhin Freipässe zur zollfreien Einfuhr bestimmter Waren auszustellen. Die Begründung aus der Provinz lautet hier, die Qualität der Rohstoffe im Inland könne nicht mit der ausländischen mithalten, sodass man weiter Sonderrechte brauche.1451 Das Ministerium versucht nicht, den Erlass mit Zwang durchzusetzen, sondern den Unternehmer von der Qualität der inländischen Rohstoffe zu überzeugen, indem ihm Proben und positive Erfahrungsberichte übersandt werden. Trotz der angestrebten Vereinheitlichung wird die königliche Konzession von 1776 weiterhin als bindend angesehen, sodass es gilt, die Privilegien unauffälliger zu beschneiden. So wird – ein mehrfach beobachtetes Vorgehen – mit Präzedenzfällen argumentiert. Andere namentlich angeführte Unternehmer hätten sich ebenfalls zunächst geweigert, aber letztlich gefügt.1452 Ein weiteres Indiz dafür, dass mittlerweile die tendenzielle Gleichbehandlung zur Handlungsmaxime des Wirtschaftsdepartements aufgestiegen ist. Alles gute Einreden hilft jedoch nichts. Der Inspektor besteht auf seinen einmal gewährten Sonderrechten und wird dabei von der lokalen Verwaltung unterstützt, sodass er seine Freipässe weiterhin ausgestellt bekommt. Ein Beleg, dass das reine Betrachten (gedruckter) obrigkeitlicher Anweisungen oder Planungen nicht ausreicht, sich ein Bild von der Lage zu machen. Erst der Blick vor Ort erhellt, wie es mit der Umsetzung bestellt ist. Ein erneuter Versuch der Privilegien-Beschneidung geht 1798 so weit, dem Forckel den königlichen Vorschuss von mittlerweile 5.600 Reichstalern erb- und eigentümlich zu schenken, was dieser zuvor mehrfach erfolglos erbeten hatte. Als Bedingung soll er allerdings auf die im Übernahmevertrag gegebenen Rechte und Freiheiten verzichten. Dieses Angebot lehnt Forckel mit der Begründung ab, dass die Fabrik ohne die gewährten Rechte und Freiheiten nicht gewinnbringend geführt werden könne.1453 Diesem ›Sachzwang‹ fügt sich auch die Obrigkeit. Die veränderte Wirtschaftspolitik wirkt sich auch auf die Brennholzbe1450 Fabriken-Departement an die Kammer-Deputation in Köslin vom 14. Mai 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 125. 1451 Die pommersche Kammer schließt sich der Argumentation des Fabrikbeauftragten Lüdemann an und teilt dies dem Fabriken-Departement mit vom 12. August 1792, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 126ff. 1452 Abschrift was den Baumwoll-Entrepreneurs Stephany und Fischer in Gartz beschieden wurde vom 9. Dezember 1789, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 3, S. 154f. 1453 Fabrikinspektor Forckel an Friedrich Wilhelm IV. vom 11. März 1798, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCLVI, Nr. 9, Bd. 4, S. 2ff.
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schaffung der Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau aus. Als sich die Splitgerbersche Handlung Mitte Oktober 1789 an die königliche Forstverwaltung mit der Bitte um Anweisung des jährlich üblichen Brennholzbedarfs wendet, bekommt sie eine Antwort, die in den vorgehenden Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre. Mit Verweis auf den schlechten Zustand der königlichen Forstreviere werden sie aufgefordert, ihren Bedarf gegen Bezahlung der gewöhnlichen Abgaben aus dem Ausland zu decken.1454 Hierfür beantragen und erhalten sie einen Erlaubnispass, der die Einfuhr des geforderten Brennholzes aus Mecklenburg und Sachsen gestattet.1455 Nur sechs Jahre vorher im März 1783 hatten die Arbeiter der Gewehrfabrik unter Aufbietung aller ihnen zur Verfügung stehender Klagen – Weigerung des Landjägers im Oranienburger Forst, ihnen selbst klobe Äste abholzen zu lassen; großer Schaden durch vermehrten Hauerlohn, sodass ihnen weniger Geld für Lebensmittel bliebe; Unmöglichkeit bei privaten Händlern zu kaufen, da die Brennholz-Kompanie die Preise hochgetrieben habe; großes Leid durch schlechte Heizung und Verweis auf den nächsten Winter, der es ihnen unmöglich mache weiterzuarbeiten – gegenüber der Forstverwaltung ihre vom König zugesicherte bevorzugte Belieferung mit Brennholz gefordert. Als Drohung hatten sie dabei aufgebaut, sollten sie nicht beliefert werden, müssten sie ihr nötiges Brennholz aus Sachsen beziehen.1456 Diese Bitte war mit dem Verweis, dass eine Einfuhr aus fremden Ländern ganz unmöglich sei, abgelehnt worden.1457 Dabei waren die königlichen Forstreviere schon 1783 in einem miserablen Zustand, wie wir der Weigerung des Landjägers in Oranienburg entnehmen können.1458 Auslöser des Meinungsumschwungs war folglich nicht die plötzliche Verschlechterung der Situation in den herrschaftlichen Wäldern. Hier geht es aber nicht nur darum, dass die Einfuhr von Brennholz aus dem Ausland nicht mehr verboten, sondern sogar gefordert wird. Die Einfuhr wird erlaubt, aber die Fabrikbetreiber bekommen keine Sonderrechte, sondern haben die allgemeinen Abgaben zu entrichten, wie sie für alle Untertanen gelten. 1454 Resolution Friedrich Wilhelm II. an die Splitgerberschen Erben vom 22. Oktober 1789, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 1455 Erlaubnispass für die Gewehrfabrik in Potsdam und Spandau über 300 Fuder Kohle und 800 Klafter Brennholz vom 21. November 1789, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 1456 Arbeiter der Gewehrfabrik an Friedrich II. vom 29. März 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 1457 Oberforstmeister Freiherr von der Schulenburg an die Arbeiter der Gewehrfabrik und die kurmärkische Kammer vom 31. März 1783, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, o.S. 1458 Vgl. auch den Bericht des Oberforstmeisters von Schönfeld aus Oranienburg an das ForstDepartement über den Zustand der dortigen Forsten vom 10. Juli 1780, in: GStA PK, II. HA, Rep. 33, Nr. LVIII, Nr. 64, S. 14.
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Der Schönfärber Schultz aus Drossen in der Neumark wendet sich April 1799 an das Fabriken-Departement und bittet um ein Einfuhrverbot für ausländischen Waid. Er habe eine Waid Plantage, baue für den eigenen Bedarf 30 bis 40 Zentner jährlich an, und habe darüber hinaus das Gleiche noch einmal als Überschuss. Die angeführten Gründe sind erfolgversprechend. Er kann einen renommierten Schönfärber aus Berlin anführen, der für die Qualität seiner Produkte bürgt und diese über das in Erfurt produzierte Waid stellt. Auch seine Preise seien wohlfeil. In Erfurt koste der Zentner 10, bei ihm nur 8 Reichstaler.1459 Die Antwort des Manufaktur und Commercien Kollegiums ist allerdings eindeutig und stellt Vielfalt und Wettbewerb an oberste Stelle. Es sei bedenklich, den Handel mit einem so unentbehrlichen Fabriken-Material, wie der Waid es sei, durch Beschränkung ausländischer Lieferanten in die Hand eines oder weniger Inländer zu geben. Statt eines Verbots wird ihm empfohlen, seinen Kundenkreis durch Werbung zu erweitern und so für besseren Absatz zu sorgen.1460 Mit dieser Antwort will sich Schultz nicht zufrieden geben und fordert im Juli 1799 erneut ein Einfuhrverbot, was das Fabriken-Departement aber erneut negativ bescheidet.1461 Festzuhalten ist, dass zwar keine neuen Vergünstigungen mehr erteilt werden, die bestehenden aber nicht einfach per Federstrich aufgelöst werden können. Radtke beschreibt den Wandel der Wirtschaftspolitik unter Friedrich Wilhelm II. unter der Prämisse des Versuchs, Monopole aufzuheben. Deren ursprüngliche Intention sei gewesen, Wissen zu bündeln, was die Entscheidungsträger nun nicht mehr für nötig ansähen. Er attestiert den Versuchen Friedrich Wilhelms II. keinen Erfolg und urteilt, dass guter Wille nicht ausreiche für die notwendigen Reformen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.1462 Diese Sicht deckt sich nicht nur mit der im Kapitel Wissen aufgedeckten Entpersonalisierung von Wissen, sondern fügt sich in die preußisch-friderizianische Erzählung von dessen Nachfolger als schwachem Herrscher. In dieser Hinsicht, den ausschlaggebenden Faktor für die mangelnde Umsetzung beim Monarchen zu sehen, muss sie ergänzt werden. Vielmehr hatte sich die neue, auf staatsbürgerlicher Gleichheit beruhende Sicht der Wirtschaftspolitik nicht in der ganzen königlichen Verwaltung durchgesetzt. Die um die Aufrechterhaltung 1459 Schönfärber Schultz an Friedrich Wilhelm III. vom 2. April 1799, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 89f. 1460 Manufaktur-und-Kommerzien-Kollegium an das Fabriken-Departement vom 7. Juni 1799, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 92f. 1461 Schriftverkehr zwischen Schönfärber Schultz und dem Fabriken-Departement vom April und Juli 1799, in: GStA PK, II. HA, Abt. 25, Tit. CCCXI, Nr. 1, Bd. 2, S. 89–99. 1462 Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740–1806, Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, Berlin 2003, S. 471f.
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ihrer Sonderrechte kämpfenden Unternehmer konnten so auch innerhalb der Verwaltung mit Unterstützung und Fürsprechern rechnen, die an den bisher praktizierten Fördermethoden festhielten. Ähnlich stellt sich die Lage in Kurhannover dar. Hier war 1786 und damit deutlich nach Brandenburg-Preußen ein Kommerz-Kollegium gegründet worden, das sich eigens um die wirtschaftliche Entwicklung kümmern sollte. Zuvor hatte die königliche Regierung in Hannover diese Aufgabe in Absprache mit den lokalen Verwaltungen wahrgenommen.1463 Das unter dem Minister von Beulwitz neu gegründete königlich großbritannische und kurfürstlich braunschweig-lüneburgische Commerz-Collegium hatte die Aufgabe, »die zu dem CommerzFabrick- und Manufactur-Wesen in Allerhöchst Deroselben deutschen Landen gehörenden Angelegenheiten« zu betreuen. Beulwitz beginnt mit einer Bestandsaufnahme, die im Abschnitt zur Marktanalyse behandelt wurde. Dieser Fragebogen, der an »alle Städte, Ämter und geschlossenen Gerichte in sämtlichen Königlich-Churfürstlichen Deutschen Landen« versandt wird, enthält auch eine grundlegende Aussage zur Wirtschaftsauffassung und zum Verhältnis von Individuum und Allgemeinheit. Die Befragten werden aufgefordert, Fördervorschläge zu machen, da »wir bereitwillig sind, eines jeden Vorschlage zu der Aufnahme seiner eigenen Handlung oder Gewerbe oder des algemeinen Handlungs-Zustandes hiesiger Lande, zu vernehmen und zu prüfen und jedermann zu Vorschlägen solcher Art, in so ferne sie von Uns für thunlich und dem algemeinen Besten, dem natürlicherweise eines jeden privat Interesse untergeordnet seyn muß, nicht entgegen werden erkannt werden, einer sorgfältigen Erwägung und so viel möglich ist, einer Unterstützung derselben von uns versichert seyn könne.«1464
Bezüglich der Freipassgewährung hatte die kurhannoversche Regierung diese, wie im entsprechenden Abschnitt ausgeführt, ohnehin deutlich enger angewandt, als dies die preußische Obrigkeit getan hat, sodass sie deren Gebrauch durch Privatpersonen auch nicht einschränken musste. Die im Fragebogen dargelegte Auffassung, dass eine individuelle Förderung nicht zu Lasten Dritter gehen dürfe, sorgt aber für Konfliktpotential, wenn sich auf gewährte Privilegien berufen wird, die ja gerade die Besserstellung Einzelner zu Lasten Dritter zur Ursache hatten. Die Praxis, diese nicht mehr zu gewähren, aber auch nicht für unwirksam zu erklären, soll anhand der versuchten Privilegien-Durchsetzung der Grätzelschen Tuchfabrik gezeigt werden. Dessen um die Mitte des 1463 So hatte Georg III. die königliche Kammer ersucht, über von ihm unterstützte Fabriken in seinen deutschen Landen Auskunft zu erteilen vom 28. September 1769, in: HStA H, Hann. 92, Nr. 603, S. 10. 1464 Alle Zitate aus dem gedruckten Fragebogen vom 1. Mai 1786, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 3221, o.S.
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18. Jahrhunderts erwirkte Privilegien werden bis weit in das 19. Jahrhundert im Schriftverkehr gegenüber der hannoverschen Regierung angeführt. Im Dezember 1817 wendet sich der Betreiber der Tuchfabrik Grätzel an das königliche Kabinettsministerium und verweist auf das von Georg II. am 18. Oktober 1754 erteilte Privileg. Er führt an, bis zum Einfall des Feindes 1803 habe er aufgrund des Privilegs die Armee beliefert. Obwohl er während der feindlichen Besetzung die Manufaktur unter großen Opfern aufrechterhalten habe, seien bei ihm nach der Generalordre von März 1816 zur Reorganisation des vaterländischen Militärs nur drei kleinere Tuchbestellungen eingegangen. Nun bittet er um eine Bestätigung, neun Regimenter mit Tuchen zu beliefern.1465 Diese wird ihm weder jetzt noch bei künftigen Versuchen gewährt. In einem internen Gutachten, welches die Kriegskanzlei für das Kabinettsministerium erstellt, beschreibt diese, dass sich die wirtschaftliche Lage weiterentwickelt habe und von der 1754 unterscheide. Für die Uniformtuch- und Futterlieferungen der Armee hätten sich andere Fabriken im Land etabliert, die im Falle einer Erneuerung des Grätzelschen Privilegs kaum aufrechtzuerhalten wären. Daraus leiten sie ab: »so sind doch viele Rechtslehrer der Meynung, daß wenn die Verhältnisse sich so sehr geändert haben, daß das Privilegium eines Einzelnen mit dem Wohl des Ganzen nicht mehr in Uebereinstimmung zu bringen ist, der obersten Staatsgewalt die Befugniß zustehe, das unter anderen Umständen und Verhältnissen ertheilte Privilegium wieder aufzuheben.«
Trotz dieser Einschätzung wollen sie diesen Schritt aber nicht gehen und kommen zu dem Schluss, dass es derzeit keinen hinreichenden Grund gäbe, das Privileg aufzuheben oder für schon aufgehoben anzusehen.1466 So wird dem Grätzel auch nicht die Aufhebung seines Privilegs mitgeteilt, sondern die Auftragsvergabe wird unter anderen Gründen abgelehnt. Etwa 1818 mit Verweis darauf, dass die Beschaffung der Uniformen nicht mehr bei der Truppe läge, sondern bei der jetzt hierfür zuständigen Militärbekleidungskommission. Diese sei bei der letzten Lieferung des Grätzel unzufrieden mit der gelieferten Qualität gewesen und verärgert darüber, dass er die Vertragsbedingungen nicht eingehalten habe.1467 Eine faktische, aber keine endgültige Aufhebung des Privilegs, sodass sich die weiteren Versuche, dieses durchzusetzen bis in die 1840er Jahre hinziehen. Anders läuft es bei der Befreiung von der Registeramtsabgabe. Diese hatte der Grätzel bei Gründung seiner Fabrik zunächst für zwanzig Jahre erlassen be1465 Fabrikbesitzer Grätzel an das königliche Kabinettsministerium in Hannover vom 21. Dezember 1817, in: HStA H, Hann. 80 Hildesheim, Nr. 05774, o.S. 1466 Kriegskanzlei an das Kabinettsministerium vom 27. Januar 1819 in: ebd., o.S. 1467 Königliche Regierung an den Fabrikbesitzer Grätzel vom 24. Januar 1818 in: ebd., o.S.
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kommen. Nach 24 Jahren kommt es zu einer Aushandlung der fälligen Gebühren, in deren Verlauf sich der Grätzel bereit erklärt, zwei Reichstaler jährliche Abgabe zu entrichten. Auf diesen Vorschlag geht die königliche Kammer, die zuvor drei Reichstaler gefordert hatte, ein und setzt einen Erbzinsbrief zwischen Georg II. und dem Manufakturkommissarius Johann Heinrich Grätzel auf, in dem die jährliche Registerabgabe für diesen und seine Leibeserben, solange die Fabrik dem Behuf dient, auf zwei Reichstaler festgesetzt wird.1468 Fast hundert Jahre später 1846 haben die Fabrikanten Levin und Böhme den Grätzelschen Besitz meistbietend gekauft und fordern von der königlichen Kammer eine Bestätigung des Erbzinsbriefes. Nachdem sich diese zunächst negativ äußert, dass es sich um Käufer und keine Leideserben handelt, kommt es schließlich doch zur notariellen Beglaubigung und Erneuerung.1469 Sowohl in Preußen als in Hannover sind durch den König erlassene Sonderrechte bindend und von der Verwaltung nicht anzuzweifeln oder aufzuheben. Die königlichen Entscheidungen stellen den Rahmen für das Verwaltungshandeln und wurden von den Nutznießern wie den Verwaltungsangestellten teils recht frei interpretiert, aber nicht grundlegend in Frage gestellt. Das Festhalten an einmal gewährten Rechten lässt sich auch bei der Neuordnung der Arbeitsabläufe der Herzberger Gewehrfabrik seit 1788 nachweisen. Ziel des Umbaus der Fabrik, der in einem Konzept des Kriegssekretärs Ramberg 1788 entworfen und von Georg III. 1791 genehmigt wird,1470 ist es, dass jedem Arbeitsschritt ein Meister zugeordnet wird, der in einem Werkstattraum die Oberhoheit über alle diesen Arbeitsschritt ausführenden Arbeiter innehat. Das zugrundeliegende Problem ist, dass man zwar vereinheitlichend von Fabrikanten und Ouvriers spricht, die zünftige Trennung in Meister, Gesellen und Lehrjungen aber aufrechterhält. Waren nun in der Vergangenheit mehrere Meister für ein und dieselbe Tätigkeit angeworben worden, hatten diese ihre je eigenen Werkstätten mit ihnen persönlich unterstehenden Gesellen und Lehrjungen errichtet. Ohne das Zugeständnis einer eigenen Werkstatt mit den daran hängenden Rechten und Einkünften hätte kein fähiger Meister zur Übersiedlung bewegt werden können. Insgesamt sollen nun sieben Meisterstellen bei der Gewehrfabrik eingespart werden, wodurch sich die Kriegskanzlei einige Synergieeffekte erhofft. In einem neu zu errichtenden Gebäude am Mühlengraben soll jeder Arbeitsschritt in einem Raum erfolgen. Dadurch würden unnötige Wege eingespart, bei denen besonders die Schäfte beschädigt werden könnten. Der Über1468 Erbzinsbrief vom 16. März 1747, in: HStA H, Hann. 74 Göttingen, Nr. 1738, o.S. 1469 Ablehnendes Gutachten der königlichen Kammer vom 29. September 1846 und notarielle Beglaubigung des Erbzinsbriefes vom 20. September 1847 in: ebd., o.S. 1470 Genehmigung des Entwurfs und Bewilligung der Baukosten durch Georg III. vom 15. April 1791 HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II.
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blick und die Koordination der einzelnen Arbeitsschritte würde verbessert, wenn sich keine Gewehrteile mehr in verschiedenen Häusern oder auf dem Weg dazwischen befänden, sondern nur in den dafür vorgesehenen Räumen. Pro Raum könne ein Meister die Aufsicht führen, was zu einer besseren Kontrolle und damit Einförmigkeit der Produkte führe. Die Verminderung der Meisterstellen führe zu Einsparungen bei den Meisterlohnkosten, die anschließend auf die Gesellen umgelegt werden könnten. Deren Stellung würde sich damit attraktiver gestalten, sodass bessere Gesellen nach Herzberg gezogen bzw. dort gehalten werden könnten. Dies würde auch dadurch erreicht, dass mit dem neuen Gebäude am Mühlengraben alle Werkstätten an die Wasserkraft angeschlossen seien, was das Schleifen und Polieren in Handarbeit überflüssig mache. Die Umsetzung dieses Plans erweist sich aber als schwierig, wenn die Arbeiten bisher von mehreren Meistern verübt wurden. So geht das Konzeptpapier als Beispiel auf den Arbeitsschritt des Rohrverschraubens ein, für den neun bis zehn Arbeiter nötig seien. Derzeit führen die beiden Brüder und Meister Peter und Jacob Klawitter diese Arbeit mit ihren jeweiligen Gesellen aus. Nun müsste der Jacob als der jüngere sich seinem Bruder als Geselle unterordnen, was neben dem Statusverlust auch die Einbuße seiner Meistereinnahmen bedeuten würde. Dies wird als nicht zumutbar angesehen, sodass bis zum Ableben eines Bruders die beiden in einer Werkstatt zusammengelegt, aber separat als Meister entlohnt werden sollen. Noch größere Einschränkungen werden bei den Schlossmachern und Ausarbeitern eingestanden. Die vier Schlossmacher König, Rebbeling, Körber und Nenne sowie der Rüstmeister Schrader und der Büchsenmacher Holtzapfel mit insgesamt 22 Gesellen und 3 Lehrburschen arbeiten derzeit in sechs einzelnen Werkstätten. Da man keinen als Aufseher einsetzen möchte mit der Folge der Degradierung der Restlichen soll die Zeit das ›Problem‹ lösen. Während die beiden Büchsenmacher mit anderen Aufgaben abgefunden werden, arbeiten die vier Schlossmachermeister mit ihren jeweiligen Gesellen und Lehrburschen zu ihrem alten Meistergehalt weiter, bis einer nach dem anderen stirbt und nur eine Meisterstelle übrig bleibt. Hierzu wird ihnen ein großes Eckzimmer von 120 Fuß Länge angewiesen, in dem Platz für 26 Schraubstöcke sein soll, die auf Grund der nötigen guten Lichtverhältnisse jeweils 4 Fuß Raum am Fenster erhalten. Um Kollisionen und Streitigkeiten zu vermeiden, sollen die einzelnen Werkstätten durch Bretterwände voneinander getrennt werden.1471 Das Ziel des Wissenstransfers und der Vereinheitlichung, von der besseren Beleuchtung einmal abgesehen, fällt dadurch völlig weg und wird den überkommenen Rechten und Eitelkeiten der Meister geopfert. Von einem nach ra1471 Konzept des Kriegssekretärs Ramberg vom 2. August 1788, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, S. 91–117.
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tionalen Gesichtspunkten geleiteten Befehlen der Obrigkeit kann hier nicht gesprochen werden. Vielmehr werden alte Traditionen als nicht bzw. schwer antastbar angesehen und man wartet auf das Aussterben der alten Funktionsträger. Letztlich ist man auf das Know-How der alten Meister angewiesen. Auch weitere Sachzwänge sind nachweisbar. Als 1798 einer der alten Meister stirbt, erwirkt seine Witwe die Erlaubnis, dessen Werkstatt weiterführen zu dürfen, um die von ihrem verstorbenen Mann bei der Obrigkeit angehäuften Schulden abstottern zu können.1472 Auch der hier dargelegte Versuch der Abschaffung der individuellen Wirtschaftsförderung bestätigt die Theorie. Die Obrigkeit tritt nicht als Einheit auf, sondern die verschiedenen Ebenen handeln und argumentieren nach ihren eigenen Entschlüssen. Die Entscheidungen der Obrigkeit werden von den Betroffenen nicht als unabänderlich akzeptiert, sondern es besteht die Möglichkeit, sich gegen die Beschneidung der eigenen Sonderstellung erfolgreich zu wehren. Zum Teil gelingt es – auch weil die Obrigkeit eben nicht einheitlich auftretend den neuen Kurs verfolgt –, mit Fürsprechern innerhalb der Verwaltung einen Kompromiss zu finden bzw. eine erneute Ausnahme zu erwirken. Die überkommenen Sonderrechte gelten so teils bis weit in das 19. Jahrhundert hinein fort, wenn auch deren Umsetzung bei der Verwaltung zunehmend auf Unverständnis stößt. Die aus der Grundannahme der relativen Gleichheit der Untertanen und Allgemeingültigkeit beanspruchender Regeln hervorkommende, neue Wirtschaftsauffassung hat sich nicht umfassend und schlagartig oder per Federstreich durchgesetzt. Sie ist weder von oben noch von unten, weder von der Zentrale noch aus der Provinz eingeführt oder erstritten worden, sondern es bedurfte weiterhin der wechselseitigen Aushandlung am Einzelfall.
1472 Kriegskanzlei an die Leitung der Gewehrfabrik vom 5. Februar 1798, in: HStA H, Hann. 47 I, Nr. 136, Vol. II, S. 3.
7.
Fazit
Der dem Selbstverständnis der Herrschenden entspringende und von der herrschaftsnahen (nicht nur preußischen) Geschichtsschreibung aufgegriffene Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertanen, der von der marxistischen Geschichtsschreibung in Unterdrücker und Unterdrückte umgedeutet wurde, trifft schon deshalb nicht den Kern der Lage im 18. Jahrhundert, weil es nicht ›die Obrigkeit‹ gab. Nach außen versuchten die verschiedenen Vertreter der Obrigkeit vielleicht, einig aufzutreten. Der Blick in das Zustandekommen und die Umsetzung obrigkeitlicher Entscheidungen offenbart aber ein vielschichtiges Bild und das Einwirken vieler Partikularinteressen. Entscheidungen der Obrigkeit waren auch nicht unverrückbar, sondern es bestand die Möglichkeit für die Untertanen, gegen diese vorzugehen und sich zu beschweren. Die hiervon ausgelösten Untersuchungen wurden ergebnisoffen geführt und konnten zur Aufhebung oder Änderung führen. Eine klare und einfache Trennung in die Obrigkeit und die Untertanen bzw. Herrscher und Beherrschte oder Unterdrücker und Unterdrückte vereinfacht die Lage zu sehr und verschließt die Augen für die vielfältigen Wechselbeziehungen und gegenseitigen Abhängigkeiten. Gerade die Vertreter der Obrigkeit in der Provinz verstanden sich zum einen als deren Repräsentanten gegenüber den lokalen Untertanen, gleichzeitig vertraten sie zum anderen aber die Anliegen ihrer lokalen Untertanen gegenüber der Obrigkeit in der Zentrale. Auch innerhalb der königlichen Verwaltung fanden sich so Fürsprecher für die Anliegen der Untertanen. Die Mitglieder der Obrigkeit nahmen im Herrschaftssystem je nach Situation und Gesprächspartner verschiedene Rollen ein. Sie sind sowohl als Befehlsempfänger als auch als Befehlsgeber und Befehlsmittler tätig. Hinzu kam die Funktion als Berater, wenn die Institutionen der königlichen Regierung in der Hauptstadt Informationen über die Lage in der Provinz brauchten sowie bei der Anpassung von Anweisungen an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort. Sie prüften die Bonität und Glaubwürdigkeit von Antragstellern vor Ort, legten bei Fehlverhalten das Strafmaß, aber auch die Schuldentilgung individuell nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit fest. Dies erfolgte nicht nach klaren, allgemeingültig-festgelegten
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Fazit
Regeln, sondern am Einzelschicksal orientiert und auf persönlicher Erfahrung und Sozialisation beruhend. Eine Notwendigkeit, da es keine landeseinheitlichen Rahmenbedingungen gab, sondern diese in einem historischen Prozess für jede Stadt, jedes Dorf und Rittergut gewachsen waren. Dies betraf Maß- und Währungssysteme genauso wie Verkaufspraktiken, Gebräuche, Rechte und Pflichten sowie lokal bedeutende Persönlichkeiten und Abhängigkeiten. Gesetze wurden nicht allgemeingültig für die Gesamtheit der Untertanen erlassen, sondern richteten sich an die jeweils Betroffenen. Damit nimmt zwar auf der einen Seite die Komplexität weiter zu, während aber auf der anderen Seite alte Gesetze und Gebräuche, die sich überlebt haben bzw. an die keiner mehr erinnert, in Vergessenheit geraten. Das frühneuzeitliche Gesellschaftssystem war geprägt von historisch gewachsenen, dezentralen Strukturen und gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Dekonstruktion der Zentralstaatlichkeit ist damit kein Aufzeigen der Mängel der frühneuzeitlichen Gesellschaft, sondern deren Antwort und Anpassung an die starke lokale Differenzierung der Lebensverhältnisse. Dass wir heute in England-Hannover von einer Personalunion sprechen, ist mehr in der weiteren Entwicklung der Nationalstaaten begründet als in der Situation im 18. Jahrhundert, in dem es die Regel war, dass Monarchen über unterschiedliche Landesteile herrschten, die weder räumlich noch verwaltungstechnisch eine Einheit bildeten. England-Hannover wie die großen Beispiele Sachsen-Polen oder Dänemark-Norwegen, die aufgrund der sprachlichen Unterschiede, aber vor allem durch die späteren Trennungen, das Bild künstlicher Gebilde mit dem Monarchen als einzigem gemeinsamen Nenner aufzeigen, verbauen den Blick dafür, dass die Ansammlung verschiedener Gebietsherrschaften die Regel war. Betrachten wir Brandenburg-Preußen – und die Aneinanderreihung der Titel des Monarchen1473 zeigt auf, dass es noch viel mehr Landesteile waren – handelt es sich auch hier um verschiedene Landesteile mit eigener Tradition und unterschiedlicher, historisch gewachsener Rechts- und Verwaltungspraxis, die unter dem Dach eines gemeinsamen Monarchen zusammengefasst wurden, 1473 »Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König in Preussen, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Römischen Reichs Erz=Kämmerer und Churfürst, Souverainer Prinz von Oranien, Neufchatel und Vallengin, in Geldern, zu Magdeburg, Cleve, Jülich, Berge, Stettin, Pommern, der Cassuben und Wenden, zu Mecklenburg, auch in Schlesien zu Crossen Herzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden, Camin, Wenden, Schwerin, Ratzeburg und Mörs, Graf zu Hohenzollern, Ruppin, der Marck, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Schwerin, Bühren und Lehrdam, Marquis zu der Vehre und Vlißingen, Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock, Stargard, Lauenburg, Bütow, Arlay und Bredal etc.« Hier in einem gedruckten »Edict Daß alle Woll=Arbeiter und Fabricanten von der Werbung frey seyn sollen« vom 8. Februar 1721, in: GStA PK, I. HA, Rep. 9, Nr. JJ12d, Packet 1, Fasc 1, S. 98f.
Fazit
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ohne dass damit gleich eine Homogenisierung der Lebensverhältnisse einhergehen würde. Nur die spätere Entwicklung und engere Verschmelzung macht uns glauben, dass diese auch schon im 18. Jahrhundert eine Einheit gebildet haben müssen. So offenbaren diese Befunde auch, dass sich Brandenburg-Preußen und Kurhannover in all ihrer lokalen Differenziertheit glichen. Für den einzelnen Untertan war der Monarch in London genauso weit weg wie der in Potsdam, saß die königliche Verwaltung im fernen Hannover oder Berlin. Der direkte Kontakt mit der Obrigkeit erfolgte durch lokale Vertreter, deren Auftreten und Handeln weder durch eine einheitliche Schule noch Handlungsanweisungen abgestimmt waren. Die territoriale Vereinigung und Homogenisierung der verschiedenen Herrschaftsteile, wie sie nach den Erfahrungen der bismarckschen Reichseinigung auch Friedrich II. unterstellt wurde, konnte hingegen nicht als Handlungsmaxime festgestellt werden. Vielmehr hatte man sich im bestehenden System eingerichtet. Das Bewusstsein der Unterschiedlichkeit der Landesteile spiegelt sich wider in der Organisation der königlichen Regierung und Verwaltung, die sowohl inhaltliche als auch regionale Schwerpunkte hat. Ein weiterer Aspekt, warum nicht von ›der Obrigkeit‹ gesprochen werden kann, liegt in ebendieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung und einem Ressortdenken der Mitglieder der königlichen Verwaltung begründet. Neben der bereits erwähnten regionalen Differenzierung waren die Vertreter der Obrigkeit vor allem für den ihnen anvertrauten Geschäftsbereich zuständig. An diesem waren sie bei geringem ›Grundgehalt‹ durch entsprechende Rechte, Pflichten und Umsatzbeteiligung interessiert. Dies betraf nicht nur die Ressortchefs, sondern auch deren Sekretäre bis zu niederen Angestellten – etwa bei der Forstverwaltung vom Oberforstmeister in Berlin bis zum Holzschreiber auf dem Markt und Förster in der Heide. Noch ein Grund für das Ressortdenken liegt im Sicherheitsbedürfnis der Obrigkeit, das von oben beginnend nach unten weitergereicht wurde. Königliche Kassen und Gelder wurden nur Personen anvertraut, die entsprechende Sicherheiten in Form einer Bürgschaft oder Kaution stellen konnten und bei größeren Summen darüber hinaus dem König persönlich bekannt und vertraut waren. Die Verwalter königlicher Kassen hafteten damit auch mit ihrem eigenen Vermögen und Besitz und waren durch mit dem Posten zusammenhängende Rechte und Pflichten persönlich mit der Aufgabe verschmolzen. Eine klare Trennung zwischen privat und geschäftlich bzw. öffentlich oder Dienst- und Freizeit bestand im 18. Jahrhundert nicht. Ausdruck findet diese fehlende Trennung auch in der lebenslangen Betrauung mit Aufgaben sowie in der Dienstwohnung am Arbeitsplatz, die sich heutzutage allenfalls noch beim neben der Kirche gelegenen Pfarrhaus erhalten hat.
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Fazit
Einmal jährlich mussten im Zuge einer Revision der vorgesetzten Stelle die Bücher vorgelegt und Rechenschaft über die verwalteten Mittel abgelegt werden. Vergab eine königliche Kasse Kredite – etwa als Startfinanzierung für ein neues Unternehmen – war es folglich in ihrem eigenen Interesse, ebenfalls entsprechende Sicherheiten einzufordern. Damit hatten die Verwalter obrigkeitlicher Gelder nicht das große Ganze im Blick oder waren auf die Staatsräson eingeschworen, sondern achteten vor allem auf den eigenen anvertrauten Geschäftsbereich. Dies gilt entsprechend für Auftragsvergaben der Obrigkeit, für die eine Anzahlung getätigt werden konnte. Der üblichen Praxis, Ware erst bei bzw. nach der von entsprechenden Qualitätsproben begleiteten Auslieferung zu bezahlen, ist es geschuldet, dass Handwerker die Rohstoffe und den Arbeitslohn vorstrecken mussten. Bei größeren Bestellungen, wie sie vor allem für die Armee anfielen, war es den Handwerkern nicht möglich, dieses Kapital vorzustrecken, sodass Vorschüsse gezahlt wurden. Damit begab sich die auftraggebende Obrigkeit in Vorleistung und geriet in Abhängigkeit von den beauftragten Handwerkern. Auch die geforderten Sicherheiten und Bürgschaften konnten hier nur vordergründig den eingesetzten Vorschuss absichern, nicht jedoch das eigentliche Ziel sicherstellen, gute Qualität in festgesetzter Zeit zu erhalten. Die von Historikern als Autarkiestreben verklärte Praxis, Aufträge an Unternehmen im eigenen Land zu vergeben, hat neben den Beschwerden der eigenen Untertanen, bei Auftragsvergaben leer auszugehen, die Ursache in der Annahme der Obrigkeit, gegenüber den eigenen Untertanen feste Preise und gute Qualität durchsetzen zu können und im Falle eines Lieferausfalls Zugriff auf die Schuldigen zu haben. In Verträgen der Sicherheit und Kontrolle anstrebenden Obrigkeit mit den Lieferanten wurden immer Vorgaben zu Qualität und Lieferdauer gemacht und zum Teil mit Strafzahlungen ergänzt. Deren Einhaltung wurde durch die große Abhängigkeit von der Natur bei Rohstoffen, Energieversorgung und Transportwesen, die eine gleichmäßige Produktionsauslastung und Produktqualität verhinderte, unmöglich gemacht. Auf der anderen Seite gab diese Abhängigkeit aber den Vertragspartnern genügend Möglichkeiten für Ausreden, warum Fristen oder Qualitätsversprechen nicht eingehalten wurden/werden konnten. Im gesichteten Schriftverkehr ist kein Fall überliefert, in denen eine im Vertrag angedrohte Strafzahlung wegen Lieferverzögerungen wirklich fällig wurde. Dass auch längere Lieferverzögerungen und Qualitätsmängel, auf die die Auftraggeber mit entsprechenden Unmutsbekundungen reagierten, nichts Ungewöhnliches waren, belegen die dennoch gegebenen Folgeaufträge. Generell kann festgestellt werden, dass die Obrigkeit Aufträge immer wieder an die gleichen, bekannten und großen Anbieter vergeben hat. Zum einen war dies sicher Bequemlichkeit, keine ›öffentliche Ausschreibung‹ vornehmen zu müssen. Sie bedeutete im 18. Jahrhundert ein Rundschreiben an die lokalen
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Vertreter der Obrigkeit in den Provinzen mit der Anfrage, ob sie in ihrem Verantwortungsbereich von entsprechenden Handwerkern oder Produktionsstätten wüssten bzw. die Aufforderung zu erklären, wie bei ihnen mit derartigen Aufträgen verfahren würde. Zum anderen entfiel eine erneute Überprüfung der zu stellenden Sicherheit und die gelieferte Qualität war aus vorherigen Lieferungen bekannt. Hatte der Anbieter eine gewisse Größe, konnte er schneller größere Mengen produzieren und ausliefern. Auch diese Praxis liegt im Sicherheitsbedürfnis der Obrigkeit begründet. Eine Reaktion darauf, dass die Obrigkeit auf dem komplexen Feld der Wirtschaft und des Handels nicht so ›herrschen‹ kann, wie dies ihrem Selbstverständnis entsprochen hätte und selbst zahlreichen Sachzwängen unterlegen ist. Deren Ursachen waren mit dem zeitgenössischen Wissen nicht bzw. aus heutiger Sicht nur unzureichend erklärbar. Die Initiative für wirtschaftspolitische Maßnahmen, das heißt Wirtschaftsförderung, geht von Unternehmensvertretern aus. Diese wenden sich meist begleitet von Klagen an die Obrigkeit. Adressat ist der König, bearbeitet wird die Anfrage von den zuständigen Ressorts der königlichen Verwaltung. Sie bitten um konkrete Unterstützung und schlagen Maßnahmen vor. Die königliche Verwaltung entscheidet am Einzelfall, ob der Antrag glaubwürdig und die geforderten Maßnahmen angemessen sind. Auf diese Entscheidungen können sich, wenn sie davon gehört haben – ein System der Veröffentlichung obrigkeitlicher Entscheidungen besteht nicht – andere Untertanen in einer ähnlichen Situation berufen und um eine entsprechende Förderung bewerben. Ein Rechtssystem, dessen Grundzüge der Präzedenzfälle an das anglo-amerikanische case law erinnern. Allgemeine Grundsätze, wer mit Förderung rechnen kann, können nicht aufgestellt werden, da schon die Zeitgenossen am Einzelfall entschieden und keine festen oder gar schriftlichen Förderkriterien zugrunde legten. Es können aber Kriterien beschrieben werden, die eine Förderung wahrscheinlich erscheinen ließen. Grundlegende Voraussetzung war ein gutes Netzwerk. Man musste gehört haben, wer und wie bereits gefördert wurde und daraus ableiten, was prinzipiell möglich war. Man musste gehört haben, was im eigenen Land noch nicht oder nicht ausreichend vorhanden war. Gute Chancen hat, wer über Fürsprecher verfügt und mit entsprechenden Zeugnissen und Proben nachweisen kann, dass er wirtschaftlichen Erfolg hat und gute Qualität produziert. Erfolg und Größe, in Verbindung mit Grundbesitz dienen als Sicherheit für die eingesetzten königlichen Gelder. Hat man einmal königliche Gelder im eigenen Unternehmen stehen, kann der Schutz dieser Investition als Druckmittel genutzt werden, um weitergehende Unterstützung zu erhalten. In die gleiche Richtung wird das Wohlergehen der auf königliche Kosten aus dem Ausland angezogenen Arbeiter angeführt. Die eigenen Arbeiter eignen sich generell gut als Fürspre-
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cher, wenn sie gegenüber der königlichen Verwaltung den Chef und das eigene Unternehmen loben und sich über Konkurrenten, zu hohe Rohstoffpreise oder allgemein ungerechte Behandlung beschweren. Erfolgversprechend war es, den Antrag mit den ›aktuellen‹ Argumenten der Kameralwissenschaften ›wissenschaftlich‹ zu untermauern: Es sei sehr nützlich für das Land, dieses Unternehmen anzulegen. Statt für die Einfuhr Geld zu bezahlen, würde durch die Ausfuhr Geld ins Land geholt. Man würde eigene Manufakturen und Handel befördern, schaffe viele neue Arbeitsplätze und würde nützliche Facharbeiter mit ihren Familien zur Ansiedlung bewegen. Aus diesen Anträgen finden die Argumente Eingang in die Präambeln und Begründungen der entsprechenden, von der Obrigkeit erlassenen Anordnungen und Förderzusagen. Unter Ausblendung des Zustandekommens und Nutzung der Schablone Herrscher – Beherrschte unterstellte die historische Forschung diese dem absolutistisch-merkantilistischen Monarchen als Intention allen wirtschaftlichen Handelns. Auch die zum gesamtstaatlichen Autarkiestreben erhöhten Ein- und AusfuhrVerbote oder Zölle gehen eben nicht auf einen Generalplan des Monarchen zurück, sondern sind ausgelöst durch Klagen einzelner Unternehmer, die um den Absatz ihrer Waren bangen oder sich über zu hohe Rohstoffpreise beklagen. Die Förderung ist dabei nicht auf eigene Untertanen beschränkt, sondern es können sich auch und gerade Ausländer auf eine entsprechende Umzugsbeihilfe und Startförderung bewerben. Besonders erfolgversprechend sind Anträge von Bewerbern, die in Aussicht stellen, eine Fähigkeit in Verbindung mit technischem Gerät oder Saatgut mitzubringen, die im Land nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind. Sie können sich mit ihrem Angebot und entsprechenden Forderungen an den König oder einen seiner Residenten im Ausland wenden. Entschieden wird auch hier am Einzelfall, ob und in welcher Höhe eine Förderung gewährt wird. Auch hier trifft die königliche Verwaltung eine Entscheidung im Namen des Königs, der nur indirekt beteiligt ist. Er ist Ansprechpartner und in seinem Namen werden Zusagen erteilt. So darf die Rolle des Monarchen auch nicht gering geschätzt werden. Bei ihm laufen die Fäden zusammen und er hat am ehesten einen Überblick über die Gesamtsituation. Er setzt Impulse und verteilt Prüfaufträge, wenn ihm ein Missstand oder Angebot zu Ohren kommt. Er weiß zumindest, wen er mit welcher Aufgabe betraut hat und bei wem er nachfragen muss, wenn etwas nicht zu laufen scheint. Für den Untertanen und Antragsteller macht es keinen Unterschied, ob die königliche Verwaltung bzw. einzelne Ressorts oder dieser selbst einen Entschluss fassen. Vom Innenleben der Verwaltung bekommt der Antragsteller nichts mit und die rechtliche Bindung ist – im Namen des Königs erlassen – dieselbe. Daraus folgt eine Wirtschaftspolitik nicht aus einem Guss oder einem vom Monarchen vorgegebenen Ziel folgend, sondern als Reaktion auf Anfragen,
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Bitten, Beschwerden und Angebote der Untertanen und auf den jeweiligen Einzelfall angepasst. Zugrunde liegt eine Lebenseinstellung, die nicht auf Optimierung und stetiger Veränderung, sondern auf Bewahren und dem Funktionieren der Gesellschaft beruhte. Kamen keine Beschwerden und Klagen, schien alles zu laufen und man sah keinen Handlungsbedarf. In diesem Gesellschaftssystem hatten sich die Menschen eingerichtet und jeder nahm seinen Platz ein. Die Praxis der Einzelfallentscheidungen wurde auch durch die Kodifizierung des Rechts seit der Jahrhundertmitte nicht in Frage gestellt. Die Bündelung königlicher Entscheidungen in Buchform und die Verteilung an alle rechtsanwendenden Stellen war nur ein Schritt in diese Richtung. Damit wurden zwar Entscheidungen auch Behörden und Gerichten zugeteilt, deren unmittelbarer Adressat sie nicht waren, es blieben jedoch Entscheidungen am Einzelfall unter Berücksichtigung der speziellen Umstände. Geschaffen war aber die Grundlage für die weitere Entwicklung. Wenn jeder sich über königliche Entscheidungen informieren konnte und damit prinzipiell die Möglichkeit hatte, sich auf diese zu bewerben, war der nächste Schritt der Anspruch der Allgemeingültigkeit des Rechts und Gleichheit der Untertanen, der im Kapitel zum Ende der individuellen Förderung angedeutet wird. Im 18. Jahrhundert trifft diese Praxis allerdings auf ein überwiegend auf mündlicher Kommunikation aufgebautes Gesellschaftssystem mit nur in Ansätzen vorhandenem Archivwesen – es wurde zwar bereits gesammelt, aber es fehlte ein System zum Durchsuchen und damit der Verfügbarmachung des gesammelten Wissens. Damit gibt es über das persönliche Erinnern der Beteiligten hinaus keine Erfahrungen und Praktiken, Verwaltungsentscheidungen für andere und nachfolgende Verwaltungsangestellte verfügbar zu machen. Kurz: Die königliche Verwaltung hat kein System festzuhalten, was sie wem zugesagt hat bzw. an welche Bedingungen die Zusagen geknüpft waren. Das hat zur Folge, dass sich mehrere königliche Anweisungen durchaus zuwiderlaufen konnten. Die heutigen rechtlichen Grundsätze der Allgemeingültigkeit und Widerspruchsfreiheit sowie die staatsbürgerliche Gleichheit waren dem frühneuzeitlichen Staatsbild und Rechtsverständnis fremd. Verstärkt wird dies dadurch, dass königliche Erlasse – außer, es wurde explizit vermerkt – kein ›Verfallsdatum‹ hatten. So konnte sich, wenn man im Besitz des entsprechenden vom König unterschriebenen Schreibens war, auch Jahrzehnte später auf dieses berufen werden. War der alte Monarch inzwischen verstorben, bestand die Möglichkeit, dieses von seinem Nachfolger erneuern zu lassen. Diese Sichtweise deckt sich mit der zeitgenössischen Definition, wie sie in Krünitz’ Enzyklopädie zu finden ist. Dort heißt es: ein Privilegium ist:
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»das Recht, in einzelnen Fällen, an gewisse Einschränkungen nicht gebunden zu seyn […]. Der höchsten Obrigkeit steht allein zu, Privilegia zu ertheilen […]. Wenn ein neuer Landesherr an die Regierung kömmt, pflegen die Privilegia erneuert und bestätigt zu werden […]. Wer sich eines Privilegiums bedienen will, ist schuldig, solches bey der Obrigkeit zu insinuiren«.1474
Aus dem letzten Satz wird deutlich, dass die Ausgestaltung und Durchsetzung der königlichen Zusagen nicht nur im ureigenen Interesse der jeweiligen Nutznießer liegt. Dabei konnte die Interpretation dessen, was man als königlichen Willen angab, recht frei sein. Für ein Wirtschaftsunternehmen konnte es vielversprechend sein, einem Antrag einen Ausschnitt der königlichen Förderzusage oder des Gründungsvertrags in Abschrift beizufügen, um die eigene Stellung gegenüber Konkurrenten, Zulieferern oder der königlichen Verwaltung zu untermauern. Man baute damit ein Bild auf, in königlichem Auftrag zu handeln. Unterstützt werden konnte diese Argumentation, indem dem eigenen Firmennamen ein »königlich« vorangestellt wurde – etwa die »königliche Gewehrfabrik« oder das »königliche Lagerhaus«. Unter Ausblendung der ursächlichen Intention der bewussten Namensgebung nahmen Historiker an, es handle sich tatsächlich um Staatsbetriebe. Die Durchsetzung im Aufgabenbereich des Nutznießers kann mit dem heutigen Patentrecht und Markenschutz verglichen werden. Auch hier ist es Aufgabe des Rechteinhabers, eine entsprechende Rechtsverletzung anzuzeigen. Bei der Durchsetzung seiner Rechte kann er auf staatlichen Rechtsschutz zurückgreifen. So musste bei erteilten Monopolen der Unternehmer dafür Sorge tragen, dass diese umgesetzt wurden und nicht in Vergessenheit gerieten. Alle paar Jahre war es dazu nötig, den Monarchen bzw. die königliche Verwaltung an dieses zu erinnern und aufzufordern, die entsprechenden Adressaten erneut in Kenntnis zu setzen. Geld als alleiniges Referenzsystem hat sich im 18. Jahrhundert noch nicht durchgesetzt, sodass die Wirtschaftsförderung der Obrigkeit nur zu einem geringen Teil auf rein finanzieller bzw. leicht mit finanziellem Gegenwert anzugebender Unterstützung beruhte. Ziel der frühneuzeitlichen Politik war das – wenn auch nicht näher definierte – Landesbeste. Geld ist hierfür nicht das ausschließliche Kriterium, sodass sich der Beitrag eines Untertanen nicht in der Höhe seiner bezahlten Steuern bemisst, genauso wenig wie die Höhe seines monetären Einkommens Aussagen darüber zulässt, wie angesehen seine Leistung ist. Eine Einstellung, die sich auch bei der Freiheit von der Werbung und Einquartierung zeigt. Statt einer allgemeinen Wehrpflicht kommt es auf den 1474 Art. Privilegium, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Bd. 117 (1811), S. 462f. Der Artikel beschäftigt sich, 1811 geschrieben, mit der Aufhebung bestehender Privilegien, wie im Kapitel zum Ende der individuellen Förderung erläutert.
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individuellen Platz an, auf dem jeder Einzelne das Beste für die Gesellschaft/sein Land erbringen kann. Die zeitgenössischen Wirtschaftsführer können aus einer breiten Palette an möglichen Unterstützungen auswählen und es liegt an ihrem Gespür und Verhandlungsgeschick, ob und welche Förderungen ihnen zuteilwerden. Die Obrigkeit unterstützt auf Nachfrage bereitwillig mit Informationen und greift dabei auf die Aufzeichnungen der lokalen Ämter und bei Wirtschaftskennzahlen vor allem der Akzise-Stuben zurück. Diese Kennzahlen waren unter anderem nötig, da mit einem Einfuhr- oder Trageverbot nur rechnen konnte, wer in der Lage war, den Bedarf des einheimischen Marktes zu decken. Gelang dies nicht, konnte sich um erhöhte Ein- und Ausfuhrzölle für fremde Waren bzw. um eine Befreiung der eigenen Waren von Zoll und Abgaben beworben werden. Intensiv unterstützt wurde bei der Beschaffung von Rohstoffen. Waren diese im Land vorhanden, konnten sie direkt aus königlichen Förderstätten geschenkt, vergünstigt oder mit Garantie geliefert werden, was besonders für das in großen Mengen gebrauchte Brenn- bzw. Kohlenholz aus königlichen Forsten angewandt wurde. Es galt der Grundsatz: solange der Vorrat reicht. Waren sie nur aus dem Ausland zu besorgen oder erforderten einen hohen Kapital- und Organisationsaufwand, unterstützte die Obrigkeit bei der Beschaffung oder es bestand die Möglichkeit, dass die Rohstoffe gestellt und die fertigen Produkte gegen einen Macherlohn direkt abgenommen wurden. Bei Klagen über mangelnde oder als zu teuer empfundene Rohstoffe wurde versucht, der Marktpreisbildung mit Ausfuhrverboten oder regulierten Märkten zu begegnen. Bei letzteren wurden alle Produzenten im Land verpflichtet, zu einem Festpreis ihre Waren in zentralen Lagern abzuliefern, in denen die einheimischen Käufer wiederum Vorkaufsrecht zum Festpreis genossen. Festpreise konnten generell festgesetzt werden, wenn es einem Beschwerdeführer gelang, glaubhaft zu machen, dass der Anbieter zu hohe Preise verlangte und es diesem nicht gelang, seine Position deutlich zu machen. Ein weiterer Ansatzpunkt, Klagen über mangelnden Absatz zu begegnen, war die Bestellung von obrigkeitlichen Qualitätskontrolleuren, die die Waren prüfen und mit einem Zeichen versehen sollten, um die eigene Bevölkerung zum bedenkenlosen Kauf zu animieren. Außerdem sollte so Beschwerden über schlechte Qualität der einheimischen Produkte der Wind aus den Segeln genommen werden. Bei der Beschaffung von technischem Equipment und Know-How aus dem Ausland wurde unterstützt. Dies sowohl, indem bei der Anwerbung, Übersiedlung und Ansiedlung ausländischer Facharbeiter finanziell und logistisch geholfen wurde, als auch durch Vergabe von Stipendien für eigene Untertanen, die ins Ausland geschickt wurden, um sich dort benötigtes Wissen aneignen zu können.
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Einen großen Förderbereich machten Rechte und Pflichten bzw. die Befreiung davon aus. Diese reichen von der kostenlosen Gestellung des Bürger- oder Zunftrechts, über die Befreiung von Einquartierung, Musterung und öffentlichen Pflichtdiensten und Abgaben bis zur Ausnahme von Ge- und Verboten. Auch die Befreiung von der örtlichen Gerichtsbarkeit war möglich sowie die Erlaubnis, eigene Gerichte aufzustellen oder einen obrigkeitlichen Richter abgestellt zu bekommen, um die eigenen Positionen durchsetzen zu können. Die Betrachtung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die überwiegend von Beschwerden der Untertanen ausgelöst werden, über einen Zeitraum von 100 Jahren ermöglicht es, deren Wirksamkeit bzw. generell die Auswirkungen zu beobachten. Es kann festgestellt werden, dass die Unzulänglichkeit obrigkeitlicher Maßnahmen darin begründet liegt, dass diesen keine eingehende und tiefgründige Analyse der möglichen Ursachen vorausging, sondern nach schnellen und einfachen Lösungen gesucht wurde. In Unkenntnis der Komplexität einer europaweit vernetzten Wirtschaft, die zudem zahlreichen natürlichen Einflüssen unterlegen ist, werden menschliche Schuldige gesucht und natürlich gefunden. Auffallend häufig werden Ausländer und Juden als Schuldige festgemacht, was damit zusammenhängt, dass diese keine eigene Interessenvertretung haben bzw. die Landesherren sich für diese nicht zuständig fühlen. Die mangelnde Auseinandersetzung mit den eigentlichen Ursachen der beklagten Misere lässt die ergriffenen Maßnahmen ins Leere laufen. Kommt es daraufhin zu erneuten Beschwerden, werden nicht die Maßnahmen hinterfragt, sondern es sind wieder Menschen, die die gut gemeinten Anweisungen der Obrigkeit unterlaufen. Zum Abschluss soll eine Betrachtung gewagt werden, welche Praktiken und Lösungsansätze – unabhängig von den in vielem anderen Rahmenbedingungen der Frühen Neuzeit und daraus resultierender, vielleicht mangelhafter Umsetzung – in ihrer Andersartigkeit auch ein Vorbild sein können. Prinzipiell muss festgehalten werden, dass die Gesellschaftsordnung und das Wirtschaftssystem funktioniert haben. Sie wurden nicht von Theoretikern entworfen oder waren statisch, sondern wurden in einem ständigen Prozess von den Menschen weiterentwickelt, den Gegebenheiten angepasst und mit Leben gefüllt. Die Vorteile, die hier angeführt werden, stehen dabei diametral dem Bild entgegen, das sich durch die Wertungen der Nachwelt in unseren Köpfen festgesetzt hat. So mag es den im bundesrepublikanischen Geschichtsunterricht Sozialisierten verwundern, wenn als Vorteil der als Epoche des Absolutismus und Merkantilismus mit Zentralstaat und Staatsräson vorgestellten Zeit besonders die Individualität hervorzuheben ist, mit der sich um Anliegen der Untertanen gekümmert wurde. Statt auf Vereinheitlichung und Gleichmacherei abzielenden Befehlen von oben wurde mit individuellen Lösungsansätzen flexibel und lokal auf die Probleme vor Ort eingegangen. Unterschiedliche regionale wie persönliche Rahmenbedingungen wurden bei Entscheidungen be-
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rücksichtigt und schufen eine an der Komplexität des menschlichen Miteinanders angepasste Ordnung ohne den Anspruch, diese in Gänze regeln zu können. Die Dekonstruktion der absolutistischen Zentralstaatlichkeit ist damit kein Aufzeigen der Mängel der ungeordneten frühneuzeitlichen Welt des 18. Jahrhunderts, sondern deren Lösungsansatz. Die Initiative für neue Regelungen geht dabei von den Betroffenen aus, die ihr persönliches Wissen einbringen und nutzen. Eigeninitiative und das Verknüpfen von Wissen wird gefördert und damit persönliches Engagement belohnt. Das Initiativrecht ist nicht auf die eigenen Untertanen beschränkt, sondern steht allen Menschen offen. Wer die eigene Nützlichkeit nachweisen kann, ist willkommen und kann gefördert werden. Statt der die Freizügigkeit einschränkenden Staatsbürgerschaft zählt individuelle Leistung und kollektiver Bedarf. Statt sich einzumauern, wird die Über- und Ansiedlung besonders für motivierte Wirtschaftsflüchtlinge finanziell und logistisch unterstützt. Die aus den Eingaben resultierenden Gesetze und Regelungen werden für den Einzelfall erlassen. Damit bietet sich zudem die Möglichkeit, zunächst im Kleinen ihre Tauglichkeit zu testen. Sie schaffen so eine individuelle Förderung bzw. Problemlösung statt wie heute allgemeingültig, alle möglichen Eventualitäten rechtlich regeln zu wollen. Dieser unrealistische Allmachtsanspruch bietet dem findigen (juristischen) Ausleger im wahrsten Wortsinn legale Schlupflöcher und Hintertüren. Die Betroffenen und Beteiligten werden in den Gesetzgebungsprozess eingebunden und können ihre persönlichen Interessen vertreten, statt den Anspruch zu haben, für alles regierungseigene, vermeintlich unabhängige Experten bzw. Verwaltungsbeamte zu beauftragen (und zu bezahlen). Wenn die Initiative von den Untertanen ausgeht, ist die Gefahr eines Eigenlebens der Verwaltung, die um des Regelungswillens wegen oder von sich aus tätig wird, geringer. Dem steht die motivierende finanzielle Beteiligung der Verwaltungsangestellten am Erfolg des eigenen Verantwortungsbereichs nicht entgegen. Die Verbindung mit der persönlichen Haftung für anvertraute Gelder sorgt nicht nur für einen vergleichsweise verantwortungsvollen Umgang mit diesen, sondern begrenzt auch die Höhe der von Einzelpersonen verwalteten Beträge. Vorteile hat auch die ›Vergesslichkeit‹ der Verwaltung. Regelungen, an die sich keiner mehr erinnert und die folglich keinen Nutzen mehr haben, werden vergessen und sorgen dafür, dass die Menge der Regelungen überschaubar bleibt. Bei öffentlichen Auftragsvergaben auf Qualitätszeugnisse und das Renommee des Anbieters, persönliche Bekanntschaften und Erfahrungen zu achten – heute als Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft –, mag auch gegenüber einer vermeintlich rationalen, rein auf den Preis gerichteten Vergabepraxis Vorteile haben. Die heutige Praxis bzw. besser der Versuch, alles in Geldwert umzu-
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rechnen und dem günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen, wird der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen und der Wirtschaft nicht gerecht. Allgemein zeigt der tägliche Blick in die Zeitung, dass auch heutzutage die Umsetzung und Ausgestaltung unserer freiheitlich-demokratischen, auf universellen Menschenrechten gegründeten Gesellschaft durch Menschen erfolgen muss und wir unsere eigenen hohen Ansprüche kaum erfüllen. Daneben zeigt sich, dass selbst wir im 21. Jahrhundert bei weitem nicht so unabhängig von Natureinflüssen sind, wie wir es gerne wären. So soll diese Arbeit eine Aufforderung sein, vom hohen Ross der Gegenwart abzusteigen, alte Geschichts- und Denkmuster abzustreifen. Begegnen wir unseren Vorgängern offen, mit Respekt und auf Augenhöhe!
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Quellen
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Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«
herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft gehören zu den zentralen Themen der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe Neuzeit war maßgeblich von einem Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt. Allerdings sind die bisher dominierenden Interpretationsmuster zur Beschreibung von Herrschaftspraxis und Staatsbildung in der letzten Zeit immer mehr in die Kritik geraten. Dies gilt schon seit längerem für den der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts entlehnten, ursprünglich teleologisch fundierten Staatsbegriff im Allgemeinen sowie für das davon abgeleitete Konzept des Absolutismus. Aber auch jüngere, stärker auf sozialen und räumlichen Vorstellungen basierende Modelle wie Otto Brunners »Land und Herrschaft« oder Gerhard Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung sind problematisch geworden. Ursächlich für dieses Unbehagen ist nicht zuletzt die idealtypische Begriffsbildung, die den Ergebnissen empirischer Forschung auf Dauer nicht standhalten konnte und so schließlich an erkenntnistheoretischem Nutzen verloren hat. Über die idealtypische Begriffsbildung hinaus scheint es deshalb notwendig, Herrschaft konkret, und zwar in ihren räumlichen wie in ihren sozialen Dimensionen und Reichweiten zu beschreiben. Herrschaft wird somit als soziale Praxis begriffen, die Herrschende und Beherrschte in einer kommunikativen und sich wandelnden, allerdings durch obrigkeitlich gesetzte Normen einerseits sowie ungeschriebene Traditionen andererseits begrenzten Beziehung verband.
394 Diese soziale Praxis entwickelte sich innerhalb der Grenzen eines Herrschaftsgebietes, oftmals aber zunächst innerhalb des kleineren Rahmens rechtlich, ökonomisch und sozial in sich geschlossener, voneinander abgegrenzter räumlicher und sozialer Einheiten. Um Herrschaft präzise beschreiben zu können, erscheint es daher ratsam, sie im Rahmen solcher Einheiten zu untersuchen, die oftmals zugleich Herrschaftsraum wie Herrschaftsinstrument sein konnten. Besonders gilt dies für Formationen, die sich aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber auch ihrer funktionalen und kommunikativen Binnenstrukturen als »soziale Systeme« charakterisieren lassen. Zweifellos das herausragende Beispiel eines solchen sozialen Systems ist das Militär, also die Söldnerhaufen der aufziehenden Neuzeit und die Stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade in diesen sich im und nach dem Dreißigjährigen Krieg immer stärker institutionalisierenden, mittels spezifischer Regeln und Symbole zusammenschließenden und zugleich nach außen abgrenzenden Armeen spiegelt sich die Herrschaftsproblematik der Frühen Neuzeit in besonders eindringlicher Weise wider. Zum einen war die militärische Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit ihren Soldaten und deren Angehörigen in ihrer Binnenstruktur zugleich sozial wie auch rechtlich und hierarchisch, also herrschaftlich organisiert. Zum anderen war das Militär selbst Herrschaftsinstrument – im Krieg nach außen und im Frieden nach innen. Aber auch andere, weniger geschlossen auftretende Formationen und Institutionen kannten die doppelte Funktion als Objekt und Subjekt von Herrschaft, als deren Erprobungsfeld wie als deren Instrument. Dazu gehörten beispielsweise die übrigen Bereiche organisierter öffentlicher Herrschaftsausübung wie der sich immer weiter differenzierende Polizei- und Verwaltungsapparat oder die Justiz. Die in der vorliegenden Schriftenreihe erscheinenden Bände widmen sich der Geschichte dieser sozialen Systeme in unterschiedlichen thematischen und methodischen Zugängen, aus der Binnensicht ebenso wie aus der Außenperspektive. Immer aber steht dabei die doppelte Frage nach ihrer Herrschaftsfunktion wie nach ihrer Herrschaftsintensität im Vordergrund.
Veröffentlichungen des AMG
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Veröffentlichungen des AMG Seit 2000 verfügt der Arbeitskreis über die Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit
Bände bei V& R unipress (ab Band 14): Bd. 23: Johann von Diest, Wirtschaftspolitik und Lobbyismus im 18. Jahrhundert, Göttingen 2016, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0603-6]. Bd. 21: Frank Zielsdorf, Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert. Akteure – Medien – Dynamiken, Göttingen 2016, 306 S. [ISBN 978-3-8471-0496-4]. Bd. 20: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568– 1714, Göttingen 2015, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0350-9]. Bd. 18: Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert, Göttingen 2015, 284 S. [ISBN 978-3-8471-0321-9]. Bd. 17: Jan Kili#n (Hrsg.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629 – 1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 2014, 462 S. [ISBN 978-38471-0235-9]. Bd. 16: Ralf Pröve, Carmen Winkel (Hrsg.), Übergänge schaffen: Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft, Göttingen 2012, 158 S. [ISBN 978-3-84710023-2]. Bd. 15: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, 384 S. [ISBN 978-3-89971-995-6]. Bd. 14: Jan Peters (Hrsg.), Peter Hagendorf – Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg, Göttingen 2012, 238 S. [ISBN 978-3-89971-993-2]. Ankündigung: Bd. 19: Jutta Nowosadtko, Diethelm Klippel (Hrsg.), Militär und Recht (16.–19. Jahrhundert). Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen, Göttingen 2015, ca. 332 S. [ISBN 978-3-8471-0338-7].
Ältere Bände: Bd. 13: Matthias Meinhardt, Markus Meumann (Hrsg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Münster u. a. 2015, 408 S. [ISBN 978-3-643-10108-2]. Bd. 12: Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Münster u. a. 2012, 338 S. [ISBN 978-3-643-10666-7]. Bd. 11: Ralf Pröve, Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, Münster u. a. 2010, 222 S. [ISBN 3-643-10768-8].
396 Bd. 10: Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster u. a. 2008, 312 S. [ISBN 978-3-8258-0585-2]. Bd. 9: Matthias Asche, Michael Herrmann, Ulrike Ludwig, Anton Schindling (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 344 S. [ISBN 978-3-8258-9863-6]. Bd. 8: Ursula Löffler, Vermittlung und Durchsetzung von Herrschaft auf dem Lande. Dörfliche Amtsträger im Erzstift und Herzogtum Magdeburg, 17. – 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 256 S. [ISBN 3-8258-8077-X]. Bd. 7: Beate Engelen, Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 672 S. [ISBN 3-8258-8052-4]. Bd. 6: Sebastian Küster, Vier Monarchien – Vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster u. a. 2004, 560 S. [ISBN 3-8258-7773-6]. Bd. 5: Matthias Rogg, Jutta Nowosadtko (Hrsg.) unter Mitarbeit von Sascha Möbius, »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 408 S. [ISBN 978-3-8258-9809-1]. Bd. 4: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2004, 352 S. [ISBN 3-8258-6030-2]. Bd. 3: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2006, 416 S. [ISBN 3-8258-6346-8]. Bd. 2: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster u. a. 2004, 256 S. [ISBN 3-82586000-0]. Bd. 1: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, 390 S. [ISBN 3-8258-4758-6]. Weitere Veröffentlichungen des AMG: Karen Hagemann, Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1998 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), 368 S. [ISBN 3-593-36101-9]. Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, 356 S. [ISBN 3-506-74825-4].