Wie Dinge sind: Noch eine Alltagsontologie 9781501501852, 9781501510557

This book is about “how things are.” It starts from the principles of a descriptive (i.e. “everyday ontological”) ontolo

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German Pages 309 [310] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen
I Präliminarien: der ontologische Rahmen
1 Der kategoriale Rahmen
1.1 Dinge
1.1.1 Dinge sind Partikularien
1.1.2 Dinge sind endurer
1.1.3 Dinge sind komplexe Einheiten
1.1.4 Die Identität von Dingen ist sortal dependent
1.1.5 Artefakte und Lebewesen
1.2 Quasi-Individuen
1.3 Ereignisse und Zustände
1.4 Wo bleiben Sachverhalte?
2 Deskriptive Ontologie
2.1 „Deskriptive Ontologie“
2.2 Wider revisionäre Ontologie
2.2.1 Revisionäre Ontologie: Begriff und Kernthesen
2.2.2 „Die Naturwissenschaften weisen in der Mikrowelt die Basisentitäten der Makrowelt auf“: eine fundamentale Kritik
2.2.3 „Die Ontologie rekonstruiert (‚bottom-up‘) aus den Basisentitäten die Makrowelt“: wider einen revisionären Mythos
2.3 Deskriptive Ontologie: top-down-Integration als Alternative zu bottom-up-Rekonstruktion
3 Modi: Grundannahmen, begriffliche Festlegungen
3.1 Basale Fakten
3.2 Die So-und-so-Bestimmungen von Dingen sind Modi: eine terminologische Festlegung
3.3 Modi in einer deskriptiven Ontologie
II Modi: ontologische Grundzüge
1 Modi als partikulare Entitäten
1.1 Modi sind Entitäten
1.2 Modi sind Partikularien
1.2.1 Gemeinsamkeiten zwischen Modi und den anderen Partikularien
1.2.2 Unterschiede zwischen Modi und den anderen Partikularien
2 Modi als existenzabhängige Entitäten
2.1 Bei den Modi besteht Existenzabhängigkeit
2.2 Ontologische Abhängigkeit
2.2.1 Formale Relationen
2.2.2 Arten formaler Relationen
2.2.3 Ontologische Abhängigkeit als formale Relation
2.3 Existenzabhängigkeit: Was sie ist und wie sie Modi betrifft
3 Modi als Kräfte
3.1 Kräfte und Dispositionen
3.2 Kraft-lose Kausaltheorien
3.2.1 David Hume
3.2.2 David Lewis
3.2.3 David Armstrong
3.2.4 Donald Davidson
3.3 Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse
4 Metaontologischer Einschub
4.1 Modi als ontologische Kategorie
4.2 Haben wir es hier mit einer deskriptiven oder Alltagsontologie zu tun?
III Modi im Eigenschafts-Themenfeld
1 Prädikate und Entitäten
2 Abundante Eigenschaften
2.1 Formale und dünne Eigenschaften
2.2 Komplexe Eigenschaften
2.3 Existenz
2.4 Typisierende Eigenschaften
3 Uneigentliche Eigenschaften
4 Modi und Relationen
5 Wesentliche/akzidentelle Modi
6 Intrinsisch/Extrinsisch
7 Extensional/intensional
8 Haben wir es hier mit einer Alltagsontologie zu tun?
IV Modi im Kontext einer Dingontologie
1 Modi und die Verteidigung einer Dingontologie
1.1 Wider die Mikrowelt
1.2 Wider Substrata
1.3 Wider Leibniz' Gesetz
2 Modi und die Vertiefung einer Dingontologie
2.1 Modi und Dinge als endurer
2.2 Modi und Dinge als komplexe Einheiten
2.3 Modi und die Distinktion zwischen Lebewesen und Artefakten
2.4 Modi und Dinge als sortal dependente Entitäten
2.5 Modi und Dinge als die primären Entitäten einer Alltagsontologie
3 Ein Wort zu dem, was offen bleibt
Literatur
Index
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Wie Dinge sind: Noch eine Alltagsontologie
 9781501501852, 9781501510557

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Christian Kanzian Wie Dinge sind

Philosophische Analyse/ Philosophical Analysis

Herausgegeben von/Edited by Herbert Hochberg, Rafael Hüntelmann, Christian Kanzian, Richard Schantz, Erwin Tegtmeier

Band/Volume 66

Christian Kanzian

Wie Dinge sind

Noch eine Alltagsontologie

ISBN 978-1-5015-1055-7 e-ISBN (PDF) 978-1-5015-0185-2 e-ISBN (EPUB) 978-1-5015-0187-6 ISSN 2198-2066 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen | 1

I

Präliminarien: der ontologische Rahmen 

1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.3 1.4

Der kategoriale Rahmen | 8 Dinge | 8 Dinge sind Partikularien | 8 Dinge sind endurer | 10 Dinge sind komplexe Einheiten | 11 Die Identität von Dingen ist sortal dependent | 12 Artefakte und Lebewesen | 14 Quasi-Individuen | 16 Ereignisse und Zustände | 19 Wo bleiben Sachverhalte? | 22

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2

Deskriptive Ontologie | 25 „Deskriptive Ontologie“ | 25 Wider revisionäre Ontologie | 29 Revisionäre Ontologie: Begriff und Kernthesen | 29 „Die Naturwissenschaften weisen in der Mikrowelt die Basisentitäten der Makrowelt auf“: eine fundamentale Kritik | 32 „Die Ontologie rekonstruiert (‚bottom-up‘) aus den Basisentitäten die Makrowelt“: wider einen revisionären Mythos | 40 Deskriptive Ontologie: top-down-Integration als Alternative zu bottom-up-Rekonstruktion | 47

2.2.3 2.3

3 3.1 3.2 3.3

Modi: Grundannahmen, begriffliche Festlegungen | 52 Basale Fakten | 52 Die So-und-so-Bestimmungen von Dingen sind Modi: eine terminologische Festlegung | 57 Modi in einer deskriptiven Ontologie | 64

VI | Inhalt

II

Modi: ontologische Grundzüge 

1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2

Modi als partikulare Entitäten | 70 Modi sind Entitäten | 70 Modi sind Partikularien | 75 Gemeinsamkeiten zwischen Modi und den anderen Partikularien | 76 Unterschiede zwischen Modi und den anderen Partikularien | 81

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3

Modi als existenzabhängige Entitäten | 93 Bei den Modi besteht Existenzabhängigkeit | 93 Ontologische Abhängigkeit | 95 Formale Relationen | 95 Arten formaler Relationen | 98 Ontologische Abhängigkeit als formale Relation | 101 Existenzabhängigkeit: Was sie ist und wie sie Modi betrifft | 104

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3

Modi als Kräfte | 115 Kräfte und Dispositionen | 115 Kraft-lose Kausaltheorien | 122 David Hume | 122 David Lewis | 124 David Armstrong | 127 Donald Davidson | 129 Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 132

4 4.1 4.2

Metaontologischer Einschub | 148 Modi als ontologische Kategorie | 148 Haben wir es hier mit einer deskriptiven oder Alltagsontologie zu tun? | 151

III

Modi im Eigenschafts-Themenfeld 

1

Prädikate und Entitäten | 159

2 2.1 2.2

Abundante Eigenschaften | 167 Formale und dünne Eigenschaften | 168 Komplexe Eigenschaften | 175

Inhalt | VII

2.3 2.4

Existenz | 183 Typisierende Eigenschaften | 189

3

Uneigentliche Eigenschaften | 195

4

Modi und Relationen | 202

5

Wesentliche/akzidentelle Modi | 214

6

Intrinsisch/Extrinsisch | 222

7

Extensional/intensional | 234

8

Haben wir es hier mit einer Alltagsontologie zu tun? | 243

IV

Modi im Kontext einer Dingontologie 

1 1.1 1.2 1.3

Modi und die Verteidigung einer Dingontologie | 250 Wider die Mikrowelt | 250 Wider Substrata | 256 Wider Leibnizʼ Gesetz | 263

2 2.1 2.2 2.3

Modi und die Vertiefung einer Dingontologie | 271 Modi und Dinge als endurer | 271 Modi und Dinge als komplexe Einheiten | 274 Modi und die Distinktion zwischen Lebewesen und Artefakten | 278 Modi und Dinge als sortal dependente Entitäten | 282 Modi und Dinge als die primären Entitäten einer Alltagsontologie | 286

2.4 2.5

3

Ein Wort zu dem, was offen bleibt | 289

Literatur | 293 Index | 299



Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen In order to make any progress in philosophy … we must be clear on our metaphysics. Perhaps highest on the list of notions to be clarified is that of a property. The elimination of some elementary confusions about the nature of properties will go far to clean up less fundamental topics. (C.B. Martin 1997, 193)

Ursprünglich sollte dieses Buch den Titel Eigenschaften tragen. Doch im Laufe der Vorbereitungsarbeiten, insbesondere der Sichtung der Forschungsliteratur, wurde mit bald deutlich, dass das Klärungsbedürfnis, von dem C.B. Martin im Eingangszitat spricht, bereits beim Begriff selbst beginnt. Nicht nur, dass „Eigenschaft” in der Literatur auf ganz unterschiedliche Weise verwendet wird. Es ist nicht einmal klar, zumindest nicht von vornherein, ob es sich um einen ontologischen Fachbegriff handelt, oder um einen Begriff unserer Alltagssprache. Das scheint mir auch eine Hauptquelle der ebenfalls von Martin angesprochenen Konfusion bzgl. dieses Begriffes zu sein. Dass diese Konfusion vorliegt, ist übrigens kaum strittig und führt meistens dazu, dass OntologInnen, wenn sie schon das glatte Parkett der damit verbundenen Themenfelder betreten, umgehend darangehen, den Begriff zu übersetzen, etwa in „Akzidens“, „Attribut“, „Adhärenz“, „Trope“ etc. Das sind allesamt einigermaßen klar eingeführte technische Termini. So hat sich mir der Entschluss nahegelegt, mich erst gar nicht auf „Eigenschaft“ einzulassen, sondern gleich mit einem terminus technicus zu beginnen. Mein Favorit wird „Modus“ sein. Modi sind die Weisen, wie Dinge sind. So bin ich auch auf den Titel dieses Buches gekommen. (Sollte ich übrigens auch im Folgenden „Eigenschaft“ verwenden oder zusammengesetzte Wörter, in denen „Eigenschaft“ vorkommt, so in einem nicht-technischen Sinn. So wie wenn ich in anderen Zusammenhängen von „Gegenstand“ rede o.ä.). „Modus“ steht, um auch das gleich auf den Tisch zu legen, für eine partikulare (nicht für eine partikularisierte!) Weise, wie Dinge sind. Ich werde dies, wenn es an der Zeit ist, genauer erläutern. Dieses Versprechen mag den ersten Schrecken der LeserInnen allerdings kaum mildern: Wird mit dieser Festlegung nicht schon alles Interessante an der traditionellen Eigenschafts-Debatte vorweg entschieden? Relationen als zweistellige Eigenschaften? Die so bedeutungsvolle Unterscheidung zwischen akzidentellen und wesentlichen, intrinsischen und extrinsischen Eigenschaften? Keine Sorge! Genau darum soll es in einem der vier Hauptteile, nämlich dem dritten, gehen: Um den Versuch darzulegen, wie weit man mit „Modus“ bei der

2 | Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen

Bearbeitung all jener Themen kommt, die traditionell mit dem Begriff der Eigenschaften einhergehen. Kein/e OntologIn beginnt die Bearbeitung der Eigenschafts-Themenkreise ohne Vorannahmen. Ich gestehe gleich zu Beginn, dass diese ‚Prämissen‘ in meinem Fall schon ziemlich ausgeprägt sind. Ich möchte meine Ausführungen zu Modi als wesentliche Ergänzung, Ausfaltung, auch als Verteidigung jener Dingontologie anlegen, wie ich sie anfänglich in meinem Ereignis-, hauptsächlich aber in meinem Ding – Substanz – Person-Buch (hier: Kanzian 2001 bzw. 2009) vorgelegt habe. Letzteres trägt auch jenen Titel Eine Alltagsontologie, auf den ich im Untertitel dieser Monographie mit dem Zusatz „noch“ Bezug nehme. Die damit bezeichnete Zugangsweise zur Ontologie, die eben als „Alltags-“ oder auch „deskriptive“ Ontologie bezeichnet wird, soll in diesem Buch weitergehend verfolgt werden. Vielleicht sogar etwas engagierter, sprich mehr die Kontroverse suchend, als bisher. Der Verweis auf die ausgeprägten Voraussetzungen dieses Buches verbinde ich jedenfalls mit der Entschuldigung bei/m der LeserIn, dass ich hier bestimmte Grundsatzfragen, etwa jene nach Ontologie, ihrem Zweck und ihrer Legitimation, ebenso weglasse wie eine Rechtfertigung meiner Positionierung im moderaten, sprich nicht allzu technischen und praktisch nicht formal agierenden Spektrum der analytischen Philosophie. Aus dem eben geschilderten Programm ergeben sich Stil und Gliederung des Buches. Zunächst zum Letzteren: Ich beginne im ersten Hauptteil mit der Darlegung meines ontologischen Rahmens. Darunter verstehe ich nicht nur die Präsentation jenes kategorialen Schemas, von dem ich hier ausgehe und in das ich meine Theorie der Modi integrieren möchte. Es geht auch um ‚methodische‘ Grundsatzfragen in der Ontologie, hier v.a. um die angekündigte Argumentation für eine deskriptive- oder Alltagsontologie. Der ontologische Rahmen beinhaltet schließlich auch das Bekenntnis zu bestimmten als basal angenommenen Thesen und einige sich daraus ergebende terminologische Festlegungen. Es geht also auch um die Prämissen und Grundbegriffe. Dann gehe ich, im zweiten Hauptteil, über zur Präsentation der Modi und ihrer grundlegenden Merkmale. Hier frage ich zunächst danach, was es bedeutet, Modi als Entitäten zu bezeichnen, bzw. was Modi als partikulare Entitäten gegenüber anderen Partikularien auszeichnet. Ihr raum-zeitliches Vorkommen wird dabei eine Rolle spielen, ebenso wie die Eigenart ihrer Zugehörigkeit zu Arten oder Determinablen. Dass Modi existenzabhängige Entitäten sind, macht es erforderlich, „Existenzabhängigkeit“ zu explizieren, und zwar als eigentüm-

Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen | 3

liche formale Relation. Schließlich wird im zweiten Hauptteil der Kraft-Aspekt von Modi untersucht, im Hinblick auf den Ansatz einer Kausaltheorie. Es folgt im dritten Hauptteil der bereits angesprochene Versuch, Modi als Schlüssel zur Lösung von Problemen im ‚Eigenschafts-Themenfeld‘ zu präsentieren. Beginnen werde ich mit grundlegenden Überlegungen im Hinblick auf die ontologische Relevanz von Prädikaten. Ich schließe mich jenen AutorInnen an, die meinen, dass nicht jedem grammatikalisch wohlgeformten Prädikat eine Entität entsprechen kann. Das ist auch der Kontext, um von abundanten und uneigentlichen ‚Eigenschaften‘ (räumlichen, zeitlichen, kausalen) zu sprechen. Die Themen Relationen, akzidentelle und wesentliche Modi, extrinsisch/intrinsisch, schließlich extensional/intensional gehören, wie bereits erwähnt, zum Standardrepertoire des besagten Themenfeldes. Ich möchte (wie bereits angekündigt) versuchen, zu alledem Stellung zu nehmen, und zwar vor dem Hintergrund der in den ersten beiden Hauptteilen entwickelten Modiontologie. Im vierten Hauptteil schließlich runde ich das Ganze ab durch die Integration der Modi in den ontologischen Ausgangsrahmen: (Erst) durch eine Ontologie der Modi, der Weisen wie Dinge sind, wird eine Dingontologie intelligibel. Diese Integration hat einen apologetischen und einen aufbauenden Teil. Der apologetische befasst sich damit, wie durch die Annahme von Modi Standardeinwänden gegen eine Ding- oder Substanzontologie erwidert werden kann; etwa die, dass man sich mit einer Ding- oder Substanzontologie auf ‚reine Substrata‘ verpflichtete bzw. dass Ding- oder Substanzontologien mit Leibnizʼ Gesetz nicht vereinbar wären. Der aufbauende Teil versucht eine modiontologische Erläuterung von grundlegenden Thesen einer solchen Ding- oder Substanzontologie. Das erweitert den Sinn von C.B. Martins Statement unter der Rücksicht, dass der Sinn und das Ziel der Klärung von Fragen im Eigenschafts-Feld darin bestehen, dass damit nicht nur „less fundamental topics“, sondern auch die „more fundamental topics“, also die grundlegenden ontologischen Fragen, klarer in den Blick kommen. Der Stil des Buches ist systematisch-kritisch. „Systematisch“ meint, dass dieses Buch in seiner Ausrichtung primär theorien-aufbauend, nicht aber historischreflektierend angelegt ist. Das heißt nicht, dass ich mich jeder Bezugnahme auf philosophiegeschichtliche Zusammenhänge enthalte; nur, dass diese Referenzen ohne exegetische Akribie erfolgen. Dass das Buch „systematisch“ ist, meint auch, dass ich nicht berichtend vorgehe. Ich erhebe keinen Anspruch auf eine vollständige Darlegung der aktuellen Debatte. Dennoch versuche ich, mich in die themenbezogenen Diskussionen einzuklinken, was in der zweiten Charakterisierung des Stils des Buches „kritisch“ zum Ausdruck kommt. Ich werde die

4 | Einleitung: Voraussetzungen, thematischer Überblick, Grenzen

Erweiterung des ontologischen Rahmens meiner Dingontologie um eine Ontologie der Modi in deutlicher Abgrenzung von Gegenentwürfen vornehmen und meine eigene Position durchaus als Alternative gegenüber anderen vorlegen. Doppelte Anführungszeichen [„…“] verwende ich bei Zitaten und bei der Anführung von Begriffen. Uneigentliche Redeweisen und Anführungen in Zitaten setze ich unter einfache Anführungszeichen [‚…‘]. Kursiv gesetzt sind Buchtitel im Text und Hervorhebungen. Ich bedanke mich bei allen, die zum Abschluss dieses Buches beigetragen haben: ZuhörerInnen und DiskutantInnen von Vorträgen bzw. LeserInnen von Artikeln, in denen ich verschiedene Thesen ‚ausprobiert‘ habe, KritikerInnen von vorläufigen Fassungen, allen Studierenden, denen ich in OntologieVorlesungen versucht habe, meine Thesen nahezubringen, um ihre Kritik daran in meine Theorienbildung einzubauen. Besonderen Dank an Marisa Gasteiger, DDr. Dominikus Kraschl OFM und Dr. Walter Mader fürs Korrekturlesen, an Dr. Gertrude Grünkorn und Dr. Rafael Hüntelmann für die Unterstützung der Aufnahme dieses Buches in die Reihe Philosophische Analyse des De Gruyter Verlages und last but not least an Olena Gainulina für die vielfältigen Hilfestellungen bei der Produktion des Buches.

Innsbruck, im Dezember 2015

Christian Kanzian

| I

Präliminarien: der ontologische Rahmen

Dieser erste Hauptteil ist der Exposition meiner Präliminarien gewidmet. Zu diesen Präliminarien gehört zunächst jener kategoriale Rahmen, von dem ich, wie eingangs erwähnt, ausgehe. Diesen kategorialen Rahmen werde ich im Abschnitt I - 1 darlegen, allerdings nur so weit, als es für den Fortgang dieses Buches erforderlich ist. Daraus ergibt sich in I - 1 ein knapper, fast ‚summenhafter‘ Zug der Darstellung. Für weiterführende Erläuterungen, Begründungen und Verteidigungen dieses Rahmens erlaube ich mir, auf meine Monographien Ereignisse und andere Partikularien (hier Kanzian 2001) und Ding – Substanz – Person (hier Kanzian 2009) zu verweisen. Zu den Präliminarien gehört auch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Weise, Ontologie zu betreiben. Diese meine Weise kann mit dem Stichwort Alltagsoder deskriptive Ontologie bezeichnet werden. Im Folgenden wird versucht, dies genauer darzulegen und in seiner Legitimität auch argumentativ zu begründen. Es ist keine reine ‚Geschmackssache‘, ob ich die Ontologie deskriptiv betreibe oder unter gegenteiligen, revisionären Vorzeichen. Die Kritik an Standardformen revisionärer Ontologie und die sich daraus ergebende Rechtfertigung der deskriptiven wird im Abschnitt I - 2 ausgeführt. An dieser Stelle werden auch Grundsatzüberlegungen zum Verhältnis von Ontologie und Einzelwissenschaften einfließen. Der dritte Aspekt der Präliminarien ist die Darstellung der hier verwendeten Basisannahmen für den weiteren Aufbau des Buches. Das wird Thema des Abschnittes I - 3 sein. Dazu gehört die Festlegung, das Eigenschaftsthema von den Modi her anzugehen, ebenso wie die Darlegung von als basal angenommenen Fakten und die Einführung von Grundbegriffen. Das kategoriale Ausgangsschema, das Verständnis von Ontologie und die sich daraus ergebende Zugangsweise zur Ontologie sowie die inhaltlichen und begrifflichen Prämissen für den weiteren Aufbau machen nun jenen Rahmen aus, den ich in der Überschrift meine.

1 Der kategoriale Rahmen Die nun folgende Kurzcharakteristik ontologischer Entitäten beansprucht in keiner Weise den Status einer Theorie mit ausgearbeiteten Theoremen. Insbesondere geht es hier nicht um eine vollständige Darlegung ontologischer Kategorien. Wenn etwas fehlt, heißt das somit nicht, dass ich annehme, dass es dieses nicht gibt. Im Kontext dieses Buches ist die Darlegung dieser Kurzcharakteristik lediglich eine Auflistung von Prämissen, die ich, wie eben gesagt, für den Fortgang meiner Überlegungen im Hinblick auf eine Ontologie von Modi benötige.

1.1 Dinge Eine für den Fortgang der besagten Überlegungen grundlegende Annahme ist, dass den Dingen der Status von primären Entitäten zukommt.1 Modi werden in den folgenden Hauptteilen untersucht unter der Rücksicht ihrer Relevanz für bzw. ihrer Integration in eine Ontologie, in der Dinge die primären Entitäten sind. Im nun Folgenden sollen einige ontologische Charakteristika dieser Kategorie angeführt werden. Besagte Charakteristika werden nach Erarbeitung der Ontologie der Modi entsprechend ergänzt.

1.1.1 Dinge sind Partikularien Dinge sind, um eine erste ontologische Qualifizierung anzuführen, Partikularien, worunter ich raum-zeitliche Individuen verstehe, die von anderen Entitäten nicht ausgesagt werden können. Unter Individuen verstehe ich einmalige und unwiederholbare Entitäten. Einmalig zu sein heißt, nicht zu ein und demselben Zeitpunkt an verschiedenen

|| 1 „Entität“ verwende ich als Synonym für „Grundelement der Wirklichkeit“. „Grund-“element besagt, dass die so bezeichneten Vorkommnisse irreduzible Bestandteile der Wirklichkeit sind. Dass Dinge „primäre“ Entitäten sind, heißt, dass sie im Kontext der anderen Grundelemente eine besondere Stellung einnehmen. Diese besondere Stellung lässt sich in der Weise der Nicht-Abhängigkeit von anderen Entitäten bzw. der Abhängigkeit anderer Entitäten von ihnen darlegen. Diese wird auch im Zuge dieses Buches auszuführen sein. Schon in den nächsten Abschnitten spreche ich auch von „Basis“-Entitäten. Das sind Entitäten, die für anderes als Konstitutionsgrundlage dienen.

Dinge | 9

Stellen im Raum vorkommen zu können; unwiederholbar zu sein meint, nicht als dasselbe wiederholt vorkommen zu können. Das Dasein eines individuellen Dinges erschöpft sich somit in genau einem Vorkommnis. Manche sagen auch, individuelle Dinge sind nicht instanziierbar. Die allgemeine Bestimmung „raum-zeitlich“ für Partikularien scheint klar. Als Partikularien kommen Dinge im Raum und in der Zeit vor. Damit ist keineswegs gesagt, dass sich die Weise, wie Dinge im Raum sind oder ihre ‚räumliche Gestalt‘, nicht gravierend von ihrer Zeitlichkeit oder eben ihrer ‚zeitlichen Gestalt‘ unterscheidet. Jedenfalls haben Dinge eine bestimmte räumliche und zeitliche Position, was manche auch dazu veranlasst, sie als konkrete Entitäten zu bezeichnen. Der dritte Aspekt ist, dass Dinge als Partikularien nicht von etwas ausgesagt oder prädiziert werden. Natürlich kann man sagen, dass ein Ding ein Partikulare ist. Damit sagen wir aus, dass es, das Ding, ein Vorkommnis einer Art bzw. einer Kategorie von Partikularien ist, nicht jedoch sagen wir das Partikulare selbst aus. Auch kann man behaupten, ein Ding sei identisch mit einem bestimmten Partikulare, wie im klassischen Beispiel: „Der Abendstern ist (identisch mit) der(m) Morgenstern.“ Damit haben wir es mit einer Identitätsbehauptung zu tun, in denen zwei Terme, in unserem Fall zwei Namen, vorkommen. Identitätsbehauptungen aber sind keine Prädikationen. Wir sagen den Morgenstern nicht vom Abendstern aus. Als Partikularien sind Dinge materielle Gegenstände. Auch dies lässt sich aus ihrer Raum-Zeitlichkeit, v.a. aus ihrer Räumlichkeit her verstehen, wenn wir die traditionelle Intuition teilen, dass räumliche Extension Materialität impliziert (und umgekehrt). Jedenfalls bedeutet es, dass Dinge einen materiellen Aspekt ihrer ontologischen Komposition aufweisen. Es gibt keine vollständig nicht-materiellen Dinge. Reine Geistwesen oder Cartesianische Egos wären (wenn man sie denn annehmen wollte) keine Dinge. Aus der Bestimmung „materieller Gegenstand“ folgt freilich nicht, dass sich der ontologische Aufbau von Dingen rein materiell verstehen ließe. „Ding“ verwende ich übrigens als allgemeine Bezeichnung aller materiellen Gegenstände. Das bedeutet, dass Artefakte, also künstlich hergestellte Gegenstände, wie Tische, Bankkonten, Statuen o.ä., ebenso zu den Dingen gezählt werden wie Lebewesen, ja sogar menschliche Personen.

10 | Der kategoriale Rahmen

1.1.2 Dinge sind endurer Der Begriff „endurer“ leitet sich ab von der Bezeichnung für eine bestimmte Weise, durch die Zeit hinweg zu bestehen, nämlich „to endure“, was wiederum bedeutet, so durch die Zeit oder diachron da zu sein, dass dieses Bestehen nicht als eine Abfolge numerisch verschiedener (raum-) zeitlicher Teile interpretiert werden kann. Letzteres wäre durch das englische Verb „to perdure“ bezeichnet. Endurer sind in einem strikten Sinn durch die Zeit mit sich identisch. „Strikt“ meint, dass die Identität durch die Zeit nicht aus anderen Beziehungen, etwa der Kontinuität eben verschiedener (raum-) zeitlicher Teile oder Phasen, erklärt und ontologisch gesehen auf diese zurückgeführt werden könnte. Das für ihre endurance maßgebliche ontologische Charakteristikum von Dingen ist ihre Dreidimensionalität. Dass Dinge dreidimensionale Entitäten sind, besagt, dass sie eine in drei Dimensionen räumliche Ausdehnung haben. Dass sie nur drei-, nicht aber vierdimensional sind, heißt, dass ihnen eben keine zeitliche Ausdehnung oder Dauer zukommt. Dinge haben somit nur räumliche, nicht aber zeitliche Teile. Dinge sind zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz nicht (zeitlich) teilweise, sondern ganz da. Das aber macht ihre strikte Identität durch die Zeit aus. Dass Dinge dreidimensionale Entitäten sind, schließt nicht aus, dass sie einen Bezug zur Zeit haben, d.h. zeitliche Entitäten sind, wie das von Partikularien gefordert wird. Der Bezug von Dingen zur Zeit bzw. zu zeitlichen Verhältnissen beruht aber auf einer Mittlerinstanz, nämlich Änderungen, als Ereignisse ontologisch kategorisiert, und Zuständen. Ereignisse und Zustände sind vierdimensional. Sie haben neben den drei räumlichen Dimensionen auch eine vierte. Ereignisse und Zustände sind zeitlich ausgedehnt. Das Verhältnis von Zeit bzw. zeitlichen Verhältnissen zu Ereignissen bzw. Zuständen aber ist so zu verstehen, dass diese allererst zeitliche Verhältnisse konstituieren. Zeit bzw. zeitliche Verhältnisse benötigen Ereignisse bzw. Zustände.2 Zeit ist, auch nach traditioneller Bestimmung, nicht ein „etwas“, eine Entität, sondern „Maßzahl“ von Ereignissen bzw. Zuständen3. Sie kommt durch den Vergleich dieser Entitäten und der daraus entspringenden Metrik zustande. Die Konstitution von zeitlichen Verhältnissen ist für Ereignisse und Zustände ontologisch wesentlich. Darin besteht ihre Vierdimensionalität. (Analog dazu kann man die Dreidimensionalität der Dinge auch so verstehen,

|| 2 Inwiefern sich Zustände in ihrer zeit-konstituierenden Funktion von Ereignissen unterscheiden, kann an dieser Stelle beiseite gelassen werden. Vgl. dazu u.a. Kanzian 2001, III - 4. 3 Aristoteles, Physik IV, 10–14. Verwendete Ausgabe: Aristoteles 1987.

Dinge | 11

dass es ihnen ontologisch wesentlich ist, räumliche Verhältnisse zu konstituieren.) Dinge sind jedenfalls via Ereignisse und Zustände auf zeitliche Verhältnisse bezogen. Sie entlehnen ihre Zeitlichkeit von jenen Ereignissen und Zuständen, in die sie im Verlauf ihrer Existenz eintreten.

1.1.3 Dinge sind komplexe Einheiten Aus der Tradition der Ontologie lernen wir, dass Einheit oder unum zu sein Verschiedenes bedeuten kann. Einheiten können einfach sein, d.h. ohne irgendeine Zusammensetzung. Einheiten können aber auch Zusammenfügungen aus Komponenten sein. Diese Zusammenfügung wiederum kann einerseits so zu verstehen sein, dass die Bauteile primär sind, die Einheit aber sekundär ist. Dies ist etwa bei einem zufälligen Zusammentreffen dieser Bauteile der Fall. Andererseits aber gibt es Einheiten, die nicht einfach, dennoch aber gegenüber ihren Komponenten als primär anzusehen sind. Bei diesen Einheiten können wir wiederum solche mit gleichartigen und solche mit verschiedenartigen Komponenten oder Bestandselementen unterscheiden. Letztere habe ich an anderer Stelle (Kanzian 2009) auch als „Komplexe mit innerer sachverhaltsartiger Struktur“ bezeichnet. Dabei nehme ich an, dass es sich bei Sachverhalten um Gebilde handelt, deren Einheit gegenüber ihren verschiedenen und verschiedenartigen Elementen primär ist.4 Dinge sind nun sachverhaltsartig-komplexe Einheiten. Was aber sind die Bestandselemente von Dingen? Dinge bestehen aus einem Material. Dinge bestehen aus etwas. Das, aus dem Dinge bestehen, ist materiell. Das ergibt sich aus ihrer Eigenart als materieller Gegenstände. Dass Dinge ein materielles Material aufweisen, ist insbesondere für ihre Räumlichkeit maßgeblich. Räumlichkeit ist durch das Materiell-Sein des Materialaspekts von Dingen konstituiert. Das Material von Dingen ist aber in bestimmter Weise geformt. Unter Form verstehe ich die Weise, wie die materialen Bestandteile eines Dinges zusammengesetzt sind. Diese Form der Dinge aber ist von ihrer Art abhängig. Inwiefern ergibt sich aus diesen Überlegungen aber eine sachverhaltsartige Struktur von Dingen? Was auch immer das Material, aus dem Dinge bestehen, sowie die Form, wie Dinge bestehen, sind, sie sind doch, um zunächst das eine

|| 4 Dies scheint eine konsensuelle Annahme in der Ontologie von Sachverhalten zu sein. Siehe z.B. Hofmann 2008, u.a. 117, der zwar von Tatsachen spricht, welche aber durchaus als Sachverhalte interpretiert werden können.

12 | Der kategoriale Rahmen

Moment einer solchen Struktur zur Geltung zu bringen, verschieden. Dinge bestehen aus zwei verschiedenen Komponenten. Sind die Komponenten aber auch verschiedenartig, wie das als zweites Moment sachverhaltsartiger Strukturen verlangt wird? M.E. ergibt sich diese Verschiedenartigkeit daraus, dass der Materialaspekt niemals die Funktion des Formaspekts für den Aufbau des Kompositums, des ganzen Dinges, wird erfüllen können, und umgekehrt: der Formaspekt nicht die Funktion des Materialaspekts. Man kann rein aus materialen Komponenten die Form oder den Bauplan eines Dinges nicht rekonstruieren, weder begrifflich noch im Sinne einer ontologischen Analyse. Man kann aber auch aus der Form oder dem Bauplan eines Dinges nicht seine materiale Grundlage oder ‚Verwirklichung‘ in der Welt gewinnen. An dieser Irreduzibilität der Elemente lässt sich nun ihre Verschiedenartigkeit festmachen. Festgehalten sei, dass Dinge nicht einfache Summen aus Material und Form sind. Die Einheit der Dinge ist ontologisch primär, wenn auch in besagtem Sinne analysierbar, also komplex. Zu ergänzen ist schließlich, dass die besagten Elemente der komplexen Struktur der Dinge nicht selbst wieder als dingliche Gebilde aufgefasst werden dürfen. Das ergibt sich schon daraus, dass nur so ein Analyseregress vermieden werden kann: Wäre etwa das Material eines Dinges selbst ein Ding, warum dann nicht auch seine (echten) Teile?, etc. Kurzum: Dinge haben keine Dinge als ontologische Bildungskomponenten.

1.1.4 Die Identität von Dingen ist sortal dependent Im Anschluss an die Annahme der inneren Komplexität der Dinge kann man sich nun fragen, welcher der genannten Aspekte, Material oder Form, für die Identität eines Dinges maßgeblich ist. In der Geschichte der Metaphysik war immer wieder von der „materia“ bzw. der „materia quantitate signata“ als Identitätsprinzip die Rede. Vor allem dann, wenn die Identität eines (partikularen) Dinges als Instanz einer allgemeinen Wesenheit verstanden worden ist. So gesehen, wäre dieser Körper da maßgeblich dafür, dass aus der Wesenheit Schaf dieses Individuum instanziiert wird. Im Kontext der aktuellen Ontologie, v.a. unter der Rücksicht nicht nur synchroner, sondern auch diachroner Identität, lässt sich allerdings in Frage stellen, ob es wirklich das Material bzw. materiale Bestandteile sein können, auf welchen die Identität eines Dinges basiert. Kann nicht jedes Ding Materialteile, möglicherweise sogar alle, verlieren, ohne dass seine Identität als Individuum damit negiert werden müsste? Unter Rückgriff auf andere Traditionen der Metaphysik wird in Ontologien, v.a. solchen, welche die Partikularität von Dingen für grundlegend erachten und nicht als Resultat

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eines Instanziierungsprozesses, die Form oder die individuelle Form als Identitätsprinzip angenommen. Die hier vorliegende Ontologie bekennt sich genau dazu. Lassen wir also die Annahme gelten, dass die Identität eines Dinges mit seiner individuellen Form gegeben ist, sowohl synchron als auch diachron betrachtet. Die individuelle Form eines Dinges ist sein Identitätsprinzip. Die numerische Selbigkeit eines Dinges entscheidet sich am Vorliegen einer Form. Als Identitätsprinzip fungiert die Form aber auch als Einheitsprinzip: Ob etwas zu einem Ding gehört, lässt sich daran entscheiden, ob es in diese individuelle Form des Dinges integriert ist. Die Form der Dinge aber ist, wie gesagt, von ihrer Art abhängig. Jedes Ding muss also einer bestimmten Art angehören (sonst hätte es keine Form und könnte folglich kein Ding sein). Arten aber kann man technisch einführen, und zwar in Anlehnung an den klassischen Begriff „species infima“, der für jene Typen stehen mag, die in ihrem Bereich keine Spezifikationsmöglichkeit zulassen (niedrigste Arten wie Schaf, homo sapiens etc., im Unterschied zu höheren Genera wie Säugetier), die keine Massen (Gold, Orangensaft), keine akzidentelle Art (Zahnärztin) sind und auch keine Phasensorte (Raupe, Greis) darstellen. Wir können somit auch sagen, dass etwas, das keiner species infima angehört, kein Ding sein kann, bzw. dass die Form eines Dinges eben von dieser species infima abhängt. Das schließt freilich nicht aus, dass auch das Material eines Dinges gewissermaßen von seiner Art abhängt. Aber doch so, dass bestimmte Formen eben bestimmte Spektren materialer Komposition bedingen. Die Formen aber sind sortal determiniert, folglich mittelbar auch die materiale Komponente eines Dinges. Ist nun die Form Identitätsprinzip eines Dinges, die Form aber von seiner Art abhängig, ist auch die Identität des Dinges von dieser seiner Form dependent. Damit sind wir bei der These der Überschrift. Sortale Dependenz der Identität meint auch, dass Dinge zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz genau einer identitätsdeterminierenden species infima angehören. Dies steht im Gegensatz zur Annahme, dass die Identität von Dingen relativ zu verschiedenen Arten zu verstehen wäre (wie im Fall von Ereignissen, was noch angesprochen werden soll). Kein Ding kann zwei ‚Identitäten‘ aufweisen, somit kann kein Ding (zu einem Zeitpunkt) zwei species infimae angehören – wobei über die Relevanz der letzten Parenthese noch gesprochen werden muss.

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1.1.5 Artefakte und Lebewesen Bei den Dingen aber können wir zwischen Artefakten und Lebewesen unterscheiden. Artefakte sind Dinge, die sowohl hinsichtlich ihrer Genese als auch hinsichtlich ihres Fortbestehens von einem (menschlichen) Bewusstsein abhängen. Diese Bewusstseinsabhängigkeit ergibt sich, wenn man die individuelle Form von Artefakten versteht als Kompositum aus einem Nutzen, Anordnungsprinzipien für Teile und schließlich einer Funktion, welche den Nutzen zu diesen Anordnungsprinzipien vermittelt. Die individuelle Form eines Autos zum Beispiel ist mit einem bestimmten Nutzen (selbstfahrendes Transportmittel) gegeben, zusammen mit einer Funktion bzw. einer Pluralität von Funktionselementen (Motor, Getriebe, Räder …), welche diesen Nutzen zu bestimmten mereologischen Prinzipien umsetzt, also zu Anordnung und Aufbau von Teilen. Bei Werkzeugen (wie unserem Auto) mag der Nutzen praktisch-zweckorientiert sein, die Funktion technisch. Bei nicht-werkzeughaften Artefakten, wie z.B. Institutionen oder dinglichen Kunstwerken, mag eine entsprechende Adaption dieser drei Aspekte der individuellen Form angebracht sein. Jedenfalls kann man die Bewusstseinsabhängigkeit der Artefakte unter beiden angesprochenen Rücksichten (Genese, Fortbestehen) am Nutzensaspekt ihrer individuellen Form festmachen. Nutzen hat immer etwas mit dem Bewusstsein eines/r BenutzerIn zu tun. Ist nun für eine individuelle Form eines Artefakts ein Nutzen notwendig, so auch das Bewusstsein eines/r BenutzerIn. Aus der Bewusstseinsabhängigkeit folgt nun ein weiteres charakterisierendes Merkmal der Artefakte, nämlich die Konventionalität ihrer Identität, sowohl synchron als auch diachron betrachtet. Ist nämlich, wie angenommen, die Identität von Dingen mit ihrer individuellen Form gegeben, hängt aber bei Artefakten die individuelle Form von Bewusstseinszentren ab, so muss auch ihre Identität als Festsetzung durch diese Bewusstseinszentren verstanden werden. Die Konventionalität der Identität kann nun als Folgerungsbasis für weitere ontologische Eigenheiten der Artefakte angenommen werden, u.a. für die Annahme, dass Artefakte durch die Zeit unterschiedlichen species infimae angehören können. Das heißt, dass, obwohl Artefakte zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz genau einer Art angehören, sie für eine Zeit der Art F, danach aber der Art G angehören können, ohne weitere prinzipielle Einschränkung.5 D.h. ein Artefakt kann nach G wieder zu F oder aber zu einer von F und G verschiedenen Art

|| 5 Dass es Dinge gibt, die zu verschiedenen Zeiten unterschiedlichen species infimae angehören, ist der Sinn jener Parenthese im letzten Absatz des vorhergehenden Abschnittes, in der (nur) die synchrone Einzigkeit der Art aller Dinge festgehalten wird.

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H gehören. Das bedeutet, dass in diesem Fall die individuelle Form eines Artefakts zunächst durch eine Art F, dann durch die Art G usw. determiniert wäre. Die Konventionalität der Identität von Artefakten geht also so weit, dass ihre diachrone Identität auch über eine solche Metamorphose hinaus behauptet werden kann.6 Lebewesen aber sind Dinge, die in ihrer Existenz nicht von einem (menschlichen) Bewusstsein abhängen, weder (ontologisch betrachtet) genetisch noch hinsichtlich ihrer Persistenz. Das ergibt sich, wenn man die individuelle Form von Lebewesen als Kompositum bestimmt, bestehend aus einer geschlossenen Organisationsstruktur, darauf ausgerichteten Regulationsprinzipien, und einem damit gekoppelten Entwicklungs- und Replikationsplan.7 Diese sich an biologischen Kriterien orientierende Bestimmung schließt die Bewusstseinsabhängigkeit, wie sie für Artefakte angenommen wurde, aus. Fällt die Bewusstseinsabhängigkeit weg, so aber auch der Grund, Konventionalität der Identität anzunehmen. Wir können also davon ausgehen, dass diese für Lebewesen nicht gilt, ebenso wenig wie die bei Artefakten durch diese Konventionalität implizierte Möglichkeit zur Metamorphose. Lebewesen sind Dinge, für die jene Unabhängigkeit in ihrer Existenz angenommen werden kann, die nach traditionellen, aber auch aktuellen Kriterien Substanzen definiert. Lebewesen sind demnach Substanzen, sodass wir unser ontologisches Ordnungsschema innerhalb der Kategorie der Dinge als durch Artefakte und Substanzen gegliedert bestimmen können. Gibt es nicht auch nicht-lebendige Substanzen? Was ist mit Gebilden wie Steinen, Bergen, Seen, Meeren, die allesamt keine Artefakte und doch auch keine Lebewesen sind? Meine Antwort ist, dass diese Gebilde keine Dinge sind und man sie deshalb auch nicht als Substanzen verstehen kann. Sie sind vielmehr Quasi-Individuen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen.

|| 6 U.a. Jonathan Lowe hat dies ausdrücklich eingeräumt. Siehe ders. 1998, 55. Das Thema Artefakte insgesamt habe ich in Kanzian 2009 sehr ausführlich behandelt, v.a. im 2. Hauptteil. 7 Diese Merkmale lehnen sich an Merkmale an, die Autoren (v.a. Toepfer 2005, hier: 166ff) als Charakteristika für Lebewesen vorgesehen haben. Zur Möglichkeit, biologische Bestimmungen in ontologische Begriffsbildungen zu integrieren, siehe auch meine Bemerkungen im folgenden Abschnitt I - 2.3.

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1.2 Quasi-Individuen Standardbestimmungen zufolge sind Quasi-Individuen Gegenstände ohne bestimmte Zählbarkeit, für die gilt, dass der Grund ihrer nicht bestimmten Zählbarkeit darin liegt, dass ihnen kein Identitätsprinzip innewohnt. Und zwar deshalb nicht, weil die ‚Arten‘ oder Sorten solcher Quasi-Individuen nicht mit derartigen Prinzipien für die unter sie fallenden Vorkommnisse gekoppelt sind. In Anwendung der unter 1.1.4 genannte Annahmen, können wir auch sagen, dass Quasi-Individuen keinen species infimae angehören, sondern lediglich solchen Sorten, die keine Determination individueller Formen bedingen können, individueller Formen, die ihrerseits als Identitätsprinzipien fungieren könnten. Deshalb sind Quasi-Individuen keine Dinge in einem ontologischtechnischen Sinn. Einfache Massen oder Massenportionen wie Goldklumpen, Wasservolumina etc. sind paradigmatische Fälle von Quasi-Individuen. Sie haben keine individuelle Form, weil ihre Sorten (Gold, Wasser) keine form-determinierende Funktion aufweist. Daraus ergibt sich, kurz gesagt: keine individuelle Form, keine Identität; keine Identität, keine bestimmte Zählbarkeit. Einfache Massenportionen aber sind nicht die einzigen Quasi-Individuen. Auch materielle Zusammenfügungen gehören m.E. dazu, sowohl Zusammenfügungen, die aus gleichartigen Massenportionen (abgekürzt: gM) bestehen (Kohleadern in Bergwerken z.B.), als auch solche aus verschiedenartigen Massenportionen (abgekürzt: vM, Steine u.a.). Zwischen einfachen Massenportionen und materiellen Zusammenfügungen besteht ein rein quantitativer Unterschied. Materielle Zusammenfügungen bestehen einfach aus gleichartigen bzw. verschiedenartigen Massenportionen; wobei „einfach bestehen“ hier im Sinne einer Summenbildung ohne Dazukommen einer Form (in eingeführtem Sinne) zu verstehen ist. Wenn nun zwischen einfachen Massenportionen und materiellen Zusammenfügungen ein rein quantitativer Unterschied besteht, einfache Massenportionen aber Quasi-Individuen sind, so können auch materielle Zusammenfügungen nichts anderes sein. Zur weiteren Begründung, dass zwischen einfachen Massenportionen und materiellen Zusammenfügungen ein rein quantitativer Unterschied besteht, führe ich an, dass die Grenze zwischen diesen Gruppen unscharf bleibt und durch Grenzgänger aufgerissen ist. Diese Unschärfe, zunächst auf die Unterscheidung zwischen einfachen Massenportionen und gM bezogen, hat ihren Grund darin, dass es aufgrund des mangelnden Identitätsprinzips von einfachen Massenportionen mitunter nicht möglich ist, sie klar von materiellen Zu-

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sammenfügungen zu unterscheiden. Wer sagt uns, ob dieser Haufen hier eine einfache Sandportion oder doch eine materielle Zusammenfügung aus mehreren Portionen ist? Etwas anders gelagert ist das Problem der Grenzziehung zwischen vM und ihren ‚Nachbarn‘. Natürlich gibt es durchaus klare Fälle, wie die angeführten Steine am Wegrand. Aber wie ist es mit jener Menge Wasser, die zwischen zwei Brücken einen Flusslauf bildet? Betrachten wir diese aufgrund der vorhandenen Einschlussstoffe als vM, oder nehmen wir „Wasser“ als umfassenden Massenterm und verstehen derartige Wassermengen als gM oder gar als einfache Wasserportion? Das Gleiche gilt beispielsweise für Erdanhäufungen. Lassen wir diese, aufgrund der vielfältigen Bestandteile, als vM gelten, oder nehmen wir „Erde“ als relevanten Massenterm und fassen Erdhaufen als gM, vielleicht sogar als einfache Massenportion auf? Kurzum: Die Grenzen sind, trotz der Klarheit von Einzelfällen, fließend. Sind nun einfache Massenportionen keine Dinge, so auch nicht Gebilde, die Gruppen angehören, die keine eindeutigen Grenzen zu den einfachen Massenportionen aufweisen. Ich gehe einen Schritt weiter und komme zu den natürlichen Formationen, worunter, wie angedeutet, Seen, Meere, Felsen, Berge und vergleichbare Gebilde verstanden werden. Mein erstes Argument, warum auch natürliche Formationen Quasi-Individuen sind, ist analog zu meinem ersten Argument, warum materielle Zusammenfügungen keine Dinge sind: Ebenso wie zwischen einfachen Massenportionen und materiellen Zusammenfügungen nur ein quantitativer Unterschied besteht, so auch zwischen materiellen Zusammenfügungen und natürlichen Formationen. Natürliche Formationen bestehen einfach aus mitunter sehr komplex angeordneten materiellen Zusammenfügungen, die sich z.T. durch erhebliche Erstreckungen auszeichnen, wie im Fall von Seen bzw. Bergen. Klar sollte jedoch sein, dass auch hier „einfach bestehen“ im Sinne einer Summenbildung ohne Dazukommen einer Form zu verstehen ist. Eine solche Summenbildung kann keine nicht rein quantitativen Differenzen bedingen. Wenn nun zwischen materiellen Zusammenfügungen und natürlichen Formationen ein rein quantitativer Unterschied besteht, materielle Zusammenfügungen aber keine Dinge sind, so können auch natürliche Formationen keine Dinge sein. Als zweites Argument möchte ich wieder auf Grenzgänger zwischen den materiellen Zusammenfügungen und den natürlichen Formationen hinweisen, manche Felsbrocken z.B., von denen nicht klar ist, ob sie noch zu den materiellen Zusammenfügungen oder schon zu den natürlichen Formationen gehören. Es kann keine Grenzgänger zwischen einem Bereich von Quasi-Individuen und

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einem Bereich der Nicht-Quasi-Individuen geben. Also sind auch natürliche Formationen Quasi-Individuen. Den natürlichen Formationen eigentümliche Gründe für ihre nicht bestimmte Zählbarkeit stellen ein drittes Argument für ihren Quasi-IndividuenStatus dar. Natürlichen Formationen wohnt kein Identitätsprinzip inne. Das zeigt sich in einer besonderen Weise am Fehlen von entsprechenden Einheitsprinzipien: Ihre Grenzen sind notorisch, d.h. prinzipiell vage.8 Es lässt sich nicht sagen, was noch bzw. schon zu einem Berg gehört, was nicht, wo z.B. ein Berg genau beginnt und wo genau er aufhört, welcher Felsteil zu diesem Berg gehört, welcher nicht. Diese Vagheit betrifft auch den Beginn und das Ende eines Berges. Welcher Wölbungsgrad der Erdoberfläche markiert das Entstehen eines Berges? Ab welchem Grad der Erosion von Felsmaterial soll man aufhören, von einem Berg zu reden? Bei Meeren kommt diese Vagheit besonders deutlich zum Tragen.9 Wo endet der Indische Ozean? Aber auch: Wann beginnt ein Meer, wann endet es? Es zeigt sich jedenfalls, dass sich aufgrund der angezeigten Problematik von Prinzipien, die Aufschluss über die räumliche, aber auch zeitliche Einheit von natürlichen Formationen geben könnten, Fragen nach der Anzahl von Bergen und von Meeren nicht mit Bestimmtheit beantworten lassen. Sie sind nicht bestimmt zählbar, was die Annahme ihres Status als Quasi-Individuen rechtfertigt. Natürliche Formationen sind somit keine Dinge. So können sie, und allein darauf will ich hier hinaus, keine Substanzen sein.10 Selbst wenn wir Massenportionen, materielle Zusammenfügungen und natürliche Formationen ausblenden, gibt es nicht noch andere Kandidaten für nicht-lebendige Substanzen, etwa Atome? Zugegebenermaßen sind Atome, zumindest auf den ersten Blick gesehen, Substanz-Kandidaten. Warum ich sie

|| 8 Vgl. Romorales 2002, 216, wo sich auch Hinweise auf die spärliche weitere Literatur zum Berg-Thema finden. 9 Im Allgemeinen ist festzuhalten, dass sich natürliche Formationen darin unterscheiden, wie bzw. in welcher Eindeutigkeit sich die hier angeführten Argumente auf sie anwenden lassen. Extrembeispiele scheinen mir ganze Planeten, wie Erde, Mars, Venus, zu sein. Auf sie lässt sich das erste Argument sehr gut, das zweite gut, das dritte weniger gut anwenden, weil „Planet“ mit wesentlich besseren Zählbarkeitskriterien gekoppelt ist als „Berg“. Auf diese Unterschiede systematisch zu reflektieren sprengt den Rahmen dieses Abschnitts. 10 Ich setze hier voraus, dass unter ontologische Ordnungsbegriffe wie „Substanz“ nicht Gegenstände subsumiert werden können, die derart disparat sind wie Quasi-Individuen und Dinge (in einem ontologisch technischen Sinn). D.h. Substanzen können nicht über die Bereiche der Quasi-Individuen und der Dinge verteilt sein, wollen wir „Substanz“ als ontologischen Ordnungsbegriff beibehalten.

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dennoch nicht als Gefahr für die Extensionsgleichheit von „Substanz“ und „Lebewesen“ auffasse, möchte ich in einem späteren Abschnitt (I - 2.2.2) abklären.

1.3 Ereignisse und Zustände Neben Dingen gibt es noch andere partikulare Entitäten. Ich nehme an, dass Ereignisse und Zustände solche nicht-dinglichen Partikularien sind. Ereignisse sind als Partikularien raum-zeitliche Individuen, die darin bestehen, dass sich Dinge ändern. Bemale ich den Tisch rot, ist das ein Ereignis. Es ist raum-zeitlich positionierbar und eindeutig individuell, wenn man bedenkt, dass sich dieses Bemalen des Tisches nicht wiederholen kann. Auch Zustände sind raum-zeitliche Individuen, die allerdings, im Unterschied zu Ereignissen, darin bestehen, dass Dingen Eigenschaften zukommen.11 Dieses Grün-Sein der Tafel ist ein Zustand. Es ist ebenso wie das Beispielereignis raum-zeitlich positionierbar und aus analogem Grund wie das Bemalen von vorhin, als individuell anzunehmen. Es besteht darin, dass etwas, der Tafel, eine Eigenschaft, nämlich grün zu sein, zukommt. Ereignisse und Zustände erachte ich als vierdimensionale Entitäten. D.h. es ist ihnen wesentlich, in drei Dimensionen räumlich und dazu zeitlich ausgedehnt zu sein. Dass Ereignisse und Zustände neben einer räumlichen (in drei Dimensionen) auch eine zeitliche Ausdehnung haben, besagt aber, dass sie auch teilbar sind in zeitliche Teile. Die zeitliche Ausdehnung von Zuständen ist freilich anders zu beurteilen ist als jene von Ereignissen: Ereignisse bestehen in der Regel aus qualitativ verschiedenen zeitlichen Teilen, Zustände normalerweise aus qualitativ identischen zeitlichen Teilen. Zustände bestehen aus zeitlichen Teilen, deren zeitliche Teile selbst wiederum qualitativ identisch sind. Gegen die Gültigkeit dieser Unterscheidung für den Regelfall spricht nicht, dass es zwischen dem Bereich der Ereignisse und dem der Zustände markante Grenzfälle gibt. Sie zeigen, dass es zwischen Ereignissen und Zuständen bei allen Unterschieden keine grundlegenden oder kategorialen Differenzen gibt. Es mag durchaus Ereignisse geben,

|| 11 Nota bene: Ich verwende hier den Terminus „Eigenschaft“, wie eingangs hingewiesen, in einem nicht technischen Sinne – vorläufig, ist hinzuzufügen. Gerade die innere Komposition der Zustände, aber auch der Ereignisse, wird im Hinblick auf unser Thema „Modi“ sehr bedeutsam sein. Dies auszuführen bedarf einer ontologischen Explikation, die bei der Anführung der Prämissen nicht gegeben werden kann.

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die, obgleich eindeutig Änderungen, so doch aus qualitativ identischen zeitlichen Teilen bestehen. Manche würden diese auch als Prozesse bezeichnen. Desgleichen mag es Zustände geben, die sich entwickeln, für die gilt, dass sie – obgleich deutlich statisch – durchaus qualitativ verschiedene zeitliche Teile haben. Derartige Zustände nennen manche auch dynamische Zustände.12 Aus der zeitlichen Ausdehnung der Ereignisse und der Zustände folgt jedenfalls, dass sie niemals zu einem Zeitpunkt ihres Vorkommens ganz oder als Ganze da sein können, wie das von Dingen gilt. Ebenso wenig wie beispielsweise ein Fußballspiel in einer Halbzeit ganz, sondern nur phasenweise da sein kann, so auch ein Zustand. Mein In-Leipzig-Sein, übrigens ein Beispiel für einen durchaus dynamischen Zustand, ist an einem Tag nicht ganz, sondern nur teilweise da. Das Gleiche gilt übrigens auch für einfache Zustände, wie das GrünSein der Tafel. Aufgrund seiner zeitlichen Ausdehnung von Wintersemester 2009/10 bis Sommersemester 2013 ist es z.B. im Sommersemester 2011 eben nur teilweise da. Obwohl Ereignisse und Zustände zeitliche und auch räumliche Entitäten sind, kommen ihnen räumliche Merkmale nicht selbst oder an sich zu, sondern nur insofern, als sie diese entlehnen, und zwar von jenen Dingen, die in sie involviert sind. M.a.W. sind räumliche Merkmale von Ereignissen und Zuständen räumliche Merkmale von Dingen.13 Darin, dass es Zuständen und Ereignissen, wie gesehen, wesentlich ist, räumlich ausgedehnt zu sein, ihnen aber ihre räumlichen Merkmale nur abhängig von Dingen zukommen, zeigt sich, dass Ereignisse und Zustände in einem wesentlichen Merkmal von Dingen abhängige Entitäten sind. Das Bemalen des Tisches wie auch das Grün-Sein der Tafel hängen in diesem Sinne ab von Tisch und Tafel, das Bemalen möglicherweise auch noch von der Malerin. Darin zeigt sich, dass Ereignisse und Zustände als Entitäten, d.h. als Grundelemente der Wirklichkeit, nicht auf andere Entitäten, etwa Dinge zu reduzieren sind. Es zeigt sich aber auch, dass sie, im Unterschied zu Dingen, nicht als primäre Entitäten angesehen werden können. In Anwendung der Terminologie der klassischen Ontologie könnte man darin auch einen akzidentellen Zug in ihrem ontologischen Status sehen.

|| 12 Zu einfachen/komplexen Zuständen bzw. Prozessen: Kanzian 2001, III - 4.32. 13 Genau genommen müsste man hinzufügen, dass Ereignisse ihre räumlichen Eigenschaften auch von Massen und anderen Quasi-Individuen entlehnen können, welche keine Dinge sind. Man müsste also eigentlich sagen, dass Ereignisse von ihren Trägern räumliche Eigenschaften entlehnen und unter dieser Rücksicht von ihnen abhängig sind. Diese Feststellung spielt für das Kommende aber keine Rolle.

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Auch Dinge hängen von Ereignissen und Zuständen ab. Wie oben im Abschnitt 1.1.2 angeführt, sind Dinge trotz ihrer wesentlichen Dreidimensionalität zeitliche Entitäten. Das kann man so deuten, dass der Bezug zur Zeit für Dinge, wenn auch in einem akzidentellen Sinne, so doch aber ontologisch bedeutsam ist. Und diesen, den Dingen akzidentellen Bezug zur Zeit machen Ereignisse und Zustände aus, die wir auch die Geschichte eines Dinges nennen können. Ist für Dinge ihr Bezug zur Zeit in einem akzidentellen Sinn ontologisch bedeutsam, vermitteln aber Ereignisse und Zustände diesen Bezug der Dinge zur Zeit, hängen Dinge, eben in diesem akzidentellen Sinn, ontologisch von Ereignissen ab.14 Es gibt also eine wechselseitige, nicht symmetrische Abhängigkeitsbeziehung zwischen Dingen und Ereignissen bzw. Zuständen. Ereignisse und Zustände sind, wie gesagt, individuelle Entitäten. Ihre Individualität steht jedoch, um einen weiteren Gesichtspunkt anzusprechen, nicht im Gegensatz dazu, dass Ereignisse und Zustände stets als Vorkommnisse allgemeiner Sorten oder Typen aufzufassen sind. Auch bei Ereignis- und Zustandstypen können wir unterscheiden zwischen niedrigeren oder spezielleren, bis hinunter zu species infimae, und höheren oder allgemeineren Genera. Allerdings gilt für Ereignisse und Zustände die sortale Relativität ihrer Identität. Das bedeutet, dass sie zu jeder Zeit ihres Vorkommens verschiedenen species infimae angehören können, die jeweils ihre Identität bestimmen.15 Das macht die eigentümlich opake Identität der Ereignisse und der Zustände aus. Auch Ereignisse und Zustände sind sachverhaltsartig-komplexe Einheiten, und zwar in dem Sinne, wie das oben, Abschnitt 1.1.3, in Bezug auf Dinge ausgeführt wurde. Sie sind nicht einfach, also zusammengesetzt. Allerdings nicht so, dass die Komponenten oder Aspekte dieser Zusammensetzung (wie etwa im Falle der materiellen Zusammenfügungen) primär, die Einheit aber sekundär wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Welche aber die Komponenten oder Aspekte der Zusammenfügung von Ereignissen und Zuständen sind, muss an dieser Stelle offen bleiben, weil uns das bereits in Zusammenhänge brächte, die einer ontologischen Explikation von Modi bedürfen. Diese werden, wie bereits zu vermuten sein sollte, bei der onto-

|| 14 In einem späteren Abschnitt (II - 2.3 (1)) werde ich diese These weiterentwickeln. 15 Bezüglich der species infimae von Ereignissen, den verschiedenen Möglichkeiten, sie (auch gleichzeitig) solchen untersten Arten zuzuordnen, sowie der Eigenart der sortalen Relativität der Identität der Ereignisse, verweise ich auf Kanzian 2009, v.a. 63–69.

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logischen Analyse von Zuständen, aber auch von Ereignissen eine wesentliche Rolle spielen.

1.4 Wo bleiben Sachverhalte? Zahlreiche AutorInnen nehmen Sachverhalte (bzw. Tatsachen, was ich in diesem Zusammenhang ausklammern kann) als Entitäten, also als Grundelemente der Wirklichkeit, an. SachverhaltsontologInnen, so bezeichne ich alle OntologInnen, die Sachverhalte als Entitäten akzeptieren, halten weder eine reine Ding- noch eine einfache Eigenschafts-Bündelwelt für intelligibel. Unsere Welt bestehe vielmehr aus Sachverhalten, deren Bestandteile eben Dinge und Eigenschaften sind.16 Als besonderer Vorteil wird dabei hervorgehoben, dass Sachverhaltsontologien, auch im Unterschied zu reinen Substanz-Attribut-Schemen, nicht nur relationale Eigenschaften, sondern auch Relationen, verstanden als mehrstellige Eigenschaften, integrieren könnten. Es gäbe eben auch Sachverhalte, die darin bestehen, dass mehrere Dinge zueinander in Beziehung stehen.17 Ein weiteres Motiv für die Annahme von Sachverhalten besteht darin, dass das F-Sein eines x mehr impliziert als das Bestehen von x und das von F. Es könnten ja x und F getrennt voneinander bestehen, ohne das Kompositum eines F-Seins dieses x.18 Dieses Mehr des Kompositums aber rechtfertige die Annahme eines entsprechenden Sachverhalts, der eben nicht darin aufgehe, einfache Summe eines Dinges x und einer Eigenschaft F zu sein. Vor allem AutorInnen mit universalienrealistischen Intuitionen im Hinblick auf ihre Ontologie von Eigenschaften benötigen Instanzen, welche die ‚Erdung‘, sprich raum-zeitliche Verankerung der Eigenschaften garantieren. So werden Sachverhalte, insofern sie Eigenschaften nicht nur enthalten, sondern auch in einem nicht weiter explizierbaren Sinne (ohne also weitere Binderrelationen zu benötigen) an Dinge ‚binden‘, zum Garanten eines „Sieges des Partikulären“19. Kurzum: Sachverhalte gliedern abstrakte Universalien in das raum-zeitliche Gefüge der Welt ein. Ein letzter Grund für die Annahme von Sachverhalten, der hier erwähnt sein soll, ist, dass Sachverhalte geeignete Kandidaten für Elemente kausaler

|| 16 Tegtmeier 1992, 144; desgleichen u.a. Bacon 1995, 3f. 17 Vgl. Runggaldier/Kanzian 1998, 200f und die dort angeführte Literatur. 18 Armstrong 1989, 88. 19 Diese Formulierung verwendet Armstrong 1997, u.a. 126f.

Wo bleiben Sachverhalte? | 23

Zusammenhänge sind. Kein Ding als solches, auch keine Eigenschaft als solche, kann als Ursache fungieren, sondern nur das Ding, insofern ihm eine bestimmte Eigenschaft zukommt. Und Dinge, insofern ihnen bestimmte Eigenschaften zukommen, seien eben Sachverhalte. Wenn hier, trotz dieser Gründe, Sachverhalte nicht als Entitäten betrachtet werden, dann deshalb, weil die eben angeführten ontologischen Funktionen durchaus auch von jenen anderen Entitäten wahrgenommen werden können, die bereits angeführt worden sind: von Dingen, Ereignissen und Zuständen. Das soll hier nur angesprochen, in späteren Abschnitten jedoch ausgeführt werden; ebenso, dass dabei die Modi von Dingen, als Komponenten von Ereignissen und Zuständen, eine entscheidende Rolle spielen. Gelingt es, die für die Annahme von Sachverhalten sprechenden ontologischen Funktionen auf andere Entitäten zu übertragen, fallen die Motive für ihre Annahme als Entitäten weg. Sachverhalte erweisen sich als eine überflüssige Erweiterung des Kanons der Kategorien, von der wir hier absehen wollen.20 Die Beifügung „als Entitäten“ ist in diesem Zusammenhang freilich wesentlich. Selbst wenn Sachverhalte keine Entitäten sind, können uns die Analysen von SachverhaltsontologInnen sehr hilfreich sein, insofern man sie interpretieren kann als bezogen auf grundlegende Merkmale der inneren Struktur von Partikularien. Es sind vor allem die Einheit von Sachverhalten, die auch nach gängiger sachverhalts-ontologischer Darstellung grundlegend ist, sowie die Zusammenfügung von Sachverhalten aus verschiedenen und verschiedenartigen Komponenten. Beides kann auf die Analyse der inneren Struktur nicht nur von Ereignissen und Zuständen, sondern auch von Dingen angewendet werden. Davon war ja bereits die Rede. Sowohl Dinge als auch Ereignisse und Zustände sind Entitäten mit einer relativ zu ihren verschiedenen und verschiedenartigen Komponenten grundlegenden Einheit. Vielleicht ist es schon deshalb wert, über Sachverhalte nachzudenken, um zu verstehen, dass allein mit der Darlegung eines kategorialen Schemas in der || 20 Das hier in Anschlag gebrachte ‚Funktions-Kriterium‘ für den Status als Entität wird später (II - 1.1 (2) und (3)) im Hinblick auf Modi ausgefaltet. Unabhängig davon, gibt es allerdings noch weitere Gründe, die in der Literatur gegen Sachverhalte als Entitäten vorgebracht werden, siehe Runggaldier/Kanzian 1998, 203–207. Vor allem die Relevanz von Quines Einwänden (u.a. ders. 1960, 264ff) soll hier zumindest erwähnt sein. Quine spricht a.a.O. zwar von „facts“, der Sache nach können seine Argumente aber gegen Sachverhalte angeführt werden. Alles in allem scheint ein kategoriales Schema ohne Sachverhalte als Entitäten plausibel vertreten werden zu können.

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Ontologie noch nicht viel erreicht ist. Es braucht auch Interpretationen der Verschiedenheit von Kategorien und ihrer Vorkommnisse. Und bei dieser Interpretation spielt die innere Struktur der jeweiligen Entitäten eine maßgebliche Rolle. Die Bemerkung, dass „noch nicht viel erreicht ist“ mit der Auflistung eines (anfänglichen) kategorialen Schemas, können wir zum Anlass nehmen, diese auch schon zu beschließen und uns dem nächsten Aspekt unseres ontologischen Rahmens zuwenden: der Frage nach deskriptiver Ontologie.

2 Deskriptive Ontologie Wie in der Einleitung dieses ersten Hauptteils gesagt, gehört zu den Präliminarien auch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Weise, Ontologie zu betreiben, das ist, in unserem Fall, die deskriptive. Im Folgenden werde ich versuchen darzulegen, was darunter genauer zu verstehen ist (2.1), wie dieses Bekenntnis zu deskriptiver Ontologie unter kritischer Abhebung von revisionärer Ontologie erläutert und begründet werden kann (2.2), schließlich welche Konsequenzen in der Theorienbildung sich aus der Wahl dieser Zugangsweise zur Ontologie ergeben (2.3). Im Abschnitt I - 3.3 wird dann deskriptive Ontologie auch im Hinblick auf unser Thema, die Modi, dargestellt.

2.1 „Deskriptive Ontologie“ Die Ontologie ist jene philosophische Disziplin, der es um das ών geht, das Seiende, und zwar ή ών, als Seiendes, um Seiendes ‚insofern es ist‘. Wir können dies so interpretieren, dass es der Ontologie um Seiendes unter allgemeinster Rücksicht geht, freilich um alles Seiende. Aber, und da gehen wir vielleicht über den Buchstaben der klassischen Bestimmung hinaus, es geht nicht nur um die je eigene Konstitution von etwas als Seiendes oder Entität, sondern auch darum, wie sich dessen je eigene Konstitution zu jener von anderen Seienden oder Entitäten verhält. Es geht, wie wir gesehen haben, nicht nur um Dinge, sondern u.a. auch darum, wie Dinge sich etwa auf Ereignisse beziehen, wie sie mit anderen, nicht dinglichen Entitäten das ausmachen, was wir auch die Grundstrukturen der Wirklichkeit nennen können, und um ähnliche Fragen. Dass es der Ontologie um die Grundstrukturen der Wirklichkeit geht, steht im Großen und Ganzen außer Streit. Kontrovers ist allerdings die Frage, ob Dinge und Ereignisse, wie hier behauptet, tatsächlich zu den Grundstrukturen der Wirklichkeit gehören. Aber nicht nur das. Äußerst unterschiedlich wird schon die Frage angegangen, was man überhaupt meint, wenn man von „der Wirklichkeit“ spricht, die man ontologisch analysieren möchte. Was ist das eigentliche und primäre Forschungsobjekt der Ontologie? In der aktuellen Debatte finden sich zwei große Richtungen von Antworten. Die eine ist, Wirklichkeit zu verstehen als jene alltägliche Lebenswelt1, in der

|| 1 Ich verwende hier „Lebenswelt“ in einem halb-technischen Sinn, d.h. in (sehr) freier Anlehnung an Husserls Lebenswelt-Begriff, u.a. in seiner Krisis-Schrift. Eine systematische Analyse

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wir Menschen miteinander, mit anderen Lebewesen und der unbelebten Natur interagieren. Ontologie würde demnach aufzufassen sein als jene Disziplin, welche unsere Alltagswelt als solche ontologisch beschreibt. Dies ist deskriptive Ontologie, wie ich sie hier verstehen möchte. An anderer Stelle habe ich auch von „Alltagsontologie“ gesprochen. Ich erlaube mir, dies als Synonym zu deskriptiver Ontologie aufzufassen. Jedenfalls ist es das Merkmal deskriptiver Ontologie, dass sich die Grundelemente der Wirklichkeit in der alltäglichen Lebenswelt vorfinden lassen. Wenn ich oben Dinge als primäre Entitäten der hier vorgeschlagenen Ontologie bezeichnet habe, meine ich somit, dass Dinge mit den dargelegten Charakteristika im Kontext der Grundelemente unserer alltäglichen Lebenswelt eine bevorzugte Stellung einnehmen. Die andere Konzeption von Ontologie versteht die Frage nach Grundstrukturen der Wirklichkeit als Frage nach den Basisbausteinen derselben; nach Basisbausteinen, die letztlich als naturwissenschaftliche, insbesondere (mikro-) physikalische interpretiert werden. Es geht nicht darum, die Alltagswelt ontologisch zu beschreiben, sondern zu rekonstruieren als (ontologisch nachrangiges) Folgephänomen eben besagter Basisbausteine. Der Ontologie, so verstanden, geht es primär um die Mikrowelt und die Ableitung der Lebens- oder Makrowelt aus derselben. Die Grundelemente der Wirklichkeit finden sich an der physikalischen Basis. Die Ontologie versteht sich so als wissenschaftliche Ontologie in dem Sinne, dass sie letztlich Fortsetzung der Naturwissenschaft ist, mit etwas modifizierter Begrifflichkeit. Sie muss ja die physikalische Basis analysieren und als Konstitutionsgrundlage der Makrowelt darstellen. Weil wir aufgrund dieser Vorgaben manche Selbstverständlichkeiten unserer alltäglichen Einstellungen zur Wirklichkeit revidieren müssen, wird diese Weise, Ontologie zu betreiben, auch als revisionäre bezeichnet. Die Brisanz einer Entscheidung zwischen den großen Richtungen besteht darin, dass sich mit dieser Wahl faktisch die Gestalt einer Ontologie, zumindest in ihren wichtigsten Zügen, ergibt. So ist es beispielsweise klar, dass revisionäre OntologInnen keine Dinge in eingeführtem Sinn als (primäre) Entitäten annehmen werden. Was auch immer an der Basis unserer materiellen Wirklichkeit aufzufinden ist, es sind keine dreidimensionalen endurer. Revisonäre Ontologie, in welcher Form sie auch in Erscheinung tritt, aber beruht auf schwerwiegenden methodischen und auch inhaltlichen Thesen. Ich werde versuchen, diese Thesen im nachfolgenden Abschnitt darzulegen und zu || der Verwendbarkeit von Husserls Begriff in einer deskriptiven Alltagsontologie kann hier (leider) nicht geleistet werden.

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kritisieren. Daraus soll die Inadäquatheit dieser Zugangsweise zur Ontologie folgen und somit das Gegenteil, der deskriptive Zugang, als Alternative verteidigt werden. Zuvor möchte ich allerdings noch ein paar Bemerkungen zur weiteren Charakteristik von Alltags- oder eben deskriptiver Ontologie machen. Auch eine solche Charakteristik habe ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt (Kanzian 2009, I - 1). Ich beschränke mich deshalb hier vorläufig auf ein Minimum. „Vorläufig“ deshalb, weil sich aus meiner Auseinandersetzung mit revisionärer Ontologie (2.2) weitere Merkmale ergeben werden, die Thema der folgenden Abschnitte 2.3 bzw. 3.3 sein sollen. Ein erstes markantes Merkmal deskriptiver Ontologie ist, dass sie in ihrer Theorienbildung auf alltägliche Einstellungen oder Intuitionen Bezug nimmt. Unter Intuitionen aber verstehe ich spontane (d.h. nicht wissenschaftlich reflektierte) Einstellungen zu propositionalen Gehalten. Intuitionen sind zu diesen Gehalten entweder zustimmend oder ablehnend. Nicht jede Intuition ist ontologisch relevant. Das sind nur solche, deren Gehalt in allgemeinen und universalen Gegebenheiten besteht, nicht in konkret Einzelnem und Besonderem. Ontologisch relevant können außerdem nur solche Intuitionen sein, die in einem bestimmten Maße auch intersubjektiv geteilt werden, etwa so weit, dass sie das soziale Zusammenleben von Menschen befördern. Die Bezugnahme auf Intuitionen durch eine Ontologie darf nicht im Sinne einer einfachen oder naiven Umlegung von Alltagseinstellungen verstanden werden. Vielmehr so, dass Intuitivität als ein Adäquatheitskriterium von Theorien deskriptiver Ontologie verstanden werden kann. Als „ein Adäquatheitskriterium“ besagt, dass es noch andere geben mag, wie innere Konsistenz, Ökonomie etc. Gemeint ist damit auch, dass Intuitivität Adäquatheitskriterium zunächst nur innerhalb deskriptiver Ontologie ist. Weil eine These aus dem Bereich revisionärer Ontologie gegenintuitiv ist, kann sie deshalb nicht als falsch ausgewiesen werden. Neben der Bezugnahme zu Alltagsintuitionen zeichnet deskriptive Ontologie aus, dass sie eine Basis für eine Erklärung und Interpretation von Grundstrukturen unseres alltäglichen Sprechens bereithält. Unter einer „Grundstruktur“ verstehe ich hier eine, die relativ zu verschiedenen natürlichen Sprachen invariant ist, einzelne Sprachen als Ganze betrifft und mit Mitteln der Grammatik dieser einzelnen Sprachen nicht expliziert werden kann, weil sie dieser

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Grammatik selbst zugrunde liegt. Die Subjekt-Prädikat-Struktur habe ich an anderer Stelle2 als eine solche Grundstruktur versucht einzuführen. In Entsprechung zum oben bzgl. Intuitionen Gesagten kann dies nicht bedeuten, dass man eine Ontologie alleine aufgrund oder in naiver Umlegung einer Theorie etwa der Subjekt-Prädikat-Struktur gewinnt. Dennoch gilt, dass eine Alltags- oder deskriptive Ontologie bei der Theorienbildung besagte Grundstruktur unseres Sprechens nicht ignorieren kann. Ein Adäquatheitskriterium für eine alltagsontologische Theorie ist, ob sie eine Basis für eine plausible Erklärung dieser Grundstruktur des Sprechens bereithält. Es ist jene deskriptive Ontologie eine bessere deskriptive Ontologie, welche die Subjekt-PrädikatStruktur unseres Sprechens besser, d.h. plausibler erklärt, etwa so, dass sie annimmt, dass es Entitäten gibt, welche in ihrem Verhältnis zueinander dieser Struktur entsprechen. Schließlich gilt für deskriptive Ontologien, dass sie grundsätzlich offen sind für Modifikationen und somit als solche keinen Anspruch auf eine definitive Gestalt erheben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass Intuitionen prinzipiell änderbar sind. Und das ergibt sich zum anderen aus der geschilderten Abhängigkeit der Alltagsontologie von diesen Intuitionen. Für den nicht-dogmatischen Charakter von Alltagsontologien spricht ferner ihre Kontext- bzw. Kulturrelativität. Auch dieser Aspekt beruht auf der Abhängigkeit der Alltagsontologie von Intuitionen und der bereits geschilderten Kontext- bzw. Kulturrelativität derselben. Obgleich faktisch ein Kern von Intuitionen zur Grundstruktur der Wirklichkeit von Menschen aller Kulturen geteilt wird, ist es prinzipiell denkbar, dass es Menschengruppen gibt, in denen etwa von unserer Kultur vollkommen verschiedene ontologisch relevante intuitive Einstellungen vorherrschen. Ebenso sind natürlich Kulturen mit alternativen sprachlichen Grundzügen denkbar. Wir können also zusammenfassend festhalten, dass deskriptive Ontologien eine Beschreibung der alltäglichen Wirklichkeit oder Lebenswelt als solcher anstreben. Dabei sind sie auf bestimmte Intuitionen als Adäquatheitskriterien verwiesen, sowie (in eben ausgeführtem Sinne) auf Grundstrukturen unseres alltäglichen Sprechens, wie die Subjekt-Prädikat-Struktur. Deskriptive Ontologien sind prinzipiell offen für Modifikationen.

|| 2 Kanzian 2009, 25ff.

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2.2 Wider revisionäre Ontologie 2.2.1 Revisionäre Ontologie: Begriff und Kernthesen Es stimmt natürlich nicht, dass es neben deskriptiver und revisionärer Ontologie kein Drittes gäbe hinsichtlich der Zugangsweise zur Ontologie. Existenzphilosophische Ansätze, um nur ein Stichwort zu nennen, lassen sich wohl kaum in dieser Gegenüberstellung erfassen. Dennoch bildet die deskriptive Zugangsweise zur Ontologie, wie sie im letzten Abschnitt skizziert wurde, einen Gegensatz zur revisionären. Dieser Gegensatz ist so, dass sich aus der Kritik des einen ein Argument für das andere gewinnen lässt; selbst wenn man konzediert, dass dieses Argument nur relativ eben zu dieser Gegenüberstellung gilt, nicht absolut, d.h. als Begründung der deskriptiven oder Alltagsontologie als einzig möglicher Methode ontologischer Theorienbildung.3 „Revisionäre Ontologie“, das sei als weiterer vorbereitender Punkt angemerkt, bezeichnet keine einzelne inhaltliche Theorie über die Grundstrukturen der Wirklichkeit, sondern eine Vielzahl divergierender Entwürfe, die sich allerdings durch einen gemeinsamen Kanon von Prämissen oder prämissenhaften Kernthesen charakterisieren lassen. Das bedeutet, dass es innerhalb des Bereichs revisionärer Ontologie verschiedene Vorschläge für Kategoriensysteme gibt, freilich mit vergleichbaren Voraussetzungen. Besonders markant sind etwa Prozessontologien, z.B. nach Whitehead bzw. nach Sellars. Prozessontologien sind in der Regel einkategoriale Systeme: Prozesse sind die einzigen Entitäten. Darin, nämlich in der Annahme einer einzigen Kategorie, kommen Prozess- mit Tropen-TheoretikerInnen (siehe hier, I - 3.2 (1)) überein. Tropen sind individuelle Qualitäten, aus denen die gesamte Wirklichkeit rekonstruiert werden kann. Die Tropenontologie berührt das Eigenschafts-Themenfeld unmittelbar. An dieser Stelle können wir davon jedoch absehen. Hinweisen möchte ich aber darauf, dass die Tropenontologie als eine besondere Variante jener

|| 3 Dass deskriptive Ontologie einen Gegensatz zu revisionärer bildet, schließt nicht aus, dass es einzelne Positionen gibt, die hinsichtlich dieser Alternative gewisse Inkonsequenzen aufweisen. So würde ich, nebenbei bemerkt, Van Inwagens Material Beings, hier Van Inwagen 1990, kritisieren. Vgl. u.a. ebd., 15, wo Van Inwagen (zu Recht) die Nähe seiner Ontologie zu jener (eindeutig deskriptiven) des Aristoteles bekundet, und gleichermaßen klar revisionäre Prämissen seiner Theorie darlegt. Oder dass es solche gibt, die deskriptiv beginnen, dann aber aufgrund der Undurchführbarkeit ihrer Theorie als alltagsontologischer zu revisionären Schlussfolgerungen kommen. Vgl. dazu u.a. Campbell 1990, v.a. seine feldtheoretischen (revisionären) Konsequenzen im 6. Kapitel im Vergleich zu seiner durchaus deskriptiven Einführung von Tropen im einleitenden Kapitel 1.

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revisionären Theoriengruppe verstanden werden kann, die auch als Atomismus zu bezeichnen ist. Atomare, d.h. unteilbare Bausteine der materiellen Wirklichkeit sind die Grundelemente der Wirklichkeit. Individuelle Qualitäten sind solche atomaren Bausteine. Mir geht es hier jedoch nicht um spezielle Auseinandersetzungen mit den VertreterInnen besonderer Ausprägungen revisionärer Ontologie, sondern um revisionäre Ontologie als solche: d.h. mit jenen Auffassungen, von denen ich meine, dass sie von revisionären OntologInnen normalerweise geteilt werden und somit auch, in angesprochenem Sinne, als Kernthesen dieser Zugangsweise zur Ontologie gelten können. Was aber sind diese Kernthesen, die ontologische Theorien als revisionäre auszeichnen? Eine erste ist, dass die Ontologie als philosophische Disziplin als aposteriorisch ausgewiesen wird.4 Diese Charakterisierung verweist auf ein besonderes Verständnis des Verhältnisses der Naturwissenschaft(en) zur Ontologie. Die Ontologie sei nicht Prinzipienwissenschaft der Naturwissenschaften im Sinne der traditionellen Ontologie. Die Ontologie sei auch nicht dazu da, Ergebnisse der Naturwissenschaften in ihr kategoriales Schema zu integrieren, wie es möglicherweise neueren Ansätzen entspricht, die auf ein dialogisches Miteinander der Wissenschaften ausgerichtet sind.5 Vielmehr habe die Ontologie von den Ergebnissen der Naturwissenschaften auszugehen und ihre Theorienbildung daraus abzuleiten. Die Naturwissenschaften seien die Prinzipienwissenschaften, die Ontologie aber nachrangig, und sei es auch nur dadurch, dass sie, die Ontologie, den Erklärungsprimat der Naturwissenschaften anerkennt. Die zweite Kernthese steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten. Dieser Zusammenhang wird bei revisionären OntologInnen normalerweise als Begründungsverhältnis der ersten durch diese zweite verstanden. Diese zweite lautet, dass die Ontologie deshalb von den Ergebnissen der Naturwissenschaften auszugehen habe, weil es die Naturwissenschaften seien, welche Auskunft über die Grundelemente der Wirklichkeit geben. Vorausgesetzt wird dabei, dass sich die Grundelemente der Wirklichkeit, das sind Entitäten in einem ontologisch-technischen Sinn, im mikrophysikalischen Bereich auffinden lassen.6 Die

|| 4 Peter Simons war so freundlich, diese Formulierung zu wählen. Vgl. Simons 1998, v.a. 251f. Andere tun das nicht so explizit, obwohl sie der Sache nach genau davon ausgehen, was Simons meint. 5 Kuhlmann 2010, zumindest manche Passagen, würde ich in diese Richtung interpretieren. Siehe u.a. ebd. 185f. 6 Schaffer 2003, 498, führt diese „fundamentalistische“ Auffassung zurück auf die Annahme eines Schichten-Modells der Wirklichkeit bzw. darauf, dass man eine unterste, von der Physik

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Naturwissenschaften weisen im mikrophysikalischen Bereich jene Entitäten auf, die dann als Basisentitäten der Makrowelt gelten. Die Naturwissenschaften belehren die Ontologie darüber, was sie dann im Kontext philosophischer Argumentationen weiter zu vertreten habe.7 Daraus ergibt sich auch die spezielle Aufgabe der Ontologie: Sie habe zu erklären, wie aus den von den Naturwissenschaften aufgewiesenen Basisentitäten die Welt, wie wir sie kennen und erleben, also unsere Lebenswelt, von ‚unten her‘ oder ‚bottom-up‘, rekonstruiert werden könne. Dies stellt das Hauptanliegen ontologischer Argumentation im Kontext der revisionären Ontologie dar: Wir revidieren unsere alltäglichen Einstellungen zur Wirklichkeit. Nicht die Dinge unserer Lebenswelt sind Grundelemente der Wirklichkeit, sondern die physikalischen Basisentitäten, z.B. Atome.8 Das Problem der Ontologie ist die Explikation des Aufbaus der gesamten Wirklichkeit aus diesen Basisentitäten. Die drei, revisionäre Ontologie charakterisierenden Kernthesen (KT) sind also, um es auf den Punkt zu bringen: KT1: Die Ontologie ist aposteriorisch. KT2: Die Naturwissenschaften weisen in der Mikrowelt die Basisentitäten der Makrowelt auf. KT3: Die Ontologie rekonstruiert (‚bottom-up‘) aus den Basisentitäten die Makrowelt.

Im Folgenden möchte ich zunächst KT2 kritisieren. Wenn diese Kritik zutrifft, folgt daraus die Zurückweisung auch von KT1. Im Kontext von revisionären Entwürfen wird nämlich, wie angedeutet, KT1 faktisch durch KT2 begründet. Dann möchte ich zusätzliche Argumente gegen KT3 vorbringen, die zusammengenommen mit der Kritik an KT2 die Inadäquatheit jenes revisionären Zugangs

|| aufweisbare Schicht voraussetzt. Dann gilt: „the entities of the fundamental level are primarily real, while any remaining contingent entities are at best derivative, if real at all.“ 7 Jaegwon Kim macht diese zweite Kernthese besonders deutlich: „It is generally thought that there is a bottom level, one consisting of whatever microphysics is going to tell us are the most basic physical particles out of which all matter is composed ….“. Kim 1993, 337. Vielleicht noch klarer: „whatever our best physics is going to tell us are the basic bits of matter out of which all material things are composed.“ Kim 1998, 15. 8 Im Grunde kann man den aktuellen Atomismus bzw. Rekonstruktionismus auf eine Spekulation Isaak Newtons zurückführen, demzufolge: „the smallest particles of matter cohere to compose bigger particles, which in turn compose still bigger particles, until the biggest particles, which in turn compose bodies of a sensible magnitude“. Newton 1704, 394; zitiert nach Schaffer 2003, 499. Die Ontologie habe diesen Weg nachzuzeichnen.

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zur Ontologie ergibt, wie er heute, meist ohne Explizitmachung, von sehr vielen AutorInnen angenommen wird.

2.2.2 „Die Naturwissenschaften weisen in der Mikrowelt die Basisentitäten der Makrowelt auf“: eine fundamentale Kritik Ich möchte keine allgemeinen wissenschaftstheoretischen Argumente gegen die besagte Kernthese vorbringen, sondern auf einen besonderen, in der philosophischen Debatte m.E. zu Unrecht vernachlässigten Punkt hinweisen. Nämlich den, dass Naturwissenschaften, wenn sie die Basis der materiellen Wirklichkeit untersuchen, was auch immer sie dort aufweisen, jedenfalls nichts aufweisen, was als Entitäten verstanden werden kann. Deshalb gibt es für die Ontologie daraus nichts zu importieren, zumindest keine Theorie über Entitäten. Ist es nicht vielmehr so, dass Naturwissenschaften, etwa die Mikrophysik, bestimmte empirische Befunde feststellen und diese dann interpretieren? Besteht nicht ein wesentlicher Aspekt dieser Interpretationsarbeit in der Anwendung von Modellen? Meine Arbeitsthese ist deshalb, dass die Veranlassung revisionärer OntologInnen, KT2 anzunehmen, auf dem Fehler beruht, diese Modelle für Abbildungen von Entitäten zu halten. So werden dann Modelle der Mikrophysik zu Entitäten hypostasiert.9 Und es ist dieser Fehler, der revisionäre OntologInnen veranlasst, KT2 anzunehmen. Ich führe das etwas näher aus, indem ich versuche, den Begriff „Modell“ darzulegen (1), (2) seine Anwendung in naturwissenschaftlichen Kontexten ins Auge zu fassen und (3) den eben genannten Fehler revisionärer OntologInnen klar zu machen. Im Anschluss (4)–(6) erläutere ich meine Kritik. (1) Wenn man über Begriff und Bedeutung von Modellen im Zusammenhang von Naturwissenschaften und Philosophie handelt, kann man davon ausgehen, dass „Modell“ in diesem Kontext bislang wohl keine eindeutige und fixierte

|| 9 Genau genommen ließe sich Hypostasierung nochmals aufschlüsseln in a) das Verwechseln von Modellen und Abbildungen und b) das Verwechseln von Abbildungen mit Abgebildetem oder, Fregeanisch gesprochen, von Sinn und Bedeutung. So werden aus (dem Sinn von) Modellen (die Bedeutung von Modellen, also) Entitäten. Für letzteren Fehler scheinen analytische PhilosophInnen besonders anfällig zu sein; das hat schon Quine erkannt: siehe ders. 1979, 16, wo er (bzw. sein Übersetzer P. Bosch, in Was es gibt) von der Verwechslung von „Bedeutung“ und „Benennung“ spricht.

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Standardbedeutung erhalten hat.10 Das macht mein Unterfangen einerseits schwer, weil ich keinen festen Anhalt habe, dergestalt, dass ich darauf hinweisen könnte: das genau sind Modelle bzw. ihre Funktion, und davon gehe ich nunmehr aus. Andererseits ist der besagte Befund auch wieder einladend, weil ich ohne allzu viele Skrupel meine eigene Schneise in das Dickicht schlagen kann. Dabei gehe ich davon aus, dass wir unter „Modell“ verstehen können die „idealisierte Darstellung eines bestimmten Objekts oder Systems“, das ich im Folgenden auch den Ausgangskontext des Modells nennen werde. Eine nichtidealisierte Darstellung könnte man im Gegensatz dazu auch als „Abbildung“ bezeichnen.11 Modelle lassen sich aber einteilen in solche mit Erklärungsfunktion und solche ohne; also Modelle, die Bestandteil auch von wissenschaftlichen Erklärungen von etwas sein können, und solche, für die das nicht zutrifft. Explananda von Modellen mit Erklärungsfunktion bezeichne ich auch als den Zielkontext der jeweiligen Modelle. Modelle erklären nun dadurch, dass die Darstellung des Ausgangskontexts Strukturelemente auch des Zielkontexts kennzeichnet. Die Darstellung hat mit dem Explanandum Strukturelemente gemein. Wittgenstein spricht in seinem Tractatus, dort, wo er den Satz als Modell der Wirklichkeit (4.01) einführt, davon, dass für diesen Modellcharakter der logische Bau maßgeblich ist. Im Anschluss an ihn können wir also auch davon sprechen, dass ein Modell dann zum Explanans wird, wenn der logische Bau seines Ausgangskontexts auf einen Zielkontext übertragbar ist.

|| 10 Vgl. u.a. D. Bailer-Jones & S. Hartmann, Artikel „Modell“ in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. v. H.J. Sandkühler. 2 Bände: A–N, O–Z. Hamburg: Meiner 1999, 857f.: „Die aktuelle M.debatte ist überaus verzweigt und … nur schwer … einzuordnen. Die Ausarbeitung einer Wissenschaftsphilosophie [von Modellen] bleibt ein Desiderat für künftige Arbeiten. Die derzeit vorliegenden Gesamtkonzeptionen sind … nicht in der Lage dies zu leisten.“ 11 Neben nicht-idealisierten Darstellungen („Abbildung“) und idealisierten („Modell“), mag man hier auch kodifizierte Darstellungen nennen. Möglicherweise könnte man auf diese Weise Sprachen verstehen, bzw. die Wittgensteinsche Einsicht, dass es sich bei (manchen) sprachlichen Einheiten um Darstellungen von ontologischen handelt. Metaphern würde ich als Begriffe interpretieren, die durch die Variation zwischen verschiedenen Bedeutungskontexten modellartige Eigenheiten haben. Metaphern haben einen Ausgangs(bedeutungs)kontext und einen Zielkontext, innerhalb dem gewisse Strukturelemente des ersteren Kontexts zur Geltung gebracht werden.

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(2) Welche Anwendung finden Modelle, wie in Abschnitt (1) dargelegt, in naturwissenschaftlichen Kontexten? Ich möchte versuchen, bei der naturwissenschaftlichen Frage nach Atomen einen Ansatz zu finden. Ich bin kein Naturwissenschaftler. Aber eines scheint mir doch klar zu sein: NaturwissenschaftlerInnen kommen zur Rede von Atomen nicht durch eine Abbildung von Gegenständen (in dem Sinne von Abbilden, wie ich das eben eingeführt habe). Bei der Suche nach Atomen blickt niemand in ein Mikroskop, schießt im Erfolgsfall ein Foto und lässt dieses dann in einer Fachzeitschrift publizieren. Die Rede von Atomen hat ihren Ursprung in einer Interpretation von Phänomenen. Und bei dieser Interpretation werden nun Modelle in Anschlag gebracht. Um bei der Theorie der Atome zu bleiben, erwähne ich nur zwei, für unseren Kontext allerdings besonders markante. Das erste ist das Rosinenkuchenoder plum-pudding-Modell für Atome, entwickelt von Thomsen (1903): Es nimmt seinen Ausgangskontext aus alltäglichen Zusammenhängen und versucht bestimmte Phänomene zu erklären, jene, die auf eine gleichmäßige Verteilung der positiven Ladung in der angenommenen Masse eines Atoms hindeuten, bei einzeln sich bewegenden negativ geladenen Teilchen. Das wäre der Zielkontext. Das wenig später (1909) kolportierte Planetenmodell von Rutherford nimmt hingegen seinen Ausgangskontext aus der Astronomie. Nach diesem Modell bewegen sich die Elektronen ähnlich wie Planeten um einen Kern aus Protonen und Neutronen. Es kommt so mit bestimmten Phänomenen, wie der Rutherfeld-Streuung, dem Zielkontext des Modells, besser zurecht. Bei späteren Modellen, etwa dem Schalen- bzw. dem Orbitalmodell, spielen hingegen mathematische Ausgangskontexte, etwa der Stochastik, eine entscheidende Rolle. Ich kann mich hier nicht in die Details begeben. Worum es mir geht ist, dass die naturwissenschaftliche Rede von Atomen darauf beruht, dass ausgehend von bestimmten Ausgangskontexten, Alltag, Astronomie, Mathematik, modellhafte Erklärungen bestimmter empirischer Befunde in einem Zielkontext erfolgen. Halten wir jedenfalls fest: Thomsen behauptete nicht, dass die Materie letztlich aus Rosinenkuchen besteht, Rutherford nicht, dass man Elektronen wie die Planeten fotografieren könnte, wenn man nur ein genug effizientes Mikroskop zur Verfügung hätte. Allgemeiner gesprochen: Die Atomphysik bildet wohl nicht Gegenstände ab, von denen behauptet würde, sie seien die Grundbausteine der Materie. Physikalische Theorien arbeiten mit bestimmten Modellen zur praktisch verwertbaren Erklärung von Phänomenen in Zielkontexten.

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(3) Worin besteht nun jener Fehler der revisionären Ontologie, welcher zur Annahme von KT2 führt? Ich vermute, dass revisionäre OntologInnen bestimmte Modelle der Naturwissenschaften aus ihren Ausgangskontexten, z.B. Alltag, aber auch Astronomie und Mathematik, isolieren, davon loslösen und als nichtmodellhafte Darstellungen, also als Abbildungen eben eines Gegenstandes auffassen: eines Gegenstandes oder Objekts, dessen Aufweis dann als empirisch gesichertes Ergebnis der Naturwissenschaften gilt. Dann wird, im Bemühen um eine ‚wissenschaftliche‘ Ontologie, aus diesem (vermeintlichen) Objekt ein ontologisches Grundelement gemacht: eine Entität, ein Seiendes. Das Modell wird, um es kurz zu sagen, hypostasiert. Nicht zu irgendwelchen Seienden, sondern zu Basisentitäten, aus deren Gesamtheit auch die alltägliche Wirklichkeit rekonstruiert werden kann. Im Falle der Hypostasierung von Modellen aus der Atomphysik ist das Ergebnis normalerweise eine atomistische Ontologie.12 (4) Als eine mögliche Erwiderung gegen meine These könnte vorgebracht werden, dass doch die Naturwissenschaften, auch die Atomphysik, mit der Verwendung von Modellen beanspruchen, dass diese Modelle Referenten in ihren Zielkontexten haben. Es gibt etwas, das durch die Modelle dargestellt wird. Thomsen bzw. Rutherford beziehen sich mit ihren Modellen, mögen sie auch aus den Ausgangskontexten Alltag bzw. Astronomie stammen, auf dieses etwas, das sie somit erklären. Ich würde dem entgegnen, dass dies nur dann zur Rechtfertigung von KT2 führen könnte, wenn der in der Erwiderung angenommene Realismus in der Atomphysik tatsächlich so stark wäre, dass dort beansprucht würde, mit Theorien Objekte darzustellen. Dass Theorien auf empirische Daten von der Basis der materiellen Wirklichkeit referieren, reicht dazu nicht aus. Die Auffassung, dass atomphysikalische Theorien Objekte darstellen, auf eine Weise wie sie KT2 rechtfertigten, scheint mir jedoch nicht in Sicht.

|| 12 Jürgen Habermas hat in seiner Naturalismuskritik diesen Punkt hervorgehoben. In Habermas 2005, 214f. spricht er wörtlich von einer „Ontologisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse“ und der „Schrumpfung“ eines Weltbildes auf bestimmte „harte Fakten“. Ersterem würde ich bei meiner Kritik an der revisionären Ontologie so beipflichten, wie Habermas das sagt. Letzteres würde ich so interpretieren, dass gerade in der besagten „Schrumpfung“ jene Revision besteht, um die es manchen OntologInnen geht: Unser alltägliches Wirklichkeitsverständnis soll korrigiert werden zugunsten bestimmter Fakten, von denen behauptet wird, sie seien ‚wissenschaftlich‘, weil sie der Ontologie als solche von den Naturwissenschaften dargeboten würden.

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Ein anderer Einspruch wäre, dass man diese, gegen die Annahme mikrophysikalischer Entitäten gerichteten Argumente auch gegen den ontologischen Status der Gegenstände der Makrowelt, Artefakte wie Lebewesen, richten könne. Haben wir es nicht auch in unserer Lebenswelt mit empirischen Eindrücken zu tun, die wir ding- bzw. substanzhaft interpretieren? Ein fundamentales Argument, warum wir an der Makrowelt Entitäten annehmen sollen, wenn wir – mit Gründen! – deren Vorkommen in der Mikrowelt zurückweisen, ist, dass wir ansonsten überhaupt keine Entitäten hätten. Wir destruierten damit letztlich jedwede Ontologie, womöglich sogar Richtung Nihilismus. Desgleichen möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei der Annahme von Makroentitäten, wie alltäglichen Dingen, nicht um eine Hypostasierung von Modellen handeln kann. Wir kommen zur Annahme von Dingen nicht dadurch, dass wir empirische Eindrücke anhand idealisierter Darstellungen eines Ausgangskontexts interpretierten. Was soll ein Ausgangskontext z.B. für die dinghafte Interpretation von empirischen Daten sein? Noch dazu einer, in dem nicht wieder (‚Proto‘?)Dinge vorkommen, die selbst realistisch interpretiert werden müssen, um seine theoretische Funktion zu erfüllen. Gibt es aber nicht doch Argumente, die nicht nur gegen Mikro-, sondern auch gegen Makroentitäten gerichtet sind, etwa solche aus der Humeanischen bzw. der Kantischen Tradition? Demnach wären auch Alltagsdinge psychologische bzw. logische ‚Interpretationen‘ empirischer Eindrücke. Ich möchte darauf verweisen, dass ich mich bei meiner Argumentation gegen Mikroentitäten nicht der Argumente dieser Traditionen bediene. Deshalb darf ich dabei bleiben, dass meine Überlegungen gegen Mikroentitäten nicht auch gegen Makroentitäten ins Treffen geführt werden können. Wieder anders gelagert wäre der Einwand, es gebe durchaus revisionäre OntologInnen, die gar nicht mit (atom-)physikalischen Modellen operieren. Es gehe ihnen vielmehr um eine Rahmentheorie für physikalisch aufgewiesene Phänomene in eigener, ontologischer Begrifflichkeit. Führe man etwa Tropen ein, so deshalb, weil diese geeignet seien, naturwissenschaftliche Befunde in einem ontologischen Schema zu interpretieren. Wenn dem so ist, werden durch TropistInnen tatsächlich nicht Modelle anderer Wissenschaften hypostasiert. Aber, so meine Entgegnung, kann man nicht die Tropenontologie verstehen als Hypostasierung eigenproduzierter Modelle? Beachten wir, dass der Begriff „Trope“ ursprünglich für individuelle Qualitäten steht, auch von Alltagsdingen.13 Alltägliche individuelle Qualitäten können nun aber als Ausgangskontext eines

|| 13 Vgl. u.a. Campbell 1990, 2–4.

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Modells verstanden werden, für den der Begriff „Trope“ zu stehen beginnt. Wobei bei der modellhaften Idealisierung manche Charakteristika, etwa die fragwürdige Identität und die problematische raum-zeitliche Lokalisierung von individuellen Qualitäten, fokussiert, und dann zur Interpretation bestimmter Phänomene aus der Quantenphysik verwendet werden.14 Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Dabei lassen es TropistInnen aber nicht bewenden. „Trope“ steht für TropistInnen für mikrophysikalische Objekte, in ihrer Identität vage, raum-zeitlich nicht lokalisierbar etc., für Entitäten, ja die Basisentitäten der Gegenstände der alltäglichen Wirklichkeit. Was sie damit m.E. tun, ist nichts anderes als die Loslösung eines eigenproduzierten Modells aus seinem Ausgangskontext, und seine Uminterpretation als Abbildung eines Zielkontexts. Das Resultat ist eine, auf mikrophysikalisch festgestellte Daten beruhende Annahme von Basisentitäten der Makrowelt mit tropenhaften Merkmalen. Diese Annahme versteht sich nach Meinung von TropistInnen im Sinne von KT2 zur Stützung von KT1. Meine kritische Frage: Geschieht nicht auch hier der Fehler einer Hypostasierung von Modellen? Nur mit dem Unterschied, dass „Trope“ kein Modell der Naturwissenschaften, sondern ein in der Ontologie selbst produziertes bezeichnet? (5) Zum Abschluss dieses Abschnittes 2.2.2 noch ein Hinweis zur Vermeidung eines möglichen Missverständnisses: Mein Aufhänger, v.a. im Absatz (2), ist die naturwissenschaftliche Atomtheorie. So scheint es naheliegend, mit der damit in Zusammenhang stehenden Kritik v.a. jene revisionäre Auffassungen zu treffen, die sich unter das Etikett „Atomismus“ subsummieren lassen. In der Tat machen AtomistInnen den unter Absatz (3) geschilderten Fehler. Aber nicht nur AtomistInnen, auch ProzessontologInnen können, insofern sie KT2 anhängen und somit unter die revisionäre Ontologie fallen, in analoger Weise kritisiert werden. Revisionäre ProzessontologInnen behaupten, dass uns die Naturwissenschaften darüber belehren, dass an der Basis der materiellen Wirklichkeit bestimmte Vorgänge abliefen, besser vielleicht, dass dynamische Vorgänge die Basis der materiellen Wirklichkeit seien. Auch hier würde ich entgegnen, dass uns die Naturwissenschaften, etwa die Quantenphysik, nicht über bestimmte ‚harte Fakten‘ unterrichten, auch nicht wenn diese dynamische Vorgänge sein sollen. Die Quantenphysik verwendet zur Interpretation mancher empirischer Daten Modelle. So mag es sein, dass QuantenphysikerInnen den Begriff „Prozess“ modellhaft verwenden: Ausgangskontext eines Prozess-Modells wären

|| 14 Vgl. Kuhlmann 2010, chapter 13.

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etwa alltäglich vorkommende regelmäßige Abläufe, oder auch astronomisch aufgewiesene konstant bleibende Umlaufbahnen von Planeten. Zielkontexte wären bestimmte empirische Daten. M.E. beruht der prozessontologische Gebrauch von „Prozess“ allerdings darauf, dass dieses Modell aus seinem Ausgangskontext losgelöst und irrigerweise als Abbildung von etwas interpretiert wird. Dadurch kommt es auch zur Hypostasierung des Modells und zur Annahme von als „Prozessen“ bezeichneten Vorgängen als Basisentitäten. Auch der spezifisch prozessontologische Vierdimensionalismus kann m.E. auf den Fehler der Ontologisierung physikalischer Modelle zurückgeführt werden. In der Prozessontologie werden die Basisentitäten standardmäßig als vierdimensionale Raum-Zeit-Gebilde interpretiert. Prozesse haben ebenso wie drei räumliche auch eine zeitliche Ausdehnung. Die Annahme einer vierdimensionalen Raum-Zeit aber geht zurück auf ein physikalisches Modell, basierend auf der Analogisierung von Zeit und Raum. Dieses Modell wurde u.a. von Hermann Minkowski dargelegt. Es dient zur Veranschaulichung mancher Merkmale von Raum und Zeit in der speziellen Relativitätstheorie. Wenn nun Prozesse als vierdimensional aufgefasst werden, im Sinne der Raum-Zeit Minkowskis, wird sein Modell ontologisiert, dergestalt, dass es als ein Merkmal von (vermeintlichen) Basisentitäten angenommen wird.15 Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die hier vorgebrachte Kritik auch auf bestimmte Theorienbildungen außerhalb der Ontologie angewendet werden kann: Werden z.B. nicht auch in der so genannten Neurophilosophie bestimmte Modelle, die in der Neurologie recht gewinnbringend verwendet werden, übernommen, hypostasiert und dann zu materiellen Basisentitäten unseres mentalen und intellektuellen Lebens hypostasiert? Ich erlaube mir, dies als Frage im Raum stehen zu lassen und wieder zu meinem roten Faden zurückzukehren, zur Prämisse KT2. (6) Für unseren argumentativen Kontext relevant ist die Abhängigkeit von KT1 von KT2. Sie besagt, dass der Status der Ontologie als aposteriorischer Disziplin davon abhängt, dass es eben die Naturwissenschaften sind, welche die Grundelemente der Wirklichkeit aufweisen.

|| 15 Nota bene: Es ist äußerst wichtig, die alltagsontologische Rede von den drei räumlichen und der zeitlichen Dimension, also den vier Dimensionen von Ereignissen und Zuständen, zu unterscheiden von der revisionären Annahme einer vierdimensionalen Raum-Zeit als Konstitutivum von mikrophysikalischen Prozessen. Die alltagsontologische Annahme verpflichtet z.B. nicht auf die strenge Analogiesetzung von Zeit und Raum, wie sie paradigmatisch bei Quine, u.a. ders. 1960, 171, bei der Darlegung seines Vierdimensionalismus vorgenommen wird.

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Diese Abhängigkeit verstehe ich nicht als logische bzw. begriffliche, dergestalt, dass es überhaupt nicht möglich wäre, die Ontologie auch empirisch orientiert zu verstehen, ohne dass dies durch den Erklärungsprimat der Naturwissenschaften motiviert wäre. Meine Behauptung ist schwächer. Ich meine, dass der aposteriorische Status ihrer Disziplin von revisionären OntologInnen faktisch so begründet wird, dass es ja die Naturwissenschaften sind, welche die Grundelemente der Wirklichkeit aufweisen. Die Begründungsstrategien sind sehr vielfältig. Paradigmatisch führe ich jene an, derer sich John Searle bedient in seiner Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dort ist nachzulesen: „Für den gebildeten Menschen unserer Zeit ist es unabdingbar, dass er über zwei Theorien unterrichtet ist: die Atomtheorie der Materie und die Evolutionstheorie der Biologie“.16 Wenn wir die Evolutionstheorie weglassen, ist also „die [!] Atomtheorie“, gemeint ist natürlich jene der Physik, die Theorie über die Grundelemente der Wirklichkeit. Das entspricht KT2. Ebenso bekennt Searle erfrischend klar, dass sich deshalb „zweifellos der größte Teil der Metaphysik aus der Physik her[leitet]“17. Der Metaphysik geht es ja um die Grundelemente der Wirklichkeit. Dies aber ist die Bedeutung von KT1 bzw. jener Begründungszusammenhang, um den es uns hier geht. Ohne mich in exegetische Details einlassen zu können oder zu versuchen, weitere mögliche Begründungen von KT1 durch KT2 aufzulisten, darf ich festhalten: Ohne Behauptung des Erklärungsprimats der Naturwissenschaften ist die Annahme des aposteriorischen Status der Ontologie wenn schon nicht begrifflich, so doch faktisch, im Bereich revisionärer Ontologie, unverständlich. Anders gesagt: Es gibt wohl keine/n revisionäre/n OntologIn, die/der KT1 ohne KT2 ernsthaft in Erwägung zieht. Nochmal anders: Mit KT2 fällt faktisch KT1. Ich möchte mich damit der dritten, die revisionäre Ontologie kennzeichnenden Kernthese zuwenden

|| 16 Searle 1997, 16. 17 Ebd. Über den nicht aus der Physik herleitbaren Bestand der Metaphysik gibt Searle an dieser Stelle keinen Aufschluss. Bzgl. der Grundstrukturen der Wirklichkeit informativ dürfte der jedoch nicht sein.

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2.2.3 „Die Ontologie rekonstruiert (‚bottom-up‘) aus den Basisentitäten die Makrowelt“: wider einen revisionären Mythos (1) Die eben in der Überschrift angeführte These KT3 besteht in der Zuweisung einer theoretischen Funktion an die Ontologie: Ihre Aufgabe sei es, aus den, von Naturwissenschaften aufgewiesenen Basisentitäten die alltägliche Lebenswelt oder Makrowelt zu rekonstruieren. So interpretiert, fällt KT3 mit der Richtigkeit der Kritik an KT2. Wenn Naturwissenschaften keine Entitäten aufweisen, hat die Ontologie keinen KT3 entsprechenden Stoff zur Rekonstruktion. Diese auf KT2 rekurrierende Interpretation von KT3 ist tatsächlich Gemeingut der revisionären Ontologie. Dennoch gilt analog zum Verhältnis von KT2 zu KT1, dass es aus begrifflichen Gründen nicht ausgeschlossen ist, KT3 auch ohne KT2 zu vertreten. Man kann der Ontologie die Aufgabe der Rekonstruktion zuweisen, ohne dass angenommen würde, dass Naturwissenschaften die Basis der Rekonstruktion bereitstellen. Ich möchte deshalb versuchen, KT3 unter Absehung von KT2 zu kritisieren. Meiner Kritik voranschicken möchte ich wieder eine Bescheidenheitsbekundung. Rekonstruktionsprogramme sind (mindestens) so vielfältig wie revisionäre Ontologien selbst. Meine Kritik kann deshalb keine Vollständigkeit beanspruchen. Ich werde auch hier versuchen, einen ‚Nerv‘ zu treffen, ohne dass ich alle Varianten seiner Verästelungen in revisionären Ontologien verfolgen kann. Deshalb beanspruche ich nicht, dass die im Folgenden vorgebrachte Kritik an KT3 alleine eine Widerlegung revisionärer Ontologie wäre. Die Kritik an KT3 ist dennoch eine m.E. interessante Argumentationslinie, die ein starkes Plädoyer gegen die revisionäre Ontologie darstellen möge. (2) Der Nerv, den ich zu treffen beabsichtige, ist, dass Rekonstruktionsprogramme meines Erachtens beim Versuch einer Herleitung der Gegenstände der Makro- aus solchen der Mikrowelt Erklärungen anbieten, die, bei Lichte betrachtet, gar keine sind. Begonnen wird für gewöhnlich bei der Feststellung und Beschreibung von Korrelationen zwischen ‚höheren‘ Merkmalsgruppen (bis hinauf zu jenen von Makrogegenständen) und ‚niedrigeren‘ (bis hinunter zu jenen der postulierten Basisentitäten). Diese Beschreibung wird dann aber zur Begründung der Annahme einer Abhängigkeit der höheren Merkmale und ihrer Gegenstände von niedrigeren gemacht; einer Abhängigkeit, die schließlich als Schlüssel zu einer bottom-up-Erklärung der Makrowelt aus der Mikrowelt aufgefasst wird. Meines Erachtens ist es aber ein Fehler, (allein) aus der Beschreibung von Korrelationen das Vorliegen einer Abhängigkeit des einen Korrelierenden vom

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anderen zu folgern. Auf einem derartigen Fehler beruhende Annahmen von Abhängigkeit führen zu keiner haltbaren bottom-up-Rekonstruktion. Geradezu paradigmatisch finden sich derartig verfehlte Erklärungen in jenen Rekonstruktionsprogrammen, die auf Supervenienz-Theorien beruhen.18 Dies möchte ich durch einen Exkurs über die Etablierung von „Supervenienz“ im philosophischen Diskurs erläutern.19 Die mit diesem Begriff verbundene Grundidee geht auf ethische Theorien anfangs des 20. Jahrhunderts (v.a. Moore) zurück. Der Begriff selbst wurde von Hare (v.a. The Language of Morals, 1952) in den philosophischen Diskurs eingeführt.20 Er beschreibt die Korrelation zwischen Prädikatsgruppen, nämlich ethischen Prädikaten, z.B. „gut“, und rein deskriptiven. Dass ethische Prädikate supervenient sind, heißt, dass man Personen bzw. deren Handlungen, die unter allen deskriptiven Rücksichten übereinstimmen, nicht verschiedene ethische Prädikate zusprechen könne; bzw. dass jede Änderung ethischer mit einer von deskriptiven verbunden ist, ohne dass man ethische Prädikate durch rein deskriptive ersetzen könnte. Dass die Idee irreduzibler und dennoch korrelierender Prädikatsgruppen auch in anderen Disziplinen, etwa in der Philosophie des Geistes, gewinnbringend zu gebrauchen ist, hat zuerst Donald Davidson angesprochen.21 Davidson geht davon aus, dass mentale Merkmale mit physikalischen korrelieren, ohne || 18 Beispiele solcher Rekonstruktionsprogramme wären: klassisch, australisch, Campbell 1990, u.a. 120ff, 159; Supervenienz am Zenit: Lycan 1987, u.a. 38; Jackson 1998, u.a. 160; Lewis 1999, 225f; aktuell, deutsch, u.a.: Hofmann 2008, 105f; Hoffmann-Kolss 2010, 135f. Dort wird auch eine technisch besonders ausgefeilte Weiterentwicklung von „Supervenienz“ geboten, siehe die Abschnitte II - 2.2 und 2.3. Nach standardmäßigen Supervenienz-Theorien geht die angenommene Abhängigkeit übrigens so weit, dass das Abhängige den Status von Entitäten, also Grundelementen der Wirklichkeit, verliert. Beispielhaft Keith Campbell: „I take it as a cardinal principle in ontology that supervenient ‘additions’ to ontology are pseudo-additions. No new being is involved. In the Creation metaphor, to bring supervenients into being calls for no seperate and additional act of Godʼs part.“ (Campbell 1990, 37) Dennoch kann auch keine vollständige Eliminierung der „pseudo-additions“ vorgenommen werden. Meistens sind es bestimmte theoretische Funktionen des Abhängigen, die nicht von der Supervenienz-Basis übernommen werden können, welche gegen eine solche Eliminierung vorgebracht werden. Nebenbei bemerkt scheint der alleinige Unterschied zwischen Supervenienz- und Emergenzprogrammen darin zu bestehen, dass Letztere das Emergente nicht als pseudo-addition auffassen. Durch Emergenz entstehen Entitäten aus einer Basis, von der sie (zumindest genetisch) abhängen, ohne auf diese Basis zurückgeführt werden zu können. 19 Dieser Exkurs lehnt sich stark an an den Abschnitt I - 3.31 meines Ereignis-Buches (Kanzian 2001). 20 Vgl. Kanzian 2001, 80f. 21 Davidson 1980, 214.

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dass Erstere, im Sinne etwa psycho-physischer Brückengesetze, auf Letztere zurückgeführt werden könnten. „Such supervenience might be taken to mean that there cannot be two events alike in all physical respects but differing in some mental respect, or that an object cannot alter in some mental respect without altering in some physical respect.“22 Bei Kim erhält „Supervenienz“ auch eine eindeutig ontologische Bedeutung. Kim spricht explizit davon, dass „Supervenienz“ nicht nur zwischen Gruppen sprachlicher Ausdrücke, sondern auch zwischen Eigenschaften besteht.23 Außerdem beschränkt Kim Supervenienz nicht auf Gruppen von Eigenschaften, sondern wendet sie auch auf andere Entitäten an. So kann für Kim eine Gruppe z.B. von Ereignissen auf eine andere ebenso supervenient sein wie eine Gruppe von Eigenschaften auf eine andere. Nach Kim variieren Anwendungsfälle von „Supervenienz“ nicht nur hinsichtlich ihres kategorialen Status, sondern v.a. auch in der (modalen) Logik ihrer Korrelation. So unterscheidet Kim zwischen einer schwachen Supervenienz, einer starken und schließlich noch einer globalen.24 Dementsprechend betont Kim, dass man, bevor man „Supervenienz“, z.B. in der Philosophie des Geistes zur Beschreibung des Verhältnisses etwa zwischen mentalen und physikalischen Eigenschaften bzw. Ereignissen, anwendet, zuallererst klären muss, welche Supervenienz man nun tatsächlich meint. Ich halte diese Klärung für durchaus möglich und im Hinblick auf die differenzierende Beschreibung von Korrelationen zwischen Eigenschaften verschiedener Gruppen auch für sinnvoll und interessant. Ebenfalls vermute ich, dass die Erweiterung jener Bereiche, die von „Supervenienz“ betroffen sind, auch über Eigenschaften und Ereignisse hinaus, zwar ein Problem, jedoch kein prinzipielles darstellen kann. Aber, und damit komme ich zu meinem Punkt zurück: Der Sinn von „Supervenienz“, wie er von seinen ‚Vätern‘ durchaus im Auge behalten wird, ist die Beschreibung von Korrelationen zwischen Elementen bestimmter Gruppen, nicht die Erklärung des Verhältnisses zwischen diesen Elementen, wie sie für Rekonstruktionsprogramme erforderlich wäre. Ich zitiere Jaegwon Kim hinsichtlich der ‚mind-body supervenience‘: „It is a phenomenological claim, not a theoretical explanation. Mind-body supervenience, therefore, does not state a solution to the mind-body problem; rather it states the problem itself.“25 Unter Ausklammerung der mind-body Problematik könnte

|| 22 Ebd. 23 Siehe u.a. Kim 1993, 175f. 24 Zur exakten Charakterisierung der drei genannten Arten von Supervenienz siehe Kim 1993, 58 bzw. 64 (weak supervenience), 65 (strong supervenience), 68 (global supervenience). 25 Kim 1993, 168; siehe auch Kim 1996, 237.

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man auch sagen, dass mit der Anführung von „Supervenienz“ das Vorliegen einer bestimmten Korrelation behauptet („phenomenological claim“), keinesfalls jedoch erklärt wird, worin diese Korrelation besteht und wie das Superveniente aus seiner (vermeintlichen) Basis her verstanden, geschweige denn hergeleitet werden kann. In dieselbe Kerbe schlägt neuerdings John Heil, durchaus mit Blick auf supervenienz-theoretische KT3-Programme26: „If As supervene on Bs, then the question is: what is it in virtue of which this is so? … If all we know is that As supervene on Bs, we know only that As covary with Bs.“27 Die Behauptung von Supervenienz ist die Behauptung einer Ko-Variation bestimmter Merkmale, so könnten wir dies frei wiedergeben, keine Erklärung warum diese Ko-Variation besteht. Haben Kim und Heil recht, gehen Rekonstruktionsprogramme fehl, wenn und insofern sie sich auf „Supervenienz“ beziehen zur Erklärung, wie aus Basisentitäten bzw. Merkmalen von Basisentitäten die Gegenstände der Makrowelt bzw. deren Eigenschaften hergeleitet werden können. Noch pointierter gesagt: Wenn und insofern Rekonstruktionsprogramme, im Sinne von KT3, eine solche Erklärung bieten müssen, können sie sich eben nicht auf „Supervenienz“ berufen. Tun sie es doch, sind sie zurückzuweisen. (3) Müssen, so könnte jemand kritisch einwenden, Rekonstruktionsprogramme überhaupt Erklärungen der Ableitung von Makrowelt aus Mikrowelt bieten? Reicht nicht die einfache Feststellung, dass dem so ist? Ja es reicht, so würde ich entgegnen, aber nur wenn entweder KT2 so stark gemacht wird, dass für eine Ontologie nur die mikrophysikalischen Basisentitäten von Interesse sind. Dann aber müsste im Prinzip KT3 aufgegeben werden, was eine revisionäre Ontologie, abgesehen von der Problematik von KT2, sehr arm machen würde; oder man nimmt ein Schichten-Modell der Wirklichkeit an, als letztlich einfaches, nicht weiter hinterfragbares Faktum. Gegen einfache, nicht weiter hinterfragbare Fakten kann kein/e OntologIn sein. Jeder muss bei Grundannahmen beginnen, die er/sie als unhintergeh- und somit nicht-analysierbar annimmt. Der Preis dieser Lösung ist jedoch wiederum die Aufgabe von KT3. Er hätte zwar nicht die oben angeführte Armut zur Konsequenz, wohl aber eine Art Mysterium im Hinblick auf die Schichten: Wie viele nehmen wir an? Welche? Wie verhalten sie sich zueinander? Wie kann man angesichts ihrer Vielfalt noch ihre Ableitbarkeit aus naturwissenschaftlichen Theorien verstehen? Müssen wir womöglich auch noch KT1 aufgeben? Für revisionäre OntologInnen ist das kein Ausweg. || 26 Siehe Fußnote (im Folgenden auch „FN“) 18. 27 Heil 2003, 67.

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(4) Nicht alle Rekonstruktionsprogramme beruhen auf Supervenienz-Theorien. So, weiter die mögliche Kritikerin meiner Überlegungen, gibt es ja doch Alternativen zu Supervenienz-Theorien und auch zur Annahme eines unerklärlichen Viel-Schichten-Modells. Nämlich einen anderen, diesmal durchaus ernst zu nehmenden Ansatz zu einer Erklärung, wie aus der mikrophysikalischen Basis die Alltagswelt zu rekonstruieren ist, und zwar Konstitution. Die Mikrowelt konstituiert die Makrowelt. Im Folgenden möchte ich mich mit dieser Alternative kritisch auseinandersetzen. Dabei versuche ich zu zeigen, dass der Verweis auf Konstitution auf schwerwiegenden und problematischen Voraussetzungen beruht. Für revisionäre Rekonstruktionsprogramme bietet Konstitution keine Rettung. Als Bezugspunkt meiner Auseinandersetzung dient Lynne Rudder-Bakers Buch The Metaphysics of Everyday Life.28 Baker selbst ist wohl kaum als revisionäre Ontologin einzuordnen. Ihr Ansatz scheint jedoch KT3 zu stützen. Unter dieser Rücksicht soll er hier kritisiert werden. Zumal sich aus ihm eine sehr klare und technisch ausgefeilte Theorie der Konstitution ergibt. Besonders interessant ist er auch, weil die Autorin selbst beansprucht, dass dadurch ein Viel-Schichten-Modell der Wirklichkeit erklärt wird (ebd., 234–237): Obere Schichten emergieren aus unteren. Konstitution aber ist der Schlüssel zum Verstehen der Emergenz der oberen Schichten (bis hinauf zur Makrowelt) aus unteren Schichten (bis hinunter zur Mikrowelt).29 „The fundamental idea of constitution is this: when a thing of one primary kind is in certain circumstances, a thing of another primary kind – a new thing, with new causal powers, comes to exist.“30 Die Grundidee von Konstitution ist für Baker also, dass es sich bei der Konstitution um eine Beziehung handelt, die zwischen Dingen besteht; wobei „Ding“ durchaus in einem technischen Sinn zu verstehen ist. Dinge sind Vorkommnisse von primary kinds, was der hier vertretenen Ansicht entspricht, dass Dingen ihre Determination durch (synchron genau) eine species infima wesentlich ist.31 Durch Konstitution wird nun aus einem Ding der Art (primary kind) F ein Ding der (von F verschiedenen) Art G. Konstitution macht einen ontologischen Unterschied, d.h. zwischen dem Kon-

|| 28 Hier: Baker 2007. 29 Darin unterscheidet sich Bakers Theorie von solchen Emergenz-Theorien, die, ähnlich zu Supervenienz-Theorien, „Emergenz“ selbst als Explanans auffassen. Bei Baker ist Emergenz ein Explanandum, das durch Konstitution erklärt wird. 30 Baker 2007, 32. Diese Grundidee wird dann im chapter 8 technisch dargelegt; siehe v.a. die Definition auf Seite 161. 31 Das lässt sich durch Bakers Einführung von „primary kind“ auf den Seiten 33ff belegen.

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stituierten und dem Konstituierenden kann keine strikte Identität bestehen.32 Zwischen Konstituierendem und Konstituiertem besteht dennoch eine gewisse Einheit (unity), die aber kontingent und somit zeitlich befristet ist.33 Wozu diese Einheit jedoch führt, ist u.a. der wechselseitige Austausch von Eigenschaften zwischen Konstituiertem und Konstituierendem („two-way borrowing of properties“34). Als paradigmatischen Fall für Konstitution führt Baker das Verhältnis zwischen einer Statue und ihrem Material an. Der Bronzeklumpen ist ein Ding, das unter gewissen Umständen ein anderes Ding, nämlich die Statue, konstituiert. Bronzeklumpen und Statue sind verschiedene Dinge. Ihre Einheit ist eine rein „akzidentelle Selbigkeit“: Die eine Statue kann im Verlauf ihrer Geschichte von verschiedenen Bronzeklumpen konstituiert werden, ebenso wie derselbe Bronzeklumpen zeitlich versetzt verschiedene Statuen konstituieren kann. In der Zeit des Bestehens des Konstitutionsverhältnisses gehen nun aber Eigenschaften von Bronze auf die Statue über (etwa, 150 kg schwer zu sein, eine bestimmte Temperatur zu haben etc.). Nach Bakers Meinung gibt es auch solche Eigenschaften, die von Statue auf Bronze derivieren, etwa eine bestimmte Gestalt zu haben. Baker wählt das Standardbeispiel von Bronze und Statue, wendet ihre Überlegungen aber auch auf andere Beispiele aus der Alltagswelt an, etwa auf Kunststoffstück und Verkehrsschild. Sie gibt aber auch deutlich zu verstehen, dass dieselbe Beziehung der Konstitution auch auf anderen Ebenen der Wirklichkeit besteht, selbst zwischen Atomen bzw. Molekülen und Atom- bzw. Molekülaggregaten.35 Sollte es noch tiefere Schichten geben, etwa im subatomaren Bereich, muss man auch dort als Konstitutionsbasis fungierende Dinge annehmen. Diese Bemerkung lässt mich auch gleich zu meiner Kritik an dieser Theorie kommen. Sie setzt nämlich, und dies wird bei Baker besonders deutlich, voraus, dass sich auf allen angenommenen Ebenen der Wirklichkeit Entitäten befinden, die in einem ontologisch-technischen Sinne als Dinge kategorisiert werden können.

|| 32 Was Konstitution zur Erklärung von Emergenz, nicht von Supervenienz!, brauchbar macht; siehe FN 18. 33 Zur Erläuterung dieser Idee einer Einheit ohne Identität bedient sich Baker des aristotelischen Begriffs einer „akzidentellen Selbigkeit“: siehe Baker 2007, 33f. 34 Ebd., 39. 35 Baker 2007, 35f.

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Ich halte dies für falsch. Meine Gründe, warum man das Material eines Dinges, z.B. einer Statue, nicht wiederum als Ding auffassen kann, habe ich versucht, im Abschnitt über Quasi-Individuen darzulegen (siehe 1.2). Bronzeklumpen sind deshalb keine Dinge, weil Bronze (gegen Bakers Annahme) keine Art ist, die unter sie fallende Individuen in ihrer Identität determiniert. Bronzeklumpen sind Quasi-Individuen, die unter günstigen Umständen, sprich wenn ein Formprinzip dazukommt, zum Materialaspekt von Dingen werden können. Selbst wenn man Bakers Überlegungen zur Einheit von Bronze und Statue Plausibilität einräumt, wird durch den Quasi-Individuen-Status (vermeintlicher) Konstituenten jene bottom-up-Konstitution, um die es Baker geht, blockiert. Anders sind meine Gründe, warum wir an der mikrophysikalischen Basis keine Dinge vorfinden können. Auch diese muss ich hier nicht nochmals anführen, ich habe sie vorhin in Abschnitt 2.2.2 (3) dargelegt. Hier zeigt sich m.E. eine besondere Schwäche von Bakers bottom-up-Konstitutionstheorie. Die Voraussetzung, dass man an der mikrophysikalischen Basis Dinge in einem ontologisch-technischen Sinne vorfindet, wird wohl auch von kaum einer/m KT3TheoretikerIn geteilt. Sie plädieren eher für Tropen oder Prozesse als (vermeintliche) Basisentitäten. Dazu kommt das Dilemma bzgl. einer ‚untersten Ebene‘: Nimmt man als KonstitutionstheoretikerIn eine unterste, fundamentale Ebene von Dingen an, muss man entweder begriffliche oder gar empirische Gründe dafür ins Treffen führen. Beides ist nicht in Sicht.36 Oder aber man ist ‚nach unten offen‘: Dann aber wird, um die Metapher weiterzuspinnen, jedes Konstitutionsverfahren bodenlos. (5) Ich denke deshalb, dass Alltagsdinge nicht als Konstitutionsprodukte von Dingen auf unteren Ebenen verstanden werden können. Ich meine auch, dass auch andere, nicht-dingliche Kandidaten als Basis-Entitäten für Konstitution scheitern, aus analogen Gründen wie jene, die ich eben gegen Basis-Dinge ins Treffen geführt habe. Ich muss es mir erlauben, dies so stehen zu lassen. Vollständigkeitserweis kann ich, das habe ich bereits angedeutet, keinen erbringen. Meine Hauptstoßrichtung gegen KT3 ist ja auch die Kritik an SupervenienzTheorien. Das ist legitim, weil die meisten KT3-Strategien Supervenienz-Theorien sind. Bottom-up-Konstitution bietet jedenfalls keine entscheidende Hilfe für KT3. Insgesamt meine ich, um auch das zu wiederholen, dass revisionäre

|| 36 Siehe dazu u.a. Schaffer 2003, v.a. 501–506.

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Ontologie bereits mit KT2, und dem von ihm (zumindest) faktisch abhängigen KT1, scheitern. Kurzum: Es braucht eine Alternative ontologischer Theorienbildung. Diese sehe ich in einem deskriptiven oder alltagsontologischen Zugang. Ich möchte deshalb so fortfahren, dass ich die Charakterisierung dieses Zugangs, nach den allgemeinen Bemerkungen im Abschnitt 2.1, ergänze durch die Angabe von Konsequenzen, die sich aus der Zurückweisung des revisionären bottom-upProgramms ergeben: dass nämlich deskriptive Ontologie in ihrer Analyse topdown und integrativ vorzugehen hat.

2.3 Deskriptive Ontologie: top-down-Integration als Alternative zu bottom-up-Rekonstruktion Um die deskriptive Ontologie als Alternative gegenüber einer durch KT1–3 charakterisierten revisionären Ontologie darzustellen, können wir als eine deskriptive Kernthese (dKT) aufstellen: dKT1: Die Grundelemente der Wirklichkeit finden wir in der Lebens- oder Makrowelt.

Ich denke, dass man die Radikalität dieser These nicht unterschätzen darf: Die Grundelemente der Wirklichkeit finden wir nicht an einer mikrophysikalischen Basis, wie es etwa KT2 und KT3 entspräche, sondern in unserer alltäglichen Makrowelt. DKT1 impliziert eine vollkommen andere Weltsicht als jene der revisionären Ontologie. Ontologische Analysen beschreiben jedenfalls die universalen und allgemeinen Strukturen der Makrowelt nach Maßgabe der Eigenart ihrer Untersuchungsmethode. Dinge machen nun, nach den hier gemachten Annahmen, eine Kategorie solcher Grundelemente aus, Ereignisse und Zustände eine andere. „Sachverhalt“ bezeichnet keine Kategorie von Entitäten, sondern die innere Struktur dieser Partikularien. Quasi-Individuen sind keine Dinge, sie können jedoch nach Hinzufügung eines Formprinzips zum Materialaspekt von Dingen werden. Aus einem Stein (Quasi-Individuum) kann durch Hinzufügung eines Nutzens, welcher der materialen Zusammensetzung des Steins funktional zugeordnet wird, ein Ding (Artefakt der Art Briefbeschwerer) entstehen. Damit ist auch schon angedeutet, dass die Beschreibung der Grundstrukturen der Makrowelt nicht das gesamte Geschäft der deskriptiven Ontologie ausmacht. Dazu gehört nämlich auch eine ontologische Analyse der Elemente, welche diese Strukturen bilden. Dementsprechend können wir, insbesondere

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unter Abhebung von KT3, die Funktionszuschreibung an die Ontologie weiter vornehmen: dKT2: Die Ontologie analysiert die Grundelemente der Wirklichkeit.

Bereits in den einleitenden Abschnitten habe ich davon gesprochen, dass beispielsweise die Dinge zu analysieren sind in einen individuellen Material- und einen individuellen Formaspekt. Material und Form machen das Ding aus, jedoch so, dass die Einheit des Dinges grundlegend ist gegenüber diesen Komponenten. Material und Form sind nicht (wie Baker das zumindest im Hinblick auf das Material annimmt) Dinge, die ein anderes Ding, bottom-up, konstituierten, und selbst durch andere Dinge konstituiert würden. Der Stein aus dem eben angeführten Beispiel ist kein Ding, das den Briefbeschwerer konstituierte. Er macht vielmehr seinen Materialaspekt aus. Solange der Briefbeschwerer besteht, ist seine Einheit grundlegend gegenüber seinem Material und auch seiner Form. Material und Form sind Komponenten, die aus der grundlegenden Einheit des Dinges durch Analyse, allerdings top-down, gewonnen werden können. Das schließt übrigens nicht aus, dass die Bakerʼsche Formel einer Einheit ohne Identität auf das Verhältnis Material–Ding bzw. Form–Ding angewendet werden kann. Material- bzw. Formaspekt und Ding bilden eine Einheit, ohne in der Beziehung der Identität zu stehen. Ist die Analyse, beispielsweise von Dingen, mit der Unterscheidung von Material- und Formaspekt bereits abgeschlossen? Ich denke, dass wir hier eine differenzierende Antwort geben können. Zunächst können wir unterscheiden zwischen weiterführenden Analysen ontologischer Art, die sich auf der Ebene von Material und Form bewegen: Welche ontologischen Merkmale zeichnen Material und Form aus? Gibt es gemeinsame? Dass sie etwa in einem Kompositionsverhältnis zum einen Ding stehen; dass für sie beide das Verhältnis des Eigenschaftstransfers zum Ding gegeben ist.37 Gibt es aber auch unterschiedliche Merkmale von Material und Form? Dass etwa ihre jeweiligen Funktionen für das ganze Ding verschieden und irreduzibel sind: Die Form ist v.a. identitätsbegründende Instanz38, das Material begründet beispielsweise die Räumlichkeit von Dingen. || 37 Dieser Gedanke lehnt sich an Bakers These der Derivativität von Eigenschaften an und wird später näher erläutert bzw. adaptiert: siehe zunächst Abschnitt I - 3.1 (3). 38 Neulich hat Teresa Britton, in dies. 2012, markante Charakterisierungen der Funktion der Form von Dingen gegeben. So spricht sie davon, dass die Form jenes „unifying principle“ (ebd., 145) sei, das Material zur Einheit von „robust objects“ (ebd.) bringt. Bemerkenswert ist,

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Dann aber können wir auch Analysen vornehmen, die sich im Sinne der top-down-Bewegung weiter ‚hinunter‘ begeben. Ich denke, dass wir dann aber nicht mehr jene Maßstäbe an Universalität und Allgemeinheit anlegen können, die ontologische Untersuchungen als solche kennzeichnen. Wenn wir beispielsweise nach individuellen Formen fragen, so können wir die ontologische Eigenheit derselben per se und unter der Rücksicht ihrer Funktionen für die Einheit des Dinges untersuchen. Dann aber auch, welche Gegebenheiten bei den verschiedenen Dingen als ihre individuellen Formen gelten können: bei Lebewesen ist es jener komplexe Bau-, Entwicklungs- und Regulationsplan, der kurz auch als „Leben“ bezeichnet wird. Bei Artefakten ist es jene Funktion, die einen bestimmten Nutzen in gewisse Anordnungsprinzipien von Teilen umsetzt. „Leben“ ist kein Universal- und auch kein Allgemeinbegriff. Er betrifft nicht die Form aller Dinge und ist vielmehr durch Inanspruchnahme der Ergebnisse von Einzelwissenschaften, allen voran der Biologie und ihren Disziplinen, zu bestimmen. Ähnliches gilt auch für den Materialaspekt. Er kann unter verschiedener Rücksicht weiter analysiert werden. Was zeichnet das Material bestimmter Dinge, etwa der Lebewesen, aus? Was ist die stoffliche Grundlage des Materialaspekts aller Dinge? Wie schließlich können wir jene empirischen Befunde interpretieren, die wir mit immer feiner werdenden Methoden aus dem Mikrobereich der stofflichen Grundlagen erhalten? Dies alles sind freilich Fragen, die weder universale, noch allgemeine Untersuchungsperspektiven betreffen. Es sind vielmehr einzelwissenschaftliche. Das lässt uns zu einem weiteren, die deskriptive von der revisionären Ontologie unterscheidenden Merkmal kommen: dKT3: Die Ontologie integriert einzelwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse.

Damit ist eine weitere Funktionszuschreibung an die Ontologie angesprochen.39 Sie ergibt sich aus den eben angestellten Überlegungen zum top-down-Programm

|| dass bei der Autorin der Form-Begriff so eingeführt wird, dass er auf Lebewesen und Artefakte zutrifft, und dass der Begriff eines robusten Objekts dem eines Dinges im hier eingeführten technischen Sinne entspricht. Ohne Form kein robustes Objekt bzw. eben kein Ding. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die im zitierten Artikel skizzierte Theorie von Eigenschaften von der hier vorgebrachten abweicht. 39 U.a. Smith & Klagges 2008, 21f, haben die „integrative“ Funktion der Ontologie hervorgehoben; auf eine Weise übrigens, die der hier vorgeschlagenen sehr ähnlich ist. V.a. haben mich freilich die Arbeiten Otto Mucks zu diesen Überlegungen über die integrative Funktion der Ontologie inspiriert; siehe v.a. Muck 1999, Hauptteil 2.

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der deskriptiven Ontologie. Ontologische Begriffe wie „individuelle Form“ sind unter der Rücksicht integrativ, als sie es erlauben, eben aufgrund ihrer (maximalen)40 Allgemeinheit, weniger allgemeine begriffliche Bestimmungen, z.B. aus der Biologie, in einen systematischen Rahmen zu stellen, der es u.a. ermöglicht, diese zusätzlich bzw. grundsätzlich zu erläutern und mit anderen, nicht-allgemeinen Bestimmungen, z.B. aus Technik, Kunst- und Sozialtheorie, in Zusammenhang zu bringen. Sowohl in der Biologie kann man nämlich, mit Bezug auf bestimmte Objekte, das erläutern, was in der Ontologie als individuelle Form eingeführt ist, als auch in anderen Einzelwissenschaften, insofern es diesen um etwas geht, das man als den Wie-Aspekt der Komposition bestimmter Dinge verstehen kann. Die Ontologie bringt die unterschiedlichen Forschungsergebnisse auf einen gemeinsamen Begriff, erläutert diese durch Anführung allgemeiner Merkmale und kann zudem dazu beitragen, wechselseitige Bezugsverhältnisse zwischen einzelwissenschaftlichen Perspektiven herzustellen. Ich denke, dass nicht nur „individuelle Form“ als ein solcher integrativer Begriff verstanden werden kann, sondern auch „individuelles Material“, „Ding“, aber auch „Ereignis“ und „Zustand“. Dies auszubuchstabieren, darauf hin, was bzw. welche Einzelperspektiven auf welche Weise integriert werden mögen, würde diesen (ohnehin schon ziemlich strapazierten) Rahmen, der uns ja doch bald wieder zu den Modi führen sollte, freilich sprengen. Hinweisen möchte ich aber schon noch darauf, dass mit dem in dKT1–3 angesprochenen Programm all jene Probleme verschwinden, die sich aus KT3 ergeben, sprich alle Rekonstruktionsprobleme. Wenn die Dinge unserer Makrowelt Grundelemente der Wirklichkeit sind, deren Einheit primär ist, ist es schlicht überflüssig, nach ihrer bottom-up-Herleitung aus (wie ich meine fälschlicherweise) angenommenen (mikrophysikalischen) Basisentitäten zu fragen. Auch KT2 erübrigt sich, zumindest in der Standardlesart aktueller revisionärer Programme. Die Mikrophysik gibt keinen Aufschluss über Entitäten. KT1 wird, wenn überhaupt, dann nur losgelöst von KT2 beibehalten werden können. Ein nicht-revisionärer ‚Aposteriorismus‘ ist ein gänzlich anderer als der revisionäre. Natürlich ist auch die deskriptive Ontologie auf Erfahrungszusammenhänge verwiesen, natürlich wird auch sie auf Ergebnisse empirischer Einzelwissenschaften Bezug nehmen. Aber nicht im Sinne eines theoretisierenden Appendix, sondern nach Maßgabe der in dKT3 angedeuteten Funktion als Dialogpartner in einem nach eigenen Methoden vorgenommenen Integrationsprozess.

|| 40 „Maximal“ bedeutet, dass ontologische Begriffe ihrerseits nicht wieder in ein allgemeineres Schema integriert werden können.

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Damit möchte ich diese Abhandlungen zur weiteren Erläuterung von deskriptiver Ontologie beschließen und zum angekündigten roten Faden zurückkehren, zu unserem inhaltlichen Thema, den Modi.

3 Modi: Grundannahmen, begriffliche Festlegungen Jede ontologische Theorie nimmt irgendwelche Fakten als derart basal und grundlegend an, dass sie diese akzeptiert, ohne sie aus anderen, noch voraus liegenden Instanzen erklären zu können.1 Welche Fakten basal sind, welche aber nicht, ist, vom Standpunkt einer ontologischen Position aus betrachtet, nicht beliebig. Es ist vielmehr entscheidend für die Ausrichtung ihrer Theorienbildung. Deshalb ist es auch erforderlich, diese Fakten darzulegen. Ich möchte mit drei für meine ontologische Explikation des Wie Dinge Sind basalen Fakten beginnen (3.1)2, daraus bestimmte terminologische Festlegungen im Hinblick auf das Eigenschafts-Themenfeld vornehmen (3.2) und mit einem nochmaligen Bezug zur deskriptiven Ontologie (3.3) diesen ersten Hauptteil abschließen. Die weitere Auslegung besagter basaler Fakten wird Thema der folgenden Hauptteile sein.

3.1 Basale Fakten (1) Das erste basale Faktum, in eingeführtem Sinne, nenne ich BF1. Es lautet: BF1: Bestimmtheit. Dinge sind so-und-so bestimmt.

Mit BF1 möchte ich zunächst zum Ausdruck bringen, dass ich den Wie-Aspekt, das Wie-Dinge-Sind, für untrennbar mit Dingen verbunden ansehe.3 Dinge sind

|| 1 Vgl. Lowe 2006, 115, systematisch darauf reflektierend u.a. Benovski 2010, Lewis 1997, 198. Edwards 2014 macht dies zu einem der Grundgedanken seiner Darstellungen, speziell im Hinblick auf die Frage, wie Eigenschaften (wie auch immer diese ontologisch interpretiert werden) sich zu ihren Trägern verhalten. Siehe u.a. ebd., 26, 64. Hier findet das in BF1 Gemeinte seinen Ausdruck. Nota bene: Wenn man Fakten als basal annimmt, heißt das nicht, dass sie auf gewisse Weise nicht doch analysiert werden könnten, etwa durch Bezug auf bestimmte formale Gegebenheiten. Gerade im Hinblick auf BF1 und BF2 wird eine solche formale Analyse eine nicht unwichtige Rolle spielen, und zwar in den Abschnitten II - 2.1 bis 2.3. 2 Damit wird nicht behauptet, dass die hier vorgenommene Theorienbildung mit diesen drei basalen Fakten das Auslangen findet. Die nunmehr Darzulegenden sind aber entscheidend für den Aufbau der geplanten Modiontologie. 3 Wenn man bedenkt, dass Quasi-Individuen, wie sie im Abschnitt I - 1.2 eingeführt werden, durchaus auch als so-und-so bestimmt gelten können, müssen wir festhalten, dass BF1 für Dinge gilt, allerdings nicht nur.

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natürlich nicht wesentlich durch einzelne konkrete Bestimmungen gekennzeichnet. Das wäre ein ultra-essentialistischer Standpunkt. Die Identität eines Dinges hängt nicht von jeder einzelnen seiner Bestimmungen ab. Dinge können sich ändern. Dinge sind aber wesentlich bestimmte Dinge. Es gibt m.a.W. keine Dinge, die nicht irgend-wie, also so-und-so sind. Es gibt, um Robert Musil ontologisch zu opponieren, keinen ‚Mann ohne Eigenschaften‘. Diese möglicherweise nicht (nur) basal, sondern banal anmutende Feststellung, hat einiges an ontologischer Relevanz. Nimmt man BF1 an, schließt man damit aus, dass es sich bei Dingen um sogenannte bare particulars handeln kann. Bare particulars wären selbst oder an sich vollkommen bestimmungslose Träger aller Bestimmungen.4 Der Träger-Charakter des bare particulars hat manche dazu veranlasst, diese auch als (reine) Substrata zu bezeichnen. Zahlreiche KritikerInnen einer Dingontologie führen die (vermeintliche) Verpflichtung derselben auf reine Substrata als entscheidendes Argument gegen die Dingontologie ins Treffen.5 Stimmt BF1, geht diese Kritik ins Leere. Dinge sind keine, selbst bestimmungslosen Bestimmungsträger. Dinge sind wesentlich bestimmt. Eine andere Bezeichnung für bare substrata oder bare particulars ist „thin particular“. Vor dem Hintergrund von BF1 kann man thin particulars zurückweisen zugunsten der basalen Faktizität der je immer schon gegebenen Bestimmtheit von Dingen.6 BF1 besagt aber mehr als die Negierung von bare particulars. Ist das So-und-soSein von Dingen basal, wird damit auch ausgeschlossen, dass man irgendwelche Verbinderentitäten annehmen könnte, welche Dinge mit ihren Bestimmungen vereinigten. Diese wären dann nämlich grundlegend für das So-und-so-Sein der Dinge, somit auch seine Erklärungsbasis. Ausgeschlossen werden damit übrigens nicht nur Verbinder aus dem Genus der Relationen, sondern auch solche Nexus, die für die Erfüllung besagter Verbinderfunktion als eigene Kategorie des Seienden eingeführt würden.7 Auch das macht einen wichtigen Einwand gegen eine Ontologie der Dinge gegenstandslos, nämlich jenen Regresseinwand, den man in der aktuellen Dis|| 4 Zur aktuellen Diskussionslage bzgl. bare particulars siehe u.a. Morganti 2011. 5 Vgl. u.a. Mertz 2005, Seibt 2005, v.a. 2.2. Monaghan 2011, 2f, nimmt die (vermeintliche) Verpflichtung auf „bare substrata“ zum Anlass, nicht nur die aristotelische Ding-, sondern auch die entsprechende Eigenschaftskonzeption abzulehnen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Position erfolgt in IV - 1.2. 6 Zum Begriff „thin particular“ u.a. Armstrong 1997, 8.3., wo auch einige mögliche Deutungen unterschieden werden. 7 Tegtmeier 1992, §§ 19, 20.

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kussion auf Bradley zurückführt8: Nimmt man einen Verbinder zwischen Dingen und ihren Bestimmungen an, habe man dann nicht anzunehmen, dass auch dieser Verbinder durch einen (anderen) Verbinder (zweiter Stufe) mit dem Ding vereinigt werden müsse? Und dieser (andere) Verbinder mit einem (wieder) anderen (dritter Stufe), usw.? Der Ausschluss von Verbinderrelationen zwischen Dingen und ihren Bestimmungen ist nicht nur für eine Ontologie der Dinge maßgeblich, sondern auch für jene der Zustände: Wäre nämlich die Verbindung zwischen Dingen und ihren Bestimmungen durch Entitäten vermittelt, dann auch die Einheit der Zustände, die ja aus einem Ding und einer Bestimmung bestehen. Das aber legte eine ganz andere ontologische Beurteilung der Einheit der Zustände nahe, als eine, die auf BF1 beruht. BF1 geht zusammen mit einer nicht-reduktiven Interpretation dieser Einheit und damit mit der Akzeptanz der Zustände als Grundelemente der Wirklichkeit, als Entitäten. Die Annahme von Verbinderentitäten zwischen Dingen und ihren Bestimmungen verpflichtete auf einen abgeleiteten oder sekundären Status der Einheit der Zustände. Damit wäre ihr Rang als Entitäten desavouiert. Nichts kann Grundelement der Wirklichkeit sein, dessen Einheit sekundär wäre. (2) Ich komme damit zum zweiten basalen Faktum: BF2: Gleichheit. Qualitativ identische So-und-so-Bestimmungen sind gleich.

In der hier für BF2 gewählten Formulierung wird der Begriff „Gleichheit“ bzw. „gleich“ für ein Verhältnis von Bestimmungen von Dingen verwendet (bzw. von Bestimmungen von Dingteilen, was ich jetzt der Einfachheit der Darstellung wegen weglasse). Das ist unter der Rücksicht standardmäßig, also eingeführten Thesen entsprechend, als es auf der Unterscheidung zwischen Selbigkeit und eben Gleichheit beruht. Selbigkeit ist numerische Identität, Gleichheit aber qualitative Übereinstimmung oder auch qualitative Identität. Es ist trivial, somit sinnlos, von der Gleichheit derselben Bestimmung zu sprechen. Standardmäßig ist außerdem, dass „gleich“ als unvollständiges Prädikat aufgefasst wird. Die Behauptung der Gleichheit verlangt immer eine Angabe dessen, worin diese Gleichheit besteht. Sprachphilosophisch gesprochen, es muss angegeben werden, unter Bezug auf welchen generellen Term Gleichheit besteht.9 Nicht standardmäßig ist allerdings, dass ich hier die eigentliche Verwendung von „gleich“

|| 8 Bradley 1897, zitiert nach Mellor and Oliver 1997, 16. 9 U.a. Tugendhat/Wolf 1983, 169.

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eben nicht auf das Verhältnis zwischen Dingen beziehe, sondern, wie in BF2 explizit gemacht, auf Bestimmungen von Dingen. Damit möchte ich eine, allerdings uneigentliche Verwendung von „gleich“ nicht ausschließen für den (problematischen10) Grenzfall qualitativ identischer Dinge. Von verschiedenen Dingen, die manche gleiche Bestimmungen aufweisen, werde ich im Folgenden als von unter der Rücksicht der jeweiligen Bestimmungen ähnlichen Dingen sprechen. („Ähnlich“ ist also wie „gleich“ ein unvollständiges Prädikat, siehe oben.) Sind zwei Menschen 1.76 Meter groß, sind sie, die Menschen, unter der Rücksicht ihres So-groß-Seins ähnlich, ihre Größen sind gleich. Mit der Festlegung, dass die eigentliche Verwendungsweise von „ähnlich“ auf Dinge bezogen ist, möchte ich nicht ausschließen, dass es auch eine auf Bestimmungen bezogene, uneigentliche Verwendung geben könnte. Diese wäre aus anderen Gründen als die uneigentliche Verwendung von „gleich“ für Dinge problematisch, nämlich aufgrund ihrer notorischen Vagheit. Wann hören etwa Größen- oder Farbbestimmungen auf, ähnlich zu sein? Auch dass die Gleichheit qualitativ identischer So-und-so-Bestimmungen als basales Faktum angenommen wird, hat einige ontologische Relevanz.11 Den wohl wichtigsten Aspekt dieser Relevanz sehe ich darin, dass mit dem Ausschluss seiner Erklärung aus grundlegenden Fakten negiert wird, Gleichheit verschiedener Bestimmungen aus einer vorausliegenden numerischen Identität von etwas, was auch immer, herzuleiten. Die (angenommene) Gleichheit der Farben dieses Stuhles und dieses Tisches kann nicht daraus erklärt werden, dass es vorab der numerisch verschiedenen, aber qualitativ identischen Bestimmungen etwas numerisch Identisches gibt, aus dem dann die qualitative Identität abgeleitet werden könnte. Damit wird auch die Reduktion der Gleichheit qualitativ identischer Bestimmungen auf numerische Identität von etwas, was auch immer, ausgeschlossen. Einen weiteren Aspekt der ontologischen Relevanz der Basalität der Gleichheit von Bestimmungen sehe ich darin, dass Verbinderentitäten zwischen den verschiedenen gleichen Bestimmungen ausgeschlossen sind. Gäbe es nämlich solche, könnte die Gleichheit von Bestimmungen unter Verweis auf diese erklärt werden, was der angenommenen Basalität entgegenstünde. Nimmt man BF2 als basales Faktum, benötigt man m.a.W. neben den So-und-so-Bestimmungen von Dingen nicht noch zusätzlich Relationen, also zweistellige Entitäten, zwischen || 10 Runggaldier/Kanzian 1998, 120–124. 11 U.a. Simons (1994, 556) kann als Befürworter dieser These gelten. A.a.O. finden sich auch weitere Belege. Desgleichen Heil 2003, u.a. 144.

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diesen Bestimmungen, die jeweils deren Gleichheit wären. Dem entsprechend braucht es keine Relation der Ähnlichkeit, die im eigentlichen Sinne zwischen Dingen mit gleichen Bestimmungen bestünde. Damit kann man die seit Platons Parmenides12 durch die Philosophiegeschichte wandelnden Probleme sowohl der Teilhabe, etwa von gleichen Bestimmungen an einem die Gleichheit Konstituierenden, als auch der Angabe eines weiteres Grundes, warum nun Gleiches auf eines, also numerisch Identisches zurückzuführen wäre (Explikation der angenommenen Verbinderentitäten, ,3. Mann-Argument‘), gegen eine BF2 enthaltende ontologische Theorie nicht vorbringen. (3) Schließlich sei als drittes basales Faktum aufgelistet: BF3: Derivativität. Das So-und-so-Sein der Dinge ist derivativ, entweder aus dem individuellen Material- oder aus dem individuellen Formaspekt der Dinge.

BF3 ist vermutlich jenes basale Faktum, das unsere Untersuchungen auf dem Eigenschafts-Themenfeld am markantesten beeinflusst. Es wird beispielsweise die Unterscheidung zwischen essentiellen und akzidentellen Bestimmungen betreffen, ebenso wie die Eingrenzung der ontologisch relevanten Bestimmungen. Aufgrund dieser Brisanz soll seine ontologische Explikation vollständig in den dafür vorgesehenen Hauptteil III verlegt werden. Den Begriff der Derivativität entlehne ich der Terminologie Bakers, allerdings so, dass ich ihn aus dem Kontext ihrer Konstitutionstheorie (siehe oben, Abschnitt 2.2.3 (4)) ausgliedere und in meinen Rahmen einer Dingontologie übertrage.13 Derivativität bedeutet für mich, dass sich Bestimmungen von Dingen aus Bestimmungen ihrer ontologischen Komponenten herleiten. Der wesentliche Unterschied zu Baker und der hier versuchten Theorie besteht zunächst darin, dass Baker (wie gesehen) die Übertragbarkeit von Eigenschaften als wechselseitiges Phänomen auffasst. Hier wird eine ‚Einbahn‘ postuliert, allerdings eine zweifache: Sowohl vom Form- als auch vom Materialaspekt aus werden Bestimmungen auf das ganze Ding übertragen, nicht aber umgekehrt.

|| 12 Platon, Parmenides 132a1–b2 bzw. 132c11–133a7. Verwendete Ausgabe: Platon 1972. 13 In Lim 2014 finden sich Argumente dafür, dass es nicht nur möglich ist, Bakers Theorie derivativer Eigenschaften aus dem Kontext einer Konstitutionstheorie herauszulösen, sondern dass die Annahme deriviater Eigenschaften sogar mit einer Konstitutionstheorie unvereinbar sei; vgl. ebd., 374. Letzteres muss ich hier nicht behaupten, es reicht das Erstere.

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Außerdem wird bei Baker auch die Ganzheit der Dinge im Sinne ihrer Konstitutionstheorie als etwas Derivatives oder Abgeleitetes betrachtet, die hier vorgetragene Dingontologie geht von der Priorität der Einheit der Dinge aus. Der individuelle Material- und der individuelle Formaspekt sind keine Konstituenten des Dinges, die diesem in irgendeiner Weise grundlegend wären. Grundlegend ist die Einheit des ganzen Dinges, die allerdings aufgrund ihrer Komplexität analysiert werden kann, eben in besagte Komponenten. Die So-und-so-Bestimmungen von Dingen sind nun, im Unterschied zu den Dingen selbst, primär solche entweder des individuellen Material- oder des individuellen Formaspekts der Dinge. Dinge sind also F-bestimmt, insofern entweder ihr Material oder ihre Form F-bestimmt ist. Irgendwelche Eigenschaften (nicht-technisch!), die Dinge primär relativ zu ihren ontologischen Komponenten haben, können damit keine So-und-so-Bestimmungen sein, wie sie hier theoretisch angezielt werden.14 Die Basalität der in BF3 explizierten Derivativität meint jedenfalls, dass man für die Ableitung einer Ding-Bestimmung aus einer Bestimmung etwa seines Materialaspekts keine zusätzliche Verbinderrelation benötigt. Gäbe es nämlich solche, könnte die besagte Ableitung von Bestimmungen unter Verweis auf diese Relation erklärt werden, was der angenommenen Basalität entgegenstünde. Wir müssen m.a.W. innerhalb der Dinge keine zweistelligen Entitäten annehmen, um das Faktum zu erklären, dass die ontologisch relevanten Bestimmungen eines Dinges entweder Bestimmungen seines Material- oder seines Formaspektes sind.

3.2 Die So-und-so-Bestimmungen von Dingen sind Modi: eine terminologische Festlegung Ich komme nun zu terminologischen Festlegungen, welche für die weitere Theorienbildung in den Hauptteilen II und III maßgeblich sein werden. Den nichttechnischen Begriff „Eigenschaft“ habe ich eben, im Hinblick auf das Folgende, durch die Umschreibung „So-und-so-Bestimmung von Dingen“ zu einer ontolo-

|| 14 Diese Eigenschaften, die Dinge primär relativ zu ihren Komponenten haben, würden Bakers „excluded properties“ entsprechen. Siehe dies. 2007, u.a. 167. Auch Moreland & Pickavance schildern solche „not genuine properties“. Es sind Eigenschaften, welche ontologische Charakteristika ganzer Entitäten betreffen und so ebenfalls nicht als „derivativ“ betrachtet werden können, etwa „particularity“ bzw. „unrepeatability“. Vgl. dies. 2003, 10. In einem späteren Abschnitt werde ich diese als abundante Eigenschaften vorstellen, vgl. III - 2.

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gisch technischen Verwendungsweise überzuleiten versucht. Nun suche ich nach einem Terminus, der dieser Umschreibung und den in BF1–3 dargelegten Grundannahmen genügt und dessen Explikation in dem unter I - 1 skizzierten kategorialen Rahmen vorgenommen werden kann. (1) Ein erster Kandidat ist der Begriff „Trope“. „Trope“ steht für eine konkrete, individuelle Qualität, die dem nicht-technischen Begriff einer Eigenschaft durchaus entspricht. Ich möchte dennoch davon Abstand nehmen, weil, um zunächst die prinzipielle Ebene anzusprechen, „Trope“ in seiner aktuellen standardmäßig angenommenen Bedeutung nur im Kontext revisionärer Ontologie brauchbar ist. M.E. wird die Unbrauchbarkeit von „Trope“ in alltagsontologischen Kontexten bereits in Keith Campbells Abstract Particulars, einem Standardwerk der aktuellen Tropenliteratur, klar: Letztlich sind auch dort Tropen als physikalische Basisentitäten eingeführt, nicht als Qualitäten von Gegenständen unserer Lebenswelt.15 Auch Peter Simons, um nur einen weiteren repräsentativen Tropisten anzuführen, verwendet „Trope“ nicht nur ‚revisionär‘, sondern macht seinen ‚Abschied von Substanzen‘16 und der damit verbundenen Abwendung von deskriptiver Ontologie immanent plausibel durch eine Hinwendung zu einer Tropenontologie. Dass Tropen als Basisentitäten aufgefasst werden, aus denen dann die dinghafte Alltagswelt rekonstruiert werden könnte, weist auf eine weitere Unvereinbarkeit mit dem hier gebotenen ontologischen Rahmen hin. Dinge sind in Tropenontologien nicht Grundelemente der Wirklichkeit, das heißt keine Entitäten in einem ontologisch eigentlichen Sinne. Dinge sind Tropenbündel. Als solche sind sie aus den Basisentitäten, den Tropen, zusammengefügt. Die Einheit der Dinge ist folglich etwas Sekundäres, ontologisch letztlich Irrelevantes. Tropen sind Konstituenten von Dingen. So gesehen, können sie auch keine Bestimmungen von Dingen sein, wie das dem in BF1 formulierten basalen Faktum entspräche.

|| 15 Campbell 1990, siehe dazu v.a. chapter 6. In einem Artikel mit dem Titel „Farewell to Tropes …“, hier Kanzian 2010, habe ich versucht, diesen Gedanken etwas ausführlicher darzulegen; siehe ebd. v.a. 45f. Es gibt zwar gewisse Versuche, den Begriff „Trope“ auch im Kontext deskriptiver Ontologie zu verankern. Insbesondere ist das der Fall, wenn von der Kompatibilität der Annahme von Tropen mit einem Ding-Eigenschafts-Schema die Rede ist (vgl. u.a. Armstrong 1989, 17f). Diese Kompatibilität entspricht jedoch nicht den standardmäßigen einkategorialen Tropenontologien, welche die aktuelle Bedeutung von „Trope“ prägen. 16 Siehe: Simons 1998.

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Aufgrund dieser doch klaren Einführung von „Trope“ in standardmäßigen Tropenontologien legt es sich nahe, auf die technische Verwendung des Terminus im Kontext einer deskriptiven Dingontologie zu verzichten. Denn: Wollte man „Trope“ für die So-und-so-Bestimmung von Dingen im Kontext der Behandlung des Eigenschafts-Themenfeldes verwenden, müsste man eine Uminterpretation vornehmen, die letztendlich kaum vor (groben) Missverständnissen bewahren würde. (2) Angesichts von deutlich besser geeigneten Kandidaten ist ein derartiger terminologischer Klimmzug auch gar nicht erforderlich. Benjamin Schnieder z.B. hat für konkrete individuelle Qualitäten den Begriff „Adhärenz“ verwendet und ausführlich ontologisch expliziert. Diese Explikation beinhaltet Charakterisierungen, die der hier anvisierten Theorienbildung sehr entgegenkommen. So spricht Schnieder von der „prädikativen Natur“ der Adhärenzen (Schnieder 2004, 217) und meint damit, dass „die Existenz einer Adhärenz … damit einher[geht], dass ihr Träger auf eine bestimmte Weise beschaffen ist.“ (Ebd.) Das lässt sich mit BF1 durchaus in Einklang bringen. Im Kontext dieses Buches noch auszuführen ist die ebenfalls von Schnieder genannte „Trägerspezifität“ (ebd., 197) der Adhärenzen. Die So-und-so-Bestimmungen von Dingen sind in einem strikten Sinne von ihren Trägern abhängig. Besonders wichtig für das Folgende ist ein Merkmal, das Schnieder auf Bolzano zurückführt (ohne sich in diesem Punkt vom historischen Vorbild leiten zu lassen!), dass nämlich Adhärenzen durch ihren Platz in der kausalen Ordnung (ebd., 157) gekennzeichnet sind. Dass Schnieder Bolzano nicht folgt, ist jedoch nicht der Grund, warum hier seine terminologische Festlegung auf „Adhärenz“ nicht übernommen werden soll. Dafür ist vielmehr ausschlaggebend, dass der Begriff „Adhärenz“ eben das Ad-härieren beinhaltet, das relationale Bezogensein, oder, wörtlich, das Anetwas-Hängen des qualitativen Aspekts an seinem Träger. Das impliziert wohl, dass auch eine Relation, bei Schnieder ist es Inhärenz, (u.a. ebd., 209f), anzunehmen ist, welche das Hängen der Bestimmung an einem Träger ausmacht. Die Annahme einer solchen Relation aber steht BF1 insofern entgegen, als die dort gewählte Formulierung, v.a. aber seine Interpretation als basales Faktum, jedwede Verbinderentitäten zwischen Ding und seinen Bestimmungen ausschließt, insbesondere jene aus dem Bereich der Relationen. Außerdem ist „Adhärenz“ (bei Schnieder wie wohl bei anderen AutorInnen auch) so eingeführt, dass darunter nicht nur Qualitäten, sondern auch Ereignisse fallen (ebd., 167–174), und auch die im Abschnitt I - 1.3 als Zustände bezeichneten Entitäten. Ereignisse, v.a. auch Zustände, sind hier, in meiner Theorie, als Komposita eben aus Dingen und Eigenschaften (noch immer nicht technisch)

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aufgefasst, nicht als Eigenschaften selbst. Ich schließe mich damit Jonathan Lowe an, wenn er schreibt: „… an event occurs when a particular object takes on a particular property“.17 Ein Ereignis geschieht, ein Zustand liegt vor, wenn ein Ding eine bestimmte Eigenschaft annimmt. Das Ereignis bzw. der Zustand sind aber nicht die Eigenschaft. M.a.W. erscheint die Extension des Begriffes „Adhärenz“ für die hier (und bei Lowe) anvisierte Theorienbildung als zu umfassend; wohl auch als zu diffus, wenn man bedenkt, dass hier (wie bei Lowe) gerade die ontologische Differenz zwischen Eigenschaften und Ereignissen maßgeblich ist. Wollte man also „Adhärenz“ für die So-und-so-Bestimmung von Dingen verwenden, müsste man zwar keine völlige Uminterpretation dieses Terminus vornehmen, dennoch aber einige Mühe aufwenden zu erläutern, warum man „Adhärenz“ ganz anders verwendet, als mancherorts (mit immanent guten Gründen) eingeführt. Letztendlich würde auch das kaum vor Missverständnissen bewahren. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt sein, dass der zweite terminus technicus Schnieders zur Bezeichnung von Entitäten im Eigenschafts-Feld, „Attribut“, hier nicht einmal als Kandidat für konkrete, individuelle So-und-so-Bestimmungen von Dingen in Frage kommt. „Attribut“ steht für Eigenschaften, die als dieselben von mehreren Dingen gehabt werden können (u.a. Schnieder 2004, 6f). So gesehen ist „Attribut“ Kandidat für die Bezeichnung einer Reduktionsbasis der Gleichheit von So-und-so-Bestimmungen – etwas, das wir durch die Annahme von BF2 nicht benötigen. (3) Ein dritter Kandidat ist „Moment“. Die Bedeutung von „Moment“ scheint keine Implikation auf die Annahme einer Verbinderentität zu beinhalten. Wie u.a. Mulligan (mit Simons & Smith)18 ausführt, bezieht sich „Moment“ durchaus auf konkrete, individuelle Qualitäten, die auch als „individuelle Akzidentien“ (ebd., 5) bezeichnet werden. Die angeführten Beispiele (u.a. dieses bestimmte Weiß, ebd.) lassen zunächst deutliche Übereinstimmungen mit den hier ins Auge gefassten So-und-so-Bestimmungen von Dingen vermuten, ebenso wie die strikte Abhängigkeit der als Momente bezeichneten Qualitäten von ihren Trägern, die bei Mulligan & Co. übrigens auf Husserl zurückgeführt wird (ebd., 7). Als weiteres Merkmal, das in diesem Buch ebenso eine wichtige Rolle spielt, ist

|| 17 Lowe 2006, 80. 18 Mulligan 1987. Seitenangaben beziehen sich auf einen Ausdruck von: http://ontology.buffalo.edu/smith/deutschetexte.htm (April 2015).

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der Ausschluss der Teil-Ganzes-Beziehung als ontologisches Deutungsmuster für So-und-so-Bestimmungen. Das F-Sein von etwas kann nicht als Teil dieses Etwas verstanden werden. Dennoch: „Moment“ steht eben nicht nur für „individuelle Akzidentien“, für So-und-so-Bestimmungen von Dingen, sondern, wie Mulligan und seine CoAutoren deutlich machen, auch für Grenzen (angeführtes Beispiel: die Oberfläche von Miss Anscombeʼs Ehering, ebd., 5) und, da überschneidet sich die Extension von „Moment“ mit jener von „Adhärenz“, auch für Ereignisse, Handlungen und Zustände. Da ich beide Extensionsausweitungen, aus geschilderten Gründen, für meinen technischen Terminus im Bereich des Eigenschafts-Themenfeldes vermeiden möchte, lasse ich lieber auch „Moment“ bleiben, und präsentiere, ohne wirklich zu überraschen, den von mir favorisierten terminus technicus „Modus“. (4) Der Begriff „Modus“ (engl.: mode) hat zunächst den Vorteil, dass er philosophie-lexikalisch klar eingeführt ist, was besagt, dass sich eine von bestimmten theoretischen Kontexten unabhängige Bedeutung angeben lässt. „Modus benennt die Art und Weise, wie ein Gegenstand bestimmt ist.“, steht etwa im Metzler-Lexikon Philosophie,19 auf Seite 386. „Modus“ kann in dieser Kernbedeutung ontologisch so expliziert werden, dass er einer BF1–3 konformen, alltagsontologischen ding-zentrierten Ontologie nach dem kategorialen Rahmen von I - 1 entspricht. Dabei kann ich mich vor allem an Jonathan Lowes Einführung des Terminus in The Four-Category Ontology (hier Lowe 2006) orientieren, ohne ihm, wohlgemerkt, in allen seiner Ausfaltungen einer Ontologie der Modi folgen zu wollen. Modi sind für Lowe „particular ‚ways‘ objects are“ (vgl. ebd., 14). Das entspricht BF1 ebenso wie die Feststellung, dass das Ding selbst Träger (engl.: bearer) der Modi ist, nicht ein verborgenes Substratum in einem Ding (vgl. ebd., 15). Dass, wie Lowe sagt, Modi „simply particular ways it [the object] is“ sind, meint genau, dass es keine Verbinderentitäten braucht, die den Zusammenhalt von Modi und Ding erklärten. Lowe spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass Dinge durch Modi charakterisiert sind, um festzuhalten, dass es sich bei der Charakterisierung eben nicht um eine Relation handelt (vgl. ebd., u.a. 30). Es sei vielmehr ein formales “‚Band‘„ … too fundamental indeed, to be

|| 19 Hrsg. v. P. Prechtl und F.P. Burkard. Stuttgart: Weimer 32008.

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something in the world – an element of being – …“ (ebd., 49)20. Charakterisierung ist keine Entität. Das Charakterisiert-Sein eines Dinges durch einen Modus ist vielmehr, in den hier eingeführten Begriffen gesagt, ein fundamentales oder basales Faktum. Modi sind keine Konstituenten von Dingen (vgl. ebd., 18, 97), wie es etwa Tropen wären. Die Modi machen das Ding nicht aus, wie beispielsweise materielle Zusammenfügungen durch ihre Materialteile ausgemacht werden. Modi sind selbst auch keine Ereignisse, „an event occurs when a particular object takes on a particular property“, so habe ich Lowe bereits zitiert. An derselben Stelle fährt er fort: „And by ‚particular properties‘ … I mean, of course, … modes.“21 Ereignisse finden statt, wenn ein Ding einen Modus erwirbt. Deshalb können Modi, wie gesagt, keine Ereignisse sein. Für die weitere ontologische Entfaltung einer Theorie der Modi maßgeblich ist auch die von Lowe angenommene strikte Trägerabhängigkeit der Modi (u.a. ebd., 27), die wohl auch der Existenzabhängigkeit von Schnieders Adhärenzen und von Mulligans Momenten entspricht. Besonders aber auch Lowes Annahme, dass die Modi, verstanden eben als partikulare „ways objects are“, durch ihre Funktion als Kraftzentren („powers“), dafür verantwortlich sind, dass etwas, das sie bestimmen (Dinge), bzw. etwas, das sie als einen Komponenten aufweist (z.B. Ereignisse), als Kausalrelatum fungieren kann (vgl. u.a. ebd., 23). Es würde hier zu weit führen, auch nur einen bescheidenen Überblick über die Verwendung von „Modus“ in der aktuellen Ontologie zu geben. Anführen möchte ich nur noch John Heil, der, obgleich in seiner Ontologie von Lowe deutlich abweichend, unseren Term doch offensichtlich in derselben technischen Bedeutung verwendet. In seinem Buch From An Ontological Point of View (hier: Heil 2003) legt sich Heil auf die Bezeichnung „modes“ für Eigenschaften fest. Modi sind partikulare „ways objects are“ (u.a. ebd., 12f, 138), die eben keine Konstituenten von Objekten oder Dingen sind, was sie auch bei Heil von Tropen unterscheidet. Desgleichen unterstreicht Heil die strikte Trägerabhängigkeit der Modi (u.a. ebd., 141) und betont, ebenso wie Lowe, ihre Rolle als „powers“, wobei er dies insbesondere mit kausalen Dispositionen von Dingen in Zusammenhang bringt. Dieser Konnex wird uns in späteren Hauptteilen ausführlich beschäftigen. Wir können ihn hier vorläufig ausklammern. Das gleiche gilt für Heils ontologische Bestimmung von Modi als Entitäten, bei denen „Ähnlichkeit intrinsisch enthalten ist“. Heils Formulierung: „Similari|| 20 Diese These wird im Abschnitt II - 2.2.1 ausführlich behandelt. 21 Lowe 2006, 80.

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ty is built in modes“ (ebd., 132, siehe u.a. auch ebd., 157). Das meint, dass die Ähnlichkeit zwischen Modi nicht etwas ist, das gleichsam von außen an sie herangetragen wird, durch eine Relation etwa, die zwischen ähnlichen Modi bestünde. Nein, Ähnlichkeit ist ein Grundbegriff. Das entspricht der Sache nach dem hier angeführten zweiten basalen Faktum; nur dem Namen nach ist in BF2 von „Gleichheit“, bei Heil von „Ähnlichkeit“ die Rede. Ebenso lehnt es Heil ab, die qualitative Übereinstimmung von Modi zu erklären durch Rückführung auf ein grundlegenderes Faktum, etwa Identität, wovon auch immer (vgl. ebd., 138). „Modus“ ist keine Neukreation der aktuellen Ontologie. U.a. Mulligan & Co weisen (in op. cit, 6) darauf hin, dass der Begriff in der (wie sie sagen) „Nachscholastik“, u.a. bei Descartes, Locke und Hume, verwendet wurde, um partikulare, strikt von anderem abhängige Entitäten zu benennen. Dementsprechend bezeichnet u.a. Locke Modi als „Abhängigkeiten“ (engl.: „dependencies“), und, wohlgemerkt!, als „Affektionen von Substanzen“22. Modi sind keine Entitäten, die für sich bestehen, sondern nur insofern als sie Substanzen affizieren, das heißt wörtlich „in einen Zustand bringen“. Dies kommt der hier intendierten ontologischen Auslegung der Modi sehr entgegen. Modi sind Bestimmungen von Dingen, die dafür maßgeblich sind, dass sich Dinge in Zuständen befinden. Der Begriff „Affektion“ bildet übrigens auch den Kern der spinozistischen Definition von „Modus“, insofern er in seiner Ethik von Modi als Affektionen spricht, die in einem anderen sind und (nur) durch dieses andere begriffen werden können.23 Auch hier sehen wir die strikte Existenzabhängigkeit der Modi. Bei Spinoza kommt darüber hinaus auch der Aspekt der Modi als Kraftzentren zum Tragen. Modi haben zu tun mit „potentiae“, heute würde man wohl sagen Dispositionen, die dafür maßgeblich sind, dass jene Dinge, denen sie zukommen, im kausalen Gefüge der Welt eine Rolle haben.24 Obwohl sich die Bedeutung von „Modus“ auch historisch gut nachzeichnen lässt, möchte ich der Verlockung widerstehen, die Geschichte unseres Terminus weiter zu verfolgen. Locke und Spinoza arbeiten ja doch nicht mit den Rahmenbedingungen der Ontologie des 21. Jahrhunderts. Ihre Begriffsbestimmungen von „Modus“ sind trotz allem nur schwer in den aktuellen Diskurs einzubringen.

|| 22 Locke, Essays, Book II, Chapter XII, § 4, verwendete Ausgabe: Locke 1975, 165. 23 Spinoza, Ethik, erster Teil, Definition 5, verwendete Ausgabe: Spinoza 1990, 5. 24 Vgl. dazu u.a. Röd 2002, 137 bzw. 140f.

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Unter „Modus“ verstehe ich jedenfalls partikulare Bestimmungen von Dingen. Modi bestimmen die Dinge selbst und ‚hängen‘ nicht, verbunden durch eine Relation bzw. eine andere Verbinderentität, an einem Substratum. Modi sind keine Konstituenten von Dingen, wie es der Sache nach u.a. von den TropistInnen angenommen wird. Modi sind keine Teile von Dingen. Modi sind in ihrer Existenz und in ihrer Identität strikt von ‚ihren‘ Dingen abhängig.25 Modi sind keine Änderungen oder Ereignisse bzw. keine Zustände. Zustände bestehen darin, dass Dinge durch Modi bestimmt sind; Ereignisse aber darin, dass Dinge Modi verlieren und neue dazugewinnen. Ontologisch grundlegend ist die Interpretation von Modi als Kraftzentren („powers“), ebenso, dass Modi ihre Gleichheit „in sich tragen“, um Heil nochmals anzuführen. Modi sind primär Bestimmungen der individuellen Form bzw. des individuellen Materials von Dingen. Dass Modi Dinge affizieren, ist also ein derivatives, als solches aber basales Faktum. Dies alles soll in den folgenden Hauptteilen expliziert, in seiner Leistungsfähigkeit für eine ontologische Theorie erprobt und weiter adaptiert werden. Zuvor aber möchte ich den Bogen des ersten Hauptteils abschließen und die Annahme von Modi zum Anliegen einer deskriptiven Ontologie, wie ich sie einer revisionären Ontologie gegenübergestellt habe, in Bezug bringen.

3.3 Modi in einer deskriptiven Ontologie Der Begriff „deskriptive Ontologie“ wurde in diesem ersten Hauptteil auf zwei Ebenen eingeführt. Zunächst wurden im Abschnitt I - 2.1 grundlegende Merkmale dargelegt, dann im Abschnitt I - 2.3 einige weiterführende, und zwar als Resultat einer Entgegensetzung zu revisionärer Ontologie. Im Mittelpunkt der Einführung auf beiden Ebenen steht das im zuletzt genannten Abschnitt explizit gemachte und als „dKT1“ bezeichnete Theorem, dass die Grundelemente der Wirklichkeit in der Lebens- oder Makrowelt aufzufinden sind, sowie die damit verbundene Arbeitszuweisung an die Ontologie: Die Ontologie analysiert die Grundelemente der Wirklichkeit („dKT2“). Modi aber, so wie sie im letzten Abschnitt eingeführt wurden, sind solche „Grundelemente der Wirklichkeit“. Das besagt, dass sie nicht auf irgendwelche zuvor liegenden Gegebenheiten („Basisentitäten“) reduziert werden können.

|| 25 Nota bene: Dass Modi von Dingen abhängen, schließt nicht aus, dass sie auch von anderen Entitäten, sprich von Zuständen und Ereignissen, auf gewisse Weise abhängen. Dieser Punkt wird im Abschnitt II - 2.3 ausgeführt.

Modi in einer deskriptiven Ontologie | 65

Modi sind Entitäten. Modi aber sind Grundelemente der Makrowelt. Ebenso wie die Dinge, verstanden als dreidimensionale materielle Gegenstände, Makroentitäten sind, so auch ihre Bestimmungen: jene Modi, die sie, wie Spinoza sagt, affizieren, das heißt in Zustände bringen. Wenn wir diese Affektionen ontologisch analysieren, kommen wir dem in dKT2 formulierten Anspruch an eine deskriptive oder Alltagsontologie nach. Bei den grundlegenden Merkmalen deskriptiver Ontologie wurde die Entsprechung zu alltäglichen Einstellungen oder Intuitionen genannt. Nicht jede Detailcharakterisierung von Modi ist Gegenstand solcher intuitiven Einstellungen, wenn man unter „Intuition“ eine spontane, d.h. nicht methodisch reflektierte, ‚alltägliche‘ Einstellung versteht. Dazu sind manche Theoreme im Kontext einer Ontologie der Modi zu speziell. Dennoch scheint mir die Bestimmtheit von Dingen selbst, wie sie etwa in BF1 (Abschnitt I - 3.1 (1)) ausgedrückt wird, doch auch intuitiv gut gesichert zu sein. Natürlich leuchtet es ein, dass sich Robert Musil, um ihn nochmals anzuführen, mit seinem Mann ohne Eigenschaften einer uneigentlichen Redeweise bedient. Deren Wirkung beruht gerade auf einer Konterkarierung des spontanen Urteils, dass es so etwas, wörtlich genommen, ja gar nicht geben kann. Eine Ontologie, die keine Bestimmungen von Dingen annimmt und letztere als „bare“ (engl.) auffasst, hat, wie ich meine, ein Konterintuitivitätsproblem. Neben der Bezugnahme zu Alltagsintuitionen zeichnet deskriptive Ontologie aus, dass sie eine Basis für eine Erklärung und Interpretation von Grundstrukturen unseres alltäglichen Sprechens bereithält. Solche „Grundstrukturen“ habe ich eingeführt als relativ zu verschiedenen natürlichen Sprachen invariante, einzelne Sprachen als Ganze betreffende und mit Mitteln der Grammatik dieser einzelnen Sprachen nicht explizierbare Strukturen, wie z.B. die SubjektPrädikat-Struktur. Dass eine Ontologie, die Modi und die durch sie bestimmten Dinge als Grundelemente der Wirklichkeit annimmt, eine Basis für eine plausible Erklärung dieser Grundstruktur des Sprechens bereithält, scheint mir, ohne jetzt Details sprachphilosophischer Analysen beibringen zu können, doch gegeben. Die Dichotomie von Dingen und Modi entspricht jener von Subjekt und Prädikat. Dinge sind Referenten von Subjekten, während durch die an Prädikatstelle gebrauchten Ausdrücke Bestimmungen von Dingen eingeführt werden. Sage ich aus, dass diese Tafel da grün ist, sage ich aus, dass dieses Ding Tafel durch diesen Grün-Modus bestimmt oder affiziert ist und damit die Tafel in den Zustand des Grün-Seins bringt. Schließlich gilt für deskriptive Ontologien, dass sie grundsätzlich keinen Anspruch auf eine definitive Gestalt erheben. Auch dies steht dem hier versuch-

66 | Modi: Grundannahmen, begriffliche Festlegungen

ten Ansatz einer Ontologie mit Modi nicht entgegen, gerade wenn diese, in dem in Abschnitt I - 2.1 dargelegten Sinne, als intuitiv abgesicherte Theorie der Grundstrukturen unserer Makrowelt ausgefaltet werden soll. Der letzte, jetzt noch nicht berücksichtigte Aspekt ist die als Abhebungsmerkmal zur revisionären Ontologie postulierte Charakterisierung deskriptiver Ontologie: Die Ontologie integriert einzelwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse („dKT3“). Eine Voraussetzung, dass der Begriff „Modus“ in diesem Sinne als integrativer Begriff aufgefasst werden kann, ist, dass er als Bestandteil einer allgemeinen, sprich einer nicht durch die methodische oder Interessensperspektive einer Einzelwissenschaft bestimmten Theorie gelten mag. Das ist wohl der Fall. In der vorliegenden ontologischen Untersuchung geht es um Modi als solche und ihren ‚Ort‘ im Kontext eines Systems der Grundelemente der Wirklichkeit. Dass Modi beispielsweise abhängige Entitäten sind, die Dinge in Zustände bringen, lässt sich nicht auf psychologische, biologische oder auch physikalische Gegebenheiten im Kontext einzelwissenschaftlicher Theorien beschränken. Dass aber z.B. Bestimmungen von Organismen, die unter biologischer Rücksicht forschungsrelevant sind, in eine allgemeine Theorie der Modi eingebracht und durch diese dann auch erläutert bzw. in Zusammenhang mit anderen einzelwissenschaftlichen Zugangsweisen gebracht werden können, ist durchaus, um es vorsichtig zu sagen, vorgesehen. Damit wäre eine zweite Voraussetzung für die integrative Funktion eines Begriffes erfüllt. Darzulegen, wie eine solche Integration geschehen, v.a. auch welchen theoretischen Nutzen das für eine Ontologie der Modi haben kann, würde den Bereich eines einführenden Teils überschreiten. Halten wir fest, dass eine Ontologie mit Dingen, Modi und, um das auch noch zu ergänzen, Zuständen und Ereignissen, gute Chancen hat, als Theorie der Grundstrukturen der alltäglichen Makrowelt etabliert zu werden.

| II

Modi: ontologische Grundzüge

Modi sind partikulare Bestimmungen von Dingen. Sie hängen in ihrer Existenz strikt von anderen Entitäten ab. Modi sind Kraftzentren („powers“) und bedingen die kausale Relevanz jener Entitäten, von denen sie in ihrer Existenz abhängen. Diese ontologischen Grundzüge von Modi wurden im ersten Hauptteil angesprochen und sollen nun in diesem zweiten Hauptteil ein Stück weit entfaltet werden. Den Anfang mache ich mit dem kategorialen Status der Modi. Modi sind partikulare Entitäten und kommen damit in grundlegenden ontologischen Merkmalen (siehe I - 1.1.1) mit Dingen, aber auch mit Ereignissen bzw. Zuständen überein. Modi unterscheiden sich jedoch in manchen Merkmalen derart stark von den anderen Partikularien, dass sie in diesem Bereich eine kategoriale Eigenstellung einnehmen (II - 1 bzw. II - 4.1). Dann untersuche ich die besagte Existenzabhängigkeit der Modi, sowohl in Hinblick auf ihr Verhältnis zu Dingen als auch relativ zu Ereignissen bzw. Zuständen. Ebenso wird die Frage, inwieweit auch die anderen partikularen Entitäten in irgendeiner Weise von den Modi abhängen, hier anzugehen sein (II - 2). Im dritten Abschnitt dieses Hauptteiles (II - 3) geht es um das Charakteristikum von Modi als Kraftzentren. Dabei kann es nicht um eine umfassende Kausaltheorie gehen. Im Rahmen dieses Abschnittes, ja, um es gleich vorwegzunehmen, auch des gesamten Buches wird Kausalität (nur) insofern eine Rolle spielen, als jener Raum möglicher Kausaltheorien umrissen wird, der sich aus der vorzulegenden Ontologie der Modi ergibt. Eine Untersuchung der Alltagsontologie-Tauglichkeit (II - 4.2) der vorgebrachten Thesen wird auch diesen zweiten Hauptteil zusammenfassend beschließen.

1 Modi als partikulare Entitäten Dass Modi als partikulare Entitäten aufgefasst werden, macht es erforderlich anzugeben, was der Begriff „Entität“ im Hinblick auf Bestimmungen von Dingen besagen mag (1.1). Natürlich auch, wie die Partikularität von Modi im Vergleich zu anderen Partikularien zu verstehen ist (1.2).

1.1 Modi sind Entitäten (1) Im ersten Hauptteil (I - 1.1, Einleitung) habe ich den Begriff „Entität“ eingeführt. Er steht für Grundelemente der Wirklichkeit. Eine Möglichkeit, einem Element den Status eines Grundelements der Wirklichkeit zuzusprechen, ist der Aufweis einer Funktion, die im Kontext einer ontologischen Analyse nicht von anderen Elementen übernommen werden kann. In diesem Buch wird eine deskriptive oder Alltagsontologie anvisiert. Unter der Wirklichkeit, deren Grundstrukturen zu analysieren sind, wird also unsere alltägliche Welt oder Lebenswelt zu verstehen sein. Was aber, so können wir uns fragen, zeichnet die Grundstrukturen unserer Lebenswelt aus? Wie auch immer wir diese Frage im Detail beantworten, so scheint es doch klar, dass es keine alltägliche Lebenswelt geben kann, die nicht räumlich und zeitlich strukturiert wäre. Das heißt nicht, dass damit behauptet würde, unsere Welt sei durch ihre räumliche und zeitliche Extension in hinreichender Weise erfasst. Aber ohne ein Verstehen von Raum und Zeit wird es keine vollständige ontologische Deutung unserer alltäglichen Lebenswelt geben. Nehmen wir an, es gäbe ein Element, dessen Annahme zeitliche Verhältnisse erklärt, und zwar so, dass ohne dieses Element überhaupt keine plausible Theorie zeitlicher Verhältnisse erzielt werden könnte, weil die Funktion jenes Elements bei der Konstitution von Zeit bzw. von zeitlichen Verhältnissen keinen anderen Elementen zugeschrieben werden kann. Dann hätten wir einen guten, m.E. sogar hinreichenden Grund, dieses Element als ein Grundelement der zeitlich verfassten Wirklichkeit zu begreifen, technisch gesprochen, als eine Entität. Im ersten Hauptteil (v.a. I - 1.3) wurde bereits angesprochen, dass es solche Elemente gibt, deren Entitätenstatus auf diese Weise verteidigt werden kann: Ereignisse und Zustände. Ohne das an dieser Stelle nochmals aufrollen zu wollen, meine ich doch, dass Ereignissen bzw. Zuständen für die Konstitution von zeitlichen Verhältnissen eine solche unverzichtbare Funktion zukommt. Unser Thema aber sind Modi. Können wir auch für Modi eine Funktion angeben, welche für die ontologische Erklärung der Alltagswelt unverzichtbar ist?

Modi sind Entitäten | 71

Ich denke, das können wir, wenn wir annehmen, dass unsere alltägliche Lebenswelt nicht nur eine räumlich und zeitlich verfasste ist, sondern auch eine, die sich durch mannigfaltige Kausalverhältnisse auszeichnet. Ursachen und Wirkungen gehören wesentlich zur Alltagswelt. Versteht man Modi nun als Kraftzentren oder kurz Kräfte (engl.: powers), Kausalität aber so, dass sie durch Kräfte konstituiert ist, dann wird man Kausalität aus Modi nicht nur plausibel ontologisch erklären können, sondern auch zur Annahme kommen, dass Modi für die Konstitution von Kausalität unverzichtbar sind. In Analogie zu Ereignissen kann so auch für Modi ihr Status von Entitäten nachvollziehbar gemacht werden. U.a. Jonathan Lowe ist diesen Weg gegangen, um die ontologische Unverzichtbarkeit von Modi zu erweisen und ihnen den Status von Entitäten einer eigenen Kategorie zu sichern.1 Modi sind für ihn notwendig für das Verstehen von Kausalität. Lowe verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Phänomen der Wahrnehmung (engl.: perception). Wahrnehmung ist für ihn ein Sonderfall kausalen Geschehens, insofern die Wahrnehmung eines Objekts durch eine/n BetrachterIn auf einer kausalen Beziehung zwischen diesem Objekt und dem Rezeptionsapparat der/s BetrachterIn beruht. „… perception necessarily involves a causal relation between the perceiver and what is perceived.“2 Die Modi des Objekts sind aber nun die maßgeblichen Instanzen, dass das Objekt in eine solche Beziehung eintreten kann. Genau genommen werden die Modi wahrgenommen. Das Objekt schon auch, aber nur, insofern es durch die Modi bestimmt ist. Modi sind somit unverzichtbar für dieses wie auch für alle anderen kausalen Phänomene. Trotz der Unterstützung durch Lowe (und wohl auch durch andere) muss freilich eingestanden werden, dass die Annahme von Modi als unverzichtbaren Konstituenten von Kausalverhältnissen, somit diese Verteidigung ihres Status als Entitäten, auf einer Reihe von Voraussetzungen beruht. Da ist zunächst die Voraussetzung, dass man Kausalität tatsächlich als auf Kräfte zurückgehend versteht. Dieser Punkt soll an dieser Stelle zurückgestellt, aber schon im übernächsten Abschnitt (II - 3) weitergeführt werden. Eine weitere Voraussetzung ist freilich, dass es keine anderen Elemente gibt, welche jene Funktion im Kontext einer ontologischen Kausaltheorie übernehmen könnten, die hier den Modi zugesprochen wird. Damit werde ich mich sofort, im Unterabschnitt (2), auseinandersetzen, ebenso wie mit einem dritten Punkt, nämlich der Frage nach dem

|| 1 Ich beziehe mich dabei u.a. auf Lowe 2007, 23 bzw. 98. 2 Ebd., 23. In Lowe 2011 bestätigt der Autor seine Auffassung.

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hier in Anschlag gebrachten Kriterium für den Entitätenstatus. Unter (3) werde ich versuchen, es zu explizieren. (2) Die anvisierte Begründung der Annahme von Modi als Entitäten wäre dann hinfällig, wenn andere Elemente die genannte Funktion im Rahmen einer Kausalanalyse erfüllten. Dann hätten diese anderen Elemente die ontologische Relevanz für die Konstitution von Kausalität. Auf dem Wege der Analyse von Kausalität und ihren Bedingungen könnte man den Entitätenstatus von Modi nicht erreichen. Einer der bedeutendsten Autoren, die einen Vorschlag in diese Richtung unterbreitet haben, ist Donald Davidson. Für Davidson übernehmen Ereignisse die Rolle der Konstituenten des kausalen Netzes der Wirklichkeit. Ereignisse sind die Kausalrelata. Davidson hat diese These in einem strikten Sinn verstanden: Seines Erachtens gilt nicht nur, dass Ereignisse Relata im Kausalgefüge sind, sondern auch, dass (alle) Relata im Kausalgefüge Ereignisse sind.3 Was kausal wirkt, sind Ereignisse und nur Ereignisse, nicht Dinge, nicht (irgendwelche) Eigenschaften (also auch keine Modi!), auch nicht Zustände. Im Kontext von Davidsons Ontologie von Ereignissen ist diese These zentral: Für ihn gilt ja, dass Ereignisse Partikularien sind, die durch keinerlei inhaltliche Charakterisierungen in ihrer ontologischen Konstitution betroffen sind. Alle inhaltlichen Merkmale von Ereignissen sind auf der sprachlichen oder Beschreibungsebene angesiedelt. Somit bleiben die Anführung ihrer Funktion als Kausalrelata bzw. ihrer kausalen Rolle die einzig möglichen Antworten auf die Fragen, was Ereignisse sind, bzw. was ein Ereignis von allen anderen unterscheidet. Eine mögliche Entgegnung wider Davidson kann dabei ansetzen, dass gerade darin, nämlich in der kausalen Ereignis-Individuation, immer wieder eine Schwäche seiner Theorie gesehen wurde.4 Unabhängig davon erachte ich es als schwerwiegendes Problem von Davidsons Ereignis-Kausalitäts-Konzept, dass man sich damit die Möglichkeit verbaut, auch andere Formen von Kausalität in den Blick zu bekommen. Ich meine damit nicht nur die eigentümliche kausale Funktion von Zuständen. Auch jene grundlegend von der Ereignis-Kausalität verschiedene Wirksamkeit von Dingen, strebenden Lebewesen und handelnden Personen kategorial eingeschlossen, kann mit Davidsons ontologischem Rahmen nicht erklärt werden.5 Anders ist das, wenn man Modi, als Kraftzentren, als

|| 3 Vgl. Davidson 1980, 161. 4 Vgl. dazu u.a. Quine 1985. 5 Insbesondere die kausale Wirksamkeit von Handelnden ist unter dem Titel einer agentcausation in der Literatur etabliert. Vgl. dazu u.a. Runggaldier 1996, 144–153.

Modi sind Entitäten | 73

Konstituenten von Kausalverhältnissen annimmt. Modi kann man sowohl als Komponenten von Zuständen verstehen als auch von Ereignissen. Modi sind vor allem auch Bestimmungen von Dingen. Gelten nun Modi als kausal wirksame Kraftzentren, kann man ihre kausale Wirksamkeit, relativ zu ihren verschiedenen Bestimmungs- bzw. Kompositionsverhältnissen im Hinblick auf andere Entitäten, differenzierend betrachten.6 Ein Modus, der den individuellen Formaspekt eines Lebewesens betrifft (im Sinne von BF3, siehe I - 3.1 (3)), wird in seiner Wirksamkeit anders zu verstehen sein als ein Modus, der einen Zustand komponiert, und wieder anders als einer, der zur inneren Struktur eines Ereignisses gehört. Das schließt nicht aus, dass man Ereignisse als Kausalrelata auffassen kann. Ganz im Gegenteil. Es erklärt, warum Ereignisse Kausalrelata sind: weil nämlich einer ihrer Komponenten Modi, also Kräfte, sind. Und es erklärt, inwiefern die Rede von ereignishaften Kausalrelata zu unterscheiden ist von jener über dinghafte Wirkzentren sämtlicher Genera: Kräfte, also Modi, spielen im Verhältnis zu Dingen eine andere Rolle als im Verhältnis zu Ereignissen. Modi komponieren Zustände wohl auch anders als Ereignisse. Somit werden sie, als Kräfte verstanden, um den springenden Punkt zu wiederholen, im Kontext von Zuständen wohl eine andere Rolle spielen als im Verbund mit Ereignissen. Dass Davidson die Rolle von Ereignissen als Kausalrelata unerklärt lässt, geht Hand in Hand mit der schon erwähnten Tendenz, Ereignisse als merkmalslos7, in ihrer inneren Struktur unanalysiert, letztlich als „bare“ aufzufassen. Auch dies ist ein Kritikpunkt, dem die hier anvisierte Theorie nicht ausgesetzt ist. Diese Überlegungen sind nur bedingt ein Argument gegen Davidson: nämlich nur dann, wenn die Differenzierung zwischen der kausalen Wirksamkeit von Dingen, Zuständen und Ereignissen ein Desiderat ist;8 bzw. dann, wenn man Ereignis-Kausalität als Explanandum ansieht. Dann aber ist es ein Argument für eine Modi-Konzeption als Gegenstück zu einer Ereignis-Kausalitäts-Konzeption, somit für Modi als unverzichtbaren Konstituenten von Kausalität. || 6 Diese Überlegung wird im folgenden Abschnitt II - 3.3 ausführlich ausgefaltet, auch unter kritischer Abhebung von Davidson (II - 3.2.4). 7 Vgl. u.a. die Kritik daran in Brüntrup 1994, 63, die darauf hinausläuft, dass so Ereignisse im Allgemeinen und im Besonderen ihre Funktion als Kausalrelata „dem epistemischen Zugriff und letztlich der Intelligibilität“ entzogen sind. 8 U.a. alle Argumentationslinien für eine eigene Ding-Kausalität bzw. agent-causation sprechen für dieses Desiderat. Dazu u.a. Castellani & Quitterer 2007, wo auch weiterführende Literatur zu finden ist.

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(3) Zur Annahme des Entitätenstatus von Modi wurde das Kriterium in Anschlag gebracht, dass der Aufweis einer Funktion, die im Kontext einer ontologischen Analyse nicht von anderen Elementen übernommen werden kann, diesen Status gewährleistet. Die Erfüllung dieses ‚Unverzichtbarkeits-Kriteriums‘ impliziert zunächst die Irreduzibilität betroffener Elemente. Die Reduzibilität von etwas auf irgendwelche Basisentitäten (im Sinne von I - 1.1, Einführung) schließt nämlich aus, dass dieses Etwas eine unverzichtbare Funktion in einer ontologischen Analyse hat. In Ermangelung von Basisentitäten-Kandidaten für die Reduktion von Modi, darf diese Irreduzibilität für sie angenommen werden. Ebenso verlangt das Kriterium die Alternativlosigkeit der betroffenen Elemente. Hier gibt es Konkurrenz für Modi, die im letzten Abschnitt im Hinblick auf ihre Funktion als Grundlage der Kausalität erörtert wurde. Außerdem muss die im Kriterium gemeinte unverzichtbare Funktion eine ontologische sein. Damit ist angesprochen, dass irgendwelche anderen theoretischen Funktionen in diesem Zusammenhang nicht ausschlaggebend sind.9 Die besagte Funktion muss im Kontext einer Erklärung der Grundstrukturen, in unserem Fall der alltäglichen Lebenswelt, unverzichtbar sein. Auch dieser Gesichtspunkt wurde schon genannt. Kausalität und die Funktion der Modi dafür sind in diesem Sinne ontologisch. Das sei hier auch deshalb nochmals angeführt, um die Modi gegenüber „pseudo-additions“ im Sinne Campbells10 abzugrenzen. „Pseudo-additions“ haben nämlich irgendwelche theoretischen Funktionen, um ihrer vollständigen Eliminierung zu entgehen. Einen weiteren Aspekt markiert die Frage, ob es sich bei diesem Kriterium für den Entitätenstatus eines Elements um ein hinreichendes, oder doch (nur) um ein notwendiges handelt? Wenn (nur) notwendig, müsste darüber hinaus noch geklärt werden, ob trotz der Erfüllung dieses Kriteriums nicht doch noch etwas fehlt. Muss dann nicht noch ein weiteres Kriterium für den Entitätenstatus vorgebracht werden? Eine Reihe von AutorInnen hat in diesem Zusammenhang die Angabe einer Identitätsbedingung angeführt, auch für EntitätenKandidaten im Eigenschafts-Themenfeld.

|| 9 Auch das ist geeignet, die hier vorgebrachte Theorie von jener Davidsons zu unterscheiden. Davidson führt Ereignisse als Entitäten ein, weil sie eine unverzichtbare semantische Funktion haben, und zwar für die Angabe von Wahrheitsbedingungen von Ereignissätzen (vgl. u.a. ders. 1980, 144). Analoges ließe sich sagen bzgl. der Wahrmacher-Funktion als Argument für den Entitätenstatus von etwas, etwa von Sachverhalten (vgl. Hofmann 2008, 5. Kapitel). 10 Vgl. I - 2.2.3 (2), FN 18.

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Ich möchte mich hier nicht auf den Streit einlassen, ob dieses ‚Identitätsbedingungs-Kriterium‘ im Allgemeinen und im Besonderen für unsere Modi wirklich greift.11 Ich wähle den Weg der Zurückhaltung in diesem Konflikt und betrachte das hier gebotene Unverzichtbarkeits-Kriterium, wie eingangs dieses Abschnitts angedeutet, als hinreichendes Kriterium für den Entitätenstatus von etwas.12 Angesichts seiner Einführung in den vorhergehenden Abschnitten scheint mir das auch legitim zu sein: Ist etwas ein irreduzibles und alternativloses Element im Hinblick auf eine unverzichtbare Funktion in der ontologischen Analyse der Welt, darf (schon) daraus sein Entitätenstatus folgen. Ich fasse zusammen: Erfüllen Modi das Unverzichtbarkeits-Kriterium, sind sie irreduzibel und im Hinblick auf eine bestimmte ontologische Funktion (in unserem Fall die Erklärung kausaler Verhältnisse in unserer Alltagswelt) alternativlos. Ihre Annahme vermehrte die Anzahl der Kategorien nicht „praeter necessitatem“, um auch noch Ockham zu strapazieren. Modi sind dann Grundelemente der Makrowelt: Entitäten einer Alltagsontologie. Dass Modi das besagte Kriterium erfüllen, wird hier angenommen, anfänglich verteidigt, und in einem späteren Abschnitt, II - 3.3: Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse, noch weiter ausgeführt.

1.2 Modi sind Partikularien Als Entitäten sind die Modi zu den Partikularien zu zählen. Die nun folgende Charakterisierung der Partikularität von Modi erfolgt im Vergleich mit anderen Partikularien, sowohl unter der Rücksicht der Übereinstimmung in ontologi-

|| 11 Dafür: klassisch Quines „Was es gibt“; siehe dazu: verwendete Ausgabe (Quine 1979), 11; ders. 1960, sections 42f. Aber auch Lowe, insofern er Existenz strikt an Identität bindet (u.a. Lowe 1989, 57; ders. 1998, 137f). Dagegen: u.a. Terence Parsons in seinem „Entities without Identity“, hier: Parsons 1987, auch Michael Jubien, vgl. sein „The Myth of Identity Conditions“, hier: Jubien 1996. 12 Damit kann das vorgebrachte Unverzichtbarkeits-Kriterium nicht im Kontext von Argumenten der ‚explanatorischen Unfähigkeit‘ (engl.: explanatory inability) verwendet werden. Letzteres besagt „the rejection of X as a metaphysical fact if X does not explain anything“ (Persson 2011, 166; wo dieses Argument genauer analysiert wird). Hier geht es nicht um die Argumentation für die Leugnung des Entitätenstatus, sondern ausschließlich um einen Erweis für denselben. M.a.W. kann daraus, dass man für ein „metaphysical fact“ nach unserem Kriterium keinen Erweis für seinen Entitätenstatus erbringen kann, auch nicht das Gegenteil, seine „rejection“, gefolgert werden.

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schen Merkmalen (1.2.1) als auch unter der Rücksicht ihrer Eigentümlichkeit (1.2.2).

1.2.1 Gemeinsamkeiten zwischen Modi und den anderen Partikularien (1) Wie alle anderen Partikularien auch sind Modi durch ihre Individualität gekennzeichnet.13 Modi sind Individuen („individuals“). Diese Bestimmung setzt Modi in Gegensatz zu allgemeinen oder universalen Entitäten. Inhaltlich erläutern kann man diesen Aspekt dadurch, dass Modi einmalig und unwiederholbar sind. Einmalig zu sein heißt, nicht zu ein und demselben Zeitpunkt an verschiedenen Stellen im Raum, unwiederholbar aber, nicht als dasselbe wiederholt, d.h. zu verschiedenen Zeiten, vorkommen zu können. Das Dasein eines Modus erschöpft sich in genau einem Vorkommnis. Universalien gehen, im Unterschied zu Partikularien, nicht in einer Realisierung auf. Ein Universale ist ein unum in multum. Universalien sind instanziierbar, Modi nicht. Diese Röte der Kugel zum Beispiel ist einmalig. Die Röte dieser anderen Kugel ist ein anderer Modus. Sind die beiden Modi qualitativ identisch, kann man sie im Sinne von BF2 (siehe I - 3.1 (2)) auch als gleich bezeichnen. Das Faktum der Gleichheit wurde an jener Stelle als basal ausgewiesen. Wenn dem so ist, muss bzw. kann Gleichheit nicht auf eine vorhergehende Relation zurückgeführt werden. Die Kugeln aber wären unter der Rücksicht ihrer Farbe als ähnliche Kugeln zu bezeichnen. Diese Röte unserer Kugel aber ist unwiederholbar. Bemale ich die rote Kugel grün, später aber wieder rot, so ist die Rot-Bestimmung vor der Grünübermalung ein anderer Modus als jener nach der Prozedur. Das ist keine willkürliche Setzung, sondern ergibt sich aus dem Erfordernis der numerischen Unterscheidbarkeit von Modi überhaupt. Behaupteten wir nämlich die Identität der beiden zeitlich versetzten Modi unserer Kugel, hätten wir wohl auch keine Handhabe, die Identität aller anderen gleichen Rot-Modi zu negieren. Gleichheit fiele zurück in Identität.14 Dieses Problem setzte sich fort auf der Ebene der Zustände und auch der Ereignisse, wenn man bedenkt, dass Modi Zustände und

|| 13 Vgl. dazu die Einführung der Partikularität der Dinge im Abschnitt I - 1.1.1. 14 Bei Modi erzeugte das ein besonderes Problem. Modi sind nämlich Kräfte. Für Kräfte muss aber unterschiedliche kausale Relevanz hinreichend sein für numerische Distinktheit. Gleiche Modi (z.B. zeitlich versetzte Rot-Modi eines Dinges) haben aber verschiedene kausale Kontexte. Also wäre es verheerend, (diese) gleiche(n) Modi als numerisch identisch aufzufassen.

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Ereignisse komponieren und die Verschiedenheit der Zustände und Ereignisse (zumindest jene derselben Dinge) an der Verschiedenheit der Modi hängt. Schließlich besagt die Individualität der Modi, dass sie, als NichtUniversalien, auch nicht instanziierbar sind. Das Dasein dieser Rot-Bestimmung unserer Kugel erschöpft sich in diesem einen Vorkommnis. Es ist kein unum in multum. Natürlich kann es vorkommen, dass Modi äußerst großflächig auftreten, unter Umständen auch so weitläufig, dass sich die Frage stellen mag, ob dann nicht derselbe Modus in unterschiedlichen Instanzen vorkommt. Ich denke, dass wir diese Rede vermeiden können, entweder durch die Annahme räumlicher Teile von Bestimmungen von Dingen oder aber durch die Vervielfachung der Modi. Ich bin mir bewusst, dass die Wahl jeder dieser Alternativen wiederum hinterfragt werden kann. Dennoch, und daran möchte ich festhalten, ist dieses Problem keines, das uns nötigt, auf Instanzen von Modi zu rekurrieren. (2) Die Partikularität von Modi besagt außerdem ihre Konkretheit. Konkretheit aber meint die räumliche und zeitliche Verfasstheit von Entitäten, sodass man Modi schlicht auch als räumliche und zeitliche Bestimmungen von Dingen verstehen kann. Wir haben im ersten Hauptteil gesehen, dass die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit von Partikularien unterschiedlich zu interpretieren ist. So war bei Dingen davon die Rede, dass sie zwar, als Partikularien, räumliche und zeitliche Entitäten sind. Als dreidimensionale Partikularien aber kommt ihnen nur ihre Räumlichkeit wesentlich oder per se zu, ihre Zeitlichkeit, die sie von Ereignissen und Zuständen entlehnen, aber äußerlich.15 Somit sind sie unter einer äußerlichen oder akzidentellen Rücksicht von Ereignissen und Zuständen abhängig. Bei Ereignissen und Zuständen ist das anders. Ereignissen und Zuständen kommt sowohl ihre Räumlichkeit als auch ihre Zeitlichkeit wesentlich zu. Das besagt ihre Vierdimensionalität. Da sie ihre Räumlichkeit aber von Dingen entlehnen, sind sie in einem wesentlichen oder substantiellen Aspekt von Dingen abhängig. Wie aber ist das nun bei Modi? Zeitliche Verhältnisse werden von Ereignissen und Zuständen konstituiert, räumliche Verhältnisse von Dingen. Modi aber können die sie auszeichnenden ontologischen Funktionen nicht erfüllen, ohne dass sie an sich oder per se räumlich und zeitlich verfasst sind. Gemeint ist hier ihre Funktion im Kontext der Konstitution von kausalen Verhältnissen, ihr Sta-

|| 15 Vgl. I - 1.1.2. In Kanzian 2009, u.a. 52f, FN 45, habe ich den Bezug zur Zeit auch als „Proprium“ von Dingen genannt: Die Zeitlichkeit ist ein definitorisches Merkmal, ohne dass die zeitliche Erstreckung zum Wesen von Dingen gehört.

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tus als Kräfte. Kräfte sind wesentlich im Raum und in der Zeit, auch wenn sie nicht auf rein extensionale Verhältnisse reduziert werden können. Kräfte sind räumlich, ebenso wie zeitlich ausgedehnt, und weisen somit räumliche und zeitliche Teile auf. Modi sind somit, als Kräfte verstanden, vierdimensional. Sonst könnten sie nicht wirken bzw. wir könnten ihre Wirksamkeit nicht verstehen. Also müssen Modi wesentliche Aspekte ihrer ontologischen ‚Substanz‘ von den anderen Partikularien entlehnen. Sie sind auf vielfältige Weise als abhängige Entitäten zu bestimmen. Dieser Aspekt der ontologischen Abhängigkeit der Modi sowohl von Dingen als auch von Ereignissen bzw. Zuständen wird noch weiter entfaltet werden. Hier geht es um ihre Konkretheit, ihre Zugehörigkeit zu den Partikularien. Eine andere Ebene der Erläuterung der Konkretheit von Modi ist, ob sie in Gegensatz zu Abstraktheit zu verstehen ist. Folgt m.a.W. aus der raum-zeitlichen Verfasstheit der Modi, dass diese nicht-abstrakte Entitäten sind? Standardmäßige Interpretationen von „abstrakt“ unterstützen eine positive Antwort auf diese Frage. So spricht Wolfgang Künne davon, dass „kein abstrakter Gegenstand … wahrnehmbar [ist], keiner vermag, Wirkungen hervorzurufen“16. Modi aber sind nicht nur wahrnehmbar, sondern, wenn wir Lowe u.a. folgen, sogar die Gründe für die Wahrnehmbarkeit ihrer selbst, von Dingen, vermutlich auch von allem anderen Wahrnehmbaren. Und Modi sind nicht nur wirksam, sondern ontologische Basis allen Kausalgeschehens. Somit fallen sie beim Künne-Test für Abstrakta klar durch. Inwieweit man nun einen Gegensatz zwischen konkret und abstrakt nach Künnes Bedingungen formal herleiten kann, sei dahingestellt.17 Jedenfalls ist die raum-zeitliche Verfasstheit, also Konkretheit, insofern sie bei den Modi notwendig ist für Wahrnehmbarkeit und Wirksamkeit, maßgeblich für ihren Status als Künnesche Nicht-Abstrakta. Es gibt jedoch noch andere Verständnisweisen von „abstrakt“. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Terminologie mancher TropistInnen verweisen. Keith Campbell etwa bezeichnet diese Farbe der Erbse oder diese Temperatur des Drahtes, allesamt erstklassige Beispiele für das, was wir hier Modi nennen, als „abstrakt“.18 Und zwar unter der Rücksicht, dass „… they … occur in conjuction [sic!] with many other instances of qualities (all the other features of the pea, the piece of wire …), and that, therefore, they can be brought before the

|| 16 Vgl. Künne 1980, 93. An dieser Stelle werden Unzeitlichkeit und rein begriffliche Identifizierbarkeit übrigens als hinreichende Bedingungen für Abstraktheit angeführt. 17 Das hängt auch von der Abwägung der anderen von Künne genannten Bedingungen, siehe vorhergehende Fußnote, ab. 18 Campbell 1990, 2ff.

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mind only by a process of selection … of these other qualities …“19. Diesen „Prozess der Selektion“ aber, der darin besteht, dass wir beim Begreifen eines Modus von vielen anderen Modi absehen, kann man mit Campbell auch „Abstraktion“ nennen. Also sind Modi insofern abstrakt, als der Bezug auf sie stets die gedankliche Leistung einer Absehung von anderen Modi erfordert.20 Ein weiterer Gesichtspunkt, unter dem man mit Campbell die Abstraktheit von Modi verstehen kann, ist, dass sie, als konkrete Entitäten, im Unterschied etwa zu Dingen, ihre räumliche Position nicht exklusiv haben.21 Die Röte der Kugel kommt wohl am selben Ort vor wie ihre Oberflächenbeschaffenheit, ihre Gestalt etc., allesamt numerisch von der Röte distinkte Modi. Bei Dingen ist das etwas anderes. Ein Ding kann (gleichzeitig22) nicht am selben Ort sein wie ein anderes, zumindest wenn man „Ding“ technisch einführt, wie das hier geschehen ist. Wollen wir also einzelne Bestimmungen von Dingen begreifen, müssen wir diese stets von anderen gedanklich ‚abziehen‘, eben abstrahieren. Wir können nicht unberücksichtigt lassen, dass sie ihren Ort nicht exklusiv haben.23 Berücksichtigt man die Eigenart der Räumlichkeit und Zeitlichkeit von Modi, könnten wir, nunmehr über Campbell hinausgehend, (ihre) Abstraktheit auch so verstehen, dass sie, als räumliche und zeitliche Entitäten, sowohl ihre Räumlichkeit als auch ihre Zeitlichkeit von anderen Entitäten entlehnen. So gesehen, könnte man „abstrakt“ auch als „hinsichtlich Räumlichkeit und Zeitlichkeit von anderen abhängig“ auffassen. Damit wären Modi, nicht aber Dinge, Ereignisse und Zustände abstrakt. Ausgeschlossen wird nicht, dass es neben Modi noch andere Abstrakta gibt; möglicherweise gibt es sogar solche, für die

|| 19 Ebd., 3. [Hervorhebung Campbell] 20 Dieses Verständnis von „abstrakt“ findet sich durchaus auch in nicht-tropistischen Theorien. Vgl. u.a. Sala 2009, 266: „Die Eigenschaft eines Dinges ist also ein Aspekt desselben Dinges, der abstrakt, d.h. abgesehen von anderen Aspekten … betrachtet und verstanden wird.“ 21 Campbell 1990, 3. Bei den Modi gilt, dass sie auch mit anderen Modi ihre räumliche Position teilen. Es besteht also Nicht-Exklusivität relativ zu Entitäten derselben Kategorie. Da TropistInnen nur eine Kategorie annehmen, muss das bei ihnen nicht dazugesagt werden, sehr wohl jedoch, dass diese Nicht-Exklusivität des Raumes eine ist, die synchron, d.h. zu einem bestimmten Zeitpunkt, gilt. 22 Siehe vorhergehende Fußnote. 23 Das ist, nebenbei bemerkt, keine ontologische Sensation. Auch von anderen Entitäten sagt man dies aus. Wenn man die Co-Lokalität von Ereignissen beiseite lassen möchte, könnte man auch auf Grenzen (engl.: boundaries) verweisen, welche dieses hier angenommene Charakteristikum mit den Modi teilen. Vgl. u.a. Chisholm 1996, 89ff.

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Räumlichkeit und Zeitlichkeit nicht so wesentlich sind wie für Modi. Bei diesen wäre somit diese Abhängigkeit, wenn überhaupt, dann nur eine ‚akzidentelle‘. Diese Thesen machen einen weder zum Leugner von Modi noch zum Tropisten. Man kann Modi als reale und außergedanklich existierende abstrakte Partikularien verstehen, ohne die Tropisten charakterisierende ontologische These übernehmen zu müssen, dass es sich dabei um die einzige Art oder Kategorie von Entitäten handelt. Mein Punkt ist jedenfalls, dass man im Hinblick auf eine Ontologie der Modi vorsichtig sein möge, die Termini „konkret“ und „abstrakt“ als konträre, ja kontradiktorische Gegensätze aufzufassen. (3) Die dritte standardmäßig angenommene Charakterisierung von Partikularien aber ist, dass diese nicht ausgesagt werden können. Das ergibt sich im Grunde aus ihrem Status als Individuen, wird aber immer wieder eigens herausgestrichen.24 Dieser Punkt aber mag bei Modi fragwürdig sein, zumindest auf den ersten Blick. Sage ich nicht dieses Rot von der Kugel aus, wenn ich behaupte „Diese Kugel ist rot.“? Um diesem Einwand zu entgegnen, bedarf es ein wenig Prädikationstheorie: Grundlegend scheint mir die Unterscheidung zu sein zwischen dem Enthalten-Sein-in bzw. Bestimmt-Sein-durch, welches in unserem Zusammenhang durch BF1 (I - 3.1 (1)) erläutert wird, und einem Ausgesagt-Werden-von bzw. Unter-etwas-Fallen-von.25 Ersteres besagt ein (basales) Verhältnis zwischen Partikularien. In diesem Sinn ist diese Röte in der Kugel enthalten bzw. wird diese Kugel durch diese Röte bestimmt oder modifiziert. Letzteres ist jedoch das Verhältnis von etwas Allgemeinem, einem Allgemeinbegriff, und einem Individuum. So gesehen sage ich den Begriff „rot“ von der Kugel aus bzw. behaupte ich, dass die Kugel unter den Begriff „rot“ fällt. Man kann also „Die Kugel ist rot.“ so verstehen, dass damit ein Allgemeinbegriff von einem Partikulare ausgesagt und damit behauptet wird, dass ein Partikulare durch ein anderes bestimmt ist. Damit heben wir nicht nur Bestimmen-von und Ausgesagt-Werden-von voneinander ab, sondern unterscheiden auch zwischen dem ausgesagten Ausdruck, als einem sprachlichen Mittel, und dem durch das Ausgesagte Behaupte-

|| 24 Bzgl. Dingen, siehe I - 1.1.1. Dazu, dass alle Partikularien, also auch nicht-dingliche, nicht ausgesagt werden können, siehe u.a. Allaire 1998, 263. 25 Dass diese Unterscheidung sachlich berechtigt ist und historisch gesehen auf die aristotelische Kategorienschrift zurückgeführt werden kann, hat u.a. Christoph Rapp dargelegt. Vgl. Rapp 2005, 152f.

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te, also einem ontologischen Faktum.26 Ersteres bringt Allgemeines ins Spiel, nämlich Allgemeinbegriffe. Um Letzteres zu verstehen, kommen wir mit Individuellem oder Partikularem aus. Wir können also an der Nicht-Aussagbarkeit individueller Modi festhalten, wenn, ja wenn wir besagten Unterscheidungen näher treten wollen. Da eine Vertiefung an dieser Stelle einen rahmensprengenden Exkurs in die Semantik erforderte, möchte ich dies unterlassen, bei der Ontologie bleiben und Modi als Partikularien annehmen, die mit den anderen durch ihre Individualität, durch ihre räumliche und zeitliche Verfasstheit und eben ihre Nicht-Aussagbarkeit übereinkommen. Damit kommen wir zum zweiten Schritt einer Charakterisierung der Partikularität von Modi:

1.2.2 Unterschiede zwischen Modi und den anderen Partikularien Unter diesen Punkt fallen Unterschiede, die sich aus dem bereits Gesagten ergeben bzw. sich unmittelbar daraus ableiten lassen, und solche Differenzen, für die das nicht gilt. Zu den ersteren gehören die Eigenart der Räumlichkeit und der Zeitlichkeit der Modi (1) sowie ihre Abstraktheit (2), zu den letzteren aber ihre nicht-komplexe innere Struktur (3) und die Weise, wie sie höheren ‚Genera‘ angehören, sozusagen der sortale Aspekt (4). Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Modi und anderen Partikularien besteht in der Weise ihrer Existenzabhängigkeit. Diesem Aspekt soll ein eigener Abschnitt (II - 2) gewidmet sein. (1) Modi sind vierdimensionale Entitäten. Es ist ihnen wesentlich, in drei Dimensionen räumlich und zusätzlich dazu zeitlich ausgedehnt zu sein. Dieses Zukommen einer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung besagt, dass sie sowohl räumliche als auch zeitliche Teile aufweisen. Von den Dingen unterscheiden sich die Modi zunächst durch ihre zeitliche Ausdehnung. Dinge sind dreidimensional. Sie sind zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz als Ganze da und (somit) in einem strikten Sinn diachron identisch.

|| 26 Runggaldier 1990, 78, verweist in seiner Behandlung der Prädikation auf die Intuition, dass „Sprecher durch die Tätigkeit des Prädizierens etwas aussagen, das mit den sprachlichen Ausdrücken in Prädikatposition nicht identisch sein kann.“ Ich würde diese Intuition bzgl. Nicht-Identität so interpretieren, dass sie sich bezieht auf die Bestimmung eines Dinges durch einen partikularen Modus und den ausgesagten sprachlichen Ausdruck in Prädikatposition.

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Dinge sind endurer. Sie haben keine zeitliche Ausdehnung. Modi aber kommt eine solche zeitliche Ausdehnung zu. Möglicherweise könnte man eine gewisse Analogie in der Zeitlichkeit der Modi und jener der Dinge darin sehen, dass sie beide ihre ‚Geschichte‘ von Ereignissen bzw. Zuständen entlehnen. Der ontologisch relevante Unterschied bleibt aber bestehen: Für Dinge ist die entlehnte Zeitlichkeit akzidentell, für Modi wesentlich. Modi unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Räumlichkeit von Dingen. Dingen kommt Räumlichkeit unmittelbar zu. Das kann man dahingehend interpretieren, dass Dinge die Konstituenten räumlicher Verhältnisse sind. So gesehen ist der Raum kein Etwas, keine Entität, sondern ein Epiphänomen, dessen Grundlage die Ausdehnung der Dinge ist.27 Modi aber kommen die drei räumlichen Dimensionen mittelbar zu, und zwar insofern, als sie Bestimmungen von Dingen sind. Der Ort eines Modus ist mit dem Ort jenes Dinges gegeben, den der Modus bestimmt. Diese Röte befindet sich dort, wo jene Kugel ist, deren Röte sie ist. Desgleichen kann man hinsichtlich der Modi von räumlichen Teilen sprechen, insofern man auch von Dingen solche angeben kann: Diese Röte ist teilbar, insofern sie die Vorder- und die Rückseite der Kugel affiziert, und insofern man diese Seiten als räumliche Teile der Kugel verstehen kann. Von den Ereignissen und Zuständen weichen die Modi hinsichtlich ihrer Zeitlichkeit ab, nicht in ihrer Vierdimensionalität, allerdings darin, dass Ereignissen und Zuständen Zeit unmittelbar zukommt. Und zwar in dem Sinne, dass diese Entitäten Zeit bzw. zeitliche Verhältnisse konstituieren. Im Abschnitt I 1.1.2 habe ich bereits auf die aristotelische Physik Bezug genommen und von dort den Gedanken einer „Maßzahl der Bewegung“ übernommen.28 Zeit kann jedenfalls in Analogie zum Raum als Epiphänomen betrachtet werden, nicht als Entität; als ein Epiphänomen, dessen ontologische Basis das Ablaufen von Ereignissen, wohl auch von Zuständen ist. Modi aber kommt ihre zeitliche Ausdehnung, ebenso wie ihre räumliche, gerade nicht unmittelbar zu. Sie haben eine Dauer, insofern sie jene Entitäten komponieren, die als ontologische Basis zeitlicher Verhältnisse gelten: Ereignisse und Zustände. Diese Röte unserer Kugel hat eine zeitliche Ausdehnung. Sie mag beispielsweise drei Tage lang || 27 Ich bin mir bewusst, dass diese These einige Voraussetzungen hat, u.a. den Ausschluss eines absoluten Raumes. Somit müsste man eigentlich sagen: Raum ist nach Standardauffassungen, von Leibniz (über Kant) bis Strawson, ein Epiphänomen, dessen Grundlage die (Form der Anschauung der) Ausdehnung der Dinge ist. Eine andere Ergänzung wäre hinsichtlich der Quasi-Individuen zu machen. Auch sie können als Konstituenten räumlicher Verhältnisse auftreten. Da es mir hier aber um Modi geht, lasse ich diesen Aspekt lieber beiseite. 28 In der aktuellen Philosophie hat u.a. Jonathan Lowe diesen Gedanken aufgegriffen und von der Notwendigkeit von Ereignissen für zeitliche Abläufe gesprochen. Vgl. ders. 1998, 12.

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dauern. Dass dem so ist, hat aber damit zu tun, dass diese Röte den drei Tage lang währenden Zustand des Rot-Seins der Kugel mit ausmacht. Desgleichen kann man von zeitlichen Teilen des Modus sprechen. Der zweite Tag etwa besagter Röte mag als solcher gelten, freilich nur insofern, als man auch vom Zustand eine derartige Phase annehmen kann. Eine nicht unbeachtliche Übereinstimmung weisen Modi und Ereignisse bzw. Zustände in ihrer Räumlichkeit auf. Nicht nur, dass sie allesamt ihren Ort und auch ihre räumlichen Teile von Dingen entlehnen, auch dass ihnen allen ihre Räumlichkeit nicht akzidentell, sondern wesentlich ist, weist sie alle als in einem wesentlichen Aspekt von Dingen abhängige Entitäten aus. Modi sind also vierdimensionale Entitäten, die sowohl zu Raum als auch zu Zeit ein mittelbares Verhältnis aufweisen. Darin unterscheiden sie sich von Dingen, welche die räumlichen Dimensionen konstituieren, somit unmittelbar räumlich sind. Ereignisse bzw. Zustände bilden die ontologische Basis der vierten Ausdehnungsdimension. Sie sind unmittelbar zeitlich und heben sich damit von den Modi ab. (2) Einen weiteren Unterschied zwischen Modi und den anderen Partikularien kann man daran festmachen, dass die Modi sämtliche der im Abschnitt 1.2.1 (2) angedeuteten (nicht-standardmäßigen) Abstraktheitskriterien erfüllen. Ich möchte diese Kriterien aufgreifen und im Hinblick auf den ontologischen Unterschied zwischen Modi und anderen Partikularien entfalten. (i) Ein erstes Kriterium ist die Mittelbarkeit von räumlichen und zeitlichen Merkmalen. Man kann dieses Kriterium als ein notwendiges und hinreichendes verstehen. Die Notwendigkeit meint, dass Entitäten, die entweder zu räumlichen, zeitlichen oder räumlichen und zeitlichen Verhältnissen in einem unmittelbaren, etwa konstitutiven Zusammenhang stehen, nach gegebenem Kriterium nicht abstrakt sein können. Damit scheiden sowohl Dinge als auch Ereignisse bzw. Zustände als abstrakte Entitäten aus. Hinreichend aber meint, dass aus der besagten reinen Mittelbarkeit bereits die Abstraktheit folgt. Das wurde bereits als Grund angenommen, die Modi als abstrakte Partikularien zu erachten. Als Ergänzung sei gesagt, dass Mittelbarkeit zu räumlichen und zeitlichen Verhältnissen in diesem Kriterium als Maximalklausel gilt: Entitäten sind abstrakt, wenn sie höchstens mittelbar räumlich und zeitlich sind. Nehmen wir an, es gäbe Entitäten, die weniger als mittelbar zu räumlichen und zeitlichen Verhältnissen, also vollständig außerhalb räumlicher und zeitlicher Ordnungen stünden. Diese Entitäten wären nach gegebenem Kriterium ebenfalls abstrakt. (Darin bestünde eine Überlappung mit der von Wolfgang Künne angeführten

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Kriteriologie.) Cartesianische Egos wären abstrakt ebenso wie platonisch interpretierte Zahlen und auch universale Eigenschaften, selbst dann, wenn man sie als reine entia separata deutete. (ii) Als zweites Kriterium wurde die Nicht-Exklusivität eines Raumes genannt, wobei dieses Kriterium als innerkategoriales zu verstehen ist. Damit Entitäten einer Kategorie abstrakt sein können, müssen sie synchron am selben Ort wie andere Entitäten derselben Kategorie vorkommen können. Dass dies bei Modi der Fall ist, haben wir bereits gesehen. Zum Vergleich: Bei Dingen ist diese Kohabitation nicht möglich. Dinge überlappen zwar räumlich mit ihrem Material. Dieses ist freilich, nach gegebenem theoretischem Rahmen, nicht selbst wieder ein Ding. Das würde jenen Konstitutionstheorien entsprechen, die Alltagsdinge auf ‚tiefer‘ liegende, letztlich auf mikrophysikalische Basisdinge zurückführen und im Abschnitt I - 2.2.3 (4) kritisch erörtert wurden. Dinge haben auch synchron denselben Ort wie jene Ereignisse und Zustände, in welche sie involviert sind. Auch das spricht nach dem Nicht-Exklusivitäts-Kriterium nicht für ihren Status als Abstrakta, weil dieses Kriterium, wie gesagt, nur als innerkategoriales gilt. Ereignisse und auch Zustände hingegen können zur selben Zeit am gleichen Ort stattfinden wie andere Ereignisse bzw. Zustände. In der Literatur wird immer wieder das Beispiel einer Metallkugel angeführt, die sich dreht und dabei erwärmt. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass Drehung und Erwärmung exakt raum-zeitlich koinzidieren. Das Beispiel dient dazu, die raum-zeitliche Ereignis-Individuation zu problematisieren.29 In unserem Kontakt mag es illustrieren, dass man bei Ereignissen, um bei diesen zu bleiben, die innerkategoriale Exklusivität räumlicher Verhältnisse nicht annehmen kann. Kriterium (ii) schließt ihre Abstraktheit nicht aus. Was aber nichts macht, da sie das erste, notwendige, Abstraktheitskriterium schlicht nicht erfüllen. Für Kriterium (ii) hat dies auch zur Folge, dass es den Status als hinreichendes verliert. (iii) Das dritte Abstraktheitskriterium ist die von Campbell hervorgehobene gedankliche Abgezogenheit der Modi. Modi sind Entitäten, die grundsätzlich oder aus prinzipiellen Gründen Dinge bestimmen im Verbund mit anderen Modi. Es kann keinen Kosmos geben, in dem genau ein Ding und ein einziger Modus vorkommen. Das macht es erforderlich, dass wir einen Modus aus dem Verbund mit den anderen, ein Ding bestimmenden Modi selektieren müssen, um auf ihn

|| 29 Diese wird u.a. von Quine (1985, 166f) vertreten, u.a. von Meixner (1997, 105) kritisiert.

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Bezug nehmen zu können. Diese Röte ist ein Etwas, das unter Absehung von dieser Wärme, dieser Ausdehnung, dieser Masse, dieser Größe als Bestimmung unserer Kugel besteht. (Wenn Künne von der rein „begrifflichen“ oder „gedanklichen Identifizierung“ von Abstrakta spricht30, meint er möglicherweise etwas mit dem hier Gemeinten Kompatibles.) Dinge sind in diesem Sinne nicht abstrakt. Es ist ein Ding, das durch jenen Verbund von Modi bestimmt wird, die eben zu einem Zeitpunkt die Modi dieses Dinges sind. Es kann durchaus einen Kosmos geben, in dem genau ein Ding und jene Modi (Plural!) vorkommen, die es bestimmen. Jene Selektion oder Abgezogenheit, die Modi charakterisiert, kann somit nicht auf Dinge angewendet werden. Wenn es keinen Kosmos geben kann, in dem genau ein Ding und ein einziger Modus vorkommen, kann es auch keinen Kosmos geben, in dem genau ein Ding und ein einziger Zustand vorkommen. (Ob es einen Kosmos geben kann, in dem es mit genau einem Ding kein einziges Ereignis bzw. nur ein einziges Ereignis geben kann, möchte ich dahingestellt sein lassen. Da wir Ereignisse und Zustände als Entitäten einer ontologischen Kategorie auffassen dürfen31, kann es jedenfalls keinen Kosmos geben, in dem mit genau einem Ding nur ein einziges Vorkommnis dieser Kategorie existiert.) Da Modi Zustände komponieren und es keinen Modus eines Dinges gibt, der keinen Zustand komponiert, scheinen Zustände Abstraktheitsmerkmal (iii) zu übernehmen. Dafür spricht auch, dass man die Zustände eines Dinges unter Absehung der anderen Zustände dieses Dinges als solche betrachten muss. Zustände wären nach Kriterium (iii) abstrakt. Da sie es nach Kriterium (i) jedoch nicht sein können, entpuppt sich auch (iii) als lediglich notwendiges, nicht aber hinreichendes Abstraktheitskriterium. Im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Modi und Zuständen ist noch ein ergänzender Aspekt unseres Kriteriums (iii) anzuführen. Modi kommen nur als Komponenten von Zuständen vor. Es gibt keine Röte, es sei denn, ein Ding wird durch dieselbe in den Zustand des Rot-Seins gebracht. Wenn dem so ist, muss man, um auf einen Modus Bezug nehmen zu können, vom Ding als dem anderen Komponenten des Zustands absehen oder abstrahieren.32 Man muss

|| 30 Künne 1980, 93. 31 Vgl. dazu meine Ausführungen in Kanzian 2001, 204f. Dort finden sich auch Literaturbelege für diese These. 32 David Armstrong hat einen analogen Gedankengang entwickelt. Allerdings spricht er von universalen Eigenschaften, nicht von partikularen Modi, und von Sachverhalten, nicht von Zuständen. Wie auch immer. Jedenfalls meint er: „The universal is a gutted state of affairs; it is

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einen Modus aus seinem Zustand gedanklich heraussondern, ihn abziehen oder selektieren, um ihn identifizieren zu können. Das Umgekehrte gilt natürlich nicht. In diesem Sinn unterscheiden sich Modi und Zustände auch unter der Rücksicht des Kriteriums (iii).33 (3) Ich komme nun zu einem Unterscheidungsmerkmal, dessen Darlegung in den letzten Abschnitten noch nicht vorbereitet wurde: dass nämlich Modi, im Unterschied zu den anderen Kategorien von Partikularien, keine komplexe innere Struktur aufweisen. Im Abschnitt I - 1.1.3 wurden Dinge als Entitäten vorgestellt, deren Komposition aus einem individuellen Material- und einem individuellen Formaspekt sie als „sachverhaltsartig komplexe Einheiten“ ausweist. Im Hintergrund steht die Überzeugung, dass Einheit zu sein Verschiedenes bedeuten kann, so u.a. auch, dass Einheiten Zusammenfügungen sein können, die primär sind, relativ zu ihren Bildungselementen. Die Bildungselemente aber mögen verschiedenartig sein. Das ist bei Dingen der Fall, was ihre „Sachverhaltsartigkeit“ in eingeführtem Sinne begründet. Analog dazu können wir Ereignisse und Zustände verstehen. Auch diese Partikularien sind komplexe Einheiten, mit aufeinander irreduziblen verschiedenartigen Komponenten. Auch bei Ereignissen und Zuständen ist ihre Einheit primär relativ zur Verschiedenheit der Bildungselemente. Modi aber sind Einheiten mit nicht-komplexer innerer Struktur. Das bedeutet, dass Modi keine Komponenten aufweisen, die durch eine ontologische Analyse ‚top-down‘ im Sinne von dKT2 in I - 2.3 aufgefunden werden könnten. Das macht eine grundlegende Differenz zwischen Modi und allen anderen Partikularien aus. Davon unberührt ist die Möglichkeit, aus einzelnen Modi komplexe zu bilden. Dieses Rot-und-Rund, welches unsere Kugel bestimmt, sei als Beispiel genannt. Derartige Modi-Komplexe oder -Verbunde stellen aber keine primären Einheiten dar. Solche Summen von Modi sind relativ zu den einzelnen Modi

|| everything that is left in the state of affairs after the particular particulars involved in the state of affairs have been abstracted away in thought“. Armstrong 1997, 28.29 [Kursivierung Kanzian]. In Analogie dazu könnten wir sagen: Ein Modus ist ein Abstraktionsprodukt, das vorliegt, wenn man aus einem Zustand das Ding abzieht. 33 Sind dann nicht auch Dinge gewissermaßen „abstrakt“? Armstrong a.a.O. verneint das unter Bezugnahme auf Freges Ungesättigtheit von universalen Begriffen, die natürlich die Argumente nicht betrifft. Dieses Manöver steht uns wohl im Hinblick auf die Modi nicht zur Verfügung. Ich denke aber, dass Dinge aufgrund der Kriterien (i) und (ii) die Abstraktheit so klar verfehlen, dass wir hier keine allzu großen Skrupel haben müssen.

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sekundäre Gebilde, unter dieser Rücksicht vergleichbar etwa auch mit der formlosen Zusammenfügung von Materialbestandteilen in komplexen Quasi-Individuen (I - 1.2). Auch in diesem Punkt, sprich unter der Rücksicht Nicht-Komplexität, kann man sich Anleihen von Tropen-Theorien nehmen. So spricht Keith Campbell davon, dass Tropen „simple natures“ seien.34 Er meint damit ausdrücklich, dass Tropen „no union of distinct elements“ ausmachten.35 Tropen sind keine Einheiten aus verschiedenen bzw. verschiedenartigen ontologischen Elementen oder Komponenten. Das ist ein wichtiger Überschneidungspunkt mit der hier versuchten Ontologie von Modi. Weiterführend sind Campbells Interpretationen der Nicht-Komplexität der Tropen. In Tropen darf man keine irgendwie allgemeine Natur und einen Partikularisierer annehmen. Diese Röte ist kein Komplex aus allgemeiner Röte und einem dazukommenden Aspekt oder Element, welcher/s die Individualität dieser Farbe ausmacht. Denn: „tropes are particularized natures.“36 Die Natur von Tropen ist es, partikular zu sein. Dasselbe würde ich auch im Hinblick auf Modi sagen: Modi sind konkrete Individuen, die ihre Individualität und damit Partikularität nicht zusätzlich zu dem, was sie sind, nämlich qualitative Bestimmungen von Dingen, erwerben müssten.37 Zur Vermeidung eines Missverständnisses muss eine Erläuterung bzgl. der Nicht-Komplexität von Modi angeführt werden, dass nämlich diese NichtKomplexität nicht den Ausschluss sämtlicher Teilverhältnisse impliziert. Modi weisen mit (trotz) ihrer Nicht-Komplexität räumliche und zeitliche Teile auf. Das muss eigens erwähnt werden, da es im Gegensatz steht zu einer bedeutenden Tradition in der Deutung partikularer Qualitäten, nämlich der empiristischen. So gibt David Hume in seinem Treatise explizit zu verstehen, dass er Qualitäten, die wir hier gut und gern als Modi bezeichnen können, ebenfalls als nicht-komplex auffasst. Humes Nicht-Komplexität der Modi aber besagt ihre Einfachheit, ihre Einfachheit aber Unteilbarkeit, in einem atomistischen Sinn verstanden.38 Da die Annahme atomarer Qualitäten für Humes Theorienbildung

|| 34 Campbell 1990, 20. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Nebenbei gesagt: Auch die Komplexität der Dinge, wie sie hier angenommen wird, kann man nicht als Kompositum aus allgemeiner Natur oder Form und partikularisierendem Material verstehen. Formen sind per se individuell. Das Material muss sie nicht partikularisieren. 38 Damit übernimmt Hume, wohl via Locke (Essays, Bk. II, chapt. XXVII, Ausführungen über „atoms“), Leibnizʼ monadologischen Begriff der Basiselemente der Wirklichkeit, die nicht-

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unverzichtbar ist, kommt ihm dieses begriffliche Junktim entgegen. Unverzichtbar sind atomare Qualitäten für Humes Bemühungen, dreidimensionale Extensionalität zu erklären. Dabei kommt er nämlich zum Schluss, dass weder die Annahme eines ins Infinite teilbaren Raumes hilfreich sei noch die Akzeptanz reiner mathematischer Punkte. Es braucht einen dritten Weg, ein „medium“ wie er sagt: „… there is evidently a medium, viz. the bestowing a colour or solidity on these points; and the absurdity of both the extremes [infinit teilbarer Raum, reine qualitätslose Punkte, Anm. CK] is a demonstration of the truth and reality of this medium.“39 Punktuelle Qualitäten bzw. Qualitäten, die an Punkten vorkommen, sind jene unteilbaren oder atomaren Basiselemente, aus welchen jede Extensionalität der Gegenstände unserer alltäglichen Wirklichkeit hergeleitet werden muss.40 In dem hier präsentierten theoretischen Rahmen braucht es keine auf punktuelle Qualitäten aufbauende Konstitutionstheorie extensionaler Gegenstände. Wenn Dinge (die Hume nicht zur Verfügung stehen41) als Grundelemente der Wirklichkeit fungieren, welche die Basis räumlicher Extensionen ausmachen, kann man (atomare) Qualitäten oder Modi aus dieser theoretischen Verpflichtung entlassen. Modi können raum-zeitlich ausgedehnt sein. Da für das Junktim Nicht-Komplexität–Einfachheit–Atomismus auch keine apriorischen begrifflichen Gründe angeführt werden können, sind wir frei, nicht-komplexe Modi weiter als raum-zeitlich ausgedehnte aufzufassen. Für die räumliche und wohl auch zeitliche Ausdehnung der Modi kann man auch positive Gründe vorbringen. Der wichtigste scheint mir, wie in einem vorhergehenden Abschnitt (II - 1.2.1 (2)) angedeutet, zu sein, dass die kausale Wirksamkeit der Modi von ihrer vierdimensionalen Ausdehnung abhängt. Punktuelle Modi können keine Kräfte sein.42 Damit im Zusammenhang steht die Frage nach der Wahrnehmbarkeit von Qualitäten. Hängt nämlich (um Lowe zu folgen43) Wahrnehmbarkeit von kausaler Wirksamkeit ab, kausale Wirksamkeit aber von

|| komplex, einfach, ohne Teile sind. Vgl. Leibniz, Monadologie, verwendete Ausgabe: Leibniz 1979, § 1. 39 Hume, Treatise, Book I, Part II, Section IV; verwendete Ausgabe: Hume 1964, 346. 40 Diese Humeʼsche Überzeugung findet sich übrigens auch in aktuellen empiristischen Ontologien. Vgl. u.a. Hofmann 2008, 101. 41 U.a. Hume, Treatise I, I, VI, 325f. 42 Hume hält konsequenterweise atomare Qualitäten für kausal inert (vgl. Treatise I, III, VI). Seine Qualitäten sind keine powers. Auf den systematischen Zusammenhang von Atomismus und Kausaltheorie bei Hume hat neulich Jani Hakkarainen (hier ders. 2011) hingewiesen. 43 Lowe 2006, 23: „perception necessarily involves a causal relation between the perceiver and what is perceived.“

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Ausdehnung, könnten Modi schlicht nicht wahrnehmbar sein, wenn sie keine raum-zeitliche Ausdehnung hätten.44 Dies dürfte auch phänomenal einleuchtend sein: Extensionales, und nur solches, ist uns sinnlich gegeben. Jede Sinneserfahrung von Qualitäten oder Modi muss eine zeitliche und auch eine räumliche Ausdehnung aufweisen.45 (4) Ein letzter Unterschied zwischen Modi und den anderen Partikularien, den ich hier behandeln möchte, ist, dass die Identität der Dinge, aber auch der Ereignisse, wenn auch auf unterschiedliche Weise, so doch jeweils von ihrer Art oder Sorte abhängen. Bei Modi ist das nicht der Fall. Bei Dingen, so haben wir im Abschnitt I - 1.1.4 gesehen, bestimmt eine species infima deren individuelle Form. Diese Form aber ist das Identitätsprinzip eines Dinges. Folglich ist die Identität eines Dinges von seiner species infima abhängig. So gesehen, ist ihre individuelle Form primär maßgeblich für die sortale Dependenz der Identität eines Dinges, seine numerische Selbigkeit und auch seine Einheit. Bei Ereignissen können wir ebenfalls von der Abhängigkeit ihrer Identität von Arten sprechen. Da aber Ereignisse, auch synchron, verschiedenen Arten angehören können, gilt für sie die sortale Relativität ihrer Identität (siehe I - 1.3), die aufgrund der Determination durch unterschiedliche Ereignisarten oder -typen als durchaus opak aufzufassen ist. Ein Grund für die multiple Artzugehörigkeit der Ereignisse besteht darin, dass Ereignisse aufgrund beider innerer Komponenten, des Ding- und des Änderungs- oder Bewegungsaspekts, sortal oder typenmäßig zugeordnet werden können. Mein Fingieren am Computer ist sowohl der Art „Computerarbeit“ als auch der Art „Fingerbewegung“ zuordenbar. Besteht Abhängigkeit der Identität von Sorten oder Typen, betreffen Sorten oder Typen aber beide Komponenten, sind beide Komponenten (möglicherweise auf unterschiedliche Weise) für die (opake) Identität der Ereignisse maßgeblich. Bei Modi findet keine sortale Determination ihrer Identität statt. Aus einem Vergleich mit den Dingen und den Ereignissen fällt auch gleich ein Grund ins Auge, der auf Seiten der Modi selbst ansetzt: Modi haben keine Komponenten. || 44 Darin sehe ich eine gewisse Inkonsistenz bei Hume, der natürlich annehmen muss, dass Qualitäten empirisch wahrnehmbar sind. Wie aber soll kausal vollständig Inertes unsere Sinnesorgane affizieren? 45 Wenn wir schon in die Philosophiegeschichte blicken, sei vermerkt, dass nicht zuletzt diese Einsicht Kant von Hume absetzt. Für Kant ist klar, dass es keine nicht-zeitlich ausgedehnte (innere und äußere) bzw. nicht-räumlich ausgedehnte (äußere) Anschauung geben kann; nachzulesen in seiner Kritik der Reinen Vernunft, Transzendentale Elementarlehre, erster Teil: Die transzendentale Ästhetik. Verwendete Ausgabe: Kant 1968a.

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Nimmt man an, dass jene Instanzen, die maßgeblich für die sortale Determination einer Entität sind, Komponenten dieser Entität sein müssen (wie bei Dingen ihre individuelle Form), gibt es bei den Modi schlicht keinen Ansatzpunkt für eine solche sortale Determination. Da die ‚Abdichtung‘ der Argumentation an dieser Stelle einiges an weiterem Erklärungsbedarf erforderte,46 möchte ich noch andere Erläuterungsgründe für die mangelnde sortale Determiniertheit der Identität von Modi vorbringen, und zwar solche, die nicht auf Seiten der Modi, sondern auf Seiten dessen ansetzen, was man als Modi-Arten oder -Sorten bezeichnen könnte. Beginnen möchte ich diesen Punkt mit dem Versuch, einen Artbegriff für Modi darzulegen. Am erfolgversprechendsten scheint mir hier der Begriff einer Determinablen (engl.: determinable) zu sein. Darunter kann man, in Anlehnung an aktuelle Forschungsliteratur47 eine allgemeine Bestimmung verstehen, die nach Maßgabe spezifischer Determinationsdimensionen einen Raum (metaphorisch) wechselseitig exklusiver besonderer Bestimmungen oder Determinanten (engl.: determinates) erzeugt. Modi sind demnach maximal besondere, konkrete Bestimmungen. Farbe oder besser: Farbigkeit wäre eine solche allgemeine Bestimmung oder Determinable von Dingen. Dinge sind farbig. Als farb-spezifische Determinationsdimensionen könnte man mit Funkhouser48 Schattierung (hue), Helligkeit (brightness) bzw. Sättigungsgrad (saturation) annehmen. Rot z.B. wäre eine Determinante dieser Determinablen, die Dingen zukommt, wenn diese keine

|| 46 Ein Anfang zur Kostprobe: Gibt es sortale Determination der Identität einer Entität ohne jeden Ansatzpunkt dafür in dieser Entität? Nein! Das würde sortale Determination zu einem Mysterium machen, das wir an dieser Stelle lieber nicht in Kauf nehmen sollten. Gibt es sortale Determination der Identität einer Entität mit der ganzen Entität als Ansatzpunkt, nicht mit einem Komponenten in dieser Funktion? Kaum! Das würde Identität besagen zwischen einer Entität und ihrem Identitätsprinzip. Auch dies scheint im Hinblick auf die Modi eine äußerst gewagte These zu sein. Gibt es sortale Determination der Identität einer Entität mit einem Ansatzpunkt außerhalb der Entität? Naja!? Das kommt der Sache wohl schon näher. Das würde besagen, dass das Identitätsprinzip, in unserem Falle der Modi, außerhalb derselben liegt. Die sortale Determination, um die es hier geht, würde aber dann eine Sache außerhalb der Modi betreffen und somit gerade nicht die Modi selbst, was unsere These unterstreicht. 47 Die meisten Anleihen nehme ich aus Funkhouser 2006. Verweise beziehen sich auf die Seitenzahlen eines Ausdrucks der digitalen Fassung des Artikels, entnommen von http:// philpapers.org/rec/FUNTDR (April 2015). In diesem Beitrag finden sich sowohl systematische Rekonstruktionen eines für Modi passenden Artbegriffs als auch historische Hinweise auf die Etablierung von „determinable“ sowie weiterführende Literatur. 48 Funkhouser 2006, 7.

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andere Determinante aus dem Qualitäts- oder Eigenschaftsraum49 der Determinablen Farbigkeit haben. Das besagt die wechselseitige Exklusivität von Determinanten. Determinanten können graduell in ihrer Allgemeinheit bzw. in ihrer Besonderheit variieren. Die Determinante Rot mag entlang der farbspezifischen Determinationsdimensionen in die Subdeterminanten Kirschrot, Zinnoberrot etc. eingeteilt werden. Die wechselseitige Exklusivität von Determinanten bezieht sich selbstverständlich nur auf eine Ebene der Allgemeinheit. Diese Farbe unserer roten Kugel schließlich ist eine maximal determinierte50 Qualität aus dem Qualitäts- oder Eigenschaftsraum der Determinablen Farbigkeit im Bereich der Determinanten Rot. Sie ist ein Modus, als solcher konkret. Die Frage in unserem Zusammenhang aber ist, was Determinable und Determinanten, verstanden als Arten von Modi, beispielsweise von Dingarten unterscheidet. Ein erster, formaler Punkt ist, dass wir die Differenzen zwischen Modi-Determinanten auf den verschiedenen Ebenen nicht mit jenen zwischen Spezies und Genera im Bereich der Ding-Kategorie vergleichen können. Armstrong weist darauf hin, dass man Spezies definieren kann durch Angabe eines Genus und einer spezifischen Differenz, wobei die Charakterisierungen von Genus und Differenz unabhängig voneinander auftreten können. Er stellt aber fest: „But there seems to be no way that a determinate can be defined by means of its determinable plus some independent differentia.“51 Die Differenz zwischen Determinanten auf verschiedenen Ebenen entspricht nicht jener zwischen Spezies und Genus. Aber auch das Verhältnis zwischen Determinanten und den Modi selbst ist anders zu beurteilen als jenes zwischen Art und Ding. Modi sind „super-determinates“52 oder „maximally specific determinates“53. Modi sind (nichts anderes als) maximale Determinanten. Wenn man bedenkt, dass eine analoge Funktion im Bereich der Dinge von den species infimae getragen wird, könnte man Modi cum grano salis als (ihre) eigene species infima bezeichnen. Bei den Dingen ist das anders. Stefan ist keine

|| 49 Den Begriff Qualitätsraum (quality space) entnehme ich aus Lombard 1986, 113f, 161. Funkhouser spricht von Eigenschaftsraum (property space). 50 Funkhouser 2006, u.a. 21, spricht von individuellen Qualitäten, die er „tropes“ nennt und wir hier gut und gern mit unseren Modi identifizieren dürfen, als „super-determinates“. Dabei stellt er sich in die Tradition Berkeleys und Lockes, insofern sie meinen: „everything out in the world is super-determinate.“ Belege: ebd., FN 33, bzw. S. 32. 51 Armstrong 1997, 49. Auch Searle hat diesen Aspekt der Differenz zwischen Dingarten und dem, was wir hier Modiarten nennen können, angesprochen. Determinable–Determinante unterliegen einer anderen Logik als Genus–Spezies. Vgl. Searle 1959. 52 Funkhouser 2006, 21. 53 Vgl. Tegtmeier 1991, 213, wo auch von „tops of the trees“ die Rede ist.

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Super-Determinante im Bereich der Säugetiere. Er ist ein Kompositum, dessen individuelle Form von der Super-Determinante oder species infima Schaf unmittelbar geprägt ist. Ein weiterer, für unser Thema letztlich entscheidender Gesichtspunkt ist, dass Determinanten, auf verschiedenen Ebenen, die qualitative Gleichheit bzw. Ungleichheit von Modi determinieren. Determinanten sind gekoppelt mit Gleichheitsbedingungen für die unter sie fallenden Modi. Diese Gleichheitsbedingungen haben mit den Determinationsdimensionen zu tun, welche sie, die Determinanten, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Determinablen betreffen. Dass diese beiden Modi gleich sind, ist dadurch festgelegt, dass sie beide der Determinanten Zinnoberrot der Determinablen Farbe bzw. Farbigkeit angehören. Beide weisen die Zinnoberrot charakterisierenden Parameter entlang der farb-typischen Determinationsdimensionen Schattierung, Helligkeit, Sättigungsgrad auf. Ungleich aber sind Modi, wenn sie entweder im Bereich einer Determinablen verschiedenen Determinanten oder überhaupt unterschiedlichen Determinablen angehören. (Möglicherweise könnte man den Begriff „Ungleichheit“ dementsprechend differenzieren.) Die Zugehörigkeit zur Determinanten Zinnoberrot gibt aber weder Aufschluss über die numerische Selbigkeit noch über die Einheit von Modi. Wieviele Zinnoberrot-Modi liegen hier vor? Wie auch immer wir antworten, die Feststellung der Zugehörigkeit zur Determinanten Zinnoberrot hilft dabei nicht weiter. Determinanten determinieren Gleichheit, nicht Identität. Der Unterschied zu Dingarten sollte hier ins Auge springen. Dass Stefan ein Schaf ist, lässt eindeutige Schlüsse auf seine numerische Selbigkeit und seine Einheit zu. Die species infima Schaf ist im Unterschied zur Determinanten Zinnoberrot mit Identitätsbedingungen, sprich mit Bedingungen, die Aufschluss über numerische Selbigkeit und Einheit der unter sie fallenden Individuen geben, gekoppelt. Kurzum: Die Identität der Modi ist nicht sortal determiniert. Das unterscheidet sie von allen anderen Partikularien. Vielfältige ontologische Gründe, sowohl auf der Seite der Modi als auch auf der Seite der Arten, können dafür angeführt werden. Das kann lehrreich sein, um die Natur der Modi besser in den Blick zu bekommen. Ist die Identität der Modi nicht sortal determiniert, was determiniert sie dann? Diese Frage mag den Übergang markieren zum nächsten Abschnitt, in dem die Existenzabhängigkeit der Modi erläutert wird. Die Identität von Modi wird unabhängig von jenen Bezügen, welche die Abhängigkeit in ihrer Existenz ausmachen, nicht festgelegt werden können. Das soll Thema des nächsten Abschnitts sein.

2 Modi als existenzabhängige Entitäten Dass es sich bei Modi um existenzabhängige Entitäten handelt, wurde bereits in vorhergehenden Abschnitten angedeutet bzw. anfänglich dargelegt; angedeutet insbesondere unter der Rücksicht, dass sich Modi in der Weise ihrer Existenzabhängigkeit von den anderen Partikularien unterscheiden. Daran soll in diesem Abschnitt zunächst angeknüpft werden (2.1). Dann geht es um die Frage, was Existenzabhängigkeit, genau genommen, ist. Die hier favorisierte Antwort lautet, dass es sich dabei um eine formale Relation im Bereich ontologischer Abhängigkeit handelt (2.2). Es folgt der Versuch einer differenzierenden Darlegung der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Modi und den anderen Kategorien von Partikularien im Hinblick auf das in der Überschrift genannte Thema (2.3 (1)–(4)). Schließlich wird das Gesagte für die Frage nach der Identität von Modi ausgewertet (2.3 (5)).

2.1 Bei den Modi besteht Existenzabhängigkeit Dass es sich bei Modi um existenzabhängige Entitäten handelt, lässt sich so zeigen, dass es (1) für Modi wesentlich ist, im Raum und in der Zeit vorzukommen, Modi jedoch nur mittelbar im Raum und in der Zeit sind (2). Somit hängen sie von den Vermittlern räumlicher und zeitlicher Verhältnisse wesentlich ab (3). (1) Dass es für Modi wesentlich ist, im Raum und in der Zeit vorzukommen, ergibt sich aus ihrem Charakteristikum als Kräfte. Kräfte, verstanden als Konstituenten kausaler Verhältnisse, müssen im Raum und in der Zeit sein. Kausalität und kausale Wirksamkeit implizieren nämlich ein räumliches und auch ein zeitliches Vorkommen. Nicht nur das Vorkommen in Raum und Zeit im Allgemeinen wird bei Modi durch ihre Eigenart als Kräfte impliziert. Auch ihre Vierdimensionalität hat mit ihrer Konstitutionsfunktion kausaler Verhältnisse zu tun. Kräfte sind zu keinem Zeitpunkt ihres Vorkommens ganz da, sondern zeitlich ausgedehnt. Man kann die Dauer der kausalen Wirkung einer Kraft angeben, messen und in verschiedene Phasen unterteilen. Ebenso brauchen Kräfte einen Raum, einen Ort, an dem sie wirken. Auch diesen Ort kann man in seiner Ausdehnung angeben, umgrenzen und innerhalb dieser Grenzen räumlich unterteilen. Modi sind, als Kräfte verstanden, vierdimensional, wie bereits im Abschnitt II - 1.2.1 (2) angesprochen wurde.

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(2) Im Abschnitt II - 1.2.2 (1) haben wir gesehen, dass Modi ohne Vermittlungsinstanz weder im Raum noch in der Zeit vorkommen können. Modi stimmen mit Dingen darin überein, dass sie ihre Zeitlichkeit von Ereignissen bzw. von Zuständen entlehnen. Modi treten, ebenso wie Dinge, in zeitliche Verhältnisse ein, insofern sie Ereignisse bzw. Zustände komponieren. Ereignisse und Zustände aber konstituieren zeitliche Verhältnisse. Zeitliche Verhältnisse können somit als Epiphänomene des Ablaufes eben von Ereignissen und Zuständen verstanden werden. In diesem Konstitutionsverhältnis braucht es keinen Mittler. Das besagt die Unmittelbarkeit von Zeit zu Ereignissen bzw. Zuständen, und lässt die Mittelbarkeit von Zeit zu Modi verständlich werden. Analoges lässt sich bezüglich der räumlichen Verhältnisse von Modi sagen. Modi kommen mit Ereignissen und mit Zuständen darin überein, dass sie ihre räumliche Ausdehnung von Dingen entlehnen. Die Frage nach dem Wo von Modi lässt sich ebenso wie die Frage, wo Ereignisse bzw. Zustände vorkommen, nur durch einen Bezug auf Dinge beantworten. Dinge konstituieren räumliche Dimensionen, die damit ebenso epiphänomenalen Status haben wie zeitliche Verhältnisse. Auch im Konstitutionsverhältnis zwischen Dingen und Raum braucht es keine Mittlerinstanz. Räumliche Verhältnisse gehen unmittelbar auf Dinge zurück, Modi aber bedürfen eben der Vermittlung von Dingen, um ihre drei räumlichen Dimensionen zu erlangen. (3) Aus den Ausführungen in (1) und (2) lässt sich aber schließen, dass die Modi unter verschiedenen, für sie wesentlichen Rücksichten von anderen Entitäten abhängen. Wesentliche Abhängigkeit aber kann man prima facie als Existenzabhängigkeit verstehen. Es kann keine Modi geben, wenn es keine Dinge gibt, die Modi räumliche Dimensionen vermitteln. Und es kann keine Modi geben, sie könnten nicht existieren, wenn sie von Ereignissen bzw. Zuständen keine zeitliche Ausdehnung entlehnen würden. Nimmt man die Disanalogie zwischen den räumlichen Dimensionen und der zeitlichen an, wie das für eine Dingontologie unumgänglich ist, wird man die Abhängigkeit der Modi von den Dingen und jene der Modi von Ereignissen und Zuständen durchaus differenzierend analysieren können. Dies sei im Kontext dieses ersten Aufrisses des Faktums der Existenzabhängigkeit der Modi nur als Hinweis auf später Folgendes angeführt. Vergleichbares gilt im Hinblick auf die Frage nach der (A-)Symmetrie der Abhängigkeit zwischen Modi und Dingen, sowie nach jener zwischen Modi und Ereignissen bzw. Zuständen. Auch hier ist die Möglichkeit, um es wieder vorsichtig zu sagen, von Unterschieden mit zu berücksichtigen. Genaueres wird diesbezüglich erst nach einer eingehenderen Analyse von Abhängigkeitsver-

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hältnissen zwischen Vorkommnissen der verschiedenen Kategorien von Partikularien zu gewinnen sein.

2.2 Ontologische Abhängigkeit Das eingangs des Abschnitts anvisierte Ziel einer Darstellung von Existenzabhängigkeit als formaler Relation erfordert zunächst eine Klärung des Begriffs einer formalen Relation. Das soll in einem ersten Schritt geschehen (2.2.1). Dann sollen zunächst andere formale Relationen als solche vorgestellt werden (2.2.2), um zur ontologischen Abhängigkeit als eigenartiger formaler Relation bzw. schließlich zur Existenzabhängigkeit, insbesondere der Modi, zu kommen (2.2.3 bzw. 2.3).

2.2.1 Formale Relationen Was bedeutet es nun, eine formale Relation zu sein? Einen ersten Ansatz zu einer Beantwortung dieser Frage finden wir in Kevin Mulligans Behandlung der von ihm als dünn (engl.: thin) oder intern bezeichneten Relationen.1 Für diese gilt: „… a relation is internal with respect to objects a, b, c etc., just if, given a, b, c etc., the relation must hold between and of these objects.“2 Das bedeutet, dass das Vorkommen bestimmter Relata genügt, um das Bestehen dieser Relation zu gewährleisten, wobei das Vorkommen der Relata nicht nur als hinreichend, sondern auch als notwendig für die Relation anzusehen ist. Dementsprechend stellt sich Mulligan in die Tradition jener, die solche internen Relationen auch als „grounded or founded“ bezeichnen.3 Weiter scheint mir hier der Hinweis Jonathan Lowes zu gehen, der, durchaus in Anspielung an bzw. in Fortführung von Mulligan4, „grounded or founded relations“ als vollständig bestimmt (engl: entirely determined) auffasst, sodass sie „no addition to reality“ darstellen.5 Lowe geht dabei davon aus, dass wir im

|| 1 Vgl. Mulligan 1998, 327. 2 Ebd., 344. Dieser Gedanke findet sich bereits in Wittgensteins Tractatus, wo unter 4.123 nachzulesen ist: „Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, dass diese beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.“ Verwendete Ausgabe: Wittgenstein 1963. [Hervorhebung Wittgenstein] 3 Mulligan 1998, 335. 4 Lowe 2006, 46; note 11. 5 Ebd., 46.

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Kontext ontologischer Systeme relationale Prädikate oder Relationsterme einführen müssen, von denen es nicht sinnvoll ist anzunehmen, dass sie auf ein Etwas, eine Entität, referieren. Dem entspricht die in der Debatte über Eigenschaften weit verbreitete Ansicht, dass nicht jedem Prädikat auch eine Eigenschaft entspricht. In Zusammenführung von Mulligan und Lowe können wir also in einem ersten Schritt formale Relationen auffassen als Referenten von Relationstermini ohne Entitätenstatus, die mit dem Vorkommen bestimmter Elemente (notwendigerweise) gegeben sind. Die Beispiele für Referenten von Relationstermini ohne Entitätenstatus sind sehr vielfältig. Hier können wir die Größer-Kleiner-Beziehung ebenso auflisten wie die Beziehung der Bestimmtheit, wie sie im ersten Hauptteil im Kontext des ersten basalen Faktums (BF1) der hier vorgelegten Ontologie der Modi eingeführt wurde, bis hin zur Identität. Für Größer-Kleiner gilt, dass es mit dem Vorkommen zweier verschiedener Größen gegeben ist und durchaus als „founded“ gelten mag, sodass ihm der Entitätenstatus vorenthalten bleibt. Das Gleiche gilt für die Relation der Bestimmtheit, wie sie im Abschnitt I - 3.1 eingeführt wurde. Es gibt keine Verbinder-Entitäten zwischen Modi und Dingen. Ist ein Ding durch einen Modus bestimmt, ist diese Bestimmtheit des Dinges gegeben mit dem Vorkommen des Dinges und des Modus. Die Eigenart der Identität hingegen besteht in ihrer Reflexivität. Identisch sind nicht zwei, sondern eines, und zwar mit sich selbst. So ist Identität gegeben, notwendiger- und hinreichenderweise, mit dem Vorkommen einer Entität, ohne dass die Identität selbst als eine Entität bezeichnet werden könnte. Die Vielfalt von Beispielen, vor allem ihre Unterschiedlichkeit, macht es erforderlich darüber nachzudenken, ob es nicht eine spezifische Differenz gibt, welche formale Beziehungen unter diesen relationalen gegründeten NichtEntitäten auszeichnet. Auch hier scheint mir Jonathan Lowe einen entscheidenden Hinweis zu geben. Nicht zuletzt auch um sich weiter von Mulligan abzusetzen, charakterisiert er formale Beziehungen als jene „no additions to reality“, für die gilt, dass sie durch die Natur oder die ontologische Form jener Entitäten determiniert sind, aufgrund deren Vorkommens sie bestehen. „When beings do ‚combine‘ in the ways to which they are suited by their ontological forms, these ‚ways of combining‘ are the various formal ontological relations.“6 Lowe spricht,

|| 6 Lowe 2006, 48. [Hervorhebung Kanzian] Nota bene: Der Begriff „Form“ wird von Lowe in einem weiteren Sinn verwendet als er hier im Abschnitt I - 1.1.3 für einen Komponenten der

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im Hinblick auf das Bestehen formaler Relationen aufgrund der Natur oder der Form von Relata, also auch davon, dass dadurch eine spezifische (d.h. nicht auf andere übertragbare) Kombination der Relata vorliegt. Metaphorisch umschreibt Lowe diese spezifische Kombination auch so, dass diese Relata, zeit des Bestehens der Relation, „füreinander gemacht sind“ (engl.: are made for each other).7 Daraus sollte klar werden, dass etwa die Größer-Kleiner-Beziehung zwischen Dingen nicht zu den nun näher spezifizierten formalen Beziehungen gehört. Die Größe eines Dinges, die es im Vergleich zu einem anderen als kleiner bestimmt, hängt nämlich nicht mit seiner ‚Natur‘ oder ‚Form‘ zusammen. Es bringt die Dinge auch nicht in eine durch ihre Natur gegebene spezifische Beziehung. Anders liegt der Fall bei gleichen bzw. nicht gleichen Modi. Dass Modi gleich sind, ist mit ihrer ‚Natur‘, dem was sie wesentlich sind, gegeben und bringt einen spezifischen „way of combining“ zum Ausdruck. Ebenso steht es mit der Beziehung von Modi zu Dingen, die darin besteht, dass sie, die Modi, diese, die Dinge, qualitativ bestimmen. Es ergibt sich aus der ‚Natur‘ der Dinge, dass sie durch Modi bestimmt sind, ebenso wie es keine Modi geben kann, die nicht Dinge bestimmen. Modi, die Dinge bestimmen, sind im Hinblick auf ihr Verhältnis, das heißt solange es besteht, „made for each other“. Auch die Identität ist unter die formalen Beziehungen zu subsumieren. Es gehört zu dem, was eine Entität zu einer Entität macht, dass sie mit sich selbst identisch ist. Klar ist, dass die Identität von x niemals jene von y sein kann. Ich werde in Hinkunft „intern“ als Genus-Bezeichnung der Relationen ohne Entitätenstatus verwenden, „dünn“ als kennzeichnendes Attribut für die nicht formalen internen Beziehungen. (Darin unterscheide ich mich von Kevin Mulligan, der ja „dünn“ und „intern“ extensionsgleich auffasst.) Formale Relationen sind jene Referenten von Relationstermini ohne Entitätenstatus, die mit dem Vorkommen bestimmter Elemente gegeben sind, und zwar aufgrund der Natur oder der Form (im Sinne Lowes) ihrer Relata. Formale Beziehungen sind keine logischen, sprich rein begrifflichen Gegebenheiten. Sie sind ontologisch.8 Freilich nicht in dem Sinne, dass es sich dabei um Entitäten handelte, sondern um jene Verbindungen von Entitäten, die so grundlegend sind, dass sie nicht im Vorkommen weiterer Entitäten bestehen können (von denen dann wiederum die Verbindung zu den fraglichen Entitäten dargelegt werden müsste). Formale Beziehungen gehören zur Grundstruktur der

|| Dinge eingeführt wurde. Dementsprechend verstehe ich „formale Beziehung“ keineswegs als Relation, die notwendigerweise auf die Form (im Sinne von I - 1.1.3) von Dingen bezogen ist. 7 Ebd., 47. 8 Diesen Aspekt betonen u.a. Schwarz & Smith 2008, 155.

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Welt, allerdings sind sie – um auch diesen Gesichtspunkt bei Lowe zu verankern: „too fundamental, indeed, to be something in the world – an element of being – because it is that without which there could be no beings and so no world.“9 Obgleich formale Beziehungen grundlegend sind, kann man sie doch in ihrer Eigenart analysieren, zwar nicht inhaltlich, sprich als Entitäten, so doch aber formal. Derartige formale Analysen können dazu dienen, im Bereich der fraglichen Relationen Unterschiede darzulegen. Dünne interne Beziehungen sind nicht „too fundamental to be something in the world“. Sie bestehen nicht aufgrund wesentlicher ontologischer Charakteristika ihrer Relata. Für sie gilt auch nicht, dass wir ohne sie „keine Entitäten und folglich keine Welt“ annehmen könnten. Nicht-formale interne Beziehungen sind aus akzidentellen Merkmalen ihrer Relata abgeleitet. Ihre ontologische Signifikanz haben sie nur unter Bezug auf diese Merkmale, aus denen sie abgeleitet sind, was ihrem Status als Entitäten entgegensteht. Bevor wir auf ein weiteres Definiens der formalen Relationen zu sprechen kommen, noch ein Wort zu einigen Beispielen formaler Beziehungen.

2.2.2 Arten formaler Relationen Bislang war von Bestimmtheit, Identität und Gleichheit die Rede. Bei unserer Auflistung, die an dieser Stelle keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, fehlen aber, noch bevor wir auf ontologische Abhängigkeit und Existenzabhängigkeit zu sprechen kommen, zwei Relationen, von denen im Verlaufe dieser Ausführungen schon mehrmals die Rede war. Da ist zunächst die Beziehung der Komposition. Im ersten Hauptteil kam Komposition vor zur Charakterisierung des Verhältnisses des individuellen Material- und des individuellen Formaspekts beim inneren Aufbau eines Dinges und des Verhältnisses von Ding und Modus im Hinblick auf Zustände bzw. Ereignisse. An dieser Stelle kann ich nicht die Details möglicher Unterscheidungen zwischen diesen beiden Kompositionsverhältnissen ansprechen und beschränke mich auf Material, Form und Ding. Klar ist, dass im Falle der Ding-Komposition keine Verbinder-Entität angenommen wird. Zur Stützung dieser These können wir uns direkt auf die aris-

|| 9 Lowe 2006, 49.

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totelische Metaphysik beziehen, wo explizit davon die Rede ist, dass es kein drittes Element braucht, um die ganze Substanz (hier sprechen wir in einem technischen Sinn vom „ganzen Ding“) aus Material und Form zu bilden oder eben zu komponieren.10 Ist ein Ding gegeben, so jedenfalls auch seine innere Struktur, das ist seine komplexe Einheit aus einem individuellen Material- und einem individuellen Formaspekt. Es braucht nichts Zusätzliches, jedenfalls keine „addition to reality“.11 Ding-Komposition ist eine interne Beziehung. Die komplexe Einheit des Dinges aber ist diesem wesentlich. Und es ist diese wesentliche Einheit, welche die Komposition aus den Strukturelementen gründet. Deshalb kann diese Komposition nicht als dünne interne Beziehung aufgefasst werden. Die Strukturelemente oder -aspekte sind mit dem Ding so eng verbunden, dass sie der Loweʼschen Metapher des Für-einander-gemacht-Seins entsprechen. Komposition im Hinblick auf Material, Form und Ding ist eine formale Beziehung. Konstitution wurde ebenfalls mehrfach erwähnt, auch in diesem zweiten Hauptteil, u.a. dort, wo es um das Verhältnis von Ereignissen bzw. von Zuständen zur Zeit geht. Ereignisse konstituieren zeitliche Verhältnisse. Klar ist, dass es zwischen Ereignissen und Zeit keiner Verbinder-Entität bedarf. Ist ein Ereignis in seiner Gliederung in Abschnitte oder Phasen gegeben, so auch ein Früher und ein Später.12 Früher und Später aber ist die Grundlage zeitlicher Verhältnisse. Zwischen Ereignis und zeitlichem Ablauf braucht es kein Drittes. Zeit-Konstitution ist keine Entität. Die Gliederung aber in Phasen ist Ereignissen, wenn man so will, ‚wesentlich‘. Sie betrifft Ereignisse und auch Zustände in dem, was Lowe auch deren ‚ontologische Form‘ nennt. Zeit-Konstitution ist somit keine dünne Beziehung. Ereignisse und zeitliche Verhältnisse sind jedenfalls so eng und spezifisch miteinander verbunden, dass auch sie „made for each other“ sind. Zeit-Konstitution ist, wie Komposition, eine formale Beziehung. Das Ziel dieses Abschnittes ist die Explikation von Existenzabhängigkeit als formaler Relation. Deshalb kann ich an dieser Stelle nicht detailliert über die

|| 10 Vgl. Aristoteles, Metaphysik Z, 1041b 11–14 (verwendete Ausgabe: Aristoteles 1984), wo sich das bekannte Silbenbeispiel findet, dafür, dass es zur Bildung mancher Ganzheiten kein zusätzliches Element braucht. Diese Interpretation des Beispiels entnehme ich aus Runggaldier 2012, 97ff. 11 Aristoteles ist hier übrigens so radikal, im Hinblick auf das Ding von einer Einheit von Material und Form zu sprechen. Hyle und Morphe sind eines, das eine ist das Ding dem Vermögen nach, das andere der Wirklichkeit nach. Vgl. Aristoteles, Metaphysik Z, 1045b 19, nach Runggaldier 2012, 102. 12 Diesen Punkt habe ich an anderer Stelle (Kanzian 2004) ausführlicher darzustellen versucht.

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Unterschiede zwischen Komposition und Konstitution reflektieren. Jonathan Lowes Hinweise zu diesem Punkt sind dennoch derart relevant, auch für das Kommende, dass sie hier kurz angeführt werden sollen. Lowe charakterisiert die Kompositionsrelation jedenfalls als „one-many relation between a (non-simple) whole and its proper parts.“13 Das „many“ ist dadurch bedingt, dass das komplexe (nicht-simple) Ganze unterschiedliche Komponenten aufweist und wechselnde Komponenten aufweisen kann. Das kommt der hier versuchten Dingontologie entgegen. Dinge sind Ganzheiten, deren Komplexität durch ‚Teile‘, ich spreche lieber von unterschiedlichen Aspekten, ausgemacht wird, die durchaus auswechselbar sind: wohl nicht (bei allen Dingen14) der Formaspekt, sehr wohl jedoch der Materialaspekt. Konstitution hingegen ist für Lowe nicht jedenfalls eine „one-many“ Relation, es ist „a one-one relation, not – or, at least, not always – a one-many relation“15. Die Konstitution ist in Relata gegründet, von denen eines keinen Entitätenstatus aufweist. Konstitution besteht m.a.W., und das unterscheidet sie von Komposition, zwischen einer Entität und einem Epiphänomen. Das ist paradigmatisch bei Ereignissen und zeitlichen Verhältnissen der Fall. Ereignisse sind Entitäten, Zeit ist ein Epiphänomen. Daraus können wir auch einen allgemeinen Begriff von Epiphänomenen gewinnen. Er steht für jene Relata von Konstitutionsbeziehungen, deren jeweils anderes Relatum Entitätenstatus aufweist. Eine bei Lowe nicht vorkommende Unterscheidung zwischen Konstitution und Komposition sehe ich darin, dass es sich bei Ersterer um eine ‚bottom-up‘-, bei Letzterer aber um eine ‚top-down‘-Gründung, durchaus im Sinne der Ausführungen in Abschnitt I - 2.3, handelt. Kompositionsaspekte ergeben sich durch „integrative Analysen“ (siehe ebd., dKT2). Bei Komposition liegt die ontologische Priorität beim Kompositum. Das Kompositum gründet die Bezogenheit der Kompositionselemente auf das Kompositum, und folglich auch die Bezogenheit dieser Elemente untereinander. Zur Erläuterung verweise ich auf das eben dargestellte Verhältnis von Material und Form im Ding.16 Bei der Konstitu-

|| 13 Lowe 2006, 49. 14 Etwa nicht bei Lebewesen, sondern nur bei Artefakten, siehe Abschnitt I - 1.1.5. Im Hinblick auf den Materialaspekt muss differenziert werden zwischen dem Aspekt als solchem und dem konkreten Material, das zu einer bestimmten Zeit diesen Aspekt ausmacht. Kein Ding kann ohne Materialaspekt (als solchen) bestehen. Das macht das „Füreinander-bestimmt-Sein“ von Ding und Materialaspekt aus. Ein Ding kann allerdings (fort)bestehen, auch wenn es konkretes Material austauscht. 15 Lowe 2006, 50. 16 Die Komposition von Zuständen durch Dinge und Modi muss diesbezüglich differenzierend betrachtet werden. Wohl ergeben sich auch hier die Kompositionselemente als solche durch

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tion hingegen liegt die Priorität beim Konstituens. Konstitutionszusammenhänge gehen von einer Basis aus, um aus ihr gewisse Ableitungen epiphänomenaler Natur zu implementieren. Zeit wurde in diesem Sinne als Epiphänomen ausgewiesen. Wie aber können wir, vor dem Hintergrund dieser Ausführungen, nun Existenzabhängigkeit verstehen? Meine Antwort wird auch hier mehrere Stufen umfassen müssen. Existenzabhängigkeit soll als eine Sonderform (ausgeführt in 2.3) ontologischer Abhängigkeit eingeführt werden.

2.2.3 Ontologische Abhängigkeit als formale Relation Besteht zwischen zwei Elementen (irgend)eine ontologische Abhängigkeit, so ist diese Abhängigkeit mit dem Vorliegen dieser Elemente gegeben und zwar so, dass darauf die anfangs des Abschnittes 2.2.1 zitierte Einführung interner Beziehungen durch Kevin Mulligan zutrifft. Terme, die auf ontologische Abhängigkeiten referieren, beziehen sich nicht auf Entitäten. Meines Erachtens können wir das Gegenteil, nämlich die Annahme einer zweistelligen Entität der Art ontologischer Abhängigkeit, nicht annehmen, ohne in einen fatalen Regress zu geraten. Nehmen wir an, zwischen einem x und einem y besteht eine zweistellige Entität der Art ontologischer Abhängigkeit; wie können wir ausschließen, dass sich diese zweistellige Entität nicht wieder in ontologischer Abhängigkeit von x und/oder y befindet? Wie aber steht es um diese ontologische Abhängigkeit höherer Stufe? Steht sie in einer internen Beziehung zu x und/oder y? Wenn ja, warum nicht auch die erste? Oder ist auch die höhere als Entität zu verstehen? usw. Ontologische Abhängigkeit aber besteht nicht aufgrund akzidenteller Gegebenheiten. Ein Ding, das einem anderen Ding aufgrund des Zukommens gleicher Modi ähnelt, tritt mit diesem Ding deshalb nicht in (irgend)eine Art ontologischer Abhängigkeit. Ontologische Abhängigkeit, wie sie etwa zwischen einem Modus und einem Ding besteht, besteht aufgrund des ‚Wesens‘ dieser Entitäten. Nehmen wir nur die Abhängigkeit, die wir zwischen Modi und Dingen aufgrund

|| integrative top-down-Analyse. Desgleichen gründet der Zustand als Kompositum unter bestimmter Rücksicht Bezogenheit dieser Elemente auf ihn, den Zustand. Von „ontologischer Priorität“ und der Gründung auch der Bezogenheit der Kompositionselemente untereinander kann wohl bei Zuständen im Hinblick auf Dinge und Modi nur in analoger Weise bzw. mit Abstrichen die Rede sein.

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der notwendigen Räumlichkeit der Modi, entlehnt von den Dingen, angenommen haben. Diese betrifft ihre Natur, das, was Lowe auch ihre Form nennt. Ontologische Abhängigkeit ist eine formale Beziehung. Ontologische Abhängigkeit aber nimmt unter den formalen Beziehungen eine Sonderstellung ein. Dieser Sonderstellung können wir auf die Spur kommen, wenn wir beachten, dass ontologische Abhängigkeit zwar mit dem Vorliegen ihrer Elemente gegeben ist, dass aber offensichtlich ontologische Abhängigkeit nicht für sich allein zwischen diesen Elementen auftritt, sondern stets mit anderen Relationen. Nehmen wir das Verhältnis Ereignisse–Zeit. Zeit ist, als Epiphänomen, ontologisch abhängig von Ereignissen. Diese ontologische Abhängigkeit hat aber, um es vorsichtig zu sagen, damit zu tun, dass Ereignisse zeitliche Verhältnisse konstituieren. Analoges gilt für Modi und Dinge. Modi hängen ontologisch von den Dingen ab. Das aber geht damit einher, dass Modi Dinge bestimmen. Eine Sonderform ontologischer Abhängigkeit ist die reflexive Weise der Abhängigkeit von sich selbst, welche mit der notwendigen Identität mit sich selbst gegeben ist. Eine andere, eigentümliche Art können wir feststellen zwischen gleichen Modi (was nicht zu verwechseln ist mit dem Verhältnis von Dingen, die einander aufgrund gleicher Modi ähnlich sind!). Ein sehr diffiziles Netz von Abhängigkeiten betrifft gleiche Modi, etwa den Ausschluss, zur selben Zeit dasselbe Ding bestimmen zu können usw. Wir können jedenfalls feststellen, dass ontologische Abhängigkeiten mit dem Bestehen anderer formaler Beziehungen gekoppelt sind. Kevin Mulligan fasst diese Koppelung als „involvement“ auf, von der er annimmt, dass sie jede interne Beziehung betrifft. Jede interne Beziehung involviere eine ontologische Abhängigkeit.17 Jonathan Lowe denkt diese Koppelung zunächst von der anderen Richtung her, indem er ontologische Abhängigkeit als in anderen formalen Beziehungen fundiert bestimmt: „… all dependence relations are, in a certain sense, founded upon other formal relations – relations which are, for this reason, ontologically more basic than the dependence relations themselves“18. Ich möchte mich hier nicht in die Detaildiskussion einlassen, ob tatsächlich von jeder internen Beziehung, also auch den dünnen, behauptet werden könne, sie impliziere ontologische Abhängigkeit, bzw. ob es nicht doch nicht nur zutrifft, dass ontologische Abhängigkeit in formalen Relationen fundiert ist, sondern dass tatsächlich auch jede formale Relation ontologische Abhängigkeit fundiert. Jedenfalls möchte ich die zuletzt genannte Meinung im Folgenden als Arbeitsthese vertreten, durchaus im Bewusstsein, dass ich mich dabei mit jenen Auto|| 17 Vgl. Mulligan 1998, 345. 18 Lowe 2006, 34. [Hervorhebung Lowe]

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ren, auf die ich mich dabei stütze, möglicherweise nicht in völliger Übereinstimmung befinde. Darin besteht jedenfalls die angesprochene Sonderstellung ontologischer Abhängigkeit: Sie ist eine formale Relation, die nicht nur in ihren Relata gegründet ist, sondern auch (wenn auch auf andere Weise) in anderen formalen Relationen, welche sich unter dieser Rücksicht als für ontologische Abhängigkeit grundlegend erweisen. Lowe spricht auch davon, dass ontologische Abhängigkeit durch andere formale Beziehungen konstituiert wird.19 Um eine Verwechslung mit jener Konstitution zu vermeiden, die etwa zwischen Ereignissen und Zeit besteht, möchte ich lieber den Begriff einer Fundierung für das Verhältnis zwischen grundlegenden formalen Relationen und ontologischen Abhängigkeiten verwenden.20 Jedenfalls soll dieser Gedanke der Gründung oder eben der Fundierung ontologischer Abhängigkeiten (auch) in anderen formalen Relationen hier aufgegriffen werden. Er erlaubt es nicht nur zu verstehen, warum ontologische Abhängigkeit gemeinsam mit anderen formalen Beziehungen Elemente verbindet, sondern darüber hinaus auch, die Unterschiedlichkeit der fundierenden formalen Beziehungen als Anlass zu sehen, im Bereich der ontologischen Abhängigkeit Differenzierungen vorzunehmen. Gerade das wird uns im Hinblick auf die Modi von großem Nutzen sein. Schließlich können wir nun auch die Loweʼsche Metapher des Für-einander-gemacht-Seins der Relata formaler Beziehungen, welches sie von Relata dünner Relationen abhebt, verstehen. Formale Beziehungen, nicht dünne, fundieren ontologische Abhängigkeit. Was in ontologischer Abhängigkeit zueinander steht, ist auf näher zu bestimmende und zu differenzierende Weise ‚füreinander gemacht‘. Damit komme ich zum nächsten Schritt, um im Bereich der ontologischen Abhängigkeiten jene herauszuarbeiten, die als Existenzabhängigkeit zu charakterisieren ist, mit besonderer Zielrichtung auf das Verhältnis unserer Modi zu den anderen Partikularien.

|| 19 Vgl. ebd., 37, wo Lowe als Beispiel jene ontologische Abhängigkeit anführt, die aufgrund der Bestimmungsrelation besteht. 20 Einen weiteren Vorteil sehe ich darin, dass die Annahme einer Fundierung ausschließt, dass sich eine formale Beziehung wie Konstitution selbst, gleichsam ohne absehbaren Abschluss, iteriert: Konstituiert (2) die Konstitution (1) der Zeit durch Ereignisse auch noch die ontologische Abhängigkeit (1) der Zeit von Ereignissen, wie verhindert man dann, dass eine ontologische Abhängigkeit (2) anzunehmen ist, die durch Konstitution (2) konstituiert (3) wird, u.s.w.? Nein, die ontologische Abhängigkeit zwischen Zeit und Ereignissen ist in der Konstitution der Zeit durch Ereignisse fundiert. Wir können festlegen, dass keine formale Beziehung sich selbst iteriert, dass also auch die Fundierung keine weiteren Fundierungen fundiert, und können so die Analyse in endlichen Schritten vollziehen.

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2.3 Existenzabhängigkeit: Was sie ist und wie sie Modi betrifft (1) In eigentlicher Redeweise ist im Vorangehenden stets von ontologischen Abhängigkeiten die Rede, also von Abhängigkeit im Plural. Das hat den Grund, dass „ontologische Abhängigkeit“ nicht für eine einzelne Relation, besser: nicht für eine einzelne Spezies von formalen Relationen steht, sondern für ein ganzes Genus, Lowe spricht von einer „Familie“21 von Relationen. Das wird helfen, im Hinblick auf Vorkommnisse verschiedener Kategorien von Partikularien, deren wechselseitiges Verhältnis differenzierend in den Blick zu bekommen. Freilich können wir hier keinen vollständigen Abhängigkeitskatalog anstreben, sondern fokussieren unseren Blick auf die Modi und ihren Status als existenzabhängige Entitäten. Um die spezifischen Differenzen im Bereich des Genus ontologischer Abhängigkeiten in den Blick zu bekommen, wurden verschiedene Raster vorgeschlagen. Ich möchte mich zunächst (frei) an jenem orientieren, den Peter Simons in verschiedenen Publikationen entwickelt hat, und zwar unter der Rücksicht, dass man zum einen zwischen individuellen und generischen Abhängigkeiten unterscheiden kann, zum anderen zwischen starken und schwachen. Den Unterschied zwischen „starken“ und „schwachen“ Abhängigkeiten macht bei Simons aus, dass schwache Abhängigkeit die Abhängigkeit des Abhängigen von einem seiner Teile nicht ausschließt.22 Stark abhängig ist ein x jedenfalls von einem y, das außerhalb von x liegt. Ich werde (deshalb) im Folgenden Simons starke Abhängigkeit als extrinsische (um-)deuten, seine schwache aber als intrinsische Abhängigkeit, und den Begriff „Teil“ in Zusammenhang mit der zuletzt genannten in einem weiten und nicht technischen Sinn verstehen, wie er etwa auch den Begriff „Komponent“ umfasst. Intrinsisch abhängig ist ein x jedenfalls von einem y genau dann, wenn y in x liegt. In einem x liegt ein y, wenn y keinen (echten oder unechten) Teil aufweist, der nicht auch (echter) Teil von x ist.23 „Außerhalb“, im Sinne extrinsischer Abhängigkeit, von x liegt ein y, wenn mindestens ein (echter oder unechter) Teil von y kein (echter oder unech-

|| 21 Lowe 2006, 34: „dependence is not so much a single relation as a family of relations“. 22 U.a. Simons 1994, 559. Simons bezieht diese Auffassung auf die Husserlsche Fundierung. In Simons 1987, 303, findet sich eine technisch detailliertere Ausführung der starken Abhängigkeit. Für unsere Zwecke reicht ein Verweis auf die einfachere in ders. 1994. 23 Die Unterscheidung zwischen einem echten und einem unechten Teil besteht darin, dass für die erstere Beziehung Asymmetrie gilt, für die letztere nicht. Unechter Teil kann etwas auch von sich selbst sein. Für eine formale Einführung der Distinktion: Simons 1987, 26ff.

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ter) Teil von x ist. Wenn ich beispielsweise meine, dass ein Zustand intrinsisch von einem Modus abhängt, meine ich, dass der Modus in dem Zustand, der von ihm abhängt, liegt. Dass der Zustand hingegen dem Modus außerhalb liegt, der Modus somit vom Zustand extrinsisch abhängt, meint, dass es einen Teil oder Komponenten des Zustands gibt, der kein Teil des Modus ist, nämlich das Ding. Bzgl. der zuerst genannten Gegenüberstellung, also zwischen individueller und generischer Abhängigkeit, möchte ich mich näher an Simons orientieren. Simons macht klar, dass sich diese Unterscheidung nicht auf eine zwischen „de dicto“ und „de re“ bezieht: „Both are de re. Rather one should distinguish de specie dependence from de individuo dependence.“24 Man kann also unterscheiden, ob etwas von einem bestimmten Individuum abhängt oder ob etwas von (irgendwelchen) Individuen einer allerdings bestimmten Art abhängt. Dass ein Ding nicht von einem bestimmten Modus abhängt, also individuell, scheint klar, ebenso, dass daraus nicht folgt, dass Dinge (auf näher zu erläuternde Weise) nicht doch von Modi bestimmter Arten oder Determinablen, etwa Farb-Modi oder Größen-Modi, generisch abhängen. Nicht bei Simons findet man jene Gegenüberstellung, die ich in früheren Abschnitten (u.a. I - 1.3) angedeutet habe, nämlich die zwischen einer akzidentellen und einer substantiellen ontologischen Abhängigkeit. Vor dem Hintergrund der nunmehr angestellten Überlegungen muss ich zwar davon Abstand nehmen, „akzidentelle“ Abhängigkeit weiter als ontologische Abhängigkeit in einem technischen Sinne gelten zu lassen. Und zwar deshalb, weil wir ja rein akzidentelle Gegebenheiten als Basis formaler Relationen, wie ontologische Abhängigkeit eine ist, ausgeschlossen haben. Den sachlichen Gehalt der Gegenüberstellung aus dem ersten Hauptteil möchte ich aber aufgreifen und als Dichotomie zwischen substantieller und proprialer ontologischer Abhängigkeit festhalten.25 Substantielle Abhängigkeit liegt vor, wenn ein x von einem y abhängt unter einer Rücksicht, die x wesentlich ist, oder wenn die Bezogenheit des x auf das y zur Natur von x gehört.26 Propriale Abhängigkeit ist gegeben, wenn ein x von einem y unter der Rücksicht eines definitorischen Merkmals abhängt, das dennoch nicht zu seinem Wesen oder seiner Natur gehört, obwohl || 24 Simons 1994, 560. [Hervorhebung Simons] Formal: Simons 1987, 297. Zur Relevanz dieser Unterscheidungen bei Simons siehe u.a. Trettin 2001, 27ff. 25 In Kanzian 2009, 52f, habe ich in vergleichbarem Zusammenhang diesen Begriff verwendet. Dabei habe ich „proprial“ von „Proprium“ abgeleitet und für die Einführung dieses Terminus auf relevante Beiträge in der II-Literatur verwiesen. 26 Ich orientiere mich bei dieser Bestimmung an Kit Fines Begriff einer wesentlichen Abhängigkeit, wie er sie etwa in Fine 1994 dargelegt hat. Für nähere Erläuterungen dieser Abhängigkeit darf ich auf Kanzian 2009, 199 verweisen.

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es aus dieser seiner Natur abgeleitet und somit der Art oder Kategorie von x eigentümlich ist.27 Dass diese Abhängigkeit ein nicht-wesentliches Merkmal betrifft, unterscheidet es von substantieller Abhängigkeit. Dass sie sich dennoch auf Definitorisches oder ontologisch Charakterisierendes bezieht, bedingt ihren Status als ontologische Abhängigkeitsbeziehung. Sie betrifft jedenfalls nichts rein Akzidentelles. Ich möchte betonen, dass die Unterscheidung zwischen proprialer und substantieller ontologischer Abhängigkeit eine zusätzliche ist gegenüber den beiden anderen erwähnten Abhängigkeitsdistinktionen. Das heißt, dass es die propriale Abhängigkeit eines x von einem y offen lässt, ob dieses y x intrinsisch ist oder nicht bzw. dass substantielle Abhängigkeit durchaus nicht nur von einem bestimmten Individuum, sondern womöglich auch von Individuen einer bestimmten Art bestehen kann. Möglicherweise wäre ein nicht wesentliches Organ oder ein nicht wesentlicher Organteil etwas, von dem ein Organismus intrinsisch, dennoch (nur) proprial abhängt. Von (komplexeren) Ereignissen und Zuständen hingegen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie, in ihrer substantiellen Abhängigkeit von Dingen, doch nicht von einzelnen bestimmten Dingen abhängen.28 Da mein Thema Modi sind, erlaube ich es mir, an dieser Stelle nicht ins Detail zu gehen. Ohne den Anspruch zu erheben, einen für alle Zwecke vollständigen Raster vorgelegt zu haben, möchte ich diesen Punkt vorläufig abschließen. Bevor ich aber zu den Modi und deren Stehen in Abhängigkeitsbeziehungen komme, scheint es mir unumgänglich, weitere Differenzierungen vorzutragen. (2) Diese weiteren Differenzierungen betreffen allerdings nicht Arten ontologischer Abhängigkeiten, sondern logische Charakteristika, die sich an der Eigenart jener formalen Relationen orientieren, welche ontologische Abhängigkeiten fundieren (im Sinne des Abschnittes II - 2.2.3).

|| 27 Vgl. die Einführung von Propria bei Dietrich von Freiberg, in seiner Abhandlung über die Akzidentien 3 (2), verwendete Ausgabe: ders. 1994, 9. Dass ontologische Abhängigkeit „aufgrund des ‚Wesens‘ einer Entität besteht“, wie im Abschnitt II - 2.2.3 bei der Einführung ontologischer Abhängigkeit dargelegt, kann also ein Zweifaches bedeuten: einen unmittelbaren Bezug zum Wesen im Falle substantieller Abhängigkeit bzw. einen mittelbaren Bezug zum Wesen im Falle proprialer Abhängigkeit. Letztere ergibt sich durch den Bezug auf ein definierendes Merkmal, das sich aus dem Wesen oder der art- bzw. kategorienspezifischen Natur einer Entität herleitet. 28 Für Details: u.a. Kanzian 2009, 67.

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Beginnen wir mit Konstitution. Konstitution ist eine asymmetrische Relation: Konstituiert ein x ein y, folgt daraus, dass y nicht x konstituiert.29 Ein Konstituiertes y kann auch kein von x verschiedenes z konstituieren. Das liegt am epiphänomenalen Status alles Konstituierten. Damit ist Konstitution auch als nicht transitiv zu erweisen. Auch die Irreflexivität ergibt sich übrigens daraus. Nichts kann sich selbst konstituieren, schon gar kein Epiphänomen. Dementsprechend fundiert Konstitution, etwa von zeitlichen Verhältnissen durch Ereignisse, eine Art ontologischer Abhängigkeit mit ganz bestimmten formalen Merkmalen. Diese ist, wie auch immer wir in Anwendung des eben entwickelten Rasters ihre Spezies festlegen, asymmetrisch. Wie das Konstituierte vom Konstituierenden abhängt, kann das Konstituierende nicht vom Konstituierten abhängen. Wie Zeit vom Ablauf von Ereignissen abhängt, können Ereignisse nicht von der Zeit abhängen. Logisch folgt daraus zwar nicht, dass das Konstituierende nicht doch, wenn auch auf andere Weise, vom Konstituierten abhängt. Dass dem nicht so ist, ergibt sich freilich wieder aus dem epiphänomenalen Charakter jedes Konstituierten. Es kann kein x ontologisch von einem Epiphänomen y abhängen.30 Von zeitlichen Verhältnissen, um beim Beispiel zu bleiben, hängt nichts ab, im Sinne der formalen Relation ontologischer Abhängigkeit. Die durch Konstitution fundierte ontologische Abhängigkeit, das sei vollständigkeitshalber erwähnt, kann nicht transitiv und muss irreflexiv sein. Bestimmtheit ist ebenfalls eine asymmetrische Relation. Bestimmt ein y ein x, ist ausgeschlossen, dass dasselbe x dasselbe y bestimmt. Bestimmtheit ist auch nicht transitiv. Das ergibt sich aus der Eigenart der Bestimmtheitsrelation als Beziehung zwischen Modi und Dingen. Außerdem kann kein Modus sich selbst bestimmen, was die Irreflexivität dieser Beziehung besagt. Daraus dass ein y ein x qualitativ bestimmt und dadurch die ontologische Abhängigkeit des y von x fundiert wird, folgt aufgrund der angenommenen Asymmetrie, dass dieselbe ontologische Abhängigkeit nicht auch x im Hinblick auf y betrifft. Es folgt freilich nicht, dass nicht auch das x in irgendeiner (der Asymmetrie nicht zuwiderlaufenden) Weise von diesem y abhängt. Da Bestimmtheit zwischen Entitäten besteht, eröffnet diese logische auch ontologische Möglichkeiten.

|| 29 Zur formalen Explikation von Asymmetrie siehe Löffler 2008, 150f. 30 Epiphänomene sind also ‚ontologisch inert‘. Sie sind konstituiert und konstituieren selbst nicht. Das können nur Entitäten. Unter dieser Rücksicht kommen sie, in analoger Weise, mit der Beziehung der ontologischen Abhängigkeit überein. Ontologische Abhängigkeiten sind fundiert, fundieren aber selbst nicht. Wenn man wollte, könnte man sie als Epi-Relationen bezeichnen. Der theoretische Nutzen dieser Festlegung ist in Zusammenschau mit Fußnote 20 zu ersehen.

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Auch Dinge können von Modi ontologisch abhängen. Ausgeschlossen ist nur, dass sie das so tun, wie Modi von Dingen abhängen. Aufgrund der NichtTransitivität und der Irreflexivität der Bestimmtheit können wir das Thema Transitivität und Reflexivität der durch sie fundierten ontologischen Abhängigkeit ad acta legen. Komposition kann im Unterschied zu Konstitution und in Analogie zu Bestimmtheit auch zwischen zwei Entitäten bestehen. Da Komposition (im Unterschied zu Bestimmtheit) aber keine Exklusivbeziehung zwischen Vorkommnissen zweier Kategorien (Dinge, Modi) ist, kann man durchaus ihre Transitivität behaupten. Komponiert ein x ein y und ein y ein z, kann man daraus folgern, dass x das z komponiert. Steht y in einer durch die Komposition fundierten ontologischen Abhängigkeitsbeziehung von x, z aber von y, überträgt sich diese Abhängigkeitsbeziehung auch auf z im Hinblick auf x. Um die Sache noch etwas diffiziler zu gestalten, können wir ins Auge fassen, dass sich bei Komposition noch eine andere Übertragung ontologischer Abhängigkeit ergibt. Komposition ist nämlich, in jedem Fall, eine „one-manyrelation“.31 Komplexe Ganze haben mehrere Komponenten. Nun ist es so, dass eine gegebenenfalls bestehende Abhängigkeit eines Komponenten y von einem anderen Komponenten x übertragbar ist auf die Abhängigkeit des Ganzen, z, von diesem x, da ja z über Komposition von y abhängt. Hängt beispielsweise ein Zustand bzw. ein Ereignis davon ab, dass ihn ein Modus komponiert, der Modus aber von einem Ding, so überträgt sich diese Abhängigkeit des Modus vom Ding auch auf die Abhängigkeit des Zustands vom Ding. Zustände sind also, wenn man so will, in zweifacher Weise von Dingen abhängig: unmittelbar, weil Dinge Zustände komponieren, und dann auch mittelbar, weil Modi, die anderen Komponenten, von Dingen abhängen. Mit der Bestimmtheit teilt Komposition ihre Asymmetrie, folglich, dass die durch sie fundierte Abhängigkeitsbeziehung asymmetrisch ist. Die ontologische Abhängigkeit eines z von einem y muss also eine andere sein als jene des y von z, wenn sie durch Komposition fundiert ist. Die Abhängigkeit eines Zustands von einem Modus muss sich demnach unterscheiden von der Abhängigkeit des Modus vom Zustand. Der finale Verweis auf die Irreflexivität der Komposition bzw. der durch Komposition fundierten ontologischen Abhängigkeit sei auch hier der Vollständigkeit halber angeführt.32

|| 31 Lowe 2006, 49. 32 Was im Hinblick auf die bisher genannten formalen Beziehungen trivial anmutet, nämlich die Irreflexivität der durch sie fundierten ontologischen Abhängigkeit, hat dennoch Signifikanz. Insofern nämlich, als es durchaus auch reflexive ontologische Abhängigkeit geben mag.

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(3) In Anwendung der unter (1) dargelegten Kriteriologie können wir nun festhalten, dass Modi von Dingen individuell, extrinsisch und substantiell abhängen. Individuelle Abhängigkeit besagt, dass ein Modus von genau einem Ding, zu ergänzen ist auch hier: bzw. von genau einem Dingteil, abhängt. Ein Modus kann nicht mehrere Dinge bestimmen, weder synchron, d.h. zu einem Zeitpunkt, noch diachron, d.h. zuerst dieses Ding, dann ein anderes.33 Dieses Rot der Kugel bzw. dieses Schwarz des Tischbeines kann nicht das Rot einer anderen Kugel sein bzw. dieses Schwarz des anderen Tischbeines. „Extrinsisch“ aber meint, dass das Ding, von dem ein Modus abhängt, außerhalb des Modus liegt, in eingeführtem Sinne. „Substantiell“ aber bedeutet schließlich, dass Modi wesentlich Qualitäten von Dingen sind. Es gibt keine ding-losen Modi, wobei die Bezogenheit auf Dinge zur ‚Natur‘ der Modi gehört. Diese ontologische Abhängigkeit der Modi von den Dingen ist aber in der formalen Beziehung der Bestimmtheit fundiert. Modi bestimmen Dinge. Bestimmtheit aber ist, wie in (2) dargelegt, eine asymmetrische, nicht transitive und irreflexive formale Beziehung, welche somit asymmetrische, nicht transitive und irreflexive ontologische Abhängigkeit fundiert. „Irreflexiv“ ist klar: Modi können zu sich selbst nicht in jener ontologischen Abhängigkeit stehen, in der sie zu Dingen stehen; „nicht transitiv“ auch: In der Abhängigkeit, in der Modi zu Dingen stehen, können Dinge ebenso wenig zu anderen Entitäten stehen, wie irgendwelche anderen Entitäten zu Modi. Das ergibt sich schon aus der Exklusivität der Beziehung zwischen Modi und Dingen. Es gibt keine Entitäten, welche sich zu Modi so verhalten, wie sich Modi zu Dingen verhalten, und keine Entitäten, zu denen sich Dinge auf jene Weise verhalten, in der sich Modi ihnen gegenüber verhalten. Asymmetrie hingegen eröffnet Klärungsbedarf: Asymmetrie besagt, dass die Abhängigkeit der Modi von Dingen nicht auch die Abhängigkeit der Dinge von Modi sein kann. Sie besagt aber nicht, dass nicht auch Dinge von Modi (anders!) ontologisch abhängig sein können. Dass Dinge von Modi aber abhängen, zeigt sich daran, dass Dinge durchaus von bestimmten Arten oder Determinablen von Modi, etwa Farben, abhängen. Es besteht also generische Abhängigkeit. Die Extrinsizität der Dinge Modi gegenüber widerspricht übrigens nicht der Extrinsizität der Modi Dingen gegenüber. Dinge und Modi sind beidseitig extrinsische

|| Denken wir an Identität, welche insofern einen Sonderfall formaler Relationen darstellt, als sie eine rein auf sich selbst bezogene ontologische Abhängigkeit fundiert. Nach Simons können wir reflexive ontologische Abhängigkeit auch nicht-rigid, die irreflexiven aber rigide nennen. Vgl. u.a. Simons 1987, 296. 33 Vgl. Heil 2003, 141: „Modes … are non-transferable.“

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oder disjunkte Entitäten. Dinge hängen also von Modi generisch und extrinsisch ab. Die Asymmetrie der ontologischen Abhängigkeit ist davon nicht betroffen, zumal Dinge von Modi nicht substantiell, sondern proprial, in eingeführtem Sinne, abhängen: Es ist ein Dinge charakterisierendes Merkmal, dass sie durch Modi spezifischer Determinablen bestimmt sind, ohne dass dieses Merkmal unmittelbar zum Wesen der Dinge gehörte.34 Die Abhängigkeit der Modi gegenüber den Zuständen (bzw. den Ereignissen, was ich auch hier der Einfachheit halber beiseitelasse) ist substantiell, extrinsisch und durchaus individuell. Das bedeutet nicht nur, dass es den Modi wesentlich ist, Zustände zu komponieren, sondern auch, dass es für einen Modus x wesentlich ist, diesen Zustand y zu komponieren. Dieses Rot ist wesentlich dieses Rot des Rot-Seins der Kugel. „Extrinsisch“ aber besagt, dass der Zustand außerhalb des Modus liegt. Es gibt, wie gesagt, einen echten Teil des Zustands, der nicht Teil des Modus ist: das Ding, das den Zustand mit dem Modus komponiert. Die Abhängigkeit aber der Modi gegenüber den Zuständen ist in der formalen Beziehung der Komposition fundiert. Das heißt sie ist irreflexiv, d.h. nicht wiederum auf Modi selbst beziehbar. Sie ist auch transitiv, was im Falle des Verhältnisses Modus–Zustand allerdings nur dann relevant wäre, wenn Zustände selbst Komponenten umfassenderer Einheiten wären. Modi selbst haben ja keine Komponenten. Und die so fundierte ontologische Abhängigkeit ist asymmetrisch. Diese Asymmetrie zeigt sich darin, dass die Abhängigkeit der Zustände von Modi im Unterschied zur Abhängigkeit der Modi von Zuständen eine intrinsische ist. Zustände sind gegenüber den Modi nicht disjunkt. Modi liegen, wie gesagt, als ontologische Komponenten in den Zuständen, auch wenn man annehmen kann, dass Zustände außerhalb der Modi liegen. Die Abhängigkeit der Dinge von den Zuständen ist proprial, generisch und extrinsisch. Obwohl es Dingen nicht wesentlich ist, in Zustände einzutreten, ist es doch ein definierendes Merkmal von Dingen – aufgrund ihrer Bestimmtheit durch Modi – Komponenten von Zuständen zu sein; allerdings nicht von individuellen Zuständen, sondern von irgendwelchen Zuständen jener Genera, welche sich aus den für Dinge relevanten Determinablen der sie bestimmenden Modi ergeben. Ebenso wenig wie Zustände den Modi intrinsisch sind (siehe

|| 34 Davon unberührt ist übrigens das Problem der sogenannten wesentlichen Modi, das im dritten Hauptteil erörtert wird. Es wird zu zeigen sein, dass Dinge von den Modi, die ihnen „wesentlich“ sind, nicht in einem substantiellen Sinn abhängen, wie das hier eingeführt wird.

Existenzabhängigkeit: Was sie ist und wie sie Modi betrifft | 111

oben), sind Zustände den Dingen intrinsisch, obwohl man umgekehrt davon sprechen kann, dass die Dinge als Komponenten in den Zuständen liegen. Zustände sind auch den Dingen gegenüber nicht disjunkt. Auch die Abhängigkeit der Dinge von den Zuständen ist in der formalen Beziehung der Komposition fundiert. Das heißt sie ist, wie die Komposition, irreflexiv, d.h. nicht auf Dinge selbst beziehbar. Sie ist transitiv, d.h. haben Dinge Komponenten, so kann man davon sprechen, dass diese Ding-Komponenten in Konsequenz auch so von Zuständen abhängen wie das die Dinge tun. Und die so fundierte ontologische Abhängigkeit ist asymmetrisch. Diese Asymmetrie zeigt sich beim Ding-Zustand-Verhältnis zunächst darin, dass Zustände von Dingen intrinsisch abhängen. Dinge liegen als ontologische Komponenten in den Zuständen. Dinge aber hängen von Zuständen extrinsisch ab. Zustände sind, nach gegebener Definition, außerhalb von Dingen. Die Asymmetrie kommt zusätzlich auch noch so zur Geltung, dass es Zuständen substantiell oder wesentlich ist, Zustände von Dingen zu sein; Dinge sind hingegen proprial Dinge von Zuständen. Zustände (Z) Komposition fundiert: g. in. s. g. ex. p. Abhängigkeit bei Z–D

komponieren werden komponiert durch

Dinge (D)

Bestimmtheit fundiert: i. ex. s.

Komposition fundiert: i. in. s. i. ex. s. Abhängigkeit bei Z–M

werden bestimmt durch bestimmen und g. ex. p.

Modi (M)

bei D–M

Daraus ergibt sich, unter Ausklammerung von Konstitution, dieses Bild, wobei die Abkürzungen g. für generisch, i. für individuell, in. für intrinsisch, ex. für extrinsisch, s. für substantiell, p. für proprial stehen; die Pfeile aber für die, auf-

112 | Modi als existenzabhängige Entitäten

grund der angenommenen Asymmetrie entgegengesetzten Richtungen von wird komponiert durch und komponiert bzw. bestimmt und wird bestimmt durch, welche jeweils eine Weise der ontologischen Abhängigkeit fundieren. (4) Existenzabhängigkeit aber möchte ich als substantielle (s.) und individuelle (i.) ontologische Abhängigkeit einführen. Damit treffe ich die ontologische Abhängigkeit der Modi von den Dingen, nicht aber die Abhängigkeit der Dinge von den Modi. Ich treffe damit aber auch die Abhängigkeit der Modi von den Zuständen, wie ich die Abhängigkeit der Zustände von den Modi treffe. Für eine Ontologie der Existenzabhängigkeit ist bedeutsam, dass Existenzabhängigkeit Entitäten betreffen muss. Etwas, das nicht als Entität existiert, kann auch nicht von etwas anderem in seiner Existenz abhängen. Epiphänomene sind nicht existenzabhängig. Von etwas, das selbst keine Entität ist, kann auch keine Entität in seiner Existenz abhängen. Kurzum: Existenzabhängigkeit besteht zwischen zwei Entitäten. Das schließt es aus, dass Existenzabhängigkeit durch Konstitution fundiert wird. Ontologisch relevant ist ferner, dass Existenzabhängigkeit von Komposition und von Bestimmtheit fundiert wird, beide aber asymmetrische Beziehungen sind, folglich asymmetrisch ontologische Abhängigkeit fundieren. Existenzabhängigkeit kann keine symmetrische Beziehung sein.35 Es ergibt sich auch, dass Existenzabhängigkeit neutral ist gegenüber Transitivität und Nicht-Transitivität. Komposition fundiert transitive, Bestimmtheit aber nicht-transitive ontologische Abhängigkeit. Schließlich ist Existenzabhängigkeit irreflexiv. Keine Entität hängt von sich selbst in seiner Existenz ab. Auch das lässt sowohl Bestimmtheit als auch Komposition als Fundierungsbasis von Existenzabhängigkeit zu.36 Ein möglicher Einwand gegen diesen Raster mag darin bestehen, ob es denn ihm zufolge überhaupt so etwas geben könnte wie substantielle Nicht-Existenz-

|| 35 Wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt, steht das nicht in Gegensatz zur Annahme, dass Zustände und Modi wechselseitig existenzabhängig sind: Zustände hängen von Modi intrinsisch, Modi aber von Zuständen extrinsisch ab. Das schließt die Symmetrie ihrer Abhängigkeit aus. 36 In Anschluss an Fußnote 32 können wir bemerken, dass Simons in seiner Definition DD1 (ders. 1987, 295) Nicht-Rigidität von seiner Bestimmung ontologischer Abhängigkeit ausschließt. Auf die hier verwendete Terminologie übertragen: Die Abhängigkeit von sich selbst oder die Abhängigkeit von seiner eigenen Identität oder die Abhängigkeit von dem, was seine eigene Identität ausmacht, kann nicht unter Existenzabhängigkeit in eingeführtem Sinne subsumiert werden.

Existenzabhängigkeit: Was sie ist und wie sie Modi betrifft | 113

abhängigkeit? Wenn nein, steckt dann nicht schon in der Unterscheidung zwischen substantieller und proprialer Abhängigkeit der gesamte Gehalt unserer Rede von Existenzabhängigkeit? Das ist nicht so. Es gibt, nach dem eben vorgelegten Rahmen, auch substantielle Nicht-Existenzabhängigkeit, nämlich generisch-substantielle ontologische Abhängigkeit. Es ist z.B. jene Abhängigkeit, von der ich annehme, dass Zustände bzw. Ereignisse (unmittelbar) zu Dingen stehen. Die Gegnerin könnte das zum Anlass nehmen, gleich einen weiteren Kritikpunkt vorzubringen: Dann sind also Zustände und Ereignisse nicht von Dingen existenzabhängig? Wenn man das zugesteht, so die Kritikerin, könnte man Dinge, insbesondere Substanzen, nicht mehr über ihre Existenzunabhängigkeit definieren, bzw. die im Abschnitt II - 2.1 angenommene Existenzabhängigkeit der Zustände und Ereignisse von den Dingen nicht mehr explizieren! Vorsicht, entgegne ich weiter, zunächst im Hinblick auf den ersten genannten Gesichtspunkt: Selbst wenn ich vorsehe, dass Zustände und Ereignisse nicht (unmittelbar) von Dingen in ihrer Existenz abhängen, so hängen sie doch, nach gegebener Einführung, in ihrer Existenz (auch unmittelbar) von Modi ab. Also sind Zustände und Ereignisse nicht existenzunabhängig, ebenso wenig wie Modi. Das lässt den Schluss darauf zu, dass Dinge, insbesondere Substanzen, über ihre Existenzunabhängigkeit definiert werden können.37 Die letzten Parenthesen weisen auch schon auf eine Klärung des zweiten im Einwand angeführten Gesichtspunkts hin: Zustände und Ereignisse hängen nicht unmittelbar in ihrer Existenz von Dingen ab; allerdings von Modi, welche ihrerseits von Dingen existenzabhängig sind. Wenn man das unter (2) über die Komposition Gesagte in Anschlag bringt, sieht man, dass Zustände und Ereignisse somit auch von Dingen in ihrer Existenz abhängen, und zwar aufgrund der dort angeführten Übertragbarkeit der durch Komposition fundierten ontologischen Abhängigkeit. (5) Modi sind existenzabhängige Entitäten und unterscheiden sich in dieser ihrer Existenzabhängigkeit von den anderen Partikularien. Von Dingen setzen sich Modi dadurch ab, dass sie, die Modi, von Vorkommnissen anderer Kategorien von Partikularien überhaupt in ihrer Existenz abhängen. Aber auch von Zuständen bzw. Ereignissen können wir Modi unterscheiden, insofern die Modi

|| 37 Zur Erinnerung: Die Unterscheidung zwischen Dingen und Substanzen besteht darin, dass zu den Ersteren auch die Artefakte gehören (siehe I - 1.1.5). Die Artefakte aber sind existenzabhängige Entitäten, zwar nicht von Vorkommnissen anderer Kategorien von Partikularien, sondern von anderen ‚Dingen‘, sprich erzeugenden Bewusstseinszentren. Deshalb definiert man über Existenzunabhängigkeit Substanzen, nicht aber Dinge.

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unmittelbar sowohl von Zuständen bzw. Ereignissen als auch von Dingen substantiell und individuell abhängig sind. Dass Modi aber sowohl von Dingen als auch von Zuständen bzw. Ereignissen substantiell und individuell abhängen, besagt, dass sie in ihrer Identität, in dem, was sie als Individuum ausmacht, von Vorkommnissen dieser anderen Kategorien abhängen. Existenzabhängigkeit im Bereich der Partikularien impliziert Identitätsabhängigkeit zwischen diesen Partikularien. Im Falle der Modi ist diese Identitätsabhängigkeit noch dazu eine vollständige, da wir bei ihnen keine weiteren Instanzen annehmen können, welche ebenfalls identitäts-determinierende Funktionen hätten. Wir haben ja gesehen (im Abschnitt II - 1.2.2 (4)), dass die Arten der Modi, die Determinablen, ‚ihre‘ Modi zwar hinsichtlich ihrer Gleichheit, nicht aber hinsichtlich ihrer numerischen Identität determinieren. Auch das unterscheidet sie von Zuständen bzw. von Ereignissen. Zustände bzw. Ereignisse sind zwar auch existenz-, also identitätsabhängig, nicht jedoch vollständig von Partikularien anderer Kategorien. Zustände und Ereignisse sind in ihrer Identität auch sortal bestimmt, wenngleich, im Unterschied zu Dingen, auch synchron von mehreren Arten. Dass sich Modi in ihrer Identitätsabhängigkeit von Dingen unterscheiden, liegt auf der Hand. Dinge stehen in keinen Existenzabhängigkeiten zu anderen Partikularien, also auch nicht in Identitätsabhängigkeiten zu diesen. In dieser mannigfaltigen und vollständigen Identitätsabhängigkeit besteht der ontologische Grund, warum wir uns, gerade im Kontext einer deskriptiven Ontologie, also einer Ontologie unserer alltäglichen Lebenswelt, notorisch schwer tun, die numerische Identität von Modi festzulegen. Wieviel Grau-Modi liegen hier vor, wenn wir die Wand betrachten? Wir werden zu keiner definitiven Antwort kommen. Das macht aber nichts, solange wir systematisch rekonstruieren können, warum dies so ist: Modi sind einzigartig in ihrer Identitätsabhängigkeit, die eine vollständige ist, gegeben durch ihre Existenzabhängigkeit, ihre substantielle und individuelle ontologische Abhängigkeit von anderen Partikularien, fundiert in jenen formalen Beziehungen, in denen sie zu diesen anderen Partikularien stehen: Bestimmtheit und Komposition. Diese Bemerkung mag auch gleich als Zusammenfassung und Abschluss dieses Abschnittes über die Existenzabhängigkeit der Modi dienen. Wir machen einen Schnitt und kommen zu einem anderen ontologischen Grundzug oder einem weiteren ontologischen Charakteristikum der Modi: dass sie Kräfte sind und als solche kausale Verhältnisse konstituieren.

3 Modi als Kräfte Dass Modi als Kräfte zu charakterisieren sind, wurde in vorhergehenden Abschnitten schon mehrmals angesprochen. In diesem Abschnitt soll es darum gehen, diese These ein Stück weit zu erläutern (3.1), sie durch Gegenüberstellung alternativer Ansätze zu positionieren (3.2), und schließlich im Hinblick auf Grundlagen einer eigenen Kausaltheorie zu explizieren (3.3). Modi als Kräfte konstituieren ja kausale Verhältnisse.

3.1 Kräfte und Dispositionen (1) Sich in der aktuellen Forschungsliteratur Rückhalt zu suchen für eine Erläuterung unserer These von Modi als Kräften fällt schwer. Die Begriffe „Modi“ bzw. „Kräfte“ (engl.: powers) sind vor dem Hintergrund verschiedener theoretischer Kontexte und auch Interessen eingeführt. Außerdem werden sie, relativ zu verschiedenen Einführungsstrategien, in Verbindung gebracht mit anderen termini technici wie „Disposition“ bzw. „Potentialität“ oder „Vermögen“. Da mag es schon einmal vorkommen, dass man bei einer/m AutorIn eine ‚willkommene‘, sprich dem hier vorgebrachten Rahmen vergleichbare terminologische Festlegung findet, die dann aber auch gleich wieder unbrauchbar wird, etwa wenn sich bei ihr/ihm daraus eine Festlegung auf ein bestimmtes Verständnis, z.B. von „Disposition“, ergibt, die hier nicht mitgemacht werden kann. Ich möchte daher mein Augenmerk primär auf die eigene begriffliche Schneise durch das Dickicht richten und den Verweisen auf Literatur eine nachrangige Bedeutung zukommen lassen. Modi sind qualitative Bestimmungen von Dingen. Ich gehe aber davon aus, dass Modi auch Kräfte sind.1 Ohne dass sich also eine Ontologie der Modi darin erschöpft, dass Modi Kräfte sind, möchte ich damit doch zum Ausdruck bringen, dass man ohne Kräfte keine adäquate (Alltags-)Ontologie haben kann. Ebenso kann man keine Theorie der Kräfte anvisieren, ohne auf Modi Bezug zu nehmen. Kurzum: Es gibt (in unserer Lebenswelt) Kräfte, und es gibt keine Kräfte, die keine Modi sind.2 Wenn Kräfte für Kausalität unabdingbar sind, was der hier anvisierten Kausaltheorie wesentlich ist, folgt daraus die Unverzichtbarkeit

|| 1 Als Mitvertreter dieser These lässt sich Michael Esfeld anführen. Vgl. u.a. ders. 2008, verwendete Textgrundlage S. 5. 2 Auch diesen Gedanken findet man bei Esfeld; u.a. ders. 2007, verwendete Textgrundlage S. 10.

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eben der Modi für kausale Verhältnisse. Das wurde ja im ersten Abschnitt dieses zweiten Hauptteiles als ein hinreichendes Argument für den Entitätenstatus der Modi vorgebracht. (2) Wenn man versucht, die Konstitution kausaler Verhältnisse aus Kräften näher zu analysieren, wird man nicht ohne den Begriff „Disposition“ das Auslangen finden. Was aber sind Dispositionen? In einer ersten Annäherung kann man Dispositionen in Zusammenhang bringen mit Eigenschaften (nicht-technisch), insofern diese ihrem Träger bestimmte kausale Funktionen oder Rollen verleihen.3 Grundlegend dabei ist die Unterscheidung zwischen den Dispositionen als solchen und ihren Manifestationen, der kausalen Rolle als solcher und ihrer Realisierung. Als Standardbeispiel wird die Wasserlöslichkeit eines Zuckerstückes angeführt. Nimmt man die Wasserlöslichkeit als eine Disposition an, die darin besteht, dass dem Zucker eine bestimmte Relevanz im kausalen Geschehen zukommt, kann man unterscheiden zwischen der Manifestation dieser Relevanz, sprich der Auflösung des Zuckers im Wasser, und der davor liegenden kausalen Rolle. Kontrovers diskutiert wird nun die genauere Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Eigenschaften und Dispositionen. Sind Eigenschaften Dispositionen? Wenn ja, sind alle Eigenschaften Dispositionen? Oder gibt es neben den dispositionalen Eigenschaften auch rein qualitative oder „kategori(k)ale“ (engl.: categorical)? Sind alle Eigenschaften Dispositionen, gilt dann, dass Eigenschaften primär Dispositionen sind, oder sind (alle) Eigenschaften vielmehr grundlegend Qualitäten, die erst im Nachhinein, sprich unter bestimmten Umständen, dispositionalen Charakter erwerben? Oder sind alle Eigenschaften gleichermaßen sowohl qualitativ als auch dispositional? Ich erhebe keinen Anspruch, eine vollständige Auflistung möglicher Interpretationen des besagten Zusammenhangs zwischen Eigenschaften und Dispositionen zu geben. Vor dem Hintergrund des hier erarbeiteten kategorialen Schemas sind Eigenschaften, also Modi, Bestimmungen von Dingen. Man könnte auch sagen, dass diese Bestimmungen den Dingen Qualitäten verleihen. Jedenfalls hängen diese Bestimmungen ontologisch von den Dingen, die sie bestimmen, ab, wie das im letzten Abschnitt II - 2 entwickelt wurde. Sprachphilosophisch gesehen sind Ausdrücke für Qualitäten Prädikate, also unvollständige Ausdrücke, deren eine offene Stelle von jenen Dingen eingenommen wird, welche durch den jeweiligen

|| 3 Das kommt Jansen 2004, verwendete Textgrundlage S. 1, nahe.

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bestimmenden Modus die entsprechende Qualität erhalten. Wie eben gesagt, gehe ich aber davon aus, dass Modi auch Kräfte sind. Als solche verleihen sie den Dingen bestimmte kausale Funktionen oder Rollen: eben Dispositionen.4 Ausdrücke für Dispositionen aber führe ich dementsprechend so ein, dass sie ebenfalls von Dingen ausgesagt werden, aber insofern, als die Dinge durch Modi kausale Rollen erlangen, das heißt unter bestimmten Umständen, durch Einwirkung bestimmter Stimuli, bestimmte Wirkungen (Manifestationen) hervorbringen. Dispositionsausdrücke sind, so gesehen, nicht ein-, sondern vierstellig, insofern sie, in voller Expliziertheit, zum Ausdruck bringen, dass die modispezifischen kausalen Funktionen eines Dinges beim Auftreten eines, ebenfalls modi-spezifischen Stimulus unter ‚günstigen‘ Umständen bestimmte Manifestationen zeitigen. Dispositionen bestehen also in jenen kausalen Rollen von Dingen, die diesen durch Modi als Kräfte verliehen werden. Die im ersten Hauptteil im basalen Faktum (BF) 1 eingeführte und im zweiten Hauptteil als formale Beziehung entfaltete Beziehung der Bestimmtheit hat also mit dem bisher schon berücksichtigten qualitäts-verleihenden auch einen dispositions-verleihenden Aspekt. Als ‚Qualitätsverleiher‘ werden wir Modi weiter als Bestimmungen (von Dingen) bezeichnen, als ‚Dispositionsverleiher‘ aber als Kräfte.5 Wichtig ist es festzuhalten, dass durch die Distinktion zwischen Qualitäten und Dispositionen keine Vervielfältigung von Entitäten eingeführt wird. Entitä-

|| 4 Vgl. dazu u.a. auch Bird 2007, 71, wo er ausführt, dass Kräfte von Eigenschaften Dispositionen sind, die Dingen durch das Zukommen der Eigenschaft verliehen werden. Ich spreche allerdings nicht von Kräften von Eigenschaften, sondern von Eigenschaften oder Modi, die als Kräfte den Dingen Dispositionen vermitteln. Absetzen möchte ich mich damit von der Dispositionstheorie Gilbert Ryles, u.a. in ders. 1987 (Dt. Ausgabe von The Concept of Mind). Ryle negiert die ontologische Relevanz von Dispositionen (sie geben keinen Aufschluss über „Sachlagen“) und fasst Dispositionsprädikate rein als „Schluss-Fahrkarten“ auf (u.a. Ryle 1987, 160), d.h. als Berechtigung von einer Aussage logisch auf eine andere zu schließen. 5 Vgl. Heil 2003, 196, wo davon die Rede ist, dass alle (intrinsischen) Eigenschaften Dispositionen sind. Interessant ist hier das „alle“. Ich würde allerdings nicht davon sprechen, dass Eigenschaften Dispositionen sind; sondern dass Eigenschaften oder Modi, als Kräfte, Dingen Dispositionen verleihen. Somit würde ich mich auch von der Redeweise, dass Kräfte Dispositionen sind (z.B. Hofmann 2008, 53), distanzieren. An anderer Stelle spricht Hofmann allerdings genau davon, dass „Eigenschaften … Dingen Dispositionen verleihen.“ (Ebd., 136) Das ist exakt meine These, ebenso dass es keine „Trennung zwischen einer Eigenschaft … und ihren kausalen Kräften geben kann.“ (Ebd., 151)

118 | Modi als Kräfte

ten sind Dinge und Modi.6 Unsere Sprache kennt hingegen Dispositionsprädikate und Qualitätsprädikate. Erstere funktionieren anders als die Letzteren. Ausdrücke mit Ersteren können somit nicht in solche rein mit Letzteren übersetzt werden. Meines Erachtens beruhen viele Zwistigkeiten über das Verhältnis zwischen Qualitäten und Dispositionen darauf, dass die ontologische mit der sprachlichen Ebene verwechselt wird. Ontologisch betrachtet findet, wie gesagt, durch die Distinktion zwischen Modi als Bestimmungen, die Qualitäten verleihen, und Modi als Kräften, die Dingen Dispositionen geben, keine Vervielfältigung statt.7 Auf der sprachlichen Ebene ist jedoch zu beachten, dass alle Modi bzw. das, was sie mit Dingen tun, sowohl durch einstellige Prädikate wiedergegeben werden können als auch durch vierstellige. Auf Ersteres geht wohl die Rede von (rein) qualitativen oder kategorikalen Eigenschaften zurück, auf Letzteres die Rede von (reinen) Dispositionen.8

|| 6 Manche AutorInnen sprechen auch davon, dass Dispositionen über eine „funktionale Beschreibung“ hinreichend charakterisiert werden können (u.a. O’Sullivan 2012, 363), wobei „funktional“ bedeutet, dass ein Ding aufgrund einer Disposition beim Auftreten eines Stimulus eine bestimmte Wirkung erzielt. Entscheidend für unsere These ist, dass eine solche funktionale Analyse jenen „Nichts-anderes-als“-Schluss zulässt, der Dispositionen als solche vom Entitätenstatus ausschließt. Diese reduktionistische Leseart kann bei Sullivan weiter belegt werden, wenn er schreibt: „… a causal power bestows on its possessor a potential behavior conditional on certain stimuli; there is nothing more to a disposition than such a causal power“ (O’Sullivan 2012, 366). 7 Vgl. Heil 2003, 199; besonders markant 142: „Modes endow their possessors with both dispositionalities and qualities.“ Auch Martin kann als Vertreter einer solchen Auffassung gelten. Vgl. u.a. ders. 1997, 202, 213; 216: „What is qualitative and what is dispositional for any property is less like a two-sided coin or a Janus-faces figure than it is like an ambiguous drawing. A particular drawing, remaining unitary and unchanged, may be seen and considered one way as a goblet-drawing and differently considered, it is a two-faces-staring-at-one-another-drawing. The goblet and the faces are not distinguishable parts or components or even aspects of the drawing, although we can easily consider the one without considering, or even knowing of, the other.“ 8 Sidney Shoemaker (1997, 232) spricht davon, dass „dispositional“ nicht als Prädikat von Eigenschaften, sondern als Prädikat von Prädikaten verstanden werden kann. Das entspricht unter der Rücksicht der hier vorgeschlagenen Distinktion, als das Aussagen von Dispositionen vom Aussagen von Qualitäten unterschieden werden muss. Wohl auch unter der Rücksicht, dass durch die Annahme von Dispositionen keine eigene ontologische Kategorie eingeführt wird, auch kein eigenes Genus im Bereich der Eigenschaften oder Modi.

Kräfte und Dispositionen | 119

Es ist klärungsbedürftig, davon zu sprechen, dass Dinge Qualitäten, wie Gestalten, Farben, bestimmte Oberflächenbeschaffenheiten, haben und Dispositionen, etwa zu rollen, wahrnehmbar zu sein, Widerstand zu bieten. „Wahrnehmbar zu sein“ z.B. kann von Dingen nicht so ausgesagt werden wie „rund zu sein“. Ersteres wird von Dingen ausgesagt, insofern sie, durch Modi als Kräfte verstanden, eine bestimmte kausale Funktion im Hinblick auf Wahrnehmungssysteme aufweisen, die bei günstigen Umständen, sprich wenn u.a. gewisse Lichtverhältnisse auftreten und wenn das Licht einen Wahrnehmungsapparat affiziert oder eben stimuliert, manifestiert wird. Letzteres meint schlicht und einfach eine qualitative Bestimmung durch einen Modus. Begünstigt werden einschlägige Missverständnisse dadurch, dass die Logik von Dispositionsausdrücken oft nicht so transparent ist wie beispielsweise bei „wasserlöslich“. Auch kann man sich gut und gerne Wörter vorstellen, die sowohl als einstellige als auch als vierstellige Prädikate, also sowohl als Ausdruck für eine Qualität als auch als Ausdruck für eine Disposition, aufgefasst werden können. „Heiß zu sein“ z.B. kann als einstelliges Prädikat dem Wassertopf zugesprochen werden, aber auch als vierstelliges, insofern davon die Rede ist, dass er unter bestimmten Umständen, etwa der Nähe der Hand eines Nudelkoches, ausgelöst durch einen Stimulus, z.B. die spontane Übertragung kalorischer Energie, eine bestimmte Wirkung, Brandblasen, manifestiert. Nicht für jeden Dispositionsausdruck lässt sich angeben, welches einstellige Prädikat für jenen Modus, auf den ‚seine‘ Disposition zurückgeht, stehen mag; für andere Dispositionsausdrücke möglicherweise mehrere; auch das Umgekehrte ist denkbar. (3) Vielleicht mag ein historischer Bezug zur Erläuterung hilfreich sein. John Lockes Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten kann man auch so verstehen, dass damit nicht eine einfache Distinktion im Bereich der Eigenschaften gemeint ist, dergestalt etwa dass die primären Eigenschaften den Dingen selbst zukämen, die sekundären aber subjektiv wären, als Qualitäten bestimmter Vorstellungsinhalte von den Dingen. Vielmehr legen einschlägige Passagen in Lockes Essay, book II, chapter 8, § 10ff nahe, dass sekundäre Eigenschaften ebenfalls Eigenschaften des vorgestellten Dinges sind, allerdings insofern das Ding kraft mancher primärer Eigenschaften eine bestimmte kausale (!) Relevanz im Hinblick auf die sinnliche Wahrnehmung von BetrachterInnen

|| Damit lege ich mich allerdings nicht darauf fest, dass die Distinktion zwischen Dispositionen und kategorialen Eigenschaften, im Sinne etwa von Mumfords neutralem Monismus (vgl. u.a. ders. 1998, 191), rein auf der sprachlichen Ebene anzusiedeln wäre.

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aufweist. Tertiäre Qualitäten wären dann solche, die Dingen kraft primärer Qualitäten kausale Relevanz im Hinblick auf nicht perzipierende Gegenstände verleihen.9 Wolfgang Röd spricht davon10, dass ein solches Verständnis von sekundären und tertiären Qualitäten diese als „Dispositionen“ ausweist, die den Dingen zukommen, und zwar kraft primärer Qualitäten. „Kraft“ bedeutet: eben insofern diese primären Qualitäten den Dingen bestimmte kausale Rollen verleihen, dazu hin, dass sie unter bestimmten Umständen, spezifisch stimuliert, Wirkungen manifestieren. Ontologisch gesprochen, sind sekundäre und tertiäre Qualitäten keine Qualitäten abgehoben von den primären. Das ist, neben der dispositionalen Redeweise im Hinblick auf sekundäre und tertiäre Qualitäten, die wichtigste Schnittstelle mit der hier versuchten These. Nur sind es in unserer Terminologie nicht die primären Qualitäten, die den Dingen sekundäre und tertiäre verleihen. Es sind Modi, welche als Bestimmungen Dingen Qualitäten verleihen, welche nach Locke durchaus als primäre zu bezeichnen wären. Dieselben Modi sind es nun, die, als Kräfte verstanden, den Dingen kausale Relevanz, also Dispositionen, geben, im Hinblick auf sinnlich Wahrnehmende von Locke „sekundäre Qualitäten“, im Hinblick aber auf nicht Wahrnehmendes „tertiäre Qualitäten“ genannt.11 Sowohl Prädikate von (primären) Qualitäten als auch Prädikate für Dispositionen (sekundäre und tertiäre Qualitäten) werden von Dingen ausgesagt, allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Prädikate für Dispositionen (sekundäre und tertiäre Qualitäten) sind vierstellig, in Abhebung von jenen für (primäre) Qualitäten, die einstellig sind. Die Stellen der Prädikate für Dispositionen im Sinne von sekundären Qualitäten nehmen neben dem Ding nun eine Wahrnehmung ein, sowie jene Umstände und jener Stimulus, welche zur Manifestation dieser Wahrnehmung erforderlich sind. Die Stellen der Prädikate für Dispositionen im Sinne tertiärer Qualitäten sind Ding, nicht bewusstseinsmäßige, sondern physische Manifestation, sowie, in Analogie wieder zu den Prädikaten für sekundäre, die für die jeweilige Manifestation erforderlichen Umstände und Stimuli. Primäre Qualitäten kann man, auch bei Locke, per se analysieren. Somit kann man auch bei ihm die Redeweise von rein qualitativen Eigenschaften ‚verorten‘. Das Gleiche gilt für die sekundären bzw. tertiären Qualitäten. Auch diese

|| 9 Lockes Beispiel in ebd. § 10 ist die kausale Funktion von Feuer im Hinblick auf Wachs, die darin besteht, es unter bestimmten Umständen zum Schmelzen zu bringen. 10 Röd 1984, 39. Auch Heil 2003, 163, deutet Locke auf diese Weise. Vgl. auch Heil 2005, 353. 11 Vgl. Röd, ebd.

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kann man, unabhängig von primären, ins Auge fassen und so die Rede von rein dispositionalen Eigenschaften vor Locke’schem Hintergrund rekonstruieren. Wichtig ist nur, diese Redeweise nicht so (miss) zu verstehen, dass damit eine Ontologie von verschiedenen Eigenschaftsgenera gemeint ist. (4) Ein Wort noch zum Verhältnis von „Disposition“ zu „Vermögen“, verstanden im klassischen Sinne des Könnens etwa der aristotelischen dynamis-Lehre.12 Ludgar Jansen deutet an, dass die moderne Dispositionsdebatte und Aristoteles’ dynamis-Lehre durchaus etwas miteinander zu tun haben. Er möchte jedoch von einer einfachen Gleichsetzung von dynamis und Disposition Abstand nehmen.13 Ich kann dem beipflichten, vor allem unter der Rücksicht, dass „Vermögen“ und „Disposition“ durchaus in einem systematischen Zusammenhang stehen, der jedoch nicht als Gleichschaltung verstanden werden soll.14 Den Unterschied zwischen Vermögen und Dispositionen sehe ich freilich nicht als einen ontologisch markanten an. Vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen kann man nicht davon sprechen, dass es eine Gruppe von Eigenschaften gäbe, die Vermögen markierten, eine andere, welche für Dispositionen stünden. Ebenso wie Dinge Dispositionen haben, so haben sie auch Vermögen. Dinge können dies oder jenes realisieren. Sie können dies oder jenes aber kraft bestimmter Modi, die ihnen kausale Relevanz verleihen.15 Den Unterschied zwischen Vermögen und Dispositionen kann man aber daran festmachen, dass Dispositionen jedenfalls auf bestimmte einzelne Modi zurückgehen, Vermögen sich aber auch aus einem funktionalen Zusammenhang aus verschiedenen Modi ergeben können. Das Wahrnehmungsvermögen z.B. eines perzipierenden Indi-

|| 12 Vgl. Aristoteles, Metaphysik IX, 1–9. 13 Schon aus dem Grund, dass in der aktuellen Debatte der Status von Dispositionen unklar ist und sich somit diese Unklarheit, bei einer Gleichsetzung, auf eine systematische Analyse der aristotelischen Lehre übertragen würde. Vgl. Jansen 2002, 16, siehe dort auch FN 16. Bemerkenswerterweise scheint es in der Debatte des „neuen Dispositionalismus“, Kontext „In/ Compatibilismus“, Tendenzen zu geben, doch eine Gleichschaltung von Vermögen und Disposition vorzunehmen. Vgl. u.a. Fara 2008, 848. 14 Bird 2007, u.a. 4, spricht davon, dass alle Eigenschaften, insofern sie wesentlich dispositional sind („dispositionale Essenzen hätten“), Vermögen („potencies“) sind. 15 Bei den ‚neuen DispositionalistInnen‘ kann man hier vergleichbare terminologische Festlegungen finden. Wenn z.B. Kadri Vihvelin davon spricht, dass „Persons have abilities by having intrinsic properties that are the causal basis of the ability“ (dies. 2004, 438), können wir das so deuten, dass Personen Modi haben, die ihnen als Kräfte Dispositionen verleihen, welche im funktionalen Zusammenhang das ausmachen, was wir „Vermögen“ bzw. „Fähigkeiten“ nennen. Den Hinweis auf Vihvelin verdanke ich einem Vortrag von Eva-Maria Jung in Innsbruck, September 2012.

122 | Modi als Kräfte

viduums wird kaum auf einen einzelnen Modus zurückzuführen sein, sondern auf einen sehr komplexen Zusammenhang von mehreren Modi. Zieht man andere Beispiele in Betracht, wird die Grenze zwischen Vermögen und Disposition freilich nicht so klar zu ziehen sein. Stimmen die hier vorgebrachten Überlegungen, ist das allerdings eine systematisch integrierbare Grenzunschärfe. Nur Theorien, welche den Unterschied zwischen Dispositionen und Vermögen als ontologisch markant kennzeichnen, hätten hier Probleme.

3.2 Kraft-lose Kausaltheorien Bevor ich versuche, die Skizze einer Kausaltheorie zu entwerfen, die auf den eben dargelegten Überlegungen zu Modi als Kräften beruht, möchte ich, wie anfangs dieses Abschnitts II - 3 angekündigt, zur besseren Positionierung dieser Theorie, in gebotener Kürze Alternativen darstellen. Dabei soll es nicht um eine Widerlegung dieser alternativen Positionen gehen, die hier ja doch nur bruchstückhaft hätte ausfallen können, sondern vielmehr um das Aufzeigen von Konsequenzen einer Negierung von Kräften für eine Kausaltheorie.

3.2.1 David Hume Es ist der schottische Nationalphilosoph, der als einer der wichtigsten Ideengeber jener aktuellen Kausaltheorien gelten kann, die gerade nicht mit Kräften bzw. mit Dispositionen arbeiten. Bevor wir zeitgenössische Autoren ins Auge fassen, lohnt sich deshalb ein Blick auf Hume. Bereits im Abschnitt II - 1.2.2 (3) sind wir auf Hume gestoßen, als es um dessen These von atomaren Qualitäten als Konstituenten der Extensionalität von Gegenständen ging. Schon dort habe ich darauf hingewiesen, dass es für Humes Theorienbildung wesentlich ist, Qualitäten als kausal inert zu erachten. Für ihn müssen sie das sein. Qualitäten oder Modi sind ihm zufolge nämlich keine Kräfte. Und zwar schon deshalb nicht, weil es Kräfte gar nicht gibt. Diese These finden wir im Treatise ausgeführt,16 im Enquiry aber pointiert auf den Punkt gebracht: „We have no idea of connexion or power at all, and [...] these words

|| 16 Vgl. Hume, Treatise, book I, part III, section VI; auch ebd., section II, spricht Hume davon, siehe verwendete Ausgabe, 377, 379: „When I cast my eye on the known qualities of objects, I immediately discover that the relation of cause and effect depends not in the least on them.“ [Hervorhebung Hume]

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are absolutely without any meaning.”17 Somit wird Hume bei seiner Theorie von Kausalität auch andere Wege beschreiten müssen, als kausale Verhältnisse auf Modi, als Kräfte verstanden, zurückzuführen. Humes Konsequenz aus der Negierung von kausalen Kräften besteht darin, kausale Relationen in anderen Instanzen zu gründen. In seinem Treatise18 führt Hume aus, dass kausale Beziehungen zunächst ein Verhältnis der Kontiguität voraussetzen: „… the relation of contiguity [is] … essential to that of causation;…“19. Für die Ursache-Wirkung-Beziehung ist unmittelbare räumliche und zeitliche Verbindung (so ist die Humeʼsche Kontiguität wohl zu verstehen) wesentlich. Fernbeziehungen können nicht kausal sein. Kontiguität allein reicht aber nicht. Besonders die zeitliche Verbindung muss näher spezifiziert werden, und zwar als Sukzession der Wirkung auf die Ursache. Die Ursache muss m.a.W. der Wirkung zeitlich vorausgehen. Hume lehnt also die Co-Temporalität von Ursache und Wirkung ab, schon gar eine ‚Rückwärts-Kausalität‘.20 Am wichtigsten für die Gründung von Kausalität aber ist, wie Hume betont, dass kausale Beziehungen nicht in einer beliebigen sukzessiven Kontiguität von Ursache und Wirkung bestehen können. Es braucht auch eine notwendige Verbindung (engl.: necessary connexion21) der als Ursache und Wirkung gekoppelten Vorkommnisse. Das soll direkt, aber rein zufällig aneinandergereihte Vorkommnisse aus dem Bereich der Kausalrelata ausschließen. Eile ich z.B. zur Straßenbahnhaltestelle, erreiche den Zug gerade noch, drücke den Türöffner-Knopf, und die Straßenbahn fährt unmittelbar darauf weg, muss ich mich, mit Hume, nicht als Ursache dieser (unerfreulichen) Abfahrt betrachten, obwohl die Vorkommnisse des Knopf-Drückens und des Abfahrens des Zuges in sukzessiver Kontiguität stehen. Wichtig für das Verstehen der von Hume ins Treffen geführten Notwendigkeit ist, dass es sich dabei keinesfalls um eine Notwendigkeit de re handelt. Wie T.H. Green in seiner General Introduction zum Treatise ausführt22, versteht Hume Notwendigkeit rein als Ergebnis gewohnheitsmäßiger Verbindung (Green: „accustomined union“) bestimmter Vorkommnisse. Wir sind es gewohnt, manche Vorkommnisse, z.B. Eindrücke von einem Feuer, mit gewissen anderen, z.B. || 17 Hume, Enquiry, 7.26; zitiert nach v. Wachter 2007, 102. Ebd. (bei v. Wachter) finden sich auch ausführlichere Darstellungen von Humes Kausaltheorie mit einschlägigen Literaturverweisen. 18 Book I, part II, section II, verwendete Ausgabe 375–380. 19 Ebd., 377. 20 Ebd., 378. 21 Ebd., 379. 22 Green 1964 (im Literaturverzeichnis unter Hume 1964), 247ff.

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dem Aufsteigen von Rauch, zu verbinden, etwa aufgrund psychologischer Assoziationsmuster. Aus Gewohnheiten leiten wir die Annahme gewisser Regelmäßigkeiten bzw. einer Allgemeinheit ab, die dann schließlich als Notwendigkeit bezeichnet wird, als jene Notwendigkeit, welche die Verbindung von Vorkommnissen, sofern sie in einer sukzessiven Kontiguität stehen, als kausale qualifiziert. Regelmäßig sehen wir Rauch mit Feuer verbunden. Daraus leiten wir jene Notwendigkeit der Verbindung ab, die es gerechtfertigt erscheinen lässt, Feuer als kausale Ursache des Rauches zu erachten. Ist besagte Notwendigkeit unerlässlich für Kausalität, geht diese Notwendigkeit aber letztlich auf psychologische Assoziation zurück, kann auch Kausalität keine in „matters of facts“ gegründete Relation sein, sondern muss idealistisch interpretiert werden. Ontologisch ist bestenfalls sukzessive Kontiguität, wenn man zeitlich aneinandergereihte Vorkommnisse als ontologische Gegebenheiten akzeptiert. Die Instanz aber, die aus sukzessiver Kontiguität Kausalität macht, ist kein ontologisches Faktum.23 Wir können festhalten: Die Negierung von Kraft-Modi bedingt bei Hume eine nicht-ontologische Theorie der Kausalität.

3.2.2 David Lewis Wenn man nach zeitgenössischen ‚HumeanerInnen‘ in der Theorie kausaler Verhältnisse fragt, wird der Name David Lewis’ wohl als erster genannt. Das hat seine Berechtigung. Ich möchte deshalb Lewis als beispielhaften Vertreter einer aktuellen kraft-losen Kausaltheorie schildern. Die zentrale Übereinstimmung zwischen Hume und Lewis scheint mir darin zu bestehen, dass beide die Welt als „Mosaik lokaler Tatsachen“ verstehen, die eine „neben der anderen“ bestehen.24 Es gibt keine Verbindungen zwischen diesen lokalen Tatsachen, auch keine kausalen. Dennoch, und auch das eint Hume und Lewis, sind Kausalaussagen sinnvoll, wenn wir sie auf bestimmte Weise interpretieren. Von Humes Interpretation war schon die Rede. Lewis gibt den Gehalt von Kausalaussagen durch Aussagen über kontrafaktische Situationen an. Ich zitiere aus On the Plurality of Worlds: „Suppose that two wholly

|| 23 Kants Kausaltheorie in der Kritik der Reinen Vernunft steht unmittelbar in dieser Tradition. Die Notwendigkeit kausaler Verbindungen geht bei ihm freilich nicht auf ein psychologisches, sondern auf ein logisches Apriori zurück, vgl. dazu u.a. KrV B 105f. Jedenfalls gilt auch für Kant, dass Kausalbeziehungen nicht in „matters of facts“ gegründet sein können. 24 Lewis, Philosophical Papers II, zitiert nach v. Wachter 2007, 104.

Kraft-lose Kausaltheorien | 125

distinct events occur, C and E; and if C had not occurred, E would not have occurred either. I say that if one event depends counterfactually on another in this way … then E depends causally on C, and C is the cause of E.“25 Kausale Abhängigkeit ist also (nichts anderes als) kontrafaktische. Kausale Abhängigkeit wird auf kontrafaktische zurückgeführt. Die Angabe der Wahrheitsbedingungen derartiger kontrafaktischer Aussagen erfolgt bei Lewis unter Rückgriff auf seine berühmte ‚Mögliche Welten‘Semantik: Wenn alle möglichen E-und-nicht-C-Welten (das sind jene Welten, in denen E vorkommt, nicht aber C) von der unsrigen, aktualen Welt weiter entfernt sind als die möglichen E-und-C-Welten, ist die in der oben angeführten kontrafaktischen Aussage enthaltene Kausalbehauptung wahr. In Adaptierung von Humes Feuer-Rauch-Beispiel können wir das so verstehen: Das Brennen des Feuers und das Aufsteigen des Rauches sind zwei unterschiedliche Ereignisse, die als „lokale Tatsachen“ eines neben dem anderen bestehen. Dennoch kann ich behaupten, dass, wenn es kein Brennen gäbe, so auch kein Rauchen. Wenn alle möglichen Welten, in denen es Rauch und kein Feuer gibt, von der unseren „weiter entfernt“ sind als die möglichen Rauch-und-Feuer-Welten, stimmt es, dass die kontrafaktische Behauptung die Sequenz von Brennen und Rauchen als kausale markiert. Ich möchte mich hier nicht auf eine Grundsatzdiskussion der dabei in Anschlag gebrachten Semantik einlassen.26 Für unseren Kontext wichtiger scheint mir zu sein, dass die Abfolge der durch die Wahrheit kontrafaktischer Behauptungen als kausal charakterisierten Sequenzen mit einer Regelmäßigkeit geschieht, die sowohl innerhalb einer, etwa unserer Welt, als auch quer-Welt-ein verstanden werden kann. Regelmäßig raucht es, wenn Feuer brennt. Einmalige Sequenzen von Ereignissen sind nicht kausal, siehe das Straßenbahnbeispiel von vorhin. Die möglichen Welten, in der die Straßenbahn wegfährt, sobald ich den Türöffnerknopf drücke, sind nicht allesamt ‚nahe‘ und auch nicht sehr zahlreich; ebenso wie (hoffentlich) die Vorkommnisse dieser Sequenz in dieser Welt. Wir können Lewis’ Kausalanalyse deshalb auch als Regularitätsanalyse bezeichnen bzw. davon sprechen, dass Lewis Kausalität auf Regularität zurückführt oder reduziert.27 Bei Hume haben wir gesehen, dass seine Kausalanalyse sehr eng mit seiner Negierung von Kräften verbunden ist. Eigenschaften sind für Hume keine KraftModi, sondern kausal inerte Qualitäten. Bei Lewis scheinen mir bzgl. der kausa-

|| 25 Lewis 1986, 23. 26 Vgl. dazu u.a. Runggaldier/Kanzian 1998, 84–89. 27 Vgl. v. Wachter 2007, 153.

126 | Modi als Kräfte

len Relevanz von Eigenschaften zwei Lesarten möglich zu sein. Zum einen die strikt Humeanische: Eigenschaften haben mit Kräften nichts zu tun und sind deshalb kausal irrelevant: „… properties do nothing to capture the causal powers of things.“28 Diese strikt Humeanische Lesart lässt sich auch im Kontext von Lewis’ allgemeiner Theorie von Eigenschaften gut verankern: „Let me reserve the word ‚property‘ for … classes of things. To have a property is to be a member of the class.“29 Dass die Kugel rot ist, bedeutet somit nicht, dass die Kugel durch eine Entität, die in ihrer Existenz strikt von ihr abhängt, bestimmt wird, sondern dass die Kugel der Klasse der roten Dinge angehört. In diesem Sinne einer Klasse anzugehören, gibt dem Ding aber keine kausale Funktion, also auch nicht sein Haben von Eigenschaften. Ergo sind Eigenschaften überhaupt kausal irrelevant, wie bereits Hume gelehrt hat und im ersten Zitat dieses Absatzes auch von Lewis klar gesagt wird. Die Annahme einer reinen Regularitätsanalyse der Kausalität erscheint angesichts dieser Theorie von Eigenschaften jedenfalls als konsequent. Dann aber gibt es noch jene Passagen, in denen Lewis doch auch manchen Eigenschaften kausale Relevanz zuzubilligen scheint, sogar im Hinblick auf etwas, das er Kräfte („powers“) nennt. Es sind die von ihm als „natürlich“ (engl.: natural) bzw. „perfekt natürlich“ (perfect natural) bezeichneten Eigenschaften. Sie unterscheiden sich von den nicht-natürlichen („abundant properties“) u.a. so, dass sie (weil) intrinsisch, für die Ähnlichkeit von Dingen maßgeblich und eben „relevant to causal powers“ seien.30 Die nicht-natürlichen hingegen „cannot figure in the conditions of occurance of the events that cause things.“31 Kann man diese Passagen in eine zweite, nicht Humeanische Leseart Lewis’ ummünzen, dergestalt, dass Lewis nun doch Eigenschaften, gar im Sinne der hier favorisierten Kraft-Modi annimmt? Ich denke, dass dem nicht so ist. Lewis gibt nämlich keinen Hinweis darauf, worin der Beitrag von (natürlichen) Eigenschaften zu den von ihm angesprochenen „Bedingungen des Auftretens von kausalen Ereignissen“ zu sehen wäre. Außerdem bleiben es immer noch Ereignisse, und nur diese, die nach Lewis Kausalrelata sind32, aber stets, und das scheint mir entscheidend zu sein, im Sinne der geschilderten Regularitäts-

|| 28 Lewis 1997, 192. 29 Ebd., 189. Grundlegend ist auch Lewis 1986, 50ff. 30 Lewis 1997, 192, 203. Zur Frage des Zusammenhangs von „perfekter Natürlichkeit“ und Ähnlichkeit, durchaus auch mit Bezug auf Lewis, siehe Busse 2008. 31 Lewis 1997, 218. 32 Lewis 1997, 217.

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analyse. Die Rede von „Relevanz für kausale Kraft“ ist bei Lewis immer nur im Kontext besagter Regularität zu verstehen. Wir können dabei bleiben, dass auch Lewis’ Theorie von Eigenschaften diese gerade nicht als Kräfte ausweist. Eigenschaften sind für Lewis Klassen von Dingen. Seine Regularitätsanalyse der Kausalität kann als Konsequenz dieser Theorie von Eigenschaften aufgefasst werden. Eine Regularitätsanalyse aber reduziert kausale Verhältnisse auf nicht kausale Gegebenheiten, eben Regularitäten im dargestellten Sinne. Also kann man Lewis’ reduktionistische Kausalanalyse als Konsequenz einer Theorie von Eigenschaften verstehen, die Eigenschaften gerade nicht als Kräfte auffasst.

3.2.3 David Armstrong David Armstrong ist alles andere als ein Humeaner. Sein Anliegen in der Analyse von Kausalität ist genuin ontologisch. Das heißt, er gibt (gegen Hume) keine idealistische Interpretation jener Notwendigkeit, die kausale Sequenzen als solche ausweist, noch reduziert er (gegen Lewis) Kausalverhältnisse auf nichtkausale Gegebenheiten wie kontrafaktische Situation bzw. (quer-Welt-ein) Regularitäten. Dennoch kommt Armstrong mit Hume und Lewis darin überein, dass er eine strikt „kategorikale“ Theorie von Eigenschaften vertritt. Sein „categoricalism“ (engl.) besagt, dass die Natur von Eigenschaften unabhängig von irgendwelchen Kräften zu verstehen ist.33 Eigenschaften sind kraft-los. Da Eigenschaften dennoch relevant sind für eine Kausalanalyse, versucht dementsprechend auch Armstrong eine kraft-lose Kausalanalyse. Wie diese aussieht, wird in Kürze skizziert. Zuvor ist es jedoch wichtig, Armstrongs categoricalism (vor dessen eigenem Verständnishintergrund) als Alternative sowohl einem Dispositionalismus (engl.: dispositionalism) als auch einer Zwei-Aspekten-Lehre (engl., sinngemäß, nicht wörtlich: two-sided view) gegenüber zu sehen. Nach einem Dispositionalismus, den ich zur adäquateren Charakterisierung als reinen bezeichnen würde, geht die Natur von Eigenschaften darin auf, Dingen kausale Funktionen zu verleihen.34 Die qualitäts-verleihende Funktion von Eigenschaften wird damit negiert. Eine „two-sided view“ hingegen nimmt eine zweifache Natur von

|| 33 Armstrong 1997, 69. Dort spricht A. auch davon, dass die Natur von Eigenschaften „selfcontained“ sei, was für ihn bedeutet „distinct from the powers that they bestow“. 34 Armstrong 1997, 69 bzw. 75–80. Auf S. 76 bezeichnet Armstrong u.a. Sidney Shoemaker als solchen (reinen) Dispositionalisten.

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Eigenschaften an: „a two-sided view … holds … that properties have, essentially, both a categorical and a power side to their nature.“35 In diesem Abschnitt geht es nicht darum, Argumente für und wider diese Thesen bezüglich Eigenschaften aufzulisten. Hier geht es um die Sichtung von Konsequenzen kraft-loser Eigenschaften für eine Kausalanalyse. Bei Armstrong liegen, wie bereits angedeutet, andere Konsequenzen vor als bei Hume und Lewis. Wir können diese Armstrongʼschen Konsequenzen verstehen, wenn wir zunächst seine (Weg-) Interpretation unserer Rede von Kräften ins Auge fassen. Armstrong selbst spricht in diesem Zusammenhang freilich nicht von WegInterpretation oder Elimination der Kräfte, sondern von einem „soft-account“ über „powers“.36 Wie auch immer: Die Frage stellt sich, wie wir über Kräfte sprechen können, ohne dass wir Eigenschaften einen Kraft-Aspekt zubilligen wollen. Armstrongs Antwort auf diese Frage beruht auf der Annahme von Naturgesetzen bzw. darauf, dass ein Naturgesetz etwas ist, das an bestimmten Stellen vorkommen kann.37 Dass ein Partikulare, etwa ein Ding, eine Kraft hat, bedeutet nun, dass das Ding eine Eigenschaft F besitzt und ein Naturgesetz vorkommt, welches F, in Verbund mit einer anderen Eigenschaft G, in Bezug setzt zu einer dritten Eigenschaft H. Wenn eine Kugel die Eigenschaft hat, eine Temperatur von 5 Grad Celsius zu besitzen (F), und ein Naturgesetz vorkommt, das die Eigenschaft F, zusammengebracht mit der Eigenschaft, etwa eines Heizstrahlers, 80 Grad auszustrahlen (G), in Bezug setzt zur Eigenschaft der Kugel 10 Grad warm zu sein (H), heißt das, dass die Kugel (unter günstigen Umständen) die Kraft hat (ich würde sagen: die Disposition oder das Vermögen), 10 Grad warm zu sein. Welche Kausaltheorie impliziert nun dieser Kategorikalismus bzw. diese Interpretation von Kräften und Dispositionen? Armstrong ist erfreulich explizit, wenn er etwa schreibt: „… singular causation is identical with the instantiation of some strong law“38. Konsequenterweise werden also kausale Verhältnisse nicht als in Kraft-Eigenschaften konstituiert angenommen (weil Eigenschaften, wie gesagt, keine Kräfte sind), sondern im Vorkommen von Naturgesetzen.

|| 35 Armstrong 1997, 69. Auf S. 84 nennt Armstrong C.B. Martin als Vertreter einer solchen Auffassung. Das kommt den hier getroffenen Annahmen entgegen: siehe 3.1 (2), wo Martin, gemeinsam mit Heil, angeführt wird. Da hier den Modi eben eine solche zweifache Natur, besser vielleicht eine zweifache ontologische Funktion zugesprochen wird, kann ich meine Theorie einer Zwei-Aspekten-Lehre nach Heil und Martin zuordnen, die Armstrongs Eigenschafts-Theorie entgegensteht. 36 Vgl. Armstrong 1997, 82. 37 Ebd. 38 Armstrong 1997, 218. [Hervorhebung Armstrong]

Kraft-lose Kausaltheorien | 129

Entscheidend ist es zu beachten, dass Armstrong Naturgesetze realistisch interpretiert, als allgemeine Entitäten, genau genommen, als Universalien zweiter Stufe, die Eigenschaften, Universalien erster Stufe, verbinden. Naturgesetze sind also Relationen oder Beziehungen, und zwar Notwendigkeitsbeziehungen zwischen Eigenschaften. Bleiben wir zur Erläuterung von Armstrongs Kausalanalyse beim Beispiel: Dass eine Wärmequelle den Temperaturanstieg der Kugel verursacht, heißt oder ist identisch mit dem Vorliegen folgender Sachlage: Ein Naturgesetz kommt vor, das die Eigenschaft der Kugel, 5 Grad zu haben, gemeinsam mit der Eigenschaft einer Wärmequelle, sagen wir: 80 Grad zu haben (unter bestimmten günstigen Umständen, deren Auflistung hier nichts zur Sache tut), mit der Eigenschaft der Kugel, 10 Grad zu haben, verbindet, und zwar mit Notwendigkeit.39 Auch an dieser Stelle möchte ich nicht in Grundsatzdiskussionen einsteigen, schon gar nicht in eine über Universalien (gar höherer Stufe). Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass Armstrongs Kausalanalyse deutlich eine weitere Möglichkeit, kraft-lose Eigenschaften in Hinblick auf eine Kausaltheorie tauglich zu machen, aufzeigt: Demnach wären Eigenschaften keine Partikularien, und zwar generell nicht. Alle Eigenschaften seien universale Entitäten, die als Relata von Universalien höherer Ordnung fungieren müssten, um in kausalen Sequenzen vorkommen zu können. Möchte man allerdings eine Ontologie, die Eigenschaften (zumindest) auch als partikulare Entitäten anerkennt40, muss man eine andere Kausalanalyse wählen, etwa eine, die Modi mit Kraft-Aspekt im Sinne der von Armstrong zurückgewiesenen Zwei-Aspekte-Theorie annimmt.

3.2.4

Donald Davidson

Davidson nimmt, ebenso wie Armstrong, eine ontologische Fundierung von Kausalität an, keine Reduzierung derselben auf nicht-kausale Gegebenheiten. Das hebt ihn von Hume und Lewis ab. Kausalität ist für Davidson allerdings eine Relation, die ausschließlich zwischen Partikularien besteht. Es gibt keine universalen Kausalrelata. Seine Kausalanalyse steht somit auch in deutlichem Gegensatz zu jener Armstrongs. Was Davidson jedoch mit allen drei vorhin

|| 39 Eine schematische Darstellung einer vergleichbaren Sachlage findet sich in Armstrong 1997, 229. 40 Jonathan Lowe hat Armstrong u.a. aufgrund dieses Desiderats kritisiert: Ohne Eigenschaften als Partikularien oder Modi kann man etwa die Wahrnehmbarkeit von Eigenschaften nicht erklären. Universalien sind nämlich nicht wahrnehmbar. Vgl. Lowe 2006, 23ff.

130 | Modi als Kräfte

erwähnten Philosophen verbindet, ist, dass seine Theorie der Kausalität ebenfalls nicht auf Kräfte rekurriert. Davidsons Position markiert somit eine vierte Möglichkeit einer kraft-losen Kausaltheorie. Im Zentrum von Davidsons Auffassung bzgl. Kausalität steht die Überzeugung, dass Ereignisse und nur Ereignisse Relata kausaler Beziehungen sind.41 Davidson wird somit auch als (reiner) Ereigniskausalitätstheoretiker bezeichnet. Was kausal wirkt, sind Ereignisse und nur Ereignisse, nicht Dinge, nicht Eigenschaften bzw. nicht Zustände.42 Ereignisse wirken als solche, das heißt, ohne dass dafür auf andere Instanzen, etwa unsere Kräfte, rekurriert werden müsste. Ereigniskausalität wird als nicht weiter analysierbares Faktum angenommen. Ohne mich in die ontologischen Voraussetzungen dieser Theorie vertiefen zu können, möchte ich doch darauf hinweisen, dass Davidson, neben den hier durchaus mitgetragenen Thesen, dass Ereignisse existieren und dass Ereignisse als Partikularien existieren, annimmt, dass Ereignisse etwas sind, dessen ‚Natur‘ sich nur über ihre kausale Rolle darlegen lässt. (Das steht der hier, I - 1.3, in Anspruch genommenen Ontologie der Ereignisse entgegen.) Ereignisse sind für Davidson ausschließlich über ihre kausale Rolle oder ihre kausale Funktion zu individuieren. Das entspricht seiner ebenso berühmten wie umstrittenen Identitätsbedingung von Ereignissen, der zufolge die Übereinstimmung in ihrer kausalen Rolle, sprich in allen Ursachen und Wirkungen, nicht nur ihre notwendige, sondern auch hinreichende Identitätsbedingung ist.43 Ontologisch betrachtet, sind Ereignisse also nichts anderes als individuelle Kausalrelata. Alle anderen inhaltlichen Charakterisierungen beziehen sich nicht auf die ontologische Ebene, sondern auf die Beschreibungsebene. Das ist die bekannte ‚grobkörnige‘ Ereignis-Theorie, der zufolge aufgrund von unterschiedlichen Beschreibungen die Identität von Ereignissen unberührt bleibt. Für Davidson ist auch die Unterscheidung zwischen mentalen und physikalischen Ereignissen bzw. zwischen physikalischen Ereignissen und Handlungen ausschließlich eine sprachliche Sache – eine Grundthese seines anomalen Monismus bzw. seiner Handlungstheorie, nach der ja Handlungen nichts anderes sind als Ereignisse oder Körperbewegungen unter bestimmten Beschreibungen. Für das Thema Kausalität besagt das, dass mit Davidsons Ereigniskausalitätstheorie nicht nur die klassische Kausalitätsvielfalt, etwa die Distinktion zwischen causa efficiens und causa finalis, negiert wird, sondern auch Unterscheidungen der aktuellen Ontologie, etwa die zwischen strukturierenden und

|| 41 Vgl. u.a. Davidson 1980, 161. 42 Vgl. Kanzian 2001, 40f, auch 41, FN 3. Siehe auch hier: II - 1.1 (2). 43 Davidson 1980, 179.

Kraft-lose Kausaltheorien | 131

auslösenden Ursachen.44 Strukturierende Ursachen wären durchaus zustandshafte Vorkommnisse, wie das Intaktsein eines Stromkreislaufes, der eben auch als Ursache des Angehens des Lichtes verstanden werden kann. Nach Davidson kann wohl nur der Auslöser, etwa das Kippen eines Schalters, als Ursache (in einem ontologisch signifikanten Sinn) gelten. Ebenso durch den Rost fällt, wie bereits erwähnt, die Unterscheidung zwischen agent- und event-causation, zwischen Handlungs- (oder wörtlich aus dem Englischen: Handelnden- oder Agentenkausalität) und eben Ereigniskausalität. Natürlich bringen auch Handlungen Wirkungen in der Welt hervor, aber nur insofern diese Ereignisse (und nichts anderes) sind. Handlungen sind Ereignisse, Körperbewegungen, die unter Bezugnahme auf bestimmte Absichten oder Gründe beschrieben bzw. erklärt werden. Für die kausale Relevanz derselben spielen derlei Beschreibungen aber keine Rolle. Was wirkt, wenn eine Handlung ausgeführt wird, sind Ereignisse. Auch die Ursachen von Handlungen sind (als mental beschreibbare) Ereignisse, Überzeugungen etwa, dass bestimmte Körperbewegungen bestimmten Wünschen – Motiven, Einstellungen, die Davidson auch Proeinstellungen nennt – Entsprechendes hervorbringen. Es gibt also keine spezielle, sprich von der Ereigniskausalität abweichende Weise, wie Agenten Handlungen und Handlungen Wirkungen in der Welt verursachen. Wir können festhalten: Eine reine Ereigniskausalitätstheorie muss die kausale Relevanz von Kräften negieren, somit auch von Kraft-Modi. Somit kann diese Theorie als weitere Möglichkeit einer kraft-losen Kausalanalyse verstanden werden. Eine reine Ereigniskausalitätstheorie aber negiert u.a. auch die Distinktionen zwischen strukturierenden Ursachen (als eine Art von Zustands-Ursachen) und auslösenden, ebenso wie die Unterscheidung zwischen Agentenkausalität (als Sonderform einer Dingkausalität) und eben Ereigniskausalität. Will man diesen Distinktionsverlust allerdings nicht hinnehmen, darf man keine reine Ereigniskausalitätstheorie annehmen. Eine Kausalanalyse, die auf Kräften beruht, welche Dingen kausale Funktionen verleihen und Ereignisse ebenso wie Zustände komponieren, sprengt den Rahmen einer solchen reinen Ereigniskausalitätstheorie und, was zu zeigen sein wird, gewährleistet u.a. die eben erwähnten Distinktionen im Bereich von Kausalbeziehungen. Bevor ich diese These im nun folgenden Abschnitt 3.3 entfalte, fasse ich zusammen: Alternativen zu einer auf Kraft-Modi beruhenden Kausalanalyse sind nicht-ontologische oder idealistische Interpretationen von

|| 44 Vgl. u.a. Runggaldier 1996, 119ff.

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Kausalität (Hume), reine Regularitätstheorien (Lewis), auf Universalien rekurrierende Kausaltheorien (Armstrong) bzw. reine, distinktionsvermeidende Ereigniskausalitätstheorien. Ohne diese Auffassungen ‚widerlegen‘ zu wollen, möchte ich sie allesamt als Konsequenzen des Versuchs, kraft-los Kausalität zu erklären, bezeichnen. Für die Auflistung möglicher Konsequenzen aus der Kraftlosigkeit kann ich keine Vollständigkeit beanspruchen. Deshalb nur so viel: Will man diese Konsequenzen nicht, tut man gut daran, es mit Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse zu versuchen.

3.3 Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse (1) Im Abschnitt II - 3.1 wurden Modi als Kräfte vorgestellt, die Dingen kausale Funktionen verleihen. Diese kausalen Funktionen oder Rollen finden in Dispositionsprädikaten ihren sprachlichen Ausdruck. Die ontologische Eigenart von Modi lässt sich aber nicht nur im Hinblick auf Dinge verstehen. Modi komponieren auch Zustände bzw. Ereignisse, im Sinne der im Abschnitt II - 2.2.2 bzw. 2.3 (2) eingeführten formalen Relation der Komposition. Auch in diesem Kompositionsverhältnis wird ihr Kraft-Aspekt mit zu berücksichtigen sein. Besonders wenn nun versucht wird, kausale Verhältnisse oder Kausalbeziehungen als durch Modi konstituiert (zur Konstitution vgl. dieselben vorhergehenden Abschnitte) darzulegen. Wir werden sehen, dass die Unterschiedlichkeit der ontologischen Verhältnisse zwischen Modi und Dingen bzw. zwischen Modi und Ereignissen/Zuständen für eine differenzierende Sichtweise von Kausalität grundlegend ist. Kräfte, und das sind ja Modi, kommen im Hinblick auf die Konstitution kausaler Verhältnisse anders zur Geltung, wenn sie Dingen zukommen, als wenn sie Ereignisse bzw. Zustände komponieren. Dingkausalität wird eine andere sein als Ereignis- bzw. Zustandskausalität. Dieser Ausblick kann durch eine weitere grundsätzliche Bemerkung ergänzt werden: Ich gehe davon aus, dass Kausalität oder kausale Beziehungen etwas Konstituiertes sind, in eingeführtem Sinne. Kausale Beziehungen sind als solche somit auch etwas zu Analysierendes. Kausalität ist zu analysieren auf der Basis wirksamer Kräfte, nicht umgekehrt.45 Kräfte sind das Grundlegende, kausale Verhältniss das Konstituierte, somit etwas Abgeleitetes oder Epiphänomenales.

|| 45 Diese These wird u.a. auch bei Bird 2007, vgl. 71, note 71 vertreten: „… I do not want to give the impression that the notion ‚causal power‘ is to be analysed in terms of causation. If anything the relationship is the reverse.“ Bei Hofmann 2008, 137, FN 11, finden sich weitere Literaturverweise für diese These.

Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 133

Ich sehe hier eine Analogie zu zeitlichen und auch zu räumlichen Verhältnissen, die ich ebenfalls als durch etwas, nämlich Ereignisse bzw. Zustände (Zeit) und Dinge (Raum) Konstituiertes und somit Epiphänomenales auffasse. Was es gibt, sind Dinge, Ereignisse bzw. Zustände und, last but not least, eben unsere Modi in ihrer ontologischen Doppelnatur als qualitative Bestimmungen und dispositionsverleihende Kräfte. Kausale Verhältnisse aber, um wieder auf unser Thema zu kommen, sind Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen. Ich möchte bei meiner Analyse kausaler Verhältnisse bei einer Erläuterung von Ursachen ansetzen. Daraus sollte sich auch ein Verständnis von Wirkungen ergeben, bzw. wie sich Ursachen und Wirkungen zueinander verhalten, also von kausalen Verhältnissen. (2) Bei meiner Analyse von Ursachen orientiere ich mich zunächst an David Armstrong. Und zwar deshalb, weil ich seine Erörterung der Strukturelemente von Ursachen für aufschlussreich halte, auch für den hier vorgebrachten Rahmen; im Gegensatz freilich zu seiner ontologischen Interpretation dieser Strukturelemente. Armstrongs ontologische Rahmentheorie für seine Kausalanalyse habe ich bereits im Abschnitt II - 3.2.3 kritisiert. Die Absetztendenz von Armstrong bringe ich dann auch so zur Geltung, dass ich Armstrongs Analyse durch ein Theorem ergänze, das ich übrigens von John Heil übernehme. Armstrong führt jedenfalls den Ursachenbegriff, er spricht auch von „vollständiger Ursache“ (oder „totaler Ursache“, engl.: total cause46), so ein, dass eine Ursache stets im Hinblick auf eine Wirkung gesehen wird, die wir hier gut und gerne als Manifestation einer Disposition verstehen können. Ich zitiere Armstrongs Beispiel einer Verursachung des Bruchs einer Glasscheibe: „For a brittle object to manifest its brittleness, the striking of the object, in conjunction no doubt with suitable standing conditions or other circumstances, together with the brittleness itself, must bring about the shattering of the object. We can add the totality of the suitable circumstances to the initiating cause, further add the brittleness, and speak of all these taken together as the total cause of the manifestation.“47 Wir können dieses Beispiel in der im Abschnitt II - 3.1 eingeführten Begrifflichkeit wie folgt interpretieren: Dazu, dass eine Ursache auftritt, braucht es zunächst ein Ding, das aufgrund einer Kraft, also eines Modus, eine bestimmte Disposition aufweist: in Armstrongs Beispiel die Zerbrechlichkeit der Scheibe.

|| 46 Armstrong 1997, 71. Hier findet sich auch die angesprochene Analyse des UrsachenBegriffs. 47 Ebd. [Hervorhebungen Armstrong]

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Ein Ding mit einer Disposition bezeichne ich als erstes Strukturelement einer Ursache. Die Scheibe und ihre Disposition allein ist aber keine vollständige Ursache. Eine Disposition allein kann kein kausales Verhältnis konstituieren. Es braucht dazu noch einen Stimulus, dessen Auftreten, unter weiteren günstigen Umständen, mit dem Ding und seiner Disposition eine Wirkung, d.i. die Manifestation dieser Disposition, hervorbringt. Der Stimulus ist das zweite, die günstigen Umstände das dritte Strukturelement. Zusammengenommen sind sie das, was Armstrong auch als „total cause“ bezeichnet: eine vollständige Ursache. Wie aber können wir diese weiteren Strukturelemente genauer verstehen? Ein Stimulus, um zunächst bei diesem zu bleiben, muss einen ereignishaften Aspekt mit einbeziehen. Ein Stimulus muss auftreten. Dazu muss etwas passieren: Der Schlag auf die Scheibe. Somit können auch ohne Ereignisse keine Kausalverhältnisse vorliegen. Für Kausalverhältnisse braucht es vollständige Ursachen, und ein Ereignis ist ein notwendiges Strukturelement einer solchen vollständigen Ursache. Dass ein Ereignis als Stimulus aber kausal relevant ist, kann man, in Anwendung des hier vorgeschlagenen ontologischen Rahmens, so verstehen, dass ein Ding, gemeinsam mit einem (dynamischen) Modus, einer Kraft, ein Ereignis komponiert, das dann als Stimulus auftritt. Ereignisse sind kausal relevant – das ist die Wahrheit der Ereigniskausalitätstheorie, auch im Sinne Davidsons (vgl. II - 3.2.4), aber erstens nur aufgrund von Kraft-Modi, die sie komponieren: Modi, als Komponenten von Ereignissen, sind es, die Ereignissen ihre kausale Relevanz geben. (Für Davidson, um den Kontrast nochmals aufzuführen, ist die kausale Wirksamkeit der Ereignisse ein nicht weiter zu analysierendes Faktum. Ereignisse wirken als solche.) Und zweitens: Die kausale Relevanz der Ereignisse ist nur im Zusammenwirken mit Dispositionen von Dingen zu verstehen, die Wirksamkeit des Schlages nur zusammen mit der Zerbrechlichkeit des Glases in Armstrongs Beispiel. Beides geht über reine Ereigniskausalitätstheorien hinaus. Vor dem Hintergrund der hier vorgebrachten Unterscheidungen wirken auch Ereignisse, nicht nur Ereignisse. Die kausale Relevanz von Ereignissen ist aber schließlich eine andere als die kausale Relevanz etwa der Disposition. Die kausale Relevanz der Kraft, die ja ein Modus ist, ist eine andere, wenn sie als Disposition von Dingen gehabt wird, als wenn sie als Komponent von Ereignissen auftritt. Die kausale Relevanz von Stimuli hängt immer auch mit bestimmten Rahmenbedingungen zusammen. Armstrong spricht an der zitierten Stelle von

Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 135

„suitable standing conditions or other circumstances“48. Bzgl. dieser Rahmenbedingungen möchte ich eine Distinktion zur Geltung bringen, die bei Armstrong so nicht vorkommt. Damit führe ich die eingangs angekündigte Heil’sche Ergänzung ein. Heil sprich davon, dass die Manifestation einer Disposition einhergeht mit der Manifestation einer anderen Disposition, die er auch „reziproken Dispositionspartner“ nennt.49 M.a.W.: Keine Disposition kann alleine manifestiert werden, bzw. keine Manifestation als die einer einzigen Disposition verstanden werden. Es braucht somit unter den von Armstrong genannten günstigen Umständen, wenn man Heil folgt, auch stets eine weitere Disposition, die als reziproker Dispositionspartner jener Disposition fungiert, die das erste Strukturelement einer Ursache ausmacht. Im Fall des Glasscheiben-Beispiels kann wohl die Disposition des Hammers, eine Glasscheibe zu zertrümmern, als ein solcher reziproker Dispositionspartner verstanden werden. Mit dem reziproken Dispositionspartner sind die Rahmenbedingungen aber nicht erschöpft, die Armstrong mit den günstigen Umständen meint. Unter diesen befinden sich noch eine Reihe anderer nicht-dynamischer oder nichtereignishafter Vorkommnisse, die ich ontologisch als Zustände klassifizieren würde. Dass die Scheibe zerbricht, hängt nicht nur mit der Scheibe und ihren einschlägigen Dispositionen zusammen, nicht nur mit dem dynamischen Auftreten eines Stimulus, dem Schlag auf die Scheibe, sondern noch dazu mit einem sehr komplexen Zustandsgefüge: etwa der Beschaffenheit des Mediums, in dem der Schlag vollzogen wird, Luft, nicht irgendeine dicke Flüssigkeit, mit Druckverhältnissen etc. Zustände machen demnach, gemeinsam mit dem reziproken Dispositionspartner, die günstigen Umstände aus, die wesentlich für vollständige Ursachen sind und die ich als das dritte Strukturelement von Ursachen bezeichnen möchte. Zustände aber können deshalb eine kausale Rolle spielen, weil auch sie durch Modi komponiert sind, die freilich als Komponenten von Zuständen in ihrem Kraft-Sein anders zur Geltung kommen als etwa, ich wiederhole mich, als Komponenten von Ereignissen. Man kann durchaus auch davon sprechen, dass Ereignisse auslösende Ursachen sind, „initiating causes“, wie Armstrong sagt. Zustände aber erlangen durch jene Modi, die sie komponieren, Relevanz als das, was auch als strukturierende Ursache bezeichnet wird. Damit hätten wir eine erste bei Davidson nicht berücksichtigte Distinktion im Bereich der Ursa-

|| 48 Hervorhebung von „standing“ durch den Verfasser. 49 Vgl. u.a. Heil 2003, u.a. 165, 198.

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chen rekonstruiert, und zwar als zwei in ihrer Funktion nicht aufeinander reduzierbare Strukturelemente von Ursachen. Ein vorläufiges Resümee: Das Zustandekommen einer kausalen Ursache bedarf des Zusammenspiels von Faktoren oder Strukturelementen, in dem Vorkommnisse jeder der drei Kategorien von Partikularien eine spezifische Rolle spielen: (i) (ii) (iii)

Dinge mit Dispositionen, Ereignisse als Stimuli („auslösende Ursachen“), günstige Umstände: Zustände („strukturierende Ursachen“), reziproker Dispositionspartner.

Das Mitwirken von Partikularien an einer Ursache lässt sich differenzierend darstellen. Diese Differenzierungen kann man begründen, wenn man Modi als Kräfte versteht, die im Hinblick auf Dinge bzw. Ereignisse bzw. Zustände unterscheidbare Funktionen einnehmen. Modi fungieren als Kräfte anders als Dispositionsgeber von Dingen als als Komponenten von Ereignissen und von Zuständen. (3) Zur Vergrößerung der Reichweite dieses Klärungsversuchs des UrsacheBegriffs können wir nun nach der Analyse der Verursachung der Geschwindigkeitsänderung einer sich bereits bewegenden Kugel (B) durch den Stoß einer anderen rollenden Kugel (A) fragen. Auch in diesem Fall kommen die angenommenen Strukturelemente von Ursachen zum Tragen. Auch hier besteht das erste Element in einem Ding, der rollenden Kugel B, insofern B, analog zur Glasscheibe im vorherigen Beispiel, bestimmte Dispositionen aufweist. Die hier relevante Disposition besteht darin, dass die Geschwindigkeit von B erhöht werden kann.50 Das zweite Strukturelement, der Stimulus, bringt auch in diesem Fall einen ereignishaften Aspekt zur Geltung. Er tritt auf. Es passiert etwas. Es ist der Aufprall von A auf B. Ohne diesen Aufprall kann die Geschwindigkeitserhöhung von B nicht verursacht werden. Auch das dritte Strukturelement, die günstigen Umstände, sind nicht schwer aufzufinden: Es braucht bestimmte Rahmenbedingungen. Da ist zum

|| 50 Die Disanalogie zum ersten Strukturelement im Glasscheiben-Beispiel besteht darin, dass die Disposition der rollenden Kugel durch einen, wenn man so will, ‚dynamischen‘ Modus zustande kommt, nicht durch einen statischen. Diese Disanalogie erfordert weitere Reflexionen, welche aber nicht die Tatsache betreffen, dass eben bei Glasscheibe wie bei rollender Kugel ein Ding und eine seiner Dispositionen das erste Strukturelement der vollständigen Ursache der ins Auge gefassten Wirkung ausmachen. Allein darauf kommt es hier an.

Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 137

einen der reziproke Dispositionspartner: A mit der Disposition, aufgrund seiner Bewegung die Geschwindigkeit von B zu erhöhen. Aber auch zustandhafte strukturierende Ursachen wie die Neigung der Fläche, auf der die Kugeln rollen, oder eine freie Umgebung der Kugeln etc. sind erforderlich, dass der Aufprall von A auf B, zusammen mit der einschlägigen Disposition von B, als Ursache der Geschwindigkeitserhöhung von B gesehen werden kann. Ebenso wie im Glasscheibenbeispiel sollte auch hier klar werden, dass in allen drei Strukturelementen Modi als Kräfte beteiligt sind – freilich auf unterscheidbare Weise: als Dispositionsgeber von Dingen, als Komponent eines Ereignisses, das dann als zweites Strukturelement auch als auslösende Ursache bezeichnet werden kann, schließlich als Komponenten von Zuständen, die als strukturierende Ursachen notwendig sind für das Auftreten einer vollständigen Ursache. (4) Wie aber lässt sich anhand dieser Beispiele der Begriff einer Wirkung verstehen? Wirkungen sind Manifestationen von Dispositionen. Wirkungen füllen, als ihre Manifestationen, die vierte Stelle von Dispositionsprädikaten, um den Faden von II - 3.1 (2) aufzugreifen. In den Beispielen sind es das Zerbrechen des Glases bzw. die Erhöhung der Geschwindigkeit einer rollenden Kugel. Gemeinsam haben die Beispiele, dass sich klar zeigen lässt, welche Disposition bzw. welcher Dispositionspartner es sind, die manifestiert werden. Beim Glas ist es die Disposition der Zerbrechlichkeit mit dem Partner Hammer und seiner Disposition zu zertrümmern, bei der Kugel die Disposition, schneller werden zu können mit dem Partner, schneller werden zu lassen. Es ist nicht schwierig, Beispiele zu finden, in denen dies nicht so deutlich ist, gerade wenn Dispositionen im Kontext von komplexeren Vermögen, im Sinne von Abschnitt II - 3.1 (4), auftreten. Das aber widerlegt die ontologische Annahme nicht, dass Wirkungen eben in der Manifestation von Dispositionen bestehen. Für Wirkungen scheint es, um einen zusätzlichen Aspekt anzusprechen, wesentlich zu sein, dass sie, als Manifestationen von Dispositionen, immer stets auch als Strukturelemente weiterer Ursachen auftreten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass jede Manifestation sowohl einen prozessualen als auch einen finalen Sinn aufweist. Manifestiert sich eine Disposition, geschieht etwas, es zerbricht das Glas. Das Zerbrechen aber kann als Ereignis aufgefasst werden, das in einer weiteren Ursache als zweites Strukturelement oder als auslösende Ursache fungiert. Bei der Manifestation aber, um beim Glas zu bleiben, wird auch ein ‚Ziel‘ erreicht. Das Glas ist zerbrochen. Es tritt ein Zustand ein. Als solcher aber kann die Manifestation zu den bereits mehrfach erwähnten günstigen Umständen des dritten Strukturelements gerechnet werden. Jedes

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Ereignis und auch jeder Zustand kann nun in einer Analyse immer auch als Kompositum von Ding und Modus verstanden werden, ergo auch unter der Rücksicht eines ersten Strukturelements, das ja darin besteht, dass Modi als Kräfte Dingen bestimmte kausale Funktionen verleihen.51 Kurzum und etwas verkürzend: Jede Wirkung ist eine Ursache, jede Ursache natürlich auch eine Wirkung. Mit den Mitteln einer kategorialen Ontologie ist der kausale Verlauf der Welt nicht zu stoppen, als solcher aber wohl in seinem Entstehen auch nicht zu erklären. (5) Was aber sind nun kausale Verhältnisse oder Kausalbeziehungen? Die lapidare Antwort, die sich aus den vorgenommenen Analysen ergibt, kann nur sein: nichts anderes als jene Verhältnisse, die zwischen vollständigen Ursachen und ihren Wirkungen bestehen, jene Verhältnisse also, die zwischen einer Disposition und ihrer Manifestation aufgrund des Auftretens eines Stimulus unter günstigen Umständen bestehen. Was es gibt, sind vollständige Ursachen, deren Vorliegen dazu führt, dass die Disposition eines Dinges manifestiert wird. Was dabei wirkt, ist das Auftreten von Kräften, deren Funktion in einer Analyse je nach Ursachen-Strukturelement differenzierend betrachtet werden kann. In diesem Sinn ist auch die These zu verstehen, dass es die Kräfte bzw. die Kräfteverhältnisse – Verhältnisse gemäß den Ursachen-Strukturelementen – sind, welche Kausalbeziehungen konstituieren. Die(se) Konstitution selbst aber ist eine formale Beziehung, wie sie in den vorhergehenden Abschnitten 2.2.1, 2.2.2 und 2.3 (2) eingeführt wurde. Sie ist, um den m.E. entscheidenden Aspekt anzuführen, keine Entität. Somit folgt daraus, dass Kräfte Kausalbeziehungen konstituieren, dass Kräfte für die besagte Funktion keiner Verbinder-Entität bedürfen. Ist eine Kraft bzw. ein bestimmtes Kräfteverhältnis gegeben, so auch eine Kausalbeziehung.

|| 51 Diese Bemerkung mag auch darauf abzielen, dass diese Analyse von Wirkungen, aber auch jene von Ursachen, als durchaus flexible aufzufassen ist: So kann man ein erstes Strukturelement einer Ursache U1, bestehend aus Ding D1 und einer durch einen Modus M1 verliehenen Disposition, auch als drittes Strukturelement einer anderen Ursache U2 verstehen, sowohl als reziproken Dispositionspartner als auch – wenn man D1 und M1 als Komponenten eines Zustandes auffasst – als strukturierende Ursache. Komponiert ein Ding und ein dynamischer Modus hingegen ein Ereignis, kann das Ding mit der durch den dynamischen Modus verliehenen Disposition ein erstes Strukturelement einer Ursache U3 ausmachen, aber auch das Ereignis ein zweites Strukturelement einer davon verschiedenen Ursache U4. Denken wir an unsere Kugeln. Die rollende Kugel B kann sowohl Teil der Ursache ihrer Geschwindigkeitserhöhung sein (als erstes Strukturelement) als auch Teil der Ursache einer anderen Wirkung (als Stimulus, also als zweites Strukturelement), z.B. der Erwärmung der Fläche, auf der sie rollt.

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Die Konstitution ist, zunächst allgemein gesprochen, in Relata gegründet, von denen eines keinen Entitätenstatus aufweist. Konstitution besteht zwischen einer Entität und einem Epiphänomen. Das ist paradigmatisch bei Ereignissen und zeitlichen Verhältnissen der Fall, aber auch bei Kräften und Kausalbeziehungen. Kausalbeziehungen sind wie zeitliche Verhältnisse Epiphänomene. Die Priorität liegt, hier wie dort, beim Konstituens, im Falle von Kausalität bei den Kräften. Konstitutionszusammenhänge gehen von einer Basis aus, um aus ihr gewisse Ableitungen epiphänomenaler Natur zu implementieren. Konstitution aber fundiert eine bestimmte ontologische Abhängigkeit zwischen Konstituens und Konstituiertem, u.a. zwischen Kräften und Kausalbeziehungen. Diese Abhängigkeit entspricht der formalen Eigenart der Konstitution als einer asymmetrischen, nicht transitiven und auch irreflexiven Relation. Die durch Konstitution fundierte ontologische Abhängigkeit kann somit weder transitiv noch reflexiv sein. Im Abschnitt 2.3 (2) ist davon die Rede, dass es keinen logischen Grund gibt, dass auch das Konstituierende in irgendeiner Weise vom Konstituierten abhängt. Es ergibt sich aber aus dem epiphänomenalen Charakter des Konstituierten, dass das faktisch nicht der Fall ist. Somit ist die durch Konstitution fundierte ontologische Abhängigkeit auch asymmetrisch. Daraus folgt, dass Kausalbeziehungen von Kräften bzw. Kräfteverhältnissen abhängen, und zwar so, dass diese Abhängigkeit nicht auch umgekehrt vorliegt. Von Kausalbeziehungen kann nichts anderes (in einem technischen Sinn) ontologisch abhängen. Und schließlich: Jene Abhängigkeit, die Kräfte durch die Konstitution von Kausalbeziehungen fundieren, kann nicht auch zwischen Kräften bestehen. (6) Nach diesen Ausführungen zum Thema Kräfte und Kausalität möchte ich eine weitere Anwendung der hier gebotenen Theorie versuchen, und zwar auf Wahrnehmung. Im Hintergrund steht wieder einmal eine Annahme Jonathan Lowes, demzufolge Wahrnehmung (engl.: perception) als geradezu paradigmatisches Kausalgeschehen gelten kann.52 Jede Kausaltheorie hat sich demnach am Phänomen der Wahrnehmung zu erproben. Auch hier steht Lowe wohl in der Tradition Lockes, dessen Wahrnehmungstheorie sich im Kontext seiner Auffassung von sekundären Qualitäten erläutern lässt. Lockes sekundäre Qualitäten aber haben natürlich mit Kräften zu tun (vgl. Abschnitt 3.1 (3)), Kräfte aber mit Kausalverhältnissen. Kurzum: Schon Locke vertritt eine kausale Theorie der Wahrnehmung.

|| 52 Vgl. Lowe 2006, 23ff.

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Nach gegebener Analyse aber können wir Wahrnehmungen, etwa einzelner äußerer Sinneseindrücke, als Wirkungen verstehen, deren Ursachen nach den angenommenen Strukturelementen, wie folgt, zu beschreiben sind. Als erstes Element können wir zunächst ein Ding annehmen, das aufgrund des Zukommens eines Modus die Disposition hat, wahrnehmbar zu sein, in Lockes Terminologie: ein Ding mit einer sekundären Qualität. Ein wahrnehmbares Ding allein aber verursacht keine Wahrnehmung. Dazu braucht es als zweites Strukturelement das Auftreten eines ereignishaften Stimulus. Es muss etwas geschehen, im Falle der Wahrnehmung wohl die Affektion eines Wahrnehmungsapparates durch bestimmte elektro-magnetische Wellen. Dieser Stimulus hat, Fachleute mögen die naive Darstellungsweise verzeihen, durchaus etwas zu tun mit Aufprall-Ereignissen, von denen bereits in den vorgehenden Beispielen die Rede war. Wie auch immer, wahrnehmbarer Gegenstand und ereignishafte Affektionen sind freilich noch nicht hinreichend für die Verursachung einer Wahrnehmung. Auch hier braucht es ein drittes Strukturelement, das Vorliegen günstiger Umstände: einen reziproken Dispositionspartner, etwa die Disposition eines Wahrnehmungsorgans, z.B. eines Auges, bestimmte Reize wahrzunehmen, aber auch Zustände, wie das Intakt-Sein von ‚Leitungen‘ in neuronalen Schaltzentren etc. Liegt allerdings eine derartige vollständige Ursache vor, kann die Disposition von Gegenständen, wahrnehmbar zu sein, manifestiert werden. Es entstehen, kausal, Wahrnehmungen in wahrnehmenden Subjekten. Diese kausale Beziehung aber zwischen wahrgenommenem Gegenstand und Wahrnehmendem wird nun, und jetzt bringen wir die Überlegungen des letzten Abschnittes (5) in Anschlag, konstituiert durch jene Kräfte, die in den jeweiligen Strukturelementen der vollständigen Ursache der Wahrnehmung, entsprechend dieser Struktur, am Werke sind.53

|| 53 In Anwendung der in Fußnote 51 angesprochenen Flexibilität zwischen den Strukturelementen, können wir im Hinblick auf Wahrnehmung auch folgende alternative Analyse vornehmen: Das erste Strukturelement wäre die Disposition eines Wahrnehmungsorgans, etwa eines Auges, bestimmte Reize wahrzunehmen, das zweite wiederum die Affektion, das dritte Strukturelement würde im Vorliegen bestimmter Umweltbedingungen liegen und dem reziproken Dispositionspartner eines Dinges, eben mit der Disposition wahrgenommen zu werden. Die Möglichkeit dieser alternativen Analyse beruht darauf, dass die Disposition des ersten Strukturelements mit ihrem Dispositionspartner im dritten Strukturelement auch vertauscht werden kann. Wirkungen sind Manifestationen von Dispositionspartnern, die echte Partner sind, sprich im Hinblick auf ihre ontologische Natur keinen Unterschied aufweisen.

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(7) Als weiteren Anwendungsfall meiner Kausaltheorie möchte ich menschliche Handlungen ins Auge fassen. Davidsons Ereigniskausalitätstheorie wurde ja unter der Rücksicht kritisiert, dass sie die Eigenart der Verursachung menschlicher Handlungen oder der Handlungskausalität nicht zu erfassen vermag. Wie diese Eigenart vor dem Hintergrund der hier versuchten Theorie dargelegt werden kann, versuche ich nun kurz zu umreißen. Handelnde Personen sind kategorial-ontologisch unter die Dinge zu subsumieren. Sie sind natürlich (ganz) andere Dinge als nicht-handelnde Lebewesen oder gar Artefakte; aber sie sind Dinge, endurer, dreidimensionale Entitäten. Auch Handelnde werden, als Dinge, durch Modi bestimmt. Diese Modi verleihen ihnen bestimmte Dispositionen, die ihrerseits gebündelt das ausmachen, was man (im Anschluss an 3.1 (4)) als Vermögen bezeichnen kann. Das gilt übrigens in analoger Weise durchaus auch von nicht-handelnden Lebewesen und auch von dinglichen Artefakten. Bzgl. der Dispositionen bzw. den Vermögen kann man im Hinblick auf Handelnde auf jene Theoreme der klassischen Metaphysik zurückgreifen, die im Bereich der Vermögen unterscheiden zwischen solchen, deren Manifestationen, nach Eintreten spezifischer Stimuli und dem Vorliegen günstiger Umstände, mit naturgesetzlicher Notwendigkeit, also einförmig geschehen und solchen, die auf vielfältige Weise in Stimuli-Umstände-Manifestations-Verhältnissen stehen können. Die Letzteren aber sind die handlungsrelevanten Vermögen. Ich beziehe mich hier auf die Distinktion in der Aristotelischen Metaphysik (Buch IX) zwischen der Verwirklichung nicht-rationaler Vermögen und der Verwirklichung von rationalen Vermögen. (Und nehme an, dass Handeln, um es vorsichtig zu sagen, mit der Verwirklichung rationaler Vermögen zu tun hat und sich dadurch von zufälligen Geschehnissen, in die Menschen involviert sind, unterscheidet.) Ersteres, die Verwirklichung nicht-rationaler Vermögen, wird bei Aristoteles als eine Art Automatismus beschrieben (u.a. Met. IX 5, 1048a5– 7), Letzteres aber als ‚unterbestimmte Verwirklichung‘: Rationale Vermögen können stets im Hinblick auf Verschiedenes, ja Gegensätzliches verwirklicht oder manifestiert werden. Das Vermögen des Arztes zu heilen kann, um das aristotelische Beispiel in Met. IX 5, 1048a7–15 aufzugreifen, zu Gunsten oder zu Ungunsten des Patienten manifestiert werden. Der Ausüber rationaler Vermögen, sprich der Handelnde, muss, wie Jansen diese Passagen auslegt, „eine der möglichen Verwirklichungen des Vermögens anstreben und sich entscheiden, das Vermögen so zu aktualisieren, dass diese Verwirklichung erreicht wird.“54 || 54 Jansen 2002, 179. [Hervorhebung Kanzian] Zitate aus der Metaphysik entnehme ich aus Jansen 2002, Abschnitte 5.2.1 ff.

142 | Modi als Kräfte

Auch diese aristotelische Auffassung kann mit unserer Strukturanalyse von Ursachen erfasst werden. Die Verursachung von Handlungen bedarf neben der Disposition bzw. dem Vermögen im Handelnden (erstes Strukturelement), die freilich auf verschiedene Weise verwirklicht oder manifestiert werden können, noch bestimmter günstiger Umstände. Unter diesen sollten sich reziproke Manifestationspartner des Vermögens im Handelnden, im Sinne des dritten Strukturelements, auffinden lassen. Dazu kommt noch ein Auslöser, etwa eine Überzeugung bzw. eine Entscheidung, also ein Stimulus-Analogon, sprich ein zweites Strukturelement. Der Arzt hat das Vermögen zu heilen, das er gemäß seiner entschiedenen Überzeugung so zu verwirklichen anstrebt, dass es den Patienten von seinem Leiden befreit. Zur angestrebten Verwirklichung braucht es günstige Umstände: Der Patient muss in bestimmten Zuständen sein, der Arzt selbst ebenso. Auch gewisse Umweltbedingungen müssen passen. Als reziproken Manifestationspartner des ärztlichen Könnens kann man die Krankheit des Patienten anführen. Die Krankheit ist die Disposition eines Menschen, geheilt zu werden. Die Disposition geheilt zu werden wird, ‚partnerschaftlich‘ mit dem Vermögen zu heilen, manifestiert als Wirkung der Heilung. Der Arzt kann sein Vermögen zu heilen aufgrund einer entgegengesetzten Überzeugung, aber auch so zu verwirklichen anstreben, dass sie dem Patienten schadet. Auch zu dieser angestrebten Verwirklichung braucht es ‚günstige‘ Umstände. Auch hier ist als reziproker Manifestationspartner des ärztlichen Könnens die Krankheit des Patienten anzuführen. Die Krankheit ist die Disposition eines Menschen, nicht nur geheilt, sondern auch Opfer eines ärztlichen Fehlverhaltens zu werden. Dieser reziproke Manifestationspartner wird mit dem ärztlichen Vermögen manifestiert als Wirkung der Übeltat. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass dadurch das Wesen des Handelns, gar seiner Freiheit, keineswegs erfasst, wohl nicht einmal berührt werden kann. Auch beanspruche ich keinerlei weiterführende handlungstheoretische Relevanz meiner These. Aber: Die Distinktion zwischen einförmigen und vielfältigen Vermögen-Verwirklichung-Verhältnissen erlaubt es, eine begriffliche Schablone zu entwickeln, welche Platz bietet für die Beschreibung der Eigenart der kausalen Hervorbringung von Handlungen durch Handelnde. Diese kausale Hervorbringung, und das ist mein Punkt, kann unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Strukturelemente von Ursachen analysiert werden, ohne die besondere Eigenart der ‚agent-causation‘ zu ignorieren.

Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 143

(8) Ein letzter Kontext, den ich im Zusammenhang mit der versuchten Kausaltheorie ins Auge fassen möchte, ist dem Thema Naturgesetze gewidmet. Unter Naturgesetzen verstehe ich generelle Aussagen, die nicht in Konjunktionen von (endlich vielen) Einzelaussagen zu übersetzen sind. Naturgesetze können als Mittel von (wissenschaftlichen) Erklärungen und Prognosen herangezogen werden.55 Ich möchte schon allein deshalb dieses Thema anreißen, weil man es als einen gemeinsamen Nenner der bislang behandelten Kausaltheorien ansehen kann, dass Kausalität mit Naturgesetzlichkeit, um es möglichst unverfänglich zu sagen, zu tun hat. Nach Hume sind (nur) jene zeitlich angrenzenden Ereignisse kausal miteinander verbunden, die mit – freilich auf Gewohnheit beruhender – Notwendigkeit verknüpft sind (siehe II - 3.2.1). Naturgesetzlichkeit aber besteht in solcher Notwendigkeit. Also ist Kausalität naturgesetzlich. Bei Lewis sind Ursache und Wirkung Sequenzen, die nur in sehr fernen möglichen Welten nicht aufeinander folgen.56 Regelmäßig in nicht sehr fernen möglichen Welten vorkommende Folgen aber sind (natur-)gesetzmäßige. Der Schluss ist derselbe wie bei Hume: Kausalität ist (natur-)gesetzlich. Bei Armstrong ist Kausalität das Vorkommen von Naturgesetzen, worunter – wie ausgeführt – Universalien zweiter Ordnung verstanden werden. Für Armstrong sind also Naturgesetze nicht (wie hier angenommen) generelle Aussagen, sondern relationale Universalien, die Eigenschaften, das sind bei ihm Universalien erster Ordnung, verbinden.57 Im Gegensatz dazu sind für Davidson Naturgesetze sprachliche Verallgemeinerungen,58 allerdings ebenfalls zweiter Ordnung. Diese beziehen sich auf „homonome“ Beschreibungen (erster Ordnung) von Ereignissen. Bei Davidson ist klar, dass kausal verknüpfte Ereignisse Beschreibungen aufweisen, die naturgesetzlicher Verallgemeinerung fähig sein müssen. Jedes Kausalgeschehen ist nomologisch.59 Kann man nun die hier versuchte Kausaltheorie ebenfalls in Zusammenhang bringen mit einem Ansatz, Naturgesetze bzw. die Naturgesetzmäßigkeit von Kausalität zu verstehen?

|| 55 Bei dieser ersten begrifflichen Annäherung orientiere ich mich am Lemma „Naturgesetze“ im Metzler Philosophie Lexikon und den dort angegebenen Quellen; vgl. ebd. 349. 56 Vgl. u.a. Lewis 1986, 22, wo die Wahrheit von counterfactuals analysiert wird unter Verweis auf nahe bzw. ferne mögliche Welten; kausale Sequenzen werden aber bei Lewis als counterfactuals verstanden, vgl. ebd., 23. 57 Vgl. Armstrong 1997, Abschnitt 15.2: Laws as Relations between Universals. 58 Vgl. Davidson 1990, 306. 59 Ebd. 293: „Wo es Kausalität gibt, muss es auch ein Gesetz geben; …“.

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Ich möchte anhand eines konkreten Beispiels eine mögliche Antwort einleiten: Nehmen wir an, ich halte ein Kreidestück zwischen den Fingern. Dieses Kreidestück fällt zu Boden, sobald ich es auslasse. Nach der gegebenen Analyse lässt sich dieser Vorgang als kausales Geschehen verstehen. Es liegt eine genau angebbare Ursache des Zu-Boden-Fallens der Kreide vor: Eine Disposition der Kreide, die ihr aufgrund eines bestimmten Masse-Modus zukommt, ein ereignishafter Stimulus, das Bewegen der Finger, schließlich günstige Umstände, wozu v.a. der reziproke Dispositionspartner Erde gehört, die eben die Disposition aufweist, Gegenstände wie das Kreidestück aufgrund ihrer Masse anzuziehen. So gesehen, ist das Zu-Boden-Fallen der Kreide, als Manifestation der einschlägigen Disposition, die Wirkung besagter Ursache. Dieses Experiment aber kann ich beliebig oft durchführen. Das Ergebnis wird wohl immer das gleiche sein. Wenn man nun versucht, dieses Geschehen in seiner Invarianz zu erklären, wird man, neben den geschilderten Aspekten, auch auf generelle Aussagen zurückgreifen wie: Immer wenn kleinere Massen (z.B. die Kreide) in eine bestimmte Distanz zu größeren (z.B. der Erde) kommen, wird die kleinere von der größeren angezogen, wenn keine Hindernisse auftreten. Diese generelle Aussage hat die paradigmatische Gestalt eines Naturgesetzes, in unserem Fall der Gravitation. Diese erlaubt auch bestimmte Prognosen: Es ist anzunehmen, dass auch in Zukunft Kreidestücke zu Boden fallen, wenn der entsprechende Stimulus auftritt, insbesondere auf dem angeführten großen Dispositionspartner. Ich denke, dass man dies verallgemeinern kann, dazu hin, dass es für Ursache-Wirkungsverhältnissen (im Hinblick auf Abschnitt (7) ist sinngemäß zu ergänzen: „für einförmige“) maßgeblich ist, in ihrer Invarianz durch Naturgesetze erklärt werden zu können. Es gilt somit (unter Berücksichtigung der Parenthese im vorherigen Satz), dass regelmäßige Ereignisfolgen, die nicht durch Naturgesetze erklärt und durch dieselben prognostiziert werden, auch nach gegebener Analyse keine kausalen sein können. Es sind dann Abfolgen von zufälligen Regelmäßigkeiten. Denken wir an die Möglichkeit, dass jeweils, wenn die Kreide aus unserem Experiment zu Boden gefallen ist, sofort danach im Nebenzimmer eine Glühbirne durchbrennt. Wenn keine naturgesetzliche Aussage die Manifestation der einschlägigen Disposition der Glühbirne mit dem Kreidefall verbindet, kann man nicht davon sprechen, dass das eine (Teil der) Ursache des anderen ist, selbst wenn Kandidaten ‚günstiger Umstände‘ jeweils angebbar wären. Also ist auch nach dieser Analyse Kausalität naturgesetzliche Kausalität. („Einförmige“) kausale Verhältnisse sind nomologisch erklär- und prognostizierbar.

Modi als Konstituenten kausaler Verhältnisse | 145

Die angenommene Kausalanalyse kann nicht nur in allgemeinen Zusammenhang mit (Natur-)Gesetzlichkeit gebracht werden. Sie kann auch eine ontologische Grundlage der Gesetzmäßigkeit von Kausalverhältnissen bereitstellen. Bei einer solchen Bereitstellung ontologischer Grundlagen beginne ich wieder beim basalen Faktum BF2 (vgl. I - 3.1 (2)): Gleichheit. Zwischen Modi kann das nicht weiter analysierbare Faktum der Gleichheit bestehen. Wenn Modi, wie hier angenommen (vgl. II - 3.1 (1)), einen Bestimmungs- oder qualitativen Aspekt und einen Kraftaspekt aufweisen, legt es sich nahe anzunehmen, dass Gleichheit unter jedem Aspekt bestehen kann. Gleiche Modi sind gleiche Kräfte, die ihren Trägern gleiche Dispositionen verleihen. Haben Dinge aber gleiche Dispositionen, sind sie sich, die Dinge, auch unter der Rücksicht eines ersten Strukturelements einer Ursache ähnlich. Darüber hinaus gilt, dass auch Ereignisse, als Stimuli, und Zustände, die günstige Umstände ausmachen, aus Modi komponiert sind, die ebenfalls im Hinblick auf ihren Kraftaspekt gleich sein können. Gleiche Modi komponieren ähnliche Ereignisse bzw. Zustände. Die Gleichheit von Modi ist also im Hinblick auch auf das zweite (Ereignisse als Stimuli) und das dritte Element von Ursachen (Zustände als günstige Umstände) relevant, somit für etwas, das in der Literatur auch als gesetzmäßige Ähnlichkeit (engl.: nomological resemblance) bezeichnet wird.60 Naturgesetze – als generelle Aussagen – beruhen auf solchen Ähnlichkeiten in allen Ursachen-Aspekten, somit auf Gleichheiten von Modi, als Kräfte verstanden. Anders gesagt: Die Annahme der Gleichheit von Modi, als Kräfte verstanden, die Dingen gleiche Dispositionen verleihen bzw. gleiche Stimuli und gleiche günstige Umstands-Zustände komponieren, kann als eine Möglichkeit gesehen werden, die generelle Geltung von naturgesetzlichen Aussagen zu verstehen. Außerdem können wir festhalten: Ist die Gleichheit von Modi, im Sinne von BF2, nicht weiter analysierbar, so auch nicht die generelle Geltung von Naturgesetzen, wie das in der Eingangsdefinition („… generelle Aussagen, die nicht in Konjunktionen von (endlich vielen) Einzelaussagen zu übersetzen sind …“) zum Ausdruck gebracht wird. Wenn ich hier Naturgesetze in ihrer generellen Geltung auf Gleichheit von Modi zurückführe, heißt das natürlich nicht, dass jede Gleichheit von Modi eine „gesetzmäßige Ähnlichkeit“ von Dingen bzw. von Ereignissen und Zuständen bedingt. Nicht alle wiederholt auftretende Quadrupel von Dispositionen/Manifestationen/Ereignissen/Zuständen können als kausale, mithin als naturgesetzlich

|| 60 Vgl. u.a. Stenwell 2013, u.a. 42.

146 | Modi als Kräfte

verbundene Ursache-Wirkungsverhältnisse verstanden werden. Dazu sei auf das Kreidefall-Glühbirnen-Beispiel verwiesen. Nicht alle Ereignisse sind für alle Manifestationen, zu denen sie in zeitlichen und räumlichen Naheverhältnissen stehen, Stimuli. Nicht alle wiederholt vorkommende Zustände sind günstige Umstände für ein bestimmtes Kausalgeschehen. Wie aber findet man heraus, welche Ereignisse z.B. tatsächlich Stimuli zur Manifestation von Dispositionen sind? Ich denke, das ist schlicht und einfach eine empirische Sache. Wir experimentieren, um herauszufinden, ob das Öffnen der Finger tatsächlich ein Stimulus für das Herabfallen der Kreide bzw. das Herabfallen der Kreide wirklich nicht Stimulus für das Durchbrennen der Glühbirne ist. Bei derartigen Experimenten kann man die Nicht-Anwendbarkeit von Gesetzen feststellen, etwa wenn sich herausstellt, dass, wie bei Kreidefall und Glühbirne, die vorerst angenommene Regelmäßigkeit doch nicht beständig genug ist, bzw. wenn sich andere Kandidaten für Stimulus/günstige Umstände des Durchbrennens ergeben, in der Folge die Anwendbarkeit eines alternativen Gesetzes, das gerade nicht auf Ereignisse wie den Kreidefall Bezug nimmt. Oder man erkennt die Anwendbarkeit eines Naturgesetzes zur Erklärung eines Geschehens an, wie beim Zusammenhang zwischen Fingerbewegung und Kreidefall. Oder aber man versucht die Formulierung einer neuen gesetzmäßigen Aussage, die dann in Hinkunft in Anschlag gebracht werden kann, um einschlägige Abfolgen als kausale zu erklären bzw. zu prognostizieren. Letzteres ist wohl, im Erfolgsfall, mit Induktion gemeint. Normalerweise gilt bei der Formulierung von Naturgesetzen der Vorbehalt der ceteris-paribus-Klausel. Wenn diese und jene Umstände stabil sind, dann gilt etwa, dass jener Stimulus diese Manifestation bedingt, o.ä. Die angeführte Kausalanalyse kommt mit diesem Vorbehalt gut zurecht, gilt es doch, nicht nur Dispositionen und Stimuli als Ursachenelemente zu berücksichtigen, sondern eben auch die günstigen Umstände. Ist naturgesetzliche Erklärbarkeit notwendig für kausale Verhältnisse, die ceteris-paribus-Klausel aber Element naturgesetzlicher Erklärungen, ist die ceteris-paribus-Klausel – in der Form des günstigen Umstände-Aspekts – notwendig für kausale Verhältnisse. Nichts anderes wird in der vorgeschlagenen Kausalanalyse zum Ausdruck gebracht. Ergänzend kann man anführen, dass die günstigen Umstände zur Hervorbringung einer Wirkung wohl nie vollständig angebbar sind. Das liegt nicht nur an der notorischen Schwierigkeit, Zustände zu identifizieren, sondern auch an der Vielzahl und Unübersichtlichkeit von Umständen, die bei den hier gemein-

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ten „günstigen“ zu berücksichtigen sind.61 Ich denke, dass dieser Aspekt ein Ansatz sein kann, sowohl den Wahrscheinlichkeits- als auch den Wandelbarkeitscharakter von Naturgesetzen mit einzubeziehen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Kreide beim Öffnen der Finger auf die Erde fällt. Ganz sicher kann man sich freilich nicht sein, weil es für einen endlichen Verstand nicht möglich ist, alle erforderlichen Umstände zu berücksichtigen, welche diesem Geschehen als Ursache vorauszugehen haben. Desgleichen kann es erforderlich sein, Naturgesetze weiterzuentwickeln, etwa dann, wenn man neue relevante Umstände entdeckt, die einen zwingen, die Stimulus-Disposition-DispositionspartnerVerhältnisse dementsprechend zu relativieren. Zusammenfassend kann man daran festhalten, dass die hier vorgeschlagene Kausalanalyse einen ontologischen Rekonstruktionsversuch der Naturgesetzlichkeit von Kausalität und einiger mit Naturgesetzlichkeit zusammenhängender Aspekte erlaubt. Auch wenn gerade hier mancher/m LeserIn, vor allem dem/der wissenschaftstheoretisch bzw. naturphilosophisch geschulten, die Unvollständigkeit der Ausführungen deutlich ins Auge fallen wird.

|| 61 Diesen Gesichtspunkt finden wir auch in der klassischen Philosophie, etwa bei Leibniz, wenn er davon spricht, dass wir den zureichenden Grund von bestimmten Tatsachen (ich würde hier neutraler von Wirkungen sprechen) niemals vollständig angeben können wegen einer unermesslichen „Aufspaltung in einzelne Gründe“. Vgl. u.a. Leibniz, Monadologie, Punkt 36.

4 Metaontologischer Einschub Zum Abschluss dieses zweiten Hauptteils möchte ich kurz im Fortgang der Theorienbildung über Modi innehalten. Bislang habe ich versucht, Grundlagen einer Ontologie von Modi darzulegen und manche Merkmale dieser Entitäten herauszuarbeiten. Im nächsten, dem dritten Hauptteil wird es um eine Anwendung dieser Theorieteile auf Fragestellungen im Bereich des ‚EigenschaftsThemenfeldes‘ gehen. Bevor ich dazu komme, möchte ich einen Faden aus dem ersten Hauptteil aufgreifen und mich, im Sinne einer metaontologischen Reflexion, nach der Eigenart der bislang dargebotenen Thesen als deskriptiven oder alltagsontologischen fragen (4.2). Zuvor (4.1) will ich eine andere metaontologische Frage stellen, nämlich die nach dem Kategorien-Status der Modi. Beides möge zur Zusammenfassung, vielleicht auch zur zusätzlichen Klärung des bisher Geschriebenen beitragen.

4.1 Modi als ontologische Kategorie (1) Dass Modi eine (eigene) Kategorie im Bereich der Partikularien ausmachen, habe ich bislang mehrfach bekundet, ohne diese Bekundung einer sachlichen Erörterung zu unterziehen. Dieses Manko soll nun behoben werden. Eine diesbezügliche sachliche Erörterung muss freilich ansetzen bei einem Kriterienkatalog für kategoriale Einheit bzw. Verschiedenheit von Entitäten. Nach welchen Kriterien können wir die kategoriale Eigenheit der Modi gegenüber anderen Partikularien gewährleisten? Ich erlaube es mir, hier nicht (nochmals) einen solchen Katalog einzuführen, sondern auf jenen zurückzugreifen, den ich in meiner Ding – Substanz – Person-Monographie an mehreren Stellen dargelegt und auch angewendet habe.1 Dieser Katalog beruht auf fünf Kriterien: Das erste (i) ist Übereinstimmung bzw. Nicht-Übereinstimmung in Identitätsbedingungen. Das zweite (ii) besteht aus einem Verweis auf die zeitliche Gestalt von Entitäten, Stichwörter: „Mittelbarkeit“ bzw. „Unmittelbarkeit ihrer Verhältnisse zur Zeit“, wir können hier jeweils „zum Raum“ bzw. „räumliche Gestalt“ ergänzen. Das dritte Kriterium (iii) betrifft ontologische Abhängigkeit: Besteht zwischen Entitäten a, b, c eines Typs und Entitäten g, h, i eines anderen Typs eine Weise von Abhängigkeit, die zwischen a, b, c bzw. g, h, i und anderen Vorkommnissen desselben Typs nicht

|| 1 Kanzian 2009, v.a. I - 5.1, 5.2, aber auch II - 3., III - 3.42.

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bestehen kann, so ist diese Art von Abhängigkeit ein Kriterium dafür, dass sich das Abhängige kategorial von dem unterscheidet, wovon es abhängt. Das vierte (iv) bezog sich, unter verschiedener Rücksicht, auf die sortale Zugehörigkeit von Entitäten. Als fünftes Kriterium (v) zur Entscheidung von kategorialer Einheit bzw. Verschiedenheit von Entitäten wurde schließlich Übereinstimmung bzw. Nicht-Übereinstimmung in der inneren ‚Sachverhalts‘-Struktur angenommen, wobei von Übereinstimmung in der Sachverhaltsstruktur genau dann auszugehen ist, wenn alle Elemente und alle Beziehungen zwischen diesen Elementen dieselben sind. (2) Wie ist das aber nun mit Modi, im Vergleich zu Dingen und Ereignissen bzw. Zuständen? Unterliegen Modi denselben Identitätsbedingungen wie Dinge und Ereignisse bzw. Zustände? Man kann diese Frage ohne umfassende Studien zu Identitätsbedingungen im Allgemeinen und zu Identitätsbedingungen aller dieser Arten von Partikularien nicht seriös beantworten. Ich möchte deshalb nur einen Detailaspekt herausheben. Im Abschnitt II - 2.3 (5) ist davon die Rede, dass Modi sowohl von Dingen als auch von Zuständen bzw. Ereignissen substantiell und individuell abhängen, und deshalb auch in ihrer Identität, in dem, was sie als Individuum ausmacht. Im Falle der Modi ist die Identitätsabhängigkeit eine vollständige, da wir bei ihnen keine weiteren Instanzen, etwa Sorten oder Spezies annehmen können, welche ebenfalls identitäts-determinierende Funktionen hätten. Das unterscheidet Modi sowohl von Zuständen bzw. von Ereignissen als auch von Dingen. Wie auch immer man Identitätsbedingungen für Modi ausformulieren würde, man müsste dabei auf diese Einzigartigkeit Rücksicht nehmen. Damit aber unterschieden sich die Identitätsbedingungen für Modi jedenfalls grundlegend von jenen aller anderen Partikularien. Dies können wir festhalten und Kriterium (i) als Argument (wenn auch als wenig explizit gemachtes) für den kategorialen Eigenstand der Modi im Bereich der Partikularien annehmen. Wir tun allerdings (schon aufgrund besagter mangelnder Explizitheit) gut daran, auch die anderen Kriterien aus unserem Katalog zu Rate zu ziehen. Wie ist es etwa mit dem Bezug der Modi zu Zeit und zu Raum? Hier können wir klare Unterscheidungen treffen. Ohne bereits Ausgeführtes zu wiederholen, können wir feststellen, dass Modi diesbezüglich eine Sonderstellung einnehmen. Im Abschnitt II - 1.2.2 (1) haben wir gesehen, dass Modi, als vierdimensionale Entitäten, ohne Vermittlerinstanz weder im Raum, noch in der Zeit vorkommen können. Das unterscheidet sie sowohl von Dingen, die ja per se räumlich und noch dazu dreidimensional, als auch von Ereignissen bzw. Zuständen, die zwar auch vierdimensional, jedoch unmittelbar zeitlich sind. Gilt

150 | Metaontologischer Einschub

das Kriterium der zeitlichen bzw. räumlichen Gestalt für kategoriale Unterscheidungen, können Modi nicht derselben Kategorie wie Dinge und auch nicht derselben Kategorie wie Ereignisse bzw. Zustände angehören. Zum gleichen Ergebnis kommen wir, wenn wir Kriterium (iii) aus unserem Katalog heranziehen. Die Art, wie Modi von Ereignissen/Zuständen bzw. von Dingen abhängen, kann ebenso wenig auf das Verhältnis zwischen verschiedenen Gruppen von Modi übertragen werden, wie jene Art, wie Dinge bzw. Ereignisse/Zustände von Modi abhängen, auf verschiedene Gruppen von Dingen bzw. von Ereignissen/Zuständen. Dies wurde ausführlich im Abschnitt II - 2.3 entwickelt. Dazu kommt noch, dass die ontologische Abhängigkeit der Modi einzigartig ist. Sie unterscheidet sich von der Abhängigkeit der Ereignisse/Zustände von Dingen und von jener der Dinge von Ereignissen/Zuständen. Um auf Kriterium (iv) zu sprechen zu kommen, können wir nach den Untersuchungen v.a. im Abschnitt II - 1.2.2 (4) Modi als Entitäten schildern, deren sortale Zugehörigkeit eigentümlich ist, und deshalb in ihrer ontologischen Relevanz keineswegs mit jener von Dingen bzw. von Ereignissen/Zuständen verglichen werden kann. Ich erwähne lediglich die Stichwörter „Determinable“/„Determinante“ und erinnere daran, dass die Identität der Modi weder sortal dependent (wie bei Dingen) noch sortal relativ (wie bei Ereignissen bzw. Zuständen) ist. Nimmt man Gleichheit bzw. Verschiedenheit bzgl. sortaler Zugehörigkeit als Kriterium für kategoriale Einheit bzw. Verschiedenheit an, können Modi nicht zur selben Kategorie wie Dinge bzw. wie Ereignisse/Zustände gehören. Zum selben Resultat kommen wir in Anwendung des fünften Kriteriums, jenes der inneren Struktur von Entitäten. Während Dinge und Ereignisse in keinem der jeweils zwei Elemente in ihrer komplexen inneren Struktur übereinstimmen, können wir von Modi sagen, dass sie sich von Vorkommnissen beider Kategorien noch grundlegender absetzen, nämlich darin, dass ihre innere Struktur keine zwei Elemente aufweist. Modi sind nicht-komplexe Entitäten, im Sinne der Ausführungen unter II - 1.2.2 (3). Also ist ihre innere Struktur grundlegend von jener der Entitäten anderer Kategorien von Partikularien verschieden. Akzeptiert man Kriterium (v), machen Modi eine eigene Kategorie aus. Wir kommen also, in Anwendung unseres Kriterienkatalogs, zu dem doch klaren Ergebnis, dass Modi weder als Vorkommnisse derselben Kategorie wie Dinge noch als Vorkommnisse derselben Kategorie wie Ereignisse bzw. Zustände gelten können. Modi sind, wie gesagt, eine eigene Kategorie Partikularien.

Haben wir es hier mit einer deskriptiven oder Alltagsontologie zu tun? | 151

4.2 Haben wir es hier mit einer deskriptiven oder Alltagsontologie zu tun? (1) Im ersten Hauptteil (I - 2) habe ich versucht, deskriptive oder Alltagsontologie sowohl negativ, unter Absetzung von revisionärer (2.2), als auch positiv zu charakterisieren (2.1). Bei der positiven Charakterisierung waren drei Aspekte leitend, um sie stichwortartig nochmals anzuführen: Intuitivität, Interpretations- und Erklärungskompetenz von Grundstrukturen unseres alltäglichen Redens, etwa der Subjekt-Prädikat-Struktur, schließlich Offenheit für Modifikationen. Im Abschnitt I - 3.3 habe ich die „basalen Fakten“ unserer Ontologie der Modi einer Analyse im Hinblick auf ihre Alltagsontologie-Tauglichkeit unterzogen. Wie steht es aber diesbezüglich mit den Thesen des zweiten Hauptteiles? Bevor ich hier eine Antwort versuche, eine Vorbemerkung: Zunächst ist klar, dass sich die allgemeine Kriteriologie für deskriptive oder Alltagsontologie aus I - 2.1 an die grundlegenden Linien eines ontologischen Rahmens richtet, wie sie etwa im Abschnitt I - 3.1 (eben bzgl. der „basalen Fakten“) dargelegt wurden. Im zweiten Hauptteil sind wir aber in die Kategorie der Modi ‚eingestiegen‘, um in ihrem Bereich teilweise sehr spezielle inhaltliche Charakterisierungen vorzunehmen. Wir sind also weg gegangen von allgemeinen, hin zu besonderen Thesen. Somit ist auch die gegebene Kriteriologie aus besagten Gründen nicht mehr so ohne weiteres anzuwenden. Wie soll auch die sehr spezielle Einführung formaler Beziehungen bzw. die Eigenart der ontologischen Abhängigkeit der Modi von anderen Kategorien alltäglichen Intuitionen entsprechen – oder auch nicht? Handelt es sich doch bei diesen Thesen, die hier beispielhaft angeführt werden, um ontologisch-technische Konstrukte. Wir werden uns in der Untersuchung der Alltagsontologie-Tauglichkeit des zweiten Hauptteils somit wohl auch darauf zurückziehen müssen, dass sich seine Thesen, gemeint sind hier tatsächlich v.a. jene aus II - 2, also über die Existenzabhängigkeit der Modi, innerhalb des Rahmens des ersten Hauptteiles entwickeln lassen und dass wir auch dann Thesen als alltagsontologische oder zumindest als einer Alltagsontologie nicht widersprechend annehmen, wenn sie (i) sich innerhalb eines erwiesenermaßen alltagsontologischen Rahmens entwickeln lassen und (ii) sich selbst hinsichtlich der angenommenen Alltagsontologie-Kriterien als neutral erweisen.2 Das gilt für die speziellen Thesen in II - 2 allemal.

|| 2 Eine vergleichbare Einschränkung der Möglichkeiten, spezielle Thesen im Hinblick auf ihre Alltagsontologie-Tauglichkeit zu untersuchen, habe ich in Kanzian 2009, II - 4, v.a. 223ff, vorgenommen. Ich übernehme hier viel aus diesem Abschnitt.

152 | Metaontologischer Einschub

(2) Das ist aber nicht das einzig Bemerkenswerte im Hinblick auf die Alltagsontologie-Tauglichkeit von Thesen des zweiten Hauptteils. Ein weiterführender Aspekt ist, dass Thesen, deren Status als alltagsontologische im ersten Hauptteil explizit aufgewiesen wurde, auch im zweiten Hauptteil unmittelbare Anwendung finden. Ich meine hier in erster Linie die, dass Modi Entitäten bzw. partikulare Entitäten sind (vgl. II - 1.1 bzw. II - 1.2). Die Gehalte dieser Thesen gehen unmittelbar auf jene basalen Fakten zurück, die bereits im ersten Hauptteil als deskriptiv ausgewiesen wurden. Ausdrücklich erwähnen möchte ich, dass sich aus der Annahme von Modi als partikularen Entitäten besondere Möglichkeiten ergeben, die Subjekt-Prädikat-Struktur unseres alltäglichen Redens zu interpretieren. Ich erlaube mir, an die aus den Grundthesen über Modi als partikularen Entitäten entwickelte Prädikationstheorie in II - 1.2.1 (3) zu erinnern. Desgleichen scheint es mir auch intuitiv plausibel zu sein, anzunehmen, dass es die Bestimmungen der Dinge bzw. die Weisen, wie Dinge sind, gibt. Das Gegenteil, die Negierung dieses Wie-Dinge-Sind als Grundelement der Wirklichkeit bzw. die damit verbundenen ontologischen Strategien, scheinen mir ein Gegenintuitivitätsproblem zu haben. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass in deskriptiven Ontologien Modi als (partikulare) Entitäten einen fixen Platz einnehmen, revisionäre Ontologien mit Modi, in hier eingeführtem Sinne, nichts zu tun haben. (Revisionäre OntologInnen operieren gerne mit Tropen, welche aber, bitte nicht vergessen, keine Modi sind.) Wir können aber im Hinblick auf die Alltagsontologie-Tauglichkeit von Thesen des zweiten Hauptteils noch ein Stück weiter gehen, v.a. wenn wir die Ergebnisse des dritten Abschnitts über Kräfte und kausale Verhältnisse ins Auge fassen. Dass Kräfte zu den Grundelementen unserer alltäglichen Wirklichkeit gehören, scheint mir ein kaum negierbares Faktum zu sein. Intuitiv einleuchtend scheint mir die Annahme, dass Ursachen, um Ursachen sein zu können, in irgendeiner Weise Kraftzentren sein bzw. mit Kraftzentren zu tun haben müssen. Auch hier können wir feststellen, dass die Negierung von Kräften bzw. kraft-lose Kausaltheorien gegenintuitiv vorgehen. David Lewis etwa wird kaum als Theoretiker zu verstehen sein, der seine Ontologie nach dem IntuitivitätsKriterium entwickelt. Es ist jedenfalls auch kein Zufall, dass in deskriptiven Ontologien Kräfte einen fixen Platz einnehmen, revisionäre Ontologien mit der Annahme von Kräften ihre Schwierigkeiten haben. Bei den Letzteren regiert vielmehr reine raum-zeitliche Sukzession bzw. idealistisch interpretierbare Regularität bzw. nicht kraftvolle Verbindung von Ereignissen als Basis von Kausalität. Die Annahme von Kräften lässt per se keine Interpretation von grundlegenden Strukturen unseres alltäglichen Redens zu. Aber: Auch in unserem alltägli-

Haben wir es hier mit einer deskriptiven oder Alltagsontologie zu tun? | 153

chen Sprechen kennen wir den Unterschied zwischen dem Aussagen von Qualitäten und dem von Dispositionen. Qualitätsprädikate sind einstellig, Dispositionsprädikate mehr-, wie hier vorgeschlagen: vierstellig. Diese Distinktion findet eine Erklärung in der Doppelnatur der Modi als qualitative Bestimmungen und als Kräfte. Also kann auch die Annahme von Kräften, wie sie hier eingeführt wurden, einen Beitrag leisten für eine interpretative Erklärung bestimmter Eigenarten unseres alltäglichen Redens, auch wenn die ins Auge gefassten Eigenarten aufgrund ihres speziellen Charakters nicht zu den allgemeinen Strukturen unseres Sprechens gezählt werden können. Bzgl. des dritten positiven Charakteristikums deskriptiver oder Alltagsontologie, der Offenheit für Modifikationen aufgrund der Änderbarkeit von Intuitionen bzw. der Kontext- und Kulturrelativität alltagsontologischer Theorienbildung, kann man m.E. bzgl. der hier versuchten Theorien über Kräfte nichts über Spekulationen Hinausgehendes sagen. Jedenfalls sehe ich auch keinen Gegensatz zwischen diesem Kriterium und den gebotenen Auffassungen. Wichtiger zu sein scheint mir der Bezug auf das entscheidende Abgrenzungskriterium der deskriptiven gegenüber revisionärer Ontologie, welches ich im ersten Hauptteil im Hinblick auf die „integrative Funktion“ alltagsontologischer Begriffe fokussiert habe. Ebenso nämlich wie man „Modus“ als integrativen Begriff verstehen kann (wie im Abschnitt I - 3.3 dargelegt), so auch „Kraft“. Er ist durchaus als Bestandteil einer allgemeinen, sprich einer nicht durch die methodische oder Interessensperspektive einer Einzelwissenschaft bestimmten Theorie eingeführt. Es geht hier keinesfalls um rein physikalische, auch nicht um nur psychologische, oder um ausschließlich gesellschaftliche Kräfte. Dass aber kausale Geschehnisse, die z.B. unter physikalischer Rücksicht forschungsrelevant sind, in eine allgemeine Theorie der Kräfte eingebracht und durch diese dann auch erläutert bzw. in Zusammenhang mit anderen einzelwissenschaftlichen Zugangsweisen gebracht werden können, ist durchaus, um es vorsichtig zu sagen, vorgesehen. Damit wäre eine zweite Voraussetzung für die integrative Funktion eines Begriffes erfüllt. Analoges wird übrigens zu sagen sein über eine ontologische Theorie von Gesetzen bzw. Naturgesetzen, die für eine Kausaltheorie wohl unumgänglich ist. Damit gehen wir aber über die (bescheidene) Zielsetzung dieses metaontologischen Zwischenabschnittes hinaus und begeben uns thematisch in den dritten Hauptteil.

| III

Modi im Eigenschafts-Themenfeld

In der Einleitung (Teil 0) dieser Monographie habe ich versucht, das berechtigte Unbehagen der LeserIn über meine Fokussierung des Themas Wie Dinge sind auf Modi dadurch zu mildern, dass ich in Aussicht gestellt habe, in einem dritten Hauptteil daranzugehen, standardmäßige Fragen aus dem EigenschaftsThemenfeld zu behandeln. Das soll nunmehr geschehen. Bevor ich mich an diese Aufgabe mache, möchte ich allerdings kurz Auskunft darüber geben, was ich mit „Eigenschafts-Themenfeld“ meine. Zunächst eine terminologische Klarstellung: Ich verwende vor dem Hintergrund meiner Theorienbildung in den ersten beiden Hauptteilen „Eigenschaft“ natürlich weiter in einem nicht-technischen Sinne. Das heißt, ich schwenke in der Terminologie meiner Theorie über Die Weise, wie Dinge sind nicht darauf um, nun doch diese Weisen als Entitäten der ‚Kategorie‘ Eigenschaften zu benennen. „Eigenschaft“ bzw. „Eigenschafts-Themenfeld“ verwende ich in diesem Hauptteil, um bestimmte Fragen und Themen zu umreißen, die in der aktuellen Literatur diskutiert werden, um anhand dieser Fragen die Relevanz von Modi zu erproben. Unter „Eigenschafts-Themenfeld“ verstehe ich nun jenes Kompendium von Fragen, die a) mit den Grundlagen einer Ontologie von Eigenschaften zusammenhängen, sowie b) mit Unterscheidungen im Bereich der Eigenschaften. Dass es hier standardmäßige Fragen gibt, ergibt sich daraus, dass sich in der Forschungsliteratur gewisse Brennpunkte der Diskussion festmachen lassen. Was aber wären solche Fragen bzw. Themen? Bzgl. a) wurde schon in den vorhergehenden Abschnitten einiges gesagt. Ich erinnere nur an die Grundthesen bzgl. basaler Fakten im Abschnitt I - 3.1, aber auch an die Überlegungen zum Status von Modi als partikularen Entitäten in II - 1. Eine Grundsatzfrage, die stets in der Diskussion des Eigenschafts-Themas gestellt wird, wurde allerdings noch nicht behandelt: Wie kann man das Verhältnis zwischen Prädikaten und Eigenschaften verstehen? Es geht hier um den Zusammenhang von sprachlicher und ontologischer Ebene. Entspricht jedem Prädikat eine Eigenschaft oder nur manchen? Wenn das Letztere behauptet wird, welche Prädikate sind gemeint und warum? Wie deuten wir die Prädikate, denen keine Eigenschaft entspricht? Was ist mit den „abundant properties“, um einen Lewisʼschen Terminus aufzugreifen, bzw. den „uneigentlichen“ Eigenschaften? Diesem Themen- bzw. Fragenkomplex möchte ich die ersten drei Abschnitte dieses dritten Hauptteiles (III - 1 bis III - 3) widmen und die in den ersten beiden Hauptteilen skizzierte Ontologie der Modi in ihrer Klärungskompetenz dafür erproben. Bzgl. b) lassen sich ebenfalls leicht standardmäßige Diskussionen festmachen. Welche Unterscheidungen erörtert man im Hinblick auf Eigenschaften?

Da ist zunächst jene zwischen qualitativen oder kategorikalen Eigenschaften und den dispositionalen. Was man, vor dem Hintergrund der Annahme von Modi, dazu sagen kann, habe ich bereits darzulegen versucht, und zwar im Abschnitt II - 3, insbesondere in II - 3.1. Diese Distinktion ist aber nicht die einzige vielfach erörterte. Dazu gehört sicherlich auch die Unterscheidung zwischen ein- und zweistelligen Eigenschaften, m.a.W. die Frage nach Relationen. Hierauf habe ich mich in vorhergehenden Abschnitten schon teilweise eingelassen. Im dritten Hauptteil soll dies nochmals aufgegriffen und systematisch vertieft werden (III - 4). Noch gar nicht bzw. praktisch nicht behandelt wurden die Unterscheidungen zwischen sogenannten essentiellen und akzidentellen Eigenschaften bzw. die Distinktionen zwischen extrinsischen und intrinsischen, sowie zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften. In den Abschnitten III - 5, 6, und 7 versuche ich, diese Distinktionen in Anwendung einer Modiontologie zu rekonstruieren und systematisch auszuwerten. Mit diesen Fragestellungen nehme ich eine Auswahl des EigenschaftsThemenfeldes vor. Ich kann somit nicht beanspruchen, eine vollständige Abarbeitung dieses faszinierenden ontologischen Betätigungsfeldes anzubieten. Ich glaube allerdings, dass dies jeden (sinnvollen) Rahmen eines Buchprojekts sprengen würde und mache mich an die Bearbeitung meiner bescheidenen Parzellen des besagten Feldes.

1 Prädikate und Entitäten (1) Unsere Alltagssprache ist in der Verwendung von Prädikaten praktisch unbegrenzt tolerant. Wir reden nicht nur davon, dass etwas eine bestimmte Größe, eine gewisse Gestalt, eine Farbe hat; nicht nur davon, dass Dinge, insbesondere Lebewesen, artspezifische Vermögen besitzen. Ohne Bedenken sprechen wir genauso auch davon, dass etwas räumliche bzw. zeitliche Merkmale oder Charakterisierungen aufweist. „Die Kugel ist rund und 10 cm vor mir“, ist prima facie vollkommen unverdächtig. „An einem Ort zu sein“ scheint qua Prädikat genauso zu funktionieren wie „grün zu sein“ bzw. „5 Jahre alt zu sein“. Aber nicht nur das. Mitunter sagen wir auch von Dingen aus, dass sie sich von anderen unterscheiden, ja auch, bevorzugt wenn wir zu theoretisieren beginnen, dass sie mit sich selbst identisch sind. „Sich von anderen unterscheiden“ bzw. „identisch zu sein“ wird gleichsam als Prädikat aufgefasst. Wohl nicht mehr im Alltag, sondern in speziellen ontologischen Kontexten, wird dann u.a. von Dingen auch ausgesagt, sie seien individuell oder gehörten dieser und jener Kategorie an, ja auch, dass Dinge Träger von Eigenschaften seien. Hier wird „Individuell-Sein“, „einer Kategorie-Angehören“, ja „Träger-von-Eigenschaften-Sein“ als Prädikat verwendet, das strukturell analog zu sein scheint zu den eingangs erwähnten. „Die Kugel ist Träger von Eigenschaften und grün“ z.B. wäre dann eine wohlgeformte Bemerkung. Wenn wir uns nochmals der Alltagssprache zuwenden, können wir auch Redeweisen wie folgende feststellen: „Diese Kugel ist, im Unterschied zu den weiteren Kugeln am Tisch, nicht blau. Sie hat eine andere Farbe“. Das nicht blau Sein kann in diesem Aussagekontext durchaus aufgefasst werden als ein Nicht-blau-Sein, also quasi als ein negatives Prädikat. Wir wollen ja manchmal genau das Nicht-F-Sein von etwas pointiert behaupten. Analoges zu Negationen können wir bzgl. Konjunktionen und Disjunktionen feststellen. „Warm-undblau“ in „Diese Kugel ist warm und blau“ bzw. „grün-oder-blau“ in „Die nächste Kugel wird entweder grün oder blau sein“ kann als jeweils ein Prädikat ausgesagt werden. Warum auch nicht? Es ist informativ, Konjunktionen und Disjunktionen zu behaupten. Die Frage ist allerdings, wie wir als OntologInnen mit derlei Aussageformen umgehen? Sind, entsprechend zur grammatikalischen Analogie zwischen qualitativen und räumlichen bzw. zeitlichen Prädikaten, räumliche bzw. zeitliche Merkmale genauso Eigenschaften wie Qualitäten? Ist selbst Identität oder Mitsich-identisch-Sein eine Eigenschaft, bzw. Individuell-Sein oder Ein-Individu-

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um-Sein?1 Sogar Träger von Eigenschaften zu sein wird ja mancherorts (mit beträchtlichen Folgen!) zur Eigenschaft stilisiert.2 Gibt es darüber hinaus negative, disjunkte bzw. konjunkte Eigenschaften? Eine Möglichkeit wäre es, angesichts dieser unleugbaren Bedrohung durch Unübersichtlichkeit, reflexartig jede ontologische Relevanz aussagend gebrauchter Ausdrücke zu negieren. Jede Prädikation ist ein Aussagen von rein Sprachlichem. Ausgesagte Ausdrücke aber verpflichten nicht ontologisch. Also können wir uns die eben aufgelisteten Fragen und die damit verbundenen Probleme sparen.3 Das andere Extrem bestünde darin, dass wir jeder Redeweise, sprich jedem syntaktisch wohl geformten Prädikat eine Eigenschaft, sprich eine Entität zuweisen.4 Ersteres wäre reiner Nominalismus, Letzteres eine schier unüberschaubare Ontologie. Die Fragen, die ich mir im Folgenden stellen möchte, sind, ob es zwischen diesen Extremen nicht einen nachvollziehbaren Mittelweg gibt, bzw. was (m)eine Ontologie der Modi dazu beitragen kann, diesen Mittelweg systematisch zu beschreiten. Beginnen möchte ich mit weiteren Grundsatzbemerkungen zum Thema „Prädikate und Entitäten“ (in den nun folgenden Abschnitten (2)–(4)). Dann mache ich Vorschläge zur Einteilung von Prädikaten, von denen ich meine, dass durch ihr Ausgesagt-Werden von einem Träger nicht das Zukommen einer Entität zu diesem Träger behauptet wird (III - 2). Es folgen Überlegungen

|| 1 Das Beispiel ist nicht frei erfunden. Vgl. u.a. Cumpa 2012, 136, wo von der Eigenschaft, ein Individuum zu sein (engl.: property of being an individual), gesprochen wird. 2 Auch dieses Beispiel ist nicht als ‚Dummy‘ eingeführt. Peter Sellars hat ausgehend von der ‚Eigenschaft‘, Träger von Eigenschaften zu sein, gegen reine Substrata argumentiert; siehe Runggaldier/Kanzian 1998, 126: Die Annahme reiner Substrata oder bare particulars wäre widersprüchlich, weil sie, zu deren Begriff es gehöre, keine Eigenschaft zu haben („bare“ zu sein), so doch wenigstens die eine Eigenschaft haben, nämlich Träger von Eigenschaften zu sein. 3 Ich denke, wir können Quine in diese Richtung interpretieren. Richtungweisend ist sicherlich sein „Was es gibt“ (dt.), hier Quine 1979, 9–25 . Alle inhaltlichen Bestimmungen ‚wandern‘ in kanonischer Schreibweise in den Skopus gebundener Variablen und können so ohne ontologische Verpflichtung geäußert werden. Es gibt keine Eigenschaften. 4 Heil 2003, 24f, scheint Fodor (Psychosemantics, 1988, 33) eine solche Position zu unterstellen. Eine sehr reichhaltige Ontologie von Eigenschaften finden wir auch bei Chisholm, etwa in Chisholm 1996; vgl. insbesondere seine Ausführungen über „negative“, „compound“, „disjunctive“ und „conjunctive attributes“, ebd. 29–33. Es gibt alle möglichen Eigenschaften. Bemerkenswert ist, dass Sellarsʼ Argumentation gegen bare particulars (siehe Fußnote 2) auf der Annahme einer ebenfalls abundanten Ontologie von Eigenschaften beruht. Wenn man schon die Eigenschaft annimmt, Träger von Eigenschaften zu sein, warum dann nicht auch die reichhaltige Eigenschafts-Landschaft Chisholms?

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zu uneigentlichen Eigenschaften, um (ich schicke es voraus) auch rein räumliche, zeitliche und kausale Merkmale oder Charakterisierungen ins Auge zu fassen (III - 3). (2) Bezüglich unseres Themas „Prädikate und Entitäten“ muss ich nicht bei null beginnen, sondern darf auf einschlägige Überlegungen aus dem Abschnitt II 1.2.1 (3) rekurrieren, wo ich einige prädikationstheoretische Bemerkungen in Anschlag brachte. Grundlegend dabei ist die Unterscheidung zwischen dem Enthalten-Sein-in bzw. Bestimmt-Sein-durch und einem Ausgesagt-Werden-von bzw. Unter-etwas-Fallen-von. Ersteres besagt ein (basales) Verhältnis zwischen (partikularen) Entitäten. Letzteres ist das Verhältnis von etwas Allgemeinem, einem Allgemeinbegriff, und (wieder partikularen) Entitäten. Damit heben wir nicht nur Bestimmt-Sein und Unter-etwas-Fallen voneinander ab, sondern unterscheiden auch zwischen dem ausgesagten Ausdruck als einem sprachlichen Mittel, einem Prädikat, und dem durch das Ausgesagte Behauptete, also einem ontologischen Faktum. Im Hinblick auf Modi haben wir gesehen, dass beispielsweise „rot“ bzw. „ist rot“ in „Die Kugel ist rot“ als Prädikat verstanden werden kann, das Behauptete aber darin besteht, dass die Kugel durch den Modus Rot bestimmt ist. Die grundsätzliche Unterscheidung aber zwischen aussagend gebrauchten sprachlichen Ausdrücken, also Prädikaten, und ontologischen Fakten spielt auch im Kontext dieses Abschnittes eine entscheidende Rolle. Ich möchte diese Unterscheidung dahingehend weiterentwickeln, dass es zwischen ausgesagten sprachlichen Ausdrücken und den behaupteten ontologischen Fakten nicht in jedem Fall strukturelle Analogie gibt. Mit dieser Weiterentwicklung stelle ich mich gegen den nominalistischen Weg, dass Prädikate gar keine ontologische Relevanz hätten. Ich grenze mich aber auch gegen Auffassungen ab, denen zufolge man das behauptete ontologische Faktum rein aus einer Analyse des Prädikats ersehen bzw. aus der grammatikalischen Struktur eines Prädikats bereits ontologische Strukturen ableiten könnte, ebenso dagegen, dass jedes Prädikat gleichsam ein ‚Bild‘ einer Entität der ‚Kategorie‘ der Eigenschaften wäre. Mit den Thesen von der Unterscheidbarkeit von Prädikaten und jenen ontologischen Gegebenheiten, für welche die Prädikate stehen, bzw. von der möglichen strukturellen Disanalogie von Prädikaten und diesen Gegebenheiten befinde ich mich im Grunde im Mainstream der Theorienbildungen in diesem

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Bereich. „Eigenschaften … sind etwas anderes als Prädikate“5, stellt beispielsweise Frank Hofmann lapidar fest und bringt damit bzgl. der besagten grundsätzlichen Unterscheidung diese (Mehrheits-) Meinung auf den Punkt.6 Selbst NominalistInnen hätten wohl gegen den Hofmannschen Punkt als solchen nichts einzuwenden. Natürlich können wir zwischen Entitäten, für welche Prädikate stehen, und den Prädikaten selbst unterscheiden. Die Ersteren gibt es nicht, die Letzteren können wir grammatikalisch und semantisch analysieren. Auch OntologInnen, die einer sehr reichhaltigen Ontologie von Eigenschaften das Wort reden, begründen diese Reichhaltigkeit nicht damit, dass sich ihre Ontologie in einfacher Umlegung einer grammatikalischen Analyse von Prädikaten ergibt, schon gar nicht damit, dass Prädikate (Bilder von) Eigenschaften seien.7 Also können wohl auch sie die besagten Distinktionen vertreten. Soweit zum Konsensuellen. In der Begründung der Unterscheidung zwischen Prädikaten und Eigenschaften, v.a. (worauf ich mein Hauptaugenmerk lege) der Disanalogie zwischen manchen Prädikaten und jenen ontologischen Gegebenheiten, für welche diese Prädikate stehen, finden wir aber verschiedene Ansätze. Ich möchte mich im Folgenden v.a. auf einschlägige Überlegungen John Heils beziehen. Sie führen zu jenem Punkt hin, auf den es mir in diesem Abschnitt besonders ankommt. (3) Heil tritt in dieser Frage sehr resolut auf. Er sieht in jedem Versuch, eine Semantik zu ‚ontologisieren‘, ein Grundübel, das zu einer „myriad of philosophical puzzles“8 führt. Insbesondere die Behauptung einer allgemeinen Strukturanalogie zwischen Prädikaten und Eigenschaften sei Ausdruck einer solchen üblen Ontologisierung sprachlicher Zusammenhänge. Er nennt die Behauptung einer solchen Strukturanalogie in loser Anlehnung an Wittgenstein auch „pic-

|| 5 Hofmann 2008, 36. 6 In Mellor 1997a, 254, finden wir einen weiteren Hinweis zum Verstehen der Differenz zwischen Prädikaten und ontologischen Gegebenheiten. Mellor spricht dort von (universalen) Eigenschaften: „to every property there obviously corresponds a possible predicate applying to all and only particulars with that property. But it does not follow from this … that to every actual predicate there corresponds a single property or relation.“ 7 Vgl. wieder Chisholm, der über eine Analyse unserer intentionalen Bezogenheit auf Objekte, nicht aber aufgrund grammatikalischer Untersuchungen, zu seiner reichen Ontologie von Eigenschaften kommt. Siehe ders. 1996, chapter 5; aber auch, grundlegender, ders. 1989, chapter 15. 8 Heil 2003, 8.

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ture-theory“.9 Diese Theorie gründet in einem (Korrespondenz-)Prinzip, er nennt es „Φ“, das Heil so formuliert: „When a predicate applies truly to an object, it does so in virtue of designating a property possessed by that object and by every object to which the predicate truly applies (or would apply).“10 Ohne jetzt die wahrheitstheoretischen Implikationen von Φ erörtern zu können, möchte ich festhalten, dass dieses Prinzip jedenfalls eine strikte Korrespondenz von Prädikaten und Eigenschaften besagt. Φ umfasst dabei die Behauptung, dass jedes wohlgeformte Prädikat für eine Eigenschaft steht und jene, dass sich die Struktur der Eigenschaft an der Struktur des Prädikats ablesen lässt. Heils Motiv, eine solche strikte Korrespondenz abzulehnen, ist, dass sich so, relativ zu den verschiedenen Stufen von Prädikaten, eine Hierarchie von Eigenschaften, folglich verschiedene Schichten der Realität ergeben. Φ impliziert ein VielSchichten-Modell der Wirklichkeit. Die Erklärung des Zusammenhangs und der Abhängigkeit der Schichten voneinander führe in die besagte „myriad“ von Problemen.11 Ich möchte mich nicht in die Details der Heil-Exegese begeben. Vor dem Hintergrund des eben Gesagten scheint mir Φ zudem einen Dammbruch in Richtung jenes Extrems zu ermöglichen, das eine abundante und schier unüberschaubare Ontologie von Eigenschaften impliziert. Lässt man auf der sprachlichen Ebene z.B. beliebig komplexe konjunkte und disjunkte Prädikate zu, was durchaus seinen Sinn hat, muss man nach diesem Korrespondenzprinzip wohl auch beliebig komplexe konjunkte und disjunkte Eigenschaften zulassen. Ähnliches ist bezüglich jener aussagend gebrauchten Ausdrücke zu sagen, welche beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Kategorie besagen. Dann wäre eine Substanz zu sein eine Eigenschaft ebenso wie, um das Beispiel nochmals aufzugreifen, Träger von Eigenschaften zu sein. Φ bedeutet als allgemeines Prinzip (und so ist es formuliert) jedenfalls, dass jedes Prädikat so zu deuten ist, dass eine ihm korrespondierende Entität jenem Objekt zukommt, von dem es ausgesagt wird. Es gibt nach Φ keinen anderen Weg, die ontologische Relevanz von Prädikaten zu interpretieren als durch Verweis auf Entitäten, Heil spricht von Eigenschaften. Stimmt, wofür John Heil

|| 9 Vgl. ebd., 6, 22–30. 10 Ebd., 26. Dort finden sich, in Fußnote 8, weitere Literaturbelege zu diesem Prinzip. 11 Vgl. ebd., 28f. Heil meint, dass man so u.a. dazu kommt, mentale und physikalische Eigenschaften als auf verschiedenen Stufen vorkommend zu erachten. Ich möchte das nicht kommentieren. Dass die grundsätzliche Ablehnung eines Viel-Schichten-Modells der Wirklichkeit der hier versuchten Ontologie entgegenkommt, sollte schon aus den Ausführungen im ersten Hauptteil (v.a. I - 2.2 und 2.3) klar geworden sein.

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argumentiert und die Dramatik von Dammbrüchen spricht, Φ jedoch nicht, steht es einem frei, die ontologische Relevanz von Prädikaten nicht in allen Fällen so zu deuten, dass den Dingen, von denen Prädikate ausgesagt werden, den Prädikaten korrespondierende Entitäten zukommen. (Natürlich bleibt auch die Möglichkeit von Prädikaten korrespondierenden Entitäten bestehen, aber auch die, dass es Prädikate ohne jedwede ontologische Relevanz gibt. Ich denke dabei etwa an Prädikate, die einen Widerspruch enthalten.) Mit der Negierung von Φ schlagen wir jedenfalls – in Anwendung der unter (1) angesprochenen grundsätzlichen Unterscheidung bzw. ihrer Weiterentwicklung – Heils Weg ein, dessen Ausgang dieser wie folgt umschreibt: „We turn our backs on the idea that ontology can be settled by analysis.“12 Wir können uns nun fragen, wie unsere Modiontologie die weitere Verfolgung eines solchen Anti-Φ-Weges nahelegt. Der theoretische Nutzen dieses Voranschreitens soll ein weiterer Grund sein, Φ gegenüber skeptisch zu sein. (4) Wenn nicht alle Prädikate so zu interpretieren sind, dass ihnen korrespondierende Entitäten jenen Objekten zukommen, von denen die Prädikate ausgesagt werden, stellen sich zwei Fragen: a) Für welche Prädikate trifft das dennoch zu?, sowie b) Was ist mit den anderen?, bzw. wie kann man, wenn überhaupt, die ontologische Relevanz jener Prädikate verstehen, denen eben keine Entitäten korrespondieren? Die b)-Frage wird in den nächsten Abschnitten III - 2 und 3 angegangen. Zur a)-Frage möchte ich gleich etwas sagen. Vom Standpunkt einer Modiontologie, wie sie in den ersten Hauptteilen versucht wurde, gibt es eine naheliegende Antwort auf die a)-Frage: Prädikate, die für Modi stehen, haben ontologische Relevanz, und diese ontologische Relevanz ist so zu deuten, dass Aussagen, in denen sie vorkommen, Behauptungen darüber sind, dass etwas durch eine Entität, einen Modus, bestimmt ist. Ich wiederhole das Beispiel: „Rot“ bzw. „ist rot“ in „Die Kugel ist rot“ ist als Prädikat zu verstehen. Es hat ontologische Relevanz. Und diese ontologische Relevanz besteht darin, dass behauptet wird, dass die Kugel durch etwas, den Modus Rot, bestimmt ist. Die hier angebotene Antwort auf die a)-Frage ist jedoch noch stärker gemeint. Und zwar so, dass nur Prädikate, welche für Modi stehen, in ihrer ontologischen Relevanz so zu interpretieren sind, dass Aussagen, in denen sie vorkommen, Behauptungen darüber sind, dass etwas durch eine Entität bestimmt ist. Modi sind die einzigen Entitäten, welche Prädikaten korrespondieren. Die || 12 Heil 2003, 9. Gemeint ist mit „analysis“ natürlich Sprach-Analyse, im Besonderen von Prädikaten, im Hinblick auf die Frage, welche Eigenschaften es gibt.

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ontologische Relevanz aller anderen prädizierend gebrauchter Ausdrücke wird alternativ zu eruieren sein, wie in den nächsten Abschnitten dargelegt werden soll. Wenn man unter Eigenschaften Entitäten verstehen wollte, welche Prädikaten korrespondieren oder für welche Prädikate stehen, könnten wir unsere These auch so formulieren, dass Modi die einzigen Eigenschaften sind.13 Wenn es terminologisch nicht allzu verwirrend wäre, könnten wir im Grunde den nicht-technisch verwendeten Begriff „Eigenschaft“ für Modi verwenden, somit quasi ‚technisch‘ gebrauchen. Ich lasse das aber lieber bleiben, um Missverständnisse zu vermeiden. Außerdem werde ich auch weiter in einem nichttechnischen oder uneigentlichen Sinn von ‚Eigenschaften‘ sprechen, etwa von jenen Entsprechungen von nicht für Modi stehenden Prädikaten, die durch eine ontologische Analyse als Nicht-Entitäten aufgewiesen werden können. Vielleicht mag der einen oder dem anderen die in der a)-Antwort verpackte These, wenn schon nicht überraschend, so doch etwas forciert vorkommen. Woher nimmt man die Sicherheit, eine so gravierende Trennlinie zu ziehen? Ich meine zunächst, dass die Trennung aller für Entitäten stehenden Prädikate von jenen nicht für Entitäten stehenden Prädikate nach einem klaren Kriterium zu vollziehen ist. Außerdem bin ich der Meinung, dass man die ontologische Relevanz der Letzteren analysieren kann, eben ohne auf irgendwelche den Prädikaten korrespondierenden Entitäten zu verweisen. Wie gesagt, davon wird in folgenden Abschnitten die Rede sein. Das Kriterium, das ich meine, ist, dass Prädikate, die etwas über die kausalen Rollen jener Dinge aussagen, von denen sie gelten, so zu interpretieren sind, dass sie für Entitäten stehen. Jene Entitäten, welche allein den Dingen diese kausale Rollen oder Dispositionen verleihen, sind aber Modi. Also sind Prädikate für Modi die einzigen Prädikate, welche für Entitäten stehen.14 15

|| 13 „Korrespondenz“, das ist der Bezug von Eigenschaft, sprich Modus, zum Prädikat, bzw. „stehen für“, als der umgekehrte Bezug von Prädikat zum Modus, ist jene Beziehung, die u.a. Frege für das Bezeichnungs-Verhältnis von Begriffswort zu Begriff vorgesehen hat, nur dass hier die Richtungen dieses Verhältnisses unterschiedlich benannt sind und dass der Fregeanische Begriff als Eigenschaft aufgefasst wird. Genau genommen könnte man sagen, dass Modi letzten Endes die einzigen Fregeanischen Begriffe (erster Stufe) sind, wenn man konzediert, dass Modi die einzigen Korrespondenten von Prädikaten oder Fregeanischen Begriffswörtern sind. Vgl. v.a. Frege, Funktion und Begriff bzw. ders., Grundlagen der Arithmetik, verwendete Ausgaben: Frege 1891 bzw. 1884. 14 Nota bene: In Anwendung der im Abschnitt II - 3.1 (2) entwickelten Unterscheidung zwischen (einstelligen) Prädikaten für Qualitäten und (vierstelligen) Prädikaten für Dispositionen müsste man das gemeinte Kriterium eigentlich so ausführen: Prädikate, die (als vierstellige)

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Das Kriterium aber, dass nur Prädikate, die etwas über die kausalen Rollen jener Dinge aussagen, von denen sie gelten, für Entitäten stehen, kann dahingehend ergänzt werden, dass es (genau) jene Prädikate sind, um mit Lewis zu sprechen, „whose sharing makes for resemblance“16. Jene Prädikate stehen für Entitäten, für die gilt, dass das Unter-sie-gemeinsam-Fallen von Dingen Aufschluss darüber gibt, dass es sich bei den Dingen um ähnliche handelt. Da Ähnlichkeit aber, und da darf ich an die Ausführungen in Abschnitt I - 3.1 erinnern, eine (formale) Relation ist, in der Dinge aufgrund der Bestimmtheit durch gleiche Modi stehen, können nur Prädikate für Modi Prädikate sein, welche für Entitäten stehen. Prädikate für Modi geben Aufschluss über Ähnlichkeit und über die kausale Rolle jener Dinge, von denen sie ausgesagt werden. Sie allein sind in ihrer ontologischen Relevanz so zu interpretieren, dass sie für etwas stehen bzw. dass ihnen Entitäten korrespondieren. Diese Entitäten sind Modi. Damit kann ich überleiten zum nächsten Abschnitt, in dem ich versuche, jene Prädikate zu interpretieren, die eben nicht für Modi stehen.

|| etwas über die kausale Rolle jener Dinge aussagen, von denen sie gelten, bzw. Prädikate die (als einstellige) etwas über eine Qualität von Dingen aussagen, sind so zu interpretieren, dass sie für Entitäten stehen: für Modi, welche gemäß ihrer Doppelnatur Qualitäten und Dispositionen verleihen. Die sorgfältige LeserIn möge mir verzeihen, wenn ich mir das wegen der ohnehin stets gefährdeten Flüssigkeit der Lektüre schenke. 15 Ich erachte diese These übrigens als äquivalent mit jener, welche John Heil vertritt, wenn er sagt: „genuine properties contribute in distinctive ways to the dispositionalities of objects possessing them.“ Heil 2003, 24. Nur was zu den Dispositionen oder kausalen Rollen von Objekten, denen es zukommt, beiträgt, kann als Eigenschaft, als ‚echte‘ oder „genuine“ Eigenschaft gelten. Das ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass nur Modi Eigenschaften sind, wie hier eben behauptet wurde. Denn nur Modi tragen „in distinctive ways to the dispositionalities of objects“ bei. Auch Mellor 1997a, 258, ist übrigens so zu interpretieren, wenn er davon spricht, dass nur durch den Beitrag von Eigenschaften für das kausale Netz der Welt ihr nichtsemantischer oder – wie ich sagen würde – ontologischer Status zu erweisen ist. Desgl. Shoemaker (zumindest in früheren Publikationen), der in diesem Zusammenhang von „genuine properties“ spricht. Nur „eigentliche Eigenschaften“ tragen zur kausalen Relevanz ihrer Träger bei. Umkehrschluss: Was nicht zur kausalen Relevanz von Dingen beiträgt, ist keine genuine Eigenschaft. Vgl. u.a. Shoemaker 1984, 213. 16 Lewis 1997, 192. An dieser Stelle bringt Lewis dieses Kriterium übrigens in engen Zusammenhang mit dem eben besprochenen kausalen. „Genau“ entspricht also auch seiner Intention.

2 Abundante Eigenschaften Wenn dieser Abschnitt, in dem es um die Interpretation von Prädikaten geht, die nicht für Modi stehen, mit „abundante Eigenschaften“ betitelt ist, kann das wiederum grob missverständlich sein. Könnte man doch meinen, so man an dieser Stelle mit der Lektüre meines Buches beginnt, es ginge darum, innerhalb der ‚Kategorie‘ der Eigenschaften das Genus der abundanten von jenem der nicht abundanten zu unterscheiden. Letztere aber seien die Modi, um die Ersteren wird es im Folgenden gehen. Zur Zurückweisung dieser Meinung erlaube ich mir, an die terminologische Bemerkung am Anfang dieses dritten Hauptteiles zu erinnern. Dort habe ich versucht klarzumachen, dass ich – vor dem Hintergrund meiner Theorienbildung – „Eigenschaft“ weiter in einem nicht-technischen Sinne verwende, allein um bestimmte Fragen und Themen zu umreißen, die in der aktuellen Literatur diskutiert werden. Und das Thema „abundante Eigenschaften“ ist ein durchaus viel diskutiertes und umstrittenes. Mir wird es darum gehen zu zeigen, dass das mit „abundante Eigenschaften“ Gemeinte zurückgeführt werden kann auf bestimmte ontologische Gegebenheiten, die, obgleich mit Entitäten zu tun habend, selbst keinen Entitätenstatus aufweisen. Die Darlegung dieser Gegebenheiten wird die in Aussicht gestellte Interpretation jener prädikativen Ausdrücke ausmachen, die gerade nicht für Modi, also für Entitäten, stehen. Kurzum: Es wird mir jetzt um den Versuch einer Antwort auf die zu Beginn von III - 1 (4) gestellte b)-Frage gehen: Wie kann man, wenn überhaupt, die ontologische Relevanz jener Prädikate verstehen, denen eben keine Entitäten korrespondieren? Worum es mir dabei nicht gehen kann, ist das Einlösen des Anspruchs einer vollständigen Auflistung besagter Prädikate bzw., um der Einfachheit der Darstellung halber die uneigentliche Redeweise zu gebrauchen, aller abundanten Eigenschaften. Es sollte sich allerdings aus dem Gesagten auch ein Behandlungsweg jener abundanten Eigenschaften aufweisen lassen, die hier nicht bearbeitet werden. Außerdem sollte sich zeigen, wie vielfältig, ja diffus, der Bereich dieser abundanten Eigenschaften ist. Das gilt v.a. im Hinblick auf die Frage, wofür jene Prädikate, die sie auf sprachlicher Ebene vertreten, nun tatsächlich stehen. Jedenfalls soll aufgrund dieser Vielfalt hier nicht der Versuch unternommen werden, den nicht-technischen Ausdruck „abundante Eigen-

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schaften“ durch einen (einzigen) technischen, womöglich einen ontologischen zu ersetzen.17 Dementsprechend unterscheide ich im Folgenden vier Gruppen von abundanten Eigenschaften, die jeweils getrennt voneinander zu behandeln sind: formale Eigenschaften, mit denen ich auch die sogenannten dünnen untersuche (2.1), komplexe Eigenschaften (2.2), Existenz (2.3), schließlich jene Eigenschaften, die ich „typisierende“ nennen möchte (2.4).

2.1 Formale und dünne Eigenschaften (1) Der in der Überschrift zuerst genannte Begriff „formale Eigenschaften“ lädt zu verschiedenen Assoziationen bzgl. seiner Bedeutung und Verwendungsweise ein. Es geht mir hier gar nicht darum, allzu dogmatisch in der Zurückweisung dieser Assoziationen zu sein. Ich möchte vielmehr Angebote zu einer Ordnung dieser möglichen Assoziationen machen. In diesem Sinne schlage ich vor, die Kernbedeutung von „formale Eigenschaften“ darin zu sehen, dass sie, um uneigentlich zu sprechen, Objekten zukommen, aufgrund des Stehens dieser Objekte in formalen Beziehungen. Es geht, eigentlich gesprochen, um jene Prädikate, die von etwas ausgesagt werden, insofern dieses etwas – um die Beispiele formaler Beziehungen aus dem zweiten Hauptteil aufzugreifen – in der Beziehung der Komposition, Konstitution, Existenzabhängigkeit, Bestimmtheit, aber auch der Identität bzw. der Gleichheit steht. Diese Auflistung beansprucht keine Vollständigkeit. Ich möchte mich, der Einfachheit halber, zunächst auf Redeweisen über die Identität von etwas beschränken und diese paradigmatisch für formale Eigenschaften in ihrer Kernbedeutung behandeln. Die Rede über Identität, die ich hier meine, ist nicht die Rede über die formale Relation als solche, sondern jene über die ‚Eigenschaft‘, die darin besteht, dass etwas in dieser Relation (zu sich selbst) steht. Es lässt sich jedenfalls ein veritables Identitäts-Prädikat bilden, etwa „mit mir selbst identisch (zu) sein“ in „Mir kommt es zu, mit mir selbst identisch zu sein.“ Manche meinen, dass es, das Identitäts-Prädikat, auf jedes x zutrifft, ihm, diesem Prädikat, folglich Informationsgehalt und Sinn fehle. Mir geht es hier nicht um die Auseinandersetzung mit Wittgensteins Verdikt18 über dieses Prädikat bzw. über Aussagen, die

|| 17 Ford 2012, 200, verweist auf AutorInnen, die alle abundante Eigenschaften als „mere Cambridge properties“ kategorisieren. Dem möchte ich mich hier nicht anschließen. 18 Etwa in seinen Philosophischen Untersuchungen, § 216. Verwendete Ausgabe: Wittgenstein 1971.

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dieses Prädikat enthalten. Mir geht es ausschließlich um die Frage, wofür dieses Prädikat steht. Wofür steht „mit mir selbst identisch (zu) sein“ in „Mir kommt es zu, mit mir selbst identisch zu sein“? Nach den Annahmen im vorhergehenden Abschnitt steht das IdentitätsPrädikat, mit welchen Wörtern man es auch immer zum Ausdruck bringt, nicht für eine Entität, die etwas mit sich selbst Identischem zukäme. Es gibt, jetzt ontologisch seriös gesprochen, eben keine Eigenschaft, die dem Identitäts-Prädikat korrespondiert. Es gibt keine Entität, die mir zukommt, insofern ich mit mir identisch bin. Die ontologische Relevanz des Identitäts-Prädikats ist aber durchaus gegeben. Sie besteht darin, dass (jedes) x in der formalen Relation der Identität steht, mit allen Konsequenzen, etwa der, dass man annimmt, dass es x gibt, in einem ontologisch eigentlichen Sinne, dass man für x auch kategorienspezifische Identitätsbedingungen formulieren kann etc. In der Ausdrucksweise des von Heil zurückgewiesenen Prinzips Φ19 könnten wir auch sagen: Wenn das Prädikat, identisch mit sich selbst zu sein, von einem Objekt wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit eine Eigenschaft designiert wird oder dass das Prädikat für eine Eigenschaft steht, die von diesem Objekt besessen wird oder welche das Objekt bestimmt, dieses und jedes andere Objekt, welchem das Prädikat zugesprochen wird bzw. würde. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass x in der formalen Relation der Identität zu sich selbst steht, mit allen ontologischen Konsequenzen. In der Weise einer Antwort auf die b)-Frage (das heißt: Wie lässt sich die ontologische Relevanz jener Prädikate verstehen, denen eben keine Entitäten korrespondieren?): so, dass damit eben dieses Stehen in der formalen Beziehung der Identität behauptet wird. Und schließlich in der Redeweise einer Reduktion formaler Eigenschaften: Die Eigenschaft eines x, mit sich selbst identisch zu sein, ist nichts anderes als das Stehen von x in der formalen Relation der Identität. Ich bin davon überzeugt, dass sich auf diese Weise auch eine Reduktion der anderen oben erwähnten formalen Eigenschaften, etwa der Eigenschaft, durch einen Modus bestimmt zu sein (freilich, bitte nicht vergessen, weder des Modus, noch der Bestimmtheit selbst!), vornehmen lässt. Ich unterlasse dies aus Darstellungsgründen und möchte lieber über eine Gruppe von Prädikaten spre-

|| 19 Zur Erinnerung: „When a predicate applies truly to an object, it does so in virtue of designating a property possessed by that object and by every object to which the predicate truly applies (or would apply).“ Heil 2003, 26.

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chen, die mit diesen formalen Eigenschaften zusammenhängen, nicht jedoch zur Extension der Kernbedeutung gezählt werden können. (2) „…ist durch Modus F bestimmt“ in „x ist durch einen Modus F bestimmt“ ist ein Prädikat, das eindeutig im Kontext formaler Eigenschaften abzuhandeln ist. (Bitte nicht vergessen: Es geht hier nicht um jenes Prädikat, welches für F selbst steht!) Aus diesem Prädikat kann man aber durch Verallgemeinerung ein Prädikat bilden, das darin besteht, dass x überhaupt durch Modi bestimmt ist. X kommt, in anderen, uneigentlichen Worten gesagt, die Eigenschaft zu, Träger von Modi bzw., um konsequent uneigentlich zu reden, Träger von (irgendwelchen) Eigenschaften zu sein. Der springende Punkt besteht nun darin, dass wir, analog zu dem über das Identitätsprädikat Gesagten, dabei bleiben dürfen, dass auch das Prädikat „Träger von Eigenschaften zu sein“ keinesfalls für eine Entität steht, die irgendetwas, sei es einem ganzen Ding, sei es irgendeinem (reinen) Substratum, zukommt. Es gibt, ontologisch seriös gesehen, keine Eigenschaft, für welche unser Prädikat stünde. Ich möchte mir das Ausbuchstabieren des Gemeinten in der Anti-ΦTerminologie und auch in der Redeweise der Reduktion dieser abundanten Eigenschaft ersparen. Allerdings möchte ich, gerade im Hinblick auf das gewählte Beispiel, darauf hinweisen, dass diese Überlegungen zeigen, dass Argumente, in denen mit Träger-einer-Eigenschaft-zu-sein als Eigenschaft, d.h. als Entität, operiert wird, scheitern, so etwa jenes Argument, das auf die Widersprüchlichkeit der Annahme reiner Substrata oder bare particulars abzielt, wenn und insofern es auf die Eigenschaft, Träger von Eigenschaften zu sein, rekurriert.20 Und zwar scheitert das Argument daran, dass es diese Eigenschaft gar nicht gibt. Da es mir aber weder um die Verteidigung eine Ontologie geht, die auf reine Substrata angewiesen ist, noch um die Polemik gegen ihre GegnerInnen, möchte ich es bei diesem Hinweis bewenden lassen. Die Eigenschaft, Träger von Eigenschaften zu sein, ist jedenfalls abundant. Das Prädikat, Träger von Eigenschaften zu sein, steht für keine Entität. Und darauf allein kommt es mir hier an. (3) Analog zu jenen Prädikaten, die unter (1) angeführt wurden, können wir nun auch jene Prädikate ins Auge fassen, welche von etwas aufgrund des Stehens in nicht-formalen internen Beziehungen, also, gemäß der in II - 2.2.1 vorgeschla|| 20 Vgl. die einleitenden Abschnitte zu III - 1, v.a. die Fußnoten 2 und 4, in denen von Sellarsʼ Argument gegen bare particulars die Rede ist.

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genen Terminologie, in dünnen Beziehungen, ausgesagt werden. Paradigmatisch sei die Größer-Kleiner-Beziehung angezielt bzw. das Prädikat „ist kleiner als“, z.B. in „Herr X ist kleiner als Frau Y“. Ich schlage vor, diese (in uneigentlicher Redeweise) dünne Eigenschaften zu nennen. Analog zu dem über das Identitäts-Prädikat Gesagte steht das Kleiner-alsPrädikat nicht für eine Entität, die etwas oder jemandem, z.B. Herrn X, zukäme. Die ontologische Relevanz des besagten Prädikats ist dennoch gegeben. Sie besteht, in Anwendung des bislang erarbeiteten ontologischen Rahmens, darin, dass es X und Y gibt, welche beide jeweils durch gewisse Größen-Modi bestimmt sind. Diese Modi sind nicht gleich, jener von Herrn X ist kleiner als jener von Frau Y. Somit besteht zwischen X und Y eine entsprechende dünne Beziehung, in der X steht. Damit ist die b)-Frage im Grunde auch schon beantwortet und kann auch gleich durch eine entsprechende Reduktions-Behauptung ergänzt werden: Das Kleiner-Sein als Frau Y von Herrn X ist nichts anderes als das Stehen von X in der besagten dünnen Beziehung zu Frau Y. Es ist abundant, rückführbar auf ontologische Gegebenheiten, die natürlich mit Entitäten, X und Y, ihren Modi, zu tun haben (sowie die dadurch gegründeten internen Beziehungen). Das Abundante selbst aber ist keine Entität. Der Vollständigkeit halber noch der Bestand in Anti-Φ-Terminologie (abgekürzt): Wenn das Prädikat, kleiner zu sein als etwas anderes, von einem Objekt wie Herrn X wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit eine Eigenschaft(-sentität) designiert wird oder dass das Prädikat für eine Eigenschaft(-sentität) steht, die Herrn X zukäme. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass Herr X aufgrund des Bestimmt-Seins durch einen Größen-Modus in der dünnen Relation des Kleiner-Seins zu jemand anderem, nämlich Frau Y, steht. (4) Gegen diese Überlegungen scheinen einige mögliche Einwände nahe zu liegen. Ein erster mag die hier gewählte Einführung des Begriffs einer formalen Eigenschaft betreffen. Liegt dabei nicht ein Zirkel vor, der darin bestünde, formale Eigenschaften über formale Relationen, formale Relationen aber über formale Eigenschaften einzuführen?21 Ich möchte festhalten, dass gerade das

|| 21 Mit „Einführung“ bzw. „einführen über“ meine ich, dass die Redeweise über etwas, das Eingeführte, in unserem Falle formale Eigenschaften, normiert ist, und zwar unter der Rücksicht, dass sie, die Redeweise, auf eine Redeweise über etwas anderes, formale Relationen, bezogen ist. Insofern Abhängigkeit in der begrifflichen Einführung auch Erklärungsabhängig-

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Letztere nicht der Fall ist. Formale Relationen sind, ontologisch gesehen, als interne Beziehungen in nicht-formalen Relata gegründet, in Entitäten. Ich darf dazu an die einschlägigen Ausführungen im Abschnitt II - 2.2.1 erinnern. Wenn dem so ist, haben wir einen Grund, formale Relationen über diese ihre Relata einzuführen, nicht über irgendwelche formalen Eigenschaften der Relata. Dadurch entkommen wir dem im Einwand angesprochenen Zirkel. So scheint mir auch jene mögliche Kritik mehr intuitive Ausgangsplausibilität zu haben, die auf dem Einwurf aufbauen mag, dass zumindest manche der hier behandelten Eigenschaften durchaus kausale Relevanz hätten. Haben sie aber kausale Relevanz, erfüllten sie, auch nach dem hier Gesagten, ein zentrales Abundanzkriterium nicht. Sie wären dann doch als Entitäten zu erachten, selbst wenn sie keine Modi wären. Als Beispiel mag die dünne Eigenschaft von Herrn X, kleiner als Frau Y zu sein, ins Treffen geführt werden. Hat sie, die Eigenschaft, nicht kausale Wirkungen, etwa die, dass Frau Y der Wind ins Gesicht bläst, selbst wenn Herr X vor ihr steht, bzw., anders gelagert, ist es nicht gerade besagte Eigenschaft, die in Herrn X veritable Komplexe verursacht? Vielleicht ist das erste gewählte Beispiel nicht unter jeder Rücksicht glücklich. Es macht m.E. aber deutlich, dass die gemeinte Situation im Hinblick auf Kausalität durchaus so beschrieben werden kann, dass die Ursache des Windzuges in Frau Y.s Gesicht ohne eine Eigenschaft des Kleiner-Seins von Herrn X angegeben werden kann. Maßgeblich sind vielmehr eine Disposition bewegter Luft (erstes Strukturelement einer Ursache, siehe II - 3.3 (2)), die Berührung derselben mit Y.s Gesicht (zweites Strukturelement, ebd.), dazu noch (als „reziproker Dispositionspartner“) bestimmte Dispositionen von Frau Y. Selbst wenn wir Herrn X und sein Stehen neben Y in irgendeiner Weise mit der „strukturierenden Ursache“ in Verbindung setzen wollten, reichen für das kausale Geschehen jene ontologischen Gegebenheiten, die tatsächlich als Entitäten vorliegen: X, Y und zwei Größen-Modi, v.a. jener von Y. Man könnte an dieser Stelle auch resümieren, dass die Analyse der kausalen Relevanz unserer dünnen Eigenschaft auf eine Reduktion derselben hinausläuft, und somit auch für die ontologische Reduktion der dünnen Eigenschaft(en) selbst spricht.22 Analog würde ich mit der bedauernswerten Verursachung des besagten psychischen Leidens umgehen. Was es verursacht, ist eine unglückliche Disposition von X (erstes Strukturelement); weiters, als Auslöser (zweites Element),

|| keit besagt, meint der Einwand einen Erklärungszirkel zwischen formalen Relationen und formalen Eigenschaften. 22 Ich werde im folgenden Abschnitt 2.2 (3) diese Frage nochmals aufgreifen und ein weiteres Argument gegen die kausale Relevanz der hier behandelten Eigenschaften vorbringen.

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das Bekanntwerden von X mit Frau Y; der Dispositionspartner (drittes Element), dass eben große Frauen das ‚Vermögen‘ haben, in einigen kleinen Männern Komplexe zu erzeugen; schließlich so manche Umstände oder strukturierende Ursachen, die mit Bewertungen dieses Verhältnisses, wohl durch Herrn X, zu tun haben und gut und gerne ohne unsere dünne Eigenschaft des Kleiner-Seinsals-Y von X auskommen. Wie steht es aber mit dem anderen genannten Nicht-Abundanzkriterium, der Ähnlichkeit? Kann man nicht sagen, dass relativ zur Eigenschaft Kleiner-alsY-zu-sein, Herr X und Herr Z einander ähnlich sind? Ist diese Eigenschaft nicht doch etwas, „whose sharing makes for resemblance“, um Lewis wiederholt zu strapazieren? Ist sie, nach diesem Nicht-Abundanzkriterium, nicht doch eine Entität? In Analogie zur Unterscheidung zwischen Modi und abundanten Eigenschaften haben wir wohl auch zu berücksichtigen, dass wir zwischen jener, in I - 3.1 (2) auf der Gleichheit von Modi eingeführten Ähnlichkeit und einer gewissermaßen ‚abundanten‘ zu differenzieren haben. Erstere würde ich als die eigentliche ansehen bzw. als jene, die in Lewis’ Kriterium tatsächlich gemeint ist. Die Rede von einer nicht auf Modi, sondern auf dünnen Beziehungen bzw. auf dem Stehen in dünnen Beziehungen basierenden Ähnlichkeit muss man nicht verbieten. Geht es einem allerdings um eine systematische ontologische Theorie von Ähnlichkeit, wird das Umlegen dieser Rede auf die Sachebene problematisch. Das implizierte nämlich eine unübersehbare Ähnlichkeitsinflation. Im Prinzip wäre kein Ding irgendeinem anderen nicht ähnlich, da sich wohl kaum für irgendwelche zwei Dinge keine dünne Beziehung angeben lässt, in der sie gemeinsam zu irgendeinem dritten stehen. Wir sollten lieber die Finger davon lassen, solche ‚abundanten‘ Ähnlichkeiten in einem Lewisʼschen Nicht-Abundanzkriterium zu verwenden, wie das im konstruierten Einwand geschieht – selbst wenn wir damit eingestehen müssen, das Ähnlichkeitskriterium nicht absolut zu setzen. Voraussetzung für seine Anwendung ist eine systematische Klärung von Ähnlichkeit bzw. seine Koordinierung mit anderen Kriterien, etwa dem erwähnten kausalen. (5) Allen, die diese und die vorhergehenden Überlegungen für allzu sparsam halten, empfehle ich eine Gegenprobe. Wie wäre es, unabhängig von den eben vorgebrachten Diskussionspunkten, die formalen und die dünnen Eigenschaften doch als Entitäten zu erachten? Versuchen wir anzunehmen, es gäbe – gegen unsere Annahmen – die Eigenschaft von X, kleiner als Y zu sein. Allein dieses, auf den ersten Blick harmlos scheinende Zugeständnis hätte gravierende Konsequenzen, die jede systematische Weltbeschreibung bald ad absurdum führen würden. Gibt es die Eigenschaft, kleiner als Y zu sein, muss man konse-

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quenterweise auch alle anderen Kleiner-als-Eigenschaften annehmen. Da es unabzählbar viele Dinge gibt, die größer als X sind, kämen X unabzählbar viele Kleiner-als-Eigenschaften zu.23 Dazu kommen noch die unabzählbaren Dinge, die, trotz des angenommenen bescheidenen Größen-Modus von X, kleiner sind als er. Wir erhalten eine unabsehbare Anzahl von Entitäten, und das nur aufgrund dieses einzigen Zugeständnisses. Was brächten erst die anderen Zugeständnisse hinsichtlich formaler und dünner Eigenschaften mit sich, die sich unweigerlich aus diesem einen ergeben? Ein gewaltiger Dammbruch wäre die Folge, der, nicht-metaphorisch gesprochen, jede systematische Ontologie zum Scheitern brächte. (6) Ich möchte diesen Abschnitt allerdings nicht mit diesem Brachialargument schließen, vielmehr mit einem m.E. versöhnlicheren Hinweis. Eine ebenfalls im ‚Eigenschafts-Themenfeld‘ immer wieder auftauchende Frage ist, ob nur Dinge oder Substanzen Eigenschaften aufweisen oder nicht auch andere Entitäten. Gibt es z.B. nicht auch Eigenschaften von Eigenschaften? Ist es nicht zu restriktiv, nur von Dingen Eigenschaften anzunehmen? Vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen können wir diesen Intuitionen entgegenkommen, ohne den unter (5) angedrohten Dammbruch zu verursachen. Modi bestimmen Dinge. Sie sind, um es zu wiederholen, die einzigen Entitäten, denen Prädikate korrespondieren. Wenn wir Quasi-Individuen (siehe I - 1.2) und ihren Status in einer kategorialen Ontologie ausblenden, können wir sagen, dass Modi keine anderen Entitäten als Dinge bestimmen. Modi komponieren Zustände und Ereignisse, sie bestimmen diese aber nicht. Modi bestimmen auch keine anderen Modi. Sie bestimmen mit anderen Modi Dinge. Aber, und damit komme ich auf das angekündigte Entgegenkommen zu sprechen, das man besonders im Hinblick auf formale und dünne Eigenschaften in den Blick bekommen kann: Von nicht-dinglichen Entitäten kann man durchaus jene Prädikate aussagen, denen, in uneigentlicher Redeweise(!), abundante Eigenschaften entsprechen. Natürlich kann man auch von Ereignissen sagen, sie seien identisch mit sich selbst. Von Zuständen kann man aussagen, sie seien durch Dinge und Modi komponiert, von Modi aber, sie seien gleich, etc. Wir werden auch bei der Behandlung anderer abundanter Eigenschaften auf diesen Punkt zu sprechen kommen. Wir können jedenfalls mit dem Aussagen von ‚Eigenschaften‘ von nicht-dinglichen Entitäten umgehen. Von nicht-

|| 23 Diese Unabzählbarkeit hat auch damit zu tun, dass nicht nur ganze Dinge, sondern auch Teile, Summen, alle möglichen Zusammenfügungen ohne fixierbare Kompositions- und Identitätsbedingungen, Relata der Größer-Kleiner-Beziehung sein können.

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dinglichen Entitäten können wir abundante Eigenschaften aussagen.24 Prädikate, die für solche ‚Eigenschaften‘ stehen, sind in ihrer ontologischen Relevanz zu analysieren, ohne dass auf Entitäten, die ihnen korrespondierten, Bezug genommen werden müsste. Aber immerhin, es sind als zulässig ausweisbare Prädikate, mit angebbarer ontologischer Bedeutung.

2.2 Komplexe Eigenschaften Bei der Rede über komplexe Eigenschaften geht es um Prädikate, die aufgrund logischer Operationen aus anderen gebildet werden, allerdings nur solchen anderen, welche tatsächlich für Entitäten, also für Modi, stehen. Diese „allerdings nur …“-Klausel unterscheidet die nunmehr ins Auge zu fassenden Prädikate von jenen, die bereits im letzten Abschnitt, Absatz (2), behandelt wurden. Die logischen Operationen, die ich meine, sind Konjunktion, Disjunktion und Negation. Somit geht es um Prädikate wie „rund und rot“ in „Diese Kugel ist rund und rot“ bzw. „rot oder blau“ in „Die nächste Kugel ist entweder rot oder blau“ bzw. „nicht grün“ in „Jedenfalls ist sie, die nächste Kugel, nicht grün“. Der Grundtenor in der Fachliteratur über komplexe Eigenschaften ist tendenziell negativ. Es gibt sie nicht. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die einzelnen Theorien selbst. Komplexe Eigenschaften hätten keine theoretische Funktion, die nicht auch von nicht-komplexen Eigenschaften wahrgenommen werden könnte.25 Logische Operationen lieferten kein Organisationsprinzip, das aus bestehenden Entitäten andere, neue hervorbrächte.26 Oder schlicht: Die positiven Argumente für komplexe Eigenschaften seien nicht überzeugend.27 Ich möchte mich in die Standard-Ablehnungen komplexer Eigenschaften nicht vertiefen. Vielmehr soll es mir darum gehen, die ontologische Relevanz von komplexen Prädikaten aufzuzeigen und diese in Anwendung der versuchten Modiontologie zu interpretieren. Dabei sollen auch Autoren, deren Intuitionen und Argumente Erwähnung finden, die an der Existenz komplexer Eigenschaften festhalten.

|| 24 Unter Vorwegnahme des Inhalts von Abschnitt III - 3 könnte ergänzt werden, dass nicht nur abundante Eigenschaften von nicht-dinglichen Entitäten ausgesagt werden, sondern auch die uneigentlichen. Da auch die uneigentlichen Eigenschaften keine Modi sind, wird die These dieses Abschnitts dadurch gestützt werden. 25 U.a. Hofmann 2008, 3.3. 26 U.a. Britton 2012, 149f. 27 U.a. Mellor 1997a, 264f.

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(1) Die erste Gruppe von Prädikaten, die ich hier behandeln möchte, sind die durch Konjunktionen aus jenen Prädikaten gebildeten, welche für Modi stehen. Ontologisch gesprochen, geht es um die Frage, ob wir nicht nur die einzelnen Modi als Entitäten anerkennen sollen, sondern, als zusätzliche Entitäten, auch deren Konjunktionen. David Armstrong hat für eine positive Antwort auf die Frage nach konjunkten Eigenschaften argumentiert.28 Ich finde bei ihm hauptsächlich zwei Gründe für seine Position. Der erste Grund oder das erste Argument ist eng mit Armstrongs universalienrealistischer Betrachtungsweise von Eigenschaften verbunden: Instantiieren ein x und ein numerisch von x verschiedenes y jeweils das konjunkte Universale F&G, ist es dasselbe Universale, das hier und dort instantiiert wird. Es ist in einem strikten Sinn identisch. Armstrong meint, dass damit die Ko-Instantiationsbedingung (engl.: co-instantiation condition) erfüllt ist, welche hinreichend dafür sei, das fragliche Universale als Entität anzunehmen.29 Da ich hier mit Modi, nicht mit Universalien operiere, es aber für Modi, grundsätzlich, keine Ko-Instantiationsbedingung geben kann, werde ich Armstrongs Argumentation als irrelevant für die Frage nach konjunkten Modi ansehen. Anders ist das mit seinem zweiten Argument. Armstrong meint, dass die kausalen Rollen oder Funktionen, die zwei Modi F und G als Kompositum F&G ihrem Träger verleihen, andere sind als jene, die Modus F, abstrahiert von Modus G, plus Modus G, abstrahiert von Modus F, dem Träger verleihen würden.30 Daraus folgert er den Entitätenstatus des Kompositums, sprich der Konjunktion F&G. Diesen Befund kann ich gut akzeptieren. Die Folgerung aber möchte ich negieren. Zur Vorbereitung meiner Begründung darf ich auf jenen Abschnitt II - 1.2.2 (2) verweisen, in dem ich die Eigenart der Abstraktheit von Modi behandle. Modi bestimmen Dinge immer in einem Verbund mit anderen, räumlich und zeitlich koinzidierenden (siehe ebd.), bzw. zum jeweiligen Ding in Ko-Existenzabhängigkeit (im Sinne der Existenzabhängigkeit, eingeführt in II - 2.3) stehenden Modi.31 Das Bezugnehmen auf einen Modus bzw. seine ding-bestimmende Funktion

|| 28 Ich beziehe mich hier auf Armstrong 1997, Abschnitt 3.71. Diese These hat Armstrong, wie so viele andere bzgl. Eigenschaften, auch in Armstrong 2010 beibehalten. Vgl. u.a. ebd., 29. 29 „… co-instantiation is sufficient for a conjunctive property.“ Ebd., 32. 30 Ebd., 32, spricht Armstrong in diesem Zusammenhang von „synergistischen“ (engl.: synergistic) Eigenschaften. 31 Nota bene: Dieser Verbund der an einem Ding vorkommenden Modi als solcher kann keinen Entitätenstatus erlangen. Er kommt allein durch raum-zeitliche Koinzidenz bzw. durch Ko-

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setzt somit stets ein Absehen von den jeweils anderen Modi ‚am‘ Ding voraus. Das Bezugnehmen auf rein einen Modus und das Bezugnehmen auf rein einen anderen Modus bzw. auf deren jeweilige ding-bestimmende Funktionen setzt aber eine andere absehende oder abstrahierende Leistung voraus als die Bezugnahme auf ein Kompositum von F&G.32 Diese Differenz besteht, ist aber nicht geeignet, dem Kompositum Entitätenstatus zu verleihen. Denn obwohl die Individualität von Modi keine epistemische Angelegenheit ist, ist es jene Abstraktion, die erforderlich ist, die einzelnen Modi bzw. einzelne Modi-Komposita aus dem Verbund auszusondern. Eine rein epistemische Angelegenheit, besser ein rein epistemisches Verfahren, wie es die Abstraktion von Modi aus einem ModiVerbund ist, kann aber kein Bildungsprinzip für Entitäten sein. Diese Überlegungen kann man nun anwenden auf das Verleihen von kausalen Rollen an Dinge durch Modi als Kräfte. Auch dabei ist stets der gesamte Modi-Verbund zu berücksichtigen. In einem eigentlichen und primären Sinne ist die Gesamtheit der Modi eines Dinges relevant für die kausale Rolle oder die kausale Funktion des Dinges. (Das ist meine Interpretation von Armstrongs Befunds der Synergie von Eigenschaften bzw., wie ich sage, von Modi. Meine Kritik an Armstrong könnte man auch so formulieren, dass er ein inadäquates ‚atomistisches‘ Ausgangsverständnis der kausalen Funktionen von Eigenschaften bei seiner Deutung des Befundes in Anschlag bringt.) Das bedeutet, dass die Rede von der kausalen Relevanz einzelner Modi ebenfalls eine Abstraktion darstellt. Das bedeutet aber auch, dass die Abstraktionsleistung bei der Auffindung der kausalen Relevanz rein eines Modus und rein eines anderen Modus eine andere ist als die Abstraktionsleistung zur Eruierung der kausalen Relevanz des Kompositums der beiden Modi. Diese Differenz in der Abstraktionsleistung ist allerdings kein Grund zur Vermehrung von Entitäten, sprich von Modi, wie Armstrong das bei seiner Argumentation für (wie er sagt) konjunkte Eigenschaften voraussetzen muss. Zum Glück möchte ich meinen, denn anderenfalls, bei der Akzeptanz von Konjunktionen als jeweils eigene Entitäten, müsste man nach Armstrongs Argumentation bei Trägern, die genau ein Tripel von ‚atomaren‘ Modi aufweisen (inklusive aller möglichen Konjunktionen) 7, bei einem Quadrupel (nach einem einfachen Algorithmus) bereits 15 Modi annehmen. Wenn man bedenkt, dass

|| Existenzabhängigkeit vom selben Ding zustande. Raum-zeitliche Koinzidenz und Ko-Existenzabhängigkeit sind nämlich keine Bildungsprinzipien zum Hervorbringen neuer Entitäten. 32 Betrachte ich rein F, sehe ich (z.B.) von Modi A,B,C,D,E, … G,H,I,J ab; betrachte ich rein G, von A,B,C,D,E,F, … H,I,J. Betrachte ich aber F&G, sehe ich ab von A,B,C,D,E, … H,I,J. Die Abstraktionsleistungen bzgl. rein F und rein G bzw. F&G sind also verschieden.

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sich die Anzahl der ‚atomaren‘ Modi eines Dinges nicht so einfach auf drei oder vier beschränken und, nach den Überlegungen im Abschnitt II - 2.3 (5), aus prinzipiellen Gründen auch nicht leicht fixieren lässt, entkommen wir einer nicht so einfach zu bewältigenden Modi-Inflation. Ich lehne deshalb konjunkte Modi ab und formuliere meine These in der gewohnten Anti-Φ-Terminologie (abgekürzt) folgendermaßen: Wenn ein konjunktes Modi-Prädikat („F&G“) von einem Objekt x wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit ein konjunkter Modus F&G designiert wird oder dass das Prädikat für einen konjunkten Modus F&G steht. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass x durch den Modus F und durch den Modus G, im Verbund mit allen anderen seiner Modi, bestimmt ist und durch diese Modi, als Kräfte verstanden, seine eigentümliche kausale Rolle erhält. Armstrongs Argumentation für konjunkte Eigenschaften halte ich zum einen aufgrund der Wahl der Prämissen (Universalienrealismus) für unanwendbar auf meine Theorie, zum anderen für zu kurz greifend, aufgrund der Möglichkeit, aus dem Befund synergischer Modi andere Folgerungen zu ziehen als die Vermehrung von Modi. Diese Vermehrung ist ja auch für sich genommen problematisch. Es mag natürlich noch andere Argumente für die Annahme konjunkter Modi als jene Armstrongs geben. Stünden sie zur Debatte, würde ich auch auf diese meine Anti-Armstrong-Strategie anwenden: Ich würde prüfen, ob diese Annahme nicht vor dem Hintergrund sehr spezieller ontologischer Prämissen oder Rahmentheorien erfolgt, bzw. fragen, ob man nicht, zur Vermeidung einer Modi-Inflation, bestimmte Befunde, deren Interpretationen als Plausibilitätsgründe für konjunkte Eigenschaften angenommen werden, alternativ verstehen kann, und zwar in Anwendung einer Analyse, welche die ontologische Relevanz konjunkter Prädikate darlegt, ohne sich damit auf konjunkte Modi als Entitäten zu verpflichten. (2) Das Stichwort „Annahme erfolgt vor dem Hintergrund sehr spezieller ontologischer Prämissen“ gilt noch mehr als für die Annahme konjunkter für die der disjunkten Eigenschaften. Armstrong etwa lehnt, trotz seiner Befürwortung der Ersteren, die Letzteren ab. Bevor wir allzu forsch in medias res gehen, vielleicht doch ein Wort zur Klärung der nunmehr anstehenden Fragestellung. Die Gruppe von Prädikaten, die ich jetzt behandeln möchte, ist die durch Disjunktionen aus Modi-Prädikaten gebildeten. Ontologisch gesprochen geht es um die Frage, ob wir nicht nur die einzelnen Modi als Entitäten anerkennen sollen, sondern, als zusätzliche Entitäten, auch deren Disjunktionen. Gibt es neben dem Grün-

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Sein und dem Blau-Sein einer Kugel auch das (entweder) Grün-oder-Blau-Sein der Kugel?33 Einer der wenigen Autoren, die eine positive Antwort auf die Frage nach disjunkten Eigenschaften geben, ist Roderick Chisholm. Chisholm spricht von Eigenschaften als Attributen und stellt lapidar fest: „Some attributes are compound, some are conjunctive and others are disjunctive.“34 Selbstverständlich, so könnte man Chisholm interpretieren, gibt es neben den konjunkten auch disjunkte komplexe Attribute. Es würde hier zu weit führen, Chisholms ontologische Hintergrundannahmen ausführlicher darzulegen. Ich möchte mich auf die für unseren Kontext wesentlichsten Punkte beschränken. Grundlegend ist das, was Chisholm auch den Primat des Intentionalen nennt. Wenn man wissen möchte, was es gibt, muss man jene intentionalen Akte analysieren, durch die wir uns auf etwas (‚Gegebenes‘) beziehen. Alles, was möglicherweise als (‚gegebener‘) Inhalt eines intentionalen Aktes gelten kann, existiert. In diesem Sinne gibt es nicht nur Eigenschaften oder Attribute im Allgemeinen,35 und hier jene, die an Dingen instantiiert sind, sondern durchaus auch solche, die nicht bzw. nirgends vorkommen. Es gibt ja Attribute, auf die wir uns beziehen, ohne dass diese irgendwo vorkommen. Diesen extremen Realismus (engl.: extreme realism36) verteidigt Chisholm zusätzlich damit, dass man intentionale Akte auf manche nicht-vorkommende Attribute nicht durch Rückführung auf intentionale Akte auf vorkommende Attribute erklären kann. Analog dazu kann man nun auch die Annahme komplexer Attribute oder Eigenschaften, wie die hier zu diskutierenden Disjunktionen, verstehen, und zwar als ‚ontologische Verpflichtung‘ bestimmter intentionaler Einstellungen.37 Wir beziehen uns faktisch auf disjunkte Attribute und zwar so, dass wir diese Bezugnahme auf disjunkte Attribute nicht zerlegen bzw. rückführen auf intentionale Akte, die ausschließlich auf nicht-komplexe, etwa nicht-disjunkte Eigenschaften gerichtet sind. Wie angedeutet, kann es mir hier nicht darum gehen, Chisholm zu widerlegen. Nur möchte ich, im Sinne der im vorhergehenden Absatz gewählten Strategie, auf die doch starken Prämissen der von Chisholm vertretenen These pro disjunkte Eigenschaften verweisen, „den Primat des Intentionalen“ und den || 33 In der ontologischen Diskussion ist mit „Disjunktion“ normalerweise exklusive Disjunktion gemeint. 34 Chisholm 1996, 29. 35 Ebd., 23: “An attribute is anything that is possibly such that it is the content of an act of believing“. 36 Ebd., 21. 37 Ebd., 32f. Chisholm hat diese Theorie und ihre Grundlagen bereits in On Metaphysics (hier: Chisholm 1989) vorgelegt. Vgl. u.a. ders. 1989, 141f, 146.

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selbst nach Eigendefinition „extremen Realismus“. Da ich mir diese Prämissen nicht zu eigen mache, erlaube ich es mir, auch disjunkte Eigenschaften zu negieren. Dies fällt mir umso leichter, als die Akzeptanz dieser Eigenschaften weitere unliebsame Implikationen hat. Ich möchte nur auf das Problem Ähnlichkeit hinweisen. Disjunkte Eigenschaften als Entitäten, also Modi, hätten diesbezüglich bizarre Folgerungen. Stellen wir uns eine rote und eine blaue Kugel vor. Nehmen wir neben dem Modus Rot und dem Modus Blau, auch noch den disjunkten Modus Rot-oder-Blau an, würden beide, die rote und die blaue Kugel durch diesen disjunkten Modus bestimmt sein. Das aber bedeutete entweder, dass die Kugeln unter der Rücksicht der Farbe gleiche Modi hätten und somit eben farb-ähnlich wären oder dass die Kugeln Modi hätten, die keinen Beitrag zu ihrer Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit leisteten. Beides halte ich für Holzwege. Ich lehne deshalb disjunkte Modi ab und formuliere meine These in der gewohnten Anti-Φ-Terminologie (abgekürzt) folgendermaßen: Wenn ein disjunktives Modi-Prädikat („FvG“) von einem Objekt x wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit ein disjunkter Modus FvG designiert wird oder dass das Prädikat für einen disjunkten Modus FvG steht. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass x entweder durch den Modus F oder durch den Modus G bestimmt wird. (3) Die letzten Prädikate, die ich in diesem Abschnitt behandle, sind die durch Negationen aus Modi-Prädikaten gebildeten. Stehen sie für Entitäten, für negative Modi? Nicht nur Roderick Chisholm hat, vor dem Hintergrund der geschilderten Hintergrundannahmen, für negative Attribute argumentiert, sondern neuerdings auch Nick Zangwill, der standardmäßig von negativen Eigenschaften (engl.: negative properties) spricht.38 Im Unterschied zu Chisholm hält Zangwill allerdings an einer gewissen ‚Rangordnung‘ fest, derzufolge negative Eigenschaften zwar angenommen werden müssten – in unserer Terminologie gesagt: als Korrespondenten von negativen Prädikaten fungierten –, aber nicht auf derselben ontologischen Ebene wie positive. Im Allgemeinen nimmt Zangwill als Kriterium für die Akzeptanz von Eigenschaften das Zukommen einer kausalen „determining role“ an. Positive Eigenschaften haben eine klare kausale Rolle. Aber, so Zangwill, auch die negativen, wenngleich diese ihre „determining role“ ausschließlich in Abhängigkeit von positiven erhalten. „NPs [negative

|| 38 Ich beziehe mich auf Zangwills Artikel Negative Properties, hier: Zangwill 2011.

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properties, Anm. Kanzian] have powers, but they derive from PPs [positive properties, ebenso].“39 Und dann metaphorisch: „NPs are like guests at a party who arrive without drink. Maybe they can come in and … have something to drink, but only because other guests brought drink with them. NPs are metaphysical free-riders in the world party!“40 Klar und nicht-metaphorisch dann aber Zangwills Schluss: „The view I shall defend is this: PPs are more real than NPs.“41 Ich kann mich hier nicht auf die Details von Zangwills Theorienbildung einlassen, etwa bzgl. der Erläuterung des Abhängigkeitsverhältnisses der kausalen Relevanz negativer Eigenschaften von positiven.42 Für unseren Kontext interessant ist allerdings Zangwills Begründung, warum negative Eigenschaften überhaupt kausale Relevanz hätten. Bei einer Analyse von Zangwills Begründung kann man folgende Schritte feststellen. Erstens erzeugen, nach Zangwill, auch negative Eigenschaften kontrafaktische Situationen. Sein Beispiel: „If the sailors had not lacked vitamin C then they would not have got scurvy.“43 Wenn die Seeleute nicht die negative Eigenschaft des Vitaminmangels hätten, würden sie nicht an Skorbut leiden. Dann aber wird, zweitens, eine weitere Prämisse in Anspruch genommen. Diese besteht darin, dass kontrafaktische Situationen kausale Verhältnisse bedingen. Zangwill spricht explizit von „causal counterfactuals“.44 Dieser zweite Schritt ist ganz im Sinne von Lewisʼ Kausalanalyse. Ich greife ein Zitat Lewis’ aus dem Abschnitt II - 3.2.2 auf: „I say that if one event [„E“] depends counterfactually on another [„C“] … then E depends causally on C, and C is the cause of E.“45 Umgelegt auf Zangwills Beispiel: Da Skorbut kontrafaktisch abhängt vom Vitaminmangel, hängt Skorbut kausal ab von diesem Faktum, also ist der Vitaminmangel die Ursache von Skorbut. Ich möchte mich nicht auf die Frage einlassen, inwieweit man Vitaminmangel tatsächlich als negative Eigenschaft auffassen kann. Ich gestehe das Zangwill um den Gang seines Arguments willen zu. Festhalten möchte ich al-

|| 39 Vgl. Zangwill 2011, 554. 40 Ebd. 41 Ebd., 529. [Hervorhebung Kanzian] 42 Ich meine, Zangwill bleibt in dieser Sache letztlich kryptisch. Er spricht lediglich davon, dass es sich bei dieser Abhängigkeit um eine asymmetrische handelt und nimmt Zuflucht in der heute gängigen ‚Lösung‘: „... NPs supervene on PPs, PPs do not supervene on NPs.“ Ebd., 535. Zum Thema „Supervenienz“ habe ich mich schon im Abschnitt I - 2.2.3 (2) ausführlich geäußert. 43 Ebd., 528. 44 Ebd. [Hervorhebung Kanzian] 45 Lewis 1986, 23.

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lerdings, dass seine These von der kausalen Relevanz negativer Eigenschaften von einer kontrafaktischen Analyse der Kausalität nach Lewis abhängt.46 M.a.W. hängt diese kausale Relevanz an der Akzeptanz einer der im Abschnitt II - 3.2 erörterten ‚kraftlosen‘ Kausaltheorien. Teilt man diese nicht, kann man auch Zangwills Behauptung der „determining role“ negativer Eigenschaften blockieren. Haben negative Eigenschaften aber keine „determining role“, fällt ein bzw. sogar das Argument für ihre Annahme weg. Wenn wir die Zurückweisung kraftloser Kausaltheorien aufgreifen und hier in Anschlag bringen, können wir uns negative Eigenschaften sparen. Ebenso wie bei der Diskussion konjunkter und disjunkter Eigenschaften sehen wir, dass auch die Annahme von negativen Eigenschaften auf speziellen ontologischen Prämissen beruht. Wenn man sich nicht auf diese verpflichten möchte, kann man auch diese komplexen Eigenschaften negieren. Bevor ich zur gewohnten Anti-Φ-Formulierung und damit auf die tatsächliche ontologische Relevanz negativer Prädikate zu sprechen komme, noch ein Wort zu den Überlegungen im vorhergehenden Abschnitt 2.1 (4), wo es um die kausale Relevanz der Eigenschaft des Kleiner-Seins-als ging. Die beispielhafte Frage dort ist, ob nicht die Eigenschaft von Herrn X, kleiner als Frau Y zu sein, kausale Wirkungen habe, etwa die, dass Frau Y der Wind ins Gesicht bläst, selbst wenn Herr X vor ihr steht. In Anwendung der nunmehr angestellten Überlegungen könnte man die Annahme pro kausale Relevanz der Kleiner-alsEigenschaft auch so interpretieren, dass dabei, notwendigerweise, eine kontrafaktische Situation mit einbezogen wird. Da der Windzug in Frau Y.s Gesicht kontrafaktisch abhängt vom Kleiner-Sein-als-sie von Herrn X, hänge der Windzug kausal ab von diesem Faktum, also sei das Kleiner-Sein-als-sie von Herrn X die Ursache besagten Windzugs. Nur wenn wir also kontrafaktische Situationen als Ursachen annehmen, wie das David Lewis getan hat, können wir die kausale Relevanz der fraglichen Eigenschaft behaupten. Tun wir das nicht, müssen wir auch die kausale Relevanz der als dünn bezeichneten Eigenschaften leugnen. Ich komme damit zu meinem Anti-Φ-Schluss bezüglich negativer Eigenschaften bzw. Modi: Wenn ein negatives Modi-Prädikat („¬F“) von einem Objekt x wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit ein negativer Modus ¬F designiert wird, oder dass das Prädikat für einen negativen

|| 46 Es gibt noch einen anderen Aspekt, unter dem Zangwills These deutlich auf Lewis bezogen ist. So spricht er ausdrücklich davon, dass ein Motiv, negative Eigenschaften anzunehmen, darin besteht, dass deren Leugnung Lewis’ Eigenschafts-Konzeption von Eigenschaften als Mengen (engl.: sets) negierte. Vgl. Zangwill 2011, 531.

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Modus ¬F steht. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass sich unter den x bestimmenden Modi keiner befindet, der „F“ korrespondiert.

2.3 Existenz (1) Die Rede von abundanten Eigenschaften lässt sich darstellen als Rede über Prädikate, deren ontologische Relevanz anders als durch ihnen korrespondierende Entitäten angegeben werden kann. Bislang haben wir die hier „formal“ bzw. „dünn“ genannten Eigenschaften und die allgemein als „komplex“ bezeichneten in diesem Sinne analysiert. Unsere alltägliche Rede beinhaltet aber neben jenen Prädikaten, die für Modi stehen und den eben erwähnten, noch weitere. Es sind ebenfalls Prädikate, die in ihrer syntaktischen Gestalt, zumindest auf den ersten Blick, nicht von den anderen abweichen. So sprechen wir nicht nur davon, dass Stefan eine bestimmte Größe hat, identisch ist mit sich selbst o.ä., sondern durchaus auch davon, dass es Stefan überhaupt gibt. Menschen, die schon philosophische Texte gelesen haben, neigen dazu auszusagen: „Stefan existiert.“ Der Verdacht, dass Behauptungen wie „Stefan ist 20 kg schwer, ein Schafbock, größer als seine Freundin Sabine und existent“, nicht so einfach uninterpretiert als multiple Prädikationen hinzunehmen sind, kommt wohl bereits in unserem alltäglichen Nachdenken auf (auch wenn wir da unseren Verdacht wohl anders ausdrücken werden). In der Tat zieht sich der Streit über die Interpretation, insbesondere des „… und ist existent“ oder „und existiert“ quer durch die ältere und die neuere Philosophiegeschichte. Ich kann an dieser Stelle keine historische Detailanalyse geben, auch nicht einen Versuch starten, die vielfältige systematische Relevanz der Interpretation des ExistenzPrädikats ins Auge zu fassen. Mir geht es um eine Stellungnahme bzgl. seiner Bedeutung vor dem Hintergrund der hier versuchten Modi-Theorie. Existenz ist, so meine Arbeitsthese, ebenfalls eine abundante Eigenschaft. „Existenz“ ist also ein Prädikat, dessen (zweifelsfrei vorhandene!) ontologische Relevanz anders als dadurch zu erweisen ist, dass es für eine Entität, die vermeintliche Eigenschaft Existenz, steht. (2) Dass Existenz aufzufassen sei als Modus – so wie Modi hier eingeführt wurden, nämlich als Bestimmungen von Dingen – wird wohl kaum behauptet. Am ehesten könnte man Descartes’ Ausführungen über Existenz im Kontext des apriorischen oder ontologischen Gottesbeweises der 5. Meditation dahingehend interpretieren. Descartes geht es in diesem Gottesbeweis ja darum, die Widersprüchlichkeit der Negierung Gottes darzulegen, und zwar so, dass er Gott als „ens summe perfectum“ oder „ens perfectissimum“ quasi definiert, um es sei-

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nem Begriff (logisch) widersprechend darzutun, dass ihm, Gott, die Existenz – „hoc est … aliqua perfectio“ – fehle.47 Existenz wird dabei als perfectio, als realitas, mithin als „irreduzible positive Bestimmung“48 aufgefasst bzw. vorausgesetzt, um die Schlüssigkeit des Gottesbeweises zu gewährleisten. Irreduzible positive Bestimmungen aber scheinen dem schon sehr nahe zu kommen, was wir hier als Modi eingeführt haben. Ich glaube dennoch, dass wir diese cartesianischen Begriffsbildungen nicht zum Anlass nehmen müssen, Existenz als Modus zu verstehen. Zum einen gibt es durchaus Interpretationen der cartesianischen Terminologie, die einer solchen Deutung entgegenstehen.49 Zum anderen erscheint es sachlich schlicht abwegig, die Existenz von etwas als es bestimmende und damit von ihm (existenz-!?) abhängige Entität einzuführen, wie das – siehe II - 2.3 – von Modi verlangt wird. (3) Existenz ist kein Modus. Selbst wenn dem so ist, könnte man Existenz nicht doch als eine, nicht zu den Modi zählende Entität der Kategorie der Eigenschaften verstehen? Steht „Existenz“ nicht doch für etwas, das seinem Träger, nach nachvollziehbaren Kriterien aufweisbar, zukommt? Diese, unserer Arbeitsthese entgegenstehende Auffassung lässt sich nicht so leicht abtun wie die ModusTheorie von Existenz. Zumal es durchaus anerkannte Versionen von Existenz als Eigenschaft gibt, die daraufhin, sprich auf die Frage nach Existenz als „Existenz“ korrespondierende Entität, zu untersuchen sind. Unter diesen anerkannten Versionen kann man, sicherlich sehr vereinfacht dargelegt, solche unterscheiden, die Existenz als Eigenschaft höherer Stufe verstehen. Existenz werde demnach nicht von Dingen oder, allgemein gesprochen, von außergedanklichen Subjekten ausgesagt, sondern vielmehr von Ideen oder Gedanken (klassisch) bzw. von Begriffen (modern). Diesen Versionen gegenüber stehen solche, die Existenz als Eigenschaft erster Stufe interpretieren. Existenz wird von Dingen bzw. außergedanklichen Subjekten (selbst) ausgesagt. Obwohl mitunter anderes zu lesen ist, kann man Kant der Existenz-alsEigenschaft-Tradition, genauerhin der ersten Versionengruppe, zuordnen. So schreibt er unmissverständlich: „Es ist aber das Dasein in den Fällen, da es im

|| 47 Descartes, Meditationes, verw. Ausgabe: Descartes 1986, 166. 48 Röd 1978, 65. [Hervorhebung Kanzian] 49 Röd, ebd., 66, meint, dass Descartes mit seinem ontologischen Gottesbeweis „die Unaufhebbarkeit des Seinshorizontes als Bedingung des … Ideen wesentlich verbundenen Repräsentationsanspruchs“ darlegen wollte. Existenz selbst wäre dann kein Modus, sondern eine notwendige Voraussetzung, Repräsentationen zu verstehen.

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gemeinen Redegebrauch als ein Prädikat vorkommt, nicht sowohl ein Prädikat von dem Dinge selbst, als vielmehr von den Gedanken, den man davon hat.“50 Das bedeutet, dass man Existenz nicht als zusätzliches Merkmal von etwas Außergedanklichem oder Außersprachlichem verstehen dürfe,51 sondern als Eigenschaft (!) eben eines Gedankens oder eines Begriffs, welche – und damit gehen wir kant-immanent weiter – genau dann auf den Gedanken oder Begriff zutrifft, wenn ihm in der Erfahrung etwas entspricht; wenn ihn etwas erfüllt, das „im Context der gesammten Erfahrung enthalten gedacht“ wird.52 Um ein Beispiel Kants aufzugreifen,53 bedeutet die Aussage „Ein Seeeinhorn existiert.“, dass wir vom Begriff „Seeeinhorn“ aussagen, dass ihm in der Erfahrung etwas entspricht, dass er m.a.W. ein Erfahrungsbegriff ist. Nach repräsentativen Studien kann man Kant in dieser Meinung als Vorgänger Freges verstehen,54 der Existenz ebenfalls als Eigenschaft höherer Stufe auffasst. Auch nach Frege sagen wir Existenz nicht von Dingen aus, sondern von Begriffen, um von ihnen zu behaupten, sie träfen auf etwas zu bzw. sie seien von etwas erfüllt.55 Frege geht es zwar nicht primär um Seeeinhörner, sondern um Grundlagenfragen der Mathematik, darum, was es etwa bedeute, dass es Primzahlen oder die Quadratwurzel von 2 gebe. Mit Kant kommt er aber darin überein, dass wir mit „Existenz“ keine inhaltliche Bestimmung von Dingen meinen können. Kant und Frege, insofern er zur kantischen Tradition der Deutung der Existenzprädikation gehört, steht die Meinung entgegen, man könne Existenz doch als Eigenschaft verstehen, die direkt von Dingen ausgesagt werde. Das ist die zweite, oben angesprochene Versionengruppe. In der aktuelle(re)n Diskussion kann man Peter Geach als Vertreter namhaft machen. Geach geht es darum, Aktualität (engl.: actuality) als eine Bedeutung von Existenz einzuführen,56

|| 50 Kant, Beweisgrund, verwendete Ausgabe: Kant 1968c, 72. Wenn Kant in der KrV (B 626) schreibt: „Sein ist offenbar kein reales Prädikat“ [Hervorhebung Kanzian], kann man das durchaus in Anlehnung an den Beweisgrund verstehen. 51 „So einfach ist dieser Begriff [n.b. „Existenz“], dass man nichts zu seiner Auswicklung sagen kann, als nur die Behutsamkeit anzumerken, dass er nicht mit den Verhältnissen, die die Dinge zu ihren Merkmalen haben, verwechselt werde.“ (Beweisgrund, 73) 52 Kant, KrV, B 628f. 53 Kant, Beweisgrund, 72. 54 Vgl. u.a. Röd 1989, 72, und die dort in Fußnote 3 enthaltenen Verweise auf Arbeiten Edgar Morschers. 55 U.a. Frege, Grundlagen der Arithmetik, § 53. Dazu: Runggaldier/Kanzian 1998, 68ff; Newen/Savigny 1996, 25f. 56 Geach 1968, 7, spricht von „existence in the sense of actuality“.

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welche dann tatsächlich von bestimmten Objekten und nicht von Begriffen, die für sie stehen, ausgesagt wird. Um Geach zu verstehen, müssen wir uns zunächst vor Augen führen, was „Aktualität“ bei ihm bedeutet. Im Kern meint „Aktualität“, im kausalen Gefüge der Wirklichkeit eine bestimmte ‚Position‘ einzunehmen.57 Im Fortgang einschlägiger Überlegungen wird klar, dass diese Elemente im kausalen Gefüge, welche dann als aktual gelten, solche sind, für die sich Identitätsbedingungen bzw. eine nicht-eliminierbare theoretische Funktion angeben lassen:58 aktual sein, das heißt kausal relevant sein, klar angebbaren Identitätsbedingungen unterliegen, theoretisch als solches bedeutend sein. All das meint man nach Geach mit „existieren“. Jedenfalls, und das ist der entscheidende Punkt, ist es nach ihm so, dass man all das eben Angeführte direkt von etwas aussagen kann. Wenn wir Existenz als solche Aktualität einführen, Aktualität aber wie Geach verstehen, sagen wir Existenz von bestimmten Objekten, z.B. Dingen, aus, nicht von deren Begriffen. Quines Auffassung, derzufolge man die Rede über Existenz verstehen müsse über die Funktion bestimmter sprachlicher Partikel, z.B. „etwas“ bzw. „es gibt etwas“ – in der prädikatenlogischen Sprache ersetzt durch Variablen, gebunden durch den Existenz-Quantor – kann man m.E. nicht so einfach der einen oder der anderen Versionengruppe zuordnen. Nach Quine bedeutet existieren „in der Begrifflichkeit der traditionellen Grammatik … ungefähr soviel wie … im Referenzbereich eines Pronomens [z.B. „etwas“] zu sein.“59 Zu sagen, dass ein Seeeinhorn existiert, bedeutet nach Quine zu sagen, dass es etwas gibt (dass sich etwas im Werte- oder Referenzbereich von „etwas“ befindet), das die Merkmale eines Seeeinhorns aufweist, kurz und nicht ganz unmissverständlich gesagt, das ‚seeeinhorniert‘. Mit dieser Behauptung sagen wir, nach Quine, vom Seeeinhorn nicht einfach ein Merkmal aus, auch nicht Aktualität, wie Geach das meinen würde. Dennoch prädizieren wir auch nichts vom Begriff „Seeeinhorn“, wie das Kant und Frege annehmen. Wir reden über den Referenzbereich von Pronomina bzw. (gebundenen) Variablen. (4) Wie schon gesagt, kann es hier nicht um eine auch nur einigermaßen vollständige Auflistung von Positionen über Existenzbehauptungen gehen. Auch ist hier nicht der Ort der Entscheidung, welcher Auffassung von Existenz wir eher zu folgen geneigt sind. Es geht ausschließlich darum, ob es irgendeine gibt, die

|| 57 Ebd. 58 So bringt Stoothoff 1968, 17, Geachs Kriterium für die Aktualität von Objekten auf den Punkt. Demnach wären u.a. Dinge aktual, nicht aber abstrakte Individuen, wie z.B. Zahlen. 59 Quine, Was es gibt. Hier: 1979, 19. [Einfügung] Kanzian

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uns nötigt, „Existenz“ so zu verstehen, dass es für eine Entität, die Eigenschaft Existenz, steht, oder ob wir die ontologische Relevanz auch von „Existenz“ alternativ angeben können. Ich möchte die Meinung vertreten, dass solche Alternativen für sämtliche der im Abschnitt (3) angesprochenen Versionen möglich und sinnvoll sind. Quine-immanent kann Existenz keinesfalls als eine Entität der Kategorie der Eigenschaften gedeutet werden. Abgesehen davon, dass bei Quine Eigenschaften generell unter dem deutlichen Verdacht stehen, „non grata“ zu sein,60 ist es ihm zufolge sicher unsinnig zu meinen, eine Entität Existenz könnte im Wertebereich einer durch den Existenz-Quantor gebundenen Variablen vorkommen. Existieren bedeutet in einem solchen Wertebereich vorzukommen. Was es bedeutet, in einem Wertebereich vorzukommen, kann nicht selbst im Wertebereich vorkommen. Wenn das Prädikat „Existenz“ von einem Objekt wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit eine Eigenschaft designiert wird oder dass das Prädikat für eine Eigenschaft steht, die von diesem Objekt besessen wird oder welche das Objekt bestimmt. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass das Objekt im Wertebereich einer durch den Existenz-Quantor gebundenen Variable vorkommt. Ich denke, dass man ähnlich klare Worte im Hinblick auf die Kant-FregeAuffassung des Existenz-Prädikates finden kann. Sagt man „Existenz“ von Gedanken bzw. Begriffen aus, scheint es befremdlich, dass es eine „Existenz“ korrespondierende Eigenschaft Existenz gäbe, die von jenen Objekten ‚besessen‘ würde oder die jene Objekte ‚bestimmen‘ würde, von denen „Existenz“ ausgesagt wird, eben von Gedanken bzw. Begriffen. Wie sollte eine (nichtbegriffliche bzw. nicht-gedankliche) Entität von etwas Begrifflichem bzw. Gedanklichem besessen werden? Auch hier empfiehlt sich zur Eruierung der ontologischen Relevanz von „Existenz“ eine alternative Interpretation: Durch „Existenz“ wird behauptet, dass ein Begriff erfüllt ist, dass es etwas gibt, das unter ihn fällt. „Existenz“ im Sinne eines Prädikates erster Stufe, also eines Prädikates, das nicht von Begriffen, sondern von nicht-begrifflichen Gegenständen ausgesagt wird, scheint mir am ehesten als Kandidat dafür in Frage zu kommen, dass seine ontologische Relevanz durch eine dem Prädikat korrespondierende Eigenschaft angegeben werden kann, allerdings, so meine Überzeugung, nur auf den ersten Blick. Führen wir uns nochmals vor Augen, was wir von Dingen aussagen, wenn wir „Existenz“ von ihnen aussagen. Nach Geach sagen wir aus, dass

|| 60 Vgl. u.a. Quine 1960, 244, wo er von attributes als entia non grata spricht.

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sie, die Subjekte von „Existenz“, bestimmte unverzichtbare theoretische Funktionen aufweisen, dass sie, nach klar angebbaren Bedingungen, mit sich selbst identisch sind, dass sie schließlich eine kausale Rolle spielen. Der erste Schlüssel zu einer Interpretation von „Existenz“, als AktualitätsPrädikat verstanden, scheint mir im zweiten genannten Merkmal zu liegen. Sage ich von einem x aus, es existiere, sage ich von diesem x aus, es sei mit sich identisch.61 Von einem x auszusagen, es sei mit sich identisch, ist aber nichts anderes als von diesem x eine formale Eigenschaft auszusagen. Formale Eigenschaften aber sind, wie wir gesehen haben, keine Entitäten. Also ist auch die ontologische Relevanz von „Existenz“ in seiner ontologischen Relevanz nicht so zu interpretieren, dass ihm eine Entität der Kategorie der Eigenschaften korrespondierte. Ich denke, dass wir in analoger Weise auch mit Existenz, in der Bedeutung von Aktualität, nach den anderen genannten Kriterien verfahren können. Auch die Relevanz des Prädikats, eine nicht-eliminierbare theoretische Bedeutung zu haben, kann nicht durch das Stehen für eine Eigenschaft angegeben werden. Auch „theoretische Bedeutung zu haben“ kann m.E. unter das weite, nicht-dogmatisch eingeführte Spektrum abundanter Eigenschaften subsumiert werden. Für Aktualität im Sinne von „kausale Relevanz besitzen“ sollte ein ähnlicher Weg gangbar sein. Jedenfalls scheint es plausibel zu sein anzunehmen, dass, wenn das Prädikat „kausale Relevanz zu haben“ von einem Objekt wahrheitsgemäß ausgesagt wird, das nicht dadurch geschieht, dass damit eine Eigenschaft designiert wird oder dass das Prädikat für eine Eigenschaft steht, die von diesem Objekt besessen wird oder welche das Objekt bestimmt. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass es – in irgendeiner dafür in Frage kommenden Weise, sei es im Falle von Dingen durch Bestimmtheit, sei es im Falle von Zuständen und Ereignissen durch Komposition – mit jenen Entitäten verbunden ist, welche allein kausale Relevanz bedingen, nämlich Modi. Vielleicht, und damit komme ich gleich zu einem Übergang zum nächsten Abschnitt, könnte „kausale Relevanz zu haben“ bzw. „nicht-eliminierbare theoretische Bedeutung zu haben“, als Explikation von „Existenz“, auch so zu interpretieren sein, dass damit die Zugehörigkeit zu (irgend)einer Art oder Kategorie gemeint ist. Kategorien sind Grundelemente der Wirklichkeit, nicht eliminierbar in ihrer Bedeutung für eine ontologische Theorie, in ihrer kausalen Relevanz eigentümlich. Existieren hieße demnach, einer ontologischen Kategorie anzugehören. || 61 Diese These hat u.a. auch Nathan Salmon vertreten. Vgl. ders. 1987, 63: „ … the English word ‚exist‘ may be regarded as being defined by the phrase ‚is identical with something‘ …“.

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Eigenschaften aber, wie „ist ein (Vorkommnis einer Kategorie, nämlich der) Ding(e)“ in „x ist ein (…) Ding (…)“, möchte ich jetzt und im Folgenden typisierende Eigenschaften nennen und sie gleich im Folgenden als weitere Abundantia deklarieren. Damit komme ich zum Abschluss dieses Abschnittes: Wie auch immer man „Existenz“ versteht, es gibt m.E. gute Gründe, Existenz als abundante Eigenschaft zu deuten. Die ontologische Relevanz von „Existenz“ ist anders als durch das Stehen für eine Entität anzugeben. Wie? Das hängt in der Tat vom Verstehen von „Existenz“ ab. Welches Verständnis dabei zu bevorzugen ist, kann hier nicht Thema sein. Die hier vertretene Grundthese hängt davon nicht ab.

2.4 Typisierende Eigenschaften (1) Ich komme damit zur letzten hier zu behandelnden Gruppe von Prädikaten. Es sind jene, durch die von Subjekten die Zugehörigkeit zu bestimmten Typen, angefangen von species infimae bis ‚hinauf‘ zu den Kategorien, ausgesagt wird. Einen Aspekt der theoretischen Relevanz dieser Prädikationen habe ich eben angesprochen. Von etwas auszusagen, es gehöre einer Kategorie an, mag bedeuten, dass es ein Seiendes sei oder eine Entität, dass es schlicht existiere. Typisierungen aber kann man nicht auf das Aussagen der Zugehörigkeit zu Kategorien beschränken. Auch wenn die theoretische Relevanz von Prädikationen, die das Zugehörigsein eines Subjekts zu einem ‚niedrigeren‘ Genus bzw. zu einer Art besagen, gesondert von den ‚kategorialen Prädikationen‘ untersucht werden kann, gehören sie logisch betrachtet eben doch auch zu den Typisierungen. „Ein Schaf zu sein“ in „Stefan kommt es zu, ein Schaf zu sein“, gehört ebenso zu den typisierenden Eigenschaften wie „ist ein Zustand“ in „Sein 20kgschwer-zu-sein ist ein Zustand“. Im Prinzip fällt es auch unter die hier gemeinten ‚Eigenschaften‘, dass etwas, nämlich ein Modus, zu den Determinanten eines bestimmten Determinablen zu zählen ist. Eine Schwierigkeit der Erörterung typisierender Eigenschaften besteht also darin, dass sie trotz ihrer gemeinsamen Struktur sehr unterschiedlich sind. Es gilt, wie gesagt, nicht nur die verschiedenen Stufen auf der arbor porphyriana zu berücksichtigen, sondern auch die Differenzen zwischen den Kategorien. Allgemein oder formal betrachtet, kann man die typisierenden Eigenschaften dennoch einheitlich charakterisieren, und zwar durch das Schema „(…) ist ein

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F“.62 „(Stefan) ist ein Schaf“, „(Sein Schwer-Sein) ist ein Zustand“, „(Die 78cm seiner Schulterhöhe) sind eine Größe.“ etc. Und es ist natürlich auch allgemein die Frage zulässig, ob die typisierenden Eigenschaften entsprechenden Prädikationen so zu interpretieren sind, dass den jeweiligen Prädikaten eine Entität korrespondiert oder nicht, ob m.a.W. die typisierenden Eigenschaften nichtabundant sind oder vielleicht doch. Es wird kaum überraschen, dass ich – wie bereits angekündigt – für die zweite Alternative plädiere. (2) Auch bei den nunmehr vorzubringenden Überlegungen kann ich damit beginnen zu fragen, ob typisierende Prädikate für Modi, so wie Modi hier eingeführt wurden, stehen können. Das ist ausgeschlossen, wenn man bedenkt, dass die hier zu diskutierenden Prädikate nicht nur von Dingen, sondern auch von Ereignissen und Zuständen, ja sogar von Modi ausgesagt werden. Behauptete man, dass „ist ein Modus“ in „Dieses Grün ist ein Modus“ für einen Modus stünde, behauptete man, dass ein Modus, sprich dieses Grün, durch einen Modus bestimmt wäre. Das aber ist unsinnig, wenn man Modi so versteht, wie hier vorgeschlagen. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu können, möchte ich lediglich an die Eigenart der formalen Beziehung der Bestimmtheit erinnern, wie sie im zweiten Hauptteil (2.2) entwickelt worden ist. Diese kann keinesfalls zwischen Modi bestehen. Könnte man dann nicht zumindest „ist ein Ding“ in „Mein Computer ist ein Ding“ als für einen Modus stehend andenken? Immerhin wird es von einem Ding, meinem Computer, ausgesagt. Ich denke, dass wir zwischen „ist ein Ding“ und „ist ein Modus“, als Prädikate verstanden, keinen derart groben Keil treiben können, wie den, dass dem einen ein Modus korrespondiert, dem anderen nicht. Zu ähnlich sind sie hinsichtlich ihrer Struktur, v.a. in ihrer Aussageweise. Außerdem kann man auch ein Ding-zu-sein nicht als etwas auffassen, das etwas anderem als Bestimmung eine Qualität bzw. als Kraft eine kausale Rolle verleiht, wie das hier von Modi gefordert wird. Ein Ding zu sein ist keine Bestimmung und keine Kraft, sondern besagt, dass das, wovon es ausgesagt wird, überhaupt Träger von Qualitäten bzw. kausalen Rollen sein kann. Wenn nun typisierende Prädikate nicht für Modi stehen, steht z.B „ein Schaf zu sein“ nicht doch für etwas, das seinem Träger, nach nachvollziehbaren Kriterien aufweisbar, zukommt? Wie kann man für das Gegenteil argumentieren, dafür, dass die Eigenschaften, zu den Schafen zu gehören, ein Zustand zu sein, eine Determinante einer Determinablen zu sein, abundant sind? Wie kann || 62 Nota bene: Damit wird nicht behauptet, dass dieses Schema exklusiv wäre für die typisierenden Eigenschaften.

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man die ontologische Relevanz von Typisierungen alternativ, d.h. nicht dadurch angeben, dass es eine Entität der Kategorie der Eigenschaften gäbe, welche den typisierenden Prädikaten entspräche? Bei meiner Begründung für den abundanten Status typisierender Eigenschaften möchte ich zunächst auf alle Typisierungen anwendbare Argumente (3) vorbringen, dann besondere Typisierungen ins Auge fassen (4). (3) Zu einem allgemeinen Argument können all jene Gründe beitragen, warum Aussagbarkeit von nicht-dinglichen Entitäten nicht nur den Modus-Status ausschließt, wie eben behauptet, sondern ein veritables Abundanzkriterium darstellt.63 Es sind jene Gründe, die dagegen sprechen, dass Zuständen, Ereignissen, ja Modi Entitäten zukommen. Ich erwähne hier nur, dass Entitäten, denen bestimmende Entitäten zukommen, gewisse Minimalbedingungen erfüllen müssen. Zu diesen gehört wohl diachrone Identität in einem strikten Sinne. Da zeitloses oder punktuelles Zukommen von Entitäten im Bereich des Partikulären nicht intelligibel ist, braucht es Selbigkeit durch die Zeit dessen, dem etwas zukommt. Zustände, Ereignisse und Modi sind aber, als vierdimensionale Entitäten, keine in einem strikten Sinne diachron identische Entitäten. Also können ihnen keine Entitäten zukommen. Also ist die ontologische Relevanz von Prädikaten, wie den typisierenden, die von ihnen ausgesagt werden, alternativ zu eruieren, nicht durch Bezug auf ihnen korrespondierende EigenschaftsEntitäten. Wir können damit an den Abschnitt III - 2.1 (6) anknüpfen, wo, mit Blick auf formale Eigenschaften, Eigenschaften von Nicht-Dingen generell als abundante dargestellt wurden. Ein weiterer allgemeiner Grund für die Abundanz von typisierenden Eigenschaften besteht in jenem Dammbruch-Argument, das ebenfalls bereits in vorhergehenden Abschnitten vorgestellt wurde. Akzeptierten wir typisierende Eigenschaften als Entitäten, hätte das eine unkontrollierbare Entitätenvermehrung zur Folge, wenn man etwa bedenkt, dass Typisierungen in ihren ‚Höhenstufen‘ zwischen species infimae und Kategorien bzw. zwischen Determinanten und Determinablen praktisch beliebig vermehrt werden können. Das gilt vor allem dann, wenn man Ereignisse, Zustände, bzw. auch die Modi mit einbezieht. Abundanz scheint auch hier die einzige effektive Dammstütze zu sein.

|| 63 Unter Berücksichtigung der uneigentlichen Eigenschaften, die ebenfalls von Nicht-Dingen ausgesagt werden können, und der (noch darzulegenden) Festlegung, dass uneigentliche Eigenschaften keine abundanten sind, kann hier nur von einem „veritablen“ oder gut brauchbaren, nicht von einem hinreichenden Abundanzkriterium gesprochen werden.

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Eine mögliche Quelle des Unbehagens an diesen Punkten könnte darin bestehen, dass die vorgebrachten Argumente nicht nur, aber primär bei typisierenden Eigenschaften außerhalb der Ding-Kategorie greifen. Das Unbehagen verstehe ich besonders dann, wenn man meinem Plädoyer für die Einheit der typisierenden Eigenschaften im Abschnitt (2) weniger abgewinnen kann. So möchte ich im Folgenden, den besonderen Argumenten für die Abundanz der typisierenden Eigenschaften, mein Hauptaugenmerk auf jene richten, die von Dingen ausgesagt werden. (4) Die angekündigten besonderen Argumente bestehen darin anzugeben, wie man die ontologische Relevanz typisierender Prädikate ohne ihnen korrespondierende Entitäten darlegen kann. Das Prädikat „gehört (irgend)einer Kategorie an“ habe ich bereits am Übergang des letzten zum nunmehrigen Abschnitt behandelt. Die ontologische Relevanz dieses Prädikats besteht m.E. darin, dass man sein Subjekt zu den Entitäten zählen mag. Es gibt keine Entität, die keiner Kategorie angehört, kein Vorkommnis einer Kategorie, das keine Entität ist. Wird es wahrheitsgemäß ausgesagt, ist es somit ein hinreichender Passagierschein zum Bereich des Existierenden. Diese ontologische Relevanz des Prädikats schließt aber aus, dass es eine Entität gibt, für die es stünde. Sonst könnte man „gehört (irgend)einer Kategorie an“ auch von dieser (vermeintlichen) Entität aussagen und so in einen nicht anzuhaltenden Regress geraten. Den kann man nur vermeiden, wenn man die Eigenschaft, einer Kategorie anzugehören, als abundant erachtet. Das Prädikat „… gehört der Kategorie der Dinge an“ oder „… ist ein Ding“ ist spezieller. Jedenfalls möchte ich annehmen, dass, wenn dieses Prädikat von einem Objekt wahrheitsgemäß ausgesagt wird, das nicht dadurch geschieht, dass damit eine Entität der Kategorie der Eigenschaften designiert wird oder dass das Prädikat für eine nicht-abundante Eigenschaft steht, die von diesem Objekt besessen wird oder welche das Objekt bestimmt. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass es, das Objekt, bestimmte ontologische Charakteristika aufweist. Es ist, nach angenommener Meinung über Dinge (vgl. I - 1.1), dreidimensional, also endurer, in seiner inneren Struktur komplex, bestehend aus Material und einer identitäts-relevanten Form. Es kann, wie im vorhergehenden Abschnitt (2) gesagt, Träger von Qualitäten bzw. kausalen Rollen sein etc. Aussagen über die ontologische Eigenart von x dürfen nicht verwechselt werden mit der Aussage über etwas x gleichsam von außen Zukommendes, wie es nicht-abundante Eigenschaften wären. Kategoriale Typisierungen gehören aber zu den Ersteren. Also sind kategorial typisierende Eigenschaften abundant.

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Strikt Analoges könnte man auch über andere kategorial typisierende Eigenschaften wie „… ist ein Zustand“ oder „… ist ein Modus“ sagen. Ich verzichte auf die Ausformulierung und bleibe lieber bei der Ding-Kategorie, indem ich zu deren ‚niedrigeren‘ Typisierungen übergehe. Das Prädikat, einem Genus oder einer Art der Kategorie der Dinge anzugehören, wie z.B. „… ist ein tierisches Lebewesen“ bzw. „… ist ein (dingliches) Kunstwerk“, kann in seiner ontologischen Relevanz ebenfalls gedeutet werden, ohne dass auf eine ihm korrespondierende Entität rekurriert werden müsste. In der (zur Erinnerung sei es wieder einmal gesagt) uneigentlichen Redeweise der Eigenschaften handelt es sich dabei eben um abundante Eigenschaften. Worin besteht nun aber die angesprochene ontologische Relevanz einschlägiger Prädikate? Was sagen wir durch diese Prädikate aus? Wir sagen aus, dass ihre Subjekte, sprich die Objekte oder Gegenstände, von denen sie ausgesagt werden, eine bestimmte individuelle Form aufweisen. Im Fall der Lebewesen ist das eine organische oder substanzhafte, im Fall von dinglichen Kunstwerken eine artifizielle (vgl. dazu I - 1.1.5). Ontologisch relevant ist auch, dass die Identität besagter Gegenstände durch diese ihre jeweilige individuelle Form determiniert ist, und zwar auf jene Weisen, wie es organischen oder substanzhaften bzw. artifiziellen Formen entspricht. So besagt „... ist ein Tier“ u.a., dass die Identität des Subjekts nicht konventionell festgelegt werden kann, etc. (vgl. dazu ebenfalls I 1.1.5 bzw. Kanzian 2009, II - 1.2). Niedrigere Typisierungen geben immer präziser Auskunft, wie die individuelle Form des jeweiligen Subjekts beschaffen ist, bzw. wie seine Identität determiniert ist. Niedrigste Typisierungen, das sind Aussagen über die Zugehörigkeit von etwas zu einer species infima, schließlich geben maximal präzisen Aufschluss über die individuelle Form, über die Determination der Identität betroffener Individuen, somit auch über die Identifikation von Individuen, synchron, aber auch diachron. Dass Stefan ein Schaf ist, besagt seine Zugehörigkeit zu einer species infima.64 Damit wird nicht überbietbar klar gemacht, worin seine individuelle Form, das ist sein Leben oder sein Lebensprinzip, besteht. Es wird maximal präzis angegeben, worin seine Identität besteht, nicht nur jetzt, sondern auch zeit seiner gesamten erfreulichen Existenz. Das Wissen, dass er ein Schaf ist, gestattet es, ihn aus seiner Umgebung hervorzuheben, anzugeben, was zu seiner organischen Integrität gehört und was nicht; ja, wir können ihn

|| 64 Die species infimae selbst könnte man rekonstruieren als jene Gruppen von Dingen, die durch die gleichen individuellen Formen in ihrer Identität determiniert sind. Auszusagen, dass etwas einer species infima angehört, besagt, dass es eben jener Gruppe angehört.

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sogar mit seinen KollegInnen zählen, präzis und unmissverständlich, als, ja eben als Schafe. Bei den species infima- oder sortalen Prädikationen liegt m.E. die Gefahr am nächsten, diese mit den bestimmenden Prädikaten zu verwechseln und daraus resultierende ontologische Fehler zu begehen. „Stefan ist 20 kg schwer und ein Schaf“ scheint ein im Alltag fast unverdächtiges Aussagengefüge zu sein. Grammatikalisch lässt sich jedenfalls kaum ein Unterschied zwischen „… ist 20 kg schwer“ und „… ist ein Schaf“ festmachen. Daraus nährt sich m.E. auch das Missverständnis, dass sich beides auf jeweils eigene Entitäten beziehe. Erst eine eingehendere Analyse kann dieses Missverständnis beseitigen. Stefans Gewicht ist ein Modus, etwas, das, nicht identisch mit Stefan, diesen qualitativ bestimmt und ihm auch einschlägige kausale Funktionen verleiht. Stefans Schaf-Sein ist keine (nicht-abundante) Eigenschaft. Die Aussage des entsprechenden Prädikats ist keine Aussage über etwas ihm (äußerlich) Zukommendes. „… ein Schaf zu sein“ ist keine Entität, die, nicht identisch mit unserem Stefan, diesem als Träger zukäme. „… ein Schaf zu sein“ bestimmt Stefan nicht. Es sagt aus, dass er Träger einschlägiger Bestimmungen sein kann. „(Stefan) ist ein Schaf“ ist, um es zu wiederholen, die präziseste Angabe dessen, worin seine Identität, wenn man so will, sein Entität-Sein besteht; es ist selbst aber keine Entität, die ihrerseits in ihrer Identität zu bestimmen wäre. Ich möchte kurzum dabei bleiben: „… ist ein Schaf“ ist eine abundante Eigenschaft. Niedrigere Typisierungen innerhalb anderer Kategorien sind nicht in strikt analoger Weise zu behandeln wie jene bei den Dingen. Insbesondere im Bereich der Modi gelten hier eigene Gesetzmäßigkeiten. Determinante und Determinable funktionieren in ihrem Zusammenhang (onto-)logisch anders als Individuum und Spezies bzw. Spezies und Genus in den anderen Kategorien. Die ontologische Relevanz einschlägiger Prädikate wie „… ist eine Farbe“ in „Grün ist eine Farbe“ müsste hier in strenger Anlehnung an die Ausführungen in II - 1.2.2 (4) ausgefaltet werden. Ich möchte das hier um der Flüssigkeit der Darstellung willen unterlassen und die LeserInnen bitten, meinen starken Verdacht mitzutragen, dass sich auch diese Prädikationen unter den abundanten Eigenschaften abhandeln lassen. Ohne den Anspruch zu erheben, sämtliche möglichen ‚Genera‘ der abundanten Eigenschaften ins Auge gefasst zu haben, möchte ich mit den typisierenden Eigenschaften deren Behandlung abschließen und mich einem anderen Teil des Eigenschafts-Themenfeldes zuwenden.

3 Uneigentliche Eigenschaften (1) Der Begriff „uneigentliche Eigenschaften“ oder (engl.) „impure properties“ ist so in der Fachliteratur eingeführt, dass sich eine Kernbedeutung rekonstruieren lässt. Derzufolge sind Eigenschaften uneigentlich, wenn ihr Ausgesagtwerden den Bezug zu einem gewissen Objekt voraussetzt.65 Da in irgendeiner Weise alle Eigenschaften auf gewisse Objekte bezogen sind, hat diese Kernbedeutung zunächst kaum Kompetenz, eine Untergruppe der Eigenschaften zu charakterisieren. Je nach theoretischem Interesse wird diese Kernbedeutung deshalb verstärkt. Die erste Möglichkeit ist, dass von den „gewissen Objekten“ verlangt wird, dass sie mit dem jeweiligen Träger der Eigenschaft identisch sind, wobei diese Identität durch die uneigentliche Eigenschaft explizit gemacht wird. Gemeint sind damit Eigenschaften, wie identisch zu sein mit etwas/jemand bestimmtem, z.B. identisch zu sein mit Kofi Annan. Diese Verstärkung wird von AutorInnen gewählt, die uneigentliche Eigenschaften mit sogenannten haecceitistischen (engl.: haecceitistic) in Zusammenhang bringen.66 Ich beschreite diesen Weg nicht, weil ich die uneigentlichen Eigenschaften klar von den abundanten abgrenzen möchte (Begründung folgt!), solche haecceitistischen aber als formale Eigenschaften (im Sinne von III - 2.1) mit guten Gründen zu den abundanten zu zählen sind. Die zweite Richtung einer Akzentuierung der besagten Kernbedeutung wird dadurch vorgenommen, dass der Bezug zu einem Objekt nicht nur irgendwie vorausgesetzt wird, sondern auf besondere oder spezifische Weise.67 Diesen Weg möchte ich im Hinblick auf jene Eigenschaften, um die es mir hier gehen wird, einschlagen. Mit jenen Eigenschaften, um die es mir im Folgenden geht, meine ich paradigmatisch die räumlichen. Sage ich beispielsweise von einem Ereignis aus,

|| 65 Vgl. Runggaldier/Kanzian 1998, 121. „Gewiss“ meint hier das Gegenteil von „beliebig“ bzw. „irgendeinem Objekt“. Man könnte auch sagen „bestimmtes Objekt“, wenn das nicht missverständlich wäre im Kontext der technisch eingeführten Rede von der Bestimmtheits-Relation. 66 Vgl. u.a. Hoffmann-Kolss 2010, u.a. 37, wo sich auch das Beispiel von Kofi Annan befindet; zum Thema v.a. auch ebd., 101–108 . 67 Eine solche Verstärkung finden wir u.a. in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, wo uneigentliche Eigenschaften durch den Bezug zu gewissen Objekten analysiert werden: „A property is said to be impure if it is analysed in terms of a relation with some particular substance.“ Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2008 Edition), Lemma: The Identity of Indiscernibles, p. 2. Ich möchte mich, trotz der grundsätzlichen Sympathie für den Vorschlag, auf diese Formulierung nicht festlegen aufgrund der möglichen reduktionistischen Implikationen von „analysiert werden in“.

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dass es an einem bestimmten Ort vorkommt, setzt dies wesentlich den Bezug zu jenem dinghaften Objekt voraus, das diesen Ort erfüllt. Das Gleiche gilt für die Eigenschaft eines Dinges, einen Meter neben einem anderen zu stehen. Diese setzt den Bezug zu jenem anderen unverzichtbar voraus. Analoges können wir von den anderen angenommenen Arten uneigentlicher Eigenschaften sagen, von den zeitlichen und den kausalen. Ich werde das gleich zu verdeutlichen versuchen. Uneigentliche Eigenschaften setzen also auf spezifische Weise den Bezug zu gewissen Objekten voraus und sind nicht abundant. Ein Merkmal aber fehlt m.E. noch zu einer wirklich informativen Definition. Dieses weitere Merkmal ist weder verstärkende Ergänzung noch Einschränkung der Kernbedeutung, sondern seine Adaptierung an die hier bislang versuchte Theorienbildung. Da ich die Modi als die eigentlichen Eigenschaften verstehe, möchte ich auch all jene Eigenschaften von den uneigentlichen absetzen, welche, wie eben die Modi, in der Beziehung der Bestimmtheit, wie sie v.a. im Abschnitt II - 2.2 entwickelt worden ist, zu ihren Trägern stehen. Somit kann ich uneigentliche Eigenschaften als jene nicht-abundanten Eigenschaften verstehen, deren nicht-bestimmendes Zukommen zu ihren Trägern den Bezug zu gewissen Objekten in spezifischer Weise voraussetzt. Das werden, wie angedeutet, räumliche, zeitliche und kausale Eigenschaften sein. (2) Nach dieser begrifflichen Einführung gehe ich über zu einer ontologischen Interpretation. In Entsprechung zur Vorgangsweise der vorhergehenden Abschnitte möchte ich mich fragen, wie beispielsweise Prädikate wie „… steht einen Meter neben Knut“, „… befindet sich in seinem zweiten Lebensjahr“ bzw. „… ist Ursache des kahlen Rasens vor der Haustür“ verstanden werden können, wenn wir sie von unserem Stefan aussagen. Ist die eben vorgeschlagene Begriffsbildung adäquat, dürfen diese Prädikate weder für Modi, also für Entitäten, stehen, noch darf es zutreffen, dass die ontologische Relevanz dieser Prädikate analog zu jener der abundanten Eigenschaften aufzuweisen ist. Die Lösung, die ich hier anvisiere, ist, dass es sich bei uneigentlichen Eigenschaften um Epiphänomene oder, exakt gesprochen, um konkrete epiphänomenale Verhältnisse handelt, welche jenen Prädikaten korrespondieren, die in uneigentlichen Prädikationen ausgesagt werden.68 (Nota bene: Uneigentliche Eigenschaf-

|| 68 Für LeserInnen, die es mögen, mit Spezialquisquilien ontologischer Terminologie zu operieren, sei hervorgehoben, dass uneigentliche Eigenschaften keine Konkretisierungen epiphänomenaler Verhältnisse, sondern konkrete epiphänomenale Verhältnisse sind. Ersteres würde implizieren, dass es zunächst ein Raum-, Zeit- bzw. ein kausales System gibt, aus dem

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ten korrespondieren Prädikaten, was sie von den abundanten unterscheidet!) Epiphänomene aber setzen den Bezug zu Konstituenten voraus, konkrete epiphänomenale Verhältnisse aber den Bezug zu gewissen Konstituenten, und zwar auf spezifisch starke Weise. Also erfüllen diese Eigenschaften jenes Merkmal des spezifischen Bezugs zu gewissen Objekten, eben den Konstituenten, wie es im vorhergehenden Absatz (1) dargestellt wurde. Das lässt sich etwas genauer ausbuchstabieren. Beginnen wir bei räumlichen Eigenschaften. Wenn etwa das Prädikat „… steht einen Meter neben Knut“ von Stefan wahrheitsgemäß ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit ein Modus designiert wird, welcher Stefan bestimmt. Der epiphänomenale Charakter räumlicher Eigenschaften schließt aus, dass diese Eigenschaften ihren Träger bestimmen. Die Bestimmtheit impliziert oder fundiert nämlich eine Form der asymmetrisch-wechselseitigen Abhängigkeit, die zwischen Stefan und seinem Neben-Knut-Stehen nicht bestehen kann (vgl. dazu die Ausführungen in II - 2.3 (2)). Was geschieht aber dann durch das Behaupten der zitierten Eigenschaft? Es wird eine räumliche Position designiert und angenommen, dass sie Stefan zukommt. Diese räumliche Position aber ist ein konkretes räumliches Verhältnis. Als Epiphänomen werden räumliche Verhältnisse aber konstituiert. Knut spielt bei der Konstitution des konkreten räumlichen Verhältnisses eine unverzichtbare Rolle. Deshalb wird der Bezug auf ihn für die besagte Eigenschaft vorausgesetzt, und zwar unter spezifischer Rücksicht, die mit der Eigenart der Konstitution gegeben ist. In allgemeinen Aussagen, wie „Es gibt (immer irgendwelche) Dinge, neben denen Stefan steht“, wird es offen gelassen, welche Dinge es sind, auf die die konkreten räumlichen Verhältnisse zurückgehen. Insofern mit diesem Prädikat aber eine räumliche Position angegeben wird, setzt die Eigenschaft, für die das Prädikat steht, den Bezug zu gewissen (dinghaften) Objekten auf spezifische Weise voraus.69

|| dann die konkreten Verhältnisse abzuleiten wären. Letzteres impliziert das Verständnis, das ich hier vertreten möchte: Primär sind konkrete Verhältnisse oder eben uneigentliche Eigenschaften. Räumliche, zeitliche bzw. kausale Verhältnisse oder Gefüge als solche setzen uneigentliche Eigenschaften voraus. 69 Einen Grenzfall würde die Aussage darstellen, dass etwas überhaupt in räumlichen Verhältnissen steht. Da würde ich nachfragen, ob damit eine (uneigentliche) Eigenschaft gemeint ist oder nicht vielmehr eine Aussage über den ontologischen Status des Subjekts, die meint, dass es, das Subjekt, räumlich ist.

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Es gibt auch räumliche Eigenschaften, die Dingen zugesprochen werden ohne Bezug zu anderen Dingen: „Da steht Stefan“ oder „Stefan steht an jenem Ort, an dem er sich immer aufhält“. Das liegt daran, dass jedes Ding, als dreidimensionale Entität, räumliche Verhältnisse konstituiert, welche in räumlichen Eigenschaften konkret vorliegen. Auch hier wird offensichtlich das Charakteristikum uneigentlicher Eigenschaften, nämlich der eigentümliche Bezug zu einem gewissen Objekt, erfüllt. Das „gewisse Objekt“ kann, wie im vorliegenden Fall, identisch sein mit dem Träger der Eigenschaft. Wie aber sieht es mit den zeitlichen Eigenschaften aus? „Stefan befindet sich in seinem zweiten Lebensjahr.“ Wofür steht das in diesem Beispielsatz enthaltene Prädikat? In Analogie zum vorhergehenden Beispiel einer räumlichen Eigenschaft meine ich, dass auch durch das Aussagen dieses Prädikats nicht behauptet wird, dass Stefan durch einen Modus bestimmt ist. Vielmehr wird von ihm ein zeitliches Merkmal ausgesagt, gekennzeichnet durch den Vergleich des derzeitigen Stadiums seiner Geschichte zu deren bisherigem Gesamtverlauf. Dieses Merkmal stellt ein konkretes zeitliches Verhältnis dar. Zeitliche Verhältnisse aber haben epiphänomenalen Charakter.70 Stefans Geschichte – worunter man die Gesamtheit der Ereignisse verstehen kann, in die Stefan zeit seiner Existenz involviert ist71 – und ihre Gliederung in zeitliche Abschnitte72 spielen bei der Konstitution des konkreten zeitlichen Verhältnisses eine besondere Rolle. Der Bezug auf sie, diese Geschichte, ist für das Zusprechen des entsprechenden zeitlichen Merkmals unverzichtbar. Natürlich kann es auch zeitliche Eigenschaften geben, bei denen es offen bleibt, welche Ereignisse es sind, auf die sie als konkrete zeitliche Verhältnisse zurückgehen. Insofern durch die Eigenschaften aber zeitliche Merkmale angegeben werden, setzen sie den Bezug zu gewissen ereignishaften Objekten voraus, so wie räumliche Eigenschaften den Bezug zu Dingen. Zu ergänzen ist, dass der epiphänomenale Charakter zeitlicher Verhältnisse und folglich der zeitlichen Eigenschaften jedenfalls ausschließt, dass diese Eigenschaften ihren Träger bestimmen. Das zeigt sich schon daran, dass zeitli-

|| 70 Bzgl. konkreter zeitlicher Verhältnisse im Vergleich zu zeitlichen Verhältnissen als solchen oder im Allgemeinen, ist in analoger Weise FN 68 anzuwenden. 71 Zur Einführung des Begriffs „Geschichte“ siehe I - 1.3. Chisholm war einer der Autoren, die diesen Begriff, so wie hier verwendet, in die ontologische Debatte eingeführt haben. Vgl. Chisholm 1990, 421. 72 Nota bene: Es geht um die zeitlichen Abschnitte von Stefans Geschichte, nicht von Stefan selbst, der aufgrund seiner Dreidimensionalität ja keine solchen Abschnitte haben kann.

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che Eigenschaften auch Ereignissen zugesprochen werden, sogar typischerweise. Ereignisse aber können nicht bestimmt werden, aus Gründen, die ich im vorhergehenden Abschnitt 2.4 (3) versucht habe darzulegen, Stichwort: „mangelnde diachrone Identität der Ereignisse“. Auch bei Dingen ist die Bestimmung durch zeitliche Eigenschaften ausgeschlossen, weil, wie gesagt, die Bestimmtheit eine bestimmte Form der asymmetrisch-wechselseitigen Abhängigkeit fundiert, die z.B. zwischen Stefan und seinen zeitlichen Eigenschaften nicht bestehen kann. Auch zeitliche Eigenschaften sind uneigentlich. Wenig Überraschendes habe ich bezüglich der kausalen Eigenschaften anzubieten. Dass Stefan Ursache des kahlen Rasens vor der Haustür ist, hat natürlich mit Modi zu tun. Allerdings, und das ist hier entscheidend, meine ich auch, dass, wenn das Prädikat „Ursache zu sein“ von Stefan wahrheitsgemäß ausgesagt wird, das nicht dadurch geschieht, dass damit, sprich durch dieses Prädikat, ein Modus designiert wird, welcher Stefan bestimmt. Es geschieht vielmehr dadurch, dass behauptet wird, dass ihm – aufgrund verschiedener Vermögen bzw. deren Manifestationen, aufgrund günstiger Umstände und des Eintretens stimulierender Ereignisse etc. – eine konkrete ‚Position‘ im kausalen Gefüge der Welt zukommt.73 Das kausale Gefüge der Welt aber hat epiphänomenalen Charakter. Im Beispiel wird nun angegeben, dass Stefan und seine Vermögen bei der Konstitution der für das Prädikat relevanten Position in diesem Gefüge eine besondere Rolle spielen. Vermögen sind komplexe Dispositionen, Dispositionen aber gehen auf Modi zurück, die sie als Kräfte den Dingen verleihen. So konstituieren Modi Kausalgefüge. Somit setzt das Zusprechen von konkreten Positionen im Kausalgefüge letztlich den Bezug zu gewissen (modiartigen) Objekten voraus. Auch hier sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass kausale Eigenschaften, wie die eben von Stefan ausgesagte, diesen nicht bestimmen. Stefan ist Ursache aufgrund der ihn bestimmenden Modi. Die Eigenschaft aber, die darin besteht, dass Stefan Ursache ist, darf damit nicht verwechselt werden. Sie stellt Stefan an eine Stelle des kausalen Netzes, welches als solches epiphänomenalen Status hat. Kausale Eigenschaften sind somit ebenso wie die räumlichen und die zeitlichen uneigentlich. (3) Ich möchte es damit mit dem Ausbuchstabieren bewenden lassen und den Blick auf einen Aspekt jenes theoretischen Kontexts werfen, in dem das Thema || 73 Bzgl. konkreter kausaler Positionen im Vergleich mit dem kausalen Gefüge der Welt als solchem, ist in analoger Weise FN 68 anzuwenden.

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uneigentliche Eigenschaften standardmäßig behandelt wird: die Frage nach der Verschiedenheit von Ununterscheidbarem. Stellen wir uns – frei nach Max Black – im Gedankenexperiment ein Universum vor, das nichts anderes als zwei vollkommen gleiche Kugeln beinhaltet.74 Damit stellt sich die Frage, wie man die numerische Verschiedenheit solcher qualitativ identischen Dinge verstehen kann. Vollkommene Gleichheit bedeutet, dass sich die Kugeln in nichts ÄhnlichkeitsRelevantem, nach der hier vertretenen Auffassung in keinen Modi, unterscheiden. Modi können somit keine Erklärungsinstanz für numerische Verschiedenheit sein. Was kommt dafür noch in Frage? Nimmt man die Dinge selbst, d.h. unabhängig von den Modi, an, um diese Verschiedenheit zu gewährleisten? Oder ist es möglich, Zuflucht zu nehmen bei nicht modi-artigen Eigenschaften, die wir hier unter die uneigentlichen subsumiert haben, etwa bei den räumlichen? OntologInnen, die Trägern von Modi, das sind Dinge, gegenüber skeptisch eingestellt sind, müssen auf die letztere Alternative ausweichen. Das aber bringt diese vom Regen in die Traufe, wenn die hier angestellten Überlegungen zutreffen. Uneigentliche Eigenschaften, wie zum Beispiel räumliche, sind Epiphänomene. Es ist aber ausgeschlossen, dass ein Epiphänomen die Nicht-Identität oder Verschiedenheit von anderem seines Trägers, sprich seines Konstituenten, gewährleisten kann. Die Identität und Verschiedenheit der Epiphänomene hängt nämlich ihrerseits vollständig von diesen Konstituenten ab. Wie sollen dann die Epiphänomene die Identität und Verschiedenheit der Konstituenten begründen? Also braucht es andere Grundlagen. In Ermangelung von Alternativen können meines Erachtens nur Dinge selbst bzw. deren individuelle Formen diese Funktion erfüllen. Argumente für den epiphänomenalen Charakter der uneigentlichen Eigenschaften stützen diese Annahme. Mitunter wird die Frage nach der ontologischen Begründung der Verschiedenheit von Gleichem oder Ununterscheidbarem auch im Zusammenhang mit Leibniz’ Gesetz diskutiert, das ja (in seiner informativen Lesart75) die Identität von Gleichem oder Ununterscheidbarem besagt. Im Bewusstsein, dass ich damit ein Problem anschneide, das ich an dieser Stelle nicht bearbeiten kann, möchte ich andeuten, dass man Leibniz und Black wohl nur dann versöhnen kann, wenn man entweder a) uneigentliche Eigenschaften in Leibniz’ Gesetz zulässt, oder b) es um die eigentlichen Identitätsbegründer, nach meiner Annahme sind

|| 74 Vgl. Black 1952. 75 Die nicht-informative Lesart wäre, dass Leibnizʼ Gesetz nur die Ununterscheidbarkeit von Identischem besagt. Informativ ist die Behauptung, dass Ununterscheidbares identisch ist, bzw. Identität genau bei Ununterscheidbarkeit vorliegt. Eine weiterführende Auseinandersetzung mit Leibnizʼ Gesetz folgt im Abschnitt IV - 1.3.

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das individuelle Formen, erweitert. Ich meine, dass b) zu einer vollständigen Trivialisierung dieses ehrwürdigen Prinzips führt, a) hingegen nicht-trivial gangbar ist, allerdings um den Preis, das Leibnizʼsche Gesetz in seiner Funktion für die Explikation dessen, was Identität ist oder ontologisch bedeutet, drastisch zu relativieren. Uneigentliche Eigenschaften sind nämlich, wie gezeigt, keine Identitätsbegründer. Kurzum: Das Leibnizʼsche Prinzip ist nur nichttrivial, wenn es in der ihm standardmäßig zugeschriebenen Funktion wesentlich beschnitten wird.

4 Modi und Relationen (1) In unserem Alltag spielen Beziehungen eine wesentliche Rolle. Auf vielfältige Weise sind wir und unsere Handlungen mit anderem und anderen verbunden. Das beginnt mit den banalen Feststellungen, dass wir uns stets neben etwas befinden, wir manches früher tun als anderes, geht weiter mit den kausalen Verhältnissen, in denen wir stehen, unserem vielfältigen kognitiven und emotionalen Bezogensein auf andere Menschen und die Gegenstände unserer Alltagswelt und endet bei den grundlegenden Gegebenheiten wie der Identität mit uns selbst. So ist es verständlich, dass manche AutorInnen Beziehungen oder Relationen zum Ausgangs- und Angelpunkt ihrer Ontologie machen, und von ihnen aus den kategorialen Rahmen gestalten. Diesen AutorInnen zufolge sind Relationen, wenn schon nicht die primären Entitäten, so doch Seiende, Grundelemente der Wirklichkeit. Auch in der aktuellen analytischen Ontologie finden wir gute Beispiele für diese Einstellung. U.a. nimmt Erwin Tegtmeier, im Gefolge von Autoren wie Gustav Bergmann und Reinhardt Grossmann, gerade Relationen zum Anlass, um sich kritisch gegen eine „reistische“, d.h. sich an der Kategorie der Dinge orientierende Ontologie zu stellen. Tegtmeier macht klar, dass Ontologien, die auf Dingen und von ihnen strikt oder stark abhängigen Eigenschaften beruhen, im Bereich dieser Eigenschaften keine zweistelligen, sprich relationalen annehmen können.76 Um Relationen zu ihrem Recht zu verhelfen, brauche es vielmehr Dinge und Eigenschaften, die ontologisch ‚gleichrangig‘ Sachverhalte bilden. Sachverhalte seien die unabhängigen Entitäten, welche dann auch zweistellige Eigenschaften, sprich echte Relationen77, beinhalten können. Ich möchte Erwin Tegtmeier recht geben unter der Rücksicht seines Befundes, der darin besteht, dass sich eine Dingontologie bzw. eine Ontologie, welche Eigenschaften als existenzabhängige Modi von Dingen versteht, mit der Annahme von relationalen Entitäten nicht vereinbaren lässt. Da ich freilich Dingund Modiontologe bin, dennoch Beziehungen als fixen Bestandteil unserer alltäglichen Wirklichkeit anerkenne, muss ich einen alternativen Weg vorschlagen, um Relationen in meinen kategorialen Rahmen zu integrieren. Ich möchte

|| 76 Tegtmeier 1992, 20f. 77 „Echte“ Relationen sind keine einstelligen relationalen Eigenschaften, wie sie etwa der aristotelischen Kategorie des pros ti entsprächen, sondern, wie gesagt, zweistellig, ohne dass einer Stelle in irgendeiner Weise ein Vorrang eingeräumt werden könnte.

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im Folgenden versuchen, diesen Weg zu skizzieren. Die Richtung dieses Weges wird darin bestehen, Relationen zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne sie zu hypostasieren, d.h. sie als zweistellige Entitäten zu verstehen. (2) Ich möchte hier die These vertreten, dass sich alles, was wir im Alltag und auch in ontologischer Theorie als Beziehungen auffassen, exhaustiv einteilen lässt in dünne, formale und epiphänomenale Relationen. Alle drei ‚Genera‘ von Relationen sind von unbestreitbarer ontologischer Relevanz, ohne dass ihre Vorkommnisse den Status von Entitäten beanspruchen könnten. Wenn sich diese These halten lässt, können wir unsere Modi von der Last möglicher Zweistelligkeit befreien. Modi sind nämlich Entitäten, Relationen, wie eben angenommen, nicht. D.h. keine Relation ist ein Modus, kein Modus eine Relation. Da von jedem der besagten Genera von Relationen bereits die Rede war, kann ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, Thesenbestandteile aufzugreifen, zusammenzuführen und, wenn erforderlich, zu vertiefen. Am einfachsten erscheint es mir, mit den zuerst genannten Relationen, den dünnen, zu beginnen. Im Abschnitt II - 2.2.1, wo die dünnen Relationen eingeführt wurden, war bereits von ihren ontologischen Charakteristika die Rede. So gehören diese Relationen zu den sogenannten internen Beziehungen. Für eine interne Beziehung gilt, dass das Vorkommen bestimmter Relata genügt, damit die Relation besteht, wobei, wie gesagt, die Relata nicht nur als hinreichend, sondern auch als notwendig für die Relation anzusehen sind. Als Beispiel wurde die Größer-KleinerBeziehung angeführt. Hat ein Ding x eine bestimmte Größe G, ein von Ding x verschiedenes Ding y aber eine Größe H, welche von G unterschieden ist, reicht das hin, dass die Größer-Kleiner-Beziehung zwischen x und y besteht, wobei G von x und H von y natürlich auch als notwendig für diese Beziehung zu verstehen sind. Dieses Beispiel illustriert m.E. auch gut ein weiteres Charakteristikum dünner Beziehungen: dass diese nämlich abgeleitet sind. Das bedeutet, dass das Notwendig- und Hinreichend-Sein von Gx und Hy für die dünne Beziehung so zu verstehen ist, dass das Größer-Sein als y von x bzw. das Kleiner-Sein als x von y nichts anderes ist als eben das G-Sein von x und das H-Sein von y. Es gibt nichts Weiteres, die Beziehung kann, wie gesagt, allein daraus abgeleitet werden, und zwar so, dass diese Beziehung mit der ‚Natur‘ oder der Form ihrer Relata, also von x und y, nichts zu tun hat. Was x ist, hat damit, dass es größer ist als y, nur nebensächlich oder akzidentell zu tun. Es ist, allgemein gesagt, den Relata äußerlich, in dünnen Beziehungen zu stehen. Ich erinnere an die

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Loweʼsche Metapher des „nicht füreinander bestimmt Seins“ der Relata dünner Beziehungen. Unsere Sprache kennt zweistellige Prädikate, mit denen wir über derlei Beziehungen reden. Diese Prädikate haben Bedeutung. Die Bedeutung hat insofern ontologische Relevanz, als mit Aussagen, in denen sie vorkommen, Fakten, x sei G und y H, behauptet werden. Dass x G und y H ist, macht Aussagen mit dem entsprechenden Prädikat wahr, würden manche sagen.78 Für die Angabe aber der Bedeutung des Prädikats, für den ‚Wahrmacher‘ von Aussagen, in denen es vorkommt, braucht es, und das ist der springende Punkt, keine zweistellige Entität.79 Schon aufgrund der Unabzählbarkeit und somit grundsätzlich nicht einholbaren Vielzahl von Dingen, die größer sind als y, wäre eine solche Annahme zweistelliger Entitäten für eine systematische Ontologie verheerend. Für jedes dieser Dinge müsste man nämlich auch eine entsprechende zweistellige Entität (Relata sind y und eines dieser Dinge) annehmen; bzw. wohl nicht nur eine, sondern wiederum unabzählbar viele. Man bedenke nur, dass jedes dieser unabzählbaren Dinge zu z, das nur größer als y ist, kleiner aber als alle anderen Dinge, die größer sind als y, wieder in einer Größer-als-Beziehung steht (Relata sind z und eines dieser Dinge), usw. 80 Auch andere Prädikate lassen sich auf diese Weise verstehen. Ich denke dabei nicht nur an „größer“ bzw. „kleiner“ sehr ähnliche Prädikate wie „schwerer“ und „leichter“ o.ä. Ich denke auch an Prädikate wie „Cousin von A.E. zu sein“. Auch dieses steht nicht für eine zweistellige Entität, bringt aber ein Faktum zum Ausdruck: die Tatsache, dass ich ein Enkel von Frau und Herrn E. bin, ebenso wie A. Obwohl Verwandtschaft genau dieser Nähe sicher nicht unabzählbar ist, so doch wohl Verwandtschaft als solche, engere, bis hin zu irgendwie doch noch bestehender. Somit gilt auch hier das ‚Dammbruchargument‘

|| 78 Ich glaube, dass die Bedeutung einschlägiger zweistelliger Prädikate auch darauf beruht, dass durch sie irgendein Vergleichsinteresse zum Ausdruck kommt. Herr Y ist kleiner als unabzählbare Dinge in dieser Welt. Die Aussage, dass er kleiner ist ausgerechnet als Frau X, bringt ein solches Interesse zum Ausdruck, vielleicht um verschiedene Verhaltensweisen von Y zu erklären. Das tut aber ontologisch nichts zur Sache. 79 Vgl. u.a. von Wachter 1998, 358, wo diese These ebenfalls in der ‚Wahrmacher‘-Ausdrucksweise vertreten wird. 80 Die Annahme einer solchen prinzipiellen Unabzählbarkeit erhält zusätzliche Plausibilität, wenn man bedenkt, dass Dinge nicht nur größer/kleiner sein können als andere Dinge, sondern auch als Objekte, die aus Teilen bzw. aus Anhäufungen, Summen anderer Dinge, ja sogar von Quasi-Individuen gebildet werden, also als Objekte ohne klare Identitäts- bzw. Kompositionsprinzipien.

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gegen die Annahme dieser und vergleichbarer dünner Beziehungen als Entitäten. Wir tun also gut daran, auch diese als intern zu betrachten, als „no addition to reality“, wie Lowe und andere trefflich formulieren.81 Grundlegend anders zu verstehen sind jene im selben Abschnitt wie die dünnen eingeführten formalen Beziehungen oder Relationen. Formale Relationen sind ebenfalls intern. Sie bestehen genau dann, wenn bestimmte Relata gegeben sind.82 Sie sind jedoch nicht aus nebensächlichen oder akzidentellen Aspekten abgeleitet wie die dünnen. Sie haben mit der Natur oder dem Wesen der Relata zu tun, so dass sie auch für die Relata eine unverzichtbare ontologische Rolle spielen. Sie sind, um ein Lowe-Zitat aufzugreifen, „too fundamental, indeed, to be something in the world – an element of being – because it is that without which there could be no beings and so no world.“83 Formale Relationen sind zu grundlegend, um als Elemente der Wirklichkeit oder Entitäten zu gelten. Sie sind für diese Elemente bzw. deren ontologische Funktion aber unverzichtbar. Als Paradebeispiel kann auch an dieser Stelle Identität angeführt werden.84 Kommt eine Entität x, von welcher Kategorie auch immer, vor, reicht das hin, dass x zu sich selbst in der Identitätsbeziehung steht, wobei das Vorkommen von x natürlich auch als notwendig für diese Beziehung zu verstehen ist. Von den dünnen Beziehungen unterscheidet sich die Identität dadurch, dass das Bedingungsverhältnis zwischen Entität und Identität auf nichts Akzidentellem beruht, Identität somit nichts einseitig Abgeleitetes ist. Hier finden wir eine bemerkenswerte Allianz zwischen scholastischen und neueren analytischen Ansätzen. So ist es bei Thomas von Aquin klar, dass Entität-Sein und Identisch-Sein wechselseitig vertauscht werden können: „… unum convertitur cum ente“85. Es gibt keine Identität ohne Entität, aber natürlich auch keine Entität ohne Identität. Auch im Hinblick auf den Status von Identität

|| 81 Selbst wenn jemand zugäbe, Verwandtschaftsbeziehungen seien intern, könnte er doch in Frage stellen, dass sie auch dünn seien. Betreffen sie uns nicht in unserem ‚Wesen‘, in unserer ‚Natur‘? Ich würde entgegnen, erstens: sicher nicht alle, und zweitens: sicher nicht in einem ontologischen Sinne von ‚Wesen‘ und ‚Natur‘. 82 Vgl. die im Abschnitt II - 2.2.1 gegebenen Verweise auf Mulligans Charakterisierung interner Beziehungen. 83 Lowe 2006, 49. 84 Nota bene: Jetzt geht es nicht, wie im Abschnitt III - 2.1, um die Eigenschaft, mit sich selbst in der Identitätsrelation zu stehen, sondern um die Relation selbst. 85 Thomas von Aquin, Summa theologiae Ia q.11, a.1, c. Verwendete Ausgabe: Thomas von Aquin 2015. [Hervorhebung im Zitat: Kanzian]

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selbst ist der Aquinate explizit: „Unum non addit supra ens rem aliquam.“86 Identität fügt der Sache nach zum Seienden nichts hinzu. Identität ist keine Entität, was sie als intern ausweist. Sie ist aber, im Unterschied zu dünnen Beziehungen, zu grundlegend, um selbst etwas, eine Entität, zu sein. Das moderne Analogon ist Quine. Auch er spricht davon, dass es „no entity without identity“87 geben könne. Es gibt – ebenso wie ohne Entität keine Identität – auch keine Entität ohne Identität. Auch bei Quine ist klar, dass Identität selbst keine Entität sein kann. Sie ist zu grundlegend, um Entitätenstatus zu haben.88 Unsere Sprache kennt freilich ein Prädikat, mit dem wir über Identität reden. Es hat Bedeutung. Die Bedeutung hat insofern ontologische Relevanz, als mit Aussagen, in denen besagtes Prädikat vorkommt, grundlegende ontologische Gegebenheiten behauptet werden, wie sie etwa in den scholastischen bzw. Quineʼschen Dikta ihren Ausdruck finden. Für die Angabe aber der Bedeutung des Prädikats braucht es, und darauf kommt es hier an, keine Identitäts-Entität. Auch darin sind sich Thomas von Aquin und Quine einig. Auch andere Prädikate lassen sich auf diese Weise verstehen. Ich denke dabei an „ist gleich wie“, „komponiert“, „konstituiert“ o.ä. Auch diese Prädikate bringen grundlegende ontologische Fakten zum Ausdruck, etwa dass Modi qualitativ identisch sind („ist gleich wie“), dass manche Entitäten eine innere komplexe Struktur aufweisen und sich die Elemente der Struktur auf bestimmte Weise zum Ganzen verhalten („komponiert“), dass sich Epiphänomene auf andere Weise auf ihre Basis beziehen als Komposition („konstituiert“, eben nicht „komponiert“) o.ä. All diese Prädikate können in ihrer Bedeutung analog zu „ist identisch mit“ verstanden werden.89 Die Beziehungen, für die sie stehen, sind keine Entitäten, „no addition to reality“ (Lowe, Thomas von Aquin). Sie sind aber auch nicht aus nebensächlichen Gegebenheiten abgeleitet, ihre Relata stehen aufgrund von

|| 86 Ebd. 87 Im Unterschied zu anderen berühmten Dikta kommt dieses auch wirklich vor, siehe Quine 1957–58, 20. 88 Es gibt zahlreiche Literaturbeiträge zum Thema Entitäten ohne Identität, insbesondere zum Quineʼschen Diktum, vgl. u.a. Greimann 2000. Ich kann mich hier nicht darauf einlassen. Der für mich entscheidende Punkt, der Nicht-Entitäten-Status von Identität, ist davon nämlich unberührt. 89 Der Unterschied zwischen Identität und Gleichheit (und auch den anderen erwähnten formalen Beziehungen) mag darin bestehen, dass Identität das Vorkommen einer Entität als solcher bedingt, während die anderen grundlegende ontologische Funktionen der betroffenen Entitäten betreffen.

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wesensmäßigen, nicht von akzidentellen Aspekten in diesen Beziehungen.90 Modi sind gleich aufgrund dessen, was sie sind. Diese Form komponiert dieses Ding wesentlich. Dieses Ereignis konstituiert dieses zeitliche Verhältnis aufgrund seiner vierdimensionalen ‚Natur‘, um nur die angeführten Beispiele ein wenig weiterzuführen. So zeigt sich anhand der formalen Beziehungen, dass die Wirklichkeit zu verstehen mehr verlangt als einen kategorialen Rahmen von Entitäten zu entwerfen. Es braucht auch Beziehungen. Manche davon sind rein akzidentellabgeleitet, manche andere aber zu grundlegend, um selbst Entitäten zu sein. Die Wirklichkeit ist mehr als ein Geflecht von Entitäten. Nach diesem in die Poesie abdriftenden Ergebnis einer Untersuchung formaler Relationen zurück zur ontologischen Prosa, das heißt jetzt zum dritten Genus von Beziehungen, den epiphänomenalen. Sie wurden eben erst angesprochen im Zusammenhang mit den uneigentlichen Eigenschaften. Bei den epiphänomenalen Relationen zeigt sich deutlich, dass Modi, auch wenn sie keine Relationen sind, für Relationen eine wichtige, ja konstitutive Funktion erfüllen. Paradigmatisch aufzuweisen ist das bei den kausalen Relationen. Was ist eine kausale Relation oder kurz Kausalrelation? Es ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Ursachen aber sind, wie ich versucht habe im Abschnitt II - 3.3 (2) auszuführen, ein Miteinander von verschiedenen Aspekten, Ding mit Disposition, Stimulus, günstige Umstände samt reziprokem Dispositionspartner. Wirkungen aber sind die Manifestationen der in der Ursache vorliegenden Dispositionen. Eine Kausalbeziehung ist das Verhältnis zwischen beiden. Ursache und Wirkung ist notwendig, aber auch hinreichend für das Bestehen einer Kausalrelation. Darin kommt die Kausalrelation mit den beiden Genera der internen Relationen überein. Es gibt aber auch Unterschiede: Von den dünnen Beziehungen hebt sich die Kausalrelation dadurch ab, dass sie den „nichts anderes als“-Reflex nicht so ohne weiteres aufkommen lässt. Sie ist ein Epiphänomen, und ein solches zu sein, meint nicht ein einfaches Aufgehen in den Relata. Epiphänomene werden konstituiert, ohne dass sie selbst als Konstituenten in Erscheinung treten könnten. Sie haben dennoch (gleich Campbells ‚pseudo-additions‘. siehe II - 1.1 (3)) irreduzible theoretische Funktionen, was gegen ihre Ableitung eben im Sinne des „nichts anderes als“ spricht. In verschiedenen, auch nicht-philosophischen Kontexten braucht man Kausalität als || 90 Vgl. die im Abschnitt II - 2.2.1 gegebenen Verweise auf Lowes Explizierung dieses Merkmals formaler Beziehungen.

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Beziehung, ohne auf die ontologische Konstitutionsbasis verweisen zu können. Genauso deutlich wird das bei den anderen Spezies epiphänomenaler Beziehungen, den zeitlichen und räumlichen. Ohne räumliche Verhältnisse gibt es keine Geometrie, ohne zeitliche, wenn man Kant und anderen Glauben schenken darf, keine Arithmetik und Kinematik.91 Zurück aber noch kurz zu den kausalen Beziehungen, die sich auch von den formalen unterscheiden, und zwar darin, dass zwischen Kausalbeziehungen und ihren mannigfaltigen Konstituenten nicht jene wesentliche Verbindung vorliegt, wie sie eben bei den formalen, allen voraus der Identität, anzunehmen ist. Epiphänomenale Beziehungen machen ein drittes Genus von Relationen aus. Die nicht-kausalen epiphänomenalen Beziehungen sind räumliche und zeitliche. Ich kann mich hier kurz fassen, weil von diesen Beziehungen schon öfters die Rede war. Räumliche Beziehungen kommen genau dann vor, wenn mindestens zwei dreidimensionale Dinge bzw. Dingteile in räumlichen Verhältnissen stehen. Die Beziehung des … einen Meter neben … Stehens kommt genau dann vor, wenn Knut und Stefan (oder ein anderes Paar) durch das besagte räumliche Verhältnis verbunden sind.92 Zeitliche Beziehungen kommen aber vor, genau dann wenn vierdimensionale Ereignisse (in gewisser Weise auch Zustände) bzw. deren Phasen in zeitlichen Verhältnissen stehen.93 Auch diese Relationen haben für die ontologischen Funktionen ihrer Konstituenten keine mit den formalen Beziehungen vergleichbare Relevanz, ohne dass sie deshalb als dünne abgetan werden können. (3) Eben wurden Relationen erschöpfend eingeteilt in interne und epiphänomenale, erstere nochmals in dünne und formale. Allesamt wurden diese als NichtEntitäten ausgewiesen. Wenn sich diese These halten lässt, so haben wir einleitend zum vorhergehenden Abschnitt (2) festgestellt, können wir Modi, die ja Entitäten sind, strikt von den Relationen absondern. D.h. keine Relation ist ein Modus, kein Modus eine Relation.

|| 91 Vgl. dazu einschlägige Ausführungen in Kants Transzendentaler Ästhetik, KrV u.a. B 40f, B 48f, aber auch in Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung, u.a. Band I, erstes Buch, § 12, verwendete Ausgabe: Schopenhauer 1987, 104f. 92 Natürlich kann man auch davon sprechen, dass Ereignisse in räumlichen Beziehungen stehen. Der Unfall geschah 100 Meter neben dem anderen. Dies setzt aber voraus, dass bestimmte Dinge, z.B. Autos, in räumlichen Verhältnissen stehen. 93 Auch von Dingen sagt man, sie stünden in zeitlichen Relationen. Descartes lebte vor Kant. Genau genommen bezieht man sich dabei aber auf die (Lebens-) Geschichten der beiden, Summen von Ereignissen und Zuständen, von denen man das zeitliche Verhältnis aussagt.

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Selbst wenn uns jemand die exhaustive Einteilung von Zweistelligem zugestehen würde, könnte er nicht doch ein gewisses Unbehagen bei der lapidaren Folgerung empfinden, dass (somit) auch kein Modus (irgendwie) relational sei? Wie ist das etwa mit den in Abschnitt II - 3.1 (3) geschilderten Modi, die traditionell als sekundäre oder tertiäre Eigenschaften interpretiert werden? Haben diese nicht eine eindeutig relationale Dimension? Ist es nicht für sekundäre und tertiäre Eigenschaften wesentlich, eine Beziehung zu haben zu bestimmten Wahrnehmungssystemen bzw. (tertiäre) zu nicht wahrnehmenden Körper? Die Eigenschaft grell zu sein zum Beispiel. Sie kommt einem Gegenstand zu, allerdings nur, insofern sie durch Beziehung zu einem Sehenden in diesem eine bestimmte, vielleicht als stechend zu beschreibende optische Empfindung auslöst. Grell zu sein aber kann man durchaus als Modus auffassen. Verstärkt werden kann die Stoßrichtung des Einwands dadurch, dass wir in besagtem Abschnitt auch davon gesprochen haben, dass, ontologisch betrachtet, sekundäre und tertiäre Eigenschaften keine Eigenschaften sind neben den primären. Primäre Eigenschaften sind, letztlich, dieselben Modi wie sekundäre bzw. tertiäre. Also gebe es ja doch Modi, die relational seien. Ich möchte den möglichen Einwand gegen die These, dass kein Modus zweistellig ist, so auflösen, dass sekundäre Eigenschaften Eigenschaften des vorgestellten Dinges sind, insofern das Ding kraft mancher Modi eine bestimmte kausale Relevanz im Hinblick auf die sinnliche Wahrnehmung von BetrachterInnen aufweist. Tertiäre Eigenschaften aber sind Eigenschaften eines Dinges, die dem Ding aufgrund eines Modus zukommen, der ihm kausale Relevanz im Hinblick auf nicht perzipierende Gegenstände verleiht. Modi verleihen als Bestimmungen Dingen (primäre) Eigenschaften. Dieselben Modi, als Kräfte verstanden, geben den Dingen kausale Relevanz oder Dispositionen, im Hinblick auf sinnlich Wahrnehmende „sekundäre“, im Hinblick aber auf nicht Wahrnehmendes „tertiäre Eigenschaften“ genannt. Primäre Eigenschaften sind, ontologisch gesehen, dieselben Modi wie sekundäre bzw. tertiäre. (Das ist der wahre Kern des Einwands.) Die Ersteren gehen auf den bestimmenden Status der Modi zurück, die Letzteren auf den Kraftstatus derselben Modi, also auf Modi insofern sie Dingen kausale Wirksamkeit verleihen. Die Relationalität sekundärer und tertiärer Eigenschaften geht also auf den Status von Modi als Kräften zurück. Jene Relationalität aber, die auf Modi als Kräfte zurückgeht, ist, wie wir in den vorhergehenden Abschnitten gesehen haben, als kausale epiphänomenal. Also lässt sich die relationale Struktur sekundärer und tertiärer Eigenschaften als epiphänomenale rekonstruieren. Sie gibt keinen stichhaltigen Einwand gegen die These ab, Modi als solche seien

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niemals zweistellig. Modi konstituieren, wie im gegenständlichen Fall sekundärer bzw. tertiärer Eigenschaften, zweistellige Epiphänomene. Zusätzlich stützen kann man die These, dass es keine zweistelligen oder relationalen Modi gibt, durch Verweise auf die Eigenart der Existenzabhängigkeit der Modi. Wie im Abschnitt II - 2.3 (3) ausgeführt, hängen Modi von Dingen individuell, extrinsisch und substantiell ab. Besonders relevant für diesen Zusammenhang ist das zuerst Genannte: Individuelle Abhängigkeit wurde nämlich so eingeführt, dass ein Modus von einem Ding, seinem Träger, abhängt. Dass dem so ist, liegt in jener ontologischen Eigenart der Modi begründet, die darin besteht, dass ein Modus nicht mehrere Dinge bestimmen kann, weder diachron, noch synchron. So kann man (im Sinne von II - 2.2.3) auch davon sprechen, dass die spezifische ontologische Abhängigkeit der Modi von den Dingen, die eben auch als Existenzabhängigkeit aufgefasst wird, in dieser (formalen) Beziehung der Bestimmtheit fundiert ist. (Bitte erinnern Sie sich: Ontologische Abhängigkeit besteht nie per se, sondern immer nur in Verbindung mit oder fundiert durch eine andere formale Beziehung!) Wenn nun ein Modus genau ein Ding bestimmt und (somit) die ontologische Abhängigkeit eines Modus von einem Ding genau ein Ding betrifft, kann es keine zweistelligen Modi geben. Ein zweistelliger Modus nämlich würde (contra factum) zwei Dinge bestimmen und (somit) von zwei Dingen abhängen. (4) Abschließend möchte ich aber nochmals die Bedeutung von Beziehungen für unsere alltägliche Lebenswelt, v.a. für unser Selbstverständnis als Akteure in dieser unserer Welt aufgreifen. Selbst wenn Relationen keine Modi sind, gibt es nicht doch gute Gründe, zumindest manche Beziehungen zu den Grundstrukturen der alltäglichen Wirklichkeit zu zählen? Wie ist das beispielsweise mit unserem intentionalen Bezogensein auf etwas, kurzum mit Intentionalität? Intentionalität war bislang kein Thema, ist aber grundlegend für unser Weltverstehen, so grundlegend, dass es von manchen Autoren sogar zum Grundprinzip einer kategorialen Ontologie gemacht wird.94 Und Intentionalität ist wohl ein relationales Phänomen, besteht es doch zwischen dem, der sich auf etwas bezieht, und diesem etwas, worauf sich jemand bezieht. Intentional können sich menschliche Akteure (um bei diesen zu bleiben) auf verschiedene Weise auf die Welt und andere Menschen beziehen: kognitiv, etwa wahrnehmend oder erkennend, aber auch emotional, sich freuend oder

|| 94 Vgl. u.a. Chisholms ‚Primat des Intentionalen‘; ders. 1989, u.a. 129–138 ; ders. 1996, 35–41.

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fürchtend, schließlich auch personal, anerkennend und liebend. Ist dieses vielfältige intentionale Beziehen so bedeutend und auch wertvoll, kann man ihm dann den Status des Seienden vorenthalten? Ich möchte auch hier den Weg einer Rekonstruktion einschlagen und den Vorschlag machen, die Bedeutung intentionalen Bezogenseins ontologisch zu beschreiben, ohne den Intentionen selbst Entitätenstatus auflasten zu müssen. Diesen meinen Vorschlag eröffne ich mit der Annahme, dass es sich bei den verschiedenartigen Intentionen, zu denen menschliche Personen (und nur um diese kann es mir hier gehen) fähig sind, zunächst und zuvorderst um etwas handelt, das auf bestimmte Vermögen zurückgeht. Wir haben das Vermögen wahrzunehmen, das Vermögen, uns zu freuen, ja das Vermögen, anderen Personen liebend zu begegnen. Vermögen aber möchte ich hier so verstehen, wie ich das im Abschnitt II - 3.1 (4) eingeführt habe, und zwar als funktionalen Zusammenhang von verschiedenen Dispositionen, die Dingen aufgrund bestimmter Modi verliehen werden. Das Wahrnehmungsvermögen wurde an der angegebenen Stelle bereits explizit erwähnt. In Analogie dazu kann man auch die emotionalen und die personalen Vermögen verstehen. Ich kann nicht darüber spekulieren, welche Dispositionen nun für welches kognitive, emotionale bzw. personale Vermögen maßgeblich sind, oder gar auf welche Modi die jeweiligen Dispositionen zurückgehen. Festhalten möchte ich jedenfalls, dass konkrete intentionale Akte, wie diese Wahrnehmung des roten Punktes, diese Freude über das Ergebnis eines Eishockeyspieles, dieses wertschätzende Beziehen auf einen Mitmenschen, als Ausüben eben eines entsprechenden Vermögens verstanden werden können. Das Ausüben eines Vermögens aber ist die Manifestation der es ausmachenden Dispositionen. Diese Manifestation aber ist, wie allgemein im Abschnitt II - 3.3 (2) angesprochen, stets mit der Manifestation eines „reziproken Dispositionspartners“ gekoppelt; der Manifestation der Disposition, geschätzt zu sein, Freude zu bereiten, wahrgenommen zu werden, um bei den Beispielen zu bleiben. Natürlich muss es, um auch dies aufgreifend zu wiederholen, weitere günstige Umstände geben sowie einen einschlägigen Stimulus. Wie in den Beispielen dargestellt, gibt es verschiedene Formen von Intentionalitäts-Realisierungen. Nach dem hier versuchten Ansatz geht diese Verschiedenheit zurück auf eine Vielfalt von menschlich-personalen Vermögen. Diese Vielfalt kann man erläutern. Nach den Überlegungen aus dem Abschnitt II - 3.3 (7) können wir unterscheiden zwischen solchen Vermögen, die einförmig Manifestationen hervorbringen, und solchen, die mehrförmig, wie ich das hier nennen möchte, verwirklicht werden können. Im Bereich menschlich-personaler Vermögen wird man die Unterscheidung zwischen Ein- und Mehrförmigkeit der Manifestation wohl nicht rein polar verstehen dürfen, d.h. dass ein Vermö-

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gen rein einförmig, sozusagen mit naturgesetzlich beschreibbarer Invarianz verwirklicht würde, ein anderes Vermögen aber rein mehrförmig, d.h. in keiner Wiese von ‚natürlichen‘ Gegebenheiten bestimmt. Bei der Wahrnehmung können wir ihre Manifestation eher so interpretieren, dass sie bei Vorliegen günstiger Umstände und geeigneter Stimuli mit einer gewissen Regelmäßigkeit eintritt. Bei personalen Vermögen ist die Verwirklichung sicher nicht an rein natürliche Umstände zu knüpfen. Bei Gefühlen bewegt man sich wohl im Mittelfeld des Spektrums. Es ist natürlich, sich unter bestimmten Umständen vor bestimmten Gegebenheiten zu fürchten, sich über anderes zu freuen, ohne dass wir vernachlässigen dürfen, dass auch unser emotionales Leben „sub imperio rationis“ steht, wie die Scholastiker sagen und damit eine mehrförmig mögliche menschlich-personale Kultivierung unseres affektiven Lebens meinen. Ich muss es mir auch an dieser Stelle versagen, zu tief in die Details zu gehen. Intentionale Akte sind jedenfalls Manifestationen von Vermögen, d.h. von Dispositionsgefügen. Als solche kann man sie, wie die/der LeserIn unschwer erkannt hat, in Adaptierung der Analyse des Ursache-Wirkungs-Verhältnisses aus dem Abschnitt II - 3.3 verstehen, unter besonderer Berücksichtigung der dortigen Sektion (7), wo die offene Anwendung des Schemas auf menschliche Akte oder Handlungen angesprochen wurde. Das aber bedeutet, dass intentionale Akte, ontologisch gesehen, zunächst als Manifestationen oder Wirkungen aufgefasst werden können. Wirkungen aber sind wesentlich Wirkungen von Ursachen bzw. bestimmter Strukturelemente von Ursachen, etwa der angesprochenen reziproken Manifestations- oder Wirkungspartner. Meine Wahrnehmung des roten Punktes ist als Manifestation eines Vermögens Wahrnehmung des roten Punkts, dessen Wahrnehmbarkeit ein notwendiges Strukturelement der Ursache der Wahrnehmung ist. Meine Freude über das Spiel ist Freude am Spiel, als etwas, das als reziproker Dispositionspartner meines Vermögens, mich zu freuen, gelten kann. Meine Wertschätzung von X ist klarerweise Wertschätzung von X, der als Partner meiner Disposition wertzuschätzen fungiert. Ich denke deshalb, dass die Bezogenheit intentionaler Akte, ihre Zweistelligkeit sozusagen, in Analogie zur Bezogenheit von Wirkungen auf Ursachen bzw. deren Strukturelemente verstanden werden kann. Sie, diese Bezogenheit, ist folglich, ohne ihre Bedeutung für das menschliche Zusammenleben zu schmälern, wie die Kausalbeziehung, Epiphänomen. Epiphänomene aber sind trotz oder in ihrer Relevanz für das Verstehen unserer alltäglichen Lebenswelt keine Entitäten. Ich komme damit zum Abschluss meiner Behandlung des Themas Modi und Relationen. Das Ergebnis ist, dass es keine zweistelligen Modi gibt und dass sich

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alle relationalen Phänomene unserer alltäglichen Lebenswelt als interne bzw. epiphänomenale Beziehungen verstehen lassen. Meine Darstellung muss lückenhaft bleiben, weil ich nicht beanspruchen kann, alle möglichen relationalen Phänomene zu erörtern. Ich denke aber, dass sich anhand der gegebenen Beispiele bzw. der Auswahl der behandelten Relationen auch Wege zur Rekonstruktion der nicht behandelten zeichnen ließen. Mit diesem Bekenntnis zur Unvollständigkeit möchte ich mich einem anderen Kapitel in der Behandlung des Eigenschafts-Themenfeldes zuwenden, der Unterscheidung zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi.

5 Wesentliche/akzidentelle Modi (1) Bevor ich zu meinem Versuch komme, in Anwendung meiner Modiontologie die Distinktion zwischen wesentlichen und akzidentellen Eigenschaften zu rekonstruieren, ein Wort zum Kontext des Problems im Eigenschafts-Themenfeld. Die Unterscheidung zwischen solchen Eigenschaften, die ein Ding gewinnen und auch wieder verlieren kann, und jenen, die einem Ding zeit seiner gesamten Existenz zukommen bzw. zukommen müssen, ist eine durchaus traditionelle. Im Grunde geht sie auf den aristotelischen Begriff eines Akzidens (kata symbebekos) zurück, welcher den Gegensatz markiert zum Wesentlichen oder zur Substanz (ousia, kat’auto) Gehörigen. In der aktuellen Ontologie scheint es allerdings Positionen zu geben, vor deren Hintergrund es schwer fällt, etwas Akzidentelles bzw. akzidentelle Eigenschaften anzunehmen. Dann aber finden sich auch Theorien, welche zwar Eigenschaften postulieren, die man gewinnen und verlieren kann, jedoch wesentliche oder essentielle Eigenschaften vernachlässigen (müssen). Die zuerst genannten Positionen werden auch als ultraessentialistisch gekennzeichnet. Ultraessentialismus bedeutet, dass alle Eigenschaften eines Trägers diesem wesentlich wären. Manche Bündeltheorien von Dingen wurden unter den Verdacht eines solchen Ultraessentialismus gestellt. Sind Dinge nichts anderes als Bündel, etwa von Tropen, Bündel aber in ihrer Identität durch die Gesamtheit aller ihrer Tropen bestimmt, kann ein Ding keine Eigenschaft, sprich keine Trope, verlieren bzw. dazu gewinnen, ohne seine numerische Identität zu verlieren. Alle Eigenschaften sind wesentlich, keine Eigenschaft ist akzidentell. Substratum-Theorien von Dingen aber, insbesondere sogenannte „bare substratum-“ oder „bare particular-“ Theorien, wären durch das andere, im letzten Absatz genannte Theorem angefragt: Nimmt man ‚an‘ oder ‚in‘ einem Ding eine Trägerinstanz an, welche dem Ding wesentlich oder essentiell ist, gehören zu dieser Trägerinstanz aber keinerlei Eigenschaften, was das Attribut „bare“ besagt, könnte es keine zum Wesen selbst gehörigen Eigenschaften, mithin keine wesentlichen Eigenschaften geben. Alle Eigenschaften, die dem Substratum-Träger des Dinges anhaften, sind akzidentell. Peter Simons hat versucht, vom Standpunkt einer Tropenontologie ausgehend, einen Ultraessentialismus zu vermeiden, ohne in eine SubstratumTheorie abzugleiten,95 und zwar so, dass er tropentheoretisch den Unterschied

|| 95 Ich beziehe mich hier auf Simons 1994, 567ff. Als bare substratum- oder bare particularOntologie führt Simons, ebd., 566, jene Bergmanns an.

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zwischen akzidentellen und wesentlichen Eigenschaften rekonstruiert. Im Mittelpunkt seiner einschlägigen Überlegungen steht eine sogenannte „Nuclear Theory“ im Hinblick auf Tropenbündel. Simons nimmt an, dass man bei den Tropen, die im Bündel ein Ding ausmachen, unterscheiden kann zwischen solchen, die zeit der gesamten Existenz des Dinges in diesem Bündel vorkommen, und jenen, die das nicht tun. Erstere bilden den sogenannten Kern oder (engl.) nucleus des Dinges und stehen zueinander in einer besonderen Weise der (wechselseitigen) Existenzabhängigkeit. Die Letzteren aber bilden die sogenannte Peripherie, Simons spricht von „peripheral tropes“. Die Abhängigkeit zwischen Kern und Peripherie ist asymmetrisch, gilt es doch, dass periphere oder, wie Simons auch sagt, „akzidentelle“ Tropen vom Kern in ihrer Existenz abhängen, wo hingegen das Umgekehrte nicht gilt. Der Kern kann von verschiedenen Peripherien umgeben werden, mit denen gemeinsam er ein Ding ausmacht. Mit diesem Ansatz kann man die Distinktion zwischen akzidentellen und wesentlichen Tropen herleiten – die Tropen des Kerns sind wesentlich, die Tropen der Peripherie aber akzidentell – ohne, und das ist für Simons entscheidend, in eine Substratum-Theorie zurückzufallen, die, wie gesagt, keine wesentlichen Eigenschaften, sprich Tropen, kennen würde. Das Anliegen dieses Abschnittes könnte ich somit auch so angeben, dass es um eine analoge Rekonstruktion der besagten Unterscheidung geht, ohne Substrata, aber natürlich auch ohne mich auf eine Tropentheorie zu verpflichten. Ich möchte m.a.W. zwischen akzidentellen und wesentlichen Modi unterscheiden, so wie ich Modi in den vorhergehenden Hauptteilen versucht habe einzuführen. (2) Bei der nunmehr anvisierten Unterscheidung greife ich zunächst auf Passagen im ersten Hauptteil zurück, die bis jetzt noch nicht in der systematischen Ausfaltung dieser Modiontologie berücksichtigt wurden. Es handelt sich um jene, in denen ich das dritte basale Faktum (BF3, vgl. I - 3.1 (3)) meiner Modiontologie schildere, dass nämlich das Zukommen von Modi zu Dingen derivativ ist. Ich erlaube mir, die dortigen Ausführungen kurz in Erinnerung zu rufen. Dass Modi in dem dort eingeführten Sinne derivativ sind, bedeutet, dass sie, die Modi, primär einen der Komponenten eines Dinges bestimmen. Aus dem Bestimmen, entweder des Material- oder des Formaspekts des Dinges, wird das Bestimmen des ganzen Dinges hergeleitet. Dinge sind also modi-bestimmt, insofern entweder ihr individueller Material- oder ihr individueller Formaspekt (das sind ja die Komponenten eines Dinges, vgl. I - 1.1.3) modi-bestimmt ist. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei angeführt, dass das nicht in Gegensatz steht zur Annahme der Priorität der komplexen Einheit von Dingen.

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Die Einheit von Dingen muss nicht hergeleitet werden, nur das Modifiziert-Sein der Dinge. In Gegensatz steht BF3 auch nicht dazu, dass man manche Prädikate primär von den ganzen Dingen aussagt, nicht von einem ihrer Komponenten. Wenn wir zum Beispiel sagen, dass dieses Ding identisch mit sich selbst ist, prädizieren wir das primär sicher nicht vom Material- oder vom Formaspekt des Dinges. Solche Prädikate aber, wie das im Beispiel angeführte, stehen eben auch nicht für Entitäten. Mit sich selbst identisch zu sein, ist kein Modus, sondern eine abundante Eigenschaft, siehe III - 2.1. Abundante Eigenschaften, so können wir verallgemeinernd sagen, sind nicht derivativ. Modi aber zu haben, wie diese Farbe oder jene Oberflächenbeschaffenheit, kommt primär einem Ding-Komponenten zu, das ist bei diesen Beispielen der individuelle Materialaspekt des Dinges. Das Material der Kugel ist rot bzw. so und so beschaffen, folglich natürlich auch ‚seine‘ Kugel. (3) Ich möchte damit meine Arbeitsthese bzgl. der Unterscheidung zwischen akzidentellen und wesentlichen Modi vorstellen. Diese besteht darin, dass genau jene Modi wesentlich sind, die primär den Formaspekt, genau jene Modi aber akzidentell, welche primär den Materialaspekt eines Dinges bestimmen und in ihrer jeweiligen Bestimmungsfunktion im Hinblick auf das ganze Ding, im Sinne von BF3, derivativ sind. Beispiele für akzidentelle Modi habe ich eben angegeben. Ich denke, es fällt nicht schwer, weitere zu finden bzw. die These zu bestätigen, dass diese Modi primär jeweils mit dem Material des Dinges zu tun haben. Farben, Größen, Gestalten und Massen sind paradigmatische Determinablen (im Sinne von II - 1.2.2 (4)) akzidenteller Modi. Einem Ding können im Verlauf seiner Geschichte verschiedene Determinanten der genannten Determinablen zukommen. Offensichtlich haben sie zunächst mit jenem Aspekt von Dingen zu tun, den wir als den individuellen Materialaspekt bezeichnet haben. Sekundär oder derivativ aber werden diese dann vom Ding ausgesagt. Der Bronzeklumpen, der die Statue ausmacht, wiegt 120 kg. (Nur) insofern er das tut, können wir auch von der Statue behaupten, sie sei 120 kg schwer. Wie steht es aber mit den Derivaten von Modi aus dem Formaspekt eines Dinges? Führen wir uns zur Beantwortung dieser Frage nochmals vor Augen, worin der Formaspekt von Dingen überhaupt besteht. Im Abschnitt I - 1.1.5 habe ich dabei unterschieden zwischen Artefakten, also künstlich hergestellten Dingen, und Lebewesen oder Organismen. Den individuellen Formaspekt der Artefakte habe ich über Nutzen, Funktion und Anordnungsprinzipien für Teile angegeben, jenen der Lebewesen aber (kurz gesagt) mit einer geschlossenen Organisationsstruktur, mit Regulationsprinzipien, sowie einem Entwicklungs-

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und Replikationsplan. Vielleicht könnte man den individuellen Formaspekt der Organismen auch kurz als Leben oder Lebensprinzip bezeichnen. Wenn wir den Formaspekt von Dingen, von Artefakten wie von Lebewesen, auf diese Weise verstehen, sollte die Annahme, dass die jeweiligen Formaspekte bzw. ihre ‚Bestandteile‘ so-und-so sind, also in eingeführtem Sinne modifiziert sind, doch eine gewisse Ausgangsplausibilität haben. Die komplexe technische Funktion eines Autos zum Beispiel ist sicherlich als so-und-so bestimmte zu verstehen. Das Gleiche gilt wohl auch für die Form oder das Leben von Lebewesen. Jedes Lebewesen etwa hat einen spezifischen Entwicklungsplan, einen Entwicklungsplan der m.a.W. so-und-so beschaffen ist. Der Entwicklungsplan ist somit modifiziert im eingeführten Sinne. Diese Ausgangsplausibilität überträgt sich auch auf die Festlegung darauf, dass diese Modifikationen der Form wesentlich für das jeweilige Ding sind, sei das Ding artifiziell oder sei es organisch. Ohne diese bestimmte Funktion wäre dieses Auto nicht dieses Auto,96 ohne diesen so-beschaffenen Entwicklungsplan dieser Organismus nicht dieser Organismus. (4) Diese Ausgangsplausibilität mag allerdings ins Wanken geraten, wenn wir uns die Frage stellen, worin genau denn nun die So-und-so-Beschaffenheit der jeweiligen Formaspekte besteht. Welche Modi genau sind hier im Spiel? Bei dieser Frage können wir uns als OntologInnen zwar noch auf die Weitergabe an EinzelwissenschaftlerInnen (bei Organismen) bzw. TechnikerInnen (bei Autos und anderen Artefakten) zurückziehen – nach dem Motto: Es ist nicht die Aufgabe der Ontologie, genaue Angaben über die Modifikationen von technischen Funktionen bzw. von Lebensabläufen zu geben. Bei einem anderen Problem geht das nicht so einfach. Dieses andere Problem besteht darin, ob es denn nicht doch so wäre, dass sich auch individuelle Formen entwickeln könnten. Kann sich nicht die technische Funktion eines Autos ändern, ohne dass das Auto seine Identität verliert? Kann sich nicht das Leben eines Lebewesens ändern? Gibt es, ontologisch gesprochen, nicht auch akzidentelle Modifikationen dessen, was wir die individuelle Form genannt haben? Dann stimmte es nicht, dass Modifikationen von Formen wesentlich sind.

|| 96 Da wir (u.a. in I - 1.1.5) die Identität von Artefakten, z.B. von Autos, als konventionell ausgewiesen haben, v.a. aufgrund der Abhängigkeit ihrer individuellen Formen von artefakte-bildenden Bewusstseinszentren (sprich Menschen), ist auch die Frage nach wesentlichen Modi unter Berücksichtigung dieses ontologischen Charakteristikums zu sehen. Um hier nicht nochmals allzu tief in die Ontologie der Artefakte abzudriften – ich habe das in Kanzian 2009, v.a. II - 1.1, bereits getan – möchte ich diesen Punkt hier allerdings ausklammern.

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Wollen wir unsere Arbeitsthese aufrechterhalten, müssen wir diese kritischen Aspekte beachten. Ich denke, dass bei einem derartigen Versuch der Begriff eines Vermögens, so wie er in vorhergehenden Abschnitten eingeführt bzw. angewendet wurde, hilfreich sein kann. Demnach ist ein Vermögen ein funktionaler Zusammenhang von verschiedenen Dispositionen, die Dingen aufgrund bestimmter Modi verliehen werden. Vermögen aber, um einen ersten wichtigen Gesichtspunkt einzubringen, sind mit der Art eines Dinges gegeben. Wenn wir wissen, welcher Art oder species (infima) Dinge angehören, wissen wir auch, welche Vermögen sie aufweisen. Schafe können wiederkäuen, Pelargonien Kohlendioxid in Stauerstoff transformieren, Autos vermögen es, Personen und Lasten zu transportieren. Dass ein Ding das ist, was es ist, drückt sich maßgeblich in seinen Vermögen aus. Da aber die Art eines Dinges seine individuelle Form unmittelbar betrifft (darin besteht auch die sortale Dependenz der Identität von Dingen, siehe I 1.1.4), kann auch das mit der Art eines Dinges Gegebene primär als zur Form gehörig aufgefasst werden. Also sind die Vermögen primär zur Form gehörig. Dass Schafe wiederkäuen, hat primär mit ihrer Form zu tun, mit ihrem Leben, nicht mit ihren materiellen Bestandteilen als solchen.97 Dass dem so ist, dass also Vermögen Dispositionsgefüge sind, die primär Formen zukommen, zeigt sich auch daran, dass sich bestimmte Form-Aspekte angeben lassen, mit denen die jeweiligen Vermögen verbunden sind. Stoffwechsel z.B. beruht auf bestimmten Regulationsprinzipien. Im artifiziellen Bereich gehört, um beim Beispiel zu bleiben, das Vermögen, Lasten und Personen zu transportieren, zu bestimmten artspezifischen technischen Funktionen, welche Nutzenserwägungen in entsprechende Anordnungsprinzipien von Teilen übersetzen. Auch das Umgekehrte legt sich nahe: Sämtliche Modifikationen von Formen bzw. Form-Aspekten drücken sich in Vermögen aus. Das So-undso-Sein der technischen Funktion eines Autos liegt spezifischen Vermögen zu-

|| 97 Die beispielhafte Angabe artifizieller Vermögen bzw. Vermögen organischer Substanzen legt die Frage nahe nach spezifisch menschlich-personalen Vermögen. Auch damit habe ich mich in meiner Ding – Substanz – Person-Monographie ausführlich beschäftigt, v.a. unter der Rücksicht Selbstbewusstsein als personen-kennzeichnendes Kernvermögen, vgl. Hauptteil III. Das Aufgreifen dieses Themas erforderte die zumindest ansatzweise Erläuterung dessen, was man als spezifisch personale bzw. menschlich-personale Form versteht. Ich unterlasse das, weil das diesen Rahmen sprengen würde und ich dazu auch nichts substantiell Neues zu sagen habe.

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grunde, ebenso wie die Modifikation von Regulationsprinzipien typischen Vermögen von Lebewesen, etwa zum Stoffwechsel. Sind aber Vermögen mit der Art eines Dinges gegeben und gehören deshalb zu seiner individuellen Form, kann kein Ding Vermögen verlieren, ohne das Ding zu sein, das es ist. Die Identität jeden Dinges hängt nämlich von dieser seiner (so-beschaffenen) art-dependenten individuellen Form ab. Vermögen sind dem Ding somit wesentlich. Unter Berücksichtigung dieser auf Vermögen abzielenden Überlegungen können wir unsere einschlägige Arbeitsthese nun auch so formulieren, dass wesentliche Modi solche sind, die dem Ding jene Dispositionen verleihen, die im Verbund Vermögen ausmachen, die für das Ding seiner Art spezifisch sind. Jene Vermögen aber, die hier gemeint sind, gehören zur Form eines Dinges. Also auch die wesentlichen Modi. 98 Damit haben wir das terminologische Rüstzeug, um dem Einwand von der „Entwicklung“ individueller Formen zu erwidern: Vermögen bleiben als solche stets dieselben. Weil Vermögen aber Dispositionsgefüge sind, können sie ausgeübt, sprich (teilweise oder vollständig) manifestiert werden oder auch nicht. Da sie Dispositionsgefüge sind, können sie in ihrer Manifestation bestimmte Unterschiede aufweisen, je nachdem, welche Dispositionen in dem Gefüge, das sie ausmacht, nun realisiert sind und welche nicht. Das aber kann sich im Verlauf der Geschichte eines Dinges bzw. eines Lebewesens ändern. So kann man die Dynamik verstehen, die alle Lebewesen in ihrer lebens- oder form-spezifischen Entwicklung auszeichnet. Das heißt aber nicht, dass sich die Form ändern, sprich unterschiedliche Vermögen aufweisen würde. Es bleibt dabei: Vermögenverleihende Modi, das sind Modi der individuellen Form, sind nicht akzidentell, sondern wesentlich. (5) Vermögen gehören also zur Form, somit auch jene Modi, welche sie ausmachen (bzw. exakt gesprochen: jene Modi, welche Dingen die Dispositionen verleihen, welche Vermögen ausmachen). Insofern die Form das Identitätsprinzip eines Dinges ist, also ein Ding zu dem Individuum macht, das es ist, gehören die

|| 98 Müsste nicht noch gezeigt werden, dass es tatsächlich nichts „Wesentliches“, also keine wesentlichen Modi gibt, die nicht einem Vermögen zugrunde liegen? Ich erlaube mir, die Möglichkeit von ‚freien‘, d.h. nicht vermögens-gebundenen wesentlichen Modi als ontologische Spitzfindigkeit abzutun und vermute, dass der Gedanke daran auf der Verwechslung von Modi mit irgendwelchen abundanten Eigenschaften beruht.

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form-bestimmenden Modi zur Identität eines Dinges.99 Sie sind m.a.W. dem Ding wesentlich. Auch gegen die so ausformulierte These lassen sich sicherlich Einwände vorbringen. Ein besonders nahe liegender und in der Sache weiterführender Einwand scheint mir zu sein, dass jedes Vermögen, z.B. eines Organismus, auch mit körperlichen Abläufen verbunden ist. Unser Sehvermögen z.B. hat damit zu tun, dass gewisse körperliche Organe so sind, wie sie sind, dass wir etwa diese Augen, diese Sehnerven etc. haben, die auf entsprechende Weise funktionieren. Augen und Sehnerven gehören aber, wenn man so will, zum individuellen Materialaspekt eines Dinges. Wie soll man dann aber verstehen, dass – wie ich behaupte – Vermögen, bzw. jene wesentlichen Modi, die ihnen zugrundeliegen, zur Form gehören? Ich würde auch diesen Einwand unter Verweis auf die Distinktion zwischen einem Vermögen selbst und seiner Ausübung zu entkräften versuchen. Die Ausübung des Sehvermögens hat natürlich mit der Beschaffenheit unseres Körpers bzw. mancher seiner Organe zu tun. Somit hat die Ausübung oder Manifestation dieses Vermögens auch mit Modi zu tun, die primär den individuellen Materialaspekt bestimmen. Das Vermögen selbst oder als solches ist allerdings auch dann gegeben, wenn die entsprechenden körperlichen Voraussetzungen seiner Ausübung nicht gewährleistet sind. Es gehört zur individuellen Form oder zur Natur eines Lebewesens. Dabei wird eine ontologische Konnotation des Begriffs eines Vermögens angenommen, welche sich nicht auf biologische oder medizinische Zusammenhänge beschränken lässt. Auch blinde Menschen haben so gesehen Sehvermögen, selbst dann, wenn es aus medizinischer Sicht unmöglich ist, dass dieses Vermögen jemals ausgeübt wird. Vielleicht könnte man den Begriff einer Fähigkeit oder einer aktiven Fähigkeit von diesem Begriff eines Vermögens unterscheiden. Aktiv sehfähig sind nur Lebewesen, bei denen auch die körperlichen oder akzidentellen Voraussetzungen für die Ausübung des Sehvermögens gegeben sind. Auch den Begriff einer Privation oder eines Mangels könnte man an dieser Stelle verorten. Eine Privation, etwa Blindheit, liegt dann vor, wenn ein Lebewesen nicht fähig ist, ein Vermögen auszuüben. Regenwürmer, um den

|| 99 Dass formbestimmende Modi zur Identität eines Dinges gehören, macht, m.E. schon von vornherein, jenen Einwand obsolet, der darauf abzielt, dass die Annahme wesentlicher Modi die Unabhängigkeit in der Existenz von Dingen bzw. Substanzen bedrohe (Lowe 1998, 142, deutet einen solchen an). Ein solcher Einwand setzte dann nämlich voraus, dass etwas von zu seiner Identität Gehörigem abhängig sein könne, was letztlich auf eine reflexive Existenzabhängigkeit hinausliefe. Eine solche anzunehmen, ist aber unsinnig.

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Kontrast hervorzuheben, haben kein Sehvermögen. Es gehört nicht zu ihrer Natur oder ihrer Form zu sehen. Somit liegt ihrer Unfähigkeit zu sehen auch kein Mangel oder keine Privation zugrunde. Formbestimmungen, wie wesentliche Modi, bzw. jene Dispositionen, die sie derivativ den Dingen verleihen, sind in ihrer Manifestation auch auf Materialbestimmungen angewiesen. Dies setzt eine Einheit des gesamten Dinges bzw. Lebewesens voraus, die grundlegend sein muss, um dieses funktionale Miteinander zu gewährleisten. Wären Form und Material primär, die Einheit des Dinges aber sekundär, bedürfte es zuvor einer Erläuterung der Einheit, um das funktionale Miteinander von Material- und Formbestimmungen zu erklären. Die Annahme einer primären Einheit des komplexen Dinges sollte freilich aus dem Kontext der hier versuchten Dingontologie gedeckt sein. Dies sei nur erwähnt um anzudeuten, dass man an dieser Stelle sehr grundlegende ontologische Diskussionen führen könnte. Aus Darstellungsgründen möchte ich mir dies jedoch versagen und lieber den bescheidenen Bogen dieses Abschnittes schließen. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, die Distinktion zwischen akzidentellen und wesentlichen Eigenschaften modiontologisch zu rekonstruieren, ohne sich auf reine Substrata bzw. auf Tropen zu verpflichten. Somit habe ich einen Vorschlag zur Unterscheidung zwischen akzidentellen und wesentlichen Modi gemacht. Dieser Vorschlag ist nicht tropen-theoretisch. Wesentliche Modi bauen das Wesen oder die individuelle Form, bei Simons nucleus genannt, nicht auf. Wesentliche Modi bestimmen individuelle Formen, folglich oder derivativ auch Dinge. Die vorgeschlagene Theorie steht aber auch der Annahme von reinen Substrata entgegen. Dinge haben kein selbst unbestimmtes oder reines Trägerwesen. Dinge sind Komposita aus individueller Form und individuellem Material, für die es jeweils basal (durchaus im Sinne von BF1) ist, bestimmt oder modifiziert zu sein. Ein reines Substratum wäre, vor dem Hintergrund dieser Theorie, eine Abstraktion, ohne ontologische Relevanz. Ich möchte mit dieser Zusammenfassung den Abschnitt III - 5 beenden und mich dem nächsten prominenten Thema im Kontext des Eigenschafts-Feldes zuwenden.

6 Intrinsisch/Extrinsisch (1) Der sachliche Gehalt der in der Überschrift angesprochenen Unterscheidung überlappt sich teilweise mit jenem aus Theorieteilen, die bereits in vorhergehenden Abschnitten abgehandelt wurden, etwa im Kapitel über die sogenannten abundanten Eigenschaften. Dies wird besonders deutlich bei David Lewis, an dem wir die einschlägigen Überlegungen einführen und uns auch im Verlauf orientieren können. Lewis’ Ausführungen zum Thema können wir dort aufgreifen, wo er versucht, eine erste begriffliche Schneise zu schlagen, hin zu einer Differenzierung zwischen intrinsischen und extrinsischen Eigenschaften. So schreibt er: „We distinguish intrinsic properties, which things have in virtue of the way they themselves are, from extrinsic properties, which they have in virtue of their relations or lack of relations to other things.“100 Wenn wir zuerst die extrinsischen ins Auge fassen, so fällt auf, dass diese – so wie Lewis sie hier einführt – sehr an jene Eigenschaften erinnern, die wir zunächst unter den abundanten abgehandelt haben, in den diversen Varianten. (Darin besteht auch die eben angesprochene Überlappung mit bereits dargelegten Theorieteilen.) Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn wir bei Lewis weiterlesen. Dann merken wir nämlich, dass seine Distinktion zwischen intrinsisch und extrinsisch durchaus unter dem Vorzeichen des Versuches zu verstehen ist, eine Gruppe von Eigenschaften besonders hervorzuheben, nämlich die intrinsischen, und zwar aus dem unüberschaubaren und systematisch nicht zu fassenden Wust abundanter Eigenschaften. Bei der Definition intrinsischer Eigenschaften setzt Lewis an bei dem, was er die Natürlichkeit von Eigenschaften nennt. Ohne sich darauf festzulegen, dass alle intrinsischen Eigenschaften natürlich seien – daran hindern ihn Bedenken bzgl. mancher disjunkter Eigenschaften –, meint er doch, alle natürlichen Eigenschaften über ihre Intrinsität charakterisieren zu können. Hätte jemand freilich keine Skrupel im Umgang mit disjunkten Eigenschaften, wie sich das nach Abschnitt III - 2.2 (2) nahelegt, könnte sie/er nicht nur Natürlichkeit über Intrinsität, sondern auch umkehrt Intrinsität über Natürlichkeit verstehen. Schön und gut, aber was bedeutet „Natürlichkeit“? Darüber gibt Lewis Auskunft, indem er natürliche Eigenschaften als solche ausweist, die kausal und im Hinblick auf Ähnlichkeit relevant sind. Das Zukommen natürlicher Eigenschaf-

|| 100 Lewis 1986, 61. [Hervorhebung Lewis]

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ten ist relevant für die kausale Rolle oder kausale Funktion ihrer Träger.101 Und natürliche Eigenschaften sind maßgeblich für die qualitative Übereinstimmung oder Gleichheit bzw. Verschiedenheit jener Dinge, denen sie zukommen. Den zuletzt genannten Aspekt bringt Lewis auch dadurch zur Geltung, dass er den Begriff eines Duplikats über natürliche Eigenschaften einführt. Duplikate sind Dinge, die exakt dieselben natürlichen Eigenschaften aufweisen.102 So gesehen können wir intrinsische Eigenschaften (etwas frei) nach Lewis als jene natürlichen Eigenschaften verstehen, die maßgeblich für die kausale Funktion ihrer Dinge und relevant für die Ähnlichkeitsbeziehungen sind, in denen Dinge stehen. Da die Distinktion zwischen intrinsisch und extrinsisch bei Lewis als eine exhaustive aufzufassen ist, es somit keine Eigenschaft gibt, die nicht entweder intrinsisch oder extrinsisch ist, können wir mit ihm „extrinsisch“ über das Gegenteil von „intrinsisch“ einführen: Extrinsisch sind die nicht-natürlichen Eigenschaften. Das sind jene Eigenschaften, die irrelevant sind für die kausale Funktion ihrer Träger bzw. für deren Stehen in Ähnlichkeitsbeziehungen. Ohne ins Detail gehen zu können, möchte ich kurz drei, für unseren Kontext relevante Erläuterungen der Lewis’schen Theorie anführen. Erstens muss man berücksichtigen, dass Lewis die Unterscheidung zwischen natürlichen und nicht-natürlichen Eigenschaften ergänzt. So spricht Lewis auch von „nicht perfekt natürlichen Eigenschaften“ (engl.: less-than-perfectly natural properties).103 Die Definition von intrinsischen Eigenschaften besteht demnach genau genommen darin, dass sie perfekt natürlich sind, die der extrinsischen aber darin, nicht perfekt natürlich zu sein. Wenn man sich an den Beispielen für nicht perfekt natürliche Eigenschaften orientiert, sieht man allerdings, dass Lewis durch sie keine dritte Gruppe, neben den nicht natürlichen Eigenschaften und den perfekt natürlichen Eigenschaften, einführen möchte. Die nicht perfekt natürlichen Eigenschaften sind vielmehr als nicht vollständig determinierte Eigenschaften oder Determinablen zu verstehen bzw. als Zusammenfügungen aus verschiedenen Determinablen. „Aus Metall zu sein“, ein Beispiel bei Lewis, umfasst mehrere mögliche Determinanten, vermutlich verschiedener Determinablen. Ich denke jedenfalls, wir können die Lewis’schen Intuitionen im Hinblick auf diese ‚Mischart‘ von Eigenschaften unter Verweis auf II - 1.2.2 (4),

|| 101 Vgl. v.a. Lewis 1997, 192. 102 Vgl. Lewis 1986, 61. Dort finden sich noch weitere Definitionsklauseln für Duplikate, die hier allerdings nicht relevant sind. 103 Lewis 1997, 192f.

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wo ich das Thema Modi-Arten, Stichwort Determinanten/Determinablen, behandelt habe, rekonstruieren – ohne, und daran möchte ich festhalten, die Unterscheidung zwischen natürlich und nicht-natürlich, folglich zwischen intrinsisch und extrinsisch, als nicht-exhaustive bzw. als graduelle verstehen zu müssen. Eine weitere Erläuterung ist methodisch bzw. metatheoretisch wichtig, auch für die hier vorgebrachten Überlegungen. Lewis räumt nämlich ausdrücklich den Verdacht ein, dass Analysen von „natürlich“, etwa über den Beitrag der durch sie bezeichneten Eigenschaften für die Ähnlichkeit von Dingen, nicht vorgenommen werden können, ohne die Distinktion von natürlich und nichtnatürlich eigentlich bereits vorauszusetzen. Was sind denn ähnliche Dinge, wenn nicht solche, die in ihren natürlichen Eigenschaften übereinstimmen? Lewis meint aber, dass diese Zirkularität keinen Grund darstellt, die Distinktion zwischen natürlichen und nicht-natürlichen Eigenschaften als solche über Bord zu werfen „…Rather, that is a reason to accept it – as primitive, if need be.“104 Lewis meint also, dass besagte Unterscheidungen als so grundlegend anzusehen sind, dass ihre Analyse letztlich nicht weiterbringt. Das heißt nicht, dass die Distinktion nicht verteidigt werden könnte, etwa auf indirektem Wege: Würde sie wegfallen, hätten wir keine Handhabe, die intrinsischen von den extrinsischen, somit die nicht-abundanten von den abundanten Eigenschaften abzugrenzen. Das würde die Preisgabe einer systematischen Ontologie von Eigenschaften bedeuten. Eine dritte Bemerkung ist als Erinnerung an Lewis’ grundlegende Einstellung zu Eigenschaften gedacht. Für Lewis sind Eigenschaften keine Modi, wie das hier anvisiert wird, sondern letztlich Klassen oder Mengen von bestimmten Dingen. Die Distinktion zwischen intrinsischen und extrinsischen Eigenschaften ist dementsprechend zu verstehen. Damit kann ich überleiten zu einer Autorin, die neuerdings zu der nunmehr zu beackernden Parzelle des Eigenschafts-Themenfeldes gearbeitet hat, Vera Hoffmann-Kolss. Sie bewegt sich im Kontext der Lewis’schen Voraussetzungen, insbesondere der gerade erwähnten, versucht allerdings unsere Dinstinktion von der anderen Seite, von den extrinsischen Eigenschaften her, anzugehen. Als intuitive Basis unserer Distinktion gibt Hoffmann-Kolss in ihrem Buch The Metaphysics of Extrinsic Properties105 an, dass wir meinen, manche Eigenschaf-

|| 104 Lewis 1986, 63. 105 Hier: Hoffmann-Kolss 2010. In diesem Buch gibt es auch umfassende Literaturverweise zum Thema.

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ten kommen ihren Trägern unabhängig von ihrer Umgebung zu, andere aber nur unter bestimmten Umständen.106 Dementsprechend formuliert die Autorin erste und vorläufige Definitionen von intrinsisch und extrinsisch, die da lauten: „A property P is intrinsic iff the instantiation of P by an individual x is independent of the features of the environment of x; otherwise, P is extrinsic.“107 Diese erste intuitive Annäherung wird dann weiter ausgebaut zu einer Theorie extrinsischer Eigenschaften, welche v.a. das In-Bezug-Setzen eines Trägers zu dem Träger verschiedenen Individuen maßgeblich erachtet. Nach einem solchen relationalen Zugang (engl.: relational account) besteht die Extrinsizität einer Eigenschaft genau darin, dass das Zukommen dieser Eigenschaft deren Träger in Beziehung setzt zu etwas dem Träger Verschiedenem.108 Intrinsisch wären dann alle jene Eigenschaften, für die das nicht gilt. Die Lewis’schen Voraussetzungen, von denen ich eben gesprochen habe, kommen dort zum Tragen, wo Hoffmann-Kolss bekundet, dass jene Entitäten, auf welche ihre Unterscheidung von intrinsisch und extrinsisch zutrifft, Mengen von Individuen (engl.: sets of individuals) seien,109 außerdem wohl auch darin, dass die von ihr als extrinsisch aufzufassenden Eigenschaften durchaus zu den abundanten zu zählen sind. Ohne jetzt die Ausführungen von Hoffmann-Kolss näher darstellen, gar in Bezug zu Lewis setzen oder inhaltlich diskutieren zu können, möchte ich festhalten, dass ihre Bestimmung von intrinsischen als nicht-relationalen Eigenschaften, in Zusammenschau mit der Lewis’schen Auffassung von intrinsischen als perfekt natürlichen Eigenschaften, eine Ausgangsbasis sein kann für eine modiontologische Rekonstruktion der Intrinsisch-Extrinsisch-Distinktion. Diese möchte ich nunmehr angehen. (2) Bei einem Versuch der modiontologischen Rekonstruktion möchte ich mich auf die Ausführungen über die abundanten und uneigentlichen Eigenschaften in diesem Hauptteil stützen. Und zwar unter der Rücksicht, dass die dort eingeführte Unterscheidung zwischen Modi und abundanten bzw. uneigentlichen Eigenschaften nach Kriterien geschieht, nach denen man unter Heranziehung einer Lewis’schen Ausgangsbasis auch zwischen intrinsischen und extrinsischen Eigenschaften unterscheiden kann.

|| 106 Ebd., 7. 107 Ebd., 11. 108 Die entsprechenden finalen Definitionen finden sich ebd., 94 bzw. 96. 109 Vgl. ebd., 19. Hier gibt die Autorin auch zu verstehen, dass sie diese These im Hinblick auf die für sie relevante Unterscheidung pragmatisch vertritt.

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Um meine These prägnant einzuführen: Lewis’ intrinsische oder perfekt natürliche Eigenschaften sind Modi, und alle Modi sind intrinsische oder perfekt natürliche Eigenschaften; extrinsische Eigenschaften aber sind abundant bzw. uneigentlich.110 In Anwendung der bislang entwickelten Terminologie ist es somit konsequent, die Intrinsisch-Extrinsisch-Distinktion so zu verstehen, dass sie äquivalent ist mit jener zwischen Modi auf der einen Seite und abundanten bzw. uneigentlichen Eigenschaften auf der anderen Seite. Die Aussage, dass Modi intrinsisch seien, ist demnach genau genommen keine informative, sondern eine analytische. Die Erläuterung dieser These kann im Aufgreifen von bereits Gesagtem geschehen. Ich möchte dies an dieser Stelle deshalb (möglichst) kurz halten. Im Abschnitt III - 1 (4) habe ich die Frage erörtert, für welche Prädikate es zutrifft, dass ihnen korrespondierende Entitäten jenen Objekten zukommen, von denen die Prädikate ausgesagt werden. Die Antwort war, dass es genau jene Prädikate sind, welche für Modi stehen. Diese Antwort aber beruht auf klaren Kriterien: dass a) es nämlich genau jene Prädikate sind, die etwas über die kausale Rolle jener Dinge aussagen, von denen sie gelten, und b), dass das Unter-siegemeinsam-Fallen von Dingen Aufschluss darüber gibt, dass es sich bei den Dingen um ähnliche handelt. Jene Prädikate, welche etwas über die kausale Rolle von Dingen aussagen, und, um mit Lewis zu sprechen, „whose sharing makes for resemblance“111, sind aber Ausdrücke für Modi. Wenn es nun gute Gründe dafür gibt, dass jene ‚Modi-Kriterien‘ Kriterien für Intrinsität sind, sprechen diese Gründe eben für die eben eingeführte These, dass Modi und intrinsische Eigenschaften dasselbe sind. Folgen wir Lewis unter der hier relevanten Rücksicht, liegen diese guten Gründe aber vor. Nach unserer These dürfte es somit keinen Modus geben, der nicht perfekt natürlich im Lewis’schen Sinne, somit nicht intrinsisch ist; freilich auch keine nicht perfekt natürliche Eigenschaft, die kein Modus ist. Es darf nichts geben, das die kausale Rolle eines Dinges beeinflusst und kein Modus ist, bzw. Ähnlichkeit ausmacht und kein Modus ist. Freilich darf auch auf keinen Modus eines von beiden nicht zutreffen. Auf den ersten Blick betrachtet, stellen sich eine Reihe von Gegenbeispielen ein. Dabei lassen sich drei Gruppen solcher augenscheinlicher Fälle unterschei-

|| 110 In der neuesten Literatur hat u.a. Ford 2012 diese These vertreten, pointiert u.a. ebd., 198: „all genuine properties are intrinsic“; vgl. auch ebd. 200f, wo Shoemaker als weiterer Vertreter genannt wird. 111 Lewis 1997, 192.

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den. Da sind zunächst Eigenschaften, die klar Abundanzkriterien genügen bzw. ebenso klar Modi-Kriterien verfehlen und dennoch ihrem Träger gewisse kausale Rollen und auch Ähnlichkeitsrelevantes zu verleihen scheinen. Im Abschnitt III - 2.1 (4) habe ich mich mit derartigen Beispielen auseinandergesetzt, etwa dem Kleiner-Sein als Frau Y von Herrn X, das markante Wirkungen zu erzeugen scheint bzw. Herrn X in Ähnlichkeit mit vielen/m anderen/m setzt. In demselben Abschnitt habe ich allerdings auch versucht, klar zu machen, dass die tatsächlichen Verleiher kausaler Rollen bzw. von Ähnlichkeit auf unzweifelhaft modiartige Entitäten, wie die Größen von Frau Y und Herrn X, zurückgeführt werden können. Ohne diese Beispiele hier aufgreifen zu wollen, würde ich doch Folgendes als eine allgemeine Strategie vorschlagen: Im Falle des vermeintlich kausale Rolle- bzw. Ähnlichkeit-Verleihens von abundanten Eigenschaften, werfen wir einen genaueren Blick auf die Beispiele und fragen wir uns, ob es nicht faktisch Modi sind, die hier ausschließlich ins Spiel kommen. Im Hinblick auf die nunmehr relevante Distinktion können wir auch sagen: Wenn wir die Dinge genau betrachten, sind es keine abundanten Eigenschaften, welche ihnen kausale Rollen bzw. Ähnlichkeit verleihen, sondern ausschließlich Modi. Also sind es ausschließlich Modi, welche die Lewis’schen Kriterien für intrinsische Eigenschaften erfüllen. Eine zweite Gruppe von Problemfällen kann sich aus David Lewisʼ Beispielen von natürlichen, jedoch nicht perfekt natürlichen Eigenschaften ergeben. So hat beispielsweise „aus Metall zu sein“ Auswirkungen auf die kausale Rolle und auch auf die Ähnlichkeiten des Trägers. Aus Metall zu sein aber ist kein Modus. Im vorhergehenden Abschnitt habe ich mich bemüht zu zeigen, dass derartige Eigenschaften nicht die Vollständigkeit der Distinktion zwischen intrinsischen und extrinsischen beeinträchtigen, und zwar deshalb nicht, weil es sich dabei nicht um Determinanten, sondern um Determinablen bzw. um Zusammenfügungen von verschiedenen Determinablen handelt. Dass sie aber der exklusiven Rolle von Modi beim Verleihen von kausalen Rollen bzw. von Ähnlichkeit, folglich bei den Intrinsizitätskriterien, nicht entgegenstehen, muss noch dargelegt werden. Ich würde hier dabei ansetzen, dass, um beim Beispiel zu bleiben, „aus Metall zu sein“ oder „… ist metallisch“ Aussagen sind, durch die zunächst ein allgemeiner oder eben determinabler Aspekt des Materials eines Dinges behauptet wird. Aufgrund dieser Allgemeinheit bleibt aber die konkrete Beschaffenheit offen. Diese kann bestimmt werden, und zwar (nur) durch Angabe konkreter Wie-Aspekte. Wie sind Materialen, die metallisch sind? Antworten auf solche Wie-Fragen aber sind (nur) durch Modi anzugeben (deren Aufweis freilich im

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Beispielfall nicht Aufgabe der Ontologin, sondern des Metallurgen ist). (Nur) diese Modi aber sind es dann auch, die – derivativ im Sinne von BF3 – dem (ganzen) Ding bestimmte kausale Funktionen verleihen, bzw. die dafür maßgeblich sind, dass das Ding in gewissen Ähnlichkeitsbeziehungen steht. Ich denke, dass wir dabei bleiben können, das Verhältnis dieser Modi zur Qualifikation „metallisch“ im Sinne des Verhältnisses Determinanten/Determinablen zu interpretieren. Davon hängt aber letztlich, unter der jetzt relevanten Rücksicht, nicht zu viel ab. Entscheidend ist es, dass dieses Beispiel, stellvertretend für die Problemfälle der zweiten gemeinten Gruppe, letztlich keinen Einwand gegen die These eröffnet, dass nur Modi die Merkmale von intrinsischen Eigenschaften aufweisen, nämlich, ich wiederhole mich, Ähnlichkeits- und kausale Relevanz zu verleihen. M.a.W., was kausal- und ähnlichkeitsrelevant ist, wenn ich von einem Ding nicht perfekt natürliche Eigenschaften, wie z.B. metallisch zu sein, aussage, ist nicht das Metallisch-Sein per se. Es sind vielmehr jene Modi oder internen Eigenschaften, welche das Metallisch-Sein in dem, wie es ist, maximal determinieren oder bestimmen. Ich möchte noch eine dritte Gruppe von Problemfällen ansprechen. Diese beziehen sich auf den von Hoffmann-Kolls in den Blick genommenen nichtrelationalen Aspekt intrinsischer Eigenschaften. Sind Modi intrinsische Eigenschaften, intrinsische Eigenschaften aber nicht relational, darf es keine Modi geben, die relational sind, das heißt Dinge in Beziehungen setzen zu anderem, beispielsweise zu anderen Dingen. Es scheint aber Eigenschaften zu geben, die Dinge in Beziehung setzen zu anderen/m. Sind das allesamt keine Modi? Die These, die ich diesbezüglich vertreten möchte ist tatsächlich, dass alle relationalen Eigenschaften extrinsisch sind, extrinsische Eigenschaften aber zu den Abundantia, nicht zu den Modi, gehören. In diesem Sinne nehme ich die angesprochene dritte mögliche Problemgruppe zum Anlass, überzuleiten zu einer modiontologischen Rekonstruktion extrinsischer Eigenschaften. Damit soll letztlich auch „intrinsisch“ weiter erläutert bzw. die angesprochene mögliche Einwandgruppe erörtert werden. (3) Nach der hier (nach Hoffmann-Kolls und Lewis) angenommenen Interpretation sind extrinsische Eigenschaften solche, die ihre Träger in Bezug setzen zu von den Trägern verschiedenen Gegebenheiten. Extrinsische Eigenschaften setzen jedenfalls in Beziehung. Das sei hier als definierendes Merkmal angenommen.112 Demnach, und das soll der Leitfaden der hier versuchten Interpreta|| 112 Warum das In-Beziehung-Setzen eines x zu einem von x verschiedenen y nicht in die Definition von „extrinsisch“ eingeht, wird in einem der nächsten Absätze erläutert. Insofern Lewis

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tion sein, können wir extrinsische Eigenschaften in Anwendung der versuchten Auffassung bzgl. Relationen verstehen und auch differenzierend betrachten. Als eine erste Gruppe von Relationen haben wir im Abschnitt III - 4, unter Verweis auf Abschnitt II - 2.2.1, die sogenannten dünnen angenommen. Dünne Beziehungen sind intern, das heißt, dass das Vorkommen bestimmter Relata hinreichend, natürlich auch notwendig dafür ist, dass diese Beziehungen bestehen. Dünne Beziehungen heben sich von den anderen, nicht-dünnen internen Beziehungen dadurch ab, dass sie aus nebensächlichen oder akzidentellen Aspekten dieser Relata abgeleitet sind. Die Größer-Kleiner-Beziehung, wie sie zwischen Dingen besteht, wurde als Beispiel angeführt. Gemäß diesem ‚Genus‘ von Beziehungen können wir nun auch ein solches von extrinsischen Eigenschaften annehmen. Wir können dieses Genus auch das der dünnen extrinsischen Eigenschaften nennen. Anhand des gegebenen Beispiels fällt eine Umlegung nicht schwer. Dass x kleiner ist als y, ist eine Eigenschaft von x. Es ist eine Eigenschaft, die darin besteht, x in Beziehung zu y zu setzen, und zwar in die Größer-Kleiner-Beziehung. Genauso können wir auch von y aussagen, es habe die Eigenschaft, größer als x zu sein. Auch diese Eigenschaft setzt in Beziehung, und zwar y zu x. Beide angeführten Eigenschaften erfüllen offensichtlich das angenommene Merkmal extrinsischer Eigenschaften. Wenn wir dünne Beziehungen aber (begründetermaßen, siehe III - 4 (2)) als „no additions to reality“ (Lowe) betrachten, so konsequenterweise auch jene Eigenschaften, die Trägern zukommen, insofern sie in diesen Beziehungen stehen. Diese als extrinsisch zu verstehenden dünnen Eigenschaften sind also abundant. Die Prädikate „ist kleiner als“ bzw. „ist größer als“ stehen nicht für Entitäten, die etwas oder jemandem, x bzw. y, zukämen. Entitäten sind x und y und die nicht gleichen Modi, durch die x und y bestimmt sind. Ich greife eine, dem/der LeserIn bereits bekannte Formulierung auf: Wenn das Prädikat, kleiner bzw. größer zu sein als etwas anderes, von einem x bzw. von einem y ausgesagt wird, geschieht das nicht dadurch, dass damit eine Eigenschafts-Entität designiert würde, die x bzw. y zukäme. Es wird vielmehr behauptet, dass x einen bestimmten Größen-Modus hat, y einen anderen und dass sich die besagten Modi unterscheiden. Eine weitere Gruppe von Relationen sind die internen formalen, jene, auf die eben als nicht-dünne interne Relationen Bezug genommen wurde. Nehmen wir als Beispiel die Beziehung der Bestimmtheit, wie sie zwischen einem Modus und || und Hoffmann-Kolss dies für ihre Definitionen benötigen, stehen sie der hier versuchten Theorie entgegen.

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einem Ding besteht. Für die Bestimmtheit lassen sich, in Analogie zum eben Gesagten, entsprechende Eigenschaften angeben, die ich formale nennen möchte. Durch F bestimmt sein, ist eine Eigenschaft, von der man gut und gern behaupten kann, dass sie einem x zukommt. Natürlich auch umgekehrt. Es ist auch eine Eigenschaft von F, x zu bestimmen. Beide angeführten Eigenschaften erfüllen offensichtlich das angenommene Merkmal extrinsischer Eigenschaften. Sie setzen x in Beziehung zu F bzw. F in Beziehung zu x. Wenn wir, ebenso wie die dünnen, so auch die formalen Beziehungen aber als ‚Nicht-Entitäten‘ betrachten, so konsequenterweise auch jene Eigenschaften, die Trägern zukommen, insofern sie in diesen Beziehungen stehen. Diese extrinsischen formalen Eigenschaften sind folglich ebenso abundant wie die dünnen. Die Prädikate „wird bestimmt durch F“ bzw. „bestimmt x“ stehen nicht für Entitäten, die etwas oder jemandem, x bzw. y, zukämen. Entitäten sind, um beim Beispiel zu bleiben, das Bestimmte und das Bestimmende, x und F. Ergänzend sei auf einen Spezialfall formaler Beziehungen hingewiesen, nämlich die reflexiven, z.B. die Identität. Durch das Stehen in der IdentitätsBeziehung wird ein x in Beziehung gesetzt, jedoch nicht zu etwas von x Verschiedenem. Lässt man zu, dass auch Gleichheit oder qualitative Identität nicht irreflexiv ist, gilt dabei Analoges. Nimmt man nun an, dass es formale Eigenschaften gibt, die sich aus dem Stehen in reflexiven formalen Beziehungen ergeben, folgt, dass das definierende Merkmal extrinsischer Eigenschaften, nämlich in Beziehung zu setzen, mitunter auch ein in Beziehung Setzen zu sich selbst sein kann.113 Als eine dritte Gruppe von Relationen haben wir die epiphänomenalen angenommen. Sie heben sich insgesamt von den internen Beziehungen ab, unter der Rücksicht, dass sie als Konstitutionsprodukte eingeführt wurden. Auch bzgl. jener Eigenschaften, die einem Träger zukommen, insofern dieser in solchen epiphänomenalen Beziehungen steht, haben wir Unterscheidungen getroffen. Es sind nicht abundante, sondern uneigentliche Eigenschaften, die man wiederum aufgliedern kann in räumliche, zeitliche und kausale. Uneigentliche Eigenschaften, so wie sie im Abschnitt III - 3 (1) definiert wurden, nämlich u.a. als „den Bezug zu gewissen Objekten in spezifischer Weise

|| 113 Das ist die in der vorherigen Fußnote angekündigte Erläuterung. Der Weg, z.B. mit sich selbst identisch zu sein, als nicht-extrinsische Eigenschaft aufzufassen, ist nicht gangbar. Dazu müsste man diese Eigenschaft entweder als intrinsische verstehen – das hieße, sie zu einem Modus zu machen – oder sie zum Anlass nehmen, ein Drittes anzunehmen, neben intrinsischen und extrinsischen Eigenschaften.

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voraussetzend“, können nun – quasi per definitionem – als extrinsisch angenommen werden. Es kann nämlich nicht sein, dass eine Eigenschaft, die „den Bezug zu gewissen Objekten voraussetzt“, einem Träger zukommt, ohne diesen Träger eben in Beziehung zu setzen, wie es extrinsischen Eigenschaften eigen ist. Das lässt sich anhand eines der bereits gegebenen Beispiele illustrieren. Die räumliche Eigenschaft eines x, einen Meter neben einem y zu stehen, ist eine räumliche Position, die in einem bestimmten Verhältnis besteht. Der Bezug zu einem (dreidimensionalen) Ding, in unserem Fall y, ist (für ein räumliches Epiphänomen) aber vorausgesetzt. Es kann nun nicht sein, dass x die Eigenschaft hat, einen Meter neben y zu stehen, ohne – im Sinne auch der Definition extrinsischer Eigenschaften – in Bezug zu y gesetzt zu werden. Analoges ließe sich auch bzgl. zeitlicher und kausaler Eigenschaften ausführen. Der springende Punkt: Uneigentliche Eigenschaften sind extrinsisch. Es gibt also, zusätzlich zu den aus den internen Beziehungen hergeleiteten dünnen und formalen extrinsischen Eigenschaften auch noch die epiphänomenalen. Die Letzteren sind zwar nicht als abundant, jedoch auch nicht als (Entitäten der Kategorie) Modi zu bestimmen. Wir können also zusammenfassend sagen, dass extrinsische Eigenschaften aller drei Genera, die wir in Anlehnung an die drei Genera von Relationen angenommen haben, keine Modi sind. Keine extrinsische Eigenschaft ist ein Modus. Alle Modi sind somit intrinsisch, wenn wir kein Drittes zwischen intrinsisch und extrinsisch annehmen wollen. (4) Vielleicht mag diese Bemerkung der einen oder dem anderen als Abschluss dieses Abschnittes doch etwas verfrüht erscheinen. Fehlt da nicht noch etwas, z.B. die in der Literatur immer wieder angeführten Cambridge-Eigenschaften, die neben den ‚normal‘ relationalen als ‚rein‘ relational eingeführt werden? Intrinsisch sind sie sicher nicht. Machen sie dann nicht ein zusätzliches Genus im Bereich der extrinsischen Eigenschaften aus? Oder veranlassen sie uns, neben den intrinsischen und den extrinsischen Eigenschaften, doch noch ein Drittes anzunehmen? Mein Vorschlag ist auch diesmal, keine Vermehrung von ontologischen Ordnungselementen anzustreben, sondern zunächst einmal zu fragen, welche Beispiele normalerweise für Cambridge-Eigenschaften angeführt werden. Vera Hoffmann-Kolss führt als ein solches Beispiel die Eigenschaft, von einem Würfel

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begleitet zu sein (engl.: being accompanied by a cube), an.114 Nach dem hier vorgeschlagenen Schema hätte ich zwei Interpretationen dieses Beispiels zur Hand. Versteht man die Begleitung räumlich, wäre die besagte Eigenschaft als epiphänonomenale extrinsische Eigenschaft einzustufen. Möchte man ein logisches oder mathematisches Verhältnis zum Ausdruck bringen, würde ich die Eigenschaft als eine interne verstehen wollen – je nachdem, ob es für das bezeichnete Relatum wesentlich ist, von einem Würfel begleitet zu sein oder nicht, entweder als formale extrinsische oder als dünne extrinsische Eigenschaft. Es gibt natürlich noch andere Ansätze, Cambridge-Eigenschaften einzuführen. Bei Sidney Shoemaker finden wir beispielsweise Cambridge-Eigenschaften als Gegenteil von genuinen Eigenschaften gedeutet. Genuin aber sind, nach Shoemaker, Eigenschaften, die ihren Trägern kausale Rollen verleihen.115 Dies würde ich so verstehen, dass Cambridge-Eigenschaften als Sammelbecken aller abundanten und uneigentlichen Eigenschaften gelten, somit als Gegenstück zu Modi, von denen ich annehme, dass sie und nur sie ihren Trägern zu Dispositionen oder eben kausalen Rollen verhelfen. Kurzum: Ich denke, dass wir das, was verschiedene AutorInnen unter Cambridge-Eigenschaften verstehen, in das vorhandene Ordnungsschema integrieren können, ohne einen zusätzlichen Typus von (extrinsischen) Eigenschaften einführen zu müssen. Das Stichwort „keine zusätzlichen Ordnungsschemata etablieren“ ist auch geeignet, das Thema extrinsische Eigenschaften tatsächlich zu einem Abschluss zu bringen. Und zwar durch eine konklusive Bemerkung, die vielleicht helfen mag, ein weiteres mögliches Missverständnis auszuräumen. In diesem Abschnitt habe ich beim Versuch, extrinsische Eigenschaften zu verstehen und zu klassifizieren, Anleihen bei der Einteilung von Relationen in dünne, formale und epiphänomenale genommen. So bin ich auch auf dünne, formale und epiphänomenale extrinsische Eigenschaften gekommen. Die besagte Unterteilung der Relationen aber habe ich in Anlehnung an Distinktionen im Bereich der abundanten Eigenschaften (dünne, formale) und im Hinblick auf uneigentliche Eigenschaften (epiphänomenale) vorgenommen. Daraus ergibt sich eine gewisse Entsprechung zwischen Klassifizierungen von abundanten bzw. uneigentlichen und extrinsischen Eigenschaften. Dennoch, und das möchte ich betonen,

|| 114 Hoffmann-Kolss 2010, 113. Auf den folgenden Seiten (Abschnitt 5.2) finden sich noch weitere Ansätze, die u.a. auf Shoemaker und Lewis verweisen, sowie technisch ausgefeiltere Versionen der von mir verwendeten Bestimmung. 115 Vgl. Shoemaker 1984, zitiert nach Hoffmann-Kolls 2010, 116f.

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sind diese Klassifizierungen auf unterschiedlichen Ebenen bzw. unter verschiedenen Rücksichten anzusiedeln. Dass eine Eigenschaft z.B. als extrinsische formal ist, mag somit als zusätzliche Charakterisierung gelten relativ dazu, dass sie als abundante dieses Merkmal aufweist – ohne dass, und auch das soll ein Ergebnis dieses Abschnittes sein, die Extrinsizität einer Eigenschaft von ihrer Abundanz bzw. von ihrer Uneigentlichkeit losgekoppelt werden könnte. Das ergibt sich schon daraus, dass nur intrinsische Eigenschaften weder abundante noch uneigentliche sein können, sondern Modi sind. Damit möchte ich zu meiner letzten Station auf dem Weg durch das Dickicht des Eigenschafts-Themenfeldes kommen, nämlich der Unterscheidung zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften.

7 Extensional/intensional In diesem letzten Abschnitt des dritten Hauptteiles fasse ich zunächst die begriffliche Unterscheidung zwischen „extensional“ und „intensional“ ins Auge, wie sie in einschlägigen Diskussionen dieser Parzelle des EigenschaftsThemenfeldes vorgenommen wird (1). Dann gehe ich über zu einer Rekonstruktion dieser Unterscheidung vor dem Hintergrund (m)einer Modiontologie (2). Ziel ist die Anwendung des Gesagten auf die Frage nach phänomenalen, ästhetischen bzw. solchen Eigenschaften, die mitunter auch als Qualia bezeichnet werden (3). (1) Standardmäßig kann man unter intensionalen Eigenschaften solche verstehen, die „… Dingen nur insofern zukommen, als sich Menschen unter bestimmten Rücksichten auf sie beziehen“116. Dass ein Ding angsteinflößend ist z.B., kann diesem Ding nur insofern zukommen, als sich jemand auf es, das Ding, bezieht, und zwar unter der Rücksicht, dass es auf diesen Jemand eine bestimmte Wirkung hat. Das gewählte Beispiel einer intensionalen Eigenschaft macht auch deutlich, dass die gemeinte Bezugnahme, welche maßgeblich ist für die Intensionalität der Eigenschaft, durch das Wahrgenommenwerden ihres Trägers und einer dadurch bewirkten Einstellung der/s BeobachterIn zu diesem Träger bedingt ist. Diese perspektivische Einstellung ist es auch, die jene Konnotation von „intensional“ ins Spiel bringt, welche die Abhängigkeit von bestimmten subjektiven Kontexten besagt, eine Abhängigkeit, die durch Ausdrücke wie „meinen“, „wahrnehmen“, „halten für“ etc. eingeführt wird.117 Wenn man die Distinktion zwischen „intensional“ und „extensional“ ebenfalls als exhaustiv annehmen möchte, man also ein Drittes dazwischen ablehnt, kann man die Extensionalität von Eigenschaften definieren als Unabhängigkeit im Zukommen an Dingen von Menschen, die sich unter irgendwelchen Rücksichten auf sie beziehen. Eine bestimmte Masse zu haben, ist ein Beispiel für eine extensionale Eigenschaft. Dass ein x eine bestimmte Masse hat, ist unabhängig davon, dass ein y wahrnehmend auf x Bezug nimmt und eine perspektivische Einstellung zu x entwickelt. Extensionale Eigenschaften sind (somit) unabhängig von subjektiven Kontexten. X hat die Masse, die es hat, unabhängig davon, ob y z.B. meint, dass x die Masse hat.

|| 116 Runggaldier/Kanzian 1998, 97. 117 Vgl. ebd., 171.

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Bei der Hinführung zu einer modiontologischen Rekonstruktion unserer Differenz zwischen intensionalen und extensionalen Eigenschaften kann die Lockeʼsche Distinktion zwischen primären und sekundären Eigenschaften hilfreich sein. Wie im Abschnitt II - 3.1 (3) geschildert, kann man nach Locke unter primären Eigenschaften solche verstehen, die den Dingen selbst zukommen, im Unterschied zu sekundären Eigenschaften, die den Dingen zukommen unter der Rücksicht, dass sie von BeobachterInnen wahrgenommen werden bzw. in BeobachterInnen gewisse Wahrnehmungen erzeugen. Prädikate für primäre Eigenschaften sind einstellig. Die eine Stelle wird von den Trägern eingenommen. Prädikate für sekundäre Eigenschaften, so haben wir an der angeführten Stelle gesehen, aber sind vierstellig: Es sind neben dem Träger auch die Wahrnehmung einer/s BeobachterIn, ein Stimulus und entsprechende Umstände zur Manifestation der Wahrnehmung relevant. Auch wenn wir es hier (vorläufig) offen lassen, ob wir die Unterscheidung zwischen primären und sekundären vollständig auf jene zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften umlegen können oder nicht,118 jedenfalls sind Lockes primäre Eigenschaften paradigmatische Vorkommnisse der extensionalen, seine sekundären aber sind intensionale Eigenschaften. Diesen Gesichtspunkt können wir nun auch für unsere modi-theoretische Rekonstruktion der Unterscheidung zwischen extensional und intensional in Anschlag bringen. (2) Im Hinblick auf die modiontologische Rekonstruktion der ExtensionalIntensional-Distinktion ist insbesondere der Aspekt hilfreich, dass – wie wir im Abschnitt II - 3.1 (3) gesehen haben – die Differenz zwischen den Locke’schen primären und sekundären Eigenschaften nicht als eine Differenz zwischen Gruppen oder Genera von Eigenschaften aufgefasst werden kann.119 Es ist nicht so, dass primäre Eigenschaften den Dingen an sich oder selbst zukämen, wohingegen die sekundären Eigenschaften (andere!) Eigenschaften wären, die bestimmten Qualitäten von Vorstellungsinhalten entsprächen. Lockes sekundäre Eigenschaften sind, letztlich, Modi wie die primären.

|| 118 Dagegen spricht Lockes Annahme von tertiären Eigenschaften, die eben ein Drittes ausmachen, neben den primären und sekundären. Eine Unterscheidung, die kein Drittes zulässt, wie jene zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften, kann nicht vollständig oder adäquat durch eine Unterscheidung rekonstruiert werden, die ein Drittes annimmt. Von tertiären Eigenschaften wird sofort die Rede sein. 119 Für Belege aus Locke und aus der Sekundärliteratur verweise ich ebenfalls auf den besagten Abschnitt.

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In Umlegung auf die Distinktion zwischen „intensional“ und „extensional“ können wir nun anführen: Intensionale Eigenschaften sind, ontologisch gesehen, Modi wie die extensionalen. Dass aber Modi als intensionale Eigenschaften aufgefasst werden können, setzt voraus, dass sich Menschen unter bestimmten Rücksichten auf sie bzw. ihre Träger beziehen. Dass eine alte Eiche in einsamer Nachtgegend angsteinflößend ist, ist ein Modus (oder ein Modiverband) der Eiche, der allerdings nur insofern einen intensionalen Kontext erzeugt, als sich empfindsame Gemüter auf den Baum beziehen. Das Beispiel illustriert das Gesagte übrigens auch dann bzw. insbesondere, wenn nicht situations-übergreifend klargemacht werden kann, welche Modi das nun konkret sind, die als Ursache der Angst fungieren. Das bleibt beobachter-, kontext-, perspektiven-relativ, was im Übrigen ja typisch für Intensionalität ist. Als extensionale Eigenschaften sind Modi hingegen aufzufassen, wenn von diesem Bezug auf BeobachterInnen abgesehen wird: wenn all jene Funktionen, die das Zukommen eines Modus an einem Ding impliziert, unabhängig davon interpretiert werden, dass sich ein Mensch auf das Ding bezieht. Ein MassenModus wird dann bzw. insofern als (paradigmatisch) extensional aufgefasst, wenn bzw. als das Ding unabhängig von BeobachterInnen diese Masse hat und dem Ding – nicht beobachter-, kontext-, perspektiven-relativ – z.B. eine bestimmte Qualität verleiht. Ein weiterführender Gesichtspunkt ist, dass das von Locke „primäre Eigenschaften“ Genannte auf Modi als qualitative Bestimmungen von Dingen zurückgeht. Sekundäre Eigenschaften aber werden durch Modi, als Kräfte verstanden, verliehen, insofern sie, die Kräfte, den Dingen kausale Relevanz, also Dispositionen, geben, im Hinblick auf sinnlich Wahrnehmende. Ebenso wenig aber wie sekundäre Eigenschaften über diesen Kraft-Status definiert werden können – auch tertiäre Eigenschaften gehen auf Kräfte, die Dingen kausale Relevanz verleihen, zurück – so auch die intensionalen Eigenschaften. Und zwar deshalb nicht, weil auch Lockes tertiäre Eigenschaften als extensionale aufzufassen sind. Wir können somit festhalten, dass es – modiontologisch gesehen – unter den extensionalen Eigenschaften solche gibt, die sich auf den qualitativen Bestimmungs-Aspekt der Modi zurückführen lassen, so freilich, dass die Bestimmungsfunktion unabhängig von BeobachterInnen ausgeübt wird. Das wären Lockes primäre Eigenschaften („I“ in der folgenden Skizze). Dann gibt es aber auch extensionale Eigenschaften, die sich durch Rekurs auf den Kraft-Aspekt der Modi rekonstruieren lassen, das sind solche, die kausale Dispositionen, unabhängig von BeobachterInnen, ausmachen. Ich würde Lockes tertiäre Eigenschaften („III“) so verstehen. Intensionale Eigenschaften definiert, abhängig

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von BeobachterInnen Dingen zuzukommen. Es charakterisiert sie, ontologisch gesehen, Modi zu sein, unter der Rücksicht einer Kraft, einer Kraft, die Dingen kausale Rollen verleiht, im Hinblick auf die sinnliche Rezeption von BeobachterInnen: unabhängig von BeobachterInnen Bestimmungen

extensional / I

Kräfte

extensional / III

abhängig von BeobachterInnen

Modi intensional / II

extensional/intensional–primär/sekundär/tertiär

Ergänzend sei angeführt, dass sich diese modiontologische Rekonstruktion der Differenz zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften grundlegend unterscheidet von der einschlägigen Rekonstruktion der Distinktion zwischen extrinsisch und intrinsisch im vorhergehenden Abschnitt. Bei der Letzteren haben wir es nur in einem Falle mit Modi zu tun, nämlich bei den intrinsischen Eigenschaften. Extrinsische Eigenschaften aber fallen unter die Abundantia. Das ist nicht der Fall bei der Unterscheidung zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften. Sowohl die einen als auch die anderen sind Modi. Die Differenz zwischen extensionalen und intensionalen Eigenschaften aber hat mit der angenommenen ontologischen Doppelnatur der Modi zu tun, die gemäß der hier v.a. im zweiten Hauptteil entwickelten Arbeitshypothese qualitative Bestimmungen und Kräfte sind, selbst wenn dieses Zu-tun-Haben, aufgrund der Mitberücksichtigung der Locke’schen tertiären Eigenschaften, nicht definierend sein mag. Ohne die angenommene Doppelnatur der Modi wäre es wohl nicht möglich, die Differenzierung von extensional und intensional vorzunehmen, ohne auf eine ‚Genera‘-Distinktion im Bereich der Eigenschaften zurückgreifen zu müssen, welche ebenso unplausibel wäre wie eine entsprechende Interpretation der Locke’schen Primär-Sekundär-Unterscheidung. Darin könnte man, kurzum, auch eine Bestätigung der angenommenen Grundthese sehen. Wie angekündigt, soll es im Folgenden aber nicht um Apologetik gehen, sondern um Anwendung. Diese werde ich nunmehr versuchen.

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(3) Ein erstes Anwendungsgebiet unserer Extensional-Intensional-Unterscheidung sind Eigenschaften, die wir gut und gerne als phänomenale bezeichnen können. Farbeigenschaften sind m.E. paradigmatische Fälle. Bemerkenswerterweise lassen sich aus der Grammatik unseres alltäglichen Redens nicht immer klare Unterscheidungen im Hinblick auf den Status dieser Eigenschaften als extensionalen bzw. als intensionalen ableiten. Denken wir beispielsweise an die einfache Aussage, dass diese Kugel da rot sei. Das Prädikat „rot“ steht für einen Modus, welcher bestimmend (im Sinne der formalen Relation) der Kugel zukommt. Soviel steht fest. Im Hinblick auf die nun anstehende Distinktion aber kann man diesen Modus unterschiedlich interpretieren. Es gibt sicherlich ontologische Funktionen, die, unabhängig von BeobachterInnen, durch den Farb-Modus zum Tragen kommen. Dinge haben auch dann Farben, wenn niemand sie beobachtet. Das ergibt sich schon aus ihrer materiellen Komposition, noch grundlegender aus ihrer Eigenart als (räumlich) ausgedehnten Entitäten. Besonders deutlich wird dieser extensionale Status der Farb-Modi, wenn man ihre Eigenart als Locke’sche tertiäre Eigenschaften mitberücksichtigt. Farb-Modi verleihen Dingen Dispositionen, die – unabhängig von irgendwelchen BeobachterInnen – kausale Wirkungen in anderen Dingen hervorbringen können. Farben führen dazu, dass Dinge Licht absorbieren bzw. reflektieren, was auf die Umgebung der Dinge unterschiedliche Wirkungen (z.B. Erwärmung) ausübt, wie gesagt, auch ohne dass jemand diese Situation beobachtet. Farben sind Modi, die als extensionale Eigenschaften aufgefasst werden können. Ungeachtet dessen hat die Aussage „Die Kugel ist rot“ noch eine andere, eine intensionale Bedeutung. Farben verleihen Dingen Dispositionen, die auch im Hinblick auf Wahrnehmungssysteme wirken – entscheidend sogar, würde ich sagen. Ohne Farb-Modi könnte man Dinge z.B. gar nicht sehen. Unter dieser Rücksicht sind Farb-Modi als phänomenale intensionale Eigenschaften zu interpretieren. Das ergibt sich auch daraus, dass der konkrete sinnliche Eindruck, den beispielsweise diese rote Kugel in BeobachterInnen erzeugt, durchaus unterschiedlich, weil subjektiv ‚gefärbt‘ sein kann. Letztlich weiß niemand, was sein/e NachbarIn beim Anblick dieser roten Kugel empfindet. Wenn man das vorhin Gesagte in Anschlag bringt, ist es freilich entscheidend, dass der Unterschied zwischen extensionalen und intensionalen Interpretationen von „Die Kugel ist rot“ keinesfalls auf eine ontologische Distinktion, etwa zwischen Genera von Eigenschafts-Entitäten, hinausläuft. Was vorliegt, ist ein (und nur ein) Modus, der einem Ding zukommt. Bei anderen Prädikaten ist die Sachlage klarer. Wenn wir beispielsweise davon sprechen, dass das Licht dieser Lampe grell sei, bringen wir damit primär

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einen intensionalen Kontext zum Ausdruck. Grell oder blendend kann ein FarbModus wohl nur sein, wenn und insofern er eine bestimmte (unangenehme) Wirkung in Wahrnehmenden erzeugt. Das zeigt sich auch daran, dass das GrellSein eines Dinges nicht von allen BeobachterInnen geteilt wird. Auch kann es sein, dass man einen sinnlichen Eindruck nur unter bestimmten Umständen als grell erachtet, etwa wenn man Medikamente einnimmt, welche die Lichtempfindlichkeit erhöhen. Das schließt freilich nicht aus, dass der Modus, der das Grell-Sein in BeobachterInnen erzeugt, nicht auch gewisse (messbare) Ursachen in der nicht-wahrnehmenden Natur erzeugt. Das aber meinen wir nicht, wenn wir von „grell“ sprechen. Ich denke, dass sich auch im akustischen Bereich phänomenale Eigenschaften auffinden lassen, für die Analoges zu den eben angeführten optischen gilt. Dass ein Ding laut ist, meint, dass es im Hörapparat eines/r Wahrnehmenden bestimmte Wirkungen erzielt, wobei vermutlich das Prädikat „laut“, in Analogie zu „grell“, durchaus intensional zu interpretieren ist. Dessen ungeachtet gibt es Modi, die Dingen – auch unabhängig von BeobachterInnen – Dispositionen verleihen, in der Umgebung Schall zu verbreiten. Es gibt auch als extensional zu interpretierende akustisch-phänomenale Eigenschaften. Schall wirkt auch unabhängig davon, dass ihn jemand hört. Wie gesagt, alltagsprachliche Prädikate sind im Hinblick auf die Interpretierbarkeit von den durch sie bezeichneten Modi als extensionalen bzw. als intensionalen Eigenschaften nicht in jedem Fall eindeutig, so eindeutig auch die Unterscheidung zwischen extensional und intensional selbst sein mag. Eine anders gelagerte Ambiguität kommt im Fall einer von den phänomenalen unterscheidbaren Eigenschaftsgruppe zum Tragen, die freilich ebenfalls mit unserer Distinktion zu tun hat. Gemeint sind die sogenannten ästhetischen Eigenschaften. Dass diese Statue schön ist, ist zweifelsohne eine Aussage, die auf Modi der Statue Bezug nimmt. Sie ist intensional zu interpretieren, denn Schönheit ist eine Sache, die wahrgenommen wird. Die Frage ist aber, ob diese Aussage rein oder nur intensional zu interpretieren ist, oder ob es nicht auch so etwas gibt oder geben kann, was als extensionale Dimension ästhetischer Eigenschaften interpretierbar ist. Ist die Statue nicht auch dann schön, wenn niemand sie mehr beobachtet? Kann es nicht auch etwas geben, z.B. Naturgebilde, die schön sind, auch dann, wenn diese nie in Menschen sinnliche Eindrücke erzeugt haben? Neben diesen grundlegenden Fragen, die mit Hilfe der hier zu diskutierenden Unterscheidung erörtert werden können, stellt sich das Problem der Interpretation des intensionalen Status ästhetischer Eigenschaften. Nehmen wir an,

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dass „ist schön“ der Statue (auch) insofern zukommt, als manche ihrer Modi in BeobachterInnen gewisse Wirkungen erzielen. Welche Wirkungen sind das? In manchen ästhetischen Theorien wird diese Wirkung spezifiziert und auch normiert. Es ist erforderlich, dass nicht nur die Sinnlichkeit an der Rezeption beteiligt ist, sondern eine näher zu bestimmende Harmonie zwischen sinnlichen und intellektuellen oder verstandesmäßigen Vermögen hergestellt wird.120 Damit hängt das Problem zusammen, ob „ist schön“ z.B. nicht nur subjekt- sprich beobachter-relativ verstanden werden kann, sondern auch rein subjektiv.121 Kann man intersubjektive Kriterien für die Schönheit von Dingen ausschließen? Ist, was für mich schön ist, auch dann schön, wenn niemand diese meine Meinung teilt? Wir können uns hier nicht auf die Unwägbarkeiten ästhetischer Theorienbildung einlassen. Die Aufgabe der/s OntologIn ist es (nur), einen begrifflichen Rahmen anzubieten, der ÄsthetInnen die Möglichkeit gibt, ihre Diskussionen zu führen. Und ich meine, dass die Unterscheidung zwischen extensional und intensional bzw. eine nähere Analyse von „intensional“ wichtige Aspekte eines (möglichen) begrifflichen Rahmens bereitstellen, in dem Dispute im Bereich der Ästhetik geführt werden können. Mit diesem Punkt berühre ich einen Aspekt, der auch bei anderen Prädikaten, z.B. ethischen wie „… ist gut/schlecht“, relevant ist. Die Ontologie ist hier wie da auf Theorienbildungen in den Nachbardisziplinen angewiesen. Diese entscheiden aber kann und sollte sie auch nicht. Hat jemand in Ethik bzw. Ästhetik stark realistische Intuitionen dergestalt, dass angenommen wird, „gut“ bzw. „schön“ wären beobachter- bzw. kontextunabhängige Eigenschaften von Dingen, könnte eine ontologische Explikation, eben mithilfe der ExtensionalIntensional-Unterscheidung, möglicherweise dazu beitragen, diese Einstellung zu verstehen bzw. auch zu kritisieren. Dasselbe gilt auch für rein subjektivistische Theorien in diesen Disziplinen: Würde dadurch nicht ein bestimmtes Verständnis von intensionalen Eigenschaften, bzw. von ethischen und ästhetischen Eigenschaften als solchen intensionalen Eigenschaften impliziert?

|| 120 Kant z.B. spricht in seiner Kritik der Urteilskraft (verwendete Ausgabe: Kant 1968b), Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik, B 69, etwas kryptisch davon, dass „… eine Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz, und eine subjektive Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande … mit der Eigentümlichkeit eines Geschmacksurteiles [Einfügung Kanzian: z.B. „Die Statue ist schön.“] allein zusammen bestehen können.“ 121 Was Kant übrigens negiert, wenn er für das Schöne allgemeines Wohlgefallen fordert, vgl. ebd., B 17f.

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Als letztes Anwendungsgebiet möchte ich jene Eigenschaften erwähnen, die in der Fachliteratur auch als Qualia bezeichnet werden. Um das Thema Qualia an dieser Stelle ins Auge fassen zu können, sind freilich einige zusätzliche Überlegungen notwendig. Versteht man doch unter Qualia zunächst Eigenschaften, die primär nicht Dingen, sondern (mentalen) Zuständen zukommen. Meinem Zahnschmerz, einem mentalen Zustand, kommen bestimmte (mich quälende) Qualia zu, die das ausmachen, wie es eben für mich ist, den Schmerz zu haben. Die Andockstelle an unsere intensionalen Eigenschaften scheint zunächst aber klar. Ohne Bezug auf einen funktionierenden Wahrnehmungsapparat gäbe es kein Quale eines Schmerzes. Möglicherweise liegen irgendwelche physiologisch relevanten schmerz-spezifischen Zustände vor. Dennoch: Bei einem nicht funktionierenden, z.B. betäubten oder anästhesierten Wahrnehmungsapparat bleiben diese ohne Quale-Eigenschaften. Dass die Qualität oder das Quale eines Schmerzes subjektiv ist, bestärkt die Annahme seines intensionalen Charakters. Wo für die eine Schmerzen wahrnehmbar werden, liegt für den anderen bereits die Grenze des überhaupt Erträglichen. Problematisch im Hinblick auf eine modiontologische Rekonstruktion dieses Befundes bleibt freilich die Ausgangsannahme, dass Qualia, wie gesagt, Eigenschaften von Zuständen seien. Und zwar deshalb, weil Eigenschaften von Nicht-Dingen, wie an verschiedenen Stellen gesehen, den Abundantia zuzuordnen sind (vgl. u.a. III - 2.1 (6)). Abundantia aber sind keine Modi. Dem entspricht die in der Fachdiskussion immer wieder geäußerte Meinung, dass es sich bei Qualia um kausal irrelevante Phänomene handle.122 Eine Möglichkeit, mit diesem Befund umzugehen, besteht darin einzuräumen, dass es nicht nur intensionale Eigenschaften gäbe, die als Interpretationen von Modi gelten können, wie die oben erwähnten phänomenalen, sondern auch intensionale abundante Eigenschaften. Das wären Abundantia, deren Ausgesagtwerden von einem Träger, eben einem mentalen Zustand, nur im Hinblick auf ein wahrnehmendes Subjekt erfolgt. Was ontologisch der Fall ist, ist der mentale Zustand, mein Zahnschmerz, und das wahrnehmende Subjekt, ich. Dass ich allerdings meinen Zahnschmerz auf eine bestimmte Weise empfinde, ist kein Teil der Welt.123 Eine andere Möglichkeit ist es, den Zustand, um den es jeweils geht, näher zu betrachten. Bleiben wir bei meinem Schmerzzustand. Zustände sind, allgemein betrachtet, Komposita aus Dingen und Modi, so wohl auch mein Zahn-

|| 122 Vgl. u.a. Kim 2003, der Qualia zum funktional und kausal irrelevanten Bestand eines „mental residue“ zählt, den man nicht physikali(sti)sch erfassen kann. 123 Das ist auch der Schluss, den Kim, ebd., nahelegt.

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schmerz, insofern er ein Zustand ist. Als sein primärer Träger kann – das sei um des Ganges der Überlegungen willen zugestanden – der Zahn angenommen werden. Dass er in diesem bedauerlichen Zustand ist, hängt aber mit Modi zusammen. Sonst gäbe es, ontologisch gesehen, keinen Zustand. Welche Modi hier am Werke sind, lehren uns ZahnärztInnen. OntologInnen aber könnten darüber nachdenken, ob Modi (welche auch immer das sind), die den Zahn in den Zustand des Schmerzes bringen, diesem Zahn nicht auch jene Dispositionen verleihen, in wahrnehmenden ZahnbesitzerInnen jene Qualen zu verursachen, die dann im ‚Erfolgsfall‘ als Qualia des Schmerzzustandes aufgefasst werden können. Der Vorteil dieser Deutung liegt darin, Qualia ontologisch zu verankern,124 um den Preis freilich, dass die ontologische Verankerung eine gewisse Revision oder zumindest Umdeutung der Aussage erfordert, Qualia seien Eigenschaften von (mentalen) Zuständen. Qualia sind, nach dieser Interpretation, intensionale Eigenschaften eines dinglichen Trägers, die auf jene Modi dieses Trägers zurückgehen, welche ihm Dispositionen verleihen, Wahrnehmenden auf bestimmte Weise zu erscheinen. Die Qualität meines Zahnschmerzes ist eine intensionale Eigenschaft des Zahnes, welche auf jene Modi zurückgeht, die dem Zahn jene Disposition verleihen, sich mir auf einschlägige Weise in Erinnerung zu rufen. Was ontologisch der Fall ist, ist der mentale Zustand, mein Zahnschmerz, und das wahrnehmende Subjekt, ich. Die qualia-freundliche Interpretation geht gleichsam ‚in den Zustand hinein‘, um seine durch Analyse aufgefundenen Komponenten in ihren ontologischen Funktionen zur Geltung zu bringen, v.a. den Modi-Komponenten, insofern er seinem Träger, dem Ding-Komponenten, Dispositionen verleiht; Dispositionen, deren Manifestation durchaus als ‚Teil der Welt‘ aufgefasst werden können. Ich kann auch hier nicht alle Implikationen dieses Vorschlages erörtern. Hier schon gar nicht, weil diese Implikationen weit hinein in die ‚philosophy of mind‘ reichen. Vielmehr will ich mit diesem kurzen Hinweis auf das QualiaThema das Vehikel intensionale Eigenschaften bzw. seine modiontologische Interpretation weiter empfehlen und damit die Behandlung (dieses Gebietes) des Eigenschafts-Themenfeldes abschließen.

|| 124 Das würde der Ansicht einer/s GegenspielerIn von Kim entsprechen, deren/dessen Intuitionen sich auf Thomas Nagels berühmte Fledermaus-Abhandlung What is it like to be a bat? beziehen könnten, vgl. Nagel 1974.

8 Haben wir es hier mit einer Alltagsontologie zu tun? (1) Im ersten Hauptteil habe ich versucht, deskriptive oder Alltagsontologie zu charakterisieren (I - 2.1), im zweiten Hauptteil eine erste Anwendung zu geben (II - 4.2). Zur Erinnerung sei hier angeführt, dass bei der Charakterisierung drei Aspekte leitend waren: Intuitivität, Interpretations- und Erklärungskompetenz von Grundstrukturen unseres alltäglichen Redens, etwa der Subjekt-PrädikatStruktur, schließlich Offenheit für Revisionen und Weiterentwicklungen. So möchte ich mich nun, zum Abschluss dieses dritten Hauptteiles, fragen, wie es bei den eben entwickelten Thesen mit der Entsprechung zu diesen Alltagsontologie-Kriterien steht. Wie schon in den einschlägigen Passagen des zweiten Hauptteils erwähnt, richtet sich die allgemeine Kriteriologie für deskriptive oder Alltagsontologie aus dem ersten Hauptteil an die grundlegenden Linien eines ontologischen Rahmens. Dieser dritte Hauptteil aber ist eine spezielle Weiterentwicklung von Grundannahmen einer Modiontologie, im Hinblick auf einige Aspekte, die das Eigenschafts-Themenfeld betreffen. Wir befinden uns also nicht (mehr) im Grundsätzlichen, sondern in der Entwicklung spezieller Thesen. Somit ist auch die gegebene Kriteriologie für Alltagsontologie nicht so ohne weiteres anzuwenden. Die besondere Argumentation für und wider konjunkte Modi z.B. kann nicht auf ihre Intuitivität bzw. Gegenintuitivität untersucht werden. Die Ontologie würde nicht weit kommen, wenn sie sich auf Theorienbildungen beschränkte, die durch dieses Kriterium einer Alltagsontologie unmittelbar erfassbar wären. Wir werden uns also auch in der Untersuchung der Alltagsontologie-Tauglichkeit des dritten Hauptteils in weiten Teilen (Hinweise auf Ausnahmen folgen gleich!) darauf beschränken müssen, darauf hinzuweisen, dass sich seine Thesen innerhalb des theoretischen Rahmens des ersten Hauptteiles entwickeln lassen, und zwar in Anwendung von Theoremen des zweiten. Und dass wir auch dann Thesen als alltagsontologische oder zumindest als einer Alltagsontologie nicht widersprechend annehmen, wenn sie (i) sich innerhalb eines erwiesenermaßen alltagsontologischen Rahmens entwickeln lassen, und (ii) selbst hinsichtlich Intuitivität bzw. Entsprechung zu den Grundstrukturen unseres Sprechens neutral sind.125 Das aber sind die Thesen des dritten Hauptteiles allemal.

|| 125 Vgl. dazu die Ausführungen in II - 4.2 (1).

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(2) Einige weiterführende Aspekte im Hinblick auf Alltagsontologie-Tauglichkeit möchte ich dennoch anbieten. So eignen sich die im dritten Hauptteil entwickelten Thesen durchaus, um Grundstrukturen unseres alltäglichen Redens, insbesondere die Subjekt-Prädikat-Struktur, zu interpretieren. Im Grunde lassen sich die Bemerkungen über „Prädikate und Eigenschaften“ sowie die gesamten Ausführungen über die abundanten und uneigentlichen Eigenschaften unter dieser Rücksicht verstehen. Und zwar, um die Stoßrichtung des Gemeinten zu verstärken, so, dass gegenteilige Annahmen m.E. sogar zu einer Negierung einer sinnvollen ontologischen Interpretation der Subjekt-Prädikat-Struktur unserer Alltagssprache führen würden. Das betrifft insbesondere den PrädikatsAspekt der Struktur. Denken wir an jene Dammbrüche, welche durch die Akzeptanz der hier als abundant bzw. als uneigentlich eingestuften Eigenschaften als Entitäten verursacht würden. Nähme man an, jedem grammatikalisch wohlgeformten Prädikat entspräche eine Entität, ein Seiendes der Kategorie der Eigenschaften, dann hätten wir eine vollkommen ausufernde und systematisch nicht zu erfassende Ontologie, oder – vielleicht weniger polemisch gesagt – eine Ontologie, die nur unter Heranziehung sehr starker und besonderer Prämissen als sinnvoll und konsistent erachtet werden könnte. Anders gesagt: Die Opposition gegen Heils Φ-Prinzip (III - 1 (3)), wichtiges Anliegen dieses dritten Hauptteiles, halte ich für eine Grundvoraussetzung einer konsistenten ontologischen Interpretation der Subjekt-Prädikat-Struktur unserer Alltagssprache. Eine Anti-ΦStrategie ist also Voraussetzung der Erfüllung eines Alltagsontologie-Kriteriums. In diesem Zusammenhang könnte man ergänzen, dass das Abweichen von einem Anti-Φ-Weg spürbare gegenintuitive Konsequenzen hätte. Es entspricht wohl nicht alltäglichen Intuitionen, der Kugel nicht nur den Modus Rot zuzusprechen, sondern auch noch einen disjunkten Modus Rot-oder-Blau. Es ist gegenintuitiv anzunehmen, dass ein Ding durch unabzählbar viele negative Modi ebenso bestimmt würde wie durch seine positiven. Chisholms Ontologie, die das beispielhaft impliziert, mag Stärken haben, die Entsprechung zu alltäglichen Intuitionen gehört sicher nicht dazu. Wir können im Hinblick auf die Alltagsontologie-Tauglichkeit von Thesen des dritten Hauptteils noch ein Stück weitergehen. Denken wir an das über Existenz Gesagte. Ich denke, dass die Annahme einer Entität Existenz(eigenschaft) schlicht gegenintuitiv ist. Im entsprechenden Abschnitt habe ich bereits versucht, diese Auffassung anzudeuten, siehe III - 2.3 (1). Das heißt natürlich nicht, dass wir im Alltag mit „Existenz“ nicht etwas verbinden würden, das für ein Verstehen unserer (Lebens-)Welt unabdingbar und zentral ist. Klar ist, dass zwischen Dingen, die existieren, die es gibt, und solchen, die das nicht (mehr)

Haben wir es hier mit einer Alltagsontologie zu tun? | 245

tun, die es eben nicht, nicht mehr oder noch nicht gibt, ein Unterschied besteht. Und diese Unterscheidung ist relevant für das Verstehen unserer alltäglichen Wirklichkeit. Allerdings: OntologInnen, die annehmen, dass wir mit dem Existenz-Prädikat von seinem Subjekt eine zusätzliche Eigenschafts-Entität aussagen, haben ein Intuitivitätsproblem. Wir nehmen nicht an, dass wir genauso wie eine bestimmte Masse, eine Gestalt, eine Farbe, so auch Existenz haben. Eine andere in diesem dritten Hauptteil entwickelte These kann ebenfalls unmittelbar einem Intuitivitäts-Test unterzogen werden. Es ist die Distinktion zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi. Natürlich sprechen wir in unserer Alltagssprache nicht von Akzidentien oder von Akzidentellem. Dennoch scheint das damit Gemeinte für unser Selbstverständnis bzw. für Selbstverständlichkeiten, mit denen wir unsere Umwelt betrachten, eine wichtige Rolle zu spielen. Wir gehen davon aus, dass wir keine numerisch verschiedenen Personen werden, wenn wir einen Frisör besuchen, der uns von bestimmten Eigenarten befreit bzw. uns neue verschafft. Auch beharren wir darauf, dass unser Auto noch dieses unser Auto bleibt, selbst wenn wir gewisse Bauteile auswechseln. Dennoch wissen wir, dass unser Dasein durchaus auch an manchem hängt, das wir in ontologischem Jargon als Modi bzw. als Modiverbände oder Vermögen interpretieren würden. Auch wenn bei Autos und anderen Artefakten nicht so klar ist, welche das sind, gilt hier Analoges. Kurzum: Die Unterscheidung zwischen Nebensächlichem, Auswechselbarem und Wesentlichem, Unverlierbarem ist für das Verstehen unserer alltäglichen Lebenswelt zentral, ihre Negierung gegenintuitiv. Auch das dritte Charakteristikum deskriptiver oder Alltagsontologie, die Offenheit für Modifikationen aufgrund der Änderbarkeit von Intuitionen bzw. aufgrund der Kontext- und Kulturrelativität alltagsontologischer Theorienbildung, kann nicht nur für den verwendeten Theorienrahmen, sondern durchaus auch für so manche besondere These des dritten Hauptteiles in Anschlag gebracht werden. Ich denke hier z.B. an die Distinktion zwischen intensional und extensional, v.a. aber auch an eine Interpretation des intensionalen Charakters mancher Modi. Er ist sicherlich kontext-relativ und wandelbar. Denken wir daran, wie unterschiedlich Spektren wahrnehmbarer Farben für Menschen unterschiedlicher Kulturen sind. Das Gleiche gilt, vielleicht unter anderer Rücksicht, für die Annahme von Abundantia. Hier müssen wir Offenheit und nichtdogmatische Einstellungen beibehalten, um der Sache gerecht werden zu können. Abundantia kommen und gehen mit bestimmten Prädikaten, die sprachund kultur-relativ sind. Mit diesen Bemerkungen, welche die im Abschnitt (1) genannten Grenzen einer Anwendung von Alltagsontologie-Kriterien auf das im dritten Hauptteil

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Entwickelte nicht außer Geltung setzen, sondern ergänzen, möchte ich diesen metaontologischen Exkurs beschließen und mich dem vierten und letzten Hauptteil zuwenden.

| IV

Modi im Kontext einer Dingontologie

Anliegen des vierten und abschließenden Teiles dieser Monographie ist es, wieder das eigentliche Ziel ins Auge zu fassen, eine Alltagsontologie, deren zentrale Kategorie die Dinge sind. Der leitende Gesichtspunkt ist die Frage, auf welche Weise Modi, wie sie in den vorhergehenden Hauptteilen konzipiert wurden, dazu beitragen können, eine solche deskriptive Dingontologie zu stützen. Damit greifen wir jene Argumentationslinie auf, die im ersten Hauptteil entwickelt wurde: Ein bestimmter ontologischer Rahmen soll durch die Ausarbeitung einer Theorie der Modi vervollständigt und erläutert, aber auch verteidigt werden. Gerade der apologetische Aspekt soll in diesem vierten Teil nicht zu kurz kommen. Sind es doch gerade Einwände, die sich auf Eigenschaften bzw. auf ihre Natur beziehen, ihr Zukommen zu Dingen, ihre Relevanz für die Identität von Dingen, welche gegen eine Substanz- oder eben Dingontologie ins Treffen geführt werden. Was können wir, in Anwendung der hier versuchten Theorie der Modi, zu derartigen Einwänden sagen? Dieser Frage ist der erste Abschnitt (IV - 1) dieses Hauptteiles gewidmet. In diesem abschließenden Teil soll es jedoch nicht nur um Verteidigung gehen. Ich möchte auch positiv darlegen, wie sich, in Anwendung einer Ontologie von Modi als partikulären Entitäten mit der angenommenen Doppelnatur als qualitätsverleihenden Bestimmungen und dispositionsgebenden Kräften, Dinge als primäre Entitäten besser verstehen lassen (IV - 2). Ein Wort zu dem, was auch diese Monographie offen lassen muss, wird das Ganze beschließen (IV - 3). Das vorliegende Buch hat aufbauenden Charakter. Das heißt, es wird in seinem Verlauf auf Ergebnisse von vorhergehenden Teilen Bezug genommen. Diese Eigenart kommt in diesem finalen und somit auch resümierenden Teil nochmals verstärkt zum Tragen.

1 Modi und die Verteidigung einer Dingontologie In diesem apologetischen Abschnitt wollen wir uns mit zwei Standardeinwänden auseinandersetzen, die, ausgehend vom Thema Eigenschaften, gegen eine Ding- bzw. Substanzontologie vorgebracht werden. Der erste der gemeinten Einwände besteht darin, dass Ding- bzw. Substanzontologien auf die Annahme von reinen Substrata verpflichteten. Reine Substrata aber seien nicht nur empirisch unzugänglich, sondern auch begrifflich eine höchst problematische Sache, also auch jene Ding- bzw. Substanzontologien, die auf solche Substrata zurückgreifen (müssten). Der Verteidigung gegen diesen Einwand ist Abschnitt 1.2 gewidmet. Danach (in 1.3) wird es um Leibniz’ Gesetz gehen. Wir haben es (siehe III - 3 (3)) ja bereits angesprochen. Hier soll es nochmals angegangen werden, unter der Rücksicht, dass sich ein gewichtiger Einwand gegen Dinge, insbesondere deren Eigenart als endurer, also als durch die Zeit mit sich identischen Entitäten, eben auf Leibnizʼ Gesetz bezieht. Wie können Dinge, die sich ändern, dieselben bleiben, wenn Identität Gleichheit besagt, wie uns Leibniz lehrt? Zuvor (1.1) aber wollen wir uns mit einer grundlegenden Stoßrichtung der Kritik an einer Ding- oder Substanzontologie beschäftigen: An der mikrophysikalischen Basis unserer Alltagswelt gibt es keine Dinge und keine Substanzen. Eine Ontologie aber hat (auch) die mikrophysikalische Basis unserer Alltagswelt zu betreffen. Also ist eine Ding- bzw. Substanzontologie als (allgemeine) Theorie der Grundstrukturen der Wirklichkeit inadäquat.

1.1 Wider die Mikrowelt Der zuletzt erwähnte und als erster zu behandelnde Kritikpunkt hat nicht hauptsächlich mit unseren Modi zu tun. Er betrifft das Thema Alltagsontologie, wie gesagt, grundlegend und ist damit auf jene Theoriestücke des ersten Hauptteiles zu beziehen, in dem wir uns mit basalen Fragen auseinandergesetzt haben. Dass bei der Erörterung des Einwands auch von Modi die Rede sein wird, tut dem keinen Abbruch. Sehr prägnant wird dieser ‚Mikrowelt-Einwand‘ von Peter Simons vorgebracht, insbesondere in seinem Artikel „Farewell to Substances …“1, der uns schon mehrfach beschäftigt hat. Simons’ erste Prämisse in der Theorienbildung dieses Artikels ist, dass „A metaphysics … is a general theory of everything, or it

|| 1 Hier: Simons 1998.

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is nothing at all“2. Einer Metaphysik, wir können hier übrigens gut und gerne die Synonymie von „Metaphysik“ und „Ontologie“ annehmen, geht es um „alles“. Sie muss, so können wir Simons interpretieren, alle Ebenen der Wirklichkeit berücksichtigen. Die zweite Prämisse besteht in der Explikation dieses „alles“, und zwar dahingehend, dass für seinen Aufweis der Naturwissenschaft eine primäre Rolle zukommt: „Investigating the nature of the world and our relationship to it is not a task for a priori metaphysics but of a science revisable in the light of increasing knowledge about the world and ourselves …“3. Nach der zweiten Prämisse, also wenn wir uns den Ergebnissen der Naturwissenschaft, allen voran der Quantenmechanik, zuwenden, bekommen wir es mit einer Ebene der Wirklichkeit zu tun, nämlich im Mikrobereich, in der sich definitiv keine Dinge bzw. Substanzen befinden. „In quantum mechanics we lose identifiable individuals in the sense of Aristotle.“4 Ziehen wir beide Prämissen in Betracht, ist eine Ding- bzw. Substanzontologie obsolet, weil sie definitiv nicht theoretischer Rahmen aller Ebenen der Wirklichkeit sein kann. „It is not a general theory of everything, thus nothing at all“ – könnte frei nach Simons der Schluss lauten. Simons gesteht in seinem Artikel einer Ding- bzw. Substanzontologie gewisse Klärungskompetenzen im Hinblick auf unsere alltägliche „Makro-“Wirklichkeit zu. Ebenso wie aber die Makrowelt aus der Mikrowelt herzuleiten ist, so auch die Dinge bzw. Substanzen unserer Alltagswelt aus jenen Entitäten, welche als die – quantenmechanisch gesicherten – Grundbausteine der materiellen Wirklichkeit gelten. Diese Grundbausteine oder Basisentitäten aber sind Tropen, partikulare Qualitäten, denen wir bereits im ersten Hauptteil begegnet sind. Wir müssen uns hier nicht (nochmals) in eine Diskussion von Tropen begeben. Ich möchte vielmehr auf den m.E. entscheidenden Gesichtspunkt dieser Überlegungen hinweisen. Nach Simons sind Dinge bzw. Substanzen keine Entitäten. Sie sind keine Grundbestandteile der Wirklichkeit. Vielmehr kann man Dinge bzw. Substanzen analysieren, und diese Analyse impliziert eine Herleitung aus bzw. Rückführung oder Reduktion auf jene(n) Elemente(n), die sich aus der besagten Analyse ergeben. Das sind, wie gesagt, Tropen. Ich denke, dass sich die beiden geschilderten Argumentationsstränge notwendigerweise ergänzen: Weil Dinge bzw. Substanzen analysier- und (nach Simons) somit auch reduzierbar sind, kann, ja muss man sie aus den angenommenen Grundelementen der Mikrowelt herleiten. Weil es die quantenme-

|| 2 Ebd., 251. [Hervorhebung Kanzian] 3 Ebd. 4 Ebd., 247.

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chanisch aufgewiesenen Grundelemente der Mikrowelt sind, um die es einer Ontologie primär zu gehen hat, kann man eine solche Reduktion bzw. Herleitung auch verstehen. Simons steht mit seiner Argumentation nicht alleine da. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, dass AutorInnen, die sich mit einer ‚Ontologie der Mikrowelt‘ beschäftigen, darin übereinkommen, dass sich im Bereich der Quantenmechanik keine Dinge bzw. Substanzen befinden. Paradigmatisch möchte ich Meinhard Kuhlmann anführen, der als ein weiteres Argument gegen eine substanzontologische Interpretation der Mikrowelt ins Treffen führt: „For being a substance all its properties must be determinate at any given time.“5 Quantenmechanische Objekte aber sind in manchen ihrer Eigenschaften zu keinem Zeitpunkt eindeutig bestimmbar.6 Also kann man quantenmechanische Objekte nicht als Substanzen bzw. nicht als Dinge bezeichnen. Wie können wir mit derartigen Einwänden gegen eine Ding- bzw. Substanzontologie umgehen? Ich möchte dazu drei mögliche Strategien auf drei verschiedenen Ebenen andeuten. Die erste lässt sich bemerkenswerterweise an die Ausführungen von Kuhlmann anhängen, obwohl dieser als Konsequenz seiner Kritik an einer substanzontologischen Interpretation der Mikrowelt, ebenso wie Peter Simons, letztlich einer Tropenontologie den Vorzug gibt.7 Kuhlmann weist darauf hin, dass jede Annahme der Unanwendbarkeit einer Substanzontologie auf die Mikrowelt auf bestimmten Vorannahmen bzgl. ontologischer Eigenarten von Substanzen beruht, z.B. in seinen Eigenschaften determiniert zu sein oder eine klare Identität bzw. Individualität aufzuweisen. Wenn, so lautet dann die Argumentation, Substanzen diese Eigenarten haben, mikrophysikalische Objekte aber nicht, können mikrophysikalische Objekte keine Substanzen sein. Müssen aber, so können wir mit Kuhlmann weiterfragen, Substanzen tatsächlich die ins Treffen geführten Eigenarten aufweisen, z.B. die, in ihren Eigenschaften, noch dazu in allen ihren Eigenschaften, determiniert zu sein? Nach Leibniz gilt das wohl schon, nach Aristoteles, so räumt Kuhlmann ein, aber nicht. Auch nach der hier vorgenommenen Theorienbildung ist die klare Determination von Eigenschaften, also von Modi, keineswegs anzunehmen. Denken wir nur daran, dass Modi, aufgrund der vielfach angenommenen Abhängigkeit in ihrer Existenz und in ihrer Identität (vgl. II - 2.3 (5)),

|| 5 Kuhlmann 2010, 79. 6 Genau genommen gilt die Unmöglichkeit „…of a simultaneous ascription of determinate values for incompatible observables [position, momentum].“ Ebd., 81 bzw. 80. 7 Ebd., 4.

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nicht genau ‚determinierbar‘ sind, folglich auch nicht Substanzen bzw. Dinge im Hinblick auf ihre Modi. Die Verteidigung einer Ding- bzw. Substanzontologie auf dieser ersten Ebene bestünde also darin, dass Substanzen bzw. Dinge jene Merkmale, die ihre Unanwendbarkeit auf den mikrophysikalischen Bereich (vermeintlich) begründeten, gar nicht haben. Auch bzgl. der Identität und Individualität von Dingen bzw. Substanzen ließe sich einschlägig einiges sagen. Hier würde ich allerdings nicht die klare Identifizierbarkeit von Dingen bzw. Substanzen an sich in Frage stellen, auch nicht ihre Identität und Individualität. Ich würde vielmehr nachfragen, ob sich nicht im Bereich der Kategorie der Dinge, und darüber hinaus bei den QuasiIndividuen, die ja ebenfalls in einem ding- oder substanzontologischen Rahmen ihren ‚Ort‘ haben, derart unterschiedliche Arten von Identität und Individualität auffinden lassen (vgl. u.a. I - 1.1.5, I - 1.2), dass sich – wenn man das wollte – möglicherweise auch mikrophysikalische Gegenstände hier unterbringen ließen. Insbesondere die Unbestimmtheit von Quasi-Individuen im Hinblick auf ihre Identität kann in diesem Zusammenhang unterstrichen werden. Ich möchte diese Gedanken nur anführen, um zu zeigen, dass man auch auf dieser ersten Ebene einige Möglichkeiten hätte, Einwänden gegen eine Dingbzw. Substanzontologie zu entgegnen. Die von mir präferierte Ebene ist das freilich nicht. Ich denke, dass es adäquater ist, grundsätzlicher gegen die ‚Mikrowelt-Kritik‘ an Dingen bzw. Substanzen vorzugehen: Die Mikrowelt-Kritik setzt ja ihrerseits jene Grundannahmen revisionärer Metaphysik voraus, die ich im ersten Hauptteil durch die drei Kernthesen KT1–3 (siehe I - 2.2.1) charakterisiert und im Folgenden (I - 2.2.2 und 2.2.3) zurückzuweisen versucht habe. Naturwissenschaften, inklusive Quantenmechanik, entwickeln Modelle zur Interpretation empirischer Befunde. Nur wenn man diese Modelle (streng) realistisch interpretiert, sprich die dort angenommenen Raster hypostasiert, kann man überhaupt dazu kommen, quantenmechanische Entitäten anzunehmen. Zusätzlich problematisch macht die Annahme solcher Entitäten, dass dadurch ein Viel-Schichten-Modell der Wirklichkeit impliziert wird. Ein solches Modell ist nicht nur an sich problematisch (siehe I - 2.2.3 (4)), sondern auch unter der Rücksicht prinzipieller Schwierigkeiten der Herleitung der unterschiedlichen Schichten aus einer ‚untersten‘ und somit der Klärung des Verhältnisses der Schichten zueinander. Das alles auszufalten, wäre freilich Wiederholung von bereits Gesagtem. Ich möchte deshalb fortfahren und nach dieser aufs Grundsätzliche abzielenden zweiten Ebene noch eine dritte Ebene der Auseinandersetzung mit der Mikrowelt-Kritik ins Treffen führen. Wie wir gesehen haben, ist die These von der Analysier- und (wie er annimmt) somit Reduzierbarkeit von Dingen unserer Alltagswelt grundlegend für

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Peter Simons’ Mikrowelt-Kritik. Wären m.a.W. Dinge nicht reduzierbar, nach Simons auf Tropen, wären Dinge selbst Grundelemente der Wirklichkeit oder eben Entitäten, Simons’ Theorie aber hinfällig. Auf der dritten Ebene der Auseinandersetzung möchte ich dabei ansetzen, dass nicht jede Art ontologischer Analyse Reduktion, d.h. die Negierung des Entitätenstatus des zu Analysierenden, implizieren muss, bzw. dass Simonsʼ Folgerung von Analyse auf Reduktion selbst nur unter gewissen theoretischen Rahmenbedingungen angenommen werden kann, und zwar solchen, die ein univokes Verständnis von ontologischer Analyse bedingen, das sich einseitig an der Analyse von Epiphänomenen oder von Summen orientiert. Tatsächlich gibt es ein legitimes Verstehen von ontologischer Analyse, die das zu Analysierende auf seine Konstituenten hin untersucht. Das Ergebnis ist der Aufweis des Status des zu Analysierenden als Epiphänomen, das in seinem Bestehen eben von den Konstituenten abhängt, im Sinne der im Abschnitt II 2.2.2 eingeführten formalen Beziehung der Konstitution. Räumliche, zeitliche und kausale Verhältnisse wurden in diesem Sinne analysiert und damit als epiphänomenale ausgewiesen. Es gibt keine räumlichen, zeitlichen bzw. kausalen Relationen als mehrstellige Entitäten. Eine andere Weise der Analyse ist, einfache Summen auf ihre Bestandteile hin zu untersuchen. Ein mögliches Resultat ist die Bestimmung des zu Analysierenden als Quasi-Individuum, etwa als Massenportion (im Sinne von I - 1.2). Zusammengefügte Massenportionen werden so in ihre Bestandteile analysiert, dass sie auf diese reduziert werden können, in dem Sinne, dass sie letztlich nichts anderes sind als Zusammenfügungen dieser Bestandteile, ohne zusätzlichen ontologischen Status. Durch einfache Zusammenfügungen entstehen keine Entitäten. Dann aber gibt es noch eine andere Analyse, die mit den vorhergehenden gerade nicht verwechselt werden darf. Es ist jene, welche ich für Dinge als angemessen erachte. Ich würde diese Analyse – im Unterschied zur Analyse in Konstituenten und zur Analyse in einfache Bestandteile – als Analyse in Komponenten bezeichnen, im Sinne der im Abschnitt II - 2.2.2 dargestellten formalen Beziehung der Komposition. Hier ist das Ergebnis der Aufweis, dass das zu Analysierende in seiner Komplexität relativ zu den Analyseaspekten primär ist. Die Komponenten machen unverzichtbare Aspekte oder Elemente dieser Komplexität aus, ohne dass das Kompositum auf diese Aspekte oder Elemente zurückgeführt, also auf diese reduziert werden könnte. Im Falle der Analyse der komplexen Einheit der Dinge in einen Material- und einen Formalaspekt ergibt sich das schon daraus, dass weder Material noch Form als Entitäten verstanden werden können. Das ungeformte Material ist unabhängig oder außerhalb der Komposition eines Dings ein Quasi-Individuum. Eine Form aber ohne Material, das sie

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zu einem Ding formt, bleibt, sowohl hinsichtlich ihrer Existenz als auch hinsichtlich ihrer ontologischen Funktionen, eine höchst problematische Sache, deren ontologische Erörterung den Rahmen dieser Untersuchung bei Weitem sprengen würde. Jedenfalls sind Form und Material keine Entitäten, aus denen sich ein Ding, dann verstanden als sekundäres oder Epiphänomen (durchaus im Sinne Simonsʼ) konstituieren ließe. Ich meine nun, dass die Implikation von der Analysierbarkeit von Dingen auf ihre Reduzierbarkeit darauf beruht, in Negierung des dritten, eines der ersten beiden Analyseverfahren ungerechtfertigterweise auf Dinge zu übertragen. Im Sinne Simons’ könnte man nun aber entgegnen, ob z.B. eine Konstituenten-Analyse von Dingen tatsächlich ungerechtfertigt sei. Klar, eine Konstituenten-Analyse funktioniere nicht im Hinblick auf Material und Form. Sie funktioniere aber im Hinblick auf Eigenschaften. Bauen nicht Eigenschaften Dinge auf? Ließen sich Dinge nicht doch als Bündel von Eigenschaften, die es konstituierten, verstehen? Eine solche Analyse machte, so würde ich kontern, gravierende Voraussetzungen, v.a. auch im Hinblick auf Eigenschaften. Eigenschaften wären nicht als in ihrer Existenz von Dingen abhängige Modi zu verstehen (wie soll auch ein x, in seiner Existenz von y abhängig, als Konstituent von y fungieren?), sondern als unabhängig von oder vorab zu Dingen vorhandene Basisbausteine. Will man diesen Weg nicht gehen, fällt diese Analysemöglichkeit von Dingen weg. Anders gesagt: Die hier favorisierte Modiontologie verbaut den Weg zur Analyse von Dingen als aus Eigenschaften konstituierten Epiphänomenen und ebnet die Bahn zu einer auf Komposition beruhenden Material-Form-Analyse. Wir können dabei bleiben: Dass die Analysierbarkeit von Dingen ihre Reduzierbarkeit impliziert, setzt bestimmte ontologische Rahmenbedingungen voraus, etwa solche, welche die Analysierbarkeit in Komponenten negiert und jene in Konstituenten bzw. in Bestandteile als die einzig mögliche erachtet, sowie, nota bene, Eigenschaften eigentümlich ontologisch interpretiert. Positiv formuliert: Die hier versuchte Modiontologie und die Komponenten-Analyse befördern ein nicht-reduktionistisches Verstehen von Dingen oder von Dingen als Grundelementen der Wirklichkeit, das heißt als Entitäten. An dieser Stelle könnte man sicherlich weiter diskutieren. Deshalb formuliere ich diese Überlegungen auf der dritten Ebene nicht als ‚knock out‘Argument. Es gibt ja noch die zweite, wenn man will, auch die erste Ebene. Und so meine ich, dass der Hinweis auf die Probleme der Mikrowelt-Kritik auf der zweiten Ebene, verbunden mit (wenn man das möchte) den Entgegnungsmöglichkeiten der ersten, gemeinsam mit den Ausführungen der dritten über die nicht-reduktionistische Analyse von Dingen, einen ganz passablen Ansatz zur Verteidigung einer Ding- bzw. Substanzontologie ergeben kann.

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Mit diesem Ergebnis möchte ich mich einem weiteren Einwand gegen eine Ding- bzw. Substanzontologie zuwenden. Er hat mit unseren Modi nicht nebensächlich, sondern hauptsächlich zu tun.

1.2 Wider Substrata Bevor ich mich der einschlägigen Kritik an Substanzen bzw. Dingen widme, möchte ich den Begriff eines (reinen) Substratums klären, wie er im Kontext von Substratum-Theorien von Substanzen verwendet wird. Ich orientiere mich dabei an Joshua Hoffmanns & Gary Rosenkrantz’ Substance. Its Nature and Existence.8 Hoffmann & Rosenkrantz (im Folgenden: HR) geben als allgemeine Charakterisierung von Substrata-Theorien von Substanzen die Annahme an „… that a substance is a substratum in which properties subsist or inhere.“9 Das bedeutet, dass es als definierendes Merkmal von Substanzen angenommen wird, Substratum oder Subjekt von Eigenschaften zu sein, in dem Eigenschaften vorkommen, ontologisch technisch gesprochen, in dem Eigenschaften subsistieren oder inhärieren. Mit dieser allgemeinen Charakteristik ist es jedoch nicht getan. Eigentümlich für Substrata-Theorien ist weiter eine bestimmte Interpretation von Substanzen als solchen Substrata. HR unterscheiden bei ihrer Diskussion solcher Interpretationen zwei Verständnisweisen. Nach der einen sind Substanzen zu identifizieren mit den Substrata oder Subjekten. Das macht aus Substanzen reine, d.h. selbst eigenschaftslose Entitäten oder reine Partikularien (engl.: bare particulars). Nach der anderen Verständnisweise sind Substanzen ein Komplex oder eine Kollektion (engl.: complex or collection) von Substratum plus den Eigenschaften. Dies entspricht der in der Fachliteratur immer wieder angeführten Interpretation von Substanzen als dicken Partikularien (engl: thick particulars10), die sich durch das Plus an Eigenschaften eben von den reinen oder dünnen unterscheiden. Diese Interpretation von Substanzen als Komplexen ist zu unterscheiden von der hier vorgeschlagenen Deutung von Substanzen als komplexen Komposita. Sie impliziert vielmehr eine Zusammensetzung von Substanzen, die mit jener von Summen, bestehend aus (Bestand-)Teilen vergleichbar

|| 8 Hier: Hoffmann & Rosenkrantz (HR) 1997. In Anpassung an die Terminologie der Autoren werde ich hier ebenfalls von Substanzen sprechen, meine aber meine Kategorie der Dinge. Das ist umso legitimer, als die Unterscheidung zwischen Substanzen und nicht-substanzhaften Dingen (Artefakten) bei der Diskussion von Substrata-Theorien keine Rolle spielt. 9 HR 1997, 17. 10 Vgl. u.a. Armstrong 1997, 123ff.

Wider Substrata | 257

ist. Eigenschaften sind (ebenso) Bestandteile von Substanzen, wie es das Substratum ist.11 HR sind skeptisch gegenüber solchen Substrata-Theorien beider Versionen eingestellt. Sie sind beide, so HR, inkonsistent. In ihrer Kritik unterscheiden HR Argumente, die beide Versionen betreffen, und Argumente, die eine der beiden angehen. Alle Substrata-Theorien von Substanzen gehen davon aus, dass Substrata Entitäten sind, die per definitionem keine Eigenschaften haben oder, technisch gesprochen, exemplifizieren. HR weisen lapidar darauf hin, dass dies nicht intelligibel ist. Niemand ist in der Lage, „… to grasp or apprehend or conceive of anything which fails to exemplify any property.“12 Diese NichtIntelligibilität wird dann in der Folge als Widersprüchlichkeit der Annahme von solchen Substrata interpretiert.13 Substrata, die per definitionem keine Eigenschaften exemplifizieren oder schlicht haben, kommen ja offensichtlich doch welche zu: etwa die Eigenschaften, Subjekt von Eigenschaften zu sein, konkret zu sein, paradoxerweise auch die Eigenschaft, keine Eigenschaft zu haben. Die Annahme von eigenschaftslosen Eigenschaftsträgern ist also schlicht unmöglich. Nicht widersprüchlich, aber dennoch inkonsistent sei es anzunehmen, dass ein Substratum keine Eigenschaften habe, es dennoch gilt, dass Eigenschaften in ihm vorkommen, in ihm subsistieren oder inhärieren. Auch diese Kritik betrifft, so HR, beide Versionen. Ein besonderes Argument gegen die erste Version besteht nach HR darin, dass man von Substanzen, die mit reinen Substrata identifiziert werden, nicht mehr sagen könne, sie weisen essentielle und akzidentelle Eigenschaften auf. Substrata haben nämlich gar keine Eigenschaften. Damit ist ein wesentliches Erfordernis an den traditionellen Substanzbegriff nicht mehr einlösbar. Bei Donald Mertz findet man ein vergleichbares Argument gegen die Annahme solcher Substrata. Reine Substrata hätten aufgrund ihrer Eigenschaftslosigkeit nichts, das ihre Essenz ausmachte, somit aber auch nichts, das sie von anderen Entitäten unterscheiden könnte, ja nicht einmal etwas „… that would differentiate it from non-being.“14 Ihr Wesen wird gleichsam nach außen verlegt, eben in

|| 11 Als Exponenten von Substrata-Theorien der ersten Version führen HR Locke und Descartes, als Vertreter der zweiten Version aber Gustav Bergmann an. Vgl. HR 1997, 17f; auch Endnote 23 auf Seite 18. 12 HR 1997, 18. 13 Zum Widerspruchsverdacht gegen reine Substrata siehe auch Morganti 2011, 184. 14 Mertz 2005, 258.

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die Eigenschaften, die im Substrat inhärieren.15 Eigenschaften aber sind ein „Außen“, das eigentlich von einem „Innen“ abhängen sollte; nicht etwas, durch das das „Innen“ erst sein Wesen erhält und es deshalb wesentlich determiniert. Nach Mertz sollte man sich auf solche „ontologisch pathologischen“16 Experimente gar nicht erst einlassen. Die zweite Version einer Substratum-Theorie von Substanzen besteht, wie gesagt, darin, dass Substanzen als Summen oder Kollektionen von Substrata und Eigenschaften erachtet werden. Dagegen ist speziell vorzubringen, dass, wenn Substanzen so aufgefasst werden, diese weder das Substratum noch irgendwelche Eigenschaften verlieren können. Für Summen oder Kollektionen sind nämlich ihre Teile (und nichts anderes wären Eigenschaften und Substrata) wesentlich. Das aber führt, so HR, zu einem Ultraessentialismus mit allen seinen unliebsamen Konsequenzen. Bevor wir vor dem Hintergrund unserer Modiontologie das Thema SubstratumTheorie von Substanzen angehen, müssen wir Stoßrichtung und Relevanz der intendierten Diskussion genauer ins Auge fassen. Diese ist in Entsprechung zu setzen zur Weise der Kritik, die unter Verweis auf die geschilderte Problematik allgemein an Substanzen bzw. Dingen geübt wird. HRs Anliegen etwa kann so umschrieben werden, dass sie mit der Zurückweisung einer Substratum-Theorie von Substanzen den Weg zu einer haltbaren Substanzontologie ebnen wollen. Diese beruht bei ihnen übrigens (gar nicht so unähnlich wie in der hier vorgetragenen Theorie) auf dem Unabhängigkeitskriterium für Substanzen, eben nicht auf einem Substratum-Kriterium. Dieses Anliegen wird hier also geteilt. Dennoch kann ich es mir hier nicht so einfach machen, sämtliche Argumente von HR einfach zu übernehmen. Denn die von HR vorgebrachten Argumente gegen Substrata gehen z.T. von Voraussetzungen aus, die den hier gemachten sehr stark entgegenstehen. Wir müssen uns also die Mühe machen, HRs Kritik an Substrata – trotz oder wegen der Anerkennung der Zielrichtung – zu adaptieren. Das ist die erste Stoßrichtung der zu führenden Diskussion: Anerkennung und Adaption der Kritik. Es gibt aber auch Substrata-Gegner, die ihre Argumente gerade nicht zum Aufbau einer Substanzontologie vortragen, sondern zur Widerlegung, nicht nur

|| 15 Ebd. Auf Seite 261 wird ausgefaltet, dass durch die Essenzlosigkeit des Substratums auch jede Relationalität unerklärbar wird, „… since a relation presupposes some specific essence in the relatum“. Damit wird auch die Inhärenz von Eigenschaften im Substratum, verstanden als Relation, unerklärbar. 16 Mertz 2005, 258.

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einer bestimmten, sondern jedweder Substanz- oder Dingontologie. Donald Mertz ist so zu verstehen. Nach ihm verpflichte jede klassische oder aristotelische Substanzontologie auf solche reinen Substrata.17 Reine Substrata-Theorien sind aber unhaltbar, also sind das auch klassische Substanzontologien. Da fraglich ist, was eine nicht-klassische oder radikal unaristotelische Substanzontologie sein soll, müssen wir annehmen, dass von Mertzens Verdikt tatsächlich jede (standardmäßige) Substanzontologie betroffen ist: die hier vertretene ganz sicher. Das mag genügen, um Mertz’ Kritik sehr ernst zu nehmen. In diesem Sinne soll die zweite Intention des Folgenden darin bestehen zu zeigen, dass es, gegen Mertz, doch Ding- bzw. Substanzontologien gibt, welche nicht auf solche Substrata-Theorien verpflichten; im Klartext gesprochen, dass es die hier anvisierte Ontologie gerade nicht tut. Dinge und Substanzen sind weder reine Substrata noch thick particulars. Die in diesem Buch entwickelte Deutung von Modi und ihrem Zukommen zu Dingen ist maßgeblich für den Aufweis dieses Weder-Noch. Ich möchte mit dem Zweiten beginnen, der Entgegnung auf Mertz’ Fundamentalkritik an Substanzen bzw. Dingen, und dabei zeigen, dass meine Dingontologie einer Substratum-Theorie grundsätzlich entgegensteht. Sie ist weder Substratum-Theorie, noch impliziert sie eine. Dass sie keine Substratum-Theorie der ersten Version ist, zeigt sich im Ausschluss der Annahme von Dingen als bare particulars. Nach meinem Theorierahmen kann es kein Ding ohne seine Eigenschaften geben. Ein erstes Argument dafür sehe ich darin, dass Dinge in ontologischer Abhängigkeit zu Eigenschaften, also zu Modi, stehen, die sie bestimmen.18 Es hat keinen Sinn anzunehmen, dass es Dinge gibt, das, wozu sie in ontologischer Abhängigkeit stehen, nämlich sie bestimmende Modi, aber nicht. Ohne jetzt die Ausführungen aus dem Abschnitt II - 2.3 (3) nochmals ausführen zu wollen, sei zur Erinnerung gesagt, dass die formale Relation der Bestimmtheit auf asymmetrische Weise ontologische Abhängigkeit fundiert. Modi, die Dinge bestimmen, sind existentiell, das heißt individuell, extrinsisch und substantiell, von Dingen || 17 U.a. Mertz 2005, 250. 18 Wobei anzunehmen ist, dass die Bestimmtheit jenem Haben oder Exemplifizieren von Eigenschaften entspricht, welche in HRs Inkonsistenzargument dem Subsistieren bzw. Inhärieren von Eigenschaften entgegenstellt ist. Ich möchte annehmen, dass die genauen Merkmale der formalen Relation der Bestimmtheit jenen der Inhärenz und der Subsistenz, wie sie in Substratum-Theorien angenommen werden müssen, entgegenstehen. Eine Detailanalyse zum Beleg dieser These würde den Duktus dieser Überlegungen allerdings empfindlich stören. Ich bitte die LeserInnen, dies um des Gangs der Argumentation willen zuzugestehen.

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abhängig; Dinge hingegen von Modi generisch, extrinsisch und proprial. Auch wenn also Dinge zu ihren Modi (wie zu anderen Entitäten) nicht in Existenzabhängigkeit stehen (was ihren Status als primäre Entitäten zeigt), so doch – durch die Bestimmtheit – in klar angebbarer ontologischer Abhängigkeit. Ein zusätzliches Argument gegen eine bare particular-Deutung von Dingen, so wie sie hier konzipiert werden, ist, dass bare particulars, wie Donald Mertz betont, keine Essenz haben. Unsere Dinge aber weisen eine solche auf. Es sind jene individuellen Formen, wie sie in den einleitenden Passagen (I - 1.1.3) des ontologischen Rahmens vorgestellt wurden. Individuelle Formen aber sind ihrerseits durch Modi bestimmt, ja sogar primär (nicht derivativ), wie wir in III 5 gesehen haben. Modi, welche die individuellen Formen bestimmen, machen jene Vermögen aus, welche für Dinge einer Art wesentlich oder essentiell sind. Also ist es unmöglich, dass Dinge, interpretiert als komplexe Komposita von Material- und Formaspekt, folglich als Träger spezifischer Vermögen, als eigenschafts- oder modi-los verstanden werden können. Schließlich können wir daran festhalten, dass jedes Ding, nach der hier vorgeschlagenen Ontologie, eine bestimmte Rolle im kausalen Geschehen der Welt einnimmt. Es kann m.E. kein Ding geben, das nicht bestimmte Dispositionen aufweist, die unter gewissen Umständen (etc.) manifestiert werden. Dinge erhalten aber, nach gegebenen Annahmen, ihre Dispositionen, also ihre kausale Rolle, über ihre Modi. Also zeigt sich auch daran, dass es kein Ding ohne Modi geben kann. (Dieses Argument ist analog zu jenem, dass es kein Ding ohne zeitliche Gestalt oder ohne Geschichte geben könne und es deshalb kein Ding geben könne, das nicht in Ereignisse bzw. Zustände involviert ist.) Vielleicht sollte man klarstellen, dass trotz dieser Argumente die Rede über Dinge, auch unter Absehung von ihren Modi, möglich ist. Man kann die ontologischen Funktionen von Dingen per se untersuchen, etwa jene, dass Dinge räumliche Verhältnisse konstituieren. Auch kann man, wie eben getan, Dinge in ihrem Verhältnis zu Modi besprechen. Das bedeutet aber gerade nicht, dass Dinge bare wären, dass es Dinge geben könnte, die nicht durch Modi bestimmt wären. Ist es vielleicht das Missverständnis, von Ersterem, der ontologischen Rede über Dinge per se, auf das Letztere, Dinge sind bare, zu schließen, das zu bare particular-Interpretationen von Dingen führt? Ich möchte diese Frage offen lassen, weil sie eigentlich von meinen GegnerInnen beantwortet werden müsste, und zur Erörterung der zweiten Variante übergehen: Sind meine Dinge nicht thick particulars, sind sie m.a.W. reines Substratum plus Modi? Auch das möchte ich ausschließen. Die zweite Version einer Substratum-Theorie von Substanzen bzw. Dingen besteht, wie gesagt, darin, dass Dinge als Summen oder Kollektionen gelten, bei denen sowohl Substratum als

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auch Eigenschaften als wesentliche Teile (parts) angenommen werden. Zur Absetzung von einer solchen Deutung kann ich anführen, dass nach der hier versuchten Ontologie Ganzheiten aus Modi und ihren Trägern nicht als (dicke) Dinge, sondern als Zustände bzw. als Ereignisse zu kategorisieren sind. Zustände und Ereignisse weisen aber ganz andere ontologische Merkmale auf als Dinge bzw. Substanzen. Zustände und Ereignisse sind beispielsweise vierdimensional und konstituieren (deshalb) zeitliche Verhältnisse. Dinge und Substanzen tun das nicht. Außerdem ist es nach dem hier propagierten Ding- und auch Modiverständnis auszuschließen, dass Modi, gleichsam als Teile, ‚in‘ den Dingen liegen, also Dingen intrinsisch (im Sinne von II - 2.3 (1)) sind. Unsere Beziehung der Bestimmtheit, wie sie bei Dingen und Modi besteht, verbindet vielmehr disjunkte (siehe ebd.) Entitäten. Kurzum: Meine Dinge sind keine „dicken Partikularien“. Ich gestehe zu, dass diese Argumente, als Entgegnung zu Donald Mertz, konditional zu verstehen sind. Wenn mein Theorierahmen akzeptabel ist, wenn er der Theorierahmen einer Ding- bzw. Substanzontologie ist, dann stimmt nicht, was Donald Mertz behauptet, dass nämlich jede Ding- bzw. Substanzontologie auf bare bzw. thick particulars verpflichtet. Ich gehe das Risiko dieses Konditionals ein (schon allein deshalb, weil das Einlösen des Antecedens in diesem Abschnitt teils redundant, teils außer Reichweise ist) und möchte mich noch kurz der oben zuerst genannten Diskussionsebene widmen, das ist die Adaptierung der Argumente von HR gegen reine Substrata. Manche HR-Argumente erachte ich als zutreffend, und zwar durchaus auch so, wie sie von ihnen vorgetragen werden. Dass die Annahme von dicken Partikularien die Gefahr eines Ultraessentialismus mit sich bringt, kann ich genauso unterstreichen, wie das Erfordernis an eine Ding- bzw. Substanzontologie, zwischen akzidentellen und wesentlichen Eigenschaften zu unterscheiden. Substratum-Theorien von Substanzen bzw. von Dingen können diese Distinktion aber nicht gewährleisten. Also sind sie zurückzuweisen. Desgleichen halte ich es, ebenso wie HR, für inkonsistent, zumindest für problematisch, etwas anzunehmen, das zwar keine Eigenschaften hat oder exemplifiziert, aber dennoch als Relatum der Inhärenz von Eigenschaften betrachtet bzw. als Träger der Subsistenz von Eigenschaften angenommen werden muss. Vermutlich könnte man diese Feststellung im Hinblick auf ein Argument ausbauen: Worin besteht überhaupt der Unterschied zwischen dem Haben oder Exemplifizieren und dem Inhärieren, bzw. liegen nicht Substratum-Theorien deshalb falsch, weil diese Unterschiede mit ihren Mitteln nicht rekonstruierbar sind?

262 | Modi und die Verteidigung einer Dingontologie

Als revisionsbedürftig erachte ich freilich jene Argumente, in denen offensichtlich mit Abundantia operiert wird, und zwar auf eine Weise, die den Verdacht einer Verwechslung mit Eigenschaftsentitäten nahelegt. Wenn etwa HR ihr Widerspruchsargument gegen reine Substrata so vortragen, dass diese, obwohl sie per definitionem keine Eigenschaften haben, doch u.a. die Eigenschaft haben, keine Eigenschaft zu haben, verdichtet sich dieser Verdacht hin zur Gewissheit. Die Eigenschaft, keine Eigenschaft zu haben, scheint mir (begründetermaßen, siehe III - 1) geradezu ein paradigmatischer Fall einer abundanten Eigenschaft zu sein. „Keine Eigenschaft zu haben“ ist ein Prädikat, dessen ontologische Relevanz gerade nicht dadurch zu eruieren ist, dass es für eine Entität steht. Per definitionem kommen reinen Substrata keine Entitäten als Eigenschaften zu. Wie auch immer man dazu stehen möchte: Dass sie (deshalb) das (negative) Prädikat erfüllen, keine Eigenschaft zu haben, macht die Definition nicht widersprüchlich. Ersteres ist eine ontologische Bemerkung, Letzteres die Aussage über das Zutreffen eines sprachlichen Ausdrucks.19 Ich würde deshalb HRs Argument in die Richtung revidieren, dass es zwar nicht widersprüchlich, ontologisch aber falsch sei anzunehmen, dass Dinge eigenschafts- sprich modi-lose Träger sind. Als Argumente würde ich die bereits oben gegen Mertz gerichteten anbieten. In kürzest möglicher Zusammenfassung der Konklusion: Es gibt keine modi-losen Dinge. Damit scheint mir auch das Anliegen dieses Abschnittes auf den Punkt gebracht werden zu können. Nimmt man an, dass es Modi gibt, die Dinge auf die hier geschilderte Weise bestimmen, können Dinge keine reinen Substrata sein, wie auch immer man reine Substrata versteht. Damit können die zweifelsohne legitimen Vorbehalte gegen reine Substrata (denen hier, wenn auch in teilweise adaptierter Form, entsprochen wird) nicht, zumindest nicht im Allgemeinen, gegen Ding- bzw. Substanzontologien ins Treffen geführt werden. Modi helfen, das ist mein Punkt, gegen diese Attacke wider Dinge und Substanzen.

|| 19 Den Punkt habe ich, auch im Hinblick auf dieses Argument gegen reine Substrata, bereits im dritten Hauptteil (III - 1 (1)) ausgeführt.

Wider Leibnizʼ Gesetz | 263

1.3 Wider Leibnizʼ Gesetz (1) Ein weiterer Standardeinwand gegen eine Dingontologie besteht im Rekurs auf Leibniz’ Gesetz. In letzter Zeit hat u.a. Johanna Seibt20 diesen Einwand vorgebracht: Eine Kernthese jeder Dingontologie ist, dass Dinge endurer sind, also durch die Zeit mit sich identische Entitäten. Dinge bleiben, auch wenn sie sich verändern, dieselben. Seibt geht davon aus, dass Leibniz’ Gesetz, nach ihr das wohl „grundlegendste Prinzip der Identität“, aber in der Ununterscheidbarkeit des Identischen besteht. Dementsprechend nennt es Seibt auch PUI.21 Vereinfacht gesagt: Beziehen sich Ausdrücke „x“ und „y“ auf dasselbe, dann treffen auf den Referenten von „x“ genau die Eigenschaften zu wie auf den Referenten von „y“. Versteht man nun aber unter der Veränderbarkeit einer Entität, dass von ihr zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Eigenschaften ausgesagt werden können, gehe die Veränderbarkeit einer Entität nicht mit ihrer diachronen Identität und PUI zusammen. Diese Spannung aber erzeugt ein „Grunddilemma“ für den Endurance-Ansatz, so Seibt. Da Leibniz’ Gesetz sakrosankt sei, die Aufgabe von Veränderung jede Ontologie in ein Neo-Parmenideisches Weltbild [Formulierung Kanzian] abgleiten lasse, bleibe ja wohl nur noch übrig, den Endurance-Ansatz, sprich diachron identische Dinge, über Bord zu werfen. Gegen diesen Einwand wider eine Dingontologie, der unter Bezug auf Leibniz’ Gesetz geführt wird, hat man m.E. (mindestens) zwei Strategien zur Verfügung. Die erste besteht darin, die Grenzen von Leibniz’ Gesetz im Hinblick auf seine argumentative Relevanz aufzuzeigen; die zweite aber darin darzulegen, dass selbst dann, wenn wir Leibniz’ Gesetz anerkennten, es eine Theorie von Änderungen geben könnte, die mit der Annahme von endurer vereinbar wäre. Ich erachte die beiden Strategien als unterschiedliche Wege zum selben Ziel und möchte sie deshalb beide verfolgen. Den zweiten Weg auch deshalb, weil er gleichermaßen eine Entgegnung wider einen verwandten Einwand gegen endurer impliziert, nämlich den Lewisʼschen „temporary-intrinsics“-Einwand, insofern dieser ebenfalls auf eine Unvereinbarkeit von Änderungen und endurer abzielt. Außerdem haben beide Wege deutliche Bezüge zur hier versuchten Modiontologie und sind deshalb geeignet, diese unter der Rücksicht des Grundanliegens des vierten Hauptteils, Modi und Dingontologie, zur Geltung zu bringen.

|| 20 Ich beziehe mich hier auf Seibt 2005, v.a. 216–220. 21 Ebd., 217.

264 | Modi und die Verteidigung einer Dingontologie

(2) Ich möchte mit der ersten Strategie beginnen. Verlockend ist es, an dieser Stelle eine Grundsatzdebatte anzuzetteln, welche die Relevanz und Reichweite von Leibniz’ Gesetz im Kontext ontologischer Argumentation betrifft. Wenn wir bei Johanna Seibt bleiben, können wir feststellen, dass sie unser Gesetz oder Prinzip, wie sie auch sagt, als eine Art Identitätsbedingung formuliert, dergestalt, dass angegeben wird, was notwendigerweise der Fall sein muss, um annehmen zu können, dass es sich bei Entitäten um dieselben und nicht um numerisch verschiedene handelt. PUI ist m.a.W. eine notwendige Identitätsbedingung, welche auf Ununterscheidbarkeit rekurriert. Was aber tun wir eigentlich, so lässt sich im Sinne der Grundsatzdebatte fragen, wenn wir Identitätsbedingungen, wie PUI, formulieren? Oder: Warum sollte es sein, dass die z.B. in PUI genannte Bedingung gilt? Eine Standardantwort auf diese Frage ist, Identitätsbedingungen zu verstehen als Mittel zur Explikation dessen, worin die Identität von etwas besteht. Dass z.B. identische Mengen notwendigerweise dieselben Elemente aufweisen, ist ein durchaus probates Mittel, um anzuzeigen, worin die Identität von Mengen besteht; kurzum: was Mengen eigentlich (‚ihrer Identität nach‘) sind. Eine entsprechende Identitätsbedingung könnte dann lauten: Wenn x und y Mengen sind, folgt aus ihrer Identität, dass sie dieselben Elemente haben. Dabei ist anzunehmen, dass jene Instanzen, die in Identitätsbedingungen angeführt werden (Elemente), unter gewisser Rücksicht grundlegender sind als jene Entitäten, deren Identität sie explizieren (Mengen). Das ergibt sich daraus, dass eine Explikation von Identität immer auch eine Analyse aus (irgendwie für die Identität) Grundlegenderem ist.22 Im Falle von Leibniz’ Gesetz wäre in diesem Sinne anzunehmen, dass für die Identität jener Entitäten, für die es gilt, (die Überein|| 22 Quine und Davidson können wir als Vertreter eines solches Verständnisses von Identitätsbedingungen anführen. Wenn Davidson davon spricht, dass die Übereinstimmung in der kausalen Rolle (vereinfacht gesagt) Identitätsbedingung für Ereignisse ist, möchte er zum Ausdruck bringen, dass Ereignisse eigentlich oder ‚ihrer Identität nach‘ eben Kausalrelata sind. Das Gleiche gilt für Quine, wenn er für physical objects raum-zeitliche Übereinstimmung als Identitätsbedingung annimmt. Physical objects sind s.E. (nichts anderes als) raum-zeitliche Extensionen. Er spricht sogar davon, dass man die Identität von physical objects über raum-zeitliche Übereinstimmung definieren kann. Diesen Punkt habe ich unter Angabe einschlägiger Iund II-Literatur ausgeführt in Kanzian 2001, 27ff (Davidson) bzw. 54ff (Quine bzw. Quine versus Davidson). Auch Jonathan Lowe versteht die ontologische Funktion von Identitätsbedingungen auf diese Weise. Als Beleg dafür können u.a. jene Passagen herangezogen werden, in denen er ausführt, warum es für Personen oder personale Identität keine (informativen) Identitätsbedingungen gibt. Personale Identität ist so grundlegend, dass sie nicht durch (informative) Identitätsbedingungen expliziert werden kann. Vgl. u.a. Lowe 1989, 129ff.

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stimmung in allen) Eigenschaften grundlegend wäre(n). Warum sollte es also sein, dass für die Identität von Entitäten (die Übereinstimmung in allen) Eigenschaften notwendig sind (ist)? Weil, so könnte man antworten, die Identität dieser Entitäten eben unter Bezug auf Eigenschaften expliziert werden kann. Nehmen wir nun an, wir wollten Leibnizʼ Gesetz auf Dinge anwenden. Unter welcher Voraussetzung wäre das demnach überhaupt möglich? Nur unter der, so könnte man unter Bezug auf die eben angestellten Überlegungen sagen, dass man die Identität von Dingen über (die Übereinstimmung in allen) Eigenschaften analysieren und folglich explizieren könnte.23 Das aber halte ich für einen Holzweg. Zur Begründung möchte ich eine grundlegende These der hier versuchten Modiontologie in Anschlag bringen, dass nämlich Eigenschaften Modi sind, und Modi in ihrer Identität von (der Identität von) Dingen abhängen (siehe II - 2.3). Bei einem Versuch, die Identität von Dingen über die Identität von Eigenschaften zu analysieren, landete man also alsbald in einem Zirkel. Genau genommen ist also Leibnizʼ Gesetz, wie in PUI als Identitätsbedingung formuliert, auf Dinge gar nicht anwendbar. (3) Für LeserInnen, denen der Sinn nicht nach derlei grundlegenden Debatten über Identitätsbedingungen bzw. Leibniz’ Gesetz als Identitätsbedingung steht, kann ich noch weitere Überlegungen bzgl. der Grenzen von Leibniz’ Gesetz anbieten, und zwar solche, die sich in unmittelbarem Anschluss an den dritten Hauptteil ergeben. Wenden wir uns dazu nochmals der Behauptung von PUI zu, dass Identisches ununterscheidbar sei. Im Hinblick darauf ist freilich die in Abschnitt III - 3 (3) aufgeworfene Frage von Relevanz, welche Eigenschaften wir hier in Anschlag bringen möchten, wenn wir annehmen, x und y seien Dinge. Es braucht irgendwelche Eigenschaften. Die Ununterscheidbarkeit des Material- bzw. des Formaspekts, als Alternative, verlangte (über das im angegebenen Abschnitt bereits Angesprochene hinaus) nach einer Explikation derselben, die erst recht wieder auf Eigenschaften Bezug zu nehmen hätte. Die Ununterscheidbarkeit von Material und von Form muss in der Ununterscheidbarkeit von Material bzw. von Form in Eigenschaften bestehen. Wir brauchen also Eigenschaften. Allerdings können wir dann die Frage stellen, welche Eigenschaften es sind, von denen notwendigerweise gilt, dass sie auf den Referenten von „x“ und „y“ zu-

|| 23 Im Anschluss an die im Abschnitt IV - 1.1 gegen Simons gerichtete Analyse von „Analyse“ müsste man ergänzen, dass „analysieren“ hier im Sinne der ersten beiden Möglichkeiten „Analyse“ zu verstehen, gemeint ist, jedenfalls so, dass das zu Analysierende sekundär, die Analyseelemente aber primär wären.

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treffen, wenn diese identisch sind. „Alle“ ist sicherlich zu weit. Denn die Übereinstimmung in manchen intensionalen Eigenschaften (im Sinne von III - 7) ist nicht notwendig für Identität. Eine Möglichkeit wäre es, nur Modi in Anschlag zu bringen. Ist das, vom Standpunkt des Prinzips als Identitätsbedingung aus gesehen, nicht doch zu eng? Oder, anders gesagt, mit welchen Gründen soll man, von besagtem Standpunkt aus, nicht nur die intensionalen, sondern auch die uneigentlichen und die abundanten ausschließen? Wider den PUI-Einwand gegen endurer kann man also nicht nur die auf Grundsatzüberlegungen beruhende Frage vorbringen, was es denn überhaupt bedeute, dass für die Identität von Dingen Ununterscheidbarkeit in Eigenschaften notwendig sei. Ich denke auch, dass der PUI-Einwand nicht ohne eine umfassende und systematische Theorie von Eigenschaften vorgebracht werden kann, zumindest nicht so, dass er sich als knock out-Argument gegen irgendetwas eignete. Wenn man sich aber schon die Mühe machen muss, systematisch über Eigenschaften zu reflektieren, kann man das, und damit leite ich schon zum Nächsten über, nicht auch so tun, dass damit die Vereinbarkeit von Veränderbarkeit und diachroner Identität gewährleistet wird, möglicherweise sogar ohne PUI vorher vom Tisch wischen zu müssen? Wir kommen damit zur zweiten angekündigten Strategie. (4) Änderungen sind erklärbar, und zwar von diachron identischen Dingen oder endurer. Es lohnt sich dies nachzuweisen, unabhängig davon, ob man Leibniz’ Gesetz in seiner argumentativen Reichweite auf dieses Thema anerkennt oder nicht. Das ergibt sich daraus, dass es einen prominenten Einwand gegen endurer gibt, der genau das Gegenteil behauptet: Die Annahme von endurer mache Änderungen unmöglich, zumindest wenn man Änderungen auch auf den Bereich intrinsischer Eigenschaften von Dingen beziehen möchte. Dieser Einwand geht auf David Lewis zurück, und ist unter der Bezeichnung eines „temporaryintrinsics“-Einwands in die neueste Literatur eingegangen.24 Der temporary-intrinsics-Einwand geht davon aus, dass Änderungen darin bestehen, dass Träger zu bestimmten Zeiten Eigenschaften haben, die sie zu anderen Zeiten eben noch nicht oder nicht mehr aufweisen. Das aber meint, dass man von Eigenschaften sagen könne, sie kämen Trägern zeitlich bestimmt oder indexalisiert zu. David Lewis unterscheidet nun drei verschiedene Verständnisweisen der zeitlichen Indexikalisierung des Zukommens oder kurz des zeitlichen Zukom|| 24 Die Standard-Belegstelle: Lewis 1986, 203f. Die hier folgende Auseinandersetzung mit Lewis und der Versuch einer Alternative geht wesentlich zurück auf Kanzian 2009, I - 6.23.

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mens von Eigenschaften zu einem Träger und dementsprechende Weisen, Änderungen zu verstehen.25 Fassen wir die allgemeine Formulierung des zeitlichen Zukommens einer Eigenschaft zu einem Träger auf als „x ist zu t F“, so können wir dies zunächst einmal so deuten, dass wir meinen „x ist-F-zu t“. Nach Lewis bedeutet diese Formulierung, dass wir das Ding x durch die Eigenschaft F in Beziehung setzen zu einem bestimmten Zeitpunkt t. Änderungen lägen nun aber vor, wenn ein Ding durch eine Eigenschaft F zu einem Zeitpunkt t in Beziehung gesetzt würde, durch eine Eigenschaft G (verschieden von F) aber zu einem Zeitpunkt t‘ (verschieden von t). Aus allen Eigenschaften werden so Relationen, die bestehen zwischen Dingen und Zeitpunkten. Das ist für Lewis inakzeptabel, weil dadurch das Zukommen intrinsischer Eigenschaften zu Dingen geleugnet wird. Intrinsische Eigenschaften sind nämlich keine Relationen. Eine zweite Deutung von „x ist zu t F“ nach Lewis besteht darin, intrinsische Eigenschaften zwar zuzulassen, deren Zukommen zu einem Ding aber auf einen Zeitpunkt zu beschränken. „X ist-zu-t F“ wäre eine Formulierung. Lewis selbst nimmt dieser Deutung jede Plausibilität, indem er sie so darlegt, dass es nach ihr keine anderen als die in der jeweiligen Prädikation angegebenen Zeiten gibt. Lewis führt aus: „… other times are like false stories … composed out of the materials of the present, which represent or misrepresent the way things are.“26 In Analogie müssen wir wohl auch annehmen, dass Änderungen solche „falschen Geschichten“ seien. Vom Standpunkt eines Zeitpunkts t können Dinge zu anderen Zeiten t‘, t‘‘ etc. nämlich keine Eigenschaften haben. Können Dinge zu anderen Zeiten keine Eigenschaften haben, können sie zu anderen Zeiten auch nicht existieren. Es wird so nicht nur die endurance aufgegeben, sondern jeder Sinn der Rede von zeitlich irgendwie fortdauernden Dingen. Die dritte Deutung ist jene, der Lewis selbst den Vorzug gibt. „X ist zu t F“ hieße nichts anderes als „X-zu-t ist F“. Wovon wir Eigenschaften, die nun durchaus auch intrinsisch sein können, aussagen, ist nicht das Ding x als Ganzes. Eigenschaften sagen wir vielmehr von zeitlichen Ding-Teilen aus. Das Zukommen von unvereinbaren Eigenschaften, wie es bei Änderungen angenommen wird, geschieht so, dass diese Eigenschaften nicht von einem einzigen Ding, sondern von mehreren verschiedenen Ding-Teilen ausgesagt werden. Das gesamte Ding wird so als Summe numerisch verschiedener zeitlicher Teile verstanden. Das kann man nur tun, wenn man annimmt, Dinge seien nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ausgedehnt. Sie seien nicht drei-, sondern vierdimensional. Das rettet (nach Lewisʼ Verständnis) zwar Änderungen intrinsi|| 25 Vgl. Lewis 1986, 204. 26 Ebd.

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scher Eigenschaften, steht aber der Annahme diachron identischer Dinge entgegen. Die endurance wird bei Lewis konsequenterweise explizit geleugnet, das Fazit gezogen, dass die Änderung intrinsischer Eigenschaften eben diachron identischen Dingen entgegensteht. (5) Ich möchte mich hier nicht weiter in die Erörterung der Lewisʼschen Interpretationen von „x ist zu t F“ vertiefen, vielmehr bei dem Hinweis ansetzen, dass die zeitliche Indexikalisierung des Zukommens von Eigenschaften, für sich genommen, offen für verschiedene Deutungen mit ihren jeweiligen ontologischen Implikationen ist. Im Folgenden versuche ich allerdings eine von Lewis abweichende Deutung, und zwar in Anwendung der hier favorisierten Interpretation von (intrinsischen) Eigenschaften als Modi. Es sollte eine Deutung sein, die endurer als mit Änderungen intrinsischer Eigenschaften, also von Modi, vereinbar darstellt. Lewisʼ erste Interpretation negiert den Unterschied zwischen Relationen und intrinsischen Eigenschaften, die dritte diachron identische Dinge. Will man diese Implikationen vermeiden, muss man in irgendeiner Weise an Lewisʼ zweiter Lösung arbeiten. Den Gedanken, dass man die allgemeine Formel „x ist zu t F“ als „x ist-zu-t F“ verstehen kann, also so, dass durch den Zeitindikator weder Ding noch Eigenschaft, sondern die Verbindung von Ding und Eigenschaft betroffen sind, möchte ich, vor dem Hintergrund meiner bisherigen Untersuchungen, weiter verfolgen. Ich beginne mit einer kurzen Rekapitulation von Überlegungen bezüglich des Verhältnisses von Dingen zur Zeit. Was heißt es überhaupt, dass x eben zu-t vorkommt und in der Folge zu-t Eigenschaften hat? Dinge haben, wie schon mehrmals gesehen, zur Zeit bzw. zu zeitlichen Verhältnissen ein akzidentelles Verhältnis. Zeit bzw. zeitliche Verhältnisse gehören nicht zu jenen Instanzen, welche Dinge unmittelbar konstituieren. Den akzidentellen Bezug der Dinge zur Zeit machen, wie gesagt, andere als dingliche Partikularien aus. Der Bezug zur Zeit wird für Dinge dadurch hergestellt, dass Dinge in andere Partikularien eintreten, und zwar in Ereignisse bzw. in Zustände. Dieses Eintreten kann, wie im zweiten Hauptteil ausgeführt, im Sinne der formalen Beziehung der Komposition verstanden werden. Dinge komponieren Ereignisse und Zustände, und zwar dadurch, dass sie durch (dynamische) Modi bestimmt werden. Entscheidend für diesen Kontext ist, dass es Ereignisse und Zustände sind, die den Bezug von Dingen zur Zeit ausmachen. Der Verweis auf Zustände ist in diesem Kontext deshalb von Bedeutung, weil er das Verständnis dessen erleichtert, was es nach dem Gesagten heißt,

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dass ein x eben zu-t F ist. Ein Zustand ist ja nichts anderes als das F-Sein von x, eine Verbindung von Ding und Eigenschaft. Lewisʼ zweite Deutung der zeitlichen Indexikalisierung des Zukommens von Eigenschaften zu Dingen „x ist-zu-t F“ besagt nach meiner Lesart nichts anderes, als dass ein Ding x durch das Bestimmtsein durch F in einen Zustand des F-Seins eintritt. Dadurch wird notwendigerweise sein Eintritt auch in zeitliche Verhältnisse gewährleistet, in zeitliche Verhältnisse, die ja (siehe I - 1.3 (grundlegend), III - 3 (2) (aufbauend)) von Zuständen und Ereignissen konstituiert werden. Jedes Eintreten eines x in ein FSein hat somit zur Folge, dass es ein Eintreten in ein F-Sein zu-t ist. Ich spreche (vom Zustand aus gesehen) auch davon, dass der Zustand das Ding in zeitliche Verhältnisse bringt, und zwar, um es zu wiederholen, in jene, die er, der Zustand, konstituiert. Entscheidend ist es, dass wir durch diese Deutung Änderungen rekonstruieren können. Änderungen bestehen nunmehr darin, dass ein x, dem ein Modus F zukommt, in einen Zustand des F-Seins eintritt, folglich in zeitliche Verhältnisse t, und dass dasselbe x in einen Zustand des G-Seins eintritt, und folglich in die von t verschiedenen zeitlichen Verhältnisse t‘. Dass sich die Tafel in ihrer Farbe ändert, besagt z.B. dass der Tafel der Modus Grün zukommt und das dadurch komponierte Grün-Sein der Tafel die Tafel in bestimmte zeitliche Verhältnisse bringt, z.B. es hat früher stattgefunden, in der Vergangenheit der Tafel, und dass der Tafel der Modus Blau zukommt und das Blau-Sein die Tafel in andere zeitliche Verhältnisse bringt, z.B. es findet später statt, in der Gegenwart der Tafel. Bei den Modi Grün und Blau handelt es sich um keine Relationen, die zu Zeiten in Beziehung setzten, sondern um intrinsische Eigenschaften, die Zustände komponieren, welche ihrerseits Zeiten konstituieren. Bei der Tafel handelt es sich nicht um eine Summe zeitlicher Ding-Teile, sondern um einen endurer. Also haben wir es hier mit der Beschreibung einer Änderung eines endurers in seinen intrinsischen Eigenschaften zu tun. Ebenso kann diese Analyse Leibnizʼ Gesetz Genüge tun, wenn man schon an ihm in irgendeiner Weise festhalten möchte. Die Forderung nach der Übereinstimmung in allen Eigenschaften identischer Entitäten, wie sie beispielsweise in Johanna Seibts PUI vorkommt, könnte in der vorgeschlagenen Interpretation des zeitlichen Zukommens von Eigenschaften folgendermaßen formuliert und, nota bene, von Dingen erfüllt werden: Besteht bei den Referenten von „x“ und „y“ Identität, gelte dass x und y in der gleichen Abfolge in die gleichen Zustände eintreten und durch das Eintreten in gleiche Zustände stets in die gleichen zeitlichen Verhältnisse gebracht werden.

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Ohne hier weitere Details und Beispiele anzuführen, sollte es verständlich geworden sein, dass es, ausgehend von den Überlegungen in vorhergehenden Hauptteilen, möglich ist, das zeitliche Zukommen von Eigenschaften zu interpretieren, ohne in die Unwägbarkeiten von Lewisʼ Vorschlägen zu verfallen. Dann kann man auch die Annahme von Änderungen und damit auch die der diachronen Identität von Dingen gegen entsprechende Einwände verteidigen: gegen den temporary-intrinsics-Einwand und den Einwand der Unvereinbarkeit mit Leibnizʼ Gesetz, wenn man das denn für erforderlich erachtete.

2 Modi und die Vertiefung einer Dingontologie Wie in der Einleitung zu diesem abschließenden vierten Hauptteil angekündigt, soll es hier nicht nur um die Verteidigung einer Dingontologie gehen. Anliegen ist es auch, positiv zu zeigen, wie die Anwendung der Ergebnisse der vorhergehenden Hauptteile zum weiteren Aufbau oder eben zur Vertiefung einer Dingontologie beitragen kann. Dazu sollen fünf zentrale Thesen einer solchen Dingontologie aufgegriffen und unter modiontologischer Perspektive erläutert werden: dass es sich bei Dingen um endurer handelt (2.1), um komplexe Einheiten aus Material und Form (2.2), dass man innerhalb der Kategorie der Dinge zwischen Substanzen und Artefakten unterscheiden kann (2.3), dass bei Dingen die sortale Dependenz ihrer Identität gilt (2.4), schließlich dass Dinge die primären Entitäten einer deskriptiven Ontologie sind (2.5).

2.1 Modi und Dinge als endurer Wie in der Exposition des ontologischen Rahmens (I - 1.1.2) der hier versuchten Theorienbildung gesagt, leitet sich der Begriff „endurer“ ab von der Bezeichnung für eine bestimmte Weise, durch die Zeit hinweg zu bestehen. Gemeint ist „to endure“, was wiederum bedeutet, so durch die Zeit oder diachron da zu sein, dass dieses Bestehen nicht als eine Abfolge numerisch verschiedener (raum-)zeitlicher Teile interpretiert werden kann. Letzteres wäre durch das englische Verb „to perdure“ bezeichnet. Endurer sind in einem strikten Sinn durch die Zeit mit sich identisch. „Strikt“ meint, dass die Identität durch die Zeit nicht aus anderen Beziehungen, etwa der Kontinuität eben verschiedener (raum-)zeitlicher Teile oder Phasen, erklärt und ontologisch gesehen auf diese zurückgeführt werden könnte. Das ontologische Charakteristikum von Dingen, das für endurance vorausgesetzt wird, ist ihre Dreidimensionalität: Dinge haben eine räumliche Ausdehnung in drei Dimensionen. Sie haben keine vierte Dimension, d.h. keine zeitliche Ausdehnung. Dinge haben somit nur räumliche, nicht aber zeitliche Teile, was ihre strikte Identität durch die Zeit ausmacht. Dinge haben dennoch einen Bezug zur Zeit. Als Partikularien sind sie auch zeitliche Entitäten. Diese ihre Zeitlichkeit, die mitunter auch als ihre „zeitliche Gestalt“ oder ihre „Geschichte“ bezeichnet wird, entlehnen Dinge von jenen Ereignissen und auch Zuständen, die sie komponieren. Zeitliche Verhältnisse werden nämlich durch Ereignisse und Zustände konstituiert, was deren spezifi-

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sche Vierdimensionalität ausmacht. Dinge sind jedenfalls via Ereignisse und Zustände auf zeitliche Verhältnisse bezogen. Dinge aber sind, und damit kommen wir auf die Ergebnisse der vorangehenden Hauptteile zu sprechen, Träger von Eigenschaften, die wir hier als Modi ontologisch gedeutet haben. Dieser Gedanke wurde im Vergangenen in verschiedene Richtungen ausgefaltet. Da Dinge keine reinen Substrata sind bzw. keine „bare particulars“, gehört es zu ihrer Natur, Träger von Modi zu sein. Das bedeutet nicht, dass diese ihre Natur aus solchen Modi besteht oder als ein Bündel solcher Modi aufgefasst werden könnte. Sie ist vielmehr nicht zu verstehen ohne diese Eigenart, Modi zugrunde zu liegen. Vonseiten der Modi, auch dies haben wir gesehen, ist es – aufgrund ihrer strikten ontologischen Abhängigkeit, die wir auch als Existenz- und Identitätsabhängigkeit ausgewiesen haben – notwendig, dass sie in Dingen vorkommen, und zwar in genau jenen Dingen, welche sie bestimmen, im Sinne der eingeführten formalen Relation der Bestimmtheit. Daraus lässt sich ein zusätzliches Argument für endurer als einzig mögliche Träger von Modi gewinnen. Wenn nämlich, wie hier angenommen, Modi existenzabhängige Entitäten sind, Existenzabhängigkeit aber Abhängigkeit von einem bestimmten Individuum ist, kann es nicht sein, dass ein Modus von numerisch verschiedenen Dingteilen abhängt. Die verschiedenen zeitlichen Dingteile eines perdurers müssten von jeweils numerisch verschiedenen Modi bestimmt werden. Angesichts der Tatsache, dass wir keine Handhabe haben, zeitliche Dingteile nicht wieder (bis ins Unabsehbare) in Teile zu zergliedern, führte das zu einer unüberschaubaren Modivervielfältigung. Selbst wenn man davor nicht zurückschrecken mag, stellt sich die Frage, wie man vor einem solchen, der endurance alternativen Modell Änderungen interpretieren soll, die dann als Ereignisse zu kategorisieren sind. Ein Ansatz, vor dem Hintergrund der hier versuchten modiontologischen Theorienbildung Änderungen zu verstehen, ist, wie im letzten Abschnitt ausgeführt, dass ein x, dem ein Modus F zukommt, in einen Zustand des F-Seins eintritt, folglich in zeitliche Verhältnisse t, und dasselbe x in einen Zustand des G-Seins eintritt, und folglich in die von t verschiedenen zeitlichen Verhältnisse t‘. Der springende Punkt im Hinblick auf die endurer-Thematik scheint mir nun in der Klausel „und dasselbe x“ zu liegen. In der Tat ist es so, dass es die Annahme ein und desselben Dinges braucht, um Änderungen, in der Folge Ereignisse, zu verste-

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hen.1 Es braucht m.a.W. etwas, das eine Änderung trägt, die Änderung ‚überlebt‘, um überhaupt von einer Änderung sprechen zu können. Das aber muss ein durch die Zeit mit sich identischer Träger sein, eben ein endurer. In Anwendung dieser Überlegungen könnte man nun auch den mancherorts verwendeten Terminus „dynamischer Modus“ rekonstruieren. Ein dynamischer Modus ist analysierbar: und zwar in jenen Modus, der ein Ding in den Ausgangszustand einer Änderung und folglich in bestimmte zeitliche Verhältnisse bringt, und jenen Modus, der dasselbe Ding in den Endzustand der Änderung und wieder in die entsprechenden zeitlichen Verhältnisse bringt. Eine endurer-Interpretation von Dingen kann noch durch einen weiteren Gesichtspunkt modiontologisch ergänzt bzw. vertieft werden, und zwar dadurch, dass endurer-Dinge, nach den hier vorgebrachten Überlegungen zur Kausalität, als die grundlegenden Prinzipien allen Kausalgeschehens verstanden werden können. Alles Kausalgeschehen, so haben wir gesehen, geht ontologisch gesehen auf Kräfte zurück, Kräfte aber auf Modi. Jeder Modus ist nämlich qualitative Bestimmung und Kraft, die ‚seinem‘ Ding eine kausale Rolle oder Disposition verleiht. Wenn nun gilt, dass es keine kausale Wirksamkeit ohne Kräfte gibt, keine Kräfte ohne Modi, schließlich aber keine Modi ohne diachron identische Dinge (von denen sie in ihrer Existenz strikt abhängen!), kann es keine kausale Wirksamkeit ohne Dinge geben. Diesen Gedanken kann man durch die gegebene Analyse von Ursachen ergänzen. In diesem Kontext wurden ja drei Strukturelemente unterschieden, um es kurz zu wiederholen: Ding mit Disposition, Stimulus, und günstige Umstände, die wiederum unterteilt wurden in einen reziproken Dispositionspartner und gewisse weitere Zustände. Gewiss spielen in dieser Analyse Entitäten aller drei angenommenen Kategorien eine Rolle. Wenn man aber bedenkt, dass Dinge nicht nur selbst in zwei der drei angeführten Ursache-Elementen vorkommen, sondern ontologisch grundlegend sind auch für die anderen Entitäten, etwa Stimulus-Ereignisse und Zustände, kann man zum Schluss kommen, dass Dinge letztlich auch für diese Ursache-Elemente eine prinzipielle Rolle spielen, und zwar, um das zu betonen, gerade als endurer, wenn man die vorangehenden Überlegungen etwa über Dinge und Änderungen, sprich Ereignisse, in Anschlag bringt.

|| 1 Auf diesen Punkt hat u.a. Brian Lombard in seiner Analyse von Änderungen hingewiesen. Vgl. ders. 1986, 80f.

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Schließlich wird so auch die Rede davon rekonstruierbar, dass es die Dinge oder die Dinge selbst sind, die kausal wirken. Das mag insbesondere dort eine besondere Rolle spielen, wo Vorkommnisse der Kategorie der Dinge, etwa menschliche Personen, als Agenten, das heißt als genuine Hervorbringer von bestimmten Wirkungen in der Welt, angenommen werden. Natürlich wirken Agenten kraft mancher ihrer Modi, die in funktionaler Einheit bestimmte Vermögen ausmachen. Es sind jedoch ihre Modi bzw. ihre Vermögen, die – insbesondere im Falle von handlungsrelevanten Vermögen – untrennbar mit ihrer Form, sprich mit ihrer Identität gegeben sind. Handlungen sind Wirkungen, die Agenten kraft dieser Vermögen hervorbringen. Da es keinen Sinn hat, handlungsrelevante Vermögen von (der Identität der) Agenten zu trennen, so auch nicht, daran zu zweifeln, dass sie, die Agenten selbst es sind, die als Prinzipien der Verursachung ihrer Handlungen gelten können. Und das alles, um den Bogen zu schließen, weil Agenten als Vorkommnisse der Kategorie der Dinge, als endurer, Träger von Modi und in der Folge spezifischer Vermögen sind.

2.2 Modi und Dinge als komplexe Einheiten Eine weitere Grundthese der hier versuchten Dingontologie ist, dass es sich bei Dingen um komplexe Einheiten handelt, deren innere Struktur durch einen individuellen Material- und einen individuellen Formaspekt gegeben ist, wobei es sich bei diesen Aspekten um ontologisch irreduzible Elemente handelt: Das Material kann im Ding nicht die Form, die Form auch nicht die Funktion des Materials erfüllen. Wie im einleitenden Abschnitt I - 1.1.3 gesagt, ist es dabei entscheidend, bei Einheiten zwischen einfachen, schlechthin unzusammengesetzten und (deshalb) nicht weiter analysierbaren, sowie eben komplexen zu unterscheiden. Dinge sind keine einfachen Einheiten. Das bedeutet nicht, dass nicht diese ihre Einheit ontologisch grundlegend ist, relativ zur Zusammenfügung jener Aspekte, aus denen Dinge komponiert sind. Dem entspricht die Festlegung darauf, dass Dinge relativ zu Form und Material primär sind, insofern es vorab zum Ding keine Form- und keine Materialentität gibt, die dann, etwa durch Konstitution, das Ding ergäbe. Primär existiert das ganze Ding. Das Ding ist die Entität, welche dann ontologisch analysiert werden kann im Hinblick auf die angeführten Aspekte oder Strukturelemente. Vielleicht kann man sich der Idee einer komplexen und (dennoch) primären Einheit auch annähern, wenn man sie zum einen von einfachen, zum anderen von komplexen sekundären Einheiten abhebt. Einfaches hat, um nur das definie-

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rende Zentralmerkmal anzuführen, keine Teile. In früherer Zeit werden platonische Ideen bzw. Leibniz’ Monaden als paradigmatische einfache Einheiten angeführt. In neuerer bzw. gegenwärtiger Zeit gelten metaphysische simples (englisch), Atome und Tropen als einfache Einheiten. Die Dinge unserer Alltagswelt sind offensichtlich keiner dieser Einheiten zuzuordnen. Dinge haben jedenfalls Teile. Dann aber gibt es, um auch die andere Grenzlinie zu markieren, Komplexe, deren Einheit sekundär ist, und zwar relativ zu ihren Bestandteilen, angefangen von Menschenansammlungen über Schafherden bis hin zu Autokolonnen. All diese Phänomene können als Summen verstanden werden mit mehr oder weniger typischer Gestalt bzw. mehr oder weniger charakteristischer Eigendynamik. Jedenfalls, und das ist der entscheidende Punkt, gibt es primär zu Menschenansammlungen Menschen, primär zu Schafherden Schafe und primär zu Autokolonnen Autos. Ontologisch betrachtet können Menschen, Schafe und Autos als Entitäten betrachtet werden, die unabhängig von den genannten komplexen Einheiten bestehen.2 Anders ist dies mit der Form, in gewisser Weise auch mit dem Material eines Dinges. Sie werden erst im Ding zu dem, was sie sind: individuelle Form und der Materialaspekt eines Dinges. Dinge sind somit keine Komplexe wie jene eben beispielhaft angeführten sekundären. Sie sind Komplexe, die oder deren Einheit primär ist relativ zu den Elementen. Wie aber kann diese grundlegende These einer alltagsontologischen Interpretation der Ding-Kategorie durch die Ergebnisse der vorhergehenden Hauptteile, also durch die vorliegende Modiontologie, vertieft bzw. gestützt werden? Ein erster Aspekt ist, dass zu den wesentlichen Aspekten der Theorienbildung in diesem Buch die Darlegung bestimmter formaler Relationen gehört. Insbesondere die Existenzabhängigkeit der Modi, welche in der formalen Relation der Bestimmtheit fundiert ist (siehe Abschnitt II - 2.3), ist unverzichtbar für ein Verstehen von Modi, wie sie hier konzipiert wurden. Im Zuge der Darlegung formaler Relationen hat nun aber auch die Unterscheidung zwischen Konstitution und Komposition, als solchen formalen Relationen, eine wichtige Rolle gespielt. Und dieses Theoriestück benötigen wir m.E. auch, um Dinge in ihrer eigentümlichen Komplexität verstehen zu können.

|| 2 Hier tut es nichts zur Sache, dass man zwischen Autos und Schafen einen gravierenden ontologischen Unterschied festmachen kann, ebenso wenig wie dass es natürlich auch andere Arten sekundärer Einheiten gibt, z.B. Summen von Quasi-Individuen (im Sinne von I - 1.2), wie z.B. Sandhaufen. Auch die Einheit von Sandhaufen ist sekundär relativ zu(r Einheit von) ihren Bestandteilen.

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Wie auch immer sich nämlich der individuelle Material- und der individuelle Formaspekt im Hinblick auf das ganze Ding verhalten, es darf dieses Verhältnis keineswegs als eine Relation, verstanden als zweistellige Entität, interpretiert werden. Allein die unabsehbare Vermehrung von Entitäten, die dabei in Kauf genommen würde (auch zweistellige Verbinderentitäten von Material und Form hin zum ganzen Ding bräuchten Verbinder zu den verbundenen Elementen usw.), sowie die damit einhergehende Unmöglichkeit, Dinge als primäre Einheiten zu verstehen (die Verbinderentitäten wären dann primär, das durch die Verbindung Hervorgebrachte aber sekundär), sprechen dagegen. Der individuelle Material- und der individuelle Formaspekt müssen durch eine formale Beziehung miteinander in Verhältnis zum ganzen Ding gebracht werden. Es darf aber nicht irgendeine formale Beziehung sein. Nehmen wir an, Material und Form konstituierten das Ding. Dann müsste man doch wieder ein Abhängigkeitsverhältnis des Dinges von seinen Strukturelementen in Kauf nehmen, das seine Eigenart als primäre Einheit in Frage stellte. Dinge würden sogar zu Epiphänomenen degradiert. Ganz zu schweigen davon, dass man sich mit Konstitutionstheorien in jene Schwierigkeiten begäbe, welche eine „bottomup“-Interpretation der Wirklichkeit (siehe I - 2.2.3) mit sich brächte. Material und Form komponieren ein Ding. Wie auch immer man dann die wechselseitigen ontologischen Abhängigkeiten zwischen Ding und Strukturelementen interpretiert, welche nach dem im Abschnitt II - 2.3 vorgeschlagenen Raster durch die formale Beziehung der Komposition fundiert werden: Man kann es so tun, dass damit jedwede Art der Abhängigkeit vermieden wird, welche den Status von Dingen als primären Einheiten negiert. Also, und darauf möchte ich an dieser Stelle hinaus, kann die im Kontext dieser Modiontologie entwickelte Theorie formaler Relationen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Dinge als komplexe Einheiten aus Material und Form zu verstehen. Möglicherweise könnte man diese Stützung einer Dingontologie durch eine Theorie formaler Beziehung als „Nebenprodukt“ dieser Theorie auffassen. Bei den formalen Beziehungen geht es ja nicht primär um Material und Form und ihr Verhältnis zum komponierten Ding. Das gilt allerdings nicht für ein anderes Theoriestück, nämlich eines aus dem dritten Hauptteil. Gemeint ist jene Unterscheidung zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi, welcher der Abschnitt III - 5 gewidmet ist. Dort habe ich versucht darzulegen, dass genau jene Modi wesentlich sind, die primär den Form-, genau jene Modi aber akzidentell, welche primär den Materialaspekt eines Dinges bestimmen. Hat diese Unterscheidung, wie eben-

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falls zu schildern versucht wurde, ontologische Signifikanz, geht sie aber, wie behauptet, auf die Distinktion zwischen dem Material und der Form eines Dinges zurück, so ist die Unterscheidung zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi geeignet, die ontologische Signifikanz der Distinktion zwischen Material und Form zusätzlich zu belegen. Vom Standpunkt einer Dingontologie aus gesprochen: Eine Dingontologie, welche Dinge als Komposita aus individuellem Material- und individuellem Formaspekt versteht, gewinnt zusätzlich an Plausibilität, weil damit die Erklärungsrelevanz der Distinktion zwischen akzidentellen und wesentlichen Modi begründet wird. Bezüglich der behaupteten Irreduzibilität der ontologischen Funktionen von Material und Form im Hinblick auf die Komposition von Dingen kann Analoges gesagt werden: Ist die Distinktion zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi als irreduzibel aufzufassen, so stützt das die Annahme, dass es auch jene Instanzen sind, nämlich Material und Form, welche diese Distinktion begründen. Einen Aspekt der besagten ontologischen Signifikanz bzw. Erklärungsrelevanz von wesentlichen und akzidentellen Modi möchte ich gesondert herausgreifen, um ihn in Bezug zu bringen mit der hier behandelten dingontologischen Grundthese. Es ist der Versuch, den Begriff eines Vermögens einzuführen, und zwar als funktionalen Zusammenhang von verschiedenen Dispositionen, die Dingen aufgrund bestimmter Modi verliehen werden (siehe II - 3.1 (4)). Vermögen sind grundlegende Gegebenheiten, welche die Aktions- und Wirkweisen von Dingen festlegen und diese somit als Vorkommnisse bestimmter Arten oder Spezies ausweisen. Menschen haben (u.a.) spezifische kognitive Vermögen, Schafe (u.a.) eigentümliche intentionale, Pelargonien (u.a.) vegetative, Autos (u.a.) technisch nutzensorientierte. Vermögen aber sind Dispositionsgefüge, die (siehe III - 5 (4)) primär Formen zukommen. Also ist die Distinktion zwischen Material und Form grundlegend für das Verstehen von Vermögen. Ein zentrales ontologisches Merkmal individueller Formen spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, dass sie nämlich für die Identität eines Dinges maßgeblich sind (siehe I - 1.1.4). Individuelle Formen sind Identitätsprinzipien. Alles zur Form Gehörige ist somit dem Ding wesentlich. Vermögen aber (nicht deren Manifestation bzw. die aktuelle Fähigkeit zu deren Manifestation) gehören demnach dazu. Vermögen (nicht die Fähigkeit zur Manifestation) kann ein Ding also weder im Verlauf seines Bestehens gewinnen, noch verlieren. Also, und das ist hier mein Punkt, kann die dingontologische Distinktion zwischen Material und Form, zusammengenommen mit der Charakterisierung der Form als Identitätsprinzip, dazu beitragen, eine wichtige Eigenart einer modiontologisch eingeführten Instanz, Vermögen, darzulegen. Oder anders herum: Gelingt eine modiontologische Interpretation von Vermögen, welche auf

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der Material-Form-Distinktion basiert, trägt das zu Aufbau und Vertiefung einer Dingontologie bei, für die besagte Distinktion grundlegend ist.

2.3 Modi und die Distinktion zwischen Lebewesen und Artefakten Eine dritte Möglichkeit, Grundaspekte einer Dingontologie modi-theoretisch zu vertiefen, sehe ich im Hinblick auf die Distinktion (innerhalb der Kategorie der Dinge) zwischen Lebewesen oder Substanzen und Artefakten. Im Abschnitt I - 1.1.5 habe ich versucht, den ontologischen Unterschied zwischen diesen ‚Genera‘ von Dingen daran festzumachen, dass es sich bei Artefakten um bewusstseinsabhängige Entitäten handelt, deren Identität (deshalb) sowohl synchron als auch diachron konventionell festlegbar ist, so weit, dass man sogar Artwechsel nicht ausschließen kann. Für Lebewesen oder Substanzen gilt das nicht: Sie existieren unabhängig von (endlichem) Bewusstsein, ihre Identität ist nicht konventionell. Artwechsel ist nicht anzunehmen. Der ontologische Grund dieser Distinktion liegt darin, dass die individuelle Form von Artefakten aus einem Nutzensaspekt besteht, ferner aus Anordnungsprinzipien für Teile und schließlich einer Funktion, welche den Nutzen zu diesen Anordnungsprinzipien vermittelt. Insbesondere der Nutzensaspekt ist maßgeblich für die wesentliche Bewusstseinsabhängigkeit der Artefakte. Es gibt nämlich keinen nicht bewusstseinsabhängigen Nutzen. Lebewesen hingegen sind Dinge, deren individuelle Form aus einer geschlossenen Organisationsstruktur, darauf ausgerichteten Regulationsprinzipien und einem damit gekoppelten Entwicklungs- und Replikationsplan besteht. All dies kann offensichtlich ohne menschliches Bewusstsein entstehen und fortdauern. Lebewesen sind Dinge, für die deshalb auch jene Unabhängigkeit in ihrer Existenz gilt, die nach traditionellen, aber auch aktuellen Kriterien Substanzen definiert. Lebewesen sind demnach, wie gesagt, Substanzen. Ebenso wie wir im Bereich der Lebewesen ontologisch signifikante Unterscheidungen anstellen können, so auch bei den Artefakten. Paradigmatische Artefakte sind Werkzeuge, deren Nutzen normalerweise technisch zweckorientiert ist. Davon zu unterscheiden sind u.a. bestimmte institutionelle Gebilde, die ebenfalls die ontologischen Merkmale dieses Genus von Dingen aufweisen, in ihrem Nutzen jedoch anders zu verstehen sind als Werkzeuge, etwa gesellschaftlich oder politisch. Wieder anders sind dingliche Kunstwerke einzustufen, v.a. wiederum im Hinblick auf den genannten Nutzensaspekt. Er ist sicher nicht technisch und auch nicht vordergründig gesellschaftlich.

Modi und die Distinktion zwischen Lebewesen und Artefakten | 279

Es würde hier zu weit führen, eine umfassende Darstellung von Artefakten zu versuchen.3 An dieser Stelle geht es um die Frage, inwieweit modiontologische Überlegungen zu Aufbau und Vertiefung einer Dingontologie geeignet sind, welche grundlegend zwischen Lebewesen oder Substanzen und Artefakten unterscheidet. Einen Ansatz zur Beantwortung dieser Frage sehe ich wieder in einem Verweis auf Vermögen. Damit können wir an die Überlegungen des vorhergehenden Abschnittes (2.2) anknüpfen. Vermögen sind funktionale Zusammenhänge von verschiedenen Dispositionen, die Dingen aufgrund bestimmter Modi verliehen werden. Sie legen ‚ihre‘ Dinge in ihren Aktions- und Wirkweisen, man könnte auch sagen: im Hinblick auf ihre kausale Rolle in der Welt fest. Vermögen gehören dem Formaspekt des Dinges an. Das bedeutet, dass Modi, welche dem Ding jene Dispositionen verleihen, die Vermögen ausmachen, den individuellen Formaspekt von Dingen bestimmen. Wie im Abschnitt III - 5 (über die Distinktion zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi) ausgeführt, können wir diesen Begriff eines Vermögens sowohl auf Lebewesen oder Substanzen als auch auf Artefakte anwenden. Diesen Punkt möchte ich hier aufgreifen, und zwar so, dass man „Vermögen“ so einführen kann, dass dadurch sowohl die Gemeinsamkeiten von Lebewesen und Artefakten als Vorkommnissen derselben Kategorie (der Dinge) als auch ihre Unterschiede in den Blick kommen. Die signifikanteste Übereinstimmung ist sicherlich das eben angesprochene Faktum, dass sowohl Artefakte als auch Lebewesen Vermögen in eingeführtem Sinne aufweisen. Sowohl der Formaspekt von Artefakten als auch jener von Lebewesen ist so-und-so bestimmt, und dieses Bestimmt-Sein durch Modi führt, unter der Rücksicht des Kraft-Aspekts der Modi und ihrer Bündelung, zur Verleihung von Dispositionszusammenhängen oder eben Vermögen. Als Beispiele habe ich in besagtem Abschnitt III - 5 die Beschaffenheit der komplexen technischen Funktion eines Autos angeführt, und auch die der Form eines jeden Lebewesens, etwa seines individuellen Entwicklungsplans, welcher mit seiner organischen Struktur verbunden ist. Diese Beschaffenheiten bedingen etwas, das man als Vermögen des jeweiligen Dinges bezeichnen mag. Eine zusätzliche Gemeinsamkeit von Lebewesen und Artefakten ist, dass jene Bestimmungen der jeweiligen individuellen Form, welche spezifische Vermögen ausmachen, dem jeweiligen Ding wesentlich sind. Wichtig erscheint mir zudem, dass man bei || 3 Im Hinblick auf Institutionen erlaube ich mir, auf den Artikel „Institutionelle Artefakte“ (Kanzian 2005) zu verweisen.

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beiden, bei Artefakten wie auch bei Lebewesen, unterscheiden kann zwischen einem Vermögen und der Fähigkeit, dasselbe auszuüben. Die Fähigkeit, ein Vermögen aktiv auszuüben, also jene Dispositionen, welche ein Vermögen ausmachen, zu manifestieren, ist immer auch an bestimmte materielle oder körperliche Voraussetzungen gebunden, bei Artefakten wie z.B. Autos an technisch, bei Lebewesen an biologisch beschreibbare. Weder aber hört ein Auto auf, ein Auto zu sein, wenn es autotypische Vermögen aktuell nicht manifestieren kann – ein Auto kann repariert werden –, noch, so haben wir gesehen, hängt die Existenz eines Lebewesens an der aktuellen Ausübung seiner spezifischen Vermögen. Soweit zu einigen Aspekten der Übereinstimmung. Wir können aber bezüglich Vermögen auch genus-relative Unterschiede zwischen Artefakten und Lebewesen festmachen. Eine Möglichkeit, sich diese klar zu machen, ist es, auf die angenommenen ontologischen Charakteristika zu verweisen, die Artefakte eben von Lebewesen abheben. Das Erste ist die eigentümliche Abhängigkeit der Artefakte von menschlichem Bewusstsein. Artifizielle Vermögen sind, wie auch immer wir diese im Detail verstehen, davon ebenso betroffen. Bleiben wir bei unserem Auto. Nehmen wir an, ein Auto kann, im Sinne eines Vermögens, relativ auto-mobil Gegenstände bzw. Personen von einem Ort zu einem anderen transportieren. Um sich die Bewusstseinsabhängigkeit dieses Vermögens klar zu machen, müssen wir nur festhalten, dass es So-und-soBestimmungen der individuellen Form des Autos betrifft, und zwar aller drei Aspekte derselben: den Aufbau des Autos aus Teilen, also die Anordnungsprinzipien für Teile, aber auch seine mechanische Funktion, weil und insofern sie einen bestimmten Nutzen umsetzt. Betrifft das Vermögen aber den Nutzen, sind wir auch schon bei seiner Bewusstseinsabhängigkeit.4 Es gibt nämlich, wie gesagt, keinen Nutzen ohne Bewusstsein, und somit, wenn das hier Gesagte zutrifft, dementsprechend auch kein artifizielles Vermögen. Somit sind artifizielle Vermögen auch von der Konventionalität der Artefakte betroffen. Dass Autos das Vermögen haben, etwas bzw. jemanden zu transportieren, hängt mit konventionellen Festsetzungen zusammen, v.a. im Hin|| 4 Natürlich könnte man sich die Frage stellen, ob nicht auch die mechanische Funktion bzw. deren So-und-so-Sein allein ausreicht, um bestimmte Vermögen zu implementieren. Ich würde das nicht von vornherein negieren, allerdings bezweifeln, dass es sich dabei dann um ein Vermögen eines Dinges der Art der Autos handelt. Die Voraussetzungen dieser Annahme kann ich an dieser Stelle nicht ausführen. Sie hängen v.a. damit zusammen, dass ein nutz-loser Gegenstand, wie es ein Gegenstand zwar mit Funktion, aber ohne zuschreibbaren Nutzen ist, nicht in einem eigentlichen Sinne als Ding zu kategorisieren wäre, eher als komplexes QuasiIndividuum. Mehr dazu habe ich in Kanzian 2009, II - 1.1, geschrieben.

Modi und die Distinktion zwischen Lebewesen und Artefakten | 281

blick darauf, was bzw. wie ihr Nutzen ist. In unserer Gesellschaft sind jene Konventionen, welche so die Vermögen von Artefakten festlegen, in der Regel klar, zumindest bei Autos. Wir können uns allerdings gut Welten vorstellen, deren BewohnerInnen exakt die gleichen Dinge, die wir hier als Autos, nach eingeführten Auto-Vermögen, verwenden, ganz anders behandeln, gemäß ganz anderen Vermögen, relativ zu alternativen Nutzensfestlegungen. Schließlich sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei Artefakten die Konventionalität so weit geht, dass ihre Identität durch die Zeit auch dann angenommen werden kann, wenn sie Nutzen, Funktion und Anordnungsprinzipien für Teile so grundlegend ändern, dass sie ihre Art wechseln. Das lässt sich im Hinblick auf Vermögen so auslegen, dass ein und dasselbe Ding im Laufe seiner Persistenz – relativ zur Änderung etwa seines Nutzens – ganz unterschiedliche Vermögen annimmt. Ein Auto kann zu einem Kleiderschrank werden. Als Kleiderschrank hat es, das Ding, dann aber einen anderen Nutzen, der über andere Funktionen umgesetzt wird, als das Ding, als es noch ein Auto war. Dementsprechend kann man aber auch seine Vermögen, seine komplexen Dispositionen, abgewandelt verstehen, natürlich auch, um es nur zu erwähnen, deren Manifestationsbedingungen. Vermögen von Lebewesen aber sind grundlegend anders. Ob eine Pelargonie das Vermögen zur Sauerstoffproduktion hat, ein Schaf das Vermögen wiederzukäuen, menschliche Personen sehr komplexe kognitive Vermögen, hängt (ontologisch) sicherlich nicht an menschlichem Bewusstsein. Ebenso wenig wie das der Grund dieser Vermögen, das ist die spezifische Form der besagten Lebewesen, tut. Dementsprechend können wir diese Vermögen auch nicht als Ergebnis konventioneller Festsetzungen interpretieren. Wir können Vermögen von Lebewesen entdecken, vielleicht immer besser verstehen, auch im Hinblick auf ihre Realisierung in ihrer individuellen Form, die unter biologischer Rücksicht als Leben oder Lebensprinzip beschreibbar ist. Vielleicht haben unsere Bergschafe noch unentdeckte Vermögen? Vielleicht können wir die Sauerstoffproduktion unserer Pelargonien noch präziser aus ihren Lebensfunktionen herleiten? Dieses Entdecken und immer bessere Verstehen ist aber etwas anderes als das konventionelle Festsetzen solcher Vermögen. Ebenso wenig können wir annehmen, um es nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass ein und dasselbe Lebewesen im Laufe seines Bestehens seine Vermögen wechselt. Das schließt natürlich nicht aus, dass sich das Ausüben von Vermögen oder die Fähigkeit, bestimmte Vermögen zu aktualisieren, das heißt die entsprechenden Dispositionen zu manifestieren, im Laufe der Zeit ändert. Das aber ist, wie schon mehrmals erwähnt, eine andere Angelegenheit.

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Mein Punkt ist auch hier, dass sich eine modiontologische Interpretation von Vermögen dazu eignet, die Distinktion von Artefakten und Lebewesen oder Substanzen im Bereich ein und derselben Kategorie, nämlich der Dinge, zu vertiefen und ein Stück weiterzuführen.

2.4 Modi und Dinge als sortal dependente Entitäten Auch diese These wurde im ersten Hauptteil dargelegt. Dinge gehören Arten an, wobei „Art“ in einem technischen Sinn als „species infima“ gemeint ist (siehe I 1.1.4). Dinge gehören zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz (genau) einer species infima an.5 Dass ein Ding das Ding ist, das es nun einmal ist („seine Identität“), hängt wesentlich daran. Das macht auch die Abhängigkeit seiner Identität von dieser seiner Art aus. Ist die Form eines Dinges sein Identitätsprinzip, die Identität des Dinges aber mit seiner Art gegeben, muss natürlich auch seine individuelle Form unmittelbar mit der besagten species infima zu tun haben. Ist ihre Form, das ist ihr Leben, Prinzip der Identität von Susi, ihre Identität mit der species infima Schaf gegeben, ist klarerweise auch ihr Leben ein schafisches Leben. Analoges könnte man auch für Autos darlegen, nur dass deren Form, im Unterschied zum schafischen Organismus, als Trias bestehend aus Nutzen, Funktion und mereologischen Prinzipien gelten mag. Die entscheidende Frage im Kontext dieses vierten Hauptteils ist aber, inwieweit auch diese grundlegende These einer Dingontologie durch Modi, wie sie hier konzipiert wurden, erläutert werden kann. Eine Einstiegsmöglichkeit zur Beantwortung dieser Frage ist, die modiontologischen Aspekte des Begriffs einer Art oder einer species infima in den Blick zu bekommen. Ohne zu beanspruchen, damit alle Gesichtspunkte dieses Begriffs zu erfassen, können wir jedenfalls festhalten, dass es sich bei Arten um Gruppen von Entitäten, in unserem Fall von Dingen, handelt, die unter einer bestimmten Rücksicht einander ähnlich sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ähnlichkeit zwischen Dingen auf der Gleichheit von Bestimmungen, sprich von Modi, beruht. Die Dinge x und y sind ähnlich, wenn es (mindestens) einen Modus F gibt, der x bestimmt und gleich

|| 5 Dass es Dinge gibt, die nur zu jedem einzelnen Zeitpunkt ihrer Existenz, also synchron, genau einer Art angehören, nicht aber diachron, nämlich die Artefakte, kann hier außer Acht bleiben.

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ist mit einem Modus G, der y bestimmt. Gleichheit aber wurde als basales, sprich nicht weiter analysier- und erklärbares Faktum eingeführt (im Sinne der Ausführungen von I - 3.1 (2)). Nicht die Gleichheit jedes Modus bedingt jene Ähnlichkeit, welche Dinge zu Arten zusammenbringt. Wenn Dinge gemeinsam exakt gleich blau sind, wird (allein) daraus keine species infima. Um die maßgeblichen Modi zu fassen, müssen wir wiederum jene Distinktion aufgreifen, welche bereits in den vorhergehenden Abschnitten angesprochen wurde, nämlich zwischen wesentlichen und akzidentellen Modi. Wir haben schon mehrmals gesehen, dass wesentliche oder essentielle Modi Bestimmungen der individuellen Form von Dingen sind. In dem nunmehr zur Debatte stehenden Zusammenhang können wir jedenfalls vorschlagen, dass es die Gleichheit genau dieser wesentlichen oder essentiellen Modi ist, welche die für die Artbildung maßgebliche Ähnlichkeit von Dingen bedingt. Das gilt übrigens für Lebewesen genauso wie für Artefakte. Organismen, die sich unter der Rücksicht des So-Seins ihres Lebensprinzips oder ihres Lebens, das ist ihre individuelle Form, ähnlich sind – die m.a.W. die gleiche individuelle Form haben – machen eine Art oder species infima aus. Wenn man in Anschlag bringt, dass Vermögen funktionale Zusammenhänge von verschiedenen Dispositionen sind, die Dingen aufgrund wesentlicher Modi verliehen werden, könnte man die fragliche Ähnlichkeit auch als Ähnlichkeit, die in der Gleichheit von Vermögen gegründet ist, verstehen. Arten sind also Gruppen von Entitäten, in unserem Falle von Dingen, die unter der Rücksicht einander ähnlich sind, dass sie in wesentlichen Modi und den durch sie verliehenen Dispositionen und Dispositionsgefügen, sprich Vermögen, gleich sind. Was bedeutet es nun aber, dass Dinge oder die Identität von Dingen von so definierten Arten abhängen, im Sinne der sortalen Dependenz der Dinge? Ich denke, dass die Antwort auf der Hand liegt. Dinge hängen in ihrer Identität davon ab, dass diese ihre individuelle Form so ist, dass sie gleich ist mit der individuellen Form jener anderen Dinge, mit denen sie gemeinsam eine Art ausmachen. Susi hängt („in ihrer Identität“) davon ab, dass sie eine individuelle Form, sprich ein Lebensprinzip, kurzum ein Leben hat, das gleich ist mit den individuellen Formen von Herbert, von Sabine und von allen anderen Schafen. Sie ist davon abhängig, der Gruppe oder species infima der Schafe anzugehören. Hört Susi auf, jene individuelle Form zu haben, die sie hat, jene Vermögen, die sie schafisch auszeichnet, ist es um Susi geschehen.

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Wie aber lässt sich ausschließen, dass die Identität von Dingen sortal relativ ist, wie das (siehe I - 1.3) für Ereignisse und Zustände angenommen wurde?6 Indem man zeigt, dass kein Ding zu einem Zeitpunkt zwei verschiedenen species infimae (A, B) angehören kann, wie das für die Relativität der Identität von Dingen erforderlich wäre. Die Zugehörigkeit von Dingen zu zwei verschiedenen species infimae7 ist aber nach den gemachten Annahmen tatsächlich nicht möglich. Arten im Sinne der species infimae sind nämlich hier als Gruppen von Dingen mit gleichen individuellen Formen eingeführt, die Selbigkeit von Arten folglich über die Gleichheit der individuellen Formen der sie ausmachenden Dinge, die Unterschiedlichkeit von Arten aber über die Ungleichheit der individuellen Formen der sie ausmachenden Dinge. Ein Ding kann aber keine individuelle Form haben, die gleich ist mit jener von Dingen, die eine Art A ausmachen, und gleich ist mit jenen von Dingen, die eine Art B ausmachen, was allein die Zugehörigkeit zu A und zu B bedeuten würde. Denn das würde entweder implizieren, dass ein Ding zwei ungleiche individuelle Formen hätte (die ‚Agleiche‘ und die ‚B-gleiche‘), oder dass seine eine individuelle Form gleich ist mit den individuellen Formen von A-Dingen und von B-Dingen. Ersteres ist nach den gegebenen Annahmen auszuschließen, Letzteres aus prinzipiellen Gründen: Nichts kann nämlich gleich sein mit einem Zweiten und einem Dritten, wenn das Zweite ungleich ist dem Dritten. Also kann kein Ding zwei species infimae angehören, wie das für die Annahme der Relativität ihrer Identität erforderlich wäre. Wieder exemplarisch dargelegt: Ist Susi als Schaf identisch, kann sie nicht als Vorkommnis einer anderen Spezies identisch sein, was die sortale Relativität ihrer Identität besagte. Denn sie ist (in ihrer individuellen Form oder kurz: in ihrem Leben) gleich den anderen Schafen und kann deshalb nicht auch gleich sein mit anderen, den Schafen ungleichen Tieren. Susi hat nämlich weder zwei individuelle Formen oder kurz: zwei Leben, noch kann ihr einziges Leben gleich sein mit dem Leben der anderen Schafe und gleich sein mit dem Leben von nicht-schafischen Tieren.

|| 6 Nur zur Erinnerung: Die Annahme der sortalen Relativität der Identität von Entitäten besagt, dass diese Entitäten zu jeder Zeit ihres Vorkommens verschiedenen species infimae angehören können, die jeweils (unterschiedlich) ihre Identität bestimmen. Das macht die Identität der betroffenen Entitäten opak, wie das im Falle von Ereignissen und Zuständen angenommen werden kann. 7 Zu ergänzen wäre auch hier und sinngemäß in den folgenden Sätzen jeweils „zu einem Zeitpunkt“, was ich der Darstellung des eigentlichen Punktes wegen weglasse.

Modi und Dinge als sortal dependente Entitäten | 285

Möglicherweise beschleicht den/die kritische LeserIn bei der Lektüre dieser Absätze ein mulmiges Gefühl, das weniger vom Tierschutzgedanken als durch logische Akribie motiviert ist. Habe ich eingangs dieses Abschnittes nicht die Identität von Dingen über Arten bestimmt, als ich hier, wie schon mehrmals zuvor, von der sortalen Abhängigkeit der Identität der Dinge gesprochen habe? Und habe ich nicht eben erst Arten von Dingen über die Identität von Dingen eingeführt, wenn man bedenkt, dass Identität ja in individuellen Formen als Identitätsprinzipien gegründet ist? Bewegen wir uns, kurzum, bei der Rede über den Zusammenhang von Identität/Arten/Identitätsprinzipien nicht im Kreise? Ich habe dem nichts zu erwidern. Ja, es stimmt. Wir bewegen uns im Kreise. Allerdings, und das möchte ich sogleich auch ergänzen, bewegen wir uns deshalb im Kreise, weil wir uns bei der Abhandlung über Identität bzw. sortaler Dependenz der Identität, bei der Erörterung von Arten und art-ausmachenden Eigenarten, sowie individuellen Formen oder Identitätsprinzipien im Bereich jener grundlegenden Gegebenheiten befinden, die nur im Zusammenhang und miteinander eingeführt und entfaltet werden können. Nota bene: Wir leiten diese Gegebenheiten nicht wechselseitig auseinander her, sondern stellen sie gemeinsam und in ihrem Zusammenhang als grundlegend dar. Ich möchte in diesem Kontext nochmals an David Lewis erinnern, der sich ausdrücklich zu einer gewissen Zirkularität, nämlich jener bei der Erörterung von „primitives“, bekennt.8 Das bedeutet nicht, dass man nicht Argumente für die Annahme der so gewonnenen Analyseelemente vorbringen kann, und zwar auf indirektem Wege. In unserem Kontext wäre das etwa die Auseinandersetzung mit gegenteiligen Annahmen, etwa der, dass sortale Dependenz der Identität von Dingen nicht bestünde; oder jener, dass doch nicht die individuelle Form von Dingen deren Identitätsprinzip wäre; oder gar der, dass Arten nicht über die Ähnlichkeit von Dingen zu verstehen wären, o.ä. Ich möchte mich an dieser Stelle diesen weiterführenden Debatten allerdings entschlagen. Hier geht es mir nur darum, dem ‚Zirkeleinwand‘ gegen die vorgebrachten Analysen ein Stück weit zu entgegnen, bzw., und damit kann ich auch den Kreis dieses Abschnittes schließen, dass man die These von der sortalen Abhängigkeit (der Identität) der Dinge durch modiontologische Untersuchungen ein Stück weit näher erläutern kann.

|| 8 Lewis 1986, 63, zum einschlägigen Kontext des Zitats siehe III - 6 (1).

286 | Modi und die Vertiefung einer Dingontologie

2.5 Modi und Dinge als die primären Entitäten einer Alltagsontologie Diese letzte Überschrift in IV - 2 fasst komprimiert zwei Aussagen zusammen. Die erste besteht darin, dass es sich bei Dingen um primäre Entitäten handelt und dass sich dieser Status modiontologisch darlegen lässt. Die zweite Aussage aber ist, dass eine modiontologisch dargelegte Ontologie von Dingen als primären Entitäten den Kriterien einer Alltagsontologie (im Sinne von I - 2) entspricht. Zur Interpretation des primären Status der Dinge kann man auf einschlägige Thesen aus dem Abschnitt II - 2.3 Bezug nehmen: Dieser Status besagt, dass Dinge im Kontext einer dreikategorialen Ding-, Modi-, Zustände/EreignisseOntologie als die einzigen in ihrer Existenz unabhängigen Entitäten zu verstehen sind. Die Darlegung von ontologischer Abhängigkeit bzw. Existenzabhängigkeit aber, welche zu diesem Ergebnis führt, kann in unmittelbarer Anwendung modiontologischer Annahmen durchgeführt werden: etwa dass Modi in spezifischen formalen Beziehungen (Bestimmtheit, Komposition) stehen, welche ihre ontologische Abhängigkeit bzw. Existenzabhängigkeit (und jene der Zustände/Ereignisse) fundieren, vor allem dass sich daran ein grundlegender Unterschied zu Dingen festmachen lässt. Somit ist das Verstehen von Modi unumgänglich für das Verstehen von Dingen als nicht existenzabhängigen, also primären Entitäten. Wie aber kann man diese These als alltagsontologische verstehen? Ich möchte bei der Beantwortung dieser Frage dabei ansetzen, dass sich die Annahme des primären Status von Dingen im Kontext einer dreikategorialen Ontologie auch als eine Zusammenfassung oder ein Auf-den-Punkt-Bringen jener Thesen verstehen lässt, die in den vorhergehenden Abschnitten diskutiert wurden. Sie ist so gesehen, metaphorisch gesagt, eine ‚Schlussstein-These‘. Denken wir beispielsweise daran, dass Dinge, aufgrund ihres Status als endurer (IV - 2.1), Träger der sie bestimmenden Modi sind und so mit den Modi Zustände und Ereignisse komponieren. Beides lässt sich (siehe wieder II - 2.3) aber so darlegen, dass daraus der primäre Status von Dingen gegenüber Vorkommnissen der genannten anderen Kategorien zum Tragen kommt. Endurer aber sind Dinge als Lebewesen und als Artefakte (2.3), was so zu interpretieren ist, dass sowohl Lebewesen als auch Artefakte relativ zu ‚ihren‘ Modi, Zuständen und Ereignissen grundlegend oder primär sind. Dass auch ihre eigentümliche innere Materie-Form-Struktur (2.2) und ihre Weise der Artzugehörigkeit (2.4) dem endurerStatus entspricht, muss hier nicht nochmals ausgefaltet werden. Die individuel-

Modi und Dinge als die primären Entitäten einer Alltagsontologie | 287

le Form von Dingen, um nur ein Stichwort anzuführen, ist jedenfalls als sortal dependentes Identitätsprinzip auf diachrone Identität angelegt. Kurzum: Der Status von Dingen als primären Entitäten lässt sich daraus verstehen, dass sie als Artefakte und Lebewesen diachron strikt identische Träger von Modi sind, wobei ihre Eigenart als sortal dependente Komposita aus Material- und Formaspekt für ihre diachrone Identität maßgeblich ist. Die These aber, dass Dinge als Artefakte und Lebewesen diachron strikt identische Träger von Modi sind, ist alltagsontologisch (im Sinne von I - 2.1, zur Erinnerung die wichtigsten Kriterien in Kurzform: Intuitivität, Erklärungskompetenz von Grundstrukturen alltäglichen Sprechens, Revidierbarkeit) gut gesichert. An anderer Stelle habe ich dies ausführlich dargelegt und zu begründen versucht.9 Ich möchte mir deshalb eine Entfaltung der Anwendung besagter Kriteriologie auf Dinge an dieser Stelle ersparen und hier nur darauf verweisen, dass wir intuitiv annehmen, dass nicht nur wir selbst und unsere Mitmenschen, sondern auch unsere Haustiere, ja selbst unsere artifiziellen Gebrauchsgegenstände durch die Zeit dieselben bleiben, sowie darauf, dass jede Ontologie, welche Dinge aufgrund ihrer strikten Selbigkeit durch die Zeit als Träger von Modi annimmt, die Subjekt-Prädikat-Struktur unserer alltäglichen Rede erläutert und wir durchaus akzeptieren können, dass beide Annahmen, sowohl die auf Intuitivität als auch die auf Explikation von Grundstrukturen alltäglicher Rede beruhende, schon aufgrund ihrer Kulturrelativität prinzipiell revidierbar sind. Ist aber die These, dass Dinge als Artefakte und Lebewesen diachron strikt identische Träger von Modi sind, alltagsontologisch gut gesichert, so auch die Auffassung von Dingen als primären Entitäten, die sich daraus verstehen lässt. Der finale Punkt, den ich hier anvisiere, ist allerdings nochmals auf unsere Modi bezogen. Nehmen wir an, Dinge als primäre Entitäten gehören tatsächlich zu alltagsontologischen Entitäten. Nehmen wir außerdem an, dass die hier skizzierte Modiontologie besagte Dingontologie verteidigt und erläutert. Dann ist die hier entwickelte Modiontologie wohl ebenfalls zum Grundrepertoire einer Alltagsontologie zu zählen, insbesondere wenn wir annehmen, dass wir auch dann Thesen als alltagsontologische akzeptieren, wenn sie sich innerhalb eines erwiesenermaßen alltagsontologischen Rahmens, wie es eine Dingontologie ist, entwickeln lassen und so dazu beitragen, diesen Rahmen zu erläutern und zu verteidigen.

|| 9 Kanzian 2009, I - 5.3 (unter besonderer Berücksichtigung von diachroner Identität und sortaler Dependenz) bzw. II - 4. (im Hinblick auf die Unterscheidung Lebewesen–Artefakte).

288 | Modi und die Vertiefung einer Dingontologie

Einen weiterführenden Aspekt im Hinblick auf Alltagsontologie-Tauglichkeit möchte ich auch noch anbieten, und zwar unter Berücksichtigung der ‚apologetischen‘ Abschnitte in IV - 1. In Ausblendung der beiden anderen Kriterien darf ich kurz auf die Intuitivitätsfrage zu sprechen kommen. Wenn wir Modi bzw. eine modiontologisch orientierte Dingontologie einer Mikroweltontologie gegenüberstellen, können wir wohl die Intuitivitätsfrage klar zugunsten der ersteren Alternative beantworten. Wir nehmen an, dass wir es im Alltag primär mit (ganzen!) Artefakten, Lebewesen, anderen Menschen, nicht zuletzt mit uns selbst zu tun haben, nicht mit sekundären Kompilationen aus irgendwelchen Mikrobestandteilen. Dasselbe gilt wohl auch für die Frage, ob sich ‚hinter‘ den Dingen der Alltagswelt ‚eigenschafts‘-lose oder reine Substrata befinden. Intuitiv nehmen wir an, dass sich Träger ohne ‚Eigenschaften‘ und ‚Eigenschaften‘ ohne Träger gar nicht vorstellen lassen. Die Annahme eigenschaftsloser Substrata steht dieser Intuition entgegen. Ebenso, um auch das dritte Thema hier kurz einzubringen, ist es wohl intuitiv klar, dass sich die Identität unserer Alltagsdinge nicht durch ihre qualitative Gleichheit explizieren lässt, besonders wenn wir die diachrone Identität mitbedenken. Wir bleiben dieselben, auch wenn wir uns ändern. Kurzum: Die Annahmen von Mikroentitäten, reinen Substrata und Leibniz’ Gesetz (zumindest in der Weise, wie es von manchen OntologInnen gegen Dinge ins Treffen geführt wird) sind gegenintuitiv. Somit ist das Gegenteil intuitiv bzw., um es vorsichtiger zu sagen, viel eher mit unseren alltäglichen Intuitionen zusammenzubringen. Das Gegenteil aber besteht in einer modiontologisch verteidigbaren Dingontologie. In diesem Sinne möchte ich – in Zusammenschau mit den anderen einschlägigen Abschnitten (III - 8, II - 4.2) – festhalten, dass wir auch die im vierten Hauptteil vorgenommene modiontologische Verteidigung bzw. Vertiefung einer Ding- oder Substanzontologie alltagsontologisch oder deskriptiv verstehen dürfen.

3 Ein Wort zu dem, was offen bleibt Ich komme zum Abschluss dieses vierten Hauptteils und damit auch der vorliegenden Monographie – und das obwohl, aufs Ganze gesehen, mehr einschlägige Themen und Fragen offen bleiben, als behandelt und beantwortet werden konnten. Im Grunde geht es mir ja ausschließlich darum, im Rahmen einer alltagsontologischen oder deskriptiven Dingontologie eine Theorie der Modi (als welche ich das verstehe, was man landläufig auch Eigenschaften nennt) zu entwickeln, welche dann ihrerseits dazu beitragen kann, den gewählten Rahmen nicht nur zu explizieren, sondern auch ein Stück weit zu verteidigen, zumal hauptsächliche Stoßrichtungen der Attacke auf Dinge oder Substanzen eben aus Problemfeldern im Zusammenhang mit der Bestimmung von Dingen oder Substanzen, daher Wie Dinge (oder Substanzen) sind, kommen. Ich möchte mich allerdings nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass es in der Natur von Büchern liegt, dass in ihnen nicht alles abgehandelt werden kann, auch nicht alles, was eigentlich gesagt werden sollte. Vielmehr möchte ich noch kurz auf offene Punkte reflektieren, teils um Gründe vorzubringen, warum sie nicht behandelt werden, teils auch um zuzugestehen, dass manche Offenheiten durchaus auch Mankos darstellen. Ein erster Grund der Nichtbehandlung von eigentlich schon zu Behandelndem besteht darin, dass ich manches davon bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe. Ein Beispiel: Die Distinktion zwischen Lebewesen oder Substanzen und Artefakten kommt hier vor. Was allerdings fehlt, ist die weiterführende Unterscheidung im Bereich der Lebewesen zwischen personalen und nicht personalen Lebewesen, wie ich sie in meinem Ding – Substanz – Person-Buch versucht habe. Dieses Fehlen macht sich besonders dort bemerkbar, wo ich von Vermögen gehandelt habe, von komplexen Dispositionen, die Dingen aufgrund von Modi, welche ihre individuelle Form bestimmen, zukommen. Es wäre wirklich interessant, die Eigenart der individuellen Form von Personen aufzugreifen, ihre Bestimmungen durch Modi zu untersuchen und daraus eine Theorie spezifisch personaler Vermögen zu erarbeiten. Unterlassen habe ich das, weil eine solche Theorie Bausteine erforderte, deren Darlegung eine glatte Wiederholung ganzer Abschnitte des Ding – Substanz – Person-Buches darstellte. Analoges lässt sich über das Thema Quasi-Individuen sagen. Auch dieses habe ich hier nicht ausgeführt, weil es in besagter Vorgänger-Monographie abgehandelt wurde. Damit konnte ich auch nicht systematisch darauf reflektieren, wie Modi nicht nur Dingen, sondern auch Quasi-Individuen zukommen bzw. wie man Vermögen von solchen Quasi-Individuen beschreiben kann. Auch reine, sprich

290 | Ein Wort zu dem, was offen bleibt

nicht-dingliche Stoffmengen haben einen Ort im kausalen Gefüge der Welt. Wie der im Unterschied zu dinglichen Entitäten zu verstehen ist, bleibt hier offen. Ein zweiter Grund, warum ich hier so manches offen gelassen habe, ist die Sorge, mich in gewisse Details zu verlieren, und zwar so, dass es die ohnehin stets gefährdete Lesbarkeit des Buches noch weiter beeinträchtigt hätte. Damit muss ich weitere systematische Lücken in Kauf nehmen. Generell hat diese Sorge dazu geführt, dass ich mich mit alternativen Entwürfen einer Modiontologie, wenn überhaupt, dann nur am Rande auseinandergesetzt habe. Auch im Besonderen wird das Fehlen von Detailanalysen an manchen Stellen spürbar. Ich möchte nur einen besonders markanten Punkt erwähnen. Er betrifft die formale Beziehung der Komposition. Sie besteht sowohl zwischen Modi und Zuständen bzw. Ereignissen als auch zwischen Dingen und Zuständen bzw. Ereignissen. Diverse Unterschiede, u.a. bei der Fundierung von ontologischen Abhängigkeiten bei diesen Kompositionsverhältnissen, habe ich schon aufgegriffen, nicht (bzw. nur in Fußnoten) aber die formalen Eigenheiten der Komposition des ganzen Dinges aus individuellem Material- und individuellem Formaspekt. Entscheidend ist zwar, dass es sich hierbei nicht um Konstitution handelt. Das wurde festgehalten. Bzgl. der Eigenart der inneren Dingkomposition ist aber sicherlich noch mehr zu tun, als sie negativ gegen andere formale Beziehungen abzugrenzen. Eine dritte Gruppe von Ungelöstem wird der LeserIn vermutlich besonders ins Auge gefallen sein. Ich operiere mit drei Kategorien von Entitäten. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob das denn schon alles sei. Gibt es nicht noch mehr? Insbesondere im Kontext des Eigenschafts-Themenfeldes wird für gewöhnlich das Universalienproblem als besonders wichtig und relevant angesehen. In einschlägigen Untersuchungen beginnen die meisten AutorInnen deshalb mit programmatischen Bekenntnissen in diese (universalienrealistische) oder in die andere (nicht-universalienrealistische) Richtung. Universalien spielen freilich nicht nur bei den Eigenschaften, sondern auch bei den Arten oder species infimae eine nicht unbedeutende Rolle. Auch diesbezüglich sage ich nichts. Ich möchte dieses Manko so beschreiben, dass es hier nicht um die Entwicklung einer vollständigen Kategorientafel gehen kann. Operiert wird vielmehr mit drei Kategorien und der Frage, wie weit man mit diesen bei einer ontologischen Analyse unserer alltäglichen Lebenswelt kommt. Daraus lassen sich allerdings keinerlei negative Existenzaussagen ableiten, auch nicht bzgl. Universalien und anderen in Tradition und aktueller Literatur vorkommenden abstrakten Entitäten. Ich gebe zu, dass es mir ein Anliegen ist auszuloten, wie weit man kommen kann mit einer Ontologie von ausschließlich partikulären

Ein Wort zu dem, was offen bleibt | 291

Entitäten, auch bei Fragen von Kausalität und Naturgesetzlichkeit, sowie bei Diskussionen der Artzugehörigkeit von Entitäten. Ich wiederhole es: Daraus leite ich keine Nicht-Existenz-Schlüsse in irgendeine Richtung ab. Insbesondere möchte ich mich schon deshalb dagegen verwahren, weil ich die Frage nach abstrakten Individuen, über die Stoßrichtung der Überlegungen in II - 1.2.1 (2) hinaus, für hochinteressant und relevant halte, etwa bei der Analyse von Zahlen, Mengen oder Klassen, aber auch bei der Frage nach rein möglichen bzw. rein fiktionalen Individuen o.ä. Dennoch: Das Desiderat einer vollständigen Kategorientafel wird hier nicht erfüllt. Alles, was eine solche erforderte, muss deshalb offen bleiben, im Sinne dieser dritten Gruppe von Offenheiten. Abschließend möchte ich noch eine vierte Art der Offenheit einräumen. Sie ist allerdings – wie ich annehme – nicht durch die Grenzen dieser Arbeit, sondern durch die Grenzen ontologischer Theorienbildung überhaupt bedingt. Was ich meine, lässt sich exemplarisch im Anschluss an jene Bemerkungen aufzeigen, die ich im Abschnitt III - 7 (3) über ethische und über ästhetische Prädikate gemacht habe. Die Frage nach einer realistischen bzw. nicht-realistischen Interpretation ethischer und ästhetischer Eigenschaften habe ich dort offen gelassen, und zwar deshalb, weil ich meine, dass es in der Ontologie nicht darum gehen kann, Diskussionspunkte anderer philosophischer Disziplinen, schon gar nicht solche nicht-philosophischer Einzelwissenschaften, zu entscheiden. Eine Festlegung darauf, ob es ethische bzw. ästhetische Eigenschaften tatsächlich gibt oder nicht, wäre eine solche fachfremde Entscheidung. Das bedeutet freilich nicht, dass wir uns in der Ontologie mit diesen Themen nicht auseinandersetzen sollten. Das bedeutet lediglich, dass wir dies m.E. so tun sollten, dass wir einen allgemeinen Rahmen (im gegenständlichen Fall bzgl. intensionaler Eigenschaften) entwickeln, der es den Nicht-OntologInnen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Philosophie, erlaubt, ihre konkreten Fragen zu artikulieren, zu diskutieren und schließlich auch nach Maßgabe ihrer je eigenen Methoden und Perspektiven zu entscheiden. Ebenso wenig wie man ontologische Theorien aus Forschungsergebnissen nicht-ontologischer Disziplinen innerhalb und außerhalb der Philosophie herleiten kann, kann man Antworten auf nicht-ontologische Fragestellungen aus der Ontologie deduzieren. Mit diesem Bekenntnis zu Arbeitsteilung in der Wissenschaft, insbesondere zu einer Ontologie, die einen Rahmen bereitstellt, ohne jedes Bild in diesem Rahmen selbst zeichnen zu wollen, möchte ich diese Abhandlung beschließen – durchaus im Bewusstsein, dass auch das Bekenntnis zur Unvollständigkeit selbst ein unvollständiges bleiben muss. Danke für die Geduld!

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Index Abstrakta 78f., 84f. Abstraktheitskriterien 83 Adhärenz 1, 59ff. Affektion 63, 140 agent-causation 72f., 142 Ähnlichkeit 63, 166, 173, 180, 222, 224, 226f. Akzidens 1, 214 Allaire 80 Aristoteles 10, 29, 99, 121, 141, 252 Armstrong 22, 53, 58, 85f., 91, 127ff., 132ff., 143, 176ff., 256 Artefakte 9, 14f., 36, 49, 113, 141, 216f., 278ff., 282f., 286f. Atome 18, 31, 34, 275 Attribut 1, 22, 60 auslösende Ursachen 135f. Bacon 22 Baker 44ff., 48, 56f. bare particulars 53, 160, 170, 256, 259f., 272 Benovski 52 Bestimmtheit 52f., 65, 96, 98, 107ff., 114, 117, 166, 168f., 188, 190, 196f., 199, 210, 229, 259, 261, 272, 275, 286 Beziehungen Siehe auch Relationen – dünne 95ff., 203ff. – formale 96, 203, 205 – interne 95ff., 99, 102, 203 – kausale 123, 132 – räumliche 208 – zeitliche 208 Bird 117, 121, 132 Black 200 Bolzano 59 bottom-up 31, 40f., 46ff., 50, 100, 276 Bradley 54 Britton 48, 175 Brüntrup 73 Busse 126 Cambridge-Eigenschaften 231f. Campbell 29, 36, 41, 58, 78f., 84, 87 Castellani 73 ceteris-paribus-Klausel 146

Chisholm 79, 160, 162, 179f., 198 Cumpa 160 Davidson 41, 72ff., 129ff., 134f., 143, 264 Descartes 63, 183f., 208, 257 deskriptive Ontologie 7, 25ff., 47, 50, 64f. Determinable 2, 90f., 150, 194 Determinante 90ff., 150, 190, 194 Dietrich von Freiberg 106 Dingontologie 2ff., 53, 56f., 59, 94, 100, 202, 221, 249f., 259, 263, 271, 274, 276ff., 282, 287ff. Dispositionalismus 121, 127 Dispositionen 115f., 118f., 121, 128, 133ff., 140, 142, 144, 147, 165f., 172, 199, 207, 209, 211, 218f., 221, 232, 236, 238f., 242 Dispositionsgefüge Siehe Vermögen Dispositionspartner 135ff., 140, 144, 147, 172f., 207, 212, 273 dynamischer Modus 138, 273 Edwards 52 Eigenschaften – abundante 57, 163, 167f., 174f., 183, 189, 191ff., 216, 230, 233, 241 – ästhetische 239, 291 – dünne 171ff. – extensionale 234, 236f., 238f. – extrinsische 224f., 226, 228f., 231f. – formale 168ff., 171, 188, 191, 195, 230 – intensionale 234ff., 237f., 241f. – intrinsische 222f., 226ff., 233, 267, 269 – komplexe 175ff. – natürliche 222ff., 226ff. – phänomenale 239 – primäre 119ff., 235ff. – sekundäre 119ff., 209, 235ff. – tertiäre 120, 209, 235ff, 238 – typisierende 189, 191ff. – uneigentliche 191, 195ff., 200f., 230, 232 Emergenz 41, 44f. endurer 10, 26, 82, 141, 192, 250, 263, 266, 268f., 271ff., 286 Entitäten

300 | Index

– Basisentitäten 8, 31f., 35, 37f., 40, 43, 46, 50, 58, 64, 74, 251 – primäre 8, 20, 26, 249, 260, 286f. Epiphänomen 82, 100ff., 107, 139, 197, 200, 207, 212, 231, 254f. Ereigniskausalität 130f. Ereignisse 7, 10f., 19ff., 23, 25, 42, 47, 59, 61f., 64, 70, 72ff., 76, 79, 82ff., 89, 94, 98ff., 102f., 107, 113f., 125f., 130ff., 143, 145f., 149f., 174, 191, 198f., 208, 260f., 264,268, 271ff., 284, 286 Esfeld 115 Existenz 168, 183ff., 244 Existenzabhängigkeit 63, 93ff., 98f., 101, 103f., 112ff. Existenz-Quantor 186f. Fara 121 Fine 105 Ford 168, 226 formale Relationen Siehe formale Beziehungen Frege 165, 185ff. Fundierung 103f., 129, 290 Funkhouser 90f. Geach 185ff. Geschichte 198, 216, 219 Gleichheit 54, 168, 173, 200, 206, 223, 230 Greimann 206 Habermas 35 Hakkarainen 88 Handlungen 41, 61, 130f., 141f., 202, 212, 274 Heil 43, 55, 62ff., 109, 117f., 120, 128, 133, 135, 160, 162ff., 166, 169 Hoffmann & Rosenkrantz 256 Hoffmann-Kolss 41, 195, 224f., 229, 231f. Hofmann 11, 41, 74, 88, 117, 132, 162, 175 Hume 63, 87ff., 122ff., 127ff., 132, 143 Husserl 60 Identität 159, 168f., 191, 193ff., 199f., 202, 205f., 208, 214, 217ff., 230 – diachrone 15, 287f. – sortale Dependenz der 12f. – sortale Relativität der 21, 89, 284

Identitätsabhängigkeit 114, 149, 272 Identitätsbedingungen 92, 148f., 169, 174, 186, 264f. Induktion 146 Inhärenz 59, 258f., 261 Integration 47, 66 Intentionalität 210 interne Relationen Siehe interne Beziehungen Intuitionen 22, 27f., 65, 151, 153, 174f., 223, 240, 242, 244f., 288 Jansen 116, 121, 141 Jung 121 Kant 82, 89, 124, 184ff., 208, 240 Kategorie 148, 150f. kausale Relationen Siehe kausale Beziehungen kausale Rolle 117, 120, 165, 227, 232, 237 Kausalität 71ff., 93, 115, 123ff., 129f., 132, 139, 143f., 147, 152, 172, 182, 207, 273, 291 Kim 31, 42f., 241f. Kohabitation 84 Komposition 9, 13, 19, 50, 86, 98ff., 108, 110ff., 132, 168, 188, 206, 238, 254f., 268, 275ff., 286, 290 Konstitution 10, 44ff., 70ff., 77, 99f., 103, 107f., 111f., 116, 132, 138f., 168, 197ff., 254, 274f., 290 Kräfte 71, 73, 76, 78, 88, 93, 114f., 117, 119ff., 126ff., 130, 132, 136ff., 145, 152f., 177f., 199, 209, 236f., 273 Kuhlmann 30, 37, 252 Künne 78, 83, 85 Lebewesen 9, 14f., 19, 26, 36, 49, 72, 100, 141, 159, 193, 216f., 219f., 278ff., 286ff. Leibniz 82, 88, 147, 200, 250, 252, 263ff., 275, 288 Leibniz’ Gesetz 200, 263, 265 Lewis 41, 52, 124ff., 132, 143, 152, 166, 173, 181f., 222ff., 232, 266ff., 285 Lim 56 Locke 63, 87, 120, 139, 235ff., 257 Löffler 107

Index | 301

Lowe 15, 52, 60ff., 71, 75, 78, 82, 88, 95f., 98ff., 102ff., 108, 129, 139, 205f., 220, 229, 264 Martin 1, 118, 128 Massenportionen 16ff., 254 Meixner 84 Mellor 54, 162, 166, 175 Mertz 53, 257ff. Mikrowelt 26, 31f., 36, 40, 43f., 250ff. Modell 32 Modi – akzidentelle 3, 214, 216 – Derivativität von 48, 56f. – Modi-Komplexe 86 – wesentliche 3, 219, 221 mögliche Welten 143 Moment 60f. Monaghan 53 Morganti 53, 257 Muck 49 Mulligan 60f., 63, 95ff., 101f. Nagel 242 Naturgesetze 128f., 143ff., 147 natürliche Formationen 17f. Newen 185 Newton 31 Nominalismus 160 O’Sullivan 118 Ockham 75 Oliver 54 ontologische Abhängigkeit 98, 101ff., 139, 148, 150, 210, 259, 286 – extrinsische 104 – generische 109 – individuelle 109, 210 – intrinsische 104 – propriale 106, 113 – substantielle 106 Partikularien 2, 7ff., 19, 23, 47, 70, 72, 75ff., 80f., 83, 86, 89, 92f., 95, 103f., 113f., 129f., 136, 148ff., 256, 261, 268, 271 perception Siehe Wahrnehmung Persson 75

Platon 56 powers Siehe Kräfte Prädikate 160ff., 174f., 178, 180, 182f., 190, 192ff., 196, 204, 206, 216, 226, 229f., 235, 239, 244 Prädikation 80f., 160, 267 Primäre Qualitäten Siehe primäre Eigenschaften Privation 220 Proprium 105 Prozessontologie 29 Qualia 234, 241f. Qualitätsraum 91 quality space Siehe Qualitätsraum Quasi-Individuen 15ff., 20, 46f., 52, 82, 87, 174, 204, 253, 275, 289 Quine 23, 32, 38, 72, 75, 84, 160, 184, 186f., 206, 264 Quitterer 73 Rapp 80 Raum 9, 70, 76, 78, 82f., 88 Relationen 22, 171, 202f., 205, 207f., 210, 212, 229ff., siehe auch Beziehungen revisonäre Ontologie 26 Röd 63, 120, 184f. Runggaldier 22f., 55, 72, 81, 99, 125, 131, 160, 185, 195, 234 Ryle 117 Sachverhalte 22 Sala 79 Schaffer 30f., 46 Schnieder 59f. Schopenhauer 208 Schwarz & Smith 97 Searle 39, 91 Seibt 53, 263f. sekundäre Qualitäten Siehe sekundäre Eigenschaften Sellars 29, 160 Shoemaker 118, 127, 166, 226, 232 Simons 30, 55, 58, 60, 104f., 109, 112, 214, 221, 250ff., 254f., 265 Spinoza 63, 65 Stenwell 145

302 | Index

strukturierende Ursachen 131 Subjekt-Prädikat-Struktur 28, 65, 151f., 243f., 287 Substrata 3, 53, 160, 170, 215, 221, 250, 256ff., 261f., 272, 288 Supervenienz 41ff., 181 Tegtmeier 22, 53, 91, 202 temporary-intrinsics-Einwand 266, 270 tertiäre Qualitäten Siehe tertiäre Eigenschaften thick particulars 256, 259ff. thin particulars 53 Thomas von Aquin 205f. Toepfer 15 top-down 47ff., 86, 100f. Trettin 105 Trope 1, 36, 58f., 214 Tropenontologie 29, 36, 58, 214, 252 Tugendhat 54

Ultraessentialismus 214 Universalien 22, 76f., 129, 132, 143, 176, 290 v. Wachter 123ff. Van Inwagen 29 Vermögen 121f., 159, 173, 199, 211f., 218ff., 240, 245 Vihvelin 121 Wahrnehmung 71, 119f., 139f., 209, 211f., 235 Wittgenstein 33, 95, 162, 168 Zangwill 180ff. Zeit 9f., 14, 21, 38f., 45, 70, 77f., 82ff., 93f., 99ff., 107, 133, 148f., 191, 196, 250, 263, 268, 271, 273, 275, 281, 284, 287 Zustände 10f., 19ff., 23, 47, 54, 59, 61, 64ff., 70, 72f., 76, 79, 82ff., 94, 98f., 108, 110ff., 130ff., 135f., 140, 145f., 149f., 174, 191, 208, 241, 260f., 268f., 271, 273, 284, 286