Wilhelm von Siemens. Ein Lebensbild: Gedenkblätter zum 75 jährigen Bestehen des Hauses Siemens & Halske [Reprint 2021 ed.] 9783112610121, 9783112610114


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Wilhelm von Siemens. Ein Lebensbild: Gedenkblätter zum 75 jährigen Bestehen des Hauses Siemens & Halske [Reprint 2021 ed.]
 9783112610121, 9783112610114

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Wilhelm von Siemens

Wilhelm von Siemens Lin Lebensbild Geöenkblätter zum 75 jährigen Bestehen öes Hanfes Siemens L Halske von

Kugust Rotth

Berlin unö Leipzig 1YLL

Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter -e Grupter & Co. vormals G. Z. Göfchenssche Verlagshanölung ♦> Z. Guttentag, Verlagsbuchhandlung ❖ Georg

Reimer •> Karl Z. lsrübner ❖ Veit L Comp.

Druck der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter Sc Lc>., Berlin w. JO

Vorwort CjTrttyelm v. Siemens hat 40 Jahre lang sein Leben mit der •vV Schöpfung seines Vaters verbunden und ist ein Menschen­

alter der Leiter und Mehrer der Firma Siemens & Halske und ihrer

Verzweigungen gewesen.

Am Tage des 75 jährigen Bestehens der

Firma, den Wilhelm v. Siemens zum Leide seiner Mitarbeiter nicht mehr erleben sollte, ist in erster Linie seiner zu gedenken, der in Treue und Kraft das Erbe des Vaters zu der heutigen Höhe geführt hat.

Die folgenden Blätter versuchen sein Wirken für die Firma zu schil­ dern, sie werden damit von selbst zu einer Darstellung der Haupt­

züge in dem Aufstiege der Firma unter seiner Leitung. der

eigene

Entwicklungsgang

einen

Schlüssel zum

Wie dabei

Verständnisse

seiner Führerschaft bieten sollte, so schien zur Vervollständigung

des Bildes auch angezeigt, die Geschichte der Firma bis zu seinem Eintritte in ihren wesentlichsten Schritten zu berühren. Der enge Rahmen verbot näheres Eingehen auf Einzelheiten.

Bei diesem notwendigen Verzicht mußte auch davon Abstand ge­

nommen werden, den Anteil der meisten Mitarbeiter von Wilhelm v. Siemens in die Darstellung einzuflechten.

Die Nennung von

Namen blieb deshalb auf Familienmitglieder beschränkt und auf Mitarbeiter, die nicht mehr der Firma angehören.

Von den am Ende angeführten Druckwerken enthält die obere Reihe Gedenkschriften für Wilhelm v. Siemens, die kurz nach seinem

Tode erschienen.

Inhalt. Jugendzeit

................................................................................................................

i

Entwicklung der Firma Siemens & Halske bis zum Ende der 70er Jahre

33

Eintritt in die Firma, Arbeiten bis zum Ausscheiden des Vaters...............

64

Leitung der Firma in Gemeinschaft mit Karl v. Siemens und Arnold v. Siemens......................................................................................................... 104

Der Siemens-Konzern nachBegründungder Siemens-Schuckertwerke.............

138

In der Kriegzeit.Schriftstellerische Arbeiten .......................................................

170

Dem Ende zu............................................................................................................. 207

Jugendzeit. Georg Wilhelm v. Siemens wurde am 30. Juli 1855 geboren. Er war der zweite Sohn von Werner Siemens.

Seine Mutter war

die Tochter Mathilde des Historikers an der Universität Königsberg Wilhelm Drumann. Die Familie Siemens führt in ununterbrochener Linie ihren

Stammbaum bis in das 14. Jahrhundert zurück.

Der nachweislich

erste A^ne wohnte damals als „freier Kolone" in Goslar, und dort ist das Geschlecht bis zum Anfänge des 19. Jahrhunderts seßhaft gewesen.

Überblickt man die Stammtafel mit den überlieferten

kurzen Kennzeichnungen einzelner Mitglieder, so erhält man den leb­ haften Eindruck eines zeitgemäß langsamen aber sicheren Aufstetgens des Geschlechtes.

Zu dem Ackerbürger, „begildeten" Handwerker und

„freien Kolonen" gesellte sich bald der Unternehmer als städtischer Brauverordneter, Besitzer einer Ölmühle, Pächter größerer Acker­ flächen.

Von dem Ansehen und Gemeinstnn der Familie in ihrer

Heimat zeugt die häufige Mitgliedschaft im städtischen Rate, der stei­ gende Wohlstand wird in den Urkunden oft betont, beide Umstände verschafften dem Peter Siemens in der Mitte des 17. Jahrhunderts

das nicht gewöhnliche Lob des Chronisten: „Zahlte mehr Abgaben,

als er brauchte".

Sein Sohn Hans Jürgen wird schon als „vor­

nehmer Handelsherr, Bürger und Brauherr" bezeichnet, außer ande­ ren öffentlichen Ämtern hatte er die Würde des Stadthauptmannes inne.

Er war der Erbauer des noch stehenden Stammhauses, das

später in anderen Besitz überging, vor einigen Jahren aber wieder

von der Familie Siemens erworben wurde. Rotth, Wilhelm von Siemens.

Wie vom Vater wird I

von Hans Jürgen und seiner Ehefrau Frömmigkeit und Wohl­

tätigkeit gerühmt, ebenso von seinen Nachfolgern, bei deren Kenn­ zeichnung auch die Sorgfalt in der Erziehung der Kinder besonders

hervorgehoben wird. Wahrer Gemeinsinn hat seinen natürlichen Aus­ gangspunkt in der Treue gegen die eigene Sippe.

Nähere Kunde liegt vor über Christian Ferdinand Siemens, den Vater der Reihe von Brüdern, die den Namen Siemens in der

Welt zu Glanz bringen sollten. In den Briefen an seine Söhne und

in der Schilderung, die der älteste, Werner, in seinen Lebenserinne­ rungen von ihm gab, erscheint Christian Ferdinand als ein hervor­

ragender Träger der würdigen Eigenschaften, die an den Vorfahren gerühmt wurden.

Er war Landwirt, hatte durch Studien an der

Universität Göttingen eine vertiefte Vorbereitung für seinen Beruf erworben, damals noch eine Seltenheit, und war für die Wissen­

schaften überhaupt und besonders für die Naturwissenschaften von ausgesprochener Neigung beseelt, die ihm von seinem Vater über­ kommen sein soll und die er wieder auf seine Söhne vererbt hat.

Ein fester, kluger und warmherziger Mann, pflanzte er seinen Kindern den Sinn für Wahrheit und ernste Lebensführung ein und hinterließ ihnen seinen Wahlspruch „Schaffen ist sicherer und ehrenvoller als

Schachern".

Als Domänenpächter, erst in Lenthe bei Hannover,

dann in Menzendorf bei Lübeck, hatte er wirtschaftlich freilich mit

der Ungunst der Zeit zu ringen und wurde von dem Gedanken an seine unversorgte Kinderschar oft gequält.

Er müsse durchaus 70

Jahre werden, sonst lasse er hilflose Waisen zurück, äußerte er einmal. Der auch in seinem warmen vaterländischen Empfinden durch die Kläglichkeit der öffentlichen Zustände bedrückte Mann starb aber schon

1840, wenig über 50 Jahre alt, ohne die Früchte seiner Erziehung

an den Kindern erlebt zu haben. Eigentümlich war ihm die Neigung, seine Ermahnungen und Weisungen in das Gewand der Spottlust zu kleiden, die aber nie verletzte. Dieser Zug trat auch bei seinem Enkel

Wilhelm häufig hervor. —

Werner Siemens konnte zur Zeit der Geburt seines zweiten Sohnes schon auf große Erfolge seiner Arbeit zurücksehen, und seine nie wankende Zuversicht ließ ihn weiteren schnellen Aufstieg ahnen.

Als

mittelloser Offizier hatte er sich nicht nur die Grundlagen zu seiner

überaus erfolgreichen

Laufbahn als Techniker und Gelehrter ge-

schaffen, sondern in hochherziger Familientreue noch die Erziehung seiner jüngsten Geschwister zu ermöglichen gewußt. Seit seinem förm­

lichen Eintritte in die 1847 begründete Firma Siemens & Halske hatte er in einem halben Dutzend Jahren das junge Unternehmen

schon zu Ansehen in weitesten Kreisen gebracht. Das Arbeitsfeld bil­ dete die Telegraphie, den glücklichen Anfang hatte der sicher arbeitende

Zeigertelegraph von Werner Siemens gemacht, die Berliner Werk­

stätten mit ihren zahlreichen, allen neuen Anforderungen der juugen Telegraphie nachkommenden, zuverlässigen Erzeugnissen waren, bei

bescheidener Arbeiterzahl, das Rückgrat der Firma.

Die unvergleich­

liche Verbindung von schöpferischem Erfinder und weitblickendem Ge­ schäftsmanne, die in Werner Siemens verkörpert war, hatte aber

zu Unternehmungen geführt, die weit über den Rahmen der Fabrik­ tätigkeit hinausgingen.

Zurzeit standen der vor mehreren Jahren

in Rußland begonnene Bau langer Telegraphenlinien und deren Unterhaltung im Vordergründe.

Sie brachten der Firma neben

Stärkung ihres Ansehens bedeutende Einnahmen.

Mit dem ältesten

Bruder in enger Gemeinschaft und unbegrenztem Vertrauen ar­

beiteten in England Wilhelm Siemens, in Rußland Karl, trotz ihrer Jugend mit hervorragendem Geschick und Erfolge. Noch nicht vierzig

Jahre alt, hatte Werner Siemens einen sicheren Grund für seine engere und weitere Familie geschaffen, und wenn er sich die Zeit zu

solchen Betrachtungen gönnte, mochte er, wie er später oft aussprach,

in seinem zweiten Sohne eine weitere Hoffnung für die Fortführung seines Werkes in seinem Sinne erblicken.

Ein guter Stern stand über der Wiege des jungen Wilhelm.

Dem Sprossen eines alten, geistig und seelisch starken Geschlechtes

hatte die Kraft des Vaters den Weg zum eigenen Aufstiege geebnet. Zugleich aber war ihm ein Erbe auferlegt, dessen Pflege sein Leben

bestimmen und seine ganze Pflichttreue mit manchem herben Ver­

zicht auf eigene Neigungen erfordern sollte. Werner Siemens" Familie wohnte damals noch in der Mark­

grafenstraße 94.

Hier, an der klassischen Arbeitstätte seines Vaters

und der Firma Siemens 6 Halske, verlebte Wilhelm seine ersten Kinder-

jähre. Erst gegen Ende der 6oer Jahre verlegte die Familie ihren stän­ digen Wohnsitz nach Charlottenburg. Des Vaters Tag stand im Zeichen

des Schaffens von früh bis spät, seine spärlichen Erholungsstunden suchte der nimmermüde Mann in innigem Familienleben.

Mit zarter Liebe

überwachte er die Entwicklung seiner Kinder. „Sie sind meine Freude und mein Trost in trüben Stunden," schrieb er einige Jahre später.

Oft machte er in den Briefen an seine Brüder Mitteilungen über

das Ergehen der Kinder, das ihm auch manche Sorge bereitete. Na­

mentlich scheint „Willy" in mehr als gewöhnlichem Maße anfällig

gewesen zu sein.

Entzündliche Vorgänge, besonders im Halse, haben

ihn viel gequält und sein junges Leben mehrmals in schwere Gefahr

gebracht.

Sonst ist der Vater über das Gedeihen erfreut, an dem

Anderthalbjährigen rühmte er den „famosen Kopf".

Der „unge­

wöhnlich dicke Kopf" machte ihn aber bald für längere Zeit ängstlich.

Die Besorgnis hat sich später als unbegründet erwiesen, nach vollende­

tem Wachstums zeigte der Sohn bei mittlerer Größe vollkommen ebenmäßigen Bau. — Die trüben Stunden, von denen Werner

Siemens sprach, erwuchsen ihm aus der schwankenden Gesundheit seiner Gattin, die allmählich einem ausgesprochenen Lungenleiden verfiel.

Eine Frau von heiterem und dabei tiefem Gemüte war

sie bis zuletzt der seelische und geistige Mittelpunkt des Hauses. Sie

wurde schon 1865 ihrer Familie durch den Tod entrissen. Das wechselnde, immer ungünstiger werdende Befinden der

Mutter und ihr letztes langes Kranksein werden auf die Heranwachsenden Kinder

nicht ohne Einfluß geblieben

sein.

Wilhelm

wird

von

einem seiner Onkel gelegentlich als „pomadig" bezeichnet, aber man wird annehmen dürfen, daß sich in seinem für das Alter von wenigen Jahren vielleicht auffallend ruhigen Wesen die Schatten über dem

Vaterhause widerspiegelten.

Auch manche Störungen der eigenen

Körperlichkeit mögen beigetragen haben, ihn zu einem stillen Kinde zu machen. Wenn er dann auch bald zu einem frischen Jungen Heran­

wuchs, so ist ihm der Zug zum stillen Versenken in sich selbst doch

immer eigen geblieben und auch wohl vom Vater manchmal unrichtig als Mangel an Schwungkraft gedeutet.

Den ersten Unterricht erhielten die Brüder Arnold und Wilhelm

in der Vorschule, die der Vater sorgfältig auswählte, und dann

durch

den Hauslehrer

und

Erzieher

Gustav

Willert.

Als

er

in das Haus eintrat, stand er schon in reiferem Alter, seine Auf­ gabe beschränkte sich nicht auf das Unterrichten, er sollte den Knaben überhaupt ein Führer und Helfer sein, auch nach ihrem Eintritte in

das Gymnasium, für das sie zunächst vorzubereiten waren.

Willert

hat sein Amt mit Liebe und Hingabe versehen, wurde auch Lehrer der

zwei folgenden Schwestern und ist über zehn Jahre im Hause geblieben. Er besaß das volle Vertrauen des Vaters, wenn er auch nicht in allen

Punkten dessen Zustimmung zu seinem Erziehungsverfahren ge­ funden hat.

Bei Unstimmigkeiten, die aus solcher Verschiedenheit

der Auffassung gelegentlich erwuchsen, bewährte sich Willert als ein aufrechter Mann, der seine Ansichten ehrerbietig aber fest zu verteidi­

gen wußte. Es sind auch keine dauernden Trübungen aus den kleinen Vorfällen entstanden, und als Willerts Tätigkeit im Hause mit zunehmendem Alter seiner Zöglinge von selbst ein Ende fand, schied

er im freundlichsten Einvernehmen mit allen. Er zog sich in ein Harz­

städtchen zurück und blieb bis zu seinem Tode 1897 im Briefwechsel mit Arnold und Wilhelm.

Er redete seine nun schon zu gewichtigen

Männern gewordenen „jungen Freunde" mit dem altgewohnten „Du" an und bekundete dauernd eine herzliche Teilnahme an allen

Geschehnissen im Hause.

Die Familie Siemens hat dem wohlver­

dienten Manne seine zwei letzten Lebensjahrzehnte sorgenfrei und freundlich gestaltet. Werner Siemens wollte nicht seine Kinder zu artigen Püppchen dressieren lassen und sah an ihnen Unbändigkeit lieber als schmieg­

sames Duckmäusertum.

In diesem Sinne hat auch Willert bei aller

gebotenen Gesetztheit seinen Zöglingen viel Freiheit gelassen.

Sie

wurden ihm auch für größere Reisen anvertraut, wie schon 1866

nach Helgoland, und von ihm ins Theater und zu anderen Sehens­ würdigkeiten geleitet.

Mit ihrem Fleiße und ihrer Regsamkeit war

er durchaus zufrieden, und so konnte Wilhelm im Oktober 1867 seinen

ersten Gang nach dem Luisenstädtischen Gymnasium in Berlin an­ treten, das ihn in die Quarta aufnahm.

Die ersten Schuljahre waren für Wilhelm gute Zeit, auch ge­

sundheitlich war er fester als vorher. Das Zusammenleben mit vielen Altersgenossen hatte offenbar den besten Einfluß auf ihn.

Er ent-

wickelte eine für ihn nur wünschenswerte Derbheit, wurde, wie Willert in seinen gelegentlichen schriftlichen Berichten an den Vater behauptet,

der richtige Berliner und erzählte mit Stolz, welche Keile er bei den Balgereien auf dem Schulplatze ausgeteilt und empfangen habe.

Hocherfreut waren die Kinder über ein von Onkel Ferdinand besorgtes Pony-Gespann mit

kleinem

Kutscher

in

hohem Hute,

aber noch darüber ging Wilhelm der Reitunterricht auf großen Pferden in der Garde du Corps-Kaserne, selbstbewußt schreibt er an den Vater von einem Sturze mit seinem Hengste. Im Hause machte er sich gern

länger, als Knaben sonst tun, mit seinen Zinnsoldaten zu schaffen.

Dabei erwähnt Willert wieder seinen Fleiß, der ihn sogar zu vor­

zeitigem Aufstehen am Morgen treibe, seine große Selbständigkeit,

auch seine ehrgeizige Freude über Erfolge in der Schule.

Der Sohn

konnte deshalb nach einem Jahre dem Vater seine Versetzung nach

Tertia an oberer Stelle der Reihe melden. — Aus dieser Zeit etwa

stammt das beigegebene Jugendbildnis.

Es ist müßig, in jugend­

liche Züge nachträglich hineinlegen zu wollen, was sich an Eigen­ schaften später in dem Gesichte ausprägte.

Aber der Ausdruck un­

gewöhnlichen Ernstes als Grundlage des Wesens ist an diesem Kopfe

unverkennbar. Die folgenden Jahre brachten für Wilhelm neben dem Über­ gänge auf das Gymnasium zu Charlottenburg infolge des Um­

zuges der Familie ein weiteres regelmäßiges Klassen.

Aufrücken

in

den

Auch im Hause war es durch die zweite Vermählung des

Vaters mit Antonie Siemens, einer entfernten Verwandten aus dem Schwabenlande, wieder sonniger geworden.

Dazu mußte die

Zeit der glücklichen Kriege jugendliche Herzen über ihr engeres Leben hinaus mit Wärme erfüllen.

So konnte der angehende Jüngling

frohen Mutes in die Zukunft sehen.

alten Leiden ernsthafter.

Aber schon meldeten sich seine

Husten und Halsbeschwerden machten im

Spätsommer 1872 eine Kur in Pyrmont nötig.

seinen Zustand ungünstig.

Der Arzt beurteilte

Von dort bat er schon nach acht Tagen

den Vater dringlich, ihn wieder zurückzurufen, wenn er das Gym­

nasium noch weiter besuchen solle, er könne sonst das Versäumte nicht mehr nachholen.

tat ihm gut.

Er mußte trotzdem aushalten, und die Kur

Aber auf das Charlottenburger Gymnasium kehrte

1867

er nicht wieder zurück. Wohl um die notwendig gewesene Unterbrechung

unter neuen Verhältnissen leichter auszugleichen, trat er im Oktober 1872 in die Obersekunda des Lyzeums zu Straßburg ein. Die nähe­ ren Gründe für diese Wahl sind nicht mehr ersichtlich, wahrscheinlich hat das mildere Klima Süddeutschlands bei der Wahl mitgewirkt.

Diese Hoffnung erwies sich leider als trügerisch.

Der Aufenthalt in Straßburg stellte Wilhelm zum ersten Male auf eigene Füße.

Der Name des Vaters verschaffte ihm Verkehr

in den ersten Kreisen der Stadt.

Es ist aber begreiflich, wie er, der

gewohnten Umgebung im Vaterhause entrückt, in seiner Neigung zum Betrachten und Grübeln noch bestärkt wurde.

Tagebuch zu schreiben.

Er begann ein

Das haben schon viele Jünglinge getan,

früher wohl mehr als heute, aber ganz wenige Menschen haben, wie

Wilhelm, ihre Aufzeichnungen bis an ihr Lebensende durchgeführt. Die Tagebücher, soweit sie erhalten sind, waren von vornherein

nicht regelmäßige Eintragungen über die Vorfälle des Tages, sie enthalten davon nur bemerkenswertere und auch diese nicht voll­ ständig. Die Tagebücher waren vor allem der Ort, wo sich der Schrei­

ber mit sich selbst auseinandersetzte, wo er im Festhalten seiner Stim­

mungen, Meinungen und Betrachtungen Sicherheit über sich und die ihm nahegehenden Verhältnisse zu gewinnen suchte, entsprungen

einem inneren Bedürfnisse nach Wahrheit und Klarheit.

Daneben

laufen Notizen über gleichgültigere Einzelheiten und Vorkomm­

nisse, wie sie der Augenblick brachte. In den jüngeren Jahren bildet naturgemäß das Ich den Mittelpunkt der Aufzeichnungen, es tritt

hinter den Gegenständen mehr und mehr zurück, wie sich der Schreiber immer größere Aufgaben erwachsen sieht und sein Pflichtgefühl zum äußersten anspannt in dem Bestreben, das große Unternehmen zu

fördern, dessen Leitung er übernommen, und darüber hinaus mit seinem Wissen der Allgemeinheit zu dienen. Die Tagebücher nahmen

deshalb äußerlich oft die Form von nur sachlichen Aufzeichnungen an, sie wurden auch ergänzt durch zahllose einzelne Blätter und Bogen,

mit denen der Verfasser selbst ohne Sorgfalt umging.

Immer aber

tragen die Aufzeichnungen das persönliche Kennzeichen des Mannes, der im steten Sinnen huschende Gedanken zu späterer Wiederauf­ nahme festhalten, vor allem aber sich zwingen will, den augen-

blicklich

im

Vordergründe

stehenden Gegenstand

scharf durchzu-

arbeiten. — Die

Straßburger

Tagebuchblätter

berichten

über

Wilhelms

Kirchenbesuche, denen er Urteile über die Predigten folgen läßt, mit

dem Pastor Kopp, bei dem er wohnte, führte er Gespräche über Re­

ligion.

Andrerseits will er auch die Vorträge von Oskar Schmidt

über Darwinismus hören, erhält aber von seinem Direktor nicht

die Erlaubnis dazu.

In dem damals unverdient weitverbreiteten

Buche von L. Büchner „Kraft und Stoff" sieht er Ersatz dafür.

Er

liest viel, musiziert, für Dichtungen ist er besonders empfänglich.

Im ganzen zeigt sich das Bild einer jugendlichen Seele, die im Eifer nach Erkennen alles erfassen will und nach allem Menschlichen strebt.

Zu Weihnachten reist er nicht nach Hause, sondern fährt auf einige

Tage nach dem nahen Hohenheim zu den Großeltern.

„Diese Zeit

war fast die schönste meines Lebens," schreibt er in der weichen Stim­

mung, die der Jugend so nahe liegt.

Diese freundlichen Eindrücke

werden aber sehr bald durch die betrübende Wirklichkeit verdrängt.

Im Januar erkrankt Wilhelm an Luftröhrenentzündung, die be­ sorgten Eltern kommen nach Straßburg, und auf Rat der Ärzte wird ein längerer Aufenthalt in Italien beschlossen.

Zu seinem Kummer

mnß Wilhelm das Lyzeum wieder verlassen, erhält aber noch zu

seiner Genugtuung das Zeugnis für Prima.

Allein wollte ihn der

Vater natürlich nicht reisen lassen, er fand einen passenden Begleiter

in einem juugen Philologen Erich Schmidt, dem nachmaligen Ger­ manisten der Berliner Universität, einem Sohne des Zoologen Os­ kar Schmidt, der selbst gerade studienhalber eine Reise nach Italien

angetreten hatte. Der Weg führte die Reisenden im Februar 1873 über Mar­ seille, Nizza und viele Zwischenorte zunächst nach Florenz, dann nach Rom.

Werner Siemens sah in der Fahrt seines siebzehnjährigen

Sohnes in das fremde Land an sich nichts Bedenkliches.

Er war

in demselben Alter allein aus der Heimat fortgewandert, mit Weh­ mut, aber festem Willen, und vertraute auf die gleiche Selbständig­

keit und Verständigkeit bei seinem Sohne.

Eifernde Lehren seinen

Kindern aufzwingen zu wollen, war nicht seine Art, was er davon für angebracht hielt, gab er als väterlichen Rat in freundlichster Form.

Dem eben in Italien Angekommenen schrieb er unter dem 21. Fe­

bruar:

Charlottenburg, 21/2. 73. Mein lieber Sohn,

Deinen Brief aus Nizza mit dem des Herrn Schmidt habe ich gestern erhalten und mit nicht geringer Mühe entziffert!

Du solltest Dich

wirklich bemühen, etwas besser und namentlich deutlicher zu schreiben, damit nicht

künftig jedermann einen Schreck bekommt, wenn er

einen Brief von Dir erhält!

Ich vermisse in Deinem Briefe Angaben über Deine Gesund­

heit, die mich doch selbstverständlich jetzt am meisten interessieren müssen.

Ich halte Dich übrigens für vernünftig genug, um anzu­

nehmen, daß Du jetzt stets in erster Linie Deine Gesundheit bedenkst.

Glücklicherweise hat sich bei Dir noch kein organisches Leiden heraus­ gebildet, welches zu diretten Besorgnissen Veranlassung geben könnte,

es soll aber durch Deine jetzige Reise die Möglichkeit einer späteren

Herausbildung eines solchen verhindert werden Wedekind scheint doch noch in Palermo zu sein.

Ihr

seid bei seinem Hause in Rom oder Palermo accreditiert, könnt also

Geld nach Bedarf an beiden Orten entnehmen, wenn der Vorrat zu Ende geht.

Ihr sollt gut und anständig leben und Ausgaben,

welche Dir Nutzen bringen, nicht scheuen, aber Du mußt gute Rech­

nung führen, schon um Dich daran zu gewöhnen und nutzlose Aus­ gaben zu vermeiden.

Verschwender sind erbärmliche Menschen, da

sie nicht bedenken, daß sie mit dem nutzlos vergeudeten Gelde viel

Not und Elend mildern könnten

Leb wohl mein lieber Willy.

Genieße und benutze für

Deine Bildung all das Schöne und Lehrreiche, was Dich umgiebt,

dann kann diese Reise für Geist und Körper zu einem wichtigen Wende­ punkte Deines Lebens werden! Mit herzlichen Grüßen

Dein Vater

Werner Siemens.

Der Eingang des Briefes mit der Mahnung wegen besserer

Handschrift hatte damals schon seine gute Berechtigung.

Wilhelm

gehörte aber zu den Unglücklichen, die es trotz bester Rücksicht auf

den Leser nicht zu einer lesbaren Schrift bringen, während sich er­ fahrungsgemäß vollendete Rücksichtslosigkeit mit einer wunderbar klaren Schrift vertragen kann.

gemein denen seines Vaters.

Wilhelms Schriftzüge ähnelten un­ Während diese aber bis zuletzt deutlich

blieben, haben die Zeichen, die Wilhelm an der Stelle der schulmäßigen

verwendete, anderen immer Kummer bereitet. Die italienische Reise war mit ihrem häufigen Ortwechsel für einen Erholungsbedürftigen wohl etwas zu unruhig, doch fand Wil­

helm dazwischen immer noch Zeit zum Lesen und Lernen.

Außer

der italienischen Grammatik erwähnt er Burckhardts Cicerone, Ho­

mer, Plato u. a.

Andrerseits hatten die vielen neuen Eindrücke das

Gute, ihn vom Grübeln abzuziehen, das in den Straßburger Tagen schon merklich hervortrat.

Über das Gesehene berichtet das ziemlich ausführliche Tage­ buch.

Von der herkömmlichen Verzückung des Nordländers beim

Anblicke von Natur und Kunst hält sich Wilhelm frei, gegen Ende der Reise fühlt er sich auch durch das Vielerlei etwas ermüdet.

Er

nennt aber die Sehenswürdigkeiten und besonders die Kunstwerke, die ihm tieferen Eindruck gemacht haben, und teilweise beschreibt er sie eingehend, auch mit Skizzen.

Szenen aus dem Volksleben

fesseln ihn, mit Widerwillen spricht er von der italienischen Tier­

quälerei.

Er will nicht nur nach den Sternchen im Bädecker reisen,

ihn reizt gerade das jenseit der großen Straße Liegende. Beim Lesen der schlichten Zeilen mit den eingestreuten Bemerkungen vergißt

man immer wieder, daß der Schreiber noch nicht sein achtzehntes

Lebensjahr vollendet hat. — Gesundheitlich ging es Wilhelm auf der Reise nach Erwarte» gut, wenn auch leichtere Störungen, wie starkes Nasenbluten, nicht ausblieben.

Gemütlich war er offenbar

auch angeregt und gehoben, nur auf den Etappen der Rückreise äußert

sich einige Unzufriedenheit mit sich selbst, die er einmal in die kräftigen Worte kleidet: „Seit einigen Tagen wieder das Gefühl, der größte Esel zu

sein", Worte, die an sich in einem Tagebuche nicht viel bedeuten, die aber den Auftakt bildeten zu der schweren Stimmung der nächsten Jahre.

io

Schon beim Abgänge von Straßburg war die fernere Vor­ bereitung Wilhelms zum Abiturientenexamen durch Einzelunterricht Diesem Ziele widmete er sich nunmehr seit dem

ins Auge gefaßt.

Sommer 1873.

Ob er dabei immer zweckmäßig verfuhr, ist min­

destens zweifelhaft.

Ein einfacher Nützlichkeitsmensch würde sich die

Aufgabe leichter gemacht haben.

Aber Wilhelm ließ, sein Lebtag die

Wißbegier selbst, in der Kunst selbständigen Arbeitens noch nicht

geübt und dabei ungebunden in der Anlage seiner Studien, viel in den Kreis seiner Beachtung treten, was augenblicklich noch nicht

hineingehörte.

So besuchte er seit dem Herbst 1873 die Vorlesungen

von Paalzow über Experimentalphysik, im folgenden Sommer die

über Magnetismus und Elektrizität, hörte seit Herbst 1874 bei Wagner

Nationalökonomie, dazu noch manches andere.

Ernst ist es ihm mit

allem gewesen, und der Vater konnte von ihm in einem Briefe rühmen:

„Der Junge macht mir durch seine Tüchtigkeit und ernstes Streben

viel Freude."

Aber das bunte Gemisch von praktisch Notwendigem

und vorläufig nur Störendem konnte nicht zu seiner Befriedigung

dienen und seinem Hange zu schwermütigen Betrachtungen ent­ gegenwirken.

Sein Tagebuch aus der Zeit, das im übrigen zahl­

reiche Verse, Stellen aus Jmmermann, Scheffel, Springer, mathe­ matische und physikalische Formeln, Vokabel» und geschichtliche No­

tizen, auch Bemerkungen über die politischen Tagesereignisse ent­

hält, zeigt deutlich das von Zweifeln gequälte jugendliche Gemüt. Auf einer Fußwanderung durch Thüringen, die Wilhelm im Herbste

1873 allein unternahm, trug er ein:



Was hilft alles Kämpfen gegen die Melancholie.

Wenn

ich auch jetzt von ihr frei bin, so stellt sie sich doch alle Augenblicke

bei jeder geeigneten Gelegenheit ein, sie ist fast mein Charaktergrund­ zug. Meine Überzeugung ist, daß eine natürliche Disposition schlecht­ Mein Lebelang bleibe ich ein Sauertopf,

weg ununterdrückbar ist.

und da ich davon überzeugt bin, so bin ich aus Trauer darüber noch

öfter melancholisch



"

Ich war traurig diesen Abend, mußte immer an die

Zukunft denken, die Furcht, einmal untüchtig und großen Vaters kleiner Sohn zu sein.

Kann mich gar nicht gewöhnen, freudig

und unbefangen zu arbeiten und zu leben, mich nicht über ver-

sagte Gaben zu lassen

grämen,

mir

alles

andere ganz Wurst sein zu

"

„.... Mit anderen

Menschen

zusammen

entfaltet

sich mein

Geist mal nicht, obwohl mir geistvolle Gespräche, wie sie in Gegen­ wart meines Vaters immer geführt werden, großen Genuß ver­

schaffen

"

Im Kampfe mit den düsteren Gedanken sucht sich Wilhelm kräftig aufzurichten.

Er sei doch froh auf dieser Reise gewesen, die

Erinnerung an sie würde ihm später unangenehme Eindrücke immer

erleichtern.

Aber schon bald nach seiner Rückkehr ins Haus erscheinen

die quälenden Vorstellungen wieder und steigern sich zu bedenklicher Höhe: „Unglückselig ist der Mensch, in dem fortwährend das unaus­

löschliche Streben bohrt, sich Klarheit zu verschaffen, wenn er der Befriedigung dieses Strebens Schranken gezogen sieht, die schlecht­

weg unüberwindlich sind.

So wird sich Unzufriedenheit und Miß­

trauen einstellen, und wie schwer ist hiergegen anzukämpfen. bedenken dieses nicht,

Viele

laut sprechen sie ihre Unzuftiedenheit über

diese Melancholiker aus, deren schlechte Laune vielleicht das Glück

verbittert.

Aber Mitleid wäre eher am Platze."

Die „furchtbar quälende Unzufriedenheit mit mir selbst" läßt Wilhelm zu Ausbrüchen kommen wie: „Ich denke wieder mal an rasche Erledigung meines langweiligen Lebens." aus den Blättern.

So klingt es oft

Selten sind freundlichere Stunden verzeichnet,

in denen ihm zartere Empfindungen und Musik Linderung seiner

Pein bringen. Man wird versucht sein, solche schweren Stimmungen nicht zu

ernst zu nehmen.

Ähnliches stellt sich leicht im Jünglingsalter ein,

es drängt manchen zur Aufzeichnung, die aber selten ein wahres

Bild des Innenlebens gibt, das gewöhnlich viel heiterer aussteht.

Hier aber war offenbar wirkliches Leid zu tragen.

Die Tagebücher

machen den sicheren Eindruck vollster Aufrichtigkeit, jedes eitle Spiel

mit anempfundenen Schmerzen ist ihnen fremd, schon ihr langes

Fortführen spricht für ihren Ernst, sie geben ein ergreifendes Bild von dem inneren Ringen eines geistig und gemütlich tief veranlagten,

ehrgeizigen jungen Menschen nach dunklen weitgestreckten Zielen,

der an seinem Können verzweifelt, dem im Gegensatze dazu die gün­ stigsten äußeren Verhältnisse den Frohsinn des Lebens verlockend entgegentrugen.

Mit den Jahren hat Wilhelm Siemens die läh­

mende Schwermut durch Arbeit und Pflicht bei glücklichem Familien­ leben zu überwinden verstanden, aber die Spuren davon blieben ihm

für das Leben, und manche Züge seines Wesens auch im reifen Alter finden an den inneren Kämpfen in der Jugendzeit ihre Erklärung.

Von seinem körperlichen Befinden berichtet er in den Tage­ büchern überhaupt nur wenig, er klagt nur manchmal über den schlech­

ten Zustand seines Kopfes, seinen „dummen Kopf", „Nebelkopf", der ihm allerdings viel zu schaffen gemacht zu haben scheint und nicht

ohne Rückwirkung auf sein Gemüt gewesen sein wird.

Ein glück­

licher Unglücksfall, müßte man sagen, ein Schädelbruch infolge Durch­ gehens seines Einspänners, hat lange Zeit später sonderbarerweise das Übel gemildert. — Über sein verschwiegenes Tagebuch hin­ aus hat er von seinen innersten Gedanken kaum etwas verlauten lassen. Seinem äußeren Gebaren mögen sie einige Frische und Keck­

heit genommen haben, so daß er ruhiger erschien als seinem inneren

Leben entsprach.

Er nahm aber lebhaften Anteil an allem, was ihm

auf Reisen aufstieß, und namentlich bot ihm eine längere Reise mit

dem Vater im Spätsommer 74 nach England und Irland viel An­

regung.

Dort waren bei einer Kabellegung große Schwierigkeiten

entstanden, von denen das Tagebuch viele Einzelheiten berichtet.

Aber auch in dem geräuschvollen London gibt Wilhelm oft seinem Hange zur Einsamkeit nach und trägt dann wieder Bemerkungen ein, die von kraftvoller Regung des Ehrgeizes und der Tatenlust

zeugen.

Er spricht von einem Verwandten, der seiner Ansicht nach

in dem Geschäfte keine glückliche Stelle einnehme: „Eigentlich ist er zu bedauern, und hoffentlich braucht nicht einer von uns eine gleiche

Rolle zu spielen.

Ich würde mich nie darein fügen und sicher eher

meine eigenen Wege gehen." In dieser Zeit der Vorbereitung zum Examen ist zwischen Wil­

helm, seinem Vater und Onkel Fritz auch einmal von dem künftigen

Berufe die Rede.

Unwillkürlich denkt man, daß die Nachfolge in der

Schöpfung des Vaters für die Söhne selbstverständlich gewesen sein müsse.

Indessen scheint Wilhelms besondere Art den Gedanken an

andere Möglichkeiten nahegelegt zu haben.

bei der Regierung erwogen.

Es wird eine Laufbahn

Zu anderer Zeit muß aber auch, wie

Briefstellen vermuten lassen, von einer reinen Gelehrtentätigkeit ge­ sprochen sein.

Onkel Fritz rät dem Neffen jetzt dringend, die wissen­

schaftliche Seele des Geschäftes zu werden. „Ein reiches Feld," meint

dieser zustimmend, „Anerkennung wird nicht fehlen."

Offenbar hat

er von da an nur dieses Ziel vor Augen gehabt.

Was sonst Wilhelms Tagebücher in dieser Zeit füllt, trägt wenig

das Kennzeichen der Arbeit für ein Examen.

Davon spricht er nur

beiläufig, wenn sie ihn auch meist beschäftigt haben wird.

Dagegen

find lange Stellen aus Dichtwerken aller Zeiten und Länder aus gezogen, Bemerkungen über politische

Tagesfragen und Staats­

wissenschaft wechseln mit Betrachtungen über Künstler, griechische

Weisen, Theater, Geschichtliches, Philosophie.

Von den verfrühten

Vorlesungen an der Universität war schon oben die Rede.

Über

Büchners „Kraft und Stoff" ist er nun schon hinausgereist.

Er be­

legt den Verfasser mit einem wenig schmeichelhaften Beiworte und

stellt ihm Tyndall gegenüber mit seinem „Materialismus in Eng­

land".

Er liest auch viel schöne Literatur, geht häufig in Konzerte

und sitzt selbst täglich am Klavier. Er langt nach allem, was ihm be­

achtenswert erscheint, aber nicht in lässigem Genießen.

Nicht lange

vor dem mündlichen Examen im Frühjahr 1875 schreibt er ein:

ein gebildeter,

klarer,

phantasie­

voller, immer geistesgegenwärtiger Mensch zu werden.

Ich denke

„Ich quäle

mich furchtbar,

überall, benehme mich aber in Gesellschaft höchst dumm und denk­

schwach,

sodaß ich mich schämen muß,

und ich immer daher, wo

andere sich köstlich belustigen, z. B. in Gesellschaft, Theater, immer oder oft in niedergedrücktestem Zustande herauskomme.

tisch fühle ich mich oft sehr wohl.

Am Schreib­

Aber ich hasse das langsame

Denken, das nur da ist, wenn es nicht notwendig, ich will mit der Welt im Kopf fröhlich und tatkräftig und handelnd sein."

„Fortwährend

wird innerlich gearbeitet, namentlich an einer

Verbesserung meiner schwachen Phantasie, unterbrochen wird, um zu träumen. zu werden.

sodaß

oft die

Arbeit

Mein Wunsch ist, völlig au fait

Drückend, wenn ich mich nicht gut unterhalten kann,

keine guten Einfälle habe, keine Reden halte."

Erfreulich für den Schreiber, daß diese Aufzeichnungen schon

einen Ton kräftiger klingen als die früheren, aber wer in der Vor-

bereitungszeit so an sich selbst arbeitet, so viel auf die Hörner nimmt

und nicht nüchtern nur auf das Examen bedacht ist, verpaßt leicht den Anschluß.

Und das mußte auch Wilhelm erfahren.

Er war reifer,

bei weitem, als so mancher, der noch durch das Nadelöhr geht, aber das Zeugnis der Reife erhielt er nicht.

Ec wußte viel mehr als der

normale Abiturient, aber von dem, worauf es im Augenblicke an­

kam, wußte er nicht genug.

Er schnitt gut ab in Deutsch und Ma­

thematik, aber das Griechische brachte ihn zu Falle. Mehr als vorübergehenden Ärger scheint Wilhelm über diesen Mißerfolg nicht empfunden zu haben.

Er verzeichnete nur trocken

die Tatsache, höchstens könnte man aus der getrenlichen Erwähnung, daß er als einziger von 7 durchgefallen sei, auf eine besondere Re­

gung schließen. Innerlich bedeutete dem jungen Denker das Examen kaum etwas, und wenn er, wie anzunehmen, schon fest entschlossen

war, den Wegen seines Vaters zu folgen, so konnte er den Unfall gelassen ertragen. Der Vater selbst, dem die Wertung des Menschen

durch Prüfungen auch nicht viel galt, bedauerte nur den Sohn ob seiner Niederlage und schickte ihn für das Sommerhalbjahr nach

Heidelberg, damit er dort, wie er an Bruder Karl schrieb, durch lusti­

ges Leben mit Altersgenossen den Schulstaub abstreife.

großer Philister.

Er sei zu

Wenn man darunter einen Menschen versteht mit

engem Gesichtskreise und ängstlicher, schwungloser Lebensführung in

ausgetretenen Bahnen, so war Wilhelm freilich alles andere als ein Philister.

Der Vater wollte offenbar mit dem Ausdrucke nur das

ihm zu stille äußere Wesen des Sohnes kennzeichnen, das ihm leicht als ein Mangel an Schneid erscheinen konnte.

Ganz ohne Eindruck ist für Wilhelm indessen das verfehlte Examen

doch nicht geblieben.

Bei richtig angelegter Vorbereitung hätte er

mit seinen Gaben das Ziel leicht erreichen können, die Schuld an dem

Ausgange war ersichtlich der Mangel an zweckmäßiger Beschränkung und gleichmäßigem Fortgänge.

Ein ähnlicher Mangel ist auch in

seinen folgenden Studienjahren hervorgetreten.

In seinem Un­

genügen an sich selbst hat er später, wenn er Lücken in Einzelheiten seines Wissens empfand, manchmal sein Bedauern über die ver-

meintlich ungenügende Leitung ausgesprochen, die ihm in seiner Jugend zuteil geworden sei.

Damit ist wieder die Frage nahegelegt

nach Art und Grad der Einwirkung, die der Vater bei der Erziehung seiner Kinder ausgeübt hat. Übung im Erziehen hat Werner Siemens schon frühzeitig ge­

habt.

Als Ältester übte er eine natürliche Macht über die Brüder

aus, und den zwei jüngsten Brüdern hat er nachher vollständig die

Eltern ersetzen müssen.

Mit rührender Sorgfalt hat er dieses Amt

verwaltet, dabei in schlimmen Fällen auch die Anwendung der ein­

dringlichsten Hilfsmittel der Erziehungskunst nicht verschmäht. Grundzug seines Verfahrens war aber weitgehende Freiheit.

Der

Dieses

Verfahren durfte er an sich selbst erprobt fühlen, wobei er freilich übersehen mochte, daß bei ihm der Zwang der Umstände ein guter Wegweiser auf seinem Entwicklungsgänge gewesen war.

Die um

sieben bis dreizehn Jahre jüngeren Brüder Wilhelm, Fritz und Karl hatte er als Jünglinge unterrichtet und geleitet, ihrer Eigenart, die

andere oft als Eigensinn angesehen hätten, so viel Spielraum ge­ lassen, daß sie aus Mißgriffen selbst lernen konnten und keine gute

Anlage verzwängt und geknickt wurde.

Diese Weisheit hatte ihre

Früchte getragen, die Brüder waren nicht nur hoch über den Durch­ schnitt hinaus etwas geworden, sie hingen auch ihrem Führer mit

Achtung und Liebe unwandelbar an.

„Wir wärmen uns doch alle

an Deinen Strahlen," schrieb Karl als gereifter Mann an Werner. — So vermied Werner Siemens auch, seine Söhne bei ihrer Aus­ bildung im einzelnen zu gängeln, so sorgfältig er die ersten Schritte

erwog.

Vor allem gab er das Beste, was die Erziehung überhaupt

zu geben vermag, das Vorbild, und Wilhelm hat zeitlebens kein größeres Ziel gekannt, als seinem innig verehrten Vater gleichzu­

kommen. Das Heidelberger Sommersemester verlief nach dem Wunsche des Vaters.

Der Schulstaub konnte um so gründlicher verfliegen,

als die Vorlesungen bei Quincke, Bunsen, Fuchs und Kuno Fischer keinen zu lästigen Zwang ausübten, wenigstens spricht das Tage­

buch ehrlich von vielem Schwäntzen der Kollegs.

Der „Phllister",

richtiger der versonnene Grübler, wurde auch zurückgestellt, Wilhelm

suchte und fand Anschluß bei Kameraden, die ihm in der Mehrzahl zwar nicht recht genügten, mit denen er sich aber willig dem Trubel

von Ausflügen, Volksfesten mit Tanz, lustigen Kneipen mit Gesang, Fechtstunden, Mensuren und Theaterbesuch hingab.

In eine Ver­

bindung einzutreten, wozu er noch Neigung hatte, unterließ er wohl wegen des nahen Semesterschlusses.

Sein Studentenleben in immer­

hin bescheidenen Grenzen zu halten, entsprach seinem Wesen und

seinem Monatswechsel von 300 M.

Der Vater wollte seine Söhne

nicht als Knicker sehen, wie er in der Zeit an Arnold schrieb, sie sollten

aber Haushalten lernen und sich nicht vielleicht an ein fashionables Bummelleben gewöhnen, das sie später für ernstes Streben un­

tauglich mache.

Es waren heitere Monate in Heidelberg für Wilhelm, zu schweren Betrachtungen ließen sie ihm keine Zeit, auch nicht für die Musen,

nur von eifrigem Klavierspiel wird öfter gesprochen.

Die Stille in

Hohenheim bei einem Besuche der Großeltern weckt freilich gleich

wieder eine weiche Stimmung.

Der Großvater, Vorsteher der land­

wirtschaftlichen Akademie, zeigt ihm seine Versuchsanlagen.

„Wie

lebhaft wünschte ich, Ruhe und Fleiß in einer so angenehmen Tätig­

keit zu finden..." — Dem Verlaufe des Sommers entsprach sein

anregender Abschluß.

Wilhelm machte mit Arnold eine Reise nach

der Schweiz und Oberitalien, um dann über den Harz, wo die Brüder ihrem Erzieher Willert einen mehrtägigen Besuch abstatteten und

eine Zusammenkunft der weiteren Familie Siemens mitmachten, zunächst nach Berlin zurückzukehren.

Bis auf einen schweren Anfall

von „Kopfnebel" im Harze scheint sich Wilhelm die ganze Zeit wohl

befunden zu haben. Schon vor dem Abgänge nach Heidelberg war für den Herbst

der Eintritt Wilhelms in die Armee zum Ableisten der einjährigen

Dienstpflicht in Aussicht genommen.

Nach früheren Anfragen bei

anderen Kavallerie-Regimentern hatte er sich noch von Heidelberg aus beim 19. Ulanenregiment in Stuttgart gemeldet und trat nun

am 1. Oktober 1875 in dessen 2. Schwadron ein. Die Soldatenzeit bildete bei ihrer Kürze gewöhnlich keinen prak­ tisch bedeutsamen Abschnitt im Leben eines Deutschen, aber sein Verhalten dabei war in manchen Richtungen kennzeichnend für sein n.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

17

Wesen.

Wilhelm waren in seinem ersten Dienstjahre keine Lorbeeren

beschieden, selbst der Gefreitenknopf blieb ihm versagt.

Leider be­

ginnen die spärlichen Tagebuchblätter aus dem Jahre erst im März und enthalten über die ersten 5 Monate nur einige nachträgliche

Notizen.

Danach hatte sich über den jungen Soldaten bald dienst­

liches Unheil gesenkt, er war wegen Unpünktlichkeit dreimal in stei­ gender Skala bis zu 6 Wochen zum Pferdeputzen verdonnert und

hatte einen Monat in der Kaserne wohnen müssen.

Der Schreiber

berichtet darüber wieder ganz trocken, wie damals über den Examen­ ausfall, als wenn er das ganz in der Ordnung fände. Weder lahme Entschuldigung des Vergehens noch zwecklose Erregung über die

Strafe.

Es spricht daraus ein Wirklichkeitssinn, der zu den Stunden

des Grübelns und Schwärmens in auffallendem Gegensatze steht. Als Wilhelm zwei Jahre später sein ziviles Leben auf zwei Tage

unterbrechen mußte, um im „Lindenhotel" (dem Berliner Arrest­ hause) über die Folgen einer versäumten Kontrollversammlung nach­

zudenken, äußerte sich Onkel Karl über den Fall in Worten, wie sie

Leuten aus den Jahrzehnten vorher nahelagen.

Der Betroffene

elbst aber verzeichnet nur die nackte Tatsache. — Jedenfalls sah sich Wilhelm schon in den ersten Monaten in einen unerfreulichen

dienstlichen Zustand versetzt.

Dazu können zufällige ungünstige Per-

sonenverhältniffe beigetragen haben, deren Wirkung sich in so kurzer Zeit nicht ausgleichen läßt, den größeren Teil der Schuld trug aber vermutlich Wilhelm selbst.

Ungern in den Dienst getreten war er

gewiß nicht, das war damals, nur einige Jahre nach den Siegen,

überhaupt selten. tätigung.

Zudem war Reiten seine liebste körperliche Be­

Aber als Rekrut kann man ihn sich nach seiner bisherigen

Entwicklung nur schwer vorstellen.

Er war reif über seine Jahre,

schon mit vielseitigem, wenn auch noch ungeordnetem Wissen aus­

gestattet, frühzeitig an selbständiges Denken gewöhnt, immer be­

müht, ein eigenes Urteil über Menschen und Dinge zu gewinnen. Dadurch mußte sich notwendig in ihm bei seiner Jugend ein gewisser

Widerspruchsgeist entwickeln.

Unter diesen Umständen mochte er

die Enttäuschung, die gerade dem eifrigen jungen Krieger aus den

unvermeidlichen öden Seiten der Rekrutenschule zu erwachsen pflegt, besonders hart empfinden.

Dann ist es leicht, sich durch ein unbe-

1876

dachtes Wort, unwillige Miene oder kleine Unterlassungen'die ganze

Dienstzeit zu verderben. Mit der mehr oder minder großen Eignung

zum Soldaten hat alles das wenig zu tun.

Woran es Wilhelm als

einjährig-freiwilliger Man hauptsächlich fehlen ließ, hat sein Vater

in dem unten folgenden Briefe vom 28. 7. 76 wohl am besten ge­ kennzeichnet. — Noch erschwert wurde Wilhelm die Dienstzeit wieder durch Erkrankung.

Gegen Ende des Winters litt er wochenlang

an der Gelbsucht und mußte darauf um Erholungsurlaub einkommen, im Sommer entzog ihn eine Knieverletzung durch Sturz mit dem Pferde längere Zeit dem Dienste.

Den Wochen der unfreiwilligen

Muße im Zimmer entspringen auch die knappen Tagebuchnotizen dieses Jahres.

Wilhelm ist ganz einsam, was er wohl selbst ver­

anlaßt hat, was er aber gelegentlich wieder zu bedauern scheint, er liest fast den ganzen Tag Dichtwerke, Soziologie, Technisches „und

allerhand", die Politik verfolgt er mit eigenen Betrachtungen über den Reichstag und die wichtigsten Ereignisse im Auslande.

Trotz

der Unbefriedigung im Dienste trägt er aber keine schwermütigen Gedanken in das Tagebuch ein, das Jahr bringt neben manchem Ärger auch freundliche Stunden, die fröhliche Ungebundenheit in Heidelberg und das Derbe des Soldatenlebens haben den jungen

Mann ersichtlich schon fester und frischer gemacht.

Die klugen, hüb­

schen Züge des jungen Mannes in der Ulanka lassen auch einige Keck­

heit nicht vermissen. Die folgenden Briefe ergänzen die Vorstellung über Wilhelms Leben und Sein in dieser Zeit nach manchen Richtungen, sie zeigen

das schöne Verhältnis zwischen Vater und Sohn, seine freie und doch ehrerbietige Art dabei und seine schon erhebliche Gewandtheit

in schriftlicher Darstellung, im ausstchtlosen Kampfe mit seiner Hand­ schrift.

Stuttgart, Ulan. Reg. König Karl (i Württembg.) 19 II Escadron

d. 19. Mai 76. Lieber Vater!

Ich werde mich auf das Sorgfältigste bemühen, meine Schrift

so leserlich als möglich herzustellen, und ich hoffe, daß sie heute nicht

allzu abschreckend aussehen wird, denn es würde mir recht unan­ genehm sein, wenn allein schon der Anblick meines Briefes Dich

so in Harnisch bringen würde, daß eine gemütliche Stimmung als vielleicht notwendiges Gegengewicht gegen den, fürchte ich fast, Dich

erzürnenden Inhalt der folgenden Zeilen unmöglich gemacht wird. Ich habe allerdings kein Verbrechen begangen und nichts Schlimmes

getan, auch kann ich mir bis jetzt gar keine Vorwürfe machen, bin im Gegenteil von verschiedensten belobt und beglückwünscht worden,

allein, man kann die Sache ja verschieden auffassen und ohne per­ sönliche Kenntnis der näheren Umstände mich für leichtsinnig er­ klären.

Die Sache ist nämlich die: Der Stallmeister Fritz hierselbsi

besaß einen Gaul Tom, der als allgemeiner Schrecken und Ent­

setzen bei allen Sonntagsreitern bekannt war, wegen seiner ver­

meintlich höchst bösartigen und gefährlichen Eigenschaften, denn er warf jeden, der ihn nicht kannte, ohne weiteres herunter.

Auch ich

kam infolge einer unschuldigen Wette dazu, ihn zu reiten, und es

erging mir nicht besser.

Aber ich lernte den Gaul kennen, sah, daß

er ein sehr schönes Tier war, ein englisches Vollblutpferd, sehr fein zugeritten, aber durch schlechte Behandlung im Stall und schlechtes Reiten etwas verdorben.

Wer die Eigentümlichkeit des Pferdes

kennt, kann es auf das sicherste und bequemste gebrauchen. Ich habe es seit 8 Tagen fast täglich geritten, und ich kann mir kein angenehme­

res Pferd wünschen.

Meine Sünde, um deren Absolution ich Dich

jetzt freundlichst bitten möchte, besteht nun darin, daß ich den Gaul

gekauft habe, gestützt auf Aussagen von 2 Leute», deren einer mein angenehmster Umgang hier ist, früherer Einjähriger Schaarschmidt, von denen der eine das Tier 1 Jahr kannte,

Herbste.

der andere seit dem

Das Tier ist allerdings zwischen 10 u. 13 Jahre alt, aber

von sehr edler Abkunft,

schöner Gestalt,

sehr gesunden Knochen,

äußerst weich in der Zügelführung, ein schneller Traber, vom schön­ sten Paradegalopp, guter Fresser und gut zugeritten.

Er hat aber

den Fehler eines ziemlich starken Sattelzwanges, wiewohl er ihn durch tägliches Reiten fast ganz verloren hat.

Vielleicht ist auch ein

Fehler im Kreuz vorhanden, einige behaupten das, andere nicht, ich kann es aber nicht glauben, da jetzt gar nichts mehr zu bemerken

ist, es kann auch seine frühere Wildheit dahin zurückgeführt werden.

daß er erstens nur äußerst selten geritten worden ist, und dann durch

ganz falsche Behandlung, durch Strenge, Spornieren und unge­

schicktes Reiten, während er sanft und vorsichtig behandelt werden will, hartnäckig und trotzig geworden ist.

Jetzt geht der Gaul wie

gesagt vortrefflich, mein Lieutenant hat ihn gestern sehr gerühmt, und selbst der Wachtmeister, der ja außer Militärpferden nur wenig

gelten läßt, konnte nichts einwenden und meinte, es wäre ein guter Gaul.

Und ich kann die Unteroffiziere und Einjährigen mit ihrem

Willen, den Gaul reiten zu dürfen, kaum von mir abwehren.

Es

wäre mir nicht eingefallen, den Gaul zu kaufen, erstens, ohne um Deine Erlaubnis zu bitten, wenn nicht Gefahr im Verzüge gewesen wäre, denn es waren mehrere Bewerber, und wenige Stunden nach

mir meldete sich wirklich ein Käufer, ich mußte also einen plötzlichen Entschluß fassen — zweitens wäre es mir nicht eingefallen wenn der

Gaul unter den obwaltenden, ihn so ungünstig beleuchtenden Um­

ständen nicht im Vergleich zu seinem Werte so sehr wohlfeil gewesen wäre. Der Gaul kostet 375 Mark, und alles in allem, mit Sattel etc.,

werde ich bis Ende des Monats wohl eine Ausgabe von 500 Mark haben.

Bis jetzt steht der Gaul in einem Nachbarstall für 2 Mark

täglich, ich werde ihn wohl im Eskadronsiall unterbringen können. Um meine Kosten zu beurteilen, mußt Du noch erwägen, daß ich

wöchentlich im Durchschnitt amal mit Kameraden ausreite, was also pro Monat 48 Mark macht.

Bis jetzt betrugen die Futterkosten 60

Mark, wenn aber der Gaul in der Eskadron untergebracht ist, nur

einige 40. Und nun ist die allgemeine Ansicht, daß ich an dem Gaule

nichts verlieren, wahrscheinlich aber, da die Verhältnisse für ihn viel besser geworden sind, gewinnen werde.

Also für 1200 Mark werde

ich ihn vielleicht verkaufen können und für noch mehr. Doch kann ich

auch Pech haben, und ich möchte natürlich meine Fehler selber büßen. Ich habe nun die Bitte an Dich, mir die 500 Mark auf meine mütter­

liche Erbschaft, die ich ja vom zoten Juli antreten soll, aufzuschreiben, würde mich aber sehr freuen, wenn ich die 500 Mark sobald als mög­

lich im Voraus erhalten könnte, da ich den Fritz um keinen Preis zu lange mit der Bezahlung warten lassen möchte.

Ersparnisse habe

ich nicht gut machen können, es ergeht mir hier ähnlich wie Arnold. Man kann sich zu schwer von der Kameradschaft zurückziehen, und

es ist fast^unmöglich, gegen die Strömung zu schwimmen.

Denn

mit großer Gewalt wird man von den anderen mit fortgerissen. Und gegen Ton und Sitten verstößt Niemand gern. Putzen sich doch

auch die gebildetsten und vernünftigsten Frauen oft in einer Weise, die genau betrachtet lächerlich ist, bloß um nicht gegen die Sitte und den Anstand zu verstoßen.

Und in unserem Einjährigencorps gilt

leider nicht für anständig, wer knausert und auf Sparen ausgeht, und die Höhe des Wechsels ist ja stets bekannt. Und um ein schlechtes

Renomme zu vermeiden, tut man eher lieber zu viel als zu wenig.

Es giebt für den Einjährigen allein in seiner Eigenschaft als solcher

Im Regiment gilt er

eine Summe von nicht geringen Ausgaben.

für einen Menschen, der Geld wie Heu hat, und der über einen un­

versiegbaren Geldbeutel ju verfügen hat.

Demgemäß werden die

entsprechenden Anforderungen an ihn gestellt, und je nachdem er

diesen entspricht, gestaltet sich sein Ruf und sein Renomme und seine ganze Stellung in der Eskadron.

Die Kosten meiner letzten Wache

haben sich so z. B. auf ca. 20 Mark belaufen. Ja z. B. neulich wurde

ein Faß Bier von mir verlangt, weil ich nicht Nachexerzieren erhalten hatte.

So unverschämt die Leute manchmal sind, so schwer kann

man sich ihren Wünschen widersetzen.

Fast alle Tage wird man et­

liche Male angebettelt, und namentlich die Herren Unteroffiziere

machen keine geringen Ansprüche.

Und dann sind ja so viele arme

hungernde Kerle da, daß man nicht anders kann, als ihnen ab und zu eine kleine Freude zu machen. Mit 3 V> Groschen pro Tag springt

einer nicht weit bei einem so angestrengten Leben.

So also bin ich

nicht viel zum Sparen gekommen und ich hoffe, daß Du mir das Geld bald schicken wirst.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mit

meinem Kaufe einverstanden wärest, andernfalls muß ich reumütig

um Verzeihung bitten. — Ich möchte nun noch auf meinen letzten Brief an Mama zurückkommen, den ich in ganz unschuldiger und

heiterer Stimmung geschrieben hatte, und also recht erstaunt war,

als heute als Antwort ein Brief von Großmama einlief, der mich nicht anders als erregen, ja kränken mußte.

Ihr macht mir Vor­

würfe, daß ich so wenig schreibe, aber seit ich fort bin, ist dieser Brief

doch der dritte, macht also auf 14 Tage einen, und bei meinem zeit­ verschlingenden Leben habe ich immer geglaubt, daß es bei meiner

schlechten Schrift, die Niemand lesen mag, doch genügend wäre, um

Euch über mich zu unterrichten.

Ich bitte Dich herzlich, doch zu be­

denken, daß man nicht immer nur eine» Maßstab hat, um die Liebe

und Anhänglichkeit eines Sohnes an die Seinigen zu beurteilen.

Am vielen Schreiben erkennt man nichts. losen und Gleichgültigen am leichtesten.

Das fällt den Gedanken­

Die sudeln mit der höchsten

Bequemlichkeit schnell ein paar Salme hin, und sind dann für ein paar Tage fertig.

Ich aber erlebe hier täglich so viel neues, führe

hier ein Leben, das so von dem früheren abweicht, werde so ganz und gar durchgerüttelt, daß ich immer beschäftigt bin, alle die Ein­ drücke zu bewältigen und aufzunehmen, und immer mehr und hefti­

ger danach strebe, den alten gedankenlosen Schlendrian zu verlassen, und bei allem Bummel und sogenanntem Vergnügen suche ich mir

eine höhere Auffassung anzueignen und die Dinge nach ihrem Werte zu beurteilen, und nicht nach den tausenderlei angelernten geistigen Gewohnheiten und Vorurteilen. So kann ich also weder in der Stim­ mung noch in der Lage sein, an einer starken Korrespondenz große

Freude zu empfinden, denn hier handelt es sich doch hauptsächlich

um mein Ich und um seine Erlebnisse, wo aber alles in Gährung und Zerrissenheit ist, da ist doch leicht verzeihlich, wenn man vor

allem, was Linen hier etwas zu lüften zwingt, instinktiv zurückschreckt. Ich bitte Dich also recht sehr, dieses zu berücksichtigen, und bitte auch

die Mama, mich nicht nach Aeußerlichkeiten allein zu beurteilen. Ich hoffe ja, daß Ihr keine schlechte Meinung von mir habt, aber wenn mir Gr.M. schreibt, „daß Ihr Euch nicht genug über den kind­

lichen Ton der heutigen Generation wundern konntet, daß ich, wäh­ rend ich abgereister Sohn viele Wochen vergehen lasse, ehe ich melde, ob und wie ich angekommen, die Stirne habe, mit Vorwürfen um

mich zu schleudern, daß mir Niemand schreibt, und nun untertänigst melde, wie es steht", so wirst Du wohl verzeihen, wenn ich heute aus­ führlicher war, als ich es bei meiner schlechten Schrift eigentlich ver­

antworten kann.

Mit den besten Grüßen an Mama und die Verwandten Dein getreuer Sohn Wilhelm Siemens.

23

Berlin, 28.7.76.

Lieber Willy! Besten Glückwunsch zu Deinem 21jährigen Geburtstage!

Der

Tag ist besonders wichtig für Dich, da Du ja an demselben mündig wirst!

Ich habe Dir zwar nur selten im Leben mein sic volo sic ju-

beo! zugerufen, sondern immer gesucht, daß Du das nötige und rich­

tige aus eigenem Antriebe thust — jetzt kannst Du aber auch un­ vernünftig handeln, wenn es Dir Spaß macht! Deine Mittel erlauben Dir das ja!

Doch ich hoffe, mein lieber Junge, es bleibt unter uns

beim Alten, und Du giebst nach wie vor etwas auf meinen väter­

lichen Rat, der doch immer nur Dein Bestes vor Augen hat! Aus Deinem Briefe an Toni, den sie mir eben, etliche Stunden vor unserer Abreise, giebt, ersehe ich, daß Du ein baares Geburts­

tagsgeschenk wünschest.

Dementsprechend habe ich Anweisung ge­

geben, Dir 300 Mk. als solches zu schicken. Uebrigens kann ich Deinen in dem Briefe geäußerten Ansichten, daß nur viel Geld Stellung und ein erträgliches Leben machten, nicht beipflichten.

Es macht

einmal die zweckmäßige Anwendung desselben, hauptsächlich aber die zweckentsprechende Behandlung der Leute.

Du gleichst etwas

dem Onkel Fritz, der früher alle Leute vor den Kopf stieß, trotzdem

er immer nur das beste und vernünftigste wollte.

Endlich ging ihm

aber das Licht auf, daß jeder Mensch wie ein kapriciöser RegenerativOfen zu betrachten sei, der auf seine besondere Weise genommen

sein wolle, wenn er gute Dienste tun sollte!

Von dem Augenblick an

kam er mit allen Leuten gut fort und erreichte seine Zwecke!

Wende

das auf Deine Leutenants und Sergeanten an, so wirst Du auch mit denen besser fahren.

Wenn Du beim Militär auf die Weise Le­

bensklugheit lernst, so wirst Du später dankbar auf die Dir jetzt

so schwer vorkommende Zeit zurückdenken. Arnold, der zum Studium der wissenschaftlichen Ausstellung in London ist, läßt Dir raten. Du solltest Dich melden, um 3 Monate nachzudienen, um Offizier werden zu können.

Ich will weder zu-

noch abreden, rate Dir nur, selbst alle möglichen Chancen reiflich zu überlegen und dann zu entscheiden.

Ist ein späteres Nachdienen

möglich mit gleichem Erfolge, so scheint mir dies bei Deiner jetzigen Gemütsverfassung vielleicht zweckmäßiger. Leb wohl, lieber Sohn

Dein

Wr. Siemens. Stuttgart d. z. Aug. 76. Lieber Vater!

Die 100 Thaler kommen mir sehr zu statten; und wenn auch

nicht Geld die Leute macht, so entscheidet dasselbe doch hauptsächlich

bei geldgierigen, ungebildeten Leuten, unter denen ich lebe und von denen ich abhänge; deshalb weiß ich auch nicht, ob es nicht leicht­ sinnig gehandelt war, mich schon in diesem Jahre mündig werden zu lassen.

Zu unverständig will ich aber nicht sein, und jedenfalls

werde ich nicht so weit von allem Herkommen mich entfernen, daß

Du im Unmündigkeitsfalle dazwischen treten würdest.

Freilich hat

man sich in dem Jahre geändert, doch glaube ich, nicht zum Nach­

teil, denn wenn man das Leben in seiner eigentlichen Bedeutung in seinem Wesen zu begreifen sucht, wird man, denke ich, weniger

philiströs, insofern man seinen Platz nicht mehr allein am oft un­ fruchtbaren Studiertische sucht — nein, man muß vielmehr Natur­

mensch mit frischen beweglichen Sinnen sein, welche leider in der

heutigen Schule vernichtet werden.

Mit diesem rühmlichen Ge­

danken bin ich mündig geworden.

Nachdienen ist überhaupt keine Liebhaberei von mir.

Das steht

gerade so aus, als wollte ich um etwas betteln, was man mir aus Mangel an dem rechten — versagt hat. Damit sind schon viele rein­

gefallen.

Ich werde mich also höchstenfalls darauf einlassen, wenn

man mir die bestimmteste Aussicht eröffnet, am Neujahr als Vice­

wachtmeister entlassen zu werden, womit ich zugleich eine Dienst­ leistung von 2 Monaten ersparen würde, sonst aber nicht.

Und das

ist auch kein Unglück.

Im Kriegsfälle kommt man doch vorwärts.

Ich selbst bin schließlich wohl und munter, wenn ich auch das Knie

noch immer schonen muß, und so schließe ich denn mit den besten Grüßen an Mama und die Kinder

als Dein getreuer Sohn Wilhelm Siemens.

Im nächsten Jahre hat Wilhelm bei den schwarzen Husaren

in Posen nachgeholt, was ihm die Ulanen in Stuttgart schuldig ge­

blieben waren.

Er hat sich in Posen von vornherein mehr gefallen,

hat die unteren militärischen Grade erklommen, das Offizierexamen („gegen meine sonstige Gewohnheit) bestanden, ist in der Folge Reserveoffizier in demselben Regiments geworden und hat 1894 den

Abschied genommen.

Über seine Übungen als Offizier sind keine

Äußerungen von ihm vorhanden, sie sind ihm aber körperlich sehr gut bekommen, wie die Dienstzeit überhaupt, trotz der Verdrieß­

lichkeiten im ersten Jahre, ersichtlich auch an ihm ihre gute Wir­ kung in Festigung des inneren und äußeren Menschen bewährt hat.

Über das Lebensziel Wilhelms scheint inzwischen die Entschei­ dung gefallen zu sein, oder sie hatte sich allmählich selbst herausge­

bildet, ganz nach dem früheren Rate von Onkel Fritz und jedenfalls

auch im Sinne des Vaters. Die Söhne sollten die Nachfolger in der Firma werden.

Dabei war wohl an eine gewisse Teilung der Auf­

gabe gedacht, Arnold studierte an der Gewerbeakademie in Berlin,

die später mit der Bauakademie zu der Technischen Hochschule ver­ einigt wurde, Wilhelm hatte sich für die physikalisch-technische Rich­

tung bestimmt.

Seine Studien oder wenigstens seine belegten Vor­

lesungen in Heidelberg entsprachen ja schon diesem Vorhaben, nun­

mehr wollte er mit Nachdruck an seine Ausbildung gehen und ent­

schloß sich für Leipzig, wo er fleißiger sein zu können meinte.

Der

Vater stimmte dem auch deshalb gern zu, weil er in dem Physiker

Wiedemann an der Leipziger Universität einen guten Lehrer von praktischer Richtung sah.

Das Anmeldebuch vom Wintersemester

76/77 weist denn auch nur vier Fachvorlesungen auf, und zwar in

Mathematik, Physik und Chemie.

Von Wilhelms Leben in Leipzig erhält man den Eindruck großer Zerrissenheit und Unstetigkeit. Bei dem Übergange von dem Zwange des Vorjahres zur Ungebundenheit hatte er noch nicht das Gleich­

gewicht gefunden. Bei seinen Studien, die nicht auf eine der üblichen

Laufbahnen gerichtet waren, fehlte ihm der verständige Führer, wie jungen Studenten so oft. Professoren befassen sich ja selten mit Rat­ schlägen, die über ihr engeres Gebiet hinausgehen.

So konnte Wil­

helm von den Vorlesungen keinen tieferen Eindruck empfangen, teilweise fühlte er einen Mangel an Vorkenntnissen.

Er gehörte

auch immer zu den eifrigen Ungeduldigen, die schnell den wesent­

lichen Inhalt eines Gebietes erfassen wollen.

Das „Travaiiiez,

et la foi viendra“ von Lagrange hatte er noch nicht verstanden, die

Zähigkeit, die das erste Erlahmen wieder ausgleichen kann, noch nicht zu ihrer späteren Höhe bei sich entwickeln können.

Persönlich

fühlte er sich anfangs in Leipzig „in jeder Beziehung vereinsamt

und unbehaglich".

Dann fand er reichlichen Verkehr, besuchte viel

das Theater und festliche Veranstaltungen, Schachklub und fran­

zösischer Unterricht zogen ihn mehr an als die belegten Vorlesungen,

und er hätte vielleicht auf einen Teil seiner Leipziger Tage das Wort „allgemeine Leichtsinnigkeit" anwenden können, das er einer Stutt­ garter Zeit beigelegt hatte.

Er ist manchmal „ganz abgebrannt"

bei dieser „enormen Faulheit, bezahlt die Kollegiengelder „mit schwerem Herzen", kann einmal keine Besuche machen, „da meine

betreffende Hose von der Chemie mitgenommen".

Zufrieden ist er

aber mit dem unruhigen Leben nicht, er hat auch wohl dem Vater

darüber geschrieben, denn er freut sich über einen aufmunternden

Brief von ihm, will nun häuslicher, arbeitsamer, sparsamer werden. Zufrieden war er auch nicht mit seinem Abschlüsse in Leipzig, kleine Unterlassungen und vermeintlich unrichtiges Verhalten bringen ihn zu dem Selbsttadel: „Ich falle überall ab durch meine Unhöflichkeit".

„Ich habe also in Leipzig jedermann vor den Kopf gestoßen und hinter­ lasse den Eindruck eines unhöflichen, formlosen Menschen" — ein

Bedauern, das vielleicht durch tatsächliche äußerliche Versehen ver­

anlaßt, bei dem durch wahre Herzenshöflichkeit ausgezeichneten Manne

aber auch in den Jugendjahren nicht begründet gewesen sein kann. — Das Tagebuch, das in dem Leipziger Winter wieder ausführlich gehalten ist, bekundet in erhöhtem Maße die Teilnahme am öffent­

lichen Leben und an der Politik, bemerkenswert ist auch die Auf­ merksamkeit für geschäftliche Vorgänge bei Siemens & Halske.

In

der Zeit wieder beginnender Sammlung wird ein „Gedankenbuch"

angelegt, „was zur größeren

Präzisierung

notwendig

erscheint".

Kennzeichnend für den Drang des Verfassers, sich sein eigenes Bild entgegenzuhalten, ist der gleichzeitig geschriebene kurze Überblick über

sein Leben in den vorhergehenden sieben Jahren. In fachlicher Hinsicht hat das Leipziger Semester den Absichten

Wilhelms gewiß nicht entsprochen, und der folgende Sommer war ausgefüllt mit dem Nachdienen und der anschließenden Übung in

Posen.

Das ernstere Studium begann deshalb erst mit dem Winter

1877 und erstreckte sich noch über fünf Semester, die ohne weitere Unter­

brechung sämtlich in Berlin zugebracht wurden.

Das erste davon

wies nur eine naturwissenschaftliche Vorlesung auf, anorganische Chemie bei A. W. Hofmann, den Hauptteil bildeten drei Vorlesungen

über Finanzwesen und Sozialismus bei Wagner und Rechtsphi­ losophie bei Lasson.

Allerdings kamen dazu noch Arbeiten im phy­

sikalischen Laboratorium von Paalzow auf der Gewerbeakademie. Im folgenden Sommersemester sind zwar Experimentalphysik bei

Helmholtz und zwei astronomische Fächer bei Foerster und Tietjen vertreten, außerdem Geschichte der chemischen Theorien von Sell,

daneben aber wieder zwei biologische Vorlesungen bei du Bois-Reymond und Reichert und eine geschichtspolitische bei Treitschke.

Erst

die drei letzten Semester sind ausschließlich der Physik und Mathe­

matik gewidmet.

Dreimal ist die mathematische Physik vertreten

(Helmholtz und Paalzow), in zwei Semestern das physikalische La­ boratorium von Helmholtz, ferner die Vorlesungen von Kirchhoff

über Elektrizität und Magnetismus, Mechanik und Optik, von den Namen der damaligen Berliner Mathematiker erscheinen Kummer,

Bruns und Wangerin. Außerdem hat Wilhelm aber nach dem Tage­

buche noch Vorlesungen über Mechanik und Maschinenkunde an der Gewerbeakademie besucht, vielleicht nur vorübergehend. — Der An-

teil, den er an den physikalisch-mathematischen Vorlesungen genom­

men hat, ist einigermaßen aus den vorhandenen Kollegheften zu be­ urteilen. Sie sind teilweise offenbar Nachschriften der Vorlesung selbst,

aber meist sehr sorgfältige, eifrig um das Nachkommen bemühte, teilweise häusliche Ausarbeitungen des Nachgeschriebenen. Mit Vor­ liebe ist die Mathematik behandelt. Dafür spricht auch noch der Pri­ vatunterricht, den Wilhelm längere Zeit darin nahm. Eine aufrichtige

Zuneigung zu dieser Wissenschaft muß er schon damals gehabt haben, und noch wenige Jahre vor seinem Tode stellte er in seine große

Büchersammlung ein neues umfangreiches mathematisches Werk ein. Wenn sein Wunsch nach einem ruhigen, gelehrten Arbeiten gewid­

meten Alter in Erfüllung gegangen wäre, so hätte gewiß auch die reine Mathematik ihren Platz darin gefunden.

Vielleicht sah er in

ihr, ähnlich seinem Vater, der die guten Fortschritte des Sohnes namentlich in der Mathematik befriedigt beobachtete, einen wirksame­

ren Schlüssel zur physikalischen Erkenntnis, als manche andere Phy­ siker zugeben wollen.

Ersichtlich stand die Berliner Studienzeit anfangs noch stark im Zeichen der schwankenden Neigungen zwischen den Fächern.

Auch

die alten seelischen Bedrückungen fehlten nicht, wie eine Aufzeichnung aus dem Januar 1878 zeigt: „Letzte Wochen besonders schlecht. Aller­ hand

gefährliche

Träumereien (Eitelkeit,

Ehrgeiz).

der erforderlichen Phantasie, Energie, Freudigkeit. Interesse.

Lage immer unhaltbarer."

Abwesenheit Fehlt konkretes

In dieser vielleicht entschei­

dungsvollsten Zeit seines Lebens hat aber Wilhelm Siemens aus eigener Kraft den Weg gefunden, der ihn zu dem seiner würdigen

Ziele führen sollte. Die gesammeltere Arbeit, der sich Wilhelm nun hingab, unter

Beschränkung auf seine nächsten Absichten, ohne in der Tellnahme für andere Dinge zu erlahmen, mußte an sich schon einen beruhigen­

den Einfluß ausüben.

Er hatte sich mit dem einige Jahre älteren

Leo Grunmach, damaligem Assistenten bei Paalzow, befreundet, in

dem er den schon erfahreneren Studiengenossen suchte und fand,

um in zwanglosem Zusammensein, auch noch in späteren Jahren, physikalische Fragen zu erörtern. Das wieder engere Leben mit den Eltern, dem Bruder Arnold, den Schwestern Anna und Käthe und

Heranwachsenden

mit

den

Karl

Friedrich,

Vaters,

der

sich

der

mehr

guten

jüngsten

gereiften

des

immer

Verständnisse

offenbarte,

Berliner

Geschwistern

Vorbild

tägliche

dem

noch

und Güte

Leben

das

Kreise

das —

in

anregende

das

alles

Hertha

und

bewunderten seiner

Größe

und

fleißige

konnte

nur

dazu beitragen, Wilhelms eignes Streben nach einem festen Ziele

zu stärken und seinen Hang zu

trüben Gedanken

zu

schwächen.

Sie treten von nun an auch kaum mehr in den Eintragungen auf, die Gedanken des Schreibers lenken sich mehr und mehr von

der eigene» Person auf die ihr zufallenden Pflichten. Diesem sich all­

mählich vollziehenden Voransiellen der Sache muß schon die Ent­ stehung des,, Gedankenbuches" zugeschrieben werden, das seit 1877

über fünf Jahre fortgeführt ist und nur mittelbar Persönliches ent­ hält, insofern es von den Gegenständen Kunde gibt, die den Schreiber

gefesselt haben.

Es enthält zum großen Teile wörtliche Auszüge

aus Schriftstellern, gedrängte Wiedergabe des Gelesenen, einzelne Aussprüche bekannter Persönlichkeiten, eigene Bemerkungen und Be­

trachtungen.

Vielfach ist bei dem Fehlen bestimmter Hinweise die

Urheberschaft nicht mehr zu erkennen, Eigenes und Fremdes oder als Niederschlag aus Gelesenem Entstehendes erscheinen gemischt,

wie es der Augenblick brachte.

Die Eintragungen scheinen sich auch

zeitlich sehr ungleichmäßig zu verteilen, Tagesangaben sind selten

beigefügt.

Das Buch ist aber wohl immer der Begleiter seines Ver­

fassers in den Jahren seines Entstehens gewesen, sogar bei einer Offizierübung in Lissa schreibt er Notizen aus einem damals viel­

gelesenen naturwissenschaftlichen Schriftsteller ein, die mit dem Hu­ sarendienste nichts zu tun haben. — Unter den behandelten Gegen­ ständen nahmen Volkswirtschaft und soziale Fragen einen breiten Raum ein, dann Geschichte und Philosophie, naturwissenschaftliche Fragen treten nur in ihrer Angrenzung an die Philosophie auf. —

Das Gedankenbuch ist ein untrügliches Zeichen dafür, mit welchem Ernste und neidwertem Verständnisse sich der doch noch sehr junge Mann in weite Gebiete des menschlichen Strebens und Denkens versenkte.

Inwieweit er sich bei der auffallenden Bevorzugung der

sozialen Fragen, für die sich damals in bürgerlichen Kreisen erst ganz geringe Teilnahme bekundete, von dem Hinblicke auf seinen späteren

Beruf bewußt leiten ließ, ist nicht zu erkennen.

Wenigstens hatte

ihn seine Eingebung glücklich geleitet.

Mit dem Wintersemester 1879/80 beendete Wilhelm seine Universitätstudien. Er hatte sich in dem Semester auf zwei Vorlesungen, Mathematische

Optik

(Kirchhoff) und Differentialgleichungen

be­

schränkt, denn er war schon im September vorher in das Laboratorium

von Siemens & Halske unter Dr. Frölich eingetreten. Der Abgang von der Universität erfolgte zwar nach der üb­

lichen Semesterzahl, kann aber einigermaßen überraschen.

Wilhelm

hatte doch erst in der zweiten Hälfte seiner Studienzeit sich nachdrück­ lich mit den Fächern beschäftigt, die ihm für die technische Tätigkeit

in der Firma wünschenswert erschienen.

Er konnte darin noch nicht

bis zu selbständigem Arbeiten vorgerückt sein und verschob deshalb auch vorläufig seine Absicht, sich den Doktorgrad zu erwerben.

Für

den vorzeitig erscheinenden Abbruch werden die Gründe nicht bei

Wilhelm allein gelegen haben.

Werner Siemens hat immer die

Hoffnung gehegt, seine Söhne bald in das Geschäft aufzunehmen, um sich „allmählich entbehrlich zu machen".

Er behandelte jetzt ge­

legentlich die Frage mit seinem Bruder Karl auch in den Einzelheiten.

Der verständliche Wunsch des Vaters kann Wilhelm nicht entgangen

sein, Arnold war schon im Vorjahre in den Geschäftsbetrieb ein­ getreten.

Mit dem Entschlüsse zur nunmehrigen Nachfolge hat aber

Wilhelm gewiß auch seinem eigenen Empfinden entsprochen.

In all

seinem Grübeln und Zweifeln war immer ein starker Einschlag von Ehrgeiz und Tatenlust erkennbar.

Das Lernen war ihm Lebens­

bedürfnis und ist es geblieben, doch einem Lehrgänge in vorgeschriebe­ nen Bahnen folgte er ersichtlich mehr aus Pflichtgefühl und gegebenen­

falls aus aufrichtiger Achtung vor dem Lehrer, in seinem kritischen

Sinne und selbständigen Denken suchte er sich aber am liebsten seinen Weg allein. Wie er später mal in sein Tagebuch schrieb und münd­ lich gelegentlich durch Beispiele bekräftigte, fand er überhaupt in

der Familie die Anlage für „das ordnungsmäßige Studieren" wenig

entwickelt.

Er sehnte sich offenbar nach freier Betätigung an selbst­

gesteckten Zielen. Solche boten sich ihm im Hause Siemens & Halske von selbst, und die dortigen Versuchstätten konnten sich in seinen Augen^kaum^vom Universitäts-Laboratorium unterscheiden. — So

werden seine Empfindungen gewesen sein, als Wilhelm jetzt, zunächst in ganz freier Form, in die Firma eintrat, die vierzig Jahre lang

das Feld seiner Mühen und seiner Erfolge wurde. Zu dem Berufe, der ihm nur vorschweben konnte, vielleicht schon nach wenigen Jahren die Nachfolge des Vaters zu übernehmen,

durfte sich Wilhelm in der besten Weise vorbereitet fühlen, wenigstens

würden andere an seiner Stelle so empfunden haben.

Mit seinem

selbständigen Urteile, seiner lebhaften Teilnahme an dem wirtschaft­

lichen Leben und seinem Einblicke in die physikalischen Gebiete konnte er sich zutrauen, ein Mehrer des vom Vater geschaffenen Reiches zu werden. Für seine Zufriedenheit wäre freilich zu wünschen ge­ wesen, wenn der Übergang von der Studienzeit zur praktischen Tätig­

keit erst nach Vollendung einer selbständigen, akademisch anerkannten

Arbeit eingetreten wäre.

Denn zu einem eigenen ruhigen Arbeiten

für längere Zeit an bestimmten Aufgaben fand sich vorläufig nicht wieder

die Möglichkeit, der Geschäftsbetrieb nahm ihn früher vollständig in Anspruch, als er selbst wohl geglaubt, auch längere Krankheit trat dazwischen, und in seinem Ungenügen an sich selbst hat ihn immer

der Gedanke gequält, mit seinem Wissen nicht den an sich selbst ge­ stellten Anforderungen zu entsprechen.

Er trug sich unausgesetzt

mit technischen Ideen, aber ihre Ausarbeitung mußte er anderen überlassen.

Er konnte nur die Grundlagen geben und das Ziel be­

stimmen, auch in Einzelheiten eingreifen, doch, so groß an der schließ­

lichen Durchführung in sachlicher und persönlicher Hinsicht sein An­ teil auch war, so blieb seinem Ehrgeize versagt, einen vollendeten

Fortschritt ungeteilt sich selbst zuschreiben zu können.

Der Rückblick

auf ganz allein durchgeführte Arbeiten hätte viel zu seiner Befriedi­ gung beitragen können.

Bevor nun eine Schilderung von Wilhelms erster Tätigkeit in

der Firma versucht wird, ist ein Blick auf deren damaligen Zustand und ihr bisheriges Werden angezeigt.

Entwicklung öer Kirma Siemens & Halske bis zum Ende üer 70 er Safire. Die Firma Siemens & Halske, die der Artillerieleutnant Werner Siemens und der Mechaniker Halske am 12. Oktober 1847 eröffneten,

sollte sich der Anfertigung von Telegraphengerät im weitesten Sinne und dem Bau von Telegraphenlinien widmen.

Werner Siemens

wenigstens hatte aber sein Ziel „vorläufig nur" darauf beschränkt,

wie schon in seinem Wunsche zum Ausdrucke kam, die neue Werk­

statt — er nannte sie von vornherein „Fabrik" — allgemein als Maschinenbauansialt zu bezeichnen.

Sein Jugendtraum, ein Welthaus

zum Wirken im großen Stile zu gründen, war in ihm lebendig ge­ blieben. Schon im Anfänge der Soldatenzeit empfand er seine techni­ sche Begabung, fie gab seinem Schaffensdrangs die Richtung und schien ihm auch die Möglichkeit zu bieten, für die jüngsten Brüder

nach seinem Wunsche zu sorgen, fie führte ihn dabei aber auch zu einem „Jagen nach Erfindungen", dessen drohende verhängnisvolle Folgen,

trotz eines einzelnen beträchtlichen Erfolges, nur seine Einsicht und sein mannhafter Entschluß zur Mäßigung verhinderten. In der Vor­

ahnung des Kommenden wählte er die Telegraphie als das aus­ sichtsvollste Gebiet, auf das er nun seine ganze Kraft richten wollte.

Der elektrischen Zeichenübertcagung trat er zuerst näher bei der glück­

lichen Lösung der Aufgabe, die Geschwindigkeit von Geschossen zu messen. Das in der Öffentlichkeit wenig bekannt gewordene Gerät bekundete schlagend die Überlegenheit seines Urhebers in physikalischer Hinsicht vor den Mitbewerbern.

Das bildete die Brücke zur elektri­

schen Telegraphie, die damals im Beginn ihrer Entwicklung stand

und vom preußischen Generalstabe mit aller Kraft gefördert wurde. Als Offizier fand Werner Siemens leicht die Möglichkeit, mit der

die Arbeit leitenden Kommission in Verbindung zu kommen.

Es

fehlte in erster Linie an einem zuverläsfigen Telegraphenapparate. Die sogenannten Nadeltelegcaphen erforderten große Übung des Bedienenden und blieben trotzdem in der Ablesung unsicher.

Der

Morsetelegraph, der später die Welt eroberte, war zwar schon erfunden, wenn hier von Erfindung nach dem Vorgänge von Gauß und Weber in.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

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im Jahre 1834 noch gesprochen werden kann, er war aber noch weit von der Gebrauchsreife entfernt und kam noch nicht in Frage.

Man

meinte aber überhaupt, einen Zeigertelegraphen mit unzweideutiger

Angabe der Zeichen auch für Ungeübte bevorzugen zu müssen.

Ein

solcher, aber kaum der erste, war von dem englischen Physiker Wheatstone angegeben, der durch Stromstöße einen Zeiger ruckweise über

die Buchstabenscheibe bewegte.

Der in England zwar vielfach ge­

brauchte Apparat genügte auch bescheidenen Ansprüchen wenig, denn

der notwendige Synchronismus zwischen Geberscheibe und Empfän­ gerzeiger war in keiner Weise gesichert, das Suchen nach wirklicher

Verbesserung in dieser Hinsicht hatte keinen Erfolg.

Für Werner

Siemens ist nur das Bestehen des Apparates von Wheatstone eine Anregung gewesen, sein 1847 erfundener Apparat mit Selbstunter­

brechung bei Reihenschaltung der gleichen Geber und Empfänger

trug gerade das in seiner Grundlage, was jenem fehlte, den Syn­ chronismus, den schon die erste Ausführung mit den einfachsten

Mitteln überzeugend dartat.

Ähnliche physikalische Erwägungen wie

bei seinem Geschwindigkeitsmesser für Geschosse, hatten den Er­

finder geleitet, und sein mechanisches Geschick hatte die praktische Lö­

sung gefunden. — Auf diesem Zeigertelegraphen, den sein Erfinder auch zu dem ersten Drucktelegraphen ausbildete, hat sich das Haus Siemens & Halske aufgebaut. Er veranlaßte den Mechaniker Halske,

sich zum Bau der Apparate mit dem Erfinder zu verbinden, und ver­ schaffte diesem selbst vor der Telegraphenkommission das Ansehen,

das ihn bald zum Mittelpunkte der Arbeiten machte.

Immer »och

im Armeeverbande, führte er in staatlichem Auftrage den Bau der ersten

Telegraphenlinien aus, darunter 1848 die damals längste

der Welt zwischen Berlin und Frankfurt a. M., Unternehmen, die bei dem Mangel an Erfahrungen im Leitungsbau nur dem steten

Eingreifen wissenschaftlich-technischen Geschickes und besonderer Fähig­

keit zum Leiten ausgedehnter Arbeiten gelingen konnten.

Die kurz

vorher von Werner Siemens für Mnensperren erprobte, nach seinem eigenen Verfahren nahtlos herstellbare Isolierung der unterirdisch zu führenden Leitungen mit Guttapercha fand ihre erste Anwendung

in der Telegraphie. arbeitete tadellos.

Das von Halske hergestellte Telegraphengerät

Das war bei der Neuheit aller Einzelheiten und

der kurzen verfügbaren Zeit eine bedeutende Leistung in Entwurf

und Ausführung.

Als Werner Siemens nach seinem Abschiede aus dem Heeres­

dienste, eine staatliche Anstellung verschmähend, im Sommer 1849 persönlich in die Firma eintrat, wie er sich vorbehalten hatte, fand

er eine unter Halskes Leitung aufblühende Werkstatt vor, in der etwa 20 Mechaniker arbeiteten.

Der Umsatz des laufenden Jahres er­ Das war etwa das Dreifache der be­

reichte schon fast 60 000 M.

scheidenen Summe, die als Leihkapital zur ersten Einrichtung ver­

wendet war.

Im folgenden Jahre stieg der Umsatz auf das Vier­

fache und während der nächsten fünf Jahre setzte sich die Steigerung, wenn auch unter Schwankungen, in ähnlichem Grade fort. Zu seinen Erfindungen, die den Grundstock bildeten und die

ersten Erfolge gezeitigt hatten, brachte Werner Siemens jetzt sich selbst in den Betrieb ein.

kenntnisreichem,

In seiner einzigartigen Verbindung von

erfinderischem

Grübler

und

hellblickendem,

tat­

kräftigem Geschäftsmanne konnte er allein dem jungen Unternehmen

auf wissenschaftlicher Grundlage die Richtung ins Weite geben, die

schon das Wesen der Telegraphie andeutet.

Seine überragende Per­

sönlichkeit hat die Gestalt seines Teilhabers beschattet.

Halske wird

deshalb ost als der Handwerker mit dem Beisinne der Beengtheit

angesehen, der die Entwürfe des eigentlichen Leiters einfach aus­ zuführen hatte. Das ist aber ein falsches Bild.

Der Berliner „Me­

chaniker" hatte immer einen guten Ruf, und dazu gehörte mehr, als bloße Handfertigkeit.

Leute in Wirkungskreisen, für die heute der

„Ingenieur" nicht genug erscheint, bezeichneten sich gern als Zuge­

hörige des Mechanikerstandes.

Die Leistung Halskes, auf die oben

hingewiesen wurde, in so kurzer Zeit nach den Angaben des meist abwesenden Werner Siemens lebensfähige Gebilde zu erzeugen, wird jeder Techniker für mehr als eine Durchschnittsleistung halten.

Halske hat zudem die Entwicklung des Telegraphengerätes selbständig mit gefördert. Jedenfalls hat er bei Werner Siemens selbst für seine

verständnisvolle Mitarbeit die Anerkennung gefunden, die dem tüchti­ gen Manne durch seine Stellung neben dem großen in weiteren Kreisen versagt blieb.

Auch der Unterschied im Wesen der beiden Männer

bestand mehr in dem Grade als in der Art, sie hätten sonst nicht zu*

35

jwanjig Jahre in ungetrübtem Einvernehmen zusammen wirken

können.

In beiden lebte das echte Künstlertum, dem die Freude an

dem geschaffenen Werke voransteht.

Auf sein Leben zurückblickend

hat Werner Siemens bekannt, daß seine Liebe immer dem Forschen und Schaffen gehört habe, und er har sich immer die Muße zu voll­

ständiger Hingabe an sie ersehnt.

Dieser Sinnesart entsprang seine

Leitlinie, technisch immer einen Vorsprung zu behalten, die höhere

technische Leistung zur Grundlage der geschäftlichen Betätigung zu machen. Dasselbe hat er von Halske bezeugt, der sich wohl auch als

Fabrikherr mit wirtschaftlichen Zielen fühlte, aber unruhig wurde,

als er nicht mehr jede Einzelheit aus den Werkstätten beeinflussen und auf ihre Güte prüfen konnte.

Der Ruf der Erzeugnisse von

Siemens & Halske war zu gutem Teile auch ihm zu danken.

Daß

Werner Siemens die Begriffe Schaffen und Werk ungleich weiter

faßte, ändert nichts an dem gleichen Grundempfinden. Das Arbeitsgebiet der Firma bildete ihrem Ursprünge gemäß

das ganze Gebiet der Telegraphie, denn zu den Telegraphen im engeren Sinne gesellten sich bald die Eisenbahnläutwerke und andere Geräte zur elektrischen Zeichenübermittelung. schlossen sich als natürliche Glieder an.

Elektrische Meßgeräte

Zünftige Beschränkung lag

überhaupt Werner Siemens fern, schon 1850 befaßte er sich mit den

von seinem Bruder Wilhelm in London entworfenen Wassermessern und teilte mit ihm die Schwierigkeiten der Durchbildung. Auch für das Aufkommen des nach Morse benannten Telegraphen zeigte er gleich volles Verständnis.

Bei seinem Eintritt in die Firma war

der schon begonnene Kampf zwischen Zeigertelegraph und Schreib­ telegraph, wie man den Gegensatz kurz bezeichnen kann, noch nicht grundsätzlich ausgetragen. Die Vorzüge der leichten Handhabung ohne viel Übung ließen besonders die Eisenbahnverwaltungen lange

an dem Zeigertelegraphen festhalten.

Im ganzen aber entschied die

Erfahrung für den Schreibtelegraphen in der Morseform, der die aufgenommenen Zeichen auf dem Papierstreifen festhält, allerdings

auch einer größeren Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit fähig war.

Diese Forderung trat immer mehr hervor, die Bedienung durch einen ausgebildeten Beamten fiel gegen die bessere Ausnutzung der Linien weniger ins Gewicht.

In seiner Voraussicht und Sachlichkeit

zögerte Werner Siemens nicht, dem Morsetelegraphen seine Arbeit Er hat das meiste zu seiner Vervollkommnung getan.

zuzuwenden.

Die Herstellung des feinen Telegraphengerätes geschah unter Halskes Leitung durch den Mechaniker.

Zum Ausführen der wenig

Kraft erfordernden Arbeiten genügte noch der Mensch selbst als Motor Die Zeit des An­

für die leichten Drehbänke und Bohrmaschinen.

triebes auch kleiner Werkzeugmaschinen durch den unbelebten Motor

war noch nicht gekommen.

Erst 1863 wurde die Aufstellung einer

Dampfmaschine für die schwereren Arbeiten nötig.

Man hat später

feststellen wollen, daß Siemens & Halske erst des Vorganges anderer

bedurft hätten, um ein Großbetrieb zu werden, und hat die ver­ meintlich verspätete Ausbildung der Werkstätten zu einer Fabrik

als ein Zeichen dafür genommen.

Einen Betrieb mit den kennzeich­

nenden Zügen ins Große, der die Unternehmertätigkeit nicht auf

die bescheidene Werkstatt beschränkt, führten Siemens & Halske von Anfang an, die gleich angebahnten russischen

Telegraphenbauten

Werner Siemens' Geschäftsweise faßte er selbst 1858

zeugen dafür.

seinem Bruder Karl gegenüber dahin zusammen: „Mein altes Prin­

zip, möglichst solche Geschäfte zu betreiben, wozu wenig totes In­ ventarium und Risiko, dagegen viel Intelligenz und Tätigkeit not­ wendig ist, bleibt immer zweckmäßig."

Und diese Geschäftsführung

betont er wieder am 13. Mai 1863 gegenüber Wilhelm in London: „

Die Apparatefabrikation hat uns noch nicht den 20. Teil

von dem eingebracht, was wir erworben haben.

Wir haben sogar

Jahre gehabt, in denen wir in Berlin mit Verlust gearbeitet haben. Das tut auch nichts.

Wir haben immer gesucht, mit der Apparats-

Konstruktion und überhaupt technisch an der Spitze zu bleiben, um Unternehmungen in die Hand zu bekommen, an denen zu verdienen

war.

Hört das auf, so ist es geboten, auch unsere Fabrikation zu

schließen

"

Die Werkstatt sollte also wohl das Rückgrat der

geschäftlichen Betätigung bilden, aber sie war kein Maßstab für die bald erreichte Bedeutung der Firma.

Die Werkstatt war auch nicht

rückständig und erfüllte ihre Aufgabe, wie sie gezeigt hat, und zwar nicht im Handwerkerbetriebe, den man im Gegensatze zum Fabrik­

betriebe so bezeichnet hat, sondern den gegebenen Lagen entsprechend. Die Regel war nicht die Einzelanfertigung, sondern die Erzeugung

gleicher verwickelter Geräte.

So hatte Halske schon im ersten Jahre

auf Vorrat arbeiten lassen. Damit ergab sich von selbst die Anwendung von Lehre und Schablone wie angemessene Arbeitsteilung.

Wie

weit diese gehen darf, wird sich immer nach der Menge der herzu­

stellenden Stücke richten, denn die Sondereinrichtungen müssen im richtigen wirtschaftlichen Verhältnisse zu ihrer voraussichtlichen Be­ nutzung bleiben.

Telegraphen werden aber nicht nach Tausenden

bestellt, und ein starkes Lager davon durfte nicht gehalten werden,

weil die bestellenden Behörden und Gesellschaften immer wieder be­ sondere Wünsche hatten, die beachtet werden mußten.

Werner Sie­

mens selbst strebte schon seit Mitte der 50er Jahre nach Normal­

formen für das Telegraphengerät, wie er in seinem Briefe vom 2. Januar 1876 rückschauend bestätigt, aber der erwähnte Umstand bildete das Hemmnis.

Als darin Besserung eintrat, wurde dem

auch in der Herstellungsweise Rechnung getragen, wobei im An­

fänge der 70er Jahre der „amerikanische Saal" entstand, eine Ab­ teilung, in der nach Art der Nähmaschinenfabriken gearbeitet wurde,

wo nötig unter gleichzeitigem Anpassen der Formen an das in Deutsch­ land überhaupt neue Verfahren.

Dieses verwirklichte aber nicht

zuerst den Grundsatz der fabrikmäßigen Arbeitsteilung, sondern war im wesentlichen gekennzeichnet durch die weitgehende Anwendung

des Fräsers als spanabhebenden Werkzeuges an Stelle des einschneidi­ gen Stahles. — Bedeutungslos für die Frage Handarbeit — Fa­

brikarbeit ist die scheinbar späte Einführung des motorischen Be­ triebes. Die allgemeine Entwicklung war nicht so weit vorgeschritten,

daß für feine Geräte der Ersatz der Menschenkraft durch die Ma­ schine notwendig war.

Wie gut geleitete Fabrikbetriebe unter wohl­

erwogenem Beibehalten des Handbetriebes für einen großen Teil der kleinen Werkzeugmaschinen bestehen, zeigt noch heute die Uhren­ erzeugung.

Jedenfalls ist kein Grund für die Annahme zu finden,

daß die Berliner Werkstätten nicht alle zweckmäßigen Mittel benutzt

hätten, die ihnen der allgemeine Zustand der Technik bieten konnte

und die besondere Form ihrer Aufgaben erlaubte.

Das hätte am

wenigsten dem Sinne von Werner Siemens entsprochen, der sich

nicht um alle Einzelheiten kümmern konnte, aber doch jederzeit die Oberleitung hatte.

Selbstverständlich wird auch in den Berliner

Werkstätten die Entwicklung nicht immer ganz stetig gewesen sein, davon reden die Briefe zwischen den beteiligten Brüdern.

Man darf

daraus aber nicht den Schluß längerer Rückständigkeit überhaupt

ziehen oder gar den vermeintlich zu vollziehenden Übergang von

Handarbeit zu Fabrikarbeit an einen bestimmten Zeitpunkt binden wollen.

Die Erörterungen der Brüder sind auf alles andere als

gemächliches Handwerkertum gestimmt.

Neben den Erzeugnissen für

laufenden größeren Bedarf wurden von Siemens & Halske freilich

auch einzelne Geräte für wissenschaftliche Forschung vom Feinmechani­

ker in hoher Vollendung hergestellt, die wohl für den Ruf der Firma, nicht aber für die Art des Betriebes im ganzen von Bedeutung waren. Die Kunden der jungen Firma bilderen hauptsächlich die In­ haber der Telegraphenlinien, also staatliche Behörden und Cisen-

bahngesellschaften, die selbst erst eben begonnen hatten, ihre Netze auszubauen.

Darin lag für die Firma eine gute Aussicht, auf der

anderen Seite wieder das Wagnis, denn niemand konnte wissen, in welchem Umfange und mit welcher Geschwindigkeit sich die Ent­

wicklung vollziehen würde.

Hatte doch sogar anfangs die Neigung

bestanden, den Staatstelegraphen ganz dem staatlichen Gebrauche

vorzubehalten. Die Firma konnte also nicht einfach entgegennehmen, was ihr an Bestellungen für dringenden Bedarf zufloß, sie hatte sich

vielmehr zum größten Teile selbst erst das Arbeitsfeld zu bereiten. Werner Siemens nahm deshalb nicht nur gleich persönliche Ver­

bindung mit den Eisenbahngesellschaften auf, er suchte auch im Aus­ lande Fuß zu fassen, hatte sogar schon 1847 einleitende Schritte durch

Verhandeln mit der russischen Regierung unternommen, von der

noch im Jahre 1849 die erste größere Bestellung des Auslandes erfolgte. Dieser Fürsorge auf breiter Grundlage verdankte die Firma

ihren schnellen Aufstieg trotz eines Rückschlages, der 1851 durch den Abbruch der Beziehungen zur preußischen Telegraphenverwaltung

drohte. Die aus der vorhergehenden Tätigkeit von Werner Siemens

in dieser Behörde fast selbstverständliche Gunst schlug in das Gegenteil um, als er in einer Druckschrift die Vorwürfe zurückwies, die man

ihm persönlich für Mängel an den von ihm gebauten, in wichtigen Einzelheiten gegen seinen Rat ausgeführten ersten Linien machte. Lange Zeit blieb nach diesem Vorfälle die Arbeit der Firma für den

preu ßischen Staat unterbrochen.

Diesem erschien die Trennung von

dem hervorragendsten Telegraphentechniker unbedenklich, als eigener

Unternehmer brauchte er nur das Telegraphengerät von den bald

entstandenen Mitbewerbern zu beziehen, der kümmerliche preußische Patentschutz erleichterte die Unabhängigkeit von Siemens & Halske.

Unberührt davon blieb der Verkehr mit den selbständigen Eisen­ bahnen, einen vollen Ersatz für den Ausfall in Preußen bot aber

das Ausland, und namentlich gab Rußland in den folgenden Jahren

der Firma die Möglichkeit, sich als Großunternehmerin zu bewähren. Für die Vertretung der Firma im Auslande fand Werner Sie­ mens in seinen Brüdern Wilhelm (1823—1883) und Karl (1829—

1906) ausgezeichnete Gehilfen.

Wilhelm war 1844 dauernd nach

England übergesiedelt, um seine und Werners Erfindungen zu ver­

werten.

Werners Entschluß, dem Jagen nach Erfindungen zu ent­

sagen und sich auf wenige feste Ziele zu beschränken, hatte für einige Jahre die gemeinsame Arbeit der beiden Brüder unterbrochen. Sie ähnelten sich in ihren Haupteigenschaften, nur war das Mischungs­ verhältnis verschieden.

Werner war zweifellos an wissenschaftlicher

Erkenntniskraft und erfinderischem Gestalten überlegen, bei Wilhelm steigerte sich die Unternehmungslust oft bis zur Wagehalsigkeit.

Mit

seiner Gewandtheit und seiner Ausdauer, die sich freilich manchmal in den Zielen vergriff, hatte er es in wenigen Jahren schon zu An­

sehen in englischen Fachkreisen gebracht.

Jetzt war für die immer

im engsten persönlichen Zusammenhänge gebliebenen Brüder wieder

die Zeit zu gemeinsamer Arbeit gekommen, Wilhelm wurde in England zunächst der Vertreter von Siemens & Halske. — In derselben Eigen­

schaft wirkte seit 1853 Karl in Petersburg. Nach verschiedenen Proben seiner Begabung zum selbständigen

Leiten von Unternehmungen

hatte Werner ihn trotz seiner Jugend nach Rußland gesandt, wo er unter den eigenartigen Verhältnissen große Erfolge zu erzielen verstand.

Technisch-schöpferische Arbeiten hat Karl nur wenig be­

trieben, um so mehr Geschick und Kraft hat er in der technisch-ge­

schäftlichen Führung entwickelt. — An dieser Stelle sei noch des Bru­

ders Friedrich gedacht (1826—1904), in dem wieder besonders die andere Seite des technischen Schaffens verkörpert war. In jüngeren

Jahren der Gehilfe von Wilhelm in England, ging er später seine

eigenen Wege, stand persönlich immer in nächster Beziehung zu Wer­

ner, blieb aber außerhalb der Firma Siemens & Ratete und stellte sich durch

Erfindung und Anwendung der Regenerativfeuerung

würdig in die Reihe seiner beiden älteren Brüder. Die Tätigkeit von Wilhelm und Karl für Siemens & Halske hat in der Folge zur Begründung der Tochterfirmen in England und

Rußland geführt, und die beiden Brüder wurden Mitglieder der Gesamtfirma.

Der dabei auftretende mehrfache Wechsel in der ju­

ristischen Form und dem Ausmaße der gegenseitigen Bindung gibt ein krauses Bild der Entwicklung, das aber klarer wird, wenn man für einen kurzen Überblick das Persönliche und Sachliche zur Richt­ schnur nimmt: Träger der Firma mit ihren Verzweigungen waren

seit Mitte der 50er Jahre Werner, Wilhelm und Karl Siemens.

In gegenseitiger Treue haben sie bis zum Tode Wilhelms 1883 ge­ meinsam die Geschäfte geführt, unter loser Abgrenzung ihrer Ver­

waltungsgebiete, wie sie sich aus räumlichen und persönlichen Grün­ den ergab.

Wichtige Abmachungen wurden meist ohne schriftlichen

Vertrag festgelegt.

Nie ganz vermeidbare Unstimmigkeiten glättete

immer in seiner uneigennützigen Art der älteste, auch geistig und seelisch bedeutendste Bruder.

Sie entstanden weniger unter den

Brüdern selbst, als durch Sonderbestrebungen leitender Beamter für ihre Bezirke.

Das rückhaltlose Zusammenwirken der Brüder

ist von größtem Werte für die Ausdehnung und Festigung der Firma

gewesen. — Neben den Brüdern Siemens mußte Halske notwendig eine kleinere Rolle zufallen.

Seiner Anlage entsprach die Leitung

der Berliner Werkstätten, als Mitinhaber der Firma nahm er an allen Rechten teil, und immer sah Werner Siemens in ihm den treuen

und geschickten Gefährten aus der Anfangszeit.

Aber die Unter­

nehmungen der Firma über die Fabriktätigkeit hinaus bereiteten

Halske Unbehagen, am meisten der stürmische Sinn Wilhelms. Das Ausscheiden des von seinen Erfolgen reich gesättigten Mannes im Jahre 1867, das Werner Siemens lange verhindert hatte, war die

natürliche Folge der nicht mehr vereinbaren Gegensätze, am besten verstanden von Werner Siemens selbst, der die Neigung zu stiller Forschertätigkeit immer nur mit Bedauern zurückstellte. — Nach

dem Abgänge Halskes bildete die Firma auch der Form nach ein reines

Familiengeschäft, dessen Aufbau nur durch die mehr oder weniger aus dem Gefamtrahmen heraustretenden Glieder verwickelt erscheint.

Halske schied aus dem englischen Geschäfte schon 1864 aus, weil ihm

Wilhelms Führung ju gewagt vorkam. Dieser selbst behielt auch als

Mitglied der Gesamtfirma sein eigenes Jngenieurgeschäft bei, in dem er u. a. seine umfangreichen hüttentechnischen Arbeiten betrieb.

End­

lich besaßen Werner und Karl zusammen seit 1864 das Kupferwerk Kedabeg im Kaukasus, das keinen förmlichen Bestandteil der Ge­

samtfirma bildete.

Um das äußere Bild der Firma bis zum Ende

des hier betrachteten Zeitraumes zu vervollständigen, find noch die Schritte zum Begründen von Zweigniederlassungen in Frankreich und Österreich zu erwähnen. Die Versuche in beiden Ländern wurden

1879 unternommen, endeten dort mit einem Mißerfolge, hier leiteten

sie, nach einem 10 Jahre vorher gemachten vergeblichen Ansätze,

eine glückliche Entwicklung ein. Der Aufstieg des Hauses Siemens & Halske ist ein treues Ab­

bild des Siemensschen Geistes.

Auf der Grundlage eigener techni­

scher Schöpfungen erwachsen ausgedehnte Unternehmungen, die, mit

weitsichtigem Mute begonnen und mit Beharrlichkeit durchgeführt,

ihrerseits wieder Anregung zum Neuschaffen bringen.

Diese Wechsel­

wirkung zwischen wissenschaftlich-künstlerischer Tätigkeit und wirt­

schaftlicher Anwendung ihrer Ergebnisse erschwert, so reizvoll sie zu beobachten ist, die gleichmäßige Schilderung der Entwicklung.

Es ist

daher zweckmäßig, zunächst die technischen Arbeiten für sich und nur mit

Andeutungen der bestimmenden wirtschaftlichen Einflüsse zu betrachten.

Der erste Zeigertelegraph, so schnell er auch vom Morsetele­ graphen verdrängt wurde, hatte doch noch lange in den Eisenbahn­

verwaltungen warme Freunde, da die durchschnittlich kurzen Mel­ dungen von den Bahnbeamten nach geringer Übung sicher befördert

werden konnten. Diese Vorzüge veranlaßten die Bayerischen Staats­ bahnen, noch 1856 an Siemens & Halske den Wunsch nach einem neuen Zeigertelegraphen zu richten, der mit Jnduttionströmen be­

trieben werden sollte an Stelle der galvanischen Elemente. Die stete Betriebsbereitschaft ohne ständige Überwachung der Stromquelle

hatte wesentlich bei dem Wunsche mitgewirkt.

Werner Siemens

löste die Aufgabe unter Benutzung seines eben erfundenen Doppel-

I-Ankers für Induktionsmaschinen so vollendet, daß dieser Telegraph

noch bis etwa 1890 in Gebrauch geblieben ist. — Für das Durch­ dringen des Morsetelegraphen ist nicht allein das mechanische Fest­

halten der Zeichen entscheidend gewesen, denn neben den Morse­ schreibern sind auch die Klopfer und Summer jur akustischen Wieder­

gabe der Zeichen vielfach verwendet, sondern vor allem die mögliche

Steigerung der

Telegraphier-Geschwindigkeit

neben der leichteren

selbsttätigen Übertragung auf langen Linien.

Der Morsetelegraph

verlangt seiner Natur nach von den elektrisch beeinflußten leichten

Teilen nur die Bewegung zwischen ganz engen Grenzen.

Mit der

früher kaum erwarteten lebhaften Benutzung des Telegraphen trat

das Bedürfnis nach möglichster Ausnutzung der teuren Linien mehr in den Vordergrund und machte die Notwendigkeit der Ausbildung besonders geübter Beamter im allgemeinen zu einem geringeren

Hindernisse.

In dem Vorfühlen dieser Entwicklung hat Werner

Siemens dem Morsetelegraphen seine ganze Sorgfalt zugewendet und bis in die letzte Lebenszeit an der Vervollkommnung des Morse

gearbeitet.

Als Mittel zur Steigerung der Leistung, das sich in der

Folge als eines der wichtigsten erwies, wandte er schon 1853 für die russischen Linien den Morse mit mechanischer Zeichengebung an,

bei dem vorgelochte Papierstreifen während des schnellen Durch­

ganges durch den Geber Stromschluß und Unterbrechung zum Bilden der Morseschrift erzeugen.

Beim Betriebe mit Jnduktionströmen

die für die indoeuropäische Linie benutzt wurden, konnte die 7—8fache

Telegraphiergeschwindigkeit gegenüber der unmittelbaren Handarbeit erreicht werden. Weniger nachhaltigen Erfolg hatten die Bemühungen

seit 1861, an Stelle des Lochstreifens letternartig auf Schienen ge­ setzte Morseschrift durch den Geber zu ziehen. Ebenso kamen die Kettenund Dosenschriftgeber aus den 70er Jahren, die zur Beschleunigung

die Morseschrift mit einer Klaviatur erzeugten, nicht in umfang­

reiche Aufnahme, für die Schnelltelegraphie behielt der Lochstreifen das Feld. Als neue Art Morsetelegraph ist auch der 1877 entstandene

Kabelrußschreiber zu bezeichnen, der durch die Forderung bedingt war, mit äußerst schwachen Strömen zu arbeiten. Neben dem Zeiger­

telegraphen und dem Morsetelegraphen war schon frühzeitig der

Typendrucker ins Auge gefaßt, der unmittelbar lesbare Druckschrift

im Empfänger erscheinen läßt. synchronen

können.

Zeigertelegraphen

Werner Siemens hatte selbst seinen auch

zum

Typendrucker

ausbilden

Solche Apparate hatten nach den Leistungen des Morse

erst wieder Aussicht auf Erfolg, wenn sie ebenfalls hohe Geschwindig­ keit ergaben. Diese Bedingung erfüllte später der Hughes-Telegraph,

der in die deutsche Telegraphie eingeführt und deshalb von Sie­ mens & Halske unter ihre Erzeugnisse ausgenommen wurde.

Ein

eigener Typendrucker der Firma diente unter dem Namen Börsen­ drucker wieder einer anderen Aufgabe, der gleichzeitigen Mitteilung

von Nachrichten an beliebig viele angeschlossene Stellen.

Für die

Militärtelegraphie mußten weiter besondere Geräteformen ausgebildet werden.

Noch in die Anfangsjahre der Firma fiel die Einrichtung

der ersten Feuertelegraphen in Berlin in eigenartiger Ausbildung. Wie diese, so führte auch der elektrische Sicherungsdienst bei Eisen­ bahnen weit über den Rahmen der Telegraphie im engeren Sinne

hinaus, die Läutewerke und andere Signalgeber wurden zu aus­ gedehnten Zweigen.

Dem Ausbau des Eisenbahnwesens folgend,

wandte die Firma im eigenen Fortschreiten ihre Aufmerksamkeit den Blockanlagen zu, in denen die einzelnen Signalwerke und weiterhin

die Weichen der Bahnhöfe zum vorschriftmäßigen Zusammenarbeiten in gegenseitige Abhängigkeit gebracht sind, und begann nach eigenen Entwürfen seit 1870 den regelmäßigen Bau von Blockwerken, denen sich mehrere Jahre später die Zentralstellwerke anschlossen.

Seiten der Fernmeldetechnik wurde Beachtung geschenkt.

Allen

Von dem

Rufe der Firma und in erster Linie ihres Hauptes zeugten die ihnen

ungesucht zugehenden Wünsche zur Lösung schwieriger Aufgaben. So regte 1867 das preußische Jngenieurkorps die Ausbildung eines

elektrischen Entfernungsmessers für die Küstenbatterien an, und schon nach wenigen Tagen hatte Werner Siemens die Grundlagen dazu

entworfen. Dieses als Bastsmesser mit zwei Beobachtungstellen und elektrischer Übertragung ausgeführte Gerät kam in vielfache

Anwendung, wenn es auch später durch die vervollkommneten opti­ schen Mittel abgelöst wurde. Zu nennen sind hier auch das elektrische Logg und der Wasserstandfernmelder, die von geringerer Bedeutung

wurden, bei dem damaligen Zustande der Elektrotechnik aber immerhin

ansehnliche Leistungen darstellten.

Für die frühzeitige Voraussicht kommender Entwicklung bilden

ein Beispiel die Ansätze, die Werner Siemens 1870 mit elektrisch gesteuerten Torpedos unternahm und später gelegentlich fortführte. — Anscheinend gar nicht in den Arbeitsplan der Firma passend war eine

Reihe von Arbeiten, die keine Beziehung zur Elektrizität hatten, teilweise nicht über die Anfänge hinauskamen oder nur vorüber­

gehend verwertet wurden, teilweise aber sich auch zu dauernden Glie­ dern der Erzeugung entwickelten.

Schon in den Blockanlagen und

Zentralstellwerken für Eisenbahnen spielte die Elektrizität zwar keine

nebensächliche, aber doch sehr einfache und wenig umfangreiche Rolle. Der Kern der Leistung lag hier auf dem mechanischen Gebiete. Daß Werner Siemens auch solche Arbeiten aufnahm, ist ein Zeichen seiner Vielseitigkeit und seines Schaffensdranges, die sich nicht durch die

Gewohnheit einengen ließen, gewiß aber muß man den Grund zu

den Abwegen vom Zünftigen auch in der Sorge um gleichmäßige

Tätigkeit der Werkstätten suchen. Die Briefe unter den Brüder» reden oft von Mangel oder Überfluß an Arbeit. Die Erzeugung von Telegraphengerät brachte in dieser Hinsicht viel größere Schwierig­

keiten als Gegenstände für den freien Bedarf.

Behörden und Ver­

waltungen sind ihrer Natur nach wenig geneigt, Rücksicht auf gleich­ mäßigen Fluß ihrer Bestellungen zu nehmen, hier kamen noch dazu

die schon erwähnten Sonderwünsche bei den Aufträgen, die das Arbeiten auf Vorrat ausschlossen.

Die Entwicklung von Normal­

formen, die seit 1855 mit dem Farbschreiber begann, hatte nur sehr langsamen Erfolg.

Damit mußte sich von selbst der Wunsch nach

Arbeiten für die Werkstatt ergeben, die man mehr beherrschen und zum Abgleichen der Schwankungen benutzen konnte, weil entweder

weitere Abnehmerkreise in Frage kamen oder weil die Gegenstände

selbst, wie das Sicherungsgerät für Bahnen, einen größeren Um­ fang hatten. Den Schwankungen durch Vergrößern und Verringern

der Belegschaft zu folgen, entsprach weder dem Empfinden der Firmen­ inhaber, noch war es für die sorgfältige Arbeit förderlich, die ein­

gearbeitete zuverlässige Leute wünschenswert machte.

Der erste „Fremdkörper", der so in den Bereich der Firma kam, war der Wassermeffer von William Siemens.

Er war zum Messen

des durch ein Rohr fließenden Wassers bestimmt und stellte in seiner

Grundlage keine bedeutende Erfindung dar, denn das Messen der

Wassergeschwindigkeit

in Gerinnen durch ein Flügelrad oder ein

ähnliches Gebilde war schon lange bekannt und das Einrichten der

Skala für Volumenangabe aus dem Durchflußquerschnitte leicht ab­ zuleiten.

Es hat aber viel Fleiß und Scharfsinn erfordert, die eigen­

tümlichen Schwierigkeiten zu überwinden, die sich der Verwirklichung des einfachen Grundgedankens entgegenstellten, da der Messer vor

allem für den Kleinbedarf dienen sollte und sich deshalb in Abmessun­

gen und Preis sehr günstig stellen mußte.

Jedenfalls war er zur

rechten Zeit ausgenommen, als die städtischen Wasserwerke an Aus­ dehnung gewannen und ein zunehmendes Bedürfnis für den Weit­ sichtigen wahrscheinlich wurde.

In gemeinsamer Arbeit gelang es

den Brüdern, den Messer brauchbar zu machen, der seit 1852 in

England mit Erfolg in Benutzung kam, für Wilhelm dort eine gute Stütze war, im Berliner Werke seit 1858 regelmäßig erzeugt wurde

und hier den Anfang der immer noch im Anstiege begriffenen Waffer-

messerabteilung bildete. Unter der unbefriedigenden Beschäftigung der Berliner Werk­ stätten am Anfänge der 60er Jahre wird die Aufgabe der Postver­

waltung willkommen gewesen sein, eine Einrichtung zur pneumatischen Beförderung von Depeschen zwischen der Börse und einer Zentral­ stelle zu entwerfen.

Das Bestehen solcher Anlagen in England war

Werner Siemens bekannt, nicht aber ihre Einzelheiten, und er bildete nach gründlichen Studien über die Luftbewegung in Röhren eine

eigene Rohrpostform aus, die 1865 gebaut wurde.

Sie war der

Anfang des ausgedehnten Berliner Rohrpostnetzes, hat aber später

die Firma nicht mehr eingehend beschäftigt, nachdem von 1866 ein schnelles Wachsen in ihren Hauptgebieten eingesetzt hatte.

In derselben Zeit löste Werner Siemens noch eine andere Auf­ gabe, die ihm von der russischen Regierung nahegelegt war und die er wohl wegen der langjährigen Beziehungen zum Osten aufnahm.

Man wünschte für Steuerzwecke einen Messer für Spiritus, der nicht

nur die Menge der durchgegangenen Flüssigkeit, sondern auch ihren Alkoholgehalt laufend angeben sollte. Das auf der Abhängigkeit des

spezifischen Gewichtes vom Alkoholgehalte beruhende Gerät mit periodi­ scher Summierung der Ausschläge hatte vollen Erfolg und ist unter

starken Schwankungen, aber ohne Unterbrechung ein Bestandteil

der Erzeugung geblieben. Es ist hier nicht der Ort, die Leistungen von Werner Siemens nach der perönlichen Seite zu betrachten, doch müssen die wichtigsten

erwähnt werden, die einen unmittelbaren Einfluß auf die Tätigkeit

der Firma ausgeübt haben.

Dahin sind auch zu rechnen seine Dorr­

arbeiten und Untersuchungen zu der Herstellung, Verlegung und Benutzung der Kabel, die wesentlich zur Begründung des Rufes der

Firma beitrugen und in der Folge zu eigenen Kabelunternehmungen führten.

Als erster hatte Werner Siemens den Wert der Gutta­

percha für die Isolierung der Kabel erkannt, das Verfahren zum naht­

losen Umpressen der Leiter damit angegeben und so hergestellte Seeund Landkabel noch als Offizier bei der Minensperre im Kieler Hafen und den preußischen Telegraphenlinien verlegt. Bald danach erkannte er in auffallenden Erscheinungen beim telegraphischen Sprechen mit den Kabeln die Folge von elektrostatischen Ladungen und zeigte,

mit welchen Mitteln die daraus folgenden Störungen zu bekämpfen waren.

Trotz des geringen Verständnisses, das seine Untersuchungen

fanden — in England wurden sie zuerst als scientific humbug be­ zeichnet —, wurde ihr Urheber doch gerade bei englischen Kabel­ legungen als wissenschaftlicher Beirat zugezogen.

Beim Legen des

ersten Tiefseekabels 1857 zwischen Sardinien und Algier griff er dann auch in den mechanischen Teil des Auslegens ein, und nur

seinem in der Bedrängnis des Augenblickes entstandenen Verfahren

war die Durchführung des Unternehmens zu verdanken.

Seine

danach ausgebildete Theorie des Kabellegens in tiefem Wasser ist später überall anerkannt und den Einrichtungen zugrunde gelegt, als die Firma selbst mit dem eigenen Kabeldampfer „Faraday" ihre Kabel auslegte.

Von ungeahnter Bedeutung sollten die Mühen werden, die

Werner Siemens den Stromerzeugern widmete.

Neben den gal­

vanischen Elementen, die für die Telegraphie die nächstliegende Strom­

quelle bildeten, hatte er selbst den auf Faradays Entdeckung gegründe­ ten Magnetinduktor bei seinem zweiten Zeigertelegraphen benutzt.

Ihrer steten Betriebsbereitschaft und geringen Wartung wegen waren aber schon vorher diese Strommaschinen im Eisenbahnflgnalwesen

heimisch geworden, wie sie noch heute sind.

Auch die Heilkunst be­

diente sich ihrer, und verschiedene mechanische Werkstätten beschäftigten

sich mit ihrer Anfertigung.

Die Grundform war überall dieselbe,

Stahlmagnete, meist in vielfacher Widerholung, vor deren Polen sich der Anker mit der induzierten Wicklung drehte.

Dieser Anker

erhielt nun die Form, die der Maschine erst die für ihre Bestimmung

notwendige mechanische Zuverlässigkeit bei gedrungenem Bau gab.

Der aus 1856 stammende Magnetinduktor mit Doppel-i-Anker hat sich bis in die Jetztzeit erhalten und als Zündinduktor für die Ver­ brennungsmotoren ein neues weites Feld erobert.

Ein anderer,

etwas früherer Stromerzeuger, der für lange Telegraphenlinien beim Speisen mit galvanischen Elementen Gleichstrom von höherer Span­

nung lieferte, also als Gleichsiromumformer zu bezeichnen ist, trat

bald wieder in den Hintergrund, da es gelang, auch den Morsetele­

graphen mit Jnduktionströmen zu betreiben.

Das muß man jetzt

bedauern, denn die beiden ganz verschiedenen Stromerzeuger würden

zusammen, wenn ihr Schöpfer sich dem zweiten mehr gewidmet hätte, wahrscheinlich schon zehn Jahre früher zur Dynamomaschine geführt

haben.

In Wirklichkeit entstand sie aus dem Magnetinduktor.

Die

von Siemens & Halske und anderwärts gebauten Maschinen dieser Art waren ihrer Leistung nach Schwachstromerzeuger für die Zeichen­

gebung.

Das Bedürfnis nach einer Starkstromquelle wurde auf

dem natürlichen Wege der Steigerung schon sehr bald nach Erfindung

der

galvanischen Säule empfunden.

Nach

manchen Vorgängen

konnte Davy mit riesigen Batterien vor nun hundert Jahren starke elektrochemische Wirkungen erzielen und das elektrische Bogenlicht

zwischen Kohlespitzen

in seiner Mächtigkeit vorführen.

Der ausge­

dehnteren Benutzung starker Ströme setzten die Kosten der Batterien

und ihrer Unterhaltung eine Grenze. Nach dem Auftreten des Elektro­

magneten bot dessen verhältnismäßig große Tragkraft und das leichte

Einleiten wie Unterbrechen seiner Wirkung vielfachen Anreiz zum

Bau von elektromagnetischen Triebmaschinen, um die Dampfmaschine zu ersetzen. Das Gesetz der Erhaltung der Energie, von Robert Mayer 1842 ausgesprochen und von Helmholtz 1847 verallgemeinert, ging

nur langsam mit seinen Folgerungen in die Köpfe ein. Die unmittel­ bare Erfahrung zeigte aber das Ungenügen der galvanischen Batterien

auch hier. Dafür sollte nun ebenfalls der Magnetinduktor eintreten, wie bei der Zeichengebung, der scheinbar nur unter Überwindung

der unvermeidlichen Reibung Strom erzeugte.

Den Verstoß gegen

das Energiegesetz zeigten die Versuche. Glücklicher waren die späteren

Bemühungen, das elektrische Bogenlicht durch den Magnetinduktor zu erhalten.

Daß dazu die Maschine größer werden mußte, gaben

die ähnlichen Verhältnisse an galvanischen Batterien an die Hand und lehrten die inzwischen gemachten vielfältigen Beobachtungen an den mechanischen Stromgebern.

So baute Rollet seit Anfang der

6oer Jahre Lichtmaschinen für Leuchttürme, und das nun allmählich

zum Bewußtsein kommende Energiegesetz ließ auch nicht mehr ver­ wunderlich erscheinen, daß diese Maschinen zum Drehen eine Leistung

von etwa 6 PS erforderten.

Sie waren aber in ihren Abmessungen

so anspruchsvoll und so teuer, daß sie nicht zur Nachfolge einladen konnten. Immerhin brachten sie eine Verwertung starker Ströme zu praktischen Zwecke» und regten zu weiteren Schritten in der Richtung an.

Den Magnetinduktor leistungsfähiger zu machen, wurde das

Ziel der noch wenigen, die sich mit diesen Maschinen befaßten.

Die

zunehmende Einsicht in die bestimmenden Größen der Faradayschen Induktion ließ den Ersatz der schwachen und zudem mit der Zeit nach­

lassenden Stahlmagnete durch die viel kräftigeren Elektromagnete als einen Weg zu dem Ziele erscheinen, verschiedene Vorschläge dazu wurden bekannt, die Erregung der Elektromagnete sollte durch gal­

vanische Elemente oder wieder durch einen mechanischen Strom­ geber erfolgen. In diesem Zustande der Entwicklung brachte Werner Siemens im Herbste 1866 die Lösung der Aufgabe. Er ließ an einem

Magnetinduktor mit der üblichen Handkurbel die Stahlmagnete durch weiche Eisenplatten ersetzen, die mit Erregerwicklungen versehen und einmal magnetisiert waren.

Den beim Drehen des Ankers zunächst

erregten ganz schwachen Strom leitete er vor seiner Abgabe nach außen über die Feldmagnete, die sich so in Wechselwirkung mit dem Anker immer stärker erregten und ihrerseits bis zu einer durch die Mag­

netisierbarkeit gesteckten Grenze immer größere Spannungen im Anker induzierten. Der Erfolg übertraf die Erwartung, bei kurz geschlossener

Maschine wurde das zum Drehen nötige Moment so groß, daß der dabeistehende Werkmeister an eine Störung dachte. iv.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

49

Die selbsterregende „Dynamomaschine" hat die Starkstromtechnik

eingeleitet, sie ermöglicht die regelbare Erzeugung beliebig starker Ströme mit wirtschaftlichen Mitteln. Sie ist die Grundlage der Stark­

stromtechnik überhaupt geblieben, denn auch der Wechselstrom ver­ langt zu seiner Erzeugung die Gleichstrommaschine.

Die Erfindung

war nicht das Ergebnis einer zufälligen Eingebung, sondern der

Schluß einer Gedankenkette, deren Glieder sich in langem, vom Träger selbst ost nicht empfundenem Sinnen zusammenfügen.

Das zeigte

die Klarheit, die der Erfinder über die Tragweite seiner Tat von Anfang an hatte.

Seine Mitteilungen aus den nächsten Monaten

deuteten schon alle Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung an. Im Vordergründe stand dabei die Übertragung mechanischer Leistung mit Hilfe der Elektrizität.

Diese Vorstellung lebte ja schon in der

Telegraphie, wenn auch nur für schwache Kräfte, elektromagnetische

Triebmaschinen waren schon viel versucht, die Umkehrbarkeit des

mechanischen Stromerzeugers in einen Elektrizitätsverbraucher be­ kannt. So hatte der Ausblick in seinen Grundlagen nichts Auffallen­

des, wohl aber in seinem Ausmaße, so sachlich er andererseits blieb. Nur der geschulte Forscher und der weitblickende Techniker konnte die sich nun bietenden Möglichkeiten richtig abschätzen und zum Ziele

nehmen. Trotz des Voranstehens der elektrischen Übertragung bei dem

Erfinder ist nicht sie, sondern die Beleuchtung das erste Anwendungs­ gebiet der Dynamomaschine geworden.

Von der tatsächlich ersten

praktischen Benutzung für elektrische Minenzünder kann als von einem Sonderfalle hier abgesehen werden.

Der Grund für die vor­

läufige Bevorzugung der Beleuchtung war einfach der Bedarf.

Die

Starkstromtechnik mußte naturgemäß da anfangen, wo fie einem

schon einigermaßen geweckten Verlangen allein genügen konnte. Das war die Starklichtquelle.

In der Tat sind denn auch Scheinwerfer

und Einzellichter für große Flächen die Bahnbrecher für die Dynamo­ maschine geworden.

Ihre erste Ausbildung ist bei der Firma ver­

hältnismäßig langsam erfolgt. Werner Siemens hat später bedauert, seiner neuen Maschine anfangs nicht mehr Aufmerksamkeit zuge­

wendet zu haben. Seine Kraft war aber in den Jahren von der Aus­ führung der Indo-Europäischen Telegraphenlinie zu sehr in Anspruch 5o

genommen, und während des Krieges 70/71 widmete er den spärlichen Überschuß seiner Zeit militärischen Dingen, wie den oben erwähnten elektrisch gesteuerten Torpedos.

Mit wieder eingetretener größerer

Ruhe bekam nun aber auch die Starkstrommaschine mehr Raum.

Als ihre Bauform erschien zunächst die Vergrößerung der Versuchs­ maschine mit Doppel-T-Anker geeignet. Rollet hatte bei seiner Licht­

maschine auf die Gleichrichtung der induzierten Ströme verzichtet

und mit immerhin befriedigendem Erfolge die Lampe mit Wechsel­ strom gespeist. Die vergrößerte Siemens-Maschine mit DoppelT-Anker konnte mit einer kleinen Änderung der Stromabnehmer auch als Wechselstrommaschine arbeiten, wobei sie von einer kleineren,

sonst gleichen Maschine den Erregerstrom für ihre Feldmagnete er­ hielt.

Beide Maschinenarten, für Gleichstrom und für Wechselstrom,

kamen versuchsweise zur Anwendung. Inzwischen hatte aber Gramme in Paris einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen, indem er die

Dynamobauart mit dem von Pacinotti 1860 erfundenen Ringanker

verband, der feiner gleichmäßigen Stromabgabe wegen für größere Maschinen dem Siemens-Anker überlegen war.

Den Ringanker

übertraf aber wieder der Trommelanker, den v. Hefner-Alteneck bei

Siemens & Halske 1872 angab. Hier und bei den bald entstehenden anderen Starkstromfirmen des In- und Auslandes sind in der folgen­

den Zeit Maschinen mit Ringanker und Trommelanker ausgeführt, bis der Trommelanker, hauptsächlich wegen seiner ursprünglich kaum

beachteten baulichen Vorzüge, die Oberhand gewann. Die Maschinen im ganzen zeigten dabei sehr verschiedene Formen.

Es fehlte noch

an der Möglichkeit, die von der Maschine verlangte Spannung im

voraus durch die Formgebung zu sichern, und die Erbauer mußten mehr ihrem praktischen Gefühle folgen, als einer bestimmten Ein­ sicht.

Das änderte sich erst, nachdem Werner Siemens durch seine

Untersuchungen über den Elektromagnetismus aus den Jahren 1881

und 1884 für die magnetisch bestimmenden Größen einen ähnlichen

Zusammenhang aufgestellt hatte, wie Ohm für die elektrischen.

Mit

der sich in den nächsten Jahren vollziehenden Einführung dieser neuen Begriffe wurde die Berechnung aller elektromagnetischen Maschinen und Geräte auf eine feste Grundlage gestellt, die Mannigfaltigkeit und Willkür der Formen wich dem zweckdienlichen Aufbau. IV*

51

Für das einzelne Bogenlicht gab es beim Aufkommen der Dy­ namomaschine schon Bogenlampen mit einigermaßen genügender

Selbstregelung für den Nachschub der langsam abbrennenden Kohle­ stifte.

Einzellichter für größere Flächen, etwa für Bauplätze, führten

aber notwendig zu dem Verlangen nach gleichmäßigerer Verteilung des Lichtes, also nach Unterteilung der Lichtquelle.

Mehrere der

bekannten Lampenarten in einem Stromkreise zu brennen, wollte

aber infolge ihrer gegenseitigen Störung nicht gelingen.

Anderer­

seits durfte man sich mit der Maschinenspannung nicht auf die für

Bogenlampen passendste Spannung von einigen 60 Volt beschränken,

um nicht unwirtschaftlich große

Leitungsquerschnitte zu erhalten.

Noch ehe das Verlangen nach „Teilung des elektrischen Lichtes" brennend geworden war, gab dafür Werner Siemens 1873 eine

Regelvorrichtung der Lampen an, eine Verbindung des Hauptstrom­ reglers mit dem Nebenschlußregler, die bauliche Ausbildung unter­ blieb aber noch. Erst im Laufe der 70er Jahre entwickelte sich in weite­

ren Kreisen die Vorstellung von elektrischen Lichtanlagen mit be­

liebig vielen, nach Bedarf verteilten Lampen, allgemeiner gesagt,

das Verlangen nach stärkerer Beleuchtung, als die Gasbeleuchtung Dem suchte seit 1878 Jablochkow mit seinen durch

bieten konnte.

Wechselstrom gespeisten, in Reihe geschalteten elektrischen Kerzen zu entsprechen.

Diese nur scheinbar einfache Beleuchtungsweise hatte

kurzen Bestand, denn in demselben Jahre gelang es v. Hefner-Alteneck, die Differentialregelung in prattischer Form zu verwirklichen.

Die

Differentiallampe ist in ihrer stetigen Wirkungsweise nicht über­ troffen worden.

Von Bedeutung für ihren Erfolg wurden auch die

im Rahmen der Firma erfundenen Dochtkohlen, die an sich die Ruhe

des Lichtbogens begünstigten. — Während so das elektrische Bogen­ licht eben zur praktischen Einführung herangereist war, meldeten

stch schon ausstchtsvolle Versuche, in dem natürlichen Bestreben der weiteren Unterteilung des elektrischen Lichtes Lampen kleiner Licht­ stärke zum Ersätze der gewöhnlichen Gasflammen für den Haus­

gebrauch zu schaffen.

Die Glühlampe, die von so großer Bedeutung

für die Elettrotechnik werden sollte, erschien auf dem Plane. Die eleftrische Kraftübertragung — die Bezeichnung ist in Er­

mangelung einer kurzen sachgemäßeren üblich geblieben — fand

während der Ausbildung der elektrischen Beleuchtung fast keine Be­ achtung.

Die Verhältnisse waren für sie noch nicht reif.

Es war

nur ein Voraussehen des Kommenden, das Werner Siemens seit 1877 veranlaßte, Vorversuche in erheblicherem Maßstabe zum Ge­ winnen erster Erfahrungen anzusiellen.

Wenn er auch von dem

allgemein gehegten Aberglauben frei war, der einer elektrischen Kraft­ übertragung nur einen Wirkungsgrad unter 50 v. H. zuerkennen

wollte, so war er doch von dem Ergebnisse der Messungen über Er­

warten befriedigt.

Neben diesen Versuchen hatte eine im nächsten

Jahre in einer Militärwerkstätte Spandaus eingerichtete kleine Kraft­ übertragung nur den Wert eines praktische» Erstlings.

Um so be­

merkenswerter war die auf der Berliner Gewerbeausstellung von 1879 betriebene kleine elektrische Eisenbahn zur Beförderung von Gästen auf einer Schleife von etwa 300 m Länge. Im Grunde nur

ein großes Spielzeug, verkörperte sie doch in einem Maßstabe, der

immerhin eine Vorstellung des ernsthaften Gebrauches gab, eine bevorzugte, gleich beim Entstehen der Dynamomaschine gefaßte Idee

des Urhebers, erregte deshalb die Aufmerksamkeit aller Kreise und

machte den Benutzer mit den Annehmlichkeiten des elektrischen Be­ triebes vertraut.

Wesentliche Erfahrungen konnten wohl an der

kleinen Bahn nicht gewonnen werden, es wohnte ihr aber eine nicht zu unterschätzende Werbekraft inne, und sie hat erheblich dazu bei­

getragen, daß der bald folgende Entwurf einer elektrischen Hochbahn

in Berlin schnelles Verständnis, wenn auch nicht gleichmäßige Zu­ stimmung fand.

Jedenfalls wird die kleine Ausstellungsbahn den

Ruhm behalten, das Anfangsglied in einer bedeutsamen Entwicklung

gewesen zu sein. Hatten äußere Gründe die zeitliche Bevorzugung der Beleuchtung

verursacht, so wird Werner Siemens, der sein Wirken in der an­ gewandten Elektrizität mit gelungenen galvanoplastischen Versuchen begann, gewiß auch frühzeitig an den Wert seiner Maschine für die Elektrochemie gedacht haben.

Wenn die erste Starkstromanlage zum

Raffinieren von Kupfer erst 1878 in Oker (Harz) eingerichtet wurde,

so scheint der Grund dafür in dem Mangel einer geeigneten Maschinen­ form gelegen zu haben, die bei nur wenigen Volt Spannung sehr große Stromstärke liefern mußte und die bekannten Schwierigkeiten

mit den Stromabnehmern machte.

Wenigstens spricht Werner Sie­

mens in seiner Rede vor der Akademie der Wissenschaften vom 18. No­

vember 1880 von offenbar eingehenden Versuchen, die er früher mit Maschinen für elektrochemische Zwecke angesiellt habe, wobei auch

die Unipolarmaschine als Versuchsgegenstand erwähnt wird. Gerade als der Starkstrom flügge geworden war, erhielt auch der Schwachstrom eine überraschende Bereicherung seines Wirkungs­

feldes.

Das von Philipp Reis 1860 erfundene Telephon kam in

der nunmehr praktisch brauchbaren Form von Bell aus Amerika herüber.

Ein bekannter Berliner Tagesschriftsteller hat erzählt, er

habe Werner Siemens ganz betrübt darüber getroffen, daß ihm Bell

zuvorgekommen sei, er hätte selbst unmittelbar vor dieser Lösung gestanden. Das würde auch zu dem Eifer stimmen, mit dem er sich

des Telephons annahm, und zu der Schnelligkeit in der Entwicklung

neuer wirksamer Formen. Wie erhaltene Handskizzen von ihm zeigen, hat er sich auch in den folgenden Jahren viel mit dem Telephon be­ faßt.

Die Postverwaltung unter Stephan würdigte bekanntlich

ebenfalls sofort den Wert des Telephons, zunächst als Ergänzung des Telegraphen, und das Berliner Werk von Siemens & Halske

hatte bald genug zu tun, um für den öffentlichen Dienst das gesamte neue Gerät auszubilden und zu liefern, dabei auch dem Verlangen

weiterer Kreise nach dem wunderbaren Fernsprecher zu genügen. Das Voranstellen der technischen Arbeiten sollte nicht nur äußer­ lich den Überblick erleichtern, es hatte auch innere Berechtigung, da die Entwicklung der Firma immer eine wesentlich technische gewesen ist, an der sich der wirtschaftliche Teil emporrankte. Dieser Zug, hin­

eingetragen durch die Sinnesart der Brüder Siemens, bildet einen Leitfaden für das Verständnis der wirtschaftlichen Betätigung.

Bei

der folgenden kurzen Betrachtung der wichtigsten Entwicklungsschritte bis zum Ende der 70er Jahre werden, der inneren Sachlage ent­

sprechend, alle Unternehmungen als abhängig vom Mutterhause in Berlin behandelt, mit nur gelegentlicher Rücksichtnahme auf die förm­

lichen Verhältnisse. Die stärkste Rückwirkung der ausländischen Unternehmungen auf

das Stammhaus übte in den ersten Jahren das russische Geschäft

aus.

Die Verhandlungen mit Rußland, die Werner Siemens nach

früheren Versuchen 1851 wieder aufnahm und zweifellos durch die Wirkung seiner Persönlichkeit zu einer Anknüpfung brachte, hatten

ihren sachlichen Untergrund in dem Verlangen der russischen Re­ gierung nach schneller Ausführung von Telegraphenlinien.

Die

Verbindung war für beide Teile glücklich. Sie brachte der Firma reichlichen Ersatz für den Bruch mit der preußischen Telegraphen­ verwaltung, der russischen Regierung die Erfüllung ihrer Forderung

in den durch die politischen Verhältnisse immer sehr kurz bemessenen Fristen. Schon die Ausführung der ersten Linie Petersburg—Moskau

hatte das Vertrauen der Auftraggeberin befestigt, im folgenden Jahre konnten Siemens & Halske die zweite Linie Petersburg-

Oranienbaum bauen, an die sich die Linie Petersburg—Warschau anschloß.

zen

Die Firma

Anlagen,

Gerätes zu.

war dabei

dem Berliner Hause

die Unternehmerin der gan­

stossen die

Lieferungen des

Der Krimkrieg erweckte das dringende Bedürfnis nach

weiteren Linien, deren letzte Odessa—Sebastopol im Sommer 1855 vollendet wurde. Der Minister Graf Kleinmichel sah seine Erwartun­ gen übertroffen, und in der Überzeugung, daß die tatkräftigen Er­ bauer dieser Linien auch ihre besten Pfleger sein würden, schloß er mit der Firma den sogenannten Remontevertrag ab, der bis zum Jahre 1867 in Kraft war.

Dieser Vertrag bedeutete ein beträcht­

liches Wagnis, denn bei seinem Abschlüsse ließen sich die Aufwendun­

gen für die Erhaltung der Linien nicht sicher einschätzen. Durch ein für den Zweck ersonnenes technisches Verfahren konnte aber die Über­

wachung sehr vereinfacht werden, und dadurch brachte der Remonte­ vertrag der Firma bedeutenden Nutzen und Stärkung ihrer Seß­ haftigkeit in Rußland, auch nachdem seit 1856 durch den Fall des

Ministers Kleinmichel die Verbindung mit der Regierung gelockert war. Alle Geschäfte in Rußland führte von 1853 an der damals noch

nicht 25 Jahre alte Bruder Karl mit ausgezeichneter Umsicht und großer Gewandtheit. — Werner Siemens hat in seinen Lebens­

erinnerungen besonders betont, daß die erfolgreichen Beziehungen zur russischen Regierung ohne jede Hergabe von Schmiergeldern, die in Rußland sonst als unvermeidlich erscheinen, oder durch andere zweideutige Mittel entstanden und unterhalten seien.

So hinter-

lassen die Telegraphenbauten in Rußland den reinen Eindruck eines

nur durch Tüchtigkeit erreichten großen Erfolges einer jungen Firma,

der auf technische Leistungen gegründet und mit hingebender Tat­ kraft errungen war.

Für das Berliner Werk waren die russischen

Telegraphenbauten von besonderer Bedeutung.

Die Lieferungen

nach Rußland bildeten einen erheblichen Bestandteil des Umsatzes, in der lebhaftesten Zeit um 1855 sogar den weitaus größten. — Das

währenddem zu einer selbständigen Niederlassung entwickelte Unter­ nehmen in Petersburg hatte bei dem Abflauen der Regierungsbestel­

lungen durch die Remonten zwar noch gute Einnahmen, die sich um 1860 auch für Lieferungen an Eisenbahnen wieder hoben, das Tele­ graphengeschäft erfuhr aber erst nach einem abermaligen Personen­

wechsel bei der Behörde seit 1866 einen neuen Anstoß. In der Zwischen­

zeit suchte das Petersburger Haus Verwendung überschüssigen Ka­ pitals in Unternehmungen, die mit der Elektrotechnik in keinem oder

nur losem Zusammenhänge standen und, wie eine Mahnung vor Abwegen von der alten Grundlage, zu Verlusten führten.

Die 70er

Jahre verliefen für Petersburg im ganzen schwach, trotzdem die in­

zwischen eingerichtete Kabelabteilung in Berlin steigende Lieferungen in Telegraphenkabeln nach Rußland hatte.

Eine starke Belebung

setzte erst wieder ein, nachdem durch die in Berlin entwickelten Block­ werke und die Beleuchtungsmaschinen der russische Markt aufnahme­

fähiger geworden war.

In Rußland war der Telegraph bahnbrechend für die Firma gewesen, in England hatten die Bemühungen Wilhelms damit erst

später Erfolg. In England war die Telegraphie schon in sachkundiger Hand, namentlich galt es, gegen Wheatstone aufzukommen, der ein

rühriger Mitbewerber war und bei den in England entstandenen

selbständigen Telegraphen-Gesellschaften einen Vorsprung vor dem

Ausländer hatte.

Wilhelm selbst konnte seine eigene Stellung erst

durch die in rasche Aufnahme kommenden Wassermesser befestigen.

Konnte er aber auch für das Telegraphenwesen in den ersten Jahren

noch nichts Greifbares erreichen, so verstand er doch mit seinem Ge­ schick die Firma in England wirksam einzuführen.

Er wandte seine

Aufmerksamkeit besonders den Unterseekabeln zu, für die England nach seiner politischen Stellung und geographischen Lage der ge-

gcbene Boden war.

Auf seine Veranlassung hatte die Kabelfabrik

Newall & Co. schon für die russische Linie Oranienbaum—Kronstadt

geliefert, und aus dieser ersten Verbindung war ein engeres Verhält­ nis entstanden.

Wohl wesentlich der persönliche Ruf Werners als

wissenschaftlichen Vertreters der Telegraphie veranlaßte Newall & Co., ihn 1857 bei der Legung ihres Kabels Sardinien—Bona zu Rate

zu ziehen, während Berlin das Telegraphengerät in Auftrag erhielt. Eine Folge des glücklichen Ausganges der Unternehmung war die Begründung der Firma Siemens, Halske & Co. mit eigener Werk­

statt in London mit Newall & Co. als Teilhaber. In ähnlicher Weise wie bei dem ersten wurde Werners Teilnahme 1859 bei dem Kabel

durchs Rote Meer erbeten, und im gleichen Jahre entschloß sich selbst die englische Regierung, die Hilfe des ausländischen Elektrikers für ihr Kabel nach Gibraltar heranzuziehen.

Mit diesen Erfolgen hob

sich auch das Telegraphengeschäfi, bei dem die Lieferungen von Isola­ toren und eisernen Telegraphenmasten überwogen.

Bald danach

hörte die Verbindung mit Newall & Co. persönlicher und sachlicher

Schwierigkeiten wegen auf, und Wilhelm drängte auf eigene Unter­

nehmertätigkeit der Firma im Kabelwesen.

Halske widerstrebte dem

grundsätzlich, Wilhelms frischer Wagemut war ihm beunruhigend, aber auch Werner hatte geringe Neigung zu den Kabelgeschäften.

Sie waren für ihn jetzt weniger technische Leistung als Kapitalfrage, er hatte auch immer das Wohl des Gesamtgeschästes im Auge und

wollte ein geschäftliches Wagnis auf ein bestimmtes Maß begrenzt

sehen. Er hat sich über diesen Punkt dem Bruder gegenüber in herz­ licher Art, aber mit aller Entschiedenheit ausgesprochen.

Die schon

vielfach erwogene Anlage einer eigenen Kabelfabrik in England wurde auch bei ihrer Ausführung 1863 zunächst in bescheidenen Grenzen

gehalten, nämlich auf die Armierung von anderwärts bezogenen Guttaperchaadern beschränft, und die weise Vorsicht Werners erwies

sich als sehr berechtigt, denn im folgenden Jahre mißglückte infolge

von Mängeln der Kabelform, zu denen noch andere widrige Um­ stände kamen, das Legen eines von der Firma auf ihre Rechnung als ersten hergesiellten Kabels zwischen Cartagena und Oran.

Das

war der Grund für Halske, für seine Person aus dem englischen Geschäfte auszutreten, dessen Bezeichnung in Siemens Brothers um-

Bald verließ Halske die Firma überhaupt, die da­

geändert wurde.

mit seit 1867 alleiniger Besitz von Werner, Wilhelm und Karl wurde. Das war zu der Zeit, als ein neues großes Unternehmen begonnen war, der Bau der Indo-Europäischen Telegraphenlinie, dessen weiter

unten noch gedacht werden wird. — Die Schlappe mit dem CartagenaKabel hat dem schon gefestigten Ansehen der Firma in England nicht geschadet, der sachliche Sinn dort wußte zwischen erwiesener hervor­

ragender Tüchtigkeit und vereinzeltem Mißgeschicke zu unterscheiden. Zeichen dafür waren das Zustandekommen des eben erwähnten Unter­

nehmens und die durch Wilhelms Führung erzielte weitere Aus­ dehnung des Geschäftes.

Wilhelm verstand allen Bedenken ent­

gegen seine Kabelpläne durchzusetzen und hat damit ja auch großen Erfolg gehabt.

Das Aufblühen dieses Zweiges machte 1870 den

Ausbau der Kabelfabrik in Woolwich notwendig, die nun vollständige

Kabel hersiellte.

Sie leitete ein Jahrzehnt großer Kabelgeschäfte ein,

die englische Tochterfirma begann an Umfang die Häuser in Berlin und Petersburg zulammen zu übertreffen. Ein Ausdruck dessen war ihre Übernahme und Legung eines transatlantischen Kabels in den

Jahren 1872/73 und der Bau des eigenen, vielbewährten Kabel­ dampfers „Faraday" nach Wilhelms Entwürfen.

Die schwierige,

aber vollständig geglückte Legung unter Leitung von Karl, der wäh­ rend längerer Jahre in England mit tätig war, brachte einen Auf­

sehen erregenden Vorfall mit sich: es gelang, das bei einem Bruche

des Kabels in fast 4000 m Tieft verschwundene Ende aufzufischen

und wieder mit dem an Bord befindlichen Teile zu verbinden.

Die

aufregende Arbeit einer Kabellegung wird durch den Vorfall eindring­ lich gekennzeichnet.

Nicht ohne weitere Unfälle, im ganzen aber tech­

nisch befriedigend und kaufmännisch erfolgreich, gestaltete sich der

Kabelzweig in den folgenden Jahren.

Er und die Lieferung von

Telegraphengerät unter Mitwirkung des Stammhauses bildeten die breite Grundlage der englischen Firma.

Das Wenige an Dynamo­

maschinen und Zubehör, das dort in dem Jahrzehnt noch in Frage

kam, wurde von Berlin bezogen, die eigene Erzeugung von Stark­ strommaschinen begann erst mit dem Jahre 1880. Bei der Bedeutung, die zunächst das russische Geschäft und dann

das englische erreicht hatten, und bei der Eigenart ihrer Arbeiten 58

gibt die äußere Entwicklung des Berliner Stammhauses keinen Maß­ stab für den Umfang des Gesamtgeschäftes.

Es war der Ausgang

des Ganzen, es blieb sein Kern und ist immer der geistige Mittel­ punkt für alle Zweige gewesen. Hier, an der Stätte der ersten Erfolge, hatte Werner Siemens selbst seinen Sitz, hier war die Pionierarbeit zu leisten, deshalb war seine stete Sorge, das Berliner Werk in die

Höhe zu führen, so wenig er nach seinem oben erwähnten Briefe vom

13. 5. 63 den Erwerb aus diesem Werke selbst als bestimmend für die Firmen im ganzen ansah. Die Erhaltung eines sicheren Stammes

tüchtiger Mitarbeiter, wie er das gesamte Personal immer bezeich­

nete, war ihm nicht nur ein Gebot der Klugheit, sondern ein Be­

dürfnis des Herzens.

Befriedigt konnte er in seinen Lebenserinne­

rungen sagen, daß es ihm gelungen sei, den Gemeinschaftsgeist unter den Angehörigen der Firma zu erziehen.

Dieser Fürsorge war die

fast gleichmäßige Zunahme der Belegschaftzahlen zu danken gegen­

über den sehr starken Schwankungen des Umsatzes besonders in den ersten 15 Jahren.

Die Werkstatt dabei mit laufender Arbeit zu ver­

sorgen, stellte aber an die Leiter große Anforderungen. Bei der schon betonten Schwierigkeit des Telegraphengeschäftes wechselten auch in

dem ersten Aufstiege der Telegraphie große Aufträge mit zeitweisem Stillstände. Dazu kam der zunehmende Mitbewerb von Telegraphen­ bauanstalten im Inlands und Auslande. Außer dem schon genannten Wheatstone mit seiner Gruppe in England wurden besonders Fro-

ment und Breguet in Paris und Hipp in Basel bekannt. Mit Erfolg suchte Werner Siemens mit stillen technischen Fort­

schritten immer an der Spitze zu bleiben, doch zeugen schon die häufi­

gen und teilweise ausgeführten Pläne um Aufnahme anderer Gegen­ stände, die dem freien Verkehr näherstanden, von den Mühselig­

keiten des Telegraphengeschäftes.

Es blieb in den ersten dreißig

Jahren der wichtigste Inhalt des Berliner Werkes, wurde aber all­

mählich von anderen Arbeitsgebieten überflügelt. Bis 1866 hielten sich die Jahresumsätze des Berliner Werkes,

von den Anfangsjahren und einer „russischen" Spitze um 1855 ab­

gesehen, auf einer mittleren Höhe von etwa 0,5 Mill. M.

In lang­

samer Zunahme stieg die Belegschaft auf 150 Köpfe. Mit dem po­

litischen Aufschwungs setzte ein beschleunigtes Wachsen der Ziffern

ein.

Der Umsatz überschritt 1869 eine Million M., die Belegschaft

näherte sich dem ersten halben Tausend.

Der größere Bedarf ver­

anlaßte die Einrichtung einer eigenen Messinggießerei und dann einer Eisengießerei auf dem vergrößerten Gelände der Markgrafen­

straße. Der Aufstieg hielt an, nach Aufnahme der Blockwerke begann der nun nicht mehr abreißende Platzmangel an der alten Stelle.

Für die Erzeugung der Alkoholmesser wurde 1872 eine besondere

Fabrik unter dem Namen Gebrüder Siemens & Co. am Salzufer

in Charlottenburg angelegt, wohin einige Jahre später auch die Eisen­ gießerei übersiedelte.

Der tiefe geschäftliche Niedergang nach den

sogenannten Gründerjahren berührte das Berliner Werk wie über­

haupt die Firma sehr wenig.

Noch mitten in diesen trüben Jahren

trat sogar infolge des Vorgehens der Posiverwaltung mit der Ver­

mehrung

der

schwung ein.

unterirdischen

Telegraphenlinien

ein

weiterer

Auf­

In der Markgrafenstraße konnte 1876 noch Raum

für Herstellung von Telegraphenkabeln geschaffen werden, die in den folgenden Jahren einen bedeutenden Teil des Berliner Umsatzes bildeten.

Dieser stieg 1878 auf rund 5 Mill. M., die Belegschaft

auf 1100.

In dem Anteile der Hauptzweige an dem Umsätze zeigen

sich die inzwischen eingetretenen Verschiebungen.

Das Telegraphen­

konto, in den ersten 70er Jahren noch reichlich % des Ganzen be­ tragend, war jetzt unter V» gesunken und von den Kabeln erheblich

übertroffen. Die Wassermesser hatten mit rund 0,6 Mill. M. für längere Zeit ihren Höchststand erreicht.

Dynamomaschinen mit Zu­

behör, im wesentlichen Lichtmaschinen für starke Einzellichter, nahmen

mit etwa 10 v. H. einen immerhin schon beachtenswerten Platz ein. Block- und Stellwerke waren noch sehr zurück, das Telephon hatte eben erst seinen Einzug gehalten.

Die Alkoholmesser, immer sehr

ungleichmäßig, waren in den letzten Jahren nur unbedeutend be­ teiligt.

Einer persönlichen Tat von Werner Siemens muß an dieser

Stelle gedacht werden, die von dem größten Einflüsse auf das ge­ werbliche Leben in Deutschland überhaupt geworden ist, der Schaffung

des deutschen Patentgesetzes.

Es ist noch wenig bekannt und wird

von anderer Seite gewürdigt werden, daß Werner Siemens nicht nur mit dem Gewichte seines ganzen Ansehens das Zustandekommen

eines wirklichen Patentschutzes durchgesetzt und dem bisherigen schlech­ ten Zustande ein Ende gemacht hat, sondern daß der soziale Kern

des Patentgesetzes von 1877 auch ganz seine Schöpfung gewesen ist.

Der Rückgang des Telegraphengeschäftes, der alte» Grundlage der Firma, der sich beim Übergange in das neue Jahrzehnt im Berliner Werke sehr bemerkbar machte,

fand durch den jungen

Starkstrom noch keinen Ausgleich. Die Frage ist aufgeworfen, weshalb nach der Erfindung der Dynamomaschine in Berlin vermeintlich

so wenig zu ihrer Förderung getan sei, weshalb besonders die elektri­ sche Kraftübertragung nicht gleich nachdrücklich in Angriff genommen

sei, da doch das Bedürfnis nach Erzeugungsgegenständen, über die man wirtschaftlich mehr Herr sein konnte, als über die Telegraphen­

geräte, sich schon immer aufgedrängt hatte.

Nach seinem eigenen

Zeugnisse konnte sich ja in der Tat Werner Siemens zeitweise nur

wenig um die planmäßige Ausbildung seiner Dynamomaschine kümmern, die wichtigsten Gründe für das Zögern lagen aber in den allgemeinen technischen Verhältnissen.

In den Gewerben herrschte

ein starkes Verlangen nach einem zuverlässigen, stets betriebsbereiten

und leicht zu behandelnden Motor geringerer Leistung, nach dem

Kleinmotor, wie er damals hieß. Von den versuchten Wärmemotoren genügte allein der Gasmotor den Bedingungen.

Der erste günstig

arbeitende Gasmotor, der von Otto & Langen, entstand in dem­

selben Jahre wie die Dynamomaschine, zehn Jahre später wurde er durch den Otto-Motor weit übertroffen.

Man gewöhnte sich an

den Gedanken der Verteilung mechanischer Leistung von einer Zen­

tralstelle aus. Die Gasanstalten lieferten „Licht und Kraft". Selbst wenn man sich schon der Überlegenheit des Elektromotors bewußt

gewesen wäre, konnte doch an einen Ersatz des Gasmotors durch ihn nicht gedacht werden, ehe die Anschlußmöglichkeit an eine elektri-

sche Zentrale gegeben war. Diese hatte nur Raum, wenn sie Besseres

bot als eine Gaszentrale. Während der 70er Jahre wurde das elektri-

sche Bogenlicht entwickelt, aber erst die Glühlampe mit ihrer beliebig weitgehenden Unterteilung des Lichtes machte die Zentralen möglich,

die zu ihrem wirtschaftlichen Betriebe wieder die Abgabe mechanischer Leistung verlangten.

Auch für den Verlauf des Kampfes zwischen

Gleichstrom und Wechselstrom ist die gleichzeitige Verwendbarkeit

6l

für Lampe und Motor entscheidend gewesen. So bedingten sich gegen­

seitig die Fortschritte in ganz verschiedenen Richtungen.

Wohl wäre

ein selbständiges Aufkommen des Elektromotors denkbar gewesen, etwa für die Antriebe in Werkstätten an Stelle der mechanischen Transmissionen, aber der Anreiz dazu allein wäre doch nicht aus­

reichend für eine schnelle Entwicklung gewesen. Andererseits mußte

man mit dem Elektromotor und seinen Eigenschaften erst genügend

vertraut sein, und die physikalischen Grundlagen seiner Verwendung

mußten näher erforscht werden, ehe man ihn zu der anderen Auf­ gabe heranzog, der er allein gewachsen ist, die mechanische Leistung zwischen zwei Punkten in großem Abstande zu übermitteln.

Dazu

war aber wieder erst hinreichender Anlaß mit der allgemeinen Ent­

wicklung der Starkstromtechnik.

In diesen Zusammenhängen und in

der Notwendigkeit, die neue Maschine selbst und ihr Zubehör mit erst allmählich zu erreichender Erkenntnis für den praftischen Ge­ brauch auszubilden, ist der Grund dafür zu sehen, daß der Stark­

strom nach Erfindung der Dynamomaschine mehr als io Jahre bedurfte, um allgemeiner verwendungsfähig zu werden.

Nach dem früheren Überblicke über die drei großen Zweige der Firma, die, in stetem Zusammenhänge stehend, doch in ihren Gebieten selb­

ständige Wege einzuschlagen hatten, ist noch des großen Unternehmens zu gedenken, das von allen dreien gemeinschaftlich geplant und aus­

geführt wurde, des Baues der Indo-Europäischen Telegraphenlinie in der zweiten Hälfte der 6oer Jahre.

Der Bau brachte nicht nur

die tatsächliche Einheit der Schöpfungen der Brüder Siemens zu

lebendiger Anschauung, er war auch nur möglich durch das Zusammen­ wirken aller Kräfte der Gesamtfirma, zeugte von dem Ansehen, das

sie sich in der Welt erworben hatte, und befestigte diese Wertschätzung durch das vollständige Gelingen des Unternehmens. — In England bestand lange der Wunsch einer unmittelbaren telegraphischen Ver­ bindung mit Indien. Diese war bis dahin nur möglich durch Über­

nahme der Telegramme von Land zu Land, von einer Linie zur anderen.

Das Umtelegraphieren hatte große Verzögerungen und

Verstümmelungen der Telegramme zur Folge. der Brüder Siemens, eine einheitliche

Die Anregungen

Linie zum unmittelbaren

Sprechen mit Indien zu bauen, fanden deshalb in England willige Aufnahme.

arbeiten.

Um so umständlicher und schwieriger waren die Vor­ Die Linie sollte über Preußen, Rußland, den Kaukasus

und Persien geführt werden, mit den verschiedenen Mächten mußte verhandelt werden, ihre Sonderwünsche waren in Einklang zu bringen.

Die große Politik redete ihr gewichtiges Wort mit, nach vielen Schwie­

rigkeiten gelang aber eine Einigung auf der von de» Brüdern vor­ geschlagenen Grundlage. Namentlich in Persien sah man sich starken Widerständen gegenüber, bei deren Überwindung der Vetter Georg

Siemens, der spätere Direktor der Deutschen Bank, sein diplomati­ sches Geschick zeigte. Die englische Regierung erteilte ihre Zustimmung

zur Gründung einer besonderen Gesellschaft mit 9 Mill. M. Kapital

unter der Bedingung, daß die Ausführung des Baues den Siemens­ firmen übertragen werde.

Die Zeichnung des Kapitales erfolgte

meist in Deutschland, und zwar ohne Vermittlung von Banken. Der

Name Siemens hatte Wert genug.

Der Bau begann 1867 und

dauerte, von mehreren Stellen aus gleichzeitig in Angriff genommen, mehrere Jahre. Für Werner Siemens hatte diese längste Überland­

linie den besonderen technischen Reiz einer großen Probe auf die

Leistungsfähigkeit der Telegraphie, er stattete deshalb nicht nur die Linie mit teilweise ganz neuem^Gerät aus, sondern nahm auch per­

sönlich an schwierigen Stellen die Ausführung in die Hand.

Auch

bei ihr ist es wie bei den Kabellegungen nicht ohne störende Zwischen­

fälle und langdauernde Erregung bis zum Ziele abgegangen.

Der

volle Erfolg war der verdiente Lohn für die gründliche Vorbereitung und die tatkräftige, besonnene Durchführung.

Für das innere Verhältnis der drei Häuser zueinander war leider diese gemeinsame große Arbeit nicht immer das zutreffende

Kennzeichen. Die Brüder standen immer in unbedingtem Vertrauen

zueinander, aber gerade deswegen scheint manchmal unterlassen zu

sein, die Rechte und Pflichten eines Hauses rechtzeitig gegen die ande­ ren bestimmt festzplegen.

Mit dem Anwachsen der Häuser mußten

auch Beamte zu mitleitenden Personen werden, bei denen das Ge­

meinschaftsgefühl naturgemäß mindestens schwächer entwickelt war,

die deshalb ihren Bezirk möglichst bevorzugen wollten. Solche Schwie­ rigkeiten gingen fast nur von dem englische» Hause aus, und hier ist

sicher, wenn auch ohne Erfolg, auf die vollständige Lösung von Berlin

hingearbeitet worden. Auch William soll Neigung dazu gehabt haben,

doch ist das von berufener Seite wieder bezweifelt. Werner die Einheit

Jedenfalls hat

immer aufrechterhalten können und in dem

„Wirrwarr der Interessen", der ihn oft gepeinigt hat, in Güte und, wo es nottat, mit ernstem Mahnen den Weg zum gemeinsamen Schaffen gefunden.

Das Haus Siemens & Halske hatte sich ein einzigartiges An­ sehen erarbeitet. Man sah in ihm die Verkörperung der Anwendung

wissenschaftlicher Forschung auf das gewerbliche Leben, den ersten Träger und Führer einer technischen Richtung, die bestimmend wurde.

Der schnelle Aufstieg des Hauses ist ein glänzendes Beispiel für die Wirkung der Persönlichkeit.

Jetzt standen die Brüder vor neuen

Wegen. Das ursprüngliche Arbeitsgebiet bot nicht mehr genügenden

Raum, die Telegraphie hatte an Bedeutung für die Firma verloren,

die Aussichten für die Telephonie waren noch verschleiert, der Stark­ strom hatte dagegen schon Proben seiner Art abgelegt.

Es war jetzt

für die Firma geboten, mit Entschiedenheit in die Richtung einzu­ lenken, die sie im Laufe des letzten Jahrzehntes selbst vorbereitet

hatte. In

dieser

Zeit

der Wende

trat Wilhelm Siemens

in die

Arbeitstätte seines Vaters ein.

Eintritt in -le Firma, Arbeiten bis zum Ausscheiden -es Vaters. Als Wilhelm Siemens in das Berliner Werk einzog, entsprach

die Stimmung hier nicht dem Eindrücke, den die Berliner Gewerbe­

ausstellung hinterlassen hatte.

Dringenden technischen und verwal­

tenden Arbeiten stand ein bedenkliches Nachlassen der Bestellungen

gegenüber.

Zwar hielt sich der Umsatz von 1880 noch auf dem stark

ansteigenden Aste der 70er Jahre und kam nahe an 7 Mill. M., die

sicher, wenn auch ohne Erfolg, auf die vollständige Lösung von Berlin

hingearbeitet worden. Auch William soll Neigung dazu gehabt haben,

doch ist das von berufener Seite wieder bezweifelt. Werner die Einheit

Jedenfalls hat

immer aufrechterhalten können und in dem

„Wirrwarr der Interessen", der ihn oft gepeinigt hat, in Güte und, wo es nottat, mit ernstem Mahnen den Weg zum gemeinsamen Schaffen gefunden.

Das Haus Siemens & Halske hatte sich ein einzigartiges An­ sehen erarbeitet. Man sah in ihm die Verkörperung der Anwendung

wissenschaftlicher Forschung auf das gewerbliche Leben, den ersten Träger und Führer einer technischen Richtung, die bestimmend wurde.

Der schnelle Aufstieg des Hauses ist ein glänzendes Beispiel für die Wirkung der Persönlichkeit.

Jetzt standen die Brüder vor neuen

Wegen. Das ursprüngliche Arbeitsgebiet bot nicht mehr genügenden

Raum, die Telegraphie hatte an Bedeutung für die Firma verloren,

die Aussichten für die Telephonie waren noch verschleiert, der Stark­ strom hatte dagegen schon Proben seiner Art abgelegt.

Es war jetzt

für die Firma geboten, mit Entschiedenheit in die Richtung einzu­ lenken, die sie im Laufe des letzten Jahrzehntes selbst vorbereitet

hatte. In

dieser

Zeit

der Wende

trat Wilhelm Siemens

in die

Arbeitstätte seines Vaters ein.

Eintritt in -le Firma, Arbeiten bis zum Ausscheiden -es Vaters. Als Wilhelm Siemens in das Berliner Werk einzog, entsprach

die Stimmung hier nicht dem Eindrücke, den die Berliner Gewerbe­

ausstellung hinterlassen hatte.

Dringenden technischen und verwal­

tenden Arbeiten stand ein bedenkliches Nachlassen der Bestellungen

gegenüber.

Zwar hielt sich der Umsatz von 1880 noch auf dem stark

ansteigenden Aste der 70er Jahre und kam nahe an 7 Mill. M., die

Aussichten für die folgenden Jahre waren aber ungünstig, und der

Umsatz hat auch erst nach mehreren Jahren wieder die Spitze von 1880

erreicht. Die unmittelbaren Gründe für die Erscheinung waren das Nachlassen der Telegraphenkabel, für die der stärkste Bedarf der Post­

verwaltung gedeckt war, und das vorläufige Zurückbleiben des Stark­ stromes.

Gleichwohl versäumte man nicht, für die durch den Stark­

strom zu erwartende Veränderung der Geschäftshandhabung Vor­ kehrungen zur Vertretung der Firma in den anderen Städten zu treffen. — Das englische Haus befand sich inmitten seiner großen Kabelgeschäfie in sehr guter Lage.

Das Verhältnis seiner Verwal­

tung zu der Berliner war aber nicht freundlich.

Die Abrechnung

zwischen den Häusern führte immer wieder zu Schwierigkeiten, die

nun durch eine neue Geschästsform beseitigt werden sollten.

Die

unmittelbare Verbindung der Firmen wurde ersetzt durch eine Art

Personalunion.

In Petersburg wurde nach den stillen Vorjahren

unter Rückkehr Karls nach dort ein frischerer Zug angestrebt.

In

Wien unter Arnold Siemens und in Paris waren die Anfänge zu neuen Zweigniederlassungen gemacht.

Die Entwicklung des Starkstromes beruhte noch auf der Bogen­

lampe. Der Plan von Werner Siemens, nach dem Muster der vor­ geführten Modellbahn Berlin mit einer Hochbahn in der Richtung Nord—Süd zu versehen, kam nicht zur Ausführung, erst im folgen­

den Jahre zeigte die Firma mit der Straßenbahn bei Lichterfelde

ein Beispiel der wirklichen Anwendung.

Die während der Ausstel­

lung betriebene elektrische Beleuchtung der Kaisergallerie mit Dif­

ferentiallampen in Hintereinanderschaltung hatte wohl vollen Erfolg,

aber die Nachfrage nach derartigen Anlagen blieb hinter der Er­

wartung zurück. Die Firma war auf die Ausführung gut vorbereitet. Außer der tadellosen Differentiallampe besaß sie in ihrer während

der Vorjahre entwickelten v-Maschine mit Trommelanker bis zu etwa 15 Pferdestärken und in einer darüber hinausgehenden Wechsel­

strommaschine zuverlässige Glieder von Beleuchtungsanlagen von dem vorläufig nur in Frage kommenden Umfange.

Um die Aus­

rüstung zu vervollkommnen, wurde jetzt der Bau der nach ihrem

Erfinder

benannte»

Dolgorucki-Dampfmaschine

eingeleitet.

Die

elektrische Maschine ist ohne weiteres für hohe Umfanggeschwindigkeit v.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

65

befähigt und verlangt sie deshalb zu ihrer Wirtschaftlichkeit.

Mr

die unmittelbare Kupplung der schnellaufenden elektrischen Maschine fehlte aber der gleich schnelle Wärmemotor, so daß der teure und

umständliche Riementrieb zwischengeschaltet werden mußte.

Diesem

Mangel sollte die Dolgorucki-Maschine abhelfen, einer der vielen Versuche zu einer Dampfmaschine mit umlaufendem Kolben.

Dem

richtigen Grundgedanken in der Aufnahme eines Schnelläufers über­

haupt konnte leider nicht der Erfolg entsprechen.

Der damals noch

zu wenig verbreitete Einblick in die periodischen Temperatur-Schwan­

kungen der Innenflächen der Dampfmaschine hätte die DolgoruckiMaschine von vornherein als unwirtschaftlich erkennen lassen.

Auch

mit etwas späteren Ansätzen in ähnlicher Richtung hat die Firma kein Glück gehabt, sie paßte aber umgekehrt, als größere Leistungen zu erzeugen waren, als erste ihre Maschinen dem langsamen Laufe

der Kolbendampfmaschine an. Seinem Plane entsprechend begann Wilhelm Siemens seine

Tätigkeit bei der Firma im Herbst 1879 mit physikalischen Messungen. „Kabelstudien am Ruß-Schreiber" sind ohne nähere Angabe ver­ zeichnet.

Er beteiligte sich dann an Kabelmessungen zum Aufsuchen

von Fehlern an Telegraphenkabeln in Süddeutschland.

Wieder in

Berlin befaßte er sich mit der Unipolarmaschine, wohl auf Anregung des Vaters, der sich damals selbst darum bemühte.

Es war die Zeit

des ersten Einfühlens in die Arbeiten der Firma, zunächst noch ohne bestimmte Ziele und daher anscheinend etwas sprunghaft.

liefen auch noch Kollegs bei Wangerin und Kirchhoff.

Daneben Nur einige

Andeutungen aus dem ersten Winter in der Firma scheinen sich auf die Ansätze zu einem neuen Zweige zu beziehen, der dann unter Wil­ helms Hand kräftig aufsproßte.

Der Vater hegte unter Zustimmung der Brüder den Wunsch,

daß sich seine Söhne recht bald in den Betrieb einlebev möchten, um frühzeitig Ansehen in der Firma zu gewinnen und damit die Fähigkeit zu

Mitregentev.

Arnold konnte schon 1880 zur Einrichtung der neuen

Niederlassung nach Wien gesandt werden.

WUhelm in Berlin hatte

die ganze Schwierigkeit zu empfinden, die Söhnen immer begegnet, wenn sie in den Arbeitskreis des Vaters eintreten und mit dessen bewährten und nach Gebühr geschätzten Gehilfen in ein passendes

Verhältnis kommen wollen.

Eine nähere Anleitung zu seiner Be­

tätigung erhielt Wilhelm nicht, wie bei seiner Vorbildung sollte er sich auch hier die Wege selbst suchen, und nur gelegentlich gaben ihm

die Arbeiten des Vaters eine Richtschnur.

Als er nun bald anfing,

eigne technische Ideen zu entwickeln, fand er oft nicht die erwartete

Zustimmung der älteren Beamten. Zwar scheint er mit Karl Frischen,

dem ersten Beamten des Berliner Hauses, gut ausgekommen zu sein, nicht immer aber mit dem Chefkonstrukteur v. Hefner-Alteneck. Dieser mochte mit Recht die Vorschläge Wilhelms manchmal noch nicht als reif ansehen, war aber überhaupt wohl wenig geneigt, ande­

rer Ideen aufzunehmen.

Seine Eigenart hat Werner Siemens in

seinen prachtvollen Briefen an ihn vom io. Oktober 73 und 5. Juli 77 gekennzeichnet, dabei unbewußt sich auch selbst in seiner Verbindung

von herzlichem Wohlwollen und sachlicher Bestimmtheit.

In einem

Falle (1883) ist tatsächlich das Nichtbeachten eines, wie sich in der

Folge zeigte, recht wichtigen Vorschlages von empfindlichem Nach­ teile für die Firma gewesen, und Wilhelm als Urheber hat später dessen noch manchmal gedacht.

Er hat auch die Abneigung v. Hefner-

Altenecks gegen den Wechselstrom bedauert, der rechtzeitige Fort­

schritte darin erschwert habe.

Er hat aber die Leistungen des um

die Firma verdienten Mannes immer in vollem Maße anerkannt,

besonders in einer Zeit, als es ihm in der Starkstromabteilung an schaffenden Kräfte» zu fehlen schien, aber den 1890 erfolgten schließ­

lichen Abgang des zu hohem Ansehen gelangten Chefkonstrukteurs doch als das kleinere Übel empfunden gegenüber der Gefahr einer nur auf eine einzelne Person gestellten Entwicklung.

Das erste Jahr in der Firma scheint für Wilhelm freund­ lich verlaufen zu sein.

Leider liegen tagebuchartige Aufzeichnungen

nur bis in den Februar 1880 vor und beginnen mit einiger Regel­ mäßigkeit erst wieder im Juli 1886.

Aus der Zwischenzeit sind nur

gelegentliche Notizen persönlicher Art vorhanden, eingehende techni­ sche aus seiner ersten Amerikafahrt,

auch Eintragungen in das in

Leipzig begonnene, bis in den Sommer 1882 geführte „Gedanken­

buch" fallen noch in diese Zeit. Das Tagebuch ist fast ganz auf einen heiteren Ton gestimmt, nur einige Andeutungen erinnern an die

frühere trübe Zeit.

Unter den täglichen neuen Anregungen des Be-

rufes, der offenbar lebhaften Geselligkeit mit Altersgenossen und

im Elternhause fanden die Selbstbetrachtungen keinen Raum mehr. Auch das Gedankenbuch enthält in seiner zweiten Hälfte nur kurze

Notizen, die auf das unverändert regsame Innenleben des Schreibers

schließen lassen.

Auffallend zahlreich sind darin die Bemerkungen

geschichtlicher, philosophischer und sozialer Richtung, nur wenige be­ ziehen sich auf physikalische Gegenstände.

Wenn Wilhelm, wie an­

zunehmen, in der fraglichen Zeit kein eigentliches Tagebuch geführt und es erst später, aber dann in weniger persönlicher, sondern mehr

sachlicher Form wieder ausgenommen hat, so ist darin nur die Folge der Abklärung und Beruhigung des Gemütes zu sehen, deren früheres

Gegenteil den Schreiber zum verschwiegenen Zergliedern seiner so ost peinigenden Gedanken getrieben hatte.

Er empfand dazu jetzt

keinen Hang mehr. Das Dasein zeigte ihm nach der frühen und

langen inneren Gärung jetzt sein heiteres Gesicht, und das freund­ lichste Zeichen der Wandlung war im Sommer 1880 seine Verlobung mit Eleonore Siemens, der Tochter seines Onkels Ferdinand auf

dem Rittergute Piontken in Ostpreußen.

Die steigende innere Nei­

gung der Brautleute zueinander ließ sich in leisen Andeutungen des

Tagebuches der Vorjahre schon ahnen, die Braut war ein häufiger, freudig empfangener Gast im Hause Werners gewesen, ihre ftische

Heiterkeit hat sich als das beste Gegengewicht zu Wilhelms Schwer-

blütigkeit erwiesen.

Fast vierzig Jahre sind beide in glücklicher Ge­

meinschaft durchs Leben gegangen und haben es fast gleichzeitig ver­ lassen.

Von der Hochzeit Wilhelms sollte nach der Meinung des Vaters

„natürlich noch lange keine Rede sein".

Er wünschte gewiß, daß der

Sohn, über dessen Entwicklung er sich kurz vorher gegen seinen Bruder William sehr befriedigt geäußert hatte, erst seine Selbständigkeit festige. Inzwischen hatte nun Wilhelm Untersuchungen über die Leitfähigkeit

der Kohle begonnen, die ihn nach den kurze» aber häufigen Notizen in steigendem Maße fesselten.

Sie könnten ihren Ursprung von den

Bogenlampen genommen haben, für welche die Frage auch Bedeutung hatte.

Im „Lichtsaale" in der Markgrafenstraße, dem bevorzugten

Raume, in dem damals alle Neuerungen im Beleuchtungswesen

erprobt wurden, ist Wilhelm von Anfang an ein regelmäßiger Gast

1880

gewesen.

Wahrscheinlich aber ging das Ziel der Untersuchungen

viel weiter, sie werden sich auf die Glühlampe bezogen haben, der jetzt von Werner Siemens erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Trifft das zu, so hätte Wilhelm mit der Wahl seines Stoffes vor­ fühlend die augenblicklich bedeutungsvollste Frage für die Stark­ stromtechnik getroffen gehabt, der er sich jedenfalls in der folgende»

Zeit mit nie ermüdendem Eifer gewidmet hat.

Mit seinen Unter­

suchungen, die, wohl als einziges Mal, zu teilweisem Zusammen­

arbeiten von Vater und Sohn führten, verband er auch die Neben­ absicht, einen Vorwurf für das Doktorexamen zu gewinnen.

Nach

dem Zeugnisse des Vaters hat er sich mit diesen Arbeiten angestrengter beschäftigt, als seiner Gesundheit gut war, denn seit dem Februar

1881 meldeten sich leider die katarrhalischen Erscheinungen an Hals

und Lunge wieder, die schon früher Besorgnis erregt hatten.

Um

gründlich dagegen vorzugehen, veranlaßte ihn der Vater, ungesäumt

nach dem Luftkurorte Falkenstein im Taunus zu gehen. Mit vollem

Heilerfolge hat er sich dort bis Ende Mai des Jahres aufgehalten und sollte nach einer kurzen Nachkur mit Arnold, der von Wien zurück­

gekehrt war, in der zweiten Jahreshälfte noch eine Dienstzeit im

Geschäfte durchmachen, damit sie, wie der Vater schrieb, lernten und doch eine angemessene Stellung hätten. Die Glühlampe, deren Durchbildung jetzt in der Firma mit Nachdruck verfolgt wurde, entstand durch das Bedürfnis nach elektri­

schen Lichtquellen geringer Lichtstärke.

Erst durch den Einzug des

elektrischen Lichtes von der Straße in das Haus wurde die wirt­ schaftliche Möglichkeit von Zentralen geschaffen, die ähnlich den Gas­ zentralen für den größten wie den kleinsten Bedarf stets bereite Abgabesiellen der Energie bilden.

Die Aussicht, gegen das gewohnte

Leuchtgas aufzukommen, konnte für die Elektrizität nur aus der

Verlegenheit folgen.

Die Bogenlampe übertraf das Gaslicht durch

ihre mächtige Lichtwirkung, für kleine Lichtquellen mußte der Vor­ sprung gegen das Gas von vornherein in der äußersten Einfachheit

der Lampe und ihrer Wartung gesucht werden. Diese Grundbedingung hat sich noch über die Voraussicht mehr und mehr durchgesetzt.

Die

Lichtstrahlung glühender Metallfäden gehörte mit zu den ersten Be­

obachtungen der eleftrischen Stromwirkung.

Noch vor dem Ent-

stehen einer wirtschaftlichen Stromquelle wurden Lampen mit Glüh­ fäden in luftleerer Glaskugel versucht.

An Stelle des nicht genügend

hohe Temperatur ertragenden Platins traten auch schon feine Kohle­ stifte.

Das noch fehlende allgemeinere Bedürfnis ließ diese Vor­

läufer der Glühlampe in Vergessenheit geraten.

Jetzt bot sich als

aussichtsvollstes Mittel zum Ziele die schon versuchte Lampenform. In amerikanischer Eile trat Edison seit 1878 mit seinen Lampen her­

vor, denen er nach anderen mißglückten Versuchen einen Faden aus

verkohlter Bambusfaser gegeben hatte.

Werner Siemens schätzte

auf die Nachricht hin den Wert der Edisonlampe gering ein, denn

nach seinen eigenen zahlreichen Versuchen mußte er schnelles Zer­

stäuben des Kohlefadevs erwarten.

Er gab freimütig seinen Irrtum

zu, als um 1880 brauchbare und im Gegensatze zu den früheren in­

folge ihres langen und dünnen Fadens für Spannungen von 100 Volt geeignete Glühlampen von Edison und anderen erschienen, und

bei der Wichtigkeit der Sache, die er in ihrer ganzen Ausdehnnng

erkannte, nahm er die Arbeit von neuem auf, und die Firma konnte

seit Ende 1881 mit Glühlampen eigner Erzeugung auf den Markt

kommen.

Welcher Anteil an der Ausbildung Wilhelms Mitarbeit

zu verdanken war, läßt sich nicht mehr übersehen, jedenfalls aber galt

der Glühlampenabteilung in den nächsten Jahren seine Hauptarbeit. Unter seiner Leitung bildete sich die Abteilung mit allen ihren neuen Einrichtungen zu dem leistungsfähigen Zweige heran, der dem seit Mitte der 80er Jahre immer stärker werdenden Bedarfe zu genügen

vermochte und als erste in Deutschland eingerichtete Glühlampen­ fabrik die Spitze nahm. Im Besitze ihrer neuen Glühlampen konnten Siemens & Halske

noch im Laufe von 1882 zur Probe einen Teil der Kochstraße in Berlin damit beleuchten, nachdem sie schon vorher im selben Jahre die glän­ zende Beleuchtung durch Bogenlicht in der Leipziger Straße zur An­

schauung gebracht hatten.

Beide Lampenarten im Bunde gaben

nun dem Gedanken der zentralen Verteilung des elektrischen Lichtes

über größere Bezirke eine kräftige Stütze.

Edison in New Pork hatte

schon mit bemerkenswerter Schnelligkeit alle Einzelheiten zur Ein­ richtung der Hausbeleuchtung entworfen und die Versorgung größe­ rer Häuserblocks in die Hand genommen.

Für die Verteilung des

Stromes von der Zentralstelle standen die nach Werner Siemens' Verfahren hergestellten Bleikabel jur Verfügung, die sich von An­

beginn bis jetzt als die zweckmäßigste Leiterform bewährt haben. Mit den Glühlampen schuf sich Wilhelm Siemens frühzeitig

ein erstes Wirkungsfeld in der Firma, auf dem er keine alten Kreise

zu stören brauchte und sich zum selbständigen Leiter eines Betriebes mit noch nicht abzusehender Zukunft heranbildete.

Seine eigene

Genugtuung darüber wird erhöht sein durch die Zufriedenheit des

Vaters, der seinen Brüdern wiederholt über Wilhelms Arbeiten, sein Geschick und seinen hingebenden Fleiß berichtete. In einem der Briefe wird auch Wllhelms Sachkunde im Patentwesen erwähnt, in

dem er am besten im Hause bewandert sei. Neben den nächsten Pflichten hatte er also nicht den Einblick in Fragen allgemeinerer Art versäumt,

und wie sich bald zeigen sollte, faßte er auch die Glühlampe nicht

lediglich vom Stande des Herstellers auf.

Freilich trugen schon die

ersten Jahre seiner Mitwirkung in der Firma ganz das Kennzeichen, das

für

sein

ferneres

Leben

dauernd

wurde,

den

Gegensatz

zwischen der vorbildlichen Pflichterfüllung in der geschäftlichen Lei­ tung und der nie schlummernden Neigung zu rein persönlichem Schaf­

fen. Der Entsagung, die er sich damit auferlegte, ist er sich vorläufig wohl kaum bewußt geworden, seine Tage können nur heiter gewesen sein, in einer militärischen Übung hatte er zur Beruhigung des Vaters

die Festigung seiner Gesundheit erprobt.

Im Juni 1882 führte er

seine Braut heim. Wie Wilhelm Siemens seine Aufgabe für die Glühlampen ge­

faßt hat, erhellt aus seinem Vortrage „Über Beleuchtung durch Glüh­ licht" in der Sitzung des Elektrotechnischen Vereines am 27. Februar

1883 (abgedruckt in der E. T. Z. vom März 1883).

Dieser seiner

ersten wissenschaftlichen Kundgebung hat er sich immer mit begreif­ licher Vorliebe erinnert.

Er erzählte gern, wie er seinen Vater auf

dem gemeinsamen Gange zum Vereine über den Inhalt des Vor­ trages etwas näher unterrichtete, den er unter dessen Vorsitz zu halten

sich anschickte.

Erfreut berichtete der Vater am nächsten Tage nach

London, welchen Erfolg Wilhelm mit seinem fast anderthalbstündigen Vortrage gehabt habe.

Die Mitteilungen des Vortragenden gingen

weit über das damals bei den Glühlampen Beachtete hinaus. Offen7i

bar hatte er bei seinen Arbeiten frühzeitig das Bedürfnis gefühlt,

sich über die physikalischen Grundlagen der Glühlampentechnik Klar­

heit zu verschaffen.

Er sprach im ersten Teile über das noch wenig

behandelte Verhältnis der Lichtstärke der Glühlampe zu der Strom­ leistung, dann über die Zuleitungen zu den Lampen mit Rücksicht auf die Spannung, über Länge, Oberfläche und Querschnitt des Kohlefadens, ob dieser rund oder rechteckig zweckmäßiger sei, um

anschließend das Verhalten der Einzellampe für die ganze Netzspan­

nung gegenüber hintereinander geschalteten Lampen zu untersuchen und den technischen und wirtschaftlichen Vorzug der ersteren Art

zu betonen. Denn die Schwierigkeit, lange dünne Fäden haltbar herzustellen, wurde teilweise immer noch durch die Reihenschaltung

von Glühlampen zu vermeiden gestrebt.

Der am meisten fesselnde

zweite Tell des Vortrages bezog sich auf Grundfragen über die Strah­

lung und Lichtwirkung, Emission und Absorption der Körper im allgemeinen und besonders des Kohlefadens.

Dieses seitdem so be­

reicherte Gebiet verfügte damals im wesentlichen nur über die Unter­ suchungen von Draper, Kirchhoff und Tyndall, der Vortragende

verstand aber aus ihnen richtige Folgerungen zu ziehen, die unmittel­

bare Anwendung auf die Formgebung der Glühlampe erlaubten,

so auf die ungeklärte Frage, ob außer der Temperatur des Glüh­ fadens und der Art seiner Oberfläche noch andere Umstände von Einfluß auf die Wirtschaftlichkeit der Lampe seien, namentlich die geometrische Figur der Fadenführung.

Es kann nicht auffallen,

daß manches in dem Vortrage breiter behandelt ist, als jetzt nötig wäre, wie die wiederholte Erläuterung des wirtschaftlichen Vorteiles

höherer Netzspannung.

Diese Vorstellung, wiewohl auf den be­

kannten Stromgesetzen beruhend und bei Fortschrittarbeiten sichtbar verwendet, war aber noch keineswegs Allgemeingut und mußte im

Einzelfalle immer erst wieder begründet werden.

Sie war auch der

Ausgangspunkt des höchst bemerkenswerten Schlusses des Vortrages.

Der Redner hatte nicht nur an die Glühlampen selbst gedacht, sondern auch an die Art ihres Gebrauches und machte nun Vorschläge, wie zur Ersparnis von Leitungskupfer die Netzspannung weit über die

für Glühlampen zulässige Gebrauchspannung gewählt werden könne,

wenn zwischen Netz und Lampen Umsetzungsgeräte eingeführt würden.

die einen verlustlosen Übergang von der höheren zur niederen Span­ nung gestatteten.

Er deutet ein solches Gerät für Gleichstrom an,

dem keine prattische Bedeutung zukommen konnte, dann aber eine

Einrichtung für Wechselstrom, die »ach dem Gebrauche des physikali­ schen Laboratoriums als „Induktionsapparat" bezeichnet wird und

nichts anderes war, als der bald danach in die Elettrotechnik einge­

führte Transformator. Von der durch Gaulard und Gibbs in Eng­ land zur Zeit des Vortrages schon eingeleiteten Ausführung von Beleuchtungsnetzen mit Transformatoren in Parallelschaltung hat Wilhelm

Siemens keine Kenntnis gehabt, und er hat auch zunächst nicht selbst

Schritte zur Verwirklichung des in der Folge so wichtigen Gedankens getan, seine Anregung zeugt aber wie der ganze Vortrag, den er im August des Jahres noch durch einen Beitrag in der E. T. Z. ver­ vollständigte, von dem gründlichen Eindringen in die wichtigsten

Fragen des elektrischen Beleuchtungswesens und von der Fähigkeit

des jugendlichen Technikers, neue Ziele und Wege auf dem von ihm

gepflegten Gebiete zu erkennen. Vielleicht ist der besprochene Vortrag auch der Anlaß zu der

ersten auf Wilhelm Siemens zurückgehenden Patentanmeldung ge­ wesen, deren Schicksal ihm freilich wenig Freude bereiten konnte. Wieder ausgehend von dem Bestreben, bei den sich schon mehrenden

Entwürfen zu Beleuchtungsanlagen die Leiterquerschnitte zu ver­

ringern, kam er auf die unter dem Namen „Dreileitersystem" zu

Bedeutung gelangte Leiterführung.

Sie sollte die Speisung von

Gebrauchskörpern mit zulässiger Spannung aus einem Netze mit

doppelter Spannung ermöglichen. Zu dem Ende sind in der Zentrale

zwei gleiche Generatoren in Reihenschaltung vorgesehen, im Netze zwei Außenleiter und ein Mittelleiter, der an die Mitte der beiden Maschinen gelegt ist. Die Lampen sind zwischen je einen Außenleiter

und den Mittelleiter geschaltet und erhalten so die Spannung nur einer Maschine.

Bei gleichmäßiger Verteilung der Verbrauchskörper

auf die beiden Gruppen und, im günstigsten Falle, gleichmäßiger

Benutzung der Gruppen würde der Mittelleiter stromlos sein, er darf aber nicht fehle», da er wegen der nie eintretenden vollständigen

Gleichmäßigkeit der Benutzung für den Ausgleich zu sorgen hat. Dagegen darf er immer einen viel kleineren Querschnitt als die Außen-

leiter bekommen.

Die Ersparnis an Leitungskupfer ist infolge der

doppelten Spannung sehr erheblich, infolgedessen ist das System zu

ausgedehnter Anwendung gekommen.

Bei der zur Zeit seiner Er­

findung noch sehr mangelhaften Anschauung von der Führung der Verteilungsnetze und bei dem Fehlen aller Erfahrungen über die

Häufigkeit der Benutzung ihrer Zweige muß der Erfindungsgedanke als ein Zeichen sehr entwickelten Vorstellungsvermögens und be­

merkenswerten Weitblickes angesehen werden, und der Verdruß des

Urhebers über die notwendige Zurückweisung der Patentanmeldung ist begreiflich.

Man hatte nämlich dem Vorschläge keine Beachtung

geschenkt, die Anmeldung war unterblieben, und als sie dann doch im März 1883 erfolgte, war sie um mehrere Wochen überholt von

Hopkinson, dem die Firma längere Zeit für die nicht entbehrliche Schaltung tributpflichtig wurde.

Die Ausgestaltung zu einem Fünf­

leitersystem bei Siemens & Halske erlangte nicht die Bedeutung der einfacheren Schaltung.

Aus manchen Umständen ist zu schließen,

daß Werner Siemens selbst anfangs dem Vorschläge keine Aufmerk­

samkeit geschenkt hatte und erst infolge des Vortrages im Februar zu näherer Prüfung veranlaßt wurde.

Die Erfindung

der viel

angewendeten Schaltung hätte den Namen von Wilhelm Siemens in der Elettrotechnik frühzeitig bekannt gemacht. In dieser Zeit, da das folgende Geschlecht die ersten Beweise

seiner Leistungsfähigkeit in der Firma gab, schloß diese ein Abkommen,

das für längere Zeit ihre Schritte auf der neuen Bahn zum Stark­ ströme bestimmte. — Die Entwicklung war vor dem Bau von größeren

Zentralen angekommen.

Es war klar, daß zu ihrer Ausführung

neue Geschäftsformen Platz greifen mußten. Die Städte selbst hielten sich bei der Neuheit der Sache und dem völligen Mangel an Erfahrun­ gen über ihre wirtschaftliche Wirkung vorläufig und noch für manche Jahre ganz zurück und waren nur bereit, die Genehmigung zur elektri­

schen Anlage in ihrem Weichbilde zu erteilen.

Die Firma hätte des­

halb entweder für eigene Rechnung Zentralen bauen und betreiben müssen mit der Aussicht, sie vielleicht später zu veräußern, oder von

vornherein besondere Gesellschaften für den Bau unter eigener Betelligung gründen müssen.

Die erste Form hätte das Festlegen zu

umfangreicher Mittel erfordert, die zweite Art widerstrebte Werner

Siemens.

Er wollte möglichst nur der Erbauer der Anlagen und

der Erzeuger der dazu nötigen Maschinen und Geräte sein, nicht der Finavjmann.

Das könnte als Widerspruch zu seiner früheren Äuße­

rung gegen Karl über ihre Unternehmungen erscheinen, ist es aber nicht. Er hatte bis dahin nur technische Geschäfte betrieben, bei denen

er dem sicheren Besteller seine Erzeugnisse und die zu ihrer Benutzung erforderlichen Anlagen und Leistungen unter Gewähr ihrer Güte

lieferte.

Er scheute dabei kein Wagnis und keine Verantwortung,

wenn sie ihm angemessen schienen und wandte für technische Pionier­

arbeiten unbedenklich große Mittel auf.

So bei den russischen Unter­

nehmungen, bei der Indo-Europäischen Linie, bei den großen Kabel­ legungen, ob die Auftraggeber staatliche Behörden oder Privatgesell­ schaften waren.

An Großzügigkeit, um das heutige Schlagwort zu

gebrauchen, hat er es niemals fehlen lassen. Aber mit reinen Finanz­ geschäften, bei denen sich der Zusammenhang von Kapital und Ar­

beit mehr oder weniger dem Blicke entzieht, vielleicht manchmal entzogen werden soll, wollte er so wenig wie möglich zu tun haben.

Schon die Kabelgeschäfte hatten ihm etwas Beigeschmack von Börsen­

geschäft. Dazu war die Erinnerung an das üble Treiben der Gründer­ jahre noch im frischen Gedächtnis.

Seiner ganzen Natur nach war

Werner Siemens der weitsichtige, schaffende Techniker, der, aus­ gerüstet mit sicherem Blicke für alle wirtschaftlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, seine Ziele selbst wählt und mit seinen Schöpfun­

gen innerlich verbunden bleibt, nicht der reine Kaufmann, der dem sachlichen Inhalte seiner Geschäfte gleichgültig gegenübersteht.

Jene

Auffassung nennt man gern „nicht zeitgemäß", und man hat hin­ sichtlich der elektrischen Zentralen auch Werner Siemens" Abneigung vor Geschästsformen, die so leicht Anlaß geben zum Bewegen von

Werten ohne innere wirtschaftliche Berechtigung, als eine gewisse

Rückständigkeit

ausgegeben.

Widerstehen

ist

aber nicht Zurück­

stehen, und wer Werner Siemens als Geschäftsmann überlegen ab­ urteilen wollte, müßte doch erst die Frage beantworten, welcher Rich­

tung die größeren Werte für die Allgemeinheit zu danken sind.

Das

Unverständnis für Werner Siemens und seine Art hat sich auch später

noch gelegentlich in dem bestimmten Vorwurfe geäußert, er habe den Plan Weitblickender zum Errichten von eleftrischen Zentralen

für eine Utopie erklärt.

Sein Sohn Wilhelm konnte dagegen nach­

weisen, daß es keinen eiftigerev Förderer der Zentralen gegeben hat,

als ihn, sobald nach Entstehen der brauchbaren Glühlampe die wirt­ schaftliche Grundlage dafür gesichert war.

Zu der Frage nach der geeigneten Geschästsform für Zentralen kamen noch drohende Patentschwierigkeiten.

Edison hatte seinen

Plänen eine umfassende geschäftliche Grundlage gegeben und nach amerikanischer Art seine Rechte durch einen dichten Zaun von Pa­ tenten zu sichern gesucht, dessen Schutzwert zwar zweifelhaft war, aber der Form nach doch zunächst bestand.

Zur Ausbeutung des

Edison-Systemes bestand schon die Kontinentale Edison-Gesellschaft,

die 1881 auf der Elektrischen Ausstellung in Paris mit großem Er­ folge aufgetreten war.

Von ihr erwarb Emil Rathenau die Edison-

Rechte für Deutschland und gründete hier zunächst eine Studien­

gesellschaft, die zur Einführung mit den von der Pariser Mutter­ gesellschaft bezogenen

Maschinen und

Lampen

Einzelanlagen in

Berlin errichtete, auch eine Blockanlage in der Friedrichstraße.

Es

standen nun Patentstreitigkeiten von ungewissem Ausgange bevor,

der auch auf die ausstchtsvoll begonnene Herstellung von Glüh­ lampen bei Siemens & Halske ungünstig wirken konnte.

Werner

Siemens war von seinem anfänglichen Zweifel zu einer aufrichtigen Anerkennung von Edisons technischem Schaffen gekommen und sah

als bester Kenner des im wesentlichen von ihm selbst geschaffenen

deutschen Patentrechtes und in seiner Sachlichkeit die Patentlage

als nicht ungünstig für Edinson an. Eine Einigung mit der Vertretung von Edison mußte ihm aus diesem Grunde erwünscht sein.

Auf der

anderen Seite erkannte die neue Studiengesellschafi de» großen Nutzen,

der ihr bei dem Fehlen einer eigenen Erzeugung als Stütze für ihre Unternehmungen aus der Verbindung mit Siemens & Halske er­

wachsen mußte, und diese konnten weiterhin hoffen, dadurch der Werbe­ tätigkeit für die kommenden Zentralen und ihrer Bewirtschaftung

überhoben zu sein, um sich ganz dem technischen Teile zu widmen. So kam nach längerem Verhandeln im März 1883 ein Vertrag zwischen Siemens & Halske und der Deutschen Edison-Gesellschaft

zustande.

Sein Kern war die Teilung der Zentralengeschäste in Er­

werbung von Genehmigungen und Finanzierung einerseits und

technische Ausführung andererseits, bei Verzicht der Vertragschließend den auf Betätigung in dem anderen Gebiete. Eine Ausnahme wurde

von vornherein nur hinsichtlich der Glühlampen gemacht, die Deutsche

Edison-Gesellschaft behielt das Recht, die Lampen mit Zubehör eben­ Nach dem Vertrage waren Siemens & Halske

falls herzustellen.

auch gehalten, die Gleichstrommaschinen für die Zentralen nach Edisons Muster herzustellen.

Das mag im Hause peinlich empfunden sein,

aber Werner Siemens hatte großes Zutrauen zu allen von Edison entwickelten Einrichtungen gefaßt, dazu erschien auch die für kleinere

Anlagen vielbewährte v-Maschine von Siemens & Halske für die

jetzt in Frage kommenden größeren Leistungen wenig geeignet.

Es

haftete ihrem Aufbau noch etwas von der Herkunft aus der Mechanikerwerkstatt an, und gewisse Einzelheiten, auf die man anfangs

Wert gelegt hatte, waren nach fortgeschrittener Erkenntnis nicht

mehr berechtigt.

Die Edison-Maschine trug dagegen mehr die Kenn­

zeichen der Maschinenwerkstatt, sie benutzte ebenfalls den Trommel­ anker, über dem sich lange Magnetschenkel erhoben, und bedeutete

im ganzen keinen wesentlichen Fortschritt, mußte auch noch manche

Wandlung in wichtigen Teilen erfahren.

Immerhin eine erprobte

Form, genügte sie für die nächsten Absichten.

Für ihre Herstellung

war in der Markgrafenstraße keine Stätte mehr, ein umfangreicher

Bedarf stand in Aussicht, und so war die erste innere Wirkung der Vertrages für Siemens & Halske die Begründung des Charlotten­

burger Werkes in der Franklinstraße, das seit 1884 zuerst die EdisonMaschine herstellte, in seinen Abmessungen aber gleich zum Mittel­

punkte des Starkstromes überhaupt bestimmt war.

Hier wurde

auch wieder eine neue und sehr eigenartige Dynamoform weiter­

entwickelt, die mehrpolige l-Maschine, mit Jnnenmagneten und Ring­ anker, als die . Edison-Maschine den mittlerweile erhöhten Ansprüchen

an Leistung auch nicht mehr folgen konnte und unmittelbare Kupp­ lung der Dynamomaschine mit der Kolbendampfmaschine verlangt

wurde. Für die Deutsche Edison-Gesellschaft lag, da sie nach dem Ver­

trage doch schon eine Erzeugungsstelle eröffnen durfte, das Begehren nach weiterer Ausdehnung in dieser Richtung zu nahe, als daß sie

nicht die auferlegte Beschränkung auf Lampen lästig empfunden

hätte.

Siemens & Halske dagegen sahen sich in ihrer Erwartung

großer Aufträge durch die Tätigkeit der Deutschen Edison-Gesell-

schäft ziemlich enttäuscht, die vielmehr sehr zurückhaltend war.

In

der Hauptsache sind aus dem Zusammenwirken der beiden Firmen nur die Zentrale Madrid und die Zentralen in Berlin mit ihren bald

nötigen Erweiterungen in den Jahren 1885 bis 1888 für die Gesell­ schaft Berliner Elektrizitätswerke entstanden, wobei die Bleikabel

ihre erste größere Verwendung fanden.

Den beiderseitigen Absichten

genügte sehr bald der Vertrag nicht, die Verhältnisse drängten auf

eine Erweiterung der Edison-Gesellschaft, wenn sie mit ihren Mitteln den gesteigerten Ansprüchen genügen sollte, überhaupt war auf beiden Seiten nach den Erfahrungen weniger Jahre der Wunsch

nach Minderung der Beschränkungen durch den Vertrag immer leb­ hafter geworden.

In dem Widerstreite der Belange fehlte eben das,

was die Siemens & Halske-Firmen im Inlands und Auslande zu

ihrem Nutzen praktisch zusammengehalten hatte.

Der ursprüngliche

Vertrag wurde deshalb im März 1887 durch einen neuen ersetzt, in dem die nunmehrige Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in er­

weiterter Form auftrat und Zugeständnisse für die Erzeugung aller elektrotechnischen Gegenstände mit Ausnahme der Kabel und Bogen­

lampen erhielt, unter bedeutend geringerer Bindung hinsichtlich der Ausführung von Anlagen.

Gegen seine sonstige Abneigung vor

Aktiengesellschaften erleichterte Werner Siemens durch Beteiligung

an der neugegründeten AEG. das Zustandekommen der Vertrags­ änderung, die für Siemens & Halske den empfindlichsten Zwang

löste, den ihnen ganz wider Erwarten der Vertrag selbst gebracht

hatte. Was als Rest aus dem ersten Vertrage noch geblieben war, konnte nach der schon sehr weitgehenden Änderung kaum noch einen Inhalt von großem Werte haben und mußte unter den nicht endenden

Schwierigkeiten in der Auslegung des Vertrages schließlich fallen.

Das geschah auch im Juni 1894 durch einen Vergleich, der nur noch

die Verpflichtung der AEG. auftechterhielt, bis zum Ablaufe des Vertrages Ende 1897 ihre Kabel noch von Siemens & Halske zu be­

ziehen.

Damit kamen die Beziehungen zwischen den beiden Firmen

zum Abschlüsse.

Von einer näheren Anteilnahme Wilhelms an den ersten Ver-

Handlungen mit der Deutschen Edison-Gesellschaft liegen keine An­

zeichen vor, die Lasten aus dem Vertrage hatte er aber später reichlich zu tragen, und schon die grundsätzliche Änderung von 1887 leitete er

selbständig.

Als nächste mittelbare Folge des ersten Vertrages für ihn

wird seine Reise nach Nordamerika anzusehen sein, die er im Herbst 1883

antrat.

Die Aufmerksamkeit auf die elektrotechnische Entwicklung

in Amerika war jedenfalls durch die vertraglichen Beziehungen ge­ schärft, der Plan, auch dort festen Fuß zu fassen, in der Firma schon erwogen.

Die Neigung des jungen Technikers, der nach des Vaters

-Wunsche möglichst bald Mitinhaber der Firma werden sollte, vorher noch andersartige technische Betriebe und allgemeine Verhältnisse kennenzulernen, ließ sich ohnehin verstehen. Zm Sommer des Jahres

war die Reise so gut wie beschlossen, wurde auch einigermaßen vor­ bereitet, denn Wllhelm sollte mit seiner Reise eine geschäftliche Sen­ dung verbinden und nicht als bloßer Vergnügungsreisender erschei­

Die Briefe darüber zwischer Werner und William Siemens

nen.

lassen aber keinen größeren bestimmten Auftrag erkennen, wohl weil man sich über die in Amerika einzuleitenden geschäftlichen Schritte überhaupt noch nicht recht klar war.

So scheint statt eines Haupt­

auftrages dem Reisenden eine Menge einzelner mitgegeben und

seiner Selbständigkeit das Finden bemerkenswerter Beobachtungziele überlassen zu sein.

Er trat die Fahrt im September 1883 in Be­

gleitung seiner Gattin über England an.

Der mehrmonatige Aufenthalt in Amerika hat in der Tat nicht im Zeichen des Vergnügens gestanden. Das Wetter war meist schlecht

und zu der äußeren Unfreundlichkeit kamen schon im ersten Teile der Reise betrübende Nachrichten von der Heimat. Am 19. November

starb plötzlich Onkel William in London an einem tückischen Herz­ leiden, und der Vater meldete in großer Sorge die schwere Erkrankung

Arnolds.

Bei diesem hatten sich leider schon früher die Anfänge

eines ernsten Leidens gezeigt. Die jetzt bedrohlichen Formen milder­ ten sich zwar bald, legten aber seiner Tatkraft noch lange Zeit Zügel

an.

Der verstorbene Orkkel stand der Berliner Familie besonders

nahe und als erfolgreicher Mitleiter des Siemenshauses in hohen

Ehren.

Er war Engländer geworden, hatte aber seine Beziehungen

zu Deutschland immer treu gepflegt, wie sein Neffe Wilhelm nach-

drücklich betont hat, und hatte auch in seinem letzten Willen davon

Beweis gegeben, da er, selbst kinderlos, ju Haupterben seines großen Vermögens seine deutsche Verwandtschaft einsetzte.

Unter trüben

Eindrücken hatte Wllhelm in Amerika seinen Aufträgen und Ab­ sichten nachzugehen, deren Grenzen er sich ersichtlich sehr weit ge­

steckt hatte.

Die erhaltenen Aufzeichnungen aus diesen Reisemonaten

haben eine ganz sachliche Form, in persönlicher Hinsicht werden sie nur spärlich ergänzt durch Stellen in den Briefen nach Berlin, die zum größten Teile aber auch geschäftlichen und technischen Inhalt

haben.

Wilhelm fand auf elettrotechnischem Gebiete den Zustand

lebhafter Gärung vor.

Sein Name verschaffte ihm leicht die Be­

kanntschaft mit den Leuten, die drüben beim Durchführen ihrer Idee«

in heftigem Mitbewerbe standen.

Brush, Thomson, Houston, Berg­

mann u. a. zeigten ihm, meist sehr bereitwillig, ihre Anlagen.

Be­

sonders eingehend berichtete er über Edison, für den er ja auch nach den Vorgängen in Berlin erhöhte Teünahme haben mußte. Er hatte

von ihm den Eindruck eines rastlos tätigen, dabei rückhaltlos offenen Mannes, der ausgesprochenermaßen seine Arbeiten ausschließlich auf

das Geldmachen eingestellt hatte und keinen anderen Empfindungen daneben Raum gab.

Die Mitbewerber urtellten weniger günstig

über Edison, was nicht überraschen kann. Die große Zahl der Notizen und das stete Bedachtsein auf die wirtschaftliche Seite der Gegen­

stände zeigen, wie eifrig und eingehend Wilhelm beobachtete und sammelte. Über die verschiedenen Maschinenarten von Edison, Weston,

Depoele und anderen Eleftrikern, die ebenfalls noch ohne sicheren physikalischen Anhalt ihre Schöpfungen nach Glauben mit starkem Einschläge von Aberglauben entstehen ließen, macht er ausführliche Mitteilungen, die er auch auf die Dampfmaschinen von Corliß und

Armington-Sims als Triebwerke für die elettrischen Maschinen er­ streckt. Er konnte im Gegensatze zu dem Zögern in Europa die Rührig­ keit auf dem Gebiete der elettrischen Bahnen feststellen, studierte dabei

auch unbefangen die Drahtsellbahnen in San Franzisko und Chikago. Daß diese oder jene Einzelheit ihm als hervorragend aufgefallen wäre, ist nicht zu erkennen, die Glühlampentechnik in Amerika hat er der

heimatlichen kaum gleich gefunden.

In die Reihe seiner Aufträge

haben auch Verhandlungen über Patentrechte gehört zur Einleitung

ausgedehnterer Verbindungen.

Wie früher erwähnt, hatte er sich

in das Patentwesen schon ganz eingelebt, aber die Notizen und Berichte zeigen auch seinen Einblick in alle anderen Zweige der Firmentätigkeit.

Sie sind deshalb überhaupt bemerkenswert für die Anteilnahme an dem ganzen Betriebe in den vorhergehenden, ohnehin nicht siö-

rungsfteien Jahren.

In dem Briefwechsel mit dem Vater werden

Vorkommnisse, einfachere und schwierige Geschäfissachen so behandelt, daß man daran die schon ausgebildete Gewohnheit des Gedanken­

austausches erkennt.

Um so begreiflicher wird die immer häufiger

in dieser Zeit von Werner Siemens gegen seine Brüder geäußerte Hoffnung auf Entlastung durch die Söhne.

An Wilhelm rühmt er

auch erhebliche erfinderische Neigung und Geschick.

Davon hatte

dieser in aller Unrast der Reise wieder eine Probe gegeben, indem er

an Hand einer kunstlosen Skizze einen Vorschlag nach Hause mit­ teilte, die Berliner Wechselsirommaschine durch einen eigentümlichen Kommutator zu einer Gleichstrommaschine umzuwandeln.

Es scheint

ihm dabei die Absicht vorgeschwebt zu haben, eine Gleichstrommaschine für höhere Spannung zu erhalten, ohne daß er später wieder die

Zeit gefunden hat, sich näher damit zu befassen. Ideen in dieser Art festzuhalten und mitzuteilen in der Hoffnung auf mögliche eigene Wiederaufnahme oder verständnisvolle Weiterbehandlung durch andere hat er genau in derselben Form in den folgenden Jahrzehnten so

häufig sich gemüht.

Manche seiner Angestellten könnte das Schrift­

stück wie gleichartige aus einer um ein Menschenalter späteren Zeit anmuten.

In hohem Grade beachtenswert erscheint für die Reise

überhaupt die Entwicklung von Wilhelms technischem Urteile, da

er doch, ohne Schulung in dieser Hinsicht und nur seiner mathematisch­ physikalischen Vorbildung vertrauend, erst seit wenigen Jahren unter

technischen Anregungen lebte.

Wilhelm blieb mit seiner Gattin bis zum Februar 1884 in Amerika.

Der Aufenthalt, der ihn in die wichtigsten Städte führte, war Mühe und Anstrengung gewesen, nur ein Abstecher nach Colorado scheint mehr den landschaftlichen Schönheiten gegolten zu haben.

Neben

den geschäftlichen Aufträgen hatte Wilhelm die Wünsche des Vaters erfüllt, amerikanische Wissenschafter wie Langley, Fritts und Baker zu begrüßen und mit ihnen gewisse physikalische Fragen zu besprechen. vi.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

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Nun trieb es ihn wieder nach Hause, um die Arbeit hier wieder auf-

zunehmen.

Er möchte sich gern „etwas aufbürden lassen", wie der

Vater in Aussicht gestellt hatte, er sehne sich „nach einem verant­ wortungsvollen Posten".

Der Platz in Berlin wartete schon.

Auch den zweiten Sohn

zum Mitinhaber der Firma zu machen, war für Werner Siemens um so dringender, als der schon im Vorjahre aufgenommene Arnold

seiner Erkrankung wegen sich vorläufig wenig betätigen konnte. WUhelms Jugendwunsch hatte sich erfüllt, er stand in jungen Jahren

mit an der Spitze der Weltfirma, der nun sein Leben bis zum letzten

Atemzuge gehörte. Die Art seines Wirkens hatte er sich ftüher aller­ dings wesentlich anders gedacht, als er sie in seinem Pflichtgefühl selbst ausgestaltete.

Er hat sich in reiferen Jahren zu Verwandten

darüber in seiner Weise zurückhaltend und nur leise andeutend aus­

gesprochen. Sich immer völlig für die dringlichen Arbeiten der Lei­ tung cinsetzend, konnte er seiner stärksten Neigung nur in beschränktem Maße genügen.

Das eigene Schaffen, die Gelehrtenarbeit im weite­

sten Sinne, die engpersönliche Leistung entsprachen seinem innersten Bedürfnisse, fast vier Jahrzehnte mußte er aber seine Kraft darin

erschöpfen, anderen Ziele, Anregung und Förderung zu bieten. Einer gewissen Enttäuschung über das Nichteintreffen ftüherer Vorstellungen

vom Berufe entgehen zwar überhaupt nur wenige, wer aber so wie Wilhelm geneigt war, sein Tun und Lassen unter die kritische Lupe zu nehmen, mußte das Entsagen tiefer empfinden.

In dem unaus­

gesetzten Hegen erfinderischer Idee» mochte er unbewußt einen Er­ satz für das ihm Versagte suchen. — Wie er seine Vorbereitungszeit in der Firma zu seiner technischen Ausbildung benutzt hatte, zeigte sich auf seiner amerikanischen Reise.

Seinen von jeher offenen Blick

für die wirtschaftliche Seite des Faches hatte er durch eine kaufmänni­ sche Lehrlingzeit, wie er es selbst nannte, an den besonderen Ver­

hältnissen der Firma geschärft.

So war das Vertrauen berechtigt,

mit dem er sich gleich seinen neuen Pflichten widmete.

Es wird

erzählt, er habe sich schnell und geschickt in die Würde und Bürde

eines Leitenden gefunden.

Er war damit der Vorgesetzte der alten

Mitarbeiter seines Vaters geworden, von denen mehrere sich einen

Ruf über den Rahmen dec Firma hinaus erworben hatten. Er selbst

stand den bewährten Kräften als Anfänger gegenüber, aber mit der festen Absicht zu selbständigem Schaffen.

Er hatte sich auf einem

schwierigen Gelände zu bewegen, und doch ist es ihm gelungen, sich

zur Geltung zu bringen und dabei, ebenso sachlich und rücksichtsvoll,

im Geiste des Hauses, den sein Vater geschaffen hatte, jeden per­ sönlichen Anstoß zu vermeiden.

Gewissen grundsätzlichen Unterschieden

in den Auffassungen, die sich hier und dort unvermeidlich heraus­ bildeten, konnte er nicht ausweichen, nie aber hat er sein tatkräftiges

Vorgehen in der alten Umgebung mit Schroffheiten verbunden. Den schon angeknüpften Faden wieder aufnehmend, wandte

Wilhelm seine Tätigkeit dem immer mehr vordringenden Stark­ ströme zu, in erster Linie wieder den Glühlampen.

Diese begannen

jetzt gerade nach den Ausbildungsarbeiten der letzten Jahre geschäft­

lich in steter Beschleunigung zu wachsen.

Von seinen weiteren Stu­

dien und Erfolgen auf dem Gebiete gab Wilhelm in den folgenden Jahren zweimal Kenntnis im Elektrotechnischen Vereine.

Im ersten

Vortrage (E. T. Z. 1885) behandelte er unter der Bezeichnung „Über Verbesserungen in dem Nutzeffette der Glühlampen" wieder ein­

gehend die Fortschritte, die mit den Glühlampen nach der von Sie­ mens & Halske angewendeten Behandlung der Glühfäden in Kohle­

wasserstoffen seit seinem ersten Vorträge gemacht waren, unter Mit­

teilung zahlreicher Meßergebnisse hiüsichtlich des Leistungsverbrauches. Der zweite Vortrag (E. T. Z. 1888) beschäftigte sich mit „Glühlampen in Hintereinanderschaltung".

Hier wird von den Versuchen bei Sie­

mens & Halske berichtet, haltbare Glühlampen für Reihenschaltung zu erzeugen, die bei größerer Lichtstärke damals von verschiedenen

Seiten als Ersatz des Bogenlichtes für Straßenbeleuchtung in Vor­ schlag gebracht wurden. Es wird gezeigt, wie sich auf Grund der Ver­

suche bei niedriger Spannung für die einzelne Lampe deren Wir­ kungsgrad gegen den der Lampen für 110 Volt bedeutend erhöhen

lasse.

Vergleichend werden die beiden Lampenarten in ihrem Ver­

halten während des Gebrauches geschildert, ebenso wie die zu ihrem

Betriebe nötigen selbsttätigen Schalter.

Anscheinend hat der Vor­

tragende vorübergehend an eine Zukunft dieser Beleuchtungsart geglaubt, und deshalb erörtert er auch sachlich die noch bestehenden Zweifel

über die Gefährlichkeit der höheren Spannungen, die dabei in Frage VI*

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kommen würden.

An der folgenden Besprechung darüber beteiligten

sich, wie beiläufig bemerkt sein mag, auch Werner Siemens und

Helmholtz. — In welchem Maße der Vortragende selbst der geistige Urheber der Ergebnisse war, über die er berichtete, läßt sich nicht sicher

belegen, doch ist aus der Form der Mittellungen und den Verhält-

nissen zu vermuten, daß der wesentliche Teil der Fortschritte seinen Weisungen zu verdanken war.

Schon früher war übrigens WUHelm

bemüht gewesen, auch die sonstige Ausrüstung für die Glühlampen­ beleuchtung zu fördern.

Er war wohl der erste, der den wichtigen

Schmelzsicherungen die Form eines Einsatzstöpsels zur leichten Hand­

habung gab (DRP. 26 572), ein Gedanke, der erst später allge­

meine Aufnahme gefunden hat. Der Ausblldung der elektrischen Maschinen hat Wilhelm da­ mals weniger Beachtung geschenkt.

Vielleicht spielte dabei eine ge­

wisse Scheu mit, schon fest umrissene Kreise in der Firma zu stören,

gewiß aber war bei seiner physikalischen Richtung sein Sinn für die Erfordernisse des Maschinenbaues noch nicht genügend geweckt, so

offenen Blick er für die grundsätzlichen Fragen der Technik schon ge­ zeigt hatte.

Er betrachtete deshalb die Maschinen anfangs vornehm­

lich nach ihrer physikalischen Wirkungsweise, wiewohl ihn sein reges wirtschaftliches Empfinden bald auch zur Würdigung wichtiger Ein­

zelheiten führte.

Die Art seiner-Einwirkung hier erklärt sich aus der

damaligen Lage der Starkstromtechnik im allgemeinen und in der

Firma im besonderen. Don Beginn der Starkstromtechnik an bestand der Streit zwischen Gleichstrom und Wechselstrom. Die Bogenlampen wie die Glühlampen waren mit beiden Sttomarten fast gleich gut zu betreiben.

Soweit

nur die Beleuchtung in Frage kam, konnte der Wechselstrom bessere Aussicht auf Erfolg haben, da größere Gleichstrommaschinen mit ihrem Bürsienfeuer vielfach berechtigtes Bedenken erregten.

Deshalb

waren auch bei Siemens & Halske Wechselstrommaschinen ausge­ bildet und für die damaligen noch kleinen Lichtanlagen häufig be­ nutzt.

Ihre Eigenschaft, leicht auch höhere Spannung entwickeln zu

können, wurde als Vorzug noch kaum geschätzt, denn er hätte doch

nur für Außenbeleuchtung nutzbar werden können.

Der Wechsel­

strom besaß aber noch keinen Motor, der dem Gleichstrommotor

auch nur entfernt ebenbürtig gewesen wäre.

Der Synchronmotor

ging nicht unter Last an und war in der Geschwindigkeit nicht regel­

bar, bedurfte auch der Erregung durch Gleichstrom und war in Bau und Betrieb dem beliebten Gasmotor kaum überlegen.

Der Reihen­

schlußmotor für Wechselstrom ist erst nach Jahrzehnten brauchbar

geworden.

Unter diesen Umständen schien für Zentralen zunächst

nur der Gleichstrom geeignet.

Edison, der seinen Ansichten ein er­

hebliches Gewicht zu geben verstanden hatte, war überhaupt gegen

den Wechselstrom.

In der ersten Hälfte der 8oer Jahre bereiteten

sich aber für beide Stromarten Fortschritte vor, die den Gleichstrom beträchtlich stützten, den Wechselstrom aber eigentlich erst lebensfähig machten.

Jener wurde durch den Akkumulator, dieser durch den

Transformator bereichert.

Beide Geräte waren ihrem physikalischen

Wesen nach schon längst bekannt, erfuhren nun aber ihre Übersetzung

ins Große für technische Zwecke, der Akkumulator durch Faure, der

Transformator gleichzeitig durch verschiedene Elektriker, unter denen namentlich Gaulard und Gibbs in England und dann in entscheiden­ der Weise Dsri, Zipernowsky und Blathy von der Firma Ganz & Co. in Budapest hervortraten. Der Akkumulator zum Aufspeichern elektri­ scher Energie in chemischer Form wurde als vortreffliches Hilfsmittel

für den Zentralenbetrieb begrüßt, da er ihn von den Schwankungen des Verbrauches unabhängig machte, einen Rückhalt bei Störungen

der Maschine gab und deren damals mehr als jetzt zu fürchtende

Überlastung verminderte.

Von sonstigen Hoffnungen, die der Ak­

kumulator bei seinem Erscheinen erregte, ist wenig in Erfüllung ge­ gangen.

Der Transformator mit geschlossenem Eisenkreise eröffnete

für den Wechselstrom ganz neue Möglichkeiten, er erlaubte in wirt­

schaftlichster Weise die

Zentralenspannung ganz unabhängig von

der Gebrauchspannung zu wählen, lediglich unter Zwischenschalten

eines ruhenden bewickelten Eisenkörpers, und genügte damit dem Wunsche, den Querschnitt der Hauptleitungen zu verringern und doch

die Verbrauchskörper mit niedrigerer Spannung zu speisen.

Auch

die am besten durch den Transformator ermöglichte wirtschaftliche Übertragung der eleftrischen Leistung über große Strecken tauchte

als Zukunftsbild auf.

Die beiden neuen Geräte waren um die Zeit verwendungs-

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fähig geworden, als Wilhelm Siemens in die Leitung der Firma eingetreten war.

Während der Akkumulator von da an eine ver­

hältnismäßig ruhige Entwicklung nahm, entfesselte der Transfor­

mator einen um so lebhafteren Streit der Meinungen.

Die Vertreter des Wechselstromes wollten nunmehr schon, noch ehe der vielgesuchte Wechselstrommotor vorhanden war, ihr System

für Zentralen verwerten, konnten aber dem Gleichströme wegen dieses Mangels noch nicht die Spitze bieten.

Bei Siemens & Halske war

im allgemeinen der Wechselstrom im Hinblicke auf die Kraftüber­ tragung und besonders auf die kommenden Straßenbahnen nicht

beliebt.

Werner Siemens selbst schrieb mit Recht dem Gleichströme

in seiner allgemeinen Verwendbarkeit den Vorzug für Zentralen zu.

Von den verwickelt gewördenen Verhältnissen des Hauses und der ausländischen Zweige stark in Anspruch genommen und, soweit es

ging, daneben seinen wissenschaftlichen Arbeiten nachgehend, die sich jetzt auf ganz andere Gegenstände bezogen, scheint er sonst dem Wechsel­

ströme nur abwartend gegenübergestanden zu haben, so nahe seine Verbindung mit ihm schon in der ersten Schwachstromzeit gewesen

war.

Die anderen Kräfte der Firma beschräntte in ihrer Voraussicht

wohl die Schwierigkeit, sich in das gegen früher sehr erweiterte Ge­ biet des Wechselstromes einzuleben.

Der einzige im Hause, der die

Tragweite der neuen Erscheinung würdigte, scheint Wilhelm Siemens

gewesen zu sein. Sie fiel ja auch ganz zusammen mit seinen eigenen Ideen, die er in seinem ersten Vortrage über Glühlichtbeleuchtung wenigstens in ihrer Grundlage angedeutet hatte, nicht ahnend, daß

man schon anderweitig beschäftigt war, sie praftisch zu verwirklichen. So fühlte er gleich die Wichtigkeit des Transformators, war aber

auch von der

Notwendigkeit des Wechselstrommotors

überzeugt,

wenn in geeigneten Fällen die Vorzüge der Stromart für Zentralen nutzbar gemacht werden sollten.

Er versuchte seit 1885 selbst, die

Lücke auszufüllen, und ließ durch jüngere Kräfte im Laufe der folgen­ den Jahre mehrere Entwürfe von sich durcharbeiten.

Er hatte damit

allerdings so wenig Glück wie manche andere, die demselben Ziele nachgingen, und das war auch verständlich, denn die Eigenheiten

des Wechselstroms begannen sich damals erst in Studium und Ver­

such zu enthüllen. War so den Bemühungen auch kein unmittelbarer

Erfolg beschieden, so hatten sie doch eine bedeutsame Folge für die Firma.

Sie fanden keineswegs den Beifall der oberen Beamten,

und die mit ihrer Durchführung Betrauten bekamen manchmal die

geringe Achtung zu fühlen, die ihren Arbeiten gezollt wurde.

Aber

der Wechselstrom wurde damit überhaupt in der Firma heimisch und gegenüber der Abneigung der zur Fortbildung des Starkstromes

Berufenen war es das alleinige Verdienst von Wllhelm Siemens, daß die Firma nicht in der Entwicklung der Richtung zurückblieb,

deren Berechtigung schon nach wenigen Jahre» die Zweifler aner­ kennen mußten.

Aus dem jüngeren Nachwüchse der Angestellten

bildete sich ein Kreis, der in den nächsten Jahren befähigt war, die

Ausbildung der Wechselstromgeräte selbständig in die Hand zu nehmen. Unter den bei den damaligen, noch mit wenig Vertrauen betrachteten

Arbeiten Beschäftigten hat sich besonders Hans Görges einen Namen gemacht, der lange Jahre die Wechselstromtechnik der Firma geführt hat und als einer der ersten in Deutschland sich durch Anwendung

des Vettordiagrammes um die Aufhellung der verwickelten Er­

scheinungen des Wechselstromes verdient machte. Die Heranbildung geeigneter Kräfte für die Starkstromtechnik

ist überhaupt bei Siemens & Halske eigentümlichen Schwierigkeiten

begegnet.

Die in den 8oer Jahren noch maßgebenden Beamten

stammten aus der Schule des Schwachstromes und konnten mit Stolz

auf die Leistungen der Firma blicken, an denen sie betelligt waren. Die Maschinenbaukunst mit ihrer Forderung nach wirtschaftlicher Ver­

wendung der Baustoffe, nach Festigkeit, Zuverlässigkeit im Betriebe und raumsparender, geschmackvoller Form, die einen Ausdruck für

die nach allen Seiten zweckmäßige Lösung der Aufgabe bildet, war ihnen ziemlich fremd, sie mußten sich erst daran gewöhnen, mit größe­

ren Massen und Kräften umzugehen. cs noch nicht.

Elettromaschinenbauer gab

Als hinreichende Grundlage für den Bau von Ma­

schinen galt fast allein die Kenntnis der elektrischen Vorgänge, die

Durchblldung des mechanischen Telles erschien nebensächlicher Art.

Die Überzeugung von dem organischen Zusammenhänge beider Seiten

war noch nicht entwickelt. So entstand vielfach der Unterschied zwischen Rechner und Zeichner, die nebeneinander unter Vorherrschaft des ersteren die Maschinen in die Welt setzten. Werner Siemens selbst

hatte nach den zahlreichen Proben seiner Gestattungskunst an de«

Schwachstromgeräte bei den Kabellegungen auch sein Geschick in der

Beherrschung von Krastwirkungen gezeigt und gab mit einer noch jetzt vorhandenen, nach seinen eigenen Angaben gebauten Dynamo­ maschine aus dem Anfänge der 70er Jahre wieder die Kunde, die früher schon sein Doppel-T-Anker andeutete, wie rege in ihm das Gefühl für zweckmäßige Formgebung nach Art der Aufgabe war.

Eine verständnisvolle Wetterführung der Bauart hätte für die Firma die zeitweise Benutzung der Edison-Form unnötig gemacht.

Weiter­

hin hat sich Werner Siemens nicht mit der maschinentechnischen Ent­

wicklung der Dynamomaschine befaßt.

Er wandte, noch in den 80er

Jahren, seine Aufmerksamkeit eigenartigen neuen Formen zu, deren

praktische Durchbildung ihm erst in zwetter Linie kommen mußte. Zur Erklärung des noch mangelhaften Zustandes im Dynamoba«

muß freilich auch bedacht werden, daß die von Werner Siemens geschaffene Grundlage für den zweckmäßigen Aufbau der elektrische«

Maschinen, die Auffassung des magnetischen Widerstandes und der

magnetomotorischen Kraft, noch einige Jahre bis zur richtigen Ver­

wendung bedurfte und auch das Wesen der Stromwendung am Kommutator der Gleichstrommaschine noch fast gar nicht ergründet

war.

Unter diesen Umständen waren das dunkle Gefühl und einige

zweifelhafte Vergleichswerte die einzigen Richtweiser bei den Ent­

würfen, und man muß das natürliche technische Geschick der Urheber neuer Entwürfe bewundern, das mit so geringen Mitteln immerhin brauchbare Maschinen zustande brachte und den Sprung zu höheren

Leistungen, wie er in der l-Maschine mit Ringanker verwirklicht wurde, mit Erfolg wagen konnte.

Wilhelm Siemens hat auch erst allmählich die Maschine als einheitliches Gebilde mit organischem Zusammenstimmen aller Einzel­

heiten betrachten gelernt.

Seine physikalische Schulung führte seinen

Trieb zum Gestalten anfangs nur auf die Anordnung in ihren Grund­ zügen. Indessen lasse» verschiedene Vorgänge aus der Zeit erkennen,

wie empfänglich seine Auffassung für den Wert zweckmäßiger Aus­ gestaltung war.

So wurde versuchsweise eine Dynamomaschine mit

umlaufenden Jnnenmagneten und feststehendem Außenanker aus­

geführt, wahrscheinlich von Werner Siemens angegeben, nachweislich

aber unter Mitwirkung von Wilhelm, deren sich dieser Jahrzehnte

darauf besonders deshalb erinnerte, weil sie die Ausführungsart

der Wicklung benutzte, die nachher unter dem Namen Schablonen­ wicklung herrschend geworden ist. Wilhelms Blick für die Formgebung

der Maschinen mußte sich dann um so sicherer schärfen, als er wie sein Vater den Hauptwert des Starkstromes im Motorbetriebe sah

und der gedrungene Bau des Motors Voraussetzung für seine An­ passungsfähigkeit an die verschiedenartigen Verwendungsweisen ist. Auf diesen Gesichtspunkt leiteten schon die Bemühungen von Werner

Siemens hin, dem Elektromotor außer den Bahnen auch andere

besonders geeignete Anwendungsgebiete zu erschließen, so die Hebe­ zeuge.

Die um 1890 aufkommenden Drehstrommotoren zogen auch

deshalb gleich die Teilnahme Wilhelms an, weil, wie er sagte, ihr Bau von vornherein das Kennzeichen der Raumersparnis und der

Abgeschlossenheit trug. Von allen Arten der Kraftübertragung hat Wilhelm immer

der Bahnbetrieb am meisten gefesselt.

Die viel größere Unterneh­

mungslust für elektrische Bahnen in Amerika, die er kennengelernt

hatte, mögen seinen Blick dafür noch mehr geschärft haben, er dachte

auch nicht nur an die Straßenbahnen. Seine Zukunstgedanken dar­ über trafen zusammen mit der Überzeugung von dem Werte des

Transformators für die wirtschaftliche Übertragung, sie verdichteten sich 1886 zu dem der Entwicklung weit vorgreifenden Vorschläge einer Wechselstrombahn, bei der hochgespannter Strom unmittelbar

dem Fahrzeuge zugeführt und hier durch einen Transformator auf

eine für den Motor zulässige Spannung herabgesetzt wird.

Schon

das Fehlen eines geeigneten Motors machte den Vorschlag vorläufig nicht ausführbar, sein Urheber hatte aber die Genugtuung, ihn nach vielen Jahren verwirklichen zu können, nachdem das elettrische Bahn­

wesen zur Aufnahme reif geworden war.

Eine Zwischenstufe zu dem

Ziele waren Versuche im Jahre 1892 auf dem Gelände des Char­

lottenburger Werkes, um die Eignung des vor kurzem entstandenen Drehstrommotors für den Bahnbetrieb zu erproben.

Andere, wie

der erste in Patentanmeldungen niedergelegte Vorschläge für die Einrichtung elektrischer Bahnen bezogen sich weniger auf grund­ sätzliche Neuerungen als auf die Ausgestaltung anderweitig bekannt-

gewordener Bestrebungen.

In der Schule des Hauses und bei Wil­

helms eigenem frühzeitig bekundeten Triebe, die wirtschaftlichen Zu­

sammenhänge zu erfassen, mußten sich gerade die Anlagen im Ganzen nachdrücklich in seinen Gesichtskreis drängen, und neben den Bahnen forderten deshalb die Stromverteilungsysteme immer wieder sein Nachdenken heraus, wie schon das Dreileitersystem aus i88z be­ kundete.

Gegen die damalige Stimmung im Hause berücksichtigte

er aber beide Stromarten ohne Voreingenommenheit.

Der nächste

seiner Entwürfe in dieser Richtung aus 1885 betraf sogar die Ver­

teilung von Wechselstrom mit Hilfe der jungen Transformatoren und hatte im wesentlichen Ausgleichleilungen bei unterteilten An­ lagen zum Inhalt, die in Verbindung mit Widerständen das Regeln

der Spannung an den Lampenleitungen erleichtern sollten.

Der

spätere Vorschlag für Gleichstromnetze aus 1888 bezog sich auf die

Anordnung von Sammlerbatterien in Zusammenschaltung mit Regel­ widerständen, ebenfalls zu dem Zwecke, die Gleichmäßigkeit der Ver­

brauchsspannung zu sichern.

Bemerkenswert für die gleichmäßige

Beachtung, die Wilhelm den Stromarten für Zentralen schenkte,

war auch sein Vortrag im Elektrotechnischen Vereine 1888, der sich

von der damals üblichen Einseitigkeit und Heftigkeit in dem Kampfe zwischen Gleichstrom und Wechselstrom wohltuend abhob.

In dem

Vortrage kamen die verschiedensten technischen und wirtschaftlichen Fragen zur Erörterung, der Bau von Zentralen durch die Stadt

selbst oder durch besondere Gesellschaften, die Vorzüge des Drei­ leitersystemes für Gleichstrom einerseits, die des Wechselstromes mit

Transformatoren andrerseits, die vermeintlichen Gefahren des Wech­ selstromes für Leben und Gesundheit, zu deren Verminderung die

obenerwähnte Netzanlage mit Ausgleichleitungen mit dienen sollte.

Das Fehlen eines guten Wechselstrommotors brachte den Redner

zwar zur schließlichen Bevorzugung des Gleichstromsystemes, doch war das Urteil hauptsächlich durch den letzten Punkt bestimmt, während sonst dem Gleichströme wie dem Wechselströme ihre eigentümlichen Vor­ züge zuerkannt wurden und die Wahl zwischen ihnen von den je-

welligen Umständen abhängig sein müßte. — Neben solchen, die An­ lagen im großen betrachtenden Erwägungen ging indessen bei Wühelm

Siemens immer die Neigung nebenher, wie bei seinem Vater, die

Emzelglieder für die Bestimmung des Ganzen passend auszubilden.

Es sprach sich darin am deutlichsten die Liebe zur technischen Kunst

überhaupt aus, die gerade in dem vielfachen Schaffen zweckmäßiger und mehr dem eigenen Wollen unterworfener Einzelstücke eine ge­

wisse Beftiedigung zu finden pflegt.

Dahin gehörten die schon er­

wähnte Schmelzsicherung und die Versuche mit Wechselstrommotoren,

ein weiteres Beispiel aus der Zeit war ein eigentümliches elektrisches Gerät zum Messen veränderlicher physikalischer Größen, das auch zur Überwachung und selbsttätigen Regelung der Spannung in Zen­

tralen Dienst geleistet hat, wenn es in der folgenden Entwicklung

auch seine Bedeutung verlor. Anteil an den technischen Schwachstromarbeiten scheint Wilhelm

in den 8oer Jahren gar nicht genommen zu haben.

Er spricht zwar

in einer Notiz aus 1886 von wichtigen Fragen betreffend Telephon,

Mikrophon und Telegraphenkabel, die er aber wohl nur vom Stand­ punkte der Verwaltung und des Betriebes behandelt hat.

Die ge­

schäftlichen Aufgaben haben neben den technischen überhaupt einen breiten, im ganzen sogar überwiegenden Raum eingenommen, im

damaligen Leben Wilhelms wie im späteren, und man darf wohl

sagen, daß die technische Betätigung ihm ein Bedürfnis war zur Erholung von den Arbeiten, die er gegen seine eigentliche Neigung pflichtmäßig übernahm, aber mit unbeirrbarer Gewissenhaftigkeit

durchgeführt

hat.

Es ist auch anzunehmen, daß er ohne Be­

schränkung auf bestimmte Gebiete an allen Geschäften teilnahm,

die er für wichtig hielt oder die ihm der Vater zur eigenen Entlastung übergab.

Bei dem innigen Verhältnisse zwischen beiden konnte eine

Zurückhaltung um so weniger bestehen, als ja der Vater durch seine

Söhne überflüssig gemacht zu werden hoffte.

In unbegrenzter Hin­

gabe hat denn auch Wilhelm Siemens seines Amtes gewaltet und sich nur das Bedenken des Vaters wegen seines Übereifers zuge­

zogen.

„Willy ist wie ein russischer Gaul, der immer zurückgehalten

werden muß.

Das ist insofern bedenklich, als die Last der jetzt so

schwierigen Geschästsleitung zu plötzlich auf seine Schultern gefallen

ist," hieß es in einem Briefe nach London. Die Bedenken waren wohl

berechtigt, denn die Gesundheit hielt der Anstrengung nicht stand. Im Juli 1886 trat wieder die störende Krankheit auf und machte

einen viermonatigen neuen Aufenthalt in Falkenstein nötig.

Dies­

mal konnte ihn Wilhelm mit Frau und Kind verleben und scheint in anregendem Umgänge wenig durch das Übel, nur durch das ge­

zwungene Ausspannen bedrückt gewesen zu sein. Um so bekümmerter war der Vater.

Er hatte in den früheren Fällen immer feste Zu­

versicht auf Genesung gezeigt, der neue Anfall knickte aber seine besten

Hoffnungen, die er auf den nun schon erprobten Nachfolger hatte

setzen dürfe«.

„Da Willy wohl dauernd flügellahm bleiben wird,

so muß sein künftiges Arbeitsfeld eingeengt werden."

Dazu hat es

Wilhelm selbst nicht kommen lassen, er hat noch vor Schluß des Jahres die schwierigen und unerquicklichen Verhandlungen mit der Deutschen Edison-Gesellschast übernommen und bis zum Abschlüsse des neuen

Vertrages geleitet, er hat danach noch eine lebhafte Werbetätigkeit

für städtische Zentralen entfaltet, der er sich in den folgenden Jahre« häufig unterzog, und um diese Zeit sogar mit Robert v. Helmholtz eine rein wissenschaftliche Arbeit über Strahlung mit dem damals noch neuen Bolometer durchgeführt.

Wilhelm wird daran aus all­

gemeiner Wißbegier teilgenommen haben.

Vielleicht bürdete er sich

so viel auf als Prüfung für seine gefestigte Gesundheit. — Seit dem Sommer 1886 hat WUhelm auch wieder, anscheinend auf Anregung

seiner jungen Frau, tagebuchartige Aufzeichnungen geschrieben und hat sie von da an nicht wieder aufgegeben. Sie bilden kein Tagebuch

mehr im strengen Sinne, weil sie aus zusammenfassenden Berichten

über die wichtigsten Vorkommnisse nach längeren Pausen bestehen,

sind aber fortlaufend gehalten und in ihrer Art verschieden von den

früheren Tagebüchern.

Schon das nachträgliche Aufzeichnen schließt

die Wiedergabe von Augenblickstimmungev aus.

Der Schreiber ist

ganz in seiner Aufgabe aufgegangen, das Persönliche bezieht sich wenig

auf ihn selbst und nur äußerlich, es gilt seinem glücklichen Familien-

kreise und den Verwandten.

Im ganzen sind die Aufzeichnungen

schlicht berichtend, zurückhaltend im Urteile, nur manchmal erscheint

eine längere kritische Betrachtung über geschäftliche Zustände.

Daß

der Verfasser nicht auf glatten Pfaden wandelte, mit schwerer Mühe um die Firma belastet, von manchen Sorgen um das Wohl seiner Lieben bedrückt war, zeigt die Summe der Einzelheiten und wird

noch mittelbar bekräftigt durch einige gelegentliche Bemerkungen

über den freundlichen Verlauf kürzerer Zeitabschnitte.

Der Rahmen

der sachlichen Notizen schließt alle wichtigen politischen Vorgänge Wilhelm hat diese Aufzeichnungen fast bis zu seinem Tode fort­

ein.

geführt.

Sie waren ihm Bedürfnis, eingegeben von der historischen

Seite seiner Begabung, ein Erbteil von seinem Großvater Drumann, ein Zeichen für den Willen zum Begreifen der Geschehnisse in seinem engeren Kreise und im Großen, mit dem mehr oder weniger

bewußten Ziele aller Geschichte, Wegweisung für das Kommende zu finden. — Vielfache Ergänzung findet das Tagebuch in Heften

und zahlreichen Blättern mit technischen und wirtschaftlichen Ent­ würfen und Betrachtungen.

Die noch bestehende Lücke im Wechselströme, die Wilhelm in seinem Vorttage 1888 noch festsiellen mußte, sollte sich gleich danach

schließen. durch

Ferraris hatte 1885 allgemein das Verfahren angegeben,

phasenverschobene

Wechselströme

magnetische Drehfelder

zu

erzeugen, an die Möglichkeit der Benutzung für Motoren aber selbst nicht geglaubt, da er in der noch nicht überall verlassenen Vorstellung

des Wirkungsgrades der Übertragung von höchstens 50 v. H. be­ fangen war.

Der Gedanke, in einer Ankerwicklung durch das Dreh­

feld selbst Ströme zum Erzielen eines Drehmomentes zu erzeugen,

ist danach unabhängig von verschiedenen Seiten ausgenommen wor­

den, mit dem besten Erfolge durch v. Dolivo-Dobrowolsky, damals Ingenieur der AEG., und zwar eigentümlicherweise durch Betrach­

tung der Vorgänge an einem Gleichstrommotor in Bremsschaltung unter Kurzschluß der Ankerwicklung. Dobrowolsky hat das besondere

Verdienst, durch planmäßige Untersuchung die verkettete Dreiphasen­ schaltung als einfachste unter den sonst möglichen gefunden zu haben. Oer Betrieb von Lampen mit einfachem Wechselströme zwischen je zwei Phasen ergab sich von selbst, die notwendigen drei Leitungen

für die Netze begegneten nach dem Vorgänge des Dreileitersystemes Mr Gleichstrom geringen Bedenken, der Wechselstrom im allgemeinen

hatte sein schwerstes Hemmnis überwunden.

Der Drehstrommotor,

sowohl in seiner bestechenden einfachsten Form mit Kurzschlußanker

wie in der verwickelteren mit Phasenanker hat nicht alle anfänglichen Hoffnungen erfüllt, da er in wirtschaftlicher Regelbarkeit dem Gleich­

strommotor unterlegen ist.

Doch empfahl er fich besonders durch

93

Wegfall des Kommutators für die immer noch nicht genügend be­

herrschte Stromwendung so sehr, daß der bei Siemens & Halske durch H. Görges in der Zeit erfundene Drehstromkollektormotor mit überlegenen Regeleigenschaften von dem Erfinder selbst nicht als ausfichtsvoll angesehen wurde.

Seinen ersten Triumph feierte der

Drehstrommotor und das Drehstromsystem überhaupt auf der Elektri­

schen Ausstellung in Frankfurt a. M. 1891, der von Lauffen am Neckar über 175 km durch dünne Leitungen hochgespannter Dreh­

strom zugeführt und hier nach dem Durchgänge durch den Trans­ formator mit niedriger Spannung zur Beleuchtung und zum Be­

triebe eines Drehstrommotors mit gutem Wirkungsgrade benutzt wurde. — Der Drehstrommotor hat viel dazu beigetragen, dem Elektromotor überhaupt seinen Platz zu erkämpfe».

Der immer noch

lebhafte Widerstand gegen ihn machte sich gerade in der Zeit noch durch Vorschläge bemerkbar, die heute sonderbar anmuten, aber durch Techniker von Ruf verfochten wurden.

Man wollte lieber die Lei­

stungsverteilung durch Druckluft oder durch Druckwasser vornehmen und auf dieser Grundlage sowohl Motorbetrieb für sich wie für elektri­ sche Beleuchtung herstellen.

Diese letzten heftigen Ausläufer des

Widerstandes gegen den noch nicht verstandenen Elektromotor zer­

rannen von selbst.

Mit dem Beginn der 90er Jahre war der Weg

für die elektrische Übertragung entschieden.

Für welche Stromart

die Umstände oder die perstnliche Vorliebe sprechen mochten, immer bestand die Möglichkeit, mit Hilfe der Elektrizität von Zentralen aus die Versorgung mit Licht und mit mechanischer Leistung wirtschaftlich

und in einer für die Verwendung überlegenen Weise zu bewirken,

ganz abgesehen von der Möglichkeit der Fernübertragung, für die eben der überzeugende Beweis geführt war. Wie die elektrische Lampe

dem Elektromotor vorgearbeitet hatte, so konnte dieser jetzt den Dienst vergelten, denn seine Vorzüge verschafften dem Starkströme neue Freunde, als die Gasanstalten mit dem Erfolge des Auer-Glühlichtes die Aussichten der elektrischen Zentralen vorübergehend ver­

minderten. Wilhelm Siemens hatte den Wechselstrommotor auf ganz andern

Wegen zu verwirklichen gesucht, und er konnte sich zunächst nicht schnell

in das Wesen des Drehstrommotors hineinfinden.

Er war aber un-

befangen genug, den bedeutenden Fortschritt ju fühlen, und wie er

seit Jahren den Wechselstrom an seinem Teile gefördert hatte, so sorgte er jetzt gleich dafür, daß dem neuen Motor die gebührende

Aufmerksamkeit geschenkt und die gesteigerten Aussichten für den

Wechselstrom durch gründliches Weiterarbeiten in der gegebenen Rich­

tung unterstützt wurden. Die großen Veränderungen, die der Starkstrom während der

8oer Jahre verursachte, prägten sich räumlich für die Berliner Firma

in dem Anwachsen des Charlottenburger Werkes aus.

Seit 1884

zunächst mit der Herstellung der Edison-Maschinen beschäftigt, nahm es seit 1887 den gesamten Elektromaschinenbau einschließlich der Bogenlampen auf und wurde die Geschäftstelle für den Starkstrom

überhaupt.

Nur für die Glühlampenerzeugung wurde noch 1888 auf

dem Hintergelände der Markgrafensiraße ein neues eigenes Gebäude errichtet, dagegen war 1886 die Kabelabteilung ebenfalls in die Räume

des Charlottenburger Werkes verlegt. Im Berliner Werk verblieben

die Schwachstromabtellungen mit den Meßgeräten, die Blockabteilung und die Geschäftstellen für elektrische Bahnen, hier entwickelte sich auch allmählich die Abteilung für Elektrochemie.

Die dem Char­

lottenburger Werke benachbarten Gebrüder Siemens & Co. hatten

sich nur auf ihrer alten Stelle weiter auszudehnen, um dem steigenden Bedarfe an Lampenkohlen zu genügen.

Diese Verteilung der Ar-

beitstätten blieb trotz steigenden Platzmangels bis zum Ende der yoer Jahre im wesentlichen unverändert.

Die neuen Aufgaben fanden ihr Abbild in der inneren Ordnung

der Firma. Für die geschäftliche Behandlung der Starkstromanlagen

war eine neue Abteilung unter I. Lent errichtet, der bis dahin im

Petersburger Hause tätig gewesen war. Ihr schloß sich die Abteilung für elektrische Bahnen an, deren 1885 bei der Firma eingetretener

Leiter H. Schwieger für die nächsten Jahre aber noch seinen Sitz in

Wien hatte und dort umfangreiche Entwürfe für die Straßenbahn bearbeitete.

Die allgemeine Leitung des Berliner Werkes lag noch

in der Hand von Karl Frischen, der Chef-Konstrukteur v. HefnerAlteneck siedelte mit den Starkstromabteilungen nach dem Char­

lottenburger Werke über.

Diese beiden ältesten Mitarbeiter verlor

die Firma aber schon 1890.

Frischen starb, v. Hefner-Alteneck trat

aus, weil ihm seine Stellung in der Firma nicht genügte.

Immer

in seine Neuschöpfungen vertieft, war er unwillkürlich mehr und mehr geneigt, in ihnen den Schwerpuntt der Firma zu erblicken und

anderen Richtungen, wie jetzt dem aufsteigenden Wechselströme, nicht

genügenden Raum jv geben.

Werner Siemens hatte schon früher

in den beiden obenerwähnten Briefen an

ihn diese mit dem Wohle

der Firma nicht vereinbarte Eigenart in freundlichster Weise gekenn­

zeichnet. Bei anderer Gelegenheit schrieb er über ihn: „Künstler haben immer ihre Schrullen und Schwächen, mit denen man sich abfinden muß." Nun, bei dem in Aussicht stehenden Ausscheiden des Meisters, mochte sich v. Hefner-Alteneck als dessen eigentlicher geistiger Erbe

fühlen und sah in der Aufnahme als Mitinhaber der Firma den berechtigten Lohn für seine Leistungen.

Das war aber in der tat­

sächlichen Entwicklung nicht begründet und widersprach

lieferung in der Familie.

der Über­

Ohnehin wäre ein Zusammenarbeiten

mit Wllhelm Siemens bei der Verschiedenheit der Auffassungen und

Ziele auf die Dauer kaum möglich gewesen.

Doch haben die beiden

Herren nachher immer in freundlichem Verkehr gestanden, und als Gast im Hause Wilhelms ist v. Hefner-Alteneck 1904 einem Schlag­ anfalle erlegen.

Die Steigerung des Umsatzes des Berliner Hauses, der 1880

die Höhe von rund 7 Mill. M. erreichte, machte zwar in den nächsten Jahren einer Verminderung Platz, setzte aber seit 1885 mitumso größerer Beschleunigung wieder ein und erreichte 1890 eine Spitze von mehr

als 20 Mill. M., in denen allerdings das gute Erträgnis des erstarkten Wiener Werkes eingeschlossen war. Das Sinken nach 1880 hatte seinen

wesentlichen Grund in dem schnellen Abfall der Telegraphenkabel für die Reichspost, die ihren größten Bedarf gedeckt hatte, während andererseits die Beträge für Dynamos und Zubehör und für Stark­

stromkabel noch keinen genügenden Ersatz boten und Glühlampen

noch gar nicht und dann nur unbeträchtlich mitwirtten. Das änderte sich in der Mitte des Jahrzehntes, als die Lichtanlagen sich mehrten,

für alle Starkstrombedürfnisse, und in der Spitze von 1890 zeigten

die Lieferungen für die großen Zentralen in Berlin ihren Einfluß. Je ein Drittel des ganzen Betrages etwa entfielen auf die Maschinen

und die Kabel, die Glühlampen erreichten schon mehr als 1 Mill. M.

Die Telegraphen im engeren Sinne, die früheren Haupterzeugnisse, waren aber in ihrer Bedeutung für den ganzen Umsatz auf einen sehr

bescheidenen Stand zurückgegangen und wurden von dem Telephon­ gerät mit mehr als i Mill.M. erheblich übertroffen. Die Blockapparate

kamen verhältnismäßig noch wenig in Betracht, die Wassermesser hatten seit Jahren ihren um etwa 0,4 Mill. M. schwankenden Absatzwert

behauptet.

Der Starkstrom war das breiteste Gebiet der Firma

geworden. Dem Umsätze entsprechend stiegen

die

Belegschaftziffern

der

Werkstätten von etwa 600 in 1880 auf 3000 in 1890, der Beamten­ stand von 75 auf fast 300 Köpfe.

Der Ausdehnung der Kundschaft

auf weitere Kreise und der Zunahme des Mitbewerbes war durch Ein­

setzen von Vertretern in den wichtigsten Gebieten Rechnung getragen, es bereitete sich aber schon der Ersatz der fteien Vertreter durch eigene

Technische Bureaux vor, von denen das erste 1889 in München er­

richtet wurde. Unter den Fortschrittarbeiten des Jahrzehntes, die vorläufig noch keinen erheblichen Umfang gewannen, aber in der Folge von

großer Bedeutung wurden, muß auch der Kommandoapparate für

das Seewesen und elektrochemischer Untersuchungen gedacht werden. Beide Ziele gab Werner Siemens selbst an die Hand.

Die elektrische

Zeichengebung auf Schiffen sah er in ihrer Bedeutung voraus, und seine Fürstcht hat sich später glänzend gerechtfertigt.

Die chemischen

Versuche bezogen sich auf die Herstellung und gewerbliche Benutzung

des Ozons, für das Werner Siemens schon 1857 das elektrische Ver­ fahren angegeben hatte, mit Vorliebe behandelte er dazu die Möglich­

keit der Bindung des Luftstickstoffes für biologische Zwecke und gab mit seinen ersten Versuchen von 1884 die Richtlinien für die Arbeiten

der Firma, die den Anteil an der Entstehung der so bedeutungsvoll gewordenen Stickstoffwerke bilden. Seine eigenen Arbeiten über Glühlampen konnte Wllhelm Sie­

mens noch vertiefen, als er in dem 1888 fertiggestellten Neubau

des Glühlampenwerkes in der Markgrafenstraße ein großes

La­

boratorium einrichtete, das mit allen Hilfsmitteln zur chemischen,

elektrischen und thermischen Untersuchung des Glühfadens versehen war. VH.

Das Ziel war, wie damals, den Glühfaden vor zu starker Zer-

Rot 1h, Wilhelm von Siemens.

97

stäubung zu schützen und die Wirtschaftlichkeit wie die Haltbarkeit

der Lampen möglichst zu erhöhen. Der Schutz des Kohlefadens aus Bambusfaser durch einen Überzug von Graphit oder von schwer schmelzbaren Metallen wurde in gründlicher Weise erprobt, parallel

damit gingen erfolgreich gewordene Versuche, den Bambusfaden

durch einen aus aufgelöster Zellulose gepreßten Faden zu ersetzen. Die eigene Mitarbeit an allen Untersuchungen, von der eine Reihe

von Laboratoriumshesten zeugt, hat Wilhelm zu einem genauen

Kenner des Sonderfaches gemacht und ihm nach Jahren noch die

richtigen Wege zu großen Erfolgen gewiesen. Weniger befriedigend für ihn selbst wie für die Firma waren in dem Jahrzehnt die Fortschritte im elektrischen Bahnwesen.

Mit

der ersten dem öffentlichen Verkehre dienenden Bahn von 1881 bei Lichterfelde, bei der wieder die Schienen für die Stromzuführung benutzt wurden, und der Bahn auf der Pariser Ausstellung, die als

erste Oberleitung erhielt, hatte die Firma Proben in wirklicher Größe gegeben, mit der Grubenbahn in dem Kohlenbezirk Zauckerode bot sie das erste Beispiel einer elettrischen Industriebahn. Aber die Teil­ nahme der beteiligten technischen Kreise blieb vorerst noch gering. Dabei muß freilich bedacht werden, daß die Frage der zweckmäßigen

Stromzuführung noch keineswegs gelöst war.

Die Zuleitung nur

durch die Schienen, die unterirdische Stromzuführung in Seiten­ kanälen und die bisher versuchte Oberleitung mit Kontaktschlitten

in geschlitzten Röhren oder mit Kontattwägelchen auf freiem Drahte gaben tells m technischer und teils in wirtschaftlicher Hlnsicht zu be­

rechtigten Bedenken Anlaß.

Man hielt noch eine innige, vielfache

Berührung des Stromabnehmers mit dem Stromzuleiter für er­

forderlich, und es ist lehrreich zu sehen, welche Erschwernisse diese jetzt

sonderbar erscheinende Vorstellung bei der Einführung der elektrischen Bahnen bereitet hat.

Erst als sich herausstellte, daß einfaches An­

legen eines federnden Kontaktstückes an den Fahrdraht die Strom­

überleitung genügend sicherte, hatte die elektrische Einrichtung die

Einfachheit und Anpassungsfähigkeit erlangt, die zunächst für die Straßenbahnen die Vorzüge vor anderen Betriebsarten zweifellos machte. Dann war immer noch das Vorurtell gegen die Oberleitung

zu überwinden, was in Amerika weniger Mühe machte als in Eu-

ropa.

Hier war stüher auch die Abneigung gegen die Schienen der

Pferdebahn in der Straßenfläche lange Zeit ein Hindernis gewesen. Erst 1891 entschloß sich Halle a. S. als erste deutsche Stadt, die Ober­

leitung in den Straßen anzunehmen, während bald danach Dresden auch den Gleitbügel von Siemens & Halske, der 1888 zuerst auf einer Strecke bei Berlin angewendet war, wegen der einfacheren Gestal­

tung der Oberleitung vorschrieb. Bei Siemens & Halske beschränkten sich die Bestrebungen von vornherein nicht auf die Straßenbahnen.

Nach Werner Siemens" Vorgänge und ganz im Sinne von Wilhelm Siemens faßte man ebenso den elektrischen Betrieb von Bahnen

mit eigenem Bahnkörper ins Auge, und der tatkräftige Schwieger bearbeitete Entwürfe für ganze Straßenbahnnetze wie für Hoch-

und Untergrundbahnen, wobei auch stetig auf die Verwirklichung der ersten Pläne für Berlin von Werner Siemens hingearbeitet wurde. Die Aussichten verbesserten sich allmählich, und namentlich fand Schwiegers Tätigkeit in Österreich einen empfänglichen Boden.

Im ganzen war aber das Jahrzehnt für die Firma im Bahnwesen noch die Zeit der Vorbereitung, die Ausführungen trugen mehr

das Kennzeichen von Pionierarbeiten als von Beispielen einer schon

gewohnten, fertig durchgebildeten technischen Form. Mit ihrem Anwachsen in den 80er Jahren ließ die Berliner Firma

die Tochterunternehmungen im Auslande weit hinter sich und blieb auch von da an in ihrem Ausmaße der unbestrittene Hauptkörper des Ganzen. Das englische Haus, das an Bedeutung eine Zeitlang fast das Übergewicht erlangte, hatte sich unter der Wirkung der glück­

lichen Kabelgeschäfie einseitig in dieser Richtung entwickelt, an der Werner Siemens

wegen der damit verbundenen reinen Finanz­

maßnahmen wenig Befriedigung fand.

Das Kabelwerk in Wool­

wich blühte, aber die anderen Zweige der Elektrotechnik wurden nicht

in dem von Berlin erwarteten Maße gepflegt. Der Starkstrom hatte ohnehin

in England

zu kämpfen,

mit größeren grundsätzlichen Schwierigkeiten

als in allen

anderen

Ländern,

eine altbewährte

Industrie sah eifersüchtig auf die keimende neue Technik, die den erworbenen Besitzstand zu gefährden schien.

Selbst gesetzliche Vor­

schriften über elettrische Anlagen erschwerten de» Fortschritt.

Von

Siemens Brothers geschah wenig, diesen Zustand zu wandeln. Selb­

ständige Arbeit für die elektrische Beleuchtung wurde noch nicht ge­

leistet.

William Siemens selbst war nur noch mit halbem Herzen

auf dem gemeinsamen Felde tätig, seine persönlichen Studien und die Förderung

seiner

eigenen

Unternehmungen

hüttentechnischen

nahmen seine Kraft in Anspruch, die Sorge um die ja gut arbeitende

elettrotechnische Firma überließ er fast ganz ihrem Geschäftsführer, einem früheren Beamten des Mutterhauses, der aber, wie leicht

erklärlich und von seinem Standpuntte aus selbst bis zu einem ge­ wissen Grade berechtigt, nur das Gedeihen seines engeren Pflichten­ gebietes im Auge hatte, es aber an Weitblick für die kommende all­

Er war auch der tätigste Ursächer

gemeine Entwicklung fehlen ließ.

für die äußerliche Trennung des englischen Hauses vom Mutter­

hause, die seit 1880 bestand. So lange William Siemens lebte, konnte

daraus keine vollständige sachliche Loslösung entstehen, nach seinem Tode 1883 traten aber die Bestrebungen dazu immer unverhüllter

hervor.

Die Abgrenzungen der Geschästsgebiete boten immer von

neuem Anlaß zu Zwistigkeiten zwischen den Geschäftstellen.

Den

beiden anderen Brüdern erwuchs daraus viel Verdruß, aber auch

schwere Sorge für ihre Gesamtunternehmungen.

England in seiner

Stellung auf dem Weltmärkte mußte für die Zukunft als zu wichtig

erscheinen, als daß man den sicheren Punkt dort leicht aufgeben konnte. Dem festen Willen der Brüder, ihn zu erhalten, verbunden mit großer

Mäßigung gegenüber den englischen Ansprüchen, war es zu verdanken,

daß

diese

Zweigniederlassung

in

dem

alten Rahmen

so unbestimmt zeitweise auch seine Grenzen waren.

verblieb,

Vielleicht hätte

sich auf die Dauer der Zusammenhalt doch nicht erreichen lassen, wenn nicht bald die Ereignisse die Schädlichkeit der kurzsichtigen, ein­

seitigen Einstellung in England auf das Kabelgeschäft erwiesen hätten. Das zeitweise verringerte Bedürfnis nach neuen Kabellinien und der gesteigerte Mitbewerb lähmten die Tätigkeit der englischen Firma für lange Jahre, sie mußte mühsam das vernachlässigte Gebiet mit

Hilfe des Mutterhauses ausbauen, und erst seit dieses 1900 durch Ankauf aller Besitzteile wieder ganz Herr der Lage geworden war,

konnten die Schäden der verfehlten Bewirtschaftung überwunden werden.

Einen ruhigeren und erfreulicheren Verlauf nahmen in der­

selben Zeit die Dinge in Rußland.

Karl hatte nach den stillen 70er

Jahren unternommen, auf die inzwischen entstandenen neuen Mög­ lichkeiten hin wieder ein frischeres Tun zu entfachen, indem er 1880

seinen Wohnsitz nach Petersburg zurückverlegte.

Der Personalsiand

dort war auf eine ganz bescheidene Kopfzahl zurückgegangen.

Die

Ebnung des Geländes durch Abstoßen früher eingeleiteter unfrucht­ barer Unternehmungen war Karls erste Sorge.

Als Neuschöpfung

folgte bald danach unter Verständigung mit der russischen Regierung

die Eröffnung eines Kabelwerkes.

Für Beleuchtungsanlagen war

zunächst der Bezug aller Einrichtungsstücke aus Berlin in Aussicht

genommen, erhöhte Zölle auf elettrotechnische Gegenstände veran­ laßten aber schon seit 1883 die eigene Herstellung von Maschinen und Lampen in Petersburg.

Bei der geringen Entwicklung der russischen

Gewerbetätigkeit konnte auf eine schnelle Ausbreitung der elettrischen Starkstromanlagen nicht gerechnet werden.

Die Beleuchtung des

Winterpalais, der 1887 die Begründung der Gesellschaft für elektri­

sche Beleuchtung der Stadt Petersburg folgte, war immerhin ein versprechender Anfang.

Dazu bot der jetzt erfolgende beschleunigte

Ausbau der russischen Bahnen ein dankbares Feld für die in Berlin ausgebildeten Blockapparate, die zu einem Hauptzweige des Peters­ burger Hauses wurden.

In stetiger Weiterentwicklung konnte es

seine Belegschaft bis zum Ende der 90er Jahre auf mehr als 1000

Köpfe steigern.

Eine größere Ausdehnung des russischen.Werkes

gegenüber dem entstehenden Mitbewerbe anderer Firmen wäre sehr

wohl möglich gewesen, wen» die Zentralstelle mehr Mittel in Ruß­ land hätte festlegen wollen, als ihr nach dem Gesamtpläne zweck­ mäßig erschien. Jedenfalls befriedigte die ruhige Aufwärtsbewegung

des Petersburger Unternehmens die Erwartungen, und unter der

Hand von Karl, der immer den festen Anschluß an das Mutterhaus zur Richtschnur nahm, blieben zum Nutzen beider Seiten verhäng­

nisvolle Reibungen wie mit dem Londoner Hause erspart. Die Überzeugung, daß zum aussichtvollen Arbeiten in einem

Lande unter den neuen Verhältnissen eine eigene Erzeugung dort nötig sei, weil andernfalls auf den Mitbewerb so gut wie verzichtet

werden müßte, führte, wie früher schon erwähnt, 1879 auch zur Wieder-

aufnahme der Pläne in Österreich, nachdem mehrere frühere, auf Telegraphen und Wassermesser hin unternommene Versuche ohne

Erfolg geblieben waren.

Die Einrichtung und während der ersten

zwei Jahre die Leitung der neuen Filiale übernahm Arnold, sein Nachfolger wurde vr.R.Fellinger. Die Schwierigkeiten waren anfangs

groß, so daß sogar nach 6 Jahren die Wiederaufgabe des Unterneh­ mens in Frage kam.

Der dann einsetzende Erfolg war vornehmlich

den Blockwerkeinrichtungen und den elektrischen Bahnen zu verdanken,

auf dem damit geschaffenen Untergründe hat später auch der Schwach­ strom eine breite Stelle gefunden. Die Wiener Firma hat nach Über­ winden der ersten Mühsal immer die erste Stellung unter den Elek­ trizitätsfirmen Österreichs eingenommen. Die Anlage einer Kabel­

fabrik in Floridsdorf bei Wien war ein sicheres Zeichen für die Er­

starkung.

Wie im Mutterhause waren die Absichten für elektrische

Bahnen auch in Wien von vornherein auf Bahnen mit selbständigem Bahnkörper gerichtet.

Den langjährigen Bemühungen Schwiegers

darin haben allerdings die Erfolge nicht entsprochen, wiewohl die in den 90er Jahren gebaute Unterpflasterbahn in Budapest das Vor­

bild für ähnliche wurde.

Dagegen gelang verhältnismäßig früh

die Elektrisierung der Straßenbahnen in Wien und Budapest. Die weitere Entwicklung des Siemens-Konzernes in Österreich und Ungarn

hat vollständig befriedigt, wozu das immer verständnisvoll gepflegte

enge Verhältnis zum Stammhause entscheidend beigetragen hat. Schon ein Jahr vor der Begründung der Wiener Filiale schienen aus der gleichen Überlegung die Aussichten auch für Frankreich günstig zu sein.

Dem Unternehmen war indessen kein Erfolg beschieden.

Die Leitung wurde dem Londoner Hause übertragen, das nicht der

Abneigung gegen deutsche Unternehmungen ausgesetzt war.

Den

damaligen Zielen in London lag diese Aufgabe aber ferner, auch

war die Wahl des französischen Vorstehers recht unglücklich, nach

fortwährenden Verlusten wurde die Fabrik in Paris 1885 wieder aufgelöst. Die Firma begnügte sich von da an mit einem Abkommen

mit der Elsässischen Maschinenbau-Gesellschaft in Mühlhausen, unter deren Leitung für gemeinsame Rechnung in Belfort Fabriken für elektrische Maschinen und für Kabel mit gutem Ergebnisse bis zum Ablaufe der Verträge betrieben wurden.

Während der zweiten Hälfte der 8oer Jahre war die Leitung

der Firma mehr und mehr in Arnolds und Wilhelms Hände über.gegangen.

Dieser im besonderen führte, wie bei den letzten Ver­

handlungen mit der AEG., in guter Gesundheit und Frische alle wichtigen Angelegenheiten, nur die unerfreulichen Auseinander­ setzungen mit dem Londoner Hause behandelten Werner und Karl

selbst als beste Kenner aller Einzelheiten.

Die Sinnesart Werners

seinen Söhnen gegenüber leuchtet aus einem Briefe an Karl vom 25. Dezember 1887: „

Es bleibt also Berlin, welches ich mir

immer als Erbsitz meiner Söhne vorgestellt habe. Ich bin ja so glück­ lich, zwei Söhne zu haben, die vollbefähigt sind und sich auch dazu

berufen fühlen, das Geschäft nach uns fortzuführen, und ein dritter Sohn scheint sich in derselben Richtung gut zu entwickeln.

Denen

will ich unter allen Umständen das Geschäft unter Verhältnissen über­ lassen, welche die Fortführung sicherstellen......

Ich will schon

jetzt anfangen, meinen Söhnen die Leitung ganz zu überlassen und selbst mehr Wissenschaft pp. treiben

Ich habe zu Gunsten

Ich habe übrigens unzählige Male

meiner Söhne testiert

mündlich und schriftlich erklärt, daß ich das Berliner Geschäft meinen

Söhnen überlassen wollte

Seit meine Söhne ganz im ge­

schäftlichen Joche sind, sind wir unser 3 mit unseren ganzen Kräften in der Geschäftsleitung tätig. Die Geschäfte, an denen ich außerdem

beteiligt bin, sind Kapitalbeteiligungen, die meine Zeit und Geistes­ kraft wenig beanspruchen Ich fühlte mich meinen Söhnen gegenüber dadurch geniert, daß ihre Arbeit nur Vs so hoch wie die meinige honoriert würde, und daher mein Vorschlag

Ich

will nur noch hinsichtlich der Kontraktfrage sagen, daß ich es für recht und billig halte, den Gewinnanteil meiner Söhne, die in dem so plötzlich groß gewordenen Geschäfte ihre ganze Arbeitskraft einzu­ setzen haben, auf .... zu erhöhen

"

Der alte Wunsch Werner Siemens', in den Söhnen fähige Fort­ führer seines Werkes zu erhalten, war nun in Erfüllung gegangen.

Am 1. Januar 1890 trat er förmlich von der Leitung zurück und behielt sich nur als Kommanditist das Recht der Mitwirkung nach

seinem Ermessen vor.

Inhaber der Firma wurden Karl Siemens

in Petersburg, Arnold und Wilhelm in Berlin.

Zeitung 6er Firma in Gemeinschaft mit Karl v. Siemens und Arnold v. Siemens. Wilhelm sah sein Verlangen nach einer großen verantwort­

lichen Tätigkeit verwirklicht.

Im Alter von 35 Jahren stand er an

der Spitze eines der größten Unternehmen von einzigartigem Rufe in der Welt.

Kaiser Friedrich in. hatte während seiner kurzen Re­

gierung Werner Siemens in den erblichen Adelstand erhoben, das

„Adel verpflichtet fand keine bessere Stätte als im Hause Siemens. Der Verantwortlichkeit, die er mit seiner bevorzugten Stellung im

Leben antrat, wird sich Wilhelm voll bewußt gewesen sein, ihre Weite

läßt sich aus der kurzen Schilderung des Zustandes der Firma er­

messen.

Ein Jahrzehnt lang hatte sich Wilhelm in strenger Arbeit

in seine Bestimmung eingelebt, allmählich hatte er die Last auf seine Schultern genommen, die förmliche Übernahme des Steuers be­ deutete für ihn kaum noch einen Unterschied gegen die letzten Jahre.

Zudem stand noch der Erbauer des stolzen Gebäudes nahe, der un­

erschöpften Geistes Anregungen und Ratschläge gab, dabei im vollsten Vertrauen zu der Tätigkeit der Nachfolger wie immer in seinem

Leben die edle Form fand, die des Beratenen Selbständigkeit nicht einschränkte und doch die eigene Mitwirkung zuließ.

Die folgenden

Stellen aus Briefen Werners an Karl sprechen für sich: 18.2.91: „

Auch weitere große Fragen liegen vor.

Willy

fehlt doch sehr. 16.12.91: „

Willy, der jetzt von einer Stadt zur andern

wandert, wird aber hoffentlich eine neue Zentralstation abschließen (wahrscheinlich Hamburg oder Bremen) und dann gibt es wieder

Arbeit für ein Weilchen 28.2.92: Aus Neapel „

" Wie Willy schreibt, geht es jetzt

mit der elektrischen Stadtbahn für Berlin recht munter vorwärts. Die von mir vorgeschlagene gemeinschaftliche Kommission aller be­

teiligten Behörden hat neulich so ziemlich alle unsere Vorschläge acceptiert. Es handelt sich jetzt um die Finanzfrage. Ich habe Willy geraten,

einfach eine Berliner Stadtbahn-Gesellschaft zu gründen

und damit zunächst die Deutsche Bank zu betrauen

" „

Eine

zweite fatale Sache ist in Berlin das Telegraphengesetz. Ich bin froh, nicht dort zu sein, aber der arme Willy sitzt jetzt tief drin zwischen

Stephan und dem eigenen Gewissen, welches nach Verkehrsfreiheit hinweist."

Wilhelm nahm jetzt seinen Sitz im Charlottenburger Werke. Seine bisherige Tätigkeit hatte fast ganz dem Starkströme gegolten, und er mußte erst hier für Festigung der Verhältnisse sorgen.

Die

Frage der Zentralen schien ihm praktisch noch wenig vorwärts ge­

kommen.

Außer v. Hefner-Alteneck war auch Lent, der Bearbeiter

der Zentralen, wegen Krankheit ausgeschieden.

hältnisse boten große Schwierigkeiten.

Die Personalver­

Viele geschäftliche Reisen in

schwebenden Verhandlungen über Zentralen mußte er selbst über­

nehmen.

Die Aussichten für das folgende Jahr waren weniger gün­

stig, dagegen verstärkten sie sich für die Übertragung mit Wechsel­ strom bei hoher Spannung, für deren Beachtung im Hause Wilhelm rechtzeitig gesorgt hatte.

In den Kreis seiner Pflichten bezog er auch

die Überwachung von Unternehmungen ein, an denen sich sein Vater

aus technischer Vorliebe mit bedeutenden Mitteln außerhalb des Rahmens der Firma beteiligt hatte.

Die gewichtigste davon war

das Röhrenwalzverfahren der Brüder Mannesmann, das nach der ersten überschwänglichen Aufnahme noch lange Zeit zum Ausreisen ge­

brauchte und für seine Förderer zunächst eine Quelle der Enttäuschung war.

Wilhelm besichtigte eingehend die Mannesmannwerke in Komotau in Böhmen und konnte noch keine günstige Meinung von dem zeitigen

Stande des Verfahrens gewinnen. Ebenso unbefriedigend erschienen ihm die Verhältnisse in Landore in England, wo in den Stahlanlagen seines verstorbenen Onkels das Verfahren ebenfalls betrieben wurde.

Wilhelms Arbeit in diesen Jahren war von den rein geschäft­

lichen Vorgängen so ganz in Anspruch genommen, daß er zu eigner technischer Betätigung fast gar nicht kam.

Nur eine seiner oben

erwähnten Patentanmeldungen auf Bahnsysteme fällt in das Jahr

1891, allerdings ist er wahrscheinlich (sichere Bestätigung ist nicht zu

erbringen) auch an einer Reihe anderer

desselben Jahres beteiligt gewesen.

Patentanmeldungen

Auf seinem Rittergute Biesdorf

bei Berlin, das ihm der Vater als Besitz überwiesen hatte, konnte

er sich nur spärliche Erholung gönnen. In diese, die ganze Kraft ver-

langende Zeit fiel doppelt ungünstig ein Unfall, der Wllhelms Leben in die größte Gefahr brachte.

Beim Durchgehen seines Einspänners

in Berlin tat er im Januar 1891 einen schweren Fall, der eine Ge­ hirnerschütterung mit Schädelbruch verursachte.

Der Unfall schien

sehr bedenklich, da auch eine viertelstündige Bewußtlosigkeit ein­ getreten war.

Der Vater war aufs tiefste erschreckt, er sah die ganze

Zukunst der Firma in Frage gestellt.

Glücklicherweise traten keine

bösen Folgen ein, und der Verletzte genas nach schwerem Kranken­

lager, auf dem er sich viele Wochen ganz ruhig verhalten mußte,

empfand sogar danach für längere Jahre eine bedeutende Milderung seiner Kopfpein, des „dummen Kopfes". Das Wesen eines Menschen bekundet sich am deutlichsten, wenn sich mit einer Krankheit der sonst

dem Verhalten angelegte Zwang mehr oder weniger lockert.

Die

damals Wilhelm pflegende Viktoria-Schwester, die noch heute ihren

selbstlosen Beruf ausübt, kann nicht genug die Geduld und zarte

Rücksicht des Kranken rühmen, seine steigende Teilnahme für alles, was ihren Beruf betraf, und sie erinnert sich noch mit Freude der

vielen langen Gespräche über dichterische und philosophische Werke, namentlich über Schopenhauer, die der Kranke nicht müde wurde, mit seiner gleichgestimmten Pflegerin zu führen. Auch nach der Wieder­

herstellung im Mai mußte er sich noch im Sommer zu einer vier­

wöchigen Nachkur an der See entschließen, so daß der Unfall im ganzen ein halbes Jahr völliger Enthaltung vom Berufe kostete.

Auch der Rest des Jahres nach Wiederaufnahme der regelmäßi­ gen Tätigkeit und das folgende Jahr müssen nach den Aufzeichnungen

in hohem Maße durch geschäftliche Reisen beansprucht gewesen sein, die durch Verhandlungen über Zentralen und Straßenbahnen ver­ anlaßt waren.

Der Einfluß der neuen mitbewerbenden elektrotechni­

schen Firmen

kam zur Geltung, unter denen die rührige Firma

Schuckert in Nürnberg sich besonders bemerkbar machte, aber auch

eine Anzahl kleinerer.

Der ganze Geschäftsbetrieb bei Siemens &

fyatäte hatte sich den veränderten Verkehrsbedingungen anzupassen, und Wilhelm ging als erster voran, den neuen Anforderungen ge­

recht zu werden, soviel lieber ihm sicher gewesen wäre, seine Zeit im Hause den rein technischen Fragen zu widmen.

Daß er auch diese

nicht aus dem Auge verlor, zeigen die Notizen über Versuche mit 106

Wechselstromübertragung und über das Parallelschalten von Wech­ selstrommaschinen.

Als weiterer Beweis für die Pflege des Wechsel­

stromes werden die erfolgreichen Versuche zur Anwendung des Dreh­ stromes für Bahnen vom August 1892 im Charlottenburger Werke

erwähnt.

Ein Vortrag Schwiegers im Verein Deutscher Ingenieure

über eine Berliner Hochbahn in demselben Jahre zeigte nach außen die Weiterbildung des alten Planes.

Im ganzen scheint die Zeit

recht unruhig und anstrengend gewesen zu sein.

Der Schluß des Jahres

1892 führte ein Ereignis herbei,

das in ganz Deutschland mit Trauer empfunden wurde: am 6. De­ zember starb Werner Siemens. Der Name des nach seinem Wunsche

in den Sielen abgeschiedenen Mannes war bis zuletzt überall im Ansehen gewachsen, er galt als die Verkörperung der wissenschaft­

lichen Technik überhaupt, die Fachkreise verehrten in ihm einen ihrer Größten. Ein eigentümliches Spiel des Zufalles war, daß der Elek­

triker Werner Siemens, der einzige, der die gesamte Elektrotechnik beherrschte, sich in jungen Jahren in die Öffentlichkeit eingeführt hatte mit einer Arbeit über eine Frage dec Wärmetechnik und aus

ihr schied mit einer ebensolchen.

Im September vor seinem Tode

gab er, angeregt durch die Choleraepidemie in Hamburg, ein einfaches

Gerät bekannt, mit dem Wasser zum Abtöten der Krankheitserreger ohne Verschwendung von Wärme auf die Siedetemperatur erhitzt

und wieder abgekühlt entlassen wurde.

Der Tod des berühmten

und verehrten Mannes machte auf alle Angehörige der Firma einen tiefen Eindruck.

Störungen im Hause hatte der Verstorbene selbst

durch seine Fürsorge verhindert. Mit dem Ausscheiden des Vaters trat für Wllhelm die Not­

wendigkeit ein, sich noch mehr um die Londoner Firma zu bekümmern.

Er war deshalb im Februar und März 1903 mit Arnold mehrere Wochen in England und besichtigte die Werke der Firma und im Anschlüsse daran das Stahlwerk Landore.

Was er bei Siemens

Brothers sah, hat ihn wohl wenig befriedigt, wie unter den früher geschllderten Umständen zu erwarten war.

Er ließ deshalb Beamte

von Berlin Nachkommen, die in dem zurückgebliebenen Dynamobau

die Erfahrungen von Berlin nutzbar machen sollten.

In Landore

fand er die Rohrwalzerei nach Mannesmann aussichtsvoller ge-

worden. Eine abermalige Reise nach England Mitte April des Jahres war für ihn selbst nur eine Etappe auf dem Wege nach NewUork zum Besuche der Weltausstellung in Chikago. Der Stand der Elektro-

technik in Amerika wird ihn ebenso angezogen haben wie die Aus­

stellung selbst, einen dritten Grund bildete wohl die nähere Kenntnis­ nahme der im Jahre vorher in Chikago begründeten Tochtergesellschaft. Die Firma hatte früher nur geringe Beziehungen zu Amerika

gehabt, die von England aus gepflegt werden sollten, aber gegen

die Absicht von Werner Siemens nur lau betrieben wurden.

Eine

Anzahl von Patenten bildete eigentlich, nach früheren vergeblichen

Versuchen mit Vertretungen, den einzigen losen Faden, der die Firma mit Amerika verband. Die Aufmerksamkeit auf das Land war durch

die Verhandlungen mit der Edison-Gesellschaft wieder reger geworden, und der Versuch schien aussichtvoll, wenigstens die amerikanischen Patente als solche zu verwerten. Die zu dem Zwecke Abgesandten aus Berlin bekamen aber die Überzeugung, daß diese Verwertung

nur auf der Grundlage einer eigenen Erzeugung in Amerika möglich sein würde, und auf ihre Berichte hin entschloß man sich in Berlin, in die Gründung einer Filiale zu willigen.

Einigkeit darüber scheint

diesmal in der Familie nicht geherrscht zu haben, wie aus einem Briefe Werners aus Sorrent an Karl vom 28. März 1892 zu ent­

nehmen ist:

„ tun,

Da die Sache definitiv abgemacht ist, so läßt sich nichts

als

mit größter Vorsicht

könntest Du ja auch wirken.

weiter zu gehen, und daraufhin

Willy ist ganz entschieden dagegen.

Ich glaube aber, es ist nicht gut, daß die Brüder darüber in Streit

geraten, und ich habe Willy geraten, sich ganz auf den faktischen Standpunkt zu stellen und nicht nutzlos zu raisonnieren, sondern

aufzupassen, daß kein Schaden passiert

"

Arnold, der zu dem Zwecke vorher längere Zeit in Amerika ge­

wesen war, hatte vornehmlich das Unternehmen gefördert, das leider mit einem Mißerfolge endete. Außer der Firma waren amerikanische Geschäftsleute beteiligt, der Vorsteher war ein Amerikaner, der tech­

nische Leiter anfangs ein Deutscher.

Der Grund des Fehlschlagens

war offensichtlich das Bestreben der Amerikaner, das Heft ganz in

die Hand zu bekommen. 108

Dazu dienten Kapitalserhöhungen, die der

Gegenseite überlassen wurden, da die Firma nach den schon gemachten

Erfahrungen kein Vertrauen mehr zu den maßgebenden Persönlich­

keiten haben konnte.

Nach immerhin aussichtvollen Anfängen störte

auch eine Feuersbrunst das Gedeihen des Chikagoer Werkes. Schnell sank der Einfluß der deutschen Firma auf das Unternehmen, seit 1894 war er so gut wie erloschen, und nur noch förmliche Rechte aus

dem Abkommen über die Patente bildeten in den folgenden Jahren

das bedeutungslose Band, das 1904 auch äußerlich abgeschnitten

wurde. — Zur Zeit von Wilhelms Anwesenheit in Chikago befand sich die Gesellschaft noch in einem Zustande, den er zwar zweifelnd

(„wir haben einen neuen Blutegel"), aber doch nicht ganz ungünstig

beurteilte.

Sein Hauptbedenken floß erstchtlich aus dem berechtigten

Mißtrauen in die Offenheit der leitenden Männer. — Auch die Aus­

stellung machte ihm keinen freundlichen Eindruck, und gegenüber der ersten Reise vor zehn Jahren, die ihm trotz manchen Unbehagens

so viele neue Anregungen gebracht hatte, schloß er diesen zweiten, nur fünf Wochen dauernden Aufenthalt in sichtlicher Mißstimmung.

In Berlin erwarteten ihn Aufgaben, deren Bedeutung für den Stand der Firma sich ihm in den letzten Jahren seines selbständi­

gen Handelns aufgedrängt hatte.

Zuerst die Frage der höheren Mit­

arbeiter. „Überall ist neues tüchtiges Blut nötig," schrieb er nach seiner

Rückkehr aus Amerika.

Auch wenn nicht durch das Ausscheiden der

beiden ersten Beamten eine tatsächliche Lücke entstanden wäre, würde Wilhelm wohl unter der starken Wandlung und Ausdehnung der

Arbeiten Fortschritte in der inneren Ordnung für nötig gehalten haben. Er hatte bis dahin seine Kraft vornehmlich dem Starkströme zuge­

wandt, erkannte nun aber, daß die gleich neuen Wege des Schwach­ stromes noch nicht mit dem erforderlichen Nachdrucke beschritten waren. Das Telephonwese» verlangte notwendig eine Umformung der Ge­

räte im Sinne der wirtschaftlichen Massenerzeugung, der Bau größe­ rer Telephonzentralen war nicht rechtzeitig ausgenommen.

Auch die

Meßgeräte waren trotz der verstärkten Anforderungen des Starke stromes nicht genügend gefördert.

Unter diesen Umständen suchte

Wilhelm nach einer belebenden Kraft für die alten Abtellungen und

wagte den Versuch, dazu einen jungen Assistenten im Physikalischen

Institut der Universität Berlin zu wählen.

Dr. August Raps war

109

ihm dort bei Besuchen durch seine Handfertigkeit ausgefallen, das

meiste wird der Eindruck der Persönlichkeit getan haben.

Raps war

nach seinem Ausbildungsgange Physiker, tatsächlich war er von Ju­

gend auf ein wissenschaftlich-technischer Künstler gewesen, eine Ver­ bindung von Erkenntnisdrang und Gestaltungskraft, wie sie gerade in das Haus Siemens & Halske paßte.

Das konnte sich ftellich in

seiner Tiefe erst nachher erweisen, vorläufig folgte WUhelm nur seiner glücklichen Eingebung, indem er 1893 dem 28jährigen gegen alles zunstgerechte Herkommen den Antrag machte, in das Berliner Werk

einjutreten mit der Aussicht, nach Bewährung dessen Leiter zu wer­

den.

Wilhelm v. Siemens hat Glück und Mißgeschick in der Wahl

seiner Mitarbeiter gehabt, wie alle an ähnlicher Stelle, der Fall Raps bildete das Muster nach der ersteren Seite.

Schon nach drei Jahren

Direttor des Berliner Werkes, hat Raps durch seine technischen Lei­

stungen, sein mitreißendes und dabei gemütvolles Wesen und durch

seine wirtschaftliche Einsicht in Siemensschem Geiste gewirkt und, selbst in der Wahl seiner Mitarbeiter von glücklicher Hand und wohl­

wollender Sachlichkeit, den ihm anvertrauten Teil der Firma zu einer nicht entfernt geahnten Höhe erhoben.

Ähnlich vom Herkömmlichen abweichend war der Versuch, den Wilhelm mit der Berufung eines Vorstehers des Charlottenburger Werkes in demselben Jahre machte. Das Bahnwesen besaß in Schwie­ ger einen hervorragenden, tatkräftigen Leiter mit allen Eigenschaften

an technischem Geschick und persönlicher Gewandtheit, die gerade

dieser Zweig verlangte.

Für den Starkstrom im allgemeinen fehlte

aber jetzt die gleichartige Persönlichkeit.

Neben der Befähigung,

sich leicht in die technischen und geschäftlichen Anforderungen der Starkstromtechnik hineinzufinden, mußte weltmännische Erfahrung

und sicheres Auftreten nach außen verlangt werden.

Die Wahl fiel

auf Dr. Emil Budde, einen Herrn in reiferen Jahren, der bis dahin

eine eigenartige Laufbahn hinter sich hatte, vom Privatdozenten der Physik in Bonn für lange Zeit Berichterstatter für Zeitungen im

Auslande gewesen, dabei Gelehrter geblieben war und sich als solcher in Fachkreisen Ruf erworben hatte.

Seit mehreren Jahren Privat­

gelehrter in Berlin, zeigte er sich auch in Dingen der Wirtschaft und Politik als selbständiger Urteiler, hatte Fühlung mit den Behörden HO

und war im Begriffe gewesen, Mitglied der Physikalisch-Technischen

Reichsanstalt ju werden.

Mit Werner und Wilhelm Siemens war

er seit längerem bekannt.

Dieser übertrug ihm jetzt die Leitung der

Starkstromabtellungen.

Man sagte später, Wllhelm habe von ihm

neben den allgemeinen Fähigkeiten zum Leiten des Werkes auch Neigung und Geschick zu verständnisvoller fortschrittlicher Entwicklung des Elektromaschinenbaues erwartet und sich darin enttäuscht ge­

sehen.

In der Tat hat Budde, dessen wissenschaftliche Begabung

besonders in der mathematischen Richtung lag, dem Maschinen­

wesen nicht die der Firma angemessene Förderung gebracht, auch müßte Wllhelm selbst, wenn er bei seiner Wahl dahin etwas erwartet

hätte, den Mangel an technischem Vorleben des neuen Direktors

unterschätzt haben. Budde wandte sich mit Vorliebe den großen und allgemeinen Fragen der Elektrotechnik zu und war mit seiner Men­

schenkunde, seinem weiten Blicke und seiner diplomatischen Eignung der berufenste Vertreter der Firma in allen gemeinsamen Angelegen­

heiten der Starkstromtechnik.

Im Charlottenburger Werke beschäf­

tigte ihn vornehmlich die geschäftliche Behandlung der Zentralen,

in die Fortschrittarbeiten und den Werkbetrieb griff er nur so weit ein, wie für das Zusammenspiel aller Teile notwendig war.

Das An­

sehen, das ihm sein Wissen und Wesen eintrugen, und sein natür­ liches Geschick gaben ihm die Möglichkeit, das Werk in der schwierigen Entwicklungszeit trotz mangelnder früherer Erfahrung zweckdienlich zu

leiten.

Er war in mancher Hinsicht ein Gegenstück zu Wilhelm v. Sie­

mens.

Ein kleiner Vorgang ist für das Wesen der beiden Männer

gleich kennzeichnend.

Wilhelm v. Siemens suchte wegen einer eiligen

Geschäftsache Budde in seiner Wohnung auf und traf ihn rauchend

— das war bei ihm selbstverständlich — am Klavier, eine Sonate

spielend und gleichzeitig in einer Abhandlung von Hertz lesend.

Wll­

helm v. Siemens war starr, ihm schienen die beiden Tätigkeiten einzeln schon genug Schwierigkeiten zu bieten.

Er hat darüber offen­

bar viel gegrübelt und nach Jahren davon wieder gesprochen, freilich

mit dem inzwischen gekommenen Zweifel an der Richtigkeit seiner

ersten Einschätzung.

Denn eine wirkliche Vereinigung der geistigen

Betätigung nach zwei so verschiedenen Seiten hielt er nicht mehr für möglich.

Dort der bewegliche Rheinländer, vielleicht selbst an die

in

innere Gleichzeitigkeit des in der Laune des Augenblickes entstandenen Durcheinanders glaubend, hier der schwerblütige Niedersachse mit

dem Festhalten und Zergliedern eines flüchtigen Vorganges!

Auch einzelnen Teilen des Betriebes neuen Anstoß und bessere

Ordnung zu geben, hielt Wilhelm für seine Aufgabe und hat diese Art des Nachhelfens an schwachen Punkten immer beibehalten.

Jetzt

veranlaßte er eine planmäßige Durcharbeitung der Maschinen und Motoren, um eine gleichmäßigere Behandlungsweise der verschiede­ nen Formen zu sichern, und zur gleichen Zeit befaßte er sich mit der

Umformung der Zentralverwaltung, namentlich mit Rücksicht auf

die Einheitlichkeit der Finanzen.

Auch ließ er mit den Maßnahmen

beginnen, die nach seinen Weisungen den Werkstattbetrieb auf eine höhere

Stufe bringen sollten, wo an Stelle des gewohnten Obermeisters

der Betriebstechniker die Arbeiten auf der Grundlage vertiefter Er­

fahrung leitet.

Wer Wilhelm v. Siemens in seinem Wirken gekannt hat, weiß, daß sein Befassen mit Angelegenheiten, die er für wichtig genug hielt, nie ein flüchtiges Berühren war, sondern eingehendes Versenken, peinliches Zergliedern und ernstes Schaffen.

Immer wieder muß

man deshalb bewundern, wie viel ganz verschiedenartigen Stoff er zu gleicher Zeit mit derselben Gründlichkeit behandeln konnte und

wie er daneben noch Muße fand, wenn es auch in drängenden Zeiten immer nur halbe Stunden gewesen sein können, seinen Blick ins Freie zu lenken und seiner Teilnahme am öffentlichen Leben wie seiner

Liebe zu wissenschaftlichen Fragen genug zu tun.

Gewiß hatte er

für seine Berufsarbeiten Hllfskräfie, die seine Ideen auszuführen

hatten, aber alles Wesentliche bearbeitete er doch am liebsten selbst. Und dabei schwebten ost gewichtige Fragen, die einen kühlen Kopf

verlangten, aber mit ihren Anforderungen auch an die Gemüts­ kraft kaum etwas anderes neben sich zu dulden schienen.

Dazu ge­

hörte in den Jahren nach dem Tode Werner Siemens^ die Finanz­

lage der Firma, und während neben den laufenden Geschäften die

Sorge für Ordnung der Verwaltung und den technischen Fortschritt ihre Ansprüche machte, standen unausgesetzt die wichtigsten finanz­

technischen Maßnahmen im Vordergründe. Die Elettrotechnik war schnell in die Höhe geschossen, Siemens &

Halske hatten im vorhergehenden Jahrzehnt ihren Umsatz fast em dreifacht, weitere gleiche Steigerung war zu erwarten und ist auch

Die Bewältigung der erhöhten Aufträge verlangte

eingetreten.

Verstärkung der Betriebsmittel, die bei ruhigerer Entwicklung aus den Überschüssen der Vorjahre zu leisten war, bei dem beschleunigten

Aufstiege aber mit den Bedürfnissen nicht Schritt halten konnte. Werner Siemens hatte das vorausgefühlt und drei Jahre vor seinem

Tode an Karl geschrieben: „Das Bedenken ist, ob wir die Spitze werden halten können, der Aktiengesellschaft mit unbegrenztem Ka­ pital gegenüber." Für die Kommanditgesellschaft Siemens & Halske

bestand deshalb die Schwierigkeit, mit dem begrenzten Kapitale auszukommen.

Nach Wilhelms Einsicht mußte eine zu schnelle, mit

rücksichtslosen Mitteln erzwungene Zunahme der großen elettrischen Unternehmungen vom Übel sein. Er hat sich darüber in den schlechten Jahren nach 1900, als die Schäden der Überspannung zutage traten,

bitter ausgelassen, nicht aus dem Verdrusse wegen eigner Verluste, denn die Firma konnte dank seiner Vorsicht den Sturm ruhig ertragen,

sondern aus Bedauern über die Schädigung der Allgemeinheit. „Die

und das Publikum drängte

Elektrizität wurde leider Mode

ohne Kritik sein Geld auf," schrieb er. Andererseits konnte die Firma

nicht allein die Geschäftspolitik bestimmen, sondern mußte bedacht

sein, nicht verdrängt zu werden.

Auch anderwärts wurde die scharfe

Tonart im Mitbewerben um Anlagen frühzeitig mit Unbehagen empfunden

und

Kämpfe gesucht.

Zusammenschluß

zum

Vermeiden

unfruchtbarer

So fanden schon 1893 zwischen den Leitern von

Schuckert und den Brüdern Arnold und Wilhelm leichte Besprechun­ gen über eine Vereinigung statt, die aber zu nichts führten, da

von der Gegenseite eine Aktiengesellschaft vorgeschlagen wurde, in der beide Firmen aufgehen sollten, wogegen die Brüder ihre Selb­ ständigkeit aufrechterhalten wollten. — Vor der Hand schien die Heran­ ziehung weiterer Betriebsmittel durch eine hypothekarische Anleihe,

die von der Deutschen Bank in Höhe von 10 Mill. M. 1893 über­

nommen wurde, für den Bedarf genügend.

anderer Seite einige

stark

umworben,

zwanzig Jahre

nachher,

wehr Zudringlicher gehabt habe. VIII.

Rotth, Wilhelm von Siemens.

und

Die Anleihe war von

launig

erzählte

Wilhelm

welche Mühe er mit der Ab­

Damals war ihm aber gar nicht 113

leicht zumute wegen des verantwortungsvollen Schrittes, und von

diesen Jahren überhaupt sprechend mit ihrer schwierige» finanziellen Steuerung der Firma sagte er, er habe manchmal rückblickend das

Gefühl des Reiters über den Bodensee. — Die Aufwärtsbewegung

in den folgenden Jahren legte doch immer wieder den Gedanken an die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft nahe, die man früher

schon oft Werner Siemens angetragen hatte, um so mehr, als we­ sentliche Mittel der Familie in mehreren Unternehmungen außer­ halb der Firma festgelegt waren.

Neben dem Wunsche nach größerer

Beweglichkeit in der Schaffung weiterer Betriebsmittel war aber

noch ein stärkerer Antrieb maßgebend.

Die Kommanditgesellschaft,

in der die einzelnen Mitglieder durch kurzfristige Verträge gebunden sind, konnte überhaupt nicht als zweckmäßig angesehen werden, nach­ dem der Kreis der Kommanditisten durch die Erbfolge größer ge­ worden war, in Zukunft weiter wachsen und damit immer neue Ver­

träge nötig machen mußte. Die Form der Aktiengesellschaft bot da­

gegen den Vorteil beliebiger Vererbung und Teilung der Besitz­

titel unter Vermeidung von Weiterungen und dabei doch die Mög­ lichkeit, den Familienbesitz und Familieneinfluß aufrechtzuerhalten und die Führung des Geschäftes durch Mitglieder der Familie zu sichern.

Der Form nach konnte diese Absicht durch eine Aktiengesell-

schaft erschwert werden, sachlich hat der Erfolg die Durchführbarkeit bewiesen.

Als dann die Umwandlung tatsächlich erfolgte, handelte es

sich nach dem Sinne der Teilnehmer nicht um den gewöhnlichen Vor­ gang des Verkaufes eines persönlichen Besitzes an eine Aktiengesell­ schaft, sondern nur um eine Formänderung ohne wesentlichen tat­ sächlichen Einfluß auf den inneren Betrieb.

Die verfolgte Absicht

kam auch dadurch zum Ausdrucke, daß die Werke an die Aktiengesell­

schaft nur zum Buchwerte und nicht zu dem viel höheren wirklichen Werte übergeben wurden, wie es sonst geschehen wäre.

Zu den Er­

wägungen wegen der Umwandlung kamen noch Vermutungen, wo­

nach in Kreisen des Mitbewerbes Absichten für Zusammenschließungen solcher Art beständen, daß der Firma alle Berliner Banken entzogen werden konnten. Im Dezember 1896 wurde deshalb die Entscheidung

gefaßt, in deren Folge unter dem 18. Juni 1897 die Aktiengesellschaft

Siemens & Halske mit Hilfe der Deutschen Bank gegründet wurde.

114

Diese übernahm dabei V- der Aktien, der große Teil blieb in Händen der Familie Siemens, in der Karl, dessen Sohn Werner sjwie Ar­ nold und Wilhelm den ersten Aufsichtsrat bildeten.

Trotz der sachlichen Begründung und der sorglichen Durch­ führung wird Wilhelm v. Siemens der Schritt nicht leicht geworden

sein, denn er stimmte wenigstens äußerlich nicht ju den ost geäußerten Ansichten des Vaters. Werner Siemens war ein Gegner der Aktien-

gesellschasten überhaupt.

Er hat sich in seinen Lebenserinnerungen

darüber zurückhaltend, in Briefen schärfer geäußert, die Erinnerung an die Gründerzeit der 70er Jahre mochte dabei erheblich mitwirke».

Er hielt die Aktiengesellschaft namentlich nicht geeignet für Fort­ schrittarbeiten, und damit war sie für ihn schon eine niedrigere Form

des Großgewerbes. Er verglich die in einer Familie sich vererbenden gewerblichen Unternehmungen in ihrer Aufgabe mit den großen

Handelshäusern des Mittelalters.

Die üblen Begleiterscheinungen,

die das Attienwesen haben kann, widersprachen seiner Natur.

Er

war ein außerordentlicher Geschäftsmann, aber kein Händler.

Er

suchte Erwerb, aber nur als Entgelt für eigne Leistungen, Gewinn

ohne Gegenwert verschmähte er.

Mit diesem ritterlichen Empfinden

verband sich ihm ganz natürlich eine starke Freude am Schaffen und Lenken, er war der Monarch in seinem Reiche und hätte sich zu einer Be­

schränkung seiner immer in Sachlichkeit und schöner menschlicher Rücksicht ausgeübten Rechte kaum entschlossen.

Derselbe Zug war

in Wilhelm ausgeprägt, und wenn er auch in der Form den veränder­ ten Verhältnissen Zugeständnisse machte, so hat er dagegen, wie er niederschrieb, der Politik des Zusammenhaltens der Attien im Fa­

milienbesitze seine ganze Lebenskraft gewidmet, „damit die jüngere Generation wenigstens die Chance vorfindet", und so sein übernom­ menes Amt bei der Firma im Sinne seines Vaters weiter ausgeübt. — Mancher alte Beamte hat bei Bekanntwerden der Umwandlung mit Besorgnis an mögliche Änderungen des Tones und Wesens

im Hause gedacht und sich gern durch die Schlußworte beruhigen lassen,

die in der Mitteilung von Karl, Arnold und Wilhelm an die An­ gestellten enthalten waren: „

daß an unserem Bemühen für

Ihr Wohl und Gedeihen nicht das Geringste sich ändern wird."

Einen eigentlichen Abschnitt in der Entwicklung der Firma hat 115

die Umwandlung jur Aktiengesellschaft nicht gebildet.

Die Leitung

erfuhr nur insofern eine Veränderung, als an die Spitze der Zen­

tralverwaltung auf Wunsch der Deutschen Bank ein hoher Ver­ waltungsbeamter aus dem Staatsdienste berufen wurde.

Weshalb

die Wahl auf einen Herrn fiel, der sich in seinem Dienstbereiche einen

namhaften Ruf erworben-hatte, dem Großgewerbe aber immer fern­ gestanden hatte, ließ sich nicht erkennen. Der Berufene fühlte sich auch auf dem ihm fremden Boden nicht an seinem Platze und trat nach

wenigen Jahren aus dem Vorstande in den Auffichrsrat über.

Be­

deutungsvoller als der von den Angehörigen der Firma kaum noch

beachtete Wechsel der Gesellschaftsform war ihnen die Feier des 50jährigen Bestehens der Firma am 12. Oktober desselben Jahres. Mit stiller Wehmut werden die jetzt noch verbliebenen vielen Teil­

nehmer sich der Tage der Feier erinnern, in denen das herzliche Ein­

vernehmen zwischen allen wohltuend hervortrat, die der Rahmen der Firma umfaßte.

Die bisherigen Inhaber stifteten an dem Er­

innerungstage i Mill. M. für die Beamten- und Arbeiter-Pensions­

kasse, die 25 Jahre vorher durch eine Schenkung der damaligen Be­

sitzer begründet und im Laufe der Zeit durch einen zunehmenden Dispositionsfonds für Untersiützungszwecke ergänzt war.

Die Kopf­

zahl der in der Berliner Firma und der Wiener Filiale Tätigen war in den 25 Jahren von wenig über 500 auf mehr als 7500 gestiegen.

Einem Wunsche seiner Neffen folgend, war Karl v. Siemens 1894 von Petersburg nach Berlin übergesiedelt. Mit der allgemeinen

Leitung der verzweigten Firma beschäftigt, wurde er der Menge der Beschäftigten wenig bekannt, ebenso wirkte Arnold meist an der Zentralstelle in Berlin.

Als Haupt der Firma erschien den Augen

der Angestellte» vor allen Wilhelm.

Er verlegte zu der Zeit, als Karl

kam, seinen gewöhnlichen Sitz wieder nach den Räumen des Ber­ liner Werkes, widmete aber regelmäßig den Dienstag und Freitag

dem Charlottenburger Werke.

Soweit der Außenstehende zu be­

urteilen vermag, der von den allgemeinen Sorgen nichts sah, die den ersten Leiter belasteten, waren die 90er Jahre seine beste Zeit. Noch jung und in dem damaligen Zustande der Firma noch alle

Einzelheiten übersehend, bekümmerte er sich auch um alles und bildete

besonders im Charlottenburger Werke eine notwendige Triebkraft

116

Um 1895

für manche Stellen, die weniger als er auf Fortschritte bedacht waren.

Ob er es damit allen recht tat, blieb dahingestellt. Die weitaus größte Zahl der Angestellten fteute sich immer, wenn „Willy" kam und von

den Arbeiten einjelner, ost in bescheidenem Range Stehender, Kennt­ nis nahm.

In der allgemein üblichen vettraulichen Benennung lag

aber nichts Unziemliches, nur der Ausdruck der Zuneigvng zu dem

Manne, der das Muster der Pflichttreue darstellte und in seinem schlichten gütigen Wesen bei wahrer Vornehmheit aller Vettrauev

Sei» Mittagmahl pflegte er mit den Beamten im Kasino

hatte.

einzunehmen, das eine vollständige Mahlzeit für 35 Pfennig lieferte, freilich von diesem Satze allein nicht bestehen konnte. Wllhelm liebte cs, über einen Zweig, dem er gerade seine Aufmerksamkeit schenke,

mit den verschiedenen Beteiligten einzeln zu reden, und hat damit ost Verdruß erregt.

Er übersah, daß nicht alle den gleichen Ernst

zur Sache hatten wie er und manchmal sich nur von kurzsichtigem Eigennutz oder Bequemlichkeit leiten ließen.

Dabei hielt er aber

darauf, daß seine Anregungen und Weisungen nicht den gewöhn­

lichen Geschäftsgang störten, oder er richtete besondere Stelle» ein, die einen bestimmten Gegenstand unter seiner eigenen Aufsicht be­ handelten. Seine Teilnahme erstreckte sich auf alle Glieder des Stark­ stromes, auf die Gefchäststellen, die de» Verkehr mit der Kund­

schaft unterhielten, die Abteilungen für den Entwurf der Maschinen und Geräte, die Werkstätten zu ihrer Ausführung.

Er bemühte

sich, die verschiedenen Richtungen in engerem Zusammenhangs zu

halten, was bei ihrem damaligen gemeinschaftlichen Sitze im Char­ lottenburger Werke noch leichter möglich war als später.

In der

Bahnabteilung, die im Berliner Werke verblieben war, schien sich

ihm das Zusammengehen von Entwurf und Außenverkehr günstiger zu entwickeln.

siatt.

Selten versiiumte er den Besuch der Bersuchswerk-

Er hatte die Wechselstromtechnik bei der Firma eingeführt

und gefördert, jetzt sah er seine Voraussicht bestätigt und Charlottenburg imstande, auch unter den ersten die Hochspannung einzuführev.

Während durch Schuckert 1895 in Süddeutschland eine Drehstrom­ anlage für 10 000 Volt entstand, setzten Siemens & Halske im selben

Jahre eine größere Anlage für dieselbe Spannung in Schlesien in Betrieb.

Von Drehstromanlagen überhaupt führte die Firma in

117

den yoer Jahren mehr aus als der gesamte Mitbewerb in Deutsch­

land.

Nunmehr trieb Wilhelm zur Ausbildung der Regler für das

Beherrschen der Motoren.

Entgegen der geringeren Weitsicht der

Entwurfabteilung fühlte er die Notwendigkeit voraus, die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten des Elektromotors durch Ausbildung ge­ eigneter Zwischengeräte auszunutzen, und gab der dazu eingerichteten

Stelle eine Ausdehnung, die von manchen Seiten für überflüssig gehalten wurde.

So konnte der elektrische Betrieb der Hebezeugs,

die durch den Elektromotor eine vollständige Umgestaltung erfuhren, schnell gefördert werden.

Das Nachhelfen an zurückgebliebenen Zwei­

gen und die Pflege sprossender neuer Zweige betrachtete Wilhelm

überhaupt als seine vornehmste Aufgabe, und immer deuteten seine

Fingerzeige auf den Kern der Sache, der bei den Arbeiten bestimmend sein mußte.

Der Beweglichkeit in der Aufnahme neuer Ziele und Aufgaben gesellte sich bei Wilhelm v. Siemens seine ungewöhnliche Zähigkeit

im Verfolgen, bis sich ihr Wert oder Unwert herausstellte, auch wenn die Umstände zu jahrelangen Pausen in der Fortführung nötigten.

So ist zu verstehen, daß er nach dem nunmehrigen Einsetzen schnellerer

Fortschritte im Straßenbahnwesen seine frühzeitigen Ideen über die Ausbildung elektrischer Vollbahnen wieder aufnahm.

Was in dieser

Hinsicht als Vorbereitung für die Zukunft geschah, mußte zum Ziele

haben, die Überlegenheit des elektrischen Betriebes über den Dampf­ betrieb zu erweisen.

Die damit zusammenhängenden Fragen volks­

wirtschaftlicher und technischer Natur in ihren vielfachen Verschlin­ gungen haben Wilhelm v. Siemens bis zuletzt beschäftigt.

In seiner

Arbeit „25 Jahre elektrischer Energieversorgung" in „Nord und Süd" 1913 hat er sich eingehend darüber geäußert.

großen Leistungen

der Dampfbahnen

Auch die anerkannt

im Kriege

und

die

viel­

gehörten Ansichten von ihrer größeren Zuverlässigkeit gegen feind­ lichen Störungswillen haben ihn in seiner Überzeugung zugunsten

der eleftrischen Bahnen nicht wankend gemacht. Durch einen 11 Mo­ nate währenden Versuchsbetrieb auf der Wannseebahn bei Berlin

erbrachten Siemens & Halske im Jahre 1900/01 den Beweis, daß auch dem

eleftrischen Betriebe schwerer Züge auf Vorortstrecken

Bedenken nicht entgegensianden.

118

Zu der erwarteten überlegen-

die Möglichkeit einer bedeutenden Steigerung

heit

gehörte auch

der

Geschwindigkeit ohne Einbuße an Sicherheit des Betriebes.

In diesem Sinne angelegte Versuche in größerem Maßstabe, die sich schon auf die Vorversuche aus 1892 stützen konnten, führte die Firma in den Jahren 1897—1900 bei Lichterfelde aus. Entgegen den

Zweifeln von Schwieger hielt Wilhelm an seinem früheren Vorschläge fest, hochgespannten Wechselstrom den Wagen unmittelbar zuzuführen. Daß dabei wieder Drehstrom gewählt wurde, folgte aus dem noch bestehenden Mangel eines geeigneten Cinphasenmotors.

Die Er­

gebnisse dieser Versuche waren der Anlaß zu noch weiterer Steige­

rung, die von einer zu diesem Zwecke gegründeten Studiengesellschaft betrieben wurde und in den berühmten Versuchen bei Zossen 1901

bis 1903 alle Zweifel an den technischen Möglichkeiten beseitigten. Die von Siemens & Halske und der AEG. zur Verfügung gestellten Einrichtungen und Fahrzeuge bewiesen die Sicherheit der Strom­

zuführung auch bei den größten Geschwindigkeiten, die auf mehr als 200 km/st gebracht werden konnten, wie auch die Richtig­

keit der gewählten Grundlage.

Die Erfahrungen bei Zossen sind in

ihren Folgen für die Entwicklung des elektrischen Bahnwesens kaum zu überschätzen.

Sie hoben die Vollbahnen aus dem Bereiche des

unsicheren Planens in die Wirklichkeit und gaben den Entwürfen

für die praktische Einführung einen festen Anhalt, so wenig die Ver­

anstaltungen bei dem tiefen Einflüsse der angesirebten Umwandlung auf das ganze Verkehrswesen einen unmittelbaren ausgedehnten

Erfolg haben konnten und sollten.

Hinter den in die Zukunft greifenden Fortschrittarbeiten ließ währenddessen die Bahnabteilung der Firma das Verfolgen zeitlich

näherer Ziele nicht ruhen. Das wichtigste darunter war die seit 1880

geplante Berliner Hochbahn, die unerwarteten, bei der Summe der verschiedensten Gesichtspunkte aber einigermaßen erklärlichen Wider­

stand fand.

Die ganze städtische Bau- und Verkehrspolitik hatte

hier ebenso mitzusprechen, wie allgemeine wirtschaftliche und techni­ sche Fragen zu berücksichtigen waren. Selbst das Gewinnen der ersten

Grundlage, der Linienführung, bedurfte jahrelanger Erwägungen und Verhandlungen. In der Tat kam ja dann auch nicht eine Linie

Nord—Süd nach dem ursprünglichen Plane, sondern die Quer119

richtung zustande.

In dem 1892 darüber von Schwieger gehaltenen

Vortrage war nach den unabhängigen Vorarbeiten der Plan schon in Einzelheiten entwickelt, auch die in technischen Kreisen noch nicht ausgereifte Frage nach der Betriebsart durch elektrische Lokomotiven oder Triebwagen für den vorliegenden Fall zugunsten der letzteren

beleuchtet und entschieden.

Zwei Jahre später bewährte sich die von

dec Firma gebaute Unterpflasterbahn in Budapest als eine neue

Bauweise für Straßenbahnen mit eigenem Bahnkörper, die auch in Berlin Anwendung finden sollte. Hier wurde dann auch die Zu­

stimmung der Behörden erteilt und von der Firma für Rechnung

der dazu begründeten Gesellschaft der Bau als Hoch- und Unter­ grundbahn durchgeführt, die 1902 eröffnet werden konnte. Über

20 Jahre hatten Siemens & Halske daran gearbeitet, die Vollendung bedeutete ein treffliches Beispiel, wie notwendig für den Fortschritt

das Bestehen innerlich gefestigter Unternehmungen ist mit weit­ sichtigen Leitern, die nicht auf Augenblickserfolge zu sehen brauchen.

Die Entwürfe für die Bahn waren im wesentlichen Schwiegers Werk, über den Fortgang wollte Wilhelm bis in die Einzelheiten immer

unterrichtet bleiben, behielt die Oberleitung in der Hand, zur be­ stimmenden technischen Mitwirkung in der Art wie bei den Schnell­

bahnversuchen hat er weniger Anlaß genommen. Aus dieser Zeit ist der Fortführung der bedeutungsvollen Ar­ beiten zu gedenken, die letzten Endes für die Firma von den Ver­

suchen Werner Siemens' aus 1884 ausgingen zur Bindung des

Luststickstoffes.

Diese ersten Ansätze waren in der Firma nicht ver­

gessen und zu verschiedenen Zeiten durch weitere Versuche ergänzt,

ohne in großem Umfange betrieben zu werden. Die wachgehaltene Überzeugung von der Wichtigkeit des Zieles war die Ursache für die

willige Aufnahme des Antrages eines außerhalb der Firma stehenden Chemikers, ein von ihm angegebenes neues Verfahren für denselben

Zweck in größerem Maßstabe durchzubilden.

Wilhelm hatte zwar

den verständlichen Wunsch, technische Fortschritte in seinem Hause

entstehen zu sehen und konnte manchmal, wenn eine brauchbare Neuerung von anderer Seite bekannt wurde, die Vertreter der be­ treffenden Richtung mit der anspornenden Frage überraschen: „Wa­

rum haben wir das nicht gemacht?"

Er war aber viel zu sachlich.

ttm deshalb fremde Erfindungen abzulehnen, im vorliegenden Falle

um so weniger, als er für die von seinem Vater eingeleiteten Be­ strebungen volles Verständnis hatte.

Er ließ deshalb in Anbetracht

der Wichtigkeit das angebotene Verfahren, nach dem im elettrischen Ofen mit Hilfe von Soda, Kohle und Generatorgas der Luststickstoff gebunden und mit Wasserdampf in Ammoniak übergeführt werden sollte, von 1896 an unter Mitwirkung der Firma mit seinen persön­

lichen Mitteln in einer auswärtigen 4pferdigen Versuchsanlage durcharbeiten, ohne indessen für sein Opfer einen durchschlagenden

Erfolg zu sehen.

Die Frage war damit wieder mehr in seinen Ge­

sichtskreis gerückt und wirkte mittelbar zu dem eigentümlichen Verlaufe in derselben Richtung, den ein zu gleicher Zeit auf Vorschlag

eines anderen Chemikers in Versuch genommenes Verfahren nahm. Es handelte sich dabei anfangs gar nicht um die Gewinnung von

Stickstoff für landwirtschaftliche Zwecke, sondern um die billige Er­ zeugung von Zyankali für das von Werner Siemens früher ange­ gebene elektrolytische Verfahren zur Goldgewinnung aus Sanden

geringen Gehaltes.

Bei den nur mit großer Beharrlichkeit durch­

zuführenden Versuchen trat ein Wechsel ein, da sich das viel wichtigere Ziel bot, statt der beabsichtigten Zyanide ungiftige Zyanamide zu bilden, die zuerst gerade unerwünscht waren, nachdem deren unrnittelbare Verwendbarkeit als Düngemittel erkannt war. Das Schluß­

ergebnis, ein lehrhafter Beitrag zur Erfindungsgeschichte, zu dessen Herbeiführung eine ganze Reihe von Personen mitwirkte, war der aus Kalziumkarbid und Stickstoff unter elektrischer Heizung gewonnene

Kalksticksioff, für den die in den entscheidenden Versuchzeiten von der Firma technisch geleitete Zyanidgesellschaft das Verfahren im

großen ausbildete.

Während des Krieges hat diese Art der Stick-

stoffbindung die wichtigsten Dienste zum Ersätze des von der Zu­ fuhr abgeschnittenen Chilesalpeters geleistet. Hauptsächlich wohl durch seine Arbeit im Bahnwesen ist Wilhelm

auch dem Maschinenbau im engeren Sinne nähergetreten.

Er hatte

diesem Zweige vorher geringere Beachtung geschenkt, wie der Elektriker überhaupt, wenn er auch den Wert gewisser Einzelheiten, wie der

Schablonenwicklung, zu würdigen wußte.

Nun scheinen die Bahn­

motoren, wie aus einer Notiz von ihm zu schließen ist, zuerst 1897

seine Aufmerksamkeit auf die planmäßige Kühlung der Maschine Ohne sich damals wohl schon vollständige Rechen­

gelenkt zu haben.

schaft über den Einfluß der Erwärmung auf die Leistung der Ma­

schinen zu geben, empfand er doch, daß diese Frage nicht nur wie eine lästige Nebenerscheinung behandelt werden durfte, sondern volle Berücksichtigung beim Entwürfe verdiente.

Die nachträglich not­

wendig gewordene Kühlung von Drehstrommotoren, die mit ver­ hältnismäßig einfachen Mitteln durchzuführen war, bot ihm ver­ mehrten Anlaß, der Frage näherzutreten und bald danach die schwie­

rigere Behandlung der Gleichstrommaschine in die Hand zu nehmen. Den Bemühungen um diese und andere Sonderfragen gab er sich um so williger hin, als er sich seit 1899 von den Finanzsorgen der Vorjahre entlastet fühlte, die seine Kraft mehr als ihm lieb war

beansprucht hatten.

Denn seine eigentliche Neigung ging auf die

persönliche Leistung in abgeschlossener Form, wie sie besonders im technischen Schaffen hervortritt.

In den letzten Jahren hatten nur

zwei Vorschläge für den Bahnbetrieb, die aber ohne Folgen blieben, von seiner auch in der geschäftlich drängenden Zeit nie ganz ruhenden

Jdeenbildung für die Technik Kenntnis gegeben. Er wollte sich nun­ mehr, wie er niederschrieb und aussprach, wieder gründlicher mit Fortschrittarbeiten befassen, etwa so, wie er sich früher der Glüh­ lampe gewidmet hatte, damit aber außerhalb des laufenden Be­

triebes bleiben und diesem erst fertige Ergebnisse zur Weiterbehand­

lung zuführen.

An ein vollständiges Aufgehen in diesen Arbeiten

konnte und wollte er nicht denken, denn die Leitung der Firma in

allen Zweigen blieb ihm oberstes Gesetz.

So glaubte er seiner Ab­

sicht am besten entsprechen zu können durch Einrichten besonderer Stellen, denen er bestimmte Aufgaben zur gründlichen Durcharbeitung

nach seinen Weisungen zuwies.

In dieser Art hat er seitdem immer

seine eigenen Ideen prüfen und ausbilden lassen. Ec hat dabei manches Mißraten erlebt, aber auch Erfolge erzielt, die ihn noch mehr be­

friedigt hätten, wenn er sich selbst eingehender aller Einzelheiten

hätte annehmen können.

Der notwendige Verzicht darauf, die Tei­

lung der Entwicklung mit andern, deren eigne Ideen er immer an­ erkennend aufnahm, wird seine Schaffensfreude manchmal gekränkt haben, nie aber hat er die Sache darunter leiden lassen. Sein Einfluß

auf die Ergebnisse ist vielfach unterschätzt.

Man ist geneigt, die Stel­

lung der Aufgabe für eine Leistung zu halten, die neben der Lösung verschwindet.

Das kann auch zutreffen, wenn die Aufgabe ohne

Ahnung von den

Lösungsmöglichkeiten nur als verschwommener

Wunsch ausgesprochen wird.

Wer aber die Aufgabe richtig stellen

will, muß selbst zu ihrer Lösung befähigt sein, denn er muß die gang­ baren Wege angeben können, die beim Suchen einzuschlagen sind.

Die zweckdienliche Zielgebung bedeutet daher immer viel, manchmal ist sie die Lösung selbst. Allen, die unter Wilhelms Leitung gearbeitet

haben, wird unvergessen bleiben, wie oft ihr Blick durch seine Fragen und Urteile in die Richtung gelenkt wurde, in der die Absicht ver­

wirklicht werden konnte. — Fast gleichzeitig ließ Wilhelm vier Auf­ gaben in Angriff nehmen, die ihm in der Zeit der erzwungenen Zu­

rückhaltung aufgesioßen waren, die drahtlose Telegraphie, den Schnell­

telegraphen, die Übertragung der Kompaßanzeigen und die Leistung­ steigerung der Gleichstrommaschine. Die seit 1895 in den Anfängen bestehende, auf den Entdeckungen

von Heinrich Hertz beruhende, nachdrücklich zuerst von Marconi in Angriff genommene

Zeichenübermittlung

durch

elektrische

Wellen

steckte in den Kinderschuhen, und ihre Bedeutung konnte noch nicht übersehen werden.

Wenn Wilhelm sie in den Kreis seiner Versuche

zog, so verfolgte er damit wohl zunächst den Zweck, sich selbst über die fesselnden, aber noch wenig geklärten Erscheinungen zu unter­ richten und Vorarbeiten für die etwaige weitere Verfolgung durch

die Firma zu leisten.

Die schnellen Fortschritte auf dem neuen Ge­

biete erweiterten auch bald den Rahmen der Velsuche und führten zu einer Verbindung der Firma mit der von Professor Braun in

Straßburg begründeten Gesellschaft,

die

dessen

aussichtvolle

Er­

findung der induktiven Kopplung der aussirahlenden Antenne mit

einem geschlossenen Schwingungskreise zur Grundlage hatte.

In

ähnlicher Richtung bewegten sich Versuche, die bei der AEG. von Slaby und Arco geleitet wurden. Die Militär- und Marinebehörden,

die aufmerksam die Entwicklung verfolgten, neigten teils dem einen,

teils dem andern Systeme zu.

Patentstreitigkeiten erhoben sich, und

dem Wunsche der Behörden und des Kaisers selbst folgend, faßten

die Parteien den Entschluß, statt des Gegeneinander ein Zusammen-

gehen eintreten zu lassen, um in der „Gesellschaft für drahtlose Tele­

graphie m. b. H." seit 1903 eine gemeinsame Versuchstelle zu finden. An den ferneren Arbeiten hat fich Wilhelm technisch nur noch wenig

beteiligt und fich in diesem Falle damit begnügt, in der Firma die rechtzeitige Einleitung gebracht zu haben. Anders war der Verlauf der Arbeiten für den Schnelltelegraphen.

Wie es scheint, hat Wilhelm seinen Einblick in die Telegraphie von

vornherein auf wirtschaftliche Erwägungen eingestellt, denn er sagte später, er habe sehen wollen, was überhaupt an Telegraphier-Ge­

schwindigkeit auf einer Linie zu erreichen sei, wie auch sein Vater die

Steigerung dieser Geschwindigkeit zu allen Zeiten angestrebt hatte.

Inzwischen war aber die möglichste Ausnutzung der Hauptlinien immer dringender geworden. Bei dieser Fassung der Aufgabe konnte

nur eine Telegraphiermaschine in Frage kommen, die selbsttätig die an der Gebesielle von Hand vorbereiteten Telegramme befördert.

Als das zweckmäßigste Gebemittel hatte sich seit langem der Papier­

streifen bewährt, in dem verschieden angeordnete Gruppen von Löchern

die Zeichen darstellen. Bei der beabsichtigten sehr großen Geschwindig­

keit wurden als Grundform gleichmäßig schnell umlaufende Scheiben an der Gebe- und an der Empfangsielle gewählt und die Wiedergabe

der Zeichen hier in Druckschrift auf photographischem Wege mit Fun­ kenstrecke bewirkt, da der mehr als zomalige Zeichenwechsel in der Sekunde den mechanischen Druck unmöglich machte.

Alle Teile der

ganzen Maschinenanlage — diese für einen Telegraphen ungebräuch­

liche Bezeichnung konnte man füglich hier anwenden — erforderten die feinste Durcharbeitung, um der Schwierigkeiten Herr zu werden,

die sich aus der Kleinheit der ins Spiel tretenden Zeit- und Bewegungs­ elemente ergaben.

Daran gemessen brauchte der Telegraph nur eine

kurze Entwicklungzeit, und im November 1903 konnte ihn der Ur­

heber selbst dem Elektrotechnischen Vereine vorführen.

Mit Staunen

vernahm man, mit welchem Rechte der Schnelltelegraph seinen Na­ men trug, denn er konnte in der Minute über 2000 Zeichen über­

mitteln.

Der äußere Erfolg blieb aber noch aus, denn im Probe­

betriebe bei den Telegraphenämtern erschien die photographische Ein­ richtung nicht erwünscht, während sich andererseits die Telegraphier-

Geschwindigkeit als weit über der Benutzungsmöglichkeit liegend

erwies.

Der Apparat erfuhr deshalb im Laboratorium wieder eine

Umgestaltung, die unter Festhalten der Grundlage und der bewähr­ ten Einjelheiten an Stelle des photographischen Abblldes der Zeichen

den mechanischen Druck verwendet, da auch dieser noch etwa 1000 Zeichen in der Minute zu geben erlaubte. Noch io Jahre waren aber

erforderlich, um den Telegraphen in der neuen Form so zu vollenden, daß sein Betrieb ohne höhere Anforderungen an die Bedienung möglich wurde.

Die Früchte der Arbeit zeigten sich dann während

des Krieges, nur mit dem Schnelltelegraphen hat damals den An­ forderungen an den telegraphischen Dienst entsprochen werden können. — Wilhelm v. Siemens hat die Genugtuung empfunden, mit seinen

langjährigen Mühen der Firma auf ihrem alten Gebiete eine überaus

wichtige Leistung verschafft zu haben.

Er pflegte auch gern das Ent­

stehen seines Schnelltelegraphen als ein Beispiel anzuführen, wie durch verständnisvolles, hingebendes Zusammenarbeiten geschickter Kräfte eine gesunde Grundidee durch manchmal kaum überwindbar

erscheinende Schwierigkeiten hindurch zum endlichen Erfolge geführt werden kann.

In erster Linie war das Ergebnis ein glänzender Be­

weis für seine Ausdauer im Verfolgen eines Zieles.

Als Ergänzung

zu seinem Schnelltelegraphen ließ Wilhelm noch ein Hilfsgerät nach seinen Angaben ausbilden, das die Herstellung von Lochstreifen aus

der Entfernung bei mäßiger Geschwindigkeit gestattet.

Dieser ver­

hältnismäßig einfache Telegraph, bei dem der Gleichgang durch pen­

delnde Scheiben bewirft wird, ermöglicht den Betrieb billiger Zuführungs- bzw. Verteilungslinien zum vollen Ausnutzen des Schnell­ telegraphen auf der Hauptlinie.

Weniger bedeutsam und schließlich auch vergeblich war seine Arbeit für die Übertragung der Kompaßangaben auf Schiffen.

Es

bestand das Bedürfnis nach einer Einrichtung, den Stand eines

mit aller Sorgfalt gepflegten und in seinem Verhalten beobachteten

Mutterkompasses an beliebigen anderen Stellen des Schiffes an

abhängig beweglichen Scheiben mit Kompaßeinteilung sichtbar zu machen. Hier dürste die Schwierigkeit der Aufgabe gereizt haben, deren brauch­

bare Lösung in der gedachten Form trotz langer Mühen an einer Nebenerscheinung scheiterte.

Die Kompaßnadel sollte den über­

tragenden Strom nach einem konzentrischen Kreise von feststehenden 125

Kontaktstücken leiten, dieser Übergang mußte zum Erhalten der Be-

wegungsfteiheit der Nadel durch Funkenstrecken bewirkt werden. Die dabei unvermeidliche Ozonbildung griff mit der Zeit die Metall­

teile so an, daß bald die Zuverlässigkeit des sonst gut arbeitenden Apparates gefährdet wurde. Die in den gleichen Jahren von Wilhelm im Charlottenburger

Werke durchgeführte Fortbildung der Gleichsirommaschine ist für ihn immer eine Quelle des Verdrusses geblieben, weil das Ziel erreicht

und trotzdem nicht nutzbar gemacht wurde, wenigstens nicht in seinem

Sinne.

Der Verlauf der Arbeiten war in mehrfacher Hinsicht kenn­

zeichnend, sie sind auch um deswillen bemerkenswert, weil sie den

einzigen Fall darstellen, in dem Wilhelm tiefer in die maschinentechni­ sche Entwicklung eingriff. Ihren ersten Anlaß gab, wie schon erwähnt,

die Frage der sachgemäßen Kühlung der Maschine.

Im Werke war

in den Jahren vorher eine neue Form der Gleichstrommaschine ent­ standen, die in ihrem symmetrischen und mehr gedrungenen Aufbau

schon einen Fortschritt darstellte, im ganzen aber nicht beftiedigen konnte.

Namentlich war der Abführung der Wärme nicht genügend

Rechnung getragen.

Die Trennung von Rechnung und baulicher

Ausbildung, in der Entwicklung begründet, hatte es noch nicht zu einer einheitlichen Behandlung der Maschinen als eines Ganze«

kommen lassen, während schon die Forderungen nach kleinerem Um­

fange der Maschine wirksam wurden und neuerdings durch die Ver­ bände bestimmte Vorschriften über die zulässige Erwärmung der

Maschinenteile erlassen waren.

Die unter anderen Umständen ge­

wonnenen, meist fragwürdigen Erfahrungsregeln über die erforder­

lichen Kühlflächen von Anker und Feldmagneten wurden ohne Rück­ sicht auf die besondere Bauart der Maschine und die Lustbewegung

in

ihr

angewendet,

eingehendere

waren den Beteiligten noch ftemd.

wärmetechnische

Anschauungen

Wilhelm erkannte zunächst, daß

etwas Gründliches in der Kühlungsfrage geschehen müsse, und nahm

als Richtschnur wieder, wie bei dem Schnelltelegraphen, die Grenze

des Erreichbaren fesizustellen, das bedeutete in diesem Falle, einer

Maschine von gewissem Gewichte bei gedrungener Bauart die größte

mögliche Leistung abzugewinnen. Seine Vorstellungen darüber hatten sich schon durch^die^Ergebnisse bei den Drehstrommotoren be-

festigt, jetzt schien ihm am nötigsten, die Gleichstrommaschinen nach

demselben Gesichtspunkte zu behandeln.

Er empfand auch sichtlich

das Verlangen, gerade die Schöpfung seines Vaters ju vervollkomm­ nen, und äußerte sein Bedauern, daß er bisher noch nicht dazu ge­

kommen sei, sich mit ihr näher zu beschäftigen.

In der Tat mußte

er sich jetzt auch erst in das Wesen der Maschine einleben. Dem, was zu geschehen hätte, stand er ganz unbefangen von irgendwelchem

Hergebrachten gegenüber.

Die Kühlung müsse mit allen Mitteln

erfolgen, die überhaupt zweckmäßig wären, gleichgültig, ob sie ge­

bräuchlich seien oder nicht.

Er blieb aber mit diesen Ansichten fast

allein, bei den zuständigen Stellen herrschte eine ausgesprochene Scheu, an einer elektrischen Maschine besondere Einrichtungen zur Kühlung

sehen zu lassen, als wenn es ein Armutzeugnis für den Erbauer wäre, nicht ohne sie auskommen zu können.

Unbeirrt dadurch leitete

Wilhelm schrittweise Versuche ein und fand kein Bedenken, für die an den erwärmten Flächen vorbeizutreibende Kühlluft auch das dazu

notwendige Mittel anzuwenden, in diesem Falle einen organssch in

die Maschine eingebauten Bläser.

Die Ergebnisse an vorhandenen,

nachträglich eingerichteten Maschinen führten zum Bau von voll­

kommeneren Versuchsmaschinen, die unzweifelhaft zeigten, daß auf

dem eingeschlagenen Wege das erste Ziel, die Kühlung, ohne merk­ lichen Aufwand von Leistung sicher zu erreichen sei, wenn durch richtige Ausbildung des Ganzen die bewegte Luft auch zur Wärmemitnahme

von den zu kühlenden Flächen völlig ausgenutzt würde, Forderungen, die heute selbstverständlich sind, die aber damals nur Zweifeln be­

gegneten.

Die Möglichkeit der bedeutenden Leisiungsteigerung der

Maschinen war jedenfalls bewiesen, soweit die Erwärmung in Be­

tracht kam, und die erhaltenen Erfahrungswerte gaben schon mehr Freiheit in der Behandlung der verschiedenen Fälle.

Die Wirkung

der neuen Kühleinrichtung ging weit über die aus elettrischen Grün­ den zu ziehende Grenze hinaus. Die Stromwendung am Kommutator

konnte zwar nach Vertiefung der Erkenntnis schon ziemlich sicher

beherrscht werden, indessen ließ sich die Belastung ohne Bürstenfeuer nicht so weit steigern, daß der Nutzen der verbesserten Kühlung voll

zur Geltung kam.

Auch hier die bisherige Grenze zu überschreiten,

war jetzt Wilhelms Ziel. Überzeugt, daß sich auch dazu das geeignete, 127

wirtschaftlich zulässige Mittel finden lassen würde, gab er die Losung aus, die Gleichstrommaschine elektrisch leistungsfähiger zu machen,

und teilte gleich die Meinung, daß dazu nur besondere Einrichtungen

zum Unterstützen der Stromwendung geeignet seien.

Solche Maß­

nahmen waren schon in den 8oer Jahren von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, aber noch nicht ernsthaft benutzt. Es waren Andeutun­

gen von Möglichkeiten geblieben, die damals noch keinen Boden hatten, über deren Wirkungsweise auch noch ganz unklare Vorstellungen bestanden. Jetzt war aber die Zeit gekommen, in der die wirtschaft­

lichen Gesichtspunkte für die Gleichstrommaschine erhöhte Bedeutung gewannen, die möglichste Ausnutzung von Eisen und Kupfer, und

dieses Ziel brauchte doch nicht notwendig mit einer Maschine der ge­ bräuchlichen Form erreicht zu werden.

Zudem stellte der Elektro­

motor immer größere Ansprüche an die Regelbarkeit seiner selbst oder

der Erzeugermaschine, um seine günstigen Eigenschaften ganz zur Geltung bringen zu können, und auch diesem Verlangen konnte die

übliche Ausführungsweise nicht genügend entsprechen.

Andererseits

legte der inzwischen allgemein angenommene Zahnanker den Ge­

brauch der früher noch nicht geeigneten besonderen Stromwender nahe.

Trotzdem fand Wilhelm auch mit dieser Absicht keine Zustim­

mung. Die Gründe dagegen waren teilweise wohl aus den Schwierig­ keiten zu erklären, die das Schaffen des augenblicklichen, einiger­ maßen gesicherten Besitzstandes in der Erkenntnis bereitet hatte, und

der unwillkürliche Wunsch, nicht gleich wieder einen neuen Entwick­ lungsweg einschlagen zu müssen.

Wilhelm hätte gern seine eigenen

Versuchsarbeiten in steter Fühlung mit den zuständigen Geschäft­

stellen betreiben lassen, um den etwaigen guten Ergebnissen tunlichst

bald Eingang in den Betrieb zu geben.

Der Widerstand gegen die

beabsichtigte Neuerung, soweit er sich ihm gegenüber äußern durste,

steigerte sich aber noch mit den sichtbaren Fortschritten, die auf dem betretenen Wege erzielt wurden. Nach Vorversuchen, bei denen ältere

und neue Ausführungsarten der Wendefelderzeuger in ihren wichtig­

sten Eigenschaften erprobt wurden, bewiesen Maschinen verschiedener

Größe, die auf der gewonnenen Grundlage und natürlich auch mit

der vorher geschaffenen Kühleinrichtung gebaut wurden, die große

Überlegenheit der damit entstandenen Wendepolmaschine mit ver-

stärker Kühlung, der auch eine dem Wesen der Maschine entsprechende und deshalb gefällige äußere Erscheinung gegeben war. Bei den Ver­

suchen waren noch gewisse Nebeneigenschasten der Wendepolmaschine

hervorgetreten, die ihren Wert für die Zukunft erhöhten. — Nach

vorläufigem Abschlüsse dieser Arbeiten um Mitte 1901 entstand nun­

mehr die Frage, ob die neue Bauweise der Gleichstrommaschine als grundsätzliche bei der Firma eingeführt werden solle.

Der Entschluß

war im besten Falle nicht leicht, denn auch von den Verkehrsabteilun­

gen wurden teilweise Bedenken erhoben wegen der Vorliebe der Ab­ nehmerkreise für die gewohnten Formen, und ein beliebiger Wechsel

darin mußte aus Gründen der reihenmäßigen Herstellung vermieden werden.

Unter diesen Einwendungen von allen Seiten, an deren

reiner Sachlichkeit Wilhelm nicht zweifelte, entschloß er sich, die Ein­ führung der neuen Maschine zurückzusiellen, hat aber in der Folge schwer bedauert, den Vorsprung, der durch seine Voraussicht ermöglicht

war, nicht ausgenutzt zu haben.

Denn der Mitbewerb erkannte bald

ebenfalls die Notwendigkeit der Bauweise, ohne die auch der bald

erscheinende Turbogenerator kaum möglich gewesen wäre.

Der Er­

folg des erreichten Fortschrittes beschränkte sich daher auf die Vor­ bereitung der Firma, als der Anstoß zur praktischen Benutzung von anderer Seite gekommen war.

Wilhelm hat diesen Vorgang nie

vergessen und häufig davon gesprochen.

Ganz abgesehen von dem

kurzen geschäftlichen Nachteile mußte ihn der Mangel an Verständnis

seiner hingebenden Arbeit gerade an der Gleichstrommaschine be­ kümmern, die er auch in seinen spärlichen Erholungzeiten zu fördern

gesucht hatte.

„Ja, es war eine Mordsdummheit von mir," sagte

er einmal nach vielen Jahren in unvermindertem Ärger über seine damalige Zurückhaltung. Die Schuld lag aber gar nicht an ihm, der Vor­ gang war nur ein Beweis für die Schwierigkeiten, die auch ein Mann von seiner Machtfülle bei seinen besten Absichten im eigenen Lager finden

kann. Vielleicht hat der Verdruß darüber seinen Anteil gehabt an der

verringerten persönlichen Teilnahme für die „langweiligen" Starkstrom­

maschinen, wie er später mal scherzhaft sagte. Das war um so mehr zu

bedauern, als er bei der Arbeit an der neuen Maschine eine Vorstellung von den Erfordernissen des Maschinenbaues hinsichtlich einheitlicher Be­

handlung gewonnen hatte, die von der herrschenden erheblich abwich. IX.

R 0 tth, Wilhelm von Siemens.

129

In die Gedankenarbeit Wilhelms, die das Verfolgen seiner technischen Pläne begleitete, gibt ein starkes Notizheft Einblick, das

er in den Jahren 1896 bis 1900 regelmäßig geführt und nach länge­ ren Zwischenräumen noch mit mehreren Eintragungen versehen hat.

Nach seiner Weise wollte er offenbar so seine Gedanken zwingen, folgerichtig fortzuschreiten und das vielleicht zuerst in flüchtiger Mi­

nute zwischen den andrängenden Forderungen des Tages Erfaßte festhalten und vervollständigen.

Der Inhalt besteht aus längeren

und kürzeren Darstellungen der Gegenstände, die ihn beschäftigten,

zum Teile mit eilig hingeworfenen Skizzen versehen, die lebhaft an

die gleichartigen in mehreren erhaltenen Notizbüchern des Vaters erinnern.

Sie sollten nur Andeutungen zum Ergänzen des Textes

sein, eigentlrche zeichnerische Gebilde, die den Gegenstand in einiger­ maßen richtigen Verhältnissen wiedergeben, hat Wilhelm nie her­ gestellt, in seiner Vorbildung fehlte jede Schulung darin, und später

hat er nicht Zeit zum Nachholen gefunden.

Einige einfache Skizzen

nach der Natur, die auf seiner ersten italienischen Reise in Jugend­

tagen entstanden, sind die einzigen Spuren des Wunsches, Geschautes nicht nur innerlich zu bewahren.

Er vermißte die Zeichenkunst auch

kaum, er besaß ein sehr entwickeltes räumliches Vorstellungsver­

mögen und guten Formensinn, die zeichnerische Ausführung konnte

er seinen Gehilfen überlassen.

Frellich begegneten ihm gelegentlich

durch zu großes Verlassen auf das nur gedachte Bild störende Mißgriffe. Die Eintragungen in das Notizheft, in der zeitlichen Folge an­

einander gereiht, sind sämtlich mit Datum versehen, sie lassen so den

Anteil erkennen, der dem Schreiber selbst an dem Fortgänge der zur Ausführung gekommenen Ideen zufiel.

Die oben besprochenen vier

längeren Arbeiten nahmen natürlich einen breiten Platz ein, beson­

ders häufig kehren die Betrachtungen über die Gleichstrommaschinen wieder, für den Schnelltelegraphen ist in einem besonders langen Schriftsätze die ganze Grundlage entwickelt. Erstaunlich ist die Menge

der behandelten Gegenstände aus allen elektrotechnischen Gebieten. Ein Teil davon war augenscheinlich ohne nachweisbare weitere Fol­

gen, so Ideen über Hittorfsche Röhre» für Röntgenstrahlen, Schutz

gegen Hochspannungsleitungen bei Bruch, Geschwindigkeitsregelung von synchronen Wechselstrommotoren für Bahnen, Umwandlung von 130

Wechselstrom hoher Spannung bei Bahnen nebst mehreren anderen Vorschlägen in derselben Richtung, Differentialzähler für Akkumula­

toren, elektrisches Absperrventil für Dampfleitungen bei Rohrbruch,

Unterseeboot (mit Tauchschrauben), Distanzmesser als Weiterbildung des von Werner Siemens erfundenen und von der Firma vielfach

ausgeführten.

Ein anderer, ausführlich behandelter Teil steht in

engem Zusammenhangs mit derzeitig bei der Firma behandelten wichtigen Fragen, wie elektrischen Zugbremsen, für die verschiedene Anordnungen entwickelt wurden, elektrische Übertragung von Be­ wegungen im besonderen für Schiffsruder, ebenso verschiedene Schmelz­

sicherungen, deren sich der Schreiber mit Erfolg annahm, als er die bei der Firma vorhandene Form als unzureichend erkannte. Studien über die Störung feiner elektrischer Meßgeräte durch die vorbeifahren­

den Motorwagen waren jedenfalls veranlaßt durch ftühere erregte Verhandlungen im Elektrotechnischen Vereine.

Mitteilungen über

telephonische Versuche bezogen sich hauptsächlich auf Lautsprecher, für

die noch keine befriedigende Lösung vorlag. Die Liste ist mit den an­ geführten Punkten noch nicht erschöpft.

Für die drahtlose Telegra­

phie war ein besonderes Heft vorgesehen, indessen nach anfänglichen ausführlichen Eintragungen aus 1900 nicht weitergeführt.

Noch

nicht hier erwähnt und auch nicht in den Heften behandelt ist die Ar­

beit an der Tantallampe, die etwas später begann. Die größere Zahl der hier angeführten Studiengegenstände ist

nach ihrer ersten Erfassung von eigenen Versuchstellen oder wenigstens

von eigens Beauftragten, teilweise auch im laufenden Geschäfts­

betriebe bearbeitet und hat Anregung und Förderung gebracht, einige auch, wie die früher besprochenen, unmittelbare Erfolge. Man

hätte daran zweifeln müssen angesichts der langen Liste von ganz verschiedenartigen Vorwürfen, mit denen sich Wilhelm v. Siemens

in den wenigen Jahren befaßte, oft zu derselben Zeit, neben denen wahrscheinlich auch noch andere nicht ausgezeichnete einhergegangen

sind, wenn nicht die Art der schriftlichen Niederlegung und die darauf folgenden, oft jahrelangen Mühen in der Durchbildung für den Ernst der Behandlung bürgten.

In dem Träger der Ideen lebte

ersichtlich in stärkstem Maße der Schaffensdrang der Familie, der

sich hier wieder in Erfindungen auswirkte, und es bestätigte sich die 131

Erfahrung, daß sich ein Vielerlei sehr wohl mit Gründlichkeit ver­ trägt, daß schöpferische Begabung überhaupt vielseitig ist und durch

die Betätigung nach den verschiedensten Seiten gerade im Schaffen beschwingt wird, wenn ein fester Wille rechtjeitig immer wieder auf

den Weg zu den erreichbaren Zielen zurückführt.

Sonst wäre nicht

zu erklären, wie Wilhelm v. Siemens seiner Neigung zur technischen

Kunst in solchem Grade hätte folgen können, während er in der treuen

Führung seines übernommenen Hauptamtes, der Leitung der Firma, eine andersartige und doch wieder im Grunde verwandte Aufgabe

für seine Schaffenslust fand.

Die Ansprüche, die dieser Beruf stellte,

wuchsen immer mehr mit der Entwicklung der Firma. Die yoer Jahre standen für die Starkstromtechnik im Zeichen

der städtischen Zentralen. Wie als Ersatz für die hinter der ungeduldi­ gen Erwartung zurückgebliebene Ausdehnung ging die Entwicklung

sprungweise in die Höhe, genährt durch die rührige Werbetätigkeit, die besonders jüngere Firmen entfalteten.

Der Anstieg war für

den neuen gewerblichen Zweig zu heftig, ec hätte mehr Ruhe zum

Ausreisen sowohl in technischer wie wirtschaftlicher Hinsicht haben

müssen.

Dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft wäre mit einer

besonneneren Zunahme besser gedient gewesen.

Die einzelne Firma

konnte nur darauf bedacht sein, an ihrem Teile die günstige Lage

zu benutzen.

Im Zusammenhänge mit den Zentralen vermehrten

die elektrischen Straßenbahnen ihre Zahl und ihren Fahrpark. Ein ebenfalls schnelles, aber gleichmäßigeres und durch den Bedarf mehr begründetes Anwachsen zeigte die Anwendung des Elektromotors in den Gewerben, namentlich für die ganze Klasse der Hebezeuge, die nun erst den ihrem Wesen entsprechenden Motor überhaupt gesund«!

hatten.

Neben den öffentlichen Zentralen begannen sich die Werk­

zentralen für eignen Bedarf zu entwickeln. Ein wichtiges Ziel zeigte sich dem Starkströme in neuen Großverfahren elektrochemischer Art, unter denen die Erzeugung von Kalziumkarbid schon erhebliche Be­

deutung erlangte. Gegen Ende des Jahrzehntes setzte auch die Hoch­ spannungstechnik an, sich zu einem eigenen Zweige in der Elektro­ technik auszuwachsen, und für den Bau größerer Generatoren be­

reiteten sich durch das Aufkommen der Dampfturbine mit ihrer

hohen Drehzahl neue Formen vor.

Der Anfertigung des elektrischen

Kleingerätes wandte sich eine große Zahl von neuen Unterneh­

mungen zu, oft ohne hinreichende Vorbereitung für ihre Aufgabe. Der Umsatz bei Siemens & Halske verdreifachte sich etwa in dem Jahrzehnte, wenn nicht die Spitze in 1890, sondern ein Mittelwert

der benachbarten Jahre zum Vergleiche benutzt wird, die Kopfzahl der Belegschaft stieg von rund 3000 in ähnlichem Verhältnisse, beide Werte verstanden unter Einrechnung des Wiener Werkes.

Mit der

Jahrhundertwende hörte aus weiter unten zu betrachtenden Grün­ den die starke Steigerung vorübergehend auf. Ihrer Richtung ge­ mäß bauten Siemens & Halske nur einige Zentralen für eigene

Rechnung als Pionierarbeiten, die allermeisten im festen Auftrage von Städten.

Von dem Gesamtumsätze entfiel natürlich der Haupt­

teil auf den Starkstrom einschließlich der Kabel, aber auch das Ber­ liner Werk vergrößerte sein Wirkungsfeld.

Hier bildeten die Ursache

der Zunahme hauptsächlich das Telephonwesen, die von dem Stark­ ströme verlangten technischen Meßgeräte und die Blockeinrichtungen,

daneben war der jüngste Zweig, die Signalgeräte für Schisse, wenn

auch noch nicht bedeutend, so doch im Aufblühen.

Die Glühlampen

zeigten bei der starken anderweitigen Erzeugung nur eine geringe Zunahme. Das Charlottenburger Werk konnte dank der rechtzeitigen

Fürsorge dem Verlangen nach Anlagen beider Stromarten genügen,

der Drehstrom nahm trotz seiner Jugend etwa den gleichen Umfang ein wie der Gleichstrom.

Die aufmerksame Pflege der Geräte für

die Kraftübertragung ermöglichte das schnelle zweckmäßige Anpassen des Motors an die vielgestaltigen Betriebsverhältnisse, das seinen

größten Wert bildet.

Schon um das Ende des Jahrzehntes konnte

das Werk eine elektrische Fördermaschine für ein Kalibergwerk aus­ führen, die allen betriebstechnischen Anforderungen gerecht wurde. Der in diese Zeit fallenden, für die Firma wichtigsten Ereignisse auf dem Bahngebiete, der Schnellbahnversuche und der Hoch- und Unter­ grundbahn in Berlin, ist schon früher gedacht. Die Voraussicht für den zukünftigen Platzbedarf, die zur Ein­ richtung des Charlottenburger Werkes geführt hatte, war durch die

unerwartet schnelle Vermehrung der Arbeit überholt worden.

Der

Platzmangel wurde auch im Charlottenburger Werke drückend, wäh-

rend das Berliner Werk die vorhandenen Räume zur Ausdehnung der Abteilungen für Schwachstrom und Meßgeräte mit gegliederten Zweigen dringend gebrauchte.

den an­

Es mußte deshalb auf

eine größere Baufläche Bedacht genommen werden, und dafür wurde 1897 ein Gelände am Nonnendamm zwischen Berlin und Spandau erworben.

Im Hinblicke auf etwaige spätere Erweiterungen konnte

eine Stelle im engeren Weichbilde Berlin nicht in Betracht kommen. Dort wurde zuerst ein neues Kabelwerk gebaut und 1899 unter Ent­

lastung des Charlottenburger Werkes in Betrieb genommen.

Nahe

bei diesem war aber schon ein Neubau für das Glühlampenwerk er­

richtet und in dem gleichen Jahre bezogen, und ebenso fand 1900 die

erstarkte Blockabteilung in derselben Nachbarschaft nunmehr als selb­ ständiges Blockwerk eine eigne Stätte.

Ebenso mußte der Sonder­

betrieb von Gebr. Siemens & Co., dem durch die massigen Kohle­ elektroden für elektrochemische und elektrothermische Zwecke eine er­

weiterte Aufgabe gestellt wurde, dem Bedürfnisse nach mehr Raum genügen und verlegte seit 1901 einzelne Zweige nach Lichtenberg bei

Berlin, wo 1907 das ganze sehr erweiterte Werk wieder vereinigt war. Auch für die vergrößerte Zentralleitung und die Bahnabteilung waren die alten Räume in der Markgrafenstraße viel zu eng gewor­

den. Für sie und gleichzeitig zur Aufnahme der Verkehrsabteilungen

des Starkstromes, die vorläufig noch im Charlottenburger Werke saßen, und für sonstige Geschäftstellen kaufte die Firma 1898 Grund­

stücke am Askanischen Platze in Berlin, auf denen sich das 1901 be­ zogene Verwaltungsgebäude erhob. Diese kurzen Angaben deuten die besonderen örtlichen Schwierig­

keiten an, unter denen die Firma die Erweiterung ihrer Betriebe vornehmen mußte, um dem allgemeinen Hochgange zu folgen.

Er­

gänzungen und Umstellungen an den alten Betriebstätten, Verlegen großer Körper nach neuen Stellen mit Berücksichtigung ferneren

Wachstumes und mit tunlichster Verwendung der vorhandenen Ein­ richtungen, aber ohne zu empfindliche Störung der Erzeugung an­ gesichts der sich mehrenden Aufträge — das Gesamtbild davon,

ein Bild, das sich in den folgenden Jahren in erweiterter Auflage wiederholte, gibt eine Vorstellung der Leistungen, die vollbracht wer­

den mußten, nur um die Grundlage der Tätigkeit in dem vergrößer-

ten Umfange zu schaffen.

Solche Arbeit verteilt sich auf viele Schul­

tern und der Anteil des einzelnen daran läßt sich nicht bestimmt kenn­

zeichnen, nur empfindet auch der Fernstehende die Bedeutung der Aufgabe für die Leitung, alle Mitwirkenden zum gedeihlichen Zu­ sammenwirken zu dem gemeinsamen Ziele zu führen.

Um Wilhelm

v. Siemens^ Wirken in dieser Richtung zu schätzen, genügt zu wissen,

daß er nicht nur die geplanten Umformungen in den Hauptzügen entwickelte, sondern auch keinen erheblicheren Teil ohne seine Prü­

fung und Gutheißung ausführen ließ.

Und Prüfen bedeutete bei

ihm mehr, als ein ungefähres Abwägen mit schnellem Entschlüsse, der dem Glücke überläßt, was noch an dem scharfen Durchdenken gefehlt hat.

Er rang immer schwer mit dem Entschließen, seine schon

in der Jugendzeit stark entwickelte kritische Neigung bildete im Ver­ eine mit seiner ebenso großen Gewissenhaftigkeit ost ein Hindernis für den Augenblick, so sehr dann das Zusammenwirken der beiden Eigenschaften eine Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung war.

Der Sorgfalt für den äußeren Aufbau entsprach die Gründlichkeit und Umsicht in der Leitung des inneren Dienstes.

bücher

sprechen

davon,

welchen

Wert

Wilhelm

Seine Tage­

auf die

Ausarbeitung der wichtigsten Geschäftsordnungen legte.

eigne

Der Auf­

sichtsrat der Aktiengesellschaft war nach den ersten Jahren ihrer Be­ gründung durch Hinzutritt

für

die

tatsächliche

und

anderer Mitglieder erweitert worden, ost

die

letzten

Ausläufer

verfolgende

Oberleitung Wilhelms wurde als geeignete Form das Amt eines

Delegierten des Aufstchtsrates gewählt.

Der vervielfachte Inhalt

des Hauses verlangte von ihm eine mit den Umständen fortschreitende Einteilung.

Er verfuhr darin nach dem Grundsätze, wesengleiche

Gebiete unter verantwortlicher Spitze zu selbständigen Körpern zu-

sammenzufassen und ihnen kleinere verwandte Arten anzugliedern.

Der Grundsatz selbst bedeutete an sich noch nicht viel, seinen Wert erhielt er erst durch die Anwendungsweise, bei der ebenso die rein

sachliche Seite, wie die vorhergegangene Entwicklung, die Personen

und das Einfügen in den Gesamtkörper zu berücksichtigen waren, nie ganz ruhende Fragen, die sich auch auf die ausländischen Tochter­ firmen

erstreckten.

Immer hatte Wilhelm

die Wichtigkeit

der

Pflege aller der Organe erkannt, die der Vertretung der Firma

in den einzelnen Landesteilen zu dienen hatten.

Die Art der Be­

tätigung, die der Starkstrom mit sich brachte und die sich namentlich

durch das Telephonwesen bald auch für den Schwachstrom entfaltete,

erforderte die stets bereite, nach Befinden vom Stammhause zu er­ gänzende Fühlungnahme mit den Kundenkreisen.

Den Übergang

zu den neuen Verhältnissen hatte die Firma in den 8oer Jahren zunächst in der Bestellung von Vertretern gesucht, was sich indessen

im allgemeinen als nicht hinreichend erwies, wie schon die Einrichtung des Technischen Bureaus München zeigte.

Die freien Vertreter ge­

nossen große Vorteile in der Verbindung mit der Firma, sie waren

aber nicht gehalten, ausschließlich von dieser ihren Bedarf zu beziehen, man konnte auch keine gemessenen Vorschriften über ihr geschäft­ liches Verhalten machen, und ein Wechsel war nicht kurzerhand durch­

zuführen, wenn sich mangelnde Eignung zeigte. Die Forderung regel­ mäßiger Berichte von den Vertretern war schon ein Zeichen für die

Notwendigkeit einer strafferen Form, konnte indessen keine aus­ reichende Verbesserung des Außendienstes bewirken.

Der grundsätz­

liche Ersatz der Vertreter durch Technische Bureaux, die nur örtlich abgezweigte Geschäftstellen der Firma darstellen, war schon ins Auge

gefaßt und wurde während der 90er Jahre allmählich durchgeführt, unter Rücksichtnahme auf manche alten Vertreter, die weit über das

vertragmäßig Notwendige hinausging.

Bei der Neuordnung kam

es, wenn die Einrichtung gut arbeiten sollte, da die notwendige Be­ wegungsfreiheit der räumlich abgetrennten Bureaux doch wieder eine Schranke finden mußte, ganz besonders auf zweckmäßige An­ weisungen für die Geschäftsführung an.

Ihre Bearbeitung war

gleichfalls das eigene Erzeugnis des obersten Leiters.

Er vermied

dabei alle zu sehr ins einzelne gehenden Bestimmungen, die dem Kör­

per eine schädliche Starrheit angeheftet hätten, und erreichte die zweck­ dienliche Biegsamkeit bei festem Zusammenhalten durch schöpferisch­ belehrende Richtlinien, die ihres Erfolges halber dauernd bei der

Firma in Geltung geblieben sind.

Im engsten Zusammenhänge

damit standen die Bestimmungen über die Verrechnung der Preise seitens der Werke und der Geschäftstellen, die Grenzen, in denen

sich die Verkaufpreise gewöhnlich bewegen durften, und über die Fälle,

in denen die übergeordnete Stelle die Entscheidung zu geben hatte,

Festsetzungen, die in ihrer Grundlage gleichfalls die Jahre überdauert haben. — In diesem verwaltungstechnisch en Wirken empfand Wil­

helm

die

Notwendigkeit,

sich

über

den

Stand

des

Ganzen

wie beliebiger Zweige jederzeit ohne zeitraubende Umständlichkeiten

unterrichten und dabei vergleichend auf kürzere oder längere Zeit­ räume zurückgehen zu können.

Er bildete zu dem Zwecke ein System

regelmäßiger Monats- und Jahresberichte aus, die auf einheitlicher

Grundlage, aber mit Berücksichtigung der Eigenart der Betriebe, teils in Zahlentafeln, teils in kurzen Schilderungen alles zur Be­ urteilung Wesentliche enthalten, von einzelnen Betriebstellen manch­ mal als Last empfunden wurden, in zwei Jahrzehnten nun aber

ihren Wert erwiesen haben und immer mehr einen Schlüssel für die

Vergangenheit wie einen Anhalt für das Kommende bilden werden.

Eine stete Sorge Wilhelms war der Austausch der technischen Erfahrungen auf verwandten Gebieten unter den Werken.

Das Be­

richtwesen sollte auch diesen Zweck fördern helfen, es genügte aber bei weitem nicht, um die an einer Stelle gemachten Fortschritte an den in Frage kommenden anderen nutzbar zu machen, um so weniger, als auch die Maßnahmen der ausländischen Werke im ganzen Kon­

zern zur Beachtung kommen sollten.

Die Häuser arbeiteten selb­

ständig und hatten das natürliche Bestreben, ihre eigenen Bauformen zu entwickeln, ihrer Schaffensfreudigkeit sollte kein Eintrag geschehen,

sie konnten ja auch am besten den Anforderungen ihres Abnehmer­ kreises entsprechen.

Aber es war unvermeidlich, daß bei gegenseitiger

ungenügender Kenntnis der technischen Pläne und ihrer Gründe jedes einzelne Werk sich erst mühsam zu einer Erkenntnis durcharbeiten

mußte, die an anderer Stelle vielleicht schon errungen war.

Es war

weniger erheblich, wenn beispielweise die Dynamomaschinen hier und

dort ein verschiedenes Aussehen hatten, aber es mußte Einheitlichkeit in den wesentlichen Grundlagen herrschen und eine wechselseitige

Befruchtung der getrennten Arbeiten eintreten.

Eine erhebliche

Unterstützung dieses Bestrebens konnte von dem 1899 eingerichteten technischen Zentralbureau erwartet werden, und es hat auch durch Vermittlung des regelmäßigen Austausches von Zeichnungen, Ver­

suchsergebnissen usw. günstig gewirkt.

Indessen blieb es im wesent­

lichen der unbeteiligte Durchgangspunkt der Eingänge, ohne durch

137

eigenes Zutun eine gute Richtung zu fördern oder selbst Anregungen zu gemeinsamer Fortschrittarbeit zu geben, wie in Wilhelm v. Sie­

mens" Sinne gewesen war. Er ließ deshalb in der Betriebsgemein­ schaft eine erweiterte Form des Zusammenwirkens entstehen, die

alle der gemeinsamen Beachtung werten Angelegenheiten einschloß. Das meiste für das Zusammenlaufen der verschiedenen Wege hat

er durch unablässige Aufmerksamkeit und besondere Abmachungen unter den Häusern erreicht, in deren Folge teilweise ausländische

Betriebzweige prattisch in Abhängigkeit von Berlin kamen.

Der Siemens-Konzern nach Begründung der Siemens-Schuckertwerke. Auch in den Jahren der Hochflut hatte die Firma unter allen

Schwierigkeiten, die der gesteigerte Bedarf bereitete, an ihrem Grund­

sätze fesigehalten, technisch an der Spitze zu bleiben und durch Fort­

schrittarbeiten die ferneren Wege vorzubereiten.

Denn „Geschichte

und Entwicklung der Firma sind in erster Linie technischer Natur", bekräftigte Wilhelm v. Siemens. Auf die Finanzlage konnte er unter den nunmehrigen Verhältnissen befriedigt blicken.

Auch in zwei

aus früherer Zeit stammenden, der Familie selbst gehörenden Unter­ nehmungen vermochte er Ordnung zu schaffen, die nach Lage der

Dinge freilich nur der Entschluß zur Aufgabe sein mußte.

Das von

William Siemens begründete Stahlwerk bei Landore in England,

von ihm selbst zunächst als „Sample Steel Work" zum Erproben

seiner Stahlverfahren gedacht, gab bald seine ursprüngliche Be­ stimmung auf und erweiterte sich zu einer Erzeugerstätte für laufen­ den Bedarf.

Geschäftlich daran mitbeteiligt waren Werner und

Friedrich Siemens.

Die Ungunst der Umstände ließ aber alle lang­

jährigen Bemühungen um das Gedeihen des Werkes scheitern, und auch die Aufnahme der Rohrwalzerei nach Mannesman« verbesserte die Lage des Werkes nicht. Für eine günstige Änderung bestand

keine Aussicht mehr, nach Verlust einer sehr großen Summe, die

138

eigenes Zutun eine gute Richtung zu fördern oder selbst Anregungen zu gemeinsamer Fortschrittarbeit zu geben, wie in Wilhelm v. Sie­

mens" Sinne gewesen war. Er ließ deshalb in der Betriebsgemein­ schaft eine erweiterte Form des Zusammenwirkens entstehen, die

alle der gemeinsamen Beachtung werten Angelegenheiten einschloß. Das meiste für das Zusammenlaufen der verschiedenen Wege hat

er durch unablässige Aufmerksamkeit und besondere Abmachungen unter den Häusern erreicht, in deren Folge teilweise ausländische

Betriebzweige prattisch in Abhängigkeit von Berlin kamen.

Der Siemens-Konzern nach Begründung der Siemens-Schuckertwerke. Auch in den Jahren der Hochflut hatte die Firma unter allen

Schwierigkeiten, die der gesteigerte Bedarf bereitete, an ihrem Grund­

sätze fesigehalten, technisch an der Spitze zu bleiben und durch Fort­

schrittarbeiten die ferneren Wege vorzubereiten.

Denn „Geschichte

und Entwicklung der Firma sind in erster Linie technischer Natur", bekräftigte Wilhelm v. Siemens. Auf die Finanzlage konnte er unter den nunmehrigen Verhältnissen befriedigt blicken.

Auch in zwei

aus früherer Zeit stammenden, der Familie selbst gehörenden Unter­ nehmungen vermochte er Ordnung zu schaffen, die nach Lage der

Dinge freilich nur der Entschluß zur Aufgabe sein mußte.

Das von

William Siemens begründete Stahlwerk bei Landore in England,

von ihm selbst zunächst als „Sample Steel Work" zum Erproben

seiner Stahlverfahren gedacht, gab bald seine ursprüngliche Be­ stimmung auf und erweiterte sich zu einer Erzeugerstätte für laufen­ den Bedarf.

Geschäftlich daran mitbeteiligt waren Werner und

Friedrich Siemens.

Die Ungunst der Umstände ließ aber alle lang­

jährigen Bemühungen um das Gedeihen des Werkes scheitern, und auch die Aufnahme der Rohrwalzerei nach Mannesman« verbesserte die Lage des Werkes nicht. Für eine günstige Änderung bestand

keine Aussicht mehr, nach Verlust einer sehr großen Summe, die

138

sich freilich auf Jahrzehnte verteilt hatte, war der Entschluß zum Auflösen das Gebotene. Ähnlich verhielt es sich mit der Braunkohlen­ grube Zentrum bei Schenkendorf.

Werner Siemens hatte damit

weitgehende wirtschaftliche Pläne für Berlin verbunden, unvorher­

gesehene Schwierigkeiten im Abbau waren aber in langen Jahren

nicht zu überwinden gewesen, auch dieses Unternehmen wurde nun endgültig aufgegeben. Der Familienbesitz hatte mit dem Abschneiden der tauben Glieder an Festigkeit gewonnen. Die Firma wieder hatte sich von allen gewagten Unternehmungen ferngehalten, die ihre

flüssigen Mittel zu sehr beansprucht hätten.

Wilhelm v. Siemens

konnte deshalb mit Bedauern aber in Ruhe dem Rückschläge ent­ gegensehen, der sich um die Jahrhundertwende anmeldete. Die Über­ spannung war nicht allein in der Elektrotechnik eingetreten, gar nicht damit zusammenhängende Gebiete zeigten dieselbe krankhafte Nei­

gung zu überschneller Erweiterung, die einige jüngere Elektrizitätsfirmen zum Zusammenbruch führte.

Der Niedergang erhielt im

Sommer 1901 seine schärfste Ausprägung, nachdem auch die Bank­

welt in Mitleidenschaft gezogen war.

auf

allen

Seiten,"

schrieb

„Die Unglücksraben krächzen

Wilhelm.

Er

äußerte

sich

in

seinen Aufzeichnungen bitter über die unvernünftige Wirtschaft und das verderbliche Unterbieten in den elektrischen Gewerben, um schwachen Gebilden rücksichtslos zu einer unhaltbaren Scheinblüte

Mit aller Entschiedenheit verurteilte er andererseits

zu verhelfm.

Bestrebungen, die auf Beseitigung der kleineren Unternehmungen ausgingen.

Die Firma hatte seiner Steuerung zu danken, daß sie

ohne Erschütterung über die gefährlichen Jahre hinwegkam, ihre erreichte Umsatzhöhe und Kopfzahl beibehalten konnte und nur mit erheblicher Schmälerung der Dividende ihren Anteil an dem Rück­

schläge tragen mußte. Auch sonst wohlgeleitete Firmen hatten sich durch den Aufwärts­ gang in Lagen begeben, die in ruhiger Zeit kaum bedenklich waren,

im Zusammenhänge mit der gedrückten allgemeinen Stimmung aber gefährlich werden konnten. So war die große, 1873 begründete,

seit 1893 als Aktiengesellschaft bestehende Firma Schuckert & Co.

durch den Zusammenbruch einer Bank in Schwierigkeiten geraten, die ihr

einen

zuverlässigen Anschluß notwendig machten.

Ge-

danken über ein Zusammengehen mit Siemens & Halske waren, wie früher erwähnt, schon vor jehn Jahren zwischen den Leitern ausgetauscht. Unter den jetzigen Umständen mußte der Firma Schustert

das von ihr damals vorgeschlagene Zusammengehen in erhöhtem

Maße wünschenswert erscheinen.

Für Siemens & Halske entsprang

dagegen der Grund für das Eintreten in erneute und ernste Ver­

handlungen nicht einer zeitigen Unsicherheit, sondern der Fürsorge

für die fernere Entwicklung.

Die Firma mußte mit der Möglichkeit

rechnen, daß die Schuckert-Gesellschaft sich bei eigner Absage mit einer dritten Gesellschaft vereinigte und daß so ein elektrotechnisches Unter­

nehmen von überwiegendem Umfange und Einfluß entstand.

Die

anfangs 1903 begonnenen Verhandlungen führten schon im März zum Abschlüsse, weil die beiden Firmen nach ihrer Geschichte im Grunde

eines Geistes waren und weil die ältere von vornherein mit einem festumrissenen Plane auftrat.

Die erste Voraussetzung für die Fa­

milie war das Erhalten der Bedeutung von Siemens & Halske auf

dem ganzen Gebiete der Elektrotechnik, wobei gleichzeitig die Familie den maßgebenden Einfluß behielt und einzelne ihrer Mitglieder wie bisher die Leitung ausübten. Deshalb fiel von selbst bei Siemens &

Halske der Gedanke aus, die Aktien von Schustert zu erwerben, wie anderweitig bei ähnlichem Anlasse geschehen war, eine Fusion sollte

nicht stattfinden, die Firma nahm vielmehr, ohne ihr Aktienkapital zu erhöhen, in einen ihrer Betriebe, aber nicht in ihren Gesamtbetrieb,

einen neuen Teilhaber auf, nämlich den gleichartigen Betrieb von Schustert.

Beide Firmen blieben daher getrennt und begründeten

eine G. m. b. H. mit 90 Mill. M. Kapital. gende Gesamtlage:

Es ergab sich damit fol­

Siemens & Halske unterhält unmittelbar eine

Anzahl von Betrieben großen Umfanges, einen weiteren Bestandteil

ihres Konzernes, eine „dauernde Beteiligung" bilden dieSiemensSchuckertwerke, in denen Siemens & Halske durch die Mehrheit der

Anteile die Führung zufällt, wie durch den Sitz der neuen Gesellschaft

in Berlin auch äußerlich zum Ausdrucke kommt.

Die Schuckert-

Gesellschaft gibt ihre Erzeugungsbetriebe bis auf einen kleinen Rest ab und beschränkt sich auf die reine Unternehmungstätigkeit.

Für

die beiderseitigen Niederlassungen im Auslande wurde eine Ver­

ständigung in ähnlichem Sinne in Aussicht genommen, zum glatten

Übergange in die neuen Verhältnisse auf einige Jahre eine Reihe

besonderer Bestimmungen festgelegt.

Durch diese Ordnung war

gleichzeitig Vorsorge getroffen für die Fälle weiteren Bedarfes an

Mitteln einzelner Stellen.

Man brauchte dann nicht das Aktien­

kapital zu erhöhen, sondern konnte leicht das Kapital des betreffenden

Zweiges steigern unter Sicherung des ganzen Zusammenhanges, der durch die Stellung von Siemens & Halske gewährleistet ist. Das Abkommen mit Schustert auf dieser Grundlage, das eigenste Werk von Wilhelm v. Siemens, auch eine Neuheit im geschäftlichen Leben überhaupt, hat in jeder Hinsicht die Erwartungen gerecht­ fertigt und ist beiden Teilen zum Vorteile geworden.

In betriebs­

technischer Hinsicht bedeutete es die Vereinigung der Starkstrom­ betriebe von Siemens & Halske mit den Betrieben von Schustert,

die damals einen Personenstand von rund 6000 Köpfen hatten.

Diese kurze Bezeichnung trifft aber nur im allgemeinen zu, da der Begriff Starkstrom an sich keine feste Begrenzung hat, und da, wie sich zeigen wird, teilweise auch bei Siemens & Halske selbst verbleibende

Betriebe von der Umwandlung mit berührt wurden.

Waren Ursache

allgemeine

für

die

geschäftliche Erwägungen die wesentlichste

Neugestaltung gewesen, so hatten bei Wilhelm

auch Rücksichten technischer Art mitgewirkt.

Die zu vereinigenden

Betriebe, die zu der Zeit auf beiden Seiten annähernd gleichen Um­

fang hatten, wiesen trotz gleicher Ziele erhebliche Unterschiede auf, und beide standen naturgemäß in sich nicht in allen Teilen auf gleicher Höhe.

So hatte man bei Schuckert die Scheinwerfer und die An­

wendung des Starkstromes im Seewesen besonders gepflegt, bei

Siemens & Halske war die Gleichsirommaschine früher auf neue Bahnen gelenkt.

Wilhelm bemerkte in den Jahren vorher wohl

manche Lücken in Berlin, ohne sie alle bald genug ausfüllen zu können.

Nun erwartete er mit Recht von der Blutmischung eine ausgleichende Wirkung.

Dieser Gesichtspunkt führte bei der Vereinigung zu zahl­

reichen Sondermaßnahmen, die den einfachen Grundplan verwickelten.

— Von den Werken verblieben in ihrer alten Zugehörigkeit zu Sie­ mens & Halske das (erst zwei Jahre später so benannte) Wernerwerk, zu dem auch die elektrochemische Abteilung gehörte, das Blockwerk,

Glühlampenwerk, Gebr. Siemens & Co. und der den Bau von Hoch-

141

und Untergrundbahnen betreibende Sonderzweig der Bahnabteilung.

In den Rahmen der Siemevs-Schuckertwerke traten ein das Char­ lottenburger Werk und das Kabelwerk in Berlin mit den Verkehrs­ abteilungen für Starkstrom, dazu das Nürnberger Werk. Die Ober­

leitung ging von Berlin aus, und hier wurden auch alle Geschäft­ stellen für den Vertrieb vereinigt. Nach dem Arbeitspläne sollte das

Nürnberger Werk vornehmlich der reihenweisen Herstellung gängiger

Maschinen, Transformatoren und Regler dienen, das Charlotten­ burger Werk war u. a. für den Einzelbau besonders größerer Ma­ schinen bestimmt, darunter der neuen Turbogeneratoren, hier sollte

auch die Stelle für alle Fortschrittarbeiten sein. blieben

in

Geltung,

wenn

auch

im Laufe der Jahre nötig wurden.

manche

Diese Richtlinien

Abweichungen

davon

Da somit das Charlottenburger

Werk die Hauptstätte für die Entwurfarbeiten wurde, erhielt es von Nürnberg hervorragende Kräfte, die seinen damals etwas schwachen

Stand ergänzten.

Auf die Herstellung von Meßgeräten verzichteten

die Siemens-Schuckertwerke ganz und überließen sie dem Werner­

werke allein, nur die Elektrizitätzähler gab umgekehrt das Werner­ werk an das Nürnberger Werk ab.

Hier verblieb auch der nun ge­

meinsame Scheinwerferbau mit seinen sehr vollkommenen Einrichtun­ gen.

Ein Kabelwerk hatte Schuckert nicht betrieben, das Werk am

Nonnendamm wurde deshalb von

den nunmehrigen SSW-Be-

trieben äußerlich am wenigsten durch die Neuordnung beeinflußt. — Diese kurzen Angaben über die hauptsächlichsten Änderungen lassen

noch nicht entfernt die Summe der Schwierigkeiten ahnen, die bei

der Umformung zu überwinden waren, während die Werke in der Erledigung der reichlichen Bestellungen möglichst wenig gehindert

werden dursten.

Es hat auch lange gedauert, bis das Gleichgewicht

ganz

war,

hergestellt

und

die Herren

in der Oberleitung, die

hauptsächlich diese Aufgabe zu bewältigen hatten,

werden manch­

mal unter dem Drucke der augenblicklichen Anforderungen das Ende der Übergangzeit ersehnt haben. — Die Firma hatte

einen Markstein in ihrem Werdegange erreicht, viel bedeut­ samer als der Übergang zur Aktiengesellschaft vor sechs Jahren.

In der Folge waren noch die Außenglieder der beiden Mutter­ häuser der vollzogenen Umwandlung anzupassen.

Diese Nachfolge

war, wie erwähnt, gleich bei Abschluß des Vertrages ins Auge gefaßt. In Frankreich betrieb die Schuckert-Gesellschast eine von ihr

gegründete Gesellschaft in Ereil bei Paris.

Hier war der Absicht

am leichtesten zu entsprechen, indem eine Beteiligung von Siemens &

Halske an dem Unternehmen hergestellt wurde.

Umgekehrt löste

sich die englische Schuckert-Gesellschast in London zugunsten von Sie­ mens Brothers auf, deren eigentümliche Verhältnisse das Zusammen­

arbeiten mit den SSW in dem beabsichtigten Zusammenhänge schwieriger machten.

Der unbestiedigende Zustand in der Verständi­

gung zwischen Berlin und London hatte sich auch in den 90er Jahren

fortgesetzt, und Wilhelm v. Siemens mußte die gleichen Mühen auf­ wenden wie vorher sein Vater, um das englische Haus weiter auf

die frühere Höhe zu bringen. Der deutsche Beamte wurde in London nur unwillig geduldet, der Starkstrom gegenüber dem Kabelgeschäste immer noch vernachlässigt, so daß hier von einem Spitzehalten von

Siemens unter den Elektrizitätsfirmen nicht gesprochen werden konnte. Dem transatlantischen Kabel von 1894 folgten zwar 1900—1901

noch zwei weitere atlantische Kabel, sie boten aber keinen Ausgleich

für das Zurückbleiben auf dem anderen Gebiete. Am Ende der 90er Jahre stellte Wilhelm v. Siemens eine Neuordnung her, mit dem früher erwähnten Erwerbe aller Aktien wurde der Einfluß des Mutter­

hauses entscheidend.

Zugleich trat wieder ein Mitglied der engeren

Familie in die Verwaltung ein, Carl Friedrich v. Siemens, der jüngste Sohn Werners (geb. 1872), der sich in den Vorjahren im Berliner

Werke ausgebildet hatte.

Wilhelm konnte schon 1901 von einer er­

heblichen Besserung sprechen, und als 1902 Carl Friedrich die Leitung der Starkstromabteilung übernahm, war eine weitere Gewähr für den

Fortschritt an der Hand des Mutterhauses gegeben. In Stafford war

ein neues Werk für den Starkstrom errichtet.

Dieses trat nun 1905

durch Pachtung unter die unmittelbare Leitung der SSW, sein Betrieb wurde durch deutsche Beamte in engen Zusammenhang mit hier ge­ bracht. Zwischen Siemens Bros, und den neuen Dynamo-Works be­ stand von da also ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Siemens &

Halske und SSW in Deutschland.

Auch die alte Fabrik in Woolwich

verspürte die neue Zeit durch den Mehrbedarf an Starkstromkabeln und

mußte ihre Werkstätten vergrößern. — Das Petersburger Haus, das

unter Karls Leitung einen nachhaltigen neuen Antrieb erfahren hatte und sich auch nach seinem Fortgänge 1893 stetig weiter entwickelte, wo­ ran das Eisenbahn-Sicherungswesen einen bedeutenden Anteil nahm, bildete sich 1897 nach dem Vorgänge Berlins um zu der Aktien-

Gesellschaft Russische Elektrotechnische Werke von Siemens & Halske. Eine Verbindung mit Schuckert war hier nicht so wichtig, weilSchuckert in Rußland wesentlich kleiner war und keine eigentliche Erzeugung

betrieb. Nach der Begründung der SSW in Deutschland trat zwar

gleich eine Verständigung zwischen den betreffenden russischen Zweigen Das Kabelwerk war

ein, aber erst 1912 erfolgte die Vereinigung.

schon 1906 von der alten Firma abgelöst und in eine Vereinigung

zwischen dieser, der AEG und Felten & Guilleaume getreten, da

diese Form zweckmäßiger erschien, als das gleichzeitige Bestehen von drei verschiedenen deutschen Kabelwerken, wozu es sonst gekommen

wäre. — Mit dem Wiener Hause waren die Beziehungen immer

sehr

eng

es

geblieben,

war

bei

ähnlichen

Abbild des Mutterhauses geworden

Verhältnisse

gestiegen,

freilich stärker berührt Erzeugung

entfiel

Starkstrom

fand

schon

auf

Verhältnissen

ein

bis 1900 im gleichen

und

von dem allgemeinen Niedergänge dann worden.

das

sorgfältige

Ein

beträchtlicher

Teil

Eisenbahn - Sicherungswesen, Pflege,

für

1888 eine Sonderabteilung errichtet.

den

Bahnbau

seiner der

war

Nach 25jährigem Be­

stehen änderte nunmehr diese Niederlassung als erste noch im Jahre

1903 ihre Verfassung im Anschlüsse an die Umwandlung des Mutter­ hauses.

Den Abschluß ihrer erfolgreichen Geschichte unter der alten

Form begleitete leider der in diese Zeit fallende frühzeitige Tod ihres langjährigen Leiters Dr. Fellinger.

Die Art der Umwandlung war

nach dem Vorgänge der deutschen SSW von selbst gegeben, die

in Österreich seit 1896 bestehenden Schuckertwerke wurden mit den Starkstrombetrieben von Siemens & Halske zu den Österreichischen

Siemens-Schuckertwerken vereinigt, wie in Deutschland blieben die anderen Abteilungen beim Stammhause.

Das Kabelwerk von Sie­

mens & Halske in Wien blieb zunächst ebenfalls in den alten Ver­ hältnissen und ging erst 1907 ohne Namenänderung an die Öster­

reichischen SSW über.

Die mit Beginn von 1904 geltende Neu-

ordnung fand noch eine bedeutsame Folge in der Begründung der

Ungarischen Siemens-Schuckert-Werke.

Die Wiener Bahnabteilung

hatte sich in Ungarn stark und eigenartig zu betätigen verstanden, namentlich war die 1896 eröffnete Unterpflasterbahn in Budapest eine bahnbrechende technische Neuheit gewesen.

Auch im Zentralen­

bau hatte das Wiener Werk in Ungarn ein gutes Feld gehabt, es

besaß aber dort keine eigne Erzeugung, die aus politischen Gründen zu wünschen war.

Dagegen hatte Schuckert 1900 ein Werk in Preß­

burg angelegt, das nun der Kern der Vereinigung in Ungarn wurde. Damit hatte der Siemens-Konzern auch hier festeren Fuß gefaßt.

Wie bei den auswärtigen Betrieben, so erfolgte sinngemäß auch bei den Technischen Bureaux und Vertretungen im In- und Auslande der Übergang in den neuen Zustand. Die Formen inner­ halb des Gesamtunternehmens waren mit den vielseitigen Um­

stellungen noch beträchtlich reicher geworden und mit der Zeit recht

verwickelt.

Bezeichnend für Wilhelm v. Siemens" Denkweise war

aber, daß er darin keineswegs eine Schwächung des Gesamthauses, sondern im Gegenteil eine Stärkung sah.

Er legte immer nur Wert

auf den Inhalt, nicht auf die Form, und nahm die äußere Vielge­

staltigkeit als Zeichen, daß der Eigenart der Verhältnisse überall Rechnung getragen war und nicht durch eine fragwürdige scheinbare

Einheitlichkeit der Entwicklung schädlicher Zwang angetan wurde. Die schlechten Jahre in der Elektrotechnik nach der Jahrhundert­

wende waren für Siemens & Halske nur magere Jahre gewesen,

das am Zi. Juli 1904 endende Geschäftsjahr für Siemens & Halske und SSW zeigte wieder aufsteigenden Verlauf, Kopfzahl und Um­

satz hatten sich nicht nur durch den Zuwachs aus der Vereinigung gehoben, sondern auch verhältnismäßig und bei besserem Ergebnisse. Trotz mancher noch nötigen Mühen in der Umstellung bestand die

beste Aussicht auf den Erfolg der SSW.

Nach einem Jahre beson­

ders großer Anstrengung stand Wilhelm einer gefestigten Lage gegen­

über.

Das Gefühl der Entlastung, das er nach seiner Ordnung

des Finanzwesens empfunden hatte, war durch die folgenden un­

günstigeren Jahre etwas verkümmert, nun konnte er eintragen: „Das

Geschästsleben ist für uns jetzt viel sorgenloser und finanziell geRotth, Wilhelm von Siemens.

145

sicherm im Vergleich zu früheren Jahren."

Für seine ruhige Ge­

mütslage sprach die Eintragung, die sich auf eine längere Strohwitwer­ schaft im Sommer 1904 bezog: „

lebte ich einsam in Biesdorf,

jedoch in einer durch Arbeit und Nachdenken angeregte» Stimmung,

bei

möglichst einfacher Lebensweise.

Gesundheit war gut

"

Vielleicht bangte dem Sorgengewohnten manchmal selbst vor dem jetzigen leichteren Zustande.

sie ihm als

Inmitten flüchtiger Tagesnotizen, wie

Anhalt für die geordneten Aufzeichnungen dienten,

findet sich der Vers:

Furcht soll das Haupt des Glücklichen umschweben, Denn ewig wanket des Geschickes Wage. Im ganzen war seine Stimmung offenbar heiterer, als ihm

vorher vergönnt war, und wohl auf ihrem Boden entstand der Plan einer neuen Reise nach Nordamerika, wozu auch die Weltausstellung in St. Louis äußeren Anlaß bot.

Es verlangte ihn gewiß auf die

Anspannung der Vorjahre nach einer kurzen Zeit anregender Auf­

nahme neuer Eindrücke, ebenso wie nach vergleichender Betrachtung der jetzigen technischen Lage drüben.

In Begleitung seines Bruders

Carl Friedrich schiffte er sich Ende August 1904 nach New Dock ein

und begrenzte gleich seine Reisezeit bis zum Anfänge des Oktober. Die zahlreichen Bemerkungen in knapper Form über die diesmalige

Fahrt lassen weder Regungen des Gefallens noch des Unmutes erkennen, der bei ihm während der Reise vor 11 Jahren vorherrschte.

Er muß die wenigen Wochen sehr sorgfältig zum Sehen technischer

Einrichtungen ausgenutzt haben, die Liste der aufgesuchten Fabriken und Anlagen ist überreich, und bei seiner Gründlichkeit in allem kann

die Reise kein behagliches Schlendern gewesen sein.

Die persönlichen

Berührungen mit führenden Männern der Technik, deren er sich bei seinem Namen ohnehin nicht ganz entziehen konnte, scheint er,

wie aus der Fülle der Namen zu schließen ist, gern gesehen zu haben.

Die Fühlungnahme mußte ihm ja auch bei seinen vielen Besichti­ gungen nur nützlich sein.

Sie erstreckten sich zum großen Teile auf

Anlage und Einrichtung von Fabriken und Zentralen in den ver­ schiedensten Städten, die Bemerkungen darüber sind meist von An­ gaben über Kopfzahlen und Erzeugungsmengen usw. begleitet.

Da­

neben fehlen nicht Notizen über allgemeine wirtschaftliche Dinge

und über Lebenshaltung der Arbeiter.

Bevorzugt sind natürlich

elektrotechnische Firmen, aber auch Fabriken für Massenerzeugung anderer Gegenstände, wie der Schreibmaschinen, sind beachtet.

Die

beobachteten Einzelheiten gehören zum ganzen Gebiete der Elektro­ technik, der Starkstrom ist durch kurze Kennzeichnung von Maschinen

und Schaltanlagen vertreten, die Elektrochemie durch Mitteilungen

über Graphitwerke, aus der Schwachstromtechnik fesseln den Be­ schauer besonders automatische Telegraphenanlagen und die Pupin-

spulen zum Erzielen größerer Sprechweite mit Telephonleitungen. Überall zeigt sich das Bestreben, die Anschauungen aus allen Zweigen der eigenen Erzeugung zu erweitern und das Gesehene für sie nutz­

bar zu machen.

Nur wenige Eintragungen betreffen unmittelbar

geschäftliche Angelegenheiten, unter diesen die eben in Berlin ge­

brauchsfertig gewordene Glühlampe mit Tantalfaden.

Landläufige

Sehenswürdigkeiten kommen wieder fast gar nicht vor, die ganze Reise trägt nach den Aufzeichnungen den Stempel einer angestrengten

Studienreise, zu der sie möglicherweise ohne ursprüngliche Absicht geworden war.

Augenscheinlich befand sich Wilhelm in erfreulicher

Frische, und der Abschluß der Reise im Oktober geschah ohne viel Bedauern, aber ohne Mißmut wie bei der früheren.

Die erwähnte Tantallampe war eine bahnbrechende Neuerung im Glühlampenwesen, die durch Wilhelms Voraussicht und Aus­

dauer in jahrelangem Mühen zustande gekommen war. — Die Glüh­ lampe war der Bogenlampe hinsichtlich des Bedarfes an elektrischer

Leistung für die Lichteinheit sehr unterlegen geblieben, weil der Kohle­ faden, gleichgültig nach welchem Verfahren er hergestellt wurde,

von einer gewissen Temperatur an schnell zerstäubt, während er die zuerst versuchten Platinfäden an Haltbarkeit beim Glühen weit über­

troffen hatte.

Man mußte deshalb die Gebrauchstemperatur des

Kohlefadens auf einer Grenze halten, bei der noch eine einigermaßen

befriedigende Lichtausbeute mit der Haltbarkeit der Lampe für eine

gewisse Zeit in gutem wirtschaftlichen Verhältnisse stand. Über zwanzig Jahre blieb die Kohlefadenlampe die Alleinherrscherin.

In dieser

Zeit vollzogen sich große Fortschritte in der Strahlungslehre, die

den Vorzug des metallischen Strahlers sicherer erkennen ließen, da er bei derselben Temperatur relativ mehr optisch wirksame Strahlen X*

147

aussendet, als die fast ganz als schwarzer Körper wirkende Kohle. Das Ziel wurde deshalb wieder ein metallischer Glühfaden, der aber

zu weiterer Steigerung der Lichtausbeute auch noch eine höhere Tem­ peratur als der Kohlefaden aushalten sollte. Von vielen Seiten wurde

daran gearbeitet, sehr schwer schmelzbare Metalle zu Glühfäden zu

verarbeiten, und der durch seine Glühstrümpfe volkstümlich gewordene Auer v. Welsbach fand im Osmium ein dazu geeignetes Metall. Es gelang aber weder ihm noch anderen, Fäden aus dem Metall zu ziehen, da es sich nur in Pulverform Herstellen ließ.

Die Faden­

form erhielt er durch Pressen einer Paste aus dem Metallpulver mit einem Bindemittel durch eine feine Öffnung und nachheriges Aus­ glühen des „gespritzten" Fadens, wobei die Metallteilchen zusammen­

sinterten.

Die Osmiumlampen waren schon viel wirtschaftlicher als

Kohlefadenlampen, doch konnten die Osmiumfäden nicht so dünn hergestellt werden, wie die höhere Leitfähigkeit des Metalles wünschens­ wert machte, die Lampen eigneten sich deshalb nicht unmittelbar

für die gebräuchlichen Spannungen der Zentralen, außerdem war ihr Leuchtfaden mechanisch weniger haltbar. — Wilhelm v. Siemens hatte seit Beginn seiner Laufbahn die Glühlampe unter seine besondere

Obhut genommen, wenn er sich auch nur noch zeitweilig näher um

sie bekümmern konnte.

Er erkannte die Notwendigkeit ihrer Fort­

entwicklung, die mit dem Kohlefaden nicht möglich gewesen war, und fühlte, in welcher Richtung die Lösung der Aufgabe gesucht wer­ den müsse.

Er gab deshalb dem inzwischen verstorbenen Chemiker

Werner Bolton Gelegenheit, im Laboratorium des Glühlampen­ werkes bei nur ganz allgemein bezeichnetem Ziele vorbereitende For­

schungsarbeiten auszuführen. Bolton gelangte 1902 nach vielen Versuchen und Studien zu der Überzeugung, ohne die Richtigkeit seines Empfindens schon schlüssig begründen zu können, daß im Tantal

ein Metall von brauchbaren Eigenschaften vorliege.

Er besaß das

auch zunächst nur in Pulverform, das er auf eigentümlichem Wege mit einem gewissen Erfolge in Fadenform zu bringen suchte.

Hier

setzte

Her­

Wilhelms

leitende

Tätigkeit

ein.

Er

hielt

die

stellung gezogenen Drahtes beliebiger Länge für das notwendig zu erstrebende Ziel, um genügend dünne und haltbare Fäden zu be­ kommen, wogegen alle anderen Versuche nur Abwege seien.

Unter

Teilnahme weiterer Kräfte wurde planmäßig der Weg gebahnt, wobei Wilhelm immer für das Festhalten des Zieles sorgte, so oft sich auch andere Aussichten zur Erzeugung brauchbarer Fäden zu

bieten schienen. Jeder einzelne Schritt hatte seine besonderen Schwie­ rigkeiten, die manchmal unüberwindlich schienen, Wilhelms Aus­

dauer aber nicht erschöpften. Die Herstellung des Metalles selbst in reinem Zustande, die Überführung in zusammenhängende Massen, die sich tatsächlich als plastisch formbar erwiesen, wie Bolton voraus­

geahnt, das Ziehen des spinnwebdünnen Drahtes daraus, das alles erforderte die Ausbildung eigenartiger Verfahren, denen sich die Formgebung der Lampe selbst als Träger des gegen früher sehr

langen, weil gutleitenden Glühfadens anschließen mußte. Anfang 1905 konnte endlich die fertige Lampe zur Überraschung der Fach­

kreise bekanntgegeben werden.

Ihr Verbrauch an elektrischer Lei­

stung für die Lichteinheit betrug nur die Hälfte des für die Kohle­ fadenlampe erforderlichen, der Draht ließ sich beliebig fein ausziehen,

so daß sich die Lampen allen Netzspannungen anpaßten, die mechani­ sche Festigkeit des Fadens in allen Stellungen war sehr befriedigend.

— Das Entstehen der Tantallampe war wieder ein Beispiel für das zweckmäßige Arbeiten mehrerer bei sachkundiger, ausdauernder Leitung

nach einem richtig gefaßten Ziele.

Wilhelm hat diesen Fall später

auch mit Vorliebe als Beweis für die Unmöglichkeit angeführt, in

dem Ergebnis solcher gemeinsamen Arbeit den Anteil des einzelnen

abzuwägen.

Jedenfalls war durch seine Führung und Mitarbeit

ein volles technisches Gelingen zur richtigen Zeit erzielt, und dem ent­ sprach der wirtschaftliche Erfolg für die Firma. Der Umsatz des Glüh­

lampenwerkes erhob sich schnell auf ein starkes Vielfaches der bis­

herigen Höhe und erhielt sich da für etwa 5 Jahre lediglich durch die Tantallampe.

Sie war die erste Glühlampe mit gezogenem Me-

talldrahte und das Vorbild für die Lampe mit Glühfaden aus Wolfram, nachdem es gelungen war, dieses noch schwerer schmelzbare Metall

nach den gewonnenen Erfahrungen ebenso in Drahtform zu bringen wie das Tantal. Die Rückkehr Wilhelms aus Amerika fiel mit dem Abschlüsse

der Vorbereitungen für die Tantallampe zusammen, und die Be-

friedigung über den Erfolg auf seinem alten Gebiete kann nur seinen nie ruhenden Schaffensdrang auch in anderen Richtungen verstärkt haben.

Unter den in dieser Zeit vermerkten Plänen für eigene Ar­

beiten befindet sich die Umgestaltung des Hughestelegraphen für Lochstreifen als Ergänzung des Schnelltelegraphen, für den nachher der Pendeltelegraph ausgebildet wurde.

Ebenfalls erwähnte Neue­

rungen für automatische Telephonschaltungen scheinen nicht grund­ sätzlicher Art gewesen zu sein.

Untersuchungen über die Lautstärke

sollten Regeln ergeben für gute Akustik in Räumen durch Vorprüfung an Modellen der Bauentwürfe.

Ein eigenartiger Messer für Wasser­

tiefen benutzte eine elektrische Nullmethode und war wohl zur Lösung

der alten Aufgabe in sehr einfacher Form bestimmt. Diese Gedanken,

die von der Vielseitigkeit des Trägers sprechen und zum Teil über­ raschende Anregungen enthalten, sind nicht zu abgeschlossener Aus­ bildung gelangt.

Dagegen haben eine neuartige Schreibmaschine

und ein aus der Ferne lenkbarer Torpedo den Urheber die folgenden

Jahre bis zuletzt beschäftigt, worüber weiterhin berichtet wird.

Wie

immer konnte aber Wilhelm diesen persönlichen Arbeiten nur einen

bescheidenen Raum gönnen, denn in der Firma bereiteten sich größere

Änderungen vor, und eine wichtige Frage im Bahnwesen fesselte seine Aufmerksamkeit in verstärktem Maße. Seit zwanzig Jahren hatte sich Wilhelm als einer der ersten

mit Gedanken über die Ausgestaltung von elektrischen Fernbahnen mit Wechselstrom getragen und sie in der Zwischenzeit unter Benutzung

des Drehstromes teilweise verwirklicht.

Die Firma hatte auch 1902

der Studiengesellschaft noch eine Lokomotive geliefert, die ohne Be­

nutzung eines Transformators Drehstrom von 10000 Volt un­ mittelbar den Motoren zuführte.

Drehstrombahnen haben sich in

geeigneten Fällen auch vielfach bewährt, im allgemeinen mußte

aber der Einfachheit des ganzen Systemes und der leichteren Regel­ barkeit wegen der Einphasenmotor vorgezogen werden.

Die Be­

mühungen darum waren jetzt auch in Deutschland und Amerika von Erfolg.

Es entstanden verschiedene Formen von Wechselstrom-

Kommutatormotoren, und fast gleichzeitig gelang es der Maschinen­ fabrik Orlikon und den SSW, den alten einfachen Reihenschluß­ motor mit Hilfe der Wendepole unter Berücksichtigung der Phasen150

Verhältnisse brauchbar zu machen. Wilhelms früherer Grundgedanke

der Zuführung von hochgespanntem Wechselströme und Speisung des beliebig regelbaren Motors über einen Transformator bekam

mit dem lange gesuchten Fortschritte auch in der Firma Gestalt und

den eifrigsten Förderer in dem damaligen Träger des Gedankens selbst.

Die Beratungen über die weiteren Schritte hatten schon vor

seiner letzten Reise nach Amerika begonnen, sie kamen nun schnell

zum Schlüsse, 1905 konnte die erste Vollbahnlokomotive für Ein­ phasenstrom zum Betriebe einer Strecke der schwedischen Staatsbahn

geliefert werden, der viele weitere für Inland und Ausland gefolgt

sind. — Bei diesen Arbeiten, die Wilhelm zum Teil selbst in die Hand

nahm, beschränkte er sich auf die zunächst auch wichtigste Leitung in

großen Zügen, ohne nach seiner sonstigen Art sich auch mit Einzel­ heiten näher zu befassen, etwa mit den neuen Motoren.

Trotzdem

er selbst dem Wechselströme in klarer Voraussicht bei der Firma das Bürgerrecht verschalst hatte, war er doch, wie er nun erkannte, dem

Ausbau der Wechselstromlehre nicht so gefolgt, wie er gewünscht hätte. Allgemein erschien ihm jetzt überhaupt der Starkstrommaschinenbau in einem Zustande der Reife, der vorläufig keine grundsätzlichen Fort­ schritte mehr verhieß, sondern nur der geduldigen Weiterarbeit des

Sonderfachmannes bedurfte. Wenn er deshalb auch noch gelegentlich

nach neuen Wegen in Einzelheiten suchte, wie in der Frage der Küh­ lung, so reizte ihn doch der Schwachstrom in seinen mannigfaltigeren Formen und überhaupt das dem physikalischen Laboratorium ent­

stammende Gerät mehr und mehr, so daß er in seiner letzten Lebens­ zeit dem Starkströme nur in besonderen Richtungen nähere Be­

achtung schenkte. Die Änderungen in der Firma, von denen oben gesprochen wurde, waren örtlicher Art.

Dem schon 1899 nach dem Nonnendamm ver­

legten Kabelwerke folgte 1905 als erstes das Berliner Werk, nun­ mehr unter dem Namen Wernerwerk, in einen großen Neubau. Das

Werk, in dem sich Wilhelm immer am meisten heimisch fühlte, hatte seinen Personenstand auf etwa 3500 Köpfe vermehren können und fand bei der voraussichtlichen weiteren Vergrößerung schlechterdings keinen Platz mehr an der alten klassischen Stätte der Firma.

Sie

151

mußte, gewiß unter

wehmütigen Empfindungen der Familie, der

notwendigen Ausdehnung geopfert werden, und bald erinnerte unter den Neubauten in ftemder Hand dort nichts mehr an den Mittel­

punkt der Firma.

Im nächsten Jahre folgte, ebenfalls der Erweite­

rung bedürftig, das Blockwerk und gab seine Gebäude in Charlottenburg an das benachbarte Glühlampenwerk ab. Gleich danach entstand

als Abzweigung vom Charlottenburger Werke inmitten der nun

schon am Nonnendamm angestedelten Werke das Kleinbauwerk zur Herstellung des Kleingerätes für Jnnenleitungen und der Bogen­

lampen.

In derselben Zeit begann sich auch der Großmaschinenbau

vom Charlottenburger Werke loszulösen, er wurde als selbständiges

Dynamowerk nach dem gleichen Gelände verpflanzt.

Dort war eben

als neues Glied der SSW eine Automobilfabrik entstanden.

In

den Jahren 1905/06 waren also ausgreifende Umwandlungen ent­ standen, die sich, wie des Zusammenhanges wegen hier gleich er­

wähnt werden mag, in den folgenden Jahren fortsetzten.

Das erst

vor zehn Jahren am Nonnendamm bezogene Kabelwerk war schon zu eng geworden, so daß es 1910 eine ausgedehntere Anlage bei

Gartenfeld, einige Kilometer von den anderen Werken entfernt, errichten mußte.

In seinen bisherigen Räumen fand als neue Ab­

teilung das Elmowerk zur Herstellung von Kleinmaschinen Platz. Die frühere Vielseitigkeit des Charlottenburger Werkes war damit

ganz erloschen, es blieb ihm im wesentlichen der Bau von Regel­ und Hochspannungsgerät, begann aber nach einigen Jahren einen

Teil seiner Erzeugung ebenfalls nach dem nunmehrigen Haupt­ sammelpunkte der Werke zu verlegen.

Auch in Nürnberg bekundete

sich dies allgemeine Wachstum durch Errichtung eines selbständigen Werkes für den Transformatorbau.

Als Abschluß der großen Um­

züge wurde kurz vor dem Kriege das Verwaltungsgebäude am Nonnen­

damm nach vorheriger Benutzung einzelner Teile in seiner ganzen Ausdehnung durch die Zentralleitung und die Geschäftstellen am Askanischen Platze bezogen. Das dortige Verwaltungsgebäude wurde aufgegeben, dafür war in der Schöneberger Straße das Siemens­ haus entstanden, das den Sitz des Konzernes in Berlin zum Aus­

drucke bringt und außer Empfangs- und Sitzungsräumen die Tech­ nischen Bureaux Berlin von Siemens & Halske und SSW, und

einige andere Geschäftstellen beherbergt. — Durch die Ansiedelung

der Siemens-Betriebe am Nonnendamm wurde hier auch die private Bautätigkeit angeregt, auf dem vorherigen Wiesengelände war ein

eigenes junges Gemeinwesen entstanden, dem im Jahre 1913 mit Recht der Name Siemensstadt beigelegt wurde. Diese bedeutenden örtlichen Verschiebungen fanden ihre deut­

lichste Begründung in der Zunahme des Personales, für das Arbeits­

raum zu schaffen war.

Die Vergrößerung der Kopfzahl war stark

und fast stetig. Sie betrug im Sommer 1904 für Siemens & Halske und SSW zusammen etwa 22000, einschließlich Siemens & Halske

Wien, aber ohne die Österreichischen SSW., die allein 2500 Köpfe

zählten.

Die erstere Zahl stieg bis 1910 fast auf die dopelte Höhe,

und die Zunahme setzte sich in den nächsten Jahren mit ähnlicher Ge­ schwindigkeit fort.

Die Krisis in der ersten Zeit des Jahrzehntes,

die für die Firma so glimpflich abgelaufen war, wurde auch von der gesamten Elektrotechnik nach Abstoßen der schwachen Glieder durch

Regelung des Mitbewerbes in Form von Zusammenschlüssen und Abkommen schnell überwunden. An die Stelle der scharfen gegenseiti­ gen Bekämpfung begann sich das Empfinden für die gemeinsamen

Belange der Elektrotechnik mehr zu entwickeln, es trat eine Zeit der Bündnisse ein, die sich zu den lebenswichtigen Kartellen entwickelten, zur großen Befriedigung von Wilhelm v. Siemens, der den „greu­

lichen Konkurrenzkampf" verabscheute.

Die Entwicklung ging zwar

wieder mit starken Schritten aufwärts, stand aber doch jetzt auf festerer Grundlage und begleitete den allgemeinen gewerblichen Aufstieg. Die besonders große Geschwindigkeit der Eleftrotechnik dabei war

die natürliche Folge der sich mehr und mehr entfaltenden Eigen­ schaften ihrer Erzeugnisse, die neue Möglichkeiten schufen und ältere Einrichtungen ergänzten oder durch ihre Überlegenheit verdrängten.

Mit den Fortschritten der Hochspannungstechnik konnten die Zentral­ anlagen ihren Wirkungskreis bedeutend erweitern, zu den Stadt­ zentralen kamen die Überlandzentralen, denen als noch höhere Ein­ heiten die Großkraftwerke zu folgen begannen.

Entfernte Wasser­

kräfte wurden in erhöhtem Maße zur Energieversorgung herange­ zogen, der Erweiterung der Anlagen entsprach die Steigerung der

Maschinenleistungen.

Die elektrische Maschine mit

ihrer Fähigkeit,

die mechanische Leistung einer zentralen Triebmaschine in beliebige Teile zu zerlegen, sie den Gebrauchstellen leicht zuzuführen und dort mit gutem Wirkungsgrade nutzbar zu machen, hatte in den Fabrik­ betrieben, Schiffswerften usw. schon große Änderungen herbeigeführt. Das Gebiet der Hubwerke war in wenigen Jahren vom Elektromotor erobert und in gegenseitigem Anpassen der elektrischen und mechani­

schen Organe ganz umgewandelt.

Derselbe Vorgang wiederholte

sich, wenn auch langsamer, auf anderen Gebieten, der Elettromotor zog in die Hüttenwerke ein mit ihrer schweren und ungleichmäßig

beanspruchten Arbeit, er bildete das Mittel, um die früher verschwende­ ten Gichtgase für die Zwecke des Betriebes nutzbar zu machen, er

fügte sich auch mit seiner feinen Regelbarkeit allmählich allen An­

forderungen der Textilgewerbe und anderer Betriebe mit weitgehender

Unterteilung der Arbeitstellen.

Größere und kleinere Jndusiriezen-

tralen für den eigenen Bedarf bildeten neben den öffentlichen Zen­ tralen ein fruchtbares Feld. — Die SSW zeigten ein Abbild der

gesamten Starkstromtechnik.

In ihrem Vorstande wirkte seit 1909

der jüngste Bruder Carl Friedrich v. Siemens, der im Jahre vorher von England zurückgekehrt war und 1912 den Vorsitz übernahm. Alle Abteilungen waren in zunehmender Tätigkeit und fortschreitender Ausbildung ihrer Erzeugnisse.

Die Bahnabteilung bearbeitete aus­

gedehnte Entwürfe für den elettrischen Betrieb von Vollbahnstrecken mit dem Einphasenmotor, die Umwandlung der Berliner Stadt­

bahn mit Hilfe der Eleftrolokomotiven rückte näher.

Nur die erste

Bahnbrecherin des Starkstromes, die Bogenlampe, befand sich auf schnell abfallendem Aste,

die Glühlampe mit Metallfaden war ihr

an niedrigem Leistungsverbrauche nahegekommen und schlug sie durch ihre Einfachheit und geringen Ansprüche an Wartung. — Ähnliche Bilder des Aufstieges boten sich bei den vielseitigen Betrieben von

Siemens & Halske.

Am schnellsten hatte das Glühlampenwerk zu­

genommen, zum Teil als Mitgänger des Starkstromes überhaupt, zum Teil infolge der frühen Bereitschaft mit der Metallfadenlampe. Mit ihm im Wettstreite befand sich die ebenfalls meist für den Stark­

strom arbeitende Abteilung für Meßgeräte des Wernerwerkes.

Das

Telegraphenkonto hier hatte nur geringe Steigerung erfahren können, weil ihm besonders im Bahnbetriebe die Telephonie Abbruch tat.

Diese dagegen hatte sich darüber hinaus stark entwickelt, dank der

Pflege des Ämterbaues, der seit etwa 1909 in zunehmendem Grade auch die automatischen Ämter einschloß.

Mit 1907 begann auch eine

sehr beschleunigte Einführung der vielseitigen Schiffkommandogeräte. Gebr. Siemens & Co. hatten verstanden, in ihrem wichtigen Ge­

biete dem allgemeinen Rückgänge des Bogenlichtes zu begegnen und ihren Lampenkohlen, namentlich für Kinotheater, vermehrten Absatz nach dem Auslande zu sichern.

Das Blockwerk endlich nahm

in ähnlichem Maße an der Vergrößerung des Umsatzes teil.

Es

verdankte seine günstige Entwicklung auf dem Hintergründe des ge­ steigerten Verkehrswesens namentlich der Durchbildung der Kraft­

stellwerke, bei denen ebenfalls der Elektromotor die Handarbeit er­ setzt, und der Streckenblockanlagen unter Mitwirkung der Züge. Das

Werk übernahm außerdem seit 1909 die Herstellung von Benzin­ motoren, die in erster Linie für das Automobilwerk bestimmt waren und als Ziel die Entwicklung einer für die verschiedensten Zwecke

brauchbaren Form nahmen. Dieses weitverzweigte und immer wachsende Reich hatte Wilhelm v. Siemens stetig unter Augen.

Es hat in den Jahren wohl wenig

Stellen gegeben, in die er nicht Einblick genommen hätte. Nichts Er­ hebliches geschah ohne seine Billigung. Selten war ihm ein Vorgang

fremd.

Trat das doch mal ein, so konnte er im Augenblicke ganz

ungehalten werden, als wenn irgendwer, vielleicht er selbst, ein Ver­

schulden trüge.

Denn er wollte alles vom Betriebe sehen und wissen.

In dem Bekümmern um die einzelnen Abteilungen verfuhr er nicht

nach Regel, sondern je nach Befinden.

So konnte er längere Zeit

einem Zweige fernbleiben, der dann aber doch seine Beachtung wieder verspürte, überall suchte er anzuregen, und häufig gab er bei Gelegen­ heit Fingerzeige, wie auch Alfred Krupp zu tun pflegte, die keine Ge­ bote, sondern nur Andeutungen von Möglichkeiten sein sollten.

Un­

ausgesetzt liefen daneben seine eigenen erfinderischen Ideen, die zum

Teil unter seiner persönlichen Leitung eine erschöpfende, oft durch

lange Jahre sich hinziehende Durchbildung erfuhren.

Dazu nahm

er seit 1907 eine lebhafte schriftstellerische Tätigkeit über allgemeine

Fragen wirtschaftlicher und politischer Art auf, von der weiterhin näher gesprochen wird, und ließ bis zu seinem Ableben durchschnitt-

lich im Jahre eine längere Druckschrift erscheinen, die bei seiner Gründ­ lichkeit nach dem Inhalte Ergebnisse strenger Vorarbeit waren und

in der Ausführung von der Mühe um schlüssige Darstellung zeugten.

Angesichts dieser Überlast drängt sich hier wieder die schon oben bei den technischen Arbeiten berührte Frage auf, ob er nicht auch in seinem

übernommenen Hauptamts, der Leitung der Firma, seinen eigenen Anforderungen an sich durch größere Zurückhaltung von den Einzel­ heiten mehr entsprochen hätte.

Die Frage beantwortet sich ähnlich

wie die frühere. Das bloße Aufnehmen der Stoffmasse hätte ihn nur zu unbefriedigender Vielseitigkeit geführt, aber indem er aus der Menge

das herausnahm, was ihm der Förderung und der sorgfältigen

Sonderbearbeitung bedürftig erschien, wehrte er wie in allem seinem Tun jede Verflachung ab, und in dem Strome der Vorgänge fühlte

er an dem Verlaufe der in sicherer Eingebung genauer verfolgten Linien den Pulsschlag des ganzen Betriebes. — Es war nicht zu vermeiden, daß bei solchem manchmal ganz unerwarteten Eingreifen an einzelnen Stellen die peinlich erwogene Entscheidung oft später

fiel, als den ob der Stockung Ungeduldigen zweckmäßig erschien. Aber wohl wenige haben hinterher nicht die Förderung anerkannt, die ihrem eigenen Schaffen aus dem im Augenblicke vielleicht un­

bequemen Mitwirken des Leiters erwuchs. Wie Wilhelm v. Siemens die Masse der andrängenden und mit eigenem Willen noch vermehrten Arbeiten zu bewältigen ver­

mocht hat, mit dem Erfolge, den die Tatsachen beweisen, ist um so

schwerer zu verstehen, als seine Gründlichkeit die Hilfe anderer selten in dem möglichen Maße zur Wirkung kommen ließ.

Fleiß wäre ein

zu mageres Wort für die Leistung, die nur durch die volle Hingabe eines geistig ungewöhnlich veranlagten und in demselben Grade

pflichtgetreuen und willenstarken Mannes von zuverlässiger Körper­ lichkeit erklärt werden kann.

Denn im Grunde muß seine Natur

trotz der früheren bedrohlichen Anzeichen eines ernsteren Leidens kern­ fest gewesen sein, sonst hätte sie nicht dem ihr auferlegten harten

Dienste widerstehen können. gesundheitliche Störungen auf.

Allerdings traten manchmal längere Für 1905 berichtet Wilhelm v. Sie­

mens ausdrücklich von seinem Wohlbefinden im Gegensatze zum Jahre

vorher, in dem er dauernd nicht recht auf der Höhe gewesen sei.

156

Ein

ernsterer Anfall überkam ihn im November 1911, den er so beschreibt, „daß die Gegenstände aus den Augen fortströmten".

Dieser eigen­

tümliche nervöse Zustand währte etwa sechs Wochen.

Solche und

andere Abweichungen vom Wohlsein waren indessen durch das Über­

maß von Arbeit erklärlich, das nicht durch genügend lange Erholung­ zeit unterbrochen wurde.

Auch auf seinem 1909 erworbenen Land­

sitze mit Jagd bei Ruhpolding in Bayern pflegte Wilhelm v. Siemens

nur einige Wochen zu verweilen, die kurze Ruhe genießend, ohne sich

aber der Arbeit ganz zu enthalten.

Immer kehrte ihm nach Zeiten

geringeren Wohlbefindens die alte Arbeitskraft wieder, wenn sich auch die unausgesetzte Gedankenarbeit in seinen Zügen auszuprägen begann.

Am Schlüsse von 1907 spricht er von der Absicht, sich nicht

zu spät von dem eigentlichen Geschästsleben jurückzuziehen, sobald nur das junge Geschlecht der Familie gehörig eingeführt sei.

Es

war aber kaum Müdigkeit, denn er wollte dann nur mehr Muße zum Verfolgen technischer und allgemeiner Fragen gewinnen. Mit Genugtuung

Jahren

der

konnte sich Wilhelm v. Siemens nach einigen

Neuordnung

von

S L H und SSW

über

den

hohen und sicheren Stand äußern, den die Firma erreicht hatte. Ende 1910 umfaßte der Konzern im In- und Auslande 17 selb­

ständig geleitete Fabriken und beschäftigte über 52000 Personen. Das

Kennzeichen

der

Arbeit

in

den

SSW

sah

Wilhelm

damals weniger in der Entwicklung neuer technischer Errungenschaf­

ten, als in dem dauernden Wachstums des Bedarfes.

Ersichtlich

wurde seine Teilnahme in technischer Hinsicht mehr von der Tätigkeit

des Wernerwerkes angezogen, in dem weitere erhebliche Fortschritte mit der selbsttätigen Telephonie, Telephonkabeln mit Pupin-Spulen, dem Schnelltelegraphen und anderen Neuerungen gemacht waren,

die ihn besonders fesselten. — Trotz seiner großen Zurückhaltung brachte seine Stellung an der Spitze der immer wachsenden Firma Wilhelm v. Siemens in Fachkreisen wie in der breiteren Öffentlich­ keit zu steigender Beachtung.

Im Jahre 1904 wurde er zum Ge­

heimen Regierungsrat ernannt, eine Ehrung, die seinem Vater als

erstem in freiem Berufe zuteil geworden war.

In demselben Jahre

wurde ihm gelegentlich des 25jährigen Bestehens des Elektrotechni­ schen Vereines die Siemens-Stephan-Plakette für seine Verdienste

um die Elektrotechnik verliehen, ebenso erfolgte die Berufung in die Akademie des Bauwesens,

ein Jahr später die

Verleihung des

Dr. Jng e. h. von der Technischen Hochschule Dresden.

Mitglied des

Ältesten--Kollegiums der Berliner Kaufmannschaft, auch hierin der Nachfolger seines Vaters, war Wilhelm schon seit 1894, 1911 ge­ hörte er zu den Begründern der „Kaiser Wilhelm-Gesellschaft jur

Förderung der Wissenschaften". Das Bild dieser Jahre starken Aufstieges war nicht frei von

Trübungen.

Mit Karl v. Siemens starb 1906 der letzte der vier

Brüder, die den Namen berühmt gemacht hatten, und der letzte der

drei Leiter der Gesamtfirma.

Der außerhalb der Firma gebliebene

Friedrich war zwei Jahre zuvor verschieden.

Karl hatte wegen Kränk­

lichkeit sich in den letzten Jahren nicht mehr tätig an der Leitung beteiligen können.

Sein Tod weckte in der Familie wehmütiges

Empfinden um das Erlöschen des ersten Geschlechtes, dem das Haus seine Begründung verdankte. — Auch andere Gemütswerte mußten

in dieser Zeit den veränderten Verhältnissen weichen.

Schwierigkeiten

mit der Belegschaft waren früher in der Firma kaum vorgekommen, gelegentliche Ansätze dazu noch unter Werner Siemens wurden in

Ruhe zu beiderseitiger Zufriedenheit geschlichtet.

Jetzt begannen sich

auch in der so stark vermehrten Belegschaft die Lohnkämpfe in den bedauerlichen Formen zu entwickeln, die anderwärts schon lange

üblich waren.

Streiks und Aussperrungen traten ein, wo ftüher

die Gegensätze durch Verständigung beglichen waren.

Wie Wilhelm

innerlich diese Erscheinungen aufnahm, kann aus seiner Sinnesart

leicht geschloffen werden. Seine sachliche Stellung zu den Vorgängen

ist aus den Aufzeichnungen nicht deutlich zu erkennen.

Als Leiter

der Firma mußte er zunächst den Maßregeln zustimmen, die durch die fortgesetzte Nötigung seitens der Arbeiter durch Drohung und

Streiks getroffen werden mußten.

Sonst findet sich in einem Notiz­

buche aus der Zeit nur die nicht näher ausgeführte Bemerkung, daß er nicht den Streik, sondern den Streikmißbrauch bekämpfe. In einer längeren Betrachtung, die wahrscheinlich aus späterer Zeit

stammt, hat er sich dann mit der brennenden Frage eingehend aus­

einandergesetzt und in seiner abgeklärten Weise die Gegensätze von

beiden Seiten aus gewürdigt.

Zu keiner Zeit hat Wilhelm v. Siemens unterlassen, von neuen

Ergebnissen auf wissenschaftlichem und technischem Gebiete Kenntnis

zu nehmen.

Inmitten der Tagesarbeit fand er immer die Stunde,

in der er die Fülle der Zeiterscheinungen auf sich wirken ließ und

einigen daraus nähertrat, um sie — so muß man sich vorstellen — mit eigenen Idee» weiterzuspinnen.

Die am meisten beachteten

technischen Ereignisse des jungen Jahrhunderts waren die gelungenen Versuche zur Eroberung der Luft mit lenkbarem Luftschiff und Flug­

zeug. Der leichte Motor war verwirklicht, von dem viele Jahre zuvor

Werner Siemens den Erfolg abhängig gemacht hatte.

Unter den

Erbauern von Luftschiffen war Graf Zeppelin volkstümlich geworden, in den Armeen wurde den neuen Luftfahrzeugen lebhafte Beachtung

geschenkt, und hauptsächlich auf ihren Antrieb und mit ihrer Unter­ stützung entstanden weitere Formen von Luftschiffen, die mit den

Vorgängern um die Palme der militärischen Brauchbarkeit rangen. Es war freilich nicht Wilhelms Art, einem gemeinsamen Zuge zu folgen, er ging am liebsten eigene Wege, und seine eigentümliche

kritische Ader erzeugte bei ihm leicht einen gewissen Widerstand gegen

die Richtung des Tages.

Es liegen auch keine Anzeichen vor, daß

er von selbst den viel besprochenen Luftfahrzeugen eine erhöhte Teil­ nahme zugewendet hätte.

Man erzählt, Graf Zeppelin habe von

ihm vergeblich eine Förderung seiner Pläne erhofft.

Träfe das zu,

so dürfte es in den wirtschaftlich matten Jahren gewesen sein, in denen Wilhelm seine Kraft ganz der Führung der eigenen Firma

widmen mußte.

Das änderte sich, als ihm eine Aufgabe des Luft­

schiffbaues nähergebracht wurde, bei deren Übernahme die vom Vater ererbte Auffassung den Ausschlag gegeben haben wird, daß ein großes

gefestigtes Unternehmen über seinen gewerblichen Zweck hinaus die

Verpflichtung habe, Fortschrittarbeiten zum allgemeinen Besten zu

leisten, für deren Durchführung sich nicht leicht andere Wege bieten. Als um die Mitte von 1907 Wilhelms Rat und Beistand vom Chef

des Preußischen Generalstabes angerufen wurde, der nach den lang­

samen Fortschritten der deutschen Systeme um so mehr an ihrem Gelingen zweifelte, als die französischen Luftschiffe fast täglich von

sich reden machten, stellte Wilhelm nach einer Unterredung von kaum einer halben Stunde die Hilfe der SSW zur Verfügung und sagte

den Bau eines Luftschiffes zu, das mindestens die Leistungen der Zu jener Zeit war ein lebhafter Streit

französischen aufweisen sollte.

entbrannt

zwischen den drei

Luftschiffsystemen, dem starren von

Zeppelin vertretenen, dem Halbstarren französischen und dem völlig unstarren von Parseval.

Es wurde insbesondere in Zweifel gezogen,

ob man gänzlich unstarre

Luftschiffe mit größeren Abmessungen

erfolgreich bauen könne. Bei dem Versuche kamen nicht nur bedeutende

Kosten in Frage, sondern auch die Lösung einer Reihe neuer Pro­ bleme, die sich durch den Übergang zu wesentlich größeren Abmessun­ gen bei Prallschiffen aufdrängten.

Für Wilhelm v. Siemens galt

es, das Zurückbleiben Deutschlands gegenüber dem Auslande in diesem Teile der Luftschiffahrt zu verhindern, und so betraute er

die Kriegs- und Schiffbautechnijche Abteilung der SSW mit der

willkommenen aber auch schweren Aufgabe, der er selbst eine nie erlahmende

Teilnahme

entgegenbrachte.

Es

kostete

über

drei

Jahre hingebender Mühe, um das Luftschiff zu seiner ersten Fahrt

im Januar 1911 fertigzustellen.

Es hatte langgestreckte Torpedo­

form und bei 118 m Länge einen Gasraum von 13 000 m3.

Es

zeigte als erstes seiner Art die Anwendung von mehreren (drei) Gon­ deln mit je zwei Motoren und die Unterteilung des Gasraumes bei einem Prallschiffe.

Neuartig war auch die Verbindung der Gondeln

mit dem Gaskörper durch gespannte Stoffbahnen statt durch Seile.

Diese über den größeren Teil des Luftschiffes fortlaufenden Bahnen gaben ihm sein kennzeichnendes Aussehen und trugen ebenso wesent­ lich zur Versteifung und selbsttätigen Druckregelung des Gaskörpers wie zur Verminderung des Luftwiderstandes bei.

Der Anordnung

dieser Stoffbahnen war zu verdanken, daß das Luftschiff trotz seines

großen Streckungsverhältniffes von 1:8 und trotz mancher unfrei; williger Gasverluste von seinen etwa 70 Fahrten stets in prallem Zu­

stande ohne Knickung zurückkehrte.

Es kam auf eine Geschwindig­

keit von etwa 70 km/st und war damit längere Zeit das schnellste

Unter den, vielleicht allzuvielen, Teilnehmern

Luftschiff der Welt.

an

den Fahrten befand

der

Arbeit durch

sich

auch Graf Zeppelin

selbst,

der

sich schon

Aufstiege

bei

den

Wilhelm v. Siemens

vor

und

Mllitär-Luftschiffern

Anschauungen vom Wesen der Luftfahrt verschafft hatte.

160

natürlich

Inangriffnahme eigne

Bereits

während des Baues erhielten

die

Arbeiten wertvolle Anregungen,

militärischen Stellen aus den

und das ganze selbstlose Unter#

nehmen hat die Luftschifftechnik wesentlich bereichert. noch fördernd über die erste Absicht hinaus.

Es wirkte

Denn von vornherein

war die Notwendigkeit eines sicheren Hafens für das Schiff erkannt

und in der drehbaren, einschiffigen Halle das Mittel gesehen, das Schiff bei jeder Windrichtung leicht und gefahrlos aufzunehmen. Die eiserne drehbare Halle wurde deshalb gleichzeitig auf dem von Wilhelm zur Verfügung gestellten Gelände seines Gutes Biesdorf

gebaut und bewährte sich vollkommen.

Mit dem geschloffenen Ende

gegen den Wind gedreht, ließ sie durch die lenkenden Heckwirbel am offene» Ende das Schiff glatt einführen und bewies ihre Überlegen# heit auch für andere Luftschiffe. Sie selbst und eine nach ihrem Vor#

gange ausgeführte andere Halle bei Cuxhaven haben während des Krieges die wichtigsten Dienste geleistet. — Noch während der Vor# bereitungen zum Bau des Luftschiffes erregten 1909 die Vorführungen von leistungsfähigen Flugzeugen Aufsehen. Auch Wilhelm schätzte gleich ihre militärische Bedeutung sehr hoch ein und scheint fast mehr Wert

auf sie als auf die Luftschiffe gelegt zu haben.

Er veranlaßte auch

eigne Versuche in der Richtung, beschloß aber vorläufig noch Zurück#

Haltung, nachdem das erste Flugzeug verunglückt war, wahrscheinlich

um in gründlicheren Vorarbeiten einen festen Anhalt zu bekommen. Doch fanden bis zum Kriege keine weiteren Versuche statt. Wie nahen Anteil Wilhelm v. Siemens an diesen Arbeiten nahm,

zeigen seine Notizen darüber.

Pionierarbeiten — ein Wort, das

er mit Vorliebe für die Forschung und ihre Anwendung auf allen

Gebieten gebrauchte — waren überhaupt die Tätigkeit, die ihn am meisten befriedigte.

Ihre Förderung war ein Teil seines rastlosen

Bemühens, gleich seinem Vater die Firma in der Art ihrer Erzeug#

nisse immer an der Spitze zu halten.

Aus der häufigen Betonung

der technischen Grundlage der Firma ist zu entnehmen, in welcher Weise er ihre Sicherheit in dem Auf und Ab des geschäftlichen Trei# bens wahren wollte.

Der Anfang aller technischen Fortschritte war

ihm die wissenschaftliche Erkenntnis und ihre Anwendung.

Er legte

daher immer den größten Wert auf die Arbeit im Laboratorium,

die von dem technischen Bedürfnis angeregt wird, sich aber ohne Be# XI.

R 0 t t h, Wilhelm von Siemens.

l6l

engung durch die Forderung schneller Ergebnisse entfalten sollte. Seine früh entwickelte wirtschaftliche Betrachtungsweise und die Über­

lieferungen des Hauses bewahrten ihn dabei vor einem Verlieren Bei aller eigenen Neigung zur reinen Forschung konnte

des Zieles.

er diese selbst nicht zur Richtschnur in einem gewerblichen Unter­

nehmen machen.

Für ihn bestand aber auch kein zünftiger Unter­

schied zwischen Forschung und Anwendung.

Welche Früchte die mit

allen wissenschaftlichen Mitteln ohne Hasten nach einem Augenblicks­

erfolge durchgeführte, richtig geleitete Laboratoriumsarbeit zeitigen

konnte, zeigte die Tantallampe. Wilhelms

In dieser Auffassung wurzelte

Bestreben, eine Stätte für die ungestörte Forschung

zu schaffen, wo von einem Kreise geschulter Kräfte auf breiter Grund­ lage angelegte Arbeiten planmäßig betrieben werden, deren reife Ergebnisse den zuständigen Betrieben zu praktischer Nutzung zuzu­

führen sind.

So entstand das Physikalisch-Chemische Laboratorium,

das seit 1908 festere Form gewann und jetzt in einem Neubau in

Siemensstadt Platz gefunden hat, dessen Umfang schon äußerlich den Wert andeutet, der auf die gründliche Vorbereitung der techni­

schen Fortschritte gelegt wird.

Es bildet einen Teil der „Zentral­

stelle für Forschungsarbeiten", die für die gesamte Laboratoriums­ arbeit in allen Zweigen des Konzernes den sichtenden und ordnenden

Mittelpunkt bildet.

Zu ihrer Führung berief Wilhelm v. Siemens

1916 seinen Schwager Geheimrat D. C. Harries aus Kiel. Er wollte

hier vor allem für die gleichmäßige Pflege der wissenschaftlichen Ar­ beitweise sorgen und mit Bedacht wählte er als Leiter einen Che­

miker, da er in der Chemie die wichtigste Grundlage für die zukünfti­ gen technischen Fortschritte sah. Er selbst hat die volle Verwirklichung

seines Planes, der nicht überall die gleiche Einsicht fand, nicht mehr

erlebt, aber in den beengten, immerhin schon beträchtlichen alten

Räumen die Wirksamkeit des Physikalisch-Chemischen Laboratoriums beobachten und fördern können. Er verweilte hier oft und legte seine

manchmal erst keimenden, dann wieder schon mehr ausgetragenen Ideen zur Prüfung oder Weiterentwicklung in die Hände verständnis­

voller Fachleute.

In dieser Weise sind vielerlei Anregungen und

vorgebildete Unterlagen zu Geräten, zum Tell nach jahrelanger Ar­

beit, in die Werke gelangt, namentlich in das Wernerwerk, und nach

Abschluß ihrer Entwicklung zu Gegenständen regelmäßiger Erzeugung geworden, ohne daß sich* auch hier der Anteil der einzelnen Mitarbeiter

an dem Ergebnisse bestimmen ließe.

Allgemeinere akustische Fragen,

meist als Hilfsmittel für das Telephonwesen, wurden behandelt,

Meßgeräte

in den Grundzügen geschaffen, wie Geschwindigkeits­

messer für Wasser und Luft, Rauchgasprüfer u. a., deren Durchführ­ barkeit auf elektrischem Wege in der tatsächlich erreichten einfachen

Damit ist die Tätigkeit des

Weise kaum möglich erscheinen könnte.

Laboratoriums aber nicht vollständig gekennzeichnet, denn seine Auf­ gabe besieht auch in der dauernden Beachtung und Vorbehandlung

gewisser Fragen, für deren Lösung sich noch kein sicherer Weg an­ geben läßt, die aber doch erhofft werden kann.

So sollte nach Wil­

helms Willen die unmittelbare Umwandlung der latenten Energie

des Kohlenstoffes in elektrische Energie immer im Auge behalten wer­ den, wenn er selbst, wie er schreibt, auch nur ein ganz dunkles Ge­ fühl für die Möglichkeit der Durchführung des Vorganges habe. Seine während der Versuche mit den Wendepolmaschinen gehegte

Absicht, sich auch eine dauernde Stelle zum Ausbilden von Neuerun­ gen auf diesem Gebiete zu schaffen, die unabhängig von dem laufen­ den Betriebe arbeiten sollte, ließ er nach den erfahrenen Schwierig­

keiten wieder fallen, dagegen dehnte er sein Laboratorium im Werner­ werke weiter aus. Hier war der Schnelltelegraph in dauernder Pflege, und seit 1905 wurde an einem Torpedo mit Fernlenkung gearbeitet,

dem bis zuletzt Wilhelms regste Teilnahme galt. Das Wesentliche über dieses Kriegsgerät ist inzwischen durch die Literatur weiteren Kreisen bekannt geworden.

Den Anstoß dazu gab

die vaterländische Besorgnis der Überlegenheit fremder Marinen über die deutsche, der ein wirksames Abwehrmittel gegen die Über­ macht gegeben werden sollte.

Wilhelm knüpfte dabei unmittelbar

an die Vorarbeiten seines Vaters an, der 1870 bei Kriegsausbruch einen vom Standorte aus steuerbaren Torpedo entwarf und dem Kriegsministerium mitteilte.

Bei einer vollkommeneren Form aus

den nächsten Jahren benutzte er eine elektrische Steuerung, die durch ein leichtes Kabel von rückwärts betätigt wurde.

Eine Fortbildung

ist dann unterblieben, weil inzwischen der selbständige Torpedo von

Whitehead XI*

andere

Arten

unnötig

zu

machen

schien.

Wilhelm

163

bewahrte die Erinnerung an die Versuche auf dem Tegeler See,

zu denen er damals mitgenommen war, Nnd hielt mit den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln gerade die Zeit des gesteuerten

Torpedos für gekommen, trotzdem der freie Torpedo seitdem be­ deutend verbessert war. Freilich war die Aufgabe gegen früher durch

die sehr vergrößerte Tragweite der Geschütze viel schwieriger geworden.

Es mußten bald Wirkungslängen bis 20 km wünschenswert erschei­ nen.

Die Möglichkeit, einen Bootkörpeu mit großer Geschwindigkeit

auf diese Entfernung anzutreiben, bot nur der leichte Verbrennungs­ motor. Damit und mit der Notwendigkeit der ständigen Beobachtung vom Lande aus war die unsichtbare Unterwasserfahrt ausgeschlossen,

die aber auch von artilleristischer Seite nicht für notwendig gehalten wurde, da einem kleineren Boote nur Zufalltreffer etwas anhaben

konnten.

Das Kühne des Entwurfes lag in dem Unterfangen, auf

so großen Abstand die Verbindung durch ein dünnes Steuerkabel

aufrechtzuerhalten. Es bestanden zwar schon Bestrebungen, die elektri­ sche Steuerung auf drahtlosem Wege durchzuführen, indessen wurde

die Drahtleitung mit gutem Bedacht vorgezogen, da eine Störung der elektrischen Wellenstöße zum Steuern durch die funkentelegraphi­ schen Einrichtungen der angegriffenen Schiffe zu erwarten war und

die Herrschaft über den Torpedo damit verloren ging.

Dieser stellte

also ein unbemanntes, sehr schnelles Motorboot vor mit so starker Sprengladung im Vorschiffe, daß bei ihrer Entzündung durch Anstoß

oder vom Fernsteuerstande aus jede Schiffswand in größerer Aus­

dehnung durchschlagen werden mußte.

Der Kommandogeber sollte

von einem genügend hohen Geländepunkte aus betätigt werden.

Es ist in langer, mühsamer Arbeit unter Wilhelms Vetter Oberst Schwedler gelungen, das Siemens-Fernlenkboot frontfähig zu machen. Das ganz dünne Kabel für die elektrische Steuerung mußte von dem Boote selbst mitgeführt werden und sich nach Maßgabe der durch­

eilten Strecke selbst auslegen, so daß es keinen erheblichen Zug erfuhr. Neben dieser schwierigen mechanischen Aufgabe stand die Ausbildung

der verwickelten Steuereinrichtung, und Hand in Hand mit der grund­ sätzlichen Lösung dieser Aufgaben ging die Entwicklung der zweck­

mäßigen Verhältnisse, in der die tunlichst klein zu haltende Größe

des Bootes, die verlangte Geschwindigkeit, die Motorleistung und

Sprengladung aufeinander abgestimmt werden mußten.

Es ergab

sich schließlich ein Gesamtgewicht des Bootes von 6 Tonnen, das bei 30 Knoten Fahrt eine Maschinenleisiung von 400 Pferd erhielt.

Eine Unsumme unverdrossener Arbeit der verschiedensten Art und viele Versuche sind nötig gewesen, um das Fernlenkboot auf den Zu­ stand der Kriegsbrauchbarkeit ju bringen, und dann während des

Krieges in unausgesetzter Weiterarbeit den immer gesteigerten An­ forderungen zu genügen.

Die Wirkungsweite wurde allmählich von

20 auf 50 km vergrößert, die dazu erforderliche erhöhte Beobachtungs­ stelle auf Flugzeuge verlegt, von denen aus die ^Steuerkommandos

funkentelegraphisch nach der Fernsteuerstelle zu geben waren, um

hier selbsttätig in die Stromzeichen für das Kabel umgesetzt zu wer­ den. — Zum Kummer seines Schöpfers war das Lenkboot bei Aus­

bruch des Krieges noch nicht so weit gediehen, die Bedenken des wenig

dafür empfänglichen Reichsmarineamtes zu überwinden.

Auch nach

seiner rastlos betriebenen Vervollkommnung konnte sich die Behörde

noch nicht zur Verwendung entschließen, und erst nach einer praktischen Vorführung vor dem Prinzen Heinrich im Herbste 1915 wurde die Bahn für das neue Kriegsmittel frei. schen Küste

Proben seiner

Es hat dann an der flandri­

Leistungsfähigkeit gegen schwimmende

und feste Ziele abgelegt, über die unmittelbaren Erfolge hinaus

aber wie die Kanonen von Gibraltar durch seine bloße Anwesenheit gewirkt, denn der über das Lenkboot natürlich bald unterrichtete

Feind hat seine Besorgnis vor ihm durch größere Fernhaltung von

dec Küste bekundet.

Auch als Kampfmittel für Großschiffe erwies

sich das Lenkboot als geeignet, nachdem man mit seiner Eigenart vertrauter geworden war. — Das Steuerkabel hatte sich über Er­

warten bewährt, seitdem aber in der letzten Entwicklung dem Flieger die eigentliche Leitung zugefallev war, der das Boot bis auf eine

gewisse Strecke feindwärts begleitete und dabei die Kommandos drahtlos übermittelte, mußte sich der Wunsch lebhafter regen, das Kabel ganz fallen zu lassen und das Boot unmittelbar mit den elektri­ schen Wellen zu lenken.

Das frühere berechtigte Bedenken dagegen

blieb bestehen, solange nicht die Möglichkeit der elektrischen Störung

seitens der angegriffenen Schiffe beseitigt war.

Auch diese Aufgabe

wurde gelöst, und Boote für rein elektrische Fernsteuerung sind gegen 165

Kriegsende an die Front gesandt, ohne hier aber noch in Tätigkeit

treten zu können. Das Lenkboot war. nicht das einzige Kriegsgerät, mit dem

Wilhelm

bei

dem übermäßigen

Rüsten

aller

Staaten in

den

vorhergehenden Jahren für Deutschland einen waffentechnischen Vor­

sprung zu erringen hoffte. Seit 1909 beschäftigte ihn auch ein Ge­ danke, der als die Übertragung des ferngesteuerten Wassertorpedos

auf die Wurfbombe der Luftfahrzeuge bezeichnet werden kann.

Die

sehr geringe Treffgenauigkeit der einfach abgeworfenen Bombe suchte

er durch eine gesteuerte Bombe zu beheben.

Er hat diesen Gedanken

in verschiedenen Formen zu verwirklichen gesucht und in den letzten

Friedensjahren auch einleitende Versuche angesiellt.

Während des

Krieges hat er die Absicht wieder mit Nachdruck verfolgt und in dem

Gleitflieger eine Ausführung geschaffen, über die durch Patent­ schriften einiges bekannt geworden ist.

Auch hier wurde durch Ver­

suche, die durch die Natur des Gerätes sehr erschwert waren, alles Mögliche getan, um noch rechtzeitig zu einem Ziele zu kommen.

In­

dessen war die Zeit zum Ausreisen des Gerätes doch zu kurz.

Vielseitigkeit und Beweglichkeit in der Aufnahme immer neuer Pläne pflegen nicht mit Beharrlichkeit im Durchführen verbunden zu

sein.

dernswerte

Im

Gegensatze

Zähigkeit im

dazu

zeigte Wilhelm

Vollenden

des

eine

Begonnenen.

bewun­ Er ge­

hörte zu den wenigen nach dem Worte seines Vaters: „Zu Erfindern passen nicht viele, weil nur wenige hinlängliche überzeugungstreue

und Ausdauer haben". Solange Aussichten auf Gelingen bestanden, war ihm kein Opfer an Zeit und Mühe dafür zu groß.

Das trat

besonders hervor, nachdem er mit der Zeit eine gewisse Technik im

planmäßigen Durchbilden seiner Ideen angenommen hatte. Er selbst konnte sich bei seiner Überlastung immer nur sprunghaft mit den Fortschrittarbeiten befassen, er hatte aber gelernt, geeignete Mitarbeiter auf die richtige Fährte zu setzen und ihre stetige Arbeit

durch stückweises Mittun anzuregen und in der Richtung zu erhalten. Ein weiteres Beispiel dafür bildet eine eigentümliche Schreibmaschine,

deren Fortgang zu fördern er seit den ersten Anfängen nicht müde wurde. Der Ursprung war vielleicht mehr eine Laune als die Über­

zeugung von einem erheblichen Werte.

Er empfand das Klappern

der gewöhnlichen Schreibmaschine als lästig und bei beginnender Weitsichtigkeit ihre Schrift mit den gleichen Räumen für alle Buch­

staben, also mit ungleichen Zwischenräumen, als unbequem lesbar. Er wünschte eine Maschine, die bei nur geringem Geräusche sogenannte Druckschrift und mit ausgeglichener Zeilenlänge herstellt.

Das ur­

sprüngliche Ziel erweiterte sich aber, und bald sah Wilhelm v. Siemens

ein großes Gebiet für die Elektrotechnik sich öffnen mit neuen Möglich­

In langer Arbeit entstand zunächst eine elektrische Schreib­

keiten.

maschine, die manche von den Einzelheiten enthielt, wie sie beim Schnelltelegraphen benutzt wurden.

Die Maschine liefert Schrift­

stücke, die sich von sauber gedruckten Buchseiten nicht unterscheiden und unter Zuhilfenahme bekannter Verfahren zum Vervielfältigen

für den Buchdruck die Setzerarbeit erspart.

Sie bildet so aber nur

einen Teil der auch in der Kriegszeit stetig geförderten Pläne.

Für den Siemens-Konzern trugen die letzten vier Jahre vor

dem Kriege ganz das Kennzeichen der vorhergehenden.

Umsätze

und Kopfzahlen gingen mit unverminderter Geschwindigkeit höher,

erst im letzten Jahre trat ein Stillstand in der Zunahme ein, die in

der Stärke auch nicht lange hätte bestehen können. Nur für das Glüh­ lampenwerk zeigte das letzte Jahr einen starken Abfall des Umsatz­ wertes, der durch einen plötzlichen Preissturz der Lampen verursacht

war.

Einen Ausgleich dafür bot der noch fortdauernde Zuwachs des

Wernerwerkes und Blockwerkes.

Im Wernerwerke erfuhren von

den wichtigsten Zweigen die verhältnismäßig größte Steigerung die

Kommandogeräte für Schiffe, daneben die Meßgeräte und Telephon­ anlagen.

In der angegliederten elektrochemischen Abteilung machte

sich die Ausbreitung der Elektrostahlöfen bemerkbar.

Der Aufstieg

im Blockwerke war nur dem Eisenbahn-Sicherungswesen zu danken,

die Verbrennungsmotoren blieben noch auf bescheidener Höhe.

Ge­

ringe Verschiebungen in der Erzeugung traten bei Gebrüder Sie­ mens & Co. ein, wiewohl sich der stärkere Bedarf in großen Kohle­ elektroden für die elektrischen Hfen deutlich anmeldete. Für die SSW bedeutete die Vermehrung der Aufträge auch die schrittweise vor­

gehende Steigerung der Leistungen von Maschinen und Geräten. Bedeutsam war die schnelle Erweiterung der Kriegs- und Schiffbau-

technischen Abteilung, die besonders den Scheinwerferbau stark ge­ fördert hatte und für die Marine den wichtigsten Teil der Untersee­

boote ausbildete, den elektrischen Antrieb mit seinen verwickelten Schaltanlagen.

Die Bahnabteilung konnte als Erfolg ihrer müh­

samen Vorarbeiten die ersten größeren Anlagen elektrischer Voll­

bahnen in Deutschland und Schweden buchen.

In der Einrichtung

der SSW war eine grundsätzliche Neuordnung durchgebildet, die den geschäftlichen Wert der einzelnen Zweige deutlicher erkennen ließ. — Auch für die Tochterfirmen in Österreich, Rußland und England

hatte die von Wilhelm v. Siemens umsichtig betriebene engere Ver­

bindung mit dem Mutterhause gute Früchte gezeitigt.

Sie befanden

sich bei befriedigenden Erträgnissen in erwünschtem Fortschritte. Das Wachstum der Firma war beträchtlich, aber seine Stetig­ keit gab Wilhelm v. Siemens ersichtlich mehr Ruhe, sich mit allge­

meinen Fragen zu beschäftigen, über die er sich auch teilweise öffent­ lich äußerte.

Zwar blieb sein Befinden nach dem Anfalle, der sich in

Sehstörungen kundgegeben hatte, noch ziemlich lange ungleichmäßig,

aber er fühlte dann deutlich den Abschluß dieser Zeit verminderten Wohlbefindens und vermerk ausdrücklich, wie »glücklich und be-

ftiedigend" das Jahr 1913 für ihn verlaufen sei.

Mehr als sonst

nimmt er an den Verhandlungen wüssenschastlicher und wirtschaft­ licher Gesellschaften teil.

Er wird in die „Staatswissenschaftliche

Gesellschaft" gewählt, für deren 30 Mitglieder Vertragspflicht be­ sieht, ebenso wird er Mitvorsttzender der Gesellschaft „Recht und Wirt­

schaft", im Vorstande des „Zentralverbandes Deutscher Industrieller"

nimmt er an erster Stelle teil an den Beratungen über den Entwurf der Regierung zu einem neuen Patentgesetze, er besucht die Zusammen­ künfte der „Göttinger Vereinigung".

Mit merklichem Behagen

spricht er von dem Umbau seiner neuen Besitzung Urschlau bei Ruh­ polding mit der „Umwandlung des Kuhstalles in ein großes Stu­ dierzimmer".

Dort, in ruhiger Gebirgsgegend, wollte er später,

wenn er sich mehr von den Geschäften zurückgezogen hätte, Muße zu recht ungestörter Arbeit finden. Dem Namen nach war das Tus-

kulum ein Jagdhaus.

Einstwellen dachte er aber nicht an Zurück­

ziehen, aus kleineren Maßnahmen, die er zur Erleichterung seiner Arbeit traf, ist vielmehr zu schließen, daß er sich im Gefühl wieder-

gewonnener Frische auch weiter eingehend mit der Leitung der Firma befassen wollte.

Sie innerlich auch durch erzieherische Einwirkung

auf die Mitarbeiter zu stärken, war schon immer sein Bemühen. Gleich

seinem Vater lag ihm die Erhaltung der Überlieferung im Hause am Herzen.

Er sah darin sowohl ein Mittel der Belehrung für den

Nachwuchs wie der Stärkung des Gefühles für den persönlichen Zusammenhang mit der Stätte, die so vielen eine Heimat geworden

war.

Aus dieser Anschauung ließ er ein ausgedehntes und sorg­

fältig angelegtes Archiv entstehen, das neben rein geschäftlichen

Zwecken auch der Pflege der Gemütswerte dienen sollte, die dem Empfänglichen aus der Kmntnis des Werdeganges erwachsen.

Un­

ermüdlich suchte er bei jeder Gelegenheit andern das gleiche Empfin­

den zu erwecken, ließ Schilderungen der Entwicklung einzelner Zweige

in gewissen Zeitabschnitten bearbeiten und regte immer wieder ältere Beamte an, die Erfahrungen auf ihren Gebieten aufzuzeichnen, sowohl in technischer wie in kaufmännischer Hinsicht.

Er mußte frei­

lich erfahren, daß die Einficht in den Wert der Entwicklungskunde

selbst erst entwickelt werden muß, und namentlich blieb sein Wunsch nach einer Finanzgeschichte der Firma unerfüllt, die so viel eigene

Sorgen und Mühen aus den Vorjahren einschloß und so lehrhaft für die Nachfolger sein konnte.

Erfolglos ist aber sein Bestreben

um das Festhalten und kritische Bearbeite» zurückliegender Werde­

stufen nicht gewesen, eine Reihe vorhandener Einzelarbeiten kann

dem allmählich

erwachenden

Sinne für die geschichtlich-technische

Forschung reiche Befriedigung bieten.

Dahin gehören auch, wie

das ganze früher erwähnte Berichtwesen, so besonders die Jahres­ berichte der Werke und Abteilungen, die Wilhelm v. Siemens genau überwachte, die das Bild der Vorgänge abgeschlossen vor Augen

führen und in dem Leser ein unbewußtes Empfinden für die gesetz­ mäßigen Zusammenhänge erziehen.

3n öer Kriegzeit. Schriftstellerische Tätigkeit. Daß gerade der friedliche wirtschaftliche Aufschwung Deutsch­ lands eine Kriegsgefahr in sich schloß, hat die kleine Zahl Einsichtiger Die Besorgnis vor einem nahenden Kriege hatte ja

wohl gefühlt.

auch Wilhelm «.Siemens zu den Versuchen getrieben, an seinem

Im all­

Teile die kriegstechnische Rüstung zu vervollkommnen.

gemeinen war in den Jahren wohl oft vom Kriege gesprochen, aber man dachte doch nur daran wie an eine weit entfernte Möglichkeit. Auch in den oberen Regierungskreisen ist die Gefahr in ihrem ganzen

Ausmaße unterschätzt, wie sich gezeigt hat.

Für die wirtschaftliche

Kriegsbereitschaft war nichts geschehen. Noch am 26. Mai des Jahres 1914 beriet unter einem Staatssekretär der von der Reichsregierung

auf Andrängen vereinzelter Mahner nicht lange vorher gebildete kriegswirtschaftliche Ausschuß, in dem der Bericht über die Rohstoffe

von Wilhelm erstattet wurde.

Dieser hatte den Eindruck

einer

ganz unzureichenden Fürsorge und beklagte die trotzdem bestehende

zuversichtliche

Auffassung

des

Maßnahmen kommen ließ. seinem gewohnten Rückblicke

Vorsitzenden,

die

es

zu

keinen

Als er das im folgenden Winter in nochmals

niederschrieb,

mußte

er

hinzufügen, daß, wie inzwischen.offenkundig, auch die militärische Vorbereitung hinsichtlich des Schießbedarfes sehr mangelhaft ge­

wesen war. Nun wurde der Krieg zur Wirklichkeit, unvermutet auch von

denen, die klarer in die politische Zukunft gesehen hatten.

Unver­

geßliche Begeisterung durchdrang das ganze Volk, aber über das

persönliche Empfinden hinaus mußten Führer im gewerblichen Leben von der größten Sorge erfüllt sein, ob und wie lange sich die Betriebe

aufrechterhalten lassen würden, von denen das Wohl so vieler ab­ hing. Die gesamte Personenzahl des Siemens-Konzernes in Deutsch­

land betrug bei Ausbruch des Krieges am 1. August fast 60000. Sie sank im Laufe des Monates um etwa 23 000, davon war der

größte Teil sofort zu den Fahnen einberufen oder freiwillig einge­ treten, aber auch fast ein Viertel der Frauen verließ Bureau und

Werkstatt, um sich der Krankenpflege zu widmen oder Landarbeit zu übernehmen.

170

Für den Augenblick mußte damit notwendig ein

Mangel an Personal eintreten, ob dem aber nicht bald ein Mangel

würde,

an Arbeitstoff folgen

Manchen

ist

Wilhelm

in

niemand

konnte

den

ersten

machung tief niedergeschlagen erschienen.

voraussehen. —

Tagen

der

Mobil­

Man mag sich vorstellen,

wie die Wucht des Ereignisses auf ihm lasten mußte, der die Möglich­ keit in Frage gestellt sah, den verbliebenen 40000 Menschen mit

ihren Angehörigen jetzt das Brot zu sichern und in der Zukunft zu

erhalten, ganz abgesehen von der weiteren Sorge um das Ergehen Er mußte für

der Niederlassungen im meist feindlichen Auslande.

die Standfestigkeit des ganzen Gebäudes fürchten, an dem er nun ein volles Menschenalter mit ganzer Hingabe gearbeitet hatte. Schon

der Zweifel an der genügenden Kriegsbereitschaft, der ihm, dem

Wissenden, aufsteigen mußte, war geeignet, ihn vorübergehend nieder­

zudrücken.

Wer ihn nicht kannte, mochte verwundert sein, wie häufig

er in den Tagen die noch nicht abgeschlossene Durchbildung seines

Lenkbootes bedauerte.

Das war für ihn aber nur die nächstliegende

Form, unter der ihm das Viele erschien, dessen Vollendung nun

ganz unsicher geworden war. In wenige» Tagen fand auch er wieder

die Festigkeit, die jetzt doppelt nötig war, um dem Anstürme der Anforderungen mit den nötigen Maßnahmen zu begegnen. Erschwert wurde ihm die Leitung in der Unruhe und Spannung

noch durch das Ausrücken seines Bruders Carl Friedrich ins Feld.

In seine eigene Familie warfen die Ereignisse ihre Wellen, sein Sohn eilte ebenfalls zu den Fahnen, seine Tochter feierte ihre Kriegstrau­ ung.

In dieser stürmischen Bewegung der Personen und Dinge

galt es, die Zügel sicher zu führen und eine Neuordnung im Betriebe einzuleiten, wie sie die plötzlich geänderten geschäftlichen Verhältnisse

und der Abgang so vieler Kriegsteilnehmer bedingte.

Es war ein

Zeichen des wohlgeordneten Zusammenspieles aller Kräfte, daß schon

nach kurzer Zeit trotz aller nötigen Verschiebungen ein gewisses Gleich­ gewicht hergestellt war und sich nun der Betrieb auf der neuen Grund­

lage in verhältnismäßig ruhigen Bahnen vollzog. in

Zur

Bewältigung

den

ersten

Tagen

der

des

Kriegsarbeit

August

bildete

besondere

Wilhelm

schon

Ausschüsse

unter

je zwei Vorstandsmitgliedern, denen die Sorge für die Hauptgeschäftzweige zufiel. Einige der Ausschüsse konnten bald von zuständi-

171

gen alten Abteilungen übernommen werden, ein Teil blieb bis zum

Ende des Krieges in Wirksamkeit. — Die praktischen Vorbereitungen im Konzerne auf einen Krieg beschränkten sich auf Verträge einzelner Abteilungen mit militärischen Behörden wegen gesteigerter Lieferun­

gen im Falle einer Mobilmachung.

So bestanden Verträge auf

größere Mengen von Scheinwerfern, Jnstallationsgerät, Glühlampen usw. für Kriegschiffe, ferner auf Feldkabel und andere Leitungen.

Verhandlungen im Vorjahre wegen Anfertigung weiterer Heeres­

bedürfnisse in einem Kriege waren von der Behörde nur lau be­ trieben und ohne bestimmte Abmachungen geblieben.

Die Kriegs­

arbeit des Konzernes war deshalb fast ganz das Ergebnis von Ein­ richtungen und Maßnahmen, die erst nach eingetretenem Bedarfe

getroffen wurden.

Der nach Kriegsbeginn befürchtete und zunächst

auch eintretende Mangel an Arbeit wurde nach den ersten Siegen im Westen und Osten bald aufgehoben durch die schon im August

einsetzenden Bestellungen auf Gegenstände des Kriegsbedarfes.

Die

Anfertigung erfolgte teils nach vorgeschriebenen, teils nach neu in den Werken entwickelten Modellen.

In dem Eingänge der Aufträge

darauf spiegelte sich die Auffassung der Behörden von der Kriegs­ lage wider.

Der beträchtlichen Besiellziffer des ersten Kriegsjahres

folgte im zweiten mit Rücksicht auf das vermeintlich nahe Kriegs­

ende eine Verminderung, die aber vom Herbst 1916 an unter der Wirkung der als Hindenburg-Programm berühmt gewordenen ver­ änderten Auffassung durch sehr gesteigerte Anforderungen abgelösi

wurde. Von da an bis zum Kriegsende waren die Lieferungen nur durch die Leistungsfähigkeit der Werke beschränkt. Ähnlich verhielt

es sich mit allen Gegenständen für den Kriegsbedarf, sowohl mit den neu aufgenommenen, wie mit den schon im Frieden gepflegten,

so mit dem Telephonwesen, den Feldkabeln, den Ausrüstungen für Kriegsschiffe, die eine ungeahnte Ausdehnung gewannen.

Dem Eingänge der Aufträge folgte der Personenstand, soweit das möglich war. Nach dem Tiefstände Ende August nahm die Kopf­

zahl schnell wieder zu, wuchs langsam bis Mitte 1916 weiter, um sich von da an fortgesetzt stärker zu heben. Die immer schwerer werdende

Ergänzung erfolgte in Bureau und Werkstatt zum größten Teile und zeitweise ausschließlich durch Frauen.

Bald gesellte sich zu dieser

Schwierigkeit der steigende Mangel an Rohstoffen, der die umständ­

lichste staatliche Bewirtschaftung nötig machte.

Regste Betriebsam­

keit, um die Leistungsfähigkeit der Werke auf die höchste Stufe zu

erheben, daneben ungenügende Kopfzahl und Rohstoffe waren die

Kennzeichen, in denen die Erzeugung besonders in der zweiten Hälfte

des Krieges stand.

Der Einfluß des Krieges auf die Erzeugung im Konzerne ist nicht bestimmt abzugrenzen.

Der steigende Anteil an neuen Kriegs­

gegenständen, der fast ganz vom Wernerwerke und den SiemensSchuckertwerken getragen wurde, hat auch in der Zeit des stärksten Bedarfes, im letzten Kriegsjahre, ein Drittel der Gesamterzeugung

nicht erreicht.

Gegenüber den Erzeugnissen der Friedenzeit, die eben­

falls unmittelbaren Kriegzwecken zu dienen hatten und deshalb starke Vermehrung erfuhren, mußten andere Gebiete bei der gesunkenen

Nachfrage, Verminderung der Ausfuhr und infolge des Rohstoff­

mangels beträchtlich abfallen.

Ein gewisser Ausgleich dafür trat

wieder ein durch den erhöhten Bedarf an Maschinen und Einrichtun­ gen für kriegswichtige Betriebe und überhaupt für Anlagen, die

während des Krieges an Bedeutung gewannen.

Inwieweit solche

fördernde oder hemmende Umstände als unmittelbare Folgen des Krieges anzusehen waren, ist auch für den Einzelfall oft nicht zu er­

kennen.

Die in der Firma Zurückgebliebenen waren während des Krieges von dem schönen Eifer beseelt, mit ihrer Arbeit zur Vervollständigung der Kriegsrüsiung und zum Durchführen des angestrengten Be­

triebes beizutragen.

Auch wenn nicht das im Verwaltungsgebäude

in Siemensstadt unterhaltene Lazarett mit 400 Betten den Ernst der Zeit immer vor Augen geführt hätte, wäre die lebhafte Verbin­

dung mit den Kämpfern an den Fronten, die von der Firma nach

Möglichkeit gefördert wurde, ein unausgesetzter Ansporn gewesen,

alle Mühe für den Heimatdienst einzusetzen.

Das Vorbild gesteiger­

ter Pflichterfüllung war Wilhelm v. Siemens. Er hat in den Kriegs­

jahren seinem Wirken als Führer der großen Gemeinschaft das Siegel aufgedrückt und in ihrem Dienste seine Kräfte verbraucht.

Wohl

sah man dem in sich gekehrt dahingehenden Manne die schweren Gedanken an, mit denen er sich trug, aber allen Anforderungen des

Tages genügte er mit unbeirrbarer Gewissenhaftigkeit und erstaun­ licher Leistungsfähigkeit.

Wenn er am frühen Vormittage in das

Verwaltungsgebäude kam, um es gegen Abend lange nach Schluß

der Geschäftstunden unter den letzten zu verlassen, hatte er schon

den Teil seiner Tagesarbeit hinter sich, den seine Aufzeichnungen und Ausarbeitungen bildeten.

tun zu können.

Er schien sich darin gar nicht genug

Erst nach seinem Tode kamen elf dicke Quartbände

zum Vorschein, in denen er zu Hause eine vollständige, lückenlose Ge­

schichte des Weltkrieges bis zum April 1919 niedergelegt hatte.

Die

Neigung, alles, was ihn irgendwie bewegte, schriftlich festzuhalten, es gewissermaßen durchdacht und geklärt einem verschwiegenen Un­ bekannten mitzuteilen, hatte sich mit den Jahren noch verstärkt.

Ge­

legentlich könnte er selbst seinen Verdruß über einen Vorgang oder

eine Person mit treffender Kennzeichnung einem Zettel anvertrauen,

der dann freilich gleich wieder zerrissen werden sollte.

Die Art seiner

Tätigkeit während des Krieges unterschied sich von der Friedenzeit

nur im Ausmaße, das wenigstens insofern noch zu steigern war, als die gelegentlichen kleinen ablenkenden Unterbrechungen von der strengen Arbeit spärlicher waren und förmliche Erholungzeiten noch

verkürzt wurden.

Im übrigen hielt er sich wie sonst über alle Vor­

kommnisse unterrichtet, die wirtschaftliche Seite der Leitung nahm

in der bewegten Zeit naturgemäß seine Aufmerksamkeit stärker in Anspruch, allein die Maßnahmen zur Unterstützung der Angehörigen

der Kriegsteilnehmer bildeten darin einen neuen Abschnitt.

Zum

Eingreifen in den Betrieb boten die zahlreichen Verschiebungen und

Umstellungen noch mehr Anlaß.

Seine technische Schaffenslust er­

hielt durch die vielen neuen Erscheinungen des Kriegswesens ver­ stärkte Anregung, sein Lenkboot und seinen Gleitflieger hatte er immer

unter Augen, weitherzig begünstigte er alle Anstrengungen anderer zum Schaffen neuer Kriegsmittel. Zweimal im zweiten Kriegswinter

war er zu kurzen Besuchen an der Westfront, in der Gegend von Lille und in Lothringen, dem Artilleriekampfe aus der Nähe zuschauend und bis in die vorderen Schützengräben vorgehend. Eine Beimischung

von Soldatenblut war unverkennbar in ihm lebendig.

Mit einer

gewissen Genugtuung verzeichnete er, daß sein Bruder bei den Front­

fahrten mit v. d. Goltz stark ins Feuer gekommen sei. Deshalb schien

er auch an dem Eisernen Kreuze am weißen Bande, das ihm von Tirpitz zu seinem 60. Geburtstage übersandt wurde, keine reine Freude

zu haben.

Er meinte, das schöne Kreuz gebühre doch nur denen,

die ihr Leben einsetzten.

Die Ernennung zum Dr. phil. h. c. von

der Universität Berlin bei derselben Gelegenheit entsprach offenbar

mehr seinem Gefühle für Billigkeit. — Mehr noch als sonst wurde sein Blick in dieser Zeit natürlich über das eigene Gebiet hinaus auf die allgemeinen Zustände im Lande gelenkt.

Er durfte sich wohl

ein sicheres Urteil zutrauen über die Notwendigkeiten in wirtschaft­

licher und militär-politischer Hinsicht und hat sich erfolglos bemüht, seiner Einsicht in wichtigen Fragen Geltung zu verschaffen.

Durch

die Presse ist bekannt geworden, daß er bald nach Kriegsbeginn beim

Reichsmarineamte dringlich vorstellig wurde, sofort an den schleuni­ gen Bau Hunderter von Unterseebooten zu gehen, wozu er die aus­ reichende Mithilfe der SSW für den elektrischen Teil verbürgte.

Er wurde dort aber weniger als der vaterländisch besorgte, weit­

blickende Mann, denn als der rührige Unternehmer angesehen. Einen schwachen Ersatz für die versagte tatkräftige Mithilfe an der Lenkung der Geschicke suchte er in seinem schriftstellerischen Wirken.

In fünf

längeren wirtschaftlich-politischen Schriften gab er seine Meinung

zu den Tagesfragen kund.

Auch in der aufregenden Gegenwart

ließ er nicht die Sorge um die Zukunft der Firma ruhen. Wie immer nahm er den regsten Anteil an allen technischen Fortschritten, die nach dem erhofften glücklichen Kriegsende die Friedensarbeit be­ fruchten sollten.

Selbst um den Fortgang seiner Schreibmaschine

war er bemüht.

Den größten Teil der ihm zu gesammeltem Stu­

dium verbleibenden geringen Zeit verwendete er auf Werke und

Schriften über Volkswirtschaft.

Namentlich verfolgte er das Schrift­

tum über Finanzwesen, denn Steuerfragen hatten ihn schon lange

beschäftigt, ihre erhöhte Wichtigkeit auch nach dem glücklichsten Kriege

lag auf der Hand.

Sein umfangreicher schriftlicher Nachlaß zeigt

sein eindringendes Bemühen, den schwierigen Stoff zu klären und auf der Grundlage der Steuergerechtigkeit praktisch brauchbare Vor­

schläge zu machen.

Er hat auch die Genugtuung gehabt, schon zu

bestimmten Vorschlägen zu gelangen und sie mit anderen führenden

Persönlichkeiten zu besprechen. — Das Bild seines Lebens in den

Kriegsjahren würde nicht vollständig sein, ohne seines Verzichtes auf Vorzüge zu gedenken, die ihm leicht zugänglich waren und bei der Wichtigkeit seines persönlichen Wohlbefindens auch zustanden.

Als die Lebensmittel knapp wurden und die Beschränkungen darin verfügt wurden, wollte er im Verein mit seiner gleichgesinnten Gattin

nur „nach der Karte" leben, und man darf sicher annehmen, daß dieser

Opfermut beiden zum schweren Schaden gereicht hat. Eine der ersten technischen Maßnahmen von Wilhelm v. Siemens

nach Ausbruch des Krieges war die Aufnahme des Baues von Flug­

zeugen. Wie früher erwähnt, gewann er schon bei der ersten Bekannt­ schaft mit dem neuen Geräte eine Vorstellung von seiner militärischen Wichtigkeit. Die früher begonnenen Versuche auf dem Gebiete waren zwar wieder zurückgestellt, aber manche eigne Ideen über den von ihm vorausgesehenen Kampf in der Luft und von der Luft aus be­ zogen sich auf die kriegsmäßige Entwicklung der Luftwaffe.

Das

Flugwesen im deutschen Heere war nur schwach entwickelt,

und

Wilhelm hielt namentlich das Fehlen großer, tragfähiger und stark

bewaffneter Flugzeuge für einen Nachteil, den er in erster

beheben wollte.

Linie

Die Meinungen darüber gingen auseinander, auch

bei den militärischen Behörden wechselten sie noch im Laufe des Krieges.

Für Entwurf und

Herstellung der neuartigen

zeuge bestanden im Konzerne noch keine Grundlagen.

Flug­

Eigentliche

Flugzeugtechniker gab es überhaupt nur wenige, das Heranziehen

von Fliegern, die sich auch mit dem Flugzeugbau beschäftigt hatten, war ein Notbehelf, dem erst allmählich ein Zustand sicherer technischer Behandlung

auf

den

folgen

Bau

konnte.

Trotzdem

großer Flugzeuge

ließ

hinarbeiten

Wilhelm

gleich

ging

damit

und

allen anderen Firmen voran. Man hat später gemeint, es sei richtiger

gewesen, erst mit kleineren Flugzeugen zu beginnen und mit den gewonnenen Erfahrungen die ungleich schwierigeren großen zu ent­

wickeln.

Indessen konnte man bei Anfang des Krieges nicht wissen,

daß seine Dauer Zeit zu langsamerem Vorgehen geben würde, und das Ausfüllen der sichtbarsten Lücke im deutschen Flugzeugwesen spornte zur Eile. Auch haben bald die steigenden Anforderungen der Front die Richtigkeit des ursprünglichen Planes bestätigt. In der

unsicheren Anlehnung an eine Ausführung im Auslande vor dem 176

Kriege wurde deshalb, nachdem an einem als Versuch gebauten kleineren Flugzeuge einige Erfahrungen erhalten waren, schon im

Oktober ein Flugzeug von damals größter Art begonnen, das gut

genug gelang, um von der Fliegerinspektion als Schulflugzeug über,

nommen zu werden.

Ihm folgte gleich danach ein noch größeres,

das allen inzwischen gestellten Bedingungen vollkommen genügte und den Auftrag auf 6 weitere zur Folge hatte. An den Probeflügen

hat den

Wilhelm Flugzeugen

selbst im

teilgenommen. ganzen

kam

Zu

die

den

Arbeiten

an

sorgfältigste Ausbildung

und Erprobung der Einzelteile, um feste Formen für die weiteren

Bauten zu gewinnen.

In der Entwicklung trat um die Kriegsmitte

leider eine Stockung ein, da die Behörden trotz technischer Bewährung

der Riesenflugzeuge an der Front vorübergehend andere flugtaktische Gesichtspunkte befolgten, und erst gegen Ende 1917 fetzte wieder das Verlangen nach Flugzeugen dieser Art ein unter weiterer bedeutender

Steigerung ihrer Größe. Die danach gebauten zwei Flugzeuge waren die größten, die der Krieg sah, sie kamen aber infolge des Zusammen, bruches der Front nicht mehr zur Verwendung und mußten auf

Verlangen der Entente zerstört werden. — Der über alles Erwarten gesteigerte Bedarf an Flugzeugen überhaupt legte bald auch den

Bau der kleineren nahe, von denen eine große Zahl zur Ablieferung

kam.

Bei ihnen konnte der inzwischen im Blockwerke ausgebildete

neue Umlaufmotor seine Vorzüge entfalten. Der Flugzeugbau war mit außerordentlichen Schwierigkeiten

verbunden, da das ganze Gebiet sich erst an den Kriegserfahrungen

entwickelte, die noch unstetigen Ansichten der Fliegerinspektion zu berücksichtigen waren, die Beschaffung von Motoren dauernd Hem­

mungen brachte und alle Arbeiten immer unter dem Drucke größter Eile standen.

Die zunächst im Dynamowerke eingerichtete Abteilung

wurde mit ihrer schnellen Erweiterung selbständig und beschäftigte

schließlich ein Personal von mehr als 1000 Köpfen, während das Trafowerk in Nürnberg mit etwa 250 Mann sich an dem reihen, weisen Bau der

kleinen Flugzeuge beteiligte.

Der Flugzeugbau

stellte eine besonders harte Kriegsarbeit dar, die Wilhelm v. Siemens

in vaterländischem Eifer gleich mit dem richtigen Ziele begann und nach xii.

seiner

oft bewiesenen Art auch mit aller Zähigkeit durch,

Rotth, Wilhelm von Siemens.

177

führte.

Den Erfolg der Arbeit hat auch der Feind anerkennen

müssen. In ähnlicher Weise aus kleineren Anfängen entstanden im Laufe des Krieges auf besonderen Wunsch der Behörden weitere Einrichtun­

gen und ganze Anlagen mechanischer und chemischer Richtung, die

auch bis zum Kriegsende betrieben sind. Als der Krieg im Westen so bald zum Stellungskampfe erstarrte,

tauchten, wie überall im Lande, auch in den Siemensbetrieben zahl­

reiche Vorschläge für neue Kampfmittel dafür auf, die immer er­

probt wurden, sofern sie einigermaßen ernsthafte Beachtung verdiente». Weniges davon konnte in nennenswertem Umfange in Anwendung

an der Front kommen. In ihrer Summe stellten aber diese Bemühun­ gen eine beträchtliche Kriegsarbeit dar und gaben Zeugnis von dem

Verlangen vieler unter den Zurückgebliebene», einen bescheidenen Anteil an den Kriegshandlungen zu nehmen.

Nicht weniger bedeutsam als die Aufnahme der neuen Gegen­

stände für den unmittelbaren Kriegsbedarf waren die Wandlungen

in der alten Erzeugung.

Am meisten wurde das Wernerwerk davon

berührt, da das Fernsprechwesen, die Signalanlagen für Schiffe und die Feldkabel in dem langen Kriege eine ungeahnte Ausdehnung

gewannen.

In der Telegraphie zeigte zwar der Schnelltelegraph

eine sehr starke Zunahme, und einige besondere Erzeugnisse, wie die

Pionier-Zündmaschinen, die erste Anwendung von Werner Siemens' Dynamomaschine, wurden in Stückzahlen verlangt, die über alle

Erwartung hinausgingen, die drei ersten Gruppen behaupteten aber

dauernd bei weitem den Vorrang vor allen anderen, noch mehr, wenn ihnen das Telefunkengerät zugezählt wird, das in der Abteilung

für Meßgeräte bearbeitet wurde.

Für die Fernmelder im weitesten

Sinne und die Signalgeräte lagen unausgesetzt neue Aufgaben vor,

die der Kriegsgebrauch stellte, Arbeiten, die zum Teile auch für die Friedensentwicklung von Wert geworden sind.

Dahin gehörten bei­

spielweise die sogenannten Verstärkerröhren für den Telephonbetrieb

Im Kabelwesen waren ebenfalls neue Formen für das Feld zu ent­ wickeln, die Hauptmühen bestanden aber in der Ermöglichung der

außerordentlich gesteigerten Lieferungen.

Trotzdem konnten größere,

bei Kriegsbeginn unterbrochene Arbeiten, wie die Verlängerung des

Rheinkabels, wieder ausgenommen werden.

Es gab kaum eine Ab­

teilung im Wernerwerke, die nicht in mehr oder weniger hohem Grade für den Krieg zu arbeiten gehabt hätte.

Ein äußeres Zeichen für

die starke Beschäftigung des Wernerwerkes war die Fortführung und teilweise Benutzung des vor Kriegsbeginn angefangenen aus­

gedehnten Neubaues. — Am wenigsten unter dem unmittelbaren Einflüsse des Krieges stand die Erzeugung im Glühlampenwerke.

Es fühlte die Wirkungen des Krieges aber in dem starken Abfalle

des Umsatzes in den beiden ersten Jahren mit darauf einsetzendem eben so schnellem Wiederanstiege infolge der gesteigerten gewerblichen

Tätigkeit und des empfindlichen Mangels an

Lampenpetroleum.

Die Wotanlampe mit Wolframfaden hatte inzwischen die Tantal­

lampe fast verdrängt.

In der Ausbildung der Halbwattlampen

wurden erhebliche Fortschritte gemacht. — Gebr. Siemens & Co.

erfuhren durch die Verminderung der Ausfuhr von Lampenkohlen und durch deren Rückgang überhaupt im ersten Kriegsjahre zwar eine beträchtliche Schwächung des Umsatzes, der sich für dieses bis­

herige Haupterzeugnis auch langsamer fortsetzte.

Indessen trat vom

folgenden Jahre an in den Kohleelektroden für elektrochemische und

elektrometallurgische Zwecke ein schnell steigender Ersatz für den Aus­ fall ein, so daß der Friedensumsatz bald stark überholt und neue

Anlagen im Werke selbst und auswärts geschaffen wurden.

Die

unmittelbaren Kriegslieferungen des Werkes waren nur unbedeutend. — Im Blockwerke

jahren

sehr

mußte

der

in den beiden letzten Friedens­

gestiegene Umsatz im Eisenbahnflcherungswesen not­

wendig eine rückwärtige Bewegung machen, da die Bahnverwal­

tungen ihre Neuanlagen aus Mangel an Zeit und Kräften möglichst beschränkten, dafür hatten die Benzinmotoren etwa von der Kriegs­

mitte an eine um so bedeutendere Zunahme.

Der Bedarf war für

Flugzeuge so groß geworden, daß die Lieferungen nur durch die

Leistungsfähigkeit

des Werkes begrenzt wurden.

Der neue und

weiter verbesserte Umlaufmotor war daran vornehmlich beteiligt.

Von den alten Erzeugnissen der SSW erlangten im Kriege die elektrischen Ausrüstungen für die U-Boote natürlich besondere

Wichtigkeit.

Der Bedarf darin stieg mit schnellen Schritten und

war im letzten Kriegsjahre stärker als in der gesamten vorhergehenden

Zeit, trotzdem inzwischen auch andere Firmen von der Marine zu

erhöhter Mitarbeit herangezogen waren.

Die Behandlung des Ge­

bietes erfuhr dauernd unerfreuliche Hemmungen durch die Neigung der zuständigen Marinestelle zu fortwährenden Änderungen auch bewährter Einrichtungen.

Andererseits verlangten die zunehmenden

Erfahrungen mit der jungen Waffe die Berücksichtigung in neuen Entwürfen.

Der Mangel einer klaren Scheidung zwischen der Aus­

führung erprobter Formen und der notwendigen Fortschrittarbeit gereichte dem Endzwecke nur zum Schaden. Einen ähnlichen schnellen

Aufstieg nahmen die Scheinwerfer, für deren Ausrüstung namentlich

die Fliegerabwehr immer weitergehende Forderungen stellte. — Die Verschiebungen in den anderen Zweigen waren gleichzeitig durch die kriegerischen Notwendigkeiten und die wirtschaftlichen Möglich­

keiten bestimmt. Das Bedürfnis des Augenblickes überwog, weiter ausgreifende Unternehmungen wurden zurückgestelltl Deshalb sank die Tätigkeit für Bau und Erweiterung von Zentralen in bedeuten­ dem Maße. Dieselbe Ungunst bestand für das Bahnwesen, da größere

Neubauten nicht unternommen wurden und im Ersätze von Be­

triebsteilen Beschränkung herrschte.

Erfreulich war während des

Krieges die unter besonderer Anerkennung der schwedischen Regierung erfolgte Vollendung der langen Riksgränsbayn im nördlichen Schwe­

den.

Dagegen stieg nach anfänglichem ebenfalls starkem Abfalle

der Bedarf der gewerblichen Anlagen, die im weiteren Sinne für den Krieg arbeiteten.

Hier trat gleich das chemische Großgewerbe

hervor mit verstärkter Nachfrage nach Anlagen und Maschinen für

die Erzeugung von Karbid, Kalkstickstoff, Spreng- und Treibmitteln, für die Gewinnung von Metallen, namentlich des zu großem Werte gelangten Aluminiums.

Meist zeigte sich in den Aufträgen der ge­

werblichen Unternehmungen nach vorherigem Abfalle eine Steigerung

der Tätigkeit infolge des Hindenburg-Programmes, besonders stark ausgeprägt bei den Hütten- und Walzwerken und den Bergwerken, selbst im Textil- und Papiergewerbe, wenn auch bei dem Rohstoff­ mangel in geringem Maße. Ähnlich wie mit den größeren verhielt

es sich mit den Kleinerzeugnissen, den Leitungen, Schaltern und Zählern für den Jnnengebrauch. Auch für sie verstärkte sich der Um­

satz nach dem ersten Abfalle beträchtlich. — Eine eigentümliche Folge

hatte der Krieg für das Verhältnis zwischen Gleichstrom und Wechsel­ strom.

Der große Bedarf der Marine für die Schiffsausrüstung

und die Ausdehnung der elektrochemischen Verfahren ließ den Gleich­

strom wieder einen Vorsprung gewinnen, wenn die zahlreichen Drehstrom-Gleichstromumformer ihm mit angerechnet werden. Im übrigen

nahm die Entwicklung der Maschinen in der Richtung der großen Einheiten ihren Fortgang, in einem Drehstrom-Turbogenerator für

eine Leistung von 60 ooo Kilowatt und einem ebenso großen Trans­ formator sah die Kriegszeit die bisher größten Ausführungen ihrer

Art entstehen. — Eine Reihe von Erzeugnissen für den Friedens­ gebrauch, alte und neu geschaffene, wie Gesteinbohrmaschinen und Pumpen, ging zu kriegerischer Benutzung an die vorderste Kampffront.

Unter den hier ausgeführten Anlagen waren die auf neuer

Grundlage ausgebildeten elektrischen Drahthindernisse ein anfangs geschätztes, später aber wieder aufgegebenes Hindernismittel.

Die ganze Betriebstätigkeit stand unter dem Drucke des Stoff­ mangels, der am empfindlichsten in dem für die Elektrotechnik lebens­

wichtigen Kupfer war.

Die schwache Kupfergewinnung in Deutsch­

land beträgt nur einen Teil der nötigen Menge für Leitungen und

Maschinen.

Einen vollwertigen Ersatzstoff dafür gibt es nicht, am

wenigsten für die Wicklungen der Maschinen, als Notbehelf erwies

sich das Aluminium noch am brauchbarsten. Für Leitungen kam Eisen, Zink und ebenfalls Aluminium in Benutzung, dieses hier mit größe­

rem Erfolge.

Für manche Gegenstände gelang nach längerem Be­

mühen ein befriedigender Ersatz des Kupfers auch unter wirtschaft­ lichen Vorzügen.

So konnte auch ein Teil des Kriegsbedarfes nach

Ausbildung zweckmäßiger Behandlungsweise in Zink ausgeführt werden. Das Kabelwerk mit dem während des Krieges errichteten Metallwerke

vermochte in der Verwendung von Ersatzmetallen Erfahrungen zu sammeln, die auch für die Nachkriegzeit ihren Wert behielten.

In

welchem Grade die Elektrotechnik von der Einfuhr von Stoffen ab­ hängig gewesen war, zeigte sich ebenso deutlich an anderen Rohstoffen wie den Faserstoffen, Harzen und Hlen. — Die öffentliche Bewirt­ schaftung der Sparstoffe mit ihrer Unterscheidung von Kriegslieferun­

gen, kriegswichtigen und gewöhnlichen Betrieben, mit der Zuweisung

von unentbehrlichen Stoffen nach Prüfung der Einzelfälle und den

i8i

Maßnahmen zum Heranziehen von Vorräten war mit großen, aber unvermeidlichen Umständen verbunden.

Mitten in die erregte Kriegzeit fiel am 13. Dezember 1916 ein

für die Firma bedeutungsvoller Tag, der 100. Geburtstag von Werner Siemens.

Damals herrschte noch ungebrochene Zuversicht

auf den glücklichen Ausgang des Krieges, die gesteigerte Tätigkeit

der Werke hielt überall das Gefühl aufrecht, durch die heimische Ar­ beit an dem schweren Kampfe Deutschlands mitzuwirken, vor kurzem, nach der Seeschlacht am Skagerrak, hatte der Kaiser für die Leistungen

der Kommandogeräte auf den beteiligten Schiffen seine besondere Anerkennung aussprechen lassen.

In dieser hoffnungsvollen, wenn

auch ernsten Stimmung gaben die drei Söhne von Werner Siemens den aus dem Hause und von außen kommenden Anregungen nach, den Gedächtnistag durch eine Feier zu begehen.

Schon vorher hatte

Professor K. Matschoß unternommen, eine Auswahl unter Werner Siemens^ Briefen zu treffen, von denen, eingeleitet durch ein Lebens­

bild, über 1000 — etwa ein Fünftel der erhaltenen — in zwei statt­

lichen Bänden erschienen.

Eine willkommene Ergänzung zu dieser

Sammlung bildete die Festnummer „Die Naturwissenschaften", in

der die vielseitige Lebensarbeit des Gefeierten in Einzelschriften von

Gelehrten der verschiedenen Richtungen gewürdigt wurde.

Wilhelm

v. Siemens hatte sich bestimmen lassen, selbst dazu die einleitende

Arbeit „Werner Siemens und sein Wirkungsfeld" zu verfassen. Eine große Zahl anderer Zeitschriften gedachte in längeren Schilderungen

des großen Fachgenossen.

Im Verwaltungsgebäude war in kurzer

Zeit eine Ausstellung von Erinnerungsiücken an Werner Siemens

entstanden von alten Bildern, Urkunden und Geräten, die gemüt­ voller Sinn vor dem Vergehen bewahrt hatte.

Die Ausstellung hat

später den Grundstock zu dem Siemens-Museum gebildet.

Die Ge­

dächtnisfeier innerhalb der Firma wurde im Ehrenhofe des Ver­ waltungsgebäudes vor Abordnungen der Beamtenschaft und Be­

legschaft begangen.

Eingeleitet und geschlossen von Vorträgen der

Siemens-Gesangvereine feierte die Festrede von Baurat Dihlmann,

dem ältesten Vorstandmitgliede, die Lebensarbeit von Werner Sie­ mens.

In dessen Geiste stifteten seine Kinder 1 Mill. M. zugunsten

der Wohnungsfürsorge für Beamte und Arbeiter, die beiden Ge­

sellschaften je i Mill. M. für denselben Zweck. Eine Feier in der Tech­ nischen Hochschule am Nachmittage mit den Festreden des Staats­

sekretärs Helfferich, des Reichsrates Oskar v. Miller und des Prä­

sidenten der Physikalisch-Technischen Reichsansialt Warburg bot ein Bild der Ehrung aller Kreise für den Pionier der wissenschaftlichen Es wurde die Stiftung des Siemens-Ringes bekannt­

Technik.

gegeben, die unter dem Ehrenvorsitze des Reichskanzlers von führen­ den Männern der Wissenschaft und Technik begründet war.

Mt

dem Ringe sollen in dreijährigen Abständen große Leistungen nach Art des Namengebers belohnt werden.

Am Abend feierte im Hause

von Wilhelm v. Siemens die Familie mit Vertretern der Werke, der großen Vereine und staatlichen Behörden das Andenken ihres Hauptes. — Allen Teilnehmern bleibt der Festtag, der ungesucht

über seine nächste Bedeutung hinaus den Aufstieg des Hauses Sie­ mens zur Anschauung brachte, in wehmütiger Erinnerung als Wahr­ zeichen einer nun entschwundenen Zeit, in der freundliches Zusammen­

arbeiten aller Firmenangeyöriger in einem festgefügten aufstrebenden Vaterlande gedeihen konnte. Die Erhaltung des Personenstandes bei gesteigerten Anforde­

rungen bereitete mit der Dauer des Krieges immer größere Schwierig­ keiten.

Das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom De­

zember 1916 entsprach weder in seiner viel umstrittenen Fassung

noch in seiner Handhabung der ursprünglichen Absicht einer gerechten Heranziehung aller Kräfte im Heimatdienste.

Vielfach erleichterte

es geradezu den eigenmächtigen und eigensüchtigen Wechsel von einer Arbeitsielle zur andern.

Kriegsjahre

Zeichen

Mit Sorge mußten schon im zweiten

abflauender

Stimmung

beobachtet

werden.

Neben unerschütterlich mannhafter Gesinnung äußerte sich unver­

hohlener im vaterländischen Versagen die nie fehlende Selbstsucht, dazu bildete aber wirkliche Bedrängnis bei mangelnder Einsicht den Anlaß zu steigender Kriegsmüdigkeit.

Die im Laufe des Krieges

immer zunehmende Teuerung zeigte sich im Anwachsen der Löhne auf ein mehrfaches der Friedenshöhe.

Um die Lasten des Krieges

ihren Angehörigen tragen zu helfen, sorgten die Siemensfirmen

unter Vorgang der Familie Siemens für eine ausgedehnte und viel­ seitige Ergänjung der schon im Frieden bestehenden Wohlfahrts­ einrichtungen. Die älteste der Wohlfahrtsmaßnahmen war die, wie früher er­

zählt, von Werner Siemens begründete und anläßlich der 50-Jahrfeier von den Firmeninhabern erweiterte Penstonskasse.

Zu ihr

kam der Dispositionsfonds zur Unterstützung bedrängter Arbeit­ nehmer oder ihrer Hinterbliebenen, den Werver Siemens zunächst im stillen angelegt hatte, der später, durch jährliche regelmäßige

Zuweisungen aufgefüllt, auch im Geschäftsberichte erschien.

Die

Reihe der weiteren Stiftungen eröffnete 1908 Frau Hertha Harries,

die jüngste Tochter von Werner Siemens, durch Ausgestaltung ihrer Besitzung in Harzburg zu dem Erholungsheime Ettershaus für Angestellte.

Auch die bald danach begründete Heinrich Schwieger-

Stiftung hat eine ähnliche Bestimmung.

Wenige Jahre vor dem

Kriege entstanden in Siemensstadt ein Kinderheim für Kinder von Beamten und Arbeitern und der Siemensgarten mit Baulichkeiten zur Fürsorge für erholungsbedürftige Arbeiterinnen.

Außerdem be­

stand in Nürnberg seit 1896 die Schuckert-Stiftung von Frau So­ phie Schuckert zur Fortbildung von Kindern. — Während des Krieges und durch ihn veranlaßt trat als umfangreichstes Glied dazu die

Kriegsfürsorgestistung, die vom Siemenskonzerne mit 13 Mill. M. und später mit weiteren 5 Mill. M. ausgestattet wurde, die unter

Teilnahme der Belegschaft und staatlicher Aufsicht kostenfrei ver­ waltet wird und ohne beengende Regeln der Unterstützung von Kriegs­

teilnehmern oder deren Hinterbliebenen dient.

Der Stiftung von

3 Mill. M. am 13. Dez. 1916 zur Förderung des Wohnungswesens

für Angestellte und Arbeiter ist oben schon gedacht.

Die 1917 ge­

gründete Sparbank Siemensstadt gewährt, ebenfalls ftei von Ver­ waltungskosten, den Angehörigen der Siemensfirmen eine gute

Verzinsung ihrer Ersparnisse und für alle Zahlungen die Vorteile des Bankverkehrs.

Gleich nach Kriegsbeginn stiftete Carl Friedrich

v. Siemens zum Gedächtnis seiner Mutter das Antonienheim in

Ahlbeck als Echolungstätte für Arbeiterinnen.

Unter dem Namen

„Elly v. Siemens-Stiftung" gründete Wilhelm v. Siemens 1916 das Kindererholungsheim Neuhof bei Heringsdorf. Er hoffte damit

für seine Gattin ein ihr besonders zusagendes Tätigkeitsfeld zu schaffen. Daran schloffen sich das Siemens-Waldheim in Siemensstadt für

leicht lungenkranke weibliche Pfleglinge, em Kinderheim in Nürn­ berg ähnlich dem in Siemensstadt, das Erholungsheim Eschenbach

in Mittelfranken, das Siemens-Erholungsheim in Koserow.

Einer

Reihe weiterer Veranstaltungen für die Jugendfürsorge, die Fabrik­

pflege, Gesundheitspflege, für Belehrung, Unterhaltung und Sport

usw. sei hier nur zusammenfassend gedacht. Die Aufwendungen für alle diese den Krieg überdauernden Ein­ richtungen wurden übertroffen durch die Unterstützungen der im

Felde Stehenden und ihrer Angehörigen.

Durch jener Tapferkeit

und Ausdauer wurde der Feind die vier langen Jahre vom Lande

ferngehalten und bei der dadurch ermöglichten wirtschaftlichen Ent­ wicklung gelang es, die Beihilfe regelmäßig zu gewähren, die einen Gesamtbetrag von 34 Mill. M. erreichte.

Ein reger Versand von

Liebesgaben durch die im Hause Zurückgebliebenen ergänzte gemüt­ voll die Zuwendungen der Firma selbst.

Um hier Erleichterungen

und zweckmäßiges Zusammenarbeiten zu schaffen, veranlaßte Wil­ helm «.Siemens die Einrichtung einer Liebesgaben-Sammelstelle

unter Zuweisung von 100000 M. als Anfangsumme, die von den beiden Gesellschaften fortlaufend ergänzt wurde.

Im ganzen hat

die Sammelstelle fast 2 Mill. M. für ihre Bestimmung ausgeben können, die auch die Fortbildung und Beschäftigung der Lazarett­

insassen einschloß.

Besondere Vereinigungen in der Beamtenschaft

arbeiteten außerdem in derselben Richtung.

Als wertvolles Mittel,

die Frontleute mit dem alten Dienstkreise im Zusammenhänge zu halten, haben sich die Kriegzeitungen bewährt, von denen nicht weniger als 17 in den verschiedenen Abteilungen regelmäßig mit Unterstützung

der Firma erschienen sind. — Die Sorge für die Zurückgebliebenen ruhte darüber nicht.

Als der Einkauf der Lebensmittel schwieriger

wurde, richtete Carl Friedrich v. Siemens im Hause eine Zentral-

Einkaufstelle dafür ein, die den Abnehmern die Waren zum Einkauf­ preise abgab, allmählich zu einem großen Betriebe anwuchs und auch

zu eigner Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln über­ ging.

Die Maßnahme war eine prattische Folge der gründlichen,

schon im ersten Kriegswinter begonnenen, bis 1919 fortgeführtev

Untersuchungen über die physiologischen Ernährungsleistungen der

Kasinos, Kantinen und des Lazarettes.

Die von einem kundigen

Vorstandmitgliede geleiteten, in zahlreichen Tabellen niedergelegten

Prüfungen erbrachten für die Kasinos und Kantinen recht günstige Ergebnisse, für das Lazarett sogar ein Übertreffen der geforderten Leistungen um etwa 30 v. H.

Die Untersuchungen waren für die

Bewirtschaftung der Speiseanstalten während des Krieges von großem

Nutzen und haben dauernden Wert behalten.

An dieser Stelle mag

übrigens noch eine ebenso befriedigende wie unerwartete Tatsache erwähnt sein:

der Gesundheitzustand des gesamten Personales ist

nach der Statistik der Siemens-Betriebskrankenkasse während des Krieges günstiger gewesen, als nach der Erfahrung der Friedenszeit anzunehmen war.

Das Jahr 1918 mit seinen zwei großen Grippe­

epidemien verlief allerdings weniger gut. Zu dem erfreulichen Durch­ schnittergebnisse wird die erhöhte seelische Kraft beigetragen haben, die in dem größeren Teile des Volkes in Erwartung eines glück­

lichen Kriegsausganges herrschte.

Die Krankenziffer von 1919 stieg

erheblich gegen die drei ersten Kriegsjahre an. — Die gesamten frei­ willigen Leistungen des Konzernes für seine Angestellten und Ar­

beiter in den vier Kriegsjahren haben den Betrag von etwa 70 Mill. M. erreicht.

Von sonstigen Kriegsleisiungen ist noch der Siemens-

Lazarettzug der Erwähnung wert, der auf Anregung von Wilhelm v. Siemens und zum größeren Teile auf seine eigenen Kosten im

Dezember 1914 eingerichtet wurde.

Der aus 38 Wagen für 250

Verwundete bestehende Zug machte im ganzen 85 Fahrten nach der

Ostfront. Die persönliche Tätigkeit Wilhelms in der Kriegszeit stand immer

unter der peinigenden Überzeugung von der ungenügenden Vor­

bereitung in Deutschland infolge der falsch verstandenen Sparsamkeit. Schon vor dem Kriege beklagte er in seinem Tagebuche die Zögerung im Bau von I7-Booten, die zu geringe Heeresverstärkung.

In seine

Freude über den Tag von Skagerrak mischte sich gleich der Gedanke,

wie viel größer das Ergebnis hätte sein können bei Kalibern der Ma­ rineartillerie, die den feindlichen gleichgekommen wären.

Es wird

erzählt, wie noch im tiefen Frieden seine klare Einsicht in das Wesen

des Seekrieges Marineoffiziere überrascht habe.

Trotz aller Bedenken

wegen der Versäumnis glaubte er aber angesichts der erhebenden Erfolge der vaterländischen Streitkräfte gegen die Überzahl fest an

den Endsieg und setzte alle Kraft daran, an der Vervollständigung der Rüstung mitzuhelfen und die seelische Widerstandskraft zu stärken. Im letzten Kriegsjahre hatte er auch die Freude, seinen vorläufig nicht

mehr felddienstfähigen Sohn Werner, in dem lange die technische

Neigung und die musikalische um den Vorrang gerungen hatten, als Mitarbeiter im Flugzeugwesen sich zur Seite zu sehen.

In zu­

versichtlicher Stimmung gab er auch noch seinem Zuge zu wirtschaft­

lichen Studien Raum und entwickelte eine gesteigerte schriftstellerische Tätigkeit.

Dieser außerhalb seiner Hauptaufgabe liegenden Arbeiten

für die Öffentlichkeit konnte bisher nur andeutend gedacht werden.

Es gebührt sich nun, sie zusammenhängend kurz zu betrachten.

Die Neigung, seine Gedanken schriftlich niederzulegen, hat Wil­ helm v. Siemens von Jugend auf gehabt.

Sie ist ihm für die Ord­

nung seines inneren Lebens zum Bedürfnis geworden und diente

ihm als wirksames Mittel, seine Gedanken folgerichtig zu entwickeln. Unter anderen Verhältnissen wäre er damit und bei seiner Schaffens­

lust gewiß ein fruchtbarer Schriftsteller geworden, denn auch der Trieb zum Belehren und Anregen anderer war ihm wie seinem Vater und seinem Onkel William eigen.

Erst verhältnismäßig spät ist er

aber mit Druckwerken an die Öffentlichkeit getreten, wenn von seinen

nachher in der Vereinszeitschrift wiedergegebenen Vorträgen und

Mitteilungen im Elektrotechnischen Vereine abgesehen wird.

Er

konnte seinem Wirkungsdrange nach außen erst nachgeben, als er meinte, gegen die Mitte seiner fünfziger Jahre, für die Firma im

wesentlichen das getan zu haben, was ihm oblag, und als er der Über­

zeugung sein mußte, mit seinem in der langjährigen Leitung eines der größten Betriebe und steter innerer Arbeit gereiften Urteile der

Allgemeinheit Nutzen zu bringen. gannen 1907.

gewisse

Seine Veröffentlichungen be­

Vielleicht hat ihm dabei auch das Empfinden eine

Befriedigung

gewährt,

bei

diesem

Schaffen ganz

allein

auf sich gestellt zu sein und ohne äußerliche Hemmungen seine An­ sichten durchführen zu können. Den ersten Anlaß bot ihm eine Frage des öffentlichen technischen

187

Lebens, die damals wieder lebhaft erörtert wurde und nach dem

Wunsche ihrer Anreger zu gesetzgeberischen Maßnahmen führen sollte, das gefährliche Erfindungsrecht der Angestellten, gefährlich vor allem deshalb, weil über die psychologische Grundlage der Frage auch heute

noch im allgemeinen eine unerfreuliche Unklarheit herrscht.

Während

auf der einen Seite eine Erfindung als eine durch die Umstände her­

beigeführte oder im Auftrage an den Fachmann, an mehrere, wenn der eine nicht hinreicht, ohne weiteres zu erzielende mühelose Ein­

gebung betrachtet wird, steht die Gegenseite in jedem Patente die

Verkörperung einer höheren geistigen Leistung.

Von dieser Seite

wird die Forderung gestellt, den Angestellten als Urheber eines Pa­ tentes nach gesetzlicher Vorschrift besonders zu entschädigen.

Der

Unkundige, der die Firma den Inhalt des Patentes benutzen steht,

in der Absicht, bestenfalls auch mit dem Erfolge, ihrem Erzeugnisse einen Vorsprung vor dem Mitbewerbe zu geben, möglicherweise andere für eine gewisse Zeit ganz an dem Betreten eines neu erschlosse­

nen Gebietes zu verhindern, ist leicht geneigt, einen bestimmte» An­

teil an dem wirtschaftlichen Nutzen als ein sittliches Recht des Er­ finders zu betrachten.

Die heftig umstrittene Frage drehte sich im

Grunde um die beiden Punkte, die richtige Einschätzung der wirt­

schaftlichen Leistung des Angestellten als Erfinders und die Möglich­ keit der gerechten Zubilligung eines Anteiles am Gewinne. — Werner Siemens, der eigentliche Urheber des Deutschen Patentgesetzes von

1877, hatte nach Erlaß des Gesetzes die wohlerwogene Bestimmung getroffen, daß die Erfindungen der Angestellten auf dem Arbeits­

gebiete der Firma dieser gehörten, daß es ihr überlassen bleibe, Lei­ stungen von höherem Werte nach ihrem Ermessen zu belohnen. Dieser

Zustand ist auftechterhalten, und es sind keine Fälle von daraus ent­

standener Unbilligkeit gegen den Erfinder aufgetreten.

Es mag hier

wieder auf den Brief von Werner Siemens an v. Hefner-Alteneck vom 5. Juli 1877 hingewiesen werden, in dem des Schreibers ebenso

wohlwollende wie sachliche Auffassung der Frage greifbar hervor­

tritt.

Ein ähnliches Verhalten hatte sich allgemein herausgebildet.

Dafür wurde nun unter dem Zuge der Zeit das angeblich gerechtere

Verfahren angestrebt, mehr von dem Boden allgemeiner Begriffe

aus, als der ausübenden Technik, unter Zustimmung namentlich der

jüngeren Angestellten, die noch weit von eigenen wertvollen Neu­ schöpfungen entfernt waren.

Dieses Drängen veranlaßte Wilhelm

«.Siemens ju seiner Schrift: „Das Recht der Angestellten an den Erfindungen" (Berlin 1907).

Er wird Bedenken getragen haben,

zu der Sache öffentlich das Wort zu nehmen, da er in seiner Stellung dem Vorwurfe der Parteilichkeit natürlich in besonderem Grade

ausgesetzt war. Dafür konnte er hier weite Erfahrungen und Kenner­ schaft aller in Frage kommenden Gesichtspunkte aufweisen wie wenige.

Nicht im Tone des Eiferers, sondern als Mann von überlegener Ein­ sicht mit freiem Blicke, der seine feste Ansicht vertritt, ohne die Gegen­ meinung absprechend beiseite zu schieben, entwickelte er das Ver­

hältnis der leitenden Stelle zu den Angestellten, das auf das ver­

trauensvolle Zusammenwirken gerichtet sein muß, wenn das Ge­

deihen des Ganzen gesichert sein soll.

Die Schrift ist außer für ihren

näheren Zweck auch dadurch bemerkenswert, weil sie allgemein des Verfassers Auffassung von der Aufgabe des Führers einer Groß­

wirtschaft kundgibt, für die er selbst in langen Jahren ein Beispiel gewesen war.

Er betont nachdrücklich, wie die Firmen die von ihnen

verlangte gesetzlich zu bestimmende Leistung an die Erfinder an sich

gewiß nicht zu scheuen hätten, um so weniger, als nach Versicherung der Gegenseite schon der entfachte größere Eifer einen Ausgleich

bieten würde, wenn es nur möglich wäre, die Forderung mit den sonstigen Bedingungen eines gesunden Betriebes in Einklang zu brin­

gen. In der Tat würde ja eine besondere Abgabe auf alle patentier­ ten Erzeugnisse nur eine allgemeine, die einzelne Firma nicht schädi­ gende Erhöhung der Unkosten zur Folge haben. Die Bedenken gegen

die Forderung sind viel tieferer Natur und ergeben sich aus der sorg­ fältigen Würdigung der oben gekennzeichneten wichtigsten Punkte. Wilhelm v. Siemens selbst sah in einer wirklichen Erfindung eine

Leistung, die man nicht einfach bestellen oder gewissermaßen durch Hintereinanderschalten geistiger Kräfte erzielen kann, wie die un­

klare Vorstellung mancher Laien wollte.

In seinem eigene» Tun

und Sinnen hatte das Erfinden immer einen breiten Raum gehabt, die Überlieferungen des Hauses bestärkten ihn darin, die Ansichten

philosophischer Naturforscher wie Ernst Mach über erfinderische Geistes­ tätigkeit teilte er.

Er wußte aber auch aus langer Beobachtung, ein

wie weiter Weg in den allermeisten Fällen von der Erfassung des Erfindungsgedankens bis jum Ausreisen des wirtschaftlich verwert­ baren Inhaltes ist. Er stellt deshalb in seiner Schrift den freien Er­

finder dem angestellten gegenüber.

Jener habe das ganze, oft sein

Bestehen gefährdende Wagnis an Zeit und Geld für die Ausbildung seiner Erfindung zu übernehmen, um, im seltenen Falle, zu einem Erfolge zu gelangen. Ihm gebühre deshalb mit Recht ein bestimmter

Anteil an dem Gewinne. Der angestellte Erfinder, der im allgemeinen ohnehin die wichtige Anregung zu seiner Schöpfung in der Firma

erhalte, arbeite mit deren Mitteln und Erfahrungen, nehme fernen

Anteil an den meist beträchtlichen, so ost vergeblichen Aufwendungen,

er habe deshalb auch keinen ähnlich berechtigten Anspruch an dem etwaigen Nutzen, der selbst wieder zum größten Teile von der ge­ schäftlichen Stellung und Tätigkeit der Firma abhänge.

Immer

muß dabei vor Augen bleiben, daß nur der kaufmännisch angebbare Erfolg in der Frage bestimmend sein kann, der sich nicht nach der

Höhe der geistigen Leistung bei der Erfindung richtet. Das Verdienst­ liche des angestellten Urhebers eines Patentes in dieser Richtung

sei deshalb überhaupt-nicht wägbar und nur im Empfinden einer verständnisvollen Geschäftsleitung zu würdigen.

Angenommen aber,

es sei wirklich ein Maßstab dafür gefunden, so würde doch, wie in

der Schrift näher ausgeführt wird, die danach bemessene besondere Zuwendung an den Erfinder eine große Ungerechtigkeit gegen die

anderen Mitarbeiter bedeuten.

Denn nur ein kleiner Teil aller in

einem Betriebe auftretenden

Leistungen erhalte als solche einen

amtlichen Stempel, selbst technische Arbeiten, die nicht weniger schöpferi­

scher Art seien, als die durch Patente schützbaren, blieben der unmittel­

baren Nachahmung offen, die erhobene Forderung bedeute also die Bevorzugung einer Klasse und die Benachteiligung der anderen, das um so mehr, als Patente schon längst nicht nur für eigentliche Erfindungen, sondern zum größten Teile für naheliegende Neuerun­

gen dem erteilt würden, der durch die Umstände zuerst in eine ge­ wisse Richtung geführt wäre.

Gesetzliche Bestimmungen in dem an­

gestrebten Sinne müßten deshalb gerade der Absicht entgegen so unsozial wie möglich wirken.

Ein ungesundes Andrängen zu den

künstlich mit erhöhten Aussichten versehenen Abteilungen müsse die 190

Folge sein, eine Unsumme unfruchtbarer Arbeit wäre bei großen

Betrieben nötig, um nur verwaltungsmäßig den gewünschten Vor­ schriften ju genügen.

Und alle diese Belastungen und voraussicht­

lichen, jedenfalls möglichen schweren Störungen sollten eintreten, ohne daß überhaupt das Vorliegen wirklicher Mißstände des jetzigen

Zustandes wahrscheinlich gemacht sei, nur einem in akademischer Er­ örterung aufgestellten Grundsätze zuliebe. — In diesen Erwägungen,

die hier nur kurz dem Sinne nach andeutbar waren, konnte Wilhelm v. Siemens nur zu der Überzeugung von der Schädlichkeit des ver­ langten besonderen Rechtes gewisser Angesielltengruppen kommen. Mit Recht mußte er durch unglückliches Eingreifen der Gesetzgebung

eine weitere Entfremdung zwischen

Leitung und

Beamtevkörper

befürchten, der schon durch das Anwachsen der Betriebe Vorschub geleistet wurde. Vor vereinzelten Ungerechtigkeiten, die immer möglich

wären und gewiß auch vorkämen, könne den Angestellten kein Gesetz

schützen.

Aber: „Die zunehmende Entwicklung des sozialen Sinnes

wird auch verhindern, daß das Anstellungsverhältnis in schädlicher

Weise stagniert und in seiner weiteren Entwicklung gehindert wird".

Der Verlauf der Bewegung hat bisher nicht das von den Ur­ hebern beabsichtigte Ergebnis gehabt, sie kann aber jederzeit wieder einsetzen. Dann würde an der Zeit sein, die Schrift wieder in Erinne­

rung zu bringen, die ein lichtvolles Bild der inneren Vorgänge und Lebensbedingungen eines Betriebes entrollt und sich von der ge­

wöhnlichen Einseitigkeit in Streitschriften freihält. Allerdings würde

der Verfasser bei einer späteren Neuausgabe wahrscheinlich noch Ände­

rungen und Vervollständigungen an ihr vorgevommen haben.

Ein­

mal tritt die Anerkennung, die der Verfasser tatsächlich der erfinderi­ schen Leistung an sich zollte, wie bei ihm nicht anders zu erwarten war, nicht so greifbar hervor, daß von dem flüchtigen Leser nicht der Vorwurf ihrer Nichtbeachtung erhoben werden könnte.

Dann

aber hat Wilhelm v. Siemens die im Laufe der Zeit eingetretene, in seiner Schrift mehr beiläufig erwähnte umfangreiche Patentierung

ohne wirklichen Erfindungsinhalt später schärfer beurteilt.

Er sah

in ihr ein Abweichen von dem Grundgedanken des Patentgesetzes

und eine schwere Belastung der durch den allgemeinen Zustand zur

Folge gezwungenen Firmen, öie unerträglich werden würde, wenn 191

nun auch noch gesetzlich mit jedem zufälligen Urheber jo vieler Pa­ tente von geringer Tragweite über seine Sonderentschädigung ver­ handelt werden müsse.

Er veranlaßte auch während des Krieges

die Einleitung einer näheren Untersuchung dieser Frage, über die er sich selbst eine abschließende Meinung noch nicht bilden wolle, weil

ihm die Verhältnisse in der chemischen Industrie nicht hinlänglich

klar seien.

Voraussichtlich würde er bei nachdrücklicher Wiederauf­

nahme seiner Betrachtungen noch einen weiteren Punkt berücksichtigt

haben, der trotz seines Naheliegens sonderbarerweise in dem wo­

genden Streite sehr selten berührt wurde. Es könnte eine Unbilligkeit darin gesehen werden, daß die Firma ihr Besitzrecht an der Erfindung

auch gegen den inzwischen ausgetretenen Erfinder ausübt, der also möglicherweise zum Schaden für sein späteres Fortkommen mit seiner

eigenen Schöpfung gegen sich selbst gearbeitet hätte.

Nach der Mei­

nung Wilhelms wäre das immerhin denkbar, wenn auch die Selten­ heit der Erwähnung darauf hindeute, daß derartige Fälle praktisch kaum eingetreten seien. In einem gewissen Zusammenhänge mit dieser längeren Schrift,

auf den auch dec Verfasser selbst hinweist, stand ein Beitrag aus

dem Mai 1917 für die ETZ über die Beteiligung der technischen Geisiesrichtung an der öffentlichen Verwaltung.

Die Arbeit wurde

zuerst als Vortrag im Elektrotechnischen Vereine mitgeteilt, war

aber vorher vollständig ausgearbeitet.

Veranlaßt war sie durch die

Anregung eines Hochschullehrers, der sich selbst in längerer Rede

über den Gegenstand äußerte und eine Reihe von Nachfolgern darin fand.

Der bekannte und schon oft behandelte Gegensatz Jurist und

Techniker im Verwaltungsdienste hatte durch die Erfahrungen in

der Kriegszeit eine neue Belebung erhalten.

Auch hier hielt sich Wil­

helm v. Siemens von jeder Einseitigkeit fern.

Er geht zunächst auch

aus von der Gegenüberstellung der juristischen und naturwissen­ schaftlich-technischen Richtung und erläutert kurz deren verschiedenes

Wesen, dort das Bestreben, das Zusammenleben der Menschen zu

erfassen und zu ordnen hauptsächlich vom Standpunkte allgemeiner

Begriffe aus, hier die Betrachtung auf dem Boden der Wirklichkeit und die kritische Beobachtung der Zusammenhänge und Wirkungen.

Als Beispiel wird auf die zahlreichen Vorschläge zur Änderung des

Patentgesetzes verwiesen.

Der Jurist behandelt die Rechtsftagen

zwischen Jndustriehaus und Angestellten, das Einkommen aus den Erfindungen soll in willkürfreier Weise verteilt werden.

Der Tech­

niker hat den Zusammenhang des Gesamtvorganges vor Augen,

die Erfindungsarbeit des einzelnen neben der mit ihr verschlunge­ nen Gesamtarbeit, die unsichere Abgrenzung, das Wagnis, die schwie­

rige Durchführung.

Beide Geisiesrichtungen müßten im Staats­

leben zur Geltung kommen, nachdem die technische Richtung die große

Entwicklung der Volkswirtschaft herbeigeführt habe.

Die Fragen

dürften aber nicht um die beiden Begriffe Assessor und Diplom­

ingenieur gruppiert werden, denn beim Austritte aus der Hochschule

seien doch nur die ersten Anfänge vorhanden und die grundlegenden

Ansätze.

Ersichtlich fand der Verfasser keine Gewähr für die Wirk­

samkeit der technischen Richtung, wenn ihre Träger selbst nur Neu­

linge in der Technik sind, um so weniger, als er als Ziel des Unter­

richtes auf der Hochschule das tiefere Eindringen in die wissenschaft­ lichen Methoden und die Hebung des wissenschaftlichen Geistes be­ trachtet, nicht die Ausbildung von fertigen Technikern.

hatte er sich schon früher in seinem Tagebuche geäußert.

Ähnlich

Er will aber

den Eintritt in die höheren Verwaltungstellen überhaupt nicht auf

Juristen

und

Techniker beschränkt sehen,

erstrebenswert sei eine

richtige Mischung darin von allen Berufständen. der Verfasser seinen wohl wichtigsten Gedanken.

Hier entwickelt Es müßten viel

zahlreichere Übergänge zwischen den Laufbahnen im Staats- und

Privatleben vorhanden sein, damit solche Kräfte zur Wirkung gelan­

gen könnten, die in ihrem Fache schon die besondere Formung des

Geistes und die Schulung in der Anwendung neuer schöpferischer Mittel erhalten hätten, um den Einfluß der Staatsgewalt auf das

Gesamtleben des Volkes richtig zu lenken.

Damit würde die schroffe

Abgrenzung der bureaukratischen Kreise von den übrigen aufhören,

die Klassen- und Standesunterschiede gemildert werden.

Als ein

damals besonders naheliegendes Beispiel verweist der Verfasser auf die Militärverwaltung, in der die Mitwirkung der technischen Rich­

tung in den leitenden Stellen eine dringende Notwendigkeit sei, nach­ dem so vielen kriegstechnischen und kriegswirtschaftlichen Aufgaben nicht rechtzeitig hätte entsprochen werden können infolge ungenügenXIII.

R o t t h, Wilhelm von Siemens.

193

den Zusammenwirkens vorhandener, aber zu sehr voneinander ge­

trennter Kräfte. Es ist sehr ju bedauern, daß Wilhelm v. Siemens nicht mehr imstande gewesen ist, seine Gedanken auf dem Gebiete weiterzuführen,

für das er durch Wissen, Erfahrung und Eigenart geradezu bestimmt schien. Was er in der kurzen Arbeit geben konnte und wollte, waren nur aus der Gelegenheit entsprungene Anregungen.

Eine abge­

schlossene Form der Gesichtspunkte hatte er noch nicht gewonnen,

wie die Fassung des Beitrages erkennen läßt. Er bedauerte hinterher

auch, nicht ausdrücklich die bekannte Berechtigungsfrage abgewehrt zu haben. Sein Ziel war in der Tat nicht, dem auf gute Vorbereitung

für sein Fach geprüften angehenden Techniker weitere Möglichkeiten für Laufbahnen zu eröffnen, auf denen ec seine eigentliche Bestimmung gar nicht erreichen könnte.

Ihm lag die Förderung der Technik vor

allem am Herzen und damit die Heranbildung von schöpferischen Technikern. Seine Vorstellungen darüber kleidete er manchmal in Gleichnisse, etwa folgender Art: Ein Mediziner erhält durch das be­

standene Staatsexamen die Berechtigung, sich praktischer Arzt zu nennen.

Wen» er nun aber die damit gewiesene Laufbahn nicht

verfolgt, sondern vielleicht eine Fabrik für Arzneimittel anlegt, so kann ihm seine Vorbildung dabei in gewissem Grade sehr nützlich sein,

aber ein wirklicher Arzt wird er dann nicht werden, trotzdem er sich

dauernd so nennen darf, niemand wird ihm seine Gesundheit an­

vertrauen, auch wird er die Heilkunst nicht durch neue Erkenntnisse oder Verfahren bereichern. Ähnliche gedachte Vorgänge aus anderen Fächern

auf

die

Technik

übertragend

bedauerte

Wilhelm

die

frühzeitige Abwanderung gerade gut beanlagter Köpfe von der

wissenschaftlich-technischen Kunst nach der mehr begünstigten und weniger mühevollen geschäftlichen und verwaltenden Richtung, wie

sie sich in der Starkstromtechnik mit ihren eigentümlichen Verhält­ nissen besonders ausgebildet hat, im Grunde aber durch das ge­ ringe Verständnis in Deutschland für die technische Arbeit überhaupt verursacht ist.

Er besorgte davon einen Rückgang der Technik, bei­

spielweise im Hinblicke auf Amerika.

Diese Empfindung wird ihn

in nicht geringem Maße in seinem Bemühen um das Schaffen von besonderen Versuchs- und Forscherstätten in der Firma bestärk haben.

Dieselbe Überzeugung von der Wichtigkeit aller die Technik

fördernden Fortschrittarbeit kam auch in seiner Tellnahme für Be­ strebungen dieser Art außerhalb des Hauses zum Ausdrucke, freilich

unter kritischer Würdigung der Umstände und Ziele, die ihn auch zum

Ablehnen scheinbar wohlbegründeter Vorschläge führte.

So machte

die englische Zeitung „Times" 1910 Anstrengungen für ihren Plan des Zusammenfassens und Ordnens der Forschertätigkeil aller Völ­

ker, fand damit aber in Deutschland nur spärliche Zustimmung.

Die

Zeitung führte aus, wieviel Arbeit verschwendet würde, da die For­ scher ohne Verbindung miteinander seien, ost denselben Vorwurf

gleichzeitig bearbeiteten, von ihren Mißerfolgen, so lehrreich auch

diese oft seien, keine Kenntnis gäben und beim Zusammenwirken unter steter Fühlungnahme für die wissenschaftliche Technik wichtige Ergebnisse viel leichter und wirtschaftlicher erzielen würden.

Als

Beispiele einer solchen Ordnung der Forschung wurden schon be­ stehende Vereinigungen von Fachkreisen genannt, wie sie auch Deutsch­

land aufweist, in denen Gemeinschaftsarbeit angeblich im Sinne

des Vorschlages geleistet werde.

Die ETZ veranstaltete darüber

19 ii eine Meinungsäußerung einer Reihe führender Fachleute, die

in der Hauptsache verneinend ausfiel, wie zu erwarten stand.

Denn

soweit eigentliche Forschungsarbeit in den technischen Unternehmungen betrieben wird, erstrebt sie auf diesem würdigsten Wege den Vor­

sprung vor dem Mitbewerbe, kann also ihre Ergebnisse nicht vor­ zeitig preisgeben. Wilhelm v. Siemens erkannte zwar in seiner länge­

ren Zuschrift die Zweckmäßigkeit gemeinnütziger Arbeit in mancher

Hinficht unbedingt an, wie sie beispielweise in der Phys.-Techn. Reichs­ anstalt für die genaue Ermittlung der Einheiten und anderer Fest­ werte und im Verbände Deutscher Elektrotechniker für die Festsetzung

von Normalien geleistet werde. Auch seien sonstige zusammenfassende Einrichtungen erwünscht, die das Studium gewisser Fragen von

allgemeiner Bedeutung planmäßiger und wirksamer betreiben und

der Gesamtheit sichern könnten.

Die eigentliche Fortschrittarbeit

ließe sich nicht in künstliche Ordnung zwingen.

Eine scheinbare Ver­

schwendung geistiger Arbeit sei wohl mit dem jetzigen Zustande ver­

bunden, aber schon die Natur lehre, wieviel Keime ausgestreut wer­

den, damit eine Schöpfungstat zustande komme. XIII*

Ebenso kennzeich-

195

nend für seine Weltanschauung war der Satz: „Das, was die Welt

allein vorwärts bringt, was auch die wirtschaftliche Lage der großen

Mehrheit mit der Zeit aus ihrer jetzigen Beengtheit emporheben kann, ist geistiger Fortschritt, besonders auf dem Gebiete der Wissenschaft und Technik." — Ein kurz danach folgender, ebenfalls in der ETZ

1911 veröffentlichter Beitrag „Zur Frage der Gründung neuer wissen­

schaftlicher Forschungsinstitute" läßt noch tiefere Blicke in Wilhelms Auffassung von der Bedeutung der Wissenschaft im Volksleben tun.

Der Beitrag ist eine weitausholende Begründung des Vorgehens

zunächst engerer Kreise, das zur Begründung der Kaiser WilhelmGesellschaft unter der Obhut des Kaisers führte.

Wilhelm v. Sie­

mens^ Stellung zu der Frage deuten wieder seine eigenen Worte an: „Die Wissenschaft ist zwar, ohne daß das ihr Ziel ist, der erfolgreichste

und volkswirtschaftlich wirksamste Produzent...", und „Hieraus er­ gibt sich die Aufgabe für diejenigen Bevölkerungsteile, welche von

der Notwendigkeit einer zunehmenden Belebung und Vermehrung wissenschaftlicher Forfchungsarbeit überzeugt sind, es nicht bei dieser Überzeugung bewenden zu lassen, sondern nach neuen Lösungen zu

suchen und hier etwas Selbständiges zu leisten." Die Universitäten sind

die

vom Staate

eingerichteten

mit den Lehrstühlen.

Forschungstätten in

Verbindung

Diese Verbindung hat sich bewährt, und wir

sind daran gewöhnt, alle Sorge für die Forschung dem Staate zu

überlassen.

Sie genügt aber dem gesteigerten Bedarfs nicht mehr,

es müssen besondere Forschungstätten errichtet werden, sie können vom Staate allein nicht erwartet werden, das Beispiel Amerikas gibt einen deutlichen Fingerzeig zur Lösung.

Dort ergießt sich un­

ausgesetzt ein breiter Strom von Mitteln über das Forschungsleben, es besteht die Gefahr, daß wir nicht nur die Führerschaft abgeben

müssen, sondern auch die Gleichwertigkeit verlieren.

Bei dem An­

sehen des Staates und bei dem Vertrauen, das er genießt, eignet

sich für unsere Verhältnisse am besten die Begründung und Führung selbständiger Forschungstätten aus besonders aufgebrachten Mitteln in Verbindung mit dem Staate, durch dessen Zutun auch der Zusammen­

hang mit den bestehenden Einrichtungen der Universitäten am sicher­

sten gewahrt bleibt und die Berufung vollwertiger Kräfte erleichtert ist.

Bei dieser Auffassung Wilhelms von der Bedeutung der For-

schung für das Volksganze ist seine rege Beteiligung an den Arbeiten

der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft verständlich.

Er wünschte nur noch

den Kreis der Förderer, der durch den hohen Beitrag zunächst eng begrenzt war, nachdem nun eine sichere Grundlage gewonnen sei,

durch Ermäßigung der Leistung auf weitere Bevölkerungschichten ausgedehnt zu sehen, um in der wachsenden Anteilnahme eine immer

breitere Grundlage für die Forschungstätten zu schaffen. — Auch diese

Schrift ist durchsetzt mit manchen Äußerungen von allgemeinerer Bedeutung. So wird der oft besprochene, manchmal ganz geleugnete

Unterschied zwischen Universitäten und Technischen Hochschulen darin

gesehen, daß jene für ihre Kreise die alleinigen Mittelpunkte der For­ schung vertreten, während diese sich zwar auch an der Forschung be­

teiligen, aber doch nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der ge­ samten Forschungsarbeit leisten.

Behandelten diese Arbeiten zwar allgemein wichtige, aber doch zunächst die Fachleute angehende Fragen, so wendete sich die Schrift

„25 Jahre elektrischer Energieversorgung" aus 1913 an einen weiteren Leserkreis.

Die Monatschrift „Nord und Süd" veranstaltete in dem

Jahre eine Kaiser-Jubiläumsnummer, der Herausgeber bat Wilhelm

v. Siemens, die Schilderung des technischen Zweiges zu übernehmen,

der in dem Vierteljahrhundert am sichtbarsten und kräftigsten aus­ gewachsen war.

Es handelt sich also um eine allgemein verständ­

liche Darstellung der Entwicklung der Starkstromtechnik. Fachphilister

verschmähen das „populäre" Schrifttum, schaffende Naturen haben sichtlich oft das Bedürfnis, wie die Wissenschaftgeschichte zeigt, sich

über den Fachzaun hinweg mit der Menge der Gebildeten über Wesen und Inhalt ihrer Arbeiten zu verständigen.

Die Aufgabe kam bei

Wilhelm an den rechten Mann, und er hat sie offenbar mit besonderer

Liebe behandelt.

Er selbst hatte in dieser Zeitspanne der Entwicklung

in vorderster Reihe gestanden und wußte nun dem Leser nicht nur

eine äußere Übersicht zu geben, sondern auch die inneren Ursachen

für die Folge der Erscheinungen klarzulegen.

Der Laie findet in der

Schrift eine anziehende Belehrung über die wirtschaftlichen Wirkun­

gen und Aussichten der Elektrotechnik, der Fachmann empfindet mit Freude die lebendige Darstellung und die eigentümlichen Zusammen­ hänge, die der philosophische Sinn des Verfassers aufdeckt.

Es über-

rascht, in der Schrift Gedankengängen des Verfassers zu begegnen,

die mit der „Organprojektion" von Ernst Kapp in seiner Philosophie

der Technik verwandt sind, wenn sie auch nicht ganz damit zusammen­ fallen.

Es würde von Reiz sein, die viel angezweifelte Vorstellungs­

weise von Kapp in der angedeuteten neuen Richtung eingehender zu verfolgen. Von demselben Geiste des Eindringens in die ursächlichen Ver­

knüpfungen getragen ist auch die früher erwähnte Schrift „Werner Siemens und sein Wirkungsfeld" in der Fesinummer „Die Natur­ wissenschaften" 1916.

Sie kann zum Teile als Ergänzung zu der

vorhergehenden aufgefaßt werden, da sie nähere Aufschlüsse über

die Entstehung grundlegender Einzelheiten gibt.

Wilhelm ließ sich zu

ihrer Abfassung nur schwer bewegen, da ihm widerstrebte, als Sohn

das Wirken von Werner Siemens in seinen Beweggründen vor der Öffentlichkeit zu schildern. des Stoffes

und

die

Nur der Hinweis auf seine Beherrschung

mangelhafte Vorbereitung

anderer

knappen und unruhigen Zeit besiegten seine Bedenken.

in der

Gewisse

Hemmungen, die ihm aus seinem Empfinden entstanden, sind in

der Schrift auch zu spüren.

Aber sie läßt keine wesentliche Seite

aus dem technischen und wirtschaftlichen Schaffen von Werner Sie­ mens unberührt und bildet trotz der gebotenen Kürze die sicherste

Quelle zum Verständnisse seiner Auffassung von den Zielen, Wegen

und Pflichten der großgewerblichen Tätigkeit und der Rolle, die darin der wissenschaftlichen Forschung zufällt.

Die Schrift ist gleicher­

maßen ein Bekenntnis des Verfassers für die Grundlage seiner eignen

Handlungsweise, die er als Nachfolger seines Vaters durchführte. Es konnte an früheren Stellen schon mehrmals auf die starke Neigung Wilhelms zur Ergründung der wirtschaftlichen Erscheinungen hingewiesen werden.

Schon vor seiner Studentenzeit bekundete er

sie, ebenso auf der Universität in den belegten Kollegs, in der Wahl

des Lesestoffes und den Bemerkungen in den Tagebüchern, lange

ehe er durch die übernommene Berufspflicht auf die nähere Betrach­ tung der besonderen Erscheinungsformen gelenkt wurde, die ein Großbetrieb dem Leitenden eindringlich vor Augen führt.

Das

Finanzwesen des Hauses hatte dann dauernd angespannte Erwägun­ gen von ihm gefordert und Vergleiche mit anderen Betrieben nahe-

gelegt.

Aus dieser Schulung hatte sein allzeit empfänglicher Geist

Anregungen entnommen, die sozusagen weit über den nächsten Be-

Seine Art des steten Durchgrübelns der in

darf hinausführten.

seinem Gesichtskreise haftenden Dinge kann hier nicht anders ge­

wesen sein, als auf sonstigen Gebieten, und eine Summe fertiger Er­ kenntnisse wird sich allmählich in ihm angesammelt haben, die nur der Gelegenheit bedurfte, um in der selbständigen Behandlung be­

sonderer Fragen sichtbar zu werden.

Einen solchen Anlaß gab 1908

der Plan der Regierung auf Besteuerung der elektrischen Energie, auf den Wilhelm mit Kritik und Gegenvorschlag mit seinem Auf­

sätze „Elektrizitätssteuer und Arbeitgebersteuer" in der „Deutschen Revue" antwortete.

Vermehrte Anregungen auf dem Gebiete des

Steuerwesens stellten sich ein, als während des Krieges die Auf­

bringung der auch im besten Falle zu erwartenden großen Steuer­ beträge den Scharfsinn der Finanzsachverständigen herausforderte. Mit

leidenschaftlichem

Eifer

hat

sich

Wilhelm

in

seinen letzten

großer

Teil

seines reichen handschriftlichen Nachlasses ist ihnen gewidmet.

Der

Lebensjahren

in

die

Steuerfragen

vertieft,

ein

ganze umfangreiche Stoff ist von kundiger Hand in Bearbeitung genommen, so ist zu hoffen, daß die mühevolle Arbeit auch auf diesem

Gebiete nicht ohne Früchte bleibt, die der Leser der genannten, bisher

allein an die Öffentlichkeit gelangten Schrift über Steuerwesen in erster Linie in der Lehrhaftigkeit erwarten wird. Es mindert den dau­ ernden Wert dieser Schrift nicht, daß der eigentliche Gegenstand der

Untersuchung nicht mehr auf der Tagesordnung steht.

Darüber

sei hier nur kurz bemertt, daß die Steuer nach dem Regierungsplane von allen Verbrauchern elektrischer Energie nach ihrer gemessenen

Menge erhoben werden sollte.

Es wird dagegen gezeigt, wie dieses

Maß gar keinen Anhalt gewährt für die wirtschaftliche Leistungs­

fähigkeit und Bedeutung der Betriebe, die sich auf die Verwendung der Elektrizität eingestellt haben oder ganz auf sie angewiesen sind, daß die Steuer somit ungerecht wirke und den tragenden Untergrund schädigen müsse.

Der zu erwartende Einfluß wird nach allen Rich­

tungen untersucht, man gewinnt den lebhaften Eindruck, wie wenn der wirkliche Kenner eines moorigen Geländes den Wanderer vor

den Tücken warnt,

die auf dem unbedacht eingeschlagenen Wege

lauern.

Dazu wird auf die^ Umständlichkeit und Kostspieligkeit der

Erhebung dieser Steuer hingewiesen.

Dem kritisierten Entwürfe

wird eine ganz andere Steuerart gegenübergestellt, nämlich eine Abgabe auf die Summe der gezahlten Löhne und Gehälter, kurz als Arbeitgebersteuer bezeichnet.

Der Steuerlaie wird zunächst ob

des ihm Neuartigen stutzen, wird dann aber leicht dem Gedanken­ gange folgen, daß diese Summe der zuverlässigste Maßstab für den

eigentlichen Wert des Ärbeitserzeugnisses bildet und dieser Wert

selbst die Bedeutung des betreffenden Betriebes für die Allgemein­ heit feststellt, während der Staat in erster Linie um der Volkswirt­

schaft willen da sei und so von dieser in der Steuer die Gegenleistung empfange.

Die Steigerung der Selbstkosten der Erzeugnisse bliebe

dabei in erträglichen Grenzen, zur Einziehung der Steuer seien nur

einfache Maßnahmen erforderlich.

Als Antwort auf die Kritik, die

der Vorschlag fand, ist unter der Bezeichnung „Arbeitgebersteuer"

dec ersten Arbeit noch eine weitere zugefügt, in der gleich betont wird, daß man von einer Einzelsteuer, wie der vorgeschlagenen, die neben

der Einkommensteuer bestehen solle, nicht die Erfüllung sämtlicher

Bedingungen verlangen dürfe, denen das Steuerganze zu entsprechen habe. — Die sachliche Beurteilung einer Steuer auf der angedeuteten Grundlage muß dem Finanzkundigen überlassen bleiben, wohl aber

darf hier noch von der allgemeinen Haltung der Schrift und mancher

ihrer Einzelheiten gesprochen werden.

Gleich in der Einleitung muß

der Mann, der gewöhnt ist, das leitende Gesetz der Erscheinungen

zu suchen, das Bekenntnis ablegen: „Es ist leichter, den Gang der Gestirne zu berechnen, als den Gang der Volkswirtschaft,

ebenso wie die zukünftigen Handlungen eines Menschen nicht be­ rechenbar sind."

Die naturwissenschaftliche Schulung ließ ihn immer

die Grenzen des noch sicher Bestimmbaren suchen. Nach einem wissen­

schaftlichen Vortrage äußerte er einmal in seinem Dankworte an den Redner: „Ach, wenn wir doch auch im Wirtfchaftleben ein so einfaches Grundgesetz hätten wie das Ohmsche Gesetz in der Elektrizität", und jeder Zuhörer entnahm der versonnenen Miene und dem wehmütig­

scherzenden Tone, wie der Sprecher wieder in der Zeit um Klarheit in einem noch dunklen Gedankengange auf dem unsicheren Gebiete rang.

An die Stelle der scharfen Erkenntnis muß in volkswirtschaft-

Achen Dingen vielfach das Ahnen und Empfinden treten, „viel Künst, lerschaft und eine noch größere Widerstandskraft gegen die Leiden,

schäften des Tages und den dunklen Drang der Massen".

Die all,

gemeinen Gesichtspunkte für eine gesunde Steuer werden vorgeführt

und an verschiedenen Steuerarten entwickelt, die Elektrizitätsteuer

und die gegenübergestellte Arbeitsteuer in ihren voraussichtlichen

Auswirkungen näher betrachtet. Immer ist das Für und Wider sorg, fällig erwogen, zwischen Sicherheit, Wahrscheinlichkeit und Möglich,

keit wohl unterschieden, alles in einfacher, reizvoller Sprache, manch, mal mit leisem Sarkasmus ohne jeden Fachjargon, der so leicht ver,

bliebene Lücken verschleiert.

Das Ganze liest sich wie eine kurze Ein,

führung in das Steuerwesen überhaupt nach applikatorischer Me, thode.

In gern benutzter Gelegenheit streift der Verfasser Fragen

von allgemeiner Bedeutung, über die er offenbar schon früher Klar,

heit gefunden hat, wie die volkswirtschaftliche Aufgabe großer Ein, kommen, die Lebensbedmgungen und Aussichten des Mittelstandes,

den Einfluß der wirtschaftlichen Belange in dem Verhältnisse der Völker zueinander und die Notwendigkeit der Wehrbereitschast für

das Deutsche Reich, Fragen, die wenige Jahre später ihre grelle Be, leuchtung erfahren haben.

Die Schrift, die an vielen Stellen unge,

sucht das soziale Empfinden des Verfassers bekundet, ist überhaupt

reich an fördernden Anregungen auch für Leser, die für Steuerfragen

selbst nur geringe Teilnahme aufzubringen vermögen. Die aufregende Kriegzeit mußte in erhöhtem Maße Wilhelm v. Siemens zum öffentlichen Aussprechen seiner Meinungen und

Ratschläge drängen.

Schon im Dezember 1914 erschien in „Nord

und Süd" sein Aufsatz „Die deutsche Industrie und der Weltkrieg".

Auch hier wird man sich vorzustellen haben, daß schon lange gefaßte

Gedanken sich bei dem nun gegebenen Anlässe zu einem bestimmten Zwecke zusammenfanden. Dieser tritt deutlich in dem Schlußabschnitte

hervor.

Wilhelm war bei Beginn des Krieges selbst von Sorge um

den Ausgang beschwert, er hatte sie schnell abgestreift und wollte ersichtlich anderen von seiner Zuversicht mitteilen.

Er spricht von

dem leichten Schwinden des Mutes aus verhältnismäßig kleinen Anlässen. Aber die deutsche Volkswirtschaft sei reich genug an Hilfs, Mitteln aller Art, um auch den schwersten und längsten Krieg aus,

zuhalten, Worte, die gewiß bei vielen Lesern ihren Zweck erfüllt haben werden.

Der Inhalt der Schrift rankt sich um den fesselnden Ver­

gleich zwischen dem gewerblichen Leben, das in der gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Phase sich stets in einem gewissen Kriegzusiande befinde, mit dem wirklichen Kriege.-

In beiden hänge Erfolg und

Schicksal des Ganzen davon ab, daß jedes einzelne Glied sein per­

sönliches Sein rücksichtslos einsetze. In diesem nicht streng begrenzten Rahmen findet eine Reihe einzelner Ausführungen Platz, die auf

des Verfassers wirtschaftliche und politische Ansichten hindeuten oder auf brennende Tagesfragen eingehen.

Die wahre englische See­

politik wird entrollt und als eigentlicher Inhalt des sich abspielenden Weltdramas bezeichnet, die politische Vertrauensseligkeit des „Deut­

schen Michel" dagegengehalten, dem es bei aller Kraft an kriegerischem

und politischem Ehrgeize fehle und dessen Geist nicht jene bedenken­

freie Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung seines Nutzens kenne. Auch

der bedauerlichen Kluft zwischen den politischen und wirtschaftlichen Kreisen in Deutschland wird gedacht, die das notwendige Zusammen­ arbeiten so erschwere.

Stand diese Schrift noch aufj dem Boden

der

Vorkriegzeit,

so entwickelte sich die nächste „Eine kriegstechnische Betrachtung"

aus dem folgenden Jahre (Technik und Wirtschaft 1915, Heft VII) aus den Beobachtungen und Erfahrungen während des ersten Kriegs­ jahres.

Sie grenzt an die vorige an, insofern immer das gegen­

seitige Bedingen von Volkswirtschaft und Krieg festgehalten wird,

und behandelt auf dieser Grundlage den Einfluß der Technik auf

die Kriegshandlungen, in einer Betrachtungsweise, wie sie von Clause­ witz für den Landkrieg, von Mahan für den Seekrieg geübt wurde, übrigens ohne Anlehnung an diese Muster, die dem Verfasser auch

kaum vorgeschwebt haben.

Der entbrannte Weltkrieg wird als das

echte Kind seiner Zeit bezeichnet, der mit seinem Massenbetriebe und

seinen riesenhaften Frontlängen ganz der in den vorhergehenden

40 Jahren in die Breite gegangenen Volkswirtschaft gleiche und von ihr getragen werde.

Das Erstarren des Kampfes im Westen wird

aus der gesteigerten Waffenwirkung erklärt, die notwendig zur Flucht

in Schützengraben und Stollen zwang.

Daraus mußte wieder der

ungeheure Verbrauch von Schießbedarf folgen und die Ausbildung

besonderer Mittel für die in ihrer Ausdehnung neue Kriegsweise. Die Industrie der kriegführenden Länder hatte fieberhaft für den

Frontdienst zu arbeiten, die Gegner suchten und fanden Hilfe bei der amerikanischen Industrie, die fast den gleichen Umstellungsvor­ gang durchmachte wie die deutsche, als wenn die Vereinigten Staaten

(1915!) selbst am Kriege beteiligt wären.

Den Deutschen kam da­

gegen ihre weit voransiehende chemische Großindustrie zugute.

Als

Förderin des Kriegswesens habe sich die Technik nicht erwiesen, weil sie keine Wege gefunden habe, die Entscheidung auf möglichst schnelle

Weise herbeizuführen.

Das neue Kriegsmittel, die Flugzeuge, konnte

in dieser Hinsicht als Beschießungswaffe wegen der äußerst geringen

Treffsicherheit noch nicht erheblich wirken.

Zum Seekriege über­

gehend wird der internationalen Bemühungen gedacht, zu bindenden

Abmachungen über die Freiheit der unbeteiligten Schiffahrt zu ge­

langen, und während man treuherzig darüber beriet, arbeitete England

schon daran, nach einem großen Plane wirtschaftlicher Umfassung und Vernichtung — Sperrung der Häfen und Küsten durch die Flotte,

Verriegelung

der

ausgedehnten

Landesgrenzen

durch

Dienstbar-

machung fremder Heere für das Unternehmen, planmäßige Ver­

leumdung Deutschlands mit allen Mitteln — durch Umkehrung seiner eigenen Lage Deutschland praktisch zu einer Insel zu machen.

Der

Seekrieg entwickelte sich zu einem Kriege mit ungleichen Waffen. Auf der einen Seite die zurückgehaltene englische Flotte, auf der ande­

ren die fortgesetzt zum Angriffe vorgehenden deutschen U-Boote.

Ihre Eigenart sei nicht die eines Kriegschiffes sonstiger Art, man müsse sie als Minenträger ansehen, als einen Fortschritt gegen die

verankerte Mine.

In welcher Richtung man bei uns an neuen See­

kriegmitteln zu arbeiten habe, sei durch den Widersinn gewiesen, daß ein Volk mit kleiner Waffenmannschaft nur durch ein überragendes

Werkzeug, die Flotte, in der Welt gebieten könne, während die wirk­

liche Geltung der Völker auf ihrer Größe und Eigenart beruhe.

Die

Technik könne einerseits stolz sein, ein solches Werkzeug geschaffen

zu haben, müsse sich aber eigentlich schämen, nicht auch für die Gegen­

mittel gesorgt zu haben. — Die gedankenreiche Schrift weist überall auf die Wechselwirkung zwischen technischer Leistung, wirtschaftlicher

Möglichkeit und Volksart bei der Erzielung des kriegerischen End-

Zweckes hin. Sie hat auch bei dem Stellvertretenden Großen General­ stabe Beachtung gefunden, und die Äußerungen von dort lassen auf mehr als höfliche Teilnahme daran schließen.

Ein folgender Beitrag über „Seerecht und Sicherung der Volks­

wirtschaft" in der Monatschrift „Recht und Wirtschaft" (AugustSeptember 1916) kann in gewissem Sinne überraschen, da sich der

Verfasser hier der Mühe unterzieht, die förmliche Rechtslage im Seekriege zu untersuchen.

England hatte doch schon zur Genüge

gezeigt, daß es alle Satzungen des Völkerrechtes zu seinem Nutze« zu beugen gewillt sei, und die Haltung Amerikas konnte eine Ein­ wirkung von Erwägungen

der Gerechtigkeit auf seine Entschlüsse

nicht mehr erwarten lassen.

Die Schrift allein könnte daher zuerst

den Eindruck machen, als wenn der Verfasser in Verkennung der Tatsachen den völkerrechtlichen Abmachungen noch ein entscheidendes Gewicht beilegen wollte, andrerseits trieb die feindliche Presse nach wie vor in scheinbarer Ernsthaftigkeit ihr Spiel mit der Auslegung

angenommener Rechtsätze aus der Vorkriegzeit zum Lenken der Stim­ mung im eigenen Lande und bei den Neutralen. Dem zu begegnen,

soweit für Deutschland darin die Möglichkeit bestand, konnte immer­ hin von Wert sein, besonders deshalb auch, weil die feindlichen Kund­

gebungen sich zum großen Teile auf das neue Seekampfmittel be­ zogen, die Il-Boote.

Das gab der öffentlichen Besprechung seerecht­

licher Fragen eine neue Note, und hierin lag für Wilhelm wohl der

Hauptgrund seiner Beteiligung.

Er wollte hauptsächlich den Wider­

sinn treffen, neue Waffenarten ohne weiteres unter Regeln zu bringen, die lange vor ihnen ausgestellt waren. Der damals wohl befürchtete, aber noch nicht vollzogene förmliche Eintritt Amerikas in den Feind­

bund hat das Urteil über dieses Land gemäßigter gehalten, als ein

halbes Jahr später möglich gewesen wäre.

Im Mai 1917 schrieb Wilhelm seine längste Kriegschrift: „Die Freiheit der Meere".

Hier hatte er sich nicht die Ergründung ein­

zelner Punfte vorgesteckt, er berichtete über die bisherige Entwicklung,

die sich um die im Titel angedeutete Kernfrage gruppiert, in ruhig­ sachlichem Tone, aber un chat un chat nennend.

Der Inhalt wäre

schon einigermaßen gekennzeichnet, wenn man den Titel etwa so ergänzen würde:,,... und was sich die Feinde darunter vorstellen".

Daß er fast wie eine Satire wirkt, jetzt noch mehr als damals, liegt an den Tatsachen.

England besaß die Vorherrschaft zur See und

wollte sie wahren, angeblich zum Schutze der kleinen Völker.

Es

verstand immer, eigennützig zu handeln und uneigennützig zu reden. Den feindlichen Nebenbuhler wollte es nicht besiegen, sondern ver­ nichten.

Daher strich es mit unbekümmertem Griffel die Londoner

Seerechts-Deklaration von 1909, die den Krieg auf die kämpfenden Streitkräfte beschränken sollte, und ging mit allen Mitteln unver­

hohlen an die Aushungerung Deutschlands.

Es tat entrüstet, als

Deutschland darauf Miene machte, mit dem neuen D-Bootkriege umgekehrt England die Zufuhr abzuschneiden. Das erklärte England für völkerrechtswidrig, suchte und fand Hilfe im Angelsachsentume

Amerikas, dessen Präsident Wilson schon von Anbeginn die Kriegs­ lieferungen an die Feinde Deutschlands begünstigt hatte, wiewohl er sie nach amerikanischem Rechte hätte verhindern können, und schließ­

lich, als die Gefahr für England aufs höchste stieg, nachdem Deutsch­ land endlich den uneingeschränkten N-Bootkrieg erklärt hatte, das

ganz unkundige Volk selbst in den Krieg führte. waren angeblich Gründe der Menschlichkeit.

Das Mittel hierzu

„Die Noten von Prä­

sident Wilson drehten sich förmlich um den Humanitätspol."

In

gleicher Art wurde auf die noch verbliebenen Neutralen eingewirkt,

nur wenige, wie Schweden, widerstanden aus eigener Kraft der Lockung.

Während so die schärfsten Rüstungen unbedenklich gegen

Deutschland aufgeboten wurden und in England nie ein Wort laut

wurde, daß der Krieg anders enden könne als durch den Sieg, hielt

die deutsche Sozialdemokratie die Zeit für gekommen, in Verbin­ dung mit

der

internationalen

programm durchsetzen zu können. land in richtiger Weise

Sozialdemokratie

ihr

Friedens­

Dazu müsse nur noch Deutsch­

demokratisch aufgeputzt werden,

um

erst

Wilsons Vertrauen zu gewinnen. — Das war im Mai 1917, als

die Erfolge der Il-Boote die Hoffnungen auf Erzwingen eines wirk­

lichen Friedens bestärkten.

Wilhelm teilte die Hoffnungen, ohne

voreilig noch an die sichere Wirkung des Kriegsmittels zu glauben, dessen schwächliche lange Zurückhaltung er schmerzlich beklagte.

Am

Schlüsse betonte er, die Freiheit der Meere sei nicht durch Ver­

träge zu sichern, sie sei aber für Deutschland eine Lebevsbedingung,

deren Durchkämpfung Sieg oder Niederlage in diesem Kriege be­

deute.

Noch einmal ist Wilhelm im November 1917 im „Tag" auf die Frage zurückgekommen, von anderem Ausgangspunkte, der durch

den Titel „Belgien und die Abrüstungsfrage" angedeutet ist.

Anlaß

war die päpstliche Friedensnote vom August, in deren Beantwortung durch die Deutsche Regierung zu vermissen war, was unter dem

Vorbehalte der deutschen Daseinsbedingungen zu verstehen sei.

Die

leitenden Staatsmänner der Mittelmächte suchten, wie der Verfasser ausführt, offenbar die zukünftige Sicherung ihrer Völker nicht in gesteigerter Macht und größerem Ansehen, sondern in der inter­

nationalen Verständigung.

Mit fast erschreckender Deutlichkeit zeige

sich wieder das deutsche Übel der international gerichteten Gefühls­ politik, während die Gegner in unbeirrbarer Nüchternheit ihre Ziele

verfolgten.

Dagegen sträubte sich Wilhelms Einsicht, und im noch­

maligen Zusammenfaffen aller militärisch-technischen Gründe zeigte er

die Wichtigkeit der flandrischen Küste als Basts für I5-Boote und

Flugzeuge zum Freihalten der Nordsee für Deutschland, wenigstens

bei dem zeitigen Zustande dieser Waffen, ersichtlich nicht, um einen bestimmten Vorschlag daran zu knüpfen, sondern um in Gegenüber­

stellung zu der verschwommenen Abrüstungsfrage ein Wirklichkeits­

bild zu geben, wie es sich die zielbewußten Gegner ausmalen würden. Alle Schriften von Wilhelm v. Siemens atmen seine Eigenart.

Sie sind aus der Überzeugung geboren, etwas Wesentliches der all­ gemeinen Beachtung darbieten zu können, und aus dem Wunsche, mit der eigenen Erkenntnis zu belehren. liche Sorgfalt in der Ausführung.

Dem entsprach die pein­

Die Niederschrift erfolgte meist

in verhältnismäßig kurzer Zeit, immer eigenhändig, die Vorbereitung ging aber viel weiter zurück. Wilhelm liebte es, über wichtige Puntte

der in Arbeit befindlichen Schrift zu anderen zu reden und in feiner eigentümlichen Frageform ein Echo seiner Gedanken zu finden. Man­

chen ist seine Darstellungsweise schwer verständlich vorgekommen, und

dem ist auch insofern zuzustimmen, als die Schriften einen aufmerk­

samen Leser voraussetzen.

Sie waren nicht leicht geschrieben, in viel­

fachen Änderungen bemühte sich der Verfasser immer wieder um kennzeichnende Wendungen und treffende Ausdrücke, zum Besten

der Klarheit und Sicherheit des Verständnisses.

Gerade diese Sorg­

falt in der Kleinarbeit läßt den eiligen Leser ost nicht schnell den Haupt­

gedanken erfassen.

Dazu kommt die Neigung des Verfassers, ge­

legentlich Stoff aus Seitenwegen heranzuziehen, ohne gleich darauf

hinzuweisen. Auch das Fehlen einer äußerlichen Gliederung erschwert den ersten Einblick.

Wer aber an das Lesen mit der Aufmerksamkeit

herangeht, die dem Bemühen des Verfassers gebührt, hat reichen

Gewinn von dem Inhalte und aufrichtige Freude an der fesselnden

Form.

Sprachreiniger könnten allerdings die Vorliebe des Ver­

fassers für Fremdwörter bedauern, die oft auch da stehen, wo der

gleichwertige deutsche Ausdruck zur Hand war. Die gefälligere Klang­ farbe mag manchmal der Grund zur Bevorzugung des Fremdwortes

gewesen sein. — Ob Wilhelm v. Siemens selbst mit den Werken seiner Feder ganz zufrieden war? Wohl nicht so wie der Leser. Selbst­

gefälligkeit war ihm fremd, seine Selbstkritik um so schärfer.

Jeden­

falls mochte er in seinen abgeschlossenen Schriften nicht wieder lesen.

Dem Ende zu. Noch stand es gut um Deutschland, als Wilhelm um die Wende zu 1918 seine letzte Kriegschrift hinausgehen ließ.

Was ihm an Zeit

neben seiner Haupttätigkeit verblieb, wendete er meist auf seine Ar­

beiten steuerpolitischer Art.

Er hatte hier in einer Richtung schon

einen gewissen Abschluß erreicht und eine neue Form der Umsatz­

steuer entwickelt, die Einträglichkeit und Gerechtigkeit vereinigen sollte.

Die Grundlage davon ist durch die Druckschrift „Veredelte Umsatz­ steuer" 1921 von Carl Friedrich v. Siemens weiteren Kreisen be­

kannt geworden.

Mit Sachkundigen aus Industrie und Verwaltung

stand Wilhelm darüber in eingehendem Briefwechsel.

Mehr und

mehr schienen ihn die Steuerftagen in Besitz zu nehmen, die ja auch mit der Länge des Krieges immer wichtiger wurden. — In den Werken

häufte sich die Arbeit.

Die Kopfzahl der Beschäftigten betrug im

letzten Kriegsjahre mehr als 64 000.

Durch den vielfachen Wechsel

wurde die Belegschaft fremdartiger.

Ein wirtschaftlicher Unter#

der Klarheit und Sicherheit des Verständnisses.

Gerade diese Sorg­

falt in der Kleinarbeit läßt den eiligen Leser ost nicht schnell den Haupt­

gedanken erfassen.

Dazu kommt die Neigung des Verfassers, ge­

legentlich Stoff aus Seitenwegen heranzuziehen, ohne gleich darauf

hinzuweisen. Auch das Fehlen einer äußerlichen Gliederung erschwert den ersten Einblick.

Wer aber an das Lesen mit der Aufmerksamkeit

herangeht, die dem Bemühen des Verfassers gebührt, hat reichen

Gewinn von dem Inhalte und aufrichtige Freude an der fesselnden

Form.

Sprachreiniger könnten allerdings die Vorliebe des Ver­

fassers für Fremdwörter bedauern, die oft auch da stehen, wo der

gleichwertige deutsche Ausdruck zur Hand war. Die gefälligere Klang­ farbe mag manchmal der Grund zur Bevorzugung des Fremdwortes

gewesen sein. — Ob Wilhelm v. Siemens selbst mit den Werken seiner Feder ganz zufrieden war? Wohl nicht so wie der Leser. Selbst­

gefälligkeit war ihm fremd, seine Selbstkritik um so schärfer.

Jeden­

falls mochte er in seinen abgeschlossenen Schriften nicht wieder lesen.

Dem Ende zu. Noch stand es gut um Deutschland, als Wilhelm um die Wende zu 1918 seine letzte Kriegschrift hinausgehen ließ.

Was ihm an Zeit

neben seiner Haupttätigkeit verblieb, wendete er meist auf seine Ar­

beiten steuerpolitischer Art.

Er hatte hier in einer Richtung schon

einen gewissen Abschluß erreicht und eine neue Form der Umsatz­

steuer entwickelt, die Einträglichkeit und Gerechtigkeit vereinigen sollte.

Die Grundlage davon ist durch die Druckschrift „Veredelte Umsatz­ steuer" 1921 von Carl Friedrich v. Siemens weiteren Kreisen be­

kannt geworden.

Mit Sachkundigen aus Industrie und Verwaltung

stand Wilhelm darüber in eingehendem Briefwechsel.

Mehr und

mehr schienen ihn die Steuerftagen in Besitz zu nehmen, die ja auch mit der Länge des Krieges immer wichtiger wurden. — In den Werken

häufte sich die Arbeit.

Die Kopfzahl der Beschäftigten betrug im

letzten Kriegsjahre mehr als 64 000.

Durch den vielfachen Wechsel

wurde die Belegschaft fremdartiger.

Ein wirtschaftlicher Unter#

stützungsverein der Siemens-Arbeiter, der vor dem Kriege vier Fünftel der Belegschaft umfaßte und eine eigne Wochenschrift „Der Bund"

herausgab, war teils infolge des sehr vermehrten Wechsels, teils durch Aufgeben der Werbetätigkeit wegen des Burgfriedens stark zusammengeschrumpft.

Im Lande war die Stimmung im ganzen

noch fest, wiewohl schon während 1917 dunkle Mächte merklich am Untergraben des Siegeswillens gearbeitet hatten.

Ein Streik im

April, angeblich wegen Kürzung des Brotanteiles, der allerdings

hinter der Erwartung der Veranstalter zurückblieb und in der Sie­ mens-Belegschaft nur unbedeutende Beteiligung fand, war immerhin

ein trübes Zeichen für das Schwinden des allgemeinen Geistes der

ersten Kriegsjahre.

Ernste Bedenken mußte ein politischer Streik

erregen, der etwa eine Woche lang im folgenden Januar und Fe­ bruar währte und schon mehrere Tausend aus den Siemenswerken

in seinen Bann zog.

Alle Besorgnisse traten aber zurück, als im

Frühjahr 1918 nach banger Erwartung im Lande der deutsche Sturm im Westen losbrach und seine Erfolge auch die Kleinmütigen wieder mit Siegeszuversicht erfüllten. Im Hause fand die gehobene Stimmung des Landes ihren

Widerhall.

Auch Wilhelm v. Siemens war die Freude über die in

Aussicht stehende Erfüllung aller deutscher Hoffnungen anzumerken. — In schmerzlichem Gegensatze zu der Belebung der Gemüter stand ein Todesfall.

Am 29. April starb nach kurzem Leiden unerwartet

Arnold v. Siemens, 65 Jahre alt, der älteste der drei Brüder. Seine

Natur war nicht imstande gewesen, wie die Wilhelms, die Ansätze

zu schwerem Leiden in jungen Jahren vollständig zu überwinden.

Seine Gesundheit gab immer zu Bedenken Anlaß und hatte in den letzten Jahren wieder schwere Störungen erlitten.

Sein schwanken­

des Befinden legte ihm ftühzeitig Schonung auf, die sich in der Firma

durch große Zurückhaltung kundgab. hauptsächlich dem Verwaltungswesen.

Er widmete seine Tätigkeit

Seinen immer regen sol­

datischen Neigungen konnte er im Kriege nicht mehr folgen, er mußte sich begnügen, seine drei Söhne im Felde und auf See vor dem Feinde zu wissen.

Am besten bekannt war er den vielen, denen seine ver­

schwiegene Hilfe zuteil wurde. — Der Krieg hatte an Verluste ge­ wöhnt,

die Arbeit mußte weitergehen, und sie wurde angespornt

durch die Siegesnachrichten aus dem Westen. Der Rückschlag im Juli konnte nicht gleich in seiner Bedeutung erkannt werden. Noch während

dieses Monates veranstaltete die Kattowitzer Zeitung eine Rundfrage

über die Lage bei einer'größeren Zahl führender Personen, deren Antworten in einer Kriegs-Sondernummer vom i. August ver­

öffentlicht wurden.

Wilhelm v. Siemens faßte in seiner Äußerung,

der letzten von ihm, die in die Öffentlichkeit ging, noch einmal in kur­

zen Worten seine Ansichten über die eigentliche Absicht der Feinde, den Sinn des Krieges, die Bedeutung des Sieges für unser wirt­

schaftliches Bestehen zusammen.

Der Kernpunkt sei, ob in der künfti­

gen Ordnung der Welt die angelsächsische Macht den Ausschlag geben

dürfe, unser Schicksal hänge von unserem Willen zum Siege ab. — Aber dieser Wille war schon gebrochen.

Der schwarze Monat August

zeigte es. Schrittweise in fortwährenden Kämpfen mußte das Heer das blutig eroberte Gelände wieder preisgeben, ohne daß dem Feinde

ein Durchbruch gelang.

Die Ereignisse entwickelten sich verhängnis­

voll weiter, der Umsturz in der Heimat folgte.

loren.

Der Krieg war ver­

Dor sich den Feind, hinter sich den Umsturz mit seiner ersten

Wirkung auf die Etappe, von den Bundesgenossen verlassen, sah

das Heer keinen Ausweg als den Waffenstillstand und danach den geordneten Rückmarsch in die Heimat.

Anders als noch kurz vorher gehofft, vollzog sich die Wiederkehr der Krieger.

Im ganzen waren während des Krieges aus dem Sie­

mens-Konzerne in Deutschland über 46000 Mann zu den Fahnen

einberufen, mehr als vor dem Kriege an männlichen Köpfen über­ haupt vorhanden waren.

Die hohe Ziffer erklärt sich durch den sehr

starken Wechsel in der Belegschaft. Davon haben fast 2800 ihr Leben

für die Heimat gelassen.

Don den allmählich Zurückkehrenden wen­

dete sich ein Teil wieder der alten Arbeitstätte zu.

Für ihn galt es

Platz zu schaffen, was durch den natürlichen Rückgang des weib­

lichen Personenstandes auf das frühere Maß erleichtert wurde.

Wie

der Einzug der Truppen, so vollzog sich auch die Rückkehr dec ein­ zelnen Krieger in einer Nüchternheit, die in schneidendem Gegensatze zu der Auszugstimmung stand.

Um so mehr wollte die Leitung der

Siemenswerke ihren wiedergekehrten Angehörigen eine würdige Be­

grüßung bieten. XIV.

Sie fand nach vollendeter Demobilmachung im

Rotth, Wilhelm von Siemens.

209

Februar statt und wurde eingeleitet durch längere Ansprachen von Wilhelm und Carl Friedrich v. Siemens.

Bei der Mehrjahl der

Anwesenden fanden die warmen Worte auch den erwarteten Widerhall.

Für Wilhelm v. Siemens bedeuteten der traurige Ausgang des Krieges und der Umsturz im Lande eine Erschütterung schwerster

Art. Er gehörte zu der Altersklasse, deren schönste Jugenderinnerung

die Errichtung des Deutschen Kaisertumes war.

In ihm sah er die

Verkörperung des geeinten Vaterlandes, an dessen wirtschaftlichem Aufstiege er in hervorragender Stellung ein Menschenalter mit­ geschaffen hatte.

Er war frei von jedem Byzantinismus, in Fach­

kreisen sprach man manchmal davon, daß der Kaiser die Siemens­ werke so auffallend „schnitte". Wilhelms scharfer Blick sah auch deut­ lich die Mängel des Staatslebens in den letzten Jahrzehnten, und

die Gefühlspolitik bekämpfte er, soweit darunter die fahrige Miß­ achtung des Tatsächlichen zu verstehen ist.

Aber die Treue war ihm

nicht nur eine sittliche Selbstverständlichkeit, sondern der eigentliche soziale Kitt im Völkerleben, und mit Schmerz und Verachtung sah er, wie sich das deutsche Volk nach nun eingebrochenem Unglücke

aus kurzsichtiger Selbstsucht und trauriger Schwäche von seinen Fürsten abwendete und sie noch widerwärtig schmähen ließ, an deren bestem Willen doch kein Denkender gezweifelt hat. Äußerlich trug

er die Schicksalswende mit fester Haltung und ohne in seiner Pflicht­ treue zu erweichen.

Das Unglück braucht bei festen Menschen Zeit,

seine Krallen einzuschlagen.

Die Umstellungsarbeiten nahmen ihn

wieder in Anspruch, wie sonst vertraute er dem Papier seine Ge­ danken über die Zeiterscheinungen an, er führte auch seine finanzpoliti­

schen Arbeiten weiter, nur die geordneten Eintragungen in das Tage­ buch, das während des Krieges mehr ein Jahrbuch geworden war,

unterließ er das letzte Jahr, wohl weil er in Schmerz und Zorn nicht die Stimmung dazu fand. Unter allen Anzeichen der im Unverstände gelösten Ordnung und des Preisgebens der Überlieferung im Hause

traf ihn wohl am härtesten der im April entstandene Streik der An­ gestellten in Berlin, dem sich auch Tausende aus den Siemens-Be­ trieben anschlossen, zum Teil allerdings, vielleicht zum weitaus größ­ ten Teile, aus Angst vor der planmäßig geleiteten Einschüchterung.

— Das Schicksal hatte ihm noch schwereres Leid zugedacht.

Um die

Jahreswende erkrankte die Gefährtin seines

ihren

Lebens, nachdem sie

Pfleglingen im Lazarett das Weihnachtsfest bereitet hatte.

Anfangs bestand noch die Hoffnung auf Genesung durch Aufsuchen einer klimatischen Heilstätte,

das

schnell sich

entwickelnde

Leiden

verbot das aber schließlich, die treueste Pflege konnte ihm nicht

mehr Einhalt tun, am 26. Juli ließ Eleonore v. Siemens nach

Z7 jähriger Ehe ihren Gatten zurück.

Wer ihn bei der Trauerfeier

sah, wird sich immer der starren Züge in seinem sonst so sprechenden

Gesicht erinnern. — Nun war seine eigne Kraft geschwächt, die Über­ arbeit in den Kriegsjahren, die tiefen Erregungen der Zeit und der

letzte schwere Schlag machten sich gellend.

Aber nur unvollkommen

folgte er dem ärztlichen Rate zu größerer Schonung.

Zwar kam er

nicht mehr mit der sonstigen Regelmäßigkeit nach Siemensstadt,

doch zu Hause arbeitete er an seinem Steuersysteme, und unter seinen

Notizen finden sich noch aus dem August ausführliche Betrachtungen

über die Steuerpläne der Regierung und Hinweise auf noch aus­ zuführende wirtschaftliche Erhebungen.

Die Teilnahme an den Vor­

gängen im Hause war wohl weniger stetig, aber im Wesen unver­ mindert.

Er ließ sich wie sonst über Einzelheiten berichten, und wohl

als letztem technischen Gegenstände schenkte er seine Aufmerksamkeit

einer besonderen Einrichtung an Gleichstrommaschinen, auf die er

wiederholt zurückkam. Ende August gab Wilhelm endlich dem Drängen der Ärzte nach,

zur Hebung seines leidenden Zustandes auf einige Zeit nach Arosa zu gehen.

Wenn er sonst in seine kurzen Urlaubwochen ging, so be­

gründete er das manchmal in seinem Zartsinne vor den Zurückblei­ benden mit der Notwendigkeit einer Erholung, die ihm jeder ansah.

So auch jetzt. „Die Ärzte meinen, ich müsse für meine Gesundheit etwas tun, diesmal wird es wohl etwas länger dauern."

Er nahm außer

seinen Schriftstücken eine Reihe von Büchern mit, politischen, finanz­ wissenschaftlichen und biologischen Inhaltes, und bestellte dann aus

Arosa noch weitere.

Das machte zu Hause einen beruhigenden Ein­

druck, man durfte ihn auf dem Wege der Kräftigung sehen und hoffte

nur, daß er es über sich gewinnen würde, seine Kur lange genug

fortzusetzen.

Ganz unerwartet kamen aber Anfang Oktober schlechte

Nachrichten.

Es war plötzlich eine Magenblutung eingetreten, wie

XIV*

später zeigte infolge eines

sich

schwüres,

Organe

das aber

ungefährlichen Magenge­

eine Arterie getroffen hatte,

vollkommen gesund

nungen festgestellt wurden.

konnte

an sich

waren

während

alle

und gar keine Alterserschei­

Ein noch zugezogener namhafter Arzt

auch vollständige Genesung zusagen.

Da ist noch einmal

ein freundliches Lächeln über die Züge des Kranken gehuscht.

Er

hatte sich noch so viel vorgenommen! Aber ein neuer Anfall brach

die Lebenskraft. Am 14. Oktober 1919 starb Wilhelm v. Siemens.

Bei der

Trauerfeier in der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche

erklang das Niederländische Dankgebet.

Ein Leben war geschloffen, das in der Welt von Bedeutung geworden war.

Der Blick geht zurück, um den Wert dieses Lebens

im ganzen zu überschauen und bestimmende Züge in dem Bilde zu

erkennen.

Unter den Schriftstücken Wilhelms befinden sich drei Blätter, die er kaum hat aufbewahren wollen, eine Selbstbetrachtung, wie

aus seiner Frühzeit.

Nach gewissen Anzeichen stammen die Zeilen

aus der Zeit um 1911.

Die Niederschrift ist ganz flüchtig, manche

Stellen sind nicht mehr zu deuten.

Das Ganze ist eine Art Rechen­

schaftsbericht vor sich selbst über Gewolltes und Erreichtes, in ab­ gerissenen Sätzen, offenbar entstanden in der Stunde eines gewissen

Kleinmutes. Wilhelm schreibt von einer Reihe technischer Fortschritte, die

er geplant, aber nicht habe rechtzeitig durchführen können „durch Mangel an Energie sowie Gegnerschaft, Passivität, Rücksichtnahme". Für seine Fähigkeiten und Arbeitsweise gebraucht er ein geologisches

Bild: „Meine geistigen Kohlen unter starkem Drucke, mit vielen Ver­

werfungen und nicht Tagebau".

Wie um sich den Enttäuschungen

oder wenigstens dem nicht nach Wunsch Gelungenen gegenüber auf­

zurichten, erwähnt er, ohne nähere Deutung, eine Reihe wichtiger Maßnahmen und Arbeiten, die ec notwendig als eigene Leistungen ansehen mußte.

Jetzt, in der Mitte der Fünfzig, habe er im wesent­

lichen getan, was ihm oblag, für die Weiterführung sei er nicht mehr nötig.

Die Verwaltung weiterführen, Geschäfte machen, sei nicht

mehr

fern geistiges

Bedürfnis.

Arbeiten sei es ju spät.

Für

wissenschaftlich-physikalische

Technisch möchte er nur noch wirken, wenn

er auf neue grundlegende Aufgaben stoße, das müsse sich bald heraus­ stellen.

Außerhalb der Firma habe er dazu dieselben Aussichten,

denn seine noch schwebenden Sonderarbeiten seien ohne Anregungen aus dem Aufgabengebiete der Firma entstanden.

Dem Leiter des

Ganjen sei die persönliche Wirksamkeit erschwert durch die „Paschas

mit ihren Mandarinen" (Ausdrücke wie „Chinesentum" oder „Man­

darinen" gebrauchte er häufig, um eine gewisse Starrheit oder ver-

borgenen Widerstand anzudeuten).

Weitere Bemerkungen beziehen

sich auf Familienpolitik und einige allgemeinere Dinge.

Von seinen

volkswirtschaftlichen Arbeiten, die ihn erst später enger fesselten, ist

noch nicht die Rede. — Die gelegentliche Stimmung eines Mannes äußert sich, der ein Menschenalter seiner Pflicht gelebt hat und nun,

des Herrschens etwas müde, aber nicht des Schaffens, sich nach freier persönlicher Betätigung und Leistung sehnt in der Richtung, die er im Beginne seiner Laufbahn eingeschlagen hatte.

In der Folge hat

Wilhelm öfter davon gesprochen, sich von der geschäftlichen Leitung zurückzuziehen. Der Zweifel ist erlaubt, ob er das über sich gewonnen hätte. Während des Krieges schwiegen die Wünsche nach mehr Ruhe

von selbst.

Gewiß wird er seinen Wert für die Firma empfunden

haben, in seinen vielen Aufzeichnungen ist aber immer nur von seinem

Streben die Rede, keine Stelle streift an Selbstlob oder Überhebung gegenüber Mitarbeitern. — Was wollte er, was erreichte er und

wie handelte er? In seinen Jugendjahren wollte er gewiß ein „berühmter Mann"

werden.

Edler Ehrgeiz und starke Schaffenslust sprechen aus seinen

Tagebüchern.

Die Richtung seines Strebens war ihm durch die

Verhältnisse vorgezeichnet.

In seinem Vater hatte er das Vorbild.

Frohgemut begann er als junger Mann von frühzeitiger Reife, aber

mit ungleichmäßiger fachlicher Vorbildung sein Wirken in der Firma,

gleich auf Neuschöpfungen bedacht, wie zu ihrer Zeit der Vateo und

die Oheime William und Friedrich.

Daß ihm schöpferische Fähig­

keiten innewohnten, bewies schon in den ersten Jahren neben ande­

rem sein Dreileitersystem, der Ernst und die Zähigkeit im Verfolgen

des eingeschlagenen Weges zeigten sich an der Glühlampe.

Zuerst

technischen^ Aufgaben nachgehend, mit scharfem Blicke für die wirt­

schaftliche Seite, dabei immer um die Verbreiterung der wissenschaft­ lichen Grundlage bemüht, sah er sich bald auch vor geschäftlichen

Aufgaben. Er ist ihnen nicht aus dem Wege gegangen, und sie nahmen einen immer breiteren Raum ein in dem Maße, wie die Leitung der

Firma in seine Hand überging.

Das Pflichtgefühl beherrschte ihn

ganz, und er hat bald die Notwendigkeit des weitgehenden Verzichtes auf seine stärkste Neigung erkannt.

hingeben können.

Er hätte sich ihr so leicht ganz

Aber er wird kaum den Verzicht ausschließlich

als ein Opfer empfunden haben. In ihm lebte auch ein starker Herr­

scherwille, der geheimnisvolle Zug im Menschen, dessen von bevor­ zugten Geistern getragene edle Form, die selbstlose Freude am Ge­ stalten und Lenken der Dinge, die Bedingung des Fortschrittes ist.

Wilhelms Pflichtgefühl fiel mit diesem Willen zusammen, er mußte die andere Neigung zügeln und ihre Erfolge mit anderen teilen. Die Unmöglichkeit, beiden Seiten gleichmäßig zu genügen, der erfolg­

reiche Leiter eines sich immer weiter ausdehnenden Unternehmens zu sein und dieselbe stetige Kraft dem Forschen und Erfinden zu wid­

men, ist das Schwere in seinem Leben gewesen.

Die Ergebnisse seiner zutage.

Lebensarbeit liegen zum großen Teile

Er stand fast 30 Jahre an der Spitze der Firma, und unter

ihm ist sie zu der jetzigen Höhe aufgestiegen.

Gewiß waren die all­

gemeinen Verhältnisse günstig, aber nur wenn er sie richtig einschätzte,

und er konnte doch auch falsch führen.

Und geführt hat er, mit ge­

schickten Mitarbeitern, aber in allem als der Richtungweisende. Jedem

in seiner Lage kann geschehen und ist geschehen, daß der Einfluß seines Wirkens unterschätzt wird oder vielleicht gar mehr als Hemmung

denn als Förderung ausgelegt wird.

die Tatsachen.

Die Erwiderung darauf geben

In der Steigerung der Größe und des Ansehens

der Firma sein Wollen verwirklicht zu haben, mehr als ihm im Be­

ginne vorschweben konnte, die Außenglieder inniger mit dem Mutter­ hause-verbunden und die Führung der Firma der Familie erhalten zu

haben, die sie begründete, ist Wilhelm v. Siemens' eigenstes großes Ver­ dienst.

Die Firma stand ein Menschenalter in seiner Hand wie vor­

her in der des Vaters.

Weniger dem Außenstehenden erkenntlich

ist der Erfolg seines Mühens und seines Beispieles um das Be-

wahren des Geistes in der Firma, dem sie ihren Ruf verdankte. Immer strebte er danach, ihre technische Grundlage zu festigen, das bedeutete für ihn die Benutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Pflege der Wissenschaft selbst.

Er teilte die Auffassung von Felix

Klein: „Das Ziel der theoretischen Wissenschaft soll nicht nur ein passives Verstehen, sondern eine aktive Beherrschung der Natur sein."

Was er in dieser inneren Stärkung der Firma geleistet, wird

in seiner Nachwirkung spürbar werden. — Gewiß wäre sein höchster Wunsch erfüllt gewesen, wenn er seinen Namen noch mit einer wissen­

schaftlichen oder erfinderischen Großtat hätte verbinden können.

Das

mußte ihm versagt bleiben, weil er sein Leben nicht verdoppeln konnte. Die allgemeine Leitung der in steter Zunahme befindlichen Betriebe

verlangte zuviel von ihm.

Er klagte manchmal, wie auch sein Vater,

wenn ihm nicht gleich ein Ergebnis bekannt oder ein Zusammenhang

erkennbar war, über seine unvollkommene Vorbildung.

Einmal

sagte er in besonderem Unmute, er sei „ganz verpfuscht, Vielerlei und nichts Ordentliches". Wissensdrang.

Daraus aber sprach nur sein ungestillter

Die Erkenntnis gleicht einer elastischen Oberfläche,

das Eindringen an einer einzelnen Stelle zieht immer die benach­ barten Teile in Mitleidenschaft.

So gewann Wilhelm, indem er an

zahlreichen Cinzelstellen den Stab ansetzte, ein lebendiges Empfinden

für den Gesamtinhalt und damit gerade das, was für seine Sendung

das Notwendige war. Seine Stärke in Wissenschaft und technischer Kunst war seine Vielseitigkeit, gepaart mit Gründlichkeit, was ein Wider­

spruch zu sein scheint, aber keiner ist. Er war mit seiner Art imstande, Kern und Ziel der Strebungen auf den verschiedensten Gebieten zu

erfassen, und mehr als ein Sonderfachmann hat freimütig zugefianden, welche Anregung er von den allgemeinen Ideen und Aus­

blicken Wilhelms empfangen habe.

Das zu beobachten hat auch

ihm manchmal zu sichtlicher Befriedigung gereicht.

Seine Gründ­

lichkeit zeigte sich im hellsten Lichte beim Fortführen einmal begonne­

ner Fortschrittarbeiten, manchmal durch lange Jahre hindurch. Immer hielt er sich über den Fortgang unterrichtet, immer wieder hielten seine neuen Beiträge zu den Einzelheiten und seine Anregungen

den Eifer der Beauftragten wach.

Was er damit für die Firma ge­

wesen, läßt sich nicht scharf bestimmen, um es zu empfinden, braucht

man nur auf die Reihe der durch sein persönliches Zulun entstandenen

Schöpfungen und Fortschritte zu blicken. Für den Leiter der großen Firma war die Wahl und Lenkung

dec Mitarbeiter eine nie ruhende Frage.

Bestimmte Grundsätze

befolgte er dabei nicht, er sah nur auf die Person und ihre Leistung. Nach der Überlieferung des Hauses und seinem eigenen Empfinden

waren für Wilhelm Mitarbeiter sowohl der Direttor wie der Lauf­ bursche.

Solange die Kopfzahl nicht über einige Tausend hinaus­

ging und nur wenige Werke bestanden, etwa bis zum Ende der 90er

Jahre, war er wohl jedem wenigstens von Ansehen bekannt. Schlicht

und fteundlich ging er durch die Arbeitstuben und Werkstätten, aber

nur selten fand er Anlaß, mit einzelnen zu sprechen.

Ec hatte warme

Teilnahme für den einfachen Mann und volles Verständnis für seine Art, aber nicht die Gabe, vor allem nicht die Neigung, sich absichtlich

volkstümlich zu machen. Er mag oft die Gelegenheit zu einer Fühlung mit den Kreisen geradezu vermieden haben aus Scheu, sein Nähern

mißdeutet zu sehen. Später, als die Zahl der Werke und der in ihnen

Beschäftigten noch schneller wuchs als vorher, mußte er den Zu­ gekommenen überhaupt fremd bleiben.

Immerhin war die nun

nach Zehntausenden zählende Schar durchsetzt mit Leuten aus der früheren Zeit, und darauf waren wohl die zahlreichen Eingaben von Alten und Jungen zurückzuführen, in denen sie sich an den obersten

Leiter um Hilfe gegen vermeintliches oder auch wohl wirkliches Un­ recht wandten. „Ich gehe zum Geheimrat," war immer noch ein Trost­

oder Drohwort geblieben. Auch in der unvermeidlichen Abschwächung durch die schnelle Ausdehnung hatte sich ein guter Rest des alten Ver­ trauensverhältnisses erhalten. Alle solche, meist unbegründete Klagen

ließ Wilhelm gewissenhaft untersuchen und erledigte sie dann voll­ ständig, ebenso

die Bittgesuche, deren gelegentliche Hartnäckigkeit

doch noch von dec Geduld des Empfängers übertroffen wurde. Die Mitarbeiter aller Grade im engeren Sinne, die mit Wil­

helm v. Siemens unmittelbar zu verhandeln hatten, empfanden die

Macht einer lauteren Persönlichkeit in seiner Stellung.

In natür­

licher Vornehmheit, ohne jede Herrschergebärde, verkehrte er mit

allen einfach und ungezwungen.

trauen.

Er vertraute und erweckte Ver­

Man hat manchmal seine Menschenkenntnis angezweifelt.

Das wird schwer zu begründe« sein, wenn er auch Enttäuschungen erfahren hat und sein Vertrauen nicht gleichmäßig empfängliche« Boden fand. Mancher, den er in höhere Stellung brachte, hat hinter­

her seine Überlegenheit mit Unwillen ertragen, weniger Begünstigte sind ihm anhänglich gewesen.

Es spricht nicht gegen seine Menschen­

kenntnis, daß er zu seinen ersten Mitarbeitern auch Persönlichkeiten

wählte, die seinem eigenen Wesen ganz entgegen waren.

Er selbst

war eine feinfühlige und gütige Natur und mochte oft die Notwendig­

keit einer derberen Hand im Betriebe empfinden.

„An diese Stelle",

schrieb er einmal, „gehört ein handfester Leiter."

Ein anderes Mal

heißt es: „Es ist nicht leicht, tüchtige Mitarbeiter zu bekommen und

zu halten.

legen.

Man darf nicht zuviel Wert auf ihre persönliche Meinung

Die Hauptsache ist die Brauchbarkeit, doch muß die Autorität

gewahrt bleiben."

In der Tat, trotz aller Rücksicht und Nachsicht,

die ihm aus dem Herzen kamen, die letzte Entscheidung lag immer

bei ihm. Er war der erste Träger der Verantwortlichkeit, und er würde, in gewissem Sinne, die Bezeichnung „Autokrat" kaum abgewehrt haben.

Die Bezeichnung „Junker", die ihm ein Verwandter im

Scherze einmal zuwarf, lehnte er zwar ab, doch teilte er die Meinung,

daß die Verdienste der Vorfahre» für den Erben einen Besitz und ein gewisses Vorrecht bedeuten, aber in demselben Maße die Pflicht,

nach seinem Können ein Mehrer der Verdienste um das Gemein­ wohl zu sein.

Jede gute Leistung fand bei ihm volle Achtung, und

das neu aufgekommene Schlagwort vom „Aufstiege der Tüchtigen"

nahm er unbedenklich an, nur sah er eine sprunghafte Geniezüchtung mangels jeder Möglichkeit des sicheren Erkennens für die Allgemein­ heit und für die Bevorzugten selbst als schädlich an und hielt die un­

gezwungene allmähliche Entwicklung für den von der Natur gewiese­ nen Weg des Aufstieges.

Deshalb legte er auch Wert darauf, aus

einer Familie zu stammen, die diesen natürlichen Entwicklungsgang in langer Geschlechtsreihe besonders deutlich aufweist. Im Sinne von Wilhelm ».Siemens zu arbeiten war nicht

leicht.

Sich selbst ein scharfer Kritiker, hellseherisch für den schwachen

Puntt, lobte er selten und kargte nicht mit offener Bezeichnung des

Verfehlten, um so weniger, auf je höherem Posten der Betroffene

stand.

Oft konnte er damit unbeabsichtigt kränken, aber der häufige

Tadel und das spärliche Lob galten nur der Sache, und meist ver­

scheuchte zuletzt Wilhelms geistvolles herzliches Lächeln, in dem sich seine ganze Eigenart offenbarte, den etwa aufgestiegenen Unmut.

Wenige werden ihm dauernd gegrollt haben, alle, die ihn verstanden und nicht durch Eigensucht in ihrer Schätzung getrübt waren, hat

er zu aufrichtiger Ergebenheit gezwungen. — Manche Ungeduld im Verlaufe der Geschäftshandlungen erregte Wilhelms langsames Ent­ schließen und seine geringe Neigung, andere zum Hilfsdienste heran-

zuziehen, beides Folgen seiner kritischen Veranlagung und seiner Er

Gründlichkeit.

schnellen

wog

lange,

Entschluß forderte,

und

wenn

hörte gern

ehe er sich zur Entscheidung durchrang.

auch auf weniger wichtige Dinge.

nicht

die

Lage

einen

anderer Meinung,

Das übertrug sich manchmal

Man hat das unsicheres Zögern

und Schwanken genannt und in gewissem Sinne traf das zu, bis eben die jeweilige Frage reif war.

Aber für die dann gefaßten Be­

schlüsse ist die peinliche Vorbereitung doch nur zum Vorteil gewesen, wie die Tatsachen gezeigt haben. — Ein Vorwurf ist öfters gegen Wilhelm erhoben, der in seiner Gesinnung keine Begründung findet.

Wie an Beispielen gezeigt, pflegte er, besonders früher,

einzelne

Angestellte unmittelbar mit der Bearbeitung von Neuerungen zu

betrauen.

Das war natürlich eine Bevorzugung, die nicht immer

die Liebe der Mitarbeiter und die Gunst der Abteilungsleiter eintrug.

Kam dann die Arbeit aus Mangel an Erfolg oder aus sonstigen Grün­ den zum Abschlüsse, so hatte der Beauftragte neben der Enttäu­ schung vielleicht noch wirkliche Nachteile in seinem Dienstleben zu er­

fahren, um so empfindlicher, wenn er den Wert seiner Arbeit über­

schätzt hatte, die doch nur einen sehr kleinen Teil des Ganzen ge­ bildet hatte.

Aus solchen und ähnlichen Verhältnissen entstanden

dann Klagen, die, soweit sie überhaupt berechtigt waren, sich nur an die falsche Adresse richteten. Man hätte höchstens bedauern dürfen,

daß Sachlichkeit und Gerechtigkeit nicht überall in dem Maße zu finden waren, wie Wilhelm vertraute.

Der Lenker einer Gemeinschaft von vielen Tausenden wird heute mehr als sonst auf seine soziale Gesinnung und Auffassung hin be­ trachtet werden.

Sie wurzeln letzten Endes im Gemüte, und des­

halb kann über Wilhelms Grundstellung dazu niemand im Zweifel

Auf einzelne Züge konnte schon früher

sein, der ihn gekannt hat. hingewiesen werden.

Sein persönlicher Anteil an den Wohlfahrts­

einrichtungen der Firma und sonstigen Stiftungen soll hier nicht betont

werden,

weil

dergleichen erfahrungsgemäß auf Zweifler

keinen Eindruck macht. Als reicher Mann betrachtete er sich als einen

Durchgangspuntt für Geld und belegte das gelegentlich mit sprechen­

den Beispielen.

Die Aufgabe großer Einkommen bestand für ihn

im Vermehren der Erwerbsmöglichkeiten für den weiteren Aufbau

des Wirtschaftskörpers.

„Der persönliche Besitztitel dieser Mittel

verleiht dieser Entwicklung außerdem das unentbehrliche Moment der persönlichen Initiative, des Wagemutes und der Verantwort­ lichkeit," sagt er in seiner Schrift „Über Arbeitgebersteuer". Die Vor­

stellung des weniger nachdenklichen Teiles der Staatsbürger, wo­ nach das Wohlleben und Behagen in geradem Verhältnisse mit dem Einkommen steigt, mußte er natürlich in ihrer Kindlichkeit belächeln,

doch erklärte er sie in der eben angezogenen Schrift auch wieder bis

zu einem gewissen Grade für ganz richtig.

Vornehmlich sah er diesen

Grad, wie er anderwärts mehrfach äußerte, in der größeren Sicherung der Lebenshaltung, hätte aber auch gleich ihre Notwendigkeit be­

tonen dürfen für den, der zu führender Arbeit berufen und zu dieser

Gegenleistung verpflichtet ist.

Er konnte in seinem Tagebuche fest­

stellen, daß er keine Kriegsgewinne gehabt habe, vielmehr eine nicht unerhebliche Abnahme seines Einkommens, aber bei seiner Anspruchs­

losigkeit hätte auch der Gedanke, durch die in Aussicht stehenden Ab­ gaben und Steuern sogar den größeren Teil seines Einkommens zu verlieren, für ihn selbst nichts Beunruhigendes.

„Ich weiß nur

nicht", sagte er zu einem Verwandten, „wie ich dabei alle die durch­ bringen kann, die mir anhängen."

Einen ftüheren Beamten der

Firma, der ihm damals bei einem Begegnen viel von seinen wirt­

schaftlichen Schwierigkeiten sprach, konnte er mit einiger Herbigkeit trösten: „Und Sie haben nur für sich zu sorgen, Herr X., seien Sie froh!"

Auffallend frühzeitig, wie mehrfach hervorgehoben ist, fand

die sachliche Betrachtung sozialer Erscheinungen bei Wilhelm Raum. Zahlreich kehren in den folgenden Jahren kürzere und längere Be­

merkungen darüber wieder.

Die Beobachtungen im Betriebe und

die unausgesetzten Anregungen aus ihm mußten die Neigung ver­

stärken.

Aber erst seit 1906 etwa, nachdem Wilhelm einen zuver­

lässigen Zustand des Konzernes erreicht hat, findet er die Ruhe zu

häufiger und längerer Behandlung.

Nur einiges davon ist in seinen

Veröffentlichungen sichtbar geworden, das allermeiste blieb bis jetzt

in zwanglosen Heften und einzelnen Blättern niedergelegt.

Neben

abgerissenen Bemerkungen und kurzen Skizzen befinden sich voll­ ständige Ausarbeitungen über Sonderfragen.

Zur Bekanntgabe ist

offenbar nichts davon bestimmt gewesen und nach dem Sinne des

Schreibers würde auch noch nichts dazu geeignet sein. Für ihn waren die Niederschriften Studien und Versuche, planmäßiges Ergründen der Zusammenhänge, Ausblicke auf die weitere Bearbeitung, Hin­ weise auf noch bestehende Lücken, oder nur einzelne Gedanken, die

festgehalten werden sollten, um später wieder ausgenommen zu wer­

de».

Alle Niederschriften zeigen das lautere Bemühen des Schrei­

bers, in ruhigster Form, leidenschastlos ohne jede Voreingenommen­ heit auf dem Boden der Wirklichkeit das Gesetzmäßige zu ergründen. Das Streben nach Erkenntnis kann keinen beredteren finden, als auf diesen Blättern.

Ausdruck

Alle Ansichten und Ergebnisse stehen

auf eigenem Boden, nirgend, wie auch in den öffentlichen Schriften, finden sich Zusammentragungen von dem, was andere schon gewußt

und erkannt zu haben meinen.

Wo Anklänge an Vorgänger vor­

kommen, sind sie augenscheinlich für den Schreiber unbewußt ent­ standen, oder es liegen erklärliche Übereinstimmungen verschiedener

Urheber vor.

Einflüsse irgendwelcher Schule sind nicht wirksam.

Ausgangspuntte sind immer der Mensch und die Tatsache. In dieser

Hinsicht hatte Wilhelm einige Berührung mit Ehrenberg in Rostock, der auch von der Wirklichkeit ausging und dem das so sehr verübelt ist von denen, die warmes soziales Empfinden für ihre ausschließ­

liche Pachtung hielten. — Schwache Andeutungen des vielseitigen In­ haltes der Aufzeichnungen mögen einige Anführungen geben: Betrach­

tungen über Sozialismus — Kapitalismus — Das Kapital, seine Ei­ genart und seine Pflichten — Arbeiterfrage, Streikrecht. Der Schreiber

hält Reformen für nötig, die Industrie dürfe den Arbeitern nicht ver­ übeln, wenn sie durch Zusammenschluß eine Macht zu bilden suchen. Sie müßten sich aber als Teile des Ganzen fühlen lernen, ohne Gegen-

seitigkeit würde Verfall eintreten. In erster Linie fei dahin zu streben,

dem Industriearbeiter größere Sicherheit für seine Lebensführung zu bieten. Dazu werden versuchsweise Richtlinien gegeben. — Illegiti­

mer Gewinn, illegitime Verschiebungen aus Tauschgeschäften, wobei

nur der eine Teil gewinnt, der andere verliert, im Gegensatze zu der wertschaffenden Arbeit. (Betrachtungen über diesen so selten betonten

Unterschied kehren mehrfach wieder.) — Tarifverträge — Familienhier­ archie, Betrachtungen über die Schwierigkeit ihrer Erhaltung im indu­ striellen Leben, im Gegensatze zur Landwirtschaft. — Verständlich ist der

breite Raum, den im letzten Jahre die Betrachtungen über Sozialisierung

einnehmen.

Während die Heißsporne von der Straße bis zum Uni-

versttätskatheder die sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung forderten, wird hier sachlich entwickelt, was alles noch fehlt, um über­

haupt die Wirkungen solcher Maßnahmen annähernd abschätzen zu können.

Soziale Möglichkeiten berühren sich mit den politischen Gestaltun­ gen.

Auch die Beziehungen von Volk zu Volk haben, wie das Leben

eines Volkes in sich, Wilhelms Teilnahme von früh an gefesselt. Die Aufzeichnungen darüber aus den früheren Jahrzehnten sind rein sachlich, ohne eigene Beigabe, nur Zeichen, wie der Schreiber den Einfluß des äußeren politischen Geschehens auf die innere Ent­ wicklung empfand.

Erst seine Kriegschriften bekunden seine bestimmte

Stellungnahme zu Fragen der großen Politik.

Auch hier hatte er

Klarheit gesucht und gefunden und durste seiner in langem Beobachten von bevorzugter Stelle aus gewissenhaft erwogenen Meinung Ge­ wicht beilegen.

Ein Politiker aber im Sinne von Parteimann war

er nicht und wollte er nicht sein, am wenigsten im Gebiete der inneren Gestaltung, gerade weil hier Politisches und Soziales zusammen­

fallen.

Er schuf mit scharfem Verstände und warmem Herzen, von

ihm hätte Theodor Fontane sein Wort entlehnen können: „O lerne denken mit dem Herzen und lerne fühlen mit dem Geist."

Aber wie

diesem Dichter so fehlte auch Wilhelm „der Sinn für die Feierlichkeit". Er suchte mit dem ehrlich und mühevoll Erdachten zu belehren und zu überzeugen, sachlich, ohne schillernde Beigabe.

Das große Wort

und die weite Geste, mit denen so viele „Politiker" die Menge in Wal­

lung bringen, wären bei ihm undenkbar gewesen.

Parteimeinungen

waren für ihn bedeutungslos.

Da aber der Stimmjettel von Zeit

ju Zeit eine parteipolitische Handlung erfordert, so wird man nach dem Wesen und Empfinden Wilhelms vermuten dürfen, daß er fie

in dem Sinne ausgeübt hat, den man früher als konservativ be­ zeichnete.

Noch einmal sei der Blick gerichtet auf die Aufzeichnungen Wil­ helms.

Sie

geben ein vollkommenes Bild des Bewegenden

seinem reichen, fruchtbaren Leben.

in

Was darin Platz fand, zeigen

in verdichteter Form am greifbarsten die Niederschriften aus dem letzten

Jahrzehnt:

Soziales,

Wirtschaftliches,

Politisches,

Natur­

wissenschaft, Philosophie, Rechtswesen, eingehende religiöse Betrach­

tungen, Geschichte — eigene Gedanken neben Auszügen und Über­ sichten ftemder Werke. Man ist fast betroffen von der Wesenähnlichkeit

der ersten Bekundungen des Jünglings in seinem Straßburger Tage­ buche mit den vertieften und gereiften Ausführungen des Mannes im Herbste seines Lebens.

Tiefes Bedauern steigt auf, daß diesem

Leben nicht noch ein Jahrzehnt vergönnt gewesen ist, vieles zu vollen­

den, was mit Treue und Hingebung für des Vaterlandes Wohl begonnen war, und nur mit Ergriffenheit wird der Leser der Blätter,

den Zeugen für Arbeit und Pflicht, an einer Stelle die Worte finden und zu deuten wissen: „Nicht alt werden — anpassen." Wilhelm v. Siemens hatte mit seinem Pfunde gewuchert. Er

war ein Erfüller des Wortes von Faust: Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.

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