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German Pages [238] Year 2015
Christiana Werner
Wie man mit Worten Dinge erschafft Die sprachliche Konstruktion fiktiver Gegenstände
V& R unipress
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0391-2 ISBN 978-3-8470-0391-5 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0391-9 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG) und des Deutschen Akademikerinnen Bundes e.V. (DAB). Diese Arbeit wurde als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg eingereicht. Ó 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: 77479311 – pensiero immaginario Ó superpapero Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Terminologie der Sprechakttheorie . . . . . . . . . . . . 1.1 Fiktionale Rede als Problem der Sprechakttheorie . . . . 1.2 Der illokutionäre Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Sprachliche Äußerungen, die keine Sprechakte sind 1.2.2 Fiktionale Rede als Problem der Klassifikation illokutionärer Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der lokutionäre Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Bedeutung und illokutionärer Akt . . . . . . . . . . 1.4 Der propositionale Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die Unselbstständigkeitsthese . . . . . . . . . . . . 1.5 Fazit aus Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik . . . . . . . . . 2.1 Fiktionale Rede und Rede über Fiktion . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die iA-These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Fiktionale Rede als sprachliche Äußerung ohne propositionalen und illokutionären Akt . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Das Determinationsprinzip . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2 Wird bei fiktionaler Rede ein propositionaler Akt vollzogen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 So-tun-als-ob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.4 Fiktionale Rede als So-tun-als-ob . . . . . . . . . 2.2.1.4.1 Belegbedingung und Korrespondenzbedingung . . . . . . . . 2.2.1.5 Wird mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
2.2.2 Fiktionale Rede als Vollzug propositionaler Akte ohne Vollzug illokutionärer Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Pseudoprädikationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Fiktionale Rede als Zitat (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Waltons Kritik sprechakttheoretischer Analysen fiktionaler Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die iA-These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Fiktionale Rede als Zitat (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Fiktionale Rede als direktiver illokutionärer Akt . . . . . . 2.3.3 Fiktionale Rede als deklarativer illokutionärer Akt . . . . . 2.4 Fazit aus Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion . . . . . . 3.1 Rede über Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Aussagen über nicht-existierende Gegenstände . . . . . . . . 3.1.2 Redet der Literaturwissenschaftler tatsächlich über Sherlock Holmes? – Der Fiktionsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Inter- und transfiktionale Aussagen . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Fiktionale Realismus: Fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Fiktive Gegenstände und Common Sense . . . . . . . . . . . 3.2.2 Abhängigkeiten abstrakter Artefakte . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Existenzbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Identitätskriterien fiktiver Gegenstände . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Eigenschaften und fiktive Eigenschaften . . . . . . . . . . .
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4. Die Konstruktion fiktiver Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Fiktionale Rede als Vollzug deklarativer illokutionärer Akte . 4.2 Vorüberlegungen: Der deklarative illokutionäre Akttyp . . . 4.2.1 Konstitutive Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Erschaffende deklarative illokutionäre Akte . . . . . . 4.2.3 Ein Beispiel: Die Konstruktion eines Amtes . . . . . . 4.2.3.1 Input- und Output-Bedingungen . . . . . . . . 4.2.3.2 Regeln des propositionalen Gehalts . . . . . . . 4.2.3.2.1 Der Akt der Referenz . . . . . . . . . . 4.2.3.2.2 Der Akt der Prädikation . . . . . . . . 4.2.3.3 Einleitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.4 Aufrichtigkeitsbedingung . . . . . . . . . . . . 4.3 Analyse fiktionaler Äußerungen als deklarative illokutionäre Akte: Gelingensbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Input- und Output-Bedingungen . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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4.3.2 Das Erkennen der illokutionären Rolle der Äußerung . . . . 4.3.3 Aufrichtigkeitsbedingung – die Absicht des Autors/Sprechers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Fiktionale Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Fiktionalitätssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Analyse fiktionaler deklarativer illokutionärer Akte: Die Konstruktion fiktiver Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Regeln des propositionalen Gehalts . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Der Akt der Referenz – Bezugnahme auf abstrakte Artefakte 4.4.3 Der Akt der Prädikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Eine Herausforderung: Eigennamen empirischer Gegenstände in fiktionalen Äußerungen . . . . . . . . . . . 4.5 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Der vorliegende Text ist als Dissertation im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts »Wissen und Bedeutung in der Literatur« an der Universität Regensburg entstanden. Die Veröffentlichung dieser Arbeit wurde mir durch die freundliche Unterstützung der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen und des Deutschen Akademikerinnen Bundes e.V. ermöglicht. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich für die Unterstützung, Ermunterungen und kritischen Kommentare zu meiner Arbeit bei Hans Rott, Mark Textor und den Mitglieder der Forschungsprojektgruppe Jürgen Daiber, EvaMaria Konrad, Thomas Petraschka und Daniel Hartenstein. Teile dieser Arbeit habe ich–immer wieder – mit Tim Kraft, Miguel Höltje, Jamal Nusseibeh, Jan Werner, Simon Sauter, Thorsten Sander, Oliver Petersen, Anke Knevels, Bernd Gräfrath, Carl Bottek, Benjamin Schnieder, Louise Röska-Hardy und überhaupt nicht zuletzt mit Neil Roughley diskutiert. Alle haben mir sehr weitegeholfen. Stefan Reining, Drazˇan Rozic´, Jan Schreiber, Mirko Sykorra, Barbara Werner, Annika Werner und Tiana Fischer danke ich nicht nur, aber besonders für ihre Korrekturarbeiten. Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre es mir kaum möglich gewesen, diese Arbeit zu beenden – das gilt besonders für meine Eltern und Tobias Werner. Schließlich möchte ich mich ganz besonders bei Thomas Spitzley dafür bedanken, dass er so viel Zeit und Energie investiert hat, als es am wichtigsten war. Essen und Göttingen, im Oktober 2015
Christiana Werner
Einleitung
Da sitzt einer über seiner Schreibmaschine, raucht zuviel, bläst Staub von den Tasten, beißt in einen Apfel und denkt an Schiller dabei, starrt auf das leere Papier und dann auf die Uhr, kratzt an dem verklebten kleinen a herum, bis es wieder sauber ist, hat schon wieder eine Zigarette in Brand und nennt das alles Arbeit. Er lauert auf den Gedanken. Der Gedanke steckt den Kopf um die Ecke, zögert noch, zögert lange, aber endlich kommt er näher. Er kommt! Macht er noch einen einzigen Schritt, einen winzigen Schritt, dann schnappt die Falle zu, dann ist er ausgedacht, und ein Mann schlägt ihn ans Papier. (Hermann Kant, Die Aula)
Fiktionale Texte sind ein fester Bestandteil unserer Kultur. Die ersten Texte, die Kindern vorgelesen werden, und oft auch die ersten Texte, die sie dann selbst lesen, sind fiktionale. Viele Texte, die als Literatur bezeichnet werden und denen deshalb ein besonderer Wert beigemessen wird, sind fiktional. Wir sind so geübt im Umgang mit Fiktionalität, dass wir sehr selten im Unklaren darüber sind, ob ein uns vorliegender Text ein fiktionaler ist oder nicht. Hermann Kant beschreibt in der oben zitierten Stelle sehr anschaulich, dass das Schreiben kein leichtes Unterfangen ist. Aber auch das Beschreiben des Schreibens ist keine leichte Aufgabe, der Versuch, die Handlungen des Autors zu charakterisieren zeigt: Fiktionale Äußerungen stellen eine Herausforderung für die Sprachphilosophie dar. Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet daher : Wie kann die sprachliche Handlung des Autors fiktionaler Rede korrekt beschrieben werden? Denn eine Theorie der Sprache sollte mit einem Phänomen, das eine so zentrale Rolle spielt, umgehen können. John L. Austin hat in seiner Vorlesungsreihe, die später unter dem Titel How to do things with words veröffentlich wurde, versucht, eine Terminologie zu entwickeln, mit der alltägliche sprachliche Äußerungen als Vollzüge von Handlungen analysiert werden können. Doch fiktionale Äußerungen fallen nicht in den Bereich, der von seiner Theorie erfasst oder mit seiner Terminologie beschrieben werden könnte. Bei Austin finden sich überhaupt nur wenige verstreute Bemerkungen dazu.
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Einleitung
John R. Searle, der einige Jahre nach dem Erscheinen von How to do things with words eine eigene Variante der Sprechakttheorie entwickelt, schließt fiktionale Äußerungen ebenfalls aus dem Bereich der Äußerungen aus, die vollständig mit seiner Terminologie beschrieben werden können. Fiktionale Äußerungen sind gemäß Searle bloße Äußerungsakte; wer fiktional spricht oder schreibt, vollzieht also weder propositionale noch illokutionäre Akte. Um klären zu können, warum die Begründer der Sprechakttheorie fiktionale Äußerungen aus dem Anwendungsbereich ausschließen, und um zu prüfen, ob dies angemessen ist, werde ich im ersten Teil dieser Arbeit zunächst die Aspekte der Sprechakttheorie vorstellen, die dafür relevant sind. Ich werde u. a. die für die Sprechakttheorie zentralen Begriffe »Äußerungsakt«, »propositionaler Akt« und »illokutionärer Akt« erläutern. Vor anderen Theorien der Sprache zeichnet sich die Sprechakttheorie dadurch aus, dass sie sprachliche Äußerungen in erster Linie als Handlungen auffasst. Dies legt es nahe, nach den Zwecken zu fragen, die mit den Äußerungen von Sprechern verfolgt werden. Solche Zwecke können sehr unterschiedlich sein: Sprecher können mit einer Äußerung z. B. versuchen zu überzeugen, zu erschrecken, zu amüsieren oder einem Kind einen Namen zu geben. Einige Zwecke können nur dann erfolgreich verfolgt werden, wenn es bestimmte Konventionen gibt, die regeln, dass eine sprachliche Äußerung als Vollzug einer bestimmten Handlung zählt. Dieses Phänomen gibt es nicht nur bei sprachlichen Äußerungen. Auch mit nicht-sprachlichen Handlungen können bestimmte Zwecke nur verfolgt werden, wenn die Handlung aufgrund einer entsprechenden Konvention als Vollzug einer bestimmten Handlung zählt. So gilt das Bewegen einer kleinen Holzfigur auf einem Brett nur dann als Zug der Dame auf einem Schachbrett, wenn es entsprechende Konventionen gibt. Mit einer sprachlichen Äußerung kann ich beispielsweise jemanden erschrecken, weil ich sehr laut spreche. Dafür bedarf es keiner Konventionen. Ich kann auch jemanden mit einer sprachlichen Äußerung erschrecken, weil der Gehalt der Äußerung für den Hörer erschreckend ist. Im ersten Fall muss die Äußerung nicht einmal als eine sprachliche erkannt werden, damit ich mit der Äußerung meinen Adressaten erschrecken konnte. Im zweiten Fall muss der Adressat in der Lage sein, zu verstehen, was ich mit der Äußerung sagen wollte; die Äußerung muss als eine sprachliche erkannt werden und Sprecher und Adressat müssen die gleiche Sprache sprechen. Dass sich der Adressat angesichts des geäußerten Gehalts erschrickt, ist aber nicht deshalb so, weil die Äußerung konventionell als eine Handlung des Erschreckens zählen würde. Sagt aber der Standesbeamte: »Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau.«, dann hat er zwei Menschen einen neuen Status zugewiesen, nämlich Ehefrau und Ehemann zu sein. Dies konnte er mit seiner Äußerung aber nur deshalb erreichen, weil diese Äußerung als Vollzug einer Vermählung unter geeigneten Umständen
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zählt. Ohne eine entsprechende Konvention hätte der Beamte den Zweck, die beiden Menschen miteinander zu verheiraten, nicht erfolgreich verfolgen können. Eine sprachliche Äußerung kann dann als Vollzug eines illokutionären Aktes zählen, wenn es eine Konvention gibt, die die Äußerung als Vollzug einer bestimmten Handlung zählen lässt. Das scheint aber auch auf fiktionale Äußerungen zuzutreffen. In einer Sprechergemeinschaft, in der das fiktionale Erzählen unbekannt ist, würde eine fiktionale Äußerung wahrscheinlich als Behauptung und damit entgegen der Absicht des Autors aufgefasst werden. Der spezifische Zweck, der mit fiktionalen Äußerungen verfolgt wird, nämlich eine erfundene Geschichte zu erzählen, und zwar so, dass der Adressat erkennt, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt, kann nur erfolgreich verfolgt werden, wenn es eine Konvention gibt, die Äußerungen als fiktionale zählen lässt. Das legt nun aber nahe, so werde ich argumentieren, fiktionale Äußerungen doch als Vollzug illokutionärer Akte eines bestimmten Typs aufzufassen. Mit dieser These widerspreche ich aber den Begründern der Sprechakttheorie, denn diese sehen fiktionale Äußerungen gerade nicht als Vollzug illokutionärer Akte an. Um herauszufinden, ob an dieser These festgehalten werden kann, werden im zweiten Kapitel dieser Arbeit zunächst Argumente untersucht, die gegen diese These angeführt werden. In diesem Zusammenhang werde ich vier Thesen bzw. Argumente vorstellen und diskutieren, mit welchen der Versuch unternommen wird, fiktionale Äußerungen gerade nicht als Vollzug illokutionärer Akte zu verstehen. Ich hoffe, zeigen zu können, dass diese Thesen nicht zutreffen und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente nicht überzeugen können. Werden fiktionale Äußerungen als Vollzug illokutionärer Akte aufgefasst, stellt sich die Frage, welche illokutionären Akte mit diesen Äußerungen vollzogen werden. Daher werde ich drei Thesen vorstellen, mit welchen fiktionale Äußerungen als Vollzug bestimmter illokutionärer Akte charakterisiert werden. Doch auch mit diesen Thesen können meines Erachtens fiktionale Äußerungen nicht angemessen beschrieben werden. Um zu klären, welcher illokutionäre Akttyp mit fiktionalen Äußerungen vollzogen wird, muss geklärt werden, ob Autoren dieser Äußerungen sich mit entsprechenden Ausdrücken auf etwas beziehen, und wenn sie es nicht tun, wie die Verwendung der Ausdrücke dann korrekt beschrieben werden kann. Ob sich die Autoren fiktionaler Äußerungen auf etwas beziehen können, hängt aber von einer Frage ab, die üblicherweise nicht im Zusammenhang mit den fiktionalen Äußerungen selbst, sondern im Zusammenhang mit Rede über Fiktion diskutiert wird. Diese ontologische Frage lautet: Gibt es fiktive Gegenstände? Besonders so genannte metafiktionale Aussagen wie »Thomas Buddenbrook ist bekannter als Sesemi Weichbrodt.« stellen ein Problem dar. In dieser Debatte
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Einleitung
wird also diskutiert, ob z. B. wir als Leser uns mit »Thomas Buddenbrook« auf etwas beziehen oder gerade nicht. Wer diese Frage negativ beantwortet, wird eine andere Beschreibung der Handlung des Autors fiktionaler Rede geben müssen als diejenigen, die die Frage positiv beantworten. Im dritten Kapitel dieser Arbeit werde ich eine realistische Position vorstellen, die fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte versteht. Nicht nur fiktive Charaktere werden als abstrakte Artefakte aufgefasst, sondern auch u. a. Gesetze, Verfassungen und Ämter. Solche Gegenstände haben mit fiktiven Gegenständen gemeinsam, dass sie durch sprachliche Handlungen erschaffen werden können. Illokutionäre Akte, mit denen dies möglich ist, nennt Searle deklarative illokutionäre Akte. Wenn aber Gesetze, Verfassungen und Ämter durch deklarative illokutionäre Akte erschaffen werden, dann ist es naheliegend, auch anzunehmen, dass die sprachlichen Äußerungen, durch welche fiktive Gegenstände erschaffen werden, ebenfalls als deklarative illokutionäre Akte aufzufassen sind. Zu Beginn des vierten Kapitels werde ich an einem Beispiel untersuchen, wie die Handlung des Erschaffens eines Amtes beschrieben werden muss. Ein Amt ist insofern ein besonderes abstraktes Artefakt, als es die Eigenschaft hat, einen Träger haben zu können. Wird ein Amt erschaffen und werden bestimmte Rechte und Pflichten an dieses Amt gebunden, so heißt dies, dass ein möglicher Träger diese Rechte und Pflichten verliehen bekommt. Es ist nicht das abstrakte Artefakt »Amt«, das Rechte und Pflichten hat, sondern der Träger des Amtes. Analog zu der Untersuchung des deklarativen Aktes der Amtseinführung werde ich fiktionale Äußerungen als deklarative illokutionäre Akte analysieren. Ich werde in einem ersten Schritt notwendige Bedingungen für das Vorliegen einer fiktionalen Äußerung formulieren sowie Bedingungen für das Gelingen dieser Äußerungen als deklarativer illokutionärer Akt. In einem zweiten Schritt werde ich, ebenfalls analog zu der Untersuchung der nicht-fiktionalen deklarativen Akte, die Regeln bezüglich des propositionalen Gehalts fiktionaler Äußerungen untersuchen. In diesem Zusammenhang werde ich eine Spezifikation der ontologischen These des fiktionalen Realismus vornehmen: Fiktive Gegenstände sind abstrakte Artefakte einer bestimmten Art – sie sind fiktive Rollen. Fiktive Rollen haben mit Ämtern einige Gemeinsamkeiten: Sie können ebenfalls durch eine sprachliche Handlung erschaffen werden und auch Rollen haben die Eigenschaft, einen Träger haben zu können. Unter Voraussetzung dieser ontologischen These werde ich zeigen, dass u. a. mit fiktionalen Eigennamen auch im Rahmen fiktionaler Äußerungen auf einen fiktiven Gegenstand, nämlich die fiktive Rolle, Bezug genommen wird. Der Akt der Prädikation wird analog zum Prädizieren bei nicht-fiktionalen deklarativen Akten zu beschreiben sein. Mit dem Akt der Prädikation werden an die fiktiven Rollen höherstufige Eigenschaften gebunden, die – so wie bei einem Amt – nicht
Einleitung
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dem abstrakten Artefakt selbst verliehen werden, sondern die ein möglicher Träger der fiktiven Rolle haben muss, um Träger dieser Rolle zu sein. Werden fiktionale Äußerungen als fiktionale deklarative Akte erfolgreich vollzogen, werden also mit diesem Akt fiktive Rollen erschaffen. Anhand von Beispielen werde ich zeigen, wie fiktionale Äußerungen sowohl performativ als auch propositional expliziert werden müssen, mit dem Ergebnis, dass der propositionale Gehalt fiktionaler Äußerungen durch den erfolgreichen Vollzug der Äußerung als fiktionaler deklarativer Akt wahr wird.
1.
Die Terminologie der Sprechakttheorie
1.1
Fiktionale Rede als Problem der Sprechakttheorie
Die zentrale These der Sprechakttheorie ist, dass Sprecher handeln, wenn sie etwas sagen. Sprachliche Äußerungen lassen sich auf verschiedene Arten beschreiben, als das Produzieren von Lauten, das Ausdrücken eines bestimmten Gehalts und als der Vollzug so genannter illokutionärer und perlokutionärer Akte. Beispiele für illokutionäre Akte sind Behauptungen, Fragen, Befehle, Gratulationen. Beispiele für Verben, die perlokutionäre Akte bezeichnen sind amüsieren, erschrecken oder überzeugen. Die Frage, wie fiktionale Rede angemessen analysiert werden kann, spielt in der Debatte um Fiktion eine große Rolle. Vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie wird zur Beantwortung dieser Frage untersucht, wie das, was der Autor eines fiktionalen Werkes tut, beschrieben werden kann. Im Zentrum des Interesses steht bei dieser Herangehensweise die Frage, ob mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen wird, und falls dem so ist, welcher. Diese Frage drängt sich u. a. durch die Beobachtung auf, dass bei dem Versuch, z. B. einen Satz eines Romans performativ explizit zu formulieren, sich zeigt, dass im Deutschen kein illokutionäres Verb für den Vollzug fiktionaler Rede reserviert ist: »Fingieren« wird häufig im Zusammenhang mit einer Täuschungsabsicht verwendet. Diese Absicht wird einem Romanautor jedoch normalerweise gerade nicht unterstellt. »Erzählen« impliziert zwar keine Täuschung, wird dafür aber auch in nicht-fiktionalen Kontexten verwendet. Das alleine ist noch kein Argument für die These, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, zeigt aber doch, dass das Benennen der Tätigkeit des Autors gewisse Schwierigkeiten bereitet. In der Debatte wird häufig der Versuch unternommen, fiktionale Rede in Abgrenzung zu assertiven Äußerungen, insbesondere dem illokutionären Akt der Behauptung, zu bestimmen. Ein Grund für den Vergleich mit Behauptungen ist die Betrachtung narrativer fiktionaler Literatur, z. B. von Romanen. Bei dieser literarischen Gattung überwiegen Sätze, deren Äußerung wegen ihrer gram-
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Die Terminologie der Sprechakttheorie
matikalischen Struktur zunächst wie Behauptungen erscheinen. Anhand der grammatikalischen Oberfläche lassen sich nämlich – zumindest prima facie – keine Merkmale finden, die eine Unterscheidung zwischen Sätzen, verwendet in fiktionalem oder in nicht-fiktionalem Kontext, zuließen.1 Ich werde dafür argumentieren, dass syntaktische bzw. grammatikalische Aspekte einer Äußerung zwar Hinweise auf den illokutionären Akt, der damit vollzogen wird, geben können, dass aber die Betrachtung von Grammatik und Syntax alleine häufig nicht weiterhilft. Vielmehr müssen Informationen über die jeweilige Äußerungssituation mitherangezogen werden, um zu bestimmen, welcher illokutionäre Akt vollzogen wurde. Bei der Analyse der fiktionalen Rede führt die auf grammatikalische Aspekte konzentrierte Betrachtung, wie ich hoffe zeigen zu können, dazu, dass Vertreter der These, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, für fiktionale Rede keine anderen als assertive Sprechakte in Betracht ziehen. Da festgestellt werden kann, dass für fiktionale Rede die Gelingensbedingungen der assertiven Sprechakte nicht gültig sind, wird angenommen, dass fiktionale Rede keiner der illokutionären Klassen angehört. Die folgenden Kapitel sollen dazu dienen, zentrale Begriffe der Sprechakttheorie zu klären, um so Theorien, die fiktionale Rede sprechakttheoretisch zu fassen versuchen, besser darstellen zu können, aber auch, um auf die Schwierigkeiten der oben genannten These hinweisen zu können. Um die Frage zu beantworten, ob mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen wird, muss zunächst geklärt werden, wann sprachliche Äußerungen als Vollzug eines solchen Aktes verstanden werden können. In diesem Zusammenhang werde ich auch Äußerungen untersuchen, die keine illokutionären Akte sind. Solche Äußerungen sollen dann auf Ähnlichkeiten mit fiktionaler Rede hin untersucht werden, um auch auf diese Weise die Plausibilität der These, bei fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, prüfen zu können.
1.2
Der illokutionäre Akt
Mit der Searleschen Terminologie kann eine sprachliche Äußerung als Äußerungsakt, als propositionaler, illokutionärer und als perlokutionärer Akt bezeichnet werden. Mit der Beschreibung einer Äußerung als illokutionärer Akt soll eine Beschreibung geliefert werden, die noch nicht dadurch abgedeckt ist, dass ein Äußerungsakt als das Äußern linguistischer Ausdrücke bezeichnet wurde. 1 Der Versuch, auch an der grammatikalischen Oberfläche Fiktionalitätsmerkmale zu bestimmen, wird von Käthe Hamburger in Logik der Dichtung unternommen.
Der illokutionäre Akt
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Beispiele für Verben, mit denen Äußerungen als illokutionäre Akte bezeichnet werden, sind »behaupten«, »befehlen«, »taufen« und »versprechen«. Wenn eine Äußerung als Äußerungsakt bezeichnet wird, dann wird im Fall einer mündlichen Äußerung auf diese nur als das Produzieren von Lauten Bezug genommen. Wer nur ein Geräusch von sich gibt, vollzieht – sofern dies absichtlich geschehen ist – einen bloßen Äußerungsakt. So können menschliche und nicht-menschliche Tiere, die absichtlich handeln aber nicht sprechen können, in diesem Sinn einen Äußerungsakt vollziehen. Wird eine sprachliche Äußerung als Äußerungsakt bezeichnet, dann wird bei dieser Benennung gerade nicht berücksichtigt, dass die produzierten Geräusche Wörter, Sätze usw. sind. Zunächst wird mit dieser Bezeichnung auch nicht auf eine kommunikative Absicht hingewiesen. Es kann jemand nur die Absicht haben, ein Geräusch von sich zu geben. Er war dann erfolgreich, wenn es ihm gelungen ist, das Geräusch zu produzieren, völlig unabhängig davon, ob dieses Geräusch gehört wurde oder von jemandem hätte gehört werden können. Searle vertritt die Position, dass mit sprachlichen Äußerungen typischerweise ein propositionaler Gehalt ausgedrückt wird. Wenn also ein Sprecher Geräusche äußert, die Wörter, Sätze2 usw. sind, und er diese bedeutungsvoll verwendet, dann drückt er damit gewöhnlich eine Proposition aus. Wird die Äußerung so beschrieben, ist aber immer noch nicht gesagt, dass mit dieser Äußerung auch ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Typischerweise wird aber, so Austin und Searle, mit einer bedeutungsvollen Äußerung ein illokutionärer Akt vollzogen, d. h. indem ein Sprecher etwas Bedeutungsvolles sagt, behauptet er etwas, oder verspricht, tauft usw. Laut Searle (Searle, 1969, S. 22ff.) ist es möglich, jeweils separate Beschreibungen für eine Äußerung als propositionalen Akt und als illokutionären Akt zu geben. Obwohl diese beiden Akte getrennt beschrieben werden können, nimmt er aber an, dass es nicht möglich ist, eine Proposition zu äußern, ohne dass mit dieser Äußerung nicht auch ein illokutionärer Akt vollzogen würde. Auf diese sog. Unselbstständigkeitsthese werde ich in Kapitel 1.4.1 näher eingehen. Nun stellt sich aber die Frage, worin sich diese Beschreibungen unterscheiden und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Äußerung als illokutionärer Akt beschrieben werden kann. Diese Fragen sind zentral für eine Debatte, die von Sprachphilosophen und Linguisten seit mehr als vierzig Jahren geführt wird. Dabei lassen sich grob zwei Positionen voneinander unterscheiden. Die eine folgt in gewisser Weise Austin und versucht, nur oder hauptsächlich über Regeln oder Konventionen zu klären, was eine Äußerung zu einem illokutionären Akt macht (u. a. Sbis, Kissine). Die andere, an Grice orientierte Position versucht, nur oder hauptsächlich über 2 Ich werde im Folgenden nur stellvertretend von Sätzen sprechen.
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Intentionen diese Frage zu beantworten (Strawson, Bach, Hanish, Pluntze). Ich werde im Folgenden für eine Antwort argumentieren, die zwar Intentionen berücksichtigt, aber sowohl auf Seiten des Sprechers als auch auf der Rezipientenseite die Bedeutung der Rolle von Konventionen (ich werde von Praxen sprechen) für alle illokutionären Akte betont. Illokutionäre Akte sind kommunikative Handlungen. Kommunikation kann auf sehr verschiedene Weisen stattfinden, insbesondere ist es möglich zu kommunizieren, ohne Sprache zu verwenden. Ich werde im Folgenden aber nur dann vom Vollzug eines illokutionären Aktes sprechen, wenn dieser Akt durch das Äußern einer sprachlichen und bedeutungsvollen Äußerung geschieht. Demnach sind illokutionäre Akte kommunikative Handlungen, die mithilfe von sprachlich bedeutungsvollen Äußerungen vollzogen werden. Mit einer solchen Beschreibung ist man jedoch noch nicht sehr weit gekommen, denn sie würde noch zulassen, dass Beschreibungen von Äußerungen, die in der Literatur als perlokutionäre Beschreibungen bezeichnet werden, darunter fallen würden: Ich kann z. B. jemanden amüsieren, indem ich einen Witz erzähle. Damit der Adressat tatsächlich durch diesen Witz amüsiert wird, muss er (mindestens) den Gehalt des Witzes erfassen. Wann eine Äußerung als perlokutionärer Akt bezeichnet werden kann und auf welche Aspekte der Äußerung mit dieser Bezeichnung hingewiesen wird, ist mindestens so unklar und strittig, wie der Terminus »illokutionärer Akt«. Ich werde nicht näher auf perlokutionäre Akte eingehen, sondern mich mit der vagen Bestimmung begnügen, dass mit dem Terminus »perlokutionärer Akt« eine Äußerung im Hinblick auf die psychologischen Effekte, die bei Adressaten und Hörern aufgrund der Äußerung eintreten, beschrieben wird. Beispiele für perlokutionäre Verben sind »amüsieren«, »überzeugen«, »ängstigen« und »beeindrucken«. Austin weist daraufhin, dass perlokutionäre Beschreibungen keine Absichtlichkeit seitens des Sprechers implizieren. Ein Sprecher kann ganz unabsichtlich seinen Adressaten ängstigen, amüsieren usw. Eine perlokutionäre Beschreibung kann auch dann auf eine Äußerung zutreffen, wenn diese als Äußerungsakt, propositionaler und/oder illokutionärer Akt misslungen ist. Ein Sprecher kann z. B. gerade dadurch einen Hörer amüsieren, dass ihm beim bloßen Äußern ein Missgeschick passiert (oder er auch absichtlich hier etwas nicht richtig macht). Der erfolgreiche Vollzug perlokutionärer Akte ist daher nicht grundsätzlich davon abhängig, dass die Äußerung in Bezug auf die anderen Beschreibungen glückt oder richtig vollzogen wird. Austin sieht den Unterschied zwischen perlokutionären und illokutionären Akten darin, dass letztere konventionale Akte seien, perlokutionäre Akte dagegen nicht. Strawson folgend wird u. a. von J.O. Urmson (s. Urmson, 1977) und J. Hornsby (s. Hornsby, 1988) angenommen, dass bei illokutionären Akten »echte« performative Akte, die als konventionelle Akte angesehen werden
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müssen, von solchen, die keine konventionellen Akte sind, unterschieden werden können. Erstere seien beispielsweise Taufen, den Krieg erklären, Heiraten. Nicht konventionelle Akte dagegen seien, »alltägliche« illokutionäre Akte wie Behaupten, Versprechen, Fragen usw. Mein Anliegen ist zu zeigen, dass das Vorhandensein einer bestimmten Praxis für alle illokutionären Akte eine notwendige Bedingung ist und daher eine Unterscheidung, wie sie von Strawson, Urmson und Hornsby vorgeschlagen wird, nicht sinnvoll ist. Eine von Austins zentralen Thesen, die sich auch bei Searle wiederfindet, lautet: Damit eine Äußerung als illokutionärer Akt glücken kann, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt werden. Diese unterscheiden sich je nach illokutionärem Akttyp voneinander. Damit eine Behauptung glückt, müssen andere Bedingungen erfüllt werden als für eine erfolgreiche Taufe. »Stark institutionalisierte« Akte wie z. B. das Taufen können z. B. häufig nur von bestimmten Personen erfolgreich ausgeführt werden, weil sie das Recht und die Autorität haben, diese Akte auszuführen. Mein Vorschlag lautet: Mit einer sprachlich bedeutungsvollen Äußerung kann nur dann (irgend)ein illokutionärer Akt erfolgreich vollzogen werden, wenn es eine Praxis gibt, wonach mithilfe des Geäußerten ein solcher Akt vollzogen werden kann. Ich stütze mich hierbei auf die A1-Regel3 von Austin: There must exist an accepted conventional procedure having a certain conventional effect, that procedure to include the uttering of certain words by certain persons in certain circumstances… (Austin, 1962, S. 14 und S. 26)
Austin spricht von »accepted conventional procedures«, während ich von einer »Praxis« spreche. In meiner Formulierung habe ich außerdem etwas vage von »es muss eine Praxis geben« gesprochen. Was das heißen soll, möchte ich im Folgenden an drei möglichen Szenarien erläutern: 1. Wir können uns einen Sprecher denken, der aus einer Gemeinschaft kommt, in der es die Praxis, Selbstverpflichtungen einzugehen, nicht gibt. Diesem Sprecher wäre daher auch nicht bekannt, dass mit einer sprachlich bedeutungsvollen Äußerung ein Versprechen abgegeben werden kann. Würde dieser Sprecher nun »Ich werde dir morgen helfen.« äußern, dann scheint es mir keine sinnvolle Beschreibung, dass er mit dieser Äußerung versucht hat, ein Versprechen abzugeben. Es ist naheliegender diese Äußerung als den Versuch 3 Die A1-Regel stellt Austin zu Beginn seiner Vorlesungsreihe auf, hier nimmt er noch an, dass die Unterscheidung zwischen performativen und konstativen Äußerungen aufrechtzuerhalten ist. Die Regeln, die er aufstellt, sollen nur für die performativen Äußerungen gültig sein. An dieser Unterscheidung hält er später nicht mehr fest, sondern vertritt die These, dass seine Ergebnisse der Untersuchungen der performativen Äußerungen auch auf die konstativen Äußerungen zutreffen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es richtig ist, Austin so zu interpretieren, dass A1 auf alle illokutionären Akte zutrifft. (s. Sbis, 2009, S. 46f.)
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anzusehen, einen assertiven illokutionären Akt, z. B. eine Prognose, zu vollziehen. Es lässt sich daher folgende notwendige Bedingung formulieren: Ein Sprecher versucht nur dann, einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen, wenn er selbst die Praxis dieses illokutionären Aktes kennt4. Wie müsste man aber diesen Fall beschreiben, wenn dieser Sprecher statt des oben genannten Satzes einen explizit performativen Satz äußert? Könnte man nicht sagen, dass er nur die Bedeutung des Ausdrucks »versprechen« kennen muss? Diese Bedingung wäre erfüllt, wenn die Beschreibung »sprachlich bedeutungsvolle Äußerung« auf die Äußerung zutrifft. Denn um sagen zu können, dass er z. B. »Hiermit verspreche ich, dir morgen zu helfen.« bedeutungsvoll geäußert hat, muss der Sprecher tatsächlich die Bedeutung des Ausdrucks »versprechen« kennen. Anderenfalls hätte er zwar eine sprachliche Äußerung von sich gegeben, ohne aber dass ihm die Bedeutung hinreichend bekannt gewesen wäre. Damit würde ich diese Äußerung nicht als eine sprachlich bedeutungsvolle Äußerung verstehen. Doch die Bedeutung des Ausdrucks »versprechen« zu kennen, heißt nichts anderes, als dass der Sprecher die Praxis kennt und sie mit dem entsprechenden Ausdruck bezeichnen kann. Bei explizit performative Äußerungen wird also dadurch, dass die Äußerung als eine sprachlich bedeutungsvolle klassifiziert wird, gewährleistet, dass der Sprecher die jeweilige Praxis, die das performative Verb bezeichnet, kennt. Offensichtlich ist es also so, dass die Kenntnis der Bedeutung von performativen Verben für das Verstehen explizit performativer Äußerungen notwendig ist. Daraus lässt sich aber keinesfalls ableiten, dass die Kenntnis der Bedeutung performativer Verben grundsätzlich eine notwendige Bedingung dafür ist, dass eine Äußerung als Vollzug eines illokutionären Aktes5 verstanden werden kann. Es ist durchaus denkbar, dass einem Sprecher z. B. die Praxis des Versprechens bekannt ist, aber nicht das Verb »versprechen«. Dieser Sprecher wird grundsätzlich in der Lage sein, zu erkennen, ob mit einer implizit performativen Äußerung ein Versprechen gegeben wurde oder nicht. Und ich sehe keinen Grund, warum unter passenden Umständen seine Äußerung des Satzes »Ich werde dir morgen helfen.« nicht als Versprechen angesehen werden sollte. 4 Damit will ich nicht ausschließen, dass es Sprechern gelingen kann, neue Praxen zu etablieren. Das scheint aber ein Sonderfall zu sein, den ich hier nicht weiter diskutieren will. Soweit ich sehe, werden auch in der relevanten Literatur keine Fälle von Neueinführungen eines illokutionären Akttyps verhandelt. 5 Austin könnte so verstanden werden, dass illokutionäre Akte als konventionelle angesehen werden, wenn es eine performative Formel gibt, mit der der illokutionäre Akt explizit gemacht werden kann. (Austin, 1962, S. 103) Sbis versucht zu zeigen, dass andere Textstellen aber auch eine andere Interpretation zulassen, die dem Vorhandensein performativer Formeln eine geringere Bedeutung beimisst. (s. Sbis, 2009)
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Denkbar ist auch eine ganze Sprechergemeinschaft, die beispielsweise über alle von Searle aufgeführten illokutionären Akttypen verfügt, ohne aber in ihrer Sprache performative Verben zu besitzen, um die jeweiligen Akttypen und deren Token zu bezeichnen. Das macht auch deutlich, dass dem Vorhandensein eines performativen Verbs bzw. einer performativen Formel in einer Sprache keine grundlegende Bedeutung beigemessen werden kann,6 sondern dem Vorhandensein einer entsprechenden Praxis, die dem Sprecher bekannt sein muss. 2. Bisher habe ich nur von der Bedingung gesprochen, die notwendigerweise erfüllt sein muss, damit eine Äußerung als Versuch, einen illokutionären Akt zu vollziehen, charakterisiert werden kann. Wann kann aber eine Äußerung als erfolgreicher Versuch beschrieben werden? Wie ich bereits zu Beginn gesagt habe, unterscheiden sich die notwendigen Bedingungen für den erfolgreichen Vollzug der jeweiligen illokutionären Akte. Ich möchte aber im Folgenden dafür argumentieren, dass es eine notwendige Bedingung gibt, die erfüllt sein muss, damit eine Äußerung als illokutionärer Akt erfolgreich sein kann, unabhängig davon, welcher illokutionäre Akt mit dieser Äußerung vollzogen wird. Stellen wir uns jetzt einen Sprecher vor, der aus einer Sprechergemeinschaft kommt, in der es die Praxis des Versprechens gibt und die er selbst auch kennt. Nun unternimmt er eine Reise zu einer anderen Sprechergemeinschaft, in der die Praxis des Versprechens nicht bekannt ist. Würde der Sprecher zu einem Mitglied dieser Sprechergemeinschaft sagen: »Ich werde dir morgen helfen.«, wird dieser den Satz vielleicht als eine Prognose interpretieren, nicht aber als einen Versuch des Sprechers eine Selbstverpflichtung ihm gegenüber einzugehen. Würde der Sprecher sich explizit performativ äußern und sagen: »Ich verspreche dir, dass ich dir morgen helfe.«, können wir nun sagen, dass dieser Adressat zunächst diese Äußerung rein semantisch nicht ganz verstehen kann, weil er die Bedeutung des Ausdrucks »versprechen« nicht kennt. Außerdem würde er auch in diesem Fall nicht erkennen können, welchen illokutionären Akt der Sprecher versucht hat zu vollziehen. Für den erfolgreichen Vollzug eines illokutionären Aktes lässt sich, dafür werde ich nun argumentieren, die folgende notwendige Bedingung formulieren: Damit eine Äußerung als erfolgreicher illokutionärer Akt beschrieben werden kann, muss der Adressat (oder die Rezipienten7) erkennen, welcher illokutionäre Akt mit der Äußerung vollzogen werden soll. 6 Zu der Frage, ob Austin so interpretiert werden muss, dass es ein performatives Verb geben muss, damit eine sprachliche Handlung als eine konventionelle und damit als illokutionärer Akt bezeichnet werden kann, s. Sbis, 2009. 7 Unter Rezipienten möchte ich Personen verstehen, die das, was der Sprecher – mündlich, schriftlich oder gestisch – äußert, vernehmen, sie müssen aber nicht Adressaten des Sprechers sein. Rezipienten nenne ich alle Personen, die eine mündliche, schriftliche oder gestische Äußerung vernehmen. Bloße Rezipienten sind Personen, die Äußerung vernehmen, an die sie
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Indem ich das Erkennen des illokutionären Aktes, der mit einer Äußerung vollzogen wird, als eine notwendige Bedingung des Erfolgs dieses illokutionären Aktes ansehe, folge ich Austin. Er sieht ebenfalls den »uptake« als notwendige Bedingung für den erfolgreichen Vollzug des illokutionären Aktes an: Unless a certain effect is achieved, the illocutionnary act will not have been happily, successfully performed […] the performance of an illocutionary act involves the securing of uptake. (Austin 1962, 116–117)
Damit der Adressat (oder die Rezipienten) erkennen, welcher illokutionäre Akt mit der Äußerung vollzogen wird, muss der Adressat (müssen die Rezipienten) die Praxis des entsprechenden illokutionären Aktes kennen. Diese Praxis zu kennen heißt, dass bekannt ist, dass diese Handlung mit sprachlich bedeutungsvollen Äußerungen vollzogen werden können und daher Satztoken als solche erkannt werden, mit welchen diese illokutionären Akte vollzogen werden können. Dieses Wissen muss dem Adressat (den Rezipienten) nicht in einer expliziten Form vorliegen. Warum ist aber das Erkennen des illokutionären Aktes (»uptake«) eine notwendige Bedingung für den erfolgreichen Vollzug eines illokutionären Aktes? Der Grund dafür liegt zum einen in der kommunikativen Natur von Sprechakten. Zwar können Sätze auch geäußert werden, ohne dass der Sprecher damit eine kommunikative Absicht verfolgt, solche Fälle sind aber gerade Äußerungen, die nicht als Sprechakte bezeichnet werden können. (s. dazu Kapitel 1.2.1) Wer kommuniziert, richtet sich mit bestimmten Absichten an einen Adressaten (oder mehrere). Sehr grob gesprochen ist die Kommunikation gescheitert, wenn das Kommunizierte von einem Adressaten nicht aufgenommen wird. Zu erkennen, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung verfolgt wird, ist eine Komponente des Verstehens einer sprachlichen Äußerung. So wie Missverständnisse auf der semantischen Ebene vorliegen können, ist dies auch hier möglich. Hält der Adressat ein Versprechen für eine Prognose, hat er etwas falsch verstanden und damit ist die Äußerung mindestens in dieser Hinsicht gescheitert. Für Searle ist ein illokutionärer Akt dann geglückt, wenn der Adressat erkannt hat, welcher illokutionäre Akt vollzogen werden sollte. Der »illokutionäre Effekt«, der durch eine Äußerung eintreten soll, ist das Erkennen der illokutionären Absicht des Sprechers seitens des Adressaten: In the case of illocutionary acts we succeed in doing what we are trying to do by getting our audience to recognize what we are trying to do. But the »effect« on the hearer is not a belief or response, it consists simply in the hearer understanding the utterance of the speaker. (Searle, 1969, S. 47) aber nicht gerichtet war. Unter Adressaten verstehe ich die Personen, an die sich der Sprecher richtet.
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Während Searle nur das richtige Erkennen des illokutionären Aktes seitens des Adressaten oder der Rezipienten als »illokutionären Effekt« bezeichnet, spricht Austin von einem »certain conventional effect«, den eine Äußerung haben muss, damit sie glückt. Als Beispiel für einen solchen »Effekt« führt Austin an, dass ein Schiff nach einer erfolgreichen Taufe den entsprechenden Namen trägt (Austin 1962, 117). Sbis beschreibt diesen »Effekt« folgendermaßen: The effect of naming a ship consists of a change not in the natural course of events but in norms, that is, in something belonging to the realm of social conventions: a new norm is enacted, as it can be seen from the assessments of people’s relevant behavior that may stem from the norm. (Sbis, 2009, S. 45)
Ist ein Schiff erfolgreich getauft worden, trägt es ab dann den Namen, auf den es getauft wurde. Damit geht u. a. einher, dass mit diesem Namen von da an auf dieses Schiff korrekterweise Bezug genommen werden kann. Marina Sbis spricht in dem oben angeführten Zitat von einer Norm, die durch den Vollzug der Taufe in die Welt gekommen ist. Bei einer Taufe und sogar bei all den illokutionären Akten, die Searle Deklarative nennt, erscheint die Beschreibung, dass durch ihren Vollzug eine Norm entsteht, noch relativ plausibel. Die Frage ist aber, ob tatsächlich für alle illokutionären Akte gilt, dass sie einen solchen »Effekt« haben. Sbis beantwortet diese Frage positiv und argumentiert dafür, illokutionäre Akte als konventionale Akte zu charakterisieren, weil sie aufgrund bestehender Konventionen die besagten Effekte im Erfolgsfall nach sich ziehen: Even for a type of illocutionary act that is explicitly invoked by Strawson to show that not all illocutionary acts are conventional, that is warning (1964: 440), there is quite intuitively a state of affairs which is brought about and can be described in terms similar to those [naming of a ship]: it is a state in which the addressee, or anybody else in the community, is no longer allowed to take the speaker as responsible for some mishap or trouble, related to the content of warning, in which the addressee might incur. (Sbis, 2009, 45)
Auch wenn ich glaube, dass es durchaus Situationen gibt, in denen wir weiter einen Sprecher für eine Gefahr verantwortlich machen, obwohl er davor gewarnt hat, glaube ich, dass Sbis auf einen wichtigen Punkt aufmerksam macht: Auch bei alltäglichen illokutionären Akten, die nicht nur von Personen mit einer besonderen Autorität oder Legitimation ausgeführt werden, bringt es der erfolgreiche Vollzug eines illokutionären Aktes mit sich, dass bestimmte Rechte und Pflichten für Sprecher und Adressaten (oder Rezipienten) entstehen. Eine solche Tatsache möchte ich illokutionäre Folge nennen. Dass eine solche illokutionäre Folge eintritt, kann nur gelingen, wenn dies Teil der Praxis des entsprechenden illokutionären Akttyps in einer Sprechergemeinschaft ist. Welche Rechte und Pflichten an Sprecher und Rezipienten übergehen, ist vom jeweiligen illokutionären Akttyp abhängig. Nun wird auch klar, warum das
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Erkennen des illokutionären Aktes seitens der Rezipienten notwendig ist: Dass Sprecher und Rezipienten Rechte und Pflichten erhalten, ist keine kausale Folge eines illokutionären Aktes und auch nicht unabhängig von den Beteiligten. Nur wenn der illokutionäre Akt erkannt wird, haben Rezipienten die Möglichkeit z. B. die Rechte, die sie erhalten, wahrzunehmen. Diese Rechte haben sie in vielen Fällen gegenüber dem Sprecher. Diesen Rechten der Rezipienten entsprechen Pflichten des Sprechers. Wenn aber niemand die Pflichten einklagen oder deren Nicht-Beachten kritisieren kann, besteht die Pflicht zumindest nicht in einem vollen Sinn.8 Ich werde dies zunächst am Beispiel des Versprechens erläutern, da bei diesem illokutionären Akttyp offensichtlich ist, dass Rechte und Pflichten eine entscheidende Rolle für den erfolgreichen Vollzug spielen. Im Anschluss werde ich dafür argumentieren, dass auch erfolgreiche Behauptungen bzw. allgemein assertive illokutionäre Akte illokutionäre Folgen haben, denn während meine These für kommissive und deklarative Akte noch einleuchtend erscheint, ist sie wahrscheinlich intuitiv in Bezug auf assertive illokutionäre Akte am unplausibelsten. Wer mit einer Äußerung etwas versprechen will, beabsichtigt gegenüber einem Adressaten eine Verpflichtung einzugehen. Für ein Versprechen scheint es gerade ein wesentlicher Punkt zu sein, dass der Adressat des Versprechens das Versprochene einfordern können muss. Dass der Versprechende nach dem erfolgreichen Versprechen eine Verpflichtung eingegangen ist, scheint offensichtlich. Mit der Verpflichtung einher geht aber auch das Recht des Empfängers des Versprechens, das Versprochene einzufordern oder zumindest das Nichteinhalten des Versprochenen zu kritisieren. Damit aber der Adressat dies kann, muss er erkennen, dass mit der Äußerung etwas versprochen werden sollte. Dies zu erkennen, heißt, zu erkennen, welcher illokutionäre Akt mit der Äußerung vollzogen wurde. Würde ein Sprecher in einem leeren Zimmer versuchen, ein Versprechen abzugeben und niemand hat die Äußerung vernehmen können, noch besteht die Möglichkeit, dass jemand sie zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. durch eine Aufnahme) vernehmen kann, ist nicht zu sehen, dass aus dieser Äußerung irgendwelche Pflichten für den Sprecher resultieren. Betrachten wir nun assertive illokutionäre Akte: Welche Rechte oder Pflichten entstehen, wenn A morgens aus dem Fenster sieht und zu B sagt: 8 Ich möchte die Möglichkeit von Selbstgesprächen nicht ausschließen, d. h. dass Sprecher und Adressat tatsächlich eine Person sind. Ich will auch nicht ausschließen, dass es sich rekonstruieren lässt, dass eine Person sich selbst ein Versprechen abgibt usw. Diese Fälle sind aber nicht die Regelfälle. Typischerweise richten sich Sprechakte an Adressaten, die nicht mit dem Sprecher identisch sind. In diesen Fällen erscheint es mir relevant, dass durch den erfolgreichen Vollzug eines illokutionären Aktes eine oder mehrere Personen Rechte und Pflichten erhalten, die gerade nicht mit dem Sprecher identisch sind und die Pflichten, die der Sprecher eingeht, nicht alleine von ihm selbst erkannt werden.
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»Heute gibt es keine Wolke am Himmel.«? Gehen wir davon aus, dass diese Äußerung in dieser Situation der Vollzug eines assertiven illokutionären Aktes ist, A hat behauptet, dass es an diesem Tag keine Wolke am Himmel gibt. Welche Rechte und Pflichten haben A und B, nachdem A mit seiner Äußerung erfolgreich eine Behauptung vollzogen hat? In seiner Analyse assertiver illokutionärer Akte in A taxonomy of illocutionary acts schreibt Searle: The point or purpose of the members of the assertive class is to commit the speaker (in varying degrees) to something’s being the case, to the truth of the expressed proposition. All members of the assertive class are assessable on the dimension of assessment which includes true and false. (Searle, 1979b, S. 12)
Obwohl Searle selbst als Effekt eines illokutionären Aktes nur das Erkennen der Äußerung als Vollzug dieses Aktes angibt, wie aus der zuvor zitierten Stelle deutlich wurde, spricht er hier von einem Commitment, nämlich dem, dass der Sprecher auf die Wahrheit des Gesagten festgelegt wird. Wer behauptet, dass p, äußert nicht nur etwas, das einem Sachverhalt in der Welt entsprechen soll. Er liefert vielmehr seinen Rezipienten einen Grund, p zu glauben.9 Wäre diese Verpflichtung nicht Teil der Praxis des Behauptens, wäre nicht zu sehen, warum das Lügen typischerweise als moralisch verwerflich gilt, ähnlich wie das Nichteinhalten eines Versprechens. Stellen wir uns nun vor, A hätte den Satz »Heute ist keine Wolke am Himmel.« von sich gegeben, B hätte aber kurz vorher den Raum verlassen und so hätte keiner diese Äußerung gehört und es gäbe auch keine Möglichkeit (wie durch eine Aufnahme), dass irgendjemand dieses Äußerungstoken zu einem späteren Zeitpunkt vernehmen wird. Niemand wird A auf die Wahrheit des Gesagten festlegen. Es wird ihn auch niemand kritisieren, falls das Gesagte falsch ist, selbst dann nicht, wenn er ganz absichtlich damit etwas Falsches gesagt hat. Wie auch im Fall des Versprechens ist nicht zu sehen, dass der Sprecher hier eine Verpflichtung eingegangen wäre, weil es niemanden gibt, der ihn dafür kritisieren oder tadeln könnte. Ein illokutionärer Akt ist daher nur dann erfolgreich vollzogen, wenn die für den spezifischen Akttyp entsprechenden illokutionären Folgen eingetreten sind, also Sprecher und Adressaten oder Rezipienten bestimmte Rechte und Pflichten als Folge des Vollzugs des illokutionären Aktes haben. Damit diese illokutionären Folgen eintreten können, müssen Adressaten oder Rezipienten erkennen welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wurde. Um das zu können, müssen sie die entsprechende Praxis des illokutionären Aktes kennen. 9 Eine Definition für assertive illokutionäre Akte liefert z. B. M. Kissine, wonach eine Äußerung von p dann ein assertiver illokutionärer Akt ist, wenn diese vor einem bestimmten Hintergrund als Grund gilt, p zu glauben. (Kissine, 2013)
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Die Kenntnis der entsprechenden Praxis ist wohlgemerkt eine notwenige und noch keine hinreichende Bedingung dafür, dass erkannt wird, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird. Die Kenntnis einer Praxis umfasst auch die Kenntnis darüber, mit welchen Formulierungen, grammatikalischen Strukturen, besonderen Ausdrücken usw. bestimmte illokutionäre Akte vollzogen werden. Neben Merkmalen der Äußerung selbst, müssen aber auch Informationen bezüglich der konkreten Äußerungssituation für eine korrekte Interpretation der Äußerung herangezogen werden. Searle folgend halte ich es für richtig, dass mit verschiedenen Äußerungen die gleiche Proposition ausgedrückt aber unterschiedliche illokutionäre Akte vollzogen werden können. So wird mit dem Äußern den Sätzen a) Die Sonne scheint. b) Scheint die Sonne? die gleiche Proposition, nämlich, dass die Sonne scheint, ausgedrückt. Gemäß Searle würde mit a) ein assertiver illokutionärer Akt vollzogen, mit b) eine Frage gestellt, d. h. gemäß der Searleschen Taxonomie ein direktiver illokutionärer Akt vollzogen. Obwohl ich nicht der These widersprechen will, dass mit der Äußerung von a) assertiver und mit b) ein direktiver illokutionärer Akt vollzogen werden kann, gehe ich wie oben bereits erwähnt, davon aus, dass die grammatikalische Struktur der Sätze alleine nicht ausreicht, um zu bestimmen, welchen illokutionären Akt ein Sprecher in einer konkreten Kommunikationssituation mit der Äußerung einer der beiden Sätze vollzogen hat. Dies macht M. L. Gleis an folgendem Beispiel deutlich: I might say, It’s going to rain today, by way of making a complaint if the fact that it is going to rain presents a problem for me (I have planned a picnic) or I might say this to you by way of issuing a warning to you if the fact it is going to rain presents a problem for you (you have planned a picnic), but if I were a TV weather announcer, I might say this simply to convey information to people about what sort of weather they will have, expecting some to take the news well (gardeners) and others to take it badly (picnickers).(Gleis, 1995, S.20; Hervorhebungen des Autors)
Auch in Gleis’ Beispiel wird mit der Äußerung in den verschiedenen Situationen die gleiche Proposition ausgedrückt und sein Beispiel zeigt, dass mit der Äußerung dieses Satzes situationsabhängig unterschiedliche illokutionäre Akte vollzogen werden. Ich schließe mich Gleis an, der betont, dass für die Bestimmung, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird, Informationen über die gesamte Äußerungssituation, d. h. den Sprecher, den Adressaten, vorhergegangene Äußerungen (wenn die Äußerung Teil eines Gesprächs ist) usw. mit berücksichtigt werden müssen. Der geäußerte Satz alleine liefert typischerweise
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gerade nicht genug Informationen, um die Äußerung richtig zu bestimmen. Satztypen sind aufgrund ihrer jeweiligen Eigenschaften wie z. B. die grammatikalische Oberflächenstruktur und die enthaltenen Worte und ihre Bedeutung mehr oder weniger gut geeignet, mit ihrer Äußerung einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen. Ich werde im Folgenden von einem illokutionären Aktpotential sprechen, das Satztypen haben. So ist der Satz »Ich werde morgen zu dir kommen.« geeignet, um mit ihm einen assertiven oder kommissiven illokutionären Akt zu vollziehen, aber weniger gut bzw. gar nicht geeignet, um mit seiner Äußerung ein Kind zu taufen. Anhand der ersten beiden Beispielszenarien habe ich bisher geklärt, welche notwendigen Bedingungen jeweils erfüllt sein müssen, damit eine Äußerung als Versuch einen illokutionären Akt zu vollziehen angesehen werden kann und wann dieser Versuch erfolgreich ist. Stellen wir uns zum Schluss das folgende Szenario vor : Ein Sprecher kommt aus einer Sprachgemeinschaft, in der es die Praxis des Versprechens nicht gibt. Er unternimmt eine Reise zu einer Sprechergemeinschaft, in der es Versprechen gibt, diese aber sehr streng reglementiert sind. Wer in dieser Gemeinschaft bestimmte Sätze äußert, hat etwas versprochen, auch wenn er später – vielleicht sogar glaubhaft – beteuert, dass er mit seiner Äußerung nichts versprechen wollte. Würde unser Sprecher in dieser Gemeinschaft einen entsprechenden Satz äußern, dann gilt diese Äußerung als Vollzug eines Versprechens, gemäß meiner oben genannten notwendigen Bedingung für den Versuch, einen illokutionären Akt zu vollziehen, aber nicht als ein Versuch, ein Versprechen zu geben. Vertreter von Positionen, die illokutionäre Akte über Konventionen und nicht über Intentionen des Sprechers bestimmen wollen, geben häufig Definitionen oder Beschreibungen für illokutionäre Akte, die nur berücksichtigen, dass eine Äußerung in einem bestimmten Kontext als der Vollzug eines illokutionären Aktes gilt. Mit meiner notwendigen Bedingung dafür, dass eine Äußerung ein Versuch ist, einen illokutionären Akt zu vollziehen, habe ich den Absichten des Sprechers einen gewissen Raum gegeben. Mir scheint die Unterscheidung zwischen dem Versuch und dem erfolgreichen Vollzug eines illokutionären Aktes sinnvoll. Von einem Versuch sprechen wir aber nur, wenn die Person, die die in Frage stehende Handlung ausführt, dies auch absichtlich tut. Mit meiner Unterscheidung von Versuch und erfolgreich ausgeführtem illokutionärem Akt, möchte ich auch dem Umstand Rechnung tragen, dass wir in vielen alltäglichen Situationen durchaus gewillt sind, als Rezipienten unsere Interpretation einer Äußerung hinsichtlich des illokutionären Aktes zu revidieren, wenn der Sprecher uns versichert, dass er den in Frage stehenden illokutionären Akt nicht ausführen wollte. Anzunehmen, dass (nur) die Interpretation der Rezipienten bestimmt, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird, heißt
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diese entscheidende Möglichkeit zur Revidierung zu übersehen oder zumindest, ihr nicht das nötige Gewicht zu verleihen. Tatsächlich gibt es Situationen, in welchen es der gängigen Praxis entspricht, die gerade erwähnte Möglichkeit, die Interpretation einer Äußerung zu revidieren, falls der Sprecher dazu Anlass gibt, nicht zuzulassen. Wer beispielsweise unter Eid aussagt, hat nicht die Möglichkeit im Nachhinein anzugeben, dass seine Aussage als bloße Spekulation hätte verstanden werden sollen. Mit der von mir eingeführten Unterscheidung von versuchtem und erfolgreich ausgeführtem Illokutionären Akt, möchte ich solche Fälle wie folgt beschreiben: Der Sprecher hat zwar nicht den Versuch unternommen, den entsprechenden illokutionären Akt zu vollziehen, aufgrund der entscheidenden Praxis zählt seine Äußerung aber – auch trotz gegenteiliger Absichtsbekundungen – als Vollzug des entsprechenden illokutionären Aktes. Ich habe in diesem Kapitel dafür argumentiert, dass ein Sprecher aber nur dann die Absicht haben kann, einen bestimmten illokutionären Akt auszuführen, wenn er die entsprechende Praxis des illokutionären Aktes kennt. Es scheint mir nicht sinnvoll, anzunehmen, ein Sprecher könne die Absicht haben, ein Versprechen abzugeben, wenn er überhaupt nicht weiß, dass es so etwas wie Versprechen überhaupt gibt. Daher spielt die Existenz von Praxen bei den Absichten des Sprechers eine Rolle. Die Existenz einer Praxis und die Kenntnis darüber seitens der Rezipienten sind darüber hinaus eine notwendige Bedingung dafür, dass aus einem Versuch der erfolgreiche Vollzug eines illokutionären Aktes werden kann oder dass eine Äußerung als der Vollzug eines illokutionären Aktes zählt (auch dann, wenn es sich dabei nicht um einen Versuch handelt). Um zu erkennen, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird, müssen Rezipienten auch Informationen über die konkrete Äußerungssituation berücksichtigen. Ohne das Erkennen des illokutionären Aktes seitens der Rezipienten können die illokutionären Folgen des entsprechenden Aktes nicht eintreten. Sind die spezifischen illokutionären Folgen eingetreten, wurde der illokutionäre Akt erfolgreich vollzogen.
1.2.1 Sprachliche Äußerungen, die keine Sprechakte sind Im vorherigen Kapitel habe ich untersucht, welche Rolle das Vorhandensein einer Praxis eines bestimmten illokutionären Aktes dafür spielt, dass eine Äußerung als Versuch oder erfolgreich vollzogener illokutionärer Akt gilt. Im Folgenden werde ich nun zwei weitere notwendige Bedingungen dafür, dass eine Äußerung als Vollzug eines illokutionären Aktes zählt, diskutieren. Diese Überlegungen sind notwendig, da im zweiten Teil dieser Arbeit untersucht wird, ob fiktionale Rede der Vollzug eines illokutionären Aktes ist.
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Vertreter der These, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen wird, könnten gegen den Vorschlag einwenden, dass eine sprachliche Äußerung, die als illokutionärer Akt gelten soll, einer der von Searle vorgeschlagenen Klassen illokutionärer Akte zuzuordnen sein muss. Nun könnte fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass ich die These vertreten möchte, dass tatsächlich jede sprachliche Äußerung als Vollzug eines illokutionären Aktes angesehen werden sollte. Damit eine Äußerung als Versuch eines Vollzugs eines illokutionären Aktes betrachtet werden kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: 1. Die sprachliche Äußerung darf kein Widerfahrnis sein, sondern muss als Handlung beschrieben werden können. 2. Die sprachlichen Ausdrücke müssen bedeutungsvoll verwendet werden. 3. Der Sprecher muss die Praxis des betreffenden illokutionären Aktes kennen. Ich werde bei den folgenden Beispielen immer davon ausgehen, dass der Sprecher weiß, dass mit seiner Äußerung prinzipiell ein illokutionärer Akt irgendeines Typs (beispielsweise eine Behauptung) vollzogen werden kann. Damit gehe ich davon aus, dass diese notwendige Bedingung in den hier betrachteten Fällen immer erfüllt ist. Ich möchte genau dann von einer Handlung sprechen, wenn ein Ereignis unter mindestens einer Beschreibung als ein absichtliches Verhalten bezeichnet werden kann. Eine sprachliche Äußerung ist sicherlich in den meisten Fällen eine Handlung. Aber es lassen sich Fälle von sprachlichen Äußerungen denken, die nicht als ein absichtliches Verhalten beschrieben werden können. Wie an der Beschreibung des folgenden Beispiels deutlich wird, wird »Äußerung« so verwendet, dass damit auch ein Widerfahrnis bezeichnet werden kann. Als Beispiele für solche sprachlichen Äußerungen lassen sich bestimmte Arten von Tourette-Anfällen anführen. Kennzeichnend für diese Anfälle ist, dass sie nicht nur nicht absichtlich, sondern darüber hinaus gegen den Willen des Betroffenen geschehen, d. h. die Betroffenen bemüht sind, die Äußerung zu verhindern, aber nicht verhindern können, dass sie sich äußern. Dennoch liegt bei diesen Beispielen eine sprachliche Äußerung vor. Es ist durchaus denkbar, dass das Geäußerte aus grammatikalisch wohlgeformten Sätzen besteht. Sofern eine sprachliche Äußerung aber nicht wahrheitsgemäß als absichtliches Verhalten beschrieben werden kann, ist sie kein Sprechakt: Mit seiner Äußerung bezieht sich der Tourette-Patient weder auf etwas und sagt etwas darüber aus, noch stellt er mit dem Geäußerten eine Behauptung auf oder spricht eine Beleidigung aus (zu diesem Missverständnis kommt es wahrscheinlich häufig) oder vollzieht einen anderen illokutionären Akt. Die sprachliche Äußerung ist demnach kein Vollzug eines propositionalen Aktes
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und auch kein Vollzug eines illokutionären Aktes. Damit kann das TouretteBeispiel nicht als Beispiel für einen Sprechakt gelten.10 Kann es aber eine absichtliche sprachliche Äußerung geben, die dennoch nicht als Sprechakt gelten kann? Um diese Frage zu klären, soll folgendes Beispiel betrachtet werden: Ein Tontechniker spricht einen vollständigen und grammatikalisch richtigen Satz in ein Mikrophon, nur um das Mikrophon zu testen. In dem Raum ist keine andere Person, die der Techniker damit hätte ansprechen wollen. Zudem ist diese Äußerung auch keine Form von Selbstgespräch, der Tontechniker will nicht einmal sich selbst etwas sagen. Den Satz, den er äußert, hat er entweder zufällig gewählt oder dabei auf phonetische Aspekte geachtet, die für diese Tätigkeit relevant sein können. Was der Tontechniker in diesem Beispiel macht, macht er absichtlich. Er vollzieht also eine Handlung, nämlich das Testen des Mikrophons. Sollte diese Handlung aber Sprechakt genannt werden? Oder genauer : Kann diese Handlung als propositionaler und als illokutionärer Akt bezeichnet werden? Die Äußerung kann als phonetischer Akt beschrieben werden, da der Tontechniker absichtlich Laute äußert. Sofern der Tontechniker einen Satz äußert, der grammatikalisch korrekt ist, kann die Äußerung auch als phatischer Akt beschrieben werden.11 Allerdings will sich der Tontechniker mit den Ausdrücken weder auf etwas beziehen, noch etwas darüber aussagen. Daher wird mit diesem Satz kein propositionaler Akt vollzogen. Röska-Hardy unterscheidet zwischen Sprechhandlungen und Sprachhandlungen. Unter Sprechhandlungen versteht Röska-Hardy Handlungen, die durch die Verwendung sprachlicher Äußerungen vollzogen werden. Sprachhandlungen sind eine (echte) Teilmenge der Sprechhandlungen, bei welchen für den erfolgreichen Vollzug die Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke relevant ist. Als Beispiele für bloße Sprechhandlungen, die keine Sprachhandlungen sind, nennt sie das Äußern eines Satzes im Rahmen einer Sprechübung und Echospiele. Diese sind Fälle der Verwendung sprachlicher Mittel, welche als beabsichtigte Sprechhandlungen, aber nicht als Sprachhandlungen im eigentlichen Sinn zu klassi10 Sprechen im Schlaf könnte auch ein Beispiel für nicht absichtliche sprachliche Äußerungen sein. Dafür müsste aber geklärt werden, ob einer Person im Schlaf Absichten zugesprochen werden können. Dieser Frage nachzugehen, führt aber an dieser Stelle zu weit und ist für die Klärung der Fragestellung nicht zentral. 11 Gemäß Grewendorf ist zwischen phematischer und rhematischer Bedeutung zu unterscheiden. Bedeutungsvoll können somit auch Äußerungen sein, die nicht als Vollzug eines rhetischen Aktes beschrieben werden können. Insoweit kann die Äußerung des Tontechnikers auch nicht als phatischer Akt beschrieben werden, da auch die phematische Bedeutung für das Gelingen seiner Handlung keine Rolle spielt. (Grewendorf, 1976, S. 101–124)
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fizieren sind, weil die Bedeutung der geäußerten Ausdrücke, ihr semantischer Gehalt, keine Rolle in dem glücklichen Vollzug der Handlung spielt. Sprachliche Ausdrücke werden im Vollzug dieser Sprechhandlungen absichtlich geäußert, aber die Bedeutung der geäußerten Ausdruckstypen wird im Vollzug solcher Äußerungshandlungen nicht beansprucht. Bei Sprachhandlungen dagegen ist die sprachliche Bedeutung der geäußerten Ausdrücke zentral für den Vollzug der Äußerungshandlung seitens des Sprechers und für das Verstehen der Handlung seitens des Hörers. (Röska-Hardy, 1997, S. 143)
Den Beispielen, die Röska-Hardy nennt, und dem Tontechniker-Beispiel ist gemeinsam, dass die Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke für das Gelingen der Handlung keine Rolle spielt. Relevant ist für den Tontechniker gerade nicht, was die Ausdrücke bedeuten, sondern es sind – wenn überhaupt – bestimmte phonetische Aspekte. Weil die Sprecher in den Beispielen von Röska-Hardy und auch der Tontechniker sich nicht mit dem jeweils Geäußerten auf etwas beziehen und etwas darüber aussagen wollen, kann bei diesen Äußerungen nicht von einem rhetischen oder propositionalen Akt gesprochen werden. Nun verwendet der Tontechniker sprachliche Ausdrücke, um eine Handlung zu vollziehen. Sollte seine Äußerung nicht aus diesem Grund als illokutionärer Akt bezeichnet werden? Folgt man den Ausführungen von Austin und Searle, muss diese Frage mit Nein beantwortet werden. Beide weisen, wie gezeigt wurde, ausdrücklich darauf hin, dass sie von einem illokutionären Akt sprechen wollen, wenn sprachliche Ausdrücke bedeutungsvoll verwendet werden. Das bloße Äußern sprachlicher Ausdrücke (zu welchem Zweck auch immer) kann demnach nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes angesehen werden. Es konnten also anhand der Beispiele zwei Arten von sprachlichen Äußerungen gefunden werden, die nicht als Sprechakte bezeichnet werden können. Im ersten Fall konnte die Äußerung aufgrund der fehlenden Absichtlichkeit nicht als Handlung und somit auch nicht als Sprechakt bezeichnet werden. Die Beispiele der anderen Art sind zwar absichtliches Verhalten und somit Handlungen, sprachliche Eigenschaften (Bedeutung und illokutionäre Kraft) sind in diesen Fällen aber suspendiert bzw. für das Gelingen der Handlung nicht relevant, insoweit kann auch bei diesen Fällen nicht von dem Vollzug eines Sprechakts gesprochen werden. Neben diesen beiden Arten sprachlicher Äußerungen, die nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes zählen, sollten noch die Äußerungen erwähnt werden, die als misslungene Versuche, einen illokutionären Akt zu vollziehen, angesehen werden müssen. Was diese Fälle aber von den beiden oben genannten unterscheidet ist, dass diese immerhin als Versuch, einen illokutionären Akt zu vollziehen, beschrieben werden können. Dies trifft auf die beiden zuvor genannten Fälle gerade nicht zu.
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Fiktionale Rede könnte als eine sprachliche Äußerung angesehen werden, mit welcher kein illokutionärer Akt vollzogen wird, wenn sie 1. wie der Tourette-Anfall beschrieben werden kann; in diesem Fall wäre die Äußerung keine Handlung. 2. eine bloße Sprechhandlung ist; in diesem Fall ist die Äußerung eine Handlung, ohne dass sie ein propositionaler/rhetischer und illokutionärer Akt ist. 3. als gescheiterter Versuch, illokutionäre Akte zu vollziehen, beschrieben werden könnte. Unstrittig ist wahrscheinlich, dass das Verfassen eines Romans in den meisten Fällen12 kein unabsichtliches Verhalten ist, wie es unter 1. beschrieben wurde. Insofern fiktionale Rede nicht als unabsichtliches Verhalten charakterisiert wird, ist z. B. das Schreiben eines Romans o. ä. eine Handlung, aber noch kein Sprechakt. Für die Fälle aus 2. ist kennzeichnend, dass die Handelnden das, was sie tun, absichtlich tun, und auch die Sprache absichtlich verwenden, nur in einer nicht herkömmlichen Weise. Die sprachlichen Äußerungen, die unter 2. fallen, unterscheiden sich dadurch von der üblichen Sprachverwendung, dass die Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke für den Vollzug der jeweiligen Handlung keine Rolle spielt. Der Autor fiktionaler Rede (der Romanautor z. B.) verwendet sprachliche Ausdrücke aber nicht in dieser Weise. Die in Romanen verwendeten Ausdrücke haben Bedeutung und die Bedeutung ist sowohl für den Vollzug der Handlung als auch für das Verstehen der Äußerung relevant. Also ist fiktionale Rede kein Fall von bloßen Sprechhandlungen. Searle als Vertreter der These, dass mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen wird, müsste dem deshalb zustimmen, da sein Hauptargument gegen die These, mit fiktionaler Rede würden eigene illokutionäre Akte vollzogen, lautet, dass dann die sprachlichen Ausdrücke eines fiktionalen Textes eine neue Bedeutung haben müssten, was aber nicht der Fall ist. Vielmehr haben die Ausdrücke die Bedeutungen, die sie auch in nicht-fiktionalen Kontexten haben.13 Fiktionale Rede als ein Fall von 3. zu beschreiben, ist ebenfalls sehr unplausibel: Wir unterstellen dem Autor (normalerweise) nicht, dass er beispielsweise die Absicht hat, etwas Wahres zu berichten und damit scheitert. Vielmehr gehen wir davon aus, dass der Autor die Absicht hat z. B. eine fiktionale Geschichte zu erzählen und diese Absicht erfolgreich verfolgt hat, wenn seine Rezipienten seine Äußerungen als fiktionale erkannt haben.
12 Es mag assoziatives Schreiben geben, das sich deutlich von der Arbeitsweise der meisten Romanautoren unterscheidet. Ob das Produkt eines solchen Schreibvorgangs ein fiktionaler Text und ob die Produktion dieses Textes als fiktionale Rede beschrieben werden kann, ist fraglich, daher beziehe ich mich an dieser Stelle nicht auf solche Formen des Schreibens. 13 Eingehender werde ich auf diesen Punkt in Kapitel 2.2.1 eingehen.
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1.2.2 Fiktionale Rede als Problem der Klassifikation illokutionärer Akte Im Folgenden werde ich Searles Klassifikation und zwei Merkmale, die Searle zur Unterscheidung der illokutionären Akttypen heranzieht, vorstellen. Diese Merkmale sind die so genannte Passensrichtung der geäußerten Proposition und die mentalen Zustände, die mit dem Vollzug illokutionärer Akte ausgedrückt werden. In einem letzten Schritt werde ich erläutern, inwiefern fiktionale Rede eine Schwierigkeit für diese Klassifikation darstellt. In A taxonomy of illocutionary acts entwickelt Searle eine Klassifikation und unterscheidet fünf grundlegende Typen illokutionärer Akte: 1. assertive illokutionäre Akte wie Behauptungen, Annahmen, Prognosen 2. direktive illokutionäre Akte wie Befehle oder Bitten 3. kommissive illokutionäre Akte wie Versprechen 4. expressive illokutionäre Akte wie Beileidsbekundungen oder Entschuldigungen 5. deklarative illokutionäre Akte wie Taufen, Heiraten, Kriegserklärungen Die so genannte Passensrichtung der geäußerten Proposition ist ein Merkmal, das Searle zur Unterscheidung dieser Typen heranzieht. Ein vollständiger Sprechakt besteht normalerweise aus dem Äußern einer Proposition und dem Vollzug eines illokutionären Aktes. Indem der Sprecher einen illokutionären Akt durch eine sprachliche Äußerung vollzieht, setzt er u. a. die ausgedrückte Proposition in ein bestimmtes Verhältnis zur Welt. Mit der Passensrichtung wird angegeben, in welchem Verhältnis die im Sprechakt ausgedrückte Proposition zur Welt steht. »The way in which a propositional content is related to a world of utterance we call its direction of fit.« (Searle, Vanderveken, 1985, S. 52) Unterschieden werden vier Arten der Passensrichtung14 : 1. die Wort-zu-Welt-Passensrichtung 2. die Welt-zu-Wort-Passensrichtung 3. die doppelte Passensrichtung 4. die leere Passensrichtung Wenn zwei Dinge zueinander passen, z. B. ein Schlüssel zu einem Schloss, scheint es sich dabei um eine symmetrische Relation zu handeln. Bei einer 14 Searle spricht von »word to world direction of fit« bzw. »world to word direction of fit«. Die Verwendung des Ausdrucks »word« scheint mir an dieser Stelle etwas unklar zu sein. Gemeint sein muss »Proposition« und nicht »Wort«, denn es geht ihm um das Verhältnis des Gehalts des Sprechakts, den ich Proposition nenne, zur Welt. Da die Formulierungen »Wortzu-Welt« und »Welt-zu-Wort« – vielleicht nur aus rhetorischen Gründen – auch im Deutschen üblich geworden sind, habe ich mich entschieden, diese zu übernehmen, möchte sie aber im gerade erläuterten Sinn verstanden wissen.
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solchen von einer Richtung zu sprechen, erscheint zunächst nicht sehr angemessen. Worin sollte ein interessanter Unterschied bestehen, wenn zwischen »Schlüssel-zu-Schloss«- oder »Schloss-zu-Schlüssel«-Passensrichtung unterschieden würde? Um zu verdeutlichen, wie sein Konzept der Passensrichtung von geäußerter Proposition zur Welt zu verstehen ist, verwendet Searle in Intentionality folgendes Bild: Since fitting is a symmetrical relationship it might seem puzzling that there can be different directions of fit. If a fits b, b fits a. Perhaps it will alleviate this worry to consider an uncontroversial nonlinguistic case: If Cinderella goes into a shoe store to buy a new pair of shoes, she takes her foot size as given and seeks shoes to fit (shoe-tofoot direction of fit). But when the prince seeks the owner of the shoe, he takes the shoe as given and seeks a foot to fit the shoe (foot-to-shoe direction of fit). (Searle, 1983, S. 8)
Analog zu der Frage, ob der Fuß oder der Schuh als gegeben angesehen wird und dementsprechend ein passender Schuh oder ein passender Fuß gesucht wird, ist die Frage bei Sprechakten: Ist ein Sachverhalt in der Welt gegeben und soll in einem Sprechakt die »passende« Proposition ausgedrückt werden, oder drückt der Sprecher einen Sachverhalt aus und dieser soll in der Welt verwirklicht werden? Die unterschiedlichen Passensrichtungen liefern vier Unterscheidungen: (1) Mit assertiven illokutionären Akten will der Sprecher etwas über die Welt sagen, diese illokutionären Akte haben daher die Wort-zu-Welt-Passensrichtung. Wenn ein Sprecher behauptet, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, will er diesen Sachverhalt, der unabhängig von seiner Äußerung in der Welt besteht, behaupten. Die Proposition, die der Sprecher behauptet, ist nur dann wahr, wenn Paris tatsächlich die Hauptstadt von Frankreich ist. (2) Die entgegengesetzte Richtung ist die Welt-zu-Wort-Passensrichtung, diese haben direktive und kommissive illokutionäre Akte. Mit dem Vollzug dieser Akte soll die Welt so verändert werden, dass sie dem ausgedrückten propositionalen Gehalt entspricht (»to get the world of the utterance to match the propositional content«, (Searle, Vanderveken, 1985, S. 93)). Äußert ein Sprecher die folgende Bitte: »Ich bitte dich, das Fenster zu öffnen.«, dann will er damit erreichen, dass die Welt in der Weise geändert wird, dass sie der geäußerten Proposition (dass das Fenster offen ist) entspricht. Kommissive und direktive illokutionäre Akte haben beide die Welt-zu-Wort-Passensrichtung. Diese Typen werden von Searle also nicht aufgrund der Passensrichtung, sondern aufgrund der unterschiedlichen illokutionären Folgen unterschieden. (3) Gemäß der Searleschen Klassifikation haben deklarative illokutionäre Akte die so genannte doppelte Passensrichtung. Deklarationen zeichnen sich gegenüber anderen illokutionären Akten dadurch aus, dass allein durch ihren erfolgreichen Vollzug die Welt so verändert wird, dass sie der geäußerten Pro-
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position entspricht. Wird z. B. ein Taufakt erfolgreich vollzogen, dann trägt das Kind nach der Taufe und ohne dass weitere Handlungen vollzogen werden müssten den entsprechenden Namen. (4) Durch expressive Sprechakte sollen solche Zustände wie Reue oder Freude ausgedrückt werden, jedoch nicht die Überzeugungen und Wünsche, die Zustände wie Reue und Freude beinhalten oder voraussetzen. Weil nur mentale Zustände ausgedrückt werden, haben expressive illokutionäre Akte die leere Passensrichtung. Searle zufolge werden nicht nur durch den Vollzug expressiver illokutionärer Akte mentale Zustände zum Ausdruck gebracht: In general, in the performance of any illocutionary act with a propositional content the speaker expresses some attitude, state, etc., to that propositional content. (Searle, 1975, S. 3)
Immer wenn in den Aufrichtigkeitsbedingungen eines illokutionären Aktes das Vorliegen eines bestimmten mentalen Zustandes gefordert wird, gilt der Vollzug dieses illokutionären Aktes als Ausdruck dieses Zustands. Mit assertiven Sprechakten bringt, Searle zufolge, ein Sprecher Überzeugungen zum Ausdruck; mit kommissiven seine Absichten; mit direktiven seine Wünsche. Diese mentalen Zustände werden auch dann durch den jeweiligen Sprechakt ausgedrückt, so Searle, wenn der Sprecher diesen Zustand gar nicht hat. In diesem Fall läge aber ein Verstoß gegen die Aufrichtigkeitsbedingungen vor. (Searle, 1975, S. 3) Diese Zustände werden offensichtlich nicht (oder zumindest nicht immer) in dem Sinn ausgedrückt, wie Propositionen ausgedrückt werden. Äußert ein Sprecher den Satz »Es regnet gerade.« und vollzieht damit einen assertiven illokutionären Akt, so darf der Adressat annehmen, dass der Sprecher eine Überzeugung mit dem gleichen Propositionalen Gehalt hat wie die Äußerung. Der Sprecher äußert aber gerade nicht explizit, dass er die entsprechende Überzeugung hat. Searles Formulierung sollte so verstanden werden, dass die Adressaten von Sprechakten berechtigterweise annehmen können, dass bei Sprechern ein dem ausgeführten illokutionären Akt entsprechender Zustand vorliegt. Die Annahme, dass Sprecher auf diese genannte Weise bestimmte mentale Zustände mit dem Vollzug illokutionärer Akte ausdrücken, ist die Grundlage für die Idee der Aufrichtigkeitsbedingungen illokutionärer Akte, wie sie bei Searle und Austin zu finden sind. Wer etwas verspricht, ohne die Absicht zu haben, die entsprechende Handlung auszuführen verstößt gegen die Aufrichtigkeitsbedingung kommissiver illokutionärer Akte. Zwar sorgen Verstöße gegen diese Bedingung dafür, dass der Vollzug des entsprechenden Aktes in dieser Hinsicht unredlich ist, trotzdem ist es ein Versprechen. Verstöße gegen die Aufrichtig-
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keitsbedingungen sorgen daher nicht dafür, dass mit der betreffenden Äußerung der betreffende illokutionäre Akt nicht oder nur in einem Versuchssinn ausgeführt würde. Auf die spezifischen Aufrichtigkeitsbedingungen für assertive Sprechakte werde ich im Kapitel 2.2.1 noch zu sprechen kommen. Searles Klassifikation ist nicht unkritisiert und ohne Gegenvorschläge geblieben.15 Wenn es Searles Anspruch ist eine Klassifikation und nicht nur Klassen von Sprechakten zu entwickeln, so muss dieser Versuch als gescheitert angesehen werden, da eine Klassifikation, zumindest nach Searles Vorschlägen, nicht die erforderliche Disjunktheit aufweisen würde. Searle nennt selbst als Beispiel illokutionärer Akte, die Merkmale von mehreren Klassen aufweisen, Richtersprüche. Sagt z. B. ein Schiedsrichter beim Fußballspiel »Dieser Ball ist im Aus.«, beschreibt er einerseits einen Sachverhalt, der unabhängig von seiner Äußerung in der Welt ist, nämlich dass der Ball über eine bestimmte Linie gerollt ist. Aber seine Äußerung ist auch insofern eine Deklaration, als der Ball nur dann als im Aus befindlich gilt, wenn er dies sagt. Searle nennt solche Sprechakte assertive Deklarationen. (Searle, 1979b, S. 20) Auch wenn also den Ansprüchen an eine Klassifikation nicht Genüge getan werden kann, helfen die hier vorgestellten Klassen dennoch dabei, eine gewisse Sortierung sprachlicher Handlungen vorzunehmen. Fiktionale Rede wirft vor diesem Hintergrund prima facie eine Reihe von Schwierigkeiten auf. Die grammatikalische Oberfläche der Sätze, die in fiktionalen narrativen Sätzen vorkommen, legt nahe, fiktionale Rede mit assertiven Sprechakten zu vergleichen. Liest man in Jane Austens Roman, dass Emma Woodhouse eine schlaue und attraktive Frau ist, sieht es zunächst aus, als würde von einer Frau, Emma Woodhouse, behauptet, sie sei schlau und attraktiv. Nun gibt es aber keine Frau, von der Jane Austen dies alles (scheinbar) behauptet. Auf diese Weise verstehen Leser des Romans diese Äußerung nicht und wir unterstellen der Romanautorin auch, dass sie nicht etwas über eine existierende Person behaupten wollte. Trifft dies alles zu, hat diese Äußerung nicht die Wortzu-Welt-Passensrichtung. Da mit sprachlichen Äußerungen auch keine Personen erschaffen werden können, scheint auch die Welt-zu-Wort-Passensrichtung und damit auch die doppelte Passensrichtung ausgeschlossen zu sein. So, wie Searle die leere Passensrichtung beschreibt, scheint diese ebenfalls nicht auf diese Äußerung zuzutreffen. Auch illokutionäre Folgen scheinen bei fiktionaler Rede nicht einzutreten. Es entsteht der Eindruck, dass fiktionale Rede in keine der Klassen illokutionärer Akte fällt. Wenn dem tatsächlich so wäre und es auch zuträfe, dass alle illokutionären Akte in eine dieser Klassen gehören, wäre damit 15 S. dazu u. a.: Ballmer, 1979; Schiffer, 1972; Ulkan, 1997 u. 1992. Ein Überblick über vorgebrachte Kritik an der Searleschen Klassifikation illokutionärer Akte findet sich bei Harras, 2004.
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gezeigt, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen würde. Vertreter dieser These könnten, so scheint es, ihre These dadurch untermauern, dass bei fiktionaler Rede die Aspekte, die in unterschiedlicher Ausprägung bei allen anderen illokutionären Akttypen vorgefunden werden können, fehlen. Austin erwähnt fiktionale Rede nicht explizit, es ist aber anzunehmen, dass diese nach seinem Verständnis unter den parasitären Gebrauch von Sprache (er spricht auch von »aetiolations«) fällt. Dieser Gebrauch von Sprache ist für ihn kein Vollzug irgendeines illokutionären Aktes. Auch Searle vertritt diese These.16 Wenn diese Charakterisierung der fiktionalen Rede zutrifft, dann liegt mit ihr ein Gebrauch von Sprache vor, der außerhalb der illokutionären Klassen liegt, die Searle vorstellt. Zweifel an dem fundamentalen Charakter des Fünf-Klassen-Modells illokutionärer Akte führt Vossenkuhl an und nennt bestimmte Arten des Betens und fiktionales Sprechen als Beispiele für Sprachverwendungen, die keiner der Klassen zugeordnet werden können. Damit gebe es Sprachverwendung, die durch dieses Modell nicht abgedeckt ist, womit klar werde, dass der Anspruch, ein fundamentales Modell von Sprachverwendung gefunden zu haben, nicht erfüllt werde. (Vossenkuhl, 1993, S. 92) Fiktionale Rede scheint in den Augen der Begründer der Sprechakttheorie ein Randphänomen der Sprachverwendung zu sein, das nicht als ein Sprechakt beschrieben werden kann (und auch nicht beschrieben werden muss). Tatsächlich, und diese Beobachtung werden nicht nur Literaturwissenschaftler machen, ist fiktionale Rede aber eine Art der Sprachverwendung, die in den meisten Kulturen einen sehr zentralen Stellenwert hat und fest im Alltag verankert ist: Kleinkindern werden Märchen erzählt, Schulkinder müssen fiktionale Texte im Unterricht lesen. Literarische Werke, denen ein besonderer Stellenwert in der Kultur beigemessen wird, sind meistens fiktionale Texte. Eine Theorie des Gebrauchs der Sprache sollte daher auch dieses Phänomen einschließen. Um dies zu ermöglichen, scheint es im Rahmen der Sprechakttheorie zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder muss die Anzahl der Klassen illokutionärer Akte so vergrößert werden, dass fiktionale Rede (sowie die von Vossenkuhl genannten Arten des Betens) einer Klasse zugeordnet werden kann, oder die Charakterisierung der fiktionalen Rede trifft nicht zu und muss neu formuliert werden, wodurch dann evtl. eine Zuordnung zu einer der bestehenden Klassen möglich würde. Einen Vorschlag der letztgenannten Art möchte ich in Kapitel 4 unterbreiten.
16 Da Searles These der fiktionalen Rede in Kapitel 2.2.1 ausführlich behandelt wird, findet an dieser Stelle nur eine grobe Einordnung seiner These statt.
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Die Terminologie der Sprechakttheorie
1.3
Der lokutionäre Akt
In der Searleschen Terminologie können vollständige Sprechakte als propositionale, illokutionäre und perlokutionäre Akte bezeichnet werden. Austins Terminologie unterscheidet sich insoweit, als er anstelle des propositionalen von einem lokutionären Akt spricht. Da ich im zweiten Teil dieser Arbeit auf Theorien fiktionaler Rede eingehe, die mit Austinscher Terminologie arbeiten, werde ich im Folgenden kurz erläutern, was Austin unter einem »lokutionären Akt« versteht. Mit der Bezeichnung »lokutionärer Akt« fasst Austin drei weitere Bezeichnungen für Aspekte einer sprachlichen Äußerung zusammen, nämlich den »phonethischen Akt«, den »phatischen Akt« und den »rhetischen Akt«. We had made three rough distinctions between the phonetic act, the phatic act, and the rhetic act. The phonetic act is merely the act of uttering certain noises. The phatic act is the uttering of certain vocables or words, i. e. noises of certain types, belonging to and as belonging to, a certain vocabulary, conforming to and as conforming to a certain grammar. The rhetic act is the performance of an act using those vocables with a certain more-or-less definite sense and reference. (Austin, 1976, S. 95)
Die Akte dürfen nicht als hintereinander zu vollziehende Handlungen verstanden werden. Vielmehr geht Austin von einer »indem-Relation« zwischen den einzelnen Akten aus: »Obviosly, to perform a phatic I must perform a phonetic act or, if you like, in performing one I am performing the other«. (Austin, 1976, S. 95f.) Es ist möglich, die sprachliche Äußerung als eine Handlung des Äußerns von Lauten zu beschreiben. Diese Handlung ist der phonetische Akt. Dann lässt sich sagen, dass diese Laute als Vokabeln einer Sprache und einer bestimmten Grammatik folgend verstanden werden können. Hört man beispielsweise das Gespräch zweier Menschen, deren Sprache man nicht mächtig ist, aber deren Sprache man identifizieren kann, dann nimmt man damit die sprachlichen Äußerungen der beiden Gesprächsteilnehmer als Äußern von Lauten, also als phonetischen Akt wahr. Man erkennt diese Laute als Vokabeln einer fremden Sprache, ohne aber zu wissen, worüber die beiden sprechen. Als Zuhörer kann man damit auch sagen, dass die beiden phatische Akte vollziehen. Sofern sie – und dies ist anzunehmen, nur kann der Zuhörer in obigem Beispiel dies nicht beurteilen – die verwendeten Ausdrücke bedeutungsvoll verwenden, vollziehen sie auch rhetische Akte: We may agree […] that to say is […] generally to perform the act of using that pheme or its constituents with a certain more or less definite ›sense‹ and a more or less definite ›reference‹ (which together are equivalent to ›meaning‹). This act we may call a ›rhetic‹ act, and the utterance which it is the act of uttering a ›rheme‹. (Austin, 1976, S. 93)
Der lokutionäre Akt
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Wie »sense« und »reference« und damit auch »meaning« an dieser Stelle zu verstehen sind, wird nicht klar. Die Terminologie von »sense« und »reference« lässt an Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung denken. Searle interpretiert Austins Ausdrücke in dieser Weise. (Searle, 1968, S. 419) Eike von Savigny übersetzt dagegen »reference« bzw. »to refer« mit »das Phem oder seine Bestandteile so benutzen, daß mehr oder weniger genau festliegt, wovon die Rede ist« und »sense« mit »was darüber gesagt wird«. (Austin übersetzt von von Savigny, 2002, S. 111.) In dieser Weise versteht auch Grewendorf Austins Terminologie: »Über etwas sprechen (reference) und etwas darüber sagen (sense) machen für Austin die Bedeutung (meaning) einer Äußerung aus.« (Grewendorf, 1976, S. 106) Eine solche Interpretation rückt Austins Konzeption des rhetischen Aktes deutlich näher an Referenz und Prädikation, wie Searle dies in seiner Konzeption des propositionalen Aktes annimmt. (s. dazu Kapitel 1.4). Auf die Schwierigkeiten, die sich aus diesen Unklarheiten ergeben, werde ich im folgenden Kapitel eingehen. Würde der Zuhörer die Äußerungen wiederholen, so ließen sich seine Äußerungen als phonetische und auch als phatische Akte bezeichnen. Da er die Bedeutung (in welchem Sinn »Bedeutung« hier auch immer zu verstehen sei) der Ausdrücke nicht kennt, vollzieht er aber keine rhetischen Akte, denn er kann diese Ausdrücke nicht verwenden, um sich mit ihnen auf etwas zu beziehen und etwas darüber zu sagen. Demnach ist es möglich, einen phonetischen Akt und einen phatischen Akt ohne einen rhetischen Akt zu vollziehen. Es ist aber nicht möglich, einen rhetischen Akt zu vollziehen, ohne dabei einen phatischen Akt zu vollziehen. Klarerweise bedürfen sowohl der phatische als auch der rhetische Akt irgendeiner Form der Äußerung. Austin geht in seinen Untersuchungen von mündlicher Kommunikation aus, daher spricht er von einem phonetischen Akt als Art der Äußerung. An dessen Stelle können aber auch andere, also gestische oder schriftliche Äußerungen treten: Can we perform a rhetic act without referring or without naming? In general it would seem that the answer is that we cannot, but there are puzzling cases. What is the reference in »all triangles have three sides«? Correspondingly, it is clear that we can perform a phatic act which is not a rhetic act, though not conversely. Thus we may repeat someone else’s remark or mumble over some sentence, or we may read a Latin sentence without knowing the meaning of the words. (Austin, 1976, S. 97)
Auf die im Zitat aufgeworfene Frage, wie Äußerungen, wie z. B. die Allaussage über Dreiecke, zu verstehen sind, geht Austin nicht weiter ein. Obwohl er offensichtlich keine Bedenken hat »Fachvokabular« zu benutzen, findet sich der Ausdruck »Proposition« in diesem Zusammenhang nicht. Searle setzt sich in dem Aufsatz Austin on locutionary and illocutionary acts kritisch mit Austins
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Konzeption des rhetischen Akts auseinander und ersetzt diese in seiner Theorie der Sprechakte durch den propositionalen Akt.
1.3.1 Bedeutung und illokutionärer Akt Nach der Veröffentlichung von How to do things with words gab es eine Reihe von Versuchen, das Verhältnis von Bedeutung und illokutionärer Rolle einer Äußerung zu klären. Im Zentrum der Debatte, die dieses Verhältnis zum Thema hat, stehen zwei Fragen: (1) Kann die Bedeutung von Sätzen mit Bezug auf illokutionäre Akte geklärt werden? (2) Kann die illokutionäre Rolle einer Äußerung mit Bezug auf die Bedeutung geklärt werden? Ich werde im Zusammenhang mit meiner Kritik an Searles Theorie fiktionaler Rede gegen das so genannte Determinationsprinzip argumentieren, das grob besagt, dass die Bedeutung der Ausdrücke einer Äußerung festlegen, welcher illokutionäre Akt mit ihr vollzogen wird. Im nun Folgenden werde ich einige Argumente erarbeiten, auf die ich dann im zweiten Kapitel dieser Arbeit zurückgreifen werde. Zu der ersten der oben genannten Fragen wurden folgende Positionen vertreten: 1. Bedeutung kann mit Bezug auf die illokutionären Akte geklärt werden. (Alston, 2000) 2. Es gibt illokutionäre Akte, aber der Versuch, Bedeutung mit Bezug auf diese zu klären, wäre zirkulär. (Holdcroft, 1964) 3. Es gibt illokutionäre Akte, aber sie sind von der Bedeutung verschieden, und können (vermutlich) zur Bedeutungsklärung nicht herangezogen werden. (Austin, 1976) 4. Weil es keine illokutionären Akte gibt, kann auch die Bedeutung nicht mit Bezug auf sie geklärt werden. (Cohen, 1969) Bezüglich der zweiten Frage wurden folgende Positionen vertreten: 5. Welche illokutionäre Rolle eine Äußerung hat, hängt u. a. von der Bedeutung ab. (Austin, 1976) 6. Welche illokutionäre Rolle eine Äußerung hat, hängt allein von der Bedeutung ab. (Searle, 1968; Hare, 1972) 7. Es gibt keinen Aspekt von Äußerungen, der sich im Unterschied zur Bedeutung als illokutionäre Rolle beschreiben lässt. (Cohen, 1969) Im Folgenden werde ich die Positionen von Searle und Cohen vorstellen, da die beiden Autoren mit ihren Untersuchungen gewissermaßen zu entgegengesetzten Ergebnissen kommen: Gemäß Searle kann die Unterscheidung von loku-
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tionärem und illokutionärem Akt nicht aufrechterhalten werden. Er schlägt die Eliminierung des Konzepts des rhetischen Aktes vor. An dessen Stelle setzt er den so genannten propositionalen Akt. Cohen teilt zwar Searles Einschätzung bzgl. der Austinschen Unterscheidung, gelangt aber zu dem Ergebnis, dass es keinen illokutionären Akt gibt, Sprechakte also vollständig ohne diesen beschrieben werden können. In seinem Aufsatz Austin on locutionary and illocutionary acts (1968) vertritt Searle die These, dass die illokutionäre Rolle einer Äußerung durch die Bedeutung determiniert wird. Im Zusammenhang mit dieser These kritisiert er Austins Konzeption des rhetischen Aktes. Der rhetische Akt, so Searle, ist nie ohne den illokutionären Akt vom gesamten Sprechakt zu abstrahieren. Auch kann über ihn nicht berichtet werden, ohne dass nicht auch über den illokutionären Akt berichtet würde. Dies führe schließlich dazu, dass die Unterscheidung von lokutionärem und illokutionärem Akt, so wie Austin dies vorschlägt, nicht aufrechterhalten werden kann. Den ersten Einwand, den Searle gegen die Lokutionär-illokutionär-Unterscheidung Austins anbringt, ist der, dass die beiden Akte bei explizit performativen Äußerungen nicht gänzlich voneinander getrennt betrachtet werden können. Searle wählt als Beispiel die explizit performative Äußerung »I hereby promise that I am going to do it«. Bei ernsthafter und wörtlicher Verwendung kann diese Äußerung nur ein Versprechen sein. Würde der Ausdruck »promise« wörtlich gemeint, bedeute dies, dass der Sprecher mit »I promise« nicht einfach nur sage, dass er etwas verspreche, sondern, indem er dies sage, etwas verspreche. Damit zeige sich, dass die Bedeutung des Satzes (meaning of the sentence) die illokutionäre Kraft der Äußerung determiniert. Die Bedeutung der Ausdrücke soll aber gemäß Austin ein Aspekt des lokutionären Aktes sein. Weil die Bedeutung die illokutionäre Kraft bestimmt, so Searle, ist die Beschreibung dieser Äußerung als geglückter Akt auch eine Beschreibung der illokutionären Kraft der Äußerung. Somit handele es sich hierbei um ein und denselben Akt. Wenn also eine bestimmte illokutionäre Kraft Teil der Bedeutung ist, weil die Bedeutung genau diese illokutionäre Kraft determiniert, gibt es nicht zwei verschiedene Akte, vielmehr sind die Bezeichnungen »lokutionärer« und »illokutionärer Akt« zwei Bezeichnungen für den gleichen Akt. The description of the act as a happily performed locutionary act, since it involves the meaning of the sentence, is already a description of the illocutionary act, since a particular illocutionary act is determined by that meaning. They are one and the same act. Uttering the sentence with a certain meaning is, Austin tells us, performing a certain illocutionary act; but where a certain force is part of the meaning, where the meaning uniquely determines a particular force, there are not two different acts but two different labels for the same act. (Searle, 1968, S. 407)
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Searle glaubt, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, den lokutionären Akt vom gesamten Sprechakt zu abstrahieren, wenn die Äußerung ein performatives Verb beinhaltet. Damit will Searle nun gezeigt haben, dass die Unterscheidung zwischen den lokutionären und illokutionären Akten nicht allgemein für alle Äußerungen angenommen werden kann, da es lokutionäre Akte gebe, nämlich explizit performative Äußerungen, die illokutionäre Akte seien. (Searle, 1968. S. 408) Searle nennt eine Möglichkeit, die Unterscheidung zu retten, die er aber als uninteressant zurückweist. Dabei geht er auf die unterschiedlichen Gelingensbedingungen ein, die es für die beiden zu unterscheidenden Akte gibt. So ist es möglich, den genannten Beispielsatz (die explizit performative Äußerung »I hereby promise that I am going to do it«) erfolgreich zu äußern, der illokutionäre Akt muss damit aber noch nicht geglückt sein.17 So könnte auch ein explizit performativ geäußerter Befehl verunglücken, wenn der Sprecher beispielsweise überhaupt keine Befehlsgewalt hat. Da es also sein kann, dass auch bei einer explizit performativen Äußerung ein lokutionärer Akt gelingt, der illokutionäre Akt aber misslingt, könnte die Unterscheidung als gerettet angesehen werden. Doch Searle versucht diesen Einwand zu entkräften, indem er behauptet, dass somit die Lokutionär-illokutionär-Unterscheidung heruntergebrochen würde auf die Unterscheidung von einerseits versuchten, aber verunglückten und andererseits geglückten Ausführungen illokutionärer Akte: »First, it reduces the locutionary-illocutionary distinction to a distinction between trying and succeeding in performing an illocutionary act.« (Searle, 1968, S. 409) Des Weiteren gebe es plötzlich zwei verschiedene Unterscheidungen: Die Unterscheidung zwischen Versuch und Erfolg und die ursprüngliche Unterscheidung zwischen einer Äußerung mit einer bestimmten Bedeutung und der Äußerung mit einer bestimmten Kraft. Es gibt also zwei verschiedene Unterscheidungsmöglichkeiten, die erste ist interessant aber nicht disjunkt, die zweite ist disjunkt aber uninteressant. (Searle, 1968, S. 410) Searles Hauptargument gegen die Unterscheidung von lokutionärem und illokutionärem Akt lautet bis zu dieser Stelle, dass die Bedeutung, als Teil des lokutionären Aktes, die illokutionäre Rolle explizit performativer Äußerungen determiniert. Um die Unterscheidung von phatischem und rhetischem Akt zu verdeutli17 Als ein Beispiel für ein Misslingen des illokutionären Aktes führt Searle neben dem Beispiel des Befehls folgenden Fall an: Ein Sprecher äußert einen Satz, doch der Adressat hört ihn nicht. In diesem Fall soll der lokutionäre Akt erfolgreich vollzogen worden sein. Dies scheint mir klarerweise nicht der Fall zu sein, denn der phonetische Akt, Teil des lokutionären Aktes, wurde hier nicht erfolgreich ausgeführt. Damit bei einer mündlichen Äußerung phatischer und rhetischer Akt glücken können, muss aber der phonetische Akt erfolgreich ausgeführt sein. Daher kann dieses Beispiel nicht als Fall eines geglückten lokutionären Aktes angesehen werden.
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chen, wählt Austin zwei unterschiedliche Arten, um von den beiden Akten zu berichten: Die oratio recta wählt er für den phatischen Akt, die oratio obliqua für den rhetischen Akt. Die oratio obliqua soll verdeutlichen, dass hier von einer bedeutungsvollen Äußerung berichtet wird (im Gegensatz zum phatischen Akt). Beispiele, die Austin wählt, lauten: »He said ›The cat is on the mat‹«, »He said (that) the cat was on the mat«; »He said ›I shall be there‹«, »He said he would be there«; »He said ›Get out‹«, »He told me to get out«; »He said ›Is it in Oxford or Cambridge?‹«, »He asked whether it was in Oxford or Cambridge«. (Austin, 1976, S. 95)
Wie diese Beispiele zeigen, muss aber die korrekte Formulierung einer oratio obliqua für einen Frage- oder Imperativ-Satz mit einem entsprechenden illokutionären Verb eingeleitet werden. D.h., dass grundsätzlich bei Berichten über den rhetischen Akt illokutionäre Verben verwendet werden. Verben wie »fragen« oder »sagen«, wie Austin sie in seinen Beispielen gewählt hat, spezifizieren den illokutionären Akt zwar nicht sehr genau, dennoch sind es illokutionäre Verben: The verbs in Austin’s examples of indirect speech reports of rhetic acts are all illocutionary verbs of a very general kind, which stand in relation to the verb in his reports of illocutionary acts as genus to species. That is, there are different species of the genus telling someone to do something – for example ordering, requesting, commanding – but ›tell … to …‹ is as much an illocutionary verb as any of these others, and a little reflection will show that it meets Austin’s criteria for illocutionary verbs. (Searle, 1968, S. 411)
Weil für eine vollständige und korrekte Formulierung der oratio obliqua ein illokutionäres Verb verwendet wird, gibt es, so Searle, keine Möglichkeit, von einem rhetischen Akt zu berichten, ohne gleichzeitig von einem illokutionären Akt zu berichten. Mit Redeberichtsanfängen wie »Er fragte, ob…«, »Er befahl, dass…«, »Er stellte fest, dass…« wird schon über den illokutionären Akt berichtet, den der Sprecher mit der gesamten Äußerung vollzogen hat. Diese Einsicht führt dazu, dass Searles Einwand gegen die Lokutionär-illokutionärUnterscheidung noch verschärft werden muss. Nicht nur bei explizit performativen Äußerungen kann der rhetische Akt nicht abstrahiert werden, ohne dass damit auch der illokutionäre Akt vom gesamten Sprechakt abstrahiert würde, dies trifft auch auf implizit performative Äußerungen zu. Denn auch bei einem Bericht über eine implizit performative Äußerung muss der Bericht ein illokutionäres Verb enthalten. Aus dem Umstand, dass nicht neutral hinsichtlich der illokutionären Rolle über einen rhetischen Akt berichtet werden kann, leitet Searle die These ab, dass es keinen Satz gibt, der gänzlich neutral hinsichtlich einer illokutionären Kraft ist. Jeder Satz hat ein illokutionäres Potential. So
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beinhalten schon die grammatikalischen Satzarten (indikative, interrogative und imperative Sätze) Determinanten für eine bestimmte illokutionäre Kraft. Since a rhetic act involves the utterance of a sentence with a certain meaning and the sentence invariably as part of its meaning contains some indicator of illocutionary force, no utterance of a sentence with its meaning is completely force-neutral. Every serious literal utterance is to say that every rhetic act is an illocutionary act. (Searle, 1968, S. 413)
Die Satzbedeutung setzt sich, so Searle, aus allen bedeutungsvollen Komponenten einer sprachlichen Äußerung zusammen. Bedeutungsvolle Komponenten sind nicht nur Wörter und Morpheme, sondern auch Betonung, Satzmelodie und syntaktische Tiefenstruktur seien Elemente, die die Bedeutung einer Äußerung bestimmen. (Searle, 1968, S. 416) Eine vollständige Trennung von Bedeutung und illokutionärer Kraft könne nicht angenommen werden: So there could not, according to my analysis, be a general and mutually exclusive distinction between the meaning and the force of literal utterances, both because the force which the speaker intends can in principle always be given an exact expression in a sentence with a particular meaning, and because the meaning of every sentence already contains some determiners of illocutionary force. (Searle, 1968, S. 418)
Während Bedeutung und illokutionäre Kraft, laut Searle, nicht gänzlich getrennt betrachtet werden können, gibt es aber eine Unterscheidung, bei der dies möglich sei: An einem Sprechakt lasse sich der illokutionäre Akttyp (wobei die Äußerung ein Token dieses Typs ist) von dem Inhalt der Äußerung unterscheiden. Den Inhalt einer Äußerung nennt Searle Proposition. Eine konkrete sprachliche Äußerung kann als der Vollzug eines illokutionären Aktes und als das Äußern einer Proposition beschrieben werden. Das Äußern einer Proposition nennt er den propositionalen Akt. Im Gegensatz zum rhetischen Akt sei eine Proposition neutral hinsichtlich der illokutionären Kraft. Das Äußern ein und derselben Proposition (d. h. der Vollzug propositionaler Akt-Tokens von demselben Typ) kann zusammen mit dem Vollzug unterschiedlicher illokutionärer Akttypen einhergehen. Searles Argumentation wirft einige Fragen auf: 1. Was kann als Bedeutungsträger bei einer sprachlichen Äußerung aufgefasst werden? Was umfasst der Begriff »Bedeutung« bei Searle? 2. Inwieweit hängt Searles These von seinem Bedeutungsbegriff ab? Mit diesen Fragen werde ich mich im Folgenden beschäftigen; zudem werde ich mich sowohl mit Searles These(n) kritisch auseinandersetzen, als auch mit Austins Konzeption des rhetischen Akts. Dabei möchte ich auf Schwierigkeiten dieser Konzeption hinweisen, die Searle nicht aufgezeigt hat. Zu 1) Elemente, die (im Austinschen Sinn) Bedeutung haben können, sind
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Pheme. Ein Phem ist das, was durch einen phatischen Akt geäußert wird, nämlich Geräusche, die als Vokabeln geäußert werden, und zwar in einer bestimmten Konstruktion, die einer Grammatik entspricht. Austin scheint, ohne dass dies explizit ausgeschlossen würde, Betonung und Satzmelodie nicht als bedeutungstragende Elemente einer Äußerung anzusehen. Austin erwähnt Intonation nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit seiner Darstellung des phatischen Aktes, ohne aber zu klären, welche Rolle Intonation an dieser Stelle spielt: »Yet a further point arising is the intonation as well as grammar and vocabulary.« (Austin, 1976, S. 96) Einen Interpretationsvorschlag dafür, was bei Austin unter Bedeutung verstanden werden sollte, liefert Grewendorf. Er unterscheidet Bedeutung beim phatischen Akt von Bedeutung beim rhetischen Akt. Nur letzteres nennt Austin, wie bereits erwähnt, Bedeutung. Glückt der phatische Akt, so ist die Äußerung ein sinnvolles Phem und »das heißt [ein] Bedeutung habende[r] Ausdruck einer Sprache« (Grewendorf, 1976, S. 108). Dass ein sinnvoller sprachlicher Ausdruck vorliegt, heißt nach Grewendorf, dass mit diesem ein illokutionärer Akt vollzogen werden kann. Austin sagt, dass das Phem dazu verwendet werden kann, um damit etwas über etwas zu sagen. Was mit »Die Bank…« gemeint ist, hängt von den Umständen der Äußerung ab, ebenso wie die Frage, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird. Ein Phem, das dazu verwendet wird, um auf etwas bestimmtes Bezug zu nehmen, nennt Austin Rhem. Welches Rhem geäußert wird, hängt also davon ab, welches Phem in welcher Situation geäußert wird. Mit einem Phem können verschiedene rhetische Akte vollzogen werden. Grewendorf spricht von einem rhetischen-Akt-Potential eines Phems. (Grewendorf, 1976, S. 109) Aber nicht jedes Phem muss ein Potential für einen rhetischen Akt haben, um ein sinnvoller Ausdruck zu sein. Dass aber ein Ausdruck phematische Bedeutung besitzt, sei Voraussetzung dafür, dass er rhematische Bedeutung haben kann. Alle sinnvollen sprachlichen Ausdrücke (Pheme) besitzen phematische Bedeutung (ein illokutionäres Akt-Potential); einige (nicht alle) dieser Pheme besitzen ein rhetisches Akt-Potential. Daß ein Ausdruck im Austinschen Sinne Bedeutung hat, heißt, daß es sich um ein in einer bestimmten Situation geäußertes Phem des letzteren Types handelt. Über etwas zu reden und etwas darüber zu sagen, ist also lediglich eine spezielle Gebrauchsweise von Phemen. (Grewendorf, 1976, S. 109)
Demzufolge kann nicht jede Äußerung, die als phatischer Akt bezeichnet wird, auch als rhetischer Akt bezeichnet werden. Grewendorf scheint davon auszugehen, dass das Glücken des phatischen Aktes eine notwendige Voraussetzung für das Glücken eines (sprachlich ausgeführten) illokutionären Aktes ist. Diese
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These ist jedoch zu stark, wie folgendes Beispiel zeigen soll: Äußert ein Sprecher »Ich verspreche dich morgen zu kommen.« ist diese Äußerung aufgrund des Grammatikfehlers kein geglückter phatischer Akt. Mit dieser Äußerung kann aber durchaus unter geeigneten Umständen ein Versprechen abgegeben werden. Die Fehler, die auf dieser Ebene gemacht werden können, dürfen nur nicht so gravierend sein, dass die Äußerung nicht mehr verständlich ist. Searles Begriff von Bedeutung ist offensichtlich weiter als der (unklare) Begriff Austins: Bedeutung bei Searle scheint phematische und rhematische Bedeutung zu umfassen. Wenn er von der Bedeutung eines Satzes spricht, scheint er darüber hinaus auch die illokutionäre Rolle der Äußerung mit einzubeziehen. Wenn aber Bedeutung bei Searle auch die illokutionäre Rolle einer Äußerung umfasst, ist es kein überraschendes Ergebnis, dass eine Untersuchung einer Äußerung hinsichtlich der Bedeutung von einer Untersuchung hinsichtlich der illokutionären Rolle nicht getrennt werden kann. Da Searle die Unterscheidung von Äußerung und Geäußertem nicht vornimmt, kommt er zu dem Ergebnis, dass Sätze Elemente wie Satzmelodie und Betonung haben, die Bedeutung haben. »Bedeutung« scheint in diesen Fällen zu heißen, dass diese Elemente die illokutionäre Rolle anzeigen. Die illokutionäre Rolle wird in konkreten Äußerungen tatsächlich häufig durch Komponenten der Äußerung, wie Betonung und Satzmelodie, durch den Sprecher verdeutlicht. Ebenfalls können diese Aspekte für phematische und rhematische Bedeutung einer Äußerung eine Rolle spielen. Ein Sprecher könnte z. B. durch die Betonung eines Ausdrucks deutlich machen, auf welchen Gegenstand er mit diesem Bezug nimmt. Es bleibt aber das Phem und nicht die Betonung usw., die eine rhetische Bedeutung in der konkreten Äußerung erhält. Zu 2) Warnock weist auf Folgendes hin: Auch wenn jeder sinnvolle Satz aufgrund seiner Bedeutung zum Vollzug eines bestimmten illokutionären Aktes verwendet werden kann, folgt daraus nicht, dass sich eine Untersuchung der Bedeutung (sowohl phematischer wie rhematischer Bedeutung) nicht prinzipiell von der Untersuchung dieser illokutionären Akte unterscheidet (Warnock, 1971). Denn die Untersuchung des illokutionären Aktes berücksichtige wesentlich mehr als nur die Bedeutung von Sätzen. Diesem Einwand kann Searle zunächst insoweit entgehen, als er »Bedeutung« weiter fasst und mehr als nur Sinn und Referenz darunter versteht. Bei der Untersuchung eines illokutionären Aktes werden aber auch Aspekte wie der Äußerungskontext und Eigenschaften des Sprechers (z. B. über eine bestimmte Autorität zu verfügen, ein Amt innezuhaben usw.) mit berücksichtigt. Solche Aspekte scheint aber auch Searle nicht der Bedeutung einer Äußerung zuzurechnen. Das heißt dass Searle aus der trivialen Tatsache, dass der illokutionäre Akt durch die Bedeutung mit-bestimmt wird, schließt, dass keine Unterscheidung zwischen rhetischem und illokutionärem Akt möglich ist.
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Warnock macht noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Es ist häufig nicht der Fall, dass die Bedeutung eines Satzes schon die Rolle der Äußerung erkennen lässt (s. Warnock, 1971, S. 83). Dass in einigen Fällen die Bedeutung einer Äußerung nicht ausreicht, um den illokutionären Akt genau zu bestimmen, sieht Searle auch. Er scheint, gemäß seiner hier vorgestellten Argumentation, solche Äußerungen dann aber als Äußerungen mit einer nicht näher bestimmbaren illokutionären Rolle anzusehen. Würden aber Äußerungskontext und Eigenschaften des Sprechers bei der Analyse des illokutionären Aktes berücksichtigt, ließe sich in vielen Fällen eine genauere Bestimmung der illokutionären Rolle der Äußerung vornehmen, als es ohne diese Berücksichtigung möglich wäre. Ein weiteres Problem, das sich bei Searle zeigt, ist, dass nicht zwischen der illokutionären Kraft einer Äußerung und dem illokutionären Akt, der mit einer Äußerung vollzogen wird (oder werden kann) unterschieden wird. Nicht jede Äußerung eignet sich (gleichermaßen) zum Vollzug eines jeden illokutionären Akttyps. So hat z. B. der Satz »Deine Nase ist riesig und hässlich!« – sofern er wörtlich gemeint ist – kaum das Potential, für ein Kompliment benutzt zu werden, auch nicht für eine Taufe oder eine Amtsernennung. Dieses Potential einer Äußerung, mit ihr einen illokutionären Akt zu vollziehen, nenne ich illokutionäres Akt-Potential. Wenn Searle davon spricht, dass Sätze eine illokutionäre Kraft oder Rolle haben, dann kann dies nur heißen, dass diese Sätze sich eignen, um mit ihrer Äußerung einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen. Das illokutionäre Potential eines Satzes oder sprachlicher Ausdrücke wird durch die Bedeutung bestimmt. Der mit der Äußerung des Satzes ausgeführte illokutionäre Akt wird durch die Bedeutung, aber auch durch phonetische Aspekte wie Betonung usw. bestimmt. »Illokutionärer Akt« ist aber eine Bezeichnung für eine Handlung, die nicht verwechselt werden darf mit den Mitteln, die gebraucht werden, um diese Handlung auszuführen. Da es sich bei den hier betrachteten illokutionären Akten um sprachlich ausgeführte illokutionäre Akte handelt, sind die Mittel, die zur Ausführung der Handlung gewählt werden, (vorwiegend) sprachliche Ausdrücke. Es sollte daher, um Unklarheiten zu vermeiden, zwischen den Handlungen, die ausgeführt werden, und den Mitteln, die gebraucht werden, um diese Handlungen durchzuführen, unterschieden werden. Auch wenn die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, z. B. die wörtliche Bedeutung des illokutionären Verbs, die illokutionäre Rolle der Äußerung determiniert, kann doch zwischen Determinanten und Determiniertem unterschieden werden. Die Determinanten sind die verwendeten sprachlichen Ausdrücke und ihre Bedeutung, determiniert wird durch sie die Handlung, die mit ihrer Hilfe ausgeführt wird. Laut Searle ist die einzige Möglichkeit die Unterscheidung von lokutionärem und illokutionärem Akt aufrechtzuerhalten die, dass darunter die Unterschei-
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dung zwischen versuchten und geglückten illokutionären Akten verstanden wird. Dass dies nicht zutreffend ist, soll mit folgendem Beispiel gezeigt werden: Äußert ein Sprecher, für den Adressaten verständlich und gut hörbar, den Satz »Ich verspreche dir, dass morgen die Sonne scheint.« so ist ihm damit ein phonetischer, phatischer und auch ein rhetischer Akt geglückt. Der Versuch ein Versprechen abzugeben, ist jedoch gescheitert, da ernsthafterweise kein Versprechen abgegeben werden kann über Sachverhalte, die außerhalb dessen liegen, was der Sprecher beeinflussen kann. Es können also unterschiedliche Gelingensbedingungen für den Vollzug eines lokutionären und den Vollzug eines illokutionären Aktes angegeben werden. Nur, weil ein performatives Verb wörtlich verwendet wird, folgt nicht, dass der illokutionäre Akt, der mit der gesamten Äußerung vollzogen werden soll, auch glückt. Searle hält Austins Unterscheidung von lokutionärem und illokutionärem Akt für unmöglich, weil (1) der rhetische Akt offensichtlich nicht ausgeführt werden kann, ohne dass auch ein illokutionärer Akt ausgeführt wird und weil (2) über den rhetischen Akt in oratio obliqua nicht berichtet werden kann, ohne dass damit auch über den Vollzug des illokutionären Aktes berichtet würde. Die starke These, dass ein rhetischer Akt nicht ohne einen illokutionären Akt ausgeführt werden kann, vertritt Austin nicht. Allerdings geht er davon aus, dass es gewöhnlich (bei geglückten Sprechakten) der Fall ist, dass mit einer Äußerung ein rhetischer und ein illokutionärer Akt ausgeführt wird. (1) kann daher nicht als eine Kritik an Austin verstanden werden. Austins These lautet, dass eine Äußerung (Token) hinsichtlich verschiedener Aspekte betrachtet werden kann bzw. als Vollzug verschiedener Handlungstypen (im Hinblick auf verschiedene Aspekte) beschrieben werden kann. Sofern diese Aspekte individuiert werden können, was hier heißt, dass unterschiedliche Gelingensbedingungen aufgeführt werden können, und dies ist bei rhetischem und illokutionärem Akt der Fall, handelt es sich um Aspekte, die voneinander unterscheidbar sind. Anhand der unterschiedlichen Gelingensbedingungen sind rhetischer und illokutionärer Akt auch dann zu unterscheiden, wenn beide glücken. Denn eine Äußerung kann als Vollzug verschiedener Handlungstypen beschrieben werden, sofern die Handlungstypen individuierbar sind und die Äußerung entsprechende Merkmale aufweist, die sie als Token des entsprechenden Typs auszeichnet. Eine Reduzierung der Austinschen Unterscheidung auf eine Unterscheidung zwischen geglückten und verunglückten illokutionären Akten, wie Searle dies vorschlägt, kann daher nicht vorgenommen werden. Ebenfalls können die unterschiedlichen Gelingensbedingungen der beiden Akte herangezogen werden, um über diese Akte zu sprechen und sie getrennt zu analysieren, auch wenn beide in oratio obliqua wiedergegeben werden.18 18 Ähnliche Argumente gegen die These, illokutionäre Akte können von rhetischen Akten nicht
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Wie Searle versucht auch Cohen zu zeigen, dass sich illokutionäre Rolle und Bedeutung einer Äußerung nicht sinnvoll unterscheiden lassen. Daher soll die Austinsche Distinktion von rhetischem und illokutionärem Akt aufgegeben werden. Während Searle jedoch versucht, den rhetischen Akt zu eliminieren, versucht Cohen zu zeigen, dass die Annahme eines illokutionären Aktes überflüssig und daher zu verwerfen ist. Äußerungen besitzen nach Cohen keine von der Bedeutung zu unterscheidende illokutionäre Rolle. Ausgangspunkt von Cohens Argumentation ist Austins These, dass mit jedem lokutionären Akt auch ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Daher folgert Cohen, dass man mit Äußerungen wie »Ich danke dir.« einen lokutionären und damit auch einen rhetischen Akt vollzieht. Wenn diese Äußerungen aber ein Rhem und damit Bedeutung besitzen, dann auch in dem Fall, wenn sie nicht um einen Dass-Satz erweitert werden (»Ich danke dir dafür, dass du mit dem Hund spazieren warst.«). Cohen scheint daher zunächst davon auszugehen, dass gemäß Austin, mit dem performativen Teil einer performativen Äußerung (z. B. »Ich protestiere«, »ich befehle«, »ich verspreche«) kein rhetischer Akt vollzogen wird, sondern (in diesen Fällen) nur mit dem Äußern der Ausdrücke, die im Dass-Satz folgen. Trifft diese Interpretation zu, so gibt es Bedeutung im Austinschen Sinn nur in diesen dass-Sätzen bei explizit performativen Äußerungen. Cohen selbst vertritt jedoch die These, dass die Bedeutung dieser Äußerungen nicht allein in dem Dass-Satz liegt. Cohens These ist, dass die Bedeutung einer explizit performativen Äußerung allein in der illokutionären Rolle liegt: When you say ›I protest‹, you are not describing your protest nor reporting it. You are just protesting. If your utterance is to be assigned a meaning of any kind, this meaning must be of a performative kind. The meaning lies solely in the making of the protest. (Cohen, 1969, S. 122)
unterschieden werden, finden sich bei Thau, 1972 und Frye, 1973. Allerdings befassen diese beiden Autoren sich mit Cohens Position, die aber eben diese These auch enthält: Frye unterscheidet bei seiner Explikation des Ausdrucks »die Äußerung verstehen« zwischen »den geäußerten Satz verstehen« und »verstehen, was der Sprecher gesagt hat« und »verstehen, welchen illokutionären Akt der Sprecher vollzogen hat«. Cohens These, illokutionäre Rolle und Bedeutung seien nicht zu unterschieden, scheitert, nach Frye, weil es Verständnisschwierigkeiten gibt, die im geäußerten Satz begründet liegen und solchen, die in dem Akt der Äußerung des Satzes begründet liegen. Thau erhebt die Forderung, nicht nur zwischen den Arten der Verständnisschwierigkeiten zu unterscheiden, sondern auch zwischen den Konsequenzen, die sich daraus ergeben (Thau, 1972). Er wirft Cohen vor, er komme zu seiner These, es gebe keine illokutionäre Rolle, nur, weil er nicht unterscheidet zwischen den verschiedenen Arten, auf die eine Äußerung unklar sein kann (also bzgl. »sense«, »reference« und »force«) und den verschiedenen Arten, auf die sie illokutionär verunglücken können.
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Cohens Argumentation verläuft ähnlich wie die Searles. Zunächst versucht Cohen zu zeigen, dass bei explizit performativen Äußerungen zwischen Bedeutung und illokutionärer Rolle der Äußerung nicht unterschieden werden kann. In einem zweiten Schritt wird die These der Ununterscheidbarkeit auf implizit performative Äußerungen ausgeweitet. Wenn es zutrifft, so Cohens Austin-Interpretation, dass mit Äußerungen, die nur eine performative Formel enthalten (»Ich protestiere«, »Ich gratuliere dir«, »Ich grüße dich«), auch ein lokutionärer Akt vollzogen wird, dann müssen die in diesen Äußerungen verwendeten Ausdrücke sowohl Bedeutung als auch eine illokutionäre Kraft haben. Zum einen ist an dieser These Folgendes festzustellen: Cohen spricht hier von der illokutionären Kraft von Ausdrücken (illocutionary force). Mit der Unterscheidung von phematischer und rhematischer Bedeutung lässt sich Cohens These folgendermaßen erklären: Wenn Ausdrücke phematische Bedeutung haben, heißt dies, dass sie das Potential haben, dass mit ihnen ein illokutionärer Akt ausgeführt werden kann. Wenn unter illokutionärer Kraft verstanden wird, dass diese Ausdrücke sich zum Ausführen eines bestimmten Aktes eignen, kann Cohens These zugestimmt werden: Die illokutionäre Kraft, also das Potential einen illokutionären Akt auszuführen, ist Bestandteil der Bedeutung.19 Dies heißt aber nicht, dass die Äußerung eines bedeutungsvollen Ausdrucks und das Ausführen eines illokutionären Aktes identisch sind. Gegen diese These habe ich bereits in der Auseinandersetzung mit Searles Kritik an Austins Thesen argumentiert. Allerdings wird an dieser Stelle erneut deutlich, wie unklar die Termini »Bedeutung« und »rhetischer Akt« von Austin verwendet werden, denn auch Cohen steht vor der Schwierigkeit, interpretieren zu müssen, wie die Termini »sense« und »reference« gerade bei explizit performativen Äußerungen von Austin gebraucht werden. First, it is not clear why one should not suppose the expression ›I warn you‹ to refer both to the speaker and to the addressee of the utterance; and if the personal pronouns ›I‹ and ›you‹ enable it to have this reference one might also suspect the verb ›warn‹ to give it a sense. (Cohen, 1969, S. 121f.)
Wenn auch performative Formeln »sense« und »reference« haben, dann kann die These, Bedeutung sei nur in einem auf eine solche Formel folgenden DassSatz zu finden, nicht weiter vertreten werden. Weil Austin sich zu dieser Frage nicht äußert, kann nicht zufriedenstellend geklärt werden, ob der rhetische Akt eine Handlung ist, die (1) durch das Äußern von nur performativen Formeln 19 Ein ähnliches Argument gegen Cohen findet sich auch bei Burch, 1973. Er unterscheidet zwischen »Bedeutung in Isolierung« (was phematischer Bedeutung entspricht) und Bedeutung im Gebrauch (was rhetischer Bedeutung entspricht) und kommt so zu ähnlichen Ergebnissen wie Grewendorf (Grewendorf, 1976).
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ebenso ausgeführt werden kann, wie (2) durch implizit performative Äußerungen. Außerdem bleibt unklar, wie (3) Äußerungen, die aus einer performativen Formel und einem Dass-Satz bestehen im Hinblick auf den rhetischen Akt zu analysieren sind. Ein weiteres Mal wird auch an der zitierten Textstelle deutlich, dass die Termini »sense« und »reference« nicht klar sind. Ähnlich wie Grewendorf und von Savigny, aber anders als Searle, scheint Cohen unter »to give a sense« Prädikation zu verstehen. Allerdings legt der Ausdruck »sense« eine solche Interpretation nicht unbedingt nahe. Viel naheliegender ist, die Ausdrücke als FregeSinn und Frege-Bedeutung zu verstehen. Doch auch bei dieser Interpretation ergeben sich Schwierigkeiten: Austin berücksichtigt die Absicht des Sprechers und die konkrete Situation, in der die Äußerung stattfindet. Gerade mit der Konzeption des rhetischen Aktes wird beidem Rechnung getragen: Pheme bekommen erst in der konkreten Äußerungssituation »meaning«. Dies lässt sich aber mit Freges Sinn und Bedeutung nur schwerlich in Einklang bringen. Was unter einem »rhetischen Akt« zu verstehen ist, wurde nicht hinreichend geklärt. Allerdings konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken (als lexikalische Bedeutung und Bedeutung im Sinne eines Bezugs in einer konkreten Äußerung und Prädikation) und das Äußern bedeutungsvoller sprachlicher Ausdrücke einerseits, von dem illokutionären Akt andererseits zu unterscheiden.
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Durch die Einführung des propositionalen Aktes in seine Theorie der Sprechakte unterscheidet sich Searles Ansatz von dem Austins. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, was Searle unter dem Ausdrücken einer Proposition, also dem Vollzug eines propositionalen Aktes, versteht. Für eine erste Annäherung an Searles Konzeption des propositionalen Aktes soll folgendes Beispiel betrachtet werden: (1) A: »Ich esse nur Pralinen der Marke Wappenklasse.« Die Person A behauptet, dass sie nur Pralinen der Marke Wappenklasse esse. Der illokutionäre Akt, der mit dieser Äußerung in diesem Fall vollzogen wurde, ist eine Behauptung. A könnte auch vermuten, annehmen usw., dass sie nur Pralinen der Marke Wappenklasse esse. Dagegen ist das, was sie behauptet, die Proposition. Das Ausdrücken der Proposition ist in Searles Terminologie der propositionale Akt. Die Unterscheidung zwischen Proposition und propositionalem Akt entspricht der Unterscheidung von Geäußertem und Äußerung. (Searle, 1969, S. 29) Searle zufolge kann dieselbe Proposition mit verschiedenen
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illokutionären Rollen ausgedrückt werden, d. h. es können illokutionäre Akte unterschiedlicher Arten vollzogen werden, ohne dass sich die ausgedrückte Proposition verändert. Nicht jeder geäußerte Ausdruck trägt dazu bei, eine Proposition auszudrücken. Einige Ausdrücke, wie z. B. so genannte performative Verben, können in einem Satz die Funktion illokutionärer Indikatoren haben. Solche Indikatoren (zu denen Searle auch den Modus des Verbs, die Wortfolge, aber auch nichtsprachliche Aspekte wie die Betonung zählt) zeigen den illokutionären Akt an, der mit einer Äußerung vollzogen wird. Searle zufolge hätte Person A, ohne damit einen anderen propositionalen Akt zu vollziehen, auch Folgendes sagen können: (2) A: »Ich behaupte, dass ich nur Pralinen der Marke Wappenklasse esse.« Indem A die Worte »Ich behaupte« äußert, hat sie (in diesem Beispiel) die illokutionäre Rolle ihrer Äußerung expliziert, die geäußerte Proposition ist die gleiche wie in (1). Zumindest typischerweise besteht ein propositionaler Akt seinerseits wieder aus zwei Teilakten, nämlich dem der Referenz und dem der Prädikation. Weil diese Akte durch das Äußern jeweils anderer Ausdrücke vollzogen werden, sind der Akt der Referenz und der Akt der Prädikation echte Teilakte des propositionalen Aktes und damit des gesamten Sprechaktes. Für Searle ist es entscheidend, dass nicht Ausdrücke auf Gegenstände Bezug nehmen, sondern Sprecher Ausdrücke verwenden, um sich mit diesen auf etwas zu beziehen. So kann ein Ausdruck in einer Situation verwendet werden, um auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen, in einer anderen Situation, um etwas über einen Gegenstand auszusagen, d. h. zu prädizieren. We must also distinguish referring from non-referring uses of expressions formed with the indefinite article: e. g., the occurrence of »a man« in the utterance of »A man came« is to be distinguished from its occurrence in the utterance of »John is a man«. (Searle, 1969, S. 27)
Doch der propositionale Akt (also das Vollziehen des Aktes der Referenz und der Prädikation) kann nicht vollzogen werden, ohne dass ein illokutionärer Akt vollzogen würde. Ein Sprecher kann nicht nur prädizieren und Bezug nehmen, ohne damit auch z. B. eine Behauptung aufzustellen oder andere illokutionäre Akte auszuführen: Propositional acts cannot occur alone; that is, one cannot just refer and predicate without making an assertion or asking a question or performing some other illocutionary act. (Searle, 1969, S. 25)
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Ein Argument für die These von der Unselbstständigkeit des propositionalen Aktes findet sich bei Searle nicht. Er verweist lediglich auf den Umstand, dass das grammatische Korrelat zu der ausgedrückten Proposition ein Dass-Satz sei, der als Nebensatz nicht ohne einen Hauptsatz (grammatisch korrekt) geäußert werden könne. Es ist nicht klar, ob Searle, indem er von der Korrelation zwischen der Abhängigkeit des propositionalen Aktes einerseits, und der grammatischen Abhängigkeit des Dass-Satzes andererseits spricht, von der grammatischen Abhängigkeit des Dass-Satzes auf die »pragmatische« Abhängigkeit des propositionalen Aktes schließen will. Auf die Frage, ob es tatsächlich nicht möglich ist, eine Proposition zu äußern, ohne damit auch einen illokutionären Akt zu vollziehen, werde ich in Kapitel 1.4.1 eingehen. Für den Akt der Referenz, d. h. das Bezugnehmen auf einen oder mehrere Gegenstände mithilfe eines Ausdrucks, stellt Searle das Axiom der Existenz auf. Dieses besagt, dass ein Gegenstand, auf den Bezug genommen wird, existieren muss. Trotz der intuitiven Plausibilität dieses Axioms entstehen aber mit dessen Annahme eine Reihe von Problemen. Ein in der Literatur viel diskutiertes Problem ist das der negativen Existenzsätze. Bei einer Behauptung wie z. B. »Der goldene Berg existiert nicht.« scheint sich der Sprecher dieses Satzes mit dem Ausdruck »der goldene Berg« auf etwas zu beziehen. Damit dieser Teilakt des gesamten Sprechaktes gelingen kann, muss der Gegenstand, auf den sich der Sprecher beziehen will, tatsächlich existieren, anderenfalls scheitert der Akt der Referenz. Würde der Akt der Referenz gelingen, wäre aber diese Behauptung falsch. Sollte die Behauptung richtig sein, läge ein Sprechakt mit einem gescheiterten Akt der Referenz vor. Beides sind keine besonders befriedigenden Analysen der Äußerung dieses Satzes bzw. ergeben sich auf dieser Basis grundsätzlich keine guten Analysen (negativer) Existenzsätze. Searle übernimmt Russells Lösungsansatz für dieses Problem: Ausdrücke wie »der goldene Berg«, die an der Subjektstelle bei (negativen) Existenzaussagen stehen, sind tatsächlich keine Ausdrücke, mit welchen wir uns auf einen Gegenstand beziehen: In general, subject expressions in existential sentences cannot be used to refer – this is part of what is meant by saying that existence is not a property – and therefore no paradox arises. The axiom of existence does not apply because there is no reference. (Searle, 1969, S. 78)
Allerdings will Searle nicht so weit gehen wie Russell und grundsätzlich annehmen, dass mit Kennzeichnungen nicht auf Gegenstände Bezug genommen wird. Auch in Bezug auf fiktive Figuren schlägt Searle eine Lösung vor, die sich von Russells Analysen unterscheidet. Auf fiktive Figuren können Sprecher mit Kennzeichnungen oder Eigennamen Bezug nehmen, da diese »in der Fiktion« existieren (s. Searle, 1969, S. 78). Searle will nicht von einem besonderen Exis-
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tenzmodus sprechen und scheint sich von Meinongianischen Positionen abgrenzen zu wollen, da er im oben genannten Zitat ganz explizit formuliert, dass er Existenz nicht als Eigenschaft verstanden wissen will. Inwieweit das Existieren-in-einer-Geschichte aber nicht ein solcher besonderer Modus der Existenz ist oder was ansonsten unter dieser Formulierung zu verstehen ist, wird nicht klar. Ich werde zwar nicht an dieser Stelle, dafür aber in Kapitel 2.2.1. und Kapitel 3 auf Searles These der Bezugnahme auf fiktive Gegenstände näher eingehen. Die Prädikation stellt für Searle keinen selbstständigen Sprechakt dar. Diese Charakterisierung der Prädikation verwundert zunächst nicht, da Searle die Akte des Referierens und Prädizierens als Teilakte des propositionalen Aktes eingeführt hatte, der seinerseits ein unselbstständiger Akt ist. Doch durch seine Unselbstständigkeit unterscheide sich der Akt der Prädikation von den illokutionären Akten und dem Akt der Referenz. Ein Prädikatsausdruck werde, so Searle, von den Indikatoren der illokutionären Rolle beeinflusst. Searle spricht von der »illokutionären Form«, die ein Prädikatsausdruck annimmt. Die illokutionäre Rolle bestimmt, so Searle, in welcher Weise der Prädikatsausdruck auf einen Gegenstand bezogen werde. Im Falle einer Frage werde gefragt, ob der Prädikatsausdruck dem Gegenstand, auf den sich das Subjekt bezieht, zukomme; im Falle eines Imperativsatzes werde festgelegt, dass der Gegenstand, auf den Bezug genommen wird, die durch das Prädikat bestimmte Handlung ausführen solle. (Searle, 1969, S. 121ff.) Demgegenüber sei der Akt der Referenz ein selbstständiger Akt, so wie der illokutionäre Akt. Der Akt der Referenz werde nicht durch den illokutionären Akt beeinflusst. Der Akt, der mit dem sog. R-Ausdruck (ein referierender Ausdruck) vollzogen wird, sei immer der des neutralen Identifizierens eines Gegenstandes und daher als selbstständiger Akt anzusehen. Ich habe Searle folgend den propositionalen Akt als einen Terminus eingeführt, mit dem eine Äußerung als eine sprachliche und bedeutungsvolle charakterisiert wird. Sofern ein Sprecher korrekt einen Akt der Referenz und der Prädikation ausführt, kann die Äußerung klarerweise als eine sprachlich bedeutungsvolle Äußerung bezeichnet werden. Typischerweise wird auch davon gesprochen, dass ein Sprecher eine Proposition ausdrückt, wenn er sich auf etwas bezieht und etwas über diesen Gegenstand aussagt. Gottfried Gabriel versteht Searle so, dass nur dann von Proposition gesprochen werden soll, wenn »der Akt des Referenzialisierens in der Weise gelungen ist, daß er und damit auch die Proposition eine Extension hat.« (Gabriel, 1975, S. 17) Unter dem »Akt des Referenzialisierens« versteht Gabriel das, was Searle den »Akt der Referenz« nennt. Dieser Akt kann, gemäß dem Axiom der Existenz, dann gelingen, wenn das, worauf mit einem entsprechenden sprachlichen Ausdruck Bezug genommen werden soll, auch existiert. Existiert der Gegen-
Der propositionale Akt
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stand nicht, so kann der Akt nicht gelingen. Gemäß Gabriels Searle-Interpretation wird mit Äußerungen, bei welchen im oben genannten Sinn der Akt der Referenz misslingt, keine Proposition ausgedrückt Nun wurde aber bereits gesagt, dass Searle negative Existenzsätze so analysiert, dass mit dem Ausdruck an der Subjektstelle kein Akt der Referenz vollzogen wird. Klarerweise können sich Sprecher aber mit solchen Existenzsätzen bedeutungsvoll äußern. Dies lässt zwei mögliche Auswege zu: Entweder muss ein erweiterter Propositionsbegriff verwendet werden, der zulässt, dass von einer Proposition gesprochen wird, auch wenn keine Referenz vollzogen wird; oder aber es wird neben dem Terminus »Proposition« ein weiterer Terminus benötigt, der genau solche Fälle von gehaltvollen Äußerungen ohne Referenz umfasst. Auch wenn ich denke, dass es sicher gute Gründe gibt, einen weiteren Terminus einzuführen, werde ich im Folgenden unter »Proposition« den Gehalt einer Äußerung verstehen und zwar unabhängig davon, ob mit den verwendeten Ausdrücken ein Akt der Referenz ausgeführt wird oder nicht.
1.4.1 Die Unselbstständigkeitsthese Dass mit sprachlichen Äußerungen nicht nur etwas ausgesagt wird, sondern mit Äußerungen Handlungen vollzogen werden, ist eine, wenn nicht die Kernthese der Sprechakttheorie. Diese These spitzt Searle zu, indem er behauptet, dass eine Proposition überhaupt nicht ohne einen illokutionären Akt geäußert werden kann: Propositional acts cannot occur alone; that is, one cannot just refer and predicate without making an assertion or asking a question or performing some other illocutionary act. (Searle, 1969, S. 25)
Der propositionale Akt ist nun insofern unselbstständig, als er nur zusammen mit einem illokutionären Akt ausgeführt werden kann. Nach dieser Unselbstständigkeitsthese kann ein Sprecher also nie einfach nur eine Proposition äußern. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, warum es einem Sprecher nicht möglich sein soll, nur eine Proposition zu äußern, ohne gleichzeitig auch einen illokutionären Akt zu vollziehen. Das grammatische Korrelat zu der Unselbstständigkeit des propositionalen Aktes ist die grammatische Unselbstständigkeit der Dass-Sätze, mit welchen der propositionale Gehalt einer Äußerung, Searle zufolge, isoliert werden kann. (s. Searle, 1969, S. 25) Äußert ein Sprecher den Satz »Es regnet gerade.«, kann diese Äußerung folgendermaßen wiedergegeben werden: »X behauptet, dass es gerade regnet.« Mit dem performativen Verb »behaupten« bestimmt man die illokutionäre Rolle
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Die Terminologie der Sprechakttheorie
des Sprechaktes, hier die der Behauptung. Der Dass-Satz gibt den propositionalen Gehalt der Äußerung wieder. Was korreliert hier nun aber mit was? Zwar ist ein Dass-Satz kein grammatisch vollständiges Gebilde, er kann aber natürlich von einem Sprecher alleine geäußert werden. Warum sollte man also nicht sagen, dass ein Sprecher nur eine Proposition äußert, wenn er einen solchen Dass-Satz äußert? Wenn Searle davon spricht, dass der propositionale Akt nicht ohne einen illokutionären Akt vollzogen werden kann, so muss hier gefragt werden, was Searle mit »können« meint. Searle wird nicht leugnen wollen, dass ein Sprecher einen solchen Dass-Satz, womit eine Proposition isoliert wird, ausspricht. Entscheidend ist aber, dass in Gesprächssituationen solche Äußerungen nicht verstanden werden und damit als Sprechakte misslingen. Zwar kann einem Hörer die Bedeutung einzelner Ausdrücke, die Bestandteil des geäußerten »Dass-Satzes« sind, bekannt sein, er wüsste dennoch nicht, was der Sprecher damit sagen will. Das Erkennen der illokutionären Rolle einer Äußerung spielt eine entscheidende Rolle für das Verstehen der Äußerung und damit für das Gelingen der Äußerung als Sprechakt (s. Kapitel 1.2). Searles Unselbstständigkeitssthese kann also besagen, dass eine Äußerung, die nur aus einem propositionalen Akt besteht, als Sprechakt scheitert, weil sie von einem Hörer nicht verstanden werden kann. Um zu sagen, dass mit der Äußerung tatsächlich kein illokutionärer Akt erfolgreich vollzogen wird, muss eine Äußerung aber in ihrem Kontext betrachtet werden. Ein Sprecher könnte einen Dass-Satz äußern, wobei dem Adressaten der Äußerung aus vorhergegangenen Äußerungen die illokutionäre Rolle klar sein könnte. In diesem Fall müsste die Äußerung als Sprechakt nicht scheitern. In alltäglichen Gesprächssituationen scheitern grammatisch unvollständige Äußerungen oft nicht, weil Hörer unterstellen können, dass fehlende Teile ergänzt werden dürfen. Ob eine Äußerung eine Behauptung, Vermutung oder eine Aufforderung ist, wird dem Hörer in vielen Fällen klar sein. Kann aber eine illokutionäre Rolle richtigerweise von einem Hörer angenommen werden, hat der Sprecher in diesem Fall zwar nur einen Dass-Satz geäußert, dennoch hat er nicht nur einen propositionalen Akt vollzogen, denn illokutionäre Akte können auch mit grammatisch unvollständigen Äußerungen vollzogen werden. Hat der Sprecher aber tatsächlich die Absicht, eine Proposition auszudrücken, ohne sie z. B. assertiv äußern zu wollen, müsste er dies in irgendeiner Weise deutlich machen, um Missverständnisse zu vermeiden. Beispielsweise könnte ein Sprecher sagen: Das Folgende ist eine Proposition, die ich nicht behaupten, bezweifeln etc. will: dass Frauen zu wenig verdienen. In diesem Fall ist aber die Proposition »dass Frauen zu wenig verdienen« eingebettet in eine Äußerung, mit der ein illokutionärer Akt ausgeführt wird, nämlich ein assertiver. Denn unter gewöhnlichen Umständen lässt sich diese Äußerung folgendermaßen explizieren: Ich behaupte (nehme an o. ä.), dass das Folgende eine Proposition
Der propositionale Akt
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ist, die ich nicht behaupten, bezweifeln etc. will. Propositionen können also in der oben geschilderten Weise geäußert werden, ohne dass sie mit einer illokutionären Rolle geäußert würden. Falls Searles These auch diese Möglichkeit ausschließt, so wäre sie zurückzuweisen. Allerdings ist die Proposition in dem oben genannten Beispiel eingebettet in eine Äußerung, mit der doch ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Die betreffende Proposition (dass Frauen zu wenig verdienen) wird zwar ohne illokutionäre Kraft geäußert und mit ihr alleine wird kein illokutionärer Akt vollzogen, aber sie ist Teil einer Proposition und einer Äußerung, mit der doch ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Trifft dies zu, so muss Searles Unselbstständigkeitsthese modifiziert werden: Es ist möglich eine Proposition zu äußern, ohne damit einen illokutionären Akt zu vollziehen, aber nur, wenn die Proposition eingebettet ist in eine Äußerung, mit der ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Bisher wurde zwischen dem Äußern einer Proposition und dem Ausführen eines propositionalen Aktes noch nicht unterschieden, da Searle diese Ausdrücke synonym verwendet: »The expression of a proposition is a propositional act.« (Searle, 1969, S. 29) Ich möchte im Weiteren zeigen, dass es aber sinnvoll ist, diese Unterscheidung vorzunehmen. Dafür soll ein Beispiel betrachtet werden: Ein Schüler spricht im Fremdsprachenunterricht seinem Lehrer einen Satz nach, um so die Aussprache der zu lernenden Sprache zu üben. Der Lehrer hat einen grammatikalisch richtigen Satz vorgesagt, den der Schüler Wort für Wort wiederholt. Der Schüler äußert also sprachliche Ausdrücke einer Grammatik folgend, er kennt aber die Bedeutung der Ausdrücke zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke spielt also für das Gelingen dieser Handlung keine Rolle. Relevant ist für den Schüler gerade nicht, was die Ausdrücke bedeuten, sondern nur bestimmte phonetische Aspekte. Searle geht nicht davon aus, dass schon durch das bloße Äußern sprachlicher Ausdrücke ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Die geäußerten Laute müssen als sprachliche Ausdrücke bedeutungsvoll verwendet werden. Wenn aber sprachliche Ausdrücke bedeutungsvoll geäußert werden, dann sprechen sowohl Austin als auch Searle von einem illokutionären Akt, der vollzogen wird, indem ein Sprecher diese bedeutungsvollen Ausdrücke äußert. Der Schüler in dem Beispiel vollzieht mit seiner Äußerung keinen illokutionären Akt, denn er äußert den Satz nur, um die Aussprache der Wörter zu üben und dies ist kein illokutionärer Akt. Der Unselbstständigkeitsthese folgend wird mit dieser Äußerung dann auch keine Proposition ausgedrückt. Warum sollte man aber nicht sagen, dass der Schüler eine Proposition ausdrückt, auch wenn er die Ausdrücke geäußert hat, ohne dass deren Bedeutung relevant war? Wie in Kapitel 1.4 schon gesagt wurde, besteht der propositionale Akt typischerweise aus zwei Teilakten, nämlich dem der Referenz und dem der Prädi-
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Die Terminologie der Sprechakttheorie
kation. Diese beiden Teilakte versteht Searle als Abstraktion von einem gesamten Sprechakt. Während aber der Akt der Referenz unbeeinflusst von der illokutionären Rolle des Sprechaktes vollzogen werden kann, ist der Akt der Prädikation immer von der illokutionären Rolle beeinflusst. Es ist nicht möglich, in einer rollenneutralen Weise etwas über einen Gegenstand auszusagen. Bei seinen Untersuchungen geht Searle immer davon aus, dass ein Sprecher die Absicht hat, einen einzelnen Gegenstand zu identifizieren und darüber etwas auszusagen. Würde ein Sprecher einen Ausdruck äußern, ohne sich damit auf etwas beziehen zu wollen und weitere Ausdrücke äußern, ohne mit diesen etwas über das Bezugsobjekt sagen zu wollen, läge kein Akt der Referenz bzw. der Prädikation vor. Es sind nicht die sprachlichen Ausdrücke, die sich auf etwas beziehen, sondern die Sprecher, die sich mittels der Ausdrücke auf etwas beziehen bzw. etwas darüber aussagen. Aus diesem Grund kann eine Äußerung, die nur das bloße Äußern von Ausdrücken ist, nicht als Akt der Referenz und der Prädikation und damit als propositionaler Akt bezeichnet werden. Die Äußerung des Schülers in dem Beispiel sollte demnach nicht als propositionaler Akt beschrieben werden, weil der Sprecher nicht die Intention und nicht einmal die Fähigkeit hat, die Ausdrücke bedeutungsvoll zu verwenden. Mit den verwendeten Ausdrücken will und kann der Schüler nicht auf einen einzelnen Gegenstand hinweisen und etwas darüber aussagen, weil er (1) die lexikalische Bedeutung der Ausdrücke noch nicht gelernt hat und (2) nur die Absicht hat, die Aussprache zu üben. Wenn aber der Akt der Prädikation nur in einem illokutionären Modus und nur als Teil eines illokutionären Aktes vollzogen werden kann, dann muss das Beispiel, in dem eine Proposition als Teil einer Proposition geäußert wurde, noch einmal betrachtet werden. Mit »dass Frauen zu wenig verdienen« wurde gemäß Searles Definition kein propositionaler Akt vollzogen. Denn mit dem Ausdruck »Frauen« wurde kein Akt der Referenz, so wie Searle ihn beschreibt, vollzogen und mit »zu wenig verdienen« wurde auch kein Akt der Prädikation ausgeführt. Darüber hinaus muss aber mit Searles Terminologie gesagt werden, dass mit diesem Dass-Satz auch in diesem Kontext keine Proposition ausgedrückt wird, da Propositionen, gemäß Searle, nur durch einen propositionalen Akt ausgedrückt werden können. Searles Terminologie bietet keine Möglichkeit, zu benennen, was in dem oben genannten Beispiel mit dem Dass-Satz ausgedrückt wird. Weil es aber die Möglichkeit gibt, Dass-Sätze in dieser Weise zu äußern, d. h. ohne dass der Gehalt dieses Dass-Satzes in irgendeinem illokutionären Modus geäußert wird, möchte ich in solchen Fällen vom Äußern einer Proposition in Abgrenzung zum Vollzug eines propositionalen Aktes sprechen.
Fazit aus Kapitel 1
1.5
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Fazit aus Kapitel 1
In der Literatur hat sich Searles Terminologie weitestgehend durchgesetzt. Ich werde aus diesem Grund und weil ich aus den genannten Gründen den Terminus »rhetischer Akt« für nicht hinreichend geklärt halte, im Folgenden den Terminus »propositionaler Akt« verwenden. Auch werde ich – sofern ich nicht explizit auf Austins Theorie eingehe oder Positionen darstelle, die mit Austinscher Terminologie arbeiten – nicht weiter den Terminus »lokutionärer Akt« verwenden, da dieser sich auch auf den rhetischen Akt bezieht. Allerdings werde ich weiterhin die Termini »phonetischer Akt« und »phatischer Akt« verwenden. Diese erlauben es, differenzierter Aspekte einer Äußerung zu benennen als dies mit Searles Ausdruck »Äußerungsakt« möglich ist, der die Aspekte, die mit den Austinschen Termini benannt werden, zusammenfasst. Ein vollständiger Sprechakt lässt sich demnach als Vollzug eines phonetischen Aktes, phatischen Aktes, propositionalen Aktes, illokutionären Aktes und perlokutionären Aktes beschreiben. Äußerungen, die keinen Teilsatz beinhalten, der auf den illokutionären Akt, der mit der Äußerung vollzogen wird, hinweist, nenne ich implizit performative Äußerungen; Äußerungen, die einen solchen Teilsatz beinhalten, explizit performative Äußerungen. Verben, die einen illokutionären Akt bezeichnen, nenne ich »illokutionäre Verben«. Verben, die die sogenannte Hiermit-Probe bestehen, nenne ich »performative Verben«. Die Handlungen, die mit diesen Verben bezeichnet werden, sind illokutionäre Akte. Damit eine sprachliche Äußerung als Versuch gelten kann, einen illokutionären Akt zu vollziehen, muss die Äußerung (1) eine Handlung sein, (2) der Sprecher die Ausdrücke bedeutungsvoll verwendet haben und (3) die entsprechende Praxis des in Frage stehenden illokutionären Aktes kennen. Damit der illokutionäre Akt erfolgreich vollzogen ist, müssen die entsprechenden illokutionären Folgen eintreten, d. h. dem Sprecher und den Rezipienten müssen bestimmte Rechte und Pflichten aufgrund des Vollzugs dieses Aktes zugekommen sein. Dafür ist es notwendig, dass die Rezipienten erkannt haben, welcher illokutionäre Akt mit der Äußerung vollzogen wurde. Searle unterscheidet fünf Klassen illokutionärer Akttypen: assertive, kommissive, direktive, deklarative und expressive illokutionäre Akte. Neben illokutionären Verben gibt es eine ganze Reihe anderer Bezeichnungen für sprachliche Äußerungen, die keine illokutionären Akte bezeichnen. Eine Äußerung kann auch als perlokutionärer Akt beschrieben werden. Unter der Beschreibung als perlokutionärer Akt werden intendierte, aber auch nicht intendierte Wirkungen, die bei Hörern eintreten, fokussiert. »Verängstigen«, »in Aufregung versetzen«, »amüsieren« oder »erfreuen« sind Ausdrücke, die sprachliche Äußerungen als perlokutionärer Akte bezeichnen können.
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Die Terminologie der Sprechakttheorie
Außerdem gibt es Bezeichnungen für sprachliche Äußerungen, die typischerweise aus dem Vollzug mehrerer illokutionärer Akte bestehen, wie »eine Rede halten«, »einen Beweis führen« usw. Solche Äußerungen können aus mehreren illokutionären Akten desselben Typs oder auch verschiedener Typen bestehen. Der propositionale Akt, der mit einer sprachlichen Äußerung vollzogen wird, besteht paradigmatischerweise aus dem Akt der Referenz und dem Akt der Prädikation. Ich werde aber auch dann davon sprechen, dass eine Äußerung einen propositionalen Gehalt hat, wenn mit der Äußerung kein Akt der Referenz vollzogen wird. Fiktionale Rede stellt für die Sprechakttheorie in verschiedenen Hinsichten ein Problem dar. Obwohl sich Sätze aus z. B. Romanen nicht im Hinblick auf ihre grammatikalische Erscheinungsform von Sätzen nicht-fiktionaler Texte unterscheiden, wird doch üblicherweise in fiktionalen Geschichten von Personen gesprochen, die es gar nicht gibt. Wird also beispielsweise ein Name in einem solchen Satz benutzt, scheint damit kein Akt der Referenz ausgeführt zu werden, denn offensichtlich gibt es keine Person mit dem entsprechenden Namen (und wenn dann wird typischerweise gerade nicht auf diese Person Bezug genommen). Wenn es z. B. keine Person mit dem Namen Emma Woodhouse gibt, so scheint es, dass mit diesem Namen nicht Bezug genommen wird. Searle spricht allerdings davon, dass fiktive Figuren »in der Fiktion existieren« und es scheint, dass dies seiner Ansicht nach ausreicht, um einen Akt der Referenz auf fiktive Figuren zu vollziehen. Es bleibt daher bis zu dieser Stelle eine offene Frage, ob und wie fiktionale Rede als propositionaler Akt beschrieben werden kann. Eine Antwort auf diese Frage ist auch entscheidend für die Frage, ob mit fiktionalen Äußerungen illokutionäre Akte vollzogen werden. Zu den Eigenschaften des propositionalen Aktes gehört nämlich, dass dieser nie ohne einen illokutionären Akt ausgeführt werden kann. Würde die Frage nach dem propositionalen Akt also positiv beantwortet, wäre damit auch geklärt, dass mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen würde. In diesem Fall müsste nur noch bestimmt werden, um welchen illokutionären Akt es sich bei fiktionaler Rede handelt. Wird die Frage dagegen negativ beantwortet, bleibt die Frage nach dem illokutionären Akt weiter unbeantwortet, denn die Abhängigkeit zwischen propositionalem und illokutionärem Akt ist nicht reflexiv, d. h. ein propositionaler Akt kann zwar nicht ohne einen illokutionären Akt ausgeführt werden, dies gilt aber nicht umgekehrt für den illokutionären Akt. Die Autoren fiktionaler Texte scheinen nicht behaupten zu wollen, dass das, was sie erzählen, auch tatsächlich (in der Realität) der Fall ist. Trifft diese Beschreibung fiktionaler Rede zu, haben fiktionale Äußerungen nicht die illokutionären Folgen und die Passensrichtung assertiver illokutionärer Akte. Auch der bei assertiven illokutionären Akten ausgedrückte mentale Zustand scheint
Fazit aus Kapitel 1
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nicht der gleiche zu sein wie der bei fiktionalen Texten. Darüber hinaus scheinen fiktionale Äußerungen keiner der von Searle vorgeschlagenen illokutionären Klassen zugeordnet werden zu können. Versteht man unter illokutionären Akten nur solche Äußerungen, die so beschrieben werden können, dass sie mindestens einer der von Searle vorgeschlagenen Klassen zugeordnet werden können – und einige Autoren scheinen dies anzunehmen – dann scheinen nach dem bisher Gesagten fiktionale Äußerungen nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes angesehen werden zu können. Damit würde aber ein Gebrauch von Sprache, der eine zentrale Stellung in den meisten Kulturen einnimmt, nicht als ein Sprechakt beschrieben werden. Wenn mit der Sprechakttheorie der Anspruch verbunden ist, eine Theorie zu entwickeln, die alltägliche Arten des Sprachgebrauchs umfasst, scheint die Sprechakttheorie an diesem Anspruch aufgrund der Tatsache, dass es fiktionaler Rede gibt, zu scheitern. Unter Berücksichtigung der notwendigen Bedingungen, die ich für den Vollzug illokutionärer Akte angegeben habe, kann fiktionale Rede aber als der Vollzug eines solchen Aktes verstanden werden: In fiktionaler Rede werden die sprachlichen Ausdrücke mit ihrer üblichen Bedeutung verwendet. Fiktionale Äußerungen sind gewöhnlich so wie nicht-fiktionale Äußerungen Handlungen. Außerdem gibt es offensichtlich auch eine Konvention des fiktionalen Redens (diese muss im Folgenden noch bestimmt werden). Viele Formen der fiktionalen Rede wie z. B. Romane, Kurzgeschichten und Novellen bestünden, wenn das gerade Gesagte zutrifft, nicht aus dem Vollzug eines, sondern mehrerer illokutionärer Akte, in dieser Hinsicht analog zu Argumentationen, Beweisführungen, Berichten. Ich habe in diesem Kapitel auch sprachliche Äußerungen beschrieben, die nicht als Vollzug illokutionärer Akte angesehen werden können. Dies ist dann der Fall, wenn Äußerungen nicht als Handlungen verstanden werden können, wie bei einigen Formen von Tourette-Anfällen. Ebenfalls nicht als illokutionärer Akt sollen Äußerungen sprachlicher Ausdrücke beschrieben werden, bei welchen die Bedeutung der Ausdrücke gewissermaßen suspendiert ist, d. h. für den Erfolg der Handlung keine Rolle spielt. Bei letzteren handelt es sich zwar auch um eine Art des Gebrauchs von Sprache. Dieser hat aber derart wenig mit sonstigem Gebrauch von Sprache gemeinsam, dass es mir gerechtfertigt erscheint, diese nicht als Sprechakte anzusehen. Alle diese sprachlichen Äußerungen haben aber mit fiktionaler Rede sehr wenig gemeinsam, fiktionale Rede kann daher nicht so wie diese Äußerungen charakterisiert werden.
2.
Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
2.1
Fiktionale Rede und Rede über Fiktion
Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor, und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen. Auf das Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, so daß er, vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen, nicht eben besonders gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell einsteckte. – Der Student Anselmus (niemand anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich den auf ihn gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. (E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf)
Bei dem hier zitierten Text handelt es sich nicht um einen Bericht über eine Begebenheit, die sich tatsächlich so an einem Himmelfahrtstag, nachmittags um drei Uhr in Dresden ereignet hat. Dieses Zitat ist die Anfangspassage aus E.T.A. Hoffmanns Der goldene Topf – ein fiktionaler Text. In dem vorhergehenden Kapitel habe ich den Ausdruck »fiktionale Rede« bereits häufig verwendet. Wie diese Handlung genau – und vor allem in der Terminologie der Sprechakttheorie – beschrieben werden kann, kann an dieser Stelle der Arbeit noch immer nicht beantwortet werden. Der genaueren Betrachtung der Thesen, wie fiktionale Rede in sprechakttheoretischer Terminologie beschrieben werden kann, sollen an dieser Stelle aber doch einige Bemerkungen zu dem Terminus »fiktionale Rede« vorangestellt werden. Bisher habe ich mit diesem Ausdruck die Art von sprachlicher Handlung bezeichnet, die Sprecher vollziehen, wenn sie fiktionale Texte schreiben oder mündlich fiktionale Geschichten erzählen. Mit »Rede« wird also nicht zwischen mündlichen und schriftlichen sprachlichen Äußerungen unterschieden. Solche Äußerungen, in denen von Ereignissen »berich-
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
tet« wird, die nicht stattgefunden haben und von Personen oder allgemein Gegenständen die Rede ist, die nicht existieren, sind paradigmatische Fälle fiktionaler Rede. Das Adjektiv »fiktional« verwende ich, so wie es in der deutschsprachigen Debatte üblich ist, für Texte oder allgemein für Äußerungen, mit denen eine erfundene Geschichte, ohne eine Täuschungsabsicht, erzählt wird. »Fiktiv« werde ich im Zusammenhang mit den Gegenständen verwenden, die der Autor erfindet. In dieser Weise wird das Adjektiv auch von den Autoren verwendet, die nicht annehmen, dass es fiktive Gegenstände gibt. Es wurde schon mehrfach erwähnt, dass häufig fiktionale Rede mit assertiven Sprechakten verglichen wird. Die eingangs zitierte Textstelle aus Der goldene Topf sollte deutlich machen, warum dieser Herangehensweise zumindest eine gewisse Primafacieplausibilität nicht abgesprochen werden kann. Hätte ein solches Ereignis tatsächlich stattgefunden, hätte darüber in der gleichen Weise berichtet werden können, in der E.T.A. Hoffmann von einem Ereignis erzählt, das gerade nicht stattgefunden hat. In Kapitel 2.2.1 werde ich diesen Vergleich genauer betrachten. Unter Berücksichtigung dessen, was in Kapitel 1.2 zur Sprechakttheorie erarbeitet wurde, lässt sich an dieser Stelle schon Folgendes festhalten: Wenn ein Sprecher etwas behauptet, drückt er damit aus, dass er die geäußerte Proposition für wahr hält. Im Fall einer geglückten und aufrichtigen Behauptung hat der Sprecher eine wahre Proposition geäußert. Behauptungen können aber auch scheitern. Ein Sprecher kann die Überzeugung haben, dass die von ihm geäußerte Proposition wahr ist, äußert aber tatsächlich eine falsche Proposition. In diesem Fall möchte ich von einer irrtümlichen Behauptung sprechen. Wenn der Sprecher eine Proposition äußert, von der er weiß, dass sie falsch ist, seine Hörer aber glauben lassen will, dass die Proposition wahr ist, handelt es sich um eine lügenhafte Behauptung. Nun sieht es auf den ersten Blick so aus, als würden Autoren fiktionaler Texte ebenfalls falsche Propositionen assertiv äußern, was nahelegen könnte, fiktionale Rede als eine Art des Misslingens von assertiven illokutionären Akten anzusehen. So rechnet Frege auch die Verwendung eines leeren Eigennamens in einer Aussage, die auf einem Irrtum beruht, der »Dichtung« zu: Wenn ich […] meine Absicht verfehlt habe, wenn ich nur zu sehen meine, ohne wirklich zu sehen, wenn demnach die Bezeichnung »jene Linde« leer ist, dann habe ich mich, ohne es zu wissen und zu wollen, in das Gebiet der Dichtung verirrt. (Frege, 1966, S. 42)
Wenn Platon Dichter als Lügner bezeichnet, so scheint er Lügen und fiktionale Rede nicht unterscheiden zu wollen. Auch wenn es zutreffen sollte, dass mit fiktionaler Rede, wie bei Lügen und irrtümlichen Behauptungen, eine falsche
Fiktionale Rede und Rede über Fiktion
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Proposition geäußert wird, unterscheiden sich die Absichten und Überzeugungen, die dem Sprecher bzw. Autor fiktionaler Rede unterstellt werden können, jedoch von denen des Lügners und desjenigen, der sich irrt. Wir gehen üblicherweise davon aus, dass z. B. der Romanautor nicht selbst glaubt, dass die von ihm geäußerten Propositionen Sachverhalten in der Welt entsprechen. Wir unterstellen E.T.A. Hoffmann also nicht die Überzeugung zu haben, er äußere wahre Propositionen. Hierin unterscheidet er sich von dem Sprecher, der sich irrt. Wir unterstellen dem Autor auch nicht, dass er die Absicht hat, seine Leser glauben zu lassen, dass die geäußerten Propositionen wahr seien. Wir unterstellen ihm also auch keine Täuschungsabsicht; dies unterscheidet ihn von einem Lügner, der sehr wohl die Absicht hat, andere zu täuschen. Inwieweit es tatsächlich angemessen ist, davon zu sprechen, bei fiktionaler Rede würden überhaupt Propositionen und wenn, dann falsche geäußert, muss im Folgenden noch untersucht werden. Dieses Problem scheint sich jedoch nur bei solchen Äußerungen zu stellen, bei denen offensichtlich von z. B. Personen die Rede ist, die es nicht gibt. Fehlende Bezugnahme als einziges unterscheidendes Kriterium für fiktionale Rede anzunehmen, hat den eben schon gezeigten Nachteil, dass auf der Ebene der Beschreibung als illokutionärer Akt fiktionale Rede von misslungenen Behauptungen20 nicht unterschieden werden kann. Es stellen sich aber noch weitere Probleme ein: In sehr vielen Texten, die gewöhnlich als fiktionale Werke verstanden werden, ist nicht nur von Dingen die Rede, die es nicht gibt. Dem jungen Menschen Anselmus, von dem in der eingangs zitierten Textstelle die Rede ist, passiert sein Missgeschick in Dresden, während er durch das Schwarze Tor rennt. Die Stadt Dresden und das Schwarze Tor sind aber keine Erfindungen von E.T.A. Hoffmann. Wie soll mit Sätzen umgegangen werden, mit welchen über existierende Dinge gesprochen wird, die aber in einem Text vorkommen, in dem hauptsächlich von Dingen die Rede ist, die es nicht gibt? Searle schlägt vor (Searle, 1979b, S.78f.), Äußerungen, die Namen existierender Gegenstände beinhalten, nicht als fiktionale Rede zu charakterisieren, sondern als gewöhnliche illokutionäre Akte – was für narrative Texte heißt: assertive illokutionäre Akte. Von einem fiktionalen Text könnte man evtl. dann sprechen, wenn mit den Sätzen des Textes hauptsächlich fiktionale Rede vollzogen würde. Die Idee dieses Vorschlags scheint zu sein, das Fehlen oder Vorhandensein von Bezugnahme als entscheidendes Kriterium anzunehmen. Sofern eine Täuschungsabsicht ausgeschlossen werden kann, können in fiktionalen Werken 20 Dies trifft zumindest auf misslungene Behauptungen zu, die deshalb misslingen, weil der Akt der Referenz nicht erfolgreich vollzogen wird, was sowohl bei Lügen als auch bei irrtümlichen Behauptungen der Fall sein kann.
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
sowohl aufrichtige (aber evtl. falsche) Behauptungen als auch fiktionale Rede vorkommen: Wird über Dinge geredet, die es gibt, wird ein Akt der Referenz vollzogen und es liegt eine Behauptung vor ; wird über Dinge geredet, die es nicht gibt, handelt es sich bei der Äußerung um fiktionale Rede. Eine weitere Schwierigkeit dieses Vorschlags ist, dass für die Entscheidung, ob eine Behauptung oder fiktionale Rede vorliegt, klar sein muss, ob es den entsprechenden Gegenstand, von dem in einer Äußerung die Rede ist, gibt oder nicht. Bei Dresden und dem Schwarzen Tor ist das kein Problem, aber wie sieht es bei Anselmus aus, der die Körbe mit Kuchen und Äpfeln umwirft? Wären die Sätze, bei welchen von Anselmus die Rede ist, plötzlich nicht mehr fiktional, wenn sich herausstellte, dass es tatsächlich eine Person mit diesem Namen gab und sogar alles, was E.T.A. Hoffmann über ihn schreibt, auf ihn tatsächlich zuträfe? Für Searles Ansatz würde eine solche Entdeckung zunächst keine Konsequenzen haben. Gemäß der Sprechakttheorie nehmen Sprecher mit Ausdrücken auf etwas Bezug und nicht die Ausdrücke selbst. Diese Entdeckung wäre demnach nur dann relevant, wenn sich zudem noch herausstellte, dass Hoffmann auch die Absicht hatte, auf diese Person, von deren Existenz wir bislang nichts wussten, Bezug zu nehmen. Wenn aber die Absicht des Sprechers bzw. des Autors entscheidend dafür ist, ob mit einem Ausdruck auf einen Gegenstand Bezug genommen wird, dann stellen die Aussagen über Dresden und das Schwarze Tor ein anderes Problem dar : Können wir tatsächlich davon ausgehen, dass ein Autor eines Romans die Absicht hat, mit »Dresden« und »Schwarzes Tor« auf Dresden und das Schwarze Tor Bezug zu nehmen? Searle geht davon aus, dass einem Autor vorgeworfen werden kann, er habe einen Fehler begangen, wenn er mit solchen Sätzen eine falsche Proposition äußert, d. h. der Akt der Referenz zwar erfolgreich vollzogen wird, aber über den Gegenstand etwas prädiziert wird, was auf ihn nicht zutrifft. Trifft dies zu, könnten in fiktionalen Werken neben wahren Behauptungen und fiktionaler Rede also auch irrtümliche Behauptungen vorkommen. Aber gerade solche Äußerungen, die Searle als Irrtümer deklariert, können Anlass geben, daran zu zweifeln, dass der Autor tatsächlich die Absicht hat, sich auf Existierendes zu beziehen und etwas darüber auszusagen, was auch in der Realität der Fall ist. Ein Beispiel für eine Novelle, in der die Hauptfigur den Namen einer Frau trägt, die es tatsächlich gegeben hat, ist Das Fräulein von Scuderi. Also noch einmal eine Anfangspassage von E.T.A. Hoffmann: In der Straße St. Honor¦ war das kleine Haus gelegen, welches Magdaleine von Scuderi, bekannt durch ihre anmutigen Verse, durch die Gunst Ludwig des XIV. und der Maintenon, bewohnte. Spät um Mitternacht – es mochte im Herbste des Jahres 1680 sein – wurde an dieses Haus hart und heftig angeschlagen, daß es im ganzen Flur laut widerhallte. – Baptiste,
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der in des Fräuleins kleinem Haushalt Koch, Bedienten und Türsteher zugleich vorstellte, war mit Erlaubnis seiner Herrschaft über Land gegangen zur Hochzeit seiner Schwester, und so kam es, daß die Martiniere, des Fräuleins Kammerfrau, allein im Hause noch wachte. Sie hörte die wiederholten Schläge, es fiel ihr ein, daß Baptiste fortgegangen und sie mit dem Fräulein ohne weitern Schutz im Hause geblieben sei; aller Frevel von Einbruch, Diebstahl und Mord, wie er jemals in Paris verübt worden, kam ihr in den Sinn, es wurde ihr gewiß, daß irgendein Haufen Meuter, von der Einsamkeit des Hauses unterrichtet, da draußen tobe und, eingelassen, ein böses Vorhaben gegen die Herrschaft ausführen wolle, und so blieb sie in ihrem Zimmer, zitternd und zagend und den Baptiste verwünschend samt seiner Schwester Hochzeit.
Tatsächlich war Madeleine de Scud¦ry eine Schriftstellerin, die 1607–1701 in Paris lebte. Hoffmann schreibt der Protagonistin seiner Kriminalnovelle an dieser zitierten Stelle nicht nur einige Eigenschaften zu, die auch die historische Person hatte, sondern auch solche, bei welchen dies nicht der Fall ist. Wenn es richtig wäre, dass E.T.A. Hoffmann auf eine historische Person Bezug nimmt, müsste die zitierte Passage, nimmt man Searles Vorschlag ernst, als eine Reihe von zwar aufrichtigen aber irrtümlichen Behauptungen angesehen werden. Dies klingt jedoch nicht sehr plausibel. Viel plausibler als die Annahme, E.T.A. Hoffmann sei hier eine Reihe von Fehlern unterlaufen, ist die Annahme, dass der Autor absichtlich der Protagonistin seines Werkes Eigenschaften zuschreibt, die die historische Madeleine de Scud¦ry nicht besaß. Wenn wir aber auch bei diesen Äußerungen dem Autor nicht unterstellen wollen, dass er lügt, scheint es naheliegend, dass es sich auch bei diesen Fällen um fiktionale Rede handelt und das, obwohl von einer Person die Rede ist, die es tatsächlich gab. Wenn aber die Absicht des Autors für die Beantwortung der Frage, wann eine Äußerung fiktional ist und wann nicht, herangezogen werden soll, sollte es – zumindest prinzipiell – die Möglichkeit geben, die Absicht des Autors zu erkennen. Eine Position, bei welcher der Absicht des Autors eine derart prominente Stelle eingeräumt wird, muss auch Thesen beinhalten, die dazu etwas aussagen. Nach dem bisher Gesagten müssen folgende Fragen beantwortet werden, wenn eine Charakterisierung fiktionaler Rede gegeben werden soll: Soll nur dann von fiktionaler Rede gesprochen werden, wenn Ausdrücke verwendet werden, mit welchen die Autoren auf keine existierenden Gegenstände Bezug nehmen (d. h. nicht Bezug nehmen können)? Wenn diese Frage positiv beantwortet wird, stellen sich weitere Fragen: Muss herausgefunden werden, ob es Gegenstände gibt, auf die evtl. doch mit den verwendeten Ausdrücken Bezug genommen wird? Oder reicht es aus, dem Autor zu unterstellen, dass er nicht die Absicht hat Bezug zu nehmen? In diesem Fall muss es aber Anhaltspunkte geben, die eine solche Unterstellung rechtfertigen. Was könnten solche Anhaltspunkte sein? In Bezug auf Searles Vorschlag stellt sich zudem die Frage,
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warum beispielsweise E.T.A. Hoffmann unterstellt werden kann, dass er mit »Dresden« auf Dresden Bezug nimmt. Wie ist damit umzugehen, wenn ein Autor auf einen existierenden Gegenstand Bezug nimmt, aber (offensichtlich) absichtlich etwas darüber aussagen will, das in der Realität nicht auf diesen Gegenstand zutrifft? Nach Searles Vorschlag wären solche Äußerungen als irrtümliche Behauptungen zu verstehen. Aber es ist doch denkbar, dass ein Autor die Absicht hat z. B. das Fräulein von Scuderi in einer von ihm ausgedachten Weise zu beschreiben. Um diese Äußerungen nicht als irrtümliche Behauptungen anzusehen und dennoch an Searles Vorschlag festzuhalten, könnte die These vertreten werden, dass in solchen Fällen »Fräulein Scuderi« doch nicht verwendet wird, um auf die historische Person Bezug zu nehmen. Damit könnten solche Äußerungen auch als fiktionale Rede im Sinne Searles verstanden werden. Wer dann aber herausfinden will, ob es sich bei einer Äußerung um fiktionale Rede handelt oder nicht, scheint nicht umhinzukommen, Forschungen anzustellen, deren Ziel es ist, zu prüfen, ob es sich bei den zu prüfenden Propositionen um wahre oder falsche handelt. Alle Antworten auf diese (und weitere) Fragen haben Auswirkungen auf die Intension und Extension des Begriffs »fiktionale Rede«. Bisher habe ich fiktionale Rede von gelungenen Behauptungen, irrtümlichen Behauptungen und Lügen unterschieden. Wenn ich »fiktionale Rede« oder »fiktionale Äußerung« verwende, dann beziehe ich mich damit nur auf die sprachlichen Äußerungen eines Autors oder Sprechers, der mit diesen Äußerungen eine erfundene Geschichte erzählt. Ob der Autor oder der Sprecher sich die Geschichte vor der Äußerung schon ausgedacht hat, oder ob er die Geschichte erst erfindet, indem er sich äußert, lasse ich offen. Ich bezeichne nur die Äußerungen als fiktionale Äußerungen bzw. fiktionale Rede, mit denen die Geschichte zum ersten Mal erzählt wird. Wer eine schon geschriebene Geschichte vorliest oder auf einer Bühne wiedergibt, äußert sich auch auf eine fiktionale Weise bzw. scheint bei diesen Äußerungen Fiktionalität auch eine Rolle zu spielen. Solche Äußerungen müssen aber meines Erachtens anders charakterisiert werden als die Äußerungen des Autors, der mit diesen die Geschichte anderen überhaupt zugänglich macht. Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die zwischen fiktionaler Rede und Rede über Fiktion. Unter Rede über Fiktion werden solche Äußerungen verstanden, mit welchen Sprecher über bereits existierende fiktionale Texte sprechen, so wie es z. B. Literaturwissenschaftler oder Kritiker tun. Mit fiktionaler Rede gemeinsam haben solche Äußerungen, dass auch mit ihnen, zumindest scheint es so, häufig über Personen, Orte, Sachverhalte gesprochen wird, die es nicht gibt. Auch werden in Rede über Fiktion häufig fiktionale Namen ver-
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wendet.21 Es stellt sich auch für Rede über Fiktion die Frage, wie diese beschrieben werden kann. Als eine mögliche Beschreibung für fiktionale Rede wurde bisher in den Raum gestellt, dass diese Äußerungen falscher Propositionen seien, die die Sprecher äußern, ohne täuschende Absicht und ohne die Überzeugung, diese Propositionen seien wahr. Kann nun aber ein Literaturwissenschaftler mit dem Satz (1) Der Student Anselmus warf Körbe mit Kuchen und Äpfeln um. etwas Wahres sagen? Auch der Literaturwissenschaftler scheint doch mit »Anselmus« nicht auf eine Person mit diesem Namen Bezug nehmen zu wollen und zu können. Wie kann es sich dann aber um eine wahre Behauptung handeln? Könnten jedoch keine wahren Aussagen über fiktionale Texte gemacht werden, stünden Literaturwissenschaftler vor ernsthaften Problemen. Nicht nur müssten sie sich mit der Frage beschäftigen, ob ästhetische Urteile wahre Aussagen sein können (was u. U. für Literaturkritiker ein größeres Problem darstellt), sie stünden auch vor der Frage, welchen Status Aussagen über den Inhalt eines literarischen Werkes haben. Der Status der Literaturwissenschaft als Wissenschaft stünde damit zur Debatte. Wie es möglich sein kann, dass (1) über den Inhalt fiktionaler Werke wahre Aussagen getroffen werden können, soll in Kapitel 3 gezeigt werden. Es soll gezeigt werden, dass (2) es einen Zusammenhang zwischen der Analyse von Rede über Fiktion einerseits gibt und andererseits der Frage nach dem ontologischen Status der fiktiven Gegenstände, von welchen bei Rede über Fiktion gesprochen wird. Darüber hinaus werde ich versuchen zu zeigen, dass (3) die Antwort auf die Frage nach dem ontologischen Status fiktiver Gegenstände auch relevant für die Beschreibung der fiktionalen Rede ist. Bevor ich aber zu der Beantwortung dieser Fragen komme, werde ich zunächst Charakterisierungsvorschläge für fiktionale Rede vorstellen und diskutieren.
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Den im Folgenden thematisierten Beschreibungen der fiktionalen Rede ist zunächst gemeinsam, dass in allen Fällen versucht wird, fiktionale Rede vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie zu behandeln. Alle diese Beschreibungen 21 »Sherlock Holmes« und »Dr. Watson« sind Beispiele für fiktionale Namen. Sie werden nicht verwendet, um mit ihnen auf existierende Personen Bezug zu nehmen. Nun zeigt sich, dass das, was unter einem fiktionalen Namen verstanden werden kann, auch davon abhängt, was unter fiktionaler Rede verstanden werden kann. Denn zum Teil hängt das Verständnis von »fiktionalen Namen« auch von den oben genannten Fragen ab, die Einfluss haben auf das Verständnis fiktionaler Rede.
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stellen Varianten der These dar, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen ( iA-These). Eine Ausnahme ist K. Waltons Position. Er vertritt auch die These, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen wird. Aus diesem Grund werde ich seine Position an dieser Stelle der Arbeit auch behandeln. Im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Autoren, argumentiert er aber darüber hinaus noch dafür, fiktionale Rede überhaupt nicht mithilfe der Sprechakttheorie zu charakterisieren. So, wie ich »illokutionärer Akt« verstehe, müsste fiktionale Rede als Vollzug dieser Akte beschreibbar sein. Ich möchte im Folgenden prüfen, ob von Vertretern dieser These Argumente gegen meine Annahme vorgebracht werden, wodurch sie nicht aufrechterhalten werden kann. Besonders ausführlich werde ich mich mit Searles Variante dieser These beschäftigen, da diese zum einen die »radikalste« Variante ist, denn Searle geht nicht nur davon aus, es werde mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen, sondern auch kein propositionaler Akt. Damit wird fiktionale Rede zum bloßen Vollzug phonetischer (oder grafischer) und phatischer Akte. Zum anderen zeichnet sich Searles These dadurch aus, dass er fiktionale Rede als Vorgeben des Vollzugs illokutionärer Akte bezeichnet. Auf diese These werde ich in Kapitel 2.2.1.3 gesondert eingehen. Nach Gottfried Gabriel muss fiktionale Rede als Vollzug propositionaler aber nicht illokutionärer Akte beschrieben werden. Da er davon ausgeht, dass ein propositionaler Akt auch ohne einen illokutionären Akt vollzogen werden kann, zweifelt er Searles Unselbstständigkeitsthese an. Eckehard Wüst vertritt dagegen die iA-These ähnlich radikal wie Searle. In seiner Argumentation stellt er den Akt der Prädikation in den Mittelpunkt und versucht zu zeigen, dass dieser in fiktionaler Rede nicht vollzogen werden kann, was zur Folge hat, dass mit fiktionaler Rede weder ein propositionaler noch ein illokutionärer Akt ausgeführt werden kann. Eine weitere Variante der iA-These, die ich vorstellen möchte, stammt von Jürgen Habermas. In seiner Auseinandersetzung mit Derrida versucht er fiktionale Rede in Analogie zu Zitaten zu charakterisieren.
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2.2.1 Fiktionale Rede als sprachliche Äußerung ohne propositionalen und illokutionären Akt Im Folgenden soll Searles Position in der Debatte um die fiktionale Rede untersucht werden. Dafür wird in einem ersten Schritt seine Argumentation dargestellt. Dabei wird sich zeigen, dass Searle an einigen Stellen keine eindeutigen Formulierungen wählt und Metaphern verwendet, die sich nur schwer auflösen lassen. Daher werden in einem zweiten Schritt Schwierigkeiten der Searleschen
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Position herausgearbeitet. In einem dritten Schritt wird der Versuch unternommen, die Fragen, die sich aus Searles Darstellung ergeben, anhand der Ergebnisse, die im ersten Kapitel dieser Arbeit erarbeitet wurden, zu klären. In The Logical Status of Fictional Discourse nimmt Searle im Vorfeld der eigentlichen Untersuchung zwei Unterscheidungen vor. Zum einen verweist er auf den Unterschied, den er zwischen dem Terminus »Literatur« und fiktionalen Werken macht. »Literatur« scheint er als einen wertenden Terminus zu verstehen, als einen, der einen Text vor anderen in einer gewissen, aber von ihm nicht näher bestimmten Art auszeichnet. Literarische Texte scheinen so etwas wie künstlerisch wertvolle Texte zu sein. Fiktionale Texte können (in diesem Sinne) literarische Texte sein, müssen es aber nicht.22 Die zweite Unterscheidung ist die zwischen fiktionaler und figurativer Rede. Gemeinsam sei beiden Formen der Rede, dass semantische Regeln in gewisser Weise abgewandelt gelten oder aufgehoben seien. Dennoch sind Redefiguren, wie etwa die Metapher, etwas von der fiktionalen Rede Unabhängiges. Sie können in faktualen und fiktionalen Texten vorkommen. Im Fall der figurativen Rede will Searle von »nicht wörtlicher«, bei fiktionaler Rede von »nicht ernsthafter« Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke reden: »Just to have some jargon to work with, let us say that metaphorical uses of expressions are ›nonliteral‹ and fictional utterances are ›nonserious‹« (Searle, 1979a, S. 60). Mit der Formulierung »nicht ernsthaft« will Searle sich allerdings nicht einer Position anschließen, wonach es sich z. B. beim Verfassen eines Romans nicht um eine ernsthafte Tätigkeit handle. Vielmehr soll mit dieser Beschreibung auf Folgendes hingewiesen werden: Ein Romanautor legt sich typischerweise mit den Sätzen, die er schreibt, nicht auf deren Gehalt in dem Sinne fest, wie es bei Behauptungen der Fall wäre. Figurative Rede innerhalb fiktionaler Texte klammert er aus seiner Untersuchung aus. Searle unternimmt den Versuch, fiktionale Rede zu charakterisieren, indem er diese faktualer Rede gegenüberstellt. Der faktuale Text, den Searle zu diesem Zweck heranzieht, besteht aus einer Reihe von Behauptungen. Behauptungen sind Sprechakte, für die Searle die folgenden Regeln aufstellt: 1. The essential rule: the maker of an assertion commits himself to the truth of the expressed proposition. 2. The preparatory rule: the speaker must be in a position to provide evidence or reasons for the truth of the expressed proposition. 3. The expressed proposition must not be obviously true to both the speaker and the hearer in the context of utterance.
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22 Mit dieser Positionierung unterscheidet sich Searle u. a. von einem weiteren Vertreter der iA-These, R. Ohmann, der vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie »Literatur« und »fiktionale Rede« gleichsetzt. (Ohmann, 1971)
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4. The sincerity rule: the speaker commits himself to a belief in the truth of the expressed proposition. (Searle, 1979a, S. 62) Während die Autorin des nicht-fiktionalen Textes auf diese Regeln verpflichtet sei, gilt dies nicht für die Autorin des fiktionalen Textes. Für Searle ist klar, welche Art illokutionärer Akte im Fall des nicht-fiktionalen Textes vollzogen werden, nicht klar ist dies jedoch im Fall des fiktionalen Textes. Für Searle scheint sich mit dem fiktionalen Text im Rahmen der von ihm vertretenen Sprechakttheorie nun folgende Schwierigkeit zu ergeben: If, as I have claimed, the meaning of the sentence uttered by Miss Murdoch is determined by the linguistic rules that attach to the elements of the sentence, and if those rules determine that the literal utterance of the sentence is an assertion, and if, as I have been insisting, she is making a literal utterance of the sentence, then surely it must be an assertion; but it can’t be an assertion since it does not comply with those rules that are specific to and constitutive of assertions. (Searle, 1979a S. 63)
Eine Antwort auf die Frage, was ein Autor fiktionaler Texte tut, wenn er solche Texte verfasst, könnte lauten, dass in diesem Fall illokutionäre Akte vollzogen werden, die eine eigene Klasse bilden. In diese Klasse illokutionärer Akte, mit welchen fiktionale Rede vollzogen wird, könnten Gedichteschreiben, Romaneschreiben, Dramenschreiben usw. gehören, so Searle. Diese Antwort hält er jedoch für falsch. Wer diese Position vertritt, sieht sich, so Searle, folgendem Problem gegenüber : Der illokutionäre Akt ist eine Funktion der Bedeutung des Satzes, so Searles Determinationsprinzip23. Mit der Äußerung eines Satzes in Aussageform werde ein anderer illokutionärer Akt vollzogen als mit der Äußerung eines Fragesatzes. Würden nun mit den Sätzen aus einem fiktionalen Text andere illokutionäre Akte vollzogen als jene, die man aufgrund der wörtlichen Bedeutung der Sätze erwarten würde, so müssten die Sätze eine ganz andere Bedeutung haben. Wer also behauptet, dass mit fiktionalen Texten eigene illokutionäre Akte vollzogen werden, sei, so Searle, gezwungen anzunehmen, dass die Wörter dieser Texte eine andere als ihre normale Bedeutung haben (Searle, 1979a, S. 86). Dies kann aber nicht sein, so Searle, da wir fiktionale Texte als Leser verstehen, ohne bei jedem Lesen neue Bedeutungen für die im Text verwendeten Wörter lernen zu müssen. Da in einem fiktionalen Text prinzipiell jeder Ausdruck einer Sprache vorkommen kann, müsste ein Leser fiktionaler Texte eine ganz neue Sprache lernen. Searle glaubt mit diesem Argument gezeigt zu haben, dass sich die These, mit fiktionaler Rede werden eigene illokutionäre Akte vollzogen, nicht halten
23 Die Bezeichnung »Determinationsprinzip« übernehme ich von Currie (Currie, 1990).
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lässt. Vielmehr versucht er eine eigene Antwort auf die Frage zu geben, welche Handlung derjenige vollzieht, der fiktional redet. Fest steht für Searle, dass der Autor fiktionaler Rede nicht behauptet oder andere assertive Sprechakte vollzieht. Dies zeige sich daran, dass der Autor bei seiner Tätigkeit des Romanschreibens typischerweise nicht an die Regeln, die für das Behaupten Gültigkeit haben, gebunden ist. Searles vorläufige Antwort lautet: Wer fiktional redet, gibt vor, illokutionäre Akte zu vollziehen – allerdings ohne die Absicht zu täuschen. Ein Autor, der eine fiktive Geschichte erzählt, gibt demnach, ohne täuschende Absicht, vor, über eine Reihe von Ereignissen zu berichten. Bei der Formulierung seiner These, es handele sich bei fiktionaler Rede um vorgebliche Behauptungshandlungen, entscheidet sich Searle für das Verb »to pretend«. Genauso hätten aber, schreibt er, »imitating«, »going through the motions« oder »acting as if« verwendet werden können.24 Seine erste These lautet, »the author of a work of fiction pretends to perform a series of illocutionary acts, normally of the assertive type.« (Searle, 1979a, S. 65) Da nicht wahrheitsgemäß von jemandem behauptet werden kann, dass er etwas vorgibt, ohne dass dieser nicht auch die Absicht dazu hat, kommt Searle zu der zweiten These, wonach in den illokutionären Absichten eines Autors das Kriterium zur Klassifizierung eines Textes als einen fiktionalen (oder nicht-fiktionalen) Text liegt: »the identifying criterion for whether or not a text is a work of fiction must of necessity lie in the illocutionary intentions of the author.« (Searle, 1979a, S. 65) Searle versucht zu erklären, wie es möglich ist, einen illokutionären Akt vorzugeben. Die Regeln, die er für den illokutionären Akt der Behauptung angegeben hatte, beschreibt er als solche, die Wörter und Sätze zu der Welt in Beziehung setzen. I find it useful to think of these rules as rules correlating words (or sentences) to the world. Think of them as vertical rules that establish connections between language and reality. (Searle, 1979a, S. 66)
Fiktion werde nun dadurch ermöglicht, dass diese »vertikalen Regeln« von außersprachlichen, nicht-semantischen, »horizontalen Konventionen« durchbrochen werden. (s. dazu Kapitel 2.2.1.4) Now what makes fiction possible, I suggest, is a set of extralinguistic, nonsemantic conventions that break the connection between words and the world established by the rules mentioned earlier. (Searle, 1979a, S. 66) 24 In der deutschsprachigen Debatte hat sich der Ausdruck »So-tun-als-ob« etabliert. Ich verwende an einigen Stellen auch den Ausdruck »Vorgeben« als Synonym für »So-tun-alsob«, um besonders umständliche Formulierungen, die sich mit der Verwendung von »Sotun-als-ob« ergeben würden, zu vermeiden.
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Weil sie keine semantischen Regeln sind, ändern diese »horizontalen Konventionen« auch nicht die Bedeutung. Vielmehr würden Sprecher durch diese Konventionen in die Lage versetzt, Wörter in ihrer wörtlichen Bedeutung zu verwenden, ohne auf das festgelegt zu werden, worauf ein Sprecher normalerweise durch die Bedeutung der von ihm verwendeten Wörter festgelegt würde. Searles dritte These lautet: The pretended illocutions which constitute a work of fiction are made possible by the existence of a set of conventions which suspend the normal operation of the rules relating illocutionary acts and the world. (Searle, 1979a, S. 68)
Wie ist es aber möglich, einen illokutionären Akt vorzugeben? Eine höherstufige oder komplexe Handlung kann vorgegeben werden, so Searle, indem man tatsächlich eine Handlung niedrigerer Stufe vollzieht, die konstitutiver Bestandteil der komplexeren nachgeahmten Handlung ist. Der illokutionäre Akt scheint für Searle eine solche komplexe Handlung zu sein. Dieser werde vorgegeben, indem tatsächlich nur der Äußerungsakt vollzogen werde. Was in Austinscher Terminologie hieße: Der illokutionäre Akt wird vorgegeben, indem ein phonetischer und ein phatischer Akt vollzogen werden. Um weiter in Austins Terminologie zu sprechen: Mit dem vorgeblichen Vollzug eines illokutionären Aktes wird, dieser Charakterisierung zufolge, kein rhetischer Akt vollzogen. Nach Searles Terminologie ist der propositionale Akt ein Aspekt einer Äußerung, der mit der Beschreibung einer Äußerung als Äußerungsakt ebenfalls noch nicht erfasst wird. Da das Vorgeben eines illokutionären Aktes nur im Vollzug eines Äußerungsaktes besteht, scheint der Vollzug eines propositionalen Aktes kein Aspekt dieser Handlung des Vorgebens zu sein. Die Äußerungsakte, die vollzogen werden, um einen illokutionären Akt vorzugeben, ließen sich nicht von Äußerungsakten unterscheiden, die vollzogen werden, um tatsächlich illokutionäre Akte zu vollziehen. Die Äußerungsakte werden im Fall von fiktionaler Rede (im Unterschied zu nicht-fiktionaler Rede) mit der Absicht vollzogen, die horizontalen Konventionen in Kraft treten zu lassen. Diese Absicht sei es auch, die den vorgeblichen Vollzug illokutionärer Akte ausmache. Searles vierte These lautet daher : The pretended performances of illocutionary acts which constitute the writing of a work of fiction consist in actually performing utterance acts with the intention of invoking the horizontal conventions that suspend the normal illocutionary commitments of the utterances. (Searle, 1979a, S. 68)
Die Analyse, dass fiktionale Rede aus dem vorgeblichen Vollzug illokutionärer Akte besteht, grenzt Searle aber auf narrative Texte ein. Dramen seien (der Text, nicht die Aufführung) nicht als solche vorgegebene illokutionäre Akte zu ver-
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stehen, sondern als »ernsthafte« Anweisungen an u. a. Schauspieler, die das Stück aufführen. Das Vorgeben, etwas zu tun, findet dann erst seitens der Schauspieler bei der Aufführung auf der Bühne statt. Ebenfalls lasse sich seine Analyse nicht auf narrative fiktionale Texte anwenden, die als Erzählinstanz einen Ich-Erzähler haben. In diesen Fällen tue der Autor so, als sei er eine andere Person, die dann wiederum illokutionäre Akte vollzieht. Es muss daher festgehalten werden, dass Searle seine Analyse – und das ist auch seine eigene Einschätzung – nur auf einen sehr eingeschränkten Bereich fiktionaler Texte anwenden kann, nämlich narrative Texte mit einem auktorialen Erzähler (der nicht als ein »Ich« in Erscheinung treten darf) oder mit einem personalen Erzähler. Searles Charakterisierung der fiktionalen Rede lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ein Autor fiktionaler Texte gibt vor illokutionäre – meistens assertive – Akte zu vollziehen. Das Vorgeben des Vollzugs illokutionärer Akte geschieht ohne die Absicht zu täuschen. Da von »vorgeben« nur insofern gesprochen werden kann, als ein Akteur auch die Absicht hat etwas vorzugeben, ist die illokutionäre Absicht des Autors ein Kriterium, anhand dessen festgestellt werden kann, ob ein Text fiktional oder nicht fiktional ist. Das Vorgeben illokutionärer Akte ist möglich, weil es Konventionen gibt, die die Regeln außer Kraft setzen, welche den Vollzug illokutionärer Akte regeln. Was der Autor eines fiktionalen Textes tatsächlich tut, wenn er vorgibt einen illokutionären Akt zu vollziehen, ist lediglich der Vollzug eines Äußerungsaktes, d. h. in der von mir gewählten Terminologie der Vollzug eines phonetischen (oder grafischen) und eines phatischen Aktes. Es wird also weder ein propositionaler noch ein illokutionärer Akt vollzogen.
2.2.1.1 Das Determinationsprinzip Searle stellt zu Beginn seiner Untersuchung der fiktionalen Rede eine These auf, die besagt, dass zwischen der Bedeutung von Wörtern und Sätzen, sowie den illokutionären Akten, die durch das Äußern von Wörtern und Sätzen vollzogen werden, eine systematische Beziehung besteht: In general the illocutionary act (or acts) performed in the utterance of the sentence is a function of the meaning of the sentence. We know for example, that an utterance of the sentence »John runs the mile« is a performance of one kind of illocutionary act, and that an utterance of the sentence »Can John run the mile?« is a performance of another kind of illocutionary act, because we know that the indicative sentence form means something different from the interrogative sentence form. (Searle, 1979a, S. 64)
Aus dieser These ergebe sich aber eine Schwierigkeit, so Searle, in Bezug auf fiktionale Rede: In fiktionaler Rede werden sprachliche Ausdrücke mit derselben Bedeutung verwendet wie in nicht-fiktionalen Kontexten, es scheint aber ein
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anderer (bzw. – wie er dann im Verlauf seiner Analysen herausarbeitet – kein) illokutionärer Akt ausgeführt zu werden. So wie er aber diese Schwierigkeiten, die sich aus dieser These für die fiktionale Rede ergeben, formuliert, drängt sich folgende Interpretation seiner These auf: Werden sprachliche Ausdrücke in ihrer wörtlichen Bedeutung verwendet, ist damit bestimmt, welche illokutionäre Rolle die Äußerung hat. Auf Kontext, Betonung usw. zur Bestimmung der illokutionären Rolle scheint Searle nicht zurückgreifen zu wollen. Allerdings nimmt Searle an dieser Stelle an, dass die grammatikalische Satzform (also Aussagesatz, Imperativsatz und Fragesatz) zum einen ein bedeutungstragendes Element des Satzes ist. Zum anderen geht er davon aus, dass die Satzform ein Element der Äußerung ist, das determiniert, welcher illokutionäre Akt mit der Äußerung vollzogen wird. Mit der Äußerung eines Aussagesatzes kann gemäß Searles Determinationsprinzips nur ein assertiver illokutionärer Akt vollzogen werden. Ein solches Determinationsprinzip ist jedoch mit Searles Theorie der Sprechakte, so wie er sie in Speech Acts formuliert, nicht vereinbar. Dort und auch an anderen Stellen unterscheidet er fünf Klassen illokutionärer Akte. Im Englischen wie im Deutschen gibt es aber nur drei grammatikalische Satzarten: Aussagesätze, Fragesätze, Befehlsätze. Wenn die Satzart tatsächlich determiniert, dass mit der Äußerung eines Satzes einer bestimmten Art nur ein illokutionärer Akt ausgeführt werden kann, der nur genau einer Klasse angehört, blieben illokutionäre Akte zweier Klassen, bei welchen völlig unklar wäre, wie diese ausgeführt werden könnten. Des Weiteren werden normalerweise explizit performativ ausgeführte illokutionäre Akte durch das Äußern eines Aussagesatzes vollzogen: »Hiermit taufe ich dich auf den Namen Josef.«, »Hiermit verspreche ich dir morgen zu kommen.«, »Hiermit fordere ich dich auf, den Raum zu verlassen.« sind Aussagesätze. Doch durch die performative Formel wird (unter geeigneten Umständen) der illokutionäre Akt expliziert, der mit der Äußerung vollzogen wird (oder werden soll); hier : eine Taufe, ein Versprechen, eine Aufforderung. Das Determinationsprinzip wird von Searle nun herangezogen, um seine These zu untermauern, dass mit fiktionalen Äußerungen, auch wenn es sich um Aussagesätze handelt, keine assertiven illokutionären Akte vollzogen werden. G. Currie weist aber darauf hin, dass diese Annahme auch oder gerade dann nicht akzeptiert werden könne, wenn das Determinationsprinzip anerkannt würde. Denn wenn das Prinzip besagt, dass mit der Äußerung eines Aussagesatzes immer nur ein illokutionärer Akt vollzogen werden kann, so wäre die fiktionale Rede nach Searles eigener Charakterisierung ein Gegenbeispiel für das Prinzip. What Searle is saying is that the same sentence with the same meaning can occur in nonfiction as the result of the illocutionary act of assertion, and again in fiction as the
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result of an act which is not an illocutionary act at all. So sentence meaning does not determine the illocutionary act performed. To put the matter slightly more formally, Searle’s determination principle says that there is a function f from sentence meanings to illocutionary acts where f(P) is the act performed in uttering P. But on his own further account there is no such function, because the value of f for a given argument is sometimes an illocutionary act and sometimes (as in the case of fictional utterance) the value is undefined (since the associated act is not an illocutionary act). And a function cannot be both defined and undefined for a given argument. (Currie, 1985, S. 386)
Nun könnte nicht nur die Satzart, sondern die wörtliche Bedeutung der geäußerten sprachlichen Ausdrücke, festlegen, welcher illokutionäre Akt mit einer Äußerung vollzogen wird. Dass Searle in The Logical Status of Fictional Discourse eine solche These vertritt, legt die folgende Formulierung nahe: But if the sentences in a work of fiction were used to perform some completely different speech acts from those determined by their literal meaning, they would have to have some other meaning. Anyone therefore who wishes to claim that fiction contains different illocutionary acts from nonfiction is committed to the view that words do not have their normal meaning in works of fiction. (Searle, 1979a, S. 64)
An dieser Stelle spricht Searle nun eindeutig von der Bedeutung von Wörtern, die den illokutionären Akt determinieren sollen, der mit der jeweiligen Äußerung vollzogen wird. Was es heißen könnte, dass die wörtliche Bedeutung von verwendeten Worten die illokutionäre Rolle bestimmt, lässt sich noch am leichtesten bei der Verwendung performativer Verben vorstellen. Searle könnte eine These vertreten, die wie folgt lautet und zumindest eine gewisse Primafacieplausibilität besitzt: Verwendet ein Sprecher ein performatives Verb in seiner wörtlichen Bedeutung, so wird damit die illokutionäre Rolle der Äußerung verdeutlicht. Seine These wäre somit nur auf die Verwendung performativer Verben beschränkt und würde sich nicht auf alle in einer Äußerung verwendeten Ausdrücke beziehen. Plausibel erscheint diese These zunächst bei Äußerungen wie »Ich verspreche dir, morgen pünktlich zu sein.« oder »Ich taufe dich hiermit auf den Namen Josef.« Dass mit solchen Äußerungen tatsächlich ein Versprechen bzw. eine Taufe vollzogen werden, erscheint nahe liegend. Doch mit »Ich verspreche dir, morgen pünktlich zu sein.« muss kein Versprechen gegeben werden, sondern es könnte z. B. eine Drohung ausgesprochen werden. Dies ließe sich u. a. durch den Kontext der Äußerung oder die Betonung erkennen. Searle könnte nun einwenden, dass in diesem Fall »versprechen« gerade nicht in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet werde. Er könnte argumentieren, dass dieser Sprecher zwar den Ausdruck »versprechen« benutzt, aber »drohen« meint. Allerdings müsste Searle erklären, wie es möglich ist, die nicht wörtliche Verwendung eines performativen Verbs zu erkennen, ohne auf u. a. den Kontext der Äußerung einzugehen. Tatsächlich sollte bei explizit performativen Äuße-
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rungen zwischen solchen unterschieden werden, bei welchen mit dem illokutionären Verb tatsächlich der illokutionäre Akt angezeigt wird und solchen, die zwar eine performative Formel beinhalten, mit der aber nicht der illokutionäre Akt (oder zumindest nicht exakt) bezeichnet wird. Sofern durch eine performative Formel der illokutionäre Akt nicht benannt wird, dürfte die Äußerung streng genommen nicht als explizit performative Äußerung gelten, da ja gerade nicht der illokutionäre Akt expliziert wird. Da ich aber in Kapitel 1.2 bereits dafür plädiert habe, für die Bestimmung des illokutionären Aktes immer die Äußerungssituation mit zu berücksichtigen und die grammatikalischen und semantischen Eigenschaften des Geäußerten nicht überzubewerten, möchte ich an dieser Stelle auf die Einführung eines weiteren Terminus verzichten. Woher sollte der Adressat des Sprechers aber erkennen, dass ihm mit der gerade genannten Beispiel-Äußerung gedroht und nicht etwas versprochen wurde? Dass wir als Hörer einer solchen Äußerung in der Lage sind, diese als eine Drohung oder als ein Versprechen zu erkennen, liegt offensichtlich daran, dass mehr als nur die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke herangezogen wird, um zu erkennen, welche Handlung mit der Äußerung vollzogen wird oder werden sollte. Wenn Searle zugestanden würde, dass »versprechen« hier nicht wörtlich verwendet wird, stellt sich dennoch ein weiteres Problem. Es lassen sich sehr schnell Beispiele für die wörtliche Verwendung eines performativen Verbs finden, ohne dass mit seiner Verwendung die illokutionäre Rolle der Äußerung benannt würde, so in folgendem Satz: »Gestern habe ich dir versprochen, dich nächste Woche zu besuchen«. Das performative Verb »versprechen« wird hier in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet und dennoch wird mit dieser Äußerung nicht der Akt des Versprechens vollzogen. Vielmehr wird von einem Versprechen berichtet. »Versprechen« wird zwar hier in seiner wörtlichen Bedeutung gebraucht, aber gerade nicht in seiner performativen Funktion. Explizit performative Äußerungen sind nur solche Äußerungen, bei welchen das Hauptverb aus der Gruppe der performativen Verben stammt und in der ersten Person Singular im Indikativ Präsens Aktiv verwendet wird. (s. Levinson, 2000, S. 253ff.) Wird das performative Verb in der ersten Person Singular im Indikativ Präsens Aktiv verwendet, zeigt sich, dass es die illokutionäre Rolle der Äußerung anzeigen kann, aber nicht muss. Zeigt das performative Verb nicht die illokutionäre Rolle an, so sollte trotz der Verwendung des performativen Verbs in der ersten Person Singular im Indikativ Präsens Aktiv nicht von einer explizit performativen Äußerung gesprochen werden. Denn die Bezeichnung »explizit« wäre an dieser Stelle irreführend. Der performative Charakter der Äußerung, also die illokutionäre Rolle, wird nur dann mit einem performativen Verb expliziert, wenn dieses auch tatsächlich den illokutionären Akt benennt, der mit der Äußerung ausgeführt wird oder werden soll. Wird ein performatives Verb in
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der zweiten oder dritten Person (Singular und/oder Plural) verwendet, wird es nicht die illokutionäre Rolle der Äußerung, in der das Verb vorkommt, benennen. Bisher wurden nur Äußerungen betrachtet, in welchen ein performatives Verb in verschiedenen Weisen verwendet wurde. Dabei wurde unterschieden zwischen performativen Äußerungen, bei welchen mit der Verwendung des performativen Verbs tatsächlich der illokutionäre Akt expliziert wird, der mit der Äußerung vollzogen wird, und solchen, bei welchen mit dem performativen Verb der illokutionäre Akt nicht expliziert wird. Dies kann zum einen dann sein, wenn das performative Verb nicht in der ersten Person Singular im Indikativ Präsens Aktiv verwendet wird, oder zum anderen, wenn das performative Verb nur scheinbar den illokutionären Akt expliziert, tatsächlich aber ein anderer ausgeführt wird. In vielen, wenn nicht den meisten Äußerungen wird aber von den Sprechern kein performatives Verb verwendet. Wie könnte Searles These bei implizit performativen Äußerungen verstanden werden? Wird z. B. der Satz »Ab morgen wird sich hier einiges ändern.« geäußert, ist die illokutionäre Rolle nur unter Berücksichtigung der verwendeten Ausdrücke hier nicht eindeutig bestimmbar, obwohl jedes der vorkommenden Worte in seiner wörtlichen Bedeutung zu verstehen ist. Um eine eindeutige Bestimmung vornehmen zu können, wären weitere Hinweise nötig. Mit entsprechender Betonung könnte mit diesem Satz eine Drohung vollzogen werden, es könnte sich aber auch u. a. um eine Behauptung oder Vermutung handeln. Die wörtliche Bedeutung der Worte in diesem Satz legt den illokutionären Akt, der mit der Äußerung des Satzes vollzogen werden kann, also nicht fest. Einige illokutionäre Akte sind sicherlich bei diesem Beispiel sehr unwahrscheinliche Kandidaten, z. B. das Taufen. Dieser Umstand reicht aber nicht aus, um Searles starke These vertreten zu können. Eine der größten Schwierigkeiten an Searles Ausführungen zur fiktionalen Rede besteht offensichtlich darin, dass sein Determinationsprinzip nicht haltbar ist. Die illokutionäre Rolle einer Äußerung wird nicht allein durch die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke bestimmt. Dies trifft auf explizite und implizite performative Äußerungen zu. Diese These ist aber Searles Haupteinwand gegen Positionen, die der fiktionalen Rede eine illokutionäre Rolle zuordnen wollen. Denn nur wenn angenommen wird, dass allein die wörtliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke bestimmt, welcher illokutionäre Akt mit dem Gesagten vollzogen wird, ergibt sich die oben genannte Schwierigkeit in Bezug auf die fiktionale Rede. Weil Searle als einzige Kritik an anderen Positionen nur diese unhaltbare These anführt, muss seine Kritik an jenen Positionen auch nicht weiter betrachtet werden. Stattdessen soll überprüft werden, ob seine Position trotz der schon vorgebrachten Schwierigkeiten vertretbar ist.
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2.2.1.2 Wird bei fiktionaler Rede ein propositionaler Akt vollzogen? Dass bei fiktionaler Rede kein propositionaler Akt vollzogen werde, wird von Searle nicht explizit behauptet, lässt sich aus zwei Gründen jedoch folgern: 1. Searle beschreibt die fiktionale Rede als bloßen Äußerungsakt. Der propositionale Akt ist aber kein Aspekt des Äußerungsaktes. 2. In Speech Acts beschreibt Searle den propositionalen Akt als einen abhängigen Akt, der nicht ohne einen illokutionären Akt ausgeführt werden kann. Da er davon ausgeht, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen wird, kann seiner These aus Speech Acts folgend auch kein propositionaler Akt ausgeführt werden. Im Folgenden soll untersucht werden, ob Searles Charakterisierung der fiktionalen Rede als Vollzug eines Äußerungsaktes ohne propositionalen Akt aufrechterhalten werden kann. Wie in Kapitel 1.4 erläutert wurde, unterscheidet Searle an dem propositionalen Akt die beiden Teilakte der Referenz und der Prädikation. Im Rahmen seiner Darstellung des Aktes der Referenz formuliert Searle das Axiom der Existenz, wonach das, worauf Bezug genommen wird, existieren oder zumindest in der Vergangenheit existiert haben oder in der Zukunft zu existieren beginnen muss. An diesem Axiom scheinen fiktionale Texte, zumindest die paradigmatischen Fälle fiktionaler Rede, zu scheitern. Denn in diesen Fällen ist z. B. von Personen die Rede, die nicht existieren und nie existiert haben. Vielfach wird gerade dieser Umstand als entscheidendes Charakteristikum fiktionaler Rede angesehen. Searle selbst scheint diese Position zu vertreten, wenn er davon spricht, dass mit Sätzen, die zwar in Romanen vorkommen, mit welchen aber über reale Personen, Orte usw. gesprochen wird, keine fiktionale Rede vollzogen wird. Sie scheinen seiner Ansicht nach zwar Teil eines fiktionalen Werks zu sein, sind aber nicht als fiktionale Rede zu bezeichnen. Eine prominente Kritik an Searles Theorie der fiktionalen Rede wird von Richard Rorty in dessen Aufsatz Is There a Problem about Fictional Discourse? vorgetragen. Rorty beschäftigt sich in diesem Aufsatz mit der Frage, ob über fiktive Gegenstände wahre Aussagen gemacht werden können. Aussagen über fiktive Gegenstände können in zwei unterschiedlichen Weisen vorkommen, nämlich in fiktionaler Rede oder in Rede über Fiktion. Während Searle sich in seinem Aufsatz The Logical Status of Fictional Discourse der fiktionalen Rede widmet, scheint Rorty in erster Linie Rede über Fiktion im Auge zu haben. Auch wenn Rorty diese nicht nur für seine Kritik relevante Unterscheidung nicht immer zu berücksichtigen scheint, zeigen sich ausgehend von dieser Kritik Schwierigkeiten für Searles These, dass mit fiktionaler Rede kein propositionaler Akt vollzogen wird. Ausgangspunkt für Rortys Kritik ist seine Auseinandersetzung mit Searles Formulierung des Axioms der Existenz. Dieses Axiom stellt Searle, wie bereits
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erwähnt, im Rahmen seiner Analysen des Aktes der Referenz auf. Für Searle ist es ein paradigmatischer Fall, dass mit einem Sprechakt auf etwas Bezug genommen wird (Akt der Referenz) und darüber etwas ausgesagt wird (Akt der Prädikation). Bei diesen paradigmatischen Fällen spricht Searle davon, dass ein propositionaler Akt vollzogen wird. Der Akt der Referenz und der Prädikation werden als Teilakte des propositionalen Aktes angesehen. Searle geht aber nicht davon aus, dass es nur solche Fälle sprachlicher Äußerungen gibt; vielmehr nennt er auch Beispiele von Äußerungen, mit welchen kein Akt der Referenz vollzogen wird. Wenn mit einer sprachlichen Äußerung kein Akt der Referenz vollzogen wird, so findet das Axiom der Existenz in diesem Fall auch keine Anwendung. Strittig ist, ob es der Searleschen Terminologie folgend Fälle sprachlicher Äußerungen geben kann, mit welchen zwar nicht auf etwas Bezug genommen wird, die Äußerung aber dennoch einen propositionalen Gehalt hat. Dies wurde in Kapitel 1.6.3 bereits erläutert und an dieser Stelle dafür plädiert, Searles Ausführungen so zu interpretieren, dass auch dann vom Vollzug eines propositionalen Aktes gesprochen werden kann, wenn kein Akt der Referenz vollzogen wird. Neben dem Axiom der Existenz führt Searle das Axiom der Identifizierung ein. Dieses besagt, dass ein Sprecher, der auf einen Gegenstand Bezug nimmt, diesen identifizieren muss bzw. auf Nachfrage dazu in der Lage sein muss.25 Rorty glaubt nun, dass eine Position, die er als »pure ›language-game‹ approach« (Rorty, 2005, S. 131) bezeichnet, mit diesem letztgenannten Axiom auskommen kann: That is, as long as we view language as conventional behavior, rather than as hooking on to the world at designated spots, ability to identify should be enough to keep conversation going, existence or no existence. (Rorty, 2005, S. 131)
Rortys Auseinandersetzung mit Searles Position muss vor dem Hintergrund der erkenntnistheoretisch-ontologischen Realismus-Antirealismus-Debatte gesehen werden. Rorty scheint zu hoffen, mit der Beantwortung der Frage, ob wahre Aussagen über fiktive Gegenstände gemacht werden können, weitreichendere Fragen in Bezug auf diese Kontroverse klären zu können. Auf diese Debatte kann und soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, und daher soll auch Rortys Vorschlag, das Axiom der Existenz durch das Axiom der Identifizierung grundsätzlich zu ersetzen, nicht diskutiert werden. In Bezug auf Searles Darstellung der fiktionalen Rede lautet Rortys Forderung, dass Searle zeigen muss, warum das Axiom der Existenz im Fall fiktionaler Rede eingehalten werden kann. Dies scheint möglich zu sein, da Searle davon 25 Im Zusammenhang mit der Darstellung von Searles Konzeption des propositionalen Aktes wird in Kapitel 1.4 auf das Axiom der Existenz näher eingegangen.
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ausgeht, dass der (z. B. Roman-)Autor, indem er einen fiktionalen Text schreibt, fiktive Entitäten erschafft. Denn indem z. B. ein Romanautor so tue, als existiere ein Gegenstand, auf den Bezug genommen26 werden könne, erschaffe der Autor durch diesen vorgeblichen Bezug fiktive Entitäten. Ist dieser Prozess einmal abgeschlossen, kann auf die fiktiven Entitäten tatsächlich Bezug genommen werden, so Rortys Darstellung von Searles Thesen. Rorty versteht Searle nun so, dass für diesen fiktive Entitäten Teil der Welt sind, zu der Wörter durch die vertikalen Regeln in Beziehung gesetzt werden. Searle müsse, so Rorty, von der Existenz fiktiver Entitäten ausgehen, um das Axiom der Existenz aufrechtzuerhalten. Damit habe Searle jedoch den Existenzbegriff so erweitert, dass mit »Existenz« gemeint sein muss »either spatio-temporal existence or ability to be referred to in a language-game parasitic on real world (spatio-temporal) talk and known to its speakers to be distinct from such talk« (Rorty, 2005, S. 133). Den Existenzbegriff in dieser Art zu erweitern, führe zu der Frage, warum Searle an dem Axiom der Existenz festhalten will, wenn er auf das Axiom der Identifizierung zurückgreifen kann.27 Rortys Kritik besagt nun, dass Searle, weil er sein Axiom der Existenz nicht aufgeben will, fiktiven Gegenständen Existenz zuspricht und damit eine unplausible Verwendung des Ausdrucks »Existenz« in Kauf nimmt. Vorzuwerfen ist Searle in der Tat, dass mit seiner Formulierung, fiktive Entitäten »existieren in der Dichtung« unklar ist, wie »existieren« verstanden werden soll: Can’t one refer to Santa Claus and Sherlock Holmes, though neither of them exists or ever did exist? Reference to fictional (and also legendary, mythological, etc.) entities are not counter-examples. One can refer to them as fictional characters precisely because they do exist in fiction. (Searle, 1969, S. 78)
Und weiter : Secondly, the fact that there is such a fictional character as Sherlock Holmes does not commit us to the view that he exists in some suprasensible world or that he has a special mode of existence. Sherlock Holmes does not exist at all which is not to deny that he exists-in-fiction. (Searle, 1969, S. 79)
Allerdings befasst sich Searle an beiden hier zitierten Stellen nicht mit fiktionaler Rede, sondern mit Rede über Fiktion. Seine These, die er in diesem Kontext vertritt, besagt, dass auf den Inhalt eines bereits geschriebenen fiktionalen Textes Bezug genommen werden kann und ernsthafte Aussagen darüber ge26 »By pretending to refer to people and to recount events about them, the author creates fictional characters and events.« (Searle, 1979a, S. 73) 27 »For ability to refer to X’ in fictional discourse (or in any other parasitic language game) seems just ›ability to keep up a coherent conversation about x’. This, in turn, seems just possession of an identifying description full enough to let us see what would count for or against various assertions using the term in question.« (Rorty, 2005, S. 134)
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macht werden können. Er scheint mit seinen Ausführungen klären zu wollen, wie über den Inhalt eines fiktionalen Textes gesprochen werden kann. Offen lässt er dagegen die Frage, was diese Auffassung für seine Konzeption der fiktionalen Rede bedeutet. Auf Fragen in Bezug auf die Existenz und Erschaffung fiktiver Gegenstände werde ich in Kapitel 3 und 4weiter eingehen. So viel sei an dieser Stelle jedoch schon festgehalten: Wer die Position vertritt, mit fiktionaler Rede werden fiktive Gegenstände erschaffen, muss klären (1) welchen ontologischen Status diese Gegenstände haben und (2) wie sie erschaffen werden. Die Beantwortung von (2) setzt voraus, dass fiktionale Rede so charakterisiert wird, dass ihr die Eigenschaft zugesprochen wird, dass Sprecher mit ihrem Vollzug bestimmte Gegenstände erschaffen können. Searle charakterisiert jedoch, entgegen der Annahme von Rorty, fiktionale Rede als bloßen Vollzug eines Äußerungsaktes. Da mit fiktionaler Rede kein Akt der Referenz, Searles Konzeption zu Folge, vollzogen wird, findet das Axiom der Existenz keine Anwendung, d. h. für seine Charakterisierung der fiktionalen Rede greift Searle auf das Axiom der Existenz nicht zurück. Aufgrund dieser Charakterisierung kann Rortys Forderung, Searle müsse zeigen, warum im Fall fiktionaler Rede das Axiom der Existenz eingehalten würde, zurückgewiesen werden. Dass mit fiktionaler Rede kein Akt der Referenz vollzogen wird, könnte von Searle unterschiedlich begründet werden: 1. Searle zufolge wird mit fiktionaler Rede ebenfalls kein illokutionärer Akt vollzogen. Nach Searles Unselbstständigkeitsthese wird aber mit einem propositionalen Akt immer auch ein illokutionärer Akt vollzogen. Trifft seine Analyse zu, so ließe sich der Unselbstständigkeitsthese folgend sagen: Wenn mit einer Äußerung kein illokutionärer Akt vollzogen wird, so folgt daraus, dass auch kein propositionaler Akt vollzogen wird. Sofern die Unselbstständigkeitsthese akzeptiert wird, müsste die Plausibilität von Searles Darstellungen der fiktionalen Rede hinsichtlich des propositionalen Aktes geprüft werden anhand der Argumente, die belegen müssten, dass mit der fiktionalen Rede kein illokutionärer Akt vollzogen wird. U.a. in Kapitel 2.2.1 werde ich dafür argumentieren, dass Searles These, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, nicht aufrechterhalten werden kann. Aus der Unselbstständigkeitsthese ergibt sich jedoch nur, dass ein propositionaler Akt nicht ohne einen illokutionären Akt vollzogen werden kann. Ein illokutionärer Akt kann dagegen ohne einen propositionalen Akt ausgeführt werden. Nimmt man an, dass fiktionale Rede als illokutionärer Akt beschrieben werden kann, ist die Frage, ob Searles Charakterisierung der fiktionalen Rede hinsichtlich des propositionalen Aktes zutrifft, an dieser Stelle daher noch nicht beantwortet. Rortys Argumente gegen Searle scheinen aber aus einer anderen Richtung zu
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kommen. Diese werden relevant, wenn Searles Charakterisierung der fiktionalen Rede in anderer als der gerade geschilderten Weise begründet würde. 2. Dass mit fiktionaler Rede kein Akt der Referenz vollzogen wird, könnte auch begründet werden, ohne auf den illokutionären Akt einzugehen. Die Begründung würde folgendermaßen lauten: Bei fiktionaler Rede werden (von Searle so genannte) bezugnehmende Ausdrücke verwendet, ohne, dass es einen Gegenstand gibt, auf den Bezug genommen würde. Es kann also kein Akt der Referenz vollzogen werden, da das Axiom der Existenz nicht erfüllt wird. Versteht man den Akt der Referenz als einen notwendigen Bestandteil des propositionalen Aktes, würde, träfen diese Annahmen zu, auch kein propositionaler Akt vollzogen. Diese hier unter Punkt zwei skizzierte Position muss sich mit Rortys Kritik auseinandersetzen. Wenn Searles These, dass bei fiktionaler Rede kein Akt der Referenz vollzogen wird, mit dem Umstand begründet wird, dass mit fiktionaler Rede Aussagen über Nicht-Existierendes gemacht werden, dann ist es eine entscheidende Frage, ob ein Akt der Referenz nur erfolgreich vollzogen werden kann, wenn der Gegenstand, auf den Bezug genommen wird, existiert. Wenn das Axiom der Existenz durch das der Identifizierung ersetzt werden kann, so hieße das, Rortys Interpretation dieses Axioms zufolge, dass ein Akt der Referenz auch dann erfolgreich vollzogen werden kann, wenn der Gegenstand, auf den Bezug genommen wird (werden soll), nicht existiert. Dann würde auch mit fiktionaler Rede ein Akt der Referenz vollzogen werden, womit Searles Charakterisierung unzutreffend würde. Doch auch wenn am Axiom der Existenz festgehalten würde, stellt Searles eigene Position in Bezug auf die Rede über Fiktion ein Problem für seine Konzeption der fiktionalen Rede dar. Wenn Searle an dieser Position festhalten will, müsste er zunächst klären, was er unter der Erschaffung einer fiktiven Entität tatsächlich versteht, u. a. wann dieser Erschaffensprozess abgeschlossen ist. Wie Rorty richtigerweise bemerkt hat, spricht Searle fiktiven Entitäten Existenz zu und will zulassen, dass im Fall von Rede über Fiktion auf fiktive Entitäten Bezug genommen werden kann. Falls Sherlock Holmes mit der erstmaligen Nennung seines Namens von A. C. Doyle erschaffen wurde (und dann folglich existiert), so stellt sich dann die Frage, warum der Autor mit der Nennung des Namens bei einem zweiten, dritten usw. Mal nicht auf eine von ihm selbst erschaffene fiktive Entität Bezug nimmt. Searle müsste erklären können, warum A. C. Doyle dies (im Rahmen seiner Romane) nicht tut bzw. tun kann, während es einem Autor, der über einen Sherlock-Holmes-Roman schreibt, sehr wohl möglich ist, auf Sherlock Holmes Bezug zu nehmen. Wenn A.C. Doyle nach der ersten Nennung des Namens seines Protagonisten auf diesen Bezug nehmen könnte, so würden mit fiktionaler Rede Akte der Referenz vollzogen. Da nicht nur auf Sherlock Holmes Bezug genommen, sondern auch etwas über ihn ausgesagt würde, würde
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auch ein Akt der Prädikation vollzogen. Daher würden dann mit fiktionaler Rede propositionale Akte vollzogen, da beide Teilakte erfolgreich ausgeführt werden könnten. Der Unselbstständigkeitsthese folgend würde dann auch ein illokutionärer Akt vollzogen werden, denn dieser These zufolge wird mit jedem Vollzug eines propositionalen Aktes auch ein illokutionärer Akt vollzogen. Eine andere Möglichkeit wäre, anzunehmen, ein fiktiver Charakter wäre erst erschaffen, wenn das gesamte fiktionale Werk beendet ist. Für diese These müsste geklärt werden, wann ein Werk beendet ist. Wäre beispielsweise ein Charakter durch einen Vorabdruck eines Teils eines Romans (vor dem Erscheinen des gesamten Romans) schon erschaffen oder können wir in diesem Fall noch nicht erfolgreich, z. B. als Leser, auf einen Charakter Bezug nehmen? Auch wenn Rorty bei seiner Kritik an Searle die wichtige Unterscheidung zwischen Rede über Fiktion und fiktionaler Rede nicht oder nicht durchgehend vornimmt, stellt sie Searles Position vor große Schwierigkeiten. Würde Searles Verwendungsweise von »Existenz« es tatsächlich erlauben, zu behaupten, dass fiktive Entitäten existieren, so könnte auf sie ebenso Bezug genommen werden wie auf nicht-fiktive Entitäten. Dann müsste geklärt werden, warum im Fall der fiktionalen Rede kein Akt der Referenz ausgeführt werden kann. Eine Modifikation der Searleschen Position hinsichtlich des Aktes der Referenz, so wie Rorty sie vorschlägt, hätte Auswirkungen auf Searles Charakterisierung der fiktionalen Rede. Wäre der Vollzug des Aktes der Referenz notwendige Bedingung für das Vorliegen eines propositionalen Aktes, so würde sich Searles Position nicht nur aus der Unselbstständigkeitsthese ergeben, sondern auch durch das Nichtzustandekommen des Aktes der Referenz. Tatsächlich gibt es Autoren, die Searles Konzeption des propositionalen Aktes so verstehen (Gabriel, 1975, S. 17; Klemm, 1984, S. 152f.) Für dieses Verständnis des propositionalen Aktes ist es entscheidend zu klären, ob fiktiven Entitäten Existenz zugesprochen werden kann und wenn ja, in welchem Sinn, und damit verbunden, ob auf sie auch mit fiktionaler Rede Bezug genommen wird.
2.2.1.3 So-tun-als-ob Um von der Handlung zu sprechen, die der Autor fiktionaler Rede ausführt, verwendet Searle das Verb »to pretend«. In der deutschsprachigen Debatte hat sich die Wendung »so tun, als ob« durchgesetzt. Ich werde an einigen Stellen auch synonym zu »so tun als ob« »vorgeben« und in entsprechender Weise das Adjektiv »vorgeblich« verwenden. Bei ihrer Analyse des So-tun-als-ob-Begriffs unterscheidet Laura Mercolli (Mercolli, 2012) zunächst drei Typen von So-tunals-ob: das interpersonale So-tun-als-ob, das Vorstellungs-so-tun-als-ob und
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das unbeabsichtigte So-tun-als-ob. Das Vorstellungs-so-tun-als-ob charakterisiert sie als eine Handlung, die nicht an eine weitere Person gerichtet ist: U stellt sich bei einem Vorstellungs-STAO den für wahr gehaltenen Sachverhalt, dass p, vor und vollzieht dabei unter gewissen Umständen Handlungen, die Verhaltensweisen ähneln, die U mit der Vorstellung, dass p, assoziiert. (Mercolli, 2012, S. 50)
Weil in diese So-tun-als-ob-Handlungen keine anderen Personen involviert sind, ist es auch nicht notwendig, anderen zu verstehen zu geben, dass es sich um ein So-tun-als-ob handelt. Bei fiktionaler Rede handelt es sich nicht um ein Vorstellungs-so-tun-als-ob, da sich der Autor mit seinem Text gewöhnlich an eine Leserschaft wendet.28 Ebenfalls kommt für fiktionale Rede das unbeabsichtigte So-tun-als-ob nicht in Frage. Denn bei dieser Art des So-tun-als-ob vollzieht eine Person A eine Handlung oder verhält sich in irgendeiner Weise, die von einer anderen Person B als andere Handlung, nämlich als ein So-tun-als-ob, verstanden wird als die, die A tatsächlich ausgeführt hat. A hält seine Handlung oder sein Verhalten aber gerade nicht für ein So-tun-als-ob. (Mercolli, 2012, 51f.) So könnte B glauben, A tue nur so, als ob er nicht schwimmen könne, tatsächlich kann A nicht schwimmen und sein Verhalten ist tatsächlich das Verhalten eines verzweifelten Nichtschwimmers im Schwimmerbecken. Diese Art von Missverständnis kann bzgl. der Äußerungen des Autors fiktionaler Rede nicht unterstellt werden. Wenn Leser eines Romans den Schreibprozess des Autors als Romanschreiben erkennen, schreiben sie dem Autor die Handlung zu, die er sich auch selbst zuschreiben würde. Wenn fiktionale Rede als eine Art von So-tun-als-ob beschrieben werden kann, bleibt nur, nach der hier vorgeschlagenen Unterscheidung, das interpersonale So-tun-als-ob übrig. Weil Leser fiktionaler Rede diese als eben solche erkennen können und es auch angemessen ist, dem Autor fiktionaler Rede zu unterstellen, dass er will, dass seine Rede als fiktionale (und nicht etwa als behauptende) aufgefasst wird, müsste es sich bei fiktionaler Rede um transparentes interpersonales So-tun-als-ob handeln. Weil den Personen, die in das Sotun-als-ob in irgendeiner Weise involviert sind, transparent gemacht wird, dass es sich um ein So-tun-als-ob handelt, kann dem Handelnden, der das So-tun-alsob ausführt, keine Täuschungsabsicht unterstellt werden. Eine Tennislehrerin, die – ohne Ball – so tut, als würde sie aufschlagen, um ihren Schülern eine bestimmte Technik zu demonstrieren, vollzieht ein interpersonales transpa28 Von solchen Fällen bin ich bisher stillschweigend ausgegangen und werde auch im Folgenden annehmen, dass Autoren fiktionaler Texte diese verfassen, damit sie gelesen werden. Ein Autor, der die Absicht hat, einen Text zu schreiben und diesen niemandem zum Lesen zu geben, muss sich nicht dafür interessieren, ob der Text verständlich ist, insbesondere spielt es keine Rolle, ob deutlich wird, ob es sich um einen fiktionalen Text handelt oder nicht. Solche Fälle könnten als Vorstellungs-So-tun-als-ob angesehen werden.
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rentes So-tun-als-ob.29 Mercollis Explikationsvorschlag für diese Art des So-tunals-ob lautet: U tut dadurch, dass er x tut, gegenüber A transparenterweise so, als ob p, gdw. Es nicht der Fall ist, dass U glaubt, dass p. U tut absichtlich x. U beabsichtigt durch sein Tun von x zu bewirken, dass A einen Beleg Q für die Überzeugung, dass p, erwirbt. Es gibt eine Beschreibung der Form »U tut y«, die den Inhalt des von A zu erwerbenden Belegs Q ausdrückt. U glaubt, dass A einen endgültigen Annulierer R für Q besitzt oder erwirbt und dass es aufgrund dessen nicht der Fall ist, dass A glaubt, dass p. U beabsichtigt, dass A erkennt, dass e). (Mercolli, 2012, S. 28f.)
Annullierer sind der hier vorgestellten Terminologie zufolge Überzeugungen, die Belege für andere Überzeugungen außer Kraft setzen. Die Überzeugung beispielsweise der Tennisschüler, dass ihre Lehrerin keinen Ball hat, ist ein solcher Annullierer. Die Lehrerin vollzieht bestimmte Bewegungen, die denen gleichen, die sie vollführen würde, wenn sie tatsächlich aufschlagen würde. Weil sie aber keinen Ball hat, schlägt sie nicht wirklich auf. Die Bewegungen der Lehrerin könnten die Schüler glauben lassen, diese würde aufschlagen. Die Bewegungen der Lehrerin sind ein Beleg für die Überzeugung, diese habe einen Aufschlag gemacht. Dieser Beleg wird nun durch den Annullierer (die Überzeugung, dass die Lehrerin keinen Ball hat) außer Kraft gesetzt. Annullierer können in der Situation des So-tun-als-ob erworben werden, oder aber zum Hintergrundwissen der Beteiligten gehören. Annullierer können ihrerseits annulliert werden. Sehen die Schüler z. B., dass die Tennislehrerin doch einen Ball hatte, der vorher für die Schüler nicht zu sehen war, werden die Schüler ihre Überzeugung diesbezüglich ändern und die Überzeugung ausbilden, dass die Tennislehrerin einen Ball hat. Die Bewegungen der Lehrerin können dann aber nicht mehr als ein So-tun-als-ob beschrieben werden, denn wenn sie die entsprechenden Bewegungen ausgeführt hat und mit dem Schläger einen Tennisball getroffen hat, handelt es sich bei ihrer Handlung um einen »tatsächlichen« Aufschlag und nicht um einen »So-tun-als-ob-Aufschlag«. 2.2.1.4 Fiktionale Rede als So-tun-als-ob Die Bedingungen a)-f), die erfüllt sein müssen, damit eine Handlung als ein Sotun-als-ob in dem oben genannten Sinn angesehen werden kann, nennt Mercolli doxastische Bedingung, Handlungsbedingung, Belegbedingung, Korrespondenzbedingung, Annulierbarkeitsbedingung und Offenheitsbedingung. 29 Das Beispiel stammt von Laura Mercolli (Mercolli, 2012, S. 28).
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Ich möchte im Folgenden, indem ich mich auf die genannten Bedingungen beziehe, untersuchen, inwieweit fiktionale Rede als »so tun als würde ein illokutionärer Akt vollzogen« beschrieben werden kann, so wie Searle es vorschlägt. Vertreter der iA-These vergleichen fiktionale Rede mit assertiven illokutionären Akten und stellen fest, dass die Bedingungen für das Gelingen dieser Akte bei fiktionaler Rede nicht erfüllt sein müssen. Auch Mercollis Analyse fiktionaler Rede folgt diesem Schema. So vorgehen kann jedoch auch, wer nur zeigen möchte, dass mit fiktionaler Rede kein assertiver illokutionärer Akt vollzogen wird ( aiA-These). Diese These ist deutlich schwächer und wer sie vertritt, muss sich nicht auf die »starke« iA-These festlegen. Da Searle die starke iA-These vertritt, müsste er aber darüber hinaus zeigen, dass der Vollzug einer So-tun-als-ob-Behauptung ausschließt, dass diese sprachliche Äußerung als ein illokutionärer Akt eines anderen Typs beschrieben werden kann. Dies kann aber allein durch das Ausschließen assertiver illokutionärer Akte nicht funktionieren. Wie bereits gezeigt wurde, führt Searle als Argument hier nur sein Determinationsprinzip an, das aber nicht haltbar ist (s. Kapitel 2.2.1.1). Die folgenden Überlegungen dienen daher in erster Linie dazu, die Plausibilität der aiA-These zu überprüfen und zwar insofern diese These mit der These verbunden wird, dass fiktionale Rede statt als Vollzug eines assertiven illokutionären Aktes als vorgeblicher assertiver illokutionärer Akt beschrieben werden kann. Die aiA-These schließt zwar aus, dass ein assertiver illokutionärer Akt vollzogen wird, nicht aber dass ein illokutionärer Akt eines anderen Typs vollzogen wird. Bei der Untersuchung, ob fiktionale Rede als So-tun-alsob-Behaupten beschrieben werden kann, werde ich eine Reihe von Indizien aufzeigen, die die Plausibilität der starken iA-These noch weiter untergraben. Gleichzeitig untermauern diese Indizien die iA-These (die These, dass mit fiktionalen Äußerungen illokutionäre Akte vollzogen werden). Ich werde im Folgenden überprüfen, inwieweit die sechs Bedingungen für das Vorhandensein eines transparenten interpersonalen So-tun-als-ob bei fiktionaler Rede erfüllt werden. Als Beispiel nehme ich noch einmal E.T.A. Hoffmann: Tat E.T.A. Hoffmann, indem er den Satz »Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor […].« schrieb, so, als würde er einen illokutionären Akt vollziehen? Die doxastische Bedingung ist erfüllt: Man kann unterstellen, dass E.T.A. Hoffman nicht glaubte, dass er behauptet, dass am Himmelfahrtstag ein junger Mensch namens Anselmus in Dresden durch das Schwarze Tor rannte. Damit diese Äußerung als (aufrichtige) Behauptung gelten kann, müsste der Autor selbst glauben, dass die geäußerte Proposition wahr ist. Gerade weil wir u. a. das nicht unterstellen, handelt es sich bei der sprachlichen Äußerung nicht um eine
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(aufrichtige) Behauptung und sie kommt als Kandidat für eine So-tun-als-obBehauptung in Frage. Die Handlungsbedingung besagt, dass U (im Beispiel: E.T.A. Hoffmann) x (im Beispiel: das Schreiben des oben genannten Satzes) absichtlich tut. Ein absichtliches Verhalten verstehe ich hier als Handlung. Man kann E.T.A. Hoffmann berechtigterweise unterstellen, dass er diesen Satz absichtlich geschrieben hat. Mit dem Niederschreiben dieses Satzes hat er damit eine Handlung vollzogen, die Handlungsbedingung ist also erfüllt. Die Handlung x soll nun die Handlung sein, die das So-tun-als-ob ist. Die Handlung x ist gemäß der Beschreibung von Searle ein bloßer Äußerungsakt, also der Vollzug eines phonetischen (oder grafischen) und phatischen Aktes. U vollzieht eine Handlung x – tatsächlich. Der Vollzug von x ist, sofern die genannten Bedingungen erfüllt sind, eine So-tun-als-ob-Handlung. Die vorgebliche Handlung y wird – tatsächlich – aber nicht vollzogen. Damit diese Beschreibung zutrifft, müssen sich x und y in irgendeiner Weise unterscheiden, denn es ist nicht möglich, eine Handlung vorgeblich zu vollziehen, indem man die vorzugebende Handlung selbst vollzieht. Die So-tun-als-ob-Handlung der Tennislehrerin besteht darin, zwar eine ganze Reihe von Bewegungen auszuführen, die sie auch ausführen würde, würde sie tatsächlich aufschlagen, aber eine relevante Teilhandlung des Aufschlagens, nämlich einen Ball in die Hand nehmen, führt sie nicht aus. Typischerweise werden mit So-tun-als-ob-Handlungen charakteristische Teilhandlungen der vorgeblichen Handlung ausgeführt, aber relevante Teilhandlungen ausgelassen. Dass es Handlungen gibt, bei welchen es nicht möglich ist, so zu tun als würde man sie ausführen, darauf weist Imma Klemm30 hin: Es scheint jedenfalls unsinnig zu sein zu sagen: man ahmt die Handlung des Bewegens des kleinen Fingers nach, indem man den kleinen Finger bewegt. Denn das würde nichts anderes besagen, als daß man eine Handlung eines bestimmten Typs, nämlich des Typs »den kleinen Finger bewegen«, ausführt. Andererseits ist es auch nicht klar, ob eine andere Handlung als Bewegen des kleines Fingers zur Nachahmung von Bewegen des kleinen Fingers geeignet ist und welche andere Handlung. D.h. es ist unklar, ob es überhaupt eine Handlung »Nachahmen des Bewegens des kleinen Fingers« gibt. (Klemm, 1984, S. 156)
Die Handlung des Bewegens des kleinen Fingers unterscheidet sich von der Handlung des Aufschlagens offenbar darin, dass erstere nicht aus mehreren Teilhandlungen besteht. Prinzipiell ließen sich auch bei der Bewegung des kleinen Fingers Teilhandlungen annehmen, es ist aber offensichtlich, dass das Bewegen des kleinen Fingers nicht im gleichen Sinn eine komplexe Handlung ist 30 Klemm verwendet den Ausdruck »nachahmen«. Aufgrund ihrer Ausführungen erscheint es mir gerechtfertigt, »nachahmen« und »so-tun-als-ob« als Synonyme zu verstehen.
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wie Kuchenbacken. Es scheint also so zu sein, dass Handlungen, die nicht aus mehreren »konstitutiven Teilhandlungen« (Klemm, 1984, S. 158) bestehen, so wie es bei komplexen Handlungen wie dem Kuchenbacken der Fall ist, nicht vorgeblich ausgeführt werden können. Searle formuliert diesen Gedanken in ähnlicher Weise: It is a general feature of the concept of pretending that one can pretend to perform a higher order or complex action by actually performing lower order or less complex actions which are constitutive parts of the higher order or complex action. Thus, for example, one can pretend to hit someone by actually making the arm and fist movements that are characteristic of hitting someone. The hitting is pretended, but the movement of the arm and fist are real. (Searle, 1979a, S. 68)
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Was heißt das für das Vorgeben von illokutionären Akten? In Kapitel 1.2 habe ich dafür plädiert, illokutionäre Akte als solche Handlungen anzusehen, die nicht aus Teilhandlungen bestehen, im Gegensatz zu komplexen Sprechakten, die aus dem Vollzug mehrerer Sprechakte bestehen. Ein Einwand gegen diese Darstellung könnte lauten, dass es möglich sei, Teilhandlungen zu individuieren, wenn die Äußerung als phonetischer Akt (bzw. mehrere phonetische Akte) beschrieben wird. Wird ein illokutionärer Akt durch die Äußerung eines ganzen Satzes ausgeführt, muss der Sprecher normalerweise mehrere Worte aussprechen. Das Aussprechen der einzelnen Worte könnte jeweils als ein phonetischer Teilakt angesehen werden. Vollzieht jemand einen direktiven illokutionären Akt, indem er sagt »Schließ’ bitte die Tür!« könnte nun angenommen werden, dass der Sprecher nicht einen phonetischen Akt vollzieht, sondern vier, d. h. je einen phonetischen Akt für das Aussprechen jedes Wortes. Obwohl ich vorgeschlagen habe, phonetische Akte nicht anhand von einzelnen Wörtern, sondern von illokutionären Akten, die durch den Vollzug des phonetischen Aktes ausgeführt werden, zu individuieren, halte ich auch diese Beschreibung für möglich. Allerdings würde diese Beschreibung für das Problem hier nicht weiterhelfen: Vielleicht gibt es Fälle von Äußerungen unvollständiger Sätze, die als vorgeblicher Vollzug eines illokutionären Aktes beschrieben werden können. Fiktionale Rede wird aber nicht dadurch zum vorgeblichen Vollzug illokutionärer Akte, dass einige Worte eines Satzes einfach nicht ausgesprochen oder niedergeschrieben würden. Phonetischer, phatischer, propositionaler und illokutionärer Akt sind als verschiedene Handlungsbeschreibungen für eine Handlung anzusehen und gerade nicht als Teilhandlungen einer komplexen Handlung. Wenn fiktionale Rede als vorgeblicher Vollzug illokutionärer Akte angesehen werden kann, dann muss erklärt werden, wie es möglich ist, dass eine sprachliche Äußerung nicht als illokutionärer Akt (und auch nicht als propositionaler Akt) zählt. Diesen Nachweis hätten Vertreter der starken iA-These zu erbringen. Vertreter der
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aiA-These müssten annehmen, dass die Handlung x ein illokutionärer Akt ist (eines bisher nicht bestimmten Typs) mit dessen Vollzug ein assertiver illokutionärer Akt vorgegeben wird. Denn die Belegbedingung wäre nur dann erfüllt, wenn es zuträfe, dass der Leser durch die Äußerungen des Autors einen Beleg für seine Überzeugung erwirbt dafür, dass der Autor behauptet, dass p. Entsprechend wäre die Korrespondenzbedingung erfüllt, wenn es eine korrekte Beschreibung der Handlung des Autors gäbe, die mit der Überzeugung, der Autor habe behauptet, dass p, korrespondiert. Ich möchte zunächst annehmen, dass diese beiden Bedingungen erfüllt sind, um diese Untersuchung fortzusetzen. Ich werde im folgenden Kapitel auf die Beleg- und Korrespondenzbedingungen zurückkommen und hoffe, dass ich dort zeigen kann, dass fiktionale Rede diese Bedingungen nicht erfüllen kann. Wenn es zutrifft, dass der Autor tatsächlich einen illokutionären Akt eines bisher nicht benannten illokutionären Typs ausführt, dessen Vollzug als vorgeblicher Vollzug eines assertiven illokutionären Aktes zählt, muss geklärt werden, wie dies möglich sein kann. Dass das Äußern sprachlicher Ausdrücke als Vollzug eines illokutionären Aktes zählt, ist an das Vorhandensein bestimmter Konventionen oder auch Institutionen gebunden. (s. Kapitel 1.2) Die Frage ist nun, wie diese Konventionen außer Kraft gesetzt werden können. Searles Vorschlag zur Beantwortung dieser Frage sind die »horizontalen Konventionen«. Diese Konventionen sorgen dafür, so seine These, dass die Äußerungen des Autors fiktionaler Rede nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes zählen. Now what makes fiction possible, I suggest, is a set of extralinguistic conventions that break the connection between words and the world established by the vertical rules; they are not part of the speaker’s semantic competence. Accordingly, they do not alter or change the meanings of any of the words or other elements of the language. What they do rather is enable the speaker to use words with their literal meanings without undertaking the commitments that are normally required by those meanings. (Searle, 1979a, S. 66f.)
Mercolli unterbreitet einen Vorschlag, wie Searles metaphorische Redeweise von horizontalen Konventionen, die vertikale Regeln außer Kraft setzen, verstanden werden kann. Statt von horizontalen Konventionen spricht sie von Entkräftern: Ein Entkräfter ist eine Art von Annullierer. Er ist eine Überzeugung, die einen Beleg oder Grund, den jemand für eine bestimmte Auffassung hat, außer Kraft setzt. Eine Überzeugung B, die als Grund für eine Überzeugung A fungiert, verliert durch einen Entkräfter C den Status eines Grundes. C greift den Begründungszusammenhang zwischen A und B an. (Mercolli, 2012, S. 163)
Wie ist dies im Fall der fiktionalen Rede zu verstehen? Falls die Bedingungen a)d) erfüllt sind, kann das So-tun-als-ob im Fall von fiktionaler Rede folgender-
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maßen beschrieben werden: Schreibt ein Romanautor einen Satz, so muss er von der Wahrheit der ausgedrückten Proposition nicht überzeugt sein, so wie auch die Regeln für den illokutionären Akt der Behauptung von dem Romanautor nicht eingehalten werden müssen. Ein Leser kann nun aber die Überzeugung gewinnen, dass der Romanautor den Satz als eine Behauptung geäußert hat. Dies legt die grammatikalische Struktur des Satzes nahe. Der Beleg für die Überzeugung des Lesers, der Romanautor habe eine Behauptung vollzogen, ist also die grammatikalische Struktur des Satzes. Dieser Beleg soll nun annulliert werden. Die Annullierung wird im Fall der fiktionalen Rede nun nicht dadurch erreicht, dass ein Gegenargument für die Wahrheit der scheinbar behaupteten Proposition vorgebracht wird, sondern dadurch, dass der Beleg für die Überzeugung, es handele sich um eine Behauptung, entkräftet wird. An dieser Stelle kommen die Entkräfter ins Spiel. Die Überzeugung des Lesers, dass der Romanautor eine Behauptung vollzieht, kann z. B. dadurch entkräftet werden, dass unter dem Titel des Romans das literarische Genre angegeben wird. Alle Hinweise, dass es sich bei dem Text um einen fiktionalen Text handelt, können für den Leser Anlass zum Erwerb des Entkräfters sein; dies können auch Merkmale des Textes selbst sein (z. B. typischerweise für Märchen reservierte Formulierungen wie »Es war einmal…«), oder Hinweise außerhalb des Textes, z. B. dass der Text in der Spiegel-Bestseller Liste »Belletristik« und nicht »Sachbuch« aufgeführt wird, in welcher Abteilung der Buchhandlung der Titel zu finden ist usw. Will der Autor einer Fiktion so tun, als ob er s behauptet, dann muss er – um damit erfolgreich zu sein – sicherstellen, dass der Rezipient einen geeigneten Entkräfter erwirbt. Geschieht dies nicht, werden seine Äußerungen nicht als Fiktion aufgefasst. (Mercolli, 2012, S. 164)
Die Annullierbarkeitsbedingung scheint demnach erfüllt. Schließlich besagt die Offenheitsbedingung, dass es die Absicht des Autors ist, dass sein Leser erkennt, dass er nicht behauptet, dass p. Es lassen sich an dieser Stelle – zumindest vorläufig – für die fiktionale Rede Bedingungen formulieren, in Anlehnung an die hier kurz referierten Überlegungen zu den Bedingungen für das Vorliegen eines interpersonalen transparenten So-tun-als-ob und analog zu denen, die Searle für den illokutionären Akt der Behauptung angegeben hat: Ein Autor fiktionaler Rede (U) tut dadurch, dass er eine sprachliche Äußerung vollzieht, gegenüber einem Rezipienten A (oder mehreren Rezipienten) transparenterweise so, als würde er behaupten, dass p, gdw. 1. U glaubt selbst nicht, dass er behauptet, dass p. 2. U vollzieht die entsprechenden sprachlichen Äußerungen absichtlich.
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3. U beabsichtigt durch seine sprachlichen Äußerungen zu bewirken, dass A einen Beleg Q für die Überzeugung, dass er behauptet, dass p, erwirbt. 4. Es gibt eine Beschreibung der Form »U tut y«, die den Inhalt des von A zu erwerbenden Belegs Q ausdrückt. 5. U glaubt, dass A einen endgültigen Entkräfter R für Q besitzt oder erwerben kann und dass es aufgrund dessen nicht der Fall ist, dass A glaubt, dass er behauptet, dass p. 6. U stellt sicher, dass A geeignete Entkräfter erwerben kann, die den Beleg Q für As Überzeugung, U habe behauptet, dass p, annullieren.
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2.2.1.4.1 Belegbedingung und Korrespondenzbedingung Wäre die Belegbedingung bei fiktionaler Rede erfüllt, dann wäre es richtig, Folgendes zu sagen: Der Autor fiktionaler Rede äußert Wörter und Sätze mit der Absicht, dass Leser durch diesen Äußerungsakt (gemäß der aiA-These ist die Äußerung auch ein Vollzug eines illokutionären Aktes) einen Beleg erwerben für die Überzeugung, der Autor habe mit dieser Äußerung auch eine Behauptung vollzogen. Mercolli schreibt dazu: Wir sehen hier schön, wie durch die Belegbedingung Searles Ausführungen an Kohärenz gewinnen. Seinem Funktionalitätsprinzip, wonach die Bedeutung des Satzes den Typ illokutionären Aktes festlegt, können wir nun die genaue Rolle zuweisen, die es bei der Produktion fiktionaler Rede spielt. Die Form von Dürrenmatts Äußerung »Traps schluckte einige Male« beispielsweise weist u. a. durch die Wortstellung und den indikativischen Modus darauf hin, dass mit ihr eine Behauptung vollzogen wird. Aufgrund solcher Äußerungsmerkmale, durch die dem Funktionalitätsprinzip gemäß der Typ illokutionären Aktes bestimmt wird, soll der Leser Gründe erwerben zu glauben, hier werde eine Behauptung vollzogen. (Mercolli, 2012, S. 161f.)
Die Korrespondenzbedingung wäre dementsprechend dann erfüllt, wenn es zuträfe, dass die »Beleg-Überzeugung« mit dem Inhalt »dass der Autor schreibt, dass p« mit der Überzeugung, der Autor habe behauptet, dass p, korrespondieren würde. Diese Bedingungen erscheinen mir im Fall der fiktionalen Rede zentral zu sein. Dass die ersten beiden Bedingungen erfüllt sind, wird, soweit ich die Debatte überblicken kann, von niemandem bestritten:31 Mit seiner sprachlichen Äußerung vollzieht der Autor keinen illokutionären Akt der Behauptung und ihm wird normalerweise auch nicht unterstellt, er selbst glaube, er würde be31 Es wird die These vertreten, dass in fiktionalen Texten auch Behauptungen vorkommen können, u. a. auch von Searle. Solche Äußerungen unterscheiden sich aber von denen, die Searle fiktionale Rede nennt. In seinem Vortrag »Behauptung, Konversationsstand und Fiktion« (bei dem Workshop »Fiktion, Wahrheit, Interpretation« In Regensburg am 8. Juni 2012) hat Max Kölbel die These vertreten, fiktionale Rede sei als Vollzug assertiver illokutionärer Akte zu verstehen.
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haupten, dass p. Weil er sich aber absichtlich sprachlich äußert, ist seine Äußerung eine Handlung. Auch erscheint es sehr plausibel, dass der Autor seine Leser erkennen lassen muss bzw. die Absicht hat erkennen zu lassen, dass seine Äußerungen als fiktionale Rede zu verstehen sind. Letzteres betrifft die Annullierbarkeitsbedingung und die Offenheitsbedingung. Damit die Belegbedingung und die Korrespondenzbedingung bei fiktionaler Rede erfüllt sein können, scheint es mir zentral, dass Merkmale der Äußerung wie Wortstellung, der Modus der Verben usw. ausreichen dafür, dass die Äußerung des Autors zum einen als Behauptung aufgefasst werden kann, zum anderen der Autor seine Äußerungen mit der Absicht verwendet, dass der Leser diese als Beleg annimmt für die Überzeugung, er (der Autor) habe behauptet, dass p. Das aber heißt, dass auch die aiA-These Searles Determinationsprinzip (Mercolli nennt es Funktionalitätsprinzip) voraussetzt. Dass das Determinationsprinzip im Zusammenhang mit der starken iA-These nicht haltbar ist, habe ich bereits gezeigt. Nun möchte ich zeigen, dass die Annahme des Determinationsprinzips auch im Fall der aiA-These zu unplausiblen Ergebnissen führt. Ich möchte nicht bestreiten, dass die genannten (und andere) Merkmale tatsächlich dazu führen können, dass ein Leser zu der Überzeugung kommt, der Autor habe behauptet, dass p. Auch halte ich es nicht für unplausibel, dass Sprecher die Sätze verwenden können, um andere glauben zu lassen, sie behaupteten, dass p. Warum man aber dem Autor fiktionaler Rede die Absicht unterstellen kann, die sprachliche Äußerung zu verwenden, um damit Lesern einen Beleg Q zu geben, dafür wird weder von Searle noch von Mercolli argumentiert. Dass diese Absicht unterstellt wird, scheint mit dem unterstellten Determinationsprinzip zusammenzuhängen: Die Idee scheint zu sein, dass es nicht möglich ist, andere als illokutionäre Akte mit der Äußerung von Aussagesätzen zu vollziehen. Da der Autor fiktionaler Rede aber Aussagesätze benutzt, offenbar aber nichts behaupten will, scheint es nahezuliegen, dass er diese Sätze benutzen will, um so zu tun, als würde er behaupten. Es gibt aber eine ganze Reihe von illokutionären Akten, die dadurch vollzogen werden, dass Sprecher Sätze äußern, die sich anhand der genannten Merkmale nicht von Sätzen unterscheiden, mit denen Behauptungen vollzogen werden. Auch in diesen Fällen erwerben die Adressaten (wenn die Kommunikation gelingt) die Überzeugung, dass der Sprecher z. B. gewarnt hat, ein Versprechen abgegeben oder eine Bitte ausgesprochen hat. In Kapitel 1.3.1 habe ich dafür argumentiert, Sätzen ein illokutionäres Potential zuzuschreiben. Das heißt Sätze (als Typ) haben das Potential, dass mit ihrer Äußerung illokutionäre Akte vollzogen werden. Ein Satztyp kann das Potential zum Vollzug vieler illokutionärer Akte haben; welcher mit einer Äußerung des entsprechenden Tokens dann tatsächlich vollzogen wird, hängt nicht nur von dem illokutionärem Akt-Po-
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tential des Satztyps, sondern auch von verschiedenen Umständen der konkreten Äußerungssituation ab. Dies möchte ich noch einmal anhand einiger Beispiele verdeutlichen: a) Dieser Hund ist bissig. b) Diese Aufgabe übernehme ich. c) Kannst du das Fenster öffnen? Würden a) und b) nur aufgrund der Merkmale, die Searle berücksichtigen will, bezüglich ihres illokutionären Akt-Potentials bewertet, so müsste man annehmen, mit ihnen könnten nur assertive illokutionäre Akte vollzogen werden. Mit c) könnte demnach nur eine Frage gestellt werden. Kompetente Sprecher sind aber in der Lage, in entsprechenden Situationen, eine Äußerung von a) beispielsweise als Warnung, von b) als Versprechen und c) als Bitte aufzufassen. Wenn es nun aber so ist, dass kompetente Adressaten in der Lage sind, zusätzliche Informationen für das Verstehen einer Äußerung miteinzubeziehen und Sprecher dies erwarten können, stellt sich die Frage, warum dies gerade bei fiktionaler Rede nicht so sein sollte. Was als Argument angeführt wird für die These, der Autor fiktionaler Rede tue so, als würde er behaupten, ist, dass er Sätze äußert, die darauf hindeuten, dass mit ihrer Äußerung der illokutionäre Akt der Behauptung vollzogen wird. Dies trifft aber auf Sprecher, die a) und b) äußern, auch zu, denn auch die Sätze a) und b) haben das Potential, dass mit ihnen behauptet werden kann. Wenn dem Autor fiktionaler Rede unterstellt werden kann, dass er die Absicht hat, durch die Verwendung eines Aussagesatzes vorzugeben, er würde einen Behauptungssatz vollziehen, dann müsste das Sprechern, die a) und b) äußern, auch unterstellt werden können. Es lassen sich auch leicht Fälle denken, bei welchen die Bedingungen für ein interpersonales transparentes So-tun-als-ob erfüllt wären: Wenn z. B. in einer Arbeitsgruppe besprochen wird, welche Aufgaben in der nächsten Zeit erledigt werden müssen und ein Mitglied der Gruppe sagt: »Diese Aufgabe übernehme ich.«, dann ist diese Äußerung als ein kommissiver und nicht als ein assertiver illokutionärer Akt zu verstehen. Dass es ein kommissiver Sprechakt ist, können kompetente Sprecher daran erkennen, dass in dieser Situation keine Beschreibung bestehender Sachverhalte erwartet wird. Die Bedingungen für das Vorliegen eines interpersonalen transparenten So-tun-als-ob scheinen, nimmt man Searles Determinationsprinzip ernst, auch hier erfüllt, denn a) die Sprecherin glaubt nicht, dass sie behauptet, dass p; b) sie vollzieht die Äußerung absichtlich; c) sie beabsichtigt, so könnte man nun annehmen, durch ihre Äußerung zu bewirken, dass die anderen Gruppenmitglieder ihre Äußerung als Beleg Q werten, dass sie behauptet, dass p; d) es gibt eine Beschreibung ihrer Äußerung – nämlich die Sprecherin äußert
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einen Aussagesatz – die den Inhalt des von den anderen Gruppenmitgliedern zu erwerbenden Belegs Q ausdrückt; e) die Sprecherin glaubt, dass die anderen Gruppenmitglieder in der Äußerungssituation einen Beleg R erwerben können, der den Beleg Q annulliert, und die Sprecherin glaubt, dass die anderen Gruppenmitglieder nicht glauben, dass sie behauptet, dass p; f) die Sprecherin beabsichtigt, dass die anderen Gruppenmitglieder erkennen, dass e).
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Wenn Searles Determinationsprinzip zuträfe und damit die Erfüllung der Bedingungen c) und d) gewährleistet wäre, träfe es zu, dass auch in dem hier genannten Beispiel ein So-tun-als-ob vorläge. Da es im Deutschen nur drei Satzarten gibt, könnten alle Vollzüge illokutionärer Akte durch implizit performative Äußerungen als ein So-tun-als-ob beschrieben werden. Ausgenommen wären nur assertive Akte, Fragen und Aufforderungen, da diesen Akten je eine Satzart gemäß dem Determinationsprinzip entspricht. Dies erscheint mir aber sehr unplausibel und kontraintuitiv. Denn mit Aussagesätzen ohne performative Hiermit-Formel werden häufig erfolgreich andere als assertive Akte vollzogen: Mit »Ich helfe dir morgen beim Umzug.« kann ein Versprechen gegeben werden (also ein kommissiver Akt ausgeführt werden); mit »Im Wohnzimmer sieht es aus, als wäre eine Bombe explodiert.« kann ein Sprecher seinen Adressaten zum Aufräumen auffordern (also einen direktiven Akt ausführen). Zu dem oben genannten Ergebnis kommt man, wenn die hier beschriebenen Merkmale für die Bestimmung des illokutionären Aktes überbewertet werden und andere relevante Informationen nicht berücksichtigt werden. Es besteht auch der Verdacht, dass dieses Ergebnis durch das Ignorieren der Unterscheidung von illokutionärem Akt-Potential und tatsächlich vollzogenem illokutionärem Akt zustande kommt. Plausibler erscheint nun auch nach dieser Untersuchung die iA-These. Für diese These spricht, dass die geäußerten sprachlichen Ausdrücke in fiktionaler Rede in ihrer üblichen Bedeutung verwendet werden. Werden aber sprachliche Ausdrücke unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung verwendet, so sollten diese Äußerungen auch als Vollzug eines illokutionären Aktes oder zumindest als Versuch, einen illokutionären Akt zu vollziehen angesehen werden. Der aiA-These zufolge vollzieht der Autor fiktionaler Rede einen illokutionären Akt, mit dessen Vollzug er aber so tut, als würde er einen anderen, nämlich einen assertiven illokutionären Akt vollziehen. Auch für diese These scheint es zentral zu sein, anzunehmen, dass die sprachlichen Äußerungen die Form von Aussagesätzen haben, da sie so als Beleg für die Überzeugung dienen können, der Autor behaupte, dass p. Diese Annahmen führen jedoch zu den
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oben genannten unplausiblen Konsequenzen. Die Belege, die gemäß der So-tunals-ob-These als so genannte Entkräfter fungieren sollen, halte ich dagegen für solche, die dem Leser dazu dienen, die richtige illokutionäre Rolle der Äußerung des Autors zu erkennen. Als solche Belege wurden bestimmte Formulierungen genannt wie z. B. »Es war einmal…« oder die Angabe des literarischen Genres auf dem Cover eines Buches. Mercollis Vorschlag, unter »horizontalen Konventionen« Entkräfter zu verstehen, macht zwar klarer, was unter diesen Konventionen verstanden werden sollte. Doch müsste auch hier angenommen werden, dass Leser eines fiktionalen Textes diesen für einen faktualen halten und erst aufgrund des Erwerbs von Entkräftern erkennen, dass es sich um einen fiktionalen Text handelt. Darüber hinaus ist nicht einzusehen, warum (1) spezielle Konventionen, die fiktionale Rede betreffen, als etwas anderes angesehen werden sollten, als die Konventionen, die illokutionäre Akte konstituieren und (2) warum Fiktionalitätssignale nicht als Indikatoren für die illokutionäre Rolle einer Äußerung verstanden werden sollten. 2.2.1.5 Wird mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen? Nachdem Searles Thesen zur fiktionalen Rede detailliert dargestellt wurden, soll nun noch einmal auf die Frage eingegangen werden, ob tatsächlich mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vollzogen wird, wie Searle behauptet. Tatsächlich führt Searle nur zwei Argumente gegen die iA-These an: Der Autor fiktionaler Rede ist nicht an die Regeln der Behauptung gebunden. Daher darf die Handlung des Autors nicht als assertiver Sprechakt verstanden werden. Allerdings sehen die Sätze der narrativen fiktionalen Werke so aus, als würden mit ihnen assertive Sprechakte vollzogen. In The Logical Status of Fictional Discourse vertritt Searle außerdem die These, dass mit Aussagesätzen nur assertive Sprechakte vollzogen werden können, der Vollzug einer anderen Art illokutionärer Akte sei nicht möglich. Sein zweiter Einwand gegen die iA-These lautet daher : Würde mit fiktionaler Rede ein eigener illokutionärer Akt vollzogen, hätten die verwendeten Ausdrücke eine neue Bedeutung. Da dies nicht der Fall sei, kann es auch nicht sein, dass mit fiktionaler Rede illokutionäre Akte irgendeines anderen Typs als des assertiven vollzogen werden. Da aber bereits ausgeschlossen wurde, dass es sich um assertive illokutionäre Akte handelt, zieht Searle den Schluss, dass mit fiktionaler Rede überhaupt kein illokutionärer Akt vollzogen wird. Das nicht haltbare Determinationsprinzip ist aber das einzige Argument, das Searle gegen die These anführt, dass irgendeine Art illokutionärer Akt mit fiktionaler Rede vollzogen werde. Für die These, es werde kein illokutionärer Akt mit fiktionaler Rede vollzo-
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gen, konnte bisher kein Argument vorgebracht werden, das nicht entkräftet werden konnte. Um zu prüfen, ob die iA-These mit anderen Argumenten erfolgreich vertreten werden kann, werde ich im Folgenden weitere Varianten der iA-These diskutieren.
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2.2.2 Fiktionale Rede als Vollzug propositionaler Akte ohne Vollzug illokutionärer Akte In Fiktion und Wahrheit beschreibt Gottfried Gabriel fiktionale Rede in sprechakttheoretischer Terminologie. Diese Charakterisierung unterscheidet sich von der Searleschen in einem wichtigen Punkt, denn Gabriel widerspricht Searles Unselbstständigkeitsthese: Betrachten wir »ich drücke aus, daß p«. Warum soll man nicht sagen können, daß mit Hilfe dieses Satzes explizit der Sprechakt des Ausdrückens einer Proposition vollzogen wird? Der Sprechakt besteht hier nur darin, eine Proposition zur Sprache zu bringen, ohne sonstige illokutionäre Absicht. Vielleicht kann man sich nur schwer vorstellen, wie so etwas im Sprachgebrauch des täglichen Lebens vorkommen kann; fiktionale Rede aber vollzieht sich, wie wir sehen werden, z. T. in dieser Weise. Man kann nämlich sagen, daß nur eine Proposition ausgedrückt wird, wenn die Bedingungen von illokutionären Sprechakten, insbesondere von Behauptungen, außer Kraft gesetzt werden. Es ist nicht einzusehen, daß Sprechakte noch »Behauptungen« genannt werden sollen, die keiner der an Behauptungen zu stellenden Bedingungen genügen müssen. (Gabriel, 1975, S. 17)
Gabriels Beschreibung des »Sprechakts des Ausdrückens einer Proposition« (»Der Sprechakt besteht hier nur darin, eine Proposition zur Sprache zu bringen, ohne sonstige illokutionäre Absicht.«) kann in zwei Weisen verstanden werden: (1) Gabriel könnte das Ausdrücken einer Proposition als Vollzug eines besonderen illokutionären Aktes verstehen. Der Sprecher hätte die »illokutionäre Absicht«, eine Proposition zum Ausdruck zu bringen, aber keine weitere, d. h. darüber hinausgehende illokutionäre Absicht. Oder (2) Gabriel versteht den Sprechakt des Ausdrückens einer Proposition als eine sprachliche Äußerung, mit welcher nur ein propositionaler, aber kein illokutionärer Akt ausgeführt wird. Hält man Lesart (1) für richtig, nimmt Gabriel mit der Einführung eines solchen »illokutionären Aktes« in Kauf, dass die Unterscheidung zwischen propositionalem und illokutionärem Akt zusammenbricht. Würde ein illokutionärer Akt eingeführt, der nicht anders beschrieben werden kann als ein propositionaler Akt, ist nicht einzusehen, warum hier noch von einem illokutionären Akt gesprochen werden sollte. Da Gabriel sich explizit gegen die von Searle aufgestellte Unselbstständig-
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keitsthese wendet, erscheint Lesart (2) als die angemessenere Interpretation. Gemäß Lesart (2) ist Gabriels These ebenfalls eine These, nach der fiktionale Rede nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes beschrieben werden kann. Sie unterscheidet sich von Searles These aber insoweit, als dass Gabriel fiktionale Rede nicht nur als phonetischen (bzw. grafischen) Akt und phatischen Akt, sondern auch als Äußern einer Proposition beschreibt. In Kapitel 1.4.1 habe ich mich bereits mit Searles Unselbstständigkeitsthese beschäftigt und dort gezeigt, dass entscheidend für die Konzeption des propositionalen Aktes Searles Annahme ist, dass nicht sprachliche Ausdrücke selbst referieren, sondern Sprecher mit diesen Ausdrücken Akte der Referenz und der Prädikation vollziehen. Den Akt der Prädikation kann ein Sprecher aber, so Searle, nicht neutral hinsichtlich einer illokutionären Rolle vollziehen. Wie ich in Kapitel 1.4.1 gezeigt habe, ist es in Searles Terminologie nicht möglich, von einem Äußern oder Ausdrücken einer Proposition zu sprechen, ohne dass ein propositionaler Akt vollzogen wird. Dieser besteht aber immer mindestens aus dem Vollzug des Aktes der Prädikation. Möglicherweise setzt Gabriel implizit voraus, dass es möglich ist, eine Proposition in einer anderen Weise zu äußern als durch den Vollzug eines propositionalen Aktes, so wie Searle ihn beschreibt. Da Gabriel aber eine solche Unterscheidung nicht explizit macht, gehe ich davon aus, dass er, im Anschluss an Searle, nicht zwischen dem Ausdrücken einer Proposition und dem Vollzug eines propositionalen Aktes unterscheiden will, sondern den Terminus »Ausdrücken einer Proposition« synonym zu »Vollzug eines propositionalen Aktes« verwendet. Um Searles Unselbstständigkeitsthese zu widerlegen, müsste Gabriel zeigen, dass es möglich ist, über einen Gegenstand etwas auszusagen, ohne dies in behauptender, fragender oder irgendeiner anderen illokutionären Weise zu tun. Es müsste also eine Modifikation der Konzeption des propositionalen Aktes vorgenommen werden. Bei Gabriels Beispiel-Äußerung »ich drücke aus, daß p« lässt sich tatsächlich zunächst nicht feststellen, welcher illokutionäre Akt mit dieser Äußerung vollzogen wird. Dies ist allerdings kein besonderes Merkmal seines Beispiels, auch bei »ich sage, dass p« oder »ich äußere, dass p« trifft dies zu. Das heißt aber nicht, dass es nicht möglich wäre, zu bestimmen, welchen illokutionären Akt ein Sprecher durch die Äußerung dieser Sätze in konkreten Situationen vollzieht. Gabriels Beispiel-Satz hat sicherlich kaum das Potential mit seiner Äußerung beispielsweise den illokutionären Akt des Eheschließens auszuführen. Doch auch wenn das illokutionäre Akt-Potential eines Satztyps eingeschränkt oder nicht klar zu bestimmen ist, heißt dies nicht, dass ein Satztyp überhaupt nicht das Potential besitzt, dass mit seiner Äußerung ein Sprecher einen illokutionären Akt vollzieht. Wenn die geäußerten sprachlichen Ausdrücke nicht genügend Hinweise geben, um den illokutionären Akt, der mit ihrer Äußerung vollzogen wird, zu bestimmen, müssen andere Aspekte herangezogen werden.
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
Informationen bezüglich des Kontextes bzw. der Situation der Äußerung können Anhaltspunkte liefern. Aus Gabriels Ausführungen geht nun aber nicht klar hervor, ob er von einem Satztyp oder Satz-Token sprechen will. Falls er von einem Satz-Token spricht, müsste er, um seine These zu belegen, zeigen, dass seine Beispiel-Äußerung in (wenigstens) einer konkreten Äußerungssituation nicht als Vollzug eines illokutionären Aktes verwendet wird. Ich habe in Kapitel 1.2.1 bereits Beispiele für solche Äußerungen genannt. Paradigmatisch für diese Äußerungen ist, dass sprachliche Ausdrücke von ihrer Bedeutung suspendiert geäußert werden oder es sich bei dieser sprachlichen Äußerung um ein Widerfahrnis und nicht um eine Handlung des Sprechers handelt. Es wurde aber bereits ausgeschlossen, dass fiktionale Rede in dieser Weise beschrieben werden kann und es scheint auch nicht Gabriels Strategie zu sein, dies zu versuchen. Falls Gabriel seine These aber als eine These über einen Satztyp verstanden wissen will, müsste er zeigen, dass sein Beispiel-Satz überhaupt kein illokutionäres Akt-Potential hat, d. h. mit diesem Satz in keiner möglichen Situation ein illokutionärer Akt ausgeführt werden kann. In einer konkreten Situation könnte die Äußerung von »Ich drücke aus, dass p« z. B. als ein assertiver illokutionärer Akt verstanden werden, wobei der Stärkegrad des illokutionären Zwecks gegenüber einer Behauptung schwächer eingeschätzt werden könnte. Da dies denkbar ist, ist es Gabriel nicht gelungen, zu zeigen, dass sein Beispiel-Satz kein illokutionäres Akt-Potential hat. Gabriel nimmt eine kognitivistische Position in Bezug auf die Frage ein, ob Erkenntnis aus bzw. von fiktionaler Literatur gewonnen werden kann. Um einen »Wahrheitsanspruch« der Literatur annehmen und verteidigen zu können, führt Gabriel den »Sprechakt des Aussagens« ein, den er von dem des Behauptens abgrenzen will. Der Sprechakt des Aussagens sei im Unterschied zum Sprechakt des Behauptens so bestimmt, daß die Bedingung 3[32], in der die Verteidigungspflicht formuliert wird, bei Aussagen nicht erfüllt sein muß. Damit soll gesagt sein, daß der Sprecher jedenfalls nicht selbst seine Aussage verteidigen muß. (Gabriel, 1975, S. 87)
Bisher wurde angenommen, dass Gabriel die These vertritt, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen. Da er aber einen Sprechakt beschreibt, 32 Gabriel formuliert für Behauptungen die folgenden Bedingungen: »1. Die Behauptung ist wahr. 2. Der Sprecher glaubt (dies darf der Hörer unterstellen), daß seine Behauptung wahr ist. 3. Der Sprecher kommt (auf Verlangen des Hörers) seiner Verteidigungspflicht nach. 4. Der Sprecher der Behauptung kommt (auf Verlangen des Hörers) seiner Pflicht nach, die aus seiner Behauptung folgenden Behauptungen zu übernehmen.« (Gabriel, 1975, S. 45)Diese Bedingungen entsprechen in etwa den von Searle formulierten Bedingungen für den illokutionären Akt des Behauptens. (Searle, 1979a, S. 62)
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der mit fiktionalen narrativen Texten vollzogen werden kann, muss nun geklärt werden, ob Gabriel fiktionale Rede nicht doch als Vollzug eines illokutionären Aktes ansieht. Der Sprechakt des Aussagens kann, wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, in die Klasse der assertiven illokutionären Akte geordnet werden. Dass der Sprecher von der Verteidigungspflicht entbunden wird, heißt für den Stärkegrad des illokutionären Zweckes dieses illokutionären Aktes, dass dieser schwächer ist als bei Behauptungen. Bei literarischen Texten unterscheidet Gabriel vier Arten von Aussagen: I. explizite Aussagen auf der Ebene des Berichts II. implizite Aussagen auf der Ebene des Berichts III. explizite Aussagen auf der Ebene der Reflexion IV. implizite Aussagen auf der Ebene der Reflexion. (Gabriel, 1975, S. 89) Die Unterscheidung zwischen der Ebene des Berichts und der Reflexion geht zurück auf M.C. Beardsley. (M.C. Beardsly, 1958, S. 409) Aussagen auf der Berichtsebene sind solche, mit denen über fiktive Handlungen, Personen, Orte usw. »berichtet« wird. Solche Aussagen habe ich bisher als paradigmatische Fälle fiktionaler Rede bezeichnet. Aussagen auf der Ebene der Reflexion sind solche, mit denen der Erzähler das »Berichtete« kommentiert. (Gabriel, 1975, S. 31) Implizite Aussagen, sowohl auf der Berichts- als auch auf der Reflexionsebene, sind solche, »die durch Interpretation (im weiten Sinne) aus expliziten und eventuell bereits gewonnenen impliziten Aussagen gewonnen werden.« (Gabriel, 1975, S. 90) »Interpretation« will Gabriel so verstanden wissen, dass auch logische Folgerungen aus eindeutigen Prämissen darunter fallen. (Gabriel, 1975, S. 90) Gabriel zufolge gibt der primäre Sprecher eines literarischen Textes etwas zu verstehen, ohne es aber explizit zu äußern. Ein Sprecher mache häufig dann implizite Aussagen, so Gabriel, wenn er den Sachverhalt, über den er eigentlich sprechen möchte, nicht explizit benennen will. Diese impliziten Aussagen tauchen nicht nur in fiktionaler Literatur auf. Sie können aber nur mittels Interpretation seitens der Leser (oder Hörer) gefunden werden. Gabriel erläutert sein Verständnis von »impliziten Aussagen«, die durch Interpretation gewonnen werden, aber dennoch als Aussage eines Sprechers aufgefasst werden können, mit einem Beispiel: Erhält jemand auf die Frage »was halten Sie von Frau X?« die Antwort »ihr Mann scheint sie sehr zu lieben«, so liegt die Unterstellung nahe, daß der Antwortende Frau X nicht besonders mag. Er sagt dies nicht implizit, aber eine entsprechende Aussage ist kontextual impliziert. (Gabriel, 1975, S. 90)
Ein fiktionaler literarischer Text kann, so Gabriel, nur dann einen Wahrheitsanspruch haben, wenn es durch Interpretation gelingt, Aussagen auf der Ebene
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der Reflexion ausfindig zu machen, die dem primären Sprecher33 zugerechnet werden können. Diese impliziten Aussagen auf der Reflexionsebene, die der primäre Sprecher des Textes macht, dürfen nicht verwechselt werden mit einer These (oder Thesen), zu deren Formulierung ein Leser durch die Lektüre eines Textes nur angeregt wird. Eine implizite Aussage muss, um als solche zu gelten, als eine Aussage verstanden werden, die dem Sprecher (bei fiktionalen Texten dem primären Sprecher) zugeschrieben werden kann. Allerdings kann es unterschiedliche Interpretationen eines fiktionalen Textes geben. Diese führen dann evtl. zu unterschiedlichen Antworten auf die Frage, ob und welche implizite Aussage ein (fiktionales) literarisches Werk hat. Dieser Umstand darf aber nicht zum Anlass genommen werden, so Gabriel, die Annahme impliziter Aussagen und den mit ihnen verbundenen Wahrheitsanspruch fiktionaler Literatur zurückzuweisen. Bei expliziten Aussagen auf der Ebene der Reflexion muss durch Interpretation herausgefunden werden, ob diese Aussagen einem Erzähler oder dem primären Sprecher zugesprochen werden können. Denn z. B. ein auktorialer Erzähler kann Reflexionen über die fiktive Handlung anstellen bzw. diese bewerten. Dabei kann die Meinung, die dadurch zum Ausdruck gebracht wird, der des primären Sprechers entsprechen, dies muss aber nicht der Fall sein. Implizite Aussagen auf der Reflexionsebene sind nun solche Aussagen, die mit dem von Gabriel formulierten besonderen Anspruch auf Wahrheit, in fiktionaler Literatur vorkommen können. Die Frage ist nun, ob es sich bei diesen Aussagen um fiktionale Rede handelt, denn diese hatte Gabriel zuvor als bloßen Vollzug eines propositionalen Aktes, ohne illokutionären Akt beschrieben. Fiktionale Rede definiert Gabriel folgendermaßen: »[F]iktionale Rede« heiße diejenige nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt. (Gabriel, 1975, S. 28)
Diese etwas metaphorische Formulierung von Rede, die einen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit hat, möchte ich so verstehen, dass es der Sprecher einer Äußerung ist, der mit dieser Äußerung einen Anspruch erhebt und nicht die Rede selbst. Gabriel unterscheidet den Anspruch auf »Referenzialisierbarkeit« von dem Anspruch auf »Erfülltheit«. Gabriels Terminus »Akt des Referenziali33 »Dabei muß der primäre Sprecher nicht immer mit dem Autor identisch sein, da sich Texte bekanntlich auch entgegen den erklärten Intentionen ihrer Autoren interpretieren lassen. Hat man Grund zu der Annahme, daß der Autor ›sich selbst mißversteht‹, so wird als primärer Sprecher ein intentionales Subjekt unterstellt, und die historische Person des Autors ist dann von dem primären Sprecher des Textes zu unterscheiden. Entfällt diese Unterscheidung, so ist die Person des Autors als primärer Sprecher zu betrachten.« (Gabriel, 1975, S. 93)
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sierens« entspricht Searles »Akt der Referenz« (s. Gabriel, 1975, S: 18ff). Ein Sprecher vollzieht den »Akt des Referenzialisierens«, indem er sich mit dafür geeigneten Ausdrücken (Gabriel nennt solche Ausdrücke »referenzialisierende Ausdrücke«) auf etwas bezieht. Erhebt ein Sprecher keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit, so will ich Gabriels Definition deuten, dann verwendet er einen Ausdruck, der prinzipiell geeignet ist, um sich damit auf etwas zu beziehen, es kann, muss aber nicht sein, dass er sich damit tatsächlich auf etwas bezieht. »Erfülltheit« ist ein Merkmal der Verwendung von Prädikaten: »Ein Prädikator heiße ›erfüllt‹ genau dann, wenn es mindestens einen Gegenstand gibt, auf den er zutrifft. Ist der Prädikator nicht erfüllt, so heiße er leer.« (Gabriel, 1975, S. 21) Dies gilt, gemäß Gabriel, für Prädikatoren an Subjektstelle und in quantifizierenden Ausdrücken. Paradigmatische Fälle fiktionaler Rede, auch gemäß Gabriels Definition, sind somit explizite Aussagen auf der Ebene des Berichts. Wobei »Aussage« in diesem Fall nicht als ein illokutionärer Akt verstanden werden darf, der sich nur in Bezug auf die Verteidigungspflicht vom illokutionären Akt der Behauptung unterscheidet. (s. Gabriel, 975, S. 89) Implizite Aussagen auf der Berichtsebene sind ebenfalls fiktionale Rede nach Gabriels Definition. Sobald aber mit einer Aussage ein Anspruch auf Wahrheit verbunden sei, müsse mit ihr auch der Anspruch auf Referenzialisierbarkeit und Erfülltheit verbunden sein. Wenn sich beispielsweise die explizite Aussage auf der Berichtsebene, die mit der Äußerung des berühmten ersten Satzes in L. N. Tolstois Anna Karenina vollzogen wird (»Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.« Tolstoi, 1877,1878) als eine Aussage mit Wahrheitsanspruch im Sinne Gabriels herausstellt, dann muss das Prädikat im quantifizierenden Ausdruck erfüllt sein.34 Das Prädikat muss darüber hinaus auch mit dem Anspruch auf Erfülltheit geäußert werden und nicht nur zufällig erfüllt sein. Anderenfalls wäre nicht einzusehen, warum die Äußerung ohne Anspruch auf Erfülltheit (oder Referenzialisierbarkeit) geäußert wird, aber dennoch mit dem Anspruch auf Wahrheit. Gabriel nennt demnach Texte, in welchen fiktionale Rede vorkommt, »fiktionale Texte«. Diese bestehen aber nicht (immer) nur aus fiktionaler Rede, sondern auch aus Äußerungen, die Aussagen mit Wahrheitsanspruch sind. Mit Äußerungen auf der Reflexionsebene kann ein illokutionärer Akt vollzogen werden; dies ist der Fall, wenn sich mittels Interpretation herausstellt, dass es sich mit diesen Äußerungen um Aussagen mit Anspruch auf Wahrheit handelt. Aussagen auf der Berichtsebene, d. h. die paradigmatischen Fälle fiktionaler 34 Die Forderung, so wie sie Gabriel formuliert, scheint etwas stark, da doch in der klassischen Quantorenlogik z. B. der Satz »Alle Einhörner sind weiß.« wahr ist, gerade weil in diesem Fall das Prädikat im Antezedens nicht erfüllt ist.
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Rede, kommen aber für den Vollzug des illokutionären Akts der Aussage mit Wahrheitsanspruch nicht in Betracht. Diese müssen in Gabriels Terminologie als »Sprechakte des Ausdrückens einer Proposition« verstanden werden. Obwohl Gabriel also einen illokutionären Akt beschreibt, der mit Aussagen aus fiktionalen Texten vollzogen wird, ist seine These bzgl. der fiktionalen Rede, dass mit dieser keine illokutionären Akte vollzogen werden. Damit bleiben Gabriels Thesen der Kritik ausgesetzt, die bereits formuliert wurde. Sein Versuch, fiktionale Rede als Vollzug eines propositionalen Aktes ohne einen illokutionären Akt zu charakterisieren, scheitert daran, dass es ihm nicht gelingt, Searles Unselbstständigkeitsthese zu widerlegen. Bei meiner Argumentation gegen Searles These hat die Unselbstständigkeitsthese ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt. Im Folgenden möchte ich eine These von Eckehard Wüst diskutieren, mit der er versucht, im Gegensatz zu Searle, explizit zu zeigen, dass mit fiktionaler Rede kein propositionaler Akt (er verwendet Austins Terminologie und spricht daher vom »lokutionären Akt«) ausgeführt wird. Dieser Versuch ist deswegen interessant, da, wenn der Autor mit dieser These Recht behielte, die Unselbstständigkeitsthese nicht mehr als Argument gegen die These, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, eingesetzt werden könnte.
2.2.3 Die Pseudoprädikationsthese Eckehard Wüst in seinem Aufsatz Über einen dichterischen Sprechakt als Beispiel einer »parasitären« Verwendung der Sprache von 1978 vertritt wie Searle die These, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt vertreten wird, dabei unterstellt er ebenfalls eine Unselbstständigkeitsthese, allerdings eine andere als Searle. Diese formuliert er in seiner Terminologie, bei der er sich größtenteils an Austin orientiert, folgendermaßen: »Da die Lokution aber der notwendige Kern eines jeden illokutionären Aktes ist, vollzieht der Sprecher mit einer Pseudoprädikation auch keine Illokution.« (Wüst, 1978, S. 24) Wüst scheint folgende Voraussetzungen zu machen: Zum einen scheint der Akt der Prädikation ein notwendiger Bestandteil des lokutionären Aktes zu sein. Zum anderen scheint der lokutionäre Akt eine notwendige Voraussetzung dafür zu sein, dass ein illokutionärer Akt ausgeführt wird. Während Searle in seiner Unselbstständigkeitsthese die Abhängigkeit des propositionalen Aktes vom illokutionären Akt annimmt, geht Wüst umgekehrt von einer Abhängigkeit des illokutionären Aktes vom lokutionären Akt aus. Daher versucht er zu zeigen, dass mit einer sprachlichen Äußerung dann kein illokutionärer Akt vollzogen wird, wenn mit ihr kein lokutionärer Akt ausgeführt wird. Ein lokutionärer Akt wird z. B. dann mit einer Äußerung nicht vollzogen, wenn keine Prädikation ausgeführt wird.
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Auch Searle geht davon aus, dass der Akt der Prädikation ein notwendiger Bestandteil des propositionalen Aktes ist. Könnte gezeigt werden, dass bei fiktionaler Rede nicht prädiziert wird, könnte auf diese Weise tatsächlich die These gestützt werden, dass mit fiktionaler Rede kein illokutionärer Akt ausgeführt wird. Denn wenn es zuträfe, dass mit fiktionaler Rede kein propositionaler Akt vollzogen wird, kann die Unselbstständigkeitsthese zur Widerlegung der These, mit fiktionaler Rede werde kein illokutionärer Akt vollzogen, nicht herangezogen werden. In dieser Weise geht Wüst auch vor. Allerdings muss eine wichtige Einschränkung gemacht werden: Wüst bezieht sich bei seinen Überlegungen auf eine Äußerung, die aus einem Gedicht stammt und Metaphern beinhaltet. Seine Überlegungen scheinen daher in erster Linie auf den metaphorischen Gebrauch sprachlicher Ausdrücke abzuzielen. Ob sich seine Überlegungen auf fiktionale Rede insgesamt ausweiten lassen, bleibt daher fraglich. Wird einem Gegenstand ein Ausdruck zu- oder abgesprochen, spricht Wüst vom »Sprechakt der Applikation«. Prädikation ist, gemäß Wüst, ein Fall von Applikation. Die Verwendung von Prädikatoren, also sprachlichen Ausdrücken, mit welchen prädiziert werden kann, nennt Wüst »Prädikationsgebrauch«. Dieser folgt bestimmten Konventionen (»P-Konventionen«), die Sprachverwender beim Erlernen der Sprache lernen, allerdings ohne dass diese Konventionen den Sprechern bewusst sein müssen. Normalerweise, so Wüst, werden Prädikatoren mit der Absicht verwendet, dies in Übereinstimmung mit den entsprechenden P-Konventionen zu tun. Ein Prädikator könne aber auch appliziert werden, ohne dass sich ein Sprecher auf die für den Prädikator üblichen Konventionen berufe. Damit dies nicht als Irrtum oder Täuschung angesehen werde, müsse der Sprecher zu verstehen geben, dass er nicht die Absicht habe, sich auf bestehende Konventionen zu berufen. Dies kann man dadurch erreichen, daß man der Applikation eine entsprechende Äußerung vorangehen läßt. Es gibt aber auch konventionale Indikatoren, mit deren Hilfe man dieses Ziel, ohne weitere Worte, erreichen kann. (Wüst, 1978, S. 20)
Solche Applikationen, die keine »gewöhnliche« Prädikation darstellen, nennt Wüst »Pseudoprädikation«. Metaphorischer Gebrauch sprachlicher Ausdrücke sei ein Fall einer solchen Pseudoprädikation. Wird ein Prädikator metaphorisch gebraucht, so berufe sich der Sprecher zwar nicht auf eine Konvention, er knüpfe aber an eine solche an. Die Anknüpfung an eine Konvention bestehe nun darin, dass ein Sprecher bestimmte Vorstellungen bei einem Adressaten hervorrufen möchte. Er [der Dichter] erreicht sein Ziel [im Leser eine bestimmte Vorstellung zu provozieren] nicht dadurch, daß er von Schweden sagt, es sei ein abgetakeltes, auf den Strand gezogenes Schiff; auch nicht dadurch, daß er sagt, der Zustand, in dem sich Schweden befinde, sei dem Zustand ähnlich, in dem sich ein derartiges Schiff befinde; sondern
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einfach dadurch, daß er Schweden ein abgetakeltes, an den Strand gezogenes Schiff nennt (Applikation). […] Die Anknüpfung an eine P-Konvention besteht in diesem Fall darin, daß der Dichter den Leser veranlaßt, von der Vorstellung eines abgetakelten, auf den Strand gezogenen Schiffs auszugehen. (Wüst, 1978, S. 21)
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Zum einen handelt es sich um keine sehr im Detail ausgearbeitete Metapherntheorie. Zum anderen, und das soll an dieser Stelle mehr interessieren, kann diese Beschreibung der Prädikation bei metaphorischer Verwendung von sprachlichen Ausdrücken nicht als ein Argument angesehen werden, dass diese Art der Prädikation nicht auch eine Prädikation ist. An der oben zitierten Stelle scheint Wüst großen Wert darauf zu legen, dass zwischen »sagen, dass« und »nennen« unterschieden wird. Es entsteht der Eindruck, dass Wüst, indem er ausschließen möchte, dass der Autor mit den zitierten Äußerungen etwas »sagt«, behaupten will, dass der Autor keinen illokutionären Akt vollzieht. »Sagen« spezifiziert allerdings keinen illokutionären Akt. Vielmehr benutz Austin den Ausdruck »sagen« um eine Äußerung gerade nicht als illokutionären, sondern als lokutionären Akt zu beschreiben. (Austin, 1962, S. 102) Wüst könnte hier so verstanden werden, dass »sagen« hier als »aussagen« und damit die Äußerungen des Autors nicht als assertive Akte verstanden werden sollten. Doch wie bereits in der Auseinandersetzung mit Searles Thesen deutlich wurde, reicht es für eine iA-These nicht aus, nur zu zeigen, dass kein assertiver illokutionärer Akt vollzogen wird. Wüst hält es dagegen für richtig, zu sagen, der Autor »nenne« Schweden ein abgetakeltes Schiff. Diese Formulierung schließt aber ebenfalls nicht aus, dass mit der Äußerung, in der der Autor Schweden in der genannten Weise nennt, ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Falls »sagen« und »nennen« hier nicht als illokutionäre Verben, sondern als Bezeichnung für die von Wüst postulierten unterschiedlichen Arten des Prädizierens zu verstehen sind, hat Wüst ebenfalls nicht zeigen können, dass mit den zitierten Äußerungen kein illokutionärer Akt vollzogen wird. Denn Searle weist darauf hin, dass das Prädizieren in unterschiedlichen illokutionären Modi vollzogen werden kann. Daher wäre es durchaus möglich, dass es ein Prädizieren in einer Weise gibt, die dem illokutionären Akt, der mit dieser Äußerung vollzogen wird, entsprechen könnte. Wüst räumt jedoch auch ein, dass Metaphern nicht nur in dichterischen Äußerungen vorkommen können. Anzunehmen, dass der Gebrauch von Metaphern ausschließt, dass prädiziert wird und damit ein propositionaler Akt (Wüst würde in Anlehnung an Austin »lokutionärer Akt« sagen) vollzogen wird, hieße auch, dass mit nicht-dichterischen Äußerungen, in welchen Metaphern vorkommen, keine illokutionären Akte vollzogen werden. Wüst scheint bei seinen Überlegungen zwar die Absicht des Sprechers, sich auf die so genannten P-Konventionen zu beziehen, berücksichtigt zu haben,
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nicht aber die Absichten eines Sprechers, illokutionäre Akte zu vollziehen. Sprecher, die metaphorisch reden, können durchaus die Absicht haben, etwas zu behaupten, eine Frage zu stellen usw. Wenn ein Sprecher beispielsweise sagt: »Ich habe gestern mit meinem Chef über eine Gehaltserhöhung gesprochen, aber ich bin mal wieder gegen die Wand gelaufen.« berichtet er über ein Ereignis, d. h. er vollzieht einen assertiven illokutionären Akt, obwohl er eine Metapher verwendet. Er bedient sich einer feststehenden Redewendung, deren Metapher in diesem Fall aufgelöst werden kann mit »ich bin mit meinem Anliegen gescheitert«. Wie genau Prädikation in solchen Fällen beschrieben werden kann, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. Das genannte Beispiel legt jedoch nahe, dass der illokutionäre Modus, in dem prädiziert wird, trotz Metapher bestehen bleibt. Der Sprecher behauptet nicht wörtlich, er sei gegen die Wand gelaufen. Aber er behauptet mit dieser Äußerung etwas. Was er behauptet, kann aber nur herausgefunden werden, wenn die Metapher richtig aufgelöst werden kann. Der Versuch, zu zeigen, bei metaphorischer Verwendung sprachlicher Ausdrücke würde nicht prädiziert, daher kein propositionaler Akt und daher auch kein illokutionärer Akt vollzogen, ist damit gescheitert. Würde in anderer Weise gezeigt werden können, dass metaphorischer Gebrauch sprachlicher Ausdrücke dazu führt, dass mit dieser Äußerung kein illokutionärer Akt vollzogen wird, hätte dies zur Folge, dass viele nicht-fiktionale Äußerungen nicht mehr als illokutionäre Akte beschrieben werden könnten. Das Anwendungsgebiet der Sprechakttheorie wäre noch weiter eingeschränkt als durch den Ausschluss fiktionaler Rede. Dies würde eine umfassende Modifikation der Sprechakttheorie erfordern. Tatsächlich wurde seitens der Dekonstruktivisten angenommen, dass die Sprechakttheorie nur auf Äußerungen anwendbar ist, bei welchen die Ausdrücke nur in ihrer wörtlichen Bedeutung verwendet werden. Auf diese Kritik und Derridas im Zusammenhang mit dieser Kritik entwickelten These zur fiktionalen Rede werde ich in Kapitel 2.3.1 eingehen. Zuvor soll aber Habermas’ Charakterisierung der fiktionalen Rede vorgestellt und diskutiert werden, zu der er seinerseits durch die kritische Betrachtung von Derridas These gelangt.
2.2.4 Fiktionale Rede als Zitat (I) Jürgen Habermas setzt sich in Der philosophische Diskurs der Moderne mit der Kritik von Derrida und Culler an Austin und Searles Überlegungen zur Analyse fiktionaler Rede auseinander. Derrida und im Anschluss an diesen Culler, sehen eine Schwierigkeit in der Unterscheidung von ernsthaftem und nicht-ernsthaftem Sprachgebrauch. Habermas verteidigt Austins und Searles Position und plädiert dafür, an der gerade genannten Unterscheidung festzuhalten:
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Austin hat in der illokutionären Bindungskraft sprachlicher Äußerungen einen Mechanismus der Handlungskoordinierung entdeckt, der die normale, in die Alltagspraxis eingelassene Rede anderen Beschränkungen unterwirft als die fiktive Rede, die Simulation und den inneren Monolog. Die Beschränkungen, unter denen illokutionäre Akte eine handlungskoordinierende Kraft entfalten und handlungsrelevante Folgen auslösen, definieren den Bereich der »normalen« Sprache. Sie lassen sich als diejenigen idealisierenden Unterstellungen analysieren, die wir im kommunikativen Handeln vornehmen müssen. (Habermas, 1985, S. 230–231)
Der Terminus »illokutionäre Bindungskraft« taucht weder bei Austin noch bei Searle auf. Anzunehmen ist aber, dass Habermas hier auf die Gelingensbedingungen eingeht, die von Searle am Beispiel des illokutionären Akts des Versprechens ausgearbeitet wurden. (Searle, 1969) An kommissive und direktive illokutionäre Akte ist die Erwartung gebunden, dass sich der Sprecher oder der Adressat infolge des ausgeführten Sprechakts in einer bestimmten Weise verhalten werden. Bei kommissiven Akten verpflichtet sich der Sprecher selbst gegenüber dem Adressaten etwas Bestimmtes zu tun (oder auch zu unterlassen); bei direktiven Akten wird der Adressat aufgefordert, etwas Bestimmtes zu tun (oder zu unterlassen). Diese Verpflichtungen bzw. Aufforderungen zu bestimmten Handlungen könnte Habermas meinen, wenn er von dem »Mechanismus der Handlungskoordination« spricht, welcher an Rede in der alltäglichen Sprachpraxis gebunden ist. Dieser Mechanismus wird in der zitierten Stelle als das Merkmal angegeben, das ernsthafte Rede von nicht-ernsthafter Rede unterscheiden soll. Bevor ich auf diese These weiter eingehen werde, möchte ich noch einmal auf die von mir vorgenommene Einschränkung und Unterscheidung hinweisen, weil diese in der hier thematisierten Debatte nicht gemacht zu werden scheint: Ich möchte mich bei meinen Überlegungen nur auf fiktionale narrative Rede (unabhängig davon, ob diese in schriftlicher oder mündlicher Form geäußert wurde) beschränken. Insbesondere metaphorische Rede klammere ich – nachdem ich kurz im Zusammenhang mit den Thesen von Wüst darauf eingegangen bin – von meinen Überlegungen aus, aus einem Grund, den Searle auch anführt: Metaphorische Verwendung sprachlicher Ausdrücke ist ein Phänomen, das sowohl bei fiktionaler als auch bei nicht-fiktionaler Rede vorgefunden werden kann. (Searle, 1979a) Auf Schwierigkeiten, die sich ergeben würden, wenn gezeigt werden könnte, dass auch metaphorischer Gebrauch sprachlicher Ausdrücke dazu führen würde, dass mit diesen Äußerungen keine illokutionären Akte vollzogen werden können, habe ich bereits im vorherigen Kapitel hingewiesen. Indem ich mich auf narrative Rede beschränkt habe, sind andere literarische Gattungen, nämlich Lyrik und Drama nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus möchte ich zwischen dem dramatischen Text, der einer Theaterauffüh-
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rung zugrunde liegt, und der Theateraufführung selbst unterscheiden. Sowohl bei Austin (Austin, 1962) als auch bei seinen Kritikern (s. Culler, 1983) scheinen die Handlungen des Autors eines fiktionalen narrativen Textes und die Handlungen des Schauspielers, der auf der Bühne einen vorgegebenen Text aufsagt, als fiktionale Rede angesehen zu werden. Dass Fiktionalität auch bei Theateraufführungen und somit auch bei den Handlungen des Schauspielers eine Rolle spielt, möchte ich nicht bestreiten. Allerdings gehe ich davon aus, dass sich diese beiden Handlungen (die des Autors und die des Schauspielers) soweit voneinander unterscheiden, dass ich es für angemessen halte, sie getrennt zu analysieren. Ich werde im Rahmen dieser Arbeit nur eine Analyse der Handlung des Autors vorlegen können. Fiktionale Rede scheint sich gemäß der von Habermas vertretenen Position von ernsthafter Rede nun darin zu unterscheiden, dass diese – im Gegensatz zu illokutionären Akten – keine »handlungsrelevanten Folgen« auslöst. Da Habermas nicht näher erklärt, wie er zu dieser These bezüglich der fiktionalen Rede gelangt, kann nur spekuliert werden, ob diese, ähnlich wie bei Searle, durch den Vergleich fiktionaler Rede mit assertiven illokutionären Akten zustande gekommen ist. Habermas kann (und sollte wahrscheinlich) so verstanden werden, dass der Autor fiktionaler Rede nicht an die spezifischen Gelingensbedingungen für assertive illokutionäre Akte gebunden ist. Fiktionale Rede hat in dem Sinn keine »handlungsrelevanten Folgen«, dass der Autor keiner Aufforderung nachkommen muss, Beweise für das, was er erzählt, zu erbringen usw. Soweit ist Habermas auch zuzustimmen. Allerdings darf aus dem Umstand, dass die Gelingensbedingungen für assertive Akte nicht gelten, nicht geschlossen werden, dass es für fiktionale Rede keine Gelingensbedingungen gibt. In Kapitel 4 werde ich dafür argumentieren, dass auch fiktionale Rede gewisse Folgen hat. So legen die Äußerungen des Autors fest, was gemäß der Geschichte der Fall ist und welche Namen die fiktiven Figuren der Geschichte haben. So wie das Taufen in nicht-fiktionalen Kontexten im Gelingensfall dazu führt, dass eine Person oder z. B. ein Schiff einen Namen hat, mit dem sich Sprecher im Anschluss an die Taufe auf diese Person oder dieses Schiff beziehen können, so legen auch Autoren fiktionaler Texte fest, mit welchem Namen wir uns auf einen der Charaktere des Textes beziehen können. An dieser Stelle werde ich eine andere These verteidigen: Der Autor fiktionaler Rede ist seinerseits daran gebunden, sich an Regeln zu halten, deren Einhaltung entscheidend ist für das Gelingen der fiktionalen Rede als illokutionärer Akt. Dass es die Praxis des fiktionalen Erzählens gibt, wird auch von Vertretern der iA-These nicht bestritten. Eine solche Praxis oder Konvention muss bestehen, damit ein Autor sich auf diese berufen kann. Damit seine Rezipienten erkennen,
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dass er dies beabsichtigt, muss der Autor fiktionaler Rede Signale geben, die ermöglichen, dass seine Äußerungen als fiktionale erkannt werden können. (s. Kapitel 4.3.5) Diese Regel kann daher durchaus als eine Verpflichtung zu bestimmten Handlungen seitens des Autors verstanden werden: Wer will, dass seine Äußerungen als fiktionale aufgefasst werden, sich also auf die Konvention des fiktionalen Erzählens bezieht, muss dies zu erkennen geben. Bisher wurde die These diskutiert, dass fiktionale Rede als eine Art sprachliche Äußerung anzusehen ist, die sich allein dadurch auszeichnet, dass mit ihr Propositionen geäußert werden, diese aber nicht behauptet werden und daher die für das Behaupten konstitutiven Regeln keine Gültigkeit haben. Auch wenn ich diese Charakterisierung der fiktionalen Rede nicht für die richtige halte, würde mit der oben angegebenen Regel schon eine Verpflichtung genannt, auf welche sich Autoren fiktionaler Rede einlassen müssen, damit fiktionale Rede als illokutionärer Akt gelingen kann. Daher kann auch mit der Annahme, die gerade genannte Charakterisierung sei zutreffend, an Habermas’ These nicht festgehalten werden: Es trifft nicht zu, dass das Gelingen fiktionaler Rede an keine Bedingungen geknüpft ist, die auf bestimmte Handlungen des Autors abzielen. In der von Habermas beschriebenen Weise unterscheidet sich fiktionale Rede daher nicht von nicht-fiktionalem Sprachgebrauch. Bei dem Versuch, Derridas These zu rekonstruieren, nimmt Habermas, der Derridas Überzeugung auch in diesem Punkt nicht teilt, das Folgende an: Handlungswirksam ist nur der jeweils aktuell vollzogene Sprechakt, von dem das zitatweise erwähnte oder berichtete Versprechen grammatisch abhängt. Diese illokutionär entkräftende Einrahmung bildet auch die Brücke zwischen zitierender Wiedergabe und fiktiver Darstellung. Auch eine Bühnenhandlung stützt sich natürlich auf eine Basis von Alltagshandlungen (der Schauspieler, des Regisseurs, der Bühnenarbeiter und Theaterangestellten); und in diesem Rahmenkontext können Versprechen auf eine andere Weise, nämlich mit handlungsfolgenrelevanten Verbindlichkeiten, funktionieren als »auf der Bühne«. (Habermas, 1985, S. 230)
Wenn fiktionale Rede analog zu Zitaten analysiert werden sollte, müsste geklärt werden, was bei fiktionaler Rede als »entkräftendes Einrahmen« angesehen werden kann, was dafür sorgt, dass mit den Äußerungen keine illokutionären Akte vollzogen werden. Habermas beschränkt seine Überlegungen in dieser Sache auf sprachliche Äußerungen in Theateraufführungssituationen. Seine Formulierungen im Folgenden (Habermas, 1983, S. 230f.) legen nahe, dass er davon auszugehen scheint, dass diese auch auf fiktionale Rede im Allgemeinen übertragen werden kann. Wie dies möglich sein soll, bleibt aber ungeklärt. Was wäre aber, wenn es möglich wäre, eine »entkräftende Einrahmung« anzugeben, die fiktionale Rede »umgibt«, und es zuträfe, dass fiktionale Rede (also
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auch das Verfassen fiktionaler Texte) so analysiert werden könnte wie das Zitieren? Unter einem Zitat wird gewöhnlich die wörtliche Wiedergabe einer Rede verstanden. Indem das Zitierte geäußert wird, wird der illokutionäre Akttyp, den der zitierte Sprecher mit der ursprünglichen Äußerung vollzogen hat, nicht (zumindest nicht notwendigerweise) vollzogen. In der Auseinandersetzung mit Derridas Thesen werde ich auf diesen Punkt noch einmal eingehen. (s. Kapitel 2.3.1) Dennoch vollzieht ein Sprecher mit der Äußerung eines Zitates normalerweise einen illokutionären Akt. Die Wiedergabe einer sprachlichen Äußerung ist immer ein Vollzug eines illokutionären Aktes35, wenn auch nicht immer vom gleichen Typ wie der des Aktes, über den berichtet wird. Viele Fälle der Wiedergabe sind sicherlich assertive illokutionäre Akte, es ist aber durchaus möglich, eine sprachliche Äußerung wiederzugeben und damit auch einen anderen als einen assertiven illokutionären Akt zu vollziehen. Wer also versucht, fiktionale Rede analog zu Zitaten zu analysieren, kann nicht die These vertreten, dass überhaupt kein illokutionärer Akt seitens des Autors fiktionaler Rede vollzogen wird. Wenn es möglich wäre, zu zeigen, dass die Äußerungen, aus welchen beispielsweise ein Roman besteht, dem Zitierten bei der Widergabe einer sprachlichen Äußerung entsprechen, müsste aber der illokutionäre Akt bestimmt werden, der mit der »entkräftenden Einrahmung« vollzogen wird. Denn diese »Einrahmung«, die bei Zitaten eine »Entkräftung« des Zitierten bewirkt, ist das Eingebettetsein des Zitierten in eine Äußerung, mit welcher ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Die These, bei fiktionaler Rede würden keine illokutionären Akte ausgeführt, analog zu Zitaten, kann nicht aufrechterhalten werden. Denn auch wenn gezeigt werden könnte, dass die Äußerungen fiktionaler Rede ähnlich »eingerahmt« wären wie Zitate, würde dennoch, wie beim Zitieren, ein illokutionärer Akt ausgeführt. Denn die von ihrer illokutionären Rolle entbundenen Äußerungen wären nur ein Teil einer gesamten Äußerung, mit der aber insgesamt ein illokutionärer Akt vollzogen wird.
35 Dass die Wiedergabe einer sprachlichen Äußerung immer den Vollzug eines illokutionären Aktes darstellt, muss doch eingeschränkt werden. Gemeint ist damit, dass es sich um Vollzüge illokutionärer Akte handelt, sofern Sprecher als Akteure absichtlich etwas wiedergeben. Ein Zitat könnte auch unter Absehung der Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke geäußert werden, so wie dies am Beispiel des Mikrophontestens beschrieben wurde. (s. Kapitel 1.8) Auch solche Äußerungen müssen für die These, mit Zitaten werden illokutionäre Akte vollzogen, ausgeklammert werden. Dies wird normalerweise bei Zitaten der Fall sein. Allerdings kann auch ein Tonbandgerät oder ein Papagei die Rede eines anderen wiedergeben. Diese Wiedergabe stellt keinen Vollzug eines illokutionären Aktes dar, da es sich in beiden Fällen nicht um Handlungen handelt, zumindest kann dies mit guten Gründen bezweifelt werden. Solche Arten von Wiedergabe möchte ich allerdings nicht als Zitieren bezeichnen.
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2.2.5 Waltons Kritik sprechakttheoretischer Analysen fiktionaler Rede Ein weiteres Argument gegen die iA-These stammt von Kendall Walton. Ich werde mich im Folgenden nur mit dem Argument, dass Walton gegen die iAThese vorbringt, beschäftigen und nicht mit seiner gesamten umfassenden Arbeit im Bereich der Philosophie der Fiktion. Den Versuch, fiktionale Äußerungen mithilfe der Sprechakttheorie zu analysieren, nennt er »›Have theory will travel‹ syndrome – the tendency of theorists, when faced with a new problem, to dust off an old theory they know and love, one devised with other questions in mind, shove it into the breach, and pray that it will fit.« (Walton, 1990, S. 76) Den sprechakttheoretischen Ansatz, sprachliche Äußerungen in erster Linie als Vollzug von Handlungen zu verstehen, sei für das Verständnis fiktionaler Äußerungen nicht brauchbar. Dieser Überzeugung ist es wahrscheinlich auch geschuldet, dass Walton, im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Kritikern der iA-These, keinen sprechaktterminologischen Alternativvorschlag macht. Dass es für fiktionale Texte unerheblich sei, ob sie das Produkt einer Handlung und von einem Akteur hervorgebracht sind, versucht Walton mit folgenden Gedankenexperiment zu zeigen: Consider a naturally occurring inscription of an assertive sentence: cracks in a rock, for example, which by pure coincidence spell out »Mount Merapi is erupting.« And suppose we know for sure, somehow, that the cracks were formed naturally, that nobody inscribed (or used) them to assert anything. This inscription will not serve anything like the purposes vehicles of people’s assertion typically serve. It will not convince us that Mount Merapi is erupting, or that there is a reason to believe it is, or that someone thinks it is or wants us to think so. […] A naturally occurring inscription of a sentence of a kind normally used to promise or request or apologize or threaten would be no more than a curiosity. Contrast a naturally occurring story : cracks in a rock spelling out »once upon a time there were three bears…«. The realization that the inscription was not made or used by anyone need not prevent us from reading and enjoying the story in much the way we would if it had been. It may be entrancing suspenseful, spellbinding, comforting; we may laugh and cry. (Walton, 1990, S. 87)
Walton weist daraufhin, dass eine zufällig entstandene Gravur wie ein von einem Autor geschriebener fiktionaler Text behandelt werden kann, indem er eine Reihe von perlokutionären Effekten aufzählt, die bei Lesern dieses zufällig entstandenen Textes genauso eintreten können wie bei der Lektüre eines absichtlich geschriebenen fiktionalen Textes. Walton will damit zeigen, dass für die Rezeption fiktionaler Texte unerheblich ist, dass sie von einem Akteur geschrieben wurden und die Produktion des Textes als Handlung beschrieben werden kann. Doch sehr überzeugend ist dieses Argument nicht. Denn Walton spricht nur von perlokutionären Effekten, die sich durch die Lektüre des zufällig entstandenen
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Textes einstellen können. Es ist aber nicht zu sehen, dass sich perlokutionäre Effekte, wie Walton sie beschreibt, nicht auch dann bei Lesern dieser Gravur einstellen können, wenn sie das, was sie lesen, nicht für einen fiktionalen Text halten würden. Warum sollte uns die Gravur »Mount Merapi is erupting.« nicht erschrecken oder amüsieren usw. können, obwohl wir wissen, dass es keinen Verfasser dieses Textes gibt. Perlokutionäre Effekte sind kein Alleinstellungsmerkmal fiktionaler Äußerungen, auch nicht-fiktionale Texte können uns ängstigen, amüsieren, überzeugen usw. Wenn Waltons Argument gültig wäre, dann würde auch auf nicht-fiktionale Äußerungen zutreffen, dass es für unseren Umgang mit ihnen nicht relevant ist, ob sie von einem Akteur stammen und das Ergebnis einer Handlung sind. Dass manche perlokutionäre Effekte auch dann eintreten können, wenn die Äußerung eines Satzes kein Vollzug einer Handlung ist, liegt daran, dass perlokutionäre Effekte nicht grundsätzlich von einem Sprecher intendiert sein müssen. Es kann sein, dass ein Sprecher mit seiner Äußerung amüsieren, verängstigen oder zum Lachen bringen will, es muss aber nicht beabsichtigt sein. Die Beschreibung einer Äußerung als perlokutionärem Akt ist daher in vielen Fällen auch keine Handlungsbeschreibung in einem Sinn von »Handlung«, der Absichtlichkeit umfasst. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Satztoken an einem Berg, obwohl nicht Produkt einer Handlung, perlokutionäre Effekte auslösen kann. Dass fiktionale Äußerungen perlokutionäre Effekte haben können, ist aber kein Argument dafür, dass mit diesen Äußerungen nicht auch illokutionäre Akte vollzogen werden, denn auch mit nicht-fiktionalen Äußerungen können perlokutionäre Akte vollzogen werden. Gültig wäre Waltons Argument, wenn er zusätzlich zeigen könnte, dass mit fiktionalen Äußerungen nur perlokutionäre Akte vollzogen werden. Walton scheint implizit anzunehmen, dass fiktionale Texte keine Handlungskonsequenzen für Leser haben, während dies bei nicht-fiktionalen Äußerungen, die illokutionäre Akte sind, der Fall ist. Diese Handlungskonsequenzen scheinen sich aber für Rezipienten nur dann zu ergeben, wenn die Äußerung tatsächlich von einer Person stammt und die Äußerung als Handlung beschrieben werden kann. Würde durch Eruption ein Muster entstehen, das genauso aussieht wie ein in einen Berg gemeißelter Aufforderungssatz, würde, und das scheint Waltons Intuition zu sein, niemand dieser »Aufforderung« nachkommen. Denn es würde sich hierbei nicht um eine echte Aufforderung handeln, weil es in diesem Szenario niemanden gibt, der durch diesen Satz zu etwas auffordern würde. Selbstverständlich glaube ich auch, dass wir dieses Satztoken nicht als Vollzug einer Aufforderung ansehen können, da Sätze nicht auffordern können, sondern dass es eines Sprechers bedarf, der mit der Äußerung des Satzes auffordert. Wäre allerdings auf die gleiche merkwürdige Weise, wie Walton es beschreibt, nicht ein vermeidlich fiktionaler Text entstanden sondern
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ein Backrezept, warum sollte keiner versuchen, nach diesem Rezept einen Kuchen zu backen, obwohl klar ist, dass dieses Rezept das Produkt eines Zufalls ist? Es ist also offenbar so, dass es Fälle solcher merkwürdigen Naturschauspiele geben könnte, in denen das Produkt der Eruption (oder was auch immer dazu führt, dass etwas zu sehen ist, das wie ein sprachliches Gebilde aussieht) wie ein Token eines Satzes aussieht, mit dem Sprecher normalerweise einen illokutionären Akt, auch einen direktiven vollziehen, und Leser dieses Gebildes sich so verhalten, wie sie es auch täten, wäre der Satz von einem Sprecher mit entsprechenden Absichten geäußert. Würde Waltons Schlussfolgerung zutreffen, dann dürfte auch das Verfassen von Backrezepten nicht als der Vollzug illokutionärer Akte gelten, denn auch in diesem Fall wäre es möglich, dass sich Leser des durch Eruption entstandenen Rezepts so verhalten, wie es die Leser eines herkömmlich entstandenen Backrezepts tun. Das ist aber eine völlig unplausible Konsequenz. Ob sich Leser solcher merkwürdig entstandenen Sätze so verhalten, wie sie es täten, wenn sie annehmen würden, der Satz sei von einem Menschen geschrieben worden, oder nicht, hängt offenbar auch vom Gehalt des Satzes ab. Sowohl die perlokutionären Effekte als auch mögliche Handlungen als Reaktion auf diese Sätze können nicht dazu herangezogen werden, fiktionale von nicht-fiktionalen Äußerungen zu unterscheiden, um damit die These zu untermauern, dass mit fiktionalen Äußerungen keine illokutionären Akte vollzogen würden. Mein Backrezept-Beispiel sollte auch deutlich machen, dass wir solche Satztoken wie in Waltons Beispiel auch wie illokutionäre Akte behandeln können. Dass wir in der Gravur etwas erkennen, das wir als ein Backrezept oder einen fiktionalen Text ansehen, liegt daran, dass es die Praxis des Schreibens von Backrezepten und des fiktionalen Erzählens gibt. Zwar könnten sich auch ohne entsprechende Konventionen perlokutionäre Effekte bei der Lektüre dieser Gravuren einstellen, ohne entsprechende Praxis könnte aber ein Rezept nicht als Rezept erkannt werden und auch ein Text nicht als ein fiktionaler angesehen werden. Dass es eine solche Praxis geben muss, damit der Text als ein fiktionaler erkannt werden kann, spricht aber, so habe ich bereits argumentiert, dafür, dass mit fiktionalen Äußerungen illokutionäre Akte vollzogen werden.
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Mit den vorhergehenden Abschnitten hoffe ich gezeigt zu haben, dass mit der iA-These in keiner der hier vorgestellten Varianten eine akzeptable Charakterisierung fiktionaler Rede geliefert wird. Außerdem wurden keine schlagenden Argumente gegen meine These, dass
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mit fiktionaler Rede ein illokutionärer Akt vollzogen wird, von Vertretern der iA-These vorgebracht. Da ich nun weiter davon ausgehe, dass mit fiktionaler Rede illokutionäre Akte ausgeführt werden, stellt sich die Frage, welche illokutionären Akte dies sein können. Im Folgenden möchte ich drei Thesen diskutieren, mit welchen Vorschläge unterbreitet werden, fiktionale Rede als Vollzug illokutionärer Akte zu verstehen. Derrida vertritt die These, dass, indem zitiert wird, der gleiche illokutionäre Akt ausgeführt wird, wie mit der zitierten Äußerung. Da er fiktionale Rede als Zitat versteht, nimmt er an, dass mit den Äußerungen im Rahmen fiktionaler Rede die illokutionären Akte vollzogen werden, die auch in anderen Kontexten mit ihnen vollzogen würden. Currie argumentiert dafür, fiktionale Rede als direktiven illokutionären Akt aufzufassen. Die Handlung des Autors sei als Aufforderung an den Leser zu verstehen, eine bestimmte propositionale Einstellung (die Make-believe-Einstellung) gegenüber dem Erzählten einzunehmen. Genette fasst, wie Currie, fiktionale Rede als direktiven illokutionären Akt auf, beschränkt sich jedoch nicht darauf. Ebenfalls sei fiktionale Rede als deklarativer Akt zu verstehen. Beide Beschreibungen sollen, Genette zufolge, allerdings auch damit vereinbar sein, dass die fiktionale Rede als eine So-tun-alsob-Handlung beschrieben werden kann.
2.3.1 Fiktionale Rede als Zitat (II) Mit Searles These verbunden ist die Charakterisierung fiktionaler Rede als Gebrauch von Sprache, der sich von alltäglichem, als illokutionärer Akt beschreibbarem Gebrauch von Sprache unterscheidet. Wie bereits erwähnt, können Searle und Austin mit der Sprechakttheorie den Anspruch, eine Theorie für alle Arten des Sprachgebrauchs zu liefern, nicht erfüllen. Fiktionale Rede und andere Arten des Sprachgebrauchs, die scheinbar nicht als illokutionärer Akt beschrieben werden können, werden als »parasitärer« oder »nicht-ernsthafter« Sprachgebrauch bezeichnet und von »ernsthaftem« Sprachgebrauch abgegrenzt. »Nicht-ernstafter« Sprachgebrauch wird deshalb als »parasitär« bezeichnet, weil er logisch von »ernsthaftem« Sprachgebrauch abhänge. In Signatur Ereignis Kontext wendet sich Derrida gegen Austins Unterscheidung von ernsthaftem Sprachgebrauch einerseits und nicht-ernsthaftem, parasitärem Gebrauch andererseits. Die Veröffentlichung dieses Aufsatzes in englischer Übersetzung war der Auftakt zu einer nicht immer sehr sachlich geführten Diskussion zwischen Derrida und Searle, die offensichtlich auch
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durch eine ganze Reihe von Missverständnissen geprägt war.36 Einen Versuch Derridas Position zu rekonstruieren und zu verteidigen unternimmt J. Culler in On Deconstruction. Theory and Criticism after Structuralism. Wie bereits gezeigt wurde, muss es Konventionen geben, die es erlauben, dass mit einer sprachlichen Äußerung ein illokutionärer Akt vollzogen werden kann. Durch solche Konventionen wird ermöglicht, dass zum einen sprachliche Äußerungen, die sich in ihrem Wortlaut unterscheiden, zum anderen sprachliche Äußerungen mit demselben Wortlaut in verschiedenen Situationen als Vollzug eines illokutionären Akts desselben Typs angesehen werden können. Der Umstand, dass verschiedene sprachliche Äußerungen als Token eines illokutionären Typs aufgefasst werden können, wird von Culler mit dem Aufführen eines Theaterstücks verglichen (oder vielleicht verwechselt). Dies führt dazu, dass Culler im Anschluss an Derrida keinen Unterschied zwischen den sprachlichen Äußerungen eines Schauspielers auf der Theaterbühne und dem Vollzug illokutionärer Akte in Alltagssituationen zu machen scheint: If it were not possible for a character in a play to make a promise, there could be no promise in real life, for what makes it possible to promise, as Austin tells us, is the existence of a conventional procedure, of formulas one can repeat. For me to be able to make a promise in real life, there must be iterable procedures or formulas such as are used on stage. Serious behavior is a case of role-playing. (Culler, 1983, S. 119)
Während Austin und Searle fiktionale Rede als eine Art des parasitären Sprachgebrauchs gegenüber dem ernsthaften Sprachgebrauch auffassen, scheint Culler zunächst eine parasitäre Beziehung in umgekehrter Richtung anzunehmen. Falls Culler hier im Anschluss an Derrida unter »parasitär« das Gleiche versteht wie Searle, dann lautet diese These, dass »ernsthafter Sprachgebrauch« von Äußerungen auf der Theaterbühne und/oder fiktionaler Rede logisch abhängig sei. Allerdings macht diese These es noch schwieriger, die danach vertretene These, ernsthafter Sprachgebrauch sei ein Fall von Theaterspielen, zu verstehen. Denn während die erste These einen Unterschied zwischen zwei verschiedenen Arten des Sprachgebrauchs voraussetzt, wird doch genau dieser Unterschied durch die zweite These aufgehoben. Mit beiden Thesen scheint jedoch angenommen zu werden, dass das von Austin und Searle angenommene Verhältnis zwischen fiktionalem (nicht-ernsthaftem) und nicht-fiktionalem (ernsthaftem) Sprachgebrauch umgedreht wird. Der fiktionale (nicht-ernsthafte) Sprachgebrauch scheint hier als Standardfall angesehen zu werden. Dies wird dadurch begründet, dass die Möglichkeit der Ausführung von performativen Äußerungen von der Wiederholbarkeit dieser sprachlichen Handlungen abhinge. Die Wiederholbarkeit der Äußerung scheint das Merkmal zu sein, das 36 Einen Überblick über diese Debatte findet sich bei: Werle, (2007;); Wirth, 2002.
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»ernsthafter Sprachgebrauch« und »nicht-ernsthafter Sprachgebrauch« gemeinsam haben: The possibility of »serious« performatives depends upon the possibility of performances, because performatives depend upon the iterability that is most explicitly manifested in performances. (Culler, 1983, S.119)
Es scheint so, dass hier die Wiederholbarkeit von Theateraufführungen als paradigmatischer Fall von Wiederholbarkeit sprachlicher Äußerungen angesehen wird und darüber hinaus angenommen wird, dass die Wiederholbarkeit anderer sprachlicher Äußerungen (in irgendeiner Weise) von der Wiederholbarkeit von Theateraufführungen abhinge. Möglicherweise wäre Culler zu dieser These nicht gelangt, wenn er sich statt auf performative Äußerungen auf illokutionäre Akte bezogen hätte. Denn es scheint so, als würde hier die etymologische Verwandtschaft von »performatives« und »performances« überstrapaziert. Weder bei Culler noch bei Derrida wird zudem letztlich klar, ob mit dem Terminus »Wiederholbarkeit« tatsächlich etwas anderes gemeint ist, als das, was durch die Typ-Token-Unterscheidung bereits aufgefangen wird: Ein Satztyp kann als Token immer wieder in konkreten Kommunikationssituationen von Sprechern geäußert werden. Eine Situation unter vielen, in welchen ein Satz-Token geäußert werden kann, ist auf der Theaterbühne während einer Aufführung. Ein weiterer Terminus, der von Derrida eingeführt wird und in engem Zusammenhang mit der Wiederholbarkeit zu stehen scheint, ist der Terminus »Zitat«. Keine performative Äußerung könne gelingen, so Derrida, wenn ihre Formulierung nicht eine ›codierte‹ oder iterierbare Äußerung wiederholte, mit anderen Worten, wenn die Formel, die ich ausspreche, um eine Sitzung zu eröffnen, ein Schiff oder eine Ehe vom Stapel laufen zu lassen, nicht als einem iterierbaren Muster konform, wenn sie also nicht in gewisser Weise als »Zitat« identifizierbar wäre. (Derrida, 1999, S. 346)
Ein Hauptkritikpunkt, den Derrida gegen Austins Theorie der Sprechakte vorbringt, ist demnach, dass Austin das Zitieren als eine parasitäre Form des Sprachgebrauchs ansieht und nicht, wie Derrida selbst, die Möglichkeit des Zitierens performativer Äußerungen als Voraussetzung für deren Ausführung ansieht: Es handelt sich gerade um die Möglichkeit, daß jede performative Äußerung (und a priori jede andere) »zitiert« werden kann. Nun schließt aber Austin diese Eventualität (und die allgemeine Theorie, die ihr Rechnung trägt) mit einer Art lateraler, lateralisierender, jedoch um so bezeichnenderer Vergessenheit aus. Er beharrt auf der Tatsache, daß die Möglichkeit anormal, parasitär bleibt, daß sie eine Art Entkräftung, ja sogar Agonie der Sprache darstellt, die nachdrücklich fernzuhalten ist und von der man sich entschlossen abzuwenden hat. (Derrida, 1999, S. 344)
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Wie Derrida zu dem Schluss kommt, Austin zufolge seien parasitäre Verwendungsweisen der Sprache solche, von denen man sich abzuwenden habe, ist nicht ganz klar. Möglicherweise ist diese Deutung auf eine Missdeutung des Ausdrucks »parasitär« zurückzuführen. Derrida scheint eine negative Konnotation, die dieser Ausdruck zuweilen hat, auch bei Austins Verwendung dieses Ausdrucks anzunehmen. Es ist aber vielmehr davon auszugehen, dass »parasitär« bei Austin und auch bei Searle in Bezug auf Weisen des Sprachgebrauchs keine negative Konnotation hat, sondern damit nur gemeint ist, dass es Arten des Sprachgebrauchs gibt, die von anderen Arten logisch abhängen. Ähnlich wie bei dem Terminus »Wiederholbarkeit« wird auch bei dem Terminus »Zitat« nicht hinreichend klar, was damit gemeint sein soll. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hierbei eventuell um etwas anderes handelt, als gewöhnlich unter diesem Ausdruck verstanden wird. Dies ist jedoch nur eine Vermutung, die deshalb nicht weiterhilft, weil, falls es zutrifft, dass »Zitat« hier etwas anderes ist, als es gewöhnlich der Fall ist, dann geklärt werden müsste, was Derrida darunter versteht. Weil gerade diese Klärung große Schwierigkeiten verursacht, werde ich, auf die Gefahr, Derrida an dieser Stelle misszuverstehen, annehmen, dass mit »Zitat« das Wiedergeben einer anderen sprachlichen Äußerung gemeint ist. Daher muss ich annehmen, dass Derrida die These vertritt, dass durch das Zitieren das Zitierte nicht die illokutionäre Rolle verliert, die das Geäußerte in der ursprünglichen Äußerungssituation hatte. Fiktionale Rede scheint er als eine Art des Zitierens zu verstehen und kommt so zum dem Schluss, dass Äußerungen in Bühnensituationen (und fiktionale Rede allgemein?) eine illokutionäre Rolle haben. Allerdings scheint Derrida nicht die These zu vertreten, dass fiktionale Rede als Vollzug eines eigenen spezifischen illokutionären Aktes zu verstehen sei. Vielmehr scheint die These zu sein, dass Äußerungen, die im Rahmen fiktionaler Rede und im Rahmen von Theateraufführungen vollzogen werden, der Vollzug der gleichen illokutionären Akte seien, wie es bei Äußerungen der jeweiligen Sätze in anderen Kontexten der Fall wäre. (Derrida, 1999, S. 344f.) Wie ich versucht habe in Kapitel 1.3.1 zu zeigen, ist es sinnvoll, zwischen dem illokutionären Akt, der mit einer Äußerung vollzogen wird, und dem illokutionären Potential, das ein Satz haben kann, zu unterscheiden. Aufgrund verschiedener Eigenschaften einer Äußerung wie die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, die grammatische Struktur, usw. haben sprachliche Äußerungen das Potential, dass mit ihnen ein illokutionärer Akt ausgeführt werden kann. Dass ein Satz ein illokutionäres Akt-Potential hat, so dass mit seiner Äußerung z. B. ein Versprechen vollzogen werden kann, heißt aber nicht, dass immer wenn ein Token dieses Satzes geäußert wird, damit tatsächlich ein Versprechen gegeben wird. Um mit der Äußerung dieses Satzes ein Versprechen zu vollziehen, muss
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dieser Satz in einer geeigneten Situation geäußert werden. Wichtig erscheint mir außerdem, die Handlung des Zitierens von dem Zitierten zu unterscheiden. Ein zitierter Satz behält sein illokutionäres Akt-Potential bei, doch es wird nicht zwangsläufig der entsprechende illokutionäre Akt vollzogen, der mit der ursprünglichen Äußerung des Satzes vollzogen wurde. Denn zunächst wird, indem zitiert wird, nur über den Vollzug dieses Aktes berichtet. Indem aber über den Vollzug eines illokutionären Aktes berichtet wird, wird also mit diesem Bericht genauso wenig dieser berichtete illokutionäre Akt vollzogen, wie Fußball gespielt würde, indem über ein Fußballspiel berichtet wird. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen: (1) Die Bundeskanzlerin Angela Merkel begann ihre Rede bei der Übergabe der 2-EuroGedenkmünze »Bayern« mit den folgenden Worten: »Ich darf Sie ganz herzlich zu einem Termin begrüßen, der im wahrsten Sinne des Wortes bares Geld wert ist.«
Würde das Zitierte die illokutionäre Rolle der ursprünglichen Äußerungssituation beibehalten, hätte ich durch das Schreiben von (1) jemanden begrüßt. Dennoch hat der in (1) zitierte Satz das Potential, dass mit seiner Äußerung ein Sprecher jemanden begrüßen kann. Wie diese Feststellung über Zitate auf fiktionale Rede übertragen werden soll, ist allerdings höchst unklar. Würde ein Sprecher in keiner Weise darauf hinweisen, dass er mit seiner Äußerung eine andere Äußerung nur zitiert, würde das Zitieren insofern nicht gelingen, als die Adressaten das Zitat als ein solches nicht erkennen würden. In diesem Fall würden die Adressaten davon ausgehen, der Sprecher hätte tatsächlich den Versuch unternommen, den illokutionären Akt auszuführen, über den er aber tatsächlich nur berichten wollte. Es trifft also nicht zu, dass mit dem Äußern des Zitierten, indem man zitiert, der illokutionäre Akt vollzogen wird, der mit der ursprünglichen Äußerung vollzogen wurde. Es ist nur so, dass das Zitierte (z. B. ein Satz) ein illokutionäres Akt-Potential hat. Der zitierte Satz behält sein illokutionäres Akt-Potential bei, auch wenn in einer konkreten Äußerungssituation mit der Äußerung dieses Satzes nicht der entsprechende illokutionäre Akt vollzogen wird. Derridas These, wonach Äußerungen in fiktionaler Rede als Zitate aufzufassen sind und die illokutionären Akte, die mit diesen Äußerungen vollzogen werden, nicht von den illokutionären Akten unterschieden werden können, die durch diese Äußerungen in anderen Kontexten vollzogen werden, kann nicht aufrechterhalten werden.
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2.3.2 Fiktionale Rede als direktiver illokutionärer Akt Currie liefert eine griceanische Analyse fiktionaler Rede. Die von ihm so genannte fiktionale Absicht des Autors/Sprechers ist eine notwendige Bedingung dafür, dass eine Äußerung fiktionale Rede ist. Seine These lautet zusammengefasst: Autoren fiktionaler Rede vollziehen direktive illokutionäre Akte. Sie fordern ihre Leser dazu auf, sich den Gehalt der Äußerung vorzustellen (make believe). Currie argumentiert gegen das von Searle aufgestellte Determinationsprinzip und dessen mithilfe dieses Prinzips erlangte Analyse fiktionaler Rede: Nicht der grammatische Modus des geäußerten Satzes, sondern die Absicht des Sprechers determiniert die illokutionäre Rolle der Äußerung. Dies sei nicht nur bei fiktionaler Rede, sondern grundsätzlich der Fall: Suppose that a speaker who utters an indicative sentence, »It’s hot in here,« is actually giving the command »Open the window.« We would not describe such an action as a pretence. The speaker intends his utterance to be understood as a command, and believes that the context will enable his hearer to divine his intention. (Currie, 1983, S. 387)
Das im Zitat von Currie angeführte Beispiel ist allerdings ein typisches Beispiel für die von Searle so genannten indirekten Sprechakte. (Searle 1979c). Zwar verwendet Currie diesen Terminus an dieser Stelle nicht, weil sein Beispiel aber so offensichtlich an indirekte Sprechakte erinnert, werde ich im Folgenden untersuchen, ob Curries These so verstanden werden muss, dass mit fiktionalen Äußerungen indirekte Sprechakte vollzogen werden. Das Äußern von »It’s hot in here« als ein vorgebliches Behaupten aufzufassen, erscheint in der Tat nicht sehr intuitiv. Dies liegt aber u. a. daran, dass diese Äußerung (in einem entsprechenden Kontext) durchaus als eine Feststellung darüber, dass es heiß ist, verstanden werden kann. Dass die Äußerung als eine Aufforderung aufgefasst werden soll und von Adressaten so aufgefasst wird, schließt nicht aus, dass sie auch als eine Feststellung über die Temperatur verstanden wird. Searle versteht unter »indirekten Sprechakten« Äußerungen, mit denen zwei illokutionäre Akte vollzogen werden: ein primärer und ein sekundärer illokutionärer Akt. Unter dem sekundären Akt wird der illokutionäre Akt verstanden, der durch den grammatischen Modus des tatsächlich geäußerten Satzes und dessen Bedeutung bestimmt wird (im Beispiel wäre dies ein assertiver Akt), unter einem primären illokutionären Akt wird der illokutionäre Akt verstanden, den der Sprecher in erster Linie ausführen will und (im Gelingensfall) auch vom Hörer als der relevante angenommen wird (im Beispiel wäre dies ein direktiver Akt). Typischerweise hat der primäre illokutionäre Akt allerdings einen anderen propositionalen Gehalt als der tatsächlich geäußerte. Mit
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der Beispieläußerung wird tatsächlich die Proposition, dass es hier heiß ist, explizit ausgedrückt und gemäß Searle auch behauptet. Aufgefordert wird aber dazu, dass das Fenster geöffnet wird o. ä. (Searle, 1979c) Im Anschluss an die bereits zitierte Passage weißt Currie auf die Parallelen zwischen fiktionalen Äußerungen und dem vorher gemachten Beispiel hin: So too with the author of fiction. He relies upon the audience being aware that they are confronting a work of fiction, and assumes that they will not take utterances which have the indicative form to be assertions. He is thus not pretending anything. He is inviting us to pretend, or rather, to make-believe something (Currie, 1985, S. 387)
Gemeinsam mit indirekten Sprechakten haben fiktionale Äußerungen, dass sie keine So-tun-als-ob-Handlung sind und Sätze in einem grammatischen Modus (nämlich typischerweise Indikativsätze im Fall von Narrationen) verwendet werden, um einen anderen illokutionären Akt mit der Äußerung dieser Sätze zu vollziehen als es typischerweise der Fall ist. Wie mit »It’s hot in here.« sollen mit fiktionalen Äußerungen direktive illokutionäre Akte vollzogen werden, obwohl Indikativsätze geäußert werden. Was würde es nun bedeuten, fiktionale Rede als indirekte Sprechakte zu beschreiben? Der primäre Akt wäre, greift man Curries Analyse auf, ein schwach direktiver illokutionärer Akt, nämlich eine Einladung. Der sekundäre illokutionäre Akt müsste aber ein assertiver illokutionärer Akt sein, da dieser durch den grammatischen Modus und die Bedeutung des Satzes bestimmt wird. Während es bei Curries Beispiel-Äußerung »It’s hot in here« plausibel erscheint, dass der Sprecher damit auch etwas feststellt, wäre es für fiktionale Äußerung ein überaus überraschendes Ergebnis, wenn mit allen Indikativsätzen im Rahmen eines fiktionalen Textes der Autor auch jeweils das mit den Sätzen Ausgesagte behauptet. Tatsächlich vertritt Currie eine Kompositionalitätsthese in Bezug auf fiktionale Texte, die besagt, dass Autoren vieler fiktionaler Texte mit einigen Äußerungen im Rahmen dieser fiktionalen Texte auch etwas behaupten. Weil er solche Äußerungen gesondert behandelt und diese gerade nicht als fiktionale Äußerungen ansieht, sollte er aber nicht so interpretiert werden, dass fiktionale Äußerungen grundsätzlich als Vollzug assertiver und direktiver illokutionärer Akte zu verstehen sind. Damit stellen sich fiktionale Äußerungen aber mindestens als ein Sonderfall indirekter Sprechakte dar. Bei indirekten Sprechakten scheint der sekundäre illokutionäre Akt in der Kommunikationssituation lediglich von geringerem Interesse für Sprecher und Hörer zu sein. Bei fiktionalen Äußerungen hingegen ist es für die typischen Fälle offensichtlich gerade wichtig, dass diese überhaupt nicht als assertive illokutionäre Akte, auch nicht als sekundärer illokutionärer Akt, verstanden werden. Fiktionale Rede kann nicht
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bzw. nicht in den paradigmatischen Fällen als Vollzug indirekter Sprechakte verstanden werden. Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich dafür argumentiert, dass die illokutionäre Rolle der Äußerung nicht durch grammatische Merkmale des geäußerten Satz-Token determiniert ist, sondern dass Satztypen ein illokutionäres AktPotential haben, d. h. die Token eines Typs mehr oder weniger gut geeignet sind, mit ihnen einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen. Zu dessen Bestimmung müssen auch Informationen bzgl. der Äußerungssituation herangezogen werden. Es kann sein, dass mit einer Äußerung mehr als ein illokutionärer Akt vollzogen wird und Curries Beispiel »It’s hot in here.« ein solcher Fall ist, bei dem es wahrscheinlich ist, dass ein Sprecher damit tatsächlich etwas behauptet und zu etwas, nämlich das Fenster aufzumachen o. ä., auffordert. Daraus folgt aber nicht, dass grundsätzlich ein primärer und ein sekundärer illokutionärer Akt vorliegen müssen, wenn Sprecher z. B. einen Aussagesatz benutzen, um damit aufzufordern. Einer solchen Analyse liegt meines Erachtens entweder die Annahme zugrunde, dass das Determinationsprinzip zutrifft oder aber dass es zumindest der Regelfall ist, dass mit Aussagesätzen assertive illokutionäre Akte und mit Befehlssätzen direktive illokutionäre Akte vollzogen werden. Bisher habe ich so argumentiert, als hielte ich es für möglich, sowohl das Determinationsprinzip zu akzeptieren als auch anzunehmen, dass mit bestimmten Äußerungen indirekte Sprechakte vollzogen werden. Wer aber das Determinationsprinzip aufrechterhält, hat, soweit ich sehen kann, große Schwierigkeiten das Vorhandensein indirekter Sprechakte zu erklären, denn gemäß dem Determinationsprinzip kann ein primärer Sprechakt überhaupt nicht möglich sein. Aber auch eine schwächere zweite These, die besagt, dass typischerweise nur assertive Akte mit Aussagesätzen und direktive Akte mit Befehlssätzen usw. ausgeführt werden, ist problematisch: Fragen sind gemäß Searles Taxonomie direktive illokutionäre Akte. Es scheint also, dass der grammatische Modus der Frage nicht mit einem gesonderten illokutionären Akttyp korrespondiert. Somit bleiben zwei Satzarten, Aussage-, und Befehlssatz, übrig. Wenn typischerweise mit Aussagesätzen nur assertive illokutionäre Akte vollzogen werden und mit Befehlssätzen direktive illokutionäre Akte, bleibt keine Satzart, die typischerweise für kommissive, expressive oder deklarative Akte verwendet wird. Es ergibt sich also auch für diese schwächere These ein sehr ähnliches Problem bzgl. der Taxonomie wie für die Annahme des Determinationsprinzips: Bei fünf illokutionären Akttypen müsste es auch fünf Satzarten geben, um diese Annahme aufrechtzuerhalten37. 37 Diese Beobachtung kann sowohl als Argument gegen das Determinationsprinzip verwendet werden, so wie ich es hier getan habe, als auch als Argument gegen Searles Taxonomie illokutionärer Akte.
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Currie sollte daher auch nicht unterstellt werden, dass er diese schwächere Annahme macht oder machen muss und daher auch nicht von diesen Annahmen motiviert ist, fiktionale Rede als indirekten Sprechakt zu verstehen. Seine These, dass fiktionale Rede der Vollzug direktiver illokutionärer Akte ist, muss so verstanden werden, dass nur direktive Akte vollzogen werden. Im Folgenden werde ich zwei Probleme von Curries Ansatz diskutieren. Erstens werde ich auf Schwierigkeiten hinweisen, die sich aus dem Anspruch ergeben, mit dem Make-believe-Begriff in der Definition fiktionaler Äußerungen ein Merkmal zu liefern, dass fiktionale von nicht-fiktionalen Äußerungen unterscheidet. Zweitens scheint Curries Vorschlag bezüglich der illokutionären Rolle fiktionaler Äußerungen weitreichende Konsequenzen für die Klassifikation illokutionärer Akte zu haben. Durch seine Definition fiktionaler Rede stellt Currie einen engen Bezug zwischen dem Make-believe-Begriff und Fiktion her. Für beide Problemfelder, die ich im Zusammenhang mit Curries These behandeln möchte, ist die Frage zentral, ob Make-believe-Einstellungen bzw. Vorstellungen mentale Zustände sind, die für den Umgang mit Fiktion ausschließlich reserviert sind. Consider first a nonfictional work: a newspaper article or television documentary. If we think the work reliable, we shall form certain beliefs based on the information the work conveys. We may also acquire certain desires: documentaries about the danger of smoking can make you want to give up, and travel articles extolling the virtues of an exotic location can make you want to go there. (Currie, 1995, S. 148)
In der darauf folgenden Textpassage kontrastiert Currie die Rezeption fiktionaler Texte mit dem Umgang mit nicht-fiktionalen Texten. Das Ergebnis ist, dass es zwar eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen diesen Fällen gibt, der entscheidende Unterschied ist aber in den mentalen Zuständen zu sehen, die durch die jeweilige Rezeption erworben werden: Überzeugungen und Wünsche im Fall der nicht-fiktionalen Texte, Vorstellungen im Fall des fiktionalen Textes. Das, was fiktionale Äußerungen gegenüber anderen direktiven Akten auszeichnen soll, ist also, dass die Rezipienten sich den Gehalt der Äußerung vorstellen sollen (make-believe that p). Der Ausdruck »make-believe« ist im Englischen nicht nur ein Fach-Terminus, sondern findet sich auch in der Alltagssprache. Bei einer englischsprachigen Leserschaft kann ein Autor daher davon ausgehen, dass der Ausdruck vertraut ist und auf ein gewisses intuitives Verständnis hoffen. Die Übersetzung ins Deutsche bereitet aber einige Schwierigkeiten, wodurch deutlich wird, dass der Begriff einiger Klärung bedarf. In manchen Texten findet sich »vorstellen« als deutsche Übersetzung für »make-believe«. Vorstellen kann sowohl ein bildliches als auch ein rein propositionales sein. Ich kann mir z. B. »ausmalen« wie es wäre reich zu sein und es »vor meinem inneren Auge sehen«. Ein propositionales
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Vorstellen ist dagegen wie eine Annahme zu verstehen. Bei Annahmen ist es aber z. B. im Kontext einer Argumentation nicht der Fall, dass die entsprechende Proposition bildlich »vor das innere Auge« geführt würde. Die Lektüre fiktionaler Texte ist sicher manchmal mit bildlichen Vorstellungen verbunden, aber sicherlich nicht immer. Und klarerweise kann ein fiktionaler Text verstanden werden, ohne dass sich der Leser etwas bildlich vorstellen müsste. Würde Currie unter »make-believe« »bildliches Vorstellen« verstehen, wäre diese These zu stark. Denn seine Analyse hätte dann zum Ergebnis, dass Autoren fiktionaler Texte ihre Leser zu etwas auffordern, dem aber nur ein Teil der Leser nachkommt und auch diese Leser werden sich sicher nicht den Gehalt jedes einzelnen Satzes bildlich vorstellen. Unter »make-believe«, zu dem Autoren fiktionaler Äußerungen auffordern, sollte daher nicht bildliches Vorstellen verstanden werden. Zum einen wäre eine solche Aufforderung oder Einladung sehr stark, als notwendige Bedingung für das Vorliegen von Fiktionalität eignet sich bildliches Vorstellen daher nicht. Es kann zum anderen aber auch kein hinreichendes Kriterium sein, da bildliches Vorstellen auch bei nichtfiktionalen Texten vorkommen kann, wie ich im Folgenden erläutern werde. Tatsächlich will Currie unter »make-believe« nur das propositionale Vorstellen verstehen. Da Currie annimmt, dass der Gehalt fiktionaler Äußerungen vom Autor nicht geglaubt und vom Rezipienten auch nicht geglaubt werden soll und nur zufällig wahr sein kann, werde ich unter »make-believe« »Vorstellungen ohne entsprechende Überzeugung« verstehen. In seinem 2014 erschienenen Buch Fiction and Narrative argumentiert Derek Matravers gegen die These, dass Vorstellungen wesentlich mit Fiktion verbunden seien und ein Alleinstellungsmerkmal des Umgangs mit Fiktion seien. Matravers beschäftigt sich in erster Linie mit Curries 1995 erschienenem Buch Image and Mind, in dem Currie »imagination« mit »simulation« identifiziert, während er in anderen Texten von »make-believe« spricht. Dieser Typ mentaler Zustände ist im Gegensatz zu Überzeugungen »off-line«, was Currie in funktionalistischer Terminologie so versteht, dass der Input dieser Zustände keine Wahrnehmung (des entsprechenden Szenarios) ist und der Output keine Handlung (im Rahmen des entsprechenden Szenarios) ist. Diese Charakterisierung rechtfertigt aber, so Martravers, keine besondere Verbindung zu Fiktion, denn in dieser Weise kann auch der Umgang mit einer nicht-fiktionalen Proposition beschrieben werden. Es ist zwar richtig, dass Zuschauer eines HorrorFilms den Kinosaal nicht schreiend verlassen, um vor dem Monster zu fliehen, aber auch Zuschauer einer TV-Dokumentation, z. B. über den Weißen Hai, verlassen nicht fluchtartig ihr Wohnzimmer, weil sie durch den Anblick des Hais die Überzeugung ausbilden, in Gefahr zu sein. Der entscheidende Aspekt, auf den Matravers hinweist ist, dass der Zuschauer des Horrorfilms tatsächlich kein Monster sieht, genauso wenig sieht aber der Zuschauer der Dokumentation
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einen Weißen Hai, viel mehr sehen beide Repräsentationen eines Monsters bzw. eines Weißen Hais. In beiden Fällen ist der Input, um weiter eine funktionalistische Terminologie zu verwenden, die Wahrnehmung einer Repräsentation. So lange dem Zuschauer bewusst ist, dass er eine Repräsentation wahrnimmt, wird er sich nicht so verhalten und entsprechend weitere mentale Zustände ausbilden, als würde er den Gegenstand selbst wahrnehmen. Der entscheidende Unterschied liegt daher nicht zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Repräsentationen, sondern zwischen Situationen, in welchen der Gegenstand oder das Ereignis selbst wahrgenommen wird und solchen, in denen wir (nur) mit Repräsentationen konfrontiert sind. The conclusion I draw from this is that Currie has argued for one view (that all mental states taken off-line are imaginings and not beliefs) and mistaken it for a second view (that all and only mental states that arise from reading fictional propositions are imaginings and not beliefs). It is the second view that entails that there is a link between fiction and imagination. However, no argument is provided for the second view and, furthermore, it is incompatible with the first view for which arguments are provided. (Matravers, 2014, S. 32)
Gemäß Curries Ansatz darf eine Proposition höchstens zufällig wahr sein, damit sie als eine fiktionale bzw. deren Äußerung als fiktionale Rede anzusehen ist. Das scheint aber nicht auf alle Propositionen, die im Rahmen fiktionaler Werke geäußert werden, zuzutreffen. Stacie Friend (Friend, 2011) und Derek Matravers machen auf eine weitere (Matravers, 2014, S. 38ff.) Schwierigkeit aufmerksam, die sich für Currie ergibt: Mit seinem Ansatz kann – zumindest nicht ohne weitere Annahmen – angegeben werden, wann ein Text fiktional ist, denn einerseits bestehen Texte, die als fiktionale angesehen werden, auch aus nichtfiktionalen Äußerungen, andererseits kommen auch in faktualen Texten fiktionale Äußerungen vor. Für dieses Problem findet sich bei Currie keine Lösung. Die These, dass Vorstellungen ausschließlich mit Fiktion verbunden sind, lässt sich nicht aufrechterhalten und führt zu der gerade genannten Schwierigkeit, nicht angeben zu können, wie gesamte Werke hinsichtlich ihrer Fiktionalität zu klassifizieren sind. Im Folgenden werde ich mich nun mit dem Aspekt von Curries Definition fiktionaler Rede beschäftigen, der die illokutionäre Rolle betrifft. Es mag nichtfiktionale Äußerungen geben, die tatsächlich kaum mit Vorstellungen in Verbindung gebracht werden können. Ich glaube aber, dass nicht irgendwelche nicht-fiktionalen Äußerungen mit fiktionalen verglichen werden sollten. Vielmehr müssen nicht-fiktionale Äußerungen betrachtet werden, die eine gewisse Ähnlichkeit zu ihren fiktionalen Pendants aufweisen. Da ich bisher fiktionale Äußerungen aus einem narrativen Zusammenhang betrachtet habe, was soweit
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ich sehe in der Debatte um Fiktion üblich ist, sollten die zu vergleichenden nichtfiktionalen Äußerungen auch aus einem narrativen Zusammenhang stammen. Betrachten wir folgenden Textausschnitt: Das Kindergeschrei, das bis eben von der Straße drang, ist verstummt. Eine Ratte trippelt durch das Treppenhaus. Stille. Fliegen setzen sich auf meine Haut. So viele gibt es jetzt von ihnen. Der Müll zieht sie an. Er bedeckt Plätze und Straßenränder. Die Stadt verfault von innen heraus. »Unsere Stadt Aleppo ist jetzt eine Stadt der Fliegen«, sagen hier viele. Aus dem schmalen Lichtschacht hallt das Triebwerksgeräusch eines Kampfflugzeuges. Hoch oben kreist es wie ein Raubvogel über einem Kaninchenbau. Die Menschen, die in dieser Straße wohnen, die ihnen Zuflucht ist und Falle zugleich, sind in ihre Häuser geflohen. Mohammed, der Taxifahrer von gegenüber, dessen Kinder auf dem Balkon eben noch miteinander gestritten hatten, sein Cousin Ahmed, der Schneider im Untergeschoss, und der Friseur vom Eck, sie starren auf die Betondecken über ihren Köpfen oder schließen die Augen. Sie alle lauschen demselben Geräusch. Dem gleichmäßigen Röhren der Maschine.
Bei dieser Textpassage handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Reportage »Der Tod kommt von oben« von Wolfgang Bauer, die am 06. 09. 2012 in der Wochenzeitung »Die Zeit« erschienen ist, also um einen Ausschnitt aus einem Text, der nicht als ein fiktionaler eingestuft werden sollte. Es ist aber, dafür wurde bereits argumentiert, nicht zu sehen, dass Leser dieser Passage nur Überzeugungen (und Wünsche) bezüglich des Gehalts dieses Textes ausbilden. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich Leser die beschriebene Situation zumindest auch vorstellen. Die Eindringlichkeit, mit der der Autor dieses Textes die Situation beschreibt, macht es außerdem, so denke ich, höchst plausibel, ihm zu unterstellen, dass er durch seine Schilderungen (auch) erreichen will, dass seine Leser sich die geschilderte Situation der Stadt Aleppo vorstellen, vielleicht sogar bildlich vorstellen. Der Anspruch, der mit Reportagen verbunden ist, besteht gerade darin, eine konkrete Situation so zu beschreiben, dass die Leser eine Vorstellung davon bekommen. Wenn wir aber annehmen dürfen, dass der Autor (und wie er sicher viele Autoren nicht-fiktionaler Texte) will, dass seine Leser sich die geschilderte Situation vorstellen, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch die Äußerungen, aus denen dieser nicht-fiktionale Text besteht, als Aufforderungen des Autors zu verstehen sind, dass sich die Rezipienten den Gehalt der Äußerungen vorstellen. Weil das Ausbilden bestimmter Vorstellungen seitens der Rezipienten von Autoren fiktionaler wie nicht-fiktionaler Texte beabsichtigt ist, müsste Currie zeigen, warum im Fall von nicht-fiktionalen Texten die entsprechende Absicht des Autors die nicht-fiktionalen Äußerungen nicht zum Vollzug eines direktiven illokutionären Aktes macht. Wenn die betrachteten nicht-fiktionalen Äußerungen aber direktive illokutionäre Akte wären, dann hieße das, dass Äußerungen, die bisher typischerweise als assertive illokutionäre Akte klassifiziert
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werden, gemäß dieser Analyse direktive illokutionäre Akte sind. Dies könnte Currie unproblematisch finden, da er annehmen könnte, dass mit solchen Äußerungen sowohl assertive als auch direktive illokutionäre Akte vollzogen würden. Denn er könnte auch geltend machen, dass Autoren nicht-fiktionaler Texte außerdem wollen, dass ihre Leser den Gehalt der betreffenden Äußerungen sich nicht nur vorstellen, sondern auch glauben. Ich werde mich daher im Folgenden mit der These auseinandersetzen, dass Autoren nicht-fiktionaler Texte mit ihren Äußerungen Token von zwei verschiedenen illokutionären Akttypen vollziehen, nämlich direktive und assertive. Ich beginne mit der Analyse dieser Äußerungen als direktive illokutionärer Akte: Vorstellungen sind mentale Einstellungen, die nicht als Gegenpart zu Überzeugungen anzusehen sind. Ein und dieselbe Proposition kann zugleich vorgestellt und geglaubt werden. Wenn Autoren mit nicht-fiktionalen Äußerungen Rezipienten auffordern, sich den Gehalt der Äußerung vorzustellen, dann muss dieses Vorstellen (zumindest in den typischen Fällen, um die es mir hier geht) aber ein Vorstellen sein, das das Glauben der Proposition gerade nicht ausschließt. Die performative Explikation einer solchen nicht-fiktionalen Äußerung lautete dann: Hiermit lade ich dich ein, dir p vorzustellen und zu glauben (make-believe with belief). Das hieße, dass der Autor die Rezipienten sowohl dazu auffordert, sich die entsprechende Proposition vorzustellen als auch sie zu glauben. Was wiederum bedeutet, dass der Autor schon mit der Aufforderung zur Vorstellung seine Rezipienten auffordert, die entsprechende Proposition zu glauben. Wer einen assertiven illokutionären Akt vollzieht, beispielsweise eine Behauptung, will (normalerweise), dass sein Adressat, wenn er die Äußerung von p gehört hat, glaubt, dass p. Man kann daher im Fall einer Behauptung typischerweise dem Sprecher/Autor unterstellen, dass er die Absicht hat, dass die Rezipienten die geäußerte Proposition glauben. Bei der vorhergehenden Analyse bin ich, in Analogie zu Curries Analyse fiktionaler Rede, davon ausgegangen, dass die Absicht des Autors, Rezipienten dazu zu bringen, sich eine betreffende Proposition vorzustellen, rechtfertigt, die Äußerung als Aufforderung zu verstehen, sich die betreffende Proposition vorzustellen. Wie sich gezeigt hat, umfasst diese Aufforderung im Fall nicht-fiktionaler Äußerungen aber auch die Aufforderung, die betreffende Proposition zu glauben. Nun habe ich unterstellt, dass im Fall einer Behauptung der Autor die Absicht hat, dass seine Rezipienten eine Überzeugung bezüglich der geäußerten Proposition einnehmen. Diese Absicht scheint sich nun aber nur darin von der Absicht, die im Fall des direktiven illokutionären Aktes vorlag, zu unterscheiden, dass der Aspekt der Vorstellung fehlt. Nun ist nicht zu sehen, warum das Vorliegen der Absicht, dass Rezipienten sich die betreffende Proposition vorstellen und diese glauben sollen, eine Charakterisierung der entsprechenden Äußerung als direktiver illokutio-
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
närer Akt zulässt, während die Absicht, dass die Rezipienten die betreffende Proposition (nur) glauben (und sich nicht vorstellen) sollen, eine Charakterisierung als assertiver illokutionärer Akt rechtfertigt. Vielmehr scheint es gerechtfertigt, folgt man Curries Analyse, eine Äußerung als Aufforderung, p zu glauben, zu charakterisieren, wenn der Autor die Absicht hat, dass seine Rezipienten die Überzeugung, dass p, ausbilden sollen. Erstens kann eine solche Absicht Sprechern assertiver Äußerungen in sehr vielen Fällen unterstellt werden. Zweitens lassen sich entsprechende Absichten für schwächere assertive illokutionäre Akte wie z. B. Vermutungen oder Prognosen formulieren. Sprecher solcher illokutionärer Akte hätten dann die Absicht, dass ihre Rezipienten zwar keine Überzeugung bezüglich der geäußerten Proposition einnehmen, aber vielleicht eine Annahme machen o. ä. Eine solche Beschreibung hätte weitreichende Konsequenz: Würden Äußerungen, die Searle als assertive klassifiziert, in dieser Weise beschrieben, dann wären diese direktive illokutionäre Akte, zumindest wenn man weiterhin die Merkmale (vor allem der illokutionäre Zweck scheint in dieser Frage relevant zu sein) berücksichtigt, die Searle für seine Klassifikation von Sprechakten berücksichtigt. Die Klasse der assertiven illokutionären Akte scheint zu verschwinden. Behauptungen (und andere ursprünglich assertiv genannten illokutionären Akte) müssten eher als eine Unterklasse der direktiven aufgefasst werden, da durch sie der Adressat nicht zu einer Handlung (wie es sonst bei direktiven häufig der Fall ist) aufgefordert wird, sondern dazu, eine bestimmte Überzeugung auszubilden. Entweder müsste gezeigt werden, dass aus der Charakterisierung fiktionaler Rede die gerade genannten Konsequenzen nicht folgen, oder – falls diese Konsequenzen akzeptiert werden – sollte dafür argumentiert werden, dass eine Klassifizierung illokutionärer Akte ohne die Klasse der assertiven angemessener ist als Searles Klassifizierungsvorschlag. Bei aller berechtigten und bereits vielfach vorgebrachten Kritik an Searles Klassifizierung muss aber klar sein, dass eine Taxonomie illokutionärer Akte, in der assertive Akte nicht vorkommen, ein Alternativvorschlag zu Searle wäre, der weitab des sprachphilosophischen und linguistischen Mainstreams stünde. Aus der vorangegangenen Analyse nicht-fiktionaler Äußerungen ergibt sich aber noch eine weitere Schwierigkeit für Curries Analyse fiktionaler Rede: Dass Sprecher assertiver illokutionärer Akte häufig mit ihrer Äußerung erreichen wollen, dass der Adressat ihrer Äußerung den entsprechenden Gehalt glaubt, ist sicher unbestritten. Allerdings wird diese Absicht typischerweise als eine perlokutionäre Absicht angesehen bzw. ist die entsprechende Handlungsbeschreibung (»überzeugen«) einer Äußerung eine perlokutionäre Beschreibung (u. a. Austin, 1962, S. 109). Typischerweise wird das Auslösen mentaler Einstellungen bzgl. der geäu-
Die iA-These
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ßerten Proposition als Effekt des perlokutionären Aktes angesehen. Mit Äußerungen können wir Angst, Freude, Sorge, Gefallen usw. auslösen. Es ist daher zumindest naheliegend, auch das Auslösen von Vorstellungen als Effekt des perlokutionären Aktes anzusehen. Trifft dies bei nicht-fiktionalen Äußerungen zu, dann ist anzunehmen, dass auch bei fiktionalen Äußerungen das Einnehmen der »Make-believe-Einstellung« zu einer geäußerten Proposition ein Effekt des perlokutionären Aktes ist. Damit wäre aber die entsprechende Absicht des Autors, eine »Make-believe-Einstellung« bei den Rezipienten auszulösen, auch eine perlokutionäre Absicht. Wenn mit der Formulierung der fiktionalen Absicht letztlich nur eine Beschreibung fiktionaler Äußerungen als perlokutionärer Akt legitimiert werden kann, dann hat Currie nicht zeigen können, dass mit fiktionalen Äußerungen illokutionäre, nämlich direktive Akte vollzogen werden. Nun stellt sich die Frage, ob die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist, dass prinzipiell nicht dazu aufgefordert werden kann, eine mentale Einstellung einzunehmen oder eine mentale Handlung zu vollziehen. Ich glaube, dass dies nicht folgt. Äußerungen wie »Glaub mir doch endlich!« oder »Vertrau mir bitte!« scheinen mir in entsprechender Situation Beispiele dafür zu sein. Ob Adressaten solchen Aufforderungen überhaupt nachkommen können, ist eine Frage, der ich hier nicht nachgehen will. Mir scheint es aber durchaus möglich, dass gerade der Aufforderung »Stell dir doch bitte mal vor, dass wir im Lotto gewinnen!« nachgekommen werden kann. Dies ist also ein Beispiel für eine Aufforderung zu einer Vorstellung und ich sehe keinen Grund, warum mit der Äußerung eines solchen Satz-Token unter geeigneten Bedingungen kein direktiver illokutionärer Akt vollzogen werden kann. Daher halte ich es prinzipiell für möglich, dass es Äußerungen gibt, die als Aufforderungen zum Vorstellen einer Proposition und damit als ein direktiver illokutionärer Akt beschrieben werden können.
2.3.3 Fiktionale Rede als deklarativer illokutionärer Akt Den Vorschlag, fiktionale Rede als deklarative illokutionäre Akte aufzufassen, hat G¦rard Genette in Fiktion und Diktion unterbreitet. Die pseudo-searlische Formel dafür wäre Dl(p) – die hier annähernd folgendermaßen wiederzugeben wäre: »Ich, der Autor, erkläre hiermit fiktional, indem ich gleichzeitig die Worte mit der Welt und die Welt mit den Worten in Übereinstimmung bringe, ohne irgendeine Bedingung der Wahrhaftigkeit zu erfüllen (=ohne daran zu glauben und ohne Glaube zu verlangen), daß p (=daß ein kleines Mädchen, etc.).« (Genette, 1992, S. 51f.)
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
Im ersten Teil seiner Übersetzung der Searleschen Formel für deklarative illokutionäre Akte in Gebrauchssprache verwendet Genette nahezu wörtlich die Formulierung, die Searle für die Beschreibung der Passensrichtung deklarativer illokutionärer Akte verwendet. (s. Searle, 1979b, S. 3) Wenn fiktionale Rede als deklarative Akte angesehen werden können, so müsste fiktionale Rede auch die Passensrichtung deklarativer illokutionärer Akte haben. Nimmt man dies an, muss geklärt werden, wie dies zu verstehen ist, da offensichtlich ein Autor fiktionaler Texte nicht die Sachverhalte erschaffen kann, die den geäußerten Propositionen entsprächen. Genettes Antwort lautet: Mit illokutionären Akten werden bei dem Rezipienten Gedanken mit dem propositionalen Gehalt der fiktionalen illokutionären Akte provoziert. Es wird also nicht im gleichen Sinn wie bei anderen deklarativen Akten eine Passung von Wort und Welt erreicht, von einer Passung kann nur zwischen Wort und Gedanke (des Rezipienten) gesprochen werden. Dies ist insofern so, als die fiktionale Äußerung und der entsprechende Gedanke des Rezipienten den gleichen propositionalen Gehalt haben sollen. Dass die Gedanken des entsprechenden Inhalts unvermeidlich provoziert würden, sieht Genette als Indiz dafür, dass fiktionale illokutionäre Akte korrekterweise in die Klasse der deklarativen und nicht der direktiven Akte eingeordnet werden. Der Unterschied zwischen der direktiven Formulierung (»Stellen Sie sich vor, daß…«) und der Deklaration (»Es sei…«) besteht darin, daß diese ihren perlokutionären Effekt miteinbeziehen (darin besteht, diesen einzubeziehen): »Hiermit bringe ich Sie dazu, sich vorzustellen…« Dieser Effekt ist jedoch in jedem Fall garantiert, denn allein schon daß ich höre oder lese, daß einst ein kleines Mädchen am Waldesrand lebte, provoziert in meinem Geist unvermeidlich den Gedanken – und sei es nur, um ihn als fiktional oder müßig zu verwerfen – , daß einst ein kleines Mädchen am Waldesrand lebte. (Genette, 1992, S. 52)
Bei den deklarativen Akten, von denen Searle spricht, gibt es entsprechende Konventionen, die dazu führen, dass ein Sachverhalt in der Welt besteht, wenn ein deklarativer Akt mit einem dem Sachverhalt entsprechenden propositionalen Gehalt erfolgreich geäußert wird. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der deklarative Akt erfolgreich vollzogen werden kann, kann für die unterschiedlichen deklarativen Akte jeweils angegeben werden. Dass es nach dem Vollzug eines deklarativen Aktes einen entsprechenden Sachverhalt in der Welt gibt, ist außerdem gemäß Searle kein perlokutionärer Effekt einer Äußerung, sondern ein Ergebnis des illokutionären Aktes. Bei Genette scheinen es aber nicht Konventionen zu sein, die dazu führen, dass ein Gedanke bei einem Rezipienten entsteht, sondern vielmehr psychische Mechanismen, die durch eine fiktionale Äußerung angeregt werden. Die These, im Rezipienten werden unvermeidlich Gedanken provoziert, halte ich mindes-
Die iA-These
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tens für stark explikationsbedürftig. Zum einen ist nicht klar, ob es solche Mechanismen tatsächlich gibt und wie sie, falls es sie gibt, beschrieben werden können. Nimmt man aber einmal an, dass es diese Mechanismen gibt, so müsste geklärt werden, unter welchen Umständen diese in Gang gesetzt werden. Dies wäre analog zu den Gelingensbedingungen der deklarativen Akte zu klären. Da es sicher Rezipienten fiktionaler Rede gibt, bei welchen durch die Lektüre eines fiktionalen Textes keine entsprechenden Mechanismen aktiviert werden, müsste geklärt werden, inwieweit sich diese Rezipienten bzw. die Situation, in der sie sich befinden, von den Fällen unterscheidet, in welchen die Mechanismen erfolgreich aktiviert werden. Da es sich bei dem Gedanken, der durch eine fiktionale Rede provoziert wird, nicht um eine Überzeugung handeln kann, scheint es naheliegend, sich darunter einen mentalen Zustand vorzustellen, der nicht das Für-wahr-Halten des propositionalen Gehaltes impliziert. Vorstellungen scheinen mentale Zustände zu sein, bei welchen der Gehalt nicht für wahr gehalten werden muss. Auf die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn angenommen wird, dass der Erfolg fiktionaler Rede daran gebunden wird, dass der Rezipient bestimmte Vorstellungen bekommt, habe ich im vorherigen Kapitel hingewiesen: Vorstellungen können auch beim Lesen faktualer Texte entstehen, somit wird hier kein Merkmal genannt, dass fiktionale Rede von faktualen Äußerungen grundsätzlich unterscheiden könnte. Falls mit »Vorstellungen« bildliche Vorstellungen gemeint sind, so erscheint dies als Anforderung an das Gelingen fiktionaler Rede zu hoch. Curries Vorschlag der »Make-believe-Einstellungen« kann zumindest diesen Vorwürfen entgehen. Zudem hat sein Vorschlag den Vorteil, dass er keine psychischen Mechanismen annimmt, die gewissermaßen automatisch bei Rezipienten einen mentalen Zustand hervorrufen. Genette versteht es als ein auszeichnendes Merkmal fiktionaler Rede, dass diese bei Rezipienten eine bestimmte Art von propositionalen Einstellungen provoziert. Falls es diesen Mechanismus gibt, scheint dieser nicht nur bei fiktionaler Rede einzusetzen. Wenn auch ein Tatsachenbericht Vorstellungen verursachen kann, dann müssten als Konsequenz die assertiven Akte, aus welchen dieser Bericht besteht, als deklarative angesehen werden. Das heißt, dass sich auch im Zusammenhang mit der hier vorgestellten These Konsequenzen für die Klassifikation illokutionärer Akte ergeben können. Und auch hier müsste entweder gezeigt werden, warum diese Konsequenzen nicht eintreten oder warum es sinnvoll ist, die Klassifikation neu zu organisieren. Der Zusatz, den Genette bzgl. der Wahrhaftigkeit der Äußerung anführt (»ohne irgendeine Bedingung der Wahrhaftigkeit zu erfüllen (=ohne daran zu glauben und ohne Glaube zu verlangen), daß p«), ist insofern auffällig, als Searle für deklarative illokutionäre Akte die so genannte doppelte Passensrichtung annimmt: die Welt-auf-Wort- und Wort-auf-Welt-Passensrichtung. Die Welt-
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
auf-Wort-Passensrichtung haben deklarative Akte, weil die Welt durch den erfolgreichen Vollzug der geäußerten Proposition entsprechend verändert werden soll. Der bei deklarativen Akten ausgedrückten Proposition entspricht dann ein Sachverhalt in der Welt (Wort-auf-Welt-Passensrichtung), wenn der Akt erfolgreich vollzogen wurde. Dass Genette »Bedingung der Wahrhaftigkeit« von der Beschreibung ausklammern will, kann naheliegenderweise dem Umstand geschuldet sein, dass mit fiktionaler Rede gerade nicht Sachverhalte in der Welt erschaffen werden, die den ausgedrückten Propositionen entsprechen. Dass Genette diesen Zusatz bzgl. der »Bedingungen der Wahrhaftigkeit« anbringt, kann aber vielleicht auch darauf zurückgeführt werden, dass er es für vereinbar hält, dass fiktionale illokutionäre Akte einerseits als deklarative Akte, andererseits als So-tun-als-ob-Behauptungen aufgefasst werden können. Warum er diese beiden Beschreibungen für vereinbar hält, bleibt unklar.
2.4
Fazit aus Kapitel 2
d
Versucht man in der Terminologie der Sprechakttheorie zu beschreiben, welche Handlung der Autor fiktionaler Rede ausführt, ist klar, dass die Äußerungen des Autors als phonetischer (bzw. grafischer) Akt und als phatischer Akt bezeichnet werden können. Denn es wird von niemandem bestritten, dass der Autor Laute äußert (bzw. etwas schreibt) und dass diese Laute (bzw. das Geschriebene) Vokabeln einer Sprache und diese gemäß einer Grammatik angeordnet sind. Es herrscht aber keine Einigkeit in der Frage, ob diese Äußerungen auch als Vollzüge illokutionärer Akte beschrieben werden können. Vertreter der iA-These beantworten diese Frage negativ. Nach den hier vorgestellten Varianten dieser These ist fiktionale Rede zu charakterisieren als 1) eine So-tun-als-ob-Handlung, die ein bloßer Äußerungsakt ist (phonetischer/grafischer und phatischer Akt), ohne dass ein illokutionärer Akt und ein propositionaler Akt vollzogen würden, 2) das Äußern einer Proposition, ohne dass ein illokutionärer Akt vollzogen würde, 3) der Vollzug einer Pseudoprädikation, wodurch kein lokutionärer Akt zustande kommt und daher mit dieser Äußerung auch kein illokutionärer Akt vollzogen werden kann, 4) als Äußerung, die durch eine Einrahmung von ihrer illokutionären Kraft entbunden wird.
d
Die z. T. sehr unterschiedlichen Argumente, die für die iA-These vorgebracht wurden, konnten insgesamt nicht überzeugen. Dies mag auch teilweise daran liegen, dass fiktionale Rede im Rahmen der einzelnen Thesen nicht klar von
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Fazit aus Kapitel 2
d
metaphorischer Rede oder Äußerungen eines Schauspielers unterschieden wurden (s. These 3 und 4). Vertreter der iA-These scheinen zumindest implizit davon auszugehen, dass fiktionale Rede eine besondere Art der Sprachverwendung ist, die von gewöhnlichen Arten der Sprachverwendung abzugrenzen sei. Dieser Annahme wird dadurch Rechnung getragen, dass die fiktionale Rede nicht als illokutionärer Akt beschrieben wird. Es wird eine Unterscheidung zwischen »gewöhnlichem Sprachgebrauch« und »besonderem Sprachgebrauch« vorgenommen. Mit dem Terminus »illokutionärer Akt« scheinen nur Äußerungen, die als gewöhnlicher Sprachgebrauch gelten, beschreibbar. Sprachliche Äußerungen können verwendet werden, um sehr unterschiedliche Zwecke zu verfolgen. Einige dieser Zwecke können mit sprachlichen Äußerungen nur vor dem Hintergrund einer Konvention verfolgt werden. Diese Konventionen regeln, dass eine Äußerung als Vollzug einer bestimmten Handlung gelten kann. Mit dem Terminus »illokutionärer Akt« sollen nun genau die Handlungen bezeichnet werden, deren Vollzug mit sprachlichen Äußerungen nur möglich ist, weil es eine entsprechende Konvention gibt. Versteht man den Terminus »illokutionärer Akt« auf diese Weise, müsste bei einer konkreten Äußerung oder bei einem Äußerungstyp geklärt werden, ob es zutrifft, dass diese Äußerung als Vollzug einer bestimmten Handlung zählt, weil es eine entsprechende Konvention gibt. Genauer heißt dies, es müsste geklärt werden, ob es eine Handlungsbezeichnung der Äußerung gibt, mit welcher die Äußerung als eine solche Handlung bezeichnet wird. Trifft dies zu, dann wird mit dieser Äußerung ein illokutionärer Akt vollzogen. Entgegen der iA-These möchte ich die These vertreten, dass fiktionale Äußerungen in der oben genannten Weise beschrieben werden können und daher Vollzüge illokutionärer Akte sind. Dass ein Sprecher eine erfundene Geschichte erzählen kann, ohne dass sie von seinen Adressaten (a) für wahr gehalten und ohne dass (b) sie als Lüge angesehen wird, liegt daran, dass es die Konvention des fiktionalen Erzählens gibt. Diese erlaubt, dass eine Äußerung als Vollzug fiktionaler Rede gelten kann. In einer Kultur ohne eine solche Konvention würde das fiktionale Erzählen gerade deshalb nicht gelingen, weil die Adressaten die Äußerung nicht als Vollzug dieser Handlungsart erkennen könnten. Wahrscheinlich würde (a) oder (b) eintreten.38
d
38 Angeblich bewerten Mopan-Maya (eine Maya-Ethnie in Belize und Guatemala) assertive Äußerungen nur nach der Wahrheit oder Falschheit des Gehaltes. Dass der Sprecher sich irrt oder absichtlich etwas Falsches sagt, wird in gleicher Weise als tadelnswert angesehen. Erfundene Geschichten werden auch als assertiv geäußerte falsche Propositionen interpretiert und getadelt wie Irrtümer und Lügen. (s. dazu: Danziger,2010) Dies spricht meines Erachtens dafür, dass es eine Konvention des fiktionalen Erzählens in dieser Kultur nicht gibt. Eve Danziger schreibt dazu: »While narratives in various media offer fascinating plots and themes, no classificatory distinction is made in Mopan between stories involving su-
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Analysen fiktionaler Rede: Darstellung und Kritik
Für fiktionale Rede trifft es aber zu, dass es sich dabei um sprachliche Äußerungen handelt, mit welchen ein Sprecher einen bestimmten Zweck (eine erfundene Geschichte zu erzählen) verfolgt und dieser Zweck mit den sprachlichen Äußerungen nur dann erfolgreich verfolgt werden kann, wenn es eine Konvention gibt, die erlaubt, die Äußerungen als Handlungen gelten zu lassen, mit welchen dieser Zweck verfolgt werden kann. Daher stellt sich die Frage, als welcher illokutionäre Akt fiktionale Rede angesehen werden muss, bzw. in welche der Searleschen Klassen illokutionärer Akttypen die fiktionale Rede einsortiert werden muss. Ich habe drei unterschiedliche Antworten auf die Frage, welcher illokutionäre Akttyp mit fiktionaler Rede vollzogen wird, vorgestellt: 5) Fiktionale Rede ist wie das Zitieren aufzufassen. Mit dem Zitierten wird, dieser These gemäß, der gleiche illokutionäre Akt ausgeführt, wie es in der ursprünglichen Äußerungssituation der Fall war. Mit fiktionaler Rede als Zitat wird demzufolge kein spezifischer illokutionärer Akt ausgeführt, sondern prinzipiell können alle illokutionären Akte in diesem Rahmen ausgeführt werden. 6) Fiktionale Rede ist der Vollzug direktiver illokutionärer Akte, denn der Autor fiktionaler Rede fordert seine Adressaten auf, bzgl. der geäußerten Propositionen die Make-believe-Einstellung einzunehmen. 7) Fiktionale Rede ist der Vollzug deklarativer illokutionärer Akte. Deklarative Akte zeichnen sich dadurch aus, dass nach deren erfolgreichem Vollzug der dem propositionalen Gehalt entsprechende Sachverhalt in der Welt existiert. Fiktionale Rede soll bei Rezipienten Gedanken provozieren, dies geschehe auch nur durch den Vollzug der fiktionalen Rede und es bedarf keiner weiteren Handlungen, damit der Gedanke existiert. Weil ich die hier vorgestellten Vorschläge, zumindest in der vorliegenden Form, für keine adäquaten Beschreibungen fiktionaler Rede halte oder sich aus diesen Beschreibungen unplausible Konsequenzen ergeben, möchte ich einen eigenen Vorschlag unterbreiten. Wie ich aber bereits angemerkt habe, denke ich, dass eine adäquate Beschreibung der fiktionalen Rede abhängt von der Antwort auf eine andere Fragestellung: Welchen ontologischen Status haben fiktive Gegenstände? pernatural creatures and those involving actual accounts of events in the speaker’s own life. If stories are discovered not to be true, they are not excused as fictions, they are condemned as tus [i. e. lies]. The basis for literal belief in the content of stories recounted by trusted tellers is clearly not always a strictly empirical one. On one occasion when I asked a storyteller whether a story he had just told that featured talking animals was actually true, he replied in some dudgeon that it was. ›But do animals really talk?‹ I asked. ›Not nowadays‹, he replied, ›but they used to.‹« (Danziger, 2010, S. 213)
Fazit aus Kapitel 2
137
Die Frage nach dem ontologischen Status fiktiver Gegenstände stellt sich prima facie bei Rede über Fiktion. Hier geht es um die Frage, wie z. B. über fiktive Charaktere wahre Aussagen getroffen werden können. Im Folgenden möchte ich zunächst mit dem so genannten Fiktionsoperator eine Möglichkeit vorstellen, wie viele Aussagen über fiktive Gegenstände expliziert oder analysiert werden können. Es wird sich zeigen, dass sich für eine ganze Reihe von Aussagen sich eine Analyse ergibt, die zum Ergebnis hat, dass wahre Aussagen über fiktive Gegenstände getroffen werden können. Gemäß dieser Analyse ist es nicht notwendig, anzunehmen, dass fiktive Gegenstände in irgendeiner Weise existieren, damit etwas Wahres über sie gesagt werden kann. Es bleiben jedoch eine Reihe von Aussagen, bei welchen es schwierig wird, den Fiktionsoperator anzuwenden. Diese Fälle, so möchte ich zeigen, stellen uns vor eine Entscheidung: Entweder wird weiter angenommen, dass es fiktive Gegenstände in keiner Weise gibt. Dann muss mithilfe von weitaus komplizierteren Analysen und Explikationen versucht werden, diese Aussagen als wahrheitsfähige darzustellen. Oder aber man nimmt in Kauf, dass solche Aussagen gerade keine assertiven Akte sind, weil mit ihnen nicht der Anspruch erhoben wird, etwas Wahres auszusagen. Eine andere Alternative ist, dass doch angenommen wird, dass fiktive Gegenstände existieren. Eine Variante dieser Alternative werde ich im Folgenden vorstellen. Die Aufgabe einer solchen Position ist es, eine plausible These zu entwickeln, was ein fiktiver Gegenstand für eine Art von Gegenstand sein soll. Nachdem ich diese Position skizziert habe, möchte ich meinen Vorschlag unterbreiten, wie fiktionale Rede vor dem Hintergrund der ontologischen Annahmen dieser Position charakterisiert werden kann.
3.
Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion
3.1
Rede über Fiktion
In Kapitel 2 habe ich dafür argumentiert, die Handlung des Autors fiktionaler Rede als Vollzug illokutionärer Akte zu verstehen. Um nun klären zu können, von welchem illokutionären Akttyp fiktionale Äußerungen sind, soll eine weitere Frage behandelt werden: Gibt es fiktive Gegenstände? Diese Frage stellt sich, wie ich nun zeigen möchte, nicht nur im Zusammenhang mit fiktionaler Rede, sondern auch im Zusammenhang mit Rede über Fiktion. Würde sich beispielsweise ein Literaturwissenschaftler mit den Kriminalromanen von Arthur Conan Doyle beschäftigen, schriebe er in seiner Abhandlung über diese Romane (oder der Einfachheit halber über einen der Romane) vielleicht folgenden Satz: (1) Sherlock Holmes wohnte 1887 in der Baker Street 221B. Zumindest prima facie scheint er mit dieser Äußerung eine Aussage über Sherlock Holmes zu treffen. Er scheint sich mit dem Ausdruck »Sherlock Holmes« auf Sherlock Holmes zu beziehen und über eben diesen auszusagen, dass er in der Baker Street 221B wohnt. Nun ergibt sich aber folgendes Problem: Eine Person namens Sherlock Holmes existiert nicht und falls eine mit diesem Namen doch existiert, soll aber mit »Sherlock Holmes« in (1) gerade nicht auf diese Person Bezug genommen werden. Falls mit »Sherlock Holmes« in (1) auf etwas Bezug genommen wird, so stellt sich die Frage, was das sein könnte. Eine mögliche Antwort lautet: Sherlock Holmes ist eine fiktive Figur. Und mit »Sherlock Holmes« wird auf diese Figur Bezug genommen. Eine solche Position vertritt Searle (Searle, 1969, S. 78); ich werde darauf noch eingehen. Für den Akt der Referenz, also das Bezugnehmen auf einen Gegenstand mittels eines Ausdrucks, formuliert Searle das Axiom der Existenz: »Whatever is referred to must exist.« (Searle, 1969, S. 77) Wenn Searle demnach sagen möchte, dass mit »Arthur Conan Doyle« auf Arthur Conan Doyle Bezug genommen werden kann, so müsste er – sofern das Axiom der Existenz anerkannt wird –
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Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion
annehmen, dass Arthur Conan Doyle existiert bzw. existierte. Im Fall des Kriminalschriftstellers stellt das Axiom der Existenz zunächst kein Problem dar. Anders sieht es aber für Searle mit (1) aus. Mit intrafiktionalen Aussagen wie (1) steht er vor folgendem Problem: Wenn mit der Äußerung von (1) der Akt der Referenz vollzogen werden kann, dann muss entweder das Axiom der Existenz aufgegeben werden, das hieße, es kann auch auf Gegenstände Bezug genommen werden, die nicht existieren, oder es wird angenommen – sofern das Axiom der Existenz nicht aufgegeben wird –, dass fiktive Gegenstände existieren und auf sie Bezug genommen werden kann. In einem ersten Schritt werde ich Analysemöglichkeiten von Aussagen über nicht-existierende Gegenstände vorführen und zeigen, dass sich bei diesen Schwierigkeiten ergeben, wenn wir Aussagen über fiktive Figuren in dieser Weise analysieren bzw. paraphrasieren. In einem zweiten Schritt werde ich daher eine Analysemöglichkeit für intrafiktionale Aussagen vorstellen, mit der nicht angenommen werden muss, dass im Rahmen dieser Aussagen auf einen Gegenstand Bezug genommen wird, sie aber trotzdem wahrheitswertfähige Aussagen sind. Rede über Fiktion werde ich im Folgenden allgemein metafiktionale Aussagen nennen, dabei unterscheide ich intra-, inter-, und transfiktionale Aussagen39. Unter »intrafiktionalen Aussagen« werden Aussagen über den Inhalt einer bestimmten fiktionalen Geschichte verstanden. Unter »interfiktionalen Aussagen« verstehe ich Aussagen über mehr als eine Fiktion. Unter »transfiktionalen Aussagen« verstehe ich Aussagen, die scheinbar über den Gehalt einer fiktionalen Geschichte hinausgehen, indem scheinbar etwas über einen fiktiven Gegenstand in der (empirischen) Welt ausgesagt wird. Die hier vorgestellte Analysemöglichkeit bietet sich aber nicht für inter- und transfiktionale Aussagen an. Solche Aussagen werfen daher (erneut) die Frage auf, ob es fiktive Gegenstände gibt und ob auf diese im Rahmen inter- und transfiktionaler Aussagen Bezug genommen wird. Ich werde daher die Position der fiktionalen Realisten übernehmen, die die ontologische These vertreten, dass es fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte gib. Mit dieser Annahme können fiktionale Eigennamen als Namen für diese Gegenstände verstanden werden.
3.1.1 Aussagen über nicht-existierende Gegenstände Aussagen wie »Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig.« oder »Der goldene Berg existiert nicht.« scheinen gemeinsam zu haben, dass mit ihnen etwas über etwas ausgesagt werden soll, das de facto nicht existiert. Me39 Die Bezeichnung findet sich so auch z. B. bei Künne (Künne, 2007, S. 54).
Rede über Fiktion
141
tafiktionale Aussagen scheinen auf den ersten Blick von der gleichen Art zu sein. Auch bei diesen Aussagen soll etwas über etwas ausgesagt werden, was es nicht gibt (oder nicht zu geben scheint). Zumindest wer fiktiven Gegenständen keine (besondere) Existenzweise zuspricht, muss offenbar zugestehen, dass mit der Aussage »Sherlock Holmes wohnt in der Baker Street 221B« etwas (»wohnt in der Baker Street 221B«) über einen nicht-existierenden Gegenstand (»Sherlock Holmes«) ausgesagt wird.40 Russells Anliegen ist es u. a., in seinem Aufsatz On denoting zu zeigen, dass Aussagen mit einer leeren Kennzeichnung an der Subjektstelle des Satzes nicht sinnlos sein müssen. Seiner Analyse zufolge verbergen sich hinter dem Satz (2) Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig. folgende drei Aussagen: a) die Existenzbehauptung: Es gibt mindestens einen König von Frankreich und b) die Eindeutigkeitsbehauptung: Es gibt höchstens einen König von Frankreich und c) der Aussagegehalt: Wer immer gegenwärtiger König von Frankreich ist, ist kahlköpfig. (2) erweckt den Eindruck, als spräche, wer diesen Satz äußert, über einen bestimmten Gegenstand (nämlich über den gegenwärtigen König von Frankreich). Der Sprecher macht aber tatsächlich, so das Ergebnis von Russells Analyse, eine allgemeine Aussage über Gegenstände einer gewissen Sorte. (2) enthält also 40 Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle kurz erwähnt werden, dass für Meinong (Meinong, 1904) fiktive Gegenstände nicht-existierende Gegenstände sind. Aber er geht davon aus, dass 1. etwas Gegenstand der Erkenntnis sein kann aber dennoch nicht existieren muss (Meinong, 1904, S. 489) und dass 2. über diese nicht-existierenden Gegenstände wahre Aussagen getroffen werden können, da »das Sosein eines Gegenstandes durch dessen Nichtsein sozusagen nicht betroffen ist.« Ein Hauptargument gegen eine Meinongsche Position wurde bereits von Russell (Russell, 1905, S. 491f.) vorgetragen. Es besagt, dass ein Meinongianer widersprüchliche Aussagen akzeptieren und für wahr halten muss. Tatsächlich schreibt Meinong: »Nicht nur der vielberufene goldene Berg ist von Gold, sondern auch das runde Viereck ist so gewiss rund als es viereckig ist.« (Meinong, 1904, S. 490) Sofern solche Widersprüche bestehen, bietet die Meinongsche Position keine zufriedenstellende Lösung für das Anliegen, Aussagen über fiktive Gegenstände machen zu können, die wahr aber auch falsch sein können. In einem Briefwechsel hat Meinong den Versuch unternommen, dem Russellschen Argument zu entgegnen. Einen Überblick über die von Russell und Meinong geführte Debatte findet sich in On what there isn’t. The Meinong-Russell Dispute (Simons, 1992). Der Frage, ob fiktive Gegenstände existieren und wenn ja, in welcher Weise, wird in Kapitel 3 nachgegangen.
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Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion
gemäß der Analyse die Aussagen a), b) und c). Weil es aber keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, trifft die mit dem Satz (2) ausgedrückte Existenzbehauptung nicht zu. Die Existenzbehauptung ist damit zwar falsch, aber nicht sinnlos. Dennoch sind nicht alle Sätze mit einer leeren Kennzeichnung falsch. Für negative Existenzaussagen wie (3) Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht. gilt gemäß Russell, dass (3) verstanden werden muss als (3*) Es gibt nicht einen und nur einen gegenwärtigen König von Frankreich. ist, weil es zutrifft, dass es keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, wahr und sinnvoll. Sätze mit fiktiven oder leeren Eigennamen an der Subjektstelle analysiert Russell in der Weise wie er auch Sätze mit leeren Kennzeichnungen analysiert. Dafür ersetzt er in einem Zwischenschritt den Eigennamen durch eine passende Kennzeichnung. »Pegasus« wird z. B. durch die Kennzeichnung »das geflügelte Pferd« ersetzt. Zu den nicht-existierenden Gegenständen zählt Russell neben den logisch unmöglichen u. a. auch fiktive Gegenstände wie Hamlet und Apoll. Auch in diesen Fällen gilt, dass Aussagen über sie falsch sind (sofern es keine negativen Existenzaussagen sind oder die leere Kennzeichnung sekundär verwendet wird): The whole realm of non-entities, such as »the round square,« »the even prime other than 2,« »Apollo,« »Hamlet,« etc., can now be satisfactorily dealt with. All these are denoting phrases which do not denote anything. A proposition about Apollo means what we get by substituting what the classical dictionary tells us is meant by Apollo, say »the sun-god«. All propositions in which Apollo occurs are to be interpreted by the above rules for denoting phrases. If »Apollo« has a primary occurence, the proposition containing the occurrence is false; if the occurrence is secondary, the proposition may be true. So again »the round square is round« means »there is one and only one entity x which is round and square, and that entity is round,« which is a false proposition, not as Meinong maintains, a true one. (Russell, S. 491)
Eine andere Position vertritt Frege in dem Aufsatz Logik von 1897 in dieser Frage. Ihm zufolge haben Sätze mit »Scheineigennamen«, also Eigennamen, die nichts bezeichnen, keinen Wahrheitswert, sie sind also weder wahr noch falsch. Der Satz ›Die Skylla hat sechs Rachen‹ ist nicht wahr ; aber auch der Satz ›Die Skylla hat nicht sechs Rachen‹ ist nicht wahr ; denn dazu wäre nötig, dass der Name ›Skylla‹ etwas bezeichne. […] Namen, die den Zweck verfehlen, den ein Eigenname zu haben pflegt, nämlich etwas zu benennen, mögen Scheineigennamen heissen. Obwohl die Erzählung von Tell eine Sage und keine Geschichte ist, und der Name ›Tell‹ ein Scheineigenname ist, können wir dieser doch nicht jeden Sinn absprechen; aber der Sinn des Satzes ›Tell schoss seinem Sohne einen Apfel vom Kopfe‹ ist ebensowenig wahr wie der des Satzes
Rede über Fiktion
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›Tell schoss nicht seinem Sohne einen Apfel vom Kopfe‹. Aber ich sage auch nicht, dass der Sinn falsch sei, sondern erkläre ihn für Dichtung. […] Statt ›Dichtung‹ könnten wir auch Scheingedanke sagen. Wenn der Sinn eines Behauptungssatzes also nicht wahr ist, so ist er entweder falsch oder Dichtung, und dies letzte ist er im Allgemeinen, wenn ein Scheineigenname darin vorkommt. (Frege, 1897, S. 141)
Nun ergibt sich folgendes Problem: Für Russell ist sowohl die Aussage (4) Der gegenwärtige König von Polen ist kahlköpfig. als auch (5) Der gegenwärtige König von Polen ist nicht kahlköpfig. falsch (sofern der Satz nicht wegen der Negation als negative Existenzaussage interpretiert wird); Frege würde bei beiden Aussage sagen, dass sie keinen Wahrheitswert haben. Sowohl Russell als auch Frege scheinen metafiktionale Aussagen (wie z. B. (1)) zu verstehen wie (4) und (5). Gemäß Russell wären demnach metafiktionale Aussagen falsch, gemäß Frege hätten sie keinen Wahrheitswert. Wenn wir im Rahmen einer metafiktionalen Aussage aber zumindest scheinbar über den fiktiven Detektiv Sherlock Holmes reden, sagen wir, dass er in der Baker Street 221B wohnt; man würde aber nicht behaupten (6) Sherlock Holmes wohnte in Paris. weil es intuitiv falsch erscheint. Diese Intuition scheint auch Searle zu teilen. In Bezug auf negative Existenzaussagen folgt er der Russellschen Analyse und geht davon aus, dass 1. Ausdrücke an der Subjektstelle von Existenzaussagen nicht verwendet werden, um mit ihnen auf etwas zu verweisen und 2. das Axiom der Existenz bei solchen Aussagen keine Gültigkeit hat. Russell dissolved this paradox by pointing out (in effect) that the expression »the Golden Mountain« is not used to refer when it is the grammatical subject of an existential proposition. In general, subject expressions in existential sentences cannot be used to refer – this is part of what is meant by saying that existence is not a property – and therefore no paradox arises. The axiom of existence does not apply because there is no reference. (Searle, 1969, S. 78)
Nun wäre es möglich, Aussagen über fiktive Gegenstände in ähnlicher Weise zu analysieren, ginge man davon aus, dass fiktive Gegenstände nicht existieren, somit auf sie nicht Bezug genommen werden kann und folglich das Axiom der Existenz auch in diesen Fällen keine Gültigkeit hätte. Dies hieße eine metafiktionale Aussage wie z. B. (1) so zu analysieren, wie Russell es für Aussagen wie (4) und (5) vorschlägt. (1) wäre gemäß der Analyse von Russell falsch, da dieser Satz in folgender Weise zu verstehen wäre:
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d) die Existenzbehauptung: Es gab mindestens einen Detektiv und Mitbewohner von Dr. Watson und e) die Eindeutigkeitsbehauptung: Es gab höchstens einen Detektiv und Mitbewohner von Dr. Watson und f) der Aussagegehalt: Wer immer Detektiv und Mitbewohner von Dr. Watson war, wohnte 1887 in der Baker Street 221B. Weil es keinen Detektiv und Mitbewohner gibt oder gab, ist die mit (1) gemachte Existenzaussage falsch. Mit Russells Analyse wäre also die metafiktionale Aussage, die mit (1) gemacht wird zwar sinnvoll, aber doch falsch. Nicht nur Searle möchte aber (1) so analysieren, dass damit eine wahre Proposition ausgedrückt wird. Searle nimmt daher an, dass metafiktionale Aussagen nicht im Sinne Russells zu analysieren sind, sondern, dass im Sinne der direkten Referenz mit »Sherlock Holmes« in (1) auf den fiktiven Charakter Sherlock Holmes Bezug genommen wird. Da Searle aber für den Akt der Referenz das Axiom der Existenz annimmt, steht er vor dem oben schon erwähnten Dilemma: Entweder er gibt das Axiom der Existenz auf und lässt somit zu, dass auf nicht-existierende Gegenstände Bezug genommen werden kann; oder er muss annehmen, dass fiktive Gegenstände existieren. Searles Versuch, diese Schwierigkeit zu überwinden, ist eine Variante der zweiten Möglichkeit, denn er schreibt: One can refer to them [sc. fictional entities] as fictional characters precisely because they do exist in fiction. (Searle, 1969, S. 78)
Diese Existenzweise scheint er unterscheiden zu wollen von der Existenzweise raum-zeitlicher Gegenstände. Searles Ausdrucksweise »Existieren-in-einerFiktion« klingt so, als wolle er fiktiven Gegenständen eine besondere Existenzweise zusprechen. Aber es gibt keine weiteren Hinweise darüber, wie diese Existenz in der Fiktion zu verstehen ist. Seine Begründung, warum es möglich ist, sich auf etwas zu beziehen, das »nur« in einer Fiktion existiert, lautet: In short, in real world talk both »Sherlock Holmes« and »Mrs Sherlock Holmes« fail of reference because there never existed any such people. In fictional talk »Sherlock Holmes« refers, for such a character really does exist in fiction, but »Mrs Sherlock Holmes« fails of reference for there is no such fictional character. The axiom of existence holds across the board: in real world talk one can refer only to what exist; in
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fictional talk one can refer to what exists in fiction (plus such real world things and events as the fictional story incorporates). (Searle, 1969, S. 78f.)
Hier werden zwei Formen des Diskurses vorgestellt: Rede über die reale Welt und Rede über Fiktionen. Für beide Formen des Diskurses gilt das Axiom der Existenz41, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Während im Rahmen der Rede über die reale Welt nur auf Gegenstände Bezug genommen werden kann, die raum-zeitlich existieren, kann im Rahmen des fiktionalen Diskurses auf Gegenstände, die nicht raum-zeitlich, sondern in einer Fiktion existieren, Bezug genommen werden, so Searle. Wie schon in Kapitel 2.2.1.2 geklärt wurde, spricht Searle in den erwähnten Textpassagen von Rede über Fiktion und nicht von fiktionaler Rede. Solche Aussagen müssen hinsichtlich ihrer illokutionären Rolle anders charakterisiert werden als die Sprechakte eines Autors fiktionaler Rede. Wer über eine Fiktion spricht, vollzieht »ernsthafte Sprechakte« (über Fiktion), für welche die gleichen Regeln Geltung haben, wie es bei ernsthaften Sprechakten über nicht-fiktive Gegenstände der Fall ist. (Searle, 1979a, S. 70f.) Um aber sagen zu können, dass der Literaturwissenschaftler, der den Satz (1) äußert, einen illokutionären Akt vom Typ der Behauptung vollzieht, muss Searle sicherstellen, dass die Regeln, die für diesen illokutionären Akt Geltung haben, auch auf die Äußerung des Literaturwissenschaftlers anzuwenden sind.42 Wenn diese Äußerung als eine Behauptung angesehen werden kann, dann kann sie klarerweise wahr oder falsch sein. Dies zu sichern, scheint Searles Anliegen in der zitierten Passage zu sein. Künne weist auf eine offensichtliche Schwierigkeit hin, die sich für die Position ergibt, die besagt, dass mit intrafiktionalen Aussagen tatsächlich über fiktive Gegenstände etwas Wahres gesagt werden kann: Wenn (1) wahr ist und eine Londoner Behörde zu Recht behaupten würde (7) 1887 ist in der Baker Street Nr. 221B das einzige Gebäude eine Bank. 41 Künne zufolge muss es keinen Gegenstand geben, um mit einem sprachlichen Ausdruck erfolgreich darauf Bezug zu nehmen: »Bezugnahme setzt nicht die Existenz eines Gegenstandes voraus, auf den Bezug genommen wird. Eine Relation R ist genau dann existenzindifferent, wenn aus ›aRb‹ nicht folgt, daß es etwas gibt, zu dem a in der Beziehung R steht. In diesem Sinne sind z. B. Verehrung und Vorstellung existenzindifferente Relationen; denn man kann sich Baal auch dann vorstellen und ihn verehren, wenn es ihn nicht gibt. Im selben Sinne ist nun auch Referenz eine existenzindifferente Beziehung: Man kann auf Baal (z. B. mit Hilfe des Terms ›Baal‹) Bezug nehmen, um ihn (z. B. mit Hilfe des Terms ›wurde in Kanaan verehrt‹) zu charakterisieren. So folgt daraus, daß man auf abstrakte Gegenstände Bezug nehmen kann, beileibe nicht, daß es abstrakte Gegenstände gibt.« (Künne, 1983, S. 23) Wie sich jedoch im Folgenden zeigen wird, spielen diese unterschiedlichen Positionen hinsichtlich des Axioms der Existenz für das hier diskutierte Problem keine Rolle. 42 Dass auch meta-fiktionaler Diskurs (Rede über Fiktion) ein Teil des fiktionalen Diskurses ist und in einem »So-tun-als-ob-Modus« geäußert wird, behauptet K. Walton (Walton, 1990).
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so würde folgen (8) Sherlock Holmes lebte 1887 in einer Bank. Aus zwei wahren Behauptungen (1) und (7) würde eine Behauptung (8) folgen, der weder ein Leser der Sherlock-Holmes-Romane noch die betreffende Londoner Behörde zustimmen würden. (Künne, 1983, S. 311) Zudem würden sich zwei Wahrheiten widersprechen, wenn mit (1) etwas Wahres gesagt würde, die Londoner Behörde aber ebenfalls wahrheitsgemäß behaupten kann, dass 1887 kein Detektiv in der Baker Street Nr. 221B lebte. Nach dem bisher Gesagten stellt sich die Situation wie folgt dar : Wer entweder die Position vertritt, dass Aussagen über fiktive Gegenstände (ausgenommen sind davon negative Existenzaussagen und Aussagen mit sekundären Vorkommnissen leerer Kennzeichnungen oder Eigennamen) immer falsch sind oder die Position, dass solche Aussagen keinen Wahrheitswert haben, kann bzgl. des Wahrheitswerts keinen Unterschied machen zwischen den Aussagem (1) und (2). Wer dagegen die Position vertritt, dass über fiktive Gegenstände wahre (und falsche) Aussagen getroffen werden können, steht (nicht nur43) vor den gerade genannten Schwierigkeiten, nämlich dass aus zwei wahren Aussagen eine offensichtlich falsche Aussage folgen kann und dass zwei wahre Aussagen einander widersprechen können. Mit der Beantwortung einer Frage, die bisher noch nicht gestellt wurde, kann jedoch ein Lösungsangebot für die gerade genannten Schwierigkeiten gemacht werden.
3.1.2 Redet der Literaturwissenschaftler tatsächlich über Sherlock Holmes? – Der Fiktionsoperator Künne unternimmt den fregeinspirierten Versuch, zu sichern, dass wahre intrafiktionale Aussagen gemacht werden können, ohne dass dafür diesen Gegenständen Existenz (in welchem Sinn auch immer) zugesprochen werden muss. Frege unterscheidet zwischen gerader und ungerader Rede: Als gerade Rede wird ein Satz verwendet, wenn dieser zwar erwähnt, aber nicht behauptet wird. In schriftlicher Form wird diese Art der Verwendung von Sätzen meistens durch Anführungszeichen kenntlich gemacht. Die Bedeutung eines in gerader Rede verwendeten Satzes ist weder sein Wahrheitswert noch der mit dem Satz ausgedrückte Gedanke, sondern der Satz selbst. Ungerade Rede – von anderen Autoren wird häufig der Terminus indirekte Rede verwendet – liegt vor, wenn ein 43 In (Künne, 1983) und (Künne, 2007) werden eine Reihe von weiteren Problemen dieser Position diskutiert.
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Behauptungssatz als abhängiger Dass-Satz Teil eines anderen Behauptungssatzes ist. Solche Sätze werden häufig für die Zuschreibung propositionaler Einstellungen anderer Personen verwendet44. »In der ungeraden Rede spricht man von dem Sinne z. B. der Rede eines anderen. Es ist durchaus klar, daß auch in dieser Redeweise die Worte nicht ihre gewöhnliche Bedeutung haben, sondern das bedeuten, was gewöhnlich ihr Sinn ist.« (Frege, 1892, S.43) Die Bedeutung eines in ungerader Rede verwendeten Satzes ist der mit dem Satz ausgedrückte Gedanke: Zu den mit »daß« eingeleiteten abstrakten Nennsätzen gehört auch die ungerade Rede, von der wir gesehen haben, daß in ihr die Wörter ihre ungerade Bedeutung haben, welche mit dem übereinstimmt, was gewöhnlich ihr Sinn ist. In diesem Fall hat also der Nebensatz als Bedeutung einen Gedanken, keinen Wahrheitswert; als Sinn keinen Gedanken, sondern den Sinn der Worte »der Gedanke, daß …«, welcher nur Teil des Gedankens des ganzen Satzgefüges ist. Dies kommt vor nach »sagen«, »hören«, »meinen«, »überzeugt sein«, »schließen« und ähnlichen Wörtern. (Frege, 1892, S. 51)
Wenn ich gehört habe, dass eine Person neben mir Folgendes behauptet (9) London ist die Hauptstadt von Frankreich. so kann ich darüber berichten und eine wahre Behauptung aufstellen (10) Die Person neben mir hat behauptet, dass London die Hauptstadt von Frankreich ist. die aber eine falsche Proposition (bzw. in Freges Terminologie einen falschen Gedanken) enthält, nämlich die mit (9) ausgedrückte Proposition. Die Behauptung (10) ist dann wahr, wenn die Person neben mir tatsächlich behauptet hat, dass London die Hauptstadt von Frankreich ist. Für die Wahrheit dieser Behauptung ist es unerheblich, ob London die Hauptstadt von Frankreich ist. Wenn nun die Person neben mir nicht ihre absurden geografischen Überzeugungen zum Besten gibt, sondern sagt (11) Sherlock Holmes lebte in London.
äußert sie einen Satz mit Scheineigennamen. Laut Frege haben Äußerungen mit Scheineigennamen an Subjektstelle keinen Wahrheitswert. Möchte ich nun über diese Äußerung berichten, ist keine falsche Proposition, sondern eine Proposition ohne Wahrheitswert Teil der Äußerung: (12) Die Person neben mir hat behauptet, dass Sherlock Holmes in London lebte.
44 Für Dass-Sätze, die durch »wissen«, »erkennen« usw. eingeleitet werden, liefert Frege eine etwas andere Analyse. (Frege, 1892, S. 62ff.)
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Frege folgend ist auch die Behauptung (12) wahr, wenn es zutrifft, dass die Person neben mir sagte, dass Sherlock Holmes in London lebte. Somit kann es Behauptungen geben, die Scheineigennamen beinhalten (ich möchte statt des Fregeschen Ausdrucks im Folgenden in Anlehnung an Künne den Ausdruck »fiktionaler singulärer Term« verwenden45), aber wahr (oder falsch) sind. Was heißt das für die Äußerung des Literaturwissenschaftlers (»Sherlock Holmes wohnte in der Baker Street 221B.«)? Ausdrücke wie »in Arthur Conan Doyles Detektiv-Geschichten ist es der Fall« oder »den Detektiv-Romanen Arthur Conan Doyles zufolge« nennt Künne narrative Operatoren (Künne, 1983, S. 313) oder Fiktionsoperatoren (Künne, 2007).46 Schreibt der Literaturwissenschaftler im Rahmen seiner Abhandlung über die Detektivromane von Arthur Conan Doyle den Satz (1), so wird mit diesem Satz, Künnes Analysen folgend, elliptisch ausgedrückt, was buchstäblich lautet: (13) Den Detektivromanen von Arthur Conan Doyle zufolge lebte Sherlock Holmes in der Baker Street 221B. Wahr ist der Satz dann, wenn es zutrifft, dass gemäß den Detektivromanen Conan Doyles Sherlock Holmes in besagter Straße lebte. Handelt es sich bei einer Aussage um eine intrafiktionale Aussage, so kann man nun sagen, dass diese Aussage nicht als Aussage über einen fiktiven Gegenstand zu verstehen ist. Nach dieser Analyse zeigt sich, dass die Aussage des Literaturwissenschaftlers und die der Londoner Behörde (7) tatsächlich nicht den gleichen Inhalt haben. Die Aussage der Londoner Behörde ist eine Aussage über die Baker Street in 45 Künne versteht unter einem fiktionalen singulären Term einen Ausdruck, den der Autor fiktionaler Rede verwendet, um im Rahmen seines fiktionalen Werkes, eine »Quasi-Referenz« zu vollziehen, sich also auf einen fiktiven Gegenstand zu »beziehen«: »Ich bezeichne Ausdrücke, die vom Erzähler quasi-referentiell verwendet werden, als fiktionale singuläre Terme. Wenn ›A‹ ein solcher Term ist, dann ist A ein fiktiver Gegenstand.« (Künne, 1983, S. 294) Ein fiktionaler singulärer Term kann aber gemäß Künne auch in Rede über Fiktion vorkommen. Dann wird aber, so Künne, tatsächlich Bezug genommen (im Gegensatz zu Quasi-Referenz bei fiktionaler Rede). Künne vertritt zwar die Position, dass es fiktive Gegenstände nicht gibt, aber er geht auch davon aus, dass Bezugnahme eine »existenz-indifferente Relation« ist. Im Gegensatz zu Searle geht er also von Folgendem aus: »Daraus, daß jemand auf A Bezug nimmt, folgt nicht, daß A existiert.« (Künne, 1983, S. 294) Ich verwende den Ausdruck »fiktionaler singulärer Term« an dieser Stelle nicht im Zusammenhang mit fiktionaler Rede, sondern mit Rede über Fiktion. Indem ich diesen Ausdruck von Künne übernehme, möchte ich allerdings nicht auch Künnes Vorschlag der Quasi-Referenz in fiktionaler Rede übernehmen. Vielmehr möchte ich in Kapitel 4 zeigen, dass mit fiktionalen singulären Termen in fiktionaler Rede und in Rede über Fiktion auf einen fiktiven Gegenstand Bezug genommen werden kann. 46 Unterschieden werden müssen Künnes Operatoren von CastaÇedas story-operator (CastaÇeda, 1989). Letzterer dient der Analyse fiktionaler Rede. Künnes narrative Operatoren werden dagegen auf Rede über Fiktion bezogen.
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London, nicht aber über die Romane Conan Doyles. Würde die Aussage der Londoner Behörde (7) ebenfalls durch den narrativen Operator eingeleitet (14) Den Detektivromanen von Arthur Conan Doyle zufolge ist 1887 in der Baker Street Nr. 221B das einzige Gebäude eine Bank. bliebe die Wahrheit der Aussage nicht erhalten, denn es ist falsch, dass gemäß den Detektivromanen von Arthur Conan Doyle 1887 in der Baker Street 221B eine Bank steht. Narrative Operatoren sind intensional. Daraus, dass zwei Aussagen denselben Wahrheitswert haben, folgt nicht, dass auch die Aussagen denselben Wahrheitswert haben, die man aus ihnen durch Anwendung desselben narrativen Operators erzeugt: Es gibt weder geflügelte Pferde noch gestiefelte Kater ; der griechischen Mythologie zufolge gibt es geflügelte Pferde; aber es ist nicht der Fall, dass es im griechischen Mythos gestiefelte Kater gibt.« (Künne, 1983, S. 313f.)
Künne macht darauf aufmerksam, dass satzbildende Satzoperatoren wie »dem griechischen Mythos zufolge« oder »den Detektivgeschichten von Arthur Conan Doyle zufolge« nicht als Prädikat-Adverb fungieren, sondern als Satz-Adverb. Trennt man von einem Satz, der eine wahre Proposition ausdrückt, ein PrädikatAdverb, drückt der Satz weiterhin eine wahre Proposition aus. Wenn der Satz »Hannes redet laut.« eine wahre Proposition ausdrückt, dann drückt der Satz »Hannes redet.« auch eine wahre Proposition aus. Bei Satz-Adverbien ist dies nicht der Fall: Ein Ausdruck ist nur dann ein Prädikat-Adverb, wenn man ihn […] »abtrennen« kann, ohne dass sich der Wahrheitswert des mit dem Satz Gesagten ändern würde. Daraus, dass es im griechischen Mythos geflügelte Pferde gibt, folgt aber gerade nicht, dass es geflügelte Pferde gibt. »Im griechischen Mythos« ist also kein Prädikat-Adverb, sondern (wie »anscheinend«, »vermutlich«, »notwendigerweise«) ein Satz-Adverb. (Künne, 1983, S. 321)
Künne geht davon aus, dass fiktive Gegenstände nicht (und auch nicht in irgendeiner Weise) existieren.47 Diese Position ist vereinbar damit, dass mit einer metafiktionalen Aussage z. B. über die griechische Mythologie behauptet wird, dass es ein geflügeltes Pferd gibt. Denn wird der Satz »Es gibt ein geflügeltes 47 »Und wenn A ein fiktiver Gegenstand ist, dann existiert A nicht. (Einige Philosophen postulieren Seinsweisen oder nicht-wirkliche mögliche Welten, um von fiktiven Gegenständen sagen zu können, daß sie zwar nicht ›wirklich‹, aber doch ›irgendwie‹ oder ›irgendwo‹ existieren. Ich glaube jedoch nicht, daß solche Strategien der Klarheit dienen. Deshalb sage ich eben ohne weitere Qualifikationen: Fiktive Gegenstände wie Sherlock Holmes existieren nicht.) Wenn der Erzähler den Ausdruck ›A‹ quasi-referentiell verwendet hat, dann können wir auf den fiktiven Gegenstand A Bezug nehmen. (Bezugnehmen ist ja eine existenzindifferente Relation: Daraus, daß jemand auf A Bezug nimmt, folgt nicht, daß A existiert.)« (Künne, 1983, S. 294)
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Pferd.« als metafiktionale Aussage über die griechische Mythologie verstanden, wird mit diesem Satz tatsächlich »Gemäß der griechischen Mythologie gibt es ein geflügeltes Pferd.« ausgedrückt. Wer letzteres behauptet, legt sich damit also nicht darauf fest, dass es auch außerhalb der griechischen Mythologie geflügelte Pferde gibt. Er legt sich nicht darauf fest, dass es ein Tier gibt, das wie ein Pferd aussieht und Flügel hat, und er legt sich auch nicht darauf fest, dass es ein geflügeltes Pferd als fiktiven Charakter gibt. Die Anwendung narrativer Operatoren auf (generelle oder singuläre) Existenz-Sätze erlaubt es uns, die gängige und sehr irreführende Rede von verschiedenen ›ExistenzWeisen‹ zu vermeiden; aber da die Aussage (S22) Gm(Pegasus ist ein geflügeltes Pferd) dank der griechischen Mythologie (= m) wahr ist, dürfen wir auch behaupten: (S23) Gm (E0x) (x ist ein geflügeltes Pferd). Man kann ja (ohne sich zu widersprechen) einerseits bestreiten, dass es Flügelrösser gibt, und andererseits behaupten, dass im griechischen Mythos erzählt wird, es gebe ein Flügelross, das aus dem Rumpf der Medusa entsprungen und von Bellerophon gezähmt worden sei. (Künne, 1983, S. 319)
Künnes Fiktionsoperator-Analyse ist aber auch kompatibel mit einer Position, die die Existenz fiktiver Gegenstände postuliert. Mit dieser Analyse ist es möglich, zu sichern, dass mit Aussagen wie (1) wahre Propositionen ausgedrückt werden können; man ist nur nicht darauf verpflichtet, die Existenz von Sherlock Holmes (in welcher Weise auch immer) anzunehmen – sofern dieser Satz in der gezeigten Weise eine elliptische Äußerung ist und die durch diesen Satz tatsächlich ausgedrückte Proposition ist: »Den Detektivgeschichten Arthur Conan Doyles zufolge lebte Sherlock Holmes in der Baker Street 221B.« Die mit »Sherlock Holmes lebte in der Baker Street 221B.« ausgedrückte Proposition ist in der Proposition, die mit der intrafiktionalen Aussage ausgedrückt wird, enthalten. Ihr Wahrheitswert ist aber nicht entscheidend für die Beurteilung der Proposition der intrafiktionalen Aussage hinsichtlich ihres Wahrheitswertes. Daher könnte die (Teil-)Proposition falsch sein oder keinen Wahrheitswert haben, weil mit »Sherlock Holmes« auf nichts Bezug genommen wird; aber auch wenn angenommen wird, dass Sherlock Holmes (in irgendeiner Weise) existiert und auf ihn erfolgreich Bezug genommen wird, spielt dies für die gesamte Proposition keine Rolle. Aus diesem Grund stellen intrafiktionale Aussagen für die Searlesche Theorie der Bezugnahme auch kein weiteres Problem dar. Einerseits kann auf Searles uneindeutige These (fiktive Gegenstände existieren in einer Fiktion) verzichtet werden; andererseits besteht aber auch kein Anlass, Rortys in Kapitel 2.2.1.2 vorgestellter Forderung (Aufgabe des Axioms der Existenz) nachzugeben (Rorty, 2005). Ob mit (1) bzw. in der expliziten Form (13) eine wahre Proposition ausgedrückt wird, hängt nur davon ab, ob es zutrifft, dass den Detektivgeschichten
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Arthur Conan Doyles zufolge Sherlock Holmes in der Baker Street 221B lebte. Wie herausgefunden werden kann, wann dies der Fall ist, erweist sich jedoch als schwierige Frage, der ich hier nicht weiter nachgehen werde. Sicher muss der jeweilige Text (bzw. Mythos oder Legende, etc.) herangezogen werden, um zu überprüfen, ob die entsprechende Aussage wahr ist. Künne muss Recht gegeben werden, wenn er schreibt: »Eine adäquate Antwort auf diese Frage kann wohl nur im Rahmen einer Theorie der Interpretation (von Geschichten) gegeben werden.« (Künne, 1983, S. 314) In diesem Kapitel wurde eine Möglichkeit vorgestellt, wie metafiktionale Aussagen analysiert werden können. Es gibt aber andere Arten von Aussagen, die auch als Rede über Fiktion bezeichnet werden können, die für die hier vorgestellte Analyse Schwierigkeiten darstellen. Interfiktionale Aussagen (d. h. Aussagen, die Beziehungen zwischen mehreren fiktionalen Geschichten herstellen) und transfiktionale Aussagen (d. h. Aussagen, die eine Beziehung zwischen fiktiven Gegenständen und der realen Welt herstellen) können zumindest nicht ohne Weiteres mithilfe des Fiktionsoperators analysiert werden. Auf solche Aussagen werde ich im Folgenden eingehen.
3.1.3 Inter- und transfiktionale Aussagen Ich habe bei Rede über Fiktion bereits die intrafiktionalen von den inter- und transfiktionalen Aussagen unterschieden. Die folgenden Sätze sollen als Beispiele für Sätze mit fiktionalen Namen verstanden werden, die nicht im Rahmen fiktionaler Texte, sondern als Rede über Fiktion geäußert werden. Besonders der Beispielsatz 3) könnte so auch in einem Sherlock-Holmes-Roman stehen, doch auch dieser soll hier als Rede über Fiktion verstanden werden: 1) Sherlock Holmes wurde von Arthur Conan Doyle erfunden. 2) Sherlock Holmes ist schlauer als Thomas Buddenbrook. 3) Sherlock Holmes raucht Pfeife. Satz 1) ist ein Beispiel für eine transfiktionale, 2) ein Beispiel für eine interfiktionale und 3) ein Beispiel für eine intrafiktionale Aussage. Gemeinsam haben diese, dass in ihnen Namen wie z. B. »Sherlock Holmes« und »Thomas Buddenbrook« verwendet werden. Solche fiktionalen Namen werfen eine Reihe von Fragen auf, denn im Gegensatz zu »Arthur Conan Doyle« und »Thomas Mann« bezieht man sich offensichtlich mit ihnen nicht auf reale Personen. Unter einem fiktionalen Namen bzw. Eigennamen soll an dieser Stelle zunächst nur ein Eigenname verstanden werden, der im Rahmen fiktionaler Rede eingeführt wird. Wenn man sich mit solchen fiktionalen Namen nicht auf reale Personen bezieht, stellt sich folgende Frage: Bezieht man sich mit ihnen überhaupt auf etwas? Wie
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diese Frage beantwortet wird, hängt offenbar davon ab, wie man eine weitere, nämlich ontologische Frage beantwortet: Gibt es fiktive Gegenstande? Zunächst können in Bezug auf die semantische Frage grob zwei Positionen unterschieden werden: Die eine beantwortet die Frage, ob mit fiktionalen Namen auf (irgend)etwas Bezug genommen wird, mit nein, die andere mit ja. Wer die semantische Frage negativ beantwortet, vertritt typischerweise eine antirealistische ontologische Position. Für diese ontologische Position spricht schon prima facie das Gebot der ontologischen Sparsamkeit. Allerdings stehen Antirealisten dann vor der Schwierigkeit zu erklären, wie fiktionale Namen bzw. ihr Gebrauch in metafiktionalen Aussagen zu verstehen sind. Im Kapitel 3.1.2 wurde bereits ein Vorschlag unterbreitet, wie intrafiktionale Aussagen wie 3) zu verstehen sind: Ich habe, Künne folgend, angenommen, dass 3) in folgender Weise zu verstehen ist: Gemäß den Sherlock-Holmes-Geschichten ist es der Fall, dass Sherlock Holmes Pfeife raucht. So kann sichergestellt werden, dass Äußerungen von Sätzen über den Inhalt fiktionaler Texte wahr oder falsch sein können. Dieser Vorschlag kommt ohne die Annahme der Existenz fiktiver Gegenstände aus. Wie aber gezeigt wurde, verhält sich diese Analyse neutral zu der Frage, ob es fiktive Gegenstände gibt. Dass solche Aussagen über den Inhalt fiktionaler Texte mit dem Anspruch auf Wahrheit formuliert werden können, spricht, schon aus Sparsamkeitsgründen, für eine antirealistische Position. Allerdings stellen transfiktionale Aussagen wie 1) und interfiktionale Aussagen wie 2) für antirealistische Positionen eine Schwierigkeit dar, denn sie können nicht (zumindest nicht ohne Weiteres) mithilfe des Fiktionsoperators analysiert werden, denn es trifft weder zu, dass 1’) gemäß den Sherlock-Holmes-Geschichten Arthur Conan Doyle Sherlock Holmes erfunden hat, noch, dass 2’) gemäß den Sherlock-Holmes-Geschichten Sherlock Holmes berühmter ist als Thomas Buddenbrook. Eine relativ elegante Paraphrasierung kann also nur für intrafiktionale Aussagen geliefert werden. Der ontologischen Sparsamkeit steht daher bei antirealistischen Positionen eine aufwendige Paraphrasierung mit unklarem Status bei transfiktionalen Aussagen gegenüber. Sollen sie so verstanden werden, dass mit ihnen etwas explizit gemacht wird, was Sprecher implizit mit ihren Aussagen mit-behaupten wollen? Sind sie Explikationsversuche, ohne die Annahme, dass Sprecher das Paraphrasierte mit-behaupten wollen? Eine Position dagegen, die die Existenz fiktiver Gegenstände annimmt, kann auch die folgende semantische These vertreten: Mit fiktionalen Eigennamen
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kann auf fiktive Gegenstände Bezug genommen werden. Hat ein Autor eine fiktive Figur erfunden, werden z. B. Leser, die sich über die fiktionale Geschichte austauschen möchten, indem sie den entsprechenden fiktionalen Eigennamen (z. B. Thomas Buddenbrook) verwenden, auf diese Figur Bezug nehmen. Diese Annahme erlaubt Aussagen wie 1) und 2) zu analysieren, ohne dass dabei auf Paraphrasierungen zurückgegriffen werden müsste. Indem dank der ontologischen Annahme der Existenz fiktiver Gegenstände auf Paraphrasierungen von inter- und transfiktionaler Aussagen verzichtet werden kann, stellen sich die oben genannten Fragen im Rahmen einer solchen Position nicht. Außerdem lässt sich der Gebrauch von Eigennamen bei transfiktionalen Eigennamen so erklären, wie auch der Gebrauch anderer Eigennamen in nicht-fiktionalen Kontexten erklärt werden. So kann im Rahmen einer solchen Position auch eine Direkte-Referenz-Theorie vertreten werden. Stattdessen ergibt sich hier die naheliegende Folgefrage: Was soll es sein, worauf mit einem fiktionalen Namen Bezug genommen werden kann? In Bezug auf die Frage, was fiktive Gegenstände sind, werden die folgenden Positionen am häufigsten vertreten: 1. Meinongsche Theorien fiktiver Gegenstände, denen zufolge es zwar fiktive Gegenstände gibt, sie aber nicht existieren; 2. Possibilistische Theorien fiktiver Gegenstände, denen zufolge fiktive Gegenstände Gegenstände möglicher Welten sind; 3. Theorien, die fiktive Gegenstände als imaginäre Objekte ansehen; 4. Theorien, die fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte ansehen. Im Folgenden soll der so genannte fiktionale Realismus, der hier unter 4. aufgeführt wird, genauer betrachtet werden. Ich werde in Kapitel 4 eine Charakterisierung der fiktionalen Rede vorschlagen, die ich für die angemessene halte, vorausgesetzt man nimmt die hier vorgestellte ontologische Position ein. Da es mein Ziel ist, eine adäquate Beschreibung der sprachlichen Handlung des Autors fiktionaler Rede zu geben, kann ich die ontologische Position hier nur gewissermaßen als Arbeitshypothese vertreten. Dafür werde ich allerdings eine Spezifikation der These, dass fiktive Gegenstände abstrakte Artefakte sind, vornehmen. Ich werde in Kapitel 4 dafür plädieren, fiktive Gegenstände als eine spezielle Art von abstraktem Artefakt, nämlich als Rolle anzusehen. Ich werde in diesem Rahmen nicht weiter die Debatte zwischen den so genannten fiktionalen Realisten und Anti-Realisten nachzeichnen. Vielmehr soll hier eine Darstellung des fiktionalen Realismus geliefert werden, die, so hoffe ich, zeigt, dass es plausibel ist, die ontologische Frage mit der pragmatischen Frage nach der Charakterisierung fiktionaler Rede als Sprechakt zu verbinden. Denn ein zentraler Punkt dieser Position ist, dass fiktive Gegenstände durch spezifische sprachliche Handlungen erschaffen werden. Die Sprechakttheorie
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Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion
liefert die geeigneten Mittel, um diese sprachliche Handlung, von der hier die Rede ist, genauer bestimmen zu können.
3.2
Der Fiktionale Realismus: Fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte »Die gibt es also?« fragt der andere Schriftsteller, »Du arbeitest an tatsächlich existierenden Figuren?« »Sie existieren von dem Augenblick an, in dem du sie erfunden hast«, antwortete der Schriftsteller, der sich da gar nicht so sicher war. (C. Nooteboom: Ein Lied von Schein und Sein)
Dass fiktive Gegenstände erschaffene, existierende Gegenstände sind, wird u. a. von S. Kripke (1973) und in jüngerer Zeit von S. Schiffer (1996, 2003), N. Salmon (1998) L. Walters (2013) und A. Thomasson (1998, 2008) vertreten. Fiktive Gegenstände werden, diesen Positionen gemäß, durch den Vollzug einer sprachlichen Handlung erschaffen. Diese sprachliche Handlung ist die fiktionale Rede. In der Charakterisierung der fiktionalen Rede unterscheiden sich die Positionen der hier genannten Autoren. Dies wird in Kapitel 4 thematisiert. Gemeinsam ist diesen Positionen aber, dass angenommen wird, dass nach der Erschaffung des fiktiven Gegenstandes auf ihn – in Form von Rede über Fiktion – Bezug genommen werden kann: We need next to notice an important connection between the pretending practice and the hypostatizing practice, a connection that gives rise to a something-from-nothing feature as regards the hypostatizing use of fictional names. The connection is that whenever one of us uses a name in the fictional way (in which case one’s use refers to nothing), then that use automatically enables any of us to use the name in the hypostatizing way, in which case we are referring to an actually existing fictional entity. A corollary of this connection is that it’s a feature of our hypostatizing use of fictional names that the existence of a fictional entity supervenes on someone’s using the entity’s name in the pretending, or fictional way. In other words, our hypostatizing use of fictional names has it that in every possible world in which ›n‹ is used in the pretending way, a corresponding fictional entity n exists in that world. (Schiffer, 1996, S. 156)
Auch die hier im Folgenden dargestellte Position versucht die von Schiffer genannten Aspekte einzufangen und geht im Wesentlichen auf Amie Thomasson (Thomasson, 1999; 2003) zurück. Ihre Hauptthese kann (zunächst grob) folgendermaßen formuliert werden: Fiktive Gegenstände sind abstrakte Artefakte, ähnlich wie Theorien, Gesetze, Ämter usw. Abstrakte Artefakte sind keine idealen, raum- und zeitlosen Gegenstände wie z. B. Zahlen. Dass traditionell der Ausdruck »abstrakt« für platonische Gegenstände re-
Der Fiktionale Realismus: Fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte
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serviert ist, ist ein Grund, fiktive Gegenstände nicht als abstrakte Gegenstände zu beschreiben. So ließen sich Verwirrungen vermeiden, da fiktive Gegenstände nur wenig mit den platonischen Gegenständen gemeinsam haben. Ich habe mich dennoch dafür entschieden, den Ausdruck »abstrakte Artefakte« beizubehalten, weil sich dieser Ausdruck in der Debatte etabliert hat. Ich hoffe, dass durch die folgenden Ausführungen hinreichend klar wird, wodurch sich abstrakte Artefakte von platonischen Gegenständen unterscheiden, so dass es nicht zu der befürchteten Verwirrung kommt. Zum einen haben fiktive Gegenstände mit platonischen Abstrakta gemeinsam, dass es sich bei diesen nicht um räumliche Gegenstände handelt. Sherlock Holmes ist kein Mensch, Lassie kein Hund und nicht nur das, sie sind auch mit keinem anderen konkreten physikalischen Gegenstand identifizierbar. Zum anderen unterscheiden sich fiktive Gegenstände als Artefakte aber von platonischen Entitäten, denn als Artefakte sind sie Gegenstände, die durch den Vollzug spezifischer Handlungen entstehen und von raum-zeitlichen Entitäten abhängig sind. Die Abhängigkeit fiktiver Gegenstände von den spezifischen Handlungen und von raum-zeitlichen Gegenständen (Autor, Exemplar des Textes, Leser) soll im Folgenden aufgezeigt werden. Fiktive Gegenstände sind außerdem nicht zeitlos, denn als erschaffene Gegenstände haben sie einen zeitlichen Anfang und können aufhören zu existieren. Anzunehmen, dass fiktive Gegenstände und andere erschaffene abstrakte Gegenstände, nachdem sie erschaffen wurden, ewig existieren müssen, wäre eine Annahme, die von einer platonistischen Position und Vorstellung von abstrakten Gegenständen herrührt, aber den spezifischen Charakter dieser Gegenstände nicht angemessen berücksichtigt. Ich werde im Folgenden näher auf die Bedingungen der Erschaffung und Persistenz fiktiver Gegenstände eingehen.
3.2.1 Fiktive Gegenstände und Common Sense Kompetente Sprecher können Ausdrücke wie »fiktive Figur«, »fiktiver Charakter« oder auch »fiktive Geschichte« verwenden. Diese Ausdrücke haben gemeinsam, dass wir nicht einfach auf einen physikalischen Gegenstand dieser Art deuten und z. B. sagen können »Das ist die fiktive Figur, die ich gerade meinte.« Wir können auf ein Buch, auf eine Seite des Buches oder auf das Gedruckte zeigen, aber normalerweise meinen wir keinen dieser Gegenstände, wenn wir von einem fiktiven Charakter sprechen. Wenn ein Sprecher aber eben nicht einen dieser physikalischen Gegenstände meint, dann muss er in der Lage sein, diese von dem zu unterscheiden, das er »fiktiver Charakter« nennt. Daher geht Thomasson davon aus, dass
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would-be grounders of the term [fictional character] must have a substantive concept of what a fictional character is that establishes the rules of use for the term in distinction from those for a term such as ›copy of the text‹ or ›printed paper‹. To do this, they must have at least a tacit idea of how it is related to (and distinguishable from) other sorts of item present, such as copies of texts, under what conditions there is one to refer to (and not just some ink on paper), how they are to be identified and reidentified, and so on. In short, a competent grounder must be indoctrinated into the realm of critical practices, possess other literary concepts such as ›story‹ and have a substantive ontological concept of the sort of thing a fictional character is, with at least an implicit understanding of what its existence, identity and survival conditions are (in distinction to those appropriate for the copy of the text). (Thomasson, 2003, S. 144–145)
Thomassons Argumentation sieht daher wie folgt aus: Kompetente Sprecher verwenden den Ausdruck »fiktiver Charakter«. Um einen solchen Ausdruck aber zu verwenden bzw. überhaupt erst einzuführen, ist es notwendig, dass die Sprecher über den Begriff des fiktionalen Charakters verfügen. Das heißt auch, dass sie bereits eine Vorstellung davon haben, welchen ontologischen Status, Identitätskriterien und Existenz- bzw. Persistenzkriterien fiktive Figuren haben. Dieses Wissen soll klarerweise als ein vortheoretisches Wissen verstanden werden. Fiktive Figuren, so argumentiert Thomasson, sind nun Gegenstände, die nur existieren, weil es unsere (literarischen) Praxen gibt. Daher muss eine Theorie fiktiver Gegenstände Common-Sense-Überzeugungen bezüglich dieser Gegenstände beinhalten. Es ist unser alltäglicher Begriff von fiktiven Gegenständen, der den ontologischen Status dieser Gegenstände etabliert, daher kann nur die Untersuchung der Common-Sense-Überzeugungen und die damit verbundene Begriffsklärung eine Antwort darauf liefern, was fiktive Gegenstände sind. Dies gilt nicht nur für fiktive Gegenstände, sondern auch für andere Artefakte dieser Art: Since the concept establishes the ontological sort of the entity to be referred to by the term (and its relations to the physical objects in the vicinity that can be ostended), it is not subject to revision through future ›discoveries‹. Notice, again the parallel, how little sense it makes to think that we could find out that our identity conditions for innings were all mistaken, and that really (despite common beliefs and practices), each team must have four outs for an inning to end. (Thomasson, 2003, S: 145)
Zu den weit verbreiteten Common-Sense-Überzeugungen gehört, dass Autoren fiktive Gegenstände erschaffen: Sherlock Holmes wurde von Arthur Conan Doyle erschaffen (oder erfunden), Thomas Buddenbrook von Thomas Mann. Dieser Überzeugung wird Thomasson mit ihrer Position gerecht, indem sie davon ausgeht, dass fiktive Gegenstände durch den Vollzug einer spezifischen kreativen Handlung48 eines Autors, mit welcher er einen fiktionalen Text49 48 Da es ein wesentliches Merkmal fiktiver Gegenstände ist, durch eine sprachliche Handlung
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produziert, erschaffen werden; d. h. damit ein fiktiver Gegenstand zu existieren beginnt, muss der Autor eine spezifische (im Folgenden noch zu erläuternde) sprachliche Handlung vollziehen, wodurch der fiktive Gegenstand erschaffen wird. Außerdem können sie in verschiedenen literarischen Werken auftauchen, auch in solchen, die nicht dem Autor stammen, der sie erschaffen hat.
3.2.2 Abhängigkeiten abstrakter Artefakte Fiktive Entitäten als abstrakte Artefakte verstanden unterscheiden sich von platonischen Abstrakta auch dadurch, dass sie nicht bedingungslos existieren, denn sie sind in verschiedener Weise von konkreten Gegenständen und Handlungen abhängig. Unterschieden werden müssen Bedingungen, die erfüllt sein müssen dafür, dass eine fiktive Entität überhaupt erst zu existieren beginnt und solche Bedingungen, die für ihre Persistenz erfüllt sein müssen. Wenn die Abhängigkeiten fiktiver Gegenstände analysiert sind, lassen sich mit den Ergebnissen dieser Analyse auch Existenzbedingungen formulieren. Damit ein fiktiver Charakter zu existieren beginnt, muss ein Autor ihn erschaffen. Die unmittelbare Abhängigkeit fiktiver Gegenstände von einer spezifischen sprachlichen Handlung ist eine starre historische Abhängigkeit. Darunter ist Folgendes zu verstehen: […] historical dependence is at hand in cases in which one entity requires another in order to come into existence initially, although it may be able to exist independently of that entity once it has been created. […] If the historical dependence in question is on a particular individual, I call this »rigid historical dependence«. (Thomasson, 2008, S. 31f.)
Nach dem Vollzug dieser Handlung kann der fiktive Gegenstand weiter existieren, daher handelt es sich bei der Abhängigkeit von der spezifischen sprachlichen Handlung um eine historische Abhängigkeit im Gegensatz zu einer generischen Abhängigkeit: Weder muss diese Handlung ständig wiederholt oder fortgeführt werden, damit der fiktive Gegenstand weiter existiert, noch muss der erschaffen zu werden, komme ich in diesem Kapitel nicht umhin an einigen Stellen etwas über diese sprachlichen Handlungen zu sagen. Da aber hier die fiktiven Gegenstände im Mittelpunkt stehen, fallen die Bemerkungen zu diesen sprachlichen Handlungen eher holzschnittartig aus. Sie näher zu beschreiben wird Aufgabe des 4. Kapitels sein. Um Thomassons Position darzustellen, reicht es an dieser Stelle, davon auszugehen, dass es sich bei dieser Handlung um eine sprachliche Handlung handelt. 49 Fiktive Gegenstände können auch durch andere kreative Handlungen, die keine sprachlichen sind, erschaffen werden. Da sich diese Arbeit aber nur mit literarischen Fiktionen beschäftigt, soll auch in diesem Zusammenhang der Fokus nur auf dem Medium Text und nicht etwa Theater oder Film liegen.
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Autor, der die Handlung vollzogen hat, nach der Beendigung der Handlung weiter existieren. Die zweite unmittelbare Abhängigkeit fiktiver Gegenstände ist die Abhängigkeit von einem literarischen Werk, in dem sie vorkommen. Diese Abhängigkeit ist eine generische konstante Abhängigkeit. Von konstanter Abhängigkeit wird gesprochen, wenn der Gegenstand a, von welchem der Gegenstand b abhängig ist, zu jeder Zeit existieren muss, zu der b existiert. Konstante Abhängigkeit kann starr oder generisch sein. Von generischer konstanter Abhängigkeit wird gesprochen, wenn Folgendes zutrifft: The relation of constant dependence may also be generic, such that the entity a constantly requires that there is something that instantiates a given property, even though there may be no particular individual exemplifying that property on which a depends. (Thomasson, 2008, S. 31)
Konstant ist die Abhängigkeit fiktiver Gegenstände von einem literarischen Werk, weil der fiktive Gegenstand so lange existiert, wie ein literarisches Werk, in dem er auftaucht, existiert; generisch ist die Abhängigkeit, weil es nicht ein bestimmtes literarisches Werk sein muss, sondern irgendein Werk, in dem der fiktive Gegenstand eine Rolle spielt. Da fiktive Charaktere von der Existenz des entsprechenden fiktionalen Werkes abhängig sind, muss geklärt werden, wann ein fiktionales Werk existiert, da die Bedingungen für die Existenz des Werkes auch solche für die Existenz des fiktiven Charakters sind. Das literarische Werk ist eine Entität, die nicht identisch mit einem entsprechenden Exemplar eines Textes ist: Unter dem Exemplar eines Textes wird ein konkreter, raum-zeitlicher Gegenstand verstanden, von welchem das literarische Werk generisch konstant abhängig ist. Das literarische Werk ist, wie ein fiktiver Gegenstand, eine erschaffene abstrakte Entität50 : As ordinarily treated in critical discourse, a literary work is not an abstract sequence of words or concepts waiting to be discovered but instead is the creation of a particular individual or group at a particular time in particular social and historical circumstances. Thus, as with characters, it seems that literary works must be created by an author at a certain time in order to come into existence. (Thomasson, 2008, S. 8)
Dass das literarische Werk seinen Autor »überleben« kann, heißt aber nicht, dass das Werk ewig existiert, nachdem es erschaffen wurde. Nimmt man den Gedanken ernst, dass literarische Werke Artefakte sind wie andere Artefakte, dann ist es merkwürdig, anzunehmen, sie könnten nicht auch zerstört werden oder aufhören zu existieren. 50 L. Walters, der eine sehr ähnliche Position vertritt, spricht bei Werken nicht von Artefakten, sondern von erschaffenen Typen. (s. Walters, 2013)
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Treating works of literature as entities that may be destroyed – at least if all copies and memories of them are destroyed – seems a natural consequence of considering them to be cultural artifacts rather than Platonistic abstracta. (Thomasson, 2008, S. 9)
Da ein fiktiver Gegenstand von der Existenz eines Exemplars eines Textes abhängt, würde er aufhören zu existieren, wenn alle Exemplare des Textes zerstört oder endgültig verloren wären. Thomasson macht allerdings auf eine Einschränkung des eben Gesagten aufmerksam (s. Thomasson, 2008, S. 11), die sinnvoller Weise gemacht werden muss: Sofern es kein Exemplar des Textes gibt, kann es ein Werk noch insoweit geben, als es in der Erinnerung »gespeichert« ist, was bei mündlicher Überlieferung typischerweise der Fall ist. Sagen o. ä. existieren häufig nur in dieser Form bzw. haben lange Zeit nur als mündliche Überlieferung existiert, bevor sie verschriftlicht wurden. Auch der fiktive Gegenstand existiert dann nicht mehr, wenn alle Exemplare des Textes endgültig verloren sind und es auch keine Erinnerung mehr an das literarische Werk gibt, in dem er vorkommt.51 Das Vorliegen eines Exemplars des Textes (oder eine »Speicherung« in der Erinnerung) reicht aber noch nicht aus, um die Existenz des literarischen Werkes und mit ihm des fiktiven Gegenstandes zu sichern. Existiert z. B. eine Kopie eines Textes in einer Sprache, die von niemandem mehr verstanden wird, existiert das literarische Werk nicht mehr. A literary work is not a mere bunch of marks on a page but instead is an intersubjectively accessible recounting of a story by means of a public language. Just as a language dies out without the continued acceptance and understanding of a group of individuals, so do linguistically based literary works. A literary work as such can exist only as long as there are some individuals who have the language capacities and 51 Thomasson zufolge wird aus einem fiktiven Charakter ein vergangener fiktiver Charakter, wenn es keine Exemplare des Textes oder Erinnerung an das literarische Werk mehr gibt. Ein Einwand gegen diese These könnte lauten, dass aber doch weiterhin an diesen »verlorenen« fiktiven Charakter gedacht werden und über ihn gesprochen werden kann. Dass dies möglich ist, muss auch nicht geleugnet werden. So wie über Verstorbene, untergegangene Kulturen usw. gesprochen werden kann, ist dies auch bei fiktiven Gegenständen möglich, die verloren sind. Unproblematisch ist das nicht, aber es handelt sich hierbei um eine Schwierigkeit, die sich grundsätzlich bei der Bezugnahme auf »vergangene Gegenstände« einstellt und nicht speziell für vergangene fiktive Gegenstände: »We may still think of and refer to people after they have died, buildings long since destroyed, civilizations long gone by. If fictional characters and literary works cease to exist, I am not suggesting that they enter a peculiar realm of Meinongian nonexistence or that it is as if such objects never were, but rather that they become past objects just like the other contingent obejcts around us. The problem of how we can think of and refer to past obejcts is no small one but is not unique to fiction.« (Thomasson, 2008, S. 11) Inwiefern ein »vergangener« fiktiver Gegenstand noch existiert, da solange auf ihn Bezug genommen wird, zumindest eine vage Erinnerung an ihn oder das entsprechende literarische Werk vorliegt, müsste aber noch geklärt werden. Dafür müssten auch Angaben darüber gemacht werden, wann eine Erinnerung an ein Werk oder einen fiktiven Gegenstand ausreicht, um die Existenz beider zu sichern.
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background assumptions they need to read and understand it. If all conscious agents are destroyed, then nothing is left of fictional works or the characters represented in them but some ink on paper. Similarly, if all speakers of a language die out, with the language never to be rediscovered, then the literary works peculiar to that tongue die out as well. (Thomasson, 2008, S. 11)
Das literarische Werk ist folglich generisch konstant abhängig von irgendeinem Exemplar des entsprechenden Textes sowie von irgendeinem kompetenten Leser oder einer Erinnerung an das literarische Werk. Für fiktive Gegenstände bedeutet dies: Thus we can say that, for its maintenance, a character depends generically on the existence of some literary work about it; a literary work, in turn, may be maintained either in a copy of the text and a readership capable of understanding it or in memory. (Thomasson, 2008, S. 12)
3.2.3 Existenzbedingungen Fiktive Gegenstände sind nach dem hier vertretenen Verständnis, wie nun klar ist, erstens von einem Autor abhängig, der sie durch den Vollzug einer spezifischen sprachlichen Handlung erschafft. Zweitens sind fiktive Gegenstände davon abhängig, dass ein Werk existiert, in dem sie auftauchen und es einen kompetenten Leser (oder eine kompetente Leserschaft) gibt oder es mindestens eine Person gibt, die sich an das Werk und damit den betreffenden fiktiven Charakter erinnert. Damit kann nun die Bedingung formuliert werden, die erfüllt sein muss, damit der fiktive Gegenstand zu existieren beginnt: I. Es muss einen Autor geben, der eine spezifische sprachliche Handlung vollzieht, mit der der betreffende fiktive Gegenstand erschaffen wird. Diese spezifische sprachliche Handlung näher zu beschreiben, wird die Aufgabe des vierten Kapitels dieser Arbeit sein. Daher soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden. Näher betrachtet werden sollen dagegen die Persistenzbedingungen, die folgendermaßen formuliert werden können: II. Abstrakte Artefakte persistieren so lange, wie es (1a) wenigstens ein Exemplar eines Werkes gibt, in dem sie auftauchen, und es (1b) wenigstens einen Leser dieses Werkes gibt. Gibt es kein Exemplar des entsprechenden Werkes mehr, so muss es (2) zumindest eine Person geben, die sich an dieses Werk und damit den entsprechenden fiktiven Gegenstand erinnert. Weil Abhängigkeit eine transitive Relation ist, ist die Persistenz fiktiver Gegenstände von der Persistenz wenigstens eines literarischen Werkes, eines Leser
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oder der Erinnerung an den betreffenden Gegenstand abhängig. Um die Persistenzbedingungen vollständig zu klären, müsste jeweils geklärt werden, was es heißt, dass ein literarisches Werk, ein kompetenter Leser oder die Erinnerung an den Gegenstand persistiert. Wie Thomasson darlegt, existiert ein literarisches Werk, solange es ein Exemplar des Textes oder die Erinnerung an das Werk gibt. Auf Persistenzbedingungen von physikalischen Gegenständen und mentalen Zuständen möchte ich an dieser Stelle aber nicht weiter eingehen, denn auch wenn Klarheit in diesbezüglichen Fragen Klarheit für die Persistenzbedingungen fiktiver Gegenstände bringen würde, sind es doch keine Schwierigkeiten, die spezifisch für eine Theorie fiktiver Gegenstände sind. Näher betrachtet werden soll aber im Folgenden die Bedingung 1b, denn das Verständnis dieser Bedingung ist entscheidend dafür, ob das Erfüllen dieser Bedingung eine kontinuierliche Persistenz fiktiver Gegenstände sichert oder nicht. Ich werde im Folgenden zwei Lesarten der Formulierung von 1b diskutieren und verwerfen, um dann für eine dritte – modale Lesart zu argumentieren. Erstens könnte 1b so verstanden werden, dass es eine Person geben muss, die das Werk gelesen haben muss, sie also in dem Sinne Leserin ist, dass sie das Werk bereits gelesen hat. Dieses Verständnis der Bedingung hätte den Vorteil, dass ganz offensichtlich gesichert ist, dass es tatsächlich mindestens eine Person gibt, die den Umgang mit dem fiktiven Charakter weiterführen kann. Doch so verstanden, ergibt sich folgende Schwierigkeit mit dieser Bedingung: Existiert diese Person nicht mehr, würde auch der fiktive Gegenstand aufhören zu existieren, obwohl weiter die Möglichkeit besteht, dass ein neuer Leser das Werk rezipiert. Würde das eintreffen, wären plötzlich die Bedingungen für die Existenz des fiktiven Charakters wieder erfüllt und er würde wieder existieren. Eine zweite und durchaus plausiblere Lesart von Thomassons Formulierung wäre, dass es nur mindestens eine Person geben muss, die prinzipiell in der Lage ist, das betreffende Werk zu rezipieren. So verstanden, kann es aber sein, dass ein Werk existiert, das zu einem bestimmten Zeitpunkt von keiner lebenden Person gelesen wurde und trotzdem existiert der betreffende fiktive Charakter. Außerdem ergibt sich auch bei dieser Lesart das Problem, dass es möglich ist, dass zu einem Zeitpunkt keine Person existiert, die in der Lage wäre, das entsprechende Werk zu lesen, weil keiner über die von Thomasson genannten linguistischen Fähigkeiten bzw. das nötige Wissen verfügt. Die fiktive Figur würde dann aufhören zu existieren. Es könnte aber passieren, dass es Personen zu einem späteren Zeitpunkt gelingt, den betreffenden Text wieder zu entschlüsseln und so wären die Bedingungen für die Existenz des fiktiven Charakters wieder erfüllt. So wäre auch mit diesem Verständnis der von Thomasson genannten Persistenzbedingungen eine diskontinuierliche Persistenz fiktiver Charaktere möglich. Um dies zu vermeiden, schlage ich vor, diese Persistenzbedingungen auf eine
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dritte Art zu verstehen: Fiktive Charaktere existieren so lange, wie es ein Exemplar des betreffenden Werkes und die Möglichkeit gibt, dass eine Person das Werk lesen kann. So verstanden, kann es Zeiträume geben, in welchen es keine Person gibt, die das betreffende Werk liest und den fiktiven Charakter kennt. Diese Situation führt dann aber nicht dazu, dass die fiktive Figur aufhört zu existieren, solange es möglich ist, dass es jemandem gelingt, die relevanten Fähigkeiten und das relevante Wissen zu erlangen, um das betreffende Werk zu lesen. Die betreffende Figur würde dann erst aufhören zu existieren, wenn es auch keine Möglichkeit mehr gibt, dass das Werk gelesen werde kann. Obwohl ein Exemplar des Werkes noch existiert, dürfte das Werk für niemanden mehr lesbar sein, d. h. auch eine spätere Entschlüsselung einer in Vergessenheit geratenen Sprache muss ausgeschlossen sein. Klarerweise ist eine solche Situation zwar denkbar, wird aber tatsächlich selten eintreten. Es ist nach diesem Verständnis der Bedingung 1b sehr unwahrscheinlich, dass diese nicht erfüllt werden. Fiktive Entitäten werden wahrscheinlich tatsächlich eher aufhören zu existieren, weil es keine Exemplare eines entsprechenden Werkes mehr gibt. Damit bleibt die Möglichkeit bestehen, dass fiktive Figuren aufhören zu existieren, gleichzeitig ist mit dieser Formulierung der Persistenzbedingung gesichert, dass fiktive Figuren, sobald sie einmal erschaffen sind, kontinuierlich existieren. Eine kontinuierliche Existenz haben fiktive Gegenstände gemäß der Position, nach welcher fiktive Gegenstände imaginäre Gegenstände sind, nicht52. Laut Sartre (Sartre, 1991) werden fiktive Charaktere durch die Imagination des Autors erschaffen. Sie sind also auch erschaffene Entitäten. Im Unterschied zu Thomassons These, geht Sartre davon aus, dass fiktive Charaktere nur so lange existieren, wie an sie gedacht wird. Jedoch nicht nur die Imagination des Autors erschafft fiktive Gegenstände, sondern auch die der Leser. Hat der Autor sein Werk beendet, scheint der fiktive Gegenstand dieser Position zufolge aufzuhören zu existieren, und zwar so lange bis der Leser sich den fiktiven Gegenstand vorstellt. Das hat folgende Nachteile: Fiktive Charaktere existieren nicht kontinuierlich, sondern hören auf zu existieren bzw. fangen wieder an zu existieren, wenn gerade an sie gedacht wird oder nicht. Es ist überhaupt nicht klar, ob dann überhaupt noch von einem fiktiven Gegenstand gesprochen werden kann, oder ob nicht vielmehr angenommen werden müsste, dass jedes Mal, wenn irgendjemand an einen fiktiven Gegenstand denkt, ein neuer erschaffen wird. Mit
52 Zu Schwierigkeiten der Annahme, fiktive Gegenstände seien Imaginationen, s. Werner (Werner, 2014).
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dieser Position scheint es auch nicht möglich zu sein anzunehmen, dass ein fiktiver Gegenstand in verschiedenen Werken auftaucht.53 Nachteile, die sich durch eine solche ontologische These für die Semantik fiktionaler Eigennamen ergeben, liegen auf der Hand: Dass mit einem fiktionalen Namen auf einen bestimmten Gegenstand Bezug genommen wird, kann ohne weiteres zumindest nicht mehr angenommen werden. Wären fiktive Gegenstände Imaginationen des Autors und verschiedener Leser, hätten wir es mit mehreren Gegenständen zu tun und es wäre nicht klar, auf welchen dieser Gegenstände mit dem entsprechenden Eigennamen Bezug genommen würde. Ambiguität der Eigennamen wäre ein massives Problem. Die Imagination als die Handlung anzunehmen, auf welcher die Existenz fiktiver Gegenstände superveniert, ist auch in einer weiteren Hinsicht schwierig. Im Gegensatz zu einer sprachlichen Handlung ist es schwierig, intersubjektiv überprüfbare Kriterien anzugeben, anhand derer geprüft werden kann, ob eine spezifische Handlung des Imaginierens vollzogen wurde. Dass Imagination bei der Erschaffung eines fiktiven Gegenstandes eine Rolle spielen kann, muss nicht ausgeschlossen werden. Doch fiktive Gegenstände nur als imaginäre Gegenstände anzusehen, hieße, die Bedeutung der sprachlichen Handlung, sowie des durch diese Handlung entstandenen Textes, geringzuschätzen. Gemäß den possibilistischen Theorien54 sind fiktive Charaktere mögliche Gegenstände, d. h. sie existieren nicht aktual, könnten aber unter anderen Umständen existieren oder existiert haben. Fiktive Gegenstände sind demnach mögliche und nicht aktuale Gegenstände. Gemäß der hier vertretenen Position sind sie dagegen abstrakte, aber aktuale Gegenstände. Auch die possibilistische Theorie hat Schwierigkeiten mit der Individuierung fiktiver Gegenstände: Versucht man das mögliche Individuum zu finden, das die Eigenschaften hat, die einem fiktiven Charakter in einer Geschichte zugeschrieben werden, scheint es zu viele passende mögliche Gegenstände zu geben und es scheint zumindest nicht möglich zu entscheiden, welcher Gegenstand der richtige ist. Typischerweise sind fiktive Charaktere unterbestimmt, d. h. es fehlen eine Reihe von Informationen, die z. B. über »echte« Personen bekannt sind oder zumindest prinzipiell wissbar sind. Es ist zumindest prinzipiell möglich herauszufinden, welche Blutgruppe Thomas Mann hatte; es ist nicht möglich herauszufinden, welche Blutgruppe Thomas Buddenbrook hat, sofern Thomas Mann in seinem literarischen Werk dies nicht vermerkt hat. Versucht man einen fiktiven Charakter mit einer möglichen Person zu identifizieren, ergibt sich aus dieser Unterbestimmtheit das Problem, dass nicht bestimmt werden kann, welche mög53 Auf Schwierigkeiten, die sich mit Sartres Position ergeben, macht u. a. R. Ingarden aufmerksam (Ingarden, 1973), s. auch Thomasson (Thomasson, 2008). 54 (Kripke, 1972), (Platinga, 1974)
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liche Person nun die passende ist. Falls der Charakter gemäß der Geschichte sich widersprechende Eigenschaften hat, kann er nicht als möglicher Gegenstand angesehen werden, sondern als ein unmöglicher. Aber auch wenn es möglich wäre, einen einzelnen möglichen Gegenstand zu identifizieren, der die Eigenschaften hat, die einem Charakter in einer Geschichte zugeschrieben werden, dann handelt es sich doch um eine mögliche »echte« Person (und nicht um eine fiktive Person), die z. B. zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren wird. Fiktive Charaktere so zu verstehen, hieße, ein wesentliches Merkmal fiktiver Charakteer, so wie wir diese alltäglich verstehen, zu missachten, nämlich, dass sie erfundene bzw. erschaffene Figuren sind. Diese Eigenschaft kann eine mögliche »echte« Person aber nicht haben. Das Bisherige zusammenfassend lassen sich fiktive Gegenstände folgendermaßen beschreiben: Fiktive Gegenstände sind Artefakte, weil sie durch eine spezifische sprachliche Handlung erschaffen werden. Sie sind streng historisch abhängig von dieser Handlung, die der Autor vollzieht. Außerdem sind sie generisch konstant abhängig von irgendeinem literarischen Werk, in welchem sie auftauchen. Daher sind sie ebenfalls generisch konstant abhängig von irgendwelchen raumzeitlichen Gegenständen, von welchen das literarische Werk seinerseits abhängig ist, nämlich irgendeinem Exemplar eines Textes (oder der Erinnerung an das literarische Werk), sowie irgendeinem kompetenten Leser. Thus fictional objects, in this conception, are not the inhabitants of a disjoint ontological realm but instead are closely connected to ordinary entities by their dependencies on both concrete spatiotemporal objects and intentionality. (Thomasson, 2008, S. 12)
Mit anderen Artefakten haben fiktive Gegenstände gemeinsam, dass sie von intelligenten Akteuren erschaffen werden. Aber fiktive Gegenstände entstehen durch spezifische sprachliche Handlungen, was sie von Tischen, Stühlen und Gemälden unterscheidet. Diese entstehen nicht dadurch, dass sie jemand nur beschreibt. Dieser Umstand ist aber kein Alleinstellungsmerkmal fiktiver Gegenstände. Mit dem Vollzug vieler illokutionärer Akte werden Sachverhalte, wie im Fall der fiktiven Gegenstände, allein durch den Vollzug einer sprachlichen Handlung erschaffen. Thus, for example, the celebrant of a marriage pronounces a couple husband and wife, a pronouncement that itself creates the couple’s new status as husband and wife. […] A contract, similarly, may be created simply by the utterance of words such as »I hereby promise to.« Searle even cites as a general feature of institutional reality that institutional facts can be brought into existence by being represented as existing and can exist only if they are represented as existing. (Thomasson, 2008, S. 12f.)
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Die Parallele zwischen Verträgen, Verfassungen, Ehen usw. einerseits und fiktiven Charakteren andererseits besteht darin, dass in beiden Fällen durch den Vollzug einer bestimmten sprachlichen Handlung etwas zu existieren beginnt. In short, on this view fictional characters are a particular kind of cultural artifact. Like other cultural objects, fictional characters depend on human intentionality for their existence. Like other artifacts, they must be created in order to exist, and they can cease to exist, becoming past objects. (Thomasson, 2008, S. 14)
3.2.4 Identitätskriterien fiktiver Gegenstände Nimmt man an, dass fiktive Gegenstände existieren, muss geklärt werden, welche Identitätskriterien sie haben. Für die hier vorgestellte Position stellt die Individuierung fiktiver Gegenstände allerdings ein geringeres Problem dar als es bei anderen Positionen der Fall ist. Als Merkmal bzw. Merkmale, die einen fiktiven Gegenstand von einem anderen unterscheiden, werden hier die Umstände der Erschaffung des fiktiven Gegenstandes angeführt. Durch den Vollzug einer spezifischen sprachlichen Handlung wird ein fiktiver Charakter erschaffen. Die Eigenschaft, durch ein spezifisches Handlungs-Token zu einem bestimmten Zeitpunkt erschaffen zu sein, teilt ein fiktiver Gegenstand mit keinem anderen. Dieses Merkmal können u. a. Positionen, die fiktive Gegenstände als nicht-erschaffene (sondern aufgefundene) abstrakte Gegenstände ansehen, nicht anführen. Da der fiktive Gegenstand (unter Einhaltung der oben genannten Bedingungen) nach Vollzug der spezifischen Handlung existiert, kann – auch im Rahmen eines anderen fiktionalen Textes – auf diesen Bezug genommen werden. So ist es möglich, dass ein fiktiver Charakter in verschiedenen fiktionalen Werken auftaucht. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Autor des (zweiten) Werkes die Absicht hatte, auf den schon existierenden fiktiven Charakter Bezug zu nehmen. Arthur Conan Doyle erschafft demnach nicht mit jedem SherlockHolmes-Roman den Detektiv erneut, sondern nimmt, nachdem er ihn im Rahmen des Erschaffens des ersten literarischen Werkes, in welchem er auftaucht, erschaffen hat, Bezug auf ihn. Wenn aber zufällig zwei Autoren, unabhängig voneinander, d. h. ohne auf den anderen Bezug zu nehmen, z. B. weil ihnen die Arbeit des anderen nicht bekannt ist, in einem fiktionalen Text einen fiktiven Charakter erschaffen, der in beiden Texten mit den gleichen Eigenschaften ausgestattet ist, dann handelt es sich dennoch nicht um einen, sondern um zwei fiktive Charaktere. Denn obwohl die Charaktere gemäß dem Text die gleichen Eigenschaften haben, können sie unterschieden werden, weil sie von unterschiedlichen Personen, durch unterschiedliche Handlungs-Token erschaffen wurden. Weil das Handlungs-Token,
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mit welchem der fiktive Gegenstand erschaffen wird, ein hinreichendes Kriterium für die Individuierung fiktiver Gegenstände ist, liegen auch dann zwei fiktive Gegenstände vor, wenn unabhängig voneinander zwei Autoren zufällig Texte produzieren, die aus den gleichen Worten in der gleichen Reihenfolge bestehen. One way to see the essentiality of a work’s origin to its identity is by observing that literary works take on different properties based on the time and circumstances of their creation and creator. By virtue of originating in a different place in literary, social, and political history, at the hands of a different author, or in a different place in an author’s oeuvre, one and the same sequence of words can provide the basis for two very different works of literature with different aesthetic and artistic properties. (Thomasson, 2008, S. 8)
In bestimmten Fällen kann es faktisch unmöglich sein, zu entscheiden, ob durch ein zweites literarisches Werk ein weiterer fiktiver Gegenstand erschaffen wurde oder ob auf einen bereits existierenden Bezug genommen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn es keine Möglichkeiten mehr gibt, herauszufinden, was die Absicht des Autors in dieser Frage war. Aber auch wenn es faktisch keine Möglichkeit gibt, dies herauszufinden, ist es doch auch in diesen Fällen prinzipiell möglich, zu entscheiden, ob ein zweiter Gegenstand erschaffen wurde oder nicht. Es ist prinzipiell möglich, weil die Bedingungen angegeben werden können, unter welchen ein zweiter fiktiver Gegenstand erschaffen wird oder aber (nur) auf einen schon existierenden fiktiven Gegenstand Bezug genommen wird.
3.2.5 Eigenschaften und fiktive Eigenschaften Von einer Reihe von Eigenschaften fiktiver Gegenstände war bisher die Rede, die sie als Artefakte auszeichnen, wie z. B. das Erschaffensein. Abstrakt sind sie, da sie keine räumlichen und somit keine konkreten Gegenstände sind. Diese Eigenschaften haben fiktive Gegenstände mit anderen abstrakten Artefakten gemeinsam. Nun gilt es zu klären, was fiktive Gegenstände von anderen abstrakten Artefakten unterscheidet. Naheliegenderweise ist es ihre Eigenschaft fiktiv zu sein. Die Frage ist, was das heißen kann. Mit diesem Ansatz ausgeschlossen ist bereits die Annahme, dass sie in der Realität nicht existieren. Um das behaupten zu können, nehmen Schnieder und Solodkoff an, dass der Ausdruck »fiktiv« ambig verwendet wird und weisen darauf hin, dass zwei Verwendungsweisen unterschieden werden müssen (s. Schnieder u. Solodkoff, 2009, S. 145f.): 1. Das Attribut »fiktiv« wird bei »fiktive Gegenstände« nicht als ein modifizierendes Attribut verstanden. Ein modifizierendes Attribut ist in vielen Fällen eine nominale Ergänzung wie z. B. »Spielzeug-« zu einem weiteren Substantiv,
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z. B. Spielzeugauto, Spielzeugpistole. Modifizierend ist das Attribut in diesen Fällen, da die Ausdrücke »Auto« und »Pistole« durch die nominale Ergänzung eine andere Extension haben, denn Spielzeugautos sind keine Autos, Spielzeugpistolen keine Pistolen. Würde »fiktiv« in diesem Sinne verstanden werden, so wären fiktive Gegenstände keine Gegenstände. Gemäß dem fiktionalen Realismus muss aber das Attribut »fiktiv« bei »fiktive Gegenstände« als ein determinierendes Attribut verstanden werden. Diese verengen die Extension eines Ausdrucks. 2. Das Attribut »fiktiv« wird dann als modifizierendes Attribut verwendet, wenn es vor Prädikaten steht, die dem fiktiven Gegenstand gemäß einer Fiktion zukommen. Ein fiktiver Detektiv ist kein Detektiv, ein fiktiver Pfeifenraucher ist kein Pfeifenraucher : As it is used by fictional realists, ›fictional‹ in ›fictional creature‹ is modifying: every fictional creature is a fictional entity, i. e. an abstract object. Since no abstract object is a creature (an animated being), no fictional creature is a creature. The same is true of many combinations of ›fictional‹ with some noun phrase: a fictional ring (e. g., the One Ring made by Sauron) is not a ring, a fictional life (e. g. The Life of Brian) not a life etc. Here ›fictional‹ is modifying and a fictional F is some entity which is not an F, but which is, according to its story, an F. (Schnieder u. Solodkoff, 2009, S. 146)
Meistens sind es genau diese Eigenschaften, die fiktive Gegenstände gemäß einer Geschichte haben, für die wir uns interessieren oder über die wir reden. Dies scheint fiktive Gegenstände gemäß dem fiktionalen Realismus gegenüber anderen Gegenständen auszuzeichnen: Sie haben zwar, wie andere Gegenstände, Eigenschaften, die ihnen in der empirischen Welt – tatsächlich – zukommen. Sie scheinen aber auch Eigenschaften zu haben, die sie nur in der Geschichte und nicht in der empirischen Welt haben. Mit der Äußerung der intrafiktionalen Aussage »Sherlock Holmes raucht Pfeife.« wird Sherlock Holmes die Eigenschaft »Pfeife rauchen« zugesprochen. Klarerweise hat er diese Eigenschaft aber als abstraktes Artefakt nicht und er kann sie auch gar nicht haben. Nun scheinen intrafiktionale Aussagen zu einem Problem zu werden. Macht diese Position eine große »ontologische Investition« und zahlt auch noch den Preis, dass sie schließlich eine zentrale Redeweise über fiktive Gegenstände nicht erklären kann? Denn es stellt sich nun die Frage, was es heißen kann, dass abstrakte Artefakte »gemäß einer Geschichte« Eigenschaften haben, die sie aber kategorisch nicht haben können. Das heißt nun für die Analyse der Rede über Fiktion, dass gemäß dieser, hier vertretenen Position fiktive Gegenstände existieren und zwar – wie bereits gesagt wurde – als aktuale abstrakte Artefakte. D.h. sie existieren in der Realität (und nicht »nur« in einer Fiktion, was auch immer das genau hieße). Auf sie kann Bezug genommen werden und ihnen können Eigenschaften zugesprochen
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Fiktionaler Realismus in der Debatte um Rede über Fiktion
werden. Mit der Annahme, dass fiktive Gegenstände existieren, stellen transfiktionale Aussagen keine Schwierigkeit dar ; nun erweisen sich aber intra- und auch interfiktionale Aussagen als höchst problematisch. Die intrafiktionale Aussage »Sherlock Holmes raucht Pfeife.« als Aussage über den (tatsächlich existierenden) fiktiven Gegenstand »Sherlock Holmes« verstanden, scheint nun eine falsche Behauptung, denn es trifft nicht zu, dass das abstrakte Artefakt Sherlock Holmes Pfeife raucht. Mit einer solchen Aussage würde demnach sogar ein Kategorienfehler begangen. In Kapitel 3.1.3 wurde allerdings schon der Vorschlag unterbreitet, Sätze wie 3 mithilfe des Fiktionsoperators zu analysieren: 3’) Gemäß den Sherlock-Holmes-Romanen ist es der Fall, dass Sherlock Holmes Pfeife raucht. Aber auch unter Zuhilfenahme des Fiktionsoperators muss der fiktionale Realismus eine weitere Schwierigkeit überwinden: Gemäß den Sherlock-HolmesRomanen raucht – ebenso wie in der Realität – kein abstrakter Gegenstand Pfeife. Gemäß den Sherlock-Holmes-Romanen gibt es Sherlock Holmes, aber gemäß den Detektivgeschichten ist er ein Mensch und hat daher nahezu keine Eigenschaft, die der fiktive Charakter »Sherlock Holmes« in der Realität als abstraktes Artefakt hat. Das abstrakte Artefakt »Sherlock Holmes« hat gemäß den Sherlock-Holmes-Romanen nicht die Eigenschaft ein abstraktes Artefakt zu sein (und auch nicht andere Eigenschaften, die ihm qua abstraktes Artefakt in der Realität zukommen), sondern die Eigenschaft ein Detektiv zu sein und Pfeife zu rauchen usw. D.h. in 3’ scheint man »Sherlock Holmes« nicht durch »das abstrakte Artefakt Sherlock Holmes« ersetzen zu dürfen. Für die Analyse intrafiktionaler Aussagen liefert die Explikation solcher Aussagen mithilfe des Fiktionsoperators nun kein zufriedenstellendes Ergebnis, es sei denn fiktionale Eigennamen werden in gerade diesen Fällen nicht als Eigenname für die fiktive Figur, sondern z. B. als leerer Eigenname angesehen. Dies gilt auch für viele typische interfiktionale Aussagen. Denn die Frage, was es heißen soll, dass ein abstraktes Artefakt gemäß einer Geschichte Eigenschaften hat, die es aber nicht haben kann, bleibt offen. Ich werde eine Analyse fiktionaler Rede vorlegen, die voraussetzt, dass fiktive Gegenstände fiktive Rollen sind. Meine Analyse wird zeigen, dass die Eigenschaften, von denen in fiktionalen Texten in Bezug auf abstrakte Artefakte (das heißt fiktiven Rollen) die Rede ist, nicht der Rolle selbst zugeschrieben werden, sondern einem möglichen Träger. Gäbe es einen Träger der Rolle, so wäre dies ein konkreter Gegenstand, der tatsächlich alle die Eigenschaften hat, von denen im fiktionalen Text dann die Rede ist, wenn auf die betreffende Rolle Bezug genommen wird. So hätte ein möglicher Träger der fiktiven Rolle »Sherlock Holmes« u. a. die Eigenschaft, Pfeife zu rauchen, nicht aber die fiktive Rolle selbst.
Der Fiktionale Realismus: Fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte
169
Ich werde zeigen, dass mit fiktionalen Äußerungen tatsächlich andere Propositionen ausgedrückt werden als es prima facie zu sein scheint. Dies hat dann auch Auswirkungen auf die Explikation metafiktionaler Aussagen. Darauf werde ich im Anschluss an die Analyse fiktionaler Äußerungen eingehen.
4.
Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
4.1
Fiktionale Rede als Vollzug deklarativer illokutionärer Akte Die Kunst der Fiktion besteht darin, Dinge zu erfinden, die nicht wahr sind. Aber man muss sie so erfinden, dass sie wahr werden. (Salman Rushdie)
d
Wie durch die Überlegungen in Kapitel 2 klar wurde, kann mit der iA-These keine korrekte Beschreibung fiktionaler Rede gegeben werden. Ich habe auch gegen die These argumentiert, fiktionale Rede als ein vorgebliches Behaupten aufzufassen. Damit bleibt, zumindest im Rahmen der Sprechakttheorie, nur übrig, fiktionale Rede als Vollzug illokutionärer Akte zu beschreiben. Um zu entscheiden, um welchen Akttyp es sich dabei handelt, muss in einer anderen Frage Position bezogen werden: Wie man die ontologischen Fragen beantwortet, ob es fiktive Gegenstände gibt und wenn es sie gibt, zu welcher Art von Gegenstand sie gehören, hat Konsequenzen für die adäquate Beschreibung der Handlung, die der Autor fiktionaler Rede ausführt. Eine realistische Position müsste naheliegenderweise zu einer anderen Beschreibung der fiktionalen Rede kommen als eine anti-realistische. Anti-realistische Positionen stehen vor der Schwierigkeit, erklären zu müssen, wie z. B. Namen für fiktive Charaktere benutzt werden können. Denn sowohl in fiktionaler Rede als auch in Rede über Fiktion werden Ausdrücke verwendet, die in anderen Äußerungen normalerweise dazu benutzt werden, um auf Gegenstände Bezug zu nehmen. Wer aber die These vertritt, dass es keine fiktiven Gegenstände gibt, muss erklären in welcher Weise der Autor fiktionaler Rede diese Ausdrücke verwendet. Wer als Anti-Realist in dieser Frage an der DirektenReferenz-Theorie festhalten will, nimmt in Kauf, dass bei fiktionaler Rede unvollständige Propositionen geäußert werden. Fiktionale Rede müsste also als Äußern unvollständiger Propositionen aufgefasst werden. Wird die These vertreten, dass aufgrund fehlender Bezugnahme überhaupt keine Propositionen in
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Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
fiktionaler Rede geäußert werden, muss geklärt werden, was es heißen kann, dass wir den Gehalt eines fiktionalen Textes verstehen können. Eine solche Charakterisierung fiktionaler Rede liefert Searle, indem er fiktionale Rede als einen bloßen Äußerungsakt beschreibt, ohne dass mit diesen Äußerungen propositionale und illokutionäre Akte vollzogen werden. Auf die Schwierigkeiten, die sich mit dieser Charakterisierung ergeben habe ich in Kapitel 2.2.1 hingewiesen. Sowohl die Annahme, dass mit fiktionaler Rede keine Propositionen geäußert werden, als auch die Annahme, dass unvollständige Propositionen geäußert werden, führen zu Schwierigkeiten für die anti-realistische Position in Bezug auf die Rekonstruktion der Rede über Fiktion. 55 Denn wenn der Autor fiktionaler Rede keine oder unvollständige Propositionen äußert, dann muss geklärt werden, worüber in metafiktionalen Aussagen geredet wird, wenn es nicht vom Autor fiktionaler Rede geäußerte Propositionen sein können. Für eine realistische Position, die fiktive Gegenstände in einem platonistischen Sinn als abstrakte Gegenstände auffasst, kann die sprachliche Handlung des Autors keine (im wörtlichen Sinn) kreative Handlung sein. Denn gemäß einer solchen Position sind fiktive Gegenstände keine erschaffenen Gegenstände, sondern solche, die unabhängig von konkreten Gegenständen und Handlungen existieren. Vertreter einer solchen Position müssten erklären, worin der Zusammenhang zwischen dieser Art fiktiver Gegenstände und der Handlung des Autors besteht. Im Folgenden werde ich untersuchen, welche Konsequenzen die Annahme einer der realistischen Positionen, die ich in Kapitel 3 vorgestellt habe, für Beschreibung der fiktionalen Rede hat. Da gemäß dieser Position fiktive Gegenstände abstrakte Artefakte sind, muss unter dieser Voraussetzung geklärt werden, auf welche Weise fiktive Gegenstände erschaffen werden können. Hält man an dieser Position fest, muss fiktionale Rede die Kraft haben, diese Gegenstände zu erschaffen. Daher muss auch geklärt werden, wie fiktionale Rede zu dieser Kraft kommt. Wie in Kapitel 3 referiert wurde, hält Amie Thomasson fiktive Gegenstände für Gegenstände wie Gesetze, Verträge, Ämter usw. Diese nennt Thomasson abstrakte Artefakte, denn sie werden (wie fiktive Gegenstände) zum einen durch sprachliche Handlungen erschaffen und sind somit als Artefakte zu betrachten. Zum anderen sind sie abstrakt (nur) in dem Sinn, dass sie nicht-räumlich sind. Searle nennt sprachliche Handlungen, durch welche solche Gegenstände erschaffen werden, deklarative illokutionäre Akte.
55 S. dazu Stecker 1997; Sainsbury, 2005.
173
Fiktionale Rede als Vollzug deklarativer illokutionärer Akte
Thomassons Position hat den Vorteil, dass erklärt werden kann, wie wahrheitsfähige transfiktionale Aussagen gemacht werden können. Mit so genannten fiktionalen Namen wird, gemäß dieser These, auf fiktive Gegenstände, z. B. fiktive Charaktere, Bezug genommen. Fiktionale Namen, wie »Sherlock Holmes«, »Hercule Poirot« und »Jane Marple« werden also nicht als leere Namen verstanden, sondern als solche, mit welchen auf einen fiktiven Gegenstand, also ein abstraktes Artefakt Bezug genommen wird: Once fictional characters have been countenanced as real entities, why hold onto an alleged use of their names that fails to refer to them? It is like buying a luxurious Italian sports car only to keep it garaged. I do not advocate driving recklessly, but I do advise that having paid for the car should permit oneself to drive it, at least on special occasions. (Salmon 1998, S. 298)
Für so genannte fiktionale Eigennamen muss also vor diesem Hintergrund keine besondere Verwendungsweise angenommen werden. Mit diesen Ausdrücken kann auf fiktive Gegenstände Bezug genommen werden, so, wie mit Eigennamen auf Gegenstände Bezug genommen werden kann. Vertreter dieser These beschäftigt aber in erster Linie die Frage, ob und wie im Rahmen von Rede über Fiktion und nicht bei fiktionaler Rede auf fiktive Gegenstände Bezug genommen wird bzw. werden kann. Thomasson nimmt zwar an, dass fiktive Gegenstände durch eine sprachliche Handlung erschaffen werden. Sie liefert allerdings keine genaue Beschreibung der sprachlichen Handlung, mit der ihrer Position entsprechend fiktive Gegenstände erschaffen werden. Schiffer (Schiffer, 1996), der fiktive Gegenstände ebenfalls als abstrakte Gegenstände auffasst, auf die in metafiktionalen Aussagen Bezug genommen werden kann, beschreibt die sprachliche Handlung des Autors fiktionaler Rede expliziter als eine sprachliche So-tun-als-ob-Handlung, mit der der Autor auf keinen Gegenstand Bezug nimmt: This [eine von Schiffer zitierte Textpassage aus John Le Carr¦s The Night Manager] is an example of the pretending, or fictional, use of language and, in particular, of the fictional name »Jonathan Pine«. What’s noteworthy is that the displayed token of »Jonathan Pine« doesn’t refer to anything. Likewise, in producing the sentence, Le Carr¦ isn’t making any true or false assertion. He’s not trying to tell us something about some night manager named »Jonathan Pine«. Consequently, the utterance doesn’t constitute a true or false statement, since it’s not making, or even trying to make, any kind of statement at all. Rather, Le Carr¦ is pretending, or making as if, he’s referring to a real man named »Jonathan Pine«, and he’s pretending, or making as if, the rest of the sentence is telling us something about this man and hence that it is making a true or false statement about him. (Schiffer, 1996, S. 155)
d
Die von Schiffer gewählten Formulierungen bei der Beschreibung der Handlung des Autors fiktionaler Rede erinnern stark an Searles iA-These. Diese These
174
Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
d
weist aber zum einen die bereits genannten erheblichen Schwierigkeiten auf. Zum anderen, kann diese These nicht erklären, wie der Autor fiktive Gegenstände erschafft. Wer aber die These vertritt, dass fiktive Gegenstände durch sprachliche Handlungen erschaffene Artefakte sind, kann nicht gleichzeitig eine These bzgl. der fiktionalen Rede vertreten, die nicht erklären kann, wie fiktive Gegenstände erschaffen werden können. Daher könnte, wenn überhaupt, eine iA-These nur zusammen mit einer anti-realistischen Position vertreten werden, es sei denn, es könnte gezeigt werden, dass mit fiktionalen Äußerungen kein illokutionärer Akt vollzogen wird und diese Äußerungen dennoch fiktive Gegenstände erschaffen können. Ich werde im Folgenden zeigen, dass mit Äußerungen nur dann etwas erschaffen werden kann, wenn es Konventionen gibt, die genau dies erlauben. Es muss eine konstitutive Regel geben, wonach eine sprachliche Äußerung als eine Handlung zählt, mit der ein Gegenstand erschaffen werden kann. Eine sprachliche Äußerung kann dann als illokutionärer Akt bezeichnet werden, wenn mit ihr ein bestimmter Zweck verfolgt wird, der nur dann erfolgreich verfolgt werden kann, wenn es eine Konvention gibt, die regelt, dass die Äußerung als Vollzug einer Handlung zählt, mit der dieser Zweck verfolgt werden kann. Das Erschaffen abstrakter Artefakte ist ein solcher Zweck, der nur verfolgt werden kann, wenn es Konventionen der gerade genannten Art gibt. Aus diesem Grund halte ich es für ausgeschlossen, fiktive Äußerungen einerseits als Handlungen zu beschrieben, mit welchen Gegenstände erschaffen werden und andererseits diese Äußerungen nicht als illokutionäre Akte aufzufassen. Wenn fiktive Gegenstände abstrakte Artefakte sind wie Ämter, Verträge usw., dann erscheint es viel naheliegender anzunehmen, dass die sprachliche Handlung, mit der fiktive Gegenstände erschaffen werden, der gleichen Klasse angehören wie die sprachlichen Handlungen, mit welchen andere abstrakte Artefakte erschaffen werden, nämlich der Klasse der deklarativen illokutionären Akte. Als entscheidendes Merkmal sehe ich für diese Klassifizierung der fiktionalen Äußerungen, dass auch mit diesem Sprechakttyp, abstrakte Artefakte erschaffen werden können. Die deklarativen Akte, die Searle als Beispiel vorstellt, können aber nicht nur als Vollzug eines illokutionären Aktes, sondern auch als Vollzug eines propositionalen Aktes beschrieben werden. Dies nehme ich auch für fiktionale Rede an und werde daher zeigen, wie fiktionale Äußerungen, die analog zu Searles paradigmatischen Beispielen »geformt« sind, analysiert werden müssen. Ich werde bei meiner Untersuchung auf Beispiel-Äußerungen zurückgreifen, in welchen Ausdrücke verwendet werden, mit welchen ein Akt der Referenz vollzogen werden kann und ebenfalls solche, mit welchen der Akt der Prädikation vollzogen werden kann. Ich werde zeigen, dass, analog zu deklarativen illokutionären Akten, auch bei fiktionaler Rede mit einem entsprechenden sprachlichen
Vorüberlegungen: Der deklarative illokutionäre Akttyp
175
Ausdruck ein Akt der Referenz vollzogen wird und entsprechend auch ein Akt der Prädikation. Um diese Annahme machen zu können, muss gezeigt werden, wann genau ein fiktiver Gegenstand erschaffen wird und wann bzw. wie auf diesen Bezug genommen werden kann. Des Weiteren muss geklärt werden, wie die Prädikation bei fiktionaler Rede aufgefasst werden kann, denn es besteht mit der hier gemachten Annahme zu fiktiven Gegenständen folgende offensichtliche Schwierigkeit: Wenn fiktive Gegenstände abstrakte Gegenstände sind, dann kann das meiste, was in fiktionalen Texten über z. B. fiktive Charaktere ausgesagt wird, nicht zutreffen. Denn abstrakte Gegenstände können nicht in Paris wohnen, tollpatschige Studenten sein oder Pfeife rauchen. Um zeigen zu können, dass fiktionale Rede aus Vollzügen fiktionaler deklarativer Akte besteht, möchte ich zunächst eine Analyse eines nicht-fiktionalen deklarativen Aktes vornehmen. Diese Analyse nehme ich in Anlehnung an Searles Analyse eines Versprechens (Searle, 1969, S. 57–62) vor, d. h. ich möchte zeigen, welche Bedingungen erfüllt bzw. welche Regeln eingehalten werden müssen, damit eine Äußerung als ein erfolgreicher Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes gelten kann.
4.2
Vorüberlegungen: Der deklarative illokutionäre Akttyp When God says »Let there be light!« he is making a declaration. (Searle/Vanderveken, 1985, S. 57)
Deklarative illokutionäre Akte wurden bisher nicht genauer betrachtet, was an dieser Stelle nachgeholt werden soll. Diesen Typ illokutionärer Akte zeichnet gegenüber anderen aus, dass durch den erfolgreichen Vollzug eine Entsprechung von ausgedrücktem propositionalem Gehalt und der Welt hergestellt wird. Naheliegenderweise bringt diese Eigenschaft mit sich, dass nicht beliebige propositionale Gehalte bei deklarativen Akten ausgedrückt werden können. Darauf werde ich im Folgenden noch näher eingehen. Beispiele für Deklarativa sind (Amts-)Ernennungen, (Kriegs-)Erklärungen und Taufen. Der illokutionäre Zweck der deklarativen Sprechakte ist es, durch ihren erfolgreichen Vollzug die Welt so zu verändern, dass sie zu dem ausgedrückten propositionalen Gehalt passt. Mit dieser Charakterisierung scheinen Deklarativa sich nicht von kommissiven und direktiven illokutionären Akten zu unterscheiden; auch von diesen kann gesagt werden, dass ihr illokutionärer Zweck es ist, die Welt so zu verändern, dass sie dem im Sprechakt ausgedrückten illokutionären Gehalt entspricht. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass bei deklarativen illokutionären Akten keine weitere Handlung erfolgreich ausgeführt werden muss außer dem Sprechakt selbst, damit der ausgedrückte
176
Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
propositionale Gehalt wahr wird. Damit sich im Fall eines direktiven illokutionären Aktes die Welt entsprechend dem ausgedrückten propositionalen Gehalt verändert, muss der Adressat der Aufforderung zunächst nachkommen. Wenn ich jemanden auffordere, das Fenster zu schließen, dann muss der Adressat der Aufforderung zuerst nachkommen, also das Fenster schließen, damit der ausgedrückte propositionale Gehalt einem Sachverhalt in der Welt entspricht. Durch den Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes wird dagegen der Sachverhalt, der durch den propositionalen Gehalt benannt wird, durch den Sprechakt selbst erschaffen. Den deklarativen Sprechakten sprechen Searle und Vanderveken daher eine doppelte Passensrichtung zu: The double direction of fit is found in the declarative illocutionary point. In a declarative illocution the speaker makes the world match the propositional content simply by saying that the propositional content matches the world. (Searle, Vanderveken, 1985, S. 53f.)
Ein deklarativer Sprechakt ist dann erfolgreich vollzogen, wenn der dem ausgedrückten propositionalen Gehalt entsprechende Sachverhalt nach der Äußerung in der Welt existiert. All successful declarations have a true propositional content and in this respect declarations are peculiar among speech acts in that they are the only speech acts whose successful performance is by itself sufficient to bring about a word-world fit. (Searle, Vanderveken, 1985, S. 57)
Bei deklarativen Sprechakten gibt es keine Grade der Stärke der illokutionären Kraft, denn entweder existiert der entsprechende Sachverhalt nach dem Vollzug des Sprechakts oder nicht. Beispielsweise ist der deklarative Sprechakt »Hiermit ernenne ich dich zum Vorsitzenden.« dann erfolgreich vollzogen, wenn der Angesprochene nach Vollzug dieses Sprechakts Vorsitzender ist. D.h. die Proposition »dass du Vorsitzender bist« ist dann wahr, wobei sich dieser Sachverhalt, um es zu wiederholen, erst durch den Vollzug des Sprechaktes und keiner weiteren Handlung eingestellt hat.56 Damit dies geschehen kann, muss der Sprecher diesen Typ 56 Manchmal scheint es aber, entgegen dem was Searle zu Deklarativen sagt, nicht hinreichend, dass eine sprachliche Handlung vollzogen wird, damit der durch die Proposition ausgedrückte Sachverhalt in der Welt zu existieren beginnt. In solchen Fällen könnte man annehmen, dass Deklarationen aus mehreren Teilakten bestehen. Es könnte in einem solchen Fall so sein, dass die sprachliche Äußerung nur ein Teilakt der gesamten Deklaration ist. D.h. dass der Vorsitzende beispielsweise erst dann Vorsitzender ist, wenn eine dazu berechtigte Person sagt: »Ich ernenne dich hiermit zum Vorsitzenden.« und diese Person ihm dann auch noch ein rotes Hütchen aufsetzt. Die Handlung »ein rotes Hütchen aufsetzen« wäre dann eine zweite Teilhandlung der Deklaration. Aber auch in einem solchen Fall ist die Beschreibung richtig, dass eine Person nur durch die Deklaration (und keiner weiteren Handlung) Vorsitzender wird. Hier ist es nur so, dass die sprachliche Äußerung alleine nicht ausreicht, um
Vorüberlegungen: Der deklarative illokutionäre Akttyp
177
illokutionärer Akte in einem geeigneten Kontext vollziehen. Deklarative Sprechakte benötigen daher normalerweise außersprachliche Institutionen. Unter »außersprachlichen Institutionen« versteht Searle ein System konstitutiver Regeln, das neben den konstitutiven Regeln der Sprache existieren muss: Notice that all of the examples we have considered so far involve an extra-linguistic institution, a system of constitutive rules in addition to the constitutive rules of language, in order that the declaration may be successfully performed. […] It is only given such institutions as the church, the law, private property, the state and a special position of the speaker and hearer within these institutions that one can excommunicate, appoint, give, and bequeath one’s possessions or declare war. (Searle, 1975, S. 12)
Dass Searle diese Institutionen außersprachlich nennt, darf nicht so verstanden werden, dass diese ohne oder völlig unabhängig von Sprache existieren würden. Wie seine Beispiele zeigen, handelt es sich vielmehr um solche Einrichtungen, die mehr als nur den Sprachgebrauch regeln. Um diese Institutionen als System von Regeln verstehen zu können, muss es möglich sein, die jeweiligen konstitutiven Regeln sprachlich zu explizieren. Klarerweise muss diese Explikation aber nicht vorgenommen werden, damit das entsprechende Regelsystem gültig ist. Für das oben genannte Beispiel der Ernennung zum Vorsitzenden muss der Sprecher eine entsprechende Position haben, die ihm die nötige Kompetenz (oder Macht) verleiht, diesen Sprechakt erfolgreich auszuführen. Normalerweise hat der Sprecher diese Position schon vor dem Vollzug des Sprechaktes. Dass der Sprecher eine solche Position hat, ist durch das Vorhandensein entsprechender Institutionen zu erklären, wie Searle sie im obigen Zitat aufführt. Es gibt auch deklarative Sprechakte, die keiner außersprachlichen Institutionen bedürfen, nämlich solche, die sich nur auf Sprachliches beziehen, wie Definitionen. (Searle, 1975, S. 12) Um die Verwendungsweise eines bestimmten Ausdrucks im Rahmen seines Textes festzulegen, muss der Autor nichts weiter tun, als dies zu äußern. Viele – aber nicht alle sozialen Tatsachen werden durch den Vollzug deklarativer Sprechakte erschaffen. Es lassen sich Fälle denken, in denen ein Gegenstand einen bestimmten Status hat, ohne dass ihm dieser explizit zugesprochen worden wäre. So könnten Nachbarn einen sehr schmalen und nicht besonders tiefen Graben als Grenze zwischen ihren Grundstücken ansehen, ohne dass dies jemals ausgesprochen worden wäre. Dass aber der Graben als eine Grenze zählt, ist nur möglich, weil es bestimmte Institutionen gibt, wie z. B. die den entsprechenden Status zu verleihen, weil die sprachliche Äußerung nur eine Teilhandlung der Deklaration ist. Eine andere Möglichkeit ist anzunehmen, dass die Handlung des Hütchenaufsetzens als ein Teil des Kontextes angesehen wird, in dem die Deklaration erfolgreich ausgeführt werden kann.
178
Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
des Privateigentums und weil es in diesem Fall die gemeinsame Akzeptanz gibt, dem Graben diesen Status zu verleihen. In diesem Beispiel zählt ein physikalischer Gegenstand (der Graben) als ein Gegenstand einer anderen Art (als Grenze). Der Status des Grabens, Grenze zu sein, ist mit Statusfunktionen (z. B. das Privateigentum des einen Nachbarn von dem des anderen zu trennen) verbunden. Eine Statusfunktion ist eine Funktion, die ein Gegenstand nur dann erfüllen kann, wenn dieser Gegenstand einen entsprechenden Status verliehen bekommen hat. Der Graben hat nur deshalb die Funktion, das eine Grundstück von dem anderen zu trennen, weil der Graben als Grenze zählt. Dass der Graben sehr schmal und nicht tief ist, zeigt, dass es nicht (bzw. nicht in erster Linie) die physischen Merkmale des Grabens sind, die den Graben die Funktionen der Grenze erfüllen lassen. Wird eine soziale Tatsache durch einen Sprechakt erschaffen, dann existiert, nach dem erfolgreichen Vollzug des Sprechaktes, der Sachverhalt, der dem propositionalen Gehalt der Äußerung entspricht: In declarations the state of affairs represented by the propositional content of the speech act is brought into existence by the successful performance of that very speech act. Institutional facts can be created with the performative utterance of such sentences as »The meeting is adjourned,« »I appoint you as chairman,« »War is hereby declared,« etc. These utterances create the very state of affairs that they represent; and in each case, the state of affairs is an institutional fact. (Searle, 1995, S. 34)
Das, was bei dem Vollzug eines deklarativen Sprechaktes vonstattengeht, kann folgendermaßen beschrieben werden: Es gibt einen Sachverhalt oder ein Objekt, dem durch den Vollzug des deklarativen Sprechaktes ein neuer Status zugewiesen wird, an welchem bestimmte Statusfunktionen hängen. Mit dem erfolgreichen Vollzug des Sprechaktes »Hiermit erkläre ich dich zum Vorsitzenden.« erhält der Adressat des Sprechaktes einen neuen Status, nämlich Vorsitzender zu sein. Für derartige Vorgänge formuliert Searle so genannte konstitutive Regeln.
4.2.1 Konstitutive Regeln Searle formuliert eine allgemeine Form konstitutiver Regeln zur Schaffung sozialer Tatsachen: »X counts as Y in context C.« Wie diese Regel verstanden werden soll, versucht Searle anhand eines Beispiels zu erklären: But when we say that such and such bits of paper count as money, we genuinely have a constitutive rule, because satisfying the X term, »such and such bits of paper,« is not by itself sufficient for being money, nor does the X term specify causal features that would be sufficient to enable the stuff to function as money without human agreement. So the
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application of the constitutive rule introduces the following features: The Y term has to assign a new status that the object does not already have just in virtue of satisfying the X term; and there has to be collective agreement, or at least acceptance, both in the imposition of that status on the stuff referred to by the X term and about the function that goes with that status. (Searle, 1995, S. 44)
Die Beispiele, die Searle hierbei im Sinn hat und auf die sich diese konstitutiven Regeln anwenden lassen, sind solche, bei welchen ein physikalischer Gegenstand bereits besteht (bezeichnet durch den Terminus X); diesem wird kraft der kollektiven Übereinkunft oder Akzeptanz ein neuer Status und eine Funktion (oder mehrere), die mit diesem Status einhergeht, zugewiesen. Dieser neue Status ist eine neue Eigenschaft des Gegenstandes, welche keine physikalische Eigenschaft ist. Beispielsweise die Eigenschaft einer Person Vorsitzender zu sein, kann nicht erschöpfend physikalisch oder auch psychologisch beschrieben werden, so Searle: Any newspaper records facts of the following sort: Mr Smith married Miss Jones; the Dodgers beat the Giants three to two in eleven innings; Green was convicted of larceny ; and Congress passed the Appropriations Bill. There is certainly no easy way that the classical picture can account for facts such as these. That is, there is no simple set of statements about physical or psychological properties of states of affairs to which the statements of facts such as these are reducible. A marriage ceremony, a baseball game, a trial, and a legislative action involve a variety of physical movements, states and raw feels, but a specification of one of these events only in such terms is not so far a specification of it as a marriage ceremony, baseball game, a trial, or a legislative action. […] Such facts as are recorded in my above group of statements I propose to call institutional facts. They are indeed facts; but their existence, unlike the existence of brute facts, presupposes the existence of certain human institutions. (Searle, 1969, S. 51)
Soziale Tatsache wie, dass eine Frau und ein Mann verheiratet sind, oder dass eine bestimmte Person Vorsitzender einer Partei ist, kann es nur geben, wenn es die oben genannten (sprachlichen oder außersprachlichen) Institutionen als konstitutives Regelsystem bereits gibt. Das Erschaffen sozialer Tatsachen geschieht oft durch den Vollzug deklarativer illokutionärer Akte. [P]erformatives play a special role in the creation of institutional facts, because the status-function marked by the Y term in the formula »X counts as Y« can often, though not always, be imposed simply by declaring it to be imposed. This is especially true where the X term is itself a speech act. (Searle, 1995, S. 55)
Dass dies möglich ist, setzt wiederum voraus, dass es durch die entsprechende Institution geregelt ist, mit deklarativen illokutionären Akten soziale Tatsachen schaffen zu können. Sprachlichen Äußerungen kann damit auch kraft konstitutiver Regeln ein bestimmter Status zugewiesen werden. Der X-Term in der allgemeinen Form konstitutiver Regeln kann also auch einen Sprechakt be-
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Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
zeichnen. Die konstitutive Regel besagt für die genannten Beispiele, dass die betreffende sprachliche Äußerung als eine Deklaration zählt. Die Deklaration ist damit das, was in diesem Fall mit dem Y-Terminus bezeichnet wird; also der Status, den der Sprechakt zugewiesen bekommt. An einen solchen Status sind normalerweise bestimmte Rechte, Pflichten oder Funktionen gebunden, die dem zukommen, der diesen Status erhält. Eine sprachliche Äußerung, die als deklarativer illokutionärer Akt zählt, hat durch die konstitutiven Regeln die »Kraft«, eine neue soziale Tatsache zu schaffen. Kontexte, in denen eine sprachliche Äußerung als deklarativer illokutionärer Akt gilt, sind die geeigneten Bedingungen, unter welchen der Sprechakt erfolgreich vollzogen werden kann. Welche Umstände als geeignet gelten, hängt von dem jeweiligen deklarativen Akt ab, der vollzogen wird: die einer Eheschließung sind naheliegenderweise andere als die einer Kriegserklärung. Gewöhnlich gehören zu den geeigneten Bedingungen bestimmte Eigenschaften, über die der Sprecher (z. B. eine gewisse Autorität besitzen, befugt sein, bestimmte Kompetenzen haben) und der Adressat (volljährig oder zustimmungsfähig sein) verfügen müssen, sowie Anforderungen, die die Situation betreffen, in welcher der Sprechakt vollzogen wird (der Standesbeamte verfügt zwar prinzipiell über die Befugnis Ehen zu schließen, kann dies aber nicht ohne weiteres auf der Weihnachtsfeier des Standesamtes tun). Wenn es also eine oder mehrere konstitutive Regeln gibt, die einer sprachlichen Äußerung den Status eines deklarativen Sprechakts zuweisen und diese Äußerung in einem passenden Kontext vollzogen wird, wird dadurch eine neue soziale Tatsache geschaffen.
4.2.2 Erschaffende deklarative illokutionäre Akte Bisher war nur die Rede von deklarativen Akten, die neue soziale Tatsachen erschaffen und zwar nur in dem Sinn, dass eine soziale Tatsache dadurch erschaffen wird, dass einem bereits existierenden Gegenstand ein neuer Status verliehen wird. In Making the Social World räumt Searle nun auch die Möglichkeit ein, dass durch deklarative Akte nicht nur existierenden Gegenständen neue Eigenschaften verliehen werden, sondern neue Gegenstände erschaffen werden. Beispiele für solche Gegenstände sind Korporationen und Organisationen. Zwar kann es eine Person geben, die z. B. Präsident einer Korporation ist, mehrere Personen können Anteilseigner sein usw., aber es gibt keinen konkreten Gegenstand, der als Korporation zählt.
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In this case we seem to have created a remarkably potent object, a limited liability corporation, so to speak out of thin air. No preexisting object was operated on to turn it into a corporation. Rather, we simply made it the case by fiat, by Declaration, that the corporation exists. (Searle, 2010, S. 98)
Wird durch einen deklarativen Akt ein neuer Gegenstand erschaffen, kann die Formel »X counts as Y in context C« in dieser Form nicht angewendet werden, denn es gibt dann keinen bereits existierenden (physischen) Gegenstand, den in anderen Fällen der X-Term bezeichnet. In Fällen wie der Erschaffung von Korporationen spricht Searle von einem »freistehenden Y-Ausdruck«. Für diese Fälle formuliert er : »We make it the case by Declaration that the Y status function exists in context C.« (Searle, 2010, S. 99) Zwei Arten von Deklarationen können daher voneinander unterschieden werden: 1. Fälle, in denen einem bereits existierenden, physischen Gegenstand per Deklaration ein neuer Status (und entsprechende Statusfunktionen) zugeschrieben wird. (»We make it the case by Declaration that object X now has the status function Y in C.« (Searle, 2010, S. 99)) 2. Fälle, in denen per Deklaration ein neuer Gegenstand erschaffen wird und diesem ein bestimmter Status mit bestimmten Statusfunktionen zugewiesen wird. Das Besondere an diesen Fällen ist, dass es keinen konkreten Gegenstand gibt, dem Statusfunktionen zugewiesen würden. Damit ein konkreter Gegenstand z. B. Träger eines Amtes werden kann und somit bestimmte Statusfunktionen erfüllen kann, wird häufig schon bevor es einen konkreten Träger gibt, festgelegt, welche Statusfunktionen ein möglicher Träger erfüllen kann. Solche Festlegungen sind ebenfalls deklarative illokutionäre Akte. Deklarative illokutionäre Akte dieser Art müssen von den beiden oben genannten Fällen unterschieden werden, denn auf sie trifft keine der beiden oben genannten Beschreibungen zu. Thomasson bezeichnet z. B. Ämter als abstrakte Artefakte. Ein Amt als einen abstrakten Gegenstand zu verstehen, heißt diesen Gegenstand als einen nicht-physischen Gegenstand zu verstehen. Eine Korporation ist in diesem Sinn ein Gegenstand. Doch das Amt unterscheidet sich in einer wichtigen Hinsicht von der Korporation: Bei einer Korporation kann es keinen physischen Gegenstand geben, der alle entsprechenden Statusfunktionen erhält, die die Korporation hat. Ein Amt kann aber einen Träger haben. Wer zum Träger eines Amtes wird, erhält damit einen neuen Status. Als Träger des Amtes hat er genau die Eigenschaften (wie bestimmte Rechte und Pflichten haben), die an dieses Amt gebunden sind. Damit einher geht, dass der Träger auch bestimmte Funktionen erfüllen kann, die er nur erfüllen kann, weil er den Status hat, Amtsträger zu sein. Indem ich ein Amt als einen nicht-physischen Gegenstand auffasse, unterscheide ich dieses Amt von seinem Träger. Ein Amt kann erschaffen werden,
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Die Konstruktion fiktiver Gegenstände
ohne dass es schon (in diesem Moment) einen Träger des Amtes geben müsste. Das Amt von dem Träger des Amtes zu unterschieden, ist sinnvoll, weil über das Amt wahre Aussagen gemacht werden können, die in Bezug auf den Träger des Amtes nicht wahr wären. In dieser Weise argumentiert auch Tichy´, indem er einige Aussagen aufzeigt, die auf das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zutreffen, nicht aber auf den Amtsinhaber : Straightforward as this point is, most philosophers show a reflex compulsion to deny it [they deny that there are two distinct items, namely the office and the bearer]. […] Likewise, they will insist that (a) the American President is nothing other than (b) Gerald Ford. (a) and (b) are deemed to be one and the same item. Yet there are innumerable arguments showing that (a) is distinct from (b). Here are some examples: (i) Mc Govern endeavoured to become (a) but not (b). (ii) Nixon was elected to be (a) but not (b). (iii) Gerald Ford only happens to be (a); but he cannot possibly fail to be (b). (Tichy´, 1978, S. 2f.)
Der Ausdruck »der amerikanische Präsident« wird sowohl dafür verwendet, um auf das Amt Bezug zu nehmen, als auch, um auf den jeweiligen Amtsinhaber Bezug zu nehmen. Es lässt sich aber herausfinden, auf welchen Gegenstand mit einer konkreten Äußerung Bezug genommen wird. Weil das Amt andere Eigenschaften hat als der Träger des Amtes, kann in Äußerungen der Ausdruck »der amerikanische Präsident« nicht beliebig ersetzt werden durch den Ausdruck »das Amt des Präsidenten« einerseits und den Namen des jeweiligen Amtsinhabers (z. B. »Gerald Ford«) andererseits, ohne dass sich der Wahrheitswert der Aussage ändern würde. Damit einem konkreten Gegenstand neue Eigenschaften verliehen werden können wie amerikanischer Präsident oder Vorsitzender einer Partei zu sein, wird in vielen Fällen schon vor dieser Deklaration eine andere Deklaration vollzogen, nämlich eine solche, mit der ein abstraktes Artefakt wie ein Amt erschaffen wird. An dieses Amt werden Eigenschaften gebunden, die dann einem späteren Träger des Amtes verliehen werden. Unterscheiden lassen sich also die folgenden Fälle: 1. Deklarationen, mit welchen Gegenstände, die einen Träger haben können, erschaffen werden und diesen Gegenständen Eigenschaften zugewiesen werden 2. Deklarationen, mit welchen existierenden Gegenständen neue Eigenschaften zugewiesen werden, wie z. B. Träger eines Amtes zu sein 3. Deklarationen, mit welchen Gegenstände erschaffen werden, die keinen Träger haben, und diesen Gegenständen Eigenschaften zugewiesen werden.
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4.2.3 Ein Beispiel: Die Konstruktion eines Amtes Zu Beginn dieses Kapitels habe ich die Frage gestellt, wie eine sprachliche Äußerung beschrieben werden kann, die die Kraft hat, einen fiktiven Gegenstand zu erschaffen. Fiktive Gegenstände wurden als abstrakte Artefakte bezeichnet so wie Ämter. Ich werde im Folgenden zeigen, dass fiktive Gegenstände mit Ämtern nicht nur gemeinsam haben, dass sie als abstrakte Artefakte bezeichnet werden können, sondern dass auch bei fiktiven Gegenständen zwischen dem abstrakten Gegenstand, der von einem Autor erschaffen wird einerseits, und einem Träger andererseits unterschieden werden muss. Um diese These plausibel machen zu können, werde ich im Folgenden in einem ersten Schritt eine Analyse eines deklarativen illokutionären Aktes vornehmen, mit welchem ein Amt erschaffen wird. Bei dieser Analyse orientiere ich mich an den Aspekten und Bedingungen, die Searle für den illokutionären Akt des Versprechens untersucht hat. Hierfür nehme ich folgende Situation an: Die Mitglieder einer neuen Partei »Die Banditen« kommen in einer Sitzung zusammen und möchten in ihrer Partei bestimmte Strukturen aufbauen. Daher soll ein neues Amt, nämlich das Amt des Parteivorsitzenden eingeführt werden. Es geht also zu diesem Zeitpunkt noch nicht darum, eine Person in dieses Amt zu wählen, sondern dieses Amt zu allererst ins Leben zu rufen. Wie kann nun diese blumige Formulierung »ein Amt ins Leben rufen« verstanden werden? Ein Amt kann ins Leben gerufen werden, indem erklärt wird, dass dieses Amt ab einem bestimmten Zeitpunkt existiert. Dass es existiert, heißt, dass eine Person in dieses Amt gewählt werden kann und mit den Rechten und Pflichten, die an dieses Amt gebunden sind, ausgestattet wird. Dieses Amt verstehe ich als ein abstraktes Artefakt. Wie bereits erwähnt: Abstrakt ist es, gemäß der hier vorgeschlagenen Verwendung von »abstrakt«, weil es kein räumlicher Gegenstand ist. Es ist ein Artefakt, weil es erschaffen wird, und zwar durch den Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes. Die Frage nach den Bedingungen der Existenz eines solchen Gegenstandes kann hier nicht ausführlich beantwortet werden. Die folgenden Überlegungen sollen daher nur als ein Vorschlag angesehen werden: Das Amt des Parteivorsitzenden der Banditen-Partei ist starr historisch abhängig (Thomasson, 2008, S. 31f.) von dem Vollzug eines konkreten deklarativen illokutionären Aktes. (s. Kapitel 3.2) Ein solches Amt ist von der Zustimmung oder Akzeptanz einer bestimmten Gruppe oder evtl. auch einer einzelnen Person abhängig. Denn, ebenfalls durch den Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes, können Ämter wieder abgeschafft werden, nachdem sie eingeführt wurden. Das Amt scheint auch generisch konstant abhängig davon zu sein, dass es in der bestimmten Gruppe die Praxis gibt, dass eine Person für dieses Amt bestimmt wird oder hineingewählt wird oder zumindest scheint die Existenz des Amtes davon
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abhängig, dass es innerhalb der Gruppe weiter vorgesehen ist, dass dieses Amt besetzt wird. Es scheint auch möglich, dass ein Amt dadurch aufhört zu existieren, dass es in Vergessenheit gerät, weil z. B. die Praxis des Besetzens dieses Amtes nicht mehr ausgeführt wird. Eine Äußerung, mit der das Amt des Vorsitzenden ins Leben gerufen wird, könnte lauten: »Das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei wird mit der Pflicht, regelmäßig Mitgliederversammlungen zu organisieren (MV-Pflicht) und dem Recht, einen Protokollanten zu bestimmen (P-Recht) ausgestattet. In dieses Amt können nur Parteimitglieder der Banditen-Partei gewählt werden und zwar für einen Zeitraum von zwei Jahren. Die erste Wahl findet am 1. 6. 2017 statt.«
In diesem Beispiel soll die Äußerung schriftlich vollzogen werden. Weiter kann man sich vorstellen, dass im Vorfeld über die Einführung dieses neuen Amtes diskutiert wurde. Solche Äußerungen im Rahmen einer Diskussion unterscheiden sich aber von der hier genannten Beispiel-Äußerung. Letztere ist ein deklarativer illokutionärer Akt. Dieser ist die sprachliche Handlung, von der das Amt starr historisch abhängig ist. Wird das Amt in einer Äußerung genannt, z. B. während einer Diskussion im Vorfeld, wird damit kein Amt erschaffen. Dies passiert nicht, weil es sich bei den Beiträgen in der Diskussion gerade nicht um deklarative illokutionäre Akte handelt. Es sind aber nur sprachliche Äußerungen, die als deklarative illokutionäre Akte beschrieben werden können, die etwas erschaffen können. Die Äußerungen in der Diskussion könnten Vorschläge, Forderungen oder Behauptungen usw. sein. Es reicht also nicht aus, dass der Gegenstand (hier das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei) genannt wird, sondern diese Nennung muss im Rahmen eines deklarativen illokutionären Aktes vorkommen. In Speech Acts nimmt Searle eine Analyse von Versprechen als Beispiel für einen illokutionären Akt vor. (Searle, 1979, S. 57) Im Folgenden sollen Aspekte und Bedingungen, die Searle bei Versprechen untersucht hat, analog dazu für deklarative illokutionäre Akte an dem Beispiel der Einführung des Amts des Parteivorsitzenden der Banditen-Partei untersucht werden. 4.2.3.1 Input- und Output-Bedingungen Unter Input- und Output-Bedingungen versteht Searle Bedingungen, die generell für alle Sprechakte gültig sind. Die Output-Bedingungen beziehen sich auf den Sprecher, die Input-Bedingungen auf den Adressaten. (Searle, 1969, S. 57) In beiden Fällen sind dies Bedingungen, deren Erfüllung den Kommunikationsteilnehmern auf eine ganz grundsätzliche Art die Kommunikation ermöglicht. Sind diese Bedingungen erfüllt, ist sichergestellt, dass sie an der Kommunikation
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teilnehmen können. Handelt es sich bei den vollzogenen Sprechakten um mündliche Äußerungen, muss der Sprecher in der Lage sein, diese zu äußern; der Adressat muss fähig sein, diese zu hören. Diese Bedingungen stellen sicher, dass der Sprechakt als phonetischer Akt zunächst gelingt. Des Weiteren müssen beide der Sprache, in der gesprochen wird, mächtig sein. Dies stellt sicher, dass der Sprechakt als phatischer Akt glückt. So, wie Bedingungen für das Glücken des Sprechakts als phonetischer und phatischer Akt angenommen wurden, können auch generelle Input- und Output-Bedingungen formuliert werden, die das Glücken des Sprechaktes als illokutionären Akt betreffen. Sprecher und Adressat müssen wissen, dass sprachliche Äußerungen als Vollzug eines illokutionären Typs zählen können. Das heißt nicht, dass sie über das sprechakttheoretische Vokabular verfügen müssen, um formulieren zu können, um welche Art von illokutionärem Akt es sich handelt. Kompetente Sprecher müssen aber in der Lage sein, zu erkennen, dass es sich bei einer sprachlichen Äußerung nicht nur um das bloße Äußern von Wörtern handelt, sondern dass der Sprecher mit einer sprachlichen Äußerung eine Handlung vollzieht, die als bloße Äußerung von Wörtern nicht richtig beschrieben wäre. Sprecher und Adressat müssen den illokutionären Zweck kennen. Damit ein Sprechakt als illokutionärer Akt glücken kann, es also nicht zu Missverständnissen kommt, muss der Sprecher auch dafür Sorge tragen, dass die illokutionäre Rolle seiner Äußerung richtig verstanden werden kann. Was heißt das für das Beispiel? Die Input- und Output-Bedingungen, die für die Äußerung als grafischen und phatischen Akt gelten, müssen nicht weiter diskutiert werden. Wie kann aber deutlich gemacht werden, dass es sich bei dieser Äußerung um einen deklarativen illokutionären Akt handelt? Nach der Beschreibung des Beispiels handelt es sich bei der Beispiel-Äußerung um eine schriftliche Äußerung. Damit die Äußerung als ein deklarativer Akt von Lesern erkannt werden kann, kann die Äußerung nicht an beliebigen Stellen aufgeschrieben werden, sondern muss an einer Stelle platziert sein, die als angemessener Ort für einen deklarativen illokutionären Akt angesehen wird. 4.2.3.2 Regeln des propositionalen Gehalts Typischerweise wird mit einer Äußerung, mit der ein deklarativer illokutionärer Akt ausgeführt wird, auch ein propositionaler Akt vollzogen, denn der Zweck dieses illokutionären Aktes ist es, den der Proposition entsprechenden Sachverhalt zu erschaffen. Der propositionale Akt besteht seinerseits paradigmatischerweise aus dem Vollzug der Teilakte der Referenz und der Prädikation. Wie ist das bei der Äußerung »Das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei wird mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet.« zu verstehen?
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Mit dem Ausdruck »das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei« nimmt der Sprecher auf das entsprechende Amt Bezug (der Akt der Referenz); mit »wird mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet« spricht er dem Amt die Eigenschaft zu, mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet zu sein. Wie das jeweils zu verstehen ist, soll nun erläutert werden. 4.2.3.2.1 Der Akt der Referenz Nun habe ich aber das Beispiel so konstruiert, dass es vor dem Vollzug dieser Äußerung das betreffende Amt noch nicht gab. Dies scheint ein Problem zu sein, denn gemäß dem Axiom der Existenz (Searle, 1969, S.77) kann nur auf etwas Bezug genommen werden, das existiert. Das Amt des Parteivorsitzenden kann aber erst nach dem Vollzug der (gesamten) Äußerung als deklarativer Akt zu existieren beginnen. Daher stellt sich die Frage: Kann mit dem Ausdruck »das Amt des Parteivorsitzenden der Banditen-Partei« im Rahmen der hier genannten Äußerung (also der Äußerung, mit welcher das Amt überhaupt erst erschaffen wird) auf das Amt des Parteivorsitzenden Bezug genommen werden? Der Akt der Referenz ist als ein echter Teilakt des gesamten Sprechaktes zu verstehen, weil dieser Akt nur durch die Äußerung eines bestimmten Ausdrucks vollzogen wird. Im Fall der Beispiel-Äußerung »Das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei wird mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet.« wird der Akt der Referenz mit der Äußerung des Ausdrucks »das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei« vollzogen (und gerade nicht mit der Äußerung von »wird mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet«). Der Akt der Referenz, als ein Teilakt, ist demnach abgeschlossen, bevor der gesamte Sprechakt beendet ist. Weil aber das Amt des Vorsitzenden erst durch den erfolgreichen Vollzug des deklarativen illokutionären Aktes, d. h. der gesamten Äußerung als Deklaration, zu existieren beginnt, ist dieses Amt ein Gegenstand, der vom Zeitpunkt der Äußerung des Ausdrucks »das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei« aus gesehen, in der Zukunft existiert. Searle möchte aber, darauf wurde schon in Kapitel 1.6.1 hingewiesen, dass nicht nur auf etwas Bezug genommen werden kann, das aktuell, also zum Zeitpunkt der Äußerung des bezugnehmenden Ausdrucks existiert, sondern auch auf Gegenstände, die in der Vergangenheit existiert haben oder erst in der Zukunft existieren werden. (Searle, 1969, S. 77) Das heißt: Auch mit der erstmaligen Nennung dieses Amtes kann auf dieses Amt schon Bezug genommen werden, auch wenn es erst mit dem vollständigen und erfolgreichen Vollzug der gesamten Äußerung, dessen Teil die Bezugnahme ist, zu existieren beginnt. Die »liberale« Verwendung von »existieren«, die Vergangenes und Zukünftiges mit einschließt, erlaubt auch, dass auf das Amt mit den Äußerungen in den Diskussionen im Vorfeld des deklarativen illokutionären Aktes Bezug genom-
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men wird.57 Dass auf das zukünftige Amt Bezug genommen wird, ist daher keine Besonderheit des deklarativen illokutionären Aktes. Die Besonderheit liegt aber darin, dass durch dessen Vollzug das Amt zu existieren beginnt. Gemäß der Searleschen Konzeption deklarativer illokutionärer Akte hat eine sprachliche Äußerung qua deklarativem illokutionären Akt die Kraft, dass der mit dem propositionalen Akt ausgedrückte Sachverhalt nach der Äußerung in der Welt existiert. In diesem Fall heißt das, dass es ein Amt des Parteivorsitzenden gibt. Der Akt der Referenz ist nur ein Teilakt des propositionalen Aktes. Es kann nicht ausreichen, nur diesen Teilakt zu vollziehen, um das Amt ins Leben zu rufen. Denn nicht der Akt der Referenz hat die gerade beschriebene Kraft, sondern die gesamte Äußerung als illokutionärer Akt. Das Amt des Vorsitzenden beginnt daher nur dann zu existieren, wenn die gesamte Äußerung erfolgreich vollzogen wurde. Es ist offensichtlich, dass durch einen deklarativen illokutionären Akt nicht beliebige Gegenstände erschaffen werden können. Sofern mit einem deklarativen illokutionären Akt ein Gegenstand (oder Gegenstände) erschaffen werden, kann es sich dabei nicht um einen physikalischen Gegenstand handeln: Stühle, Tische, Katzen und Menschen können klarerweise nicht auf diese Weise erschaffen werden. Dieser Umstand erscheint so selbstverständlich, dass er eigentlich nicht weiter erwähnenswert wäre. Allerdings lässt sich daraus eine Gelingensbedingung für deklarative Akte bzgl. des propositionalen Aktes ableiten: Mit dem Akt der Referenz darf bei erschaffenden deklarative Akten nicht auf einen physikalischen Gegenstand Bezug genommen werden.
Im Rahmen eines deklarativen illokutionären Aktes kann aber auch auf physikalische Gegenstände Bezug genommen werden. Die Funktion des deklarativen illokutionären Aktes ist es dann aber klarerweise nicht, dass ein Gegenstand erschaffen wird. In diesen Fällen wird dagegen einem (nicht per Deklaration erschaffenen) Gegenstand eine neue Eigenschaft zugewiesen.
57 Angenommen in der Diskussionen, die innerhalb der Partei bzgl. der Amtseinführung geführt wurden, behauptet ein Parteimitglied: »Dieses Amt wird uns großen Ärger bereiten.«, nimmt der Sprecher dieser Behauptung auf das zukünftige Amt des Parteivorsitzenden Bezug. Falls aber dieses Amt doch nicht eingerichtet wird, wird es auch in der Zukunft kein solches Amt geben. Daher scheint es so, dass die Frage, ob der Akt der Referenz bei dieser Behauptung glückt oder nicht, erst in der Zukunft entschieden werden kann. Diese Schwierigkeit ergibt sich jedoch nicht nur bei Gegenständen wie dem Amt des Parteivorsitzenden. Allerdings sehe ich in diesem Umstand keine große Schwierigkeit, da es unserer Sprachpraxis entspricht, Aussagen über die Zukunft erst im Nachhinein beurteilen zu können.
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4.2.3.2.2 Der Akt der Prädikation Indem mit dem Ausdruck »wird mit der MV-Pflicht und dem P-Recht ausgestattet« prädiziert wird, werden dem Amt Eigenschaften zugesprochen. »Zusprechen« heißt in diesem Fall nicht, dass über das Amt ausgesagt wird, dass es die entsprechenden Eigenschaften hat, sondern dass ihm durch den Vollzug des deklarativen illokutionären Aktes Eigenschaften verliehen werden. Wie ist dies aber in Bezug auf das Amt des Parteivorsitzenden, also einen abstrakten Gegenstand zu verstehen? Abstrakte Gegenstände haben keine Rechte oder Pflichten und sie können diese auch nicht per Deklaration erhalten.58 Dass ein Amt mit Rechten und Pflichten ausgestattet wird, heißt, dass der Träger des Amtes bestimmte Rechte und Pflichten erhält. Dass ein Amt mit Rechten und Pflichten ausgestattet wird, oder dass an ein Amt Rechte und Pflichten gebunden sind, heißt nicht, dass ein abstrakter Gegenstand Rechte und Pflichten hat. Man kann es so formulieren: Per Deklaration kommt dem Amt die höherstufige Eigenschaft zu, dass sein Träger bestimmte Rechte und Pflichten hat. Diese höherstufige Eigenschaft kann ein abstraktes Artefakt durchaus haben. Es müssen also einerseits Eigenschaften unterschieden werden, die einem Amt als abstraktem Gegenstand zukommen und andererseits Eigenschaften, die einem konkreten Gegenstand als Träger des Amtes zukommen. Eigenschaften, die ein abstrakter Gegenstand haben kann, sind beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt und von bestimmten Personen erschaffen zu sein. Die Eigenschaften, über welche in deklarativen Akten prädiziert wird, sind typischerweise aber solche, die nur an das Amt gebunden sind. Sie sind Eigenschaften, die dem Träger des Amtes zukommen. Auch mit deklarativen illokutionären Akten in Fällen, bei welchen es einen Gegenstand X gibt, können nicht beliebige Propositionen ausgedrückt werden, da Sprecher klarerweise auch einem physischen Gegenstand nicht jede Eigenschaft deklarativ verleihen können. Die Eigenschaften müssen so sein, dass ein Gegenstand sie allein durch den Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes bekommen kann. Damit fallen Eigenschaften wie Größe, Gewicht, Farbe oder Form weg, da es offensichtlich nicht in der Macht gewöhnlicher Sprecher liegt, einen Gegenstand in einer oder mehrerer dieser Hinsichten allein durch den Vollzug eines Sprechaktes zu verändern. Die Eigenschaften, die einem Gegenstand durch den Vollzug eines deklarativen illokutionären Aktes zukommen, sind von dem Vorhandensein von Institutionen und kollektiver Intentionalität abhängig. 58 Diese Aussage muss evtl. eigeschränkt werden, wenn es zutrifft, dass Korporationen, Organisationen und ähnliche abstrakte Gegenstände Rechte und Pflichten haben. Es müsste genauer untersucht werden, inwieweit auch in diesen Fällen, bestimmte Funktionen sowie Rechte und Pflichten letztlich doch an konkrete Personen gebunden werden. Wahrscheinlich müssten für eine solche Untersuchung Juristen zu Rate gezogen werden.
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Daher lassen sich die Gelingensbedingungen bzgl. des Aktes der Prädikation bei deklarativen illokutionären Akten formulieren: Die Eigenschaften, die einem Gegenstand durch den Akt der Prädikation bei deklarativen illokutionären Akten verliehen werden, können nur solche sein, die nicht (oder zumindest nicht vollständig) physikalisch beschreibbar sind. (Eine Eigenschaft, die einem Gegenstand auf diese Weise zugesprochen werden kann, ist ein neuer Status, normalerweise ist dieser Status mit Statusfunktionen verbunden.)
Handelt es sich um Fälle, bei welchen auf einen bereits bestehenden physischen Gegenstand X Bezug genommen wird, wird der neue Status diesem Gegenstand selbst zugeschrieben. Handelt es sich um Fälle, bei welchen auf ein Amt (oder einen anderen ähnlichen abstrakten Gegenstand) Bezug genommen wird, werden Statusfunktionen zwar an dieses Amt gebunden, diese Statusfunktionen werden aber nicht diesem Gegenstand selbst zugeschrieben. Die betreffenden Statusfunktionen (und die damit verbundenen Statusfunktionen) erhält der künftige Träger des Amtes. Damit ein konkreter Gegenstand zum Träger des Amtes wird und die betreffenden Statusfunktionen erhält, muss ein weiterer deklarativer Akt vollzogen werden, nämlich z. B. ein deklarativer Akt der Ernennung. Diesen deklarativen Akt der Ernennung möchte ich aber von den deklarativen Akten unterscheiden, mit welchen ein Amt als abstrakter Gegenstand erschaffen wird und bestimmte Eigenschaften an dieses Amt gebunden werden. Für das Amt des Parteivorsitzenden der Banditen-Partei heißt das, dass an dieses Amt die MV-Pflicht und das P-Recht gebunden werden. Es ist aber nicht das Amt, das diese Pflichten daraufhin hat, sondern der Träger des Amtes. Einem konkreten Gegenstand muss deklarativ der Status des Amtsträgers verliehen werden, z. B. im Rahmen des deklarativen Akts der Ernennung. Durch diesen deklarativen Akt werden einem konkreten Gegenstand genau die Statusfunktionen verliehen, die an das Amt gebunden sind. Unter einem Träger eines Amtes versteht man also genau den konkreten Gegenstand, dem deklarativ der Status des Amtsträgers und damit alle an das Amt gebundenen Statusfunktionen verliehen werden. Wird eine Person in das Amt des Vorsitzenden der BanditenPartei erhoben und ein deklarativer Akt der Ernennung dieser Person zum Träger dieses Amtes vollzogen, erhält sie das MV-Recht und die P-Pflicht. Damit können drei verschiede Fälle von deklarativen illokutionären Akten unterschieden werden: 1. Deklarative Akte, mit welchen abstrakte Gegenstände erschaffen werden (und an diese Gegenstände bestimmte Statusfunktionen gebunden werden); 2. Deklarative Akte, mit welchen auf bereits durch deklarative illokutionäre Akte erschaffene Gegenstände Bezug genommen wird und an diese weitere Statusfunktionen gebunden werden;
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3. Deklarative Akte, mit welchen auf physische Gegenstände Bezug genommen wird und diesen ein Status (mit Statusfunktionen) zugeschrieben wird. Allen drei Fällen ist gemeinsam, dass ein Akt der Referenz und ein Akt der Prädiktion vollzogen wird. Allerdings wird im ersten Fall auf einen Gegenstand Bezug genommen, der allererst erschaffen wird, während die Gegenstände, auf die in den Fällen 2 und 3 Bezug genommen wird, schon vor dem Vollzug dieser deklarativen Akte existieren. 4.2.3.3 Einleitungsregeln Einheitliche Einleitungsregeln für deklarative illokutionäre Akte zu formulieren, erweist sich deshalb als schwierig, weil in dieser Klasse illokutionäre Akte zusammengefasst sind, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen stattfinden können. Wer einen deklarativen illokutionären Akt ausführt, muss dazu berechtigt sein; in vielen Fällen muss der Sprecher ein bestimmtes Amt innehaben oder eine entsprechende Autorität besitzen. Einige deklarative Akte sind an besondere Institutionen gebunden, was meistens damit einhergeht, dass nur sehr wenige berechtigt sind, die entsprechenden Akte auszuführen. Eheschließungen, Kriegserklärungen und Taufen sind Beispiele für Akte, die in besonderer Weise in Institutionen eingebunden sind. Das Abschließen von Verträgen ist ein deklarativer Akt, zu welchem weitaus mehr Sprecher berechtigt sind, diesen auszuführen. Als Gegenstand der Rechtsprechung regeln aber auch hier Gesetze, wer einen Vertrag abschließen kann. Wird ein deklarativer Akt von einem nicht-autorisierten Sprecher ausgeführt, ist der illokutionäre Akt misslungen, d. h. eine Ehe nicht geschlossen, ein Krieg nicht erklärt, ein Vertrag nicht abgeschlossen usw. Auch der Vollzug des deklarativen illokutionären Aktes, mit dem das Amt des Parteivorsitzenden erschaffen wird, muss von einer autorisierten Person durchgeführt werden. Ein Mitglied einer anderen Partei z. B. würde das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei nicht einführen können. Würde ein Mitglied der Piraten-Partei den Beispiel-Satz äußern, würde damit kein Amt in der Banditen-Partei ins Leben gerufen. 4.2.2.4 Aufrichtigkeitsbedingung Für den illokutionären Akt des Versprechens formuliert Searle die Aufrichtigkeitsbedingung, dass der Sprecher tatsächlich die Absicht haben muss, das, was mit der geäußerten Proposition ausgedrückt wird, auch ausführen zu wollen. Um aber auch unaufrichtige Versprechen, die sich gerade dadurch auszeichnen,
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dass der Sprecher nicht die Absicht hat, dem Versprochen gemäß zu handeln, als Versprechen bezeichnen zu können, modifiziert Searle die Aufrichtigkeitsbedingung in folgender Weise: »S intends that the utterance of T will make him responsible for intending to do A.« (Searle, 1969, S. 62). Wie kann diese Formulierung verstanden werden? Der illokutionäre Zweck eines Versprechens ist, dass der Sprecher sich auf eine bestimmte Handlung selbst verpflichtet. Verpflichtet sich S h zu tun (h ist die Handlung, zu welcher sich der Sprecher verpflichtet, Searle nennt diese im obigen Zitat A) und ist dabei aufrichtig, hat er auch die Absicht, h zu tun. Der mentale Zustand, der durch ein Versprechen ausgedrückt wird, ist die Absicht A, h zu tun. Der Adressat des Versprechens ist somit gerechtfertigt, zu glauben, dass S die Absicht A hat. Als kompetenter Sprecher kennt S den illokutionären Zweck eines Versprechens, weiß also, dass er sich zu etwas verpflichtet. Dass kompetente Sprecher einer Sprache dies wissen, liegt daran, dass es die Praxis des Versprechens gibt und sie in diese Praxis eingeführt wurden. Indem ein kompetenter Sprecher etwas äußert, das als ein Versprechen aufgrund des Vorhandenseins dieser Praxis gilt, hat sich der Sprecher zu etwas verpflichtet. Das Versprechen ist also zustande gekommen, unabhängig davon, ob der Sprecher die entsprechende Absicht hat oder nicht. Das Vorliegen dieser Absicht ist damit nicht notwendig für das Zustandekommen eines einzelnen Versprechen-Tokens. Dass das Vorhandensein entsprechender Absichten aber für das Zustandekommen und Bestehen der Praxis des Versprechens relevant ist, liegt auf der Hand. Zwar ist das Vorhandensein der psychischen Zustände, die durch einen illokutionären Akt ausgedrückt werden, eine Bedingung dafür, dass es sich um einen aufrichtigen Vollzug eines illokutionären Aktes handelt, ein illokutionärer Akt kann aber auch unaufrichtig vollzogen werden, also ohne dass der Sprecher tatsächlich den psychischen Zustand hat, der durch einen illokutionären Akt ausgedrückt wird. Auch bei deklarativen illokutionären Akten kann der Adressat erwarten, dass der Sprecher bestimmte Überzeugungen oder Absichten hat, allerdings scheint die Frage nach der Aufrichtigkeit des Sprechers bei Deklarationen keine oder keine große Rolle zu spielen. Deklarative illokutionäre Akte können typischerweise korrekt ausgeführt werden, auch wenn der Sprecher nicht selbst den Wunsch hat, dass der propositionale Gehalt seiner Äußerung auch wahr wird. Das Amt des Vorsitzenden der Banditen-Partei ist auch dann erfolgreich eingeführt, wenn die zum Vollzug des deklarativen illokutionären Aktes berechtigte Person nicht den Wunsch hatte, dass dieses Amt eingeführt wird. Dass der propositionale Gehalt einer Deklaration durch den Vollzug des entsprechenden illokutionären Aktes wahr wird, hängt typischerweise ganz offensichtlich nicht an Wünschen oder Absichten des Sprechers, sondern vielmehr an der ihm zugewiesenen Autorität und der kollektiven Akzeptanz der entsprechenden Praxis.
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In den normalen Input- und Output-Bedingungen wurde bereits festgelegt, dass der Sprecher die Pflicht hat, dafür zu sorgen, dass der Adressat die illokutionäre Rolle der Äußerung erkennen kann. Hätte S nur einen Scherz machen wollen und gar nicht vorgehabt, das Amt des Parteivorsitzenden einführen zu wollen, hätte er die »Pflicht«, dies hinreichend deutlich zu machen. Hierbei muss aber Folgendes beachtet werden: Man sollte Wünsche und Absichten des Sprechers bzgl. des geäußerten propositionalen Gehaltes unterscheiden von seiner Absicht, den entsprechenden illokutionären Akt zu vollziehen. Im Fall einer Kindstaufe könnten wir beispielsweise den Wunsch, dass das zu taufende Kind einen besonderen Namen erhalten soll von der Absicht, dieses Kind zu taufen unterscheiden. Ob der Pfarrer den Wunsch hat, dass das Kind einen bestimmten Namen erhält, ist gewöhnlich völlig irrelevant. Würde ein Pfarrer aber etwas äußern und hätte nicht die Absicht gehabt, eine Taufe zu vollziehen, so wäre genau zu prüfen, ob in diesem Fall tatsächlich die Taufe zustande gekommen ist.
4.3
Analyse fiktionaler Äußerungen als deklarative illokutionäre Akte: Gelingensbedingungen
Nachdem im vorherigen Kapitel deklarative illokutionäre Akte untersucht wurden, möchte ich nun in analoger Weise fiktionale Äußerungen untersuchen, um so auf die Ähnlichkeiten hinzuweisen, die zwischen diesen deklarativen und fiktionalen Akten bestehen. Diese Ähnlichkeiten sind so stark, dass ich sie als hinreichend dafür ansehe, auch fiktionale Äußerungen als Deklarative zu verstehen. Ich möchte im Folgenden zeigen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Äußerung als erfolgreicher Vollzug eines fiktionalen deklarativen illokutionären Aktes zählt. Außerdem möchte ich untersuchen, was unter dem Vollzug eines propositionalen Aktes, also den Teilakten der Referenz und der Prädikation, bei fiktionalen Äußerungen verstanden werden muss. Als Beispiel für eine Äußerung, mit der ein fiktionaler illokutionärer Akt vollzogen wird, möchte ich »Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor […]« und »Der Student Anselmus saß in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer« aus Der Goldene Topf von E.T.A. Hoffmann nehmen.
Analyse fiktionaler Äußerungen als deklarative illokutionäre Akte
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4.3.1 Input- und Output-Bedingungen Auf die Input- und Output-Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Sprechakt als phonetischer bzw. grafischer und phatischer Akt gelingt, bin ich bereits im Zusammenhang mit der Analyse des deklarativen Aktes der Amtseinführung eingegangen. Diese Bedingungen sind so formuliert, dass sie für den Vollzug illokutionärer Akte jeden Typs gültig sind. Aus diesem Grund muss auf diese Bedingungen hier nicht noch einmal eingegangen werden. Searle nennt eine weitere Bedingung, die erfüllt sein muss, damit es sich bei einer Äußerung um den Vollzug eines illokutionären Aktes handeln kann; diese zählt er ebenfalls zu den Input- und Output-Bedingungen. Sie besagt, dass es sich bei der sprachlichen Äußerung nicht um »parasitären Sprachgebrauch« handeln darf. Als Beispiele dafür nennt Searle in diesem Zusammenhang das Erzählen von Witzen und die sprachlichen Äußerungen eines Schauspielers auf der Bühne. (Searle, 1969, S. 57) Was aber genau unter parasitärem Sprachgebrauch zu verstehen ist, klärt Searle in Speech Acts genauso wenig zufriedenstellend, wie er deutlich macht, was die Merkmale der beiden genannten Beispiele sind, die diese zu einem solchen Sprachgebrauch machen.59 In The Logical Status of Fictional Discourse erklärt Searle Fiktionalität zu einem Merkmal, das sprachliche Äußerungen zu parasitärem Sprachgebrauch werden lässt. Fiktionalität ist zumindest bei paradigmatischen Fällen ein Merkmal von Witzen. Auch bei Äußerungen eines Schauspielers spielt Fiktionalität normalerweise eine Rolle. Allerdings sind Äußerungen auf der Bühne anders zu beschreiben als die Äußerungen eines Autors eines fiktionalen Tex-
59 Neben fiktionalen Äußerungen könnten rhetorische Fragen und ironische Äußerungen mögliche Kandidaten für parasitären Sprachgebrauch sein. Eine rhetorische Frage könnte insoweit als ein parasitärer Gebrauch beschrieben werden, als hierbei ein Fragesatz verwendet wird, ohne dass aber tatsächlich eine Frage gestellt würde. Eine Behauptung in einem ironischen Modus vollziehen zu können, scheint in ähnlicher Weise, wie es bei rhetorischen Fragen der Fall ist, davon abzuhängen, dass es die Praxis des ernsthaften Behauptens gibt. Ich möchte an dieser Stelle keine genauere Untersuchung parasitären Sprachgebrauchs vornehmen und es bei diesen skizzenhaften Überlegungen belassen. Ich denke aber, dass rhetorische Fragen und ironische Äußerungen deshalb nicht von Input- und Output-Bedingungen ausgeschlossen werden müssen, da kompetente Sprecher erkennen können, dass mit solchen Äußerungen ein illokutionärer Zweck verfolgt werden kann, auch wenn sich dieser von dem illokutionären Zweck unterscheidet, der durch z. B. die grammatikalische Struktur der Äußerung im Fall der rhetorischen Frage zunächst nahegelegt wird. Hinter der Annahme parasitären Sprachgebrauchs könnte die Bedingung stehen, dass es Arten des Sprachgebrauchs gibt, die in irgendeiner (noch zu spezifizierenden) Weise von einer anderen Art des Sprachgebrauchs abhängen. Im Fall von rhetorischen Fragen scheint mir das sehr plausibel. Falls darüber hinaus aber auch noch die These vertreten wird, dass ein parasitärer Gebrauch von Sprache den Vollzug eines illokutionären Aktes mit der entsprechenden Äußerung ausschließt, scheint mir diese These nicht haltbar zu sein.
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tes.60 Den Ausdruck »fiktionale Rede« verwende ich nur in Bezug auf Äußerungen eines Autors, der einen fiktionalen Text erschafft (entsprechend auch bei mündlichen Äußerungen). Searle argumentiert, wie in Kapitel 2.2.1 gezeigt wurde, dafür, dass fiktionale Äußerungen (also auch und gerade die des Autors) kein Vollzug irgendeines illokutionären Typs sind. Es ist anzunehmen, dass Searle in Speech Acts den gleichen Gedanken verfolgt und mit dem Ausschluss parasitären Sprachgebrauchs Äußerungen ausklammern möchte, die gemäß seiner Argumentation kein Vollzug eines illokutionären Aktes sein können. Wäre das Vorliegen von Fiktionalität eine hinreichende Bedingung dafür, eine Äußerung als parasitären Sprachgebrauch zu bezeichnen, müsste jede Art fiktionaler Rede als parasitärer Sprachgebrauch angesehen werden. Da mit der letztgenannten der Input- und Output-Bedingungen parasitärer Sprachgebrauch ausgeschlossen wird, könnte fiktionale Rede diese Bedingung nicht erfüllen. Dadurch würde ausgeschlossen, dass es sich bei fiktionalen Äußerungen um den Vollzug illokutionärer Akte handelt. Die These, fiktionale Rede sei eine parasitäre Art des Sprachgebrauchs, scheint von der Beobachtung abzuhängen, dass in narrativer fiktionaler Rede Äußerungen verwendet werden, mit welchen auch über tatsächliche Ereignisse berichtet werden könnte. Diese Beobachtung hat zusammen mit dem von ihm vertretenen Determinationsprinzip Searle zu seiner So-tun-als-ob-These in Bezug auf fiktionale Rede veranlasst. Die So-tun-als-ob-These in Bezug auf fiktionale Rede habe ich aber zurückgewiesen. Einen weiteren Grund, fiktionale Rede als parasitären Sprachgebrauch anzusehen, sehe ich nicht. Daher gehe ich davon aus, dass fiktionale Rede die Input- und Output-Bedingungen erfüllt, weil es sich bei den Äußerungen eines Autors fiktionaler Rede nicht um parasitären Sprachgebrauch handelt. Sprachliche Äußerungen, die aber tatsächlich als So-tun-als-ob-Handlungen bezeichnet werden können, können auch als parasitärer Sprachgebrauch angesehen werden. Damit eine Äußerung »parasitär« genannt werden kann, muss der Vollzug der Handlung, die mit dieser Äußerung vollzogen wird, einseitig von einem anderen Handlungstyp h abhängen. Obwohl Searle keine Erläuterung liefert, wie er diesen Ausdruck versteht, scheint meine Verwendungsweise auch das zu treffen, was er vor Augen hat. Handlungen, die als So-tun-als-obHandlungen in Bezug auf h beschrieben werden können, sind daher als parasitär
60 Die Äußerungen eines Schauspielers scheinen mir allerdings eine Art des Sprachgebrauchs zu sein, die in einer anderen Art verstanden werden muss. Daher kommen die Äußerungen des Schauspielers auf der Bühne als Kandidaten für parasitären Sprachgebrauch, der nicht als illokutionärer Akt (des Schauspielers) aufgefasst werden kann, in Frage.
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anzusehen, denn es ist offensichtlich, dass eine einseitige Abhängigkeit zwischen h und dem So-tun-als-ob-h besteht. Demgegenüber ist Fiktionalität als eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen von parasitärem Sprachgebrauch ausgeschlossen. Denn es ist nicht so, dass die Äußerungen, die ich als fiktionale Rede bezeichne, abhängig sind von anderen sprachlichen Äußerungen, so wie es z. B. beim Nachahmen einer Äußerung einer anderen Person der Fall ist. Damit ein Sprechakt als illokutionärer Akt glücken kann, muss der Sprecher, und damit auch der Autor fiktionaler Rede, dafür Sorge tragen, dass die illokutionäre Rolle seiner Äußerung richtig verstanden werden kann. Für den fiktionalen illokutionären Akt heißt das, dass kenntlich gemacht werden muss, dass es sich um eine fiktionale Äußerung handelt.
4.3.2 Das Erkennen der illokutionären Rolle der Äußerung Zwei Fragen müssen voneinander unterschieden werden: 1. Wann ist eine Äußerung eine fiktionale Äußerung? 2. Wann wird mit einer Äußerung erfolgreich ein fiktionaler illokutionärer Akt vollzogen? Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich dafür argumentier, dass das Vorliegen einer entsprechenden illokutionären Absicht ist eine notwendige Bedingung dafür, dass eine Äußerung als Versuch, einen illokutionären Akt zu vollziehen, zählen kann. Dies trifft auch auf fiktionale Äußerungen als Vollzug eines illokutionären Aktes. Damit aber mit einer Äußerung erfolgreich ein fiktionaler illokutionärer Akt vollzogen werden kann, muss für einen Adressaten erkennbar sein, dass diese Äußerung als Vollzug eines illokutionären Aktes zählen soll. Dafür muss es eine Konvention geben, die regelt, dass eine Äußerung als eine fiktionale zählen kann. Diese Konvention nenne ich »fiktionale Konvention«. Damit ein Rezipient erkennt, dass auf diese Konvention Bezug genommen wird, muss es für Rezipienten Fiktionalitätssignale geben, sodass die Äußerung als eine fiktionale erkannt werden kann. Fiktionalitätssignale sind epistemische Kriterien, denn durch sie wird es Rezipienten ermöglicht, zu erkennen, dass der Autor die Absicht hat, eine erfundene Geschichte zu erzählen. Wenn eine Äußerung die Bedingungen, die als Input- und Output-Bedingungen zusammengefasst wurden, erfüllt, dann glückt die Äußerung als phonetischer (oder grafischer) und phatischer Akt. Wenn dies gegeben ist, dann müssen drei Komponenten weiter untersucht werden, um zu klären, was es heißt, dass eine Äußerung als fiktionaler illokutionärer Akt glückt: die Absicht des Sprechers/ Autors, die entsprechende Konvention (fiktionale Konvention) und die Fiktionalitätssignale. Diese drei Aspekte möchte ich im Folgenden genauer betrachten.
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4.3.3 Aufrichtigkeitsbedingung – die Absicht des Autors/Sprechers
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Äußert E.T.A. Hoffmann »Der Student Anselmus saß in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer«, dann scheint er damit die Proposition, dass der Student Anselmus in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer saß, auszudrücken. Ein Ergebnis meiner Analyse fiktionaler Äußerungen wird sein, dass mit fiktionalen Äußerungen, wie mit dem erfolgreichen Vollzug aller deklarativer illokutionären Akte, Propositionen geäußert werden, die durch den Vollzug des illokutionären Aktes selbst wahr werden. Um dies behaupten zu können, werde ich zeigen, dass E.T.A. Hoffmann mit der zitierten Äußerung tatsächlich eine andere Proposition ausdrückt, als die gerade genannte. Ich werde an dieser Stelle aber noch davon ausgehen, dass mit der Äußerung die Proposition, dass der Student Anselmus in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer saß, ausgedrückt wird, um nicht auf Thesen zurückgreifen zu müssen, für die ich bis zu diesem Punkt noch nicht argumentiert habe. Die Ergebnisse dieses Kapitels werden sich aber entsprechend auch auf die von mir angenommene explizit propositionale Form der zitierten Äußerung bzw. allgemein fiktionaler Äußerungen übertragen lassen. Weil es sich bei dem fiktionalen illokutionären Akt nicht um einen assertiven Akt handelt, verpflichtet sich der Autor fiktionaler Rede auch nicht auf die Wahrheit dieser Proposition. Äußert der Autor fiktionaler Rede die Proposition p, so unterstellen wir dem Autor nicht die Überzeugung, dass p. Auf diese negative Bestimmung der fiktionalen Rede wird von Vertretern der iA-These hingewiesen. Nun kann es aber sein, dass im Rahmen fiktionaler Rede auch eine Proposition p geäußert wird, die der Autor für wahr hält. Daher darf aus dem Umstand, dass ein Autor p fiktional äußert, nicht gefolgert werden, er habe die Überzeugung p. Tatsächlich mutmaßen wir als Leser manchmal darüber, welche Überzeugungen ein Autor fiktionaler Rede hat. Glauben wir, der Autor, der fiktional p äußert, habe auch die Überzeugung, dass p, dann glauben wir dies, weil wir annehmen, der Autor hätte p auch behaupten können. Dies nehmen wir gewöhnlich dann an, wenn wir p selbst für wahr halten und annehmen, dass auch der Autor p hätte wissen können. Dies gilt auch im umgekehrten Fall: Gewöhnlich nehmen wir dann an, der Autor habe die Überzeugung, dass p, wenn wir p für klarerweise falsch halten und annehmen, dass auch der Autor hätte wissen können, dass p. Daher ergibt sich bei fiktionaler Rede gewöhnlich die Situation, dass der Autor p äußert und sowohl er als auch seine Rezipienten die Überzeugung haben, dass p. Wenn wir einem Autor fiktionaler Rede, der p geäußert hat, die Überzeugung p unterstellen, dann aber, weil wir annehmen, dass er p hätte auch behaupten können. Gemäß Searle wird mit assertiven illokutionären Akten immer eine Überzeugung ausgedrückt. Die Überzeugung, dass p, wird jedoch mit einem d
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fiktionalen illokutionären Akt nicht in der Weise ausgedrückt, wie dies bei assertiven illokutionären Akten der Fall ist. Dagegen darf dem Autor eines fiktionalen Textes die Absicht unterstellt werden, dass er eine erfundene Geschichte erzählen will, ohne dass er will, dass seine Rezipienten diese für wahr halten. Diese Absicht nenne ich in Anlehnung an Currie »fiktionale Absicht«. Dass eine Geschichte erfunden ist, heißt nicht, dass nicht auch einige der Propositionen, die geäußert werden, um die Geschichte zu erzählen, wahr sind und auch vom Autor/Sprecher für wahr gehalten werden. Äußert ein Autor/ Sprecher aber ausschließlich Propositionen, die er für wahr hält, kann die Geschichte, so meine ich, nicht mehr als eine erfundene gelten. Der Autor kann dann zwar die Absicht haben, eine Geschichte zu erzählen, er kann aber nicht die Absicht haben, ausschließlich mit der Äußerung von Propositionen, die er selbst für wahr hält, eine erfundene Geschichte zu erzählen. Seine Äußerungen könnten insgesamt nicht mehr als fiktionale Rede gelten, die einzelnen Äußerungen nicht als Vollzug fiktionaler illokutionärer Akte. Damit ergeben sich nun die folgenden notwendigen Bedingung für das Vorliegen fiktionaler Rede: Der Autor fiktionaler Rede muss die fiktionale Absicht haben. Diese kann er nur verfolgen, wenn er mindestens eine Proposition äußert, die er nicht für wahr hält. So gilt, dass fiktionale Rede mindestens eine Proposition enthalten muss, die der Autor selbst nicht für wahr halten oder zumindest deren Wahrheit er anzweifeln muss. Hier erscheint es nun naheliegend, die Frage zu stellen, ob hier auch eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen fiktionaler Rede formuliert werden kann. Hier eine allgemeine Antwort zu geben, d. h. anzugeben, aus wie vielen falschen Propositionen eine Äußerung bestehen muss, damit sie als fiktionale Rede gelten kann, halte ich aber für aussichtslos angesichts der sehr unterschiedlichen mündlichen Äußerungen und Textsorten, die alle in Betracht kommen, fiktionale Rede zu sein.
4.3.4 Fiktionale Konvention So wie es konstitutive Regeln geben muss, durch die eine sprachliche Äußerung zu einer Amtseinführung wird, zu einem Versprechen oder einem Befehl, muss es auch für einen fiktionalen illokutionären Akt eine entsprechende Konvention geben. Es muss also eine konstitutive Regel geben der Form »X counts as Y in context C« (s. Kapitel 4.2 in dieser Arbeit). Eine bestimmte sprachliche Äußerungen (X) muss als fiktionale (Y) in einem bestimmten Kontext (K) angesehen werden können. Zipfel spricht von »Praxis Fiktion«. (Zipfel, 2001, S. 279f.) Was von ihm »Praxis« genannt wird, entspricht in etwa dem, was Searle eine »In-
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stitution« nennt, d. h. ein Set an Regeln, das eine konstitutive Regel der oben genannten Form enthält. Diese Regeln beziehen sich hier auf das Produzieren und Rezipieren fiktionaler Äußerungen. (s. Kapitel 2.3.2.1) Ich werde dieses Set von Regeln, das den Umgang mit fiktionalen Äußerungen betrifft und zu dem auch die genannte konstitutive Regel gehört, »fiktionale Konvention« nennen. Zu den Konventionen der Amtseinführung in dem Beispiel aus Kapitel 4.2 gehört eine Regel, die besagt, dass nur Banditen-Parteimitglieder das Amt des Parteivorsitzenden der Banditen-Partei ins Leben rufen können. Auch bei vielen anderen deklarativen illokutionären Akten gibt es eine Regel, die festlegt, wer autorisiert ist, die jeweilige Deklaration auszuführen. Es gibt aber keine Regel, die Analoges für den Autor fiktionaler Rede festlegen würde. Jeder Sprecher kann Autor bzw. Sprecher fiktionaler Äußerungen sein. Der Autor fiktionaler Rede muss aber dafür Sorge tragen, dass seine fiktionale Absicht erkannt werden kann, damit er erfolgreich fiktionale illokutionäre Akte vollziehen kann. Das heißt aber nichts anderes, als dass Rezipienten der fiktionalen Rede Fiktionalitätssignale (s. Kapitel 4.3.5) erhalten. Searle und Austin haben bei der Entwicklung der Sprechakttheorie in erster Linie mündliche Äußerungen untersucht. Wann ein Sprechakt gelingt oder misslingt, wurde dementsprechend anhand mündlicher Äußerungen untersucht. Außerdem hatten beide Autoren hauptsächlich Situationen im Sinn, bei welchen es genau einen Sprecher und einen Adressaten gibt. Ein Sprechakt gilt nach diesen Untersuchungen dann als misslungen, wenn der Adressat die Äußerung als phonetischen, phatischen, propositionalen oder illokutionären Akt nicht verstanden hat. Wie diese Ergebnisse auf schriftliche Kommunikation übertragen werden können, ist eine Frage, die sich nicht nur für fiktionale Texte stellt. Allerdings scheint mir weitaus problematischer als der Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu sein, dass die Kommunikationssituation beispielsweise im Fall eines Romans so aussieht, dass es einen Autor und viele Leser gibt. Dass ein Sprechakt nur dann als gelungen angesehen werden kann, wenn der Adressat die Äußerung illokutionär richtig verstanden hat, heißt nicht, dass im Fall eines Romans die Vollzüge der illokutionärern Akte, aus welchen die Produktion des Romans besteht, dann schon gescheitert sind, wenn nur ein Leser den Text illokutionär falsch versteht. Ich gehe zwar davon aus, dass der illokutionäre Akt als Kommunikationsversuch mit genau diesem Leser misslungen ist. Mit ein und derselben Äußerung können aber mehrere Adressaten angesprochen werden, das heißt, dass eine Äußerung (z. B. als Teil eines Romans) als Kommunikationsversuch mit mehreren Lesern verstanden werden muss. Mit dem Leser, der die Äußerung als eine fiktionale und damit hinsichtlich der illokutionären Rolle richtig versteht, sollte die Äußerung als gelungener Kommunikationsversuch angesehen werden.
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Gerade weil dies aber kein Problem speziell für fiktionale Äußerungen darstellt, möchte ich hier keine weiteren Überlegungen dazu anstellen.
4.3.5 Fiktionalitätssignale Es waren einmal ein Mäuschen, ein Vögelchen und eine Bratwurst in Gesellschaft geraten, hatten einen Haushalt geführt, lange wohl und köstlich im Frieden gelebt, und trefflich an Gütern zugenommen. (Wilhelm und Jacob Grimm – KHM 023)
In Kapitel 2.2.1.4 habe ich referiert, was Mercolli unter Annullierern bzw. Entkräftern versteht (Mercolli, 2012). Ich gehe nicht davon aus, dass Verstehen und auch das Äußern fiktionaler Rede in der Weise beschrieben werden kann, wie es Mercolli vorschlägt und halte die Charakterisierung fiktionaler Rede als ein Sotun-als-ob-Behaupten für unangemessen. Daher ist es auch nicht sinnvoll, die Belege bzw. Informationen, von welchen bei Mercolli die Rede ist und die Rezipienten fiktionaler Rede erwerben können, als Entkräfter zu bezeichnen. Allerdings denke ich dennoch, dass bestimmte Signale eine zentrale Rolle für das Verstehen fiktionaler Rede spielen. Der Rezipient muss die Möglichkeit haben, zu erkennen, dass es sich um Fiktion handelt. Statt von Belegen für »Entkräfter« oder »Annullierer« zu sprechen, möchte ich solche Hinweise auf die Fiktionalität eines Textes Fiktionalitätssignale (s. u.a. Köppe, 2008 u. Zipfel, 2001) nennen. Köppe schlägt vor, diese Signale in textimmanente und nicht-textimmanente Signale einzuteilen, wobei mit »Text« hier der Text gemeint ist, dessen Fiktionalität oder Faktualität in Frage steht. Signale, die genau diesen Text betreffen, können selbst aber Teil eines anderen Textes sein. Solche Signale sind dann nur in dem Sinn nicht-teximmanent, dass diese nicht Teil des Textes sind, der in Bezug auf die genannte Frage beurteilt werden soll. (Köppe, 2008, S. 39) Zu den textimmanenten Signalen gehören stilistische Elemente wie – Formulierungen, die charakteristisch sind für fiktionale Texte (»Es war einmal«), – die grammatische Besonderheit des »epischen Präteritums« (»Morgen war Weihnachten«). Auch inhaltlich gibt es Hinweise darauf, dass es sich bei einem Text um einen fiktionalen handelt: – Es kann von Gedanken oder Gefühlen einer Person berichtet werden, bei welchen es unwahrscheinlich bzw. sogar nicht möglich ist, dass Dritte von
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ihnen wissen (»Die Dame fühlte etwas Unangenehmes in der Herz-Magengrube, das sie berechtigt war für Mitleid zu halten…«). – Es kann Phantastisches sein oder sehr Unwahrscheinliches sein, wovon erzählt wird, z. B. davon, dass Tiere (»Hähnchen sprach zu Hühnchen…«) oder eigentlich unbelebte Gegenstände (»Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch schlief…«) sprechen können oder sich sonst ungewöhnlich verhalten, dass Zeitreisen möglich sind usw. Die Unterscheidung zwischen stilistischen und inhaltlichen Merkmalen ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Die Erzählperspektive wird häufig gerade dadurch konstituiert, dass der Leser bestimmte Informationen erhält. Bspw. der direkte Zugang zu mentalen Zuständen mehrerer Figuren im Text zeigt sich dadurch, dass der Leser erfährt, was eine Figur denkt, fühlt etc., d. h. Informationen bzgl. der mentalen Zustände der Figuren bekommt. Daher habe ich dies den inhaltlichen Hinweisen zugeordnet. Von Literaturwissenschaftlern wird die Erzählperspektive, aus der eine Geschichte erzählt wird, aber als Art des Erzählens verstanden und scheint somit eher als ein stilistisches Element angesehen zu werden. Aufgrund solcher Schwierigkeiten soll mein Vorschlag, zwischen stilistischen und inhaltlichen Merkmalen zu unterscheiden, nur als eine grobe Orientierung verstanden werden. Nicht-textimmanente Fiktionalitätssignale sind z. B. – die Angabe des Genres (z. B. Roman, Novelle) unter dem Titel des Textes – die Veröffentlichung in einem Verlag, der dafür bekannt ist, nur fiktionale Texte zu publizieren – die Einsortierung des Buches seitens der Buchhandlung in die Abteilung Belletristik – die Nennung des Titels in der Spiegel-Bestseller-Liste »Belletristik« (und nicht »Sachbuch«) Solche Hinweise dürfen aber nicht so verstanden werden, dass durch das Vorliegen eines oder mehrerer solcher Hinweise ein Text zu einem fiktionalen wird. Köppe nennt Fiktionalitätsmerkmale »epistemische Kriterien«, da Rezipienten mit ihrer Hilfe einen Text (oder auch eine mündliche Äußerung) als fiktionale Rede erkennen können. »Sie [die Fiktionalitätssignale] machen ein literarisches Werk nicht fiktional, sondern sie helfen Lesern herauszufinden, ob ein literarisches Werk fiktional ist oder nicht.« (Köppe, 2008, S. 39) Zu welchen Mitteln gegriffen wird, um zu signalisieren, dass es sich um fiktionale Rede handelt, kann sehr unterschiedlich sein. Die hier gemachte Aufzählung möglicher Fiktionalitätssignale ist nicht als eine vollständige zu verstehen. Damit der Rezipient die Fiktionalität der Äußerung erkennt, muss sie aber in irgendeiner Weise signalisiert werden, d. h. um Missverständnisse in Bezug auf das Vorliegen von
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Fiktionalität oder Faktualität einer Äußerung zu vermeiden, muss der Autor fiktionaler Rede seinen Rezipienten Fiktionalitätssignale geben.61 Wird ein fiktionaler Text in einem Verlag veröffentlicht und z. B. über Buchhandlungen verkauft, gibt es eine Reihe von Fiktionalitätssignalen für Rezipienten, die offensichtlich nicht der Autor gibt. Wäre ein Text so verfasst, dass es keinerlei textimmanente Fiktionalitätssignale gibt, und wollte der Autor aber, dass sein Text als ein fiktionaler dennoch erkannt wird, so müsste er zumindest dafür sorgen, dass Rezipienten nicht-textimmanente Fiktionalitätssignale erhalten. Er könnte z. B. den Verlag bitten, bei der Cover-Gestaltung unter dem Titel des Textes das Genre anzugeben usw. Autoren/Sprecher fiktionaler Rede können Fiktionalitätssignale aber auch erst im Verlauf der Rede geben oder auch im Nachhinein. G. Currie erinnert in diesem Zusammenhang an den Geschichtenerzähler am Lagerfeuer, der seine Zuhörer bis zum Ende seiner Erzählung im Unklaren darüber lässt, ob es sich bei seiner Äußerung um eine fiktionale handelt oder nicht, z. B. um die Spannung zu erhöhen. (Currie, 1990, S. 24) D.h. der Erzähler lässt seine Zuhörer hinsichtlich der von ihm ausgeführten illokutionären Akte im Unklaren, um z. B. das Gelingen seiner Äußerung als perlokutionärer Akt (z. B. erschrecken, belustigen, unterhalten) zu sichern. Wichtig ist hier Folgendes deutlich zu machen: Der Autor muss solche Signale nur dann geben, oder dafür sorgen, dass andere entsprechende Signale geben, wenn er will, dass seine Äußerung als eine fiktionale erkannt wird. Diese Absicht muss klarerweise nicht jeder Autor einer erfundenen Geschichte verfolgen. Zum einen kann ein Autor eine täuschende Absicht (und damit keine fiktionale Absicht) haben. Wer will, dass seine erfundene Geschichte von Rezipienten für wahr gehalten wird, wird versuchen, möglichst keine Fiktionalitätssignale zu senden. Zum anderen haben Autoren fiktionaler Texte häufig sehr verschiedene Absichten, die sie mit dem Schreiben dieser Texte verfolgen. Ist ein fiktionaler Text ein literarischer Text, was an dieser Stelle heißen soll, ein Text mit einem künstlerischen Anspruch, ist Fiktionalität nur ein Aspekt des Textes und vielleicht nicht der wichtigste. Ein Autor könnte bereit sein, zu riskieren, dass sein Text nicht als ein fiktionaler erkannt wird, weil er z. B. vermutet, dass durch diese Unklarheit andere Zwecke besser verfolgt werden können. Viele Autoren fiktionaler Texte scheinen gerade diese Unklarheit in Bezug auf die Frage, ob ihr Text ein fiktionaler oder ein faktualer ist, als ein stilistisches Mittel einzusetzen. So können z. B. beabsichtigte perlokutionäre Effekte bei Lesern erzielt werden, obwohl oder gerade weil die Fiktionalität des Textes nicht er61 Empirische Untersuchungen darüber, in welchem Ausmaß Fiktionalitätsmerkmale konventionell sind und von verschiedenen Rezipienten unterschiedlich wahrgenommen oder interpretiert werden, finden sich bei Wildekamp et. al., 1980.
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kannt wird. Denn um zu erschrecken oder zu amüsieren usw. muss nicht erkannt werden, ob es sich um eine erfundene Geschichte oder einen Tatsachenbericht handelt. Damit fiktionale Rede aber als ein fiktionaler illokutionärer Akt gelingen kann, muss der Autor Fiktionalitätssignale geben oder dafür sorgen, dass Fiktionalitätssignale von anderen gegeben werden. Diese Signale ermöglichen einem Adressaten zu erkennen, dass der Autor/Sprecher sich auf die fiktionale Konvention beruft, d. h. die Absicht hat, dass seine Äußerung als eine fiktionale zählt. Ich habe bisher zwei Fälle unterschieden: Im ersten Fall hat der Autor die fiktionale Absicht und gibt entsprechende Fiktionalitätssignale. Im zweiten Fall hat der Autor zwar die fiktionale Absicht, gibt aber keine (bzw. sehr wenige oder schwache) Fiktionalitätssignale, oder gibt diese sehr spät. Mit Äußerungen, die so beschrieben werden können, riskiert der Autor, dass die Äußerung als fiktionaler illokutionärer Akt nicht gelingt. Aber auch ein weiterer Fall ist denkbar : Ein Autor hat die Absicht, z. B. einen assertiven illokutionären Akt zu vollziehen (bzw. mehrere), will diese Absicht aber verbergen und Rezipienten – zumindest bestimmte – glauben lassen, seine Äußerungen seien fiktional. Indem der Autor Fiktionalitätssignale sendet, erwirbt er einige »Rechte«, zum einen das »Recht«, eine Interpretation seiner Äußerung als eine nicht-fiktionale als falsche Interpretation zurückzuweisen. Den Ausdruck »Recht« habe ich dabei in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich dabei zunächst nicht um ein juristisches Recht handelt und zunächst auch keine moralische Dimension damit verbunden ist, sondern einen gewissen Vorrang bezüglich der Interpretation seiner Äußerung, die Sprecher grundsätzlich haben. Unter »Interpretation« verstehe ich an dieser Stelle nur das Erkennen der illokutionären Rolle der Äußerung. Hat ein Sprecher sich an bestehende Konventionen bezüglich eines illokutionären Aktes gehalten und sein Adressat hat die illokutionäre Rolle der Äußerung trotzdem nicht erkannt (sondern angenommen, es wäre ein anderer illokutionärer Akt vollzogen worden), ist es gewöhnlich ein erlaubter Zug des Sprechers, den Adressaten zu korrigieren. Dies gilt auch für fiktionale Äußerungen: Wenn der Autor/Sprecher Fiktionalitätssignale gesendet hat und es in der entsprechenden Sprecher-/Adressaten-Gemeinschaft die Praxis Fiktion gibt, dann kann der Sprecher den Adressaten berechtigterweise korrigieren, wenn dieser die Äußerung für eine faktuale gehalten hat. Die Fiktionalität einer Äußerung ist (zumindest bis zu gewissen Grenzen) auch ein Schutz vor Rechtsverfolgung. Immer wieder kommt es zu juristischen Prozessen, weil Personen Klage einreichen, die ihre Persönlichkeitsrechte durch die Veröffentlichung eines Textes verletzt sehen. Häufig scheint die Argumentation bei solchen Fällen folgendermaßen rekonstruiert werden zu können: Es
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wird angenommen, dass Fiktionalitätssignale zu Unrecht gesetzt werden und der Autor tatsächlich keine Geschichte erfindet, sondern doch über tatsächliche Ereignisse berichten will. Kann dem Autor diese Absicht nicht nachgewiesen werden und dagegen aufgezeigt werden, dass die Fiktionalitätssignale zu Recht gegeben wurden, werden die Kläger vor Gericht es nicht leicht haben, sich durchzusetzen. Könnte aber gezeigt werden, dass ein Autor auf eine reale Person und nicht auf einen fiktiven Charakter Bezug nimmt und dieser Person etwas zuschreibt, das auf sie zutrifft, könnte angezweifelt werden, dass der Autor die Absicht hatte, eine Geschichte zu erfinden, vor allem dann, wenn der Text nur oder hauptsächlich aus solchen Äußerungen besteht. Genau dies wurde Klaus Mann von den Nachkommen von Gustaf Gründgens vorgeworfen. In seinem Roman Mephisto habe er nicht von einem fiktiven Charakter, sondern von Gustaf Gründgens erzählt. Die Veröffentlichung und Verbreitung des Romans wurde zunächst untersagt, der Text vom Hamburger Senat als »Schmähschrift in Romanform« bezeichnet (BVerfGE 30, 173 – Mephisto). Hinter dieser unsachlichen Formulierung könnte folgende Annahme stehen: Der Autor hat zwar Fiktionalitätssignale gegeben, z. B. indem er für seinen Text eine Form (Roman) gewählt hat, die üblicherweise für fiktionale Texte verwendet wird. Die Fiktionalitätssignale hat er aber zu Unrecht gegeben, denn seine tatsächliche Absicht war es nicht, eine Geschichte zu erfinden, sondern über tatsächliche Ereignisse zu berichten. Das Berichten über diese Ereignisse besteht aus dem Vollzug assertiver illokutionärer Akte, die auch, in diesem Fall, als perlokutionäre Akte vom Typ der Beleidigung beschrieben werden können. Hat der Autor tatsächlich die Absicht, über Ereignisse zu berichten und nicht eine Geschichte zu erfinden (dass die Äußerungen auch perlokutionär beschrieben werden können, spielt dafür keine Rolle), so hat er Fiktionalitätssignale zu Unrecht gesendet.62 Allerdings müssen hierbei einige Einschränkungen gemacht werden: Geübte Leser sind normalerweise in der Lage, zu erkennen, ob mit Fiktionalitätssignalen nur gespielt wird, oder ob sie tatsächlich die Fiktionalität einer Äußerung anzeigen sollen. Würde z. B. eine Reportage mit »Es war einmal…« anfangen, ohne dass noch weitere Fiktionalitätssignale gegeben werden, erhält der Leser dafür 62 Ich möchte diese Formulierung nicht als eine moralische Wertung verstanden wissen. Ich kann mir gut Situationen vorstellen, in welchen eine »Fehlanwendung« der Praxis Fiktion geradezu wünschenswert ist. Wenn totalitäre Regime die freie Meinungsäußerung beschneiden, halte ich es für legitim, assertive illokutionäre Akte als fiktionale illokutionäre Akte zu »tarnen«. Werden Prozesse geführt, weil Personen sich durch die Veröffentlichung von Texten in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen, spielt bei der Urteilsfindung nicht nur die Frage eine Rolle, ob es sich um einen fiktionalen oder faktualen Text handelt. Diskutiert wird meistens die Freiheit der Kunst. Da sprachliche Kunstwerke oft, aber eben nicht immer fiktionale Texte sind, werden noch andere Aspekte als Fiktionalität in die Urteilsfindung miteinspielen.
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aber eine Reihe von Belegen für die Überzeugung, dass es sich um eine Reportage handelt, kann nicht von einer Fehlberufung auf die fiktionale Konvention gesprochen werden. Es gehört offensichtlich zu der Interpretationsleistung der Rezipienten von fiktionalen wie faktualen Texten, Belege zu finden, die für die Einschätzung der illokutionären Rolle der Äußerung relevant sind. Es ist denkbar, dass ein Autor eine ganze Reihe von Fiktionalitätssignalen gibt, die aber durch einen einzigen (oder zumindest wenige) Belege für die Überzeugung, dass es sich um einen faktualen Text handelt, außer Kraft gesetzt werden und umgekehrt.
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Analyse fiktionaler deklarativer illokutionärer Akte: Die Konstruktion fiktiver Rollen
4.4.1 Regeln des propositionalen Gehalts Nimmt man an, dass fiktive Gegenstände durch sprachliche Handlungen des Autors erschaffen werden, stellt sich die Frage, wann der Gegenstand erschaffen ist, d. h. zu existieren beginnt. Ich sehe auf diese Frage zwei Antwortmöglichkeiten: 1. Der Autor erschafft einen fiktiven Charakter, indem er alles schreibt, was den Charakter betrifft. 2. Mit der ersten Nennung wird der Charakter erschaffen. Prima facie erscheint die erste These sehr plausibel: Der fiktive Charakter wird, so könnte man annehmen, erschaffen, indem der Autor ihn »beschreibt«. Vollständig erschaffen wäre er dann, wenn der Autor alles über ihn geschrieben hat, was er schreiben wollte. Doch mit dieser These ist eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden. Angenommen ein Autor schreibt an einem Roman, in dem eine fiktive Figur bereits am Anfang auftaucht und weiter bis zum Schluss eine Rolle spielen wird. Wenn nun der Autor einen ersten Teil seines Romans in einer Zeitschrift veröffentlicht, bevor der gesamte Roman fertiggestellt ist, würden die fiktiven Charaktere, von welchen in dem Vorabdruck die Rede ist, noch nicht existieren. Denn der gesamte Text wäre zum Zeitpunkt des Vorabdrucks noch nicht zu Ende geschrieben. Ein Autor könnte z. B. auch einen Folgeroman schreiben und einen Charakter aus dem Vorgängerwerk dort wieder auftauchen lassen. Wenn angenommen wird, dass ein Charakter erst existiert, wenn der Autor alles über ihn geschrieben hat, was er schreiben wollte, würde im Fall eines Folgeromans ein Charakter aus dem ersten Roman noch nicht existieren, weil noch nicht alles über ihn geschrieben wurde. Diese Konsequenz ergibt sich, wenn These 1 so verstanden wird, dass ein Autor alles über einen Charakter geschrieben haben muss, was er
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schreiben will, damit der Charakter existiert. Eine solche These ist vereinbar mit der bereits in Kapitel 3 erwähnten Position von Schiffer, wonach fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte existieren, der Autor fiktionaler Rede auf diese Gegenstände aber nicht Bezug nimmt, sondern diese erschafft, indem er im Rahmen seiner fiktionalen Äußerungen nur so tut, als würde er auf Gegenstände Bezug nehmen. These 1 kann aber auch in einer anderen Variante vertreten werden: Thomasson geht davon aus, dass ein Autor eines fiktionalen Werkes in seinem Werk auf einen fiktiven Charakter, der bereits in einem anderen Werk eine Rolle spielt, Bezug nehmen kann. Sie geht also davon aus, dass ein fiktiver Gegenstand dann existiert, wenn das fiktionale Werk, in welchem er erstmalig eine Rolle spielt, fertiggestellt ist. Das heißt aber auch, dass das, was über den Charakter in einem Folgewerk gesagt wird, nicht entscheidend ist dafür, dass der Charakter existiert. Um These 1 in dieser Variante zu vertreten, müsste daher geklärt werden, warum das, was in einem Folgewerk über einen Charakter gesagt wird, nicht relevant ist, während im Fall eines Vorabdrucks z. B. eines Teils eines Romans der Charakter erst nach der Fertigstellung des gesamten Textes existiert. Es müssten Argumente dafür vorgebracht werden, warum Informationen über den Charakter aus dem restlichen Teil des Romans für die Existenz des Charakters relevant sind, Informationen, die in einem zweiten Werk auftauchen, es aber nicht sind. Vertreter von These 1 stehen damit vor den folgenden Schwierigkeiten: – Sie können annehmen, dass der Charakter erst dann existiert, wenn alle Werke abgeschlossen sind, in welchen der fiktive Charakter auftaucht. Ein Charakter würde aber dann nach der Fertigstellung eines Werks noch nicht existieren, wenn ein weiteres Werk erscheint, in welchem der Charakter wieder auftaucht. Wird kein weiteres Werk geschrieben, dann ist nicht klar, ob im Nachhinein festgestellt werden kann, ob der Charakter zu einem Zeitpunkt bereits existiert hat oder, ob der Charakter erst dann zu existieren beginnt, wenn sicher ist, dass es kein weiteres Werk geben wird, in dem er eine Rolle spielt. – Es kann auch angenommen werden, dass nur die Informationen bzgl. des Charakters für die Entstehung des Charakters relevant sind, die in dem Text stehen, in welchem der Autor den Charakter erstmalig erwähnt. Dann müsste aber geklärt werden, was genau unter einem Werk verstanden werden soll, was besonders bei Vorabdrucken und Serien relevant wird. Soll ein Vorabdruck oder ein Text aus einer Serie als ein separates Werk aufgefasst werden? Würden solche Texte nicht als ein Werk, sondern nur als Teil eines Werkes aufgefasst, entstünden auch mit dieser Variante der These 1 die oben genannten Schwierigkeiten. Werden aber z. B. Vorabdrucke als Werk und nicht als nur Teil eines Werkes aufgefasst, so ist nicht klar, ab wann etwas als ein Werk und wann nur als Teil eines Werkes gelten kann.
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These 2 ist vorzuziehen, denn, um diese These zu vertreten, müssen diese Fragen nicht beantwortet werden. These 2 besagt, dass der Charakter im Rahmen eines fiktionalen Werkes nur einmal erwähnt werden muss, damit er zu existieren beginnt. Gemäß dem fiktionalen Realismus sind fiktive Charaktere Gegenstände, die in der (realen) Welt existieren. Für die Existenz des fiktiven Charakters als ein abstraktes Artefakt sind aber die Eigenschaften, die er nur gemäß der Geschichte hat, nicht ausschlaggebend. Das zeigt sich auch daran, dass es fiktive Charaktere gibt, über die Autoren in einer Geschichte gemessen an dem, was über andere Charaktere geschrieben wird, sehr wenig schreiben: Thomas Buddenbrook ist ein Charakter, über den Thomas Mann sehr viel geschrieben hat, viel mehr als über Sesemi Weichbrodt. Dennoch ist Sesemi Weichbrodt ein fiktiver Charakter und existiert als ein abstraktes Artefakt in der Welt so wie Thomas Buddenbrook. Wenn ein fiktiver Charakter mit der erstmaligen Erwähnung im Rahmen eines fiktionalen Werkes zu existieren beginnt, dann kann ab diesem Zeitpunkt auf diesen Gegenstand auch Bezug genommen werden. Gemäß dem fiktionalen Realismus kann im Rahmen von Rede über Fiktion mit z. B. fiktionalen Eigennamen auf fiktive Charaktere Bezug genommen werden. Das bedeutet, dass ein Leser der Buddenbrooks mit »Thomas Buddenbrook« bereits nach dessen erstmaliger Erwähnung auf den von Thomas Mann erschaffenen fiktiven Charakter Bezug nehmen kann. Wenn ein Leser mit einem fiktionalen Eigennamen auf einen fiktiven Charakter Bezug nehmen kann, ist es vor dem Hintergrund der These 2 auch plausibel, dass der Autor fiktionaler Rede selbst auf den fiktiven Charakter Bezug nehmen kann. Der goldene Topf von E.T.A. Hoffmann beginnt mit »Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch63 in Dresden durchs Schwarze Tor […]«. In dieser Äußerung ist zum ersten Mal von dem Protagonisten der Geschichte, später bekommt er den Namen Anselmus64, die Rede. Wenn der fiktionale illokutionäre Akt als ein deklarativer Akt aufgefasst wird, dann kann auch angenommen werden, dass mit dieser Äußerung ein propositionaler Akt ausgeführt wird. Daraus folgt, dass ein Akt der Referenz und ein Akt der Prädikation vollzogen werden. Wie kann es aber verstanden werden, dass bei der zitierten Äußerung E.T.A. Hoffmann (1) mit dem Ausdruck »ein junger Mensch« einen Akt der Referenz 63 Bei »ein junger Mensch« handelt es sich nicht um eine definite Kennzeichnung. Der Akt der Referenz kann aber auch mit solchen Ausdrücken vollzogen werden. S. Kapitel 1.6.1. 64 Die Äußerung, mit der ein Autor fiktionaler Rede einem fiktiven Gegenstand einen Namen gibt, nennt Thomasson einen Taufakt im Sinn von Kripke. (S. Thomasson, 1999, S. 46–49; Kripke, 1972)
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ausgeführt hat und weiter, dass er (2) prädiziert hat, dass der Gegenstand, auf den er Bezug genommen hat (wenn er das getan hat), am Himmelfahrtstag nachmittags um drei Uhr in Dresden durch das Schwarze Tor rannte? Im Folgenden möchte ich einen Vorschlag unterbreiten, wie Bezugnahme und Prädikation in fiktionalen Äußerungen analysiert werden können und zwar zunächst für solche Fälle, in welchen auf ein abstraktes Artefakt, den fiktiven Gegenstand, Bezug genommen wird und über diesen prädiziert wird. Ein einem zweiten Schritt werde ich Äußerungen untersuchen, in welchen Eigennamen von nicht-fiktiven Gegenständen zumindest scheinbar zur Bezugnahme auf diese Gegenstände verwendet werden.
4.4.2 Der Akt der Referenz – Bezugnahme auf abstrakte Artefakte And as imagination bodies forth The forms of things unknown, the poet’s pen Turns them to shapes, and gives to airy nothing A local habitation, and name. (Shakespeare: A Misummer Night’s Dream)
These 2 ist vereinbar mit dem, was bereits in Bezug auf deklarative illokutionäre Akte festgestellt wurde. Mit diesen Äußerungen werden typischerweise propositionale Akte vollzogen. Wie ich am Beispiel der Amtseinführung gezeigt habe, wird der Akt der Referenz auch in dem Fall des deklarativen Aktes vollzogen, mit dem dieses Amt erschaffen wird, da auf eben dieses zu erschaffende Amt, als zukünftig existierender Gegenstand, Bezug genommen wird. Wenn man fiktionale illokutionäre Akte als deklarative illokutionäre Akte auffasst, die abstrakte Artefakte erschaffen, findet das, was bzgl. der Amtseinführung stattfindet, auch bei der Erschaffung eines fiktiven Gegenstandes statt: Der Autor fiktionaler Rede erschafft z. B. in einem Roman eine ganze Reihe von fiktiven Gegenständen. Die Äußerung, mit welcher der erste deklarative illokutionäre Akt vollzogen wird und in welchem erstmalig ein entsprechender Gegenstand erwähnt wird, ist der Akt, mit welchem dieser Gegenstand erschaffen wird. So wie mit »das Amt des Parteivorsitzenden« im Fall der erstmaligen Nennung dieses Amtes im Rahmen eines deklarativen illokutionären Aktes auf dieses Amt Bezug genommen wird, nimmt auch der Autor fiktionaler Rede auf den fiktiven Gegenstand Bezug, den er mit dem Vollzug des fiktionalen illokutionären Aktes erschafft. Meine These bezüglich des Aktes der Referenz lautet: E.T.A. Hoffmann nimmt mit »ein junger Mensch« auf diesen fiktiven Charakter Bezug, den er mit dieser Äußerung erschafft. Wohlgemerkt: Er erschafft natürlich nicht einen jungen Menschen und nimmt auch nicht auf einen solchen Bezug. E.T.A. Hoffmann
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erschafft einen fiktiven Charakter, gemäß der hier angenommenen Position, ein abstraktes Artefakt, und nimmt darauf Bezug. Nun habe ich geschrieben, dass der Autor mit dem Ausdruck »ein junger Mensch« auf einen fiktiven Charakter Bezug nimmt, doch mit diesem Ausdruck wird gewöhnlich auf einen jungen Menschen Bezug genommen. Auch wenn man fiktive Charaktere als abstrakte Artefakte auffasst, folgt daraus noch nicht, dass mit dem Ausdruck »ein junger Mensch« auf ein abstraktes Artefakt Bezug genommen wird oder Bezug genommen werden kann. Damit ergibt sich bei dieser fiktionalen Äußerung eine Schwierigkeit, die es bei dem deklarativen Akt der Amtseinführung nicht gibt. Denn ein Unterschied zwischen dem deklarativen Akt der Amtseinführung und dem deklarativen Akt der Erschaffung des fiktiven Gegenstandes scheint offensichtlich: Um auf das Amt Bezug zu nehmen, verwendet ein Sprecher einen Ausdruck, mit dem auf einen solchen Gegenstand auch gewöhnlich Bezug genommen wird oder Bezug genommen werden kann. Versteht man ein Amt als ein abstraktes Artefakt, so ist es nicht weiter problematisch, wenn mit dem Ausdruck »das Amt des Parteivorsitzenden« auf ein Amt und also auf ein abstraktes Artefakt Bezug genommen wird. Allerdings kann auch mit dem Ausdruck »der Parteivorsitzende« auf dieses Amt Bezug genommen werden. Dieser Ausdruck ist insofern zweideutig, als mit ihm sowohl auf das Amt, d. h. das abstrakte Artefakt, als auch auf einen Träger des Amtes, d. h. einen konkreten Gegenstand, Bezug genommen werden kann. Wir werden sehen, dass es bei den Ausdrücken für fiktive Gegenstände eine ähnliche Zweideutigkeit gibt. Darauf werde ich im Zusammenhang mit der Klärung der Prädikation bei fiktionalen illokutionären Akten eingehen. Wird nun angenommen, dass bei fiktionaler Rede eine So-tun-als-ob-Behauptung vollzogen wird, wird auch angenommen, dass der Autor den Ausdruck »ein junger Mensch« in diesem Fall nicht benutzt, um auf einen jungen Menschen Bezug zu nehmen, sondern um nur so zu tun, als nähme er Bezug, ohne aber tatsächlich Bezug zu nehmen. (s. u.a. Searle, 1979; van Inwagen, 1977; Schiffer, 1996) Bei dieser These muss also in Kauf genommen werden, dass ein sprachlicher Ausdruck in ganz anderer Weise verwendet wird, als es bei dem Vollzug anderer illokutionärer Akte der Fall ist. Denn gemäß der So-tun-als-obThese wird mit entsprechenden Ausdrücken im Rahmen von So-tun-als-obThesen nicht Bezug genommen, obwohl es genau diesen Anschein hat. Es muss also eine Erklärung dafür geliefert werden, wie sprachliche Ausdrücke bei fiktionalen illokutionären Akten verwendet werden, mit denen bei z. B. assertiven illokutionären Akten der Akt der Referenz ausgeführt wird. Eine solche Erklärung muss also sowohl geliefert werden, wenn fiktionale Äußerungen als So-tun-als-ob-Handlungen aufgefasst werden, als auch wenn, so wie ich es vertrete, fiktionale Äußerungen als Vollzug deklarativer Akte angesehen werden. Mein Vorschlag lautet: Bei fiktionalen illokutionären Akten wird mit
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sprachlichen Ausdrücken, mit welchen bei nicht-fiktionalen Äußerungen auf konkrete Gegenstände Bezug genommen wird, auf abstrakte Artefakte Bezug genommen. Somit ist es E.T.A. Hoffmann in der zitierten Äußerung erlaubt, mit »ein junge Mensch« auf den fiktiven Charakter Bezug zu nehmen statt auf irgendeinen jungen Menschen. Der Akt der Referenz, d. h. in diesem Fall das Bezugnehmen auf einen fiktiven Charakter, kann glücken, wenn dieser Charakter auch tatsächlich erschaffen wird. Damit dies gelingt, muss die Äußerung als deklarativer illokutionärer Akt gelingen. Es ist also nicht so, dass allein durch die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks, mit dem auf einen fiktiven Charakter Bezug genommen werden soll, der Charakter schon erschaffen wird. Der Akt der Referenz alleine hat nicht die Kraft, einen abstrakten Gegenstand zu erschaffen. Außerdem ist der Akt der Referenz bei dem hier betrachteten Beispiel ein Bezugnehmen auf einen zukünftigen (abstrakten) Gegenstand. Wenn auf einen zukünftigen Gegenstand Bezug genommen wird, kann erst im Nachhinein geklärt werden, ob der Akt erfolgreich vollzogen wurde. Wird die gesamte Äußerung als deklarativer Akt nicht erfolgreich ausgeführt, ist auch der Akt der Referenz in diesem Fall gescheitert. Bei Bezugnahme auf zukünftige Gegenstände kann daher zum Zeitpunkt der Äußerung zunächst nur von einem Versuch, auf den zukünftigen Gegenstand Bezug zu nehmen, gesprochen werden. Bezugnahme auf zukünftige Gegenstände ist aber keine Besonderheit deklarativer Akte im Allgemeinen oder fiktionaler illokutionärer Akte im Besonderen. Vielmehr kann auch im Rahmen von anderen illokutionären Akten auf Gegenstände Bezug genommen werden, die erst in der Zukunft existieren werden. Dies fängt Searles Formulierung des Axioms der Existenz ein (Searle, 1969, S. 77ff.). Wer beispielsweise behauptet »Meine Tochter wird den Nobelpreis gewinnen.«, obwohl er noch keine Tochter hat, nimmt auf einen zukünftigen Gegenstand Bezug. Ob die Bezugnahme schließlich glückt, wird sich erst in der Zukunft zeigen: Bekommt der Sprecher eine Tochter, so ist zumindest die Bezugnahme geglückt. (Ob mit der Äußerung dieses Satzes etwas Wahres behauptet wurde, ist natürlich eine andere Frage.) Es kann also zum einen auch im Rahmen eines assertiven illokutionären Aktes auf einen zukünftigen Gegenstand Bezug genommen werden. Es ist auch in diesem Fall so, dass erst ex post entschieden werden kann, ob der Akt tatsächlich erfolgreich ausgeführt wurde oder nicht. Zum anderen kann es sprachliche Äußerungen geben, mit welchen auf einen noch nicht erschaffenen fiktiven Gegenstand Bezug genommen wird, ohne dass mit diesen Äußerungen der Gegenstand erschaffen würde. Hätte E.T.A. Hoffmann vor der Fertigstellung von Der Goldene Topf seinem Verleger schon erzählt, worum es in seiner Geschichte gehen wird und dabei den Protagonisten Anselmus erwähnt, hätte er mit dieser Äußerung zwar auf den fiktiven Charakter Anselmus Bezug ge-
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nommen, aber er hätte ihn damit noch nicht erschaffen. Das ist so, weil diese Äußerung kein deklarativer illokutionärer Akt ist. E.T.A. Hoffmann hätte vielmehr eine Art Inhaltsangabe seiner noch zu schreibenden Geschichte abgegeben. Inhaltsangaben bestehen aber nicht aus dem Vollzug deklarativer illokutionärer Akte, sondern vielmehr aus assertiven illokutionären Akten. Assertive Akte haben jedoch nicht die Kraft, Gegenstände zu erschaffen. Nachdem ein fiktiver Gegenstand erschaffen wurde, kann der Autor fiktionaler Rede auch im Rahmen weiterer fiktionaler illokutionärer Akte auf diesen Gegenstand Bezug nehmen. So schreibt E.T.A. Hoffmann an einer weiteren Stelle »Der Student Anselmus saß in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer«. Mit »der Student Anselmus« nimmt der Autor an dieser Stelle Bezug auf den fiktiven Gegenstand, den er bereits erschaffen hat. Die Bezugnahme auf bereits erschaffene fiktive Gegenstände kommt im Rahmen fiktionaler Rede immer dann vor, wenn von dem betreffenden fiktiven Gegenstand (z. B. von dem Studenten Anselmus) wieder die Rede ist. So kann ein Autor auch, wie bereits erwähnt, in einem Fortsetzungsband einen Charakter in seiner Geschichte vorkommen lassen, der bereits im Vorgängerwerk vorkam. Auch in diesem Fall handelt es sich dann um eine Bezugnahme auf einen bereits existierenden fiktiven Charakter und nicht um die Erschaffung eines solchen. Wie in Kapitel 3 bereits erwähnt wurde, erlaubt der fiktionale Realismus, dass ein Autor fiktionaler Rede auf einen fiktiven Gegenstand, der bereits erschaffen wurde, Bezug nehmen kann.
4.4.3 Der Akt der Prädikation Würde der propositionale Gehalt fiktionaler illokutionärer Akte behauptet, wären es irrtümliche Behauptungen65, weil es keinen Sachverhalt gibt, der diesen Propositionen entspricht. Es scheint sogar so, dass es typischerweise einen Sachverhalt, der diesen Propositionen entspräche, überhaupt nicht geben kann. Denn mit diesen Akten werden scheinbar fiktiven Gegenständen Eigenschaften zugewiesen, die abstrakte Artefakte überhaupt nicht haben können. Indem er den Satz »Der Student Anselmus saß in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer« äußert, bezieht sich E.T.A. Hoffmann nun, so mein Vorschlag, mit dem Ausdruck »der Student Anselmus« auf einen fiktiven Gegenstand. Er scheint über diesen Gegenstand auszusagen, dass er »in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer [saß]«. Allerdings können abstrakte Gegenstände nicht in sich gekehrt irgendwo sitzen. Diese Offensichtlichkeit stellt eine Schwierigkeit dar für die These, dass 65 Falls der Sprecher die falsche Proposition absichtlich als falsche Proposition behauptet, wäre es kein Irrtum, sondern eine Lüge.
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fiktive Gegenstände abstrakte Artefakte sind, aber auch für meine Spezifizierung dieser These, mit fiktionalen Äußerungen würden deklarative Akte vollzogen. Denn es scheint nun so, als müsste ich annehmen, dass einem abstrakten Gegenstand Eigenschaften verliehen werden, die dieser aber überhaupt nicht haben kann. Peter Lamarque bietet folgenden Lösungsvorschlag an: Er unterscheidet eine interne Perspektive und eine externe, die wir auf fiktive Gegenstände als abstrakte Artefakte haben können. On the one hand, characters – at least those in realist narratives – are spoken of as human beings, with human qualities naturally attributed to them. On the other hand, they are spoken of as constructs, artifacts or devices in narrative. Characters invite these two radically different perspectives, sometimes called »internal« and »external«, the perspective from within a fictional world, where they act as ordinary human agents, and the perspective of the real world, where they are bound up with linguistic forms and artifice. This duality reflects a broader bifurcation in criticism itself between an interest in the human worlds depicted and an interest in the rhetorical means of that depiction. (Lamarque, 2009, S. 196f.)
Eigenschaften, die ein abstraktes Artefakt tatsächlich hat, sind solche, über die gesprochen wird, wenn eine »externe« Perspektive eingenommen wird. Eigenschaften, die ein abstraktes Artefakt gemäß der Geschichte hat, wären solche, über die wir sprechen, wenn wir aus der »internen Perspektive« über fiktive Gegenstände sprechen. Sicher erscheinen uns Gegenstände häufig sehr unterschiedlich, je nachdem aus welcher Perspektive wir sie betrachten. Kann es aber sein, dass uns aus einer Perspektive ein Gegenstand als ein konkreter, materieller Gegenstand erscheint und aus einer anderen Perspektive als ein nicht-materieller und in diesem Sinn abstrakter Gegenstand? Solche kategorialen Unterschiede sind nicht durch einen Perspektivwechsel erklärbar. Lamarques Vorschlag kann zudem auch nur als ein solcher gelesen werden, der versucht zu erklären, warum wir zum einen metafiktionale Aussagen machen können, in welchen wir scheinbar über fiktive Charaktere etwas aussagen, was auf diese als abstrakte Artefakte nicht zutreffen kann; zum anderen machen wir aber auch inter- oder transfiktionale Aussagen, mit welchen wir über fiktive Gegenstände etwas aussagen, was nicht aus dem Inhalt einer Geschichte hervorgeht, dafür aber auf ein abstraktes Artefakt zutreffen kann. Rede über Fiktion habe ich bereits behandelt und dabei vorgeschlagen, metafiktionale Aussagen mithilfe des Fiktionsoperators zu analysieren. Inter- und transfiktionale Aussagen werden dagegen nicht mithilfe des Fiktionsoperators analysiert. Bei solchen Aussagen wird z. B. mit einem fiktionalen Eigennamen auf einen fiktiven Gegenstand Bezug genommen. Wahr sind solche Aussagen dann, wenn das, was über die fiktiven Gegenstände, auf die Bezug genommen
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wird, prädiziert wird, auch tatsächlich auf sie zutrifft. Auf die Redeweise von »interner« und »externer Perspektive« kann daher verzichtet werden. Doch es bleibt die Frage, wie Prädikation, die der Autor fiktionaler Rede ausführt, beschrieben werden kann. Ein weiterer Vorschlag, wie es zu verstehen sein soll, dass fiktive Gegenstände abstrakte Artefakte sind, die in Geschichten Eigenschaften haben, die sie nicht haben können, stammt von Nathan Salmon: The characters that populate fiction are created precisely to perform the service of being depicted as people by the fictions in which they occur. Do not fixate on the fact that fictional characters are abstract entities. Think instead of the various roles that a director might cast in a stage or screen production of a particular piece of fiction. Now think of corresponding characters as the components of the fiction that play or occupy those roles on the fiction. It is no accident that one says of an actor in a dramatic production that he/she is playing a »part«. The characters of a fiction – the occupants of roles in the fiction – are in some real sense parts of the fiction itself. Sometimes, for example in historical fiction, what fictionally plays a particular role is a real person or thing. In other cases, what plays a role is the brainchild of the storyteller. In such cases, the role player is a wholly fictional character, or what I (following Kripke) have been calling simply a »fictional character«. Whether a real person or a wholly fictional, the character is that which according to the fiction takes part in certain events, performs certain actions, undergoes certain changes, says certain things, thinks certain thoughts. (Salmon 1998, S. 301f.)
Salmon spricht in der zitierten Passage von Rollen, die abstrakte Gegenstände spielen. Tatsächlich kann man sich vorstellen, was es heißt, dass ein Schauspieler eine bestimmte Rolle spielt. Aber in einem solchen Fall ist es so, dass ein konkreter Gegenstand, nämlich der Schauspieler, eine bestimmte Rolle spielt. Dass er die Rolle spielt, verstehen wir normalerweise in etwa so, dass er gewisse Handlungen gemäß den Anweisungen des Regisseurs vollzieht, auch dass er evtl. sein Äußeres entsprechend bestimmten Anweisungen verändert hat. Wie aber ein abstrakter Gegenstand eine Rolle spielen kann ist nicht klar und es bedürfte einiger Explikation, um Salmons Vorschlag verstehen zu können. Ich möchte nun einen Vorschlag machen, wie das deklarative Verleihen von Eigenschaften bei fiktionalen Äußerungen zu verstehen ist und greife dabei auf die Idee der Rolle66 zurück, wenn auch in etwas anderer Art als Salmon dies vorschlägt. Der Akt der Prädikation kann, so Searle, immer nur in einem illokutionären Modus und nicht in dieser Hinsicht neutral vollzogen werden. ((Searle, 1969, S. 26ff.), s. auch dazu Kapitel 1.6.2) Bei assertiven illokutionären Akten heißt 66 Bei seiner Analyse von intra- und interfiktionalen Aussagen nimmt Currie, der ansonsten eine anti-realistische Position bezieht, an, dass sich Sprecher dieser Aussagen auf fiktive Gegenstände als Rollen beziehen. Currie unternimmt aber keinen Versuch, diesen Ansatz mit der Charakterisierung fiktionaler Rede zu verbinden. (Currie, 1990, S.171f.)
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das, dass über einen Gegenstand etwas ausgesagt wird, d. h. der Gegenstand die entsprechende Eigenschaft tatsächlich hat (wenn eine wahre Proposition behauptet wird). Weil ich nun fiktionale illokutionäre Akte als deklarative Akte ansehe, bedeutet das für die Prädikation bei diesen Akten, dass sie in einem deklarativen Modus stattfindet. Was das bei nicht-fiktionalen deklarativen Akten heißt, habe ich bereits erläutert: Deklarativ prädizieren heißt, dass einem Gegenstand eine Eigenschaft verliehen wird. Wenn ich also davon spreche, dass einem fiktiven Gegenstand Eigenschaften zugesprochen werden, dann heißt dies auch in diesem Fall, dass Eigenschaften deklarativ verliehen werden67. Bei nicht-fiktionalen deklarativen Akten habe ich zwei Fälle unterschieden: Wird im Rahmen eines deklarativen Aktes auf einen physikalischen Gegenstand Bezug genommen, dann wird diesem Gegenstand selbst ein neuer Status bzw. werden neue Statusfunktionen verliehen. Wird aber im Rahmen eines deklarativen Aktes auf ein abstraktes Artefakt Bezug genommen, dann wird nicht dem abstrakten Artefakt eine neue Statusfunktion verliehen, sondern diese wird nur an das abstrakte Artefakt gebunden. Wird beispielsweise das Amt des Parteivorsitzenden erschaffen, so habe ich in Kapitel 4.3 argumentiert, können an dieses Amt Rechte und Pflichten gebunden werden. Dies geschieht ebenfalls wie die Erschaffung des Amtes durch den Vollzug deklarativer Akte. Die Eigenschaften (z. B. die Rechte und Pflichten), über welche im Rahmen des deklarativen Aktes prädiziert wird, werden durch den Vollzug des entsprechenden deklarativen Aktes nicht zu Eigenschaften eines abstrakten Gegenstandes (des Amtes), es wird vielmehr nur deklariert, dass ein möglicher Träger des Amtes diese Eigenschaften verliehen bekommt. Somit besteht das Gebundensein von Rechten und Pflichten an einem Amt darin, dass das Amt die höherstufige Eigenschaft, dass sein Träger die relevanten Pflichten und Rechte besitzt. Allgemeiner : Das Gebundensein von Eigenschaften an einem abstrakten Artefakt beinhaltet, dass das Artefakt die höherstufige Eigenschaft besitzt, dass ein möglicher Träger die »gebundenen« Eigenschaften besitzt. Die Herausforderung einer Theorie fiktionaler Prädikation, die die Bezugnahme auf abstrakte Gegenstände berücksichtigt, ist aber gerade, dass in fiktionaler Rede Gegenständen Eigenschaften zugesprochen werden, die sie offensichtlich nicht als abstrakte Artefakte in der Welt haben und auch nicht haben können. Um dieses Problem zu lösen, muss ich nun genauer klären, was ich unter einem fiktiven Charakter als abstraktes Artefakt verstehen möchte. Der Vorschlag lautet, dass fiktive Charaktere (bzw. allgemein fiktive Gegenstände) als 67 Die Ausdrücke »zuweisen« und »zuschreiben« verwende ich synonym zu »zusprechen«.
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fiktive Rollen zu verstehen sind. »Fiktive Rolle« wiederum sind analog zu Ämtern, als abstrakte Artefakte zu verstehen, die auch durch einen deklarativen Akt erschaffen werden. Analog zu der Unterscheidung des Amtes von dem Träger, muss auch zwischen der Rolle und dem Träger einer Rolle unterschieden werden: Die Rolle ist ein abstraktes Artefakt; es kann einen Träger der Rolle geben, der ein von der Rolle zu unterscheidender, konkreter Gegenstand wäre. Die Analogie zwischen einem Amt und einer fiktiven Rolle besteht also darin, dass in beiden Fällen ein abstrakter Gegenstand, nämlich die Rolle bzw. das Amt, von einem konkreten Gegenstand, nämlich dem Träger des Amtes bzw. der Rolle, unterschieden werden muss. Gemeinsam haben das Amt und die Rolle weiterhin, dass beide abstrakte Gegenstände sind, die durch den erfolgreichen Vollzug eines deklarativen Aktes erschaffen werden. Wird ein Amt mit Rechten und Pflichten ausgestattet, müssen dafür deklarative illokutionäre Akte ausgeführt werden, in deren Rahmen die Rechte und Pflichten deklarativ prädiziert, das heißt verliehen werden müssen. Dass bestimmte Eigenschaften einem Amt verliehen werden, heißt aber nur, dass diese Eigenschaften an das Amt gebunden sind, nicht dass der abstrakte Gegenstand »Amt« diese Eigenschaften hat. Damit liegt nun der Schlüssel zum Verständnis der Prädikation bei fiktionalen Äußerungen vor: Nimmt ein Autor/Sprecher fiktionaler Rede Bezug auf ein abstraktes Artefakt, d. h. die Rolle, dann bindet er durch den Vollzug des Aktes der Prädikation im Rahmen fiktionaler Äußerungen an diese Rolle bestimmte Eigenschaften. Es ist aber nicht die Rolle, die diese Eigenschaften dadurch verliehen bekommt, sondern ein möglicher Träger der Rolle. An die Rolle »Anselmus« wird z. B. die Eigenschaft gebunden, Student zu sein. Nicht die Rolle wird dadurch zum Studenten, sondern ein möglicher Träger der Rolle. Der Träger einer fiktiven Rolle wird also über die Eigenschaften definiert, die der Autor an die fiktive Rolle bindet; ein Gegenstand ist genau dann Träger einer fiktiven Rolle, wenn er alle Eigenschaften hat, die der Autor an die Rolle gebunden hat. Das deklarative Prädizieren heißt also bei fiktionalen deklarativen illokutionären Akten, dass der Autor immer dann, wenn er auf eine Rolle Bezug nimmt, an diese Rolle weitere Eigenschaften bindet. Hat der Autor sein Werk beendet, könnte für jeden fiktiven Gegenstand, also jede Rolle, die er erschaffen hat und/oder auf die er Bezug genommen hat, eine Liste von Eigenschaften erstellt werden, die an die jeweilige Rolle gebunden sind. Analog könnte eine Liste von Eigenschaften erstellt werden, die an ein Amt gebunden sind und einem Träger des Amtes verliehen werden. Zwischen einem Amt und einer Rolle gibt es nun aber doch eine Reihe von Unterschieden: Das, worüber bei nicht-fiktionalen deklarativen Akten prädiziert wird, ist ein Status bzw. sind Statusfunktionen. Es können nur solche
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Eigenschaften verliehen werden, die ein Gegenstand haben kann, weil es eine entsprechende Institution und entsprechende kollektive Übereinkünfte gibt, die erlauben, dass einem Gegenstand ein Status zugesprochen wird und er kraft dieser Zuschreibung Funktionen erfüllen kann. Diese Einschränkung gibt es für das Prädizieren im Rahmen fiktionalerdeklarativer Akte nicht. Dem Autor/Sprecher fiktionaler Rede ist es z. B. auch erlaubt, an die Rolle auch solche Eigenschaften zu binden, die nur physikalisch beschrieben werden können. An eine Rolle kann so z. B. die Eigenschaft gebunden sein, 1,80 m groß zu sein oder 70 kg zu wiegen. Warum darf der Autor/Sprecher fiktionaler Rede auch solche Eigenschaften an seine Rolle binden? Das liegt daran, dass der Träger einer Rolle (1) nicht auf die gleiche Art wie der Träger des Amtes zum Träger der Rolle wird, und (2), dass ein Träger einer Rolle nicht mit deontischen Kräften ausgestattet wird. Der erste Punkt folgt daraus, dass Amtsträger erst durch eine zweite Deklaration, beispielsweise eine Ernennung, zum Träger des Amtes wird. Es muss also einen weiteren deklarativen Akt geben, durch welchen einem konkreten Gegenstand der Status verliehen wird, Amtsinhaber zu sein. Auch für diesen Schritt muss es entsprechende Institutionen und die kollektive Übereinkunft geben, dass ein konkreter Gegenstand nach dem Vollzug dieser Deklaration als Träger des Amtes zählt und damit alle Eigenschaften hat, die an das Amt gebunden sind. Eine solche Deklaration gibt es für den Träger einer Rolle nicht. Eine solche Deklaration, mit welcher ein konkreter Gegenstand zum Träger einer fiktiven Rolle ernannt würde, kann es sogar in dem Sinn, wie ein konkreter Gegenstand zum Amtsträger wird, nicht geben. Denn durch die Ernennung zum Amtsträger werden einem konkreten Gegenstand die Eigenschaften verliehen, die an das Amt gebunden sind. Die Eigenschaften, die an die fiktive Rolle gebunden sind, können aber nicht deklarativ einem konkreten Gegenstand verliehen werden. Dies gilt zumindest für die Eigenschaften, die üblicherweise an fiktive Rollen gebunden sind, wie 1,80 m groß zu sein, braune Augen zu haben und eine Schwester zu haben, die Tony Buddenbrook heißt. Träger einer Rolle ist nur, wer alle Eigenschaften hat, die der Autor an die Rolle gebunden hat. Gäbe es einen Träger einer fiktiven Rolle, hätte er alle diese Eigenschaften und noch einige mehr. Thomas Mann bindet beispielsweise an die Rolle »Thomas Buddenbrook« nicht die Eigenschaft, eine bestimmte Blutgruppe zu haben. Gäbe es aber einen Träger der fiktiven Rolle »Thomas Buddenbrook«, dann wäre dieser Träger ein konkreter Gegenstand, nämlich ein Mensch, und dieser Mensch hätte selbstverständlich auch eine Blutgruppe. Der Träger einer Rolle kann als ein solcher identifiziert werden, indem festgestellt wird, dass er alle Eigenschaften hat, die an die Rolle gebunden wurden, er kann aber nicht zum Träger der Rolle ernannt werden. Daher ist ein Schauspieler in dem hier vorgeschlagenen Sinn kein Träger einer Rolle, denn der Schauspieler
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hat nicht tatsächlich alle Eigenschaften, die der Autor an die Rolle gebunden hat. In Bezug auf viele Eigenschaften ist es so – in diesem Zusammenhang scheint mir diese Ausdrucksweise sehr angebracht –, dass der Schauspieler so tut, als habe er entsprechende Eigenschaften. Unter einem Träger einer Rolle verstehe ich aber einen konkreten Gegenstand, der die entsprechenden Eigenschaften tatsächlich hat und nicht nur so tut, als habe er sie. Ein Träger einer Rolle wäre ein existierender konkreter Gegenstand, der alle die Eigenschaften hätte, die der Autor an die Rolle gebunden hat. Rollen, also fiktive Gegenstände, zeichnen sich nun gerade dadurch aus, dass der Autor bei diesen gerade nicht vorsieht, dass es einen Träger geben soll oder tatsächlich gibt. Der Witz vieler realistischer fiktionaler Texte scheint aber grade zu sein, dass die Rollen so erschaffen werden, dass es ohne wesentliche Veränderungen in der empirischen Welt einen Träger geben könnte oder hätte geben können. Der fiktive Charakter Thomas Buddenbrook ist hierfür ein gutes Beispiel. Als Leser (oder Zuhörer) könnten wir uns einen Träger denken. Wir können uns einen konkreten Gegenstand vorstellen, der alle die Eigenschaften hat, die an die Rolle gebunden sind. Ich habe in Kapitel 3 aufgezeigt, wovon fiktive Charaktere als abstrakte Artefakte abhängig sind, nämlich von einem Autor/Sprecher und dessen sprachlichen Handlungen, mit welchen der Gegenstand erschaffen wird. Außerdem sind fiktive Charaktere davon abhängig, dass ein Exemplar eines Werkes, in dem sie auftauchen, existiert und auch wenigstens einen kompetenten Leser. Auch nachdem ich fiktive Charaktere als Rollen spezifiziert habe, gilt dies für sie. Rollen sind, genauso wie Ämter, als abstrakte Artefakte nicht davon abhängig, dass es einen Träger gibt. Werden an eine Rolle sich widersprechende Eigenschaften gebunden oder Eigenschaften, von welchen wir glauben, dass ein Träger sie aus irgendwelchen Gründen nicht haben kann, dann wird es entweder sehr unwahrscheinlich oder sogar unmöglich, dass es einen Träger der Rolle geben kann. Dies betrifft aber die Existenz eines Trägers, nicht die Existenz der Rolle. Eine fiktive Rolle kann es, wie gesagt, auch dann geben, wenn es keinen Träger gibt, (was der Normalfall ist) eine Rolle kann es aber auch dann geben, wenn es keinen Träger geben kann. Die Existenz der Rolle hängt nur von der Erfüllung der oben genannten Bedingungen ab, nämlich, dass ein Autor oder Sprecher sie mit seinen fiktionalen deklarativen Akten erschafft (damit die fiktive Rolle zu existieren beginnt), dass es ein Exemplar des Werkes gibt, in dem sie auftauchen und wenigstens einen kompetenten Leser (damit die fiktive Rolle nach ihrer Erschaffung weiter existiert). An dieser Stelle kann nun auch geklärt werden, warum auf fiktive Charaktere mit Ausdrücken Bezug genommen werden kann, mit welchen im Rahmen anderer illokutionärer Akte auf konkrete Gegenstände Bezug genommen wird. Obwohl zwischen dem Träger einer Rolle und der Rolle unterschieden werden
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kann, werden oft Ausdrücke, mit welchen Bezug genommen wird, zweideutig verwendet. Wenn E.T.A. Hoffmann schreibt: »Der Student Anselmus saß in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer«, dann nimmt er mit »der Student Anselmus« auf den fiktiven Charakter Bezug, d. h. die Rolle, und bindet durch den Akt der Prädikation an die Rolle die Eigenschaft, dass ihr Träger die Eigenschaft hätte, »in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer« zu sitzen. Auf den Träger der Rolle könnte mit »der Student Anselmus« Bezug genommen werden. Der Ausdruck »der Student Anselmus« ist also zweideutig, mit ihm kann auf die Rolle und auch auf den Träger der Rolle Bezug genommen werden. Auf diese Art von Zweideutigkeit wurde auch im Zusammenhang mit der Untersuchung des deklarativen Aktes der Amtseinführung schon hingewiesen. Auch wenn die Rede von abstrakten Artefakten wie Ämtern ist, gibt es zweideutige Ausdrücke. Mit »der Vorsitzende der Banditen-Partei« kann sowohl auf einen Träger dieses Amtes, als auch auf das Amt selbst Bezug genommen werden. Es muss nun noch geklärt werden, wie E.T.A. Hoffmanns Äußerung expliziert werden kann. Drei Aspekte müssen hierfür beachtet werden: 1. Mit der Äußerung wird auf eine Rolle Bezug genommen; 2. An die Rolle wird die Eigenschaft gebunden, dass ihr Träger die Eigenschaft hat, dass er in sich gekehrt beim rudernden Schiffer saß; 3. Es handelt sich bei dieser Äußerung um eine Deklaration. Als performatives Verb verwende ich für diese Äußerung den Ausdruck »festlegen«. Die Äußerung muss unter Berücksichtigung dieser Punkte folgendermaßen expliziert werden: Hiermit lege ich fest, dass die Rolle »Anselmus« die höherstufige Eigenschaft besitzt, dass ihr Träger, wenn es einen Träger gibt, die Eigenschaft hat in sich gekehrt beim rudernden Schiffer zu sitzen.
Die mit dieser Äußerung ausgedrückte Proposition entspricht folglich dem Dass-Satz »dass die Rolle ›Anselmus‹ die höherstufige Eigenschaft besitzt, dass ihr Träger die Eigenschaft hat, in sich gekert beim rudernden Schiffer zu sitzen.« Weil diese Proposition im Rahmen eines deklarativen illokutionären Aktes ausgedrückt wird, hat sie die doppelte Passensrichtung. Die Proposition hat also einerseits die Welt-auf-Wort-Passensrichtung, weil sie geäußert wird, um die Welt der Proposition entsprechend zu verändern. Andererseits hat die Proposition die Wort-auf-Welt-Passensrichtung, weil schon durch den erfolgreichen Vollzug dieses illokutionären Aktes die Welt entsprechend der der Proposition verändert ist und damit mit der Proposition ein Sachverhalt entspricht. Der Sachverhalt, den es durch den erfolgreichen Vollzug der Äußerung in der Welt gibt, ist dass es eine Rolle »Anselmus« mit der genannten höherstufigen Eigenschaft gibt. Und um noch einmal die Analogie zu dem Amt des Parteivor-
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sitzenden zu bemühen: Auch in diesem Fall gibt es einen abstrakten Gegenstand: das Amt, das die Eigenschaft hat, dass sein Träger bestimmte Eigenschaften hat. Diese Eigenschaft hat das Amt auch dann, wenn noch niemand zum Träger des Amtes bestimmt wurde. Die Proposition »dass die Rolle ›Anselmus‹ die höherstufige Eigenschaft besitzt, dass ihr Träger, wenn es einen Träger gibt, die Eigenschaft hat, in sich gekehrt beim rudernden Schiffer zu sitzen«, ist also dann wahr, wenn es eine Rolle mit der entsprechenden höherstufigen Eigenschaft gibt. Für die Wahrheit der Proposition ist es nicht relevant, ob es tatsächlich einen Träger der Rolle gibt. Der eingeschobene Konditionalsatz macht dies explizit. Vollzieht also ein Autor fiktionaler Rede erfolgreich fiktionale illokutionäre Akte, so äußert er damit wahre Propositionen. E.T.A. Hoffmann äußert beispielsweise die wahre Proposition, dass an die Rolle »Anselmus« die Eigenschaft gebunden ist, dass ihr Träger, wenn es einen Träger gibt, die Eigenschaft hat in sich gekehrt beim rudernden Schiffer zu sitzen. Wahr werden solche Propositionen im Übrigen erst durch den erfolgreichen Vollzug der fiktionalen deklarativen illokutionären Akte.
4.4.4 Eine Herausforderung: Eigennamen empirischer Gegenstände in fiktionalen Äußerungen Smiling and waving and looking so fine Don’t think you knew you were in this song (David Bowie, Five Years)
In fiktionaler Rede kommen auch Äußerungen vor, die wie die bisher betrachteten Fälle von der Struktur der geäußerten Sätze wie Behauptungen erscheinen, in welchen Ausdrücke benutzt werden, die in anderen Kontexten als Eigennamen gelten. Der Ausdruck »London« in den Sherlock-Holmes-Romanen wird häufig als Beispiel hierfür angeführt. Wie soll innerhalb einer Theorie fiktiver Rollen mit solchen Äußerungen umgegangen werden? Ich werde im Folgenden – einige Überlegungen aus den Kapiteln 1 und 2 aufgreifend – diskutieren, ob solche Äußerungen korrekterweise als Behauptungen aufgefasst werden können und diese Position zurückweisen. Im Anschluss daran werde ich einen Vorschlag unterbreiten, wie solche Äußerungen und die Verwendung der Eigenamen in diesen Fällen im Rahmen meiner Theorie fiktiver Rollen verstanden werden können. Verschiedene Autoren sind der Meinung, dass Ausdrücke, die außerhalb der Fiktion zur Bezugnahme auf empirische – vielfach historische – Individuen verwendet werden, innerhalb der Fiktion genau die gleiche semantische Funktion haben. Eine Sicht dieser Art hat eine Reihe von Vorteilen: Erstens muss für
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bereits existierende Eigennamen keine neue Verwendungsweise speziell im Rahmen fiktionaler Rede angenommen werden. Zweitens rechtfertigt diese These Annahmen, die von Lesern bzgl. der betreffenden Gegenstände häufig gemacht werden. K. Walton, zum Beispiel, spricht von dem »Reality Principle« (Walton, 1990, S. 51 u. 397ff). Gemäß diesem Prinzip gehen Leser zunächst davon aus, dass die fiktive Welt wie die reale Welt ist, und ziehen dementsprechende Rückschlüsse oder ergänzen für ihr Verständnis des Textes Fakten, die der Autor nicht angibt: Solange E.T.A. Hoffmann keine anderen Angaben macht, scheint der Leser zu Folgendem berechtigt zu sein: Der Leser kann annehmen, dass E.T.A. Hoffmann eine Reihe von Propositionen mit Bezug auf das Schwarze Tor für wahr gehalten hat, daher ist er auch gerechtfertigt darin anzunehmen, dass diese Propositionen auch im Rahmen der fiktiven Geschichte auf das Schwarze Tor zutreffen. G. Currie geht sogar so weit, dass er annimmt, dass ein Leser, der nicht wüsste, dass sich ein Autor mit einem Eigennamen auf einen tatsächlich existierenden Gegenstand bezieht, Schwierigkeiten beim Verstehen des fiktionalen Textes bekäme: Surely the reader of the Sherlock Holmes stories is supposed to understand that »London«, as it occurs in the stories, refers to London. Someone who did not have the slightest idea what city London was, or who thought that the location of the story was as fictional as any of the characters in it, would not properly understand the story. The Holmes stories are about (among other things) London, not »the London of the Holmes stories«, if that’s supposed to be something other than London itself. (Currie, 1990, S. 4f.)
Nun scheint es, dass, wenn mit »das Schwarze Tor« auf das Schwarze Tor Bezug genommen wird und E.T.A. Hoffmann darüber hinaus etwas darüber aussagt, was tatsächlich auf das Schwarze Tor zutrifft (beispielsweise, dass es in Dresden steht), es sich bei dieser Äußerung um einen assertiven illokutionären Akt handeln muss. Eine solche Position wird auch explizit von Searle vertreten (Searle, 1979a). Er geht davon aus, dass es im Rahmen fiktionaler Rede Äußerungen geben kann, die assertiv sind. Searles Ausführungen lassen den Eindruck entstehen, dass die Bezugnahme auf einen nicht-fiktiven Gegenstand für ihn ausreicht, um bei diesen speziellen Äußerungen von Behauptungen zu sprechen. Bereits in Kapitel 2.1 habe ich gegen die These argumentiert, dass fehlende Bezugnahme ein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen fiktionaler Rede sein kann. Ich werde im Folgenden versuchen zu zeigen, dass Bezugnahme auch bei den hier betrachteten Fällen als Kriterium für die korrekte Charakterisierung der zur Debatte stehenden Äußerungen nicht hinreichend sein kann. Searle scheint Fiktionalität über fehlende Referenz bestimmen zu wollen. Tauchen im Rahmen eines fiktionalen Textes Äußerungen auf, die offensichtlich eine tatsächliche Bezugnahme und nicht nur eine vorgebliche beinhalten, will er
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diese Äußerungen als assertive illokutionäre Akte verstanden wissen, wie die folgenden zwei Passagenbelegen: Most fictional stories contain nonfictional elements: along with the pretended references to Sherlock Holmes and Watson, there are in Sherlock Holmes real references to London and Baker Street and Paddington Station; […] Again, if Sherlock Holmes and Watson go from Baker Street to Paddington Station by a route which is geographically impossible, we will know that Conan Doyle blundered even though he has not blundered if there never was a veteran of the Afghan campaign answering to the description of John Watson, MD.« (Searle, 1979a, S. 72 Sometimes the author of a fictional story will insert utterances in the story which are not fictional and not part of the story. To make a famous example, Tolstoy begins Anna Karenina with the sentence ›Happy families are all happy in the same way, unhappy families unhappy in their separate, different ways.‹ That, I take it, is not a fictional but a serious utterance. It is a genuine assertion. It is part of the novel but not part of the fictional story.« (Searle, 1979a, S. 73–74)
Einen ähnlichen Standpunkt wie Searle vertritt auch Maria E. Reicher (Reicher, 2012). Sie geht davon aus, dass es im Rahmen fiktionaler Texte Äußerungen gibt, die als Behauptungen gelten müssen, da sie annimmt, dass für diese Äußerungen die Gelingensbedingungen, die Searle für Behauptungen formuliert hat, gültig sind. So seien besonders in historischen Romanen Äußerungen zu finden, deren propositionaler Gehalt tatsächlich einem (historischen) Sachverhalt entspräche. Außerdem würden Leser dem Autor unterstellen, er halte diese Propositionen selbst für wahr (Reicher, 2012). Im Gegensatz zu Searle will sie solche Äußerungen dennoch auch als fiktionale illokutionäre Akte verstanden wissen. Einen fiktionalen illokutionären Akt nennt Reicher »an illocutionary act of devising a fictional world« (Reicher, 2012, S. 120). Mit einer Äußerung wird dann gemäß Reicher ein fiktionaler illokutionärer Akt vollzogen, wenn mit ihr eine »fiktive Welt« erschaffen wird. Auch mit einer Äußerung, mit der eine wahre Proposition geäußert wird, kann gemäß Reicher eine fiktive Welt erschaffen werden: Is it true that we do not expect an author who uses an assertive sentence for devising a fictional world to tell the truth, to believe what he tells us and to have good reasons to believe what he tells us? I think that this is not always the case. This is not to deny that in many cases we do not expect assertive sentences that are used to devise a fictional world to be true, and we do not expect the author of these sentences to believe with good reasons that they are true. Yet, there are relevant exceptional cases, for instance the quoted passage from Water music. […] Rather it seems to me that the quoted utterances about the endemiology of Western Africa around 1800 clearly have the function of devising the fictional word of the novel, alongside many other utterances, some of which the author may have held to be true with good reasons, some of which he clearly held to be false, and some of which he didn’t even consider with respect to their truthvalue. (Reicher, 2012, S. 120f.)
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Reicher nimmt offensichtlich an, dass ein Sprecher mit einer Äußerung mehrere illokutionäre Akte vollziehen kann, hier einen fiktionalen und einen assertiven illokutionären Akt. Wie ich in Kapitel 1.3 geschrieben habe, gehe ich ebenfalls davon aus, dass dies möglich ist. Dennoch halte ich diese Charakterisierung nicht für richtig, wie ich im Folgenden zeigen möchte. Um zu entscheiden welcher illokutionäre Akttyp mit einer Äußerung vollzogen wird, muss, so denke ich, der Umgang mit diesen Äußerungen untersucht werden. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen lassen sich dann Kriterien ableiten, anhand derer illokutionäre Akte beschrieben und voneinander unterschieden werden können. Reicher argumentiert auch viel subtiler als Searle, da sie neben der Bezugnahme auch unseren Umgang mit den betreffenden Äußerungen als Argument für ihre These anführt. Sie bezieht sich aber auf die Gelingensbedingungen, die Searle für Behauptungen (Searle, 1979a, S. 62, s. auch Kapitel2.2.1) aufstellt. Ich werde im Folgenden versuchen zu zeigen, dass diese Bedingungen für die hier betrachteten Fälle viel zu streng und damit auf sie nicht anwendbar sind. Was würde passieren, wenn ein Leser eines fiktionalen Textes von einer Proposition zunächst annimmt, dass sie wahr ist, sich dann aber herausstellte, dass sie falsch ist? Der Autor könnte, so wie in faktualen Kontexten auch, (1) einen Fehler begangen haben, d. h. sich in Bezug auf die Proposition geirrt, sie für wahr gehalten haben, obwohl sie falsch ist. Außerdem könnte es sein, dass (2) der Autor absichtlich etwas Falsches aufgeschrieben hat. Mehrfach wurde nun darauf hingewiesen, dass wir in diesen letztgenannten Fällen dem Autor gerade keine täuschende Absicht unterstellen, sondern die Absicht etwas Erfundenes zu erzählen. Diese Absicht habe ich »fiktionale Absicht« genannt (s. Kapitel 4.3.3). Damit scheint es zumindest, dass wir dem Autor keine Lüge vorwerfen könnten. Wie sieht es im Fall des Irrtums aus? Ein Autor kann das Ziel haben, eine Geschichte zu erfinden oder in Reichers Worten, eine fiktive Welt zu erschaffen, die der Realität sehr ähnlich ist. Bei historischen Romanen oder generell bei realistischer Literatur ist dies gewöhnlich der Fall. Häufig scheinen Autoren den Eindruck erwecken zu wollen, dass in einer Welt, die so ist wie die Realität, eine erfundene Handlung stattfindet. Aus diesem Grund sind Autoren fiktionaler Rede daran interessiert, auch im Rahmen der fiktionalen Rede, Propositionen zu äußern, die tatsächlichen Sachverhalten in der Welt entsprechen. Zu diesem Zweck werden oft intensive Recherchen betrieben, um keine Fehler bei diesen Äußerungen zu begehen. Obwohl es ein Ziel des Autors ist, Propositionen zu äußern, die er auch hätte behaupten können, sind diese Äußerungen aber, dafür möchte ich nun argumentieren, als echte Beschreibungen der Welt anzusehen. Wären sie Beschreibungen und somit assertive Akte, würden für diese Äußerungen die für assertive Akte entsprechenden Gelingensbedingungen gelten: Wir würden den Autor beispielsweise auffordern dürfen, Beweise für die Rich-
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tigkeit der Beschreibungen anzubringen. Außerdem wären Leser berechtigt, diesen Beschreibungen Glauben zu schenken, und zwar so, wie wenn es Äußerungen in einem Sachtext wären. Aber selbst wenn wir vermuten, dass ein Autor im Rahmen eines fiktionalen Textes eine oder mehrere Propositionen äußert, die er für wahr hält, gehört es doch zu unserem Umgang mit fiktionalen Texten, dass wir uns, auch in solchen Fällen, nicht in dem Maße darauf verlassen, dass die geäußerten Propositionen tatsächlich wahr sind bzw. vom Autor für wahr gehalten werden, wie wir es bei einem Sachtext tun. Wer sich z. B. auf eine Geschichtsklausur über die Rolle der Frau im Mittelalter vorbereitet, wird zur Vorbereitung keinen historischen Roman, sondern eine geschichtswissenschaftliche Abhandlung lesen. Dass wir als Leser keine Belege für die Wahrheit der infrage kommenden Propositionen einfordern und uns nicht drauf verlassen, dass diese Propositionen tatsächlich wahr sind, liegt meines Erachtens daran, dass wir allen Äußerungen in fiktionalen Texten mit einer anderen Haltung begegnen als wir dies bei faktualen Texten tun: Wir rechnen – gerechtfertigterweise – damit, dass wir eher auf falsche denn auf wahre Propositionen stoßen. Ich glaube, dass wir uns typischerweise nicht fragen, ob die einzelnen Sätze z. B. eines Romans wahr sind, wir also mit einer gewissen epistemischen Zurückhaltung auf diese Äußerungen reagieren. Manchmal haben wir aber den Eindruck, dass tatsächlich im Rahmen der Fiktion etwas beschrieben wird. Aber das Besondere dieser Äußerungen gegenüber Behauptungen, die in einem faktualen Kontext stehen, ist, dass in fiktionalem Kontext gerade erlaubt ist, dass falsche Propositionen geäußert werden. Es ist erlaubt, dass der Autor über einen nicht-fiktiven Gegenstand etwas Falsches sagt. Wir müssten also, um zu entscheiden, ob es sich bei einer Äußerung um einen Fehler handelt, nicht nur überprüfen, ob die Proposition tatsächlich falsch ist. Wir müssten auch herausfinden, ob es nicht die Absicht des Autors war, eine falsche Proposition zu äußern. Bei einem faktualen Text unterstellen wir dem Autor bis auf weiteres, dass er die Absicht hat, etwas Wahres zu schreiben; zu dieser Unterstellung sind wir bei fiktionalen Texten aber gerade nicht berechtigt. Erst wenn ausgeschlossen wäre, dass der Autor nicht absichtlich etwas Falsches geschrieben hat, könnte man dem Autor diesen Irrtum vorwerfen. Ein solches Vorgehen halte ich aber gerade nicht für typisch, vielmehr akzeptieren wir bei der Lektüre fiktionaler Texte die Ungewissheit in der Frage nach der Wahrheit des Geschriebenen. Damit unterscheidet sich der Umgang mit Sätzen, mit welchen auf nichtfiktive Gegenstände Bezug genommen wird, in vielen relevanten Hinsichten von unserem Umgang mit assertiven Äußerungen: 1.) In fiktionalem Kontext unterstellen wir, dass ein Autor keine täuschende Absicht, sondern eine fiktionale Absicht hat. Daher gilt das absichtliche Äußern falscher Propositionen auch nicht als Lügen.
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2.) Wir begegnen den (vermeintlich wahren) Äußerungen mit einer epistemischen Zurückhaltung, was bei entsprechenden Äußerungen in faktualem Kontext nicht der Fall ist. 3.) Wir akzeptieren die Ungewissheit bzgl. der Frage nach der Wahrheit der betreffenden Propositionen. 4.) Wegen (3) fordern wir den Autor nicht auf, Belege für die Richtigkeit der betreffenden Äußerungen zu liefern und verpflichten ihn auch nicht, Folgen zu akzeptieren, die sich aus dem Geäußerten ergeben. 5.) Aus (4) folgt wiederum, dass der Autor nicht auf die Wahrheit der geäußerten Propositionen festgelegt wird. Aufgrund dieser Unterschiede scheint es mir nun gerechtfertigt Folgendes anzunehmen: Macht ein Autor fiktionaler Rede einen Fehler, das heißt, äußert er eine Proposition, der kein Sachverhalt entspricht, hat er auch in diesem Fall nichts Falsches behauptet, weil er mit diesen Äußerungen, so meine ich, überhaupt nicht behauptet. Mir scheint es adäquater, diese »Fehler« wenn überhaupt dann als stilistische Fehler anzusehen. Durch diese gelingt es dem Autor eventuell nicht, bei Lesern den Eindruck zu erwecken (oder aufrechtzuhalten), die fiktionale Handlung würde in unserer Welt oder in einer Welt stattfinden, die unserer ähnelt. Ob eine solche Äußerung aber überhaupt als Fehler angesehen wird, ist aber eine Frage, die z. B. Literaturkritiker beantworten, indem sie für die Beantwortung dieser Frage ihre Interpretation des Textes zugrunde legen. Gehen wir als Leser davon aus, dass der Autor absichtlich einem Gegenstand Eigenschaften zuschreibt, die dieser tatsächlich nicht bzw. von dem der Autor angenommen hat, dass der Gegenstand sie nicht hat, »empfinden« wir eine solche Äußerung nicht als Fehler, sondern sehen dies z. B. eher als ein besonderes Stilmittel an oder einen »Trick«, durch den es dem Autor gelingt, seine Geschichte in irgendeiner Weise besonders gut zu erzählen, und akzeptieren dieses Vorgehen. Durch Interpretation und das Miteinbeziehen des (textuellen) Kontextes der Äußerung kann entschieden werden, ob eine Äußerung als Fehler anzusehen ist oder nicht. Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Äußerungen im Rahmen fiktionaler Rede von Behauptungen. Bei Behauptungen geht es nicht um Stilfragen: Wer etwas (aufrichtig) behauptet, das nicht zutrifft, hat irrtümlich behauptet, wer absichtlich etwas Falsches behauptet, hat gelogen! Reicher vertritt die These, dass mit Äußerungen mit Eigennamen sowohl Behauptungen als auch illokutionäre Akte des »devising a fictional world« vollzogen werden. Nun wurde aber deutlich, dass fiktionale Äußerungen auch dann nicht als assertive Akte aufgefasst werden können, wenn das, was (scheinbar) über einen empirischen Gegenstand gesagt wird, tatsächlich zutrifft. Dies gilt selbst für die Fälle, bei welchen wir annehmen, dass der Autor die Überzeugung hat, dass das, was er äußert, wahr ist.
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Von Reichers These bleibt noch übrig, dass Äußerungen, die einen wahren Gehalt haben bzw. zumindest einer Überzeugung des Autors zu entsprechen scheinen, eine fiktive Welt erschaffen. Reicher bleibt uns aber eine Antwort schuldig, wie dies mit diesen wahren Äußerungen vonstattengehen kann. Mit meinem im Folgenden vorgestellten Vorschlag versuche ich zu zeigen, wie auch die hier betrachteten Äußerungen dazu beitragen, dass die Geschichte erzählt bzw. eine fiktive Welt erschaffen wird. Mein Vorschlag, wie im Rahmen der Theorie fiktiver Rollen erklärt werden kann, wie Äußerungen, in welchen Eigennamen empirischer Gegenstände verwendet werden, dazu beitragen, dass eine fiktionale Geschichte erzählt wird, lautet: Der Autor erschafft auch mit Äußerungen, in denen Eigennamen empirischer Gegenstände verwendet werden, fiktive Rollen. Dies möchte ich anhand des folgenden Beispiels erläutern: Früher schon einmal, in Heidelberg, kam Hegel einmal stark angetrunken zur Vorlesung auf der Universität. »Das Ganze hier ist doch eine unerträgliche Scheiße!« rief er erbittert. Als Hegel die ungläubigen Mienen der Studenten sah, wußte oder ahnte er, daß er etwas falsch gemacht hatte. »Das Ganze«, probierte er es noch einmal, »ist eine einzige Lüge!« Erste leise Pfiffe wurden laut und also nahm Hegel einen letzten Anlauf: »Das Ganze«, einer Eingebung gehorchend senkte Hegel den Ton ins mehr Schmeichlerische und fast Kokette, »ist das Wahre.« Worauf die Studenten naturgemäß erleichtert aufatmeten. (Henscheid, 1995, S. 83f.)
Eckhard Henscheid bezieht sich, so meine These, mit »Hegel« nicht auf den Philosophen mit diesem Namen, sondern auf eine fiktive Rolle, die er erschafft und welcher er mit einem quasi-Kripkeanischen Taufakt denselben Namen verleiht, wie der Philosoph ihn hat. An diese Rolle bindet er – in dem im vorherigen Kapitel erläuterten Sinn – Eigenschaften wie »stark angetrunken zur Vorlesung zu kommen«. Die Äußerung des ersten Satzes der oben zitierten Geschichte muss also folgendermaßen expliziert werden: Hiermit lege ich fest, dass die fiktive Rolle »Hegel« die Eigenschaft bekommt, dass der Träger der fiktiven Rolle »Hegel« einmal stark angetrunken zur Vorlesung kam.
Auch bei der fiktiven Rolle »Hegel« muss zwischen der fiktiven Rolle, als abstraktes Artefakt, und einem Träger dieser Rolle unterschieden werden. »Träger einer Rolle« habe ich aber so definiert, dass nur genau der Gegenstand Träger der Rolle ist, der alle Eigenschaften hat, die an die Rolle gebunden sind. Geht man nun davon aus, dass der Philosoph Hegel nicht stark angetrunken zu einer Vorlesung in Heidelberg erschienen ist und nicht die ihm im Text zugeschrieben Sätze geäußert hat, so treffen auf den Philosophen gerade nicht alle Eigenschaften zu, die der Autor an die fiktive Rolle »Hegel« gebunden hat. Der Philosoph Hegel ist damit nicht der Träger der fiktiven Rolle »Hegel«. Nun stellt sich die Frage, wie angesichts dieser Erklärung Henscheids kleine Geschichte über-
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haupt etwas mit dem Philosophen Hegel zu tun haben kann. Und käme heraus, dass es zwischen der Geschichte und dem Philosophen überhaupt keinen Bezug gibt, dann könnte mit dieser These nicht erklärt werden, worin der besondere Witz dieser Geschichte besteht. Nun tauft Henscheid die fiktive Rolle aber gerade nicht zufällig mit dem gleichen Namen, den auch der Philosoph trägt. Indem Henscheid die fiktive Rolle auf den Namen »Hegel« tauft, bindet er, wie ich sagen möchte – implizit und anfechtbar bzw. lediglich prima facie – an die Rolle Eigenschaften, die der Philosoph tatsächlich hat. Würden wir als Leser uns nun einen Träger der Rolle vorstellen, können wir uns einen Gegenstand vorstellen, der Eigenschaften hat, die auch der Philosoph Hegel hat und darüber hinaus aber auch die Eigenschaften hat, die der Autor an die Rolle Hegel explizit gebunden hat. Allgemein formuliert heißt dies: Indem der Autor eine fiktive Rolle mit dem Eigennamen eines empirischen Gegenstandes tauft, bindet er implizit und anfechtbar die Eigenschaften an die fiktive Rolle, von denen er glaubt, dass der betreffende Gegenstand sie tatsächlich hat. Vor allem wird an die fiktive Rolle die Eigenschaft gebunden, den Namen Hegel zu tragen. Gerade diese Bindung mag für den Eindruck verantwortlich sein, der Autor würde mit den entsprechenden Äußerungen auf den konkreten Gegenstand, also den Menschen Hegel, Bezug nehmen. Nun wissen wir als Leser in den meisten Fällen nicht genau, in Bezug auf welche Eigenschaften des empirischen Gegenstandes der Autor die Überzeugung hat, dass der empirische Gegenstand sie tatsächlich hat. Daher ist es für uns Leser viel diffuser, wenn Eigenschaften implizit an eine Rolle gebunden werden, als in dem Fall, in dem der Autor Eigenschaften explizit an eine Rolle bindet. Bei Ausbleiben expliziter gegenteiliger Hinweise, sind Leser berechtigt anzunehmen, dass der Autor die Eigenschaften implizit an die Rolle bindet, von denen man ausgehen kann, dass der Autor die Überzeugung hat, dass der empirische Gegenstand mit dem entsprechenden Eigennamen diese tatsächlich hat. Hat ein empirischer Gegenstand eine Eigenschaft, die zu haben ausschließen würde, dass er auch eine Eigenschaft hat, die ein Autor explizit an eine Rolle gebunden hat, geben wir als Leser in Bezug auf die Rolle den Eigenschaften den Vorrang, die der Autor explizit an eine Rolle bindet. Daher habe ich die implizite Eigenschaftsbindung als anfechtbar bzw. lediglich prima facie charakterisiert. Was heißt das konkret? Wüssten wir beispielsweise sicher, und davon bin ich hier ausgegangen, dass der Philosoph Hegel niemals betrunken in eine Vorlesung in Heidelberg kam, sind wir bereit, diese Eigenschaft, die der Philosoph hat, nicht auf die Rolle zu übertragen. Wir nehmen also an, dass Henscheid nur die Eigenschaften des Philosophen implizit an die fiktive Rolle bindet, die nicht im Widerspruch zu den Eigenschaften stehen, die er explizit an die Rolle bindet. Würden wir uns als Leser einen Träger der fiktiven Rolle »Hegel« vorstellen,
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würden wir uns einen konkreten Gegenstand vorstellen, der in sehr vielen Hinsichten dem Philosophen gleicht, der aber die Eigenschaften hat, einmal betrunken in der Vorlesung erschienen zu sein und daraufhin einige besondere, sonst nirgends dokumentierte Sätze geäußert zu haben. Was ist nun mit den Äußerungen, die Reicher nicht nur als fiktionale Äußerungen, sondern auch als Behauptungen klassifiziert hat? An eine fiktive Rolle mit dem Eigennamen eines empirischen Gegenstands können auch explizit Eigenschaften gebunden werden, die der empirische Gegenstand auch tatsächlich hat. Solche Äußerungen sind nicht anders zu explizieren als die Äußerungen, mit welchen an die fiktive Rolle Eigenschaften gebunden werden, die der empirische Gegenstand tatsächlich nicht hat. Ein Autor kann aber auch eine fiktive Rolle erschaffen, die er mit dem Eigennamen eines empirischen Gegenstandes tauft, und an diese Rolle auch explizit nur Eigenschaften binden, die der empirische Gegenstand tatsächlich auch hat. In diesem Fall, wenn also ein empirischer Gegenstand alle Eigenschaften hat, die ein Autor an eine Rolle gebunden hat, ist der empirische Gegenstand Träger der Rolle. Beispiele für diesen Fall sind in der fiktionalen Literatur sicher rar, da doch in den meisten Fällen wenigstens eine Eigenschaft an die Rolle gebunden ist, die dann der vermeintliche Träger nicht hat. Zu Beginn dieses Kapitels habe ich Currie zitiert, der die These vertritt, dass es beispielsweise in den Sherlock-Holmes-Romanen u. a. um das »echte« London geht und nicht um ein »London des Sherlock-Holmes-Romans«. Im Hinblick auf die Theorie fiktiver Rollen kann ich nun sagen, dass ich Currie in einer Hinsicht zustimme, denn gemäß meinem Vorschlag bindet der Autor an die fiktive Rolle »London« implizit und anfechtbar die Eigenschaften der realen Stadt London. Daher stimme ich Currie auch darin zu, dass es für das Verständnis des Textes relevant ist und in einigen Fällen sogar für das Verständnis des Textes notwendig ist, dass ein Leser den entsprechenden nicht-fiktiven Gegenstand kennt bzw. einige Überzeugungen bzgl. dieses Gegenstandes hat. Würden Leser keine Überzeugungen über die empirischen Gegenstände haben, deren Namen einige fiktive Rollen haben, bedeutete dies eine erhebliche Einschränkung für das Verständnis des entsprechenden Textes. In einer anderen Hinsicht muss Currie nun aber klarerweise widersprochen werden: Gemäß meinem Vorschlag wird mit den entsprechenden Eigennamen gerade nicht auf die empirischen Gegenstände Bezug genommen, sondern auf die fiktiven Rollen, die der Autor erschafft und quasi-Kripkeanisch mit den Eigennamen der entsprechenden empirischen Gegenstände tauft. Nun kann folgendes Fazit gezogen werden: Fiktionale Äußerungen sind solche Äußerungen, mit welchen (1) fiktive Rollen erschaffen werden und an diese Rollen Eigenschaften gebunden werden und (2) an bereits erschaffene Rollen weitere Eigenschaften gebunden werden. Dies trifft auch auf solche Äu-
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Schluss
ßerungen zu, in welchen Eigennamen empirischer Gegenstände verwendet werden. Indem ein Autor eine fiktive Rolle mit einem Eigennamen eines empirischen Gegenstandes tauft, bindet er implizit Eigenschaften an die Rolle, von denen er die Überzeugung hat, dass der betreffende empirische Gegenstand sie hat. Dies gilt aber nur für die Eigenschaften des empirischen Gegenstandes, die nicht im Widerspruch zu Eigenschaften stehen, die der Autor explizit an die Rolle gebunden hat.
4.5
Schluss
Die Frage, die ich mir zu Beginn dieser Arbeit gestellt habe, lautete: Wie kann die sprachliche Äußerung, mit der ein Autor/Sprecher eine erfundene Geschichte erzählt, angemessen charakterisiert werden? Vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie stellt sich die Frage, ob mit solchen Äußerungen ein propositionaler und ein illokutionärer Akt vollzogen werden können. Austin und Searle haben beide die These vertreten, dass solche fiktionalen Äußerungen nicht wie gewöhnliche Äußerungen in der Terminologie der Sprechakttheorie beschrieben werden können. Diese These habe ich bestritten. Um zu zeigen, dass durch fiktionale Äußerungen Sprechakte vollzogen werden, habe ich zunächst dargelegt, dass eine sprachliche Äußerung dann der Vollzug eines illokutionären Aktes ist, wenn mit dieser Äußerung ein Zweck verfolgt wird, der nur dann erreicht werden kann, wenn es eine Konvention gibt, der zufolge bestimmte Äußerungen als Vollzüge einer Handlung zum Erreichen solcher Zwecke zählen können. Die Absicht, eine erfundene Geschichte zu erzählen, kann ein Sprecher nur dann erfolgreich verfolgen, wenn es eine Konvention gibt, die eine Äußerung als eine fiktionale zählen lässt. Ich habe eine Äußerung dann fiktional genannt, wenn der Sprecher oder Autor die Absicht hat mit dieser Äußerung eine erfundene Geschichte zu erzählen. In gewisser Weise erzählt nun auch derjenige eine erfundene Geschichte, der einen fiktionalen Text vorliest oder eine bereits erfundene Geschichte wieder erzählt. Mit solchen Äußerungen habe ich mich nicht beschäftigt, obwohl auch diese mit Recht als fiktionale Äußerungen bezeichnet werden können. Ich habe dagegen nur solche fiktionalen Äußerungen untersucht, mit denen eine erfundene Geschichte zum ersten Mal erzählt wird. Ob die Geschichte im Geist des Autors schon vorher existiert hat oder nicht, habe ich dabei offen gelassen. Wichtig ist, dass die Geschichten durch die Äußerungen für andere zugänglich werden. Ich habe also nur solche fiktionalen Äußerungen betrachtet, mit welchen eine fiktionale Geschichte erfunden oder, sofern sich der Autor die Ge-
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schichte bereits vor der Äußerung ausgedacht hat, durch diese die Geschichte erstmalig für andere zugänglich wird. Dass der Autor die Absicht hat, eine erfundene Geschichte zu erzählen, ist eine notwendige Bedingung dafür, dass eine Äußerung als Versuch, einen fiktionalen illokutionären Akt zu vollziehen, zählen kann. Um mit einer Äußerung erfolgreich einen fiktionalen illokutionären Akt zu vollziehen, müssen Adressaten erkennen, dass diese Äußerung als Vollzug eines illokutionären Aktes zählen soll. Handelt es sich bei der fiktionalen Äußerung um einen Text, ist die Kommunikationssituation typischerweise so, dass es einen Autor, aber mehrere Rezipienten gibt. Die Äußerung kann in Bezug auf einen Rezipienten als ein erfolgreicher Vollzug eines fiktionalen illokutionären Aktes zählen, in Bezug auf einen anderen Rezipienten als ein misslungener Versuch, einen solchen Akt zu vollziehen. Ich habe daher vorgeschlagen, in solchen Kommunikationssituationen eine Äußerung in dem Fall als erfolgreichen Vollzug eines fiktionalen illokutionären Aktes zu zählen, in dem ein Rezipient erkannt hat, dass die Äußerung als fiktionale zählen soll. In dem Fall, in dem der Rezipient dies nicht erkennt, ist der Vollzug gescheitert. Gescheitert ist die Äußerung dann aber zunächst nur als fiktionaler illokutionärer Akt, als perlokutionärer Akt kann eine solche Äußerung durchaus erfolgreich sein. Dass es für den erfolgreichen Vollzug eines fiktionalen illokutionären Aktes eine entsprechende Konvention geben muss, haben fiktionale illokutionäre Akte mit allen anderen illokutionären Akttypen gemeinsam. Für fiktionale illokutionäre Akte habe ich diese Konvention »fiktionale Konvention« genannt. Zu dieser Konvention gehört die konstitutive Regel »X zählt als Y im Kontext K«, die regelt, dass eine Äußerung (X) als eine fiktionale (Y) in einem bestimmten Kontext K zählen kann. Für Rezipienten muss es möglich sein, zu erkennen, dass die Äußerung als eine fiktionale zählen soll, d. h. der Autor die konstitutive Regel dieser Praxis in Anspruch nimmt. Damit Rezipienten dies überhaupt erkennen können, muss es Fiktionalitätssignale geben, die dies verdeutlichen. Diese kann der Autor geben; die Aufgabe, diese Signale zu geben, kann aber auch von anderen Personen erfüllt werden, die in irgendeiner Form an der Verbreitung des Textes beteiligt sind. Mit dem bisher Gesagten hoffe ich gezeigt zu haben, dass fiktionale Äußerungen Vollzüge eines illokutionären Aktes sind. Damit stellte sich die Frage, um welchen Typ illokutionärer Akte es sich bei fiktionalen Äußerungen handeln kann. Ich habe dafür argumentiert, dass die Frage erst dann beantwortet werden kann, wenn geklärt ist, ob es fiktive Gegenstände gibt. Indem ich vorgeschlagen habe, fiktionale Äußerungen als deklarative illokutionäre Akte aufzufassen, habe ich eine Charakterisierung fiktionaler Äußerungen geliefert, für die die in Kapitel 3 vorgestellte realistische Position vorausgesetzt wird.
Schluss
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Wie nicht-fiktionale deklarative Akte haben aber auch die fiktionalen deklarativen Akte die doppelte Passensrichtung. Demnach werden dabei die Propositionen geäußert, um die Welt entsprechend dem Gehalt zu verändern. Wird der fiktionale deklarative Akt erfolgreich vollzogen, so besteht der Sachverhalt, der durch die Proposition ausgedrückt wird, in der Welt bereits allein dadurch, dass dieser illokutionäre Akt erfolgreich vollzogen wird. Die geäußerte Proposition wird somit durch die Äußerung wahr. Für fiktionale deklarative Akte heißt das, wie für alle deklarativen Akte, dass bei erfolgreichem Vollzug die geäußerte Proposition wahr ist. Dies klingt für fiktionale Äußerungen jedoch mindestens kontraintuitiv. Ich habe aber Explikationen fiktionaler Äußerungen vorgelegt, die deutlich machen, dass der tatsächliche propositionale Gehalt der Äußerung durch den erfolgreichen Vollzug des illokutionären Aktes wahr wird. Gemäß meiner Explikation drückt E.T.A. Hoffmann mit der genannten Äußerung eine andere Proposition aus als die, von der in Kapitel 4.3.3 die Rede war, nämlich die Proposition »dass die Rolle ›Anselmus‹ die höherstufige Eigenschaft besitzt, dass ihr Träger die Eigenschaft hat, in sich gekehrt beim rudernden Schiffer zu sitzen«, wobei diese Proposition keine Existenzbehauptung bezüglich eines etwaigen Trägers beinhaltet. Diese Proposition wird durch den erfolgreichen Vollzug des fiktionalen deklarativen Aktes wahr. Diese Proposition kann der Autor folglich ab dem Zeitpunkt des erfolgreichen Vollzugs des illokutionären Aktes auch für wahr halten. Nun könnte eine fiktionale Geschichte aus Äußerungen bestehen, die alle analog zu der Beispieläußerung expliziert werden können. Die geäußerten Propositionen wären dann alle ab dem Zeitpunkt des erfolgreichen Vollzugs der illokutionären Akte, mit welchen sie geäußert werden, wahr. In Kapitel 4.3.3 habe ich aber als eine notwendige Bedingung für das Vorliegen fiktionaler Rede festgehalten, dass der Autor nicht nur Propositionen äußern darf, die er für wahr hält, d. h. er muss mindestens eine Proposition äußern, deren Wahrheit er mindestens anzweifelt. In diesem Kapitel hatte ich in Bezug auf die BeispielÄußerung von E.T.A. Hoffmann noch angenommen, dass mit dieser Äußerung die Proposition »dass der Student Anselmus in sich gekehrt beim rudernden Schiffer saß« ausgedrückt wird. Ein Ergebnis der Analyse fiktionaler Äußerungen ist nun aber, dass mit der zitierten Äußerung gerade nicht die genannte Proposition ausgedrückt wird. In Bezug auf die tatsächlichen Propositionen muss eine notwendige Bedingung lauten: Die Geschichte ist dann tatsächlich von einem Autor erfunden und damit fiktional, wenn der Autor mindestens eine der geäußerten Propositionen nicht schon vor der Äußerung für wahr hält. Hält der Autor die Propositionen schon vor der Äußerung für wahr, dann erzählt er eine Geschichte, die bereits erfunden ist. Seine Äußerungen können dann in dem Sinn fiktional sein, wie die Äußerungen eines Vorlesers auch fiktional sind. Es ist eine Frage, die ich in diesem Rahmen nicht beantworten kann, ob
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Äußerungen, mit welchen Propositionen wie die der Beispieläußerung ausgedrückt werden, die der Autor aber schon vor der Äußerung für wahr hält, so performativ expliziert werden können wie die Beispieläußerung. Denn es ist fraglich, ob der Autor in einem solchen Fall tatsächlich etwas deklarativ festlegt. Die abstrakten Artefakte, die ein Autor eines fiktionalen Textes erschafft, sind fiktive Gegenstände. Ich habe fiktive Gegenstände als Rollen aufgefasst. Rollen sind abstrakte Artefakte, die von ihrem Träger unterschieden werden können. An eine Rolle können deklarativ Eigenschaften gebunden werden, die einem Träger, wenn es einen gibt, zukommen. Fiktionale Rollen unterscheiden sich von anderen abstrakten Artefakten vor allem durch zwei Merkmale: Erstens sieht der Autor, der die Rolle erschafft, häufig keinen Träger vor und geht davon aus, dass es in der Welt keinen Träger dieser Rolle gibt, gab oder geben wird. Ausnahmen sind nur die fiktiven Rollen, die einen Eigennamen eines empirischen Gegenstandes haben und an die nur solche Eigenschaften gebunden sind, die der empirische Gegenstand auch tatsächlich hat. Solche fiktiven Rollen sind jedoch selten in der fiktionalen Literatur. Allerdings ist es ein Merkmal realistischer Literatur, dass der Autor solcher Texte Rollen erschafft, an die er Eigenschaften bindet, deren Instanziierung durch einen Träger ohne große Veränderungen in der empirischen Welt möglich wäre. Zweitens können an fiktive Rollen Eigenschaften gebunden werden, die an nicht-fiktive abstrakte Artefakte nicht gebunden werden. An Ämter können nur Statusfunktionen gebunden werden. Dies sind Eigenschaften, die einem Gegenstand nur durch kollektive Übereinkunft verliehen werden können, wie z. B. bestimmte Rechte und Pflichten. An eine fiktive Rolle binden Autoren dagegen nicht nur normative Eigenschaften, sondern auch physikalische Eigenschaften wie Größe oder Gewicht. In Bezug auf das Erschaffen von fiktiven Rollen lässt sich nun als notwendige Bedingung für das Vorliegen fiktionaler Rede Folgendes formulieren: Für das Vorliegen fiktionaler Rede darf mindestens eine der Rollen keinen Träger haben. An mindestens eine Rolle muss mindestens eine Eigenschaft gebunden sein, von der der Autor glaubt, dass ein vermeintlicher Träger sie nicht hat und dieser somit nicht Träger der fiktiven Rolle sein könnte. Gemeinsam ist allen fiktionalen illokutionären Akten, dass mit ihnen der illokutionäre Zweck, eine erfundene Geschichte zu erzählen, verfolgt wird. Dazu gehören nicht nur Äußerungen, mit welchen z. B. die Handlung der Geschichte vorangetrieben wird. Für die Geschichte sind häufig neben der Handlung im engeren Sinn auch Szenenbeschreibungen und die Erschaffung von Stimmungen und Atmosphären relevant. Das heißt, dass auch Äußerungen, die in diesem Sinn zur Geschichte beitragen oder, anders formuliert, eine fiktive Welt erschaffen, fiktionale illokutionäre Akte sind. Ein fiktionaler Text (oder eine fik-
Schluss
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tionale mündliche Äußerung) besteht daher gemäß meinem Vorschlag nur aus fiktionalen Äußerungen. Der Autor erzählt also eine fiktionale Geschichte, indem er fiktionale illokutionäre Akte vollzieht, mit denen er fiktive Rollen erschafft und höherstufige Eigenschaften an diese bindet. Ich habe bei meiner Untersuchung nur fiktive Gegenstände und konkrete Gegenstände als Figuren in einem fiktionalen Text berücksichtigt. Auf den Erzähler einer narrativen Geschichte, also einen Erzähler, der nicht identisch mit dem realen Autor des Textes ist, bin ich nicht eingegangen. Einige kurze Überlegungen möchte ich dazu hier noch anbringen. Wenn es in einem fiktionalen Text einen Erzähler gibt, der einen Namen hat und sich selbst mit dem Personalpronomen »ich« zu bezeichnen scheint, ist dieser Erzähler auch als ein fiktiver Charakter und also als eine fiktive Rolle zu verstehen. Auch der Erzähler wird als eine Rolle durch einen fiktionalen deklarativen illokutionären Akt erschaffen und an diese Rolle werden bestimmte Eigenschaften gebunden. In einem solchen Fall nimmt der reale Autor des Textes mit dem Personalpronomen »ich« auf den fiktiven Charakter Bezug. Der Erzähler ist somit ein fiktiver Charakter, der in der Geschichte eine besondere Funktion hat. Denn eine Eigenschaft, die an diese Rolle gebunden ist, ist, dass er die Geschichte erzählt. Taucht ein Erzähler nicht in der genannten Weise auf, dann halte ich es für sparsamer, keinen weiteren Charakter zu postulieren, sondern von einer Erzählperspektive zu sprechen. Das soll dann so viel heißen wie, der Autor entscheidet, aus welcher »Perspektive« er die Geschichte erzählt, das heißt, welche Informationen er dem Leser gibt und was er weglässt. Vonseiten der Literaturwissenschaft wird vielfach aber auch dann von einem Erzähler oder einer Erzählinstanz gesprochen, wenn es keinen Erzähler gibt, auf den mit dem Personalpronomen in der ersten Person Singular Bezug genommen würde. Ein Erzähler wird in diesen Fällen deshalb auch postuliert, weil vermieden werden soll, dass die Äußerungen, aus denen der fiktionale Text besteht, dem Autor direkt im Sinne einer eigenen Meinungsäußerung o. ä. zugeschrieben werden können. Gemäß meiner Analyse ist aber der Autor des Textes die Person, die die fiktionalen illokutionären Akte vollzieht, und niemand anderes. Dies anzunehmen heißt vor dem Hintergrund meiner These aber trotzdem nicht, dass die fiktionalen Äußerungen als Meinungsäußerungen des Autors verstanden werden können. Denn es bleiben fiktionale Äußerungen in dem von mir explizierten Sinn. Diese kann und muss man dem Autor direkt zuschreiben. Gerade weil die Äußerungen keine assertiven illokutionären Akte sind und von mir auch nicht als So-tun-als-ob-Behauptungen charakterisiert wurden, besteht kein Anlass, den Gehalt der Äußerungen als Meinung des Autors o. ä. aufzufassen. Was bedeutet das Ergebnis meiner Analyse fiktionaler Äußerungen nun für die Explikation metafiktionaler Äußerungen? Eine metafiktionale Äußerung wie »Sherlock Holmes raucht Pfeife.« wurde mithilfe des Fiktionsoperators ex-
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pliziert als »Gemäß den Detektiv-Geschichten von Arthur Conan Doyle raucht Sherlock Holmes Pfeife.« Dies ist aber unter der Annahme, dass mit »Sherlock Holmes« auf ein abstraktes Artefakt Bezug genommen wird, keine sehr befriedigende Explikation, denn abstrakte Artefakte rauchen nicht Pfeife und man wüsste gerne genauer, was es heißen soll, dass ein abstraktes Artefakt gemäß einer Geschichte Pfeife raucht. Für metafiktionale Aussagen kann ich im Anschluss an meine These bezüglich fiktionaler Äußerungen nun folgende Explikation vornehmen. Die intrafiktionale Aussage »Sherlock Holmes raucht Pfeife.« muss expliziert werden in der folgenden Weise: Es gibt eine von Arthur Conan Doyle erschaffene fiktive Rolle, an die er die höherstufige Eigenschaft gebunden hat, dass ein möglicher Träger die Eigenschaft hat, Pfeife zu rauchen. Diese Ausdrucksweise ist sicherlich nicht besonders elegant, sie hat aber den großen Vorteil, dass nun auch im Rahmen metafiktionaler Aussagen abstrakten Artefakten keine Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie nicht haben können. Ich habe meine Untersuchung nur auf narrative fiktionale Texte beschränkt. Es stellt sich also die Frage, ob meine These, wie fiktionale narrative Äußerungen zu explizieren sind, auch auf andere Gattungen übertragen werden kann. Ich denke, dass dies möglich ist. Sofern lyrische Texte eine narrative Struktur haben, sehe ich keine Schwierigkeiten, meine Explikation auch bei solchen Texten vornehmen zu können. Ich halte es allerdings für eine offene Frage, ob tatsächlich alle lyrischen Texte und besonders solche, die keine narrativen Strukturen aufweisen, fiktionale Texte sind. Es scheint mir außerdem sehr naheliegend, das Kreieren einer Rolle auch bei dramatischen Texten anzunehmen. Es müsste für diese Texte geklärt werden, in welcher Form hier das Binden von Eigenschaften an eine Rolle und das Verleihen von Eigenschaften an einen konkreten Gegenstand expliziert werden können. Außerdem müsste hierfür genau untersucht werden, inwiefern bei dramatischen Texten doch eine Rolle erschaffen wird, deren Träger ein Schauspieler sein soll. In Bezug auf die fiktiven Rollen, die im Rahmen narrativer fiktionaler Texte erschaffen werden, habe ich nur den konkreten Gegenstand als den Träger einer fiktiven Rolle angesehen, der alle Eigenschaften hat, die an die Rolle gebunden sind. Mit diesem Verständnis von Träger kann ein Schauspieler kein Träger einer fiktiven Rolle sein, da er in Bezug auf die meisten Eigenschaften nur so tut, als hätte er diese. Ich habe es als eine Besonderheit der fiktiven Rollen angesehen, dass der Autor diese erschafft und gerade keinen Träger für diese Rollen vorsieht bzw. davon ausgeht, dass es in den meisten Fällen keinen Träger in der empirischen Welt gibt. Ein Autor eines dramatischen Textes erfindet aber Rollen, damit sie von einem Schauspieler gespielt werden. Dieser Zweck müsste bei einer Analyse dramatischer fiktionaler Äußerungen als fiktionale deklarative illokutionäre Akte berücksichtigt werden.
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