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German Pages [236] Year 2023
Michaela Veit-Engelmann Marc Wischnowsky
Who’s who im Neuen Testament? Berühmte Personen aus den urchristlichen Schriften im Porträt
Michaela Veit-Engelmann Marc Wischnowsky
Who’s who im Neuen Testament? Berühmte Personen aus den urchristlichen Schriften im Porträt
Mit Illustrationen von Rainer Holweger
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2024, Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Rainer Holweger Bibelzitate: Lutherbibel, revidiert 2017 © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-63068-2
Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Mit brennendem Herzen Von den Anfängen des Neuen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Buchstäblich begeistert. Wie alles anfing … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Weltgeschichte. Und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Glaube, der Bände spricht. Das Neue Testament entsteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Menschensohn und Gottessohn Jesus aus Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Jesus von Nazareth. Fakt und Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Wunschkind? Legenden von Geburt und Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Kaum zu glauben. Jesus tut Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Ein begnadeter Erzähler. Reden in Gleichnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Der Gekreuzigte. Jesu Weg ins Leid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Der Auferstandene. Gestorben, um zu leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Menschen, die Jesus nahestanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Maria und Josef. Aus ungeordneten Verhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Johannes der Täufer. Vorbild Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Maria Magdalena. Kann denn Lieben Sünde sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Petrus. Fels in der Brandung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Johannes und Jakobus. Vorlautes Brüderpaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Judas. Verraten und verkauft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Matthias und die Elf. Zwölf Freunde sollt ihr sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Menschen, denen Jesus begegnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Die Frau, die Jesus salbte. Ein Skandal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Maria und Martha. Zwei ungleiche Schwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
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Inhalt
Die Ehebrecherin. Wie Jesus einen Lynchmord verhinderte . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Zachäus. Der kleine Zöllner auf dem großen Baum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Bartimäus. Der Blinde vor Jericho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die gekrümmte Frau. Hoffnung und aufrechter Gang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Der Gelähmte am Teich Betesda. Ein Leben lang warten müssen . . . . . . . . . . . . . 114 Die syrophönizische Frau. Wer wagt, gewinnt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Der Gelähmte mit seinen Freunden. Not macht erfinderisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Die Tochter des Jairus. Rettung wider besseres Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Lazarus. Es ist nie zu spät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Nikodemus der Pharisäer. Wenn aus Feinden Freunde werden . . . . . . . . . . . . . . . 132 Pontius Pilatus. Mit allen Wassern gewaschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Menschen, von denen Jesus erzählte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Die Arbeiter im Weinberg. Was heißt Gerechtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Der barmherzige Samariter. Wer ist mein Nächster? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Der verlorene Sohn. Handelt der Vater hier richtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde . . . . . . . . . . . . . . . 155 Salome und die Frauen am Grab. Wer’s glaubt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Kleopas. Begegnung auf dem Weg nach Emmaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Thomas. Der Ungläubige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Die Jünger und der Geist von Pfingsten. Geburtstag der Kirche . . . . . . . . . . . . . . 169 Jakobus. Herrenbruder und Säule der Urgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Stephanus. Der erste christliche Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Paulus. Unterwegs im Auftrag des Herrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Priska und Aquila. Gemeinsame Sache mit Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Lukas und die Synoptiker. Chronisten der Zeitenwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Der Jünger, den Jesus liebte. Wer schrieb das Johannesevangelium? . . . . . . . . . . 202 Der Seher Johannes. Gericht und Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Anhang Landkarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Geleitwort
Geschichte wird von Menschen gemacht. Wer die Menschen, ihre Motive und Absichten, ihr Herkommen und Umfeld kennt, versteht Geschichte und erkennt, dass sie kein Verhängnis ist, sondern gestaltet werden muss. In solchem Verstehen und Erkennen kann man die je eigene Geschichte reflektieren und die Möglichkeiten zu deren Gestaltung entdecken. Auf diese Weise ist jeder Mensch ein Akteur oder eine Akteurin der Geschichte, im positiven wie im negativen Sinn. Was eigentlich eine Binsenweisheit ist, rückt in Krisenzeiten besonders ins Bewusstsein. Wenn die gewohnten Werte des Zusammenlebens in den Zeitläuften brüchig werden, verstärkt sich die Suche nach neuem Halt. Halt und Orientierung geben können aber wieder nur Menschen, die andere ermutigen, ihre eigene Geschichte zu gestalten. Das gilt auch und vielleicht in besonderer Weise für die Akteurinnen und Akteure der biblischen Geschichte. Die Geschichte, oder vielleicht sollte man besser sagen: die Geschichten, die sie geschrieben haben, haben die Welt, in der wir leben, nachhaltig geprägt. Es sind Geschichten des mutigen Ringens mit ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen, des zweifelnden Ringens um den Glauben an Gott, des ambitionierten Ringens um die Werte, die das Zusammenleben bestimmen sollen. Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit gehören ebenso dazu wie Glaube, Hoffnung und Liebe. Es sind die Menschen, die solche Werte leben und vermitteln, auch dann, wenn sie daran zweifeln und scheitern. Das Neue Testament erzählt Geschichten von solchen Menschen. Allen voran die Geschichte dieses einen Menschen Jesus von Nazareth, der zur zentralen Figur des Christentums geworden ist, was ihm selbst nie in den Sinn gekommen wäre. Und es erzählt von denen, die Jesus begegnet sind, die ihn geprägt haben und die er geprägt hat, denen er Hoffnung gegeben hat, aber auch von solchen, die an ihm gezweifelt haben und ihn für gefährlich hielten. Aus diesem Grund ist dieses »Who’s who im Neuen Testament?« ein wichtiges und aktuelles Buch, weil es uns diese Menschen, ihre Geschichte und Geschichten, ihre Werte, ihre Hoffnungen, ihren Glauben, ihre Zweifel lebendig vor Augen stellt. Es eröffnet damit zugleich einen besonderen, einen menschlichen Zugang zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens, der unsere eigene Geschichte geprägt hat, auch wenn wir selbst meinen, mit diesem Glauben »eigentlich nichts am Hut« zu haben.
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Geleitwort
Gerade wer so von sich denkt, sollte dieses Buch zur Hand nehmen, die Menschen der Bibel kennenlernen und dabei die eine oder andere Überraschung erleben. Das werden übrigens auch diejenigen, die der Meinung sind, sie würden all diese Geschichten bereits kennen. Die Autorin und der Autor dieses Buches verstehen es gemeinsam mit dem Illustrator, auf erfrischende, verständliche, spannende und ja, eben auch auf überraschende Weise von Jesus, Maria, Petrus, Paulus und all den anderen berühmten, berüchtigten und weniger bekannten Persönlichkeiten so zu erzählen, dass die Welt dieser Menschen im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich wird – und sich die Leserinnen und Leser womöglich in dem einen oder der anderen von ihnen selbst wiederfinden. Lassen Sie sich überraschen! Prof. Dr. Jens Herzer Leipzig im Januar 2023
Vorwort
Wie war das nochmal mit Jesus und Petrus und dem Hahn? Woher kommt die christliche Taufe? Und was genau ist den Jüngerinnen und Jüngern eigentlich an Pfingsten passiert? Wer in der Schule oder in der Gemeinde mit biblischen Geschichten arbeitet oder wer einfach gerne mehr erfahren möchte über die Menschen aus dem Neuen Testament, der findet in diesem Buch Antworten auf diese und andere Fragen. Auf solche, zu denen man immer schon mal etwas wissen wollte – oder auf solche, die man sich vielleicht noch nie gestellt hat, die aber die kleinen und großen Zuhörerinnen und Zuhörer gerade besonders interessieren. Dieses Buch stellt in 36 Kurzporträts Menschen aus den neutestamentlichen Texten vor. Ausgewählt wurden dabei solche Gestalten, die für die christliche Tradition eine große Bedeutung haben oder deren Geschichten im schulischen oder gemeindlichen Kontext besonders häufig vorkommen. Eine solche Auswahl kann nie vollständig sein. Doch sollen die hier vorgestellten Personen dazu anregen, sich selbst im Neuen Testament auf Spurensuche zu begeben und zu schauen, wen man dort noch kennenlernen und welche überraschenden Entdeckungen man machen kann. Die einzelnen Porträts sind unabhängig voneinander verständlich. Nach einer Einleitung zur Entstehung und Geschichte des Neuen Testaments geht es als Erstes um die Hauptperson: Jesus von Nazareth ist ein besonders umfangreiches Kapitel gewidmet. Danach schlägt das Buch einen weiten Bogen; es beginnt bei den Menschen, die Jesus prägten, und endet bei denen, die Jesus selbst über seinen Tod hinaus geprägt hat, wozu etwa die Apostel und Paulus, aber natürlich auch die Evangelisten selbst und der Autor der Offenbarung gehören. Dazwischen stehen Porträts von Jesu Jüngerinnen und Jüngern, von Menschen, denen er begegnete und die er heilte, und von solchen, denen er ein Dorn im Auge war. Eines ist dabei wichtig: All diese Begegnungen und Begebenheiten von und mit Jesus wurden mündlich überliefert und schließlich – zum Teil deutlich später – von den Evangelisten und den anderen Autoren des Neuen Testaments aufgeschrieben, weil sie damit eine Absicht verfolgten. Sie wollten von ihrem Glauben erzählen und davon, weshalb dieser Glaube für ihre Zeit und für ihre Leute wichtig ist. Es geht ihnen also nicht um Geschichte, sondern um die Geschichten und ihre Bedeutung.
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Vorwort
Diesen Überlieferungen, ihrem historischen Kern und ihren literarischen Absichten nachzuspüren, soll Aufgabe dieses Buches ein. So bietet es einen kompakten und leicht verständlichen Zugang zu den Geschichten und Gestalten des Neuen Testaments. Wer will, kann das Buch von vorne bis hinten durcharbeiten – oder aber einfach mal blättern und sich irgendwo festlesen. Alle mit einem * gekennzeichneten Begriffe werden am Schluss des Buches in einem Glossar erläutert. Und wer gerne selbst auf Spurensuche geht, der entdeckt mit Hilfe des Bibelstellen- und des Sach- und Personenregisters sicher noch weitere Querverbindungen zwischen den einzelnen Geschichten und Personen. Von Personen übrigens, unter denen sich selbstverständlich Männer und Frauen finden. Wenn wir deshalb gelegentlich nur von Jüngerinnen oder von Jesu Zuhörerinnen sprechen, so sind alle Geschlechter gemeint. Schließlich einige persönliche Worte des Dankes. Zur Entstehung dieses Buches haben viele Menschen beigetragen: Rainer Holweger hat die Veröffentlichung durch seine Zeichnungen bereichert, Prof. Dr. Jens Herzer hat ein Geleitwort geschrieben und Prof. Dr. Wolfgang Reinbold hat die Einleitung durchgesehen und wichtige Hinweise gegeben. Josephine Kost und Stephanie Bödeker haben uns bei der Endredaktion unterstützt. Die Mühen der Schlusskorrekturen nahmen Hannah Tabea Volkers, Birgit Nowak und Lothar Veit auf sich. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Zu danken haben wir auch Elisabeth SchreiberQuanz und Ulrike Rastin vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht/Brill Deutschland GmbH für die Aufnahme ins Verlagsprogramm und für die freundliche und kompetente Betreuung während der Erstellung dieses Buches. Michaela Veit-Engelmann und Marc Wischnowsky Loccum und Göttingen im Frühjahr 2023
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rannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?«, so fragen sich K leopas und sein Begleiter in Emmaus angesichts der Begegnung mit dem Auferstandenen (Lk 24,32). Das Neue Testament erzählt von vielen Begegnungen mit Jesus, die H erzen zum Brennen brachten. Von Menschen am Wegrand, Menschen, die ihm nachfolgten, Menschen, die ihm widersprachen oder von ihm lernten, Menschen, die an ihn glaubten. Und es ist geschrieben von Menschen, die ihre Ergriffenheit und Begeisterung über diese Erfahrung in Schriftform gossen: in Geschichten über und von Jesus, in Reden und Briefe, in denen sie über die Bedeutung Jesu für ihr Leben Z eugnis ablegten.
Mit brennendem Herzen Von den Anfängen des Neuen Testaments
Buchstäblich begeistert Wie alles anfing …
Jesus Christus als Mitte des Neuen Testaments 14 Die Geschichtsbücher 15 Die Briefliteratur und die Offenbarung des Johannes 17 Am Anfang stand ein Schock 19
Jesus Christus als Mitte des Neuen Testaments Alle Schriften des Neuen Testaments kreisen um diese eine Mitte: Jesus Christus*. Sie erzählen von seinem Leben und Sterben, von seinen Predigten und seinen Heilungen, von den Menschen, die an ihn glaubten – und von denen, die ihn ablehnten. Zugleich geben sie Auskunft darüber, wie sich nach Jesu Tod die ersten Gemeinden gründeten und wie sich die von Jesus aus Nazareth angestoßene und durch den Glauben an seine Messianität geeinte religiöse Bewegung weiterentwickelte. Das allerletzte Buch des Neuen Testaments wagt schließlich Randbemerkung sogar einen Ausblick auf das Ende Moderne Lesende sind es gewöhnt, von Altem und der Welt. Neuem Testament, von Jüdinnen, Heiden* und Wenn das Neue Testament von Christinnen zu sprechen. Doch tragen diese Begriffe moderne Kategorien in eine Zeit ein, in der man sie Jesu Leben und Sterben erzählt, dann noch nicht verwendete. Und sie suggerieren eine nie nur um der Historie willen – sonTrennschärfe, die im 1. Jahrhundert n. Chr. so noch dern immer darum, weil das Erzählte nicht galt. Als die Schriften entstanden, die später Teil mit dem eigenen Leben zu tun hat. des Neuen Testaments werden sollten, gab es noch keine Größe namens »Altes Testament«, sondern Manche der neutestamentlichen Aulediglich verschiedene Sammlungen heiliger Schriftoren – tatsächlich gehörten zum Auten in den jüdischen Gemeinden. Man unterschied torenkreis des Neuen Testaments auch noch nicht zwischen Menschen jüdischen und wohl ausschließlich Männer – tun das Menschen christlichen Glaubens. Die ersten Christusgläubigen verstanden sich selbstverständlich als eher versteckt, andere machen genau Juden und Jüdinnen und als Teil des Volkes Israel. Erst das selbst zum Thema. Doch immer allmählich kamen Menschen hinzu, die vorher nicht geht es darum, welche Auswirkungen jüdischen Glaubens gewesen waren. Und nochmal späder christliche Glaube auf die eigene ter sollte man diese Gemeinschaft »christlich« nennen Zeit hat. und von zwei verschiedenen Religionen sprechen.
Buchstäblich begeistert. Wie alles anfing …
Die Geschichtsbücher Das Neue Testament besteht aus 27 Büchern, die so unterschiedlich sind wie die Menschen und die Zeit, für die sie verfasst sind. Im Kanon machen die vier Evangelien den Anfang; sie erzählen vom Leben Jesu von Nazareth. Alle vier schlagen einen großen Bogen, beginnend bei Jesu Geburt oder spätestens bei seiner Taufe über sein öffentliches Auftreten bis hin zu Passion, Kreuzigung und schließlich dem Wunder der Auferstehung. Benannt sind die Evangelien nach den Männern, denen man sie in der Antike zugeschrieben hat. Ob diese wirklich Matthäus, Markus, Lukas und Johannes hießen und tatsächlich mit den Größen aus dem Dunstkreis der Apostel zu identifizieren sind, mit denen man sie später gleichgesetzt hat, ist heute allerdings umstritten. Die Evangelisten erzählen von der gemeinsamen Mitte ihres Glaubens und setzen doch ganz individuelle Akzente. Sie tragen nämlich in ihre Versionen der Jesusgeschichte die Fragen und vor allem die Antworten ein, die für die Menschen von Bedeutung waren, für die sie sich verantwortlich fühlten. Dafür haben die Evangelisten die Jesusüberlieferungen, die sie für relevant hielten, sortiert, gerahmt und um eigene Gedanken ergänzt – also manches umgestellt und anderes hinzugeschrieben. In der Wissenschaft wird deshalb immer wieder unterschieden zwischen dem, was der »echte«, also der historische*, Jesus tat und sagte, und dem, was die Evangelisten von ihm schrieben. Dass die vier Evangelien im Neuen Testament nebeneinander stehen, zeugt von der Größe derer, die diesen Kanon* zusammenstellten – hatten sie doch erkannt: Die eine Wahrheit des Glaubens gibt es nicht, sondern diese zeigt sich in historischen Konkretionen, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Bei der Abfassung ihrer Werke stützten die Evangelisten sich auf mündliche oder schriftliche Überlieferungen, die einzelne Geschichten über und Aussprüche von Jesus enthielten. Das älteste Evangelium, das Markusevangelium, entstand vermutlich kurz nach 70 n. Chr. – also circa 40 Jahre nach Jesu Tod. Damals stellte sich langsam die Erkenntnis ein, dass das Reich Gottes doch noch auf sich warten ließ. Und es wurde klar, dass es bald niemanden mehr geben würde, der Jesus noch selbst erlebt hatte und auf dessen Berichte man sich stützen konnte. Äußerer Anlass der Abfassung des ersten Evangeliums war vermutlich die Zerstörung des Jerusalemer Tempels* durch die Römer im Ersten Jüdischen Krieg 70 n. Chr. Das war ein Ereignis, das die jüdischen und die christlichen Gemeinden bis ins Mark erschütterte. Die anderen Evangelien sind jünger. Bei Matthäus und Lukas geht man heute davon aus, dass die beiden das Markusevangelium als Vorlage benutzt haben. Sie haben seine Texte abgeschrieben und um Geschichten und Aussprüche Jesu aus anderen Quellen ergänzt – einer Sammlung von Aussprüchen Jesu, die in der
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Mit brennendem Herzen. Von den Anfängen des Neuen Testaments
Wissenschaft deshalb Logienquelle*, also »Reden«-Quelle, genannt und als Q* bezeichnet wird, sowie jeweils eigenen Überlieferungen. Weil sich Markus, Matthäus und Lukas deshalb sehr ähnlich sind, hat sich für sie der Begriff »Synoptiker«* eingebürgert; das griechische Wort bedeutet »Zusammenschauen«. Damit will man sagen: Diese drei kann man gemeinsam betrachten. Der vierte Evangelist, Johannes, hat ein ganz eigenes Evangelium geschaffen, das sich theologisch und sprachlich deutlich von den drei anderen unterscheidet. Er blickt mit einem größeren zeitlichen Abstand auf die Geschehnisse rund um Jesus zurück. Bei ihm steht die Person Jesu stärker im Zentrum. Berühmt geworden sind die johanneischen Ichbin-Worte, die der Evangelist Jesus in Randbemerkung den Mund legt, darunter: Übrigens gibt es noch viel mehr Evangelien, die von Jesus erzählen. Inzwischen kennt man auch Kindheitsevangelien, die berichten, dass Jesus schon als Junge Spatzen aus Lehm das Leben einhauchen oder einen verunglückten Spielkameraden wiederbeleben konnte. Es sind auch Handschriften* von Evangelien gefunden worden, die anderen Perso-
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. (Joh 15,5)
nen aus Jesu Jüngerkreis zugeschrieben werden. Sie schildern oft aber unwahrscheinliche Details.
Noch ein fünftes Erzählwerk enthält das Neue Testament: die Apostelgeschichte. in das Neue Testament aufgenommen worden. Sie wurde von dem Autor verfasst, der auch das Lukasevangelium schrieb; beide Bücher heißen deshalb lukanisches Doppelwerk. Die Apostelgeschichte nimmt das Leben der ersten Gemeinden in den Blick. Sie erzählt davon, wie sich die christliche Botschaft verbreitete, und legt dem auferstandenen Jesus einen programmatischen Satz als Verheißung an seine Jüngerinnen und Jünger in den Mund:
Deshalb sind diese Texte damals mit Absicht nicht
Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. (Apg 1,8)
Bis heute ist die Apostelgeschichte eine wichtige Quelle für die Zeit der ersten Gemeinden; auch wenn Lukas manches wohl geschönt hat, den einen oder anderen Konflikt unter den Tisch fallen lässt und insgesamt alles dafür tut, dass die junge Religion in möglichst gutem Licht dasteht.
Buchstäblich begeistert. Wie alles anfing …
Die Briefliteratur und die Offenbarung des Johannes Auch in den 21 Briefen des Neuen Testaments geht es darum, wie die Botschaft Jesu Christi im Leben der frühen Gemeinden Gestalt gewinnt. 14 Briefe sind unter dem Namen des Apostels Paulus überliefert, in ihnen liegen tatsächlich die ältesten Texte des Neuen Testaments vor. Die Versuche des Paulus, aus dem Geschick Jesu von Nazareth theologische Impulse für die eigene Zeit abzuleiten, sind bis heute von unschätzbarem Wert. Allerdings wäre Paulus wohl mehr als überrascht, wenn er erführe, dass seine Briefe Teil einer Heiligen Schrift geworden sind. Geschrieben hat er sie nämlich aus einem konkreten Anlass und für eine bestimmte Gemeinde – die Wissenschaft spricht deshalb von »Gelegenheitsschreiben«. Paulus selbst war als Wanderprediger unterwegs. Allein oder in Begleitung zog er umher und erzählte von Jesus Christus*. Kam er in eine neue Stadt, begab er sich, so beschreibt es die Apostelgeschichte, in die jüdische Synagoge*. Dort, so wusste er, bestand die größte Chance, dass seine Botschaft von Jesus, dem gekreuzigten und auferweckten Sohn des Gottes Israels, auf fruchtbaren Boden fallen würde. Tatsächlich fand diese Botschaft oft auch unter denen Gehör, die zwar nicht der jüdischen Gemeinde angehörten, aber als Sympathisantinnen, Gottesfürchtige* oder Proselyten* in ihrem Kontext zu Hause waren. Paulus blieb ein paar Wochen in der jungen Gemeinde, taufte wohl auch und zog dann weiter. Wen verwundert es, dass viele Fragen offenblieben und mancherlei Probleme theologischer oder ethischer Natur erst auftraten, als Paulus die Gemeinde schon wieder verlassen hatte? Den Menschen blieb dann nichts anderes übrig, als einen Boten oder einen Brief mit schriftlichen Anfragen hinterherzuschicken. Leider sind diese Briefe an Paulus verloren gegangen; erhalten sind nur seine Antworten, die er den Christusgläubigen in Thessaloniki, Korinth, Galatien und vielen anderen Orten schrieb. Denn die Gemeinden haben diese Schreiben gesammelt, sie untereinander ausgetauscht und aus ihnen über den konkreten Anlass der Abfassung hinaus Erkenntnisse für ihr gemeindliches Leben gewonnen. Von den 14 Briefen, die zum sogenannten Corpus Paulinum zählen, stammen aber wohl nur sieben von dem Völkerapostel selbst. Dazu gehören der Römerbrief, die beiden Korintherbriefe, die Briefe an die Galater und Philipper und an Philemon sowie der 1. Thessalonicherbrief. Diese Schreiben gelten als »echt«. Bei einigen der sieben anderen ist diese Echtheit umstritten,
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dazu gehören der 2. Thessalonicherbrief, der Kolosserbrief, der 2. Timotheusbrief und der Titusbrief. Eine Sonderrolle nimmt der Hebräerbrief ein, der selbst gar nicht Paulus als Absender nennt. Und bei wieder anderen, wie dem 1. Timotheusbrief und dem Epheserbrief, ist ganz klar: Hier greift jemand zu Feder und Tinte, der sich als Schüler des Paulus versteht und sich den Namen seines Vorbilds leiht, um in die eigene Zeit hinein klärend zu sagen, was aus seiner Sicht dringend gesagt werden muss. Lüge? Fälschung? Aus moderner Sicht vielleicht. In historischer Sicht wohl eher der Versuch, in einer Zeit der Neuanfänge und Aufbrüche und ohne klare Strukturen für Ordnung und Kontinuität zu sorgen. Die sieben weiteren Briefe, die das Neue Testament neben dem Corpus Paulinum noch enthält, sind verfasst von Christen der zweiten und dritten Generation. Zwar tragen auch sie die Namen bekannter Größen der Urgemeinde* – von Petrus, den Herrenbrüdern Judas und Jakobus oder einem Mann namens Johannes –, doch richten sie sich erkennbar an Gemeinden einer späteren Zeit. Man bezeichnet diese Schriften auch als »katholische Briefe«, weil sie den Anspruch erheben, allgemeingültige Weisheiten zu enthalten. »Katholisch« meint dabei nicht die römisch-katholische Konfessionskirche, sondern dem ursprünglichen Sinn des Wortes entsprechend die »allgemeine« und universale christliche Kirche. Auch das letzte Buch der Bibel ist als Brief konzipiert und enthält sieben Schreiben an kleinasiatische* Gemeinden. Und doch stellt die Offenbarung des Johannes eine Schrift ganz eigener Art dar – der Autor heißt übrigens nur so wie der Verfasser des Evangeliums und der Briefe, sehr wahrscheinlich handelt es sich aber nicht um die gleiche Person. Der Verfasser entwirft, dem Stil jüdischer Apokalyptik folgend, eine detaillierte Vision der Endzeit und beschreibt, wie schließlich Gott über alle widergöttlichen Mächte siegt und das himmlische Jerusalem in strahlender Schönheit allen Gläubigen vor Augen stehen wird. Zwischen den Zeilen blitzt allerdings immer wieder auf, dass der Autor in seiner eigenen Zeit gegenteilige Erfahrungen macht und unter Unterdrückung und Anfeindung leidet. Umso mehr Hoffnung setzt er auf den endzeitlichen Triumph Gottes: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. (Offb 1,17–18)
Buchstäblich begeistert. Wie alles anfing …
Am Anfang stand ein Schock Am Anfang des christlichen Glaubens stand eine Katastrophe. Jesu Tod war für seine Jüngerinnen und Jünger ein Schock. Sie waren nicht darauf vorbereitet, dass all ihre Hoffnungen am Kreuz enden würden. Zwar mag Jesus selbst geahnt haben, dass es so kommen könnte, und er mag seinem Tod in den Worten, die dann zu den Einsetzungsworten des Abendmahls wurden, eine eigene vorsichtige Deutung verliehen haben: »Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird« (Mk 14,24). Doch das reichte nicht aus, um den Jüngerinnen und Jüngern die Angst vor dem zu nehmen, was da am Karfreitag geschah. Sicher ist es historische* Erinnerung, dass ein Großteil der Männer bei Jesu Verhaftung floh und sich in Galiläa* in Sicherheit brachte. Unterm Kreuz standen nur einige Frauen; auch diese sahen, wohl ebenfalls aus Furcht um das eigene Leben, nur »von ferne« zu (Mk 15,40). Jesus war gestorben – und erst das ungläubige Staunen darüber, dass er nicht im Tod geblieben war, konnte zarte Farbtupfer der Hoffnung in das düstere Schwarz des Karfreitags mischen. Aufgrund der lebendigen Begegnung mit dem, den sie doch für tot halten mussten, erkannten seine Anhängerinnen und Anhänger: Gott hat Jesus durch den Tod hindurch zu neuem Leben geführt. Sie nannten das Auferweckung und sie verstanden: Das, was eigentlich erst für das Ende der Welt verheißen war, war an Jesus schon jetzt erfüllt – nämlich ein Leben nach dem Tod. Die Erfahrung von Tod und Auferstehung Jesu verwandelte auch den Blick zurück auf sein Leben. Man erkannte: Jesus war nicht nur ein Mensch mit einer Mission, sondern in ihm wirkte Gott selbst, mehr noch: In ihm war Gott selbst erschienen. Damit veränderte sich auch der Blick auf die Gegenwart – sie wurde zu einer Zeit »dazwischen«: Der Zeitenlauf kam von Jesu Erdenwirken her und eilte zu auf seine Wiederkehr zum Jüngsten Gericht*. In dieser Zwischenzeit war einerseits alles anders, aber andererseits ging alles weiter wie bisher. Noch immer war Israel von den Römern besetzt, plagten viele Menschen die alltäglichen Sorgen ums Überleben und galt der ewige Kreislauf der Natur. Nichts davon war angehalten, doch gab es nun die Gewissheit: All diesen Mächten und Gewalten gehört nicht das letzte Wort, sondern Gott hat diese Welt bereits überwunden. Sein Sieg über den Tod war geschehen und er würde wieder geschehen. Diese Gewissheit lag wie ein glänzender Schimmer über allem Grau des Alltags. So schreibt der Verfasser des 1. Johannesbriefes: Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. (1Joh 5,4)
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Weltgeschichte Und darüber hinaus
Pax Romana 20 Hellenismus und Judentum 21 Gemeindeaufbau 23 Apostelkonzil und Heidenmission 26
Pax Romana Als 587 v. Chr. der Jerusalemer Tempel* durch die Babylonier zerstört und die Jerusalemer Oberschicht ins Babylonische Exil* deportiert wurde, endete die Zeit der Selbstständigkeit des Staates, in dem JHWH* als Gott verehrt wurde. Das Volk Israel blieb unter fremder Herrschaft. Nach den Babyloniern kamen die Perser und nach ihnen trat im Gefolge Alexanders des Großen der Hellenismus* seinen Siegeszug an; Palästina blieb dabei in den sogenannten Diadochenkämpfen unter Alexanders Nachfolgern ein umkämpftes Land. Nur für knapp 100 Jahre gelang noch einmal die Durchsetzung politischer Eigenständigkeit. Aus den Makkabäeraufständen* 167–163 v. Chr. – einem der ersten erfolgreichen Guerilla-Kriege der Weltgeschichte – ging das jüdische Priesterkönigtum der Hasmonäer* hervor. Doch endete diese Herrschaft, als im Jahr 63 v. Chr. die Römer das Land eroberten und es als Teil der Provinz Syria ihrem Weltreich einverleibten. So war die Situation, als Jesus geboren wurde und sein Wirken begann. In Israel herrschte zunächst Herodes, ein von den Römern eingesetzter sogenannter Klientelkönig. Nach seinem Tod ging die Herrschaft auf seine Söhne über, die genau wie ihr Vater das Land mit harter Hand regierten. Dass sie selbst aus dem Nachbarvolk der Idumäer stammten und aus Sicht der Menschen in Israel keine vollwertigen Juden waren, dürfte ihr Ansehen nicht gefördert haben. Das Land war politisch abhängig, es brodelte und gärte, und immer wieder regte sich religiöser oder politischer Widerstand, den die Römer aber meist blutig niederschlugen. Im Jahr 66 n. Chr. kam es zu einem provinzweiten Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht, an dessen Ende die Zerstörung des Jerusalemer Tempels* und der jüdischen Hauptstadt Jerusalem standen. Ausgelöst wurde dieser Konflikt durch den Befehl an die Truppen, sich aufgrund fehlender Steuerein-
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nahmen aus dem Tempelschatz zu bedienen. Dass tatsächlich römische Soldaten in das Heiligtum eindrangen und Tempelsilber entwendeten, verletzte die religiösen Gefühle der jüdischen Bevölkerung zutiefst. Als diese dann im bewaffneten Widerstand erste Siege über das römische Militär erlangten, wurde aus dem Aufstand ein Flächenbrand. Langfristig allerdings behielten die Römer die Oberhand. 70 n. Chr. schließlich fiel Jerusalem. Der Tempel* wurde bis auf die Westmauer – die heutige Klagemauer* – zerstört, die Stadt für die nächsten Jahrzehnte unbewohnbar. Der Erste Jüdische Krieg endete 74 n. Chr. mit der Eroberung der Feste Masada am Toten Meer. Die Verteidiger nahmen sich kurz vor der endgültigen Niederlage lieber das Leben, als von den Römern gefangen genommen zu werden. Viele Menschen jüdischen Glaubens verloren in diesem Krieg ihr Leben oder gerieten in Sklaverei; der antike Geschichtsschreiber Josephus spricht von mehr als einer Million. Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels* verlor das Judentum zudem sein kultisches Zentrum. Dort hatten zuvor religiöse Feste stattgefunden, dorthin war man zu Wallfahrten gepilgert und hatten sich die jüdischen Priester als religiöse Elite versammelt. All das war nun vorbei. Nach dem Ende des aktiven Tempelkults* gewannen die Heiligen Schriften des Alten Testaments zunehmend an Bedeutung. Damit verstärkte sich auch der Einfluss der Pharisäer und Rabbinen, die sich als Schriftgelehrte und Lehrer verstanden und deshalb die Schrifttraditionen pflegten. Wenn in neutestamentlichen Texten die Pharisäer als Gegner Jesu schlechthin begegnen, spiegelt das weniger eine Erinnerung an das Wirken Jesu von Nazareth als vielmehr die Erfahrungen, die die Evangelisten – die allesamt nach der Tempelzerstörung schrieben – mit dem Judentum ihrer Zeit machten. Gleichzeitig dürften die Ereignisse des Jüdischen Krieges die Zusammenstellung der Schriften begünstigt haben, die später Teil des biblischen Kanons wurden. Man vermutet heute, dass im Judentum in diesen Jahren bis 100 n. Chr. wesentliche Schritte zur Kanonisierung der hebräischen Bibel unternommen wurden, um den Bestand der heiligen Schriften zu sichern und theologische Grundlagen zu schaffen. Vermutlich war der Schock der Tempelzerstörung auch der Auslöser für die schriftliche Fixierung des ältesten Evangeliums.
Hellenismus und Judentum Nicht erst die Römer hatten eine Veränderung ins Land gebracht, die das antike Judentum vor große Herausforderungen stellte, nämlich die weitere Ausbreitung des Hellenismus*. Als hellenistisch* bezeichnet man die wechselseitige Durchdringung von griechischer Kultur und einheimischer Lebenswelt. Es ist dem
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militärischen Feldzug Alexanders des Großen im 4. Jahrhundert v. Chr. zu verdanken, dass das Griechische auch im Orient seinen Siegeszug antrat. Von nun an galt auch in Israel: Wer etwas auf sich hielt, sprach selbstverständlich Griechisch. Auch Bildung und (Natur-)Wissenschaft nahmen einen neuen Aufschwung, in Alexandria entstand ein neues Wissenschaftszentrum mit einer der bedeutendsten Bibliotheken der Zeit. Davon konnte auch die jüdische Religion nicht unberührt bleiben. Denn nun galt das Orientalische schnell als barbarisch. Es gab deshalb in der jüdischen Oberschicht durchaus Bestrebungen, das eigene Leben, das Stadtbild und die Kultausübung griechischen Gepflogenheiten anzupassen. Wie weit diese Akkulturation gehen sollte, darüber war man im Judentum in den Jahrhunderten vor Jesu Wirken allerdings uneins. Im Zeitverlauf bildeten sich verschiedene religiöse Strömungen, die sich, zumeist aber zum Glück nur mit Worten, heftigst bekämpften. Dazu zählten unter anderem die Pharisäer und Sadduzäer, beides Parteien, die auch im Neuen Testament immer wieder vorkommen. Die Pharisäer waren eine Laienbewegung; ihre Mitglieder lebten großteils in geordneten Gemeinschaften, in die man formal aufgenommen werden musste. Ihre Grundidee war es, die Heiligkeitsvorschriften, die eigentlich für Priester galten, in den Alltag der »normalen Menschen« zu übertragen. Es war typisch für diese Laienfrömmigkeit, dass der Kult im Tempel* längst nicht so wichtig war wie die Tora*. Deshalb legten die Pharisäer großen Wert auf Versammlungen in den Synagogen*, die so zu Orten der religiösen Bildung wurden. Im Fokus stand für sie die Frage, wie die einzelnen Gebote im Alltagsleben Gültigkeit bewahren und tatsächlich gelebt werden konnten. Die zweite wichtige Partei im jüdischen Hohen Rat* bildeten die Sadduzäer. Zwischen beiden Gruppen bestanden erhebliche theologische Unterschiede. Während zum Beispiel die Pharisäer an ein Leben nach dem Tod glaubten, verneinten die Sadduzäer diese Vorstellung. Sie hielten streng am Wortlaut der Tora* fest und lehnten jede neue Interpretation als Verfälschung ab – und den Gedanken eines individuellen Weiterlebens nach dem Tod fanden sie darin nicht. Einen eigenen Stand, jedoch keine eigene theologische Gruppierung, bildeten die Schriftgelehrten. Sie beschäftigten sich beruflich und also mit entsprechender Ausbildung mit der Tora. Ihrer schriftstellerischen Arbeit und theologischen Wirksamkeit verdankt die Geschichte weite Teile der hebräi-
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schen Bibel. In der Makkabäerzeit*, im Randbemerkung 2. Jahrhundert v. Chr., traten die SchriftEine Gruppe ganz eigener Prägung sind die Essener. gelehrten als konservative Strömung Dass man heute relativ viel über sie weiß, verdankt von Laien in Erscheinung, die sich daran sich einem Glücksfund. 1947 entdeckte man zahlreiche Schriftrollen in einer Höhle am Toten Meer, die stießen, dass die jüdischen Priester allzu sogenannten Qumranschriften, und erfuhr aus ihnen bereitwillig Kompromisse mit dem heidviel über diese Gruppierung: Die Essener scharten nischen* Umfeld schlossen. sich um einen »Lehrer der Gerechtigkeit«. Sie waren Es bleibt fraglich, ob diese theologi fromme Aussteiger, die asketisch und zölibatär lebten, einige davon als abgeschottete Gemeinschaft am schen Auseinandersetzungen die einToten Meer. Sie waren überzeugt davon, dass sie das fache Bevölkerung in Galiläa*, Jesu Herwahre Israel repräsentierten, und bemühten sich deskunftsregion, überhaupt erreichten. Die halb um besondere kultische Reinheit. Aus ihrer Sicht Wissenschaft vermutet, dass die Dorfwar der jüdische Tempel* in Jerusalem entweiht, weshalb sie sich auch nicht an den dortigen Opfern bevölkerung von hellenistischen* Einbeteiligten, sondern weitgehend unter sich blieben. flüssen eher unberührt blieb und wohl auch kein Griechisch sprach; anders war das nur in den größeren Orten wie den beiden galiläischen Städten Sepphoris oder Tiberias. Darin deutet sich ein weiterer Konflikt an, nämlich der zwischen den verschiedenen Bildungsschichten der jüdischen Bevölkerung und zwischen ländlichen und städtischen Räumen. Mitten in dieser politisch aufgeladenen und religiös-kulturell angespannten Lage erhob in Galiläa* nun Jesus von Nazareth seine Stimme – auf Aramäisch* übrigens, denn vermutlich hat er Griechisch ebenso wenig gesprochen wie die Männer und Frauen, mit denen er sich umgab.
Gemeindeaufbau Jesus und die Menschen, die mit ihm unterwegs waren, stammten aus Galiläa* und dort eher vom Dorf als aus der Stadt. Ihr Leben war geprägt von der Sorge ums tägliche Überleben. Diejenigen, die sich mit Jesus auf den Weg machten, ließen diesen dörflichen Alltag hinter sich. Doch es ist nicht verwunderlich, dass sie – als Jesus verhaftet wurde und sich alle ihre Erwartungen und Sehnsüchte ins Nichts auflösten – vermutlich nach Galiläa* zurückkehrten. Galiläa* bedeutete für sie Heimat und Sicherheit, auch vor Pontius Pilatus, der in Jerusalem und Judäa regierte. Dennoch lokalisiert die Apostelgeschichte die Urgemeinde* in Jerusalem (vgl. Apg 1,4) und es gibt keinen Grund, an der Historizität dieser Angabe zu zweifeln. Man kann nur konstatieren: Die Berichte überliefern, dass Jesus Menschen nach seinem Tod sowohl in Galiläa* (vgl. Mt 28,16–20; Joh 21,1–23) als auch in Jerusalem (vgl. Mt 28,9–10; Lk 24,13 ff.; Joh 20,11 ff.) begegnete. Waren die Jünger
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angesichts von Jesu Kreuzigung nach Galiläa* geflohen und dann später nach Jerusalem zurückgekehrt? Hatten sie sich geteilt? Waren die Frauen allein in Jerusalem geblieben? Hier verliert sich vieles im Dunkel der Geschichte. Lukas erzählt in der Apostelgeschichte jedenfalls davon, dass es eines zweiten Wunders bedurfte, ehe die Anhänger und Anhängerinnen Jesu tatsächlich öffentlich in Erscheinung traten. Dieses Pfingstereignis datiert er auf das Wochenfest, 50 Tage nach dem Passa fest* – und damit 50 Tage nach der Auferstehung Jesu. An diesem Tag wurden, so erzählt es Lukas, die Jünger von Gottes Geist erfüllt, begannen öffentlich zu predigen und zu taufen – und konnten gleich überwältigende Erfolge erzielen: Mehr als 3000 Menschen hätten sich, so Lukas, zum Glauben an den Gekreuzigten und Auferweckten bekannt; darunter Menschen jüdischen Glaubens nicht nur aus Jerusalem, sondern aus dem ganzen Römischen Reich, die alle aus Anlass des Wochenfestes in Jerusalem gewesen seien (vgl. Apg 2). Die Ausbreitung des Christentums nahm also, folgt man der biblischen Überlieferung, an diesem Tag einen harmonischen Anfang. Doch sollte in historischer Hinsicht die Vielfalt derer, die zum Glauben an Jesus fanden, zur Zerreißprobe werden. Unterschiedliche Kulturen trafen aufeinander. Die Wissenschaft hat sich angewöhnt, in Bezug auf die Jerusalemer Urgemeinde* zwischen »Hellenisten« und »Hebräern« zu unterscheiden. Mit den Erstgenannten werden die Griechisch sprechenden und – bei aller Vorsicht vor moderner Begrifflichkeit – theologisch eher liberal gestimmten Menschen jüdischen Glaubens aus der Diaspora bezeichnet, mit den Letztgenannten die Hebräisch sprechenden, eher konservativ geprägten Jüdinnen und Juden aus Jerusalem und Palästina. Dass dort Konflikte schwelten, deutet selbst Lukas an, der solche Zwistigkeiten sonst gerne unter den Teppich kehrt. Denn immerhin setzten die »Hellenisten« offensichtlich durch, dass sie sich neben dem Kreis der zwölf Apostel ein eigenes Leitungsgremium wählen durften, bestehend aus sieben Diakonen. Der Bekannteste unter ihnen sollte Stephanus werden, dessen Steinigung den Auslöser für die Vertreibung der sogenannten Hellenisten aus Jerusalem bildete (vgl. Apg 8,1). Wenn Lukas in der Apostelgeschichte schreibt, dass nur die »Apostel« dort zurückgeblieben seien, so bedeutet das: Die eher reformorientierten, griechisch gebildeten Christen und Christinnen jüdischer Herkunft verließen die Hauptstadt; zurück blieben die eher konservativen Gemeindemitglieder hebräischer Herkunft, die von da an die Urgemeinde* prägen sollten. Zukünftig sollten sich deshalb der christliche Glaube, den die Hellenisten an ihre neuen Lebensorte mitnahmen, deutlich anders entwickeln als das Christentum der Jerusalemer Urgemeinde*. Der Konflikt, der sich später im
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Apostelkonzil* mit Blick auf die Mission unter nichtjüdischen Menschen zeigen sollte, war damit vorprogrammiert. Überall im Römischen Reich entstanden christliche Gemeinden, wobei wohl Antiochia zum zweiten Zentrum neben Jerusalem wurde (vgl. Apg 11,19–30). Dort erhielt auch Paulus nach seiner Berufung seine christlich-theologische Prägung und dort war auch der urchristliche Missionar Barnabas aktiv, der heute eher in Vergessenheit geraten ist, der aber für die Urchristenheit von immenser Bedeutung war (vgl. u. a. Apg 9,27; 11,22; 13,1). Die ersten Gemeinden waren klein; offizielle Versammlungsorte hatten sie nicht und brauchten sie auch nicht. Noch über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte traf man sich in Privathäusern; die ersten christlichen Gemeinschaften bestanden aus Hausgemeinden. Sie entstanden, indem Menschen ihren Glauben an neue Lebensorte mitbrachten – oder indem Wanderprediger von Ort zu Ort zogen, von Jesus erzählten und diejenigen tauften, die sich zu ihm bekannten (vgl. u. a. 2Joh 10; 2Thess 3,6–8). Es werden einige solcher wandernder Apostel unterwegs gewesen sein, denn bald schon musste man offensichtlich Regeln dafür aufstellen, wie mit diesen umzugehen sei. So legt die Didache, eine frühchristliche Lehr- und Gemeindeordnung vom Beginn des 2. Jahrhunderts, genau fest, wer wie lange in einer Gemeinde bleiben darf und wie die Versorgung zu gestalten ist. Dass man dafür so konkrete Absprachen treffen musste, zeigt umgekehrt, dass es Menschen gab, die dieses System auszunutzen verstanden. Sicher sind die Predigten, die in der Apostelgeschichte überliefert sind, im Rückblick stilisiert, doch haben sie die Erinnerung daran bewahrt, dass das Reden über Jesus und sein Wirken zunächst Ausdruck jüdischen Glaubens war – die ersten Christusgläubigen verstanden sich selbstverständlich als Jüdinnen und Juden. Unter den Menschen, die sich der Botschaft von Jesus öffneten, blieben einige vermutlich ihrer jüdischen Gemeinde verbunden, andere werden sich entfernt haben. Es kam zu neuen Gemeindegründungen auch außerhalb eines jüdisch geprägten Kontextes. Erst nach und nach sahen sich die Christusgläubigen als Teil einer neuen Religion, nun »Christen« genannt (vgl. Apg 11,26). Das aber war sicher ein langer Prozess, der von Ort zu Ort sehr verschieden ablief. So hat etwa das Johannesevangelium in besonderer Weise die schmerzhafte Erinnerung daran bewahrt, wie es war, für den Glauben an Jesus aus der jüdischen Synagoge* ausgeschlossen zu werden (vgl. Joh 9,22; 12,42; 16,2). In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten erwuchs aus einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung tatsächlich eine neue Religion: das Christentum.
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Apostelkonzil und Heidenmission Jesus wusste sich nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (vgl. Mt 15,24). Der Gott, von dem er sprach, war der Gott der heiligen Schriften des Volkes Israel, die Menschen, die er bei seinen Reden vor Augen hatte, waren seine jüdischen Glaubensgeschwister. Erst nach seinem Tod kamen auch Menschen in den Blick, die heidnischen* Glaubens waren und sich nun dem »neuen Weg«, wie das Christentum zunächst genannt wurde (vgl. Apg 9,1–2), zuwenden wollten. Das geschah zunächst vermutlich mehr zufällig: Die ersten christlichen Wandermissionare predigten noch selbstverständlich im Kontext der jüdischen Synagogen* – ihre Erzählungen von Jesus setzten ja die Geschichten und den Gott des Alten Testaments voraus. Doch hörten dort auch Menschen die Botschaft von Jesus Christus*, die selbst keine Juden oder Jüdinnen waren, sondern als heidnische* Gottesfürchtige* mit der jüdischen Gemeinde sympathisierten. Manche von ihnen ließen sich taufen. Daraus ergaben sich dann neue Fragen: Müssen sich Menschen, die keine Jüdinnen oder Juden sind, nun aber Christinnen und Christen sein wollen, an die jüdischen Gesetze der Tora* halten? Müssen sie die Speisegebote* befolgen – und vor allem: Müssen die Männer noch beschnitten werden? Zugespitzt formuliert: Muss jemand, der oder die nicht jüdisch ist, zunächst jüdisch werden, um Christ oder Christin sein zu können? Es ging bei diesen Fragen nicht nur um Äußerlichkeiten, sondern auch um das persönliche Heil: Wie wird man Gottes Willen gerecht? Worin liegt Erlösung? Woran zeigt sich der Glaube an Christus*? Im Rückblick heutiger Wissenschaft kann man diese Entwicklung auch anders beschreiben: An den Antworten auf diese Fragen entschied sich nämlich, ob das Christentum eine innerjüdische Erneuerungsbewegung bleiben oder sich zu einer neuen, selbstständigen Religionsgemeinschaft weiterentwickeln sollte. Die Führungspersönlichkeiten der ersten Christenheit entschlossen sich, diese Fragen grundsätzlich zu klären. Dazu fand, vermutlich im Jahr 49 n. Chr., ein großes Treffen in Jerusalem statt. Man bezeichnet es heute als »Apostelkonzil*«, weil sich hier die drei »Säulen« der Jerusalemer Urgemeinde* (der Zebedaide Johannes, der Herrenbruder Jakobus und der »Apostelfürst« Petrus) auf der einen Seite und Paulus und seine Mitarbeiter auf der anderen Seite gegenüberstanden. Das Neue Testament hat gleich zwei Erinnerungen an dieses Ereignis bewahrt, einmal in der Apostelgeschichte (Apg 15) und einmal von Paulus selbst im Galaterbrief (Gal 2). Beide Beschreibungen weichen allerdings nicht unerheblich voneinander ab. So betont Paulus, dass er sich habe durchsetzen können und es keine Bedingungen für die Mission unter Menschen nichtjüdischen Glaubens gegeben habe. Der Weg für die heute sogenannte gesetzesfreie Heidenmission* war laut Paulus damit offen, das Apostelkonzil* habe lediglich eine Aufteilung der Mis-
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sion beschlossen: Paulus solle sich eher den Heiden* zuwenden, die Missionare der Jerusalemer Urgemeinde* eher den Juden. Die Apostelgeschichte erzählt allerdings, dass es doch eine Auflage für die Heiden* gegeben habe, das Aposteldekret (Apg 15,29): Heiden* müssen sich nicht beschneiden lassen, um zu Christus* zu gehören, doch sollen sie sich an bestimmte minimale Vorschriften halten: kein Blutgenuss, kein nichtgeschächtetes Fleisch, keine unerlaubten sexuellen Beziehungen. Paulus erwähnt dieses Dekret in seinem Bericht zum Konzil* nicht. Hat er es nicht gekannt? Oder nicht akzeptiert? Historisch* plausibler ist eine andere Annahme: Das Aposteldekret ist nicht das Ergebnis des Apostelkonzils, wo es bei genauerer Betrachtung auch gar nicht so richtig hinpasst, sondern der Versuch, ein Problem zu lösen, das auf dem Apostelkonzil* nicht bedacht worden war: Wie ist das eigentlich, wenn in einer christlichen Gemeinde Heiden mit Menschen jüdischen Glaubens zusammenleben? Letztere hielten sich an die jüdischen Gebote, Erstere aber nicht. In Antiochia gab es deshalb eine unschöne Auseinandersetzung, den sogenannten antiochenischen Zwischenfall (vgl. Gal 2,11–14), bei dem es um die Frage ging, ob und wie eine Tischgemeinschaft zwischen diesen beiden Gruppierungen möglich sei. Vielleicht entstand das Aposteldekret ja als Regelung für solche gemischten Gemeinden und sollte sicherstellen, dass ein Zusammenleben möglich war? Und weil Lukas, der Missstimmungen gerne mal unter den Tisch fallen lässt, in der Apostelgeschichte* den antiochenischen Zwischenfall wiederum nicht erwähnt, verband er das Dekret direkt mit dem Apostelkonzil*. Paulus jedenfalls fühlte sich als Sieger des Konzils*. Er erzählt, dass es nur eine Bedingung für die Heidenmission* gebe: eine Kollekte für die verarmte Jerusalemer Urgemeinde*. Denn so wie die Heiden* an den geistlichen Gütern des Judentums Anteil erhielten, so sollten sie umgekehrt der judenchristlichen Urgemeinde* Anteil an ihren materiellen Gütern geben (vgl. Röm 15,27). Klingt erstmal gut – zwischen den Zeilen der paulinischen Briefe kann man aber herauslesen, dass das so nicht funktioniert hat. Weder wollten die Heidenchristen so gerne spenden, wie Paulus sich das gedacht hatte, noch waren die Jerusalemer wohl bereit, dieses heidnische* Geld anzunehmen. Als Paulus sich deshalb mit der Kollekte auf den Weg nach Jerusalem machte, hatte er selbst große Bedenken (vgl. Röm 15,31). Was daraus geworden und wo eigentlich das Geld geblieben ist, erzählt das Neue Testament nicht. Schade!
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Glaube, der Bände spricht Das Neue Testament entsteht
Von den erzählten Geschichten zur verschriftlichten Geschichte 28 Warum »Neues« Testament? 29 … zum Schluss 30
Von den erzählten Geschichten zur verschriftlichten Geschichte Bald begannen die christlichen Gemeinden, die Aussprüche Jesu und die Briefe des Paulus zu sammeln und damit weitere Autoritäten neben die alten heiligen Schriften zu stellen. Wo und wie das geschah, liegt im Dunkel der Geschichte und lässt sich nur an wenigen Stellen erhellen. Gegen Ende des 1. Jahrhunderts gab es vermutlich schon eine Briefsammlung; so kennt bereits der 2. Petrusbrief, eine der jüngsten Schriften des Neuen Testaments, mehrere Paulusbriefe und kann beredt Klage über die Herausforderung von deren Lektüre führen: … wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat. Davon redet er in allen Briefen, in denen einige Dinge schwer zu verstehen sind. (2Petr 3,15–16) Randbemerkung Ein Mitglied der christlichen Gemeinde in Rom namens Markion stellte Mitte des 2. Jahrhunderts vermutlich als Erster einen neutestamentlichen Kanon zusammen. Dieser bestand lediglich aus zehn Paulusbriefen und dem Lukasevangelium, das Markion zudem von vermeintlich jüdischen Zusätzen bereinigte. Markion unterschied zwischen dem (bösen) Gott des Alten Testaments und dem (guten) Vater Jesu Christi. Er vertrat die Ansicht, dass die christliche Tradition auf alttestamentliche Texte und Lehren verzichten müsse – und löste damit heftige theologische Debatten aus. So trug Markion vermutlich dazu bei, dass in Abwehr seiner Position dem »Neuen« Testament das »Alte« Testament als unverzichtbare Glaubensurkunde vorangestellt wurde.
Für die Mitte des 2. Jahrhunderts ist bereits der Gebrauch von Paulusbriefen und vier Evangelien belegt. Und Ende des 2. Jahrhunderts liegt mit dem sogenannten Kanon* Muratori ein Kanonverzeichnis vor, das eine Liste fast aller Bücher enthält, die zum Neuen Testament zählen, darüber hinaus aber spannenderweise auch Texte nennt, die heute nicht zum Kanon* gehören. Überhaupt war bei einigen Schriften lange umstritten, ob sie kanonischen* Rang haben sollten oder nicht – auch bei der Offenbarung
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des Johannes, die dann doch noch Eingang Randbemerkung ins Neue Testament fand. Es war niemand Geringerer als Martin Luther, In diesem langen Prozess bildeten sich der im 16. Jahrhundert wieder an diesem neutestamentlichen Kanon rüttelte. Dem Hebräerdrei Kriterien heraus, anhand derer man brief warf Luther vor, die Möglichkeit einer die kanonische* Anerkennung einer Schrift zweiten Buße abzulehnen. Den Jakobusbrief prüfte: Sie musste in den Gemeinden in hielt er für eine »stroherne E pistel«, weil dieser Gebrauch sein, sich auf apostolischen Urzu sehr auf Werkgerechtigkeit dringe. Im Judassprung zurückführen lassen und ihr Inhalt brief sah Luther schließlich einen Auszug aus dem 2. Petrusbrief und hielt ihn deshalb für musste mit den apostolischen Lehren übernachrangig. Deshalb stellte er diese drei Briefe einstimmen. zur Offenbarung – die Luther zu schwärmeTatsächlich sollte es noch bis zum 4. Jahr risch war und die er deshalb ebenfalls nicht hundert dauern, bis endgültig und verbindmochte – an den Schluss seiner Bibelübersetzung. Da stehen sie übrigens bis heute. lich festgelegt wurde, welche Schriften den neutestamentlichen Kanon bilden. Als Meilenstein gilt der 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius von Alexandrien aus dem Jahr 367 n. Chr. Hier sind erstmals alle 27 Schriften aufgelistet, die in allen christlichen Kirchen zum Neuen Testament gehören.
Warum »Neues« Testament? Das Neue Testament heißt »neu«, um es vom »alten« Testament zu unterscheiden und zugleich darauf zu beziehen. Man kann darin eine Wertung sehen, so, als ob alles Neue zugleich Ersatz und Überbietung des Alten wäre. Sachgerecht ist es jedoch, darin die theologische Erkenntnis ausgedrückt zu finden, dass es das Neue Testament ohne das Alte gar nicht gäbe. Anders gesagt: Jesus selbst war jüdisch, wie auch die Menschen, die ihm folgten und an seine Botschaft glaubten; für sie war die hebräische Bibel, das später in christlichen Kreisen sogenannte »Alte Testament«, ihre Heilige Schrift. Darin waren ihre Glaubensüberzeugungen begründet, hier lagen die Zeugnisse göttlicher Offenbarungen vor, hier fanden sie ihre Gründungsgeschichte als Gottes erwähltes Volk Israel aufgeschrieben, ihre Glaubensvorbilder, ihre Gebete und Gebote für ein gelingendes Leben. Und hier fanden die Jüngerinnen und Nachfolger Jesu auch die Überlieferungen und Bilder, um zu verstehen, wie Gott sich in Jesus als Messias* offenbart hatte. Das war das Neue, verständlich aber eben nur vor dem Hintergrund und in Weiterentwicklung des Alten. Schriftgrundlage für die Autoren des Neuen Testaments war in den meisten Fällen die Septuaginta* (LXX), die griechische Übersetzung des Alten Testaments; das lässt sich anhand der Zitate aufzeigen.
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Für die frühe Christenheit steht außer Frage, dass der Gott Jesu Christi derselbe ist, der an seinem Volk Israel gehandelt hat und handelt. Für die Autoren des Neuen Testaments bewahrheitet sich in der Offenbarung Gottes in Christus* der theologische Gehalt der jüdischen Bibel. So kann Paulus schreiben, es liege »eine Decke über dem alten Bund, wenn daraus gelesen werde«; eine Decke, die »in Christus abgetan werde« (vgl. 2Kor 3,12–16). Gott habe sich, so Paulus, neu und endgültig in Christus* gezeigt. Das verändert das Verständnis der überlieferten Randbemerkung Schriften: Sie seien auf Christus* hin und Die Bezeichnung »Neues Testament« findet sich übrivom Christusglauben her zu lesen. gens gar nicht in der Bibel. Sie lässt sich erst bei OrigeMit diesem besonderen »hermeneunes und Tertullian nachweisen, zwei Kirchenvätern aus dem 3. Jahrhundert. Bei ihnen werden die Schriften, die tischen Schlüssel« entfernten sich die den »neuen Bund« bezeugen, von dem etwa Paulus im Jüdinnen und Juden, die Jesus als den 1. Korintherbrief spricht (1Kor 11,25, vgl. Lk 22,20), zum Christus* glaubten, von der Art und Weise, »Neuen Testament«. Möglich ist das, weil das griechische wie jüdische Schriftgelehrte ihre heiligen Wort diatheke das eine wie das andere bezeichnen kann. Schriften auslegten. Man erkennt in den neutestamentlichen Texten tatsächlich das Bemühen und den Streit um die rechte Verhältnisbestimmung zwischen jüdischer Herkunftsreligion und christlichem Neuglauben, der auch die weitere Mission der jungen christlichen Gemeinden bestimmen wird. Manchen Texten ist auch die Verletzung abzuspüren, die es für die frühen christlichen Gemeinden bedeutete, sich außerhalb des Judentums stellen zu müssen. Einige neutestamentliche Äußerungen sind erkennbar von Abgrenzung geprägt und wurden auf diese Weise zu einem ebenso fruchtbaren wie furchtbaren Nährboden für antisemitische Deutungen und einen christlichen Antijudaismus, wie er sich mit schrecklichen Folgen bis in die Neuzeit hinein entwickelte.
… zum Schluss »Jesus kündigte das Reich Gottes an und gekommen ist die Kirche.« So hat es Alfred Loisy, ein katholischer Theologe, sehr selbstgewiss formuliert. In der verfassten Gestalt der (katholischen) Kirche schimmerte für ihn durch, was Jesus in seinen Predigten als Reich Gottes beschrieb. In kirchenkritischer Brechung, die vielleicht typisch reformatorisch ist, könnte man diesen Satz aber auch ganz anders betonen – mit einem protestantischen Gedankenstrich sozusagen: »Jesus kündigte das Reich Gottes an und gekommen ist – die Kirche.« Ganz gewiss hat der Jude Jesus von Nazareth keine Kirche gründen oder eine neue Religion stiften wollen. Dennoch lässt sich an den Entwicklungen des frühen Christentums, in denen es bei allem zähen Ringen immer um Wesentliches und Existenziel-
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les ging, vieles lernen: zu Fragen des Lebens und Glaubens in einer bedrohten und bedrohlichen Welt; zu den Konsequenzen, die aus dem Glauben an den Gekreuzigten und Auferweckten für das eigene Leben folgen; zu Regeln für ein gemeinschaftliches Miteinander; zum Austarieren des Verhältnisses von Gegenwart und Zukunft – und schließlich dazu, wie sich Gewissheit gewinnen lässt für eine Hoffnung über diese Welt hinaus. Und noch etwas lässt sich als Ergebnis dieses Ringens festhalten: Für die christliche Kirche bleibt gewiss, dass die Schriften des Alten und Neuen Testaments Grundlage aller Theologie sind. Der Gott, der sich in Christus* offenbart, ist und bleibt der eine Gott, der Israel zu seinem Volk erwählt hat und ihm Bund und Treue hält.
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ie Schriften des Neuen Testaments überliefern einen Reichtum unterschiedlicher Geschichten, Erzählungen, Briefe, Hymnen, Reden und Notizen. Sie wurden von verschiedenen Autoren zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten aufgeschrieben. Aber im Zentrum all dieser Überlieferungen steht eine einzige Person: Jesus Christus*. Davon, wie er geboren wurde, was er getan und gesagt hat, wie er gestorben und auferstanden ist, und vor allem davon, wie das alles zu verstehen sei, handeln die Texte des Neuen Testaments.
Menschensohn und Gottessohn Jesus aus Nazareth
Jesus von Nazareth Fakt und Fiktion
Glaubenszeugnisse 34 Zimmermannssohn aus Nazareth 35 Täuferschüler 36 Anführer eines Jüngerkreises 36 Gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel 37 Ein besonderer Mensch 37 Der Gekreuzigte 38
Glaubenszeugnisse Die biblischen Texte sind erfüllt von der Gewissheit, dass in Jesus von Nazareth Gott selbst am Werk war. Davon erzählen sie auf ihre je eigene Weise – und sie alle tun das nicht, um Geschichte zu schreiben, sondern um Glauben zu wecken. So formuliert der Evangelist Johannes: Diese [Zeichen] aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen. (Joh 20,31)
Und Lukas eröffnet sein Evangelium mit den Worten, es solle dazu dienen, »auf dass du, [hochgeehrter Theophilus], den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist« (Lk 1,4).
Jesus von Nazareth. Fakt und Fiktion
Die neutestamentlichen Zeugnisse von Jesu Leben und Wirken schauen mit dem Blick des Glaubens zurück. Sie sind von Menschen verfasst, die die Erfahrung der Auferstehung Jesu im Rücken haben. Und diese ließ alles, was zuvor geschehen war, in einem neuen Licht erscheinen. Nun schien endgültig erwiesen, was man vorher nicht wirklich zu sagen gewagt hatte: Jesus war der Christus*, also der verheißene und erwartete Messias*. Der ungläubige Thomas bringt das auf den Punkt: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28). Doch auch wenn die Evangelien Glaubensdokumente sind, so ist es möglich, sie daraufhin zu befragen, was sie an Erinnerung an den Menschen Jesus von Nazareth bewahrt haben. Die Fachwissenschaft nennt das die »Rückfrage nach dem historischen* Jesus«. Denn: Nicht alles, was aufgeschrieben wurde, ist so passiert – und nicht alles, was passiert ist, wurde aufgeschrieben. Manche Geschichten, wie zum Beispiel die Auffindung vom leeren Grab, werden in den einzelnen Evangelien ganz unterschiedlich erzählt. Und manche Jesusgeschichten finden sich nur in einem Evangelium: Nur Matthäus überliefert das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) und nur Johannes erzählt die Geschichte, in der Jesus eine Ehebrecherin vor der Steinigung bewahrt (Joh 7,53–8,11). Und manches widerspricht sich auch: Hat Jesu Familie zunächst in Bethlehem gelebt und ist erst später nach Nazareth umgesiedelt (vgl. Mt 2,1) oder ist sie nur zur Volkszählung von Nazareth nach Bethlehem gereist (vgl. Lk 2)? Was kann man also historisch* gesichert über Jesus von Nazareth festhalten? Die Wissenschaft hat Kriterien entwickelt, anhand derer man erkennen können soll, ob ein Wort, ein Gleichnis oder ein Wunder tatsächlich von Jesus selbst stammt. Das Problem dabei ist: Man muss die Methoden auf die Texte anwenden, aus denen heraus sie erarbeitet wurden. Daher besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses. Und deshalb bleibt – wie übrigens bei aller historischen Quellenforschung – eine gewisse Unsicherheit. Über Wahrscheinlichkeitsurteile kommt man nicht hinaus.
Zimmermannssohn aus Nazareth Der Junge mit dem jüdischen Allerweltsnamen Jesus – oder auch Josua oder Joshua, wie sein Name auf Hebräisch lautete (übersetzt: »JHWH ist Heil«) – wuchs in Galiläa* auf, der nördlichsten Region Palästinas. Das Land war Teil des Römischen Reiches und also politisch unselbstständig. Dies bekam man jedoch vor allem in den großen Städten zu spüren. Die Landbevölkerung hatte genug damit zu tun, ums tägliche Auskommen zu kämpfen. Und Jesus war eindeutig ein Landkind, das zeigen seine Gleichnisse und Predigten. Er wuchs auf als Sohn des Zimmermanns Josef und seiner Frau Maria. Er war wohl das älteste von meh-
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
reren Kindern und lebte in dem galiläischen Dorf Nazareth. Wie damals üblich lernte er vermutlich Zimmermann, den Beruf seines Vaters. Doch erfährt man aus dem Neuen Testament, abgesehen von den Geburtslegenden und der Erzählung vom Zwölfjährigen im Tempel*, nichts über Jesu Heranwachsen.
Täuferschüler Die ausführlichen Evangelienberichte über Jesus setzen jedenfalls erst ein, als er circa 30 n. Chr. Johannes dem Täufer begegnete, sich von ihm taufen ließ und zu seinem Anhänger wurde. Die Evangelien erzählen, dass Jesus bei seiner Taufe eine besondere Offenbarung gehabt habe: Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. (Mk 1,10–11)
Mag diese Schilderung auch Ausgestaltung durch die Legende und vielleicht spätere Verdichtung eines längeren Reifungsprozesses sein, so spricht vieles dafür, dass Jesus während seines Aufenthalts bei Johannes tatsächlich zu der Erkenntnis gelangte, von Gott mit einem besonderen Auftrag begabt zu sein. Nach der Gefangennahme des Täufers setzte Jesus deshalb dessen Predigt fort.
Anführer eines Jüngerkreises Jesus predigte und heilte. Und er scharte Menschen um sich, die ihn begleiteten. Einige kennt man mit Namen, so wie den sturen und hitzköpfigen Petrus, die beiden Brüder Johannes und Jakobus, den ungläubigen Thomas und Judas natürlich, den Verräter. Sieht man Darstellungen von Jesus und seinen Jüngern, so sind es immer 13 Männer. Die Bibel berichtet, dass Jesus ausdrücklich einen Kreis von zwölf Jüngern berufen habe. Doch die Apostelgeschichte lässt durchblicken, dass es noch viel mehr gab. Als nämlich der Platz des Judas nach dessen Verrat nachbesetzt werden musste, wurde zum Kriterium, dass der neue Mann Jesus von der Taufe durch Johannes an begleitet haben musste. Nur dann konnte er in den Zwölferkreis gewählt werden (vgl. Apg 1,21–22). Schon zu Lebzeiten Jesu
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Jesus von Nazareth. Fakt und Fiktion
waren also mehr als zwölf Menschen mit ihm unterwegs, und zu seiner Anhängerschaft gehörten sicher nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die ihm »dienten mit ihrer Habe« (Lk 8,3) und seine Mission mindestens finanziell unterstützten. Jesus hatte also viele Jüngerinnen und Jünger, doch er maß der Zwölfzahl wohl besondere Bedeutung zu, weil diese Männer stellvertretend für die zwölf Söhne Jakobs und damit die Stämme des Volkes Israel stehen und so das Gottesvolk der Endzeit repräsentieren sollten. Vermutlich war es Jesus selbst, der den Zwölferkreis als eine Art Zeichenhandlung berief.
Gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel Ein Satz, der wohl aus dem Munde Jesu selbst stammt, sorgt bis heute für Diskussionen. So sagt Jesus bei der Begegnung mit einer syrophönizischen (also nichtjüdischen) Frau, als sie um Heilung ihres Kindes bittet: »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel!« (Mt 15,24) Das erscheint als Affront, auch wenn Jesus sich schließlich doch erbarmen lässt. Aber in der Tat war es so: Jesus von Nazareth war ein jüdischer Mann des 1. Jahrhunderts. Seine Heilige Schrift war die Tora*, das hebräische Alte Testament; der Gott, von dem er redete, war der Gott Israels; die Menschen, zu denen er sprach, waren jüdischen Glaubens wie er. Erst einige wenige Jahre nach Jesu Tod wurde das Christentum von einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung zu einer neuen Gemeinschaft, zu der Menschen jüdischen und heidnischen* Glaubens gehörten.
Ein besonderer Mensch Jesus lebte aus der Nähe Gottes – und die gab er in seinem Reden und Handeln weiter: Er wandte sich den Menschen zu, die am Rande der Gesellschaft standen; er heilte Kranke, speiste mit Zöllnern und Sünderinnen und hatte ein großes Herz Randbemerkung für die Armen, die Frauen und die Kinder. Man vermutet, dass sich Jesus selbst noch nicht Jesus war ein besonderer Mensch. mit einem der Hoheitstitel identifizierte, die ihm Doch alle bis heute in der christlichen die christliche Tradition später verlieh. Weder sah er sich als Messias* und damit als die menschTradition gebräuchlichen Hoheitsbegriffe liche Rettergestalt, die Israel zu neuer (politihaben wohl erst Spätere auf Jesus angescher) Größe führen sollte, noch identifizierte wandt, beseelt von dem Wunsch, seine Beer sich mit dem Begriff des Sohnes Gottes*, der sonderheit mit Hilfe aller Titel und sonsalttestamentlich für Könige im Gebrauch war. tiger Ehrerbietungen zum Ausdruck zu Auch mit dem Menschensohn*, einem weiteren Hoheitstitel, der die Erwartung eines himm bringen, die sich in ihren heiligen Schriflischen Retters beschreibt (vgl. Dan 7,13–14), hat Jesus sich vermutlich nicht gleichgesetzt.
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
ten finden ließen. Die ersten Christusgläubigen haben ihre hebräische Bibel gelesen mit der rosaroten Brille der Jesus-Verliebten. Alles, was auch nur im Entferntesten verstanden werden konnte als Anspielung auf Jesu Bedeutung, haben sie auf ihn übertragen. Würde man Jesus selbst fragen können, hätte er von sich wohl am ehesten als von einem religiösen Lehrer, einem exorzistisch* begabten Menschen oder von einem endzeitlichen Propheten* gesprochen, der zeichenhaft auf das Kommen des Reiches Gottes hinwies. Mit ziemlicher Sicherheit stammt der folgende Satz aus dem Munde Jesu selbst: Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes mitten unter euch. (Lk 11,20)
Jesus lebte und handelte aus einer besonderen Gottesnähe und Vollmacht he raus. Er war gewiss, dass er mit seinem Tun das Reich Gottes abbildete. Doch in einen bestimmten Titel hat er dieses eigene Selbstbewusstsein nicht gefasst.
Der Gekreuzigte Jesu Wirken war erfüllt von der Liebe Gottes und er selbst angetrieben von dem Wunsch, allen Menschen seines Volkes davon zu erzählen. Dafür wurde er schließlich hingerichtet. Das Neue Testament kann diesen Tod als Heilsereignis bezeichnen – und trägt das gelegentlich vorausschauend in Jesu eigene Worte ein. Doch ist das spätere Deutung, denn Jesu Sterben war eine Katastrophe für die Menschen in seinem Jüngerkreis. Erst die Auferstehung vermochte den Blick auf diesen schwarzen Tag, den Karfreitag, zu erhellen. Von Ostern her erwuchs die Erkenntnis: Gott wirkte auch in Jesu Sterben – zum Heil aller Menschen.
Wunschkind? Legenden von Geburt und Kindheit
Alle Jahre wieder … 39 Zwei Evangelien – zwei Geburtsgeschichten 39 Eine Geburt als Statement 40 Jesus von Nazareth – Zeitenwende 41 Was bleibt von Weihnachten? 42
Alle Jahre wieder … Zu den bekanntesten Überlieferungen der Bibel zählt die Geschichte von der Geburt Jesu. Alle Jahre wieder wird sie im Weihnachtsoratorium besungen, in Gottesdiensten vorgelesen und in Krippenspielen dargestellt. Und wenn im Schlussbild die Hirten und die drei Könige einträchtig nebeneinander vor der Krippe knien, hinter ihnen der Verkündigungsengel, über ihnen der Stern, bei ihnen Ochse und Esel, ist nur wenigen bewusst, dass da mehrere Traditionen kombiniert werden. Das Markusevangelium überliefert gar keine Geburtsgeschichte. Hier beginnt alles mit Jesu Taufe durch Johannes. Auch das Johannesevangelium kennt keine Überlieferung von der Geburt Jesu. Es erzählt, dass Jesus bereits vor seinem Wirken auf der Erde als Wort Gottes im Himmel existiert habe; der Fachbegriff lautet Präexistenz* (vgl. Joh 1,1–4.14). Wie auch immer Johannes sich das vorstellte – eine Geburtsgeschichte passte da jedenfalls nicht ins Konzept.
Zwei Evangelien – zwei Geburtsgeschichten Für Lukas und Matthäus fängt mit Jesu Geburt alles an – und die muss natürlich etwas Besonderes sein. Laut Lukasevangelium wird Jesus nicht im heimischen Nazareth geboren, sondern tritt im Bauch seiner Mutter aufgrund einer Volkszählung die weite Reise von Galiläa* nach Bethlehem im Süden des Landes an (Lk 2). Dort muss er wegen der ausgebuchten Herbergen seine erste Nacht in einer Futterkrippe verbringen. Dass diese in einem Stall steht, sagt Lukas übrigens nicht ausdrücklich. Gesellschaft leisten ihm die Hirten, die von den Engeln* zur Krippe geschickt werden.
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
Von Krippe und Stall weiß Matthäus nichts. Jesu Familie, so ist vorausgesetzt, Liest man die Geburtsgeschichte bei Lukas aufmerklebt dauerhaft in Bethlehem, wo Jesus sam, fällt auf: Ochse und Esel, die doch selbstverständlich zu jeder Krippenszene gehören, werden gar auch geboren wird (Mt 2). Bethlehem nicht erwähnt. Sie werden erst einige Jahrhunderte verlassen und nach Galiläa* umsiedeln später zur figürlichen Darstellung ergänzt, und zwar müssen Maria und Josef erst, als sie als bewusst antisemitische Spitze. Grundlage ist ein eine Verfolgung durch Herodes fürchVers aus dem Alten Testament, der Gott den Satz in ten. Weise Magier aus dem Osten werden Mund legt: »Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s den nämlich aufgrund einer seltenen nicht, und mein Volk versteht’s nicht« (Jes 1,3). Selbst Sternkonstellation bei König Herodes diese zwei Nutztiere fänden also, so die dahintervorstellig und suchen den neugeborenen stehende Polemik, den Weg zur Krippe, während die König der Juden. Sie finden ihn tatsächMenschen jüdischen Glaubens nicht erkannt hätten, dass in der Futterkrippe der Herr der Welt liege. lich, geben diese Information aber nach einer Traumvision nicht an den misstrauischen König weiter. Doch weil Herodes angesichts potenzieller Konkurrenz Sorge um seinen Thron hat, ordnet er an, dass in der Umgebung alle Jungen unter zwei Jahren getötet werden. Zum Glück handelt es sich dabei nur um eine Legende – auch wenn sie durchaus zum Charakter des Herodes passt. Randbemerkung
Eine Geburt als Statement Wenn Matthäus und Lukas in ihren Evangelien von Jesu Geburt erzählen, steht dahinter kein historisches*, sondern ein theologisches Interesse. Bei Matthäus sind es Weise aus dem Morgenland, die als Erste an die Krippe kommen – orientalische Astrologen und also Nichtjuden. So zeigt Matthäus bereits bei der Geburt Jesu: Bei diesem Heiland sind alle Menschen willkommen, egal welchen Glauben sie haben. Erst die spätere Tradition gab diesen Weisen dann den Königstitel, machte sie zur Dreiergruppe und nannte sie Kaspar, Melchior und Balthasar. Bei Lukas hingegen wird ausgerechnet Hirten, also Menschen am unteren Ende der sozialen Schichtung, die frohe Kunde als Ersten zuteil. Die Botschaft von der Geburt Gottes gilt also allen Menschen, egal, welchen sozialen Stand sie haben: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. (Lk 2,10–11)
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Wunschkind? Legenden von Geburt und Kindheit
Matthäus und Lukas ist gemeinsam, dass sie nicht einfach nur von einer wundersamen Geburt erzählen – sondern sagen wollen: Zu Jesus sind alle eingeladen, auch die Armen, auch die Heiden*. Schon Jesu Geburt zeigt: Er war ein besonderer Mensch mit einer besonderen Verbindung zu Gott. Dies unterstreichen auch die Vorstellungen von Gottessohnschaft* und Jungfrauengeburt. In beiden zeigt sich eine konzentrierte Glaubensgewissheit: Jesus war nicht nur ein einmaliger Mensch, sondern Gottes Sohn. Mit der Jungfrauengeburt wird außerdem ein Motiv des Propheten* Jesaja aufgenommen: Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel. (Jes 7,14)
Randbemerkung Herodes galt als grausamer und hartherziger Tyrann, der in seinem Verfolgungswahn nicht einmal davor zurückschreckte, Hand an seine eigene Familie anzulegen. Mindestens eine seiner Ehefrauen und mehrere seiner Söhne ließ er wegen des Vorwurfs von Umsturzversuchen und Intrigen hinrichten, eine weitere Ehefrau verstieß er zeitweilig. Ein gesicherter Stammbaum der Herodesdynastie existiert allerdings nicht. Denn insgesamt heiratete Herodes im Laufe seines Lebens zehn Frauen, manche dieser Ehen bestanden nebeneinander, zwei Frauen führten denselben Namen Mariamne. Dass Herodes außerdem mit zweien seiner Frauen blutsverwandt war und mehrere seiner Söhne seinen eigenen Namen oder den seines Vaters trugen, trägt zur Verwirrung bei. Bis zum Schluss änderte Herodes immer wieder sein Testament, begünstigte mal den einen, mal den anderen Sohn. Geholfen hat ihm all das nicht. Bei den Versuchen, seine Macht zu sichern, hat er seinen inneren Frieden verloren.
Jesus von Nazareth – Zeitenwende Schon die Propheten* des Alten Testaments hatten festgehalten: Der Messias* muss in Bethlehem geboren werden. So heißt es bei Micha: Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. (Mi 5,1)
Deshalb musste die Tradition Jesu Geburt in Bethlehem lokalisieren – doch wichtig wurde das erst, als er schon zum geglaubten Messias* geworden war. Deshalb gibt es historisch* keinen Grund daran zu zweifeln, dass Jesus nicht nur in Nazareth aufwuchs, sondern dort auch geboren wurde. Tatsächlich weiß man aber gar nicht, in welchem Jahr Jesus genau zur Welt kam. Das Jahr Null, nach dem sich die
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
moderne Zeitrechnung richtet, ist ja erst das Ergebnis mittelalterlicher Zählungen. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die zeitlichen Angaben, die die Evangelisten zur Geburt Jesu machen, lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen. Lk 2,1 berichtet, zur Zeit der Geburt Jesu habe der Kaiser Augustus (37 v. Chr. – Randbemerkung 14 n. Chr.) regiert und Quirinius sei StattBezüglich des Geburtstages Jesu herrscht ebenfalls halter in Syrien gewesen. Letzterer trat Unsicherheit. Dass Weihnachten am 25. Dezember begangen wird, hat keinen historischen Anhaltspunkt. sein Amt allerdings erst 6/7 n. Chr. an. Erst Mitte des 4. Jahrhunderts legte man dieses Datum Wenn diese Datierung zutreffen würde, fest, vermutlich deshalb, weil da der »Sol-Feiertag« lag. wäre Jesus erst einige Jahre nach der Dazu muss man wissen: In der Antike gab es einen Zeitenwende geboren. Mt 2,1 hingegen heidnischen* Sonnenkult um Sol Invictus, die unbesiegbare Sonne. Da sich Elemente wie der Vergleich Jesu verlagert Jesu Geburt in die Regierungsoder Gottes mit Licht und Sonne auch im christlichen zeit Herodes des Großen, der allerdings Glauben finden, liegt eine Datierung der Geburt Jesu bereits 4 v. Chr. starb. Zwei weitere Ereigauf den Zeitpunkt der Wintersonnenwende sehr nahe. nisse rund um Geburt Jesu – die reichsweite Steuerschätzung (vgl. Lk 2,1–3) oder eine besondere Sternenkonstellation (Mt 2,2) – lassen sich noch weniger einordnen. Sicherheit ist also nicht zu gewinnen. »Um die Zeitenwende« dürfte als grobe Angabe aber zutreffend sein.
Was bleibt von Weihnachten? Fasst man die Erkenntnisse der historischen* Forschung zusammen, so sind sie recht ernüchternd: Wann Jesus geboren wurde, ist unklar. Sicher ist nur, dass er nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth zur Welt kam. Was bleibt aber dann von Weihnachten? Hier gilt: Bedeutsam ist nicht, wann, wo oder wie, sondern vor allem, dass Jesus geboren wurde. Das eigentliche Weihnachtswunder liegt darin, dass sich Gott als Schöpfer und Herrscher Randbemerkung der Welt dazu entschließt, in einem Kind Auffälligerweise hat das Neue Testament kaum Inte zur Welt zu kommen. Das feiert die weltresse an Jesu Kindheit und Heranwachsen. Lediglich weite Christenheit an Weihnachten, und bei Lukas findet man zwei kurze Episoden (Lk 2,22–52): zwar mit allem, was an Tradition dazudie Darstellung des neugeborenen Jesus im Temgehört. Um es mit Martin Luther pel* und die Erzählung über den Zwölfjährigen, der von seinen Eltern bei einem Jerusalemaufenthalt zu sagen: »Wir fassen keinen vermisst und ebenfalls im Tempel* angetroffen anderen Gott als den, der in wird. Beide Geschichten zeugen von der Selbstverjenem Menschen ist, der ständlichkeit, mit der die ersten Christusgläubigen vom Himmel kam. Jesu Familie als jüdische Familie ihrer Zeit darstellten: Natürlich vollzog man nach einer Geburt die Ich fange bei der vorgeschriebenen Opfer im Tempel* – und ebenso Krippe an.« selbstverständlich reiste die Familie mit dem Heran-
wachsenden zu Wallfahrtsfesten nach Jerusalem.
Kaum zu glauben Jesus tut Wunder
Muss man an Wunder glauben? 43 Nicht passiert – und trotzdem wahr? 44
Muss man an Wunder glauben? Untrennbar mit Jesu Auftreten sind seine Wunder verbunden. Das Neue Testament berichtet von zahlreichen solcher Wunder Jesu. Dazu zählen die Heilung behinderter oder erkrankter Menschen ebenso wie Geisterbeschwörungen, Totenauferweckungen, Sturmstillungen oder wundersame Brotvermehrungen. Für die aufgeklärten Lesenden des 21. Jahrhunderts sind es gerade die Wunder Jesu, die Zweifel streuen: Kann man wirklich glauben, dass Jesus übers Wasser laufen konnte? Oder anders gefragt: Muss man das glauben? Der Neutestamentler Rudolf Bultmann formuliert es so: »Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.« Immer wieder hat man deshalb versucht, Jesu Wunder so zu deuten, dass sie ihre vermeintliche Anstößigkeit verlieren – indem man zum Beispiel nicht die Tatsächlichkeit der Wunder anzweifelt, sondern nur ihren wundersamen Charakter: Jesus habe nicht wirklich einen Sturm gestillt, sondern das Boot der Jünger sei zufällig in eine windgeschützte Bucht gesegelt oder die Menschen bei der Speisung der 5000 hätten aufgrund der Großzügigkeit Jesu angefangen, eigene Randbemerkung Vorräte zu teilen. Die Frage ist: Was Auch das Alte Testament weiß von göttlichen Wundern gewinnt man dadurch? Zwar wird die oder von Menschen, die von Gott mit einer solchen Vollmacht ausgestattet werden. Davon erzählen auch die Bibel vor dem Vorwurf vermeintlicher Prophetengeschichten, etwa in den Zyklen um Elia* und Unwahrheit geschützt und die historiseinen Schüler Elisa. Wunder können auch zum Zeichen sche* Richtigkeit ihrer Überlieferungen werden, dass Gottes Reich anbricht: »Dann werden die gewahrt, aber der Wundercharakter der Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie Erzählungen geht völlig verloren – und ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohalle, die an diesem festhalten, gelten als locken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervor-
brechen und Ströme im dürren Lande« (Jes 35,5–6).
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
gutgläubig. Andere traditionelle Auslegungen behaupten, die Wunder Jesu Bei manchen Wundern ist sich die Wissenschaft vermittelten lediglich eine Vision davon, einig: Diese Geschichten – wie Totenauferweckungen, wie menschliches Zusammenleben auch sogenannte Geschenkwunder oder auch Naturwunder – sind erst entstanden, als Jesus bereits auferweckt möglich wäre. Damit werden die Wunwar. Sie dienen als erzählerische Ausgestaltung des dergeschichten aber quasi domestiziert. Bekenntnisses zu seiner Göttlichkeit und seiner neuen Sie verlieren ebenfalls ihren wundersaLebendigkeit durch den Tod hindurch. Und wie könnte men Charakter und werden zu verkappman zum Beispiel die geistliche Sättigung durch das Abendmahl besser darstellen als durch eine wunderten moralischen Anleitungen. same Brotvermehrung? Wenn das Neue Testament aber Es ist kaum zu bestreiten: Der hiserzählt, dass Jesus geheilt oder Exorzismen* durchgetorische* Jesus hat wundersame Dinge führt habe, hat sich darin wohl tatsächlich historische* getan. Doch welche der im Neuen TestaErinnerung an das Auftreten Jesu selbst bewahrt. ment erzählten Wunder tatsächlich von Jesus stammen und welche ihm in späterer Überlieferung zugeschrieben wurden, ist umstritten und muss für jedes einzelne Wunder gesondert untersucht werden. Randbemerkung
Nicht passiert – und trotzdem wahr? Wenn viele der überlieferten Wunder gar nicht geschehen sind, heißt das dann, um mal eine typische (nicht nur) kindliche Frage aufzunehmen, dass alles gelogen ist und gar nicht wahr? Aber Wahrheit ist doch mehr als das, was Fakt ist, auch heute noch. »Wahr« ist nicht nur, was passiert ist. Wenn die Sturmstillung zum Ausdruck bringen will, dass Jesus Christus* der Sohn Gottes* ist, so ist diese theologische Aussage Grundlage des christlichen Glaubens und als solche wahr, auch wenn die Wundergeschichte selbst nicht passiert ist. Christinnen und Christen glauben nicht so an Wunder, wie sie an Gott glauben. Wunder sind, um es vereinfacht auszudrücken, erzählerische Transportmittel für die Inhalte des christlichen Glaubens. Man kann also sagen: Gegenstand des Glaubens sind nicht die Wunder selbst, sondern das, was sie zum Ausdruck bringen – eine tiefe Wahrheit über Gott und Jesus Christus* als seinen Gesandten, die man sonst vielleicht nicht hätte in Worte fassen können.
Ein begnadeter Erzähler Reden in Gleichnissen
Das ferne Reich Gottes ganz nahe 45 Die Bergpredigt – die Quintessenz der Lehren Jesu 47
Das ferne Reich Gottes ganz nahe Dass Jesus in einer Gegend lebte und wirkte, die durch ein ländlich-dörfliches Milieu geprägt war, lässt sich an seinen Gleichnissen und Predigten ablesen. Ziel seiner Reden war es, den Menschen das (ferne) Reich Gottes näher zu bringen – und dazu erzählte er von Dingen, die ihnen bereits nahe waren: von Ackerbau, Weinbergen, Fischfang, von Tagelöhnern und von Frauen, die das anvertraute Geld sorgsam hüten. Viele Geschichten, die Jesus erzählte, haben die Form von Gleichnissen. »Gleichnis«, das meint vereinfacht gesagt: Ein abstrakter Gegenstand wird mit etwas Bekanntem verglichen und so greifbar und verständlich. Vermutlich stammen viele der Gleichnisse, die im Neuen Testament aus dem Munde Jesu überliefert sind, tatsächlich von ihm selbst. Jesus von Nazareth kannte in seinen Predigten und Gleichnissen fast nur ein Thema: das Reich Gottes. Damit nahm er eine Hoffnung auf, die im Judentum seiner Zeit lebendig war. Aber Jesus sprach von diesem Reich, als stünde sein Kommen nicht nur unmittelbar bevor, sondern als sei es bereits eingetroffen. Gegenwart und Zukunft gehören untrennbar zusammen. Das Senfkorngleichnis (Mk 4,30–32) bringt es auf den Punkt: So wie das Senfkorn zwar schon gesät, aber noch nicht zum Baum geworden ist, ist es mit dem Reich Gottes; es beginnt jetzt, aber die Vollendung steht noch aus. Jesus kann damit die Erwartung eines großen Gastmahls verbinden, zu dem alle eingeladen sind (vgl. Mt 8,11;
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
Lk 13,29) und das er in seinen Mahlgemeinschaften mit Menschen am Rande der Gesellschaft bereits zeichenhaft vorwegnimmt (vgl. Lk 19,1–10). Doch Jesus sagt auch: Längst nicht alle gehören zum Reich Gottes – am wenigsten die Reichen (vgl. Mk 10,17–27). Die Idee des Gottesreiches, in dem die Letzten die Ersten sein werden (vgl. Mt 20,16), bedeutet eine grundsätzliche Infragestellung menschlicher Werte. Dazu passt, dass das Jüngste Gericht*, eine gängige Endzeitvorstellung der jüdischen Spätantike, für Jesus zum Anbruch des Reiches Gottes gehört: Hier wird die Würdigkeit des Einzelnen geprüft (Lk 10,13– 14; 13,22–30). Man ist angesichts der verwirrenden Bilderfülle den Pharisäern fast dankbar, dass sie im Gespräch mit Jesus auf ihrer Frage beharren, wann denn nun das Reich Gottes komme (vgl. Lk 17,20–21). Leider ist aber Jesu Antwort auch hierauf mehrdeutig – es ist unklar, ob das Reich Gottes nun »mitten unter uns« oder eher als spirituelle Größe »inwendig in uns« ist. Beide Übersetzungen sind denkbar und zeugen jeweils von der Erwartung einer Nähe dieses Reiches. Jesus selbst verstand sein Tun als Zeichen für dessen Beginn. Jesu Rede vom Reich Gottes widersetzt sich jeder Eindeutigkeit. Will man dennoch in Worte fassen, was er erhoffte, dann am ehesten so: Jesus erwartete die endzeitliche Aufrichtung der Herrschaft Gottes, deren Wesen bereits die Gegenwart bestimmt. Er rechnete mit der Auferweckung zum Jüngsten Gericht* und wusste, dass das Leben der Vorbereitung darauf diente. Wenn Jesus im Wortlaut des Markusevangeliums mit der Botschaft auftritt: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!« (Mk 1,15), so bedeutet das, dass das Ende der Welt schon fast da ist. Ganz im Sinne der Propheten* vor ihm erwartete Jesus, dass Gott bald kommen werde, um den Weltenlauf zu beenden und seine ewige Herrschaft aufzurichten. Deshalb wollte er die Menschen aufrütteln – und ihnen zurufen: Gottes Kommen steht nahe bevor, also entscheidet euch für Gott. Und zugleich konnte er sagen: Gottes Reich kommt auf jeden Fall, so sicher wie die Saat wächst. Die Synoptiker* übernahmen Jesu Rede vom Reich Gottes, setzten aber einen neuen Akzent: Sie verstanden Jesus selbst bereits als Erfüllung der alten An-
Ein begnadeter Erzähler. Reden in Gleichnissen
kündigungen des Reiches Gottes – und unter dieser Prämisse überlieferten sie auch seine Aussprüche. Jesus wurde damit vom Propheten* des Reiches Gottes zu dessen Personifikation.
Die Bergpredigt – die Quintessenz der Lehren Jesu Zu den wirkmächtigsten Texten der Bibel gehört die Bergpredigt (Mt 5–7). Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass sich in dieser Rede tatsächlich viele Worte des historischen* Jesus erhalten haben. Ebenso sicher ist man aber auch, dass deren Zusammenstellung ein späteres Konstrukt ist, möglicherweise in bewusster Anlehnung an Mose. So wie der auf dem Berg Sinai das Gesetz Gottes empfängt, so verkündet Jesus in der Bergpredigt ein neues Gesetz, zu dem zum Beispiel die Seligpreisungen (Mt 5,3–12) und Worte über das Salz der Erde und das Licht der Welt (Mt 5,13–16) gehören. Die Bergpredigt zeugt von einem auch aus dem zeitgenössischen Judentum bekannten Ringen um die richtige Auslegung des Gesetzes. Dazu sagt Jesus: »Ich bin nicht gekommen, [das Gesetz] aufzulösen, sondern zu erfüllen« (Mt 5,17). Er kann dabei Gesetzesforderungen sowohl radikalisieren als auch relativieren. So fordert er einerseits mit vollmächtigem Ich eine sehr weitreichende Gültigkeit alttestamentlicher Gebote: Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. (Mt 5,38–39)
Andererseits zeigt Jesus in seinem Wirken aber auch, wie Regeln alltagstauglich auszulegen sind: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Mk 2,27). Bei all dem war für Jesus als einem Juden seiner Zeit als »höchstes Gebot« ein Prinzip leitend, das die exegetische Tradition als Doppelgebot der Liebe bezeichnet und das seine Ursprünge im Alten Testament hat: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.« Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Mt 22,37–40)
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Der Gekreuzigte Jesu Weg ins Leid
Unterwegs nach Golgatha 48 Jesu Tod – ein Justizirrtum? 50
Unterwegs nach Golgatha Jesus starb schreiend. Die wohlgesetzten Worte, die ihm die Evangelisten in den Mund legen, sind spätere fromme Deutung. Das Sterben Jesu war qualvoll und dauerte. Die Kreuzigung gehörte im Römischen Reich zu den Hinrichtungsarten, die wegen ihrer Grausamkeit auf römische Bürger nicht angewandt werden durften. Nur Nichtrömer und Unfreie wurden gekreuzigt, übrigens beiderlei Geschlechts. Dabei war Jesu Tod zunächst einmal ein Justizirrtum. Und ein riesiger Schock für seine Jünger, denn nichts hatte sie darauf vorbereitet. Fast alle Vorausdeutungen dieses Todes, von denen die Evangelien berichten, sind Darstellungen aus nachösterlicher* Perspektive – und also schon geprägt von dem Wissen, dass dieses Sterben sich von Ostern her in anderem Licht zeigen wird. Auf fünf Tage verdichten die Synoptiker* den Aufenthalt Jesu in Jerusalem, der mit seinem triumphalen Einzug beginnt und mit seinem schmählichen Kreuzes-
Der Gekreuzigte. Jesu Weg ins Leid
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tod ein Ende findet. Und jede dieser Geschichten trägt die Spuren der rückblickenden Gewissheit, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist. So reitet er als Friedenskönig auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,1–10; vgl. Sach 9,9), unterschreibt mit der sogenannten Tempelreinigung (Mk 11,15– 19) sein eigenes Todesurteilt und wird, quasi folgerichtig, zum Begräbnis gesalbt (Mk 14,1– 11). Sicher historisch* ist die Erinnerung, dass es einer aus Jesu engstem Kreis war, der ihn dann verriet und so dem Tode überlieferte. Doch zuvor versammelt sich Jesus noch mit seinen Jüngern in jüdischer Glaubenstradition, um gemeinsam das Passamahl zu essen (Mk 14,12–25). Das Neue Testament erinnert an besondere Worte, die Jesus bei diesem Mahl gesprochen habe; bis heute dienen sie als Einsetzungsworte beim Abendmahl: »In der Nacht, da er verraten ward …« Vermutlich hat Jesus spätestens zu diesem Zeitpunkt wirklich um sein Leben gefürchtet – vielleicht wollte er mit diesen Worten seinem Tod eine Bedeutung geben. Im Garten Gethsemane* wird Jesu Randbemerkung Todesbereitschaft auf eine harte Probe Für die Einsetzungsworte gibt es zwei Anknüpfungsgestellt (Mk 14,26–42) – seine Jünpunkte im Alten Testament: zum einen der Auszug ger schlafen und er ringt im Gebet mit aus Ägypten, denn als Mose nach der Flucht durch das Schilfmeer am Sinai einen Bund zwischen dem Gott. Dann wird er verhaftet, verraten Volk Israel und Gott schloss, wurde Tierblut zur durch den sprichwörtlichen Judaskuss Besiegelung vergossen (vgl. Ex 24,8). Dies könnte Jesus (Mk 14,43–52). Schon Markus vermischt mit dem Hinweis auf sein eigenes Blut aufgegriffen das anschließende Verhör Jesu und die haben, das zum Zeichen seines Opfers werde. Denkbar wäre zum anderen auch, in den EinsetzungsVerleugnung durch Petrus miteinander. worten eine Anspielung auf die Verheißung eines Doch dass in der Nacht vor dem Passafest* ganz neuen, allerdings unblutigen Bundes zwischen ein solcher Prozess stattfinden kann, ist Gott und seinem Volk zu sehen, wie er beim Proeigentlich undenkbar. Auffallend ist der pheten* Jeremia angekündigt wird (vgl. Jer 31,31). Vorwurf, um den es geht: »Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?«, fragt der Hohepriester* – und Jesus bejaht dies (Mk 14,61–62). Für den Hohen Rat* ist das laut der Überlieferung Grund genug, ihn an den römischen Statthalter Pontius Pilatus zu überstellen. Dort ist die Anklage nun eine andere (vgl. Mk 15,1–20): Pilatus verurteilt Jesus wegen des Vorwurfs zum Tode, er wolle der »König der Juden« sein – aus römischer Sicht Hochverrat. Die Art und Weise, wie Jesu Tod geschildert wird, ist voller Anspielungen auf das Alte Testament: Bis ins Kleinste erfüllt sich in diesem Sterben also Got-
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Menschensohn und Gottessohn. Jesus aus Nazareth
tes Plan. Doch ist dies eine Einsicht, die sicher erst im hellen Licht der Auferstehung gewonnen wurde. Die Evangelisten legen dem Sterbenden im Rückblick erklärende Worte in den Mund und ergänzen auch sonst Erzählungen, die die Bedeutung dieses Todes deutlich machen sollen. So zerreißt der Vorhang, der den Eingang zum Allerheiligsten versperrt (Mk 15,38–39) – dies ist nichts anderes als erzählerische Entfaltung der späteren Erkenntnis, dass durch Jesus der Zugang zu Gott allen Menschen ohne jede Einschränkung offensteht. Jesus wird in einem Felsengrab bestattet, eine typische Grabform in der damaligen Zeit (Mk 15,42–47). Doch als sich drei Tage später die Frauen aufmachen, um Jesu Leichnam zu salben, stellen sie fest: Jesu Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Jesu Tod – ein Justizirrtum? Warum musste Jesus sterben? Die Evangelien berichten, dass Jesus mit seiner Predigt vom Kommen des Reiches Gottes Einigen aus der Reihe der jüdischen Autoritäten ein Dorn im Auge war und man ihm deshalb nach dem Leben trachtete. Als Jesus sich zum Passafest* in Jerusalem aufhielt, wurde er vom Hohen Rat*, dem jüdischen Führungsgremium der damaligen Zeit, verhaftet. Nach dem Verhör vor dem Rat* wurde er an den römischen Statthalter Pontius Pilatus überstellt. Pilatus waren die jüdischen Religionsstreitigkeiten völlig egal. Was er aber nicht durchgehen lassen konnte, war der Vorwurf, Jesus wolle der neue König der Juden sein – eine religiöse wie auch politische Erwartung, die ja durchaus an ihn herangetragen worden war: So blickt Kleopas auf dem Weg nach Emmaus traurig zurück und sagt: »Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde« (Lk 24,21). Vermutlich waren es solche Erwartungen, die Pilatus dazu veranlassten, Jesus zum Tode zu verurteilen. Die Inschrift am Kreuz über Jesu Kreuz hat das bewahrt. INRI steht dort, die Abkürzung für Iesus Nazarenus Rex Iudaicae, auf Deutsch: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Jesus starb also als politischer Aufrührer – der er nicht sein wollte. Und er starb als jüdischer Gotteslästerer – der er auch nicht war.
Der Auferstandene Gestorben, um zu leben
Licht im Dunkel 51 »Zur Vergebung unserer Sünden« – warum musste Jesus sterben? 53 Der geglaubte Christus 54
Licht im Dunkel Für Jesu Anhänger war sein Tod eine Katastrophe. Schon bei seiner Verhaftung waren sie fast alle geflohen; die Treue hielten ihm vermutlich nur die Frauen. Sie sind es auch, die ihm als letzten Liebesdienst die Totensalbung zuteilwerden lassen wollen. Doch sie müssen entdecken: Das Grab ist leer. »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?«, fragt der Engel* im Grab sie vorwurfsvoll (Lk 24,5). Als ob sie das hätten wissen können! Den vier Evangelien ist gemeinsam, dass sie nicht mit dem Tod Jesu enden. Sie bekennen vielmehr: Jesus ist durch den Tod hindurchgegangen und auferstanden. Doch haben die ersten Christinnen und Christen diese Erkenntnis vermutlich nicht gewonnen, weil sie das leere Grab gefunden haben – schon der Evangelist Matthäus berichtet ja von Leichendiebstahlsgerüchten (vgl. Mt 28,13–14) und weiß also, dass so ein Grab aus ganz verschiedenen Gründen leer sein kann. Der Glaube an die eigentlich unglaubliche Auferstehung war vielmehr das Ergebnis von Begegnungen. Die Evangelien erzählen davon sehr unterschiedlich: Lukas weiß von einer Erscheinung auf dem Weg nach Emmaus (vgl. Lk 24,13– 35) und dem Appetit des Auferstandenen auf ein Stück gebratenen Fisch (vgl. Lk 24,41–43). Matthäus erzählt von einer Begegnung mit Maria Magdalena noch auf dem Friedhof (vgl. Mt 28,9–10) und von dem Missionsbefehl durch den Auferstandenen in Galiläa* (vgl. Mt 28,16–20). Der Evangelist Johannes wiederum kennt die Erzählung vom ungläubigen Thomas (vgl. Joh 20,24–31) sowie vom wundersamen Fischfang am See Tiberias (vgl. Joh 21,1–23). Gemeinsam ist all diesen Überlieferungen die Gewissheit: Jesus ist nicht einfach nur wiederbelebt und in dieses Leben zurückgeholt worden, sondern er ist durch den Tod hindurch in ein neues Leben eingegangen. Und in diesem neuen Leben begleitet er seine Gemeinde: »Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende«
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(Mt 28,20) – sei es hier auf Erden, sei es vom Himmel aus, wohin Jesus durch die Himmelfahrt entrückt worden ist (Lk 24,51; Apg 1,9). Erst durch die Auferstehung Jesu begriffen die Jünger, was eigentlich unbegreiflich schien: Jesu Tod bedeutete nicht, dass Gott ihn im Stich gelassen hatte, sondern Jesus »musste« sterben – als Teil eines göttlichen Plans. Sie begannen, diesen Tod als Heilsereignis zu interpretieren. Aufgrund der Erfahrung der Auferstehung lasen sie ihre heiligen Schriften noch einmal ganz neu – und sie wurden fündig. Nun schien es so, als sei das gewaltsame Sterben Jesu bereits in diesen Texten angekündigt worden. Die frühen Christen übertrugen, wie sie es auch schon bei den Heilsverheißungen des Volkes Israel getan hatten, denkbare Erklärungsmuster aus dem Alten Testament und aus ihrer hellenistisch* geprägten Umwelt auf Jesu Tod. Deshalb findet sich im Neuen Testament ein ganzes Bündel an unterschiedlichen Erklärungen dieses Geschehens, denen allen eines gemeinsam ist: Sie wollen dem grausamen Kreuzestod im Rückblick eine heilvolle Deutung verleihen, ihm eben nach-denken im besten Sinne des Wortes. So konnte Jesus mit einem Propheten* verglichen werden, dessen typisches Geschick eben der Tod in Jerusalem war (vgl. Lk 13,33), oder aber mit einem Lamm, das die Sünden der Menschheit trägt (vgl. Joh 1,29). Andere Traditionen beschreiben Jesu Tod als Lösegeldzahlung (vgl. Mk 10,45; Kol 2,14), vergleichen ihn mit dem Versöhnungshandeln zwischen zwei Staaten (vgl. 2Kor 5,19–20) oder sehen darin einen Beweis für wahre Freundschaft (vgl. Joh 15,13). Wirkungsgeschichtlich besonders wichtig sollte der Vergleich Jesu mit dem leidenden Gottesknecht aus Jes 53 werden; im Geschick dieser Gestalt – die sich allerdings bis heute einer eindeutigen Auslegung durch die alttestamentliche Wissenschaft entzieht – sah man Jesu eigenes Leiden präfiguriert: Er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. (1Petr 2,22–24)
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Außerdem konnte Jesu Tod in Analogie zum Sühnopfer-Kult* des Jerusalemer Tempels* gedeutet werden: So wie dort Tiere geopfert wurden, damit Menschen durch Gottes Vergebung hindurch weiterleben können, so ermögliche das endgültige Opfer Jesu das Leben vor Gott, weil er »mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes« (1Petr 1,19) die menschliche Erlösung erkauft habe. Paulus kann mehrere Deutungen zusammenfassen, um die Heilsbedeutung des Todes Jesu zu beschreiben: Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (2Kor 5,19–21)
»Zur Vergebung unserer Sünden« – warum musste Jesus sterben? Angesichts der Vielzahl neutestamentlicher Deutungen verwundert es, dass eine Interpretation des Todes Jesu zur typischen kirchlichen Auslegungsformel werden sollte: »Zur Vergebung unserer Sünden!« Im Kontext des Todes Jesu findet Randbemerkung sich diese Formulierung ausschließlich Dass Gott selbst das Kreuzesopfer seines Sohnes verin den Abendmahlsworten bei Matthäus langt habe, ist keine biblische Erklärung, sondern die (Mt 26,28), sonst nirgends. Und dennoch folgenschwere Weiterentwicklung einer Theorie, wie sie im 11. Jahrhundert von Anselm von Canterbury sollte sie, zumindest in der Gemeindeformuliert wurde: Seine sogenannte Satisfaktionslehre frömmigkeit, zur wirkmächtigsten Erkläversuchte, das Christentum mit dem germanischen rung für das Kreuzesgeschehen werden. Rechtsdenken seiner Zeit zu verbinden. Er behaupOft wird diese knappe Phrase dabei so tete: Der Tod Jesu war nötig, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Ehre Gottes zu leisten, erläutert: Gott sei über die Sünden der die durch die Sünden der Menschen verletzt worden Menschen so erzürnt gewesen, dass er sei. Für Gott habe es nur die Alternative gegeben nur mit einem blutigen Opfer haben be»entweder Strafe« (aut poena), was der Vernichsänftigt werden können. tung der gesamten Menschheit gleichgekommen wäre, »oder Wiedergutmachung« (aut satisfactio), Dies klingt jedoch als Erklärung höchs das heißt eine angemessene Ersatzleistung. Dafür tens beim ersten Hören plausibel, denn aber sei es nötig gewesen, dass Gott selbst Mensch es vermenschlicht das Gerechtigkeitsdenwurde, um nun – als Sündloser – in der menschliken Gottes und macht aus dem Kreuzeschen Gestalt Jesu Christi sein Leben als Wiedergutgeschehen einen innergöttlichen Verrechmachung für die Sünden der Menschen zu geben.
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nungsakt. Daher ist es wichtig, andere Arten und Weisen zu finden, vom Tod Jesu und seiner Heilsbedeutung zu sprechen. Das Neue Testament selbst bietet ganz verschiedene Bilder. Ihnen allen ist die Grunderkenntnis gemeinsam: Im Kreuzesgeschehen ist Gott handelndes Subjekt und nicht passiv bleibendes Objekt. Nicht Gott musste am Kreuz durch eine menschliche Leistung versöhnt werden, sondern es ist vielmehr Gott selbst, der am Kreuz handelt, die Welt mit sich selbst versöhnt und so neues Leben durch den Tod hindurch schenkt. Geschehen ist das am Kreuz, offenbar wird es durch die Auferweckung. Beide Heilsereignisse hängen also untrennbar zusammen.
Der geglaubte Christus Mit dem Ostersonntag veränderte sich der Blick der Menschen auf Jesus. Die Erkenntnis, dass er mit seinem Reden und Handeln nicht nur auf Gottes Reich hinwies, sondern dass sich in ihm Gott selbst offenbart hat, verdankt sich der Auferstehung. Diese lässt alles, was vorher war, in einem neuen Licht erscheinen. Alle neutestamentlichen Zeugnisse blicken von der Auferstehung her auf Jesus und bekennen: Jesus von Nazareth ist Gottes Sohn. Diese Gewissheit prägt alle Geschichten des Neuen Testaments. Sie hat sich wie ein feine Schicht Goldstaub über alles gelegt, was man über den historischen* Jesus wusste, und so die Erzählungen in den Schein gehüllt, in dessen Glanz sie bis heute gelesen werden. Bereits die Geburtsgeschichten in Mt 1–2 und Lk 1–2 lassen keinen Zweifel daran: Schon am Beginn dieses Lebens ist Gott selbst am Werk. Geboren in Bethlehem, der Stadt des großen Königs David, wird Jesus »Sohn des Höchsten« selbst sein (vgl. Lk 1,32). In der Taufe als Sohn Gottes* bestätigt und öffentlich proklamiert (vgl. Mt 3,17), predigt und handelt Jesus mit besonderer Vollmacht. In seinen Gleichnissen weist er auf die Nähe der kommenden Königsherrschaft Gottes hin, der schon bald seine Macht auf Erden zur vollen Geltung bringen werde. Durch die nachösterliche* Brille erkannte man: Auch Jesu Tod war kein Justizirrtum, sondern schon Jesus hatte im Vorfeld von der Notwendigkeit dieses Leidensweges gewusst und ihn als Heilsereignis gedeutet. Bereits Jesus müsse also, so die nachösterliche* Erkenntnis, klar gewesen sein, dass er der Sohn Gottes*, ja Gott selbst sei. Schon für Jesus, so meinte man sagen zu können, sei gewiss gewesen: In ihm sei Gott in dieser Welt am Werk. So sei auch sein Tod Teil des Planes Gottes – ebenso wie Jesu Auferstehung, durch die hindurch er in neuem Leben wandele. In der Deutung wird klar, dass Jesus als dieser neue Mensch durch seine geistliche Gegenwart Gemeinschaft mit allen Menschen hält, die an ihn glauben: »Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!« (Mt 28,20).
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esus von Nazareth ist für viele zum Vorbild geworden. Er ist aber selbst auch von anderen begleitet und geprägt worden. Er hat gelernt von seinen Eltern, von anderen Menschen jüdischen Glaubens, vermutlich auch in der Synagoge*. Bevor ihm Menschen nachfolgten, hat er sich selbst Lehrer gesucht und ist anderen Menschen nachgefolgt.
Menschen, die Jesus nahestanden
Maria und Josef Aus ungeordneten Verhältnissen
Kindheit in Galiläa 58 Unter Brüdern 59 Doppelt hält besser: Gottessohn und Davidsohn 61 Maria und Elisabeth – starke Mütter 62 Ein späterer Blick auf Maria 63 … zum Schluss 63
Kindheit in Galiläa Was Jesu Eltern angeht, so fördert der Blick ins Neue Testament Überraschendes zutage: Maria und Josef spielen dort keine so große Rolle, wie man es aufgrund der späteren Verehrung vor allem Mariens erwartet hätte. Sie finden nur in den Evangelien und der Apostelgeschichte knappe Erwähnung, Josef sogar nur in den Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas. In den neutestamentlichen Briefen kommen sie gar nicht vor; dort taucht nur Jesu Bruder Jakobus auf, der später eine Führungsrolle in der Jerusalemer Urgemeinde* übernehmen sollte (vgl. S. 173–176). Maria und Josef stammten aus Galiläa*, genauer aus dem Dorf Nazareth. Dort wuchs auch Jesus auf. Bei der Landschaft Galiläa* handelt es sich um die nördlichste Region des heutigen Palästina. Galiläa* bestand aus Obergaliläa, Randbemerkung wo es vor allem zerklüftete Berge gab, Das Leben in Galiläa* im 1. Jahrhundert war hart, die sowie den fruchtbaren Ebenen Unter Böden im Bergland karg, der Fischfang im See Genezareth* ein mühsames Unterfangen. Geldhandel gab galiläas. Ein weiterer für Galiläa* prägenes kaum, jede und jeder stellte selbst her, was er oder der Gegensatz war der zwischen der trasie zum Leben brauchte, oder man tauschte es. Die ditionellen Frömmigkeit der ländlichen Lebenserwartung war nicht sehr hoch, die Menschen Dorfbevölkerung und der stärker helleheirateten früh. Man vermutet heute, dass Maria bereits mit 14 Jahren Mutter wurde – das war zu einer nistisch* geprägten Bewohnerschaft der Zeit, als die meisten vor dem 40. Lebensjahr starben, wenigen großen Städte. nicht ungewöhnlich. Man wohnte mit der Großfamilie Seit 63 v. Chr. stand Palästina als Teil in kleinen, flachen Häusern aus Lehm, die oft nur aus der Provinz Syria unter der Herrschaft einem Zimmer bestanden und auch Platz für das Vieh Roms. Ab dem Jahr 47 v. Chr. herrschte bieten mussten, das das Überleben der Familie sicherte.
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Herodes der Große; als er starb, übernahm Randbemerkung sein Sohn Herodes Antipas die RegentHerodes der Große lebte von 73 v. Chr. bis 4 v. Chr. schaft über Galiläa*. Im Jahr 44 n. Chr. Er war einer der bedeutendsten jüdischen Könige der Antike – auch wenn er nur »Klientelkönig« der kam das Gebiet dann aber direkt unter Römer war und seine Zeitgenossen mit viel Missrömische Verwaltung. Aus Sicht der jütrauen auf seine jüdische Religionszugehörigkeit dischen Bevölkerung war vor allem eines schauten. Herodes stammte aus einer Idumäerfamilie wichtig: Ihr Land war besetzt und sie und damit aus einem Volk, das erst im 2. Jahrhundert v. Chr. zum Judentum übergetreten war. Der selbst nicht frei. jüdische Schriftsteller Flavius Josephus bezeichnet Galiläa* hatte unter den römischen Herodes deshalb als »Halbjuden«. Herodes konnte Besatzern nicht den besten Ruf, um es sich in der Tat aus Sicht der jüdischen Zeitgenosvorsichtig auszudrücken. Die Einwohsen bemühen, wie er wollte: Er war und blieb ein nerschaft war dafür bekannt, für Ärger Emporkömmling aus dem Nachbarvolk. Der Plan der Römer, durch seine Einsetzung Unruhen in der und Aufruhr zu sorgen, Herodes’ Truppen judäischen Provinz zu verhindern, ging auch deshalb mussten gleich mehrere Aufstände nienicht ganz auf. Zwar bewahrte Herodes nach einer derschlagen. Dass Jesus als vermeintliDürrekatastrophe seine Untertanen durch Getreidecher Unruhestifter ausgerechnet aus dielieferungen und Steuererlasse vor dem Hungertod und ließ zahlreiche Baumaßnahmen durchfühser Gegend kam, dürfte damals deshalb ren – unter anderem den Ausbau des Jerusalemer niemanden verwundert haben. Auch die Tempels*, der daraufhin als Herodianischer Tempel* jüdischen Bewohner und Bewohnerinbekannt wurde –, dennoch blieb er unbeliebt. nen der anderen Teile Palästinas hatten keine besonders hohe Meinung von den Menschen dort: Man erkannte sie an ihrer etwas merkwürdigen Sprachfärbung (vgl. Mk 14,70) und sie galten als ungehobelt und ungebildet. Wenn die Zuhörenden beim Pfingstwunder fragen: »Sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer?« (Apg 2,7), so hat das durchaus einen abschätzigen Unterton.
Unter Brüdern Eine besondere Rolle spielt Maria, logischerweise, in den Erzählungen rund um Jesu Geburt. Das Markusevangelium als ältestes Evangelium kennt allerdings keine solche Geburtsgeschichte; hier wird Maria als Mutter nur in Mk 6,3 erwähnt, als Jesu Vollmacht infrage steht: Ist der nicht der Zimmermann, Marias Sohn und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns?
Dass Jesu Vater in dieser Aufzählung fehlt, erklärt die Forschung meist damit, dass er bereits verstorben sei. Wichtig ist: Josefs Fehlen darf nicht darauf zurück-
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geführt werden, dass er aus Sicht des Markus für Jesu Geschichte keine Rolle gespielt habe, weil Gott dessen Vater gewesen sei. Denn von einer besonderen Geburt, gar einer Jungfrauengeburt, weiß Markus genauso wenig wie Paulus und die Quelle Q*, die anderen ältesten schriftlichen Zeugnisse über Jesus. Dass nicht nur Jesu Wirken, sondern auch schon die Umstände seiner Zeugung wundersam waren, ist ein Gedanke, der erst später auftauchen sollte. Für Markus ist klar: Jesus war der biologische Sohn von Maria und ihrem Mann. Was im ältesten Evangelium allerdings erkennbar wird: Zwischen Jesus und seiner Herkunftsfamilie bestand eine deutliche Distanz. Offensichtlich konnte die Familie aus Nazareth mit Jesu besonderem Sendungsbewusstsein wenig anfangen. Da kam abermals das Volk zusammen, sodass sie nicht einmal essen konnten. Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn ergreifen; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen. (Mk 3,20–21)
Vier namentlich bekannte Brüder – Jakobus, Joses, Judas, Simon – hatte Jesus und mindestens zwei Schwestern. Dass deren Namen nicht überliefert sind, zeugt von der geringeren Bedeutung, die man damals Töchtern zumaß. Die Namen der Brüder Jesu nehmen allesamt Bezug auf die Geschichte Israels: Jakobus ist nach dem Stammvater Jakob benannt, seine drei Brüder nach dessen Söhnen Josef, Juda und Simeon. »Jesus« hingegen leitet sich her von dem hebräischen Namen Josua, dem Nachfolger des Mose also, der an dessen Stelle das Volk Israel ins gelobte Land führen durfte (vgl. Jos 1,1–9). Von seiner Familie konnte Jesus keine Unterstützung erwarten. Vielleicht hielt er sich deshalb als Erwachsener so selten in Nazareth auf? Die Evangelien erzählen, dass Jesus einen festen Rückzugsort in »seiner Stadt« (Mt 9,1) Kapernaum Randbemerkung gehabt habe (vgl. Mt 4,12–13), und auch Dass Jesus aufgrund seines Namens in der die Bezeichnung als »Jesus von Nazareth« Heilsgeschichte Israels nach den Brüdern einhilft ja nur außerhalb von Nazareth weigeordnet wird, überrascht insofern, als dass er in der biblischen Überlieferung als Marias ter. Jesus selbst setzt eine neue geistliche Erstgeborener bezeichnet wird (Lk 2,7). War Familie an die Stelle seiner Herkunftser vielleicht zwar Marias erstes und einziges familie. So weitet er zugleich den Blick Kind, nicht aber Josefs Erstgeborener? In der dafür, wer zukünftig Teil der großen katholischen und orthodoxen Tradition sollte sich tatsächlich die Annahme durchsetzen, Familie Gottes werden kann – nämlich dass Maria zeit ihres Lebens Jungfrau blieb, alle Menschen, die bereit sind, Gottes sodass die im Neuen Testament genannten Willen zu erfüllen: »Wer Gottes Willen tut, Geschwister entweder Cousins und Cousinen der ist mein Bruder und meine Schwester Jesu oder aber ältere Stiefgeschwister aus der ersten Ehe Josefs gewesen sein müssten. und meine Mutter« (Mk 3,35).
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Doppelt hält besser: Gottessohn und Davidsohn Im Matthäusevangelium steht Jesu Gottessohnschaft* von Beginn an fest. Hier erfährt (ausgerechnet!) Josef durch einen Engel*, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich habe: Gott habe es durch den Heiligen Geist gezeugt (Mt 1,20). Ob das Josef wirklich überzeugt, bleibt offen. Aber zumindest lehnt er nicht ab, nur der Ziehvater zu sein. Matthäus legt dem Engel* dafür einen Vers des Propheten* Jesaja (Jes 7,14) in den Mund: Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. (Mt 1,22–23)
Randbemerkung
Auch Matthäus und Lukas wissen um das schwierige Verhältnis zwischen Jesus und seinen Eltern und Geschwistern (vgl. Mt 12,46–50; Lk 8,19–21). Sie schwächen das aber ab, indem sie den Satz streichen, dass er von Sinnen sei. Das müssen sie im Grunde auch tun, denn nach einer so wundersamen Geburt, wie sie sie erzählen (vgl. Mt 1–2; Lk 1–2), kann ein solcher Satz nicht fallen.
Durch dieses Zitat wird Jesu Geburt zur Erfüllung einer alttestamentlichen Vorhersage aus dem Jesaja buch: Als Israel unter dem König Ahas bedroht ist, wird eine junge Frau aus königlichem Hause schwanger. Auf ihrem Kind mit dem Heilsnamen Immanuel liegt alle Hoffnung. Erst die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta*, deutet diese Ankündigung auf eine jungfräuliche Geburt. Diese wiederum sah Matthäus in Marias Schwangerschaft erfüllt. Denn für Matthäus stammt Jesus unmittelbar von Gott. Dass der Evangelist daneben noch einen Stammbaum überliefert, in dem Jesus über Josef als Ururur…enkel des großen Königs David erscheint (Mt 1,1–17), passt nicht – wenn Josef nicht Jesu Vater ist, dann ist Jesus auch kein Davidsohn*. Vermutlich sind hier verschiedene Traditionen zusammengefügt, die beide auf unterschiedliche Weise die Besonderheit der Herkunft Jesu herausstellen wollen: Als Sohn der Jung-
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frau Maria wird er zum Gottessohn* und als Nachkomme des großen Königs David ist er zugleich Davidsohn* und musste das auch sein, denn im Judentum erwartete man die Herkunft des Messias* aus dem Haus Davids.
Maria und Elisabeth – starke Mütter Auch Lukas berichtet von einer wundersamen Geburt Jesu. Hier erhält Maria vom Engel* Gabriel die Nachricht, dass der Heilige Geist über sie kommen und sie schwängern werde. Neu hinzu tritt das Motiv der Verwandtschaft zwischen Maria und Elisabeth, der Mutter des Täufers – Jesus und Johannes werden so zu Cousins (vgl. Lk 1,36). Für die Kunst- und Literaturgeschichte bedeutsam geworden ist die Erzählung vom Treffen der beiden Schwangeren: Das Kind der Elisabeth hüpft vor Freude im Bauch, weil es in Jesus den Erlöser der Welt erkennt, und Maria wird animiert zu einem berühmt gewordenen Jubelgesang, dem Magnifikat: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit. (Lk 1,46–55)
Der Evangelist hat vermutlich das Vorbild von Hanna, der Mutter des Propheten* Samuel, vor Augen (vgl. 1Sam 2,1–10). Wie ihre ältere Glaubensschwester singt Maria ihr Lob: Ansehen gewinnt sie dadurch, dass Gott sie ansieht; ihre Niedrigkeit wird aufgehoben. Diese Umkehrung aller Verhältnisse wird in Bildern entfaltet, wie man sie sonst aus den alttestamentlichen Psalmen kennt: die Mächtigen sollen entthront, die Niedrigen erhöht und gesättigt werden. Maria wird damit zur Fürsprecherin einer umfassenden göttlichen Gerechtigkeit und ihr Lied bildet schon ab, was ihr Kind später vorleben wird.
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Ein späterer Blick auf Maria Im vierten Evangelium begegnet man Maria nur an zwei Stellen: Zum ersten Mal bei der Hochzeit zu Kana, wo sich etwas fortsetzt, was auch schon die Synoptiker* überliefern: Jesus ist abwehrend, ja fast brüsk, zu seiner Familie. Seine eigene Mutter redet er abwertend als »Frau« an, ihre Sorge weist er zurück (vgl. Joh 2,4). Etwas zärtlicher ist das Bild, das Johannes im Schatten des Kreuzes zeichnet. Nur in diesem Evangelium ist Jesu Mutter Zeugin des Todes ihres Sohnes, und hier vertraut der schon Gekreuzigte sie und den Lieblingsjünger einander an (vgl. Joh 19,25–27). Die Apostelgeschichte notiert kurz, dass sich Jesu Mutter und seine Brüder nach Jesu Auferstehung gemeinsam mit den Jüngern in Jerusalem aufgehalten hätten. Daraus kann man schließen, dass Maria und auch ihre anderen Kinder spätestens nach der Auferweckung ihre Zweifel über die Sendung Jesu abgelegt haben. Dass Maria als Mutter des Messias* in der Urgemeinde* eine besondere Rolle zugekommen sei, wird jedoch nicht gesagt: Diese alle hielten einmütig fest am Gebet samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. (Apg 1,14)
… zum Schluss Die Geschichten des Neuen Testaments Randbemerkung lassen noch nicht erahnen, dass Maria in Das apokryphe* Protevangelium des Jakobus aus späterer Zeit eine übermenschliche Verdem 2. Jahrhundert erzählt, dass Maria Jesus nicht ehrung entgegengebracht wird. So wird auf natürlichem Wege geboren habe, sondern auch dabei ihre Jungfrauschaft intakt geblieMaria – in einer Kirche, in der man lange ben sei. So wird sie zur ersten und einzigen Frau, glaubte, dass sich die sündige Natur des für die der Fluch Evas (vgl. Gen 3,16) nicht gilt: Menschen über den Zeugungsakt verSie muss nicht unter Schmerzen Kinder gebäerbe – zur verehrten ewigen und reinen ren. Die Legende überliefert auch, dass schon Jungfrau. Marias eigene Geburt ein Wunder gewesen, sie selbst ebenfalls ohne Sünde empfangen worAls sich ein Konzil* im 5. Jahrhundert den sei und sich bereits als Kind durch Reinmit der Frage beschäftigte, ob Jesus Gott heit und Frömmigkeit ausgezeichnet habe. sei, hatte das auch Auswirkungen auf die Marienverehrung: Ihr wurde nun die Bezeichnung »Gottesgebärerin« verliehen – was aber weniger etwas über Maria als über Jesus aussagen sollte. Dennoch entwickelte sich in den Folgejahren der Marienkult weiter; erste Marienfeste sind ab dem 6. Jahrhundert nachweisbar. Maria war für die Gläubigen – und ver-
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mutlich besonders für die weiblichen unter ihnen – einerseits eine menschlich nahe und andererseits eine geistlich ansprechbare Person. Durch die Stilisierung der Familie Jesu zur Heiligen Familie erhielten zudem die eigenen Lebensverhältnisse eine religiöse Aufwertung. Die Verehrung der Gottesmutter konnte gerade in der Volksfrömmigkeit selbst Züge einer Vergöttlichung annehmen; davon zeugen bis heute viele künstlerische Darstellungen, Lieder, Gebete und Kirchenwidmungen. In der katholischen Kirche ging die Marienverehrung über das Mittelalter hinaus weiter und wurde mit den neuzeitlichen Dogmen von ihrer eigenen unbefleckten, das heißt sündlosen Empfängnis (im Jahr 1854) sowie ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel (im Jahr 1950) noch gefestigt. Luther hingegen Randbemerkung schätzte Maria zwar ebenfalls sehr hoch, Der Name Maria ist die griechische Form des hebräischen Frauennamens Miriam (etwa: »bitteres Wasser«), wandte sich aber explizit dagegen, sie als der Name Josef stammt ebenfalls aus dem Hebräischen Himmelskönigin und als Mittlerin zwiund bedeutet so viel wie »Gott fügt hinzu«. Die spätere schen Gott und Mensch zu betrachten. Er christliche Tradition behauptet, auch die Namen betonte, dass ein Christ und eben auch der Eltern Mariens zu kennen, nämlich Anna und eine Christin jederzeit selbst mit Gott Joachim; dafür gibt es jedoch keine biblischen Belege. sprechen könne und dafür keine FürÜbrigens: Selbst im Koran wird Maria als jungfräusprecherin brauche. liche Mutter Jesu erwähnt – sie ist tatsächlich die einzige Frau, deren Name im Koran genannt und nach der sogar eine Sure benannt ist, nämlich die 19.
Johannes der Täufer Vorbild Jesu
»Die Axt ist an die Wurzel gelegt!« – die Botschaft des Täufers 65 Es brodelt – Propheten im 1. Jahrhundert 65 Der Täufer 66 Der wiedergekehrte Elia 67 Der Lehrer Jesu 67 Der Vorläufer eines Stärkeren 68 Der Ethiker 69 … zum Schluss 70
»Die Axt ist an die Wurzel gelegt!« – die Botschaft des Täufers Johannes der Täufer muss ein seltsamer Typ gewesen sein: Er lebte in der Wüste, fernab von jeder Zivilisation, und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Bekleidet war er mit einem Ledergürtel und einem Umhang aus Kamelfell (Mk 1,6). Johannes hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Kommen Gottes anzukündigen. Er erwartete dessen Feuergericht als das Ende der Welt – und das schon bald. In seinen Predigten malte er eindrucksvolle Bilder davon: Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen! (Lk 3,9)
Es brodelt – Propheten im 1. Jahrhundert Solche Typen wie Johannes gab es in Palästina zur Zeit Jesu zuhauf. Aus römischer Sicht war das sowieso eine Unruheprovinz. Immer wieder brodelte und gärte es. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Besatzungsmacht war mal mehr und mal weniger groß, ganz weg war sie jedoch nie. Das politisch und religiös aufgeheizte Klima führte in unregelmäßigen Abständen zu Aufständen. Die einheimische Bevölkerung sehnte sich nach Freiheit und nach einem neuen König, der als der wahre Nachfolger seines Vaters David – dessen Königtum in
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der Erinnerung mehr und mehr verklärt wurde – das Volk Gottes von der Fremdherrschaft befreien würde. Immer wieder traten in diesen Jahren einzelne Männer in die Öffentlichkeit, die von sich selbst glaubten, einen besonderen Auftrag zu haben. Auch in der Apostelgeschichte haben sich Erinnerungen daran niedergeschlagen. Dort wird ein Mitglied des Hohen Rates* zitiert: Denn vor einiger Zeit stand Theudas auf und gab vor, er wäre etwas, und ihm hing eine Anzahl Männer an, etwa vierhundert. Der wurde erschlagen und alle, die ihm folgten, wurden zerstreut und zunichte. Danach stand Judas der Galiläer auf in den Tagen der Volkszählung und brachte eine Menge Volk hinter sich zum Aufruhr, und der ist auch umgekommen und alle, die ihm folgten, sind zerstreut. (Apg 5,36–37)
Der Täufer An Johannes aber war etwas Besonderes: Er taufte – was vor ihm noch niemand getan hatte. Angesichts seiner Botschaft war jedoch die Taufe mit Wasser, die als symbolische Handlung vor dem Feuer des Jüngsten Gerichts* schützen sollte, eine plausible Zeichenhandlung. Viele Menschen ließen sich taufen und brachten so ihre Umkehrbereitschaft zum Ausdruck (vgl. Mk 1,5). Unter ihnen war auch Jesus von Nazareth, der wohl einige Zeit als Schüler des Täufers lebte. Er fand vermutlich nicht nur dessen Botschaft einer nahen Erwartung des göttlichen Gerichtes schlüssig, sondern teilte auch dessen Leben aus den Worten der prophetischen Überlieferung. Die Gegenwart wurde zu einer Art Kairos, einer besonderen Zeit der Entscheidung: Hier und jetzt müssen die Menschen Buße tun! Denn – und das sollte zum zentralen Gedanken der Predigt Jesu werden – hier und jetzt will Gott sein Reich* verwirklichen.
Randbemerkung Elia* war einer der großen Propheten des Alten Testaments, der jedoch am Ende seines Lebens nicht starb, sondern lebendig in den Himmel entrückt wurde (2Kön 2,1–18). Daraus entwickelte sich in Israel die Erwartung, er werde kurz vor dem Gerichtstag* Gottes auf die Erde zurückkehren. Der Prophet* Maleachi zitiert dazu ein Gotteswort: »Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des HERRN kommt« (Mal 3,23).
Johannes der Täufer. Vorbild Jesu
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Der wiedergekehrte Elia Johannes der Täufer inszenierte sich selbst als der auf die Erde zurückgekehrte Prophet* Elia*, weshalb er sich wie der echte Elia* mit Gürtel und Prophetenmantel kleidete (vgl. 2Kön 1,8). Übrigens hat Jesus selbst diesen Glauben des Johannes vermutlich geteilt und über seinen Lehrer gesagt: »Er ist Elia, der da kommen soll!« (Mt 11,14). Johannes erlitt das Schicksal eines gewaltsamen Todes, wie es auch für viele alttestamentliche Propheten* galt. Die Bibel und der jüdische Historiker Flavius Josephus berichten, dass er von Herodes Antipas, einem Sohn Herodes des Randbemerkung Großen, hingerichtet wurde. Allerdings Die Familie des Herodes war in der römischen erzählt Markus davon nur im Stil einer Provinz Syria lange politisch aktiv. Schon Herodes’ Hoflegende: Weil Johannes die unrechtVater Antipatros war Ratgeber des Hasmonäerkönigs* Johannes Hyrkanos II. Sein Sohn Herodes mäßige Ehe zwischen Herodes und seiwurde dann Klientelkönig von Roms Gnaden. Und ner Schwägerin Herodias kritisiert habe, nach dessen Tod erhielten drei seiner Söhne die habe die rachsüchtige Herodias dafür einzelnen Teile seines Reiches. Herodes Antipas gesorgt, dass ihre Tochter Salome Heroherrschte in Galiläa* und Peräa. Ein zweiter Herodessohn, Herodes Archelaos, wurde zum Herrscher des durch einen Tanz so betörte, dass er über Judäa, Samaria* und Idumäa ernannt. Doch ihr die Bitte um den abgetrennten Kopf er muss ein launischer und tyrannischer Regent des Johannes nicht verweigern konnte gewesen sein, denn er wurde bereits 6 n. Chr. (Mk 6,17–29). abgesetzt. Das Gebiet kam zunächst unter römische Verwaltung; ab 37 n. Chr. herrschte dort dann Einen anderen Akzent setzt der anHerodes Agrippa I., ein Enkel Herodes des Großen; tike jüdische Geschichtsschreiber Joseab 39 n. Chr. regierte er außerdem über Galiläa* und phus: Er berichtet, dass Herodes seine Peräa. Der dritte Herodessohn, Herodes Philippus, erste Frau, eine Nabatäerprinzessin, verregierte bis 34 n. Chr. in Ituräa, Golan und Trachonitis. Er war der Ehemann der Herodiastochter Salome. stoßen hatte, um diese neue Ehe einzugehen. Das habe Johannes kritisiert und sei daraufhin hingerichtet worden. Als der Vater von Herodes’ erster Frau aufgrund der Schmach der Verstoßung einen Krieg anzettelte und Herodes diesen verlor, wertete Josephus das als gerechte Strafe Gottes für die Hinrichtung des Täufers.
Der Lehrer Jesu Die biblischen Evangelien haben die Erinnerung an Johannes deshalb bewahrt, weil er eine wichtige Rolle für die Entstehung des christlichen Glaubens spielte. Bei seiner Taufe hatte Jesus eine Vision, die entscheidend für seinen weiteren Lebensweg werden sollte:
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Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah Randbemerkung eine Stimme vom Himmel: Du bist mein Die Geschichte von Jesu Taufe ist eine Überlieferung, lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. bei der man den Evangelien anmerkt, dass die frühen (Mk 1,9–11) Christinnen und Christen damit Schwierigkeiten hatten: Wieso braucht der Sohn Gottes*, der doch wohl frei von Sünde ist, eine Taufe zur Vergebung der Sünden, so
Mag die Ausgestaltung der Geschichte der Fantasie der Erzähler entspringen, so halb ein kleines Gespräch zwischen Jesus und Johannes schließt auch die Wissenschaft nicht aus, ein, bei dem Johannes sich zunächst weigert, Jesus zu taufen, sich dann aber von dessen Worten überzeugen dass Jesus bei seiner Taufe etwas erlebt lässt (Mt 3,14–15). Und das Johannesevangelium berichhat, das sein Leben verändern sollte. Alle tet von Jesu Taufe nur noch, um zu zeigen: Hier hat der drei Synoptiker* beschreiben das als geSohn Gottes* eine besondere Vision erlebt. Die Taufe öffneten Himmel, als Begabung mit dem selbst ist ihm gar nicht mehr wichtig (vgl. Joh 1,32–34). Geist Gottes und als Bestätigung der Gottessohnschaft* Jesu. Vielleicht gelangte Jesus während seines Aufenthalts bei Johannes dem Täufer tatsächlich zu der Erkenntnis, dass er selbst ebenfalls dazu bestimmt sei, von der Nähe des Gottesreiches zu erzählen. Dauerte es, bis diese Einsicht in ihm wuchs, oder kam sie ganz plötzlich bei seiner Taufe über ihn? Sicher ist: Als Johannes der Täufer gefangen genommen wurde, wusste Jesus, was er zu tun hatte – nämlich dessen Botschaft fortzusetzen. Als Johannes gefangen genommen wurde, übernahm Jesus dessen Aufgabe, die nahe Gottesherrschaft zu verkündigen. Aus dem Schüler des Johannes wurde sein Nachfolger. Wer weiß, ob Jesus ohne Johannes zu dem geworden wäre, der er war? In der Tat empfing Jesus von seinem Lehrer entscheidende Impulse für sein eigenes Denken und Handeln. Es ist deshalb nicht falsch, wenn der Evangelist Matthäus beiden wortwörtlich die gleiche Botschaft in den Mund legt: »Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!« (Mt 3,2; 4,17). scheinen sie sich gefragt zu haben. Matthäus fügt des-
Der Vorläufer eines Stärkeren Die Exegese ist sich heute weitgehend einig, dass die Evangelien mit den folgenden Worten die Botschaft des »echten« Johannes wiedergeben: Nach mir kommt der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse. Ich habe euch mit Wasser getauft; aber er wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. (Mk 1,7–8)
Johannes der Täufer. Vorbild Jesu
Die Wissenschaft ist sich jedoch ebenfalls sicher, dass Johannes mit dem Stärkeren Gott gemeint und nicht an einen Menschen gedacht hat. Als wiedergekehrter Elia* sah er in sich selbst den Vorläufer Gottes zum Gericht*. Aus Sicht der Christusgläubigen wurde diese Erwartung dann in Jesus Christus* erfüllt. Hätte man Johannes allerdings gesagt, dass er nicht der Wegbereiter Gottes, sondern eines anderen Menschen sei, hätte er wohl ablehnend den Kopf geschüttelt. Doch die Evangelisten deuten die Geschichte des Täufers um und machen aus Johannes etwas, was er nicht war – sie machen ihn quasi zum Christen. An diesem entscheidenden Punkt verändern sie also seine Botschaft. So behaupten Matthäus und Lukas, Johannes habe sich noch aus dem Gefängnis heraus von Jesus bestätigen lassen, dass er der erwartete Messias* sei: Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. (Mt 11,2–6)
Der Ethiker Die Erinnerung daran, dass Jesus und Johannes zusammengehörten und dass Jesus zugleich wichtiger war als Johannes, greift der Evangelist Lukas auf, indem er Jesus und Johannes zu Verwandten macht. Deren Mütter Elisabeth und Maria stammen hier aus der gleichen Familie. Von beiden Söhnen wird die Geschichte einer besonderen Geburt erzählt; allerdings ist die von Jesus immer noch ein Stück wundersamer als die seines sechs Monate älteren »Cousins«: Johannes’ Mutter ist aufgrund ihres Alters unfruchtbar (Lk 1,7), Jesu Mutter ist sogar noch Jungfrau (Lk 1,34); Johannes wird »groß vor dem Herrn« sein (Lk 1,15), Jesus wird sogar der Sohn Gottes* selbst sein (Lk 1,32). Auffällig ist auch, dass aus dem endzeitlichen Bußprediger Johannes, der sprichwörtlich Zeter und Mordio schreit, bei Lukas ein typischer Frommer und Gerechter geworden ist (Lk 1,75). Seine Predigt enthält nun Anweisungen für ein ethisch korrektes Leben: »Meister, was sollen wir denn tun?«, so fragen ihn die Menschen. Und der Johannes des Lukasevangeliums erklärt es ihnen: »Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso« (vgl. Lk 3,10–14). Solche Äußerungen wären für Johannes selbst undenkbar gewesen. Er hatte ja erwartet, dass morgen die Welt untergehen würde – da musste man sich wirklich keine Gedanken mehr um Kleidung machen!
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Lukas wusste jedoch schon, dass das nicht passieren würde. Und er musste deshalb ergänzen, was Johannes gesagt hätte, wenn er noch erlebt hätte, dass der Zeitenlauf weitergeht. Endgültig zum ersten bekennenden Christen wird Johannes der Täufer schließlich im vierten Evangelium, das von einem anderen Mann mit Namen Johannes verfasst ist: Hier dient die Taufe nur noch dazu, Jesus bekannt zu machen (Joh 1,31). Der endzeitliche Bußprediger Johannes ist in Aufnahme einer Prophezeiung des Jesajabuches zur »Stimme eines Predigers in der Wüste« geworden (Joh 1,23; vgl. Jes 40,1–2). Johannes erzählt dann auch, wie bereits zu Lebzeiten des Täufers seine Jünger Jesus als wahren Messias* erkennen und von nun an ihm nachfolgen (Joh 1,37).
… zum Schluss Wer weiß, ob die christliche Kirche heute taufen würde, wenn Johannes der Täufer es nicht getan hätte. Johannes war der Erste, der andere Menschen taufte, da runter auch Jesus und einige, die später zu Jesusanhängern werden sollten. Und auch wenn Jesus selbst keine Taufhandlungen vollzog, so ist es doch kein Zufall, dass vermutlich bereits 50 Tage nach Ostern, beim ersten Pfingstfest, die Jünger ganz selbstverständlich tauften. Bis heute ist die Taufe eines der zentralen Zeichen der Kirche. Den Auftrag dazu legt der Evangelist Matthäus dem Auferstandenen im sogenannten Taufbefehl in den Mund: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe! (Mt 28,19–20)
Randbemerkung Die christliche Taufe verbindet sich heute fast selbstverständlich mit dem Kindesalter: Wenige Monate nach der Geburt oder allerspätestens kurz vor der Konfirmation findet sie statt. Heute sind es vor allem Freikirchen wie zum Beispiel die Baptisten, die die Erinnerung daran bewahrt haben, dass dies in der Antike einmal anders war: Johannes der Täufer rief nur umkehrwillige erwachsene Männer zur Taufe auf und auch die ersten christlichen Missionare tauften in der Regel Erwachsene. Kinder hingegen wurden nur dann, und das auch nur nebenbei, getauft, wenn ein »ganzes Haus« mit allen seinen Bewohnern zum christlichen Glauben fand (vgl. Apg 10,44–48; 16,15, 1Kor 1,16–17). Dahinter steht der Gedanke, dass die Taufe das äußere Zeichen der vorausgegangenen Hinwendung zum christlichen Glauben ist.
Im kirchlichen Festkalender spielt Johannes der Täufer bis heute eine Rolle. Der Johannistag am 24. Juni bietet in vielen Teilen Deutschlands Anlass für große Johannisfeuer oder besondere Gottesdienste. Nicht zufällig liegt er genau sechs Monate vor dem Heiligen Abend. Dieses Datum greift eine Selbsterkenntnis des Johannes auf, der laut dem vierten Evangelium schon um seine eigene Unterordnung unter den Gottessohn* gewusst habe: »Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen!« (Joh 3,30).
Johannes der Täufer. Vorbild Jesu
Noch ein Satz, der Johannes in den Mund gelegt wird, ist in der christlichen Theologie und besonders in der Abendmahlsliturgie zentral geworden. Wiederum ist es das Johannesevangelium, das davon erzählt, dass Johannes Jesus erblickt und über ihn sagt: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!« (Joh 1,29). Bis heute wird mit dem Agnus-Dei-Gesang (»Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt …«) in lutherischen Gottesdiensten an diese Aussage erinnert. Und auch in zahlreichen Darstellungen aus der Kunstgeschichte findet sich dieses Motiv: Johannes zeigt mit einem überdimensionalen Zeigefinger auf Christus*, zu seinen Füßen ein kleines Lamm. Im Kern aber bleibt die Begegnung zwischen Jesus und Johannes auch in der Darstellung der Evangelien eine Lehrer-Schüler-Geschichte. Jesus selbst war Nachfolger, bevor wiederum andere ihm nachfolgten. Mit Johannes dem Täufer verband ihn das Bewusstsein der eigenen Sendung durch Gott, die sich wesentlich aus den prophetischen Überlieferungen der hebräischen Bibel speiste – und die Gewissheit: Die Glaubensgeschwister stehen vor einer Entscheidung und einer Umkehr, in die Gott sie ruft.
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Maria Magdalena Kann denn Lieben Sünde sein?
So viele Marien … : die aus Magdala 72 Frauenrecht und Frauenpflicht 73 Jesu Jüngerinnen – mehr als Randfiguren 74 Erste Zeugin der Auferstehung 74 Maria von Magdalena und die Sünderin, die Jesus salbte 75 … zum Schluss 76
So viele Marien … : die aus Magdala Mit dem Namen Maria Magdalena verbinden viele die sprichwörtliche Sünderin. Dan Brown hat ihr mit seinem Roman »Sakrileg« ein modernes literarisches Denkmal gesetzt. Die Bibel allerdings erzählt über Maria Magdalena, die vermeintliche Prostituierte an Jesu Seite, gar nicht so viel. Ausgeschmückt hat ihre Rolle erst die Legende. Doch der Reihe nach: Der Evangelist Lukas erwähnt, dass Jesus bei Maria Magdalena, auch Maria von Magdala genannt, sieben Geister ausgetrieben und dass sie von da an zu Jesu Jüngerkreis gehört und ihn mit Geld unterstützt habe (Lk 8,2–3). Offensichtlich hatte sie also die finanziellen Möglichkeiten zur Förderung Jesu; woher, lässt das Neue Testament offen. Die Näherbestimmung des damals Randbemerkung sehr häufigen Frauennamens Maria durch Rechtlich war der Status von Frauen heikel. den Ortsnamen Magdala verrät zweierlei: Männer konnten sich – möglicherweise auch Erstens stammte Maria offensichtlich aus schon aus nichtigen Gründen – von einer Frau scheiden lassen, was dem Recht der Tora entdem Dorf Magdala am See Genezareth* und sprach (vgl. Dtn 24,1–4). Das einzige Risiko dabei zweitens war sie vermutlich nicht verheiwar ein finanzielles, weil an dieser Stelle die ratet, sonst hätte man sie eher nach ihrem Aushändigung des sogenannten »Brautpreises« Mann benannt. und der Mitgift fällig wurde, welche die Frau in die Ehe eingebracht hatte. Frauen dagegen konnten nur in Ausnahmefällen überhaupt eine Scheidung fordern. Vor Gericht hatten Frauen außerdem keine Zeugenfunktion; ihre Aussage hatte also kein Gewicht, wenn sie nicht von männlichen Zeugen bestätigt wurde.
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Frauenrecht und Frauenpflicht Die Gesellschaft Israels war patriarchal geprägt: Das männliche Familienoberhaupt dominierte in juristischer und sozialer Hinsicht die Familie. Dies galt im Grunde in allen Kulturen des Mittelmeerraums. Erwachsene Frauen blieben einem Mann – ihrem Vater – zugehörig, sie wechselten in aller Regel mit der Heirat ins Haus des Ehemannes. Die Tora legt fest, welche Verpflichtungen Männer gegenüber ihren Ehefrauen hatten, darunter ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Das klingt ganz fürsorglich, bedeutete aber auch, dass Frauen in wirtschaftlicher Hinsicht zumeist von den Männern abhängig waren. Erbberechtigt waren nur die Söhne; Töchter lediglich dann, wenn es keine männlichen Nachkommen gab. Der Tod des Ehemannes konnte für die Frau daher den Weg in die Armut bedeuten, weshalb sich manche Rechtsvorschriften bemühen, hier soziale Sicherungen einzubauen. Das alttestamentliche Buch Ruth ist ein erzählerisches Zeugnis dessen. Gleichzeitig gab es wohl reiche Witwen, wie die, von der das apokryphe* Buch Judith berichtet, nur in Ausnahmefällen. Randbemerkung Der Mann war Herr des Hauses, das deshalb Witwe oder Waise zu sein galt in der Antike »Vaterhaus« hieß. Dennoch wäre es falsch zu denals bedauernswertes Schicksal. Im Alten Testament stehen »Witwen und Waisen« ken, dass Frauen keinerlei Rechte gehabt hätten. oft als stereotyper Ausdruck für besonders In dem ihnen zugewiesenen Bereich agierten sie benachteiligte Personengruppen – beiden relativ selbstständig. Als Hausfrauen und Mütfehlte der rechtliche Schutz durch einen ter konnten sie hohes Ansehen und weitgehende männlichen Vormund (vgl. Hiob 22,5–6; 24,3; Jes 10,2; Ps 94,6; Mal 3,5) und sie waren wirtschaftliche Autonomie genießen. Auch ihre deshalb auf die Mildtätigkeit der Gesellreligiöse Stellung war definiert: Den Frauen schaft oder die Unterstützung durch einen oblag die religiöse Erziehung der Kinder ebenso männlichen Verwandten angewiesen. Auch wie die Sorge für den Sabbat*. Zum Synagogenim Neuen Testament erscheinen Witwen als eine von Armut bedrohte Gruppe besuch* waren sie zwar willkommen, aber nicht (vgl. Mk 12,38–40). Weil es in den antiken verpflichtet, weil ihre Anwesenheit, so die durchKulturen des Vorderen Orients keine staataus ambivalente Begründung, nicht so relevant lich geregelte Armenfürsorge oder Alterswar wie die der männlichen Teilnehmer. In einivorsorge gab, überrascht es nicht, dass die Versorgung von Witwen und Waisen den gen religiösen Zeremonien kam ihnen jedoch Einzelnen ausdrücklich als gutes Werk eine Bedeutung zu, die der der Männer in nichts anempfohlen wird. Der Vollständigkeit halnachstand – die Pflicht zum Passaopfer in Jeruber sei allerdings darauf hingewiesen, dass salem, zum Dankopfer nach der Geburt eines Kinin hellenistischer* Zeit die Stellung einer verwitweten Frau sich wirtschaftlich bessern des und rituelle Reinigungspflichten galten für konnte; Eheverträge sicherten sie auch nach beide Geschlechter. Allerdings durften Frauen im dem Tod des Mannes finanziell ab. Zudem Tempel* nur bis in die vorderen Vorhöfe gelangen, gab es immer mehr Frauen, die freiwillig der innere Bereich war ausschließlich jüdischen den Weg der Ehelosigkeit gingen; auch sie Männern vorbehalten. wurden sprachlich zu den »Witwen« gezählt.
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Jesu Jüngerinnen – mehr als Randfiguren Jesus selbst wandte sich, folgt man der biblischen Überlieferung, Frauen so zu, wie er sich allen Menschen zuwandte: mit großer Offenheit. Er ließ sich von dem Mut und der Hartnäckigkeit der syrophönizischen Frau überzeugen (vgl. Mt 15,21–28), er nahm Frauen in seinen Jüngerkreis auf (vgl. Lk 8,2–3), er verteidigte Maria gegenüber ihrer Schwester Martha ausdrücklich, als sie ihre Pflichten als Gastgeberin verletzt, um seinen theologischen Ausführungen zuzuhören (Lk 10,38–42), und er erlaubte, dass eine Frau ihn symbolisch für sein Begräbnis salbte (Mk 14,3–9). Maria von Magdala gehörte vermutlich über einen längeren Zeitraum zu Jesu Jüngerschar; das Markusevangelium erwähnt ausdrücklich, dass sie ihm bereits in Galiläa* nachgefolgt sei (vgl. Mk 15,40–41). Ob damit allerdings tatsächlich gemeint ist, dass sie Jesu unstetes Wanderleben teilte, oder ob »Nachfolge« nicht auch heißen kann, dass sie sein Anliegen von zu Hause aus zum Beispiel finanziell unterstützte, ist in der Wissenschaft umstritten. Als Jesus hingerichtet wird, ist Maria Magdalena jedenfalls in Jerusalem, sei es als Teil von Jesu Gefolge, sei es als Pilgerin zum Passafest. Und während die männlichen Jünger nach Jesu Verhaftung fliehen, gehört sie der Überlieferung nach zu den Frauen, die auch bei seiner Hinrichtung anwesend sind. Da nach römischem Recht auch Frauen gekreuzigt werden konnten, stellte das ein nicht unerhebliches persönliches Risiko dar. Dass Maria der Kreuzigung »von ferne« (Mk 15,40) zusah, dürfte deshalb eine historisch* Randbemerkung zutreffende Beschreibung sein. Maria Magdalena Weil Matthäus und Johannes überliefern, war es auch, die Hilfe bei Jesu Begräbnis leistete dass Jesus zuerst Maria von Magdala erschie(Mk 15,47) und schließlich zu denen gehörte, die nen sei, wurde sie in der Alten Kirche* als das leere Grab entdeckten (vgl. S. 156–162). »Apostelgleiche« verehrt. Viele apokryphe* Schriften – also Texte, die zwar nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, aber trotzdem in einigen kirchlichen Kreisen besondere Beachtung erfuhren – stellen die Rolle Maria Magdalenas vielleicht auch deshalb in den Mittelpunkt. Besonders wichtig wurde sie in den gnostischen* Schriften, die die Jesusüberlieferung mit weiteren geheimen Lehren kombinierten. Das in Nag Hammadi gefundene Philippusevangelium bezeichnet Maria Magdalena sogar zwei Mal als Gefährtin Jesu und deutet eine Liebesbeziehung an: »Und die Gefährtin [des Erlösers] ist Maria Magdalena. Der [Erlöser liebte] sie mehr als [alle] Jünger und er küsste sie [oft] auf ihren [Mund].«
Erste Zeugin der Auferstehung Laut Matthäus und Johannes wird Maria Magdalena sogar die Ehre der Erstbegegnung mit dem Auferstandenen zuteil (vgl. Mt 28,9–10; Joh 20,11– 18): Noch auf dem Friedhof stößt sie auf einen durch den Tod hindurch gegangenen und veränderten Jesus. Im Johannesevangelium nimmt dieses Treffen breiten Raum ein: Als Maria am Grab steht und weint, sieht sie einen Mann, den sie zunächst für den Gärtner hält. Sie erzählt ihm,
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warum sie so traurig ist. Daraufhin redet dieser Mann, der doch Jesus selbst ist, sie mit Namen an – und Maria erkennt ihn. Nun ist es umgekehrt an Jesus, ihre Versuche abzuwehren, ihn anfassen zu wollen. »Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater« (Joh 20,17). Steht dahinter die Vorstellung, dass Jesus sich nach seinem Tod noch in einem Verwandlungsprozess befinde, der erst mit der Aufnahme in den Himmel abgeschlossen sei? Oder soll Maria innerlich akzeptieren, dass sie Jesus loslassen muss, weil er nach seinem Tod nicht mehr so anwesend sein kann wie zuvor?
Maria von Magdalena und die Sünderin, die Jesus salbte War Maria Magdalena tatsächlich die Gefährtin Jesu? Von einer Romanze zwischen den beiden weiß das Neue Testament nichts, wie es überhaupt über jede emotionale oder sexuelle Beziehung Jesu zum anderen Geschlecht schweigt. Insofern haben solche Spekulationen keinen gesicherten exegetischen Halt. Das gilt allerdings ebenso für die Vorstellung, Jesus habe quasi zölibatär gelebt. Selbst als jüdischer Rabbi hätte er dazu keinen Grund gehabt. Nach jüdischer Vorstellung ist die Ehe eine gute Gabe Gottes – und das galt für alle Menschen. Was jedoch weder innerhalb der biblischen Überlieferung noch in den apokryphen* Texten zu finden ist, ist eine Szene, in der Maria Magdalena Jesus die Füße salbt, mit ihren Tränen und Küssen benetzt und mit ihren Haaren trocknet. Im Kontext der Salbungsgeschichte findet sich der Name Maria Magdalena nicht (vgl. S. 94–97). Wenn in Joh 12 davon die Rede ist, dass es eine Maria gewesen sei, die die Salbung vollzogen habe, so wird diese explizit als Schwester von Martha und Lazarus identifiziert und gerade nicht als Maria Magdalena. Die Gleichsetzung dieser Maria mit der Sünderin aus Lk 7,36–50 vollzog erst der Kirchenvater Hippolytus (ca. 170 – ca. 235). Ab dem 6. Jahrhundert wurde sie dann Teil des katholischen Lehrkanons. Biblisch aber ist sie nicht. Dass Jesus in seinen Jüngerkreis auch Frauen aufnahm, ist besonders von der feministischen Exegese immer wieder betont worden. Es ist durchaus denkbar, dass unter diesen Frauen auch welche waren, die ihren vermutlich mageren Lebensunterhalt als Prostituierte verdienten. Dass Maria Magdalena, die immerhin wohlhabend war (vgl. Lk 8,2–3), zu diesen Frauen zählte, ist nicht übermäßig wahrscheinlich. In jedem
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Fall repräsentiert sie wie keine zweite Jüngerin die Bereitschaft Jesu, auch solche Menschen zu seiner Anhängerschaft zu rechnen, die in der männlich dominierten antiken Gesellschaft Israels eher am Rande standen.
Randbemerkung Die jesuanische Offenheit gegenüber Frauen setzte
… zum Schluss
Leider ist die für das 1. Jahrhundert beispiellose Offenheit in den jüngeren TexMitarbeitenden des Paulus zählten auch Frauen, unter ten des Neuen Testaments wieder korrianderem Priska – die sicher nicht ohne Grund oft vor ihrem Mann Aquila genannt wird (vgl. Röm 16,3) – giert worden. Besonders die Briefe, die in sowie die Missionarin Junia (vgl. Röm 16,7). Paulus trat den Generationen nach Paulus entstanfür die Möglichkeit der Ehelosigkeit auch für Frauen den, sprechen da eine eindeutige Spraein (1Kor 7,25–40) und er betonte, dass innerhalb che: Sie legen genau fest, wem welche der Gemeinde alle Dienste und damit alle Menschen gleich wichtig seien (vgl. 1Kor 12). Frauen konnten Rolle zukam – und die der Frau war die in Gemeinden wichtige Funktionen bekleiden (vgl. untergeordnete. Nachdem Paulus noch 1Kor 1,11; Röm 16,6–13; Kol 4,14; Phil 4,2) oder auch genaue Regeln aufgestellt hatte, was finanziellen Beistand leisten wie die PurpurhändleFrauen beachten müssen, wenn sie in der rin Lydia (vgl. Apg 16,14–15). Sicher waren die ersten Christusgläubigen nicht das, was man revolutionär Gemeinde auftreten (1Kor 11,2–16), weist nennen würde, aber sie wussten: Irdische Ordnunder von einem Paulusschüler verfasste gen wie Ehe und Familienstand gehören nur zu den erste Timotheusbrief darauf hin, dass es weltlichen Dingen. So schreibt Paulus im GalaterFrauen nicht zukomme zu lehren, sonbrief: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht dern dass sie in der Stille lernen müssSklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus« (Gal 3,28). ten und höchstens daheim ihren Mann fragen dürfen, wenn sie etwas nicht verstanden hätten (1Tim 2,11–15). Der Paulus vermutlich zu späterer Zeit untergeschobene Satz, dass Frauen in den Gemeindeversammlungen schweigen sollen (vgl. 1Kor 14,34), korrigiert den Apostel in genau diese Richtung und sollte entsprechend Wirkung in der Kirchengeschichte zeigen. Schade! Wie gut, dass die Bibel auch die Erinnerung an Maria aus Magdala bewahrt hat und noch weiß, wie wichtig sie für Jesus war, wie unbestritten sie augenscheinlich mit anderen Frauen zur Jüngergruppe gehörte und wie sie zur Auferstehungszeugin wurde! Das alles bestärkt Frauen (und Männer) bis heute darin, sich für eine Kirche zu engagieren, die sich auch in ihren Ämtern für alle Geschlechter öffnet und für Gleichberechtigung steht. sich im frühen Christentum fort: Zu den wichtigsten
Petrus Fels in der Brandung
Der Name ist Programm 77 Der Erstberufene 78 Leugner Jesu und Zeuge seiner Auferstehung 78 Der Fels der Christenheit? 79 Petrus als Briefschreiber? 80 … zum Schluss 81
Der Name ist Programm Keiner der anderen Jünger Jesu hat einen solchen Bekanntheitsgrad erlangt wie er: Petrus, der Fels in der Brandung der frühen Christenheit. Dabei hieß er eigentlich gar nicht Petrus, sondern Simon. Kefas (aramäisch*) oder Petros (griechisch) ist ein Beiname und bedeutet so viel wie »Stein«. Verliehen wird ihm dieser Name, so erzählt es das Neue Testament, von Jesus selbst (vgl. Mk 3,16). Dadurch soll man ihn von dem anderen Simon aus dem Jüngerkreis unterscheiden können. Doch steckt dahinter sicher auch eine Aussage über seinen Charakter: Simon, der Steinharte. Denn das konnte Petrus sein: hart wie Fels und eine verlässliche Basis für Jesus und die Menschen in seinem Gefolge. Aber auch stur und ein richtiger Dickschädel, der mit dem Kopf durch die sprichwörtliche Wand ging. Er war es, der für seinen Herrn sterben wollte (Mk 14,31) und im Garten Gethsemane* nicht mal eine Stunde mit ihm wachen konnte (Mk 14,37). Dazu passt die Legende vom Seewandel, die auch ohne historischen* Kern viel über den Charakter des Petrus verrät: Als Einziger aus dem ganzen Jüngerkreis wagt Petrus sich aus dem Boot, um Jesus auf dem Wasser entgegenzugehen – und geht prompt unter (vgl. Mt 14,22–34). Dabei hätte sich Petrus mit Wasser eigentlich auskennen müssen: Ursprünglich stammte er aus Galiläa*, war wie sein Bruder Andreas Fischer am See Genezareth* und hatte sogar ein Boot (vgl. Lk 5,2) und ein Haus (vgl. Mk 1,29), das immerhin Platz für Gäste bot. Mittellos kann er also nicht gewesen sein. Ob er gebildet war und vielleicht sogar Griechisch sprach, ist allerdings umstritten. Er war jedenfalls verheiratet; er hatte eine Schwiegermutter, deren Fieber Jesus heilte (Mk 1,30–31), und er ließ sich bei seinen späteren Missionsreisen von seiner Ehefrau begleiten (vgl. 1Kor 9,5).
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Der Erstberufene Dass Petrus zusammen mit seinem Bruder Andreas ein Jünger der ersten Stunde war (vgl. Mk 1,16–18), spiegelt sich auch in der Führungsposition wider, die er im Jüngerkreis hatte: Petrus steht immer am Anfang der Jüngerlisten (vgl. Mt 10,2; Mk 3,16; Lk 6,14) und nur ihm sowie Johannes und Jakobus, den beiden Söhnen des Zebedäus, wird die Ehre zuteil, bei Jesu Verklärung (Mk 9,2– 10) und bei seiner dunkelsten Stunde im Garten Gethsemane* (Mt 26,37) dabei zu sein. Spätestens das sogenannte Petrusbekenntnis zeigt, dass Petrus zum Sprecher des Zwölferkreises avanciert ist. Als nämlich Jesus fragt, für wen die Randbemerkung Jünger ihn halten, ist Petrus der EinDie Synoptiker* überliefern, Jesus habe Petrus und Andreas mit den Worten berufen, er wolle sie zu zige, der das ausspricht, was alle hoffen, »Menschenfischern« machen (Mk 1,17). Die Wissensich aber keiner zu sagen traut: »Du bist schaft vermutet heute, dass diese Formulierung tatder Christus!« (Mk 8,29). Vermutlich hat sächlich von Jesus selbst stammt und ihm nicht erst sich darin eine historische* Erinnerung später zugeschrieben wurde. Das Griechisch klingt in der Tat so, als hätte den Satz jemand gesagt, der bewahrt. Dass Jesus Petrus nur wenig eigentlich Hebräisch oder Aramäisch* als Mutterspäter tadeln muss, weil dieser die Notsprache spricht – wie eben Jesus. Der Fachbegriff wendigkeit seines Leidens leugnet, ist hierfür ist »semitisierend*«. Hört man genau hin, aber auch wieder typisch Petrus. Hatte merkt man allerdings, dass das Bild der MenschenPetrus gerade noch Jesus als Christus* fischer so glücklich nicht ist. Zwar passt es zur Herkunft der beiden Brüder, doch werden Fische bezeichnet, muss er sich von diesem ja üblicherweise gefangen, um sie zu töten. Vermutnun Teufel nennen lassen, weil er die lich wollte Jesus mit diesem Satz etwas anderes Göttlichkeit seiner Mission nicht verausdrücken: Die Arbeit für die Jesusbewegung ist steht (vgl. Mk 8,33). Deutlicher geht es genauso lebenswichtig wie der Beruf des Fischers. eigentlich nicht.
Leugner Jesu und Zeuge seiner Auferstehung Das Bild von Petrus ist stark geprägt von den Farben, mit denen er in der Passionsgeschichte gemalt wird. Sein großspuriges Versprechen, mit Jesus in den Tod zu gehen, kann er nicht halten. Im Gegenteil: Aus Angst um sein eigenes Leben behauptet er, Jesus nicht zu kennen. Genau das hatte dieser ihm angekündigt: »Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen!« (Mk 14,30, vgl. Mk 14,72). Die im Johannesevangelium überlieferte Geschichte vom Fischfang am See Tiberias nimmt auf diese dreimalige Verleugnung Bezug. Denn genau drei Mal lässt sich der Auferstandene die Liebe des Petrus bestätigen und beauftragt ihn mit der
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Führung seiner Gemeinde (vgl. Joh 21,1–23). Dies ist eine deutliche Anspielung auf das, was die anderen Evangelien von der Nacht auf den Karfreitag erzählen. Die Ehre, die laut einigen neutestamentlichen Traditionen Maria Magdalena zuteilwurde (Mt 28,9–10; Joh 20,11–18), schreiben Paulus und Lukas wiederum Petrus zu: die Ersterscheinung des Auferstandenen (1Kor 15,5; Lk 24,34). Auch nach Ostern blieb Petrus der Erste – in der Urgemeinde* und in der Begegnung mit Jesus. Petrus war derjenige, der sich nach dem Bericht der Frauen sofort auf den Weg zum leeren Grab machte (vgl. Lk 24; Joh 20) und der auch an Pfingsten fast selbstverständlich im Namen aller Jüngerinnen und Jünger die Stimme erheben sollte (vgl. Apg 2).
Der Fels der Christenheit? Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen. (Mt 16,18)
Diese Worte deuten den Beinamen Petrus. Der Evangelist Matthäus legt sie Jesus in den Mund; berühmt geworden sind sie als sogenanntes Felsenwort Jesu. Heute geht man in der Regel davon aus, dass diese Aussage nicht von Jesus selbst stammt, sondern ihm nachträglich zugeschrieben wurde. Der griechische Begriff »Ekklesia«, den Luther mit »Gemeinde« übersetzt, wäre für Jesus selbst noch undenkbar gewesen – er wollte keine Kirche gründen, sondern erwartete das Reich Gottes. Vermutlich wurde der Vers nachösterlich* ergänzt, als sich die frühe christliche Gemeinde formierte und sich dabei auf die apostolischen Anfänge zurückbesann. Matthäus kombiniert dieses Felsenwort mit dem sogenannten Schlüsselwort – einer Aussage, dessen wirkungsgeschichtliche Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, denn unter anderem darauf gründet sich der Primats anspruch des Papstes als Nachfolger Petri: Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. (Mt 16,19)
Für Matthäus ist wichtig, dass sich an Petrus das zeigt, was für die gesamte christliche Gemeinde gilt: In ihr bildet sich die für das Jenseits erwartete Gemeinschaft aller Gläubigen zeichenhaft ab. Die Kirche als Gemeinschaft verwirklicht bereits auf Erden, was Jesus für das
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Reich Gottes ankündigte. Sehr bewusst weitet Matthäus deshalb den Zuspruch an Petrus auf alle Menschen christlichen Glaubens aus: Wahrlich, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. (Mt 18,18)
Was in der Bibel in der Petrusbiografie fehlt, ergänzt dann die Legende: Sie macht Petrus zum ersten Bischof der Stadt Rom, in der er laut der frühchristlichen Überlieferung im Jahr 67 n. Chr. das Martyrium* erlitten haben soll. Für die katholische Kirche stehen die Päpste deshalb in direkter Nachfolge des Petrus – von der Gründung der christlichen Kirche bis heute.
Petrus als Briefschreiber? Nicht nur die Evangelisten und die Apostelgeschichte erzählen von Petrus, dem sturen und streitbaren Apostelfürsten, sondern der neutestamentliche Kanon enthält auch zwei Briefe, die von ihm verfasst sein wollen: Bekannt als erster und zweiter Petrusbrief sind sie Teil der sogenannten »katholischen Briefe«. Die Wissenschaft geht heute zumeist davon aus, dass diese Briefe nicht aus der Feder desjenigen stammen, der als Absender darübersteht. Es handelt sich also bei den beiden Petrusbriefen um sogenannte Pseudepigrafen*. Hier bedienen sich zwei Christen einer späteren Generation des großen Namens Petrus, um mit ihren Briefen autoritativ in ihre eigene Zeit hinein zu sprechen. Christen übrigens, die sehr viel besser Griechisch konnten, als es bei Petrus, einem Fischer vom See Genezareth*, denkbar scheint. Und Christen, die bereits auf Randbemerkung frühchristliche Traditionen zurückbliInsgesamt sieben Briefe werden als »katholisch« cken konnten (vgl. 1Petr 2,21–25) und bezeichnet. Ihrem Anspruch nach richten sie sich diese zur Untermauerung ihrer eigenen anders als die Paulusbriefe nicht an konkrete Gemeinden, sondern sie wollen die gesamte Welt in den Ermahnungen einsetzten. Doch verdankt Blick nehmen – und nichts anderes bedeutet »kathodie christliche Kirche dem 1. Petrusbrief lisch« im ursprünglichen Sinn des Wortes. Zu diesen immerhin einen theologischen SpitzenSchreiben zählen neben den zwei Episteln unter satz, den Martin Luther zur Begründung dem Namen des Petrus auch drei Johannesbriefe, ein Brief des Jakobus und einer von Judas – wobei seiner Lehre vom »Priestertum aller Gemit Judas nicht der Verräter gemeint ist, sondern tauften« heranziehen konnte. ein Bruder Jesu. Jakobus, Petrus und Johannes sind
auch diejenigen, die als sogenannte »Säulen« der Jerusalemer Urgemeinde* als Führungselite der ersten christlichen Gemeinde gelten (vgl. Gal 2,9).
Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk,
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ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht. (1Petr 2,9)
… zum Schluss Die Geschichten von Petrus tun gut. Er war ein Dickschädel, stur und hart wie Stein und dennoch – oder gerade deshalb – das Fundament der christlichen Gemeinde. Petrus steht neutestamentlich für all diejenigen, die sich auf das Wagnis des Glaubens einlassen und dabei auch mal »baden gehen«. Gerade als fehlbarer Mensch hat Petrus Vorbildcharakter: Obwohl er immer wieder scheiRandbemerkung tert, legt Matthäus Jesus die Worte in den Heute ziert so manches Auto übrigens ein Aufkleber, Mund, die Petrus zum Leiter der christder – gezeichnet mit zwei gekrümmten Linien – einen lichen Gemeinde berufen. Als erstberu Fisch darstellt. Dieses christliche Erkennungszeichen geht zurück auf das Menschenfischerwort Jesu und fener »Menschenfischer« blieb er bis zu auf eine Formulierung des Kirchenvaters Tertullian, seinem Tod eine herausragende Gestalt der im 2. Jahrhundert Christusgläubige als kleine der ersten Christenheit. Fischlein bezeichnen konnte, die aus dem einen Mag Petrus für die katholische TraFisch Jesus geboren worden seien. Die Buchstaben des griechischen Wortes für Fisch, Ichthys, können dition auch der erste Papst sein, so verzudem als griechische Kurzform für ein grundlegendes bindet sich mit seinem Namen ebenGlaubensbekenntnis gelesen werden, das übersetzt falls die Vorstellung vom Priestertum lautet: Jesus Christus*, Gottes Sohn*, unser Retter. aller Gläubigen. Martin Luther bezog sich unter anderem auf den 1. Petrusbrief, wenn er sich gegen die kirchliche Lehre seiner Zeit wandte, nach der ein Priester durch seine Weihe gegenüber anderen Christinnen und Christen hervorgehoben wurde. Luther betonte: Jeder Mensch christlichen Glaubens kann und soll selbst in der Bibel lesen und ist nur Gott gegenüber verpflichtet, nicht der Kirche. Jede und jeder Getaufte ist selbst »Priesterin und Priester«. Wenn man diesen Gedanken mit dem Petrusbild verknüpft, dass die Evangelien zeichnen, dann zeigt sich: Mit der Existenz des glaubenden Menschen, auch im Amt, sind Zweifel und Scheitern verbunden; aber eben immer auch die Erwartung neuer Erkenntnis und Hoffnung. Weithin sichtbar erinnert der (Wetter-)Hahn auf den Kirchturmspitzen genau daran: nicht so sehr an die dunkelste Stunde des Petrus, sondern daran, dass ihm und mit ihm allen Christinnen und Christen die Möglichkeit zum Neuanfang geschenkt ist.
Johannes und Jakobus Vorlautes Brüderpaar
Bedingungsloser Ruf in die Nachfolge 82 Harter Kern um Jesus 82 … zum Schluss 83
Bedingungsloser Ruf in die Nachfolge Neben Petrus und Andreas findet sich unter den Jüngern ein zweites Brüderpaar: Johannes und Jakobus, wegen ihres Vaters Zebedäus auch Zebedaiden genannt. Jesus verleiht ihnen den Beinamen Donnersöhne (Mk 3,17) und spielt damit vielleicht auf ihren ungestümen Charakter an (vgl. Lk 9,54). Johannes und Jakobus sind Fischer und werden am See Genezareth* von Jesus angesprochen. Dass sie sofort gehorchen, ist eine rückblickende Verdichtung eines Annäherungsprozesses, der tatsächlich viel langsamer und in mehreren Schüben verlaufen sein dürfte. Der Entschluss, Jesus zu begleiten, wird bei den meisten allmählich gereift sein. Aber für die Evangelisten ist die Sache klar: Wen Jesus ruft, der kann nur freudig Ja sagen. Auch Johannes und Jakobus lassen also den Familienbetrieb zurück, ohne sich zu vergewissern, ob ihr Vater ohne ihre Randbemerkung Hilfe auskommt. Der Fischfang stellte für die Menschen, die am See Genezareth* lebten, eine der wichtigsten Nahrungs- und Handelsquellen dar. Nicht zufällig stammen die ersten Jünger Jesu aus der Zunft der Fischer. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass die Geschichten, die vom Fischen
Harter Kern um Jesus
handeln, gute Kenntnisse dieses Handwerks verraten. Gefischt wurde eher nachts und in Gruppen, die Netze wurden regelmäßig gereinigt und, wenn sie kaputt waren, mühsam repariert. Fischfang war ein hartes Geschäft und oft als Familienbetrieb organisiert. Wo man die Technik erlernt hatte, gefangene Fische zu konservieren, wurden sie auch zu einem wichtigen Handelsgut. Fisch galt als ein Essen für arme Menschen – wer es sich leisten konnte, bevorzugte Fleisch. Die Menschen aus dem Umfeld Jesu konnten es sich jedoch nicht leisten; in vielen Geschichten stellen deshalb Brot und Fisch die Hauptnahrungsmittel dar (vgl. zum Beispiel die Speisung der 5000 in Mk 6,30–44). Sogar der Auferstandene isst mit seinen Jüngern Fisch (vgl. Lk 24,41–43).
Jakobus, Johannes und Petrus bilden der Überlieferung nach den harten Kern um Jesus. Sie sind auch dann mit dabei, wenn alle anderen Jünger zurückbleiben müssen, etwa bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,37), bei der Verklärung Jesu (Mk 9,2) oder im Garten Gethsemane* kurz vor der Verhaftung (Mk 14,33).
Johannes und Jakobus. Vorlautes Brüderpaar
Mit Petrus zusammen nehmen die beiden Zebedaiden also eine besondere Rolle im Jüngerkreis ein. Und wie er schießen auch sie manchmal über das Ziel hinaus: Gerne hätten sie schon hier auf Erden von Jesus die Zusage, im Reich Gottes rechts und links neben ihm sitzen zu dürfen (Mk 10,35–45) – was für eine Anmaßung! Jesus weist deshalb an ihrem Beispiel darauf hin, worin wahre christliche Nachfolge besteht: im Dienen, so wie er selbst es tut. In dieser Geschichte blitzt das Wissen des Evangelisten um den gewaltsamen Tod der beiden Brüder auf: Auch sie werden das Martyrium* erleiden, also »den Kelch trinken«, den auch Jesus trinkt. Dazu passt, dass sich in Apg 12,2 der kurze Hinweis findet, dass Herodes Agrippa I., ein Enkel Herodes des Großen, Jakobus mit dem Schwert habe hinrichten lassen. Hinter all diesen Überlieferungen steckt sicher die Erinnerung an eine tatsäch liche herausgehobene Bedeutung der beiden Brüder im Jüngerkreis – die sich wohl auch nachösterlich* noch niederschlägt: Wie Petrus scheinen Jakobus (vgl. Apg 12,2) und Johannes (vgl. Gal 2,9) zum Leitungskreis der Jerusalemer Urgemeinde* gehört zu haben; mindestens Ersterer war wohl auch als Missionar unterwegs.
… zum Schluss Im Internet kursiert der folgende Spruch: »Jesus beruft nicht die Qualifizierten, sondern er qualifiziert die Berufenen!« Das könnte man auch über Johannes und Jakobus sagen. Denn offensichtlich waren sie keine ganz einfachen Zeitgenossen: ein wenig hitzköpfig und von der Bedeutung der eigenen Person mehr als überzeugt. Und dennoch hatte Jesus sie gerne ganz vorne mit dabei. Es tut gut zu wissen: Man muss nicht perfekt sein, um an Gottes Reich mitzubauen.
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Judas Verraten und verkauft
Der Verräter aus dem Zwölferkreis 84 Judas Iskariot – der Zelot? 84 »In der Nacht, da er verraten ward …« 85 Der Verrat des Judas – Teil eines göttlichen Plans? 86 … zum Schluss 87
Der Verräter aus dem Zwölferkreis Judas Iskariot ist der, der Jesus »verriet« (Mk 3,19; Mt 10,4). Von seiner ersten Erwähnung an ist das klar. Diese Konzentration auf die Verräterrolle ist sicher ein nachösterlicher* Rückblick auf die Geschichte Jesu, doch bestimmt sie das überlieferte Judasbild von Anfang an; selbst bei der Berufung des Zwölferkreises wird Judas so charakterisiert. Die Erinnerung, dass es einer der engsten Vertrauten war, der Jesus im wahrsten Sinne des Wortes verraten und verkauft hat, schmerzt. Deshalb ist sich die Forschung sicher: Dass der Verräter aus Jesu direktem Umfeld kam, ist eine historische* Erinnerung. Das hätte sich niemand ausdenken können!
Judas Iskariot – der Zelot? Über Judas erfährt man nur genau das: Er ist ein Verräter. Eventuell bietet sein Beiname Iskariot eine Erklärung für sein Handeln. Drei Deutungen des Beinamens Iskariot werden in der aktuellen Forschung vertreten: Steht Iskariot für den aramäischen* Ausdruck Isch Qerijot und bedeutet dann »Mann aus Kariot«? Dann würde Judas aus einem Dorf im südlichen Judäa stammen und nicht aus Galiläa* wie die anderen Jünger. Oder ist der Beiname auf das Substantiv Ischqarja zurückzuführen, das »Lügner« bedeutet? Das jedoch wäre eine Reaktion auf den Verrat des Judas und also nachösterlich*. Eine dritte Deutung schließlich erkennt hinter dem Nomen Kariot eine Anspielung auf die Gruppe der Sikarier, eine guerillaähnliche Untergruppe der Zeloten*, die den politisch-religiösen Umsturz mit heimtückischen Angriffen und Meuchel-
Judas. Verraten und verkauft
morden herbeiführen wollte. Gäbe man letzterer Deutung – Judas als meuchelnder Sikarier – den Vorzug, wäre damit vielleicht auch die Frage beantwortet, welche Gründe er für den Verrat Jesu hatte: War er als heimlicher Zelot* enttäuscht davon, dass Jesus seinen Messiasanspruch* so ganz und gar unpolitisch füllte? Auch andere biblische Stellen legen nahe, dass manche Menschen in Jesus eine politische Befreiergestalt sahen: Unter Jesu Jüngern befand sich »Simon, genannt der Zelot« (vgl. Lk 6,15), also noch ein potenzieller Aufrührer. Die Emmausgeschichte zeigt zudem, dass Jesu Jünger die politisch gefüllte Hoffnung hatten, er sei es, »der Israel erlösen« (Lk 24,21) und also der alttestamentlichen Verheißung gemäß zu neuem Glanz führen werde. Heute vermutet man, dass Jesus diese Erwartungen an seine Person zwar kannte, aber nicht erfüllen wollte – ob die Jünger das aber tatsächlich verstanden haben, ist unklar. Endgültige Sicherheit über den Beinamen des Judas und auch über die Gründe seines Verrats lässt sich deshalb nicht gewinnen.
»In der Nacht, da er verraten ward …« Die Erzählungen rund um Judas laufen auf einen Punkt zu: Am Vorabend des Passafestes* führt er die Männer des jüdischen Hohen Rates* in den Garten Gethsemane* und präsentiert dort Jesus durch den sprichwörtlich gewordenen Judaskuss als den, den sie suchen. Alle drei Evangelien erzählen, dass Judas für diesen Verrat 30 Silberlinge erhalten habe, den ebenso sprichwörtlich gewordenen Judaslohn (vgl. Mk 14,10–11). Zumindest Lukas und Matthäus wissen auch vom Ende des Judas, das – nicht nur antikem Gerechtigkeitsdenken, sondern auch menschlichen Rachegelüsten folgend – seiner Tat durchaus angemessen erscheint. So erzählt Matthäus, dass Judas die Reue über sein Tun in den Selbstmord getrieben habe (vgl. Mt 27,3–10). Ob er damit rehabilitiert werden sollte? Immerhin habe es ihm doch leidgetan. Laut Lukas starb Judas hingegen bei einem etwas nebulös bleibenden Unfall auf dem sogenannten Blutacker, den er von seinem Lohn gekauft hatte (vgl. Apg 1,15–20).
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Menschen, die Jesus nahestanden
Der Evangelist Johannes steigert die negativen Züge, mit denen Judas charakterisiert wird, fast ins Unermessliche: Judas sei ein Dieb und Veruntreuer und zudem unrein (Joh 12,4 ff.; 13,10). Hier ist die deutliche Tendenz erkennbar, Judas im Rückblick auf seinen Verrat an Jesus nur in den allerschwärzesten Farben zu malen. Ein Detail ist aber besonders interessant: Nur im Johannesevangelium ist es Jesus selbst, der Judas vorauswissend das Zeichen zum Verrat gibt und damit quasi das Heft des Handelns in der Hand behält: »Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe« (Joh 13,26). Man merkt den Evangelien an, dass sie um eine Erklärung ringen, wie ein solcher Vertrauensbruch möglich war. Lukas ist sich sicher: Judas muss vom Teufel verführt worden sein. So beschreibt er, dass der Satan, der sich nach Jesu gescheiterter Versuchung zurückgezogen hatte (vgl. Lk 4,13), nun in Judas fährt und ihn zu der Tat anstachelt (Lk 22,3, vgl. Joh 13,27). Eine andere Möglichkeit kann sich der dritte Evangelist schlicht nicht vorstellen.
Der Verrat des Judas – Teil eines göttlichen Plans? Judas als verwerflich handelnder Verräter – dieses Bild scheint sich durchzuziehen: der frustrierte oder vielleicht auch von Grund auf böse Jünger, der seinen Herrn an die jüdische Gerichtsbarkeit verkauft und ihn so einem grauenhaften Tod ausliefert. Doch so klar ist die Rolle des Judas nicht. Das Johannesevangelium deutet dies zumindest an: Wenn dort Jesus Judas zum Verrat animiert, steckt dahinter ein nicht unwichtiger theologischer Gedanke. Immerhin betonen alle Evangelien, dass Jesu Hinrichtung und seine Auferstehung einen göttlichen Plan vollenden. War einer wie Judas nötig zu dessen Umsetzung? Tatsächlich haben viele, vorwiegend gnostische*, Schriften der Antike dieses Motiv aufgegriffen und Judas zu einem Träger besonderen Wissens und Empfänger ausgewählter Offenbarungen gemacht. Schon das Markusevangelium zeigt bei diesem Thema ein Problembewusstsein. So legt das älteste Evangelium Jesus die folgenden Worte in den Mund: Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. (Mk 14,21)
Als Antwort auf die oben beschriebene theologische Frage überzeugt das nicht. Denn: Was wäre passiert, wenn Judas Jesus nicht verraten oder Pontius Pilatus ihn freigelassen hätte? Wie also verhalten sich Gottes Plan und das menschliche Handeln zueinander?
Judas. Verraten und verkauft
… zum Schluss Leider hat die Rolle, die Judas in der Passionsgeschichte spielt, zu einer Jahrhunderte währenden stereotypen antisemitischen Polemik geführt. In seiner Person und seinem Namen – Juda, im Alten Testament Vater des gleichnamigen jüdischen Stammes – kulminierte die Judenfeindlichkeit des Christentums. Er, der Jesus verriet, schien ein ganzes Volk zu personifizieren, das den Messias* abgelehnt habe. Die Beschäftigung mit der Person des Judas mahnt deshalb auch, die Tat eines Einzelnen nicht auf alle Angehörigen der gleichen Religion oder Ethnie zu übertragen – und nicht zu vergessen, dass die Evangelien einen weitaus differenzierteren Blick auf das Handeln des Judas bewahren.
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Matthias und die Elf Zwölf Freunde sollt ihr sein
Per Nachrückverfahren in den Zwölferkreis 88 Der Zwölferkreis und die Jüngerschar 89 Der Jüngerkreis wird zum Zeichen 90 … zum Schluss 91
Per Nachrückverfahren in den Zwölferkreis Jesus und seine Jünger – da denkt man sofort an zwölf Männer, die sich um einen Anführer scharen. Doch die Bibel zeichnet ein anderes Bild. Ja, Jesus hatte Jünger. Und ja, die Zwölfzahl spielt eine wichtige Rolle. Zugleich verraten die Evangelien jedoch, dass es mehr als zwölf Männer – und nebenbei bemerkt, durchaus auch Frauen – gewesen sein müssen, die zu Jesus gehörten. Dazu zählen zum Beispiel Maria Magdalena oder auch Kleopas, der am Ostersonntag unterwegs nach Emmaus war. Es gab also mehr als zwölf Jünger – und zugleich spielte dieser innere Kreis um Jesus als feste Größe eine wichtige Rolle. So erzählt die Apostelgeschichte, dass Petrus nach dem Tod des Judas eine Nachwahl gefordert habe, um die Zwölfzahl wiederherzustellen. Dazu war es nötig, Menschen zu finden, die den gesamten Weg Jesu begleitet haben: So muss nun einer von den Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein und aus gegangen ist – seit seiner Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde –, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden. (Apg 1,21–22)
Zwei Menschen werden aufgestellt, wobei der Hinweis auf 120 Brüder (vgl. Apg 1,15) vermuten lässt, dass es auch mehr hätten sein können. Mit »Wahl« ist hier weniger ein demokratisches Verfahren gemeint, als vielmehr ein Losentscheid nach vorangegangenem Gebet. Das Los bestimmt, dass Matthias fortan zum Zwölferkreis gehört.
Matthias und die Elf. Zwölf Freunde sollt ihr sein
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Der Zwölferkreis und die Jüngerschar Obwohl Jesus also viel mehr Anhänger Randbemerkung hatte, beruft er den Zwölferkreis in einem Die Namenslisten des Zwölferkreises (vgl. Mk 3,16–19; feierlichen Symbolakt als feste Größe (vgl. Mt 10,2–4; Lk 6,14–16; Apg 1,13–14) stimmen weitestgehend überein: Simon Petrus, Andreas, die ZebedaiMk 3,14). den Johannes und Jakobus, Philippus, Bartholomäus, Das Johannesevangelium kennt keiThomas, Matthäus, Jakobus (Sohn des Alphäus) und nen festen Zwölferkreis und stellt auch Judas Iskariot. Diese zehn der insgesamt zwölf Namen sonst andere Jünger in den Vordergrund sind immer identisch, lediglich Thaddäus findet sich als es die Synoptiker* tun, zum Beispiel bei Lukas nicht und wird dort durch einen weiteren Jünger namens Judas ersetzt. Und aus dem KanaNathanael. Auch Thomas, der Zwilling, anäer Simon wird bei Lukas »Simon der Zelot«. In erhält im vierten Evangelium große allen vier Listen steht Petrus als späterer ApostelBedeutung: An ihm als dem sprichwörtfürst stets am Anfang, an letzter Stelle wird hingegen lichen Zweifler wird die Wahrheit des immer Judas Iskariot genannt, womit sicher auf seine unrühmliche Rolle im Prozess Jesu angespielt wird. Satzes »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« demonstriert (Joh 20,29). Allen Menschen, die Jesus in seine Nachfolge ruft, dürfte eines gemeinsam sein: Sie waren meist hart arbeitende Kleinunternehmer, Fischer, Handwerker, Tagelöhner am Rande des Existenzminimums. Wer wenig zu verlieren hat, der kann eben viel riskieren … und ein Risiko war es in jedem Fall, die eigene sesshafte Existenz aufzugeben und mit Jesus unterwegs zu sein. Allerdings gab es wohl immer auch wohlhabende Unterstützer (und vor allem Unterstützerinnen!) der Jesusbewegung. So erzählt Lukas, dass einige geheilte Frauen Jesus »mit ihrer Habe dienten« (Lk 8,3), und alle drei Synoptiker* berichten übereinstimmend, dass der reiche und angesehene Josef von Arimathäa, Mitglied des Hohen Rates*, für Jesu Begräbnis gesorgt habe (vgl. Mk 15,43). Dennoch: Die ersten Jünger Jesu gehörten wie Jesus selbst zur einfachen Landbevölkerung. Die Beziehung Jesu zu seinen Jüngern ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, eher unbefriedigend. Gerade im Markusevangelium blitzt das immer wieder auf. So seufzt Jesus: Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr ein erstarrtes Herz in euch? Habt ihr Augen und seht nicht und habt Ohren und hört nicht? (Mk 8,17–18)
Heute erklärt man sich das etwas merkwürdige Bild, das das Neue Testament von den Jüngern zeichnet, in etwa so: Die Jüngerschaft stellt das Bindeglied zwischen der Zeit Jesu und der Zeit der Evangelisten dar. In ihren Fragen erkennen die Leserinnen und Leser der Evangelien die eigenen Zweifel wieder. Und sie lernen an den Antworten, was auch für das eigene Christsein wichtig ist.
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Menschen, die Jesus nahestanden
Der Jüngerkreis wird zum Zeichen Der Zwölferkreis stellt zumindest in den Überlieferungen der Synoptiker*, eine feste Größe dar. Dennoch fällt auf, dass meist entweder ganz pauschal von »den Jüngern« die Rede ist oder dass es nur Einzelne (und eben nicht der gesamte Zwölferkreis) sind, die hervorgehoben werden wie zum Beispiel Petrus, JohanRandbemerkung nes oder Jakobus. Eine Ausnahme bildet Dass der Zwölferkreis in den Geschichten um Jesus die sogenannte Aussendungsrede; hier eine wichtige Rolle spielt, ist unbestritten. Doch ist erzählen die Synoptiker*, dass Jesus ausdas auch historisch*? Immer mal wieder wird disdrücklich »die Zwölf« losgeschickt habe, kutiert, ob der Zwölferkreis als nachösterliche* Größe um in Israels Städten zu missionieren in die Zeit Jesu zurückprojiziert worden sei. Dagegen spricht aber die Person des Judas: Dass ausgerechnet (vgl. Mk 6,6–13). jemand aus dem engsten Kreis Jesus verriet, hätte Wichtig ist auch die Rolle, die die als Detail wirklich niemand erfinden können. Zwölf in den Passionserzählungen spielen, wo sie als Gruppe am letzten Mahl beteiligt sind (vgl. u. a. Mt 26,20). Vielleicht enthält diese Überlieferung von Jesu Abendmahl ja sogar den Deuteschlüssel, um die Symbolik des Zwölferkreises zu verstehen. Bei diesem Passa mahl, als Jesus den Tod schon ziemlich sicher vor Augen hat, gibt er diesem Sterben einen Sinn, indem er es als Bundesschluss zwischen Gott und dem erneuerten Israel deutet (vgl. S. 48–50). Dazu würde auch die Berufung von genau zwölf Männern passen, denn damit zeigt Jesus: Um ihn herum sammelt sich das neue – genauer: das erneuerte und endzeitliche – Gottesvolk Israel. Die Zwölf stehen stellvertretend für die zwölf Stämme Israels. Sie werden zum Zeichen, dass in Jesu Wirken die endzeitliche Herrschaft Gottes bereits begonnen hat. Matthäus rechnet sogar damit, dass diese zwölf Jünger einst gemeinsam mit dem Menschensohn* das Jüngste Gericht* über Israel vollziehen werden, und lässt Jesus sagen: Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels (Mt 19,28).
In der Jerusalemer Urgemeinde* übernahm der Zwölferkreis dann zunächst die Leitungsfunktion (vgl. Apg 6,2) und Matthäus erinnert daran, dass diese Zwölf vom Auferstandenen mit der Völkermission beauftragt worden seien (vgl. Mt 28,16–20). Erscheinungen vor diesem Jüngerkreis waren offensichtlich so bekannt, dass Paulus, der selbst all das ja verpasst hatte, diese sogar als Beweis für
Matthias und die Elf. Zwölf Freunde sollt ihr sein
die Auferstehung Jesu anführen kann (vgl. 1Kor 15,3b–5). War die Führungsposition der Zwölf in der Jerusalemer Urgemeinde* in beidem begründet? In ihrer besonderen Rolle während des Erdenwirkens Jesu und in der Ehre einer besonderen Begegnung mit dem Auferstandenen? Schon das Neue Testament zeigt, dass der Zwölferkreis nach und nach an Bedeutung verlor: Für den Verräter Judas musste noch jemand nachgewählt werden, um die Zwölfzahl wieder aufzufüllen (vgl. Apg 1,15–26); als aber nur wenige Jahre später Jakobus Zebedäus den Märtyrertod* starb (vgl. Apg 12,2), unterblieb eine Nachberufung. Vermutlich hatte die Entwicklung den Zwölferkreis schlicht überholt: Als immer mehr heidnische* Menschen zum christlichen Glauben fanden, verloren jüdische Zukunftsbilder ihre zentrale Bedeutung. An ihre Stelle konnten andere Beschreibungen für die gleiche Hoffnung treten.
… zum Schluss Die Jünger des Zwölferkreises stehen in der Erinnerung an Jesus und seine Zeit stellvertretend für eine viel größere Gruppe von Jüngern und Jüngerinnen: Sie repräsentieren Menschen, die Jesus nachfolgten, sein Leben teilten und von ihm lernten. Nur von einigen wenigen dieser Jünger weiß man Genaueres. Doch waren sie wohl alle aus besonderem Holz geschnitzt: Thomas, der sprichwörtliche Zweifler, der sturköpfige Petrus, die beiden Brüder Johannes und Jakobus. Matthias hingegen ist einer, der augenscheinlich nicht groß aufgefallen ist. Aber auch er muss von Anfang an dabei gewesen sein und wird mit den anderen zum Zeugen für die Auferstehung berufen. Die Lauten und die Leisen: Vermutlich war keiner von ihnen perfekt – und gerade das macht es so leicht, sich bis heute mit ihnen zu identifizieren. Was sie verbindet, ist mehr als Freundschaft. Sie sind beeindruckt vom Charisma Jesu. Sie trauen seiner Hoffnung. Sie folgen seinem Vorbild. In ihren Zweifeln und ihrem Aufder-Suche-Sein repräsentieren sie die Gemeinde derer, die sich bis heute nach Jesus ausrichten.
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n dem, was Jesus tut und sagt, leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf und strahlt ab auf die Menschen um ihn herum. Das kann nicht folgenlos bleiben. Die Evangelien erzählen von ganz unterschiedlichen Menschen, die das so erfahren haben. Manche folgten Jesus nach. Andere übten Kritik an ihm. Mit wieder anderen führte er fruchtbare Diskussionen, die gelegentlich – und vielleicht auch erst im Rückblick derjenigen, die diese Erinnerung verschriftlicht haben – zu erbitterten Wortgefechten werden konnten.
Menschen, denen Jesus begegnete
Die Frau, die Jesus salbte Ein Skandal
Eine Sünderin? 94 Jesu Salbung zum Begräbnis – Affront oder Prophetie? 94 Jesus und die Sünderin – eine (un-)zweideutige Geschichte 96 … zum Schluss 97
Eine Sünderin? Eine Geschichte, die manche Fantasie anregt: Eine leicht bekleidete Frau, eine vermeintlich stadtbekannte Sünderin, kniet zu Füßen Jesu, küsst und salbt sie und trocknet sie mit ihren Haaren. Für viele moderne Lesende ist klar: Diese Frau heißt Maria Magdalena, ist eine Prostituierte und nimmt dennoch in Jesu Herzen eine Sonderstellung ein. Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man: Das alles steht da gar nicht. Zwar gibt es diese Geschichte der Salbung Jesu gleich in zwei verschiedenen Überlieferungen, aber Maria Magdalena kommt in keiner davon vor. Markus, Matthäus und Johannes erzählen im Kontext der Passion Jesu von einer Salbung, von der Jesus selbst sagt, sie diene der Vorbereitung auf sein Begräbnis (Mk 14,3–9, vgl. Mt 26,6–13; Joh 12,1–8). Von einer Sünderin ist nicht die Rede. Der Evangelist Lukas hingegen überliefert diese Geschichte außerhalb der Passionserzählungen (Lk 7,36–50). Hier ist es tatsächlich eine »Sünderin«, die Jesus salbt. Die spätere Tradition identifizierte sie dann mit Maria Magdalena, der Jüngerin, die so zur sprichwörtlichen Sünderin wurde und zum Paradigma der Zuwendung Jesu zu denen am Rande der Gesellschaft (zu Maria Magdalena vgl. S. 72). Der biblischen Überlieferung entspricht das nicht.
Jesu Salbung zum Begräbnis – Affront oder Prophetie? Nach seinem Einzug in Jerusalem ist Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen zu Gast (Mk 14,3–9). Der auffällige Name des Gastgebers hat Anlass zu viel Spekulation geboten, doch erfährt man über den Hausherrn nichts Näheres: Ist
Die Frau, die Jesus salbte. Ein Skandal
er von Jesus geheilt? Hofft er noch auf Heilung? Und ist er eigentlich anwesend? Überhaupt fehlen genauere Informationen zu den Beteiligten dieses Gastmahls und auch über die Frau selbst, die überraschend hinzustößt. Die Geschichte beginnt irgendwie mittendrin: Eine Frau betritt den Raum und salbt Jesus den Kopf. Dass Gästen vor dem Mahl Öl zur Salbung gereicht wurde, war zur Zeit Jesu Sitte. Entweder bot man dem Gast selbst Öl an oder man ließ ihm durch einen Sklaven die Füße salben. Doch diese Szene fällt aus dem Rahmen: Die Feier hat bereits begonnen – und es sind nicht die Füße Jesu, die gesalbt werden, sondern sein Kopf. Dies erinnert an die ritualisierte Salbung alttestamentlicher Könige (vgl. 1Sam 9,16; 10,1). So wie sie durch die Salbung des Hauptes zum Herrscher über Israels wurden, so wird auch Jesus durch diese Zeichenhandlung zum Gesalbten – im wortwörtlichen Sinne. Die Zuschauer verstehen das nicht und reagieren verärgert. Kritik ruft vor allem die Tatsache hervor, dass die Frau sehr wertvolles Öl verwendet. 300 Denare soll es gekostet haben. Das war mehr als der Jahresverdienst eines einfachen Arbeiters und also ein Vermögen. Ob Jesu Gegner oder seine Jünger murren, bleibt unklar. Wichtig ist: Die Unterstellung von Verschwendung richtet sich eigentlich gegen die Frau, doch es ist Jesus, der sich angesprochen fühlt. Er greift den Vorwurf der Gäste auf, dass man das Geld für das Öl besser gespendet hätte – und widerspricht: Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. (Mk 14,7)
Dabei kann Jesus an anderer Stelle ausdrücklich dazu auffordern, allen Besitz zu verkaufen und sich um die Armen zu kümmern (vgl. Mk 10,21). Doch der Akzent dieser Geschichte liegt woanders, nämlich auf dem nahen Tod Jesu. Der kleine Nebensatz »wenn ihr wollt« in Jesu Antwort unterstellt zudem, dass die Meckerer nicht ganz aufrichtig sind. Geht es ihnen wirklich um die Armen oder suchen sie bloß eine Gelegenheit zur Kritik? Jesus nimmt die Frau jedenfalls in Schutz und noch mehr: Er deutet ihre Handlung als prophetische Zeichenhandlung, deren Symbolwert deutlicher nicht hätte sein können. »Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis« (Mk 14,8). Jesus ahnt bereits, zumindest der Deutung des Markus nach, dass er dem Tode geweiht ist. Wie auch sonst in den neutestamentlichen Passionsgeschichten ist es eine Frau, die sich bewährt und Jesus auf diesem Weg begleitet. Matthäus übernimmt diese Geschichte von Markus, das Johannesevangelium identifiziert die bei den beiden Synoptikern namenlos bleibende Frau mit Maria, der Schwester von Martha und Lazarus (vgl. Joh 12,1–3).
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Menschen, denen Jesus begegnete
Jesus und die Sünderin – eine (un-)zweideutige Geschichte Der Evangelist Lukas setzt in seiner Version der Geschichte einen eigenen Akzent. Bereits die Personenkonstellation ist unerhört: Eine »Sünderin« – was nichts anderes ist als eine Umschreibung für eine Prostituierte – betritt das Haus des Pharisäers Simon, eines strenggläubigen Juden, der Jesus zu einem (rein männlich besetzten) Gastmahl eingeladen hatte. Da bereits von Beginn an klar ist, um was für eine Frau es sich handelt, durchweht die gesamte Erzählung ein erotischer Hauch: Nicht mit Wasser, sondern mit Tränen benetzt die Frau Jesu Füße; mit ihren offenen Haaren – aus damaliger Sicht etwas durchaus Laszives – trocknet sie diese und salbt sie schließlich. Dass Jesus das zulässt, sorgt für noch mehr Empörung! Es zeige, dass er kein Prophet* sein könne. Um die anderen ihrer anrüchigen Gedanken zu überführen, erzählt Jesus die Geschichte von zwei Schuldnern, der eine hoch verschuldet, der andere nur gering. Weil beide ihre Schulden nicht bezahlen können, erlässt sie ihr Gläubiger ihnen. Am Ende stellt Jesus dann eine Frage, »Wer von ihnen wird ihn mehr lieben?« (Lk 7,42), auf die der Pharisäer Simon unwillig die korrekte Antwort geben muss: »Ich denke, der, dem er mehr geschenkt hat« (Lk 7,43). So entlarvt Simon sich selbst und Jesus kann dazu sagen: Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. (Lk 7,47–48)
Jesu vollmächtiges Wort zur Sündenvergebung ist Auslöser für die Frage der anderen Gäste nach seiner Person: »Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt?« (Lk 7,49). Für die Teilnehmer des Gastmahls bleibt das am Ende der Geschichte offen, nicht jedoch für die Lesenden, die die Antwort kennen.
Die Frau, die Jesus salbte. Ein Skandal
… zum Schluss Irgendwie könnten sie ja Recht haben, die Kritiker, die das Handeln der Frau für Verschwendung halten. Man hätte das Geld den Armen geben können, stimmt! Nur: Ist sicher, dass aus dem Konjunktiv ein Indikativ geworden wäre? Oder wäre es bei der guten Absicht geblieben? Die Frau im Haus Simons des Aussätzigen »hätte« nicht nur, sie »hat« gehandelt – zeichenhaft und stellvertretend. Im Vorauswissen um Jesu baldigen Tod wird sie damit zu einer, die anzeigt: Dieser ist der Messias*, der Gesalbte. Sie wird durch ihre Tat zur Prophetin* und Jesus zum gesalbten Heilsträger, gerade indem er in den Tod geht. Doch auch in der anderen Variante der Geschichte steht die Protagonistin als Prostituierte für Generationen von mutigen Frauen, die sich gegen scheinbar unumstößliche Sitten gestellt haben und etwas riskieren für das, was ihnen wichtig ist und was sie für richtig halten. Sie beweist darin besonderen Mut, denn in der Antike wird das Ansehen ihres Berufes nicht besser gewesen sein als heute. Wie gut, dass die Bibel zwar leider nicht ihren Namen, aber zumindest die Erinnerung an ihre Tat bewahrt hat.
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Maria und Martha Zwei ungleiche Schwestern
Zwischen Muße und Mühe 98 Wer wählt das gute Teil? 99 … zum Schluss 99
Zwischen Muße und Mühe Die zwei Schwestern Maria und Martha könnten unterschiedlicher nicht sein: Die eine müht sich ab, die andere ruht sich aus (Lk 10,38–42). Weitere Angaben zu ihrer beider Person fehlen; jeder Versuch, diese Maria mit einer anderen Frau gleichen Namens aus dem Gefolge Jesu zu identifizieren, muss deshalb Spekulation bleiben – überhaupt war der Name Maria, die griechische Form der hebräiRandbemerkung schen Frauenbezeichnung »Maryam« Nur das Johannesevangelium überliefert, dass der von oder »Mirjam«, weit verbreitet. den Toten auferweckte Lazarus der Bruder von Maria Leben Maria und Martha tatsächlich und Martha sei (vgl. Joh 11,1–44). Bei Johannes ist diese Maria auch diejenige, die Jesus für sein Begräbzu zweit in einer rein weiblichen Lebensnis salbt (vgl. Joh 12,1–3). Lukas erwähnt all das nicht, gemeinschaft oder spielt das männliche obwohl auch er von Lazarus erzählt; bei ihm wird Familienoberhaupt, das es in einer patri dieser allerdings zum sprichwörtlichen armen Gegenarchalen Gesellschaft eigentlich geben satz zum reichen Mann stilisiert (vgl. Lk 16,19–31). muss, schlicht keine Rolle? Dass dies offenbleibt, zeigt: Im Kontext dieser Geschichte ist das nicht von Interesse. Während Maria jedenfalls zu Jesu Füßen sitzt und ihm zuhört, ist Martha mit der Vorbereitung und Bewirtung des Besuchs ausgelastet. Deshalb wird sie unwillig über ihre faule Schwester und beklagt sich bei Jesus. Man merkt: Martha nimmt Marias Verhalten persönlich und möchte, dass Jesus dafür sorgt, dass ihre Schwester sie endlich unterstützt. Jesus aber tut genau das nicht; er sagt: Maria hat »das gute Teil« erwählt, das als »das Eine« im Gegensatz zu dem »Vielen«, was Martha tut, völlig ausreicht. Eine Antwort Marthas auf diese Äußerung Jesu ist nicht überliefert. Schade. Es wäre bestimmt spannend gewesen zu hören, was sie darauf zu sagen gehabt hätte.
Maria und Martha. Zwei ungleiche Schwestern
Wer wählt das gute Teil? Lange hat man in der christlichen Überlieferung diskutiert, worin denn nun Marthas Fehler bestanden habe. Die Deutung, wonach Martha für das soziale, fürsorgliche Leben (vita activa) stünde, Maria jedoch für das in der christlichen Tradition lange höher gewichtete »betrachtende« Leben (vita contemplativa), verkennt den Sinn der Geschichte. Thema ist nicht die Bewertung der nötigen Hausarbeit, sondern die Frage nach dem richtigen Verhalten angesichts der Anwesenheit Jesu: Wenn Jesus gegenwärtig ist, dann soll man die Tätigkeiten des Alltags unterbrechen und sich auf den besonderen Gast konzentrieren. Inmitten des Zeitenlaufs, des Chronos, gibt es besondere Momente, einen Kairos. Den gilt es nicht zu verpassen.
… zum Schluss Die Geschichte lässt einen ins Grübeln geraten: Wie hält es der Evangelist Lukas eigentlich mit der Gleichberechtigung? Erzählt er hier deshalb von zwei Frauen, weil er zeigen will, dass auch sie gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen Jesu sein können – oder ist es genau umgekehrt: Will er sagen, dass Frauen sich dann richtig verhalten, wenn sie still sind und zuhören? Auffällig ist jedenfalls, dass es hier wie in der Geschichte von der salbenden Frau oder der Begegnung der Maria von Magdala mit Jesus am Grab immer wieder Frauen sind, die sich als besonders wachsam und empfänglich zeigen für die besondere Berufung Jesu. Je länger man nachdenkt, desto mehr merkt man: Eine Entweder-Oder- Fragestellung wird der Erzählung nicht gerecht. Thema der Geschichte ist nicht die Rolle der Frau in der antiken Gesellschaft, sondern die angemessene Reaktion auf die Begegnung mit Jesus. Und da sind Männer und Frauen in die Pflicht gerufen – bis heute. So tragen Menschen immer eine Maria- und eine Marthaseite in sich. Es ist ja eine besondere Kunst zu spüren, wann es hohe Zeit ist, die notwendigen Verrichtungen des Alltags beiseitezulassen und sich der Zuwendung Gottes zu öffnen, so wie Maria es hier zeichenhaft vorlebt.
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Menschen, denen Jesus begegnete
Martha ist übrigens bis heute die Schutzheilige der Kellnerinnen und Hausfrauen. Das findet einen Anhalt an einem wunderbaren Gebet, das man der spanischen Mystikerin des 16. Jahrhunderts, Teresa von Avila, zuschreibt. Hier nur zwei Strophen: Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein und Dir zum Wohlgefallen in der Nacht zu wachen, auch kann ich nicht meditieren in der Morgendämmerung und im stürmischen Horizont. (…) Obgleich ich Martha-Hände habe, hab’ ich doch ein Maria-Gemüt, und wenn ich die schwarzen Schuhe putze, versuche ich, Herr, Deine Sandalen zu finden. Ich denke daran, wie sie auf Erden gewandelt sind, wenn ich den Boden schrubbe.
Die Ehebrecherin Wie Jesus einen Lynchmord verhinderte
Ein später Einschub im Neuen Testament 101 Ehebruch, Gesetz und Vergebung – worum geht es wirklich? 102 Schreiben in den Sand? 103 … zum Schluss 103
Ein später Einschub im Neuen Testament Die Steinigung der Ehebrecherin (Joh 7,53–8,11) ist eine der bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments. Doch die ältesten und wichtigsten Handschriften* des Johannesevangeliums sagen über diese Steinigung gar nichts, denn sie kennen diese Verse schlicht nicht; andere Textzeugen überliefern die Perikope* an einer anderen Stelle des Evangeliums. All das ist ein deutliches Signal dafür, dass der Text später ergänzt wurde. Dazu passt, dass diese Geschichte vor allem als fiktive Erzählung und nicht als reale Begebenheit Sinn ergibt und Bedeutung gewinnt. Tatsächlich merkt man auch dem Inhalt der Verse an, dass sie nicht von Jesus stammen, sondern von einem späteren Verfasser. Weil diese Tatsache aber lange in Vergessenheit geriet und weil die Perikope* eine enorme Wirkungsgeschichte entfaltete, findet sie sich bis heute in allen Bibelübersetzungen, gelegentlich versehen mit einer kleinen Fußnote. Die Handlung selbst lässt sich schnell erzählen: Mal wieder schart sich eine beträchtliche Menge um Jesus. Vor diesem Publikum spielt sich die folgende Szene ab: Jesu Gegner bringen eine Frau zu ihm, von der sie sagen, dass sie beim Ehebruch ertappt worden sei – in fla granti also. Dass zu einem Ehebruch immer zwei gehören und ihr männliches Pendant hier nicht öffentlich vorgeführt wird, ist immer wieder bemerkt worden. Doch spielt diese Ungerechtigkeit in der Geschichte keine Rolle; vielleicht wird sie als solche gar nicht erkannt, sondern ist Zeichen einer patriarchalen Gesellschaft.
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Menschen, denen Jesus begegnete
Ehebruch, Gesetz und Vergebung – worum geht es wirklich? Frauen genossen im Judentum der Zeit Jesu durchaus Ansehen. Die Stellung einer Frau in der Antike wurde allerdings durch ihren Ehestatus definiert: Eine verheiratete Frau hatte einen anderen Status als eine noch nicht beziehungsweise nicht mehr verheiratete Frau. Und überhaupt unterstanden Frauen prinzipiell einem männlichen Oberhaupt – entweder ihrem Vater, ihrem Ehemann oder einem anderen Vormund. Die Geschichte nimmt schnell an Fahrt auf: Die Gegner Jesu wissen schon, welche Strafe auf Ehebruch steht: die Steinigung. Dazu soll sich Jesus nun äußern. Doch der Evangelist verrät, dass es eigentlich gar nicht um die Frau geht, sondern darum, einen Anklagepunkt gegen Jesus zu finRandbemerkung den. Als Leserin fragt man sich da: Welche Folgt man der Tora, war eine Scheidung nur dem mögliche Antwort Jesu wäre denn so proMann möglich und der Ehebruch Frauen bei Todesblematisch, dass er dafür wirklich hätte strafe verboten (vgl. Lev 20,10–12; Dtn 22,22). Ehebruch verklagt werden können? Würde Jesus die konnte dabei im Grunde nur die Frau begehen, weil Steinigung fordern, würde er den Wortlaut dieser Akt als Verletzung der Rechte des Ehemanns galt. Ein Mann hingegen konnte nicht die eigene Ehe der Tora* erfüllen. Das könnte man ihm brechen, sondern nur die eines anderen – ein Blick genauso wenig zum Vorwurf machen wie auf die Ehe, der modernen Bildern von Gleichberechtiein Beharren auf Gottes Barmherzigkeit! gung und Romantik kaum entspricht. Tatsächlich ging An solchen Stellen zeigt sich, wie sich es in den antiken Ehebestimmungen darum, Herrschafts- und Besitzverhältnisse zu klären; deshalb die erzählte Geschichte und Gegenwart des starke Sanktionierung des Ehebruchs. Allerdings gibt es Erzählers überlagern: In der typischen keinerlei Hinweise, dass im Judentum der damaligen Szene einer Konfrontation Jesu mit den Zeit tatsächlich jemand wegen Ehebruchs gesteinigt Schriftgelehrten wird ein Thema diskuworden wäre; die Rabbinen hatten für den Nachweis von Ehebruch so viele Hürden eingebaut, dass eine tiert, das für die Leserschaft Bedeutung Verurteilung de facto unmöglich war. Auch dazu, ob hat. Nämlich: Wie soll die Gemeinde in Frauen eine Scheidung nicht doch unter bestimmten der Nachfolge Jesu mit Sünderinnen Bedingungen möglich war, ist die Forschung uneins. und Sündern umgehen? Soll sie Gnade vor Recht ergehen lassen und so barmherzig sein wie Gott selbst – oder soll sie durch strikte Befolgung der religiösen Regeln ihre Reinheit zeigen und so deutlich machen, dass sie nicht zu dieser Welt gehört? Und welche Rolle spielen dabei die Regeln und Gesetze der (eigenen) jüdischen Tradition?
Die Ehebrecherin. Wie Jesus einen Lynchmord verhinderte
Schreiben in den Sand? Und was tut Jesus? Er schreibt in den Sand. So kann er Zeit zum Nachdenken zu gewinnen – obwohl die Gegner ihn weiter mit Fragen bedrängen, bis er schließlich reagiert. Und das ausgesprochen klug. Weder stellt er die Schuld der Frau infrage noch die Geltung des Gesetzes. Er sagt lediglich: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!« (Joh 8,7). Danach schreibt er weiter auf die Erde. So gibt er der Menge die Gelegenheit, sich zu entfernen. Denn er weiß: Niemand ist ohne Sünde und niemand hat deshalb das Recht, diese Frau zu verurteilen. Schließlich hat sich die Szene geleert: Jesus ist mit der Ehebrecherin allein. Der Dialog ist kurz. Jesus bekräftigt das Urteil derer, die gegangen sind: Keiner hat die Frau verurteilt, also wird auch er es nicht tun. Auffällig ist: Die Ehebrecherin selbst, die Hauptperson der Erzählung, kommt fast gar nicht zu Wort. Auch ihre Zukunft bleibt offen: Wird ihr Mann sie wieder aufnehmen oder ist der Vorfall ein Grund für eine Scheidung? Das interessiert offensichtlich nicht. Dies bestärkt nochmal den Eindruck, dass am Beispiel der sündigen Ehebrecherin eigentlich etwas ganz anderes Thema ist, nämlich die Einsicht: Sündenvergebung schenkt die Möglichkeit zum Neuanfang – und Gottes Vergebungszusage gilt allen.
… zum Schluss Heute weiß man: Diese Szene hat nicht stattgefunden. Es gab keine Steinigung einer Ehebrecherin durch die Menschenmenge, die Jesus in letzter Sekunde verhindert hätte. Kein betroffenes Auseinanderschleichen der ertappten heimlichen Sünder, kein befreites Nach-Hause-Eilen der erleichterten Freigesprochenen. Die Geschichte von der Rettung der Ehebrecherin, sie zeigt, wie Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte um theologische Fragen rangen und damit das erzählerische und dogmatische Fundament für die Gestaltung ihrer Kirche schufen. Die Schuld der Frau steht ebenso wenig infrage wie die Tatsache, dass die steinigungsbereite Menge das geltende Recht auf ihrer Seite hat. Dennoch siegt der Wille zur Vergebung. Dass ihr Handeln falsch war, nach damals gültigen rechtlichen und bis heute geltenden moralischen Maßstäben, bedeutet nicht, dass die Frau kein Recht auf einen Neuanfang hat. Jesus vergibt – so wie auch die christliche Kirche und jeder einzelne Christ vergeben sollen. Und ganz zum Schluss: Auch das Detail, dass Jesus zunächst mal in den Sand schreibt, bevor er urteilt, hat ja etwas Besonnenes und regt zur Nachahmung an. In kritischen Situationen mal einen Moment innezuhalten, kann nie schaden. Ein Fleckchen Sand wird sich dafür schon finden …
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Zachäus Der kleine Zöllner auf dem großen Baum
Zöllner, das Feindbild Nr. 1 104 Die Liebe Gottes geht durch den Magen 105 … zum Schluss 106
Zöllner, das Feindbild Nr. 1 Kennt man einen, kennt man alle – diese Zöllner sind doch alle gleich, so wird sich mancher gedacht haben. Zöllner waren im Römischen Reich tatsächlich ausgesprochen unbeliebt; und das war in der Provinz Syria nicht anders. Dies hatte sicherlich damit zu tun, dass Zöllner, obwohl sie oft Einheimische waren, als Randbemerkung Handlanger der römischen Besatzungs»Zoll« bedeutete zunächst eine Abgabe auf Waren, macht galten, in deren Namen und unter die in ein Gebiet ein- oder ausgeführt werden sollten. deren Schutz sie Geld eintrieben. Die Höhe der Abgaben war innerhalb des Römischen Reiches nicht einheitlich geregelt, sodass der Deshalb muss die Zuwendung Jesu Zoll einer gewissen Willkür unterworfen war. Man zu einem Zöllner, einem ausbeuterischen konnte sich als Einzelperson das Recht zur ZolleinKollaborateur der römischen Staatsmacht, treibung von den Besatzern ersteigern – wer am aus Sicht antiker Menschen einen Skanmeisten bot, erhielt den Zuschlag. Wer Zöllner wurde, hatte dafür also ordentlich bezahlt und war schon dal dargestellt haben. deshalb daran interessiert, zumindest das InvesJesus jedoch war eindeutig ein »Freund tierte wiederzubekommen. Der Fehler im System der Zöllner und Sünder« (Lk 7,34). Er hatte lag darin, dass es keine Handhabe gab, sich gegen ein Herz für die, die am Rande der Geselldie Forderungen der Zolleintreiber zu wehren. Das Neue Testament lässt durchblicken, wie ungerecht schaft standen: für die Armen, Kranken, das war. So fordert Johannes der Täufer im LukasBehinderten, für die Frauen – und für alle evangelium die Zöllner auf, nur das zu nehmen, was anderen Ausgestoßenen, zu denen auch ihnen zusteht (Lk 3,13). Zachäus verspricht, vierfach die Zöllner zählten. Er wusste: zurückzuzahlen, was er zu viel erpresst hat (Lk 19,8) – beide Bemerkungen belegen den Missbrauch. Und wenn Jesus in Lk 18,9–14 von einem reuigen Zöllner im Unterschied zu einem hochmütigen Pharisäer erzählt, so entfaltet diese Geschichte ihre Wirkung gerade dadurch, dass sich dieser Zöllner ganz anders verhält, als man es von ihm erwartet.
Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder. (Mk 2,17)
Zachäus. Der kleine Zöllner auf dem großen Baum
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So verwundert es nicht, dass sich neben der Berufung des Levi (vgl. Mk 2,13–17) auch die Erzählung vom Zöllner Zachäus (Lk 19,1–10) intensiv mit dieser verhassten Personengruppe beschäftigt. Der Evangelist Lukas weiß übrigens zu berichten, dass Zachäus einer der Oberen der Zöllner und besonders reich war. Randbemerkung Doch seine körperliche Größe vermag Essen ist ein wesentlicher Teil der kulturellen Identimit seiner Bedeutung innerhalb seiner tät. Was, wie und mit wem man isst, bestimmt auch, Zunft nicht mitzuhalten. Er ist klein, aber wer man ist. So gab es in der antiken, hellenistisch* er weiß sich zu helfen und klettert auf geprägten Kultur die Sitte gemeinsamer Gastmähler: Männer und im römischen Kontext auch Frauen einen Maulbeerbaum. Von diesem verkamen zusammen, um zu essen, zu trinken und die meintlich sicheren Platz aus hat Zachäus Geselligkeit zu genießen. Auch Jesus und seine Jüneinen guten Überblick und ist zugleich ger aßen und feierten gemeinsam. Dass sie dabei – selbst vor neugierigen Blicken geschützt. anders als auf den Kunstdarstellungen des letzten Abendmahls oft zu sehen – zu Tisch lagen, darf Jesu Augen entgeht er wundersamer vorausgesetzt werden. Denn zu Jesu Zeiten war es weise nicht. Er lädt sich selbst bei ihm zum bereits Tradition, im Liegen zu essen. Die Griechen Essen ein, fast fordernd: »Ich muss heute übernahmen diese Sitte lange vor der Zeitenwende in deinem Haus einkehren!« (Lk 19,5). Dass von den Phöniziern und den Aramäern. Sie gestanden dieses Vorrecht allerdings allein den freien Jesus dann tatsächlich bei Zachäus zu Männern zu, während Frauen, Kinder und Sklaven Gast ist, nehmen die anderen – wer auch im Sitzen aßen. Auch die Juden übernahmen diesen immer dazu gehört – ihm allerdings übel: Brauch und pflegten ihn vor allem bei Festen. Essen mit einem Sünder!
Die Liebe Gottes geht durch den Magen Gemeinsame Gastmähler hatten eine soziale und politische Funktion. Wer davon ausgeschlossen war, war gesellschaftlich isoliert. Wenn Jesus mit Menschen zusammen zu Tisch lag, mit denen man das eigentlich nicht tat, so hob er bereits auf Erden zeichenhaft die Schranken auf, die dann einst auch im Reich Gottes überwunden sein sollten: Er zeigte, dass die Liebe Gottes nicht an den Grenzen religiöser Regeln Halt macht. Zachäus reagiert auf Jesu Zuwendung sofort mit Reue und Versprechungen – doch sind es die Vorwürfe der anderen oder die Anwesenheit Jesu, die ihn dazu veranlassen? Dass er jeweils genau das Vierfache des zuvor Erpressten zurückgeben will, ist ein Gedanke, den es in der antiken Rechtsprechung und auch in den alttestamentlichen Gesetzesregelungen öfter gibt. Die Wissenschaft spricht hier von der poena quadrupli (»Strafe des Vierfachen«). Zachäus verspricht also sich zu bessern. Das müsste eigentlich auch Jesus begeistern. Doch sagt er das nicht Zachäus, sondern wendet sich an die murrende Menge. Jesus redet also nicht mit ihm, sondern über ihn:
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Menschen, denen Jesus begegnete
Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lk 19,9–10)
Die Betonung, dass auch Zachäus ein Nachfahre ihres großen Stammvaters sei, dürfte das Selbstverständnis der anderen jüdischen Hörer bis ins Mark erschüttert haben: Kinder des Stammvaters Abraham sind doch eigentlich sie, die sie nach den Gesetzen der Tora* leben und Gottes Willen tun. Dass die Abrahamskindschaft auch für Zachäus gelten solle, der zwar zur jüdischen Religion gehören mag, sich aber als Zöllner von ihren Regeln losgesagt hat, ist eine bewusste Provokation Jesu. Der Schlussvers gibt der ganzen Geschichte noch mal eine andere Deutung, denn er erinnert an das Buch Ezechiel: »Gott spricht: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen« (Ez 34,16). Eine Verheißung, deren Erfüllung der Evangelist Lukas vollmundig für Jesus in Anspruch nimmt und diesem selbst in den Mund legt: Jesus wird hier Menschensohn* genannt, eine Mensch gewordene himmlische Hoffnungsgestalt – und als solche handelt er in der Vollmacht Gottes.
… zum Schluss Zachäus ist – obwohl mächtig und reich – ein körperlich kleiner, aber pfiffiger Mensch. Seine Idee, auf einen Baum zu klettern, um einen besseren Blick auf Jesus zu erhaschen, ist für jemanden in seiner Position eigentlich undenkbar. Doch tut er es trotzdem. Dies alles macht es Kindern leicht, sich mit ihm und seinem Anliegen zu identifizieren. Aber auch bereits erwachsen Gewordene können aus dieser Geschichte einiges lernen. An Zachäus sieht man: Menschen können sich verändern, wenn man ihnen nur die Chance dazu gibt. Wer andere nicht auf das festlegt, was vorher war, schenkt Raum für einen Neuanfang.
Bartimäus Der Blinde vor Jericho
Einer unter vielen 107 Jesus Davidsohn 108 Krankheit und Behinderung in der Antike 108 »Dein Glaube hat dir geholfen!« 109 … zum Schluss 110
Einer unter vielen Ein gewohnter Anblick: arme, kranke und anders beeinträchtigte Menschen, die vor den Stadttoren saßen, auf eine milde Gabe hofften und in ihrer Verzweiflung sicher auch mal unverschämt darum bettelten. Wer vorüberging, ließ sich entweder herab, etwas zu geben – vielleicht auch aus religiösem Pflichtgefühl –, oder ließ das menschliche Elend aus Gewohnheit vorbeiziehen. Es gab keinerlei karitative Systeme. Menschen, die nicht arbeiten konnten oder die eine geistige oder körperliche Behinderung hatten, waren auf Almosen angewiesen. Zu diesen zählte auch Bartimäus, der blinde Bettler (Mk 10,46–52). Die geschilderte Szene ist typisch und exemplarisch. Dieser Bettler hatte nicht mal einen eigenen Namen; Bartimäus bedeutet schlicht »Sohn des Timäus«. Ob seine Umgebung überhaupt bemerkt hat, dass er mehr ist als nur der blinde Sohn seines Vaters? Jesus jedenfalls tut das. Er nimmt ihn wahr und redet ihn an – er fragt sogar danach, was Bartimäus will. Vielleicht geschieht das zum allerersten Mal in dessen Leben. Liest man diese biblische Erzählung genauer, so fällt auf: Viel mehr als das eigentliche Wunder steht der Glaube des blinden Bettlers im Zentrum. Das, was moderne Lesende wohl am meisten interessiert, ist eigentlich: Wie hat Jesus das genau gemacht? Was ist da tatsächlich passiert? Darauf legt Markus aber gar keinen Wert. Viel wichtiger ist für den Erzähler das Ergebnis: Am Ende folgt Bartimäus Jesus nach.
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Menschen, denen Jesus begegnete
Jesus Davidsohn Bartimäus hatte offensichtlich bereits von Jesus gehört. Und er weiß, was er von ihm erwarten kann. Immerhin nennt Bartimäus ihn Davidsohn*, bezeichnet Jesus also als Nachfolger des großen Königs David. Doch »Davidsohn*« ist mehr als nur eine Herkunftsbeschreibung – darin schwingt die messianische* Hoffnung eines kommenden Friedensfürsten mit, der Israel von aller Unterdrückung befreien und das Land wieder zu der Größe führen wird, die es unter dem legendären König David den Schriften nach einst hatte. Wenn Bartimäus Jesus also den Sohn Davids nennt, so sagt er: Du bist der, auf den wir alle gewartet haben. Ob Jesus das von sich auch geglaubt hat, ist übrigens ausgesprochen umstritten. Heute geht man davon aus, dass er sich selbst nicht für den Messias* gehalten hat, dass er aber sehr wohl davon überzeugt war, eine wichtige Rolle bei der Aufrichtung des Reiches Gottes zu spielen (vgl. S. 37 f.). »Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen!« (Lk 11,20) hat er von sich gesagt und damit nichts anderes zum Ausdruck gebracht als dies: In seinem Wirken zeigt sich das Reich Gottes. Die ersten Christusgläubigen haben diese Erwartung weiter genährt und Jesus Sätze in den Mund gelegt, die in ihm die Erfüllung prophetischer Verheißungen sehen: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. (Mt 11,5, vgl. Jes 35,5–6; 61,1–2)
Krankheit und Behinderung in der Antike Krankheit und Behinderung waren in Palästina zur Zeit Jesu ein hartes Schicksal. Zwar bestand im antiken Judentum die Verpflichtung, sich gegenüber Notleidenden durch gute Werke barmherzig zu erweisen, doch gab es keine staatlich oder institutionell organisierte öffentliche Fürsorge. Krankheit und Behinderung wurden verstanden als eine Trennung von Gottes lebensspendender Kraft. Wurde eine Krankheit geheilt, galt Gott selbst als der rettende Arzt (vgl. Ex 15,26). Ps 30,4 kann eine Genesung deshalb als Errettung vom Tode beschreiben: Herr, du hast meine Seele aus dem Reich des Todes geführt, du hast mich aufleben lassen unter denen, die in die Grube fuhren.
Bartimäus. Der Blinde vor Jericho
Zu der gefühlten geistlichen Trennung von Gott kam oft auch eine soziale Isolation. Wer schwer krank oder in seiner Beweglichkeit beeinträchtigt war, konnte nur sehr eingeschränkt am sozialen Leben teilnehmen. Denn in der hellenistisch* geprägten Mittelmeerwelt des 1. Jahrhunderts definierten bestimmte Randbemerkung Schönheitsideale sowie die eigene LeisDie jüdische Haltung gegenüber Krankheiten war tungsfähigkeit die Zugehörigkeit zur ambivalent. Man konnte in ihnen die göttliche Gemeinschaft. Dass behinderte Kinder Strafe für solche Menschen sehen, die gesündigt ausgesetzt und damit dem Tod preishatten: Denn wie es einem Menschen in der Gegenwart erging, resultierte nach verbreitegegeben wurden, kam in römischen ter Vorstellung daraus, wie er sich in der Verund griechischen Kreisen durchaus gangenheit verhalten hatte (vgl. Dtn 32,29). Der häufiger vor; die Alternative wäre ein Fachbegriff hierfür lautet »Tun-Ergehen-ZusamLeben als Bettler oder als Attraktion menhang*«. Bereits im Alten Testament selbst mehrten sich allerdings Stimmen, die diesen auf Jahrmärkten gewesen. Geistig beZusammenhang infrage stellten, denn er ließ sich hinderte Menschen wurden oft isoliert – nicht in Verbindung bringen mit der Erfahrung, vielleicht weil sich die Familie für sie dass es auch guten Menschen schlecht ging, dass schämte. Unschuldige an Krankheiten zugrunde gehen Wenn Jesus Menschen mit Krankkonnten und dass Kinder viel zu früh starben. heiten und Behinderungen heilte, so brachte er damit seine grundsätzliche Kritik an der Vorstellung zum Ausdruck, dass es Gottes Wille sei, Menschen an körperlichen Gebrechen leiden zu lassen. Dies zeigt sich auch an der im Johannesevangelium überlieferten Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen (vgl. Joh 9,1–17). Die Jünger und Jüngerinnen, ganz Kinder des Glaubens ihrer Zeit, fragen angesichts seines Schicksals sofort: »Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?« Doch Jesus lässt diese Alternative nicht gelten: »Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm« (Joh 9,2–3). Der Tun-Ergehen-Zusammenhang* greift nicht. Jesus fragt nicht nach dem Warum, sondern nach dem Wozu. Seine Haltung ist eindeutig: Gott will allen Menschen helfen und sie dazu freimachen, dass sie an seinem Reich teilhaben können. Jesus überwindet, was von Gott trennt – egal welche Ursachen dahinterstecken.
»Dein Glaube hat dir geholfen!« Kein Wunder, dass Bartimäus große Erwartungen in Jesus setzt. Die Menschen um ihn herum versuchen noch, den Bettler zum Schweigen zu bringen, doch er lässt sich nicht mundtot machen. Nichts und niemand kann seinen Glauben an die Hilfe erschüttern, die Jesus ihm bringen wird. Der Wunsch des Bartimäus ist
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klar und nachvollziehbar: Er will wieder sehen können. Ebenso schlicht wie diese große Hoffnung ist die Antwort Jesu: »Dein Glaube hat dir geholfen!« Bartimäus sieht! Und mit ihm sehen es alle: Glaube überwindet alle Barrieren. Ganz am Schluss – und da steht bekanntlich immer das Allerwichtigste – geht die Erzählung über das Wunder hinaus: Bartimäus wird zum Jünger Jesu und folgt ihm nach.
… zum Schluss Diese Geschichte, so wie sie heute in der Bibel steht, ist sicher nachösterlich* ausgestaltet worden: Im Zentrum steht nicht das Wunder, sondern die Nachfolge. Rettung durch Jesus, das heißt Zugang zum Glauben, den nur er schenken kann. Ob es den blinden Bettler Bartimäus wirklich gegeben hat, ist fraglich. Es ist aber gut denkbar, dass er hier stellvertretend für alle steht, denen Jesus die Augen für das Wesentliche im Leben öffnet. Zugegeben – man mogelt sich etwas um die Frage herum, die Lesende heute umtreibt: Ist das so passiert? Vielleicht muss man aber ehrlich sein und sagen: Das war für die Erzähler damals nicht wichtig. In ihrem Weltbild war die Wunderheilung kein Problem, ihr Interesse galt etwas anderem. Und dass die Evangelien eine Frage nicht beantworten, die sich Menschen erst viele Jahrhunderte später stellten, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen. Die Geschichte um den blinden Bettler Bartimäus ist Vorbild und Mahnung zugleich. Mahnung deshalb, weil sie daran erinnert, die Menschen am Rande der Gesellschaft nicht zu vergessen, sondern ihre unverbrüchliche Würde anzuerkennen. Und sie ist Vorbild dafür, was Glauben zu bewirken vermag. Bartimäus lässt nicht locker, lässt sich nicht beirren oder mundtot machen, sondern ruft und schreit, bis er erhört wird. Ja, er tut das, weil es ihm um sich selbst geht. Aber genauso könnte man fragen: Wo müssten Christinnen und Christen heute manchmal lauter rufen und schreien, um Gerechtigkeit zu fordern?
Die gekrümmte Frau Hoffnung und aufrechter Gang
Endlich aufrichten 111 Die Verfehlung: Heilung am Sabbat 111 … zum Schluss 113
Endlich aufrichten Müsste man diese Geschichte (Lk 13,10–17) kurz zusammenfassen, dann so: Jesus richtet Menschen auf. Und er tut das, indem er menschenfeindliche Gesinnung als Verkrümmung entlarvt. Der Auslöser dafür ist eine Heilung am Sabbat* – eine von vielen, die von Jesus überliefert werden, und eine von denen, die ein Streitgespräch über die Bedeutung des Sabbats* provozieren. Zunächst beginnt alles wie immer: Jesus lehrt in der Synagoge*. Unter den Zuhörenden ist auch eine Frau, die seit 18 Jahren einen »Geist, der sie krank macht« hat; sie kann sich nicht aufrichten. Diese spezielle Form des körperlichen Leidens hat viele Auswirkungen: persönliche Demütigung, physischer Schmerz und soziale Abwertung. Oft galten in der Antike, in Zeiten einer medizinisch eher primitiven Diagnostik, körperliche Krankheiten als Anzeichen böser Geister. Die Evangelien schildern Jesus deshalb nicht nur als Heiler, sondern auch als Exorzisten*, also als jemanden, der die Macht hat, Geister und Dämonen auszutreiben. Auch in diesem Fall beendet er die Leidenszeit der Frau, indem er ihr die Hand auflegt. Fast hat man den Eindruck, dass er sie durch diese Segensgeste regelrecht aufrichtet. So wird im Handumdrehen geheilt, was jahrelang verkrümmt war.
Die Verfehlung: Heilung am Sabbat Damit könnten die lange Leidensgeschichte dieser Frau und die kurze Heilungsgeschichte einen guten Abschluss gefunden haben. Aber weit gefehlt! Denn nun geht es um die Frage, ob man am Sabbat* überhaupt heilen dürfe. Das Streitgespräch, das sich in der Überlieferung des Lukas an dieser Heilung entzündet, hat allerdings eine Besonderheit: Die Beteiligten reden nicht miteinander, son-
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Menschen, denen Jesus begegnete
dern nur übereinander. Der Synagogenvorsteher tritt auf den Plan: Fast schon In den Zehn Geboten konnte der Sabbat* zum einen zynisch klingt seine Aufforderung, man mit dem Ruhen Gottes am siebten Tag der Schöpfung solle an den sechs Arbeitstagen zur Synbegründet werden (vgl. Ex 20,11). Es gibt aber zum agoge* kommen und sich heilen lassen anderen auch die Tradition, dass der Sabbat* an den Exodus*, also den Auszug aus Ägypten, die Befreiung und nicht am Sabbat* – glaubt er wirkaus der Sklaverei und damit an das israelitische Freilich, ein solches Wunder sei ein alltäglich heitsereignis schlechthin erinnern soll (vgl. Dtn 5,15). möglicher Vorgang? Überhaupt ist die Art Jesus greift hier auf die letztere Tradition zurück. und Weise, wie Lukas die Position des jüdischen Sprechers schildert, eine Karikatur. Auch das Judentum dieser Zeit trat nicht für eine Grabesruhe am Sabbat* ein, sondern wusste um eine maßvolle Auslegung des Sabbatgebotes. Hier greift der Evangelist erkennbar zu Polemik, um seine eigene Position umso deutlicher davon abheben zu können. Jesus hingegen erinnert daran, dass sich auch die jüdischen Gesetze den Bedürfnissen von Mensch und Tier angepasst haben: Natürlich muss das Vieh auch am Sabbat* getränkt werden, ebenso wie jeder Mann sein Tier am Sabbat* aus dem Brunnen befreien würde, um dessen Leben zu retten (vgl. Lk 14,5; Mt 12,11). Jesus greift deshalb zu einem sprachlichen Trick. Er nennt die geheilte Frau »Tochter Abrahams« und erinnert mit diesem ungewöhnlichen Ausdruck daran, dass sie ebenfalls Teil der jüdischen Gemeinde ist. So gelingt es Jesus, die Menge zu überzeugen; die Gegner schweigen beschämt. In dieser Geschichte wird der Sabbat* zum Tag der Befreiung. Die Lösung der gekrümmten Frau von der »Fessel des Satans« bringt das symbolisch zum Ausdruck. Randbemerkung
Die gekrümmte Frau. Hoffnung und aufrechter Gang
… zum Schluss Bis heute gilt die Sonntagsruhe. Eigentlich. Doch wie geht man mit diesem freien und befreienden Tag um? Ein programmatischer Satz Jesu lautet: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Mk 2,27). Doch immer wieder scheinen die Menschen das zu vergessen. So auch in dieser Geschichte: Nicht das Wohl dieser Frau liegt manchen von ihnen am Herzen, sondern die Einhaltung der Regeln. Dagegen ließe sich auch heute argumentieren, dass Regeln und Gesetze dem Menschen und dem Zusammenleben zu dienen haben und entsprechend auszulegen sind. Gerade aber, was das Feiertagsgebot angeht, scheinen sich die Verhältnisse gewandelt zu haben. Angesichts der gesellschaftlichen Erosion des Ruhegebotes etwa am Sonntag könnte eine Erinnerung an den humanen Gehalt des Sabbatgebotes sicher nicht schaden, dem es ja im Kern um den Schutz von Mensch und im Übrigen auch Natur vor Ausbeutung und Verzweckung geht.
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Der Gelähmte am Teich Betesda Ein Leben lang warten müssen
Ein Haus am Rand 114 »Willst du gesund werden?« 115 Der Sabbat 115 … zum Schluss 116
Ein Haus am Rand Gekonnt vermischt der Evangelist Johannes in dieser Geschichte historische Wahrheit und literarische Fiktion. Er erzählt erst von einer bekannten Einrichtung – um dann den Fokus auf zwei Personen und eine vermutlich fiktive Begegnung zu lenken (Joh 5,1–16). Das vierte Evangelium berichtet als einziges von mehreren Jerusalemreisen Jesu (vgl. Joh 2,13; 6,4; 7,2). Nun ist das Wochenfest der Anlass für Jesu Reise ins Zentrum Israels – dass er dabei ausgerechnet am Schaftor vorbeikommt, scheint Zufall zu sein. Dort befindet sich rund um den Teich Betesda eine Art Pflegestätte für Menschen mit verschiedenen KrankheiRandbemerkung ten und Behinderungen. Johannes beschreibt Offensichtlich wurden bereits zu alttestament sie recht ausführlich und erweckt den Einlicher Zeit in der Nähe des Jerusalemer Schaftores druck, dass es sich um einen professionell orZisternen zur Wasserversorgung gebaut. Sie dienganisierten Betrieb handelt. ten zum Beispiel zur Reinigung der Schafe, die für Heute vermutet man, dass die Bewegung das Opfer im Tempel* bestimmt waren und durch dieses Tor getrieben wurden. Ab dem 1. Jahrhundes Wassers, auf die in der biblischen Gedert ist eine kultische Verwendung der dort entschichte angespielt wird, durch eine Umverspringenden Quelle nachweisbar, die auch mediteilung mithilfe einer Hebevorrichtung zuzinische Zwecke hatte. Ab circa 70 n. Chr. ist die in stande kam. Die Reste von Opfergaben zeigen, der Geschichte des Gelähmten vom Teich Betesda vorausgesetzte Anlage tatsächlich archäologisch dass Menschen dort tatsächlich Heilungserbelegt; dass es sie auch zur Zeit Jesu schon gab, ist fahrungen gemacht haben.
also durchaus denkbar. Man hat bei Ausgrabungen ein heidnisches* Äskulapheiligtum sowie mehrere
Baderäume um die Betesda-Quelle herum gefunden. Die Wissenschaft vermutet, dass die Anlage bis ins 6. Jahrhundert hinein in Betrieb war, bevor dort dann eine große Kirche errichtet wurde.
Der Gelähmte am Teich Betesda. Ein Leben lang warten müssen
»Willst du gesund werden?«
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Randbemerkung Solche detaillierten Informationen sind typisch für die Schilderungen der Wunder Jesu im vierten Evangelium. Johannes berichtet von nur sieben Wundern Jesu, während die Synoptiker* den Eindruck erwecken, Jesus habe unzählig viele Wunder getan. Doch während Johannes die Anzahl der Wunder reduziert, steigert er ihre Massivität. Der Gelähmte ist seit 38 Jahren krank, bei Lazarus ist schon Verwesungsgeruch wahrnehmbar (Joh 11,39) – und bei der Hochzeit zu Kana verwandelt Jesus mehrere Tausend Liter Wasser in Wein (Joh 2,6).
In einer Art Großaufnahme wird nun einer aus der Menge der Kranken herausgegriffen. 38 Jahre ist er krank – was für ein hartes Schicksal, verpackt in eine lapidare Notiz. Zum Glück ist diese Zeit nun vorbei. Jesu Zuwendung markiert die Wende. »Willst du gesund werden?« Was für eine Frage, denkt man zunächst. Ist die Antwort nicht klar? Doch Jesus setzt damit ein wichtiges Zeichen: Krankheit entmündigt nicht. Er redet deshalb nicht über den Kranken, sondern mit ihm und nimmt ihn ernst. Übrigens antwortet der Kranke tatsächlich nicht mit einem freudigen »Ja«. Er hat die Frage nicht als echte Frage gehört, sondern wohl als Anzeichen von Mitleid gewertet. Vielleicht ist das ja die einzige Form von Kommunikation, die er noch kennt. Jesus reagiert auf sein Lamentieren fast barsch: »Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!« Und tatsächlich: Diese dürren Worte beschreiben die unglaubliche Heilung. Dass der Geheilte seine Matte mitnimmt, ist eine wichtige symbolische Handlung: Jahrzehntelang diente sie ihm am Teich Betesda als Lager – doch ist das nun endgültig vorbei. Von nun an wird er sein Lager woanders aufschlagen.
Der Sabbat Diese Geschichte könnte vorbei sein, würde nicht auch hier die Tatsache zum Zankapfel, dass diese Heilung am Sabbat* stattfand. Die jüdische Religionsbehörde verpasst der Freude des Gesundeten sofort einen Dämpfer: Am Sabbat* ist es nicht erlaubt, körperliche Arbeit zu verrichten, also auch nicht sein Bett zu tragen. Eingeschüchtert von der Autorität der Fragenden gibt der Geheilte die Schuld weiter: Jemand anderes habe ihm den Befehl gegeben – und dieser Jemand, Jesus, muss nun Rede und Antwort stehen. Der Evangelist legt ihm einen ausführlichen Monolog in den Mund, der der Geschichte eine christologische Wendung gibt, damit allerdings die Ebene der Wundererzählung endgültig verlässt. Was in diesem Kontext überrascht, ist Jesu gleichsam nachträgliche Aufforderung an den Geheilten, zukünftig nicht mehr zu sündigen. Man fragt sich, ob man was verpasst hat. Von Sünde war vorher gar nicht die Rede – wie auch,
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Menschen, denen Jesus begegnete
Randbemerkung Einige griechische Handschriften*, die aber erst einige Jahrhunderte später entstanden sind, fügen in die Geschichte eine volkstümliche Erläuterung ein, die helfen soll, das Geschehen besser zu verstehen. Dort heißt es: Die Kranken »warteten darauf, dass sich das Wasser bewegt. Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt.« Daran zeigt sich: Hinweise auf Engel* waren schon immer populär, wenn es darum ging, Wunder zu erklären.
wenn jemand 38 Jahre lang bettlägerig war!? Dahinter steht eine Anspielung auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang*, den Jesus als Kind seiner Zeit voraussetzt und in der Heilung zugleich überwindet. Krankheiten konnten im antiken Judentum als Folge sündigen Handelns gelten. Deshalb legt der Evangelist Jesus hier den Ratschlag zu einem untadeligen Lebenswandel in den Mund, als bestes Mittel, um gesund zu bleiben. Wenn es denn so einfach wäre!
… zum Schluss »Was hat er bloß getan, dass Gott ihn so straft?« Bis heute kommt dieser Satz manchen Mitgliedern christlicher Gemeinden allzu leicht über die Lippen. Die Überzeugung, das Schicksal eines Menschen sei Folge seines Lebenswandels, ist deshalb so verführerisch, weil sie scheinbare Sicherheit gewährt. »Jeder ist seines Glückes Schmied«, so sagt es der Volksmund. Aber was hat der einzelne Mensch wirklich in der Hand? Wie die jüdische Gemeinde so hat diese Frage augenscheinlich auch die christliche beschäftigt. Dabei hat Jesus diesem sogenannten TunErgehen-Zusammenhang* der Überlieferung nach ganz deutlich widersprochen (vgl. Joh 9,2–3): Krankheit ist ein schlimmes Schicksal und oft genug eher durch menschliche Ungerechtigkeiten verursacht als durch göttliches Wirken. Doch ganz gewiss verhängt Gott Krankheit nicht als Strafe über seine Geschöpfe, sondern er will das Kranksein – und die Ungerechtigkeit – überwinden.
Die syrophönizische Frau Wer wagt, gewinnt!
Wer wagt hier was? 117 Gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel 118 Hunde und Kinder 118 … zum Schluss 119
Wer wagt hier was? Das geht nun wirklich zu weit! So werden die Jünger und Jüngerinnen vielleicht gedacht haben, als sie das aufmüpfige Verhalten dieser Frau erleben. Während diejenigen, die diese Geschichte heute lesen, dasselbe über Jesu Verhalten sagen könnten. Dass diese beiden, Jesus und die heidnische* Frau, zueinander finden und miteinander ins Gespräch kommen, scheint deshalb das eigentliche Wunder zu sein – und gar nicht mal die Heilung, die am Schluss erzählt wird. Markus (Mk 7,24–30) und Matthäus (Mt 15,21–28) berichten von einem unerhörten Treffen: Eine Heidin kommt auf Jesus zu. Matthäus nennt sie Kanaanäerin, Markus spricht von einer Syrophönizierin, doch meinen beide das Gleiche: Hier begegnet Jesus einer Frau, die nicht jüdischen Glaubens ist. Das heißt, von Begegnung kann man zunächst eigentlich nicht sprechen. Denn Jesus ignoriert sie. Er hat offensichtlich erkannt, dass es sich um eine »Ausländerin« handelt. Über diese Frau erfährt man übrigens nur zwei Dinge: Dass sie keine Jüdin ist und dass sie schreit, anscheinend ununterbrochen. Ihre Tochter ist schwer krank; wie sie glaubt, von einem Dämon besessen. Für dieses Kind kämpft sie mit allen Kräften. Was sie aber schreit, überrascht, denn offensichtlich weiß sie, mit wem sie es zu tun hat: Sie bezeichnet Jesus mit dem jüdischen Hoheitstitel Davidsohn*. Ist das ein klug gewählter Schachzug, um ihm zu schmeicheln? Oder zeigt das, dass ihr eigentlich klar ist, dass sie von ihm nichts erwarten kann? Auch als Nichtjüdin muss sie wissen: Jesus ist gesandt zu seinen Glaubensgeschwistern. Man wartet gespannt, was Jesus dazu zu sagen hat! Doch zunächst treten die Jünger auf den Plan. Die Frau mit ihrem Gejammer ist ihnen lästig; sie wollen sie verscheuchen.
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Gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel Als Jesus dann spricht, bestätigt er die Unfreundlichkeit der Jüngerschaft sogar noch: »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel« (Mt 15,24). Damit sind sicher nicht nur die sprichwörtlichen schwarzen Schafe gemeint, die es wohl in jedem Volk gibt, sondern dieses Bildwort meint ganz Israel, das deshalb »verloren« genannt wird, weil es immer wieder vom Weg Gottes abkomme. Mit diesem Vers wird zugleich eine Trennlinie zu allen nichtjüdischen Menschen gezogen – was Jesus sogar zum Prinzip seiner gesamten Sendung macht. Die Wissenschaft vermutet heute, dass sich darin tatsächlich das Selbstverständnis des historischen* Jesus zeigt: Als jüdischer Rabbi wusste er sich zunächst nur zu seinen Glaubensgeschwistern gesandt. Diese Perspektive ändert sich allerdings im nachösterlichen* Blick der Überlieferung. Im sogenannten Missionsbefehl (Mt 28,16–20) schickt der Auferstandene seine Jünger ganz selbstverständlich zu allen Völkern: Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. (Mt 28,19–20)
Das Matthäusevangelium blickt auf diese radikale Kehrtwende schon zurück. Mit dieser Geschichte aber überliefert es eine historische* Erinnerung. Was mögen wohl die Leserinnen und Hörer des Evangeliums bei der Schilderung dieser Szene gedacht haben? Vielleicht haben sie verstanden, was Matthäus damit eigentlich sagen wollte: Auch wenn Jesus zu Lebzeiten nur unter seinem Volk wirkte, so liegt es in der Macht Gottes, sein Heil allen Menschen zu eröffnen. Die Szene aber setzt voraus, dass die heidnische* Frau weiß, dass Jesu Mission nicht ihr galt. Schließlich spielt sie selbst mit dem Davidsohntitel* auf genau diese innerjüdische Heilsverheißung an: auf einen Nachkommen des großen Königs David, der das Großreich Israel wieder zu alter Macht führen sollte.
Hunde und Kinder Doch die Frau lässt nicht locker; immerhin geht es um die Gesundheit ihrer Tochter. Noch mal bittet sie um Hilfe und noch mal lehnt Jesus ab – und dieser zweite Satz aus seinem Mund ist aus heutiger Sicht noch viel provokanter als der erste: »Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde!« (Mt 15,26). Beschreibt dieses Bildwort wirklich das damalige Verhältnis zwischen Juden und Heiden*? Soll es eine verharmlosende Entschuldigung
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für Jesu Verhalten sein oder ist es ein Beweis für seine Engstirnigkeit? In jedem Fall prägt dieser Vergleich das weitere Gespräch. Denn noch immer lässt sich die Frau nicht abschrecken, nicht einmal von diesem eigentlich unerträglichen Chauvinismus. Sie greift Jesu Bildsprache stattdessen sogar auf. Moderne Leserinnen hat immer wieder gestört, dass die Frau sich mit den Hunden gleichsetzt, die Jesus ins Spiel gebracht hat. Doch ist das rhetorisch ein geschickter Schachzug, der auf eine übliche Praxis Bezug nimmt: Die Haushunde der damaligen Zeit wurden selbstverständlich mit TischabfälRandbemerkung len gefüttert. Und mehr verlangt auch Bei dieser Geschichte handelt es sich um eine die Frau gar nicht. Sie möchte ein wenig sogenannte Fernheilung: Jesus muss das kranke Kind weder sehen noch berühren, allein seine von Jesu Kraft für die Heilung ihrer TochGedankenkraft reicht aus. Noch eine zweite ter, sozusagen den Überschuss des AufFernheilung wird im Neuen Testament erzählt, trags, mit dem er zum Volk Israel gesandt nämlich die Geschichte vom Hauptmann von ist. Mit dieser scheinbaren SelbsterniedKapernaum, dessen Knecht krank daheim liegt (vgl. Mt 8,5–13). Auch hier heilt Jesus auf Bitten rigung erreicht die heidnische* Frau ihr eines Heiden* und macht also noch eine Ausnahme. Ziel: Jesus bewertet ihre Hartnäckigkeit Die Öffnung der christlichen Gemeinschaft auch als Zeichen für die Größe ihres Glaufür Nichtjüdinnen sollte im Zuge der urchristlichen bens und erfüllt ihre Bitte. Die von einem Geschichte dann zur Regel werden – diese Szenen erinnern daran, dass das mal die Ausnahme war. Geist besessene Tochter wird gesund.
… zum Schluss Eine Frau kämpft für ihr Kind. Mit allen Mitteln. Sie lässt sich weder zurückweisen noch durch Beleidigungen abschrecken. Sie weiß, was sie will – und sie weiß, für wen sie es tut. Generationen von Frauen (und Männern!) hat das Verhalten dieser einen Heidin Respekt eingeflößt und neuen Mut verliehen. Darin ist sie zum Glaubensvorbild geworden. Weniger positiv wirkt sich diese Geschichte auf das Bild von Jesus aus: Er hat die Macht zu helfen und tut es nicht. Die Zugehörigkeit zum Volk Israel wiegt für ihn schwerer als das Schicksal eines Kindes. Wie passt das zu der Vorstellung, die sich die Menschen späterer Jahrhunderte von Jesus gemacht haben? Vielleicht hilft ein anderer Blick auf diese Perikope*. Sie wurde nämlich erst dann aufgeschrieben, als das, was Jesus hier ablehnt, schon längst üblich war: die Zuwendung im Namen Gottes zu Menschen nichtjüdischen Glaubens. Im Blick des nachösterlichen* Christentums sind tatsächlich alle Menschen zum christlichen Glauben eingeladen. Aber die Verheißung für Israel ist damit eben nicht überholt. Im Bild sind es die Heiden*, welche die Krümel vom Tisch zu ihrem Heil essen – aber sie bekommen nicht, was auf dem Tisch liegt.
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Von dem Kirchenvater Hieronymus ist die ausgesprochen schroffe Formulierung überliefert: »Früher waren die Juden Kinder und die Heiden* Hunde, jetzt ist es umgekehrt!« Eben nicht. Vielmehr ist zu fragen: Kritisiert nicht eine Geschichte wie diese überhaupt jede religiöse Grenzziehung als willkürlich, zeitgebunden und intolerant?
Der Gelähmte mit seinen Freunden Not macht erfinderisch
Heimspiel 121 Auf Umwegen zum Ziel 122 Stellvertretung ganz praktisch 122 Das Menschensohnwort 123 … zum Schluss 124
Heimspiel Da wird sich die Schwiegermutter des Petrus bedankt haben: Kaum, dass Jesus im Dorf ist, geht alles drunter und drüber bei ihr daheim. Eigentlich kennt sie das ja schon, aber dass ihr fremde Männer aufs Dach steigen und ein Loch reingraben, das geht nun wirklich zu weit. Die Geschichte vom Gelähmten und seinen Freunden (Mk 2,1–12) ist für Jesus ein Heimspiel. Das kleine Fischerdörfchen Kapernaum am See Genezareth* ist eine der wichtigsten Basisstationen seiner Wandertätigkeit. Und wenn es lapidar heißt, dass er »im Haus« sei, ist vorausgesetzt, dass Jesus einen festen Rückzugsort in Kapernaum hat, vielleicht tatsächlich das Haus der Schwiegermutter des Petrus, die Jesus geheilt hatte (vgl. Mk 1,30–31). Die Menschen wissen jedenfalls, dass sie von Jesus Großes erwarten können, und so strömen sie, um ihn zu hören und zu sehen. Und Jesus spricht zu ihnen. Allerdings wirkt die vorausgesetzte Szenerie etwas merkwürdig: Jesus selbst ist im Haus und predigt dort, während der Großteil der Menschenmenge draußen warten muss und ihm dennoch zuhört. Das ist schwer vorstellbar und tatsächlich wohl eher eine Erfindung des Evangelisten als Darstellung der historischen* Realität.
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Auf Umwegen zum Ziel Unter denen, die Jesus hören wollen, ist auch ein gelähmter Mann, der von seinen Freunden getragen werden muss. Sein Ziel: Dem Prediger so nahe zu kommen, dass er geheilt werden kann. Die Freunde unterstützen diesen Wunsch und die Not macht sie erfinderisch: Weil sie sich Randbemerkung keinen Weg durch die Menge bahnen könZur Zeit Jesu baute man in Israel eher einfache nen, versuchen sie es über einen Umweg. Sie Häuser: Sie bestanden aus Lehmziegeln oder klettern mitsamt der Bahre ihres gelähmten Stein und hatten einen rechteckigen Grundriss. Freundes aufs Dach, um ihn von oben herab Das Dach bestand aus Lehm, der Boden war Jesus direkt vor die Füße zu legen. gestampft. Nur gelegentlich ist eine Unterteilung in mehrere kleine »Zellen« nachweisbar, oft hatte Liest man diese Geschichte genau, fällt das Haus nur einen einzigen Raum, in dem auch auf: Hier haben sich zwei verschiedene Vordas Vieh lebte. Das setzt auch der Spruch Jesu in stellungen von der Bauweise antiker HäuMt 5,15 voraus, denn sonst wäre es nicht denkbar, ser nebeneinander erhalten. Einmal graben dass eine einzelne Lampe das ganze Haus erhellt: »Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt die Freunde das Dach auf, einmal decken es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchsie es ab. Ersteres setzt die typisch palästiter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.« nische Hausbauweise aus Schilf, Heu, Zweigen und Lehm voraus, Letzteres hingegen ein griechisch-römisches Ziegeldach. Die Wissenschaft erklärt sich das so: Als die Geschichte zunächst in Palästina erzählt wurde, hatten die Menschen beim Erzählen die dortigen Häuser und ihre Bauweise vor Augen. Als dann später diese Heilungsgeschichte auch dort weitergetragen wurde, wo Hausdächer abgedeckt werden mussten, trat diese Vorstellung beim Erzählen neben die erste. Dass sich beides in der Geschichte erhalten hat und nicht die jüngere die ältere Formulierung verdrängt hat, legt nahe, dass es sich um einen sehr alten und wörtlich fest geprägten Text handelt. Manche Forschende vermuten deshalb, dass diese Heilungsgeschichte zumindest in Grundzügen historisch* ist.
Stellvertretung ganz praktisch Jesus ist, das wird eigens festgestellt, beeindruckt vom Glauben der Freunde des Gelähmten. Danach allerdings nimmt die Geschichte eine überraschende Wendung. Thema ist nun plötzlich nicht mehr die mögliche Heilung, sondern Jesu Zuspruch: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!« (Mk 2,5). Wie passen dieser Satz und das Streitgespräch in eine Wundergeschichte? Nach jüdischer Vorstellung konnte eine Krankheit die Folge sündiger Handlungen sein – deshalb hingen umgekehrt Sündenvergebung und Heilung eng
Der Gelähmte mit seinen Freunden. Not macht erfinderisch
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zusammen. Dass da ein Zusammenhang besteht, bestreiten auch die schriftgelehrten Gegner Jesu nicht; auch sie akzeptieren den Tun-Ergehen-Zusammenhang*. Doch sie sind empört über Jesu Anmaßung, Sünden vergeben zu wollen. Das sei Gotteslästerung, denn das komme allein Gott zu. Jesus wird in dieser Geschichte also nahe an Gott herangerückt – sowohl durch die Vollmacht zur Sündenvergebung als auch durch seine Fähigkeit, die Gedanken seiner Gegner zu durchschauen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! (Mk 2,8–11)
Das Menschensohnwort Mit dem letzten Vers erhält der Disput einen neuen Akzent. Jetzt steht ein Begriff im Raum, der in der Geschichte vorher noch keine Rolle spielte: der des Menschensohns*. Die Rede vom Menschensohn* passt nicht zum bisherigen Gesprächsverlauf. Außerdem werden erst die Gegner angeredet und dann wieder der Gelähmte, der doch schon aus dem Blick geraten war. Dies legt nahe, dass die einzelnen Elemente dieser Heilungsgeschichte erst nach und nach zusammengewachsen sind: Sehr alt ist die Geschichte von den vier Freunden, die dafür sorgen, dass der Gelähmte zu Jesus gelangen kann. Später wurde diese Heilung zum Anlass, um über Jesu Vollmacht zur Sündenvergebung zu diskutieren. In diesem Zusammenhang dürfte schließlich auch das Menschensohnwort* ergänzt worden sein, das vermutlich vorher losgelöst von dieser Geschichte überliefert wurde.
Randbemerkung Die jüdische Apokalyptik beschreibt mit dem »Menschensohn« einen himmlischen Retter in Menschengestalt (vgl. Dan 7,13–14). In den Evangelien werden drei Formen von Menschensohnworten* überliefert, die Jesu irdisches Wirken (vgl. Mk 2,10; Mt 11,19), sein Leiden, Sterben und Auferstehen (vgl. Mk 9,31) oder das zukünftige Kommen des Menschensohns* zum Jüngsten Gericht* (vgl. Mk 13,26) zum Inhalt haben. Für die neutestamentlichen Autoren ist nach Jesu Tod und Auferstehung klar: Jesus und der Menschensohn* sind identisch. Doch hat sich Jesus selbst wohl nicht als himmlische Heilsgestalt gesehen. Der Vers Mk 8,38 – bei dem die Wissenschaft davon ausgeht, dass er von Jesus selbst stammt – bringt nämlich das genaue Gegenteil zum Ausdruck: »Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt […], dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.« Jesus hat sich also vom Menschensohn* unterschieden, hat allerdings mit viel Selbstbewusstsein eine Haltung zu seiner eigenen Person mit dem Urteil des Menschensohns* in Beziehung gesetzt. Alles andere ist spätere theologische Deutung.
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Es folgt der krönende Abschluss: Zum Beweis seiner Vollmacht – nicht nur zur Sündenvergebung, sondern auch zur Krankenheilung – befiehlt Jesus dem Gelähmten, sein Bett zu verlassen und allein nach Hause zu gehen. Umfassender kann man eine Rettung nicht beschreiben: Der Körper wird von der Krankheit befreit, der Geist von der Sünde. Dass der ehemals Gelähmte nun allein nach Hause gehen kann, dient als Demonstration beider Aspekte – Heilung und Sündenvergebung. Typisch für Heilungserzählungen ist übrigens der sogenannte Chorschluss: Die Zuschauer staunen über das Wunder und loben Gott. Ende gut, alles gut, könnte man denken. Ob sich allerdings Jesu Gegner haben überzeugen lassen, bleibt fraglich.
… zum Schluss Markus erzählt eine Heilungsgeschichte, eine unter vielen. Immer wieder geht es darum, Jesu Menschenfreundlichkeit ebenso wie seine göttliche Vollmacht zu beschreiben. So wird deutlich: In Jesu Handeln wirkt Gott. Die prophetische Verheißung, dass Lahme gehen, Blinde sehen, Aussätzige geheilt und Trauernde getröstet werden, sie wird in Jesu Auftritt zur erfahrbaren Realität. Darin liegt ganz sicher eine historische* Erinnerung an Jesu Wirken und sein Selbstverständnis. Doch noch etwas anderes lässt diese Geschichte besonders glänzen. Sie erzählt, wie wichtig gute Freunde sind: Sie setzen sich für den Gelähmten ein, sie steigen Jesus im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach, sie sind kreativ und zu jedem Trick bereit, um ihrem Freund zu helfen. Dieser Glaube ist es, der Jesus beeindruckt: Er heilt.
Die Tochter des Jairus Rettung wider besseres Wissen
Im Sterben 125 Heilung im Handumdrehen 125 Leben nach dem Tod 126 … zum Schluss 127
Im Sterben Diese Geschichte geht einem zu Herzen. Die Sorge des Vaters um sein todkrankes Kind, die Kaltschnäuzigkeit der Boten, die ihm nur mitteilen: Deine Tochter ist tot! Doch dann die unverhoffte Rettung (Mk 5,21–43). Als ob das nicht genug Stoff für Träume wäre, wird diese Totenauferweckung kombiniert mit einer Heilung. Zwölf Jahre alt ist das Mädchen, dessen Leben da an einem seidenen Faden hängt, und genau so lange leidet eine andere Frau an Blutfluss. Mal wieder hält sich Jesus am See Genezareth* auf und weil sein Ruf ihm vorauseilt, bekommt er unverhofften Besuch: Ein Synagogenvorsteher namens Jairus spricht ihn an. Seine Situation scheint aussichtslos, denn seine Tochter liegt im Sterben. Der verzweifelte Vater bekniet Jesus, dass er sie heile. Man hat oft diskutiert, wie das zusammenpasst: Der Beruf des Jairus, fest eingebunden in das jüdische Religionssystem, und seine Bitte an Jesus um Handauflegung und Heilung. Ist Jairus wirklich überzeugt, dass Jesus vollmächtig eingreifen kann, oder klammert er sich an jeden Strohhalm, der sich ihm bietet? Das bleibt offen und im Grunde ist es auch nicht entscheidend – denn Jesus geht mit.
Heilung im Handumdrehen Jesus muss sich, so setzt es die folgende Szene voraus, mühsam einen Weg durch die dicht gedrängte Menge bahnen. Mitten darin befindet sich eine Frau, die schon jahrelang an Blutungen leidet, die nach jüdischer Vorstellung religiös unrein
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machen (vgl. Lev 15,25), und die all ihr Geld vergeblich für ärztliche Behandlungen ausgegeben hat. Nun erhofft sie sich Heilung durch eine zufällige Berührung Jesu. Man mag das als moderner Leser für naiv halten, genauso wie diese Frau ja offensichtlich in ihrer Naivität all ihr Geld Quacksalbern in den Rachen geworfen hat. Doch steht dahinter die Vorstellung, wonach ein Wundertäter gleichsam gefüllt ist mit heiliger Kraft, an der man durch Berührung Anteil erhält. Und tatsächlich: Jesus selbst spürt, dass genau diese Kraft gebraucht wird. Die Frau reagiert mit Furcht und Zittern, aber sicher nicht nur, weil sie ertappt wurde, sondern weil dies – wie auch in anderen Geschichten deutlich wird – die angemessene Reaktion auf eine Begegnung mit dem Göttlichen ist. Die Frau gesteht Jesus alles und er belohnt sie dafür: »Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht!« (Mk 5,34). Dieser kleine Einschub, im wahrsten Sinne des Wortes eine Heilung im Vorübergehen, hat Zeit gekostet. Inzwischen treffen deshalb neue Boten aus dem Haus des Jairus ein. »Deine Tochter ist tot«, so teilen sie lapidar mit. Wie herzlos! Kein Wort des Mitleids, kein Raum für Trauer. Wie gut, dass Jesus diese Nachricht überhört, wie es wörtlich heißt – sicher mit Absicht. Er macht sich dennoch mit Jairus auf den Weg, auf dem ihn drei ausgewählte Jünger begleiten dürfen. Im Haus des Synagogenvorstehers sind die Begräbnisvorbereitungen bereits in vollem Gange. Der Evangelist Markus spricht wörtlich von »Getümmel«: Jede Menge Besucher und Klageweiber und Flötenspieler, die zu jedem jüdischen Begräbnis dazugehören. Kein Wunder, dass Jesus angesichts dessen nur Spott und Hohn für seine Bemerkung erntet, das Mädchen schlafe nur.
Leben nach dem Tod Doch genau darin liegt der Schlüssel. Jesus, der vollmächtige Gottessohn*, kann aus dem Tod aufwecken wie aus dem Schlaf: Durch ein machtvolles Wort und seine Handauflegung ruft er das Kind ins Leben zurück. Dass es unverzüglich gehorcht, demonstriert Jesu Kraft. Und nicht nur das: Das Mädchen steht sofort auf und soll sogar essen! Darin steckt nicht die Weisheit der Großmüttergeneration, dass Essen gegen alles hilft, sondern das ist der antike Versuch zu beweisen, dass dieses Kind nicht nur eine Geisterscheinung ist, sondern tatsächlich körperlich ins Leben zurückgekehrt ist.
Die Tochter des Jairus. Rettung wider besseres Wissen
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Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist zentraler Bestandteil des jüdischen und des christlichen Glaubens. Das Alte Testament spricht allerdings keineswegs von Beginn an davon, dass es ein Leben nach dem Tod gebe. Lange glaubte man, alt und lebenssatt zu sterben und dann zu den Vätern versammelt zu werden, sei das Ziel des von Gott geschenkten Lebens. Wer tot war, befand sich außerhalb der Sphäre Gottes (vgl. Ps 6,6; 30,10; 88,11–13). Erst die beiden späten Psalmtexte Ps 49 und Ps 73 wagen die vorsichtige Hoffnung auf eine Gemeinschaft mit Randbemerkung Gott auch jenseits der Todesgrenze. Auch im Alten Testament gibt es ErzähAus dieser kollektiven Hoffnung wurde erst lungen, wo Propheten* einzelne Menschen in dieses irdische Leben zurückholen. Sie nach und nach eine individuelle. Zunächst erkönnten den Geschichten über Jesus als wartete man eine Wiederherstellung des VolVorbild gedient haben. So erweckt Elia* kes Israel, ohne dass Einzelschicksale im Blick den Sohn einer Witwe durch eine körperwaren (vgl. Hos 6,1–3). Der metaphorische Text liche Berührung und ein Gebet: »Und er legte sich auf das Kind drei Mal und rief in Ez 37,1–14 überschreitet die Todesgrenze, den HERRN an und sprach: HERR, mein wenn er die Vision von der Neubelebung der Gott, lass das Leben in dies Kind zurückTotengebeine durch Gottes Atem schildert. kehren! Und der HERR erhörte die Stimme Die Erwartung einer Auferweckung des EinElias, und das Leben kehrte in das Kind zurück, und es wurde wieder lebendig« zelnen findet sich erst in sehr späten Texten: (1Kön 17,21–22). Eine ganz ähnliche Legende »Und viele, die im Staub der Erde schlafen, werwird von Elisa berichtet (vgl. 2Kön 4,8–37). den aufwachen, die einen zum ewigen Leben, Wenn von Jesus solche Begebenheiten die andern zu ewiger Schmach und Schande« erzählt werden, schwingt dabei das Wissen mit, dass diese Wunder nur zeichenhafte (Dan 12,2). Im Judentum zur Zeit Jesu war diese Vorabdarstellung des größten aller Wunder Hoffnung jedenfalls weit verbreitet. Auch Jesus sind: nämlich seiner Auferstehung, durch selbst und seine Jüngerschaft haben sie verdie er den Tod endgültig überwindet. mutlich geteilt.
… zum Schluss Wer selbst ein Kind durch Krankheit oder Unfall verloren hat, der wünscht sich wohl nichts sehnlicher als dies: dass auch heute noch ein Wundertäter wie Jesus das Schreckliche ungeschehen machen könnte. Doch ist aus wissenschaftlicher Sicht klar, dass Jesus das schon damals nicht getan hat und dass es in dieser Geschichte also nicht um ein faktisches Geschehen geht. Man hat sie vielmehr erzählt, um vor Augen zu führen, welche Bedeutung die Auferstehung Jesu hat: Durch sie hat der Tod seine Endgültigkeit verloren. Dass Jesus gestorben ist, heißt nicht, dass niemand mehr sterben muss, sondern das heißt: Wer gestorben ist, bleibt nicht tot, sondern bekommt neues Leben von Gott geschenkt.
Lazarus Es ist nie zu spät
Gewesen und verwest 128 Herr über Leben und Tod 128 »Ich bin die Auferstehung und das Leben!« 129 Zurück im Leben 130 … zum Schluss 130
Gewesen und verwest »Herr, er stinkt schon!« Wer immer Jesus vorwarf, bei seinen Wundern nur Taschen spielertricks zu versuchen, nur scheinbar Tote ins Leben zurückzuholen und sich so als vollmächtig auszugeben, der wird bei der Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1– Randbemerkung 44) eines Besseren belehrt. Denn als Jesus Die Auferweckung des Lazarus ist das letzte von am Grab des Freundes eintrifft, ist dieser sieben Wundern im Johannesevangelium. Während Jesus bei den Synoptikern* fast unzählig viele bereits seit vier Tagen tot. Der Tod eines Wunder tut, ist ihre Anzahl beim vierten EvangelisMenschen, dessen Endgültigkeit im Juten auf sieben beschränkt. Diese sieben Geschichten dentum der Antike nach drei Tagen festwerden dafür aber ausführlich erzählt. Auch in stand, hat sein zerstörerisches Werk ihrer Massivität sind sie gegenüber den Berichten bei Matthäus, Markus und Lukas gesteigert. Diese schon längst begonnen. Der VerwesungsNeigung zur Drastik lässt sich auch in dieser prozess ist bereits im vollen Gange – man Geschichte erkennen: »Herr, er stinkt schon!« riecht es.
Herr über Leben und Tod Lazarus aus Betanien wird vorgestellt als Freund Jesu und als Bruder der beiden ungleichen Schwestern Maria und Martha, die schon aus dem Lukasevangelium bekannt sind (vgl. S. 98–100). Jesus erfährt durch einen Boten von dessen Krankheit, doch er eilt keineswegs sofort zur Hilfe, sondern wartet noch zwei Tage ab, bevor er sich auf den Weg macht. Der Evangelist verrät in einer Art nachträglichem Kommentar, warum das so ist. Allerdings wird darin schon der nachösterliche* Blick auf Jesus erkennbar:
Lazarus. Es ist nie zu spät
Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde. (Joh 11,4)
Jesus hat einen klaren Plan: Er will Lazarus aus dem »Schlaf« aufwecken. Doch obwohl Jesus damit eine gängige Metapher zur Umschreibung des Todes verwendet, missverstehen ihn seine Jünger. Sie denken nur an den Genesungsschlaf des Kranken, aber Jesus denkt weiter. Als Jesus dann in Betanien eintrifft, ist LazaRandbemerkung rus schon längst tot und begraben. Die Frage einer leiblichen Auferstehung Martha geht ihm entgegen, während war im Judentum der Zeit Jesu strittig. Die Maria zu Hause bleibt. Martha ist trauSadduzäer lehnten diesen Glauben ab, da er rig und frustriert und lässt Jesus spüren, in der Tora nicht bezeugt sei. Die Pharisäer dass sie mehr von ihm erwartet hätte. dagegen glaubten im Anschluss an spätere jüdische Schriften überwiegend an die AufSie ist sich sicher: Lazarus’ Krankheit erstehung der Gerechten (vgl. 2Makk 12,42–45), hätte Jesus heilen können, doch über die manche auch an eine Auferstehung aller Schwelle des Todes kann auch er nicht Toten zum Endgericht (vgl. Dan 12,1–3). hinaus. Deshalb missversteht sie auch Jesu Versprechen, dass Lazarus auferstehen werde. Für Martha als Jüdin des 1. Jahrhunderts n. Chr. ist die Erwartung einer allgemeinen endzeitlichen Totenauferweckung Teil ihres Glaubens; dass Jesus sich schon in diesem Leben als Herr über Leben und Tod erweist, ist jenseits ihrer Vorstellungskraft.
»Ich bin die Auferstehung und das Leben!« Bei Jesu Antwort auf Marthas Vorwurf handelt es sich um den zentralen Satz, der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Perikope* ist: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. (Joh 11,25–26)
Dieser Vers bietet geballte Theologie, verdichtetes Bekenntnis zur Göttlichkeit Jesu und zu seiner Macht. Er funktioniert wie ein Brühwürfel: Man muss ihn auflösen und von der konzentrierten Christologie darin erzählen, um sie zu verstehen. Und genau das tut die Geschichte von Lazarus. Der Vers enthält zwei grundlegende Aussagen: erstens die, dass der irdische Tod die Teilhabe am ewigen Leben nicht beenden kann. Und zweitens die, dass der physische Tod zwar nicht ignoriert werden kann, aber eben doch keine endgültige Bedeutung mehr hat.
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Dieser Vers schlägt die Brücke zwischen der Auferweckung des Lazarus und der Auferstehung Jesu selbst: Denn die Lesenden wissen, dass Jesus Lazarus zwar zurück ins Leben ruft, dass aber am Ende wieder der Tod steht. Allerdings ist umgekehrt ebenso gewiss: Der Glaube an Jesus und seine Auferstehung reichen über das hinaus, was hier erzählt wird. Kein gläubiger Mensch ist davor gefeit, den irdischen Tod zu sterben – aber er kann im Glauben an Jesu Auferstehung wissen, dass dieser Tod keine Macht mehr hat.
Zurück im Leben Die Geschichte geht derweil weiter: Auch Maria macht sich nun auf und trifft Jesus. Angesichts von Marias Trauer wird Jesus selbst traurig und zugleich zornig – zornig über die Macht des Todes und traurig wegen seiner eigenen Liebe zu Lazarus. Das hat der Evangelist Johannes geschickt erzählt: Gerade in der Situation, in der Jesus in der Überwindung des Todes seine Göttlichkeit unter Beweis stellt, erweist er sich als besonders menschlich. Überwältigt von seinen Gefühlen lässt er sich nun zum Grab führen und besteht dort gegen den Rat der anderen – »Herr, er stinkt schon!« – auf der Öffnung der Grabplatte. Doch Jesus gelingt das Wunder und er ruft Lazarus zurück ins Leben. Dieser gehorcht wie selbstverständlich und verlässt sein Grab, übrigens noch in seine Leichentücher gewickelt. Das Wunder der Auferweckung des Lazarus stellt im Johannesevangelium den Höhepunkt des öffentlichen Wirkens Jesu dar. Zugleich ist es auch Anlass für den endgültigen Todesbeschluss des Hohen Rates* (vgl. Joh 11,46–51). Eigentlich ist das paradox: Weil Jesus Leben schenkt, muss er selbst sterben.
… zum Schluss Wie viele Menschen werden sich im Laufe der Zeit gewünscht haben, sie könnten wie Maria und Martha auf Jesu Erscheinen warten, der die Unausweichlichkeit des Todes zunichte gemacht. Ein kurzes Gebet, ein kurzes Wort und alles ist wieder gut? Leider lehrt die Erfahrung, dass das nicht passiert. Die Schranke des physischen Todes, sie bleibt verschlossen, ein Zurück gibt es nicht. Vermutlich gab es das ja nicht einmal bei Lazarus. Die Geschichte ist eine Legende, die nicht erzählt wurde, weil sie passiert ist, sondern weil sie etwas beschreiben sollte, was der Evangelist sonst nicht in Worte fassen konnte. Man könnte sagen: Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus dient als bildliche Ausgestaltung des theo-
Lazarus. Es ist nie zu spät
logischen Konzentrats in Joh 11,25. Sie beschreibt, dass der Glaube an Jesus Leben schenkt. Nicht unbedingt das irdische Leben, das ja doch immer mit dem Tod endet, sondern das himmlische, ewige Leben. Weil das gezwungenermaßen unbeschreiblich und also unvorstellbar bleiben muss, wählt der Evangelist diesen Weg, um davon zu erzählen: So wie Jesus in Gottes Vollmacht bei Lazarus eine Grenze überschreitet, die eigentlich unüberwindbar scheint, so wird Gott das einst bei allen Menschen tun.
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Nikodemus der Pharisäer Wenn aus Feinden Freunde werden
Beziehungsstatus: kompliziert 132 Missverständnis oder Kunstgriff? 133 Alles gesagt! 134 Einfach typisch? 134 … zum Schluss 135
Beziehungsstatus: kompliziert Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. (Joh 3,1)
Mit dieser kurzen Beschreibung beginnt das Erste einer ganzen Reihe von Gesprächen, in denen der Evangelist Johannes zentrale Inhalte der Sendung Jesu entfaltet. Hier geht es um die Zugehörigkeit zum Reich Gottes und das Geschenk des ewigen Lebens. Da ist es sicher kein Zufall, dass Jesu allererster Randbemerkung Gesprächspartner ein Pharisäer ist. Die Pharisäer der Antike lebten in GemeinschafDass die Pharisäer im Rückblick der ten zusammen; sie waren ursprünglich fromme Evangelisten auf die Zeit Jesu zu destheologische Laien. Ihr Augenmerk galt der Aufgabe, Heiligkeits- und Reinheitsvorschriften sen Hauptgegnern wurden, verrät allerim Alltag lebbar zu machen. Deshalb maßen sie dings mehr über die Zeit, in der die Texte auch dem Tempelkult* längst nicht so viel Wert abgefasst sind, als über die, in der sie bei wie der Tora*, sondern bauten die Synagogen* spielen. Tatsächlich war es wohl so, dass zu Zentren religiöser Bildung aus. Entstanden war die Bewegung der Pharisäer vermutlich die theologischen Differenzen zwischen im 2. Jahrhundert v. Chr. aus der Opposition Jesus selbst und den Pharisäern gar nicht gegen die politisch sehr geschickt agierende so groß waren, wie es die neutestamentHasmonäerdynastie*. Weil diese allzu oft dem lichen Autoren glauben machen wollen. politischen Machtstreben den Vorrang vor der religiösen Korrektheit gab, entwickelten sich als Aus den fortwährenden Streitgesprächen Gegenbewegung die sogenannten Frommen, die zwischen Jesus und den Pharisäern lässt Chassidim, aus denen wiederum die Pharisäer sich vielmehr herauslesen, dass beide erwuchsen. Zur Zeit Jesu stellten die PhariSeiten um dieselben Fragen rangen. Im säer eine eigene Oppositionspartei im Hohen Neuen Testament finden sich sogar noch Rat*, ab 70 n. Chr. hatten sie dort die Mehrheit.
Nikodemus der Pharisäer. Wenn aus Feinden Freunde werden
Erinnerungen daran, dass es Tischgemeinschaft zwischen ihnen gab (vgl. Lk 7,36; 11,37; 14,1). Gemeinsam war ihnen das Interesse an einer lebenspraktischen Umsetzung der Regeln der Tora* – nur über das Wie war man sich erkennbar uneinig. Bewegte die Pharisäer die Frage danach, wie die einzelnen Gebote im Alltagsleben des israelitischen Volkes ihre Gültigkeit bewahren und tatsächlich eingehalten werden konnten, wählte Jesus einen anderen Weg. Er wollte den inneren Sinn der Tora* zur Geltung bringen, um auf diesem Wege sagen zu können: »Ich bin nicht gekommen, [das Gesetz] aufzulösen, sondern zu erfüllen« (Mt 5,17).
Missverständnis oder Kunstgriff? Dass einer der Pharisäer mit einer theologischen Frage zu Jesus kommt, ist durchaus denkbar – einer Frage übrigens, die gar nicht gestellt wird, auf die Jesus aber dennoch antwortet. Zunächst aber wird dieser Pharisäer näher vorgestellt. Der Name Nikodemus weist ihn als Angehörigen der griechischen Oberschicht aus, der Hinweis, dass es sich um einen »Obersten der Juden« handele, legt nahe, dass er sogar ein Mitglied des Hohen Rates* ist. Nikodemus kommt »bei Nacht« zu Jesus. Ist das die übliche Zeit für theologische Dispute oder will Nikodemus nicht, dass seine Bewunderung für Jesus ans Licht dringt? Auch an anderer Stelle lässt der Evangelist Johannes durchblicken, dass die positive Hinwendung zu Jesus als Missachtung des Jüdischseins interpretiert werden konnte (vgl. u. a. Joh 9,22) – doch ist das, da ist sich die Wissenschaft heute einig, eine Sicht der Dinge, die erst im Rückblick in die Zeit Jesu eingetragen wurde. In dieser Geschichte begegnen sich zwei Theologen – und doch (oder vielleicht gerade deshalb?) reden sie gekonnt aneinander vorbei. Solche Missverständnisse sind übrigens typisch für die Schilderungen des vierten Evangeliums, denn dieser Kunstgriff ermöglicht es dem Verfasser, zentrale theologische Themen so breit zu entfalten, dass sich die Lesenden mit in die Debatte hinein genommen fühlen. In diesem Disput dreht sich nun alles um die Frage, wie man eigentlich ins Reich Gottes hineinkommt – und Jesus betont die Radikalität des dafür nötigen Neuanfangs: Nun reicht es nicht mehr zu werden wie ein Kind (vgl. Mt 18,3), sondern es braucht die Neugeburt (vgl. Joh 3,3). Die Worte, mit denen Nikodemus sein Unverständnis dafür beschreibt, sind an Deutlichkeit nicht zu überbieten: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? (Joh 3,4)
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Menschen, denen Jesus begegnete
Nikodemus ist besorgt: Was Jesus hier fordert, liegt nicht im Bereich des Menschenmöglichen. In der Tat weist Jesus mit seiner Antwort darüber hinaus: Es sind Wasser und Geist – eine Zusammenstellung, die an die Prophetie in Ez 36,25–27 erinnert –, die das Neuwerden des Menschen und damit die Zugehörigkeit zum Reich Gottes ermöglichen.
Alles gesagt! Für Jesus ist damit alles gesagt. Und als Nikodemus weiterhin auf seinem Nichtverstehen beharrt, reagiert Jesus fast tadelnd: »Du bist Israels Lehrer und weißt das nicht?« (Joh 3,10). Bedacht mit dieser Ehren bezeichnung »Lehrer Israels« wird Nikodemus zum Repräsentanten aller theologisch gebildeten Menschen jüdischen Glaubens. Dass diese jedoch ein erschreckendes Nichtwissen um das Reich Gottes vereine, ist allerdings die rückblickende (und eher einseitige) Sicht des Evangelisten. Deshalb schließt sich hier auch eine ausführliche Rede Jesu an, in der er seine Sendung in epischer Breite entfaltet. Der johanneische Jesus verliert sich in einem Monolog – und Nikodemus offensichtlich völlig aus dem Blick. Hört der eigentlich noch zu oder hat er sich längst aus dem Staub gemacht und Jesus mitten in der Nacht stehen lassen, versunken in seine eigene Gedankenwelt?
Einfach typisch? Jesu Wirken war begleitet von Bewunderung – und von Ablehnung. Unter Jesu Gegnern waren auch Mitglieder der theologischen Elite des Judentums seiner Zeit. Liest man das Neue Testament, so hat man den Eindruck, als hätten Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte eine einheitliche Phalanx in der Auseinandersetzung mit Jesus gebildet. Dies mag nicht nur dem Abstand von einigen Jahrzehnten geschuldet sein, mit dem die Evangelisten auf diese
Nikodemus der Pharisäer. Wenn aus Feinden Freunde werden
Ereignisse blicken, sondern auch ihren eigenen Erfahrungen mit dem Judentum ihrer Zeit. Die Tatsache, dass es gerade die Pharisäer sind, die als Jesu schärfste Gegner erscheinen, ist wohl weniger historische* Erinnerung als Verarbeitung von Erfahrungen der Evangelisten. Spätestens ab 70 n. Chr. – und damit zur Entstehungszeit der vier Evangelien – wurden die Pharisäer nämlich tatsächlich zur dominierenden Partei im Judentum. Das hatte folgenden Grund: Durch die Tempelzerstörung im Ersten Jüdischen Krieg verlor die jüdische Religion ihr kultisches Zentrum. An dessen Stelle traten die heiligen Schriften, die nun zentrale Bedeutung für den Glaubensalltag gewannen. Damit waren die Pharisäer mit ihrem Bemühen um eben diese Schriften prädestiniert dazu, zum neuen Gesicht des Judentums zu werden. Das geschah in einer Zeit, als sich das Christentum langsam von seiner Herkunftsreligion ablöste und als die Evangelien entstanden. Die Debatten, die Jesus mit den Pharisäern führt, stehen deshalb stellvertretend für die Auseinandersetzungen zwischen den Menschen, die an Christus* glaubten, und dem Judentum gegen Ende des 1. Jahrhunderts. Wenn immer wieder zu lesen ist, dass die Pharisäer Jesus versuchen oder ihm eine Falle stellen wollten, so muss man sich deshalb fragen, ob das wirklich die Absicht der Gegner Jesu war oder ob die Evangelisten hier Erfahrungen ihrer Gemeinden verarbeiteten? Wenn zum Beispiel Lukas von dem hochmütigen Pharisäer erzählt, der so viel schlechter abschneidet als der Zöllner als vermeintlicher Sünder (vgl. Lk 18,9–14), so zeichnet dies ein Zerrbild dieser religiösen Gemeinschaft, das ihrem Anliegen kaum gerecht wird.
… zum Schluss Das negative Bild, das das Neue Testament von den Pharisäern malt, wirkt bis heute nach. Nikodemus erscheint da nur als die eine Ausnahme, die die Regel trotzdem irgendwie bestätigt. Man denke nur an die Bezeichnung »Pharisäer« für einen Heuchler oder als Namen für ein mit starkem Alkohol durchmischtes Kaffeegetränk. Doch darf man sich davon nicht täuschen lassen: Die Pharisäer waren keine oberflächlichen Frömmler, sondern ganz im Gegenteil Menschen, die mit aller Kraft um die Frage rangen, wie man als Jude oder Jüdin leben konnte oder sollte. In ihrer Suche stimmten sie mit Jesus überein, in ihren Antworten weniger. Dennoch: Die Wirklichkeit ist komplexer, als manche Geschichten, auch solche aus dem Neuen Testament, das vielleicht glauben machen wollen.
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Pontius Pilatus Mit allen Wassern gewaschen
Der Statthalter Roms und der »König der Juden« 136 Latenter Antisemitismus im Neuen Testament 137 Wer war Pontius Pilatus? 138 … zum Schluss 139
Der Statthalter Roms und der »König der Juden« Er mag seine Hände in Unschuld waschen, so oft er will (vgl. Mt 27,24) – der römische Statthalter Pontius Pilatus trägt die Verantwortung für die Hinrichtung Jesu. Das erwähnt sogar der antike Geschichtsschreiber Tacitus. Welche Bedeutung Pontius Pilatus, wenn auch als vermeintlicher Bösewicht, für den christlichen Glauben hat, zeigt sich zudem daran, dass er es als einziger »Nichtchrist« ins apostolische Glaubensbekenntnis geschafft hat: »gekreuzigt unter Pontius Pilatus« heißt es dort. Denn er war es, der Jesus zum Tode verurteilte, nachdem der jüdische Hohe Rat* den Stein ins Rollen gebracht hatte. »Da bin ich von Pontius zu Pilatus gerannt!«, so drückt man es manchmal aus, wenn man das Gefühl hat, für eine Entscheidung mehrere Instanzen befragen zu müssen. Seinen Ursprung hat diese Redewendung in den Geschehnissen um den Prozess Jesu, der laut Lukas mehrfach zwischen jüdischen und römischen Instanzen hin und her geschickt wurde (vgl. Lk 23,6–12), bis das Urteil schließlich feststand. Vermutlich hätte der jüdische Hohe Rat* dieses Todesurteil auch gar nicht selbst vollstrecken können. Immerhin war Israel damals römische Provinz mit einer nur geringen politischen Autonomie. Für den Hohen Rat* war klar: Jesus war ein Gotteslästerer, also schuldig eines religiösen Verbrechens, das die Todesstrafe forderte. Man überstellte ihn deshalb an den Statthalter Pontius Pilatus, der die Rechte und Belange Roms in Jerusalem vertrat. Etwas salopp formuliert könnte man sagen: Jüdische Religionsstreitigkeiten waren Pilatus egal. Was ihm aber nicht egal sein konnte, war jegliche Form politischen Aufruhrs, weil damit die Herrschaft Roms in Israel in Gefahr geriet. Und politischen Aufruhr hatte es dort seit Beginn der römischen Herrschaft knapp 100 Jahre vorher eigentlich immer gegeben. Als nun Pilatus erfuhr, dass viele Juden Jesus nachsagten, er sei der Messias* und damit der erhoffte politi-
Pontius Pilatus. Mit allen Wassern gewaschen
sche Befreier, musste der Statthalter handeln: Einen möglichen Verantwortlichen für einen geplanten Aufstand konnte er nicht am Leben lassen. Als Pilatus – so überliefert es der Evangelist Matthäus – Jesus mit diesem Vorwurf konfrontierte, widersprach dieser zumindest nicht ausdrücklich: Jesus aber wurde vor den Statthalter gebracht; und der Statthalter fragte ihn und sprach: Bist du der König der Juden? Jesus aber sprach: Du sagst es. (Mt 27,11)
Damit hatte Jesus der biblischen Überlieferung nach sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Und so zögerte Pilatus nicht lange und ließ Jesus zur Kreuzigung verurteilen. Diese Form der Todesstrafe dürfte Pilatus durchaus angemessen erschienen sein: Sie war die typische Form der Hinrichtung von Aufrührern und als solcher wurde Jesus ja verurteilt. Auffällig ist die Erwähnung eines Kreuzestitels, auf dem die Begründung zu lesen ist (vgl. Mt 27,37). INRI soll über Jesu Kreuz gestanden haben, das ist die Abkürzung des lateinischen Satzes »Jesus von Nazareth, König der Juden«. Die Wissenschaft hat lange diskutiert, ob es diese Inschrift wirklich gegeben habe oder nicht. Gerade weil ein solcher Kreuzestitel aber ganz ungewöhnlich ist, vermutet man heute, dass die Evangelisten sich dieses Detail nicht hätten ausdenken können und die Erinnerung daran also historisch* ist. Jesus starb als König der Juden – und damit also für einen Kampf, den er gar nicht kämpfen wollte!
Latenter Antisemitismus im Neuen Testament Das Bild, das von Pilatus im Kontext des Prozesses Jesu gezeichnet wird, ist stark davon abhängig, welche Rolle die Überlieferung jeweils dem jüdischen Hohen Rat* beziehungsweise dem jüdischen Volk zuerkennt. Einige Schriften des Neuen Testaments zeigen eine latente Judenfeindlichkeit, obwohl sie selbst doch von Menschen jüdischen Glaubens verfasst sind, die sich zu Jesus als Messias* bekannten: So betont Pilatus laut Matthäus, er könne an Jesus keine Schuld feststellen, verurteilt ihn auf Wunsch des rasenden jüdischen Mobs aber doch. Wo Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht (Mt 27,24), höhnt das jüdische Volk in dieser Überlieferung:
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Menschen, denen Jesus begegnete
»Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« (Mt 27,25) – eine Aussage, die sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte allzu oft als schreckliche Prophezeiung erweisen sollte. Es ist eben ein grundlegender Unterschied, ob man innerhalb einer Gemeinschaft um den richtigen Weg streitet oder ob man später als vom Judentum unterschiedene christliche Gemeinde gegen die eigenen religiösen Ursprünge polemisiert.
Wer war Pontius Pilatus? Historisch* weiß man von Pontius Pilatus relativ wenig: Sein Geburtsort und Geburtsjahr sind ebenso unbekannt wie sein Vorname; »Pontius« ist sein Familienname und weist ihn als Angehörigen der Pontier aus, der Beiname Pilatus könnte auf den lateinischen Begriff für »Speer« zurückzuführen sein. Daraus, dass er Präfekt wurde, kann man immerhin schließen, dass er dem römischen Ritterstand angehörte. Pilatus herrschte von 26–36 n. Chr. in den Provinzen Judäa und Samaria* als Stellvertreter des römischen Kaisers. Das negative Bild, das die Bibel von Pontius Pilatus zeichnet, wird unterstützt von kritischen Notizen, die der jüdische Historiker Flavius Josephus überliefert und die Pilatus als grausamen Herrscher schildern. Tatsächlich gelang es ihm, sich in einer der unruhigsten Provinzen des Römischen Reiches zehn Jahre lang an der Macht zu halten. Schon das legt nahe, dass seine Mittel nicht immer nur lauter waren. Auch davon berichtet übrigens das Neue Testament (vgl. Lk 1 3,1–2). Abberufen wurde Pilatus dann im Jahr 36 n. Chr., weil er mit brutaler Gewalt einen religiös motivierten Zug auf den Berg Garizim* unterbinden ließ. Das war dann wohl selbst den römischen Vorgesetzten zu viel: Pilatus wurde nach Rom einbestellt, um sich dafür zu rechtfertigen. Zu seiner Zeit als Präfekt fällte Pilatus viele Todesurteile – ob mit Prozess oder ohne, ob zu Recht oder zu Unrecht. Die genaue juristische Form des Verfahrens gegen Jesus lässt sich aus den Berichten des Neuen Testaments nicht erheben; vielleicht gab es auch keine. Dass der Hohe Rat* in der Nacht vor Passa* zu einer Sitzung zusammengekommen sein soll, ist kaum vorstellbar; dass es irgendeine inoffizielle Beteiligung der jüdischen Aristokratie am Prozess gegen Jesus gegeben haben kann, hingegen schon. Die im Neuen Testament überlieferte Tradition, aus Anlass des Passafestes* einen Gefangenen zu begnadigen – in diesem Fall den verurteilten Mörder Barabbas (vgl. Mt 27,15–26) –, ist sonst nirgendwo belegt. Das Ende des Pilatus nach dem Prozess gegen Jesus verliert sich im Dunkel der Geschichte. Die Legenden ergänzen, was zu fehlen scheint, und zeigen dabei zwei mögliche Richtungen auf, wie es mit Pilatus weiterging: Entweder wird
Pontius Pilatus. Mit allen Wassern gewaschen
Pilatus angesichts der Begegnung mit dem Gottessohn* zum Christen und stirbt dann sogar wie Jesus den Märtyrertod* am Kreuz oder es wird im Gegenteil breit ausgemalt, wie Gott selbst den Mörder seines Sohnes bestraft. Wie bei dem Verräter Judas wirft das Schicksal des Pilatus aber theologisch spannende Fragen auf: Wenn es doch Gottes Plan war, dass sein Sohn am Kreuz sterben musste, musste es dann nicht jemanden geben, der (ihn verrät und der) ihn verurteilt? Kann man Pilatus dann aber vorwerfen, dass er Teil des Heilshandelns Gottes wurde? Das Neue Testament stellt diese Fragen jedoch (noch) nicht.
… zum Schluss Im Johannesevangelium fragt Pilatus Jesus: »Was ist Wahrheit?« (Joh 18,38). Das ist bemerkenswert – historisch* ist es allerdings nicht. Es zeigt aber das Bemühen, Jesus gegenüber der römischen Autorität von anderen Gesetzesbrechern und Aufrührern zu unterscheiden. Man wollte zeigen: Jesus hat die politische Herrschaft der Römer nicht infrage gestellt – vermutlich war das als Absicherung der urchristlichen Gemeinden unter römischer Herrschaft nötig. Doch hat dieses verständliche Interesse eine Kehrseite mit schrecklichen Folgen. So musste man die Schuld am Tod Jesu den jüdischen Autoritäten anlasten. Immer wieder flackerten im Laufe der Jahrhunderte antijüdische Ressentiments auf; schon in der Alten Kirche* wurde der Ruf aus Mt 27,25 zum Auslöser von Pogromen gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, oft tatsächlich im unmittelbaren Anschluss an Passionsspiele. Die Evangelien sind auch Zeugnisse einer schmerzhaften Trennungsgeschichte von Christentum und Judentum und der Auseinandersetzung der ersten Christinnen und Christen mit ihrem jüdischen Erbe. Für heute ist wichtig, diesen latenten Antijudaismus der christlichen Überlieferungen im Blick zu behalten und kritisch zu reflektieren. Andernfalls besteht die Gefahr, grassierenden Antisemitismen einen christlich-theologischen Unterbau zu liefern. Das ist in der Geschichte der Kirche immer wieder geschehen. Und davor war, wie man heute weiß, auch der Reformator Martin Luther nicht gefeit. Dagegen hilft nur eine sorgsame Selbstkritik – und das fortlaufende theologische Gespräch mit den jüdischen Glaubensgeschwistern!
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ie Lebenswelt der Menschen, denen Jesus begegnete, prägt auch die Geschichten, die er erzählte. Mal als Beispiel, mal zur Mahnung – und mal ganz überraschend anders als das, was alle erwartet hätten.
Menschen, von denen Jesus erzählte
Die Arbeiter im Weinberg Was heißt Gerechtigkeit?
Was vom Tage übrig blieb 142 Provokative Gerechtigkeit 143 Eine späte Deutung der Geschichte 144 … zum Schluss 145
Was vom Tage übrig blieb Eigentlich ein Skandal: Egal, wer wie viel arbeitet – alle bekommen den gleichen Lohn. Die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg ist mit Absicht unrealistisch; der Fachbegriff lautet »Parabel«: Jesus erzählt etwas Unglaubliches, um auf diese Weise die Besonderheit des Reiches Gottes herauszustellen. Randbemerkung Doch zunächst geht alles den gewohnEin Tagelöhner war jemand, der tageweise angestellt ten Gang: Am frühen Morgen stellt ein wurde; eine sehr prekäre Form der Beschäftigung. Treffpunkt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – Weinbergbesitzer Tagelöhner zum übliund man darf sozialgeschichtlich davon ausgehen, chen Lohn von einem Denar – oder einem dass das eine wie das andere in der Regel Männer Silbergroschen, wie Luther übersetzt – pro waren – war der Marktplatz. Die Einstellung erfolgte Tag ein; davon konnte man damals zehn morgens um die erste Stunde, also etwa gegen sechs Uhr, und sie galt für den ganzen Tag. Am Ende des bis zwölf kleine Fladenbrote kaufen, was Tages erhielt der Tagelöhner seine Entlohnung. In der so gerade zum alltäglichen Überleben jüdischen Literatur der Antike werden 200 Denare einer kleinen Familie reichte. Den anals jährliches Existenzminimum für eine Einzel tiken Hörerinnen und Hörern war klar: person genannt; das Gleichnis spricht davon, dass als Tageslohn ein Denar gezahlt wird. Manchmal Einen Denar muss ein Tagelöhner verdiewurde der Lohn auch gleich in Naturalien ausgezahlt. nen, damit seine Familie an diesem Tag Als Tagelöhner eine Familie zu ernähren, gar etwas keinen Hunger leidet. zurückzulegen, war deshalb nahezu unmöglich. Die Arbeitgeber der Antike griffen gerne auf solche Lohnarbeiter zurück, um den Stamm der Festangestellten zu arbeitsintensiven Zeiten, etwa während der Ernte, aufzustocken. Für sie lag der Vorteil bei solcherart Beschäftigung auf der Hand: Tagelöhner mussten bei Krankheit nicht gepflegt werden, stellten anders als Sklaven im Todesfall keinen Verlust für den Arbeitgeber dar – und konnten je nach Bedarf flexibel eingestellt werden
Die Arbeiter im Weinberg. Was heißt Gerechtigkeit?
oder eben auch nicht. Dass Tagelöhner hungern mussten, wenn sie keine Arbeit fanden, kümmerte die Arbeitgeber offensichtlich nicht.
Provokative Gerechtigkeit Nicht die Beschäftigung von Tagelöhnern ist also das Überraschende, sondern das, was dann passiert: Nicht nur wie üblich zur ersten Stunde des Tages, sondern noch mehrfach stellt der Weinbergbesitzer Arbeiter ein, zur dritten, sechsten und neunten Stunde; Gründe werden dafür nicht genannt. Besonderes Augenmerk wird erst wieder auf die Tatsache gerichtet, dass der Weinbergbesitzer selbst um die elfte Stunde herum – also kurz vor Feierabend – weitere Arbeiter in seinen Weinberg schickt. Den ganzen Tag haben diese Männer vergeblich darauf gewartet, dass jemand sie einstellen wird und sie nicht mit leeren Händen heimkehren. Abends erfolgt dann die Entlohnung. Die Aufforderung des Weinbergbesitzers, beim Letzten anzufangen, verstehen die Leser zunächst nicht; doch dass die Ersten den Lohn zuletzt bekommen, ist wichtig für die Erzähllogik und bereitet die Pointe der Geschichte vor. Denn nur so kriegen die einen mit, was die anderen erhalten: Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. (Mt 20,9–12)
Dass alle das Gleiche bekommen, widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden. Die anderen Tagelöhner protestieren deshalb – zu Recht, möchte man meinen, denn sie haben viel länger gearbeitet. Doch der Weinbergbesitzer weist sie in ihre Schranken. Auf ihren Protest reagiert er mit einem sehr formalen Argument, nämlich Vertragstreue. Auch die Arbeiter der ersten Stunde hätten erhalten, was vereinbart gewesen sei. Er fragt provokativ: »Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?« (Mt 20,15). Nun müssen sich plötzlich die zuerst Eingestellten als missgünstig verunglimpfen lassen. Wie sie auf diesen Vorwurf reagieren, wird nicht überliefert, die Geschichte endet ohne Auflösung des Konflikts. Die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg ist eine Parabel, die ein Bild von der Güte Gottes malt: Er schenkt, was man zum Leben braucht. Dafür wird der im antiken Judentum bekannte Vergleich Gottes mit einem Weinbergbesitzer verwendet. Im Jesajabuch steht der Weinberg für das Volk Israel und der Wein-
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bauer für Gott (vgl. Jes 5,1–7; 27,2) – diese Anspielung dürften auch die Leserinnen und Leser des Matthäus sofort verstanden haben. Es ist übrigens durchaus beabsichtigt, dass sich bei der Zurechtweisung der Tagelöhner auch die Leser und Hörerinnen dieses Gleichnisses angesprochen fühlen. Die dieser Geschichte innewohnende Provokation soll sie selbst zum Umdenken bewegen. Gottes Souveränität und Güte ist größer als jede vermeintliche Gerechtigkeit, die das zuteilt, was verdient scheint. Jesus bildet in seinem Auftreten dieses Verständnis von Gerechtigkeit ab: Auch er hat sich denen zugewandt, die das »eigentlich« nicht verdient hätten. Und ob sein Verhalten nun »gerecht« ist oder nicht, mag man verschieden beurteilen – in jedem Fall ist es richtig.
Eine späte Deutung der Geschichte »Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?« (Mt 20,15). Mit dieser Frage könnte die ganze Geschichte zu Ende sein, wenn da nicht noch der Schlussvers wäre: »So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. [Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.].« (Mt 20,16)
Nach übereinstimmender Meinung der Wissenschaft gehört dieser Vers nicht zum ursprünglichen Gleichnis, sondern wurde später hinzugefügt. Dafür spricht mehreres: In einigen alten Handschriften* fehlt der zweite Teil des Verses; es gab also eine Zeit, in der dieses Gleichnis ohne den Hinweis auf Berufung und Erwählung tradiert wurde – und in der Tat war beides vorher kein Thema. Deshalb fehlt dieser Teil heute in den meisten deutschen Bibelübersetzungen. Doch passt auch die erste Vershälfte bei genauerem Blick nicht so richtig zum Thema der Parabel. Ging es vorher um (göttliche) Güte und (menschliche) Gerechtigkeit, so geht es nun um die Reihenfolge im Reich Gottes. Mit gleichem Lohn für alle hat das nichts mehr zu tun. Man geht daher davon aus, dass dieser Vers, vermutlich in zwei Überarbeitungen, später hinzugefügt wurde. Er gibt dem Text eine eigene Deutung: Im Reich Gottes sind nicht nur alle gleich, sondern es ist sogar alles auf den Kopf gestellt: Die Ersten werden die Letzten sein. Damit könnte vom
Die Arbeiter im Weinberg. Was heißt Gerechtigkeit?
Gleichnis her durchaus eine eschatologische* Umkehrung der sozialen Verhältnisse gemeint sein. Noch später wurde mit dem zweiten Versteil eine Kritik religiöser Berufungsgewissheit ergänzt.
… zum Schluss In den literarischen Ergänzungen zeigt sich schon ein Ringen um die Auslegung dieser Geschichte. Das setzt sich bis in die Moderne fort: So fand Immanuel Kant, der große Philosoph der Aufklärung, in ihr den Beleg dafür, dass man die ethische Haltung eines Menschen nicht nach seinen Taten, sondern ausschließlich nach dem diesen zugrunde liegenden Entschluss zum Guten bewerten dürfe. Auch die protestantische Auslegung wollte in der Geschichte zentrale Elemente der eigenen Theologie wiederfinden: So hätten die Arbeiter der elften Stunde deshalb richtig gehandelt, weil sie sich von Gott auch zu unpassender Zeit in die Pflicht hätten nehmen lassen. Allerdings bleiben Zweifel, ob so der Kern der Geschichte getroffen wird. Denn es geht um die Güte Gottes. Er gibt, was Menschen zum Leben brauchen, und er schenkt das ewige Leben ohne Ansehen menschlicher Leistung. Oder andersherum: Gottes Gnade lässt sich nicht verdienen. Kein Zufall dürfte sein, dass diese Parabel in der bitteren wirtschaftlichen Realität des Tagelohn-Arbeitsverhältnisses angesiedelt ist, die viele Menschen damals aus eigener Erfahrung kannten. Und auch wenn Jesus kein Sozialrevolutionär war, so hat die Forschung doch gezeigt, dass seiner Botschaft von Gottes Gerechtigkeit ein durchaus sozialkritisches Element innewohnte. Auch dies werden die Menschen damals sehr wohl verstanden haben.
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Der barmherzige Samariter Wer ist mein Nächster?
Ein Streitgespräch auf Augenhöhe 146 »Wer ist denn mein Nächster?« 146 Barmherzigkeit nach Samariter-Art 147 Wem bist du der Nächste? 148 … zum Schluss 149
Ein Streitgespräch auf Augenhöhe »Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?« – so beginnt eine der bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments: das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37). Dabei stellt nicht irgendjemand diese Frage, sondern ein schriftkundiger Lehrer. Und schnell entwickelt sich, so erzählt es Lukas, ein Streitgespräch auf Augenhöhe. Thema ist der Zusammenhang zwischen Gesetz und ewigem Leben – also die Frage, wie man das ewige Heil erlangt. Dass die Autorität der Schrift gilt, ist für beide Kontrahenten unbestritten und steht deshalb nicht zur Debatte. Der Schriftgelehrte verweist auf das Doppelgebot der Liebe als Quintessenz des Gesetzes und als gemeinsame Grundlage des weiteren Gesprächs: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lk 10,27)
Dieses Doppelgebot besteht aus einer Kombination zweier alttestamentlicher Texte; in ihnen geht es um Gottesliebe (Dtn 6,5) und Nächstenliebe (Lev 19,18). Man könnte meinen, damit sei alles gesagt und das Streitgespräch wäre zu Ende, bevor es begonnen hat.
»Wer ist denn mein Nächster?« Dann aber ist der Lehrer mit der eigenen Antwort doch noch nicht zufrieden. Er fragt, indem er einen Begriff aus dem von ihm selbst ins Spiel gebrachten
Der barmherzige Samariter. Wer ist mein Nächster?
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Randbemerkung Doppelgebot aufnimmt: »Wer ist denn Die Tatsache, dass die Samaritaner die fünf Bücher mein Nächster?« Daraufhin erzählt Jesus Mose als Heilige Schriften anerkennen, lässt darauf die Geschichte vom barmherzigen Samaschließen, dass die Abspaltung vom Mainstream des riter: Ein Reisender ist unterwegs von Judentums erst erfolgte, als diese bereits verschriftlicht Jerusalem nach Jericho, ein Weg, der in waren, also frühestens ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. Auch die Samaritaner lassen nur ein Heiligtum ihres der Antike tatsächlich als ausgesprochen Gottes gelten – dies liegt für sie allerdings auf dem unsicher galt. Dieser unbekannte Mann Garizim*. Der jüdische Historiker Flavius Josephus bekommt das am eigenen Leib zu spüren; überliefert, dass einige Generationen zuvor mehrere er wird ausgeraubt und lebensgefährlich Priesterfamilien aus Jerusalem weggezogen seien und dort ein neues Heiligtum gegründet hätten. Sie verletzt. seien mit der offiziellen hellenistisch* angehauchten Zwei Menschen stoßen auf den hilfReligionspolitik unzufrieden gewesen und hätten losen Verletzten: ein Priester und ein die Reinheit ihres Glaubens in Gefahr gesehen. Lässt Levit*. Beide sind ebenfalls auf dem Weg man die Polemik weg, so passt die Sachinformation von Jerusalem nach Jericho, wie die Fordurchaus: Ihrem Selbstanspruch nach repräsentierten die Samaritaner das wahre Israel. Im Laufe der mulierung »hinab« zeigt; nach Jerusalem, Zeit verhärteten sich dann die Fronten zwischen der Zionsstadt, geht es nach jüdischer den JHWH*-Gläubigen in Jerusalem und denen vom Vorstellung nämlich immer »hinauf«. Garizim*. Unter den jüdischen Hasmonäerkönigen* Die beiden kehren vom Dienst am Jeruwurde das Heiligtum auf dem Garizim* sogar zerstört. salemer Tempel* heim. Umso bitterer ist es, dass der Priester den Verletzten quasi links liegen lässt. Hätte nicht gerade er es besser wissen müssen? Auch ein Levit geht vorüber, wechselt sogar, gleichsam sprichwörtlich, die Straßenseite. Beide Männer werden ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht. Ob und welche Gründe sie dafür haben, bleibt im Text offen. Zu Recht. Eine Entschuldigung gibt es nicht.
Barmherzigkeit nach Samariter-Art Nur ein Samaritaner hilft – schon das ist ein Affront. Denn kennt man heute den Arbeiter-Samariter-Bund als konfessionell unabhängige Wohlfahrtsorganisation, so standen zur Zeit des Lukas die Samaritaner für eine marginalisierte Gruppe am Rande der jüdischen Gesellschaft. Aber tatsächlich hat der Name des Samariterbundes seine Ursprünge in dieser Geschichte. In der Landschaft Samaria* lebten damals religiös sehr heterogene Bevölkerungsgruppen. Unter diesen war auch eine, die einem strengen Monotheismus* anhing. Die Ursprünge dieser samaritanischen Gemeinschaft, die mit dem Judentum den Glauben an den Gott JHWH* und die Akzeptanz der fünf Bücher Mose als Heilige Schriften teilten, liegen im Dunkeln. Mangels Selbstzeugnissen muss man diese Informationen mühsam aus den Nachrichten der theologischen Gegner erheben – und da ist ja bekanntlich Vorsicht geboten.
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Menschen, von denen Jesus erzählte
Zur Zeit Jesu reichte die Spannweite der religiösen Differenzen von latenten Spannungen bis zu offenen Antipathien. Im Großen und Ganzen herrschte aber eine gewisse nachbarliche Zweckgemeinschaft. Dennoch fällt die deutliche Distanz auf, mit der die Evangelien von den Menschen aus Samaria* sprechen: Bei ihrer Mission sollen die Jünger und Jüngerinnen diese Gebiete auslassen (vgl. Mt 10,5– 6). Und wenn Jesus als Jerusalempilger in den samaritanischen Gebieten ein Quartier verweigert wird, nehmen die Jünger das gleich zum Anlass, nach Gewalt zu schreien (vgl. Lk 9,51–56). Als Jesus eine samaritanische Frau um Wasser bittet, reagiert diese überrascht – direkte Begegnungen zwischen beiden Gruppierungen schienen tatsächlich unüblich: Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. (Joh 4,9)
Wer um diesen Hintergrund weiß, erkennt den Affront in der Geschichte vom barmherzigen Samaritaner. Nur er lässt sich vom Schicksal des Fremden anrühren und verwendet viel Mühe darauf, um ihm zu helfen. Er leistet Erste Hilfe – und so wie das hier beschrieben ist, war er medizinisch auf der Höhe seiner Zeit. Mit Wein und Öl reinigt er die Wunden und verbindet sie. Und er kümmert sich auch darum, dass der verletzte Mann weiterhin gepflegt wird.
Wem bist du der Nächste? Auf diese Weise könnte die Frage des Schriftgelehrten, wer denn sein Nächster sei – und wen er also, so der Ausgangspunkt, von ganzem Herzen lieben müsse – eigentlich beantwortet sein: Jeder Mensch, der Hilfe braucht, ist der Nächste und hat das Recht darauf, dass ihm geholfen wird. Doch dann bekommt das Gespräch noch eine überraschende Wendung. Jesus fragt: »Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?« Nun geht es nicht mehr um den, der Hilfe braucht, sondern um den, der hilft. Der Begriff des Nächsten erhält so die ethisch-moralische Komponente, die der gesamten Geschichte zu eigen ist und sich im geläufigen Titel vom barmherzigen Samariter ausdrückt: Jeder und jede Einzelne ist auf-
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gefordert, einem hilfebedürftigen Mitmenschen zu helfen. Das muss auch der Lehrer anerkennen. In der letzten Aufforderung Jesu »So geh hin und tu desgleichen!« wendet sich der Evangelist an die Leserschaft: Auch sie sollen sich den eigentlich verpönten Samaritaner zum Vorbild nehmen und zukünftig ebenso handeln. So schließt die Beispielerzählung mit der expliziten Aufforderung zur Nachahmung, auf die hin sie von Anfang an angelegt war.
… zum Schluss Die Geschichte lebt vom ÜberraschungsRandbemerkung moment: Schlecht ist nicht der, der dafür Die Samaritaner existieren übrigens als eigene gehalten wird – und Gutes tut nicht der, Glaubensgemeinschaft bis heute: Knapp 1000 von dem man es erwartet. Diese Erzähleben im Dorf Kiryat Luza auf dem Berg Garizim bei Nablus im Westjordanland und in der israelung spielt mit menschlichen Vorurteilen. lischen Stadt Cholon bei Tel Aviv. Sie halten bis Wer immer schon weiß, was kommt, kann heute an eigenen alttestamentlichen Traditionen nicht mehr überrascht werden. fest und akzeptieren nur die Tora in Form der Die Geschichte spielt auch mit dem fünf Bücher Mose als Heilige Schrift. Ihrer Überlieferung verdankt sich der »samaritanische PentaBegriff des »Nächsten«. Das ist in ethiteuch« als eigener Textzeuge der hebräischen Bibel. scher Sicht höchst produktiv, denn durch seine abschließende Frage wendet Jesus die Stoßrichtung dieser Geschichte. Nun geht es auf einmal um die Frage, wem jede und jeder Einzelne denn zum oder zur Nächsten werden kann. Damit wird nicht nur ein Gefälle herausgenommen, das der klassischen Hilfebeziehung oft innewohnt, sondern damit wird das Hilfegeschehen auch dynamisch: Zur Nächsten werden kann man schließlich jedem Menschen.
Der verlorene Sohn Handelt der Vater hier richtig?
Dreiecksbeziehung 150 Vaterliebe und Gottesliebe 150 Am Tiefpunkt 151 Ende gut, alles gut? 152 … zum Schluss 153
Dreiecksbeziehung Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) berührt viele. Denn in dieser Erzählung eines Familienzwists findet man sich leicht wieder: Sympathieträger ist sicher der gutmütige Vater, der keine Bitte abschlagen kann. Ihm zuwider handelt der lebenshungrige jüngere Sohn, der ausbrechen möchte aus dem Korsett der Regeln, in das ihn der elterliche Hof zwingt. Dazwischen steht der etwas missgünstige und sehr pflichtbewusste ältere Sohn, der alles richtig macht und dennoch das Gefühl hat, zu kurz zu kommen. Am Schluss steuert die Erzählung auf eine Versöhnung zu: Vater und jüngerer Sohn sind wieder vereint, der ältere muss den letzten Schritt noch gehen. Doch was genau sollen die (antiken) Lesenden aus dieser Geschichte nun lernen? Dass es in Ordnung ist, wenn man erst sein Geld durchbringt und dann reumütig heimkehrt? Und wie ist es mit dem Verhalten des Vaters? Ist seine VerRandbemerkung gebungsbereitschaft nun Zeichen von Dass der jüngere Sohn vom Vater verlangt, sein Erbe Charakterstärke – oder von Charakternoch vor dessen Tod ausbezahlt zu bekommen, nimmt man meist hin. Doch steckt dahinter ein kompliziertes schwäche? Erbrecht. Die vorausgesetzte Sonderregelung, wonach sich ein Sohn sein Erbteil noch zu Lebzeiten der Eltern auszahlen lässt, ist als Abschichtung bekannt (vgl. Sir 32,20–24; Tob 8,21). Das römische Recht sah das nicht vor, hellenistisch* geprägte Leser dürften um diese Möglichkeit aber sehr wohl wissen. Wird sie angewandt, geht damit allerdings die Pflicht einher, dass der zu Wohlstand gekommene Sohn sich um seine Eltern kümmert. Das Verhalten des jüngeren Sohnes in dieser Geschichte ist also vollkommen inakzeptabel.
Vaterliebe und Gottesliebe Lukas überliefert dieses Gleichnis als Metapher für die Gottesliebe. Gott wird von einem Vater verkörpert, dessen zwei Söhne unterschiedlicher nicht sein könn-
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ten und die deshalb zu Rivalen um seine Gunst und das Erbe werden. In der Geschichte wird jede Wertung der Handlung vermieden, und doch ist es sicher kein Zufall, dass es der Zweitgeborene ist, der um die Auszahlung des Erbes bittet – im Alten Testament verkörpert immer der jüngere Sohn die Erwählung und erhält den väterlichen Segen (vgl. zum Beispiel die Geschichten von Kain und Abel, von Randbemerkung Esau und Jakob, von Ismael und Isaak Weil nur Wiederkäuer und Paarhufer nach dem und von den zwölf Söhnen Jakobs). Gesetz reine Tiere waren (vgl. Lev 11,1 ff.; Dtn 14,1 ff.), Der Vater gewährt seinem Sohn desgalten Schweine im Judentum als unrein. Woher das kommt, ist umstritten: Eventuell steht dahinter sen Wunsch – und was tut der angesichts die Abgrenzung zu verbotenen religiösen Praktivon so viel Großzügigkeit? Er verprasst ken (vgl. Jes 65,4; 66,3.17). Denkbar sind aber auch sein Geld sinnlos und ohne einen Gedanhygienische Gründe, wie sie bei dem jüdischen ken an die Zukunft. So kommt es, wie es Philosophen Philo genannt sind: Schweinefleisch verdarb leichter als andere Fleischsorten und barg kommen muss: Der Sohn ist einer Hundeshalb beim Verzehr gesundheitliche Risiken. gersnot hilflos ausgeliefert und muss Schweine hüten. Die Erwähnung von Schweinen, aus jüdischer Sicht unreine Tiere, lässt die antiken Leser sofort aufhorchen: Offensichtlich dient der Sohn einem nichtjüdischen Herrn.
Am Tiefpunkt Am Tiefpunkt angekommen, wandelt sich der Sohn tatsächlich. Seine bittere Armut weckt in ihm die Sehnsucht nach zu Hause: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich einem deiner Tagelöhner gleich! (Lk 15,17–19)
Der Sohn macht sich auf den Weg, um seinem Vater seine Schuld einzugestehen. Doch der will das gar nicht hören. Für ihn zählt nur eines: Sein Kind ist nach Hause gekommen. Er fordert die Sklaven auf, Kleid, Ring und Schuhe zu bringen, was zeigt: Der Sohn wird wieder in die Familie aufgenommen, er erhält das »beste Kleid«, nämlich das der Sohnschaft, zurück, und er darf wieder Ring und Schuhe als Macht- und Besitzsymbole tragen. Die Aufforderung, das gemästete Kalb zu schlachten, bereitet die fröhliche Willkommensfeier vor.
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Menschen, von denen Jesus erzählte
Ende gut, alles gut? Doch nun tritt der ältere Sohn auf den Plan. Er ist höchstpersönlich mit Feldarbeit beschäftigt, was zeigt, dass der Familienbetrieb nicht übermäßig groß ist. Auch dass es nur ein einziges gemästetes Kalb gibt, zeugt von eher bescheidenem Wohlstand. Die Auszahlung des Erbes an den jüngeren Sohn dürfte daher eine empfindliche Belastung dargestellt haben. Doch nicht nur dadurch lässt sich der Zorn des älteren Sohnes erklären: Er fühlt sich zurückgesetzt und weigert sich deshalb, das Haus zu betreten. Und wieder macht sich der Vater auf, einem seiner Söhne entgegenzugehen. Er will dessen Zorn besänftigen. Doch wie auch immer er das versucht haben mag, er scheitert. Der ältere Sohn macht seinem Ärger Luft. Dass er dabei von dem jüngeren Sohn nur als »dieser dein Sohn« spricht, den Begriff des Bruders jedoch vermeidet, ist beredtes Zeugnis innerer Distanz. Der Vater reagiert darauf mit entwaffnender Offenheit, die Zeichen seiner Liebe zu seinen beiden Söhnen ist. Ob er damit Erfolg hat, bleibt offen.
Der verlorene Sohn. Handelt der Vater hier richtig?
… zum Schluss Die Geschichte vom verlorenen Sohn fasziniert vielleicht gerade deshalb, weil sie menschlichen Alltag schildert: einen Familienkonflikt, der aus Eifersucht und Neid entsteht, einen älteren Sohn, der sich zurückgesetzt fühlt und den man nur bemitleiden kann, den liebevollen Vater als Sympathieträger – und schließlich den draufgängerischen Sohn, der das Leben auskostet, dann aber doch reumütig nach Hause zurückkehrt. Welches wäre wohl die eigene Rolle? Und wie viel Verständnis ist man bereit, für die anderen aufzubringen? Dabei geht es dem Erzähler weder um Familienaufstellung noch um die Moral von der Geschicht’. Sondern er erzählt eine solche Geschichte, die in einer Reihe mit anderen Gleichnissen »vom Verlorenen« wie dem Gleichnis vom verlorenen Groschen oder vom verlorenen Schaf steht. So malt er ein Bild von der überbordenden Liebe Gottes, die sich eben ganz anders zeigt, als es Menschen richtig oder vernünftig scheint.
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J
esu Tod war für seine Jüngerinnen und J ünger ein Schock. Das lassen viele Texte im Neuen Testament spüren. Mit ihm starb auch die Erwartung eines religiösen und politischen Neuanfangs. Dagegen verbanden sich mit der unglaublichen Nachricht von seiner Auferstehung sowohl Zweifel wie auch Hoffnung, bemerkenswerte Verstehensversuche und radikale Neuaufbrüche. Die Männer und Frauen aus Jesu Gefolge bildeten nach Ostern den Kern einer christlichen Gemeinschaft im Judentum, die wuchs und die begann, sich auch über die jüdischen Kerngebiete des Römischen Reiches hinaus zu verbreiten.
Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Salome und die Frauen am Grab Wer’s glaubt!
Drei Frauen 156 Erste Schritte am Ostermorgen 157 Legenden vom leeren Grab 158 Wundersame Begegnung 159 Die Blamage des Todes 160 … zum Schluss 161
Drei Frauen Für Salome muss an diesem Tag eine Welt zusammengebrochen sein! Als Jesus von Nazareth am Kreuz starb, starb auch etwas in ihr: die Zuversicht, dass sich mit seinem Kommen die Welt verändert habe, die Gewissheit, dass Gott mit seinem Volk sei, und die Hoffnung, dass für Israel alles neu werde. Salome war eine der Frauen, von denen Markus erzählt, dass sie Jesu Todesqualen stundenlang zusahen (Mk 15,40). Dass Matthäus sie nicht explizit erwähnt, aber stattdessen die namenlose Mutter der beiden Zebedaiden Jakobus und Randbemerkung Johannes ergänzt (Mt 27,56), hat schon »Von ferne«, so erzählen die Evangelisten, hätten die früh zu Spekulationen geführt, ob diese Frauen aus Jesu Gefolge der Kreuzigung zugeschaut. mit jener Salome zu identifizieren sei. Darin dürfte sich durchaus eine historische* ErinneSicher ist das nicht – und überhaupt rung bewahrt haben – auch Frauen konnten verurteilt erschwert es das rudimentäre Wissen werden, hätten also als Anhängerinnen Jesu den Tod fürchten müssen. Jesu männliche Jünger waren zu über die Frauen in der Jesusbewegung, diesem Zeitpunkt längst geflohen und vermutlich allzu weitreichende Überlegungen anzuzum Großteil in ihre alte Heimat Galiläa* zurückgestellen. kehrt – und damit in eine Region, wo der Jerusalemer Tatsächlich weiß man quasi nichts Statthalter Pontius Pilatus keinen Einfluss hatte. über Salome, diese Frau, die den Namen des großen Friedenskönigs aus dem Alten Testament, Salomo, trug. Erwähnt wird sie überhaupt nur im Kontext der markinischen Passionsgeschichte. Seit wann sie zu Jesu Gefolge gehörte, ob sie
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tatsächlich mit ihm unterwegs war oder zu den finanzkräftigen heimischen Unterstützerinnen zählte, wie ihre familiäre Situation war – hatte sie vielleicht Mann oder Söhne in Jesu Jüngerschaft? – und wie es nach Ostern mit ihr weiterging: Fehlanzeige. Dennoch ist ihr Name bei Markus eng mit den Ereignissen um Jesu Sterben und Auferstehung verbunden.
Erste Schritte am Ostermorgen Salome und die beiden Marien machen Randbemerkung sich am ersten Tag der Woche morgens Die Bestattung eines Verstorbenen galt im Judenauf den Weg zu Jesu Grabstätte (vgl. tum der Zeit Jesu als Pflicht – und zwar nicht nur Mk 16,1–8). Dass für ihn überhaupt eine gegenüber Familienmitgliedern, sondern auch gegenüber Armen oder Hingerichteten, für die solche gefunden wurde, verdankt sich niemand Sorge trug. Eine absichtliche NichtbeJosef von Arimathäa, einem Mitglied stattung stellte eine große Schande dar. Insbesondes Hohen Rates*. Dieser lässt Jesus dere die eigenen Eltern zu beerdigen, gehörte zur noch vor dem Sabbat* vom Kreuz abnehvornehmsten Aufgabe eines jüdischen Sohnes. Umso schockierter dürften Jesu Zuhörer von men und in einem Felsengrab bestatten seiner Antwort auf die Bitte um Zeit zur Bestat(vgl. Mk 15,42–47). tung des Vaters gewesen sein: »Folge mir nach und In allen vier Evangelien sind es die lass die Toten ihre Toten begraben!« (Mt 8,22). Frauen, die Jesu Grab leer finden – und eine solche gewichtige Rolle hätten man in der Antike Frauen kaum nachträglich zugeschrieben; die Erinnerung muss also historisch* sein. Nur bei der Frage, wer genau dabei war, unterscheiden sich die Texte: Lediglich das älteste Evangelium hat die Erinnerung daran bewahrt, dass es eine Frau namens Salome gegeben habe. Matthäus nennt nur zwei Frauen, nämlich »Maria Magdalena und die andere Maria« (Mt 28,1); Lukas spricht zunächst unbestimmt von mehreren Frauen (vgl. Lk 24,1) und trägt erst später einige Namen exemplarisch nach (vgl. Lk 24,11). Das Johannesevangelium schließlich erwähnt nur Maria Magdalena (Joh 20,1). Markus erzählt, dass die drei Frauen Jesu Leichnam salben wollen; eine damals übliche Tradition, deren Befolgung aber etwas naiv erscheint: »Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?« (Mk 16,3). Diese Frage hätten sie vielleicht besser klären sollen, bevor sie in der Dämmerung des Morgens aufbrechen. Das alles wirkt wenig glaubhaft – spielt für die Logik der Geschichte aber eine wichtige Rolle. Denn der Stein, der der antiken Konvention gemäß die Grabstätte im Felsen verschloss, wird zum Sinnbild dafür, dass die Macht des Todes gebrochen und die Barriere zwischen Leben und Tod durchlässig geworden ist.
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Legenden vom leeren Grab Am Grab bemerken die drei Frauen, so beschreibt es Markus, dass der Stein schon beiseite gewälzt ist. Auch Lukas und Johannes berichten davon, dass Frauen zum Grab kommen und es offen finden. Der Schluss – der Tod ist besiegt, Jesus ist auferstanden, das Grab (deshalb) leer – ist aber keineswegs zwingend. Es könnte viele Gründe geben, warum der Stein beiseitegeschoben ist: Ist es wilden Tieren gelungen, ins Grab einzudringen? Haben sich andere Menschen an dieser Ruhestätte zu schaffen gemacht, mit welchen lauteren oder unlauteren Absichten auch immer? Markus, Lukas und Johannes stellen sich diese Frage nicht. Der Stein ist weggerollt – und die Ereignisse des Morgens laufen unausweichlich auf das Wunder schlechthin zu: Jesus ist auferstanden. Nur bei Matthäus ist das anders. Bei ihm wird aus der Auffindung des leeren Grabes tatsächlich ein Krimi, an dessen Beginn die von Hohepriestern* und Pharisäern geäußerte Bitte steht, dass Pilatus das Grab bewachen lasse: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Nach drei Tagen werde ich auferweckt. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten. (Mt 27,63–64)
Mit diesem Satz legt Matthäus den jüdischen Autoritäten genau die Unterstellung in den Mund, die damals wohl tatsächlich im Raum stand: Leichendiebstahl. Offensichtlich musste der Evangelist sich gegen Gerüchte wehren, dass hinter dem vermeintlichen Wunder des leeren Grabes Menschen stehen und nicht Gott, dass also die Rede von der Auferstehung Jesu nur die Fehldeutung eines Verbrechens war (vgl. Mt 28,11–15). Auch bei der Erzählung der Ereignisse des Ostermorgens geht Matthäus auf Nummer sicher (vgl. Mt 28,1–8): Hier werden die Frauen nämlich Zeuginnen der Graböffnung! Matthäus weiß: Ein weggewälzter Stein und ein leeres Grab sind keine eindeutigen Beweise für die Auferstehung. Als die Frauen dort eintreffen, überschlagen sich deshalb die Ereignisse: Ein Erdbeben geschieht, ein Engel* kommt vom Himmel, wälzt den Stein beiseite und setzt sich darauf. Die Grabwachen stürzen ohnmächtig zu Boden. Matthäus lässt keinen Zweifel daran: Dass das Grab leer ist, verdankt sich dem Handeln Gottes.
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Wundersame Begegnung Aber zurück zu Salome und damit zum Evangelisten Markus: Da stehen die drei Frauen also; die Salbtöpfchen in der Hand, vor sich das geöffnete Grab – gefasst auf das Schlimmste. Doch im Grab erwartet sie ein Engel*, eigentlich: ein junger Mann. Aber für jede, die die Zeichen zu deuten weiß, ist ersichtlich, dass es sich hier um eine übernatürliche Gestalt handelt. »Fürchtet euch nicht!«, so begrüßt er die drei, eine typische Formel der Boten Gottes. Das weiße Gewand des Jünglings tut ein Übriges, ihn als himmlische Lichtgestalt auszuweisen. Aus dessen Mund erfahren die Frauen, was sie bestimmt nicht zu hoffen gewagt hatten: Jesus ist auferstanden! Das leere Grab liefert gleichsam den sichtbaren Beweis dafür. Der Evangelist Matthäus setzt etwas andere Akzente. Hatte er vorher sehr viel Mühe darauf verwandt, erzählerisch zu entfalten, warum das Grab nur aufgrund göttlichen Eingreifens leer sein kann, spielt das plötzlich keine Rolle mehr. Die Frauen jedenfalls betreten die leere Grabstätte nicht; der Aufforderung des Engels*, hineinzugehen, leisten sie nicht Folge. Wo Jesu Leichnam tatsächlich ist, ob geheimnisvoll verschwunden oder noch im Grab liegend – für Matthäus ist das egal. Wichtig ist nur die Botschaft des Engels* und diese weist weg vom Grab: Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. (Mt 28,6–7)
Bei Markus und Lukas lässt sich Ähnliches zwischen den Zeilen herauslesen. Zwar betont Lukas ausdrücklich, dass Jesu Körper verschwunden sei (vgl. Lk 24,3), aber alle drei Synoptiker* wissen: Das Auffinden des Grabes selbst ist es nicht, das den Glauben an die Auferstehung Jesu auslöst. Das leere Grab an sich sagt gar nichts. Um zu verstehen, was geschehen ist, braucht es die Erläuterung durch einen himmlischen Boten. Am deutlichsten wird das bei Lukas, wo schon die Frage des Engels* eine Interpretation des Geschehenen enthält: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier« (Lk 24,5–6). Und auch bei Markus weist der Bote weg vom Grab oder genauer: darüber hinaus (vgl. Mk 16,7).
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Die Blamage des Todes Der Theologe Eberhard Jüngel hat die Geschichte vom leeren Grab als satirische Erzählung von der Blamage des Todes bezeichnet. Und genau das ist sie: eine Narration und eine Konkretion. Denn die Überlieferung vom leeren Grab findet Bilder und Worte für ein Wunder, vor dessen Größe man sonst staunend verstummen müsste. Glauben allerdings weckt das leere Grab nicht. Selbst bei Salome nicht, die doch sonst bereit war, für ihren Glauben sehr viel auszuhalten. Doch wie die beiden anderen Frauen bleibt sie an diesem ersten Ostermorgen stumm. Sie tut nicht, was der Engel* ihr aufgetragen hat, sondern sie flieht. Und die beiden Marien fliehen mit ihr: Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich. (Mk 16,8)
Ursprünglich endete das Markusevangelium mit diesem Vers. Die Erscheinungsberichte sind allesamt später ergänzt. Am Schluss des ältesten Evangeliums stand also zunächst das Schweigen der Zeuginnen – ein Schweigen, das die antiken Leserinnen dazu animieren sollte, selbst umso beredter Zeugnis abzulegen von dem, was sie doch sicher wussten: Jesus ist auferstanden. Markus führt Randbemerkung Den Schluss des Markusevangeliums in Mk 16,8 seine Leser nur bis zur Grenze des Aufempfanden spätere Überlieferer offensichtlich als erstehungswunders und des Gläubigunbefriedigend, besonders im Vergleich zu den werdens – Verstehen und Glaube beginausführlichen Erscheinungsberichten der anderen nen da, wo das Evangelium aufhört. Evangelien. Deshalb wurde, vermutlich im 2. JahrBei Matthäus und Lukas ist das anhundert, Mk 16,9–20 ergänzt und bildet heute den sekundären Markusschluss – das weiß man deshalb ders: Hier gehorchen die Frauen der Botso genau, weil diese Verse in den ältesten Handschaft der Engel* und machen sich auf schriften* fehlen. Dort wird zusammenfassend von den Weg zu den (männlichen) Jüngern – Erscheinungen berichtet; dabei greifen die Ergänzer wo auch immer diese sich aufhalten. Zuauf Überlieferungen zurück, die sie aus anderen Kontexten kannten. So finden sich deutliche Anspielungen mindest der Evangelist Lukas verortet sie auf die Emmausjünger (Mk 16,12–13; vgl. Lk 24,13– noch in Jerusalem, denn er erzählt: Als 35) sowie auf die Himmelfahrt Jesu (Mk 16,19; die Jünger dem Bericht der Frauen keivgl. Lk 24,50–53); außerdem wird eine Erscheinung nen Glauben schenken, bildet Petrus die vor Maria Magdalena erwähnt, von der Jesus sieben unreine Geister ausgetrieben habe (Mk 16,9; vgl. einzige Ausnahme. Er läuft sofort zum Lk 8,2) – eine Erinnerung an eine Heilung Jesu, von Grab, findet aber ebenfalls nur noch der Markus gar nicht erzählt. Der gesamte Abschnitt die Spuren des Toten, ihn selbst jedoch ist gekennzeichnet von dem Bemühen, eine erzähnicht. Und auch für ihn gilt: Das leere lerische Lücke zu schließen, gehört jedoch erkennbar nicht zum ursprünglichen Text des Markus. Grab löst keinen Glauben aus, sondern
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Randbemerkung nur Verwunderung – der AuferstehungsMatthäus und Johannes haben die Erinnerung glaube entsteht erst aus der Begegnung mit daran bewahrt, dass Maria die war, der Jesus Jesus selbst (vgl. Lk 24,12). zuerst erschien, deshalb wurde sie in der Alten Bei Matthäus sind es die Frauen, denen Kirche* als »Apostelgleiche« verehrt. Das Lukasder Auferstandene zuerst erscheint. Als evangelium und Paulus in seinen Briefen hingegen überliefern, dass es der Apostelfürst Petrus ist, der diese nach der Entdeckung des leeren Graden Auferweckten als Erster sieht (vgl. Lk 24,34; bes den Friedhof verlassen wollen, begegnet 1Kor 15,5). Vermutlich war es so, dass die Tradition ihnen Jesus (Mt 28,9–10). Und sie scheinen um Maria Magdalena desto mehr an den Rand sofort zu wissen, wen sie da vor sich haben. gedrängt wurde, je stärker die Bedeutung des Petrus in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. Kein Zaudern, kein Zögern. Nur wenige Momente ist es her, dass sie die ungeheuerliche Botschaft von Jesu Auferstehung vernommen hatten – und schon steht er vor ihnen. Weder wird gesagt, woran sie ihn erkennen – Aussehen, Gestus, Anrede – noch ist das leiseste Moment des Zweifels zu spüren. Es ist eindeutig: Jesus ist da und er lebt. Der Evangelist Johannes schließlich drängt die Rolle zurück, die die Frauen am Ostermorgen gespielt haben. Hier ist Maria Magdalena bloß diejenige, die den Jüngern mitteilt, dass der Stein vom Grab weggewälzt ist. Daraufhin, so erzählt es der vierte Evangelist, machen sich Petrus und der Lieblingsjünger auf den Weg und liefern sich unterwegs sogar noch einen wenig pietätvollen Wettlauf (vgl. Joh 20,3–10). Maria gerät dabei aus dem Blick, sie bleibt weinend und allein am Grab zurück – und erst als die polternden und rangelnden Männer wieder verschwunden sind, findet sie in der plötzlich herrschenden Grabesruhe zu Jesus (vgl. Joh 20,11–18).
… zum Schluss Was gäbe man, die Auferstehung Jesu beweisen zu können! Mit Argumenten oder Logik zeigen zu können: Er ist auferstanden. Doch dieses Wunder, das so zentral für den christlichen Glaubens ist – es lässt sich eben nicht belegen. Aber: Es kann geglaubt werden. Etwas anderes wollen auch die Geschichten vom leeren Grab nicht sagen, die einen nur scheinbar objektiven Nachweis dafür bieten, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist. Denn immer wieder machen die Erzähler deutlich: Erst die Begegnung mit dem Lebendigen weckt Glauben. »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?«, so fragen die Engel* bei Lukas (vgl. Lk 24,5–6). Und diese Frage ist es, die nachschwingt. Die drei Frauen, unter ihnen Salome, haben den Mut, zu Jesu Grab zu gehen und sich einer neuen und schmerzhaften Realität zu stellen. Dort erfahren sie
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etwas, das ihr Leben verändert. Ja, das Grab ist leer – doch zum Angelpunkt des Glaubens wird eine Erfahrung, die sich nur zögerlich in Worte fassen lässt: Gott hat in den Tod eingegriffen. Jesus lebt. Man kann ihm begegnen – und Menschen haben die Erfahrung solcher Begegnungen gemacht. Modern gewendet: Glaube lässt sich nicht argumentativ erzeugen, sondern die Hoffnung, die sich mit der Auferstehung verbindet, will erfahren werden. Und so vielfältig wie die neutestamentlichen Geschichten von der Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen, so vielfältig können die Glaubenserfahrungen von Menschen sein. Jede Begegnung trägt die Möglichkeit in sich, zu einer solchen zu werden. Daran erinnern die Erzählungen von den Frauen am leeren Grab.
Kleopas Begegnung auf dem Weg nach Emmaus
Einmal Emmaus und zurück 163 »Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde« 163 Eine flüchtige Begegnung 164 … zum Schluss 165
Einmal Emmaus und zurück Die Emmausgeschichte (Lk 24,13–35) ist eigentlich ein Road-Movie: 32 Verse lang erzählt Lukas vom Weg nach Emmaus und zurück. Zu Beginn und am Schluss sind die beiden Jünger allein, dazwischen begegnen sie einem einsamen Wanderer. Dass die Leserin weiß, dass dies Jesus ist, die zwei Jünger hingegen nicht, führt zu einer Spannung ganz eigener Art. Kleopas und sein namenloser Begleiter machen sich am Abend des Auferstehungstages auf den Weg; das Ziel der Wanderung ist Emmaus. Seit dem 4. Jahrhundert erhebt ein circa 30 Kilometer von Jerusalem entfernter Ort den Anspruch, das biblische Emmaus zu sein. Für diese Geschichte wäre die Entfernung allerdings fast zu groß – oder hat Lukas es mit der Geografie nicht so genau genommen? Doch obwohl die Jünger auf ihrer Reise nur ein Thema haben, erkennen sie den nicht, der Inhalt ihres Gesprächs ist. Lukas deutet an, dass dahinter göttliche Absicht steht – Luther übersetzt »Ihre Augen wurden gehalten« (Lk 24,16) –, denn dies ermöglicht das Folgende.
»Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde« Jesu Frage ist schon fast manipulativ: »Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?« (Lk 24,17). Mit Kleopas bekommt man fast Mitleid: Wie kann es sein, dass dieser Fremde nichts von den Geschehnissen weiß? Sofort klärt Kleopas ihn auf und liefert damit im Grunde eine Kurzfassung des Lukasevangeliums:
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Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. (Lk 24,19–24)
Die Ereignisse des Ostermorgens gibt Kleopas mit einer Art ungläubigem Staunen wieder. Doch Jesus tadelt ihn daraufhin, weil er die Schrift nicht verstehe, sonst wüsste er um die göttliche Notwendigkeit des Kreuzesgeschehens. »Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?«, fragt Jesus (Lk 24,26) und legt den beiden die heiligen Schriften aus. Leiden und Sterben des Messias* sind für Lukas notwendiger Teil des von Gott selbst geoffenbarten Geschichtenlaufs.
Eine flüchtige Begegnung Inzwischen ist die kleine Gruppe in Emmaus angekommen – und die Jünger nötigen den vermeintlich Fremden, zum Abendessen zu bleiben. Den Segen über die Speisen zu sprechen ist eine jüdische Sitte, eigentlich Aufgabe des Hausherrn. Hier tut es Jesus. Anhand dieser Geste, eine deutliche Anspielung auf das letzte Abendmahl des Irdischen mit seinen Jüngern (vgl. Lk 22,17–20), erkennen die zwei ihn endlich. In dem Moment, wo ihre Augen »aufgetan« werden, verschwindet Jesus allerdings. Sie sind wieder allein. Damit stehen sie für die spätere christliche Gemeinde: Auch diese kann sich der Anwesenheit Jesu nur in Brot und Wein, das heißt im Abendmahl, vergewissern: So ist Jesus gegenwärtig – wirklich, aber unsichtbar. Die Emmausgeschichte hat also einen gottesdienstlichen Impetus. Sie will nicht in erster Linie erzählen, was da auf dem Weg nach Emmaus geschehen ist, sondern sie will zeigen, was in jedem Gottesdienst neu geschieht: die Begegnung mit dem Auferstandenen. »Brannte nicht unser Herz in uns?«, so fragen sich die beiden Jünger und geben die Antwort mit ihrem Verhalten
Kleopas. Begegnung auf dem Weg nach Emmaus
selbst: Sie machen sich sofort auf den Rückweg nach Jerusalem – und zwar im Eiltempo, wie es zumindest das Erzähltempo des Textes nahelegt. Nur einen Vers lang dauert der Gang zurück zu den anderen Jüngern – und dort erfahren sie, dass nicht nur sie eine besondere Begegnung hatten: »Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen!« (Lk 24,34). Diese kurze Formel ist vermutlich sehr alt; das erkennt man daran, dass Petrus mit seinem ursprünglichen Namen benannt wird. Die Absicht ist klar: Der Erste, dem der Auferstandene erschien, war eben nicht Kleopas, sondern Simon Petrus, der Apostelfürst.
… zum Schluss »Brannte nicht unser Herz in uns?« – so fragen sich die beiden Jünger und erinnern sich, dass sie doch eigentlich schon gewusst hätten, wer da mit ihnen unterwegs sei. Manches wird im Rückblick klarer, das zeigen alle Erfahrungen mit dem Auferstandenen. Die beiden Jünger haben jede Hoffnung fahren lassen. Sie sind so gefangen in ihrer Resignation, dass sie das Offensichtliche nicht sehen: dass es nämlich Jesus selbst ist, der sie begleitet. Wie unerwartet kann das Göttliche einbrechen in menschliche Wirklichkeiten, wie leise, wie unentdeckt? An den Emmausjüngern kann man jedenfalls lernen, offen zu sein für unerwartete Begegnungen. Bedenkenswert ist auch: Jesus zeigt auf dem Weg nach Emmaus, wie man die heiligen Schriften des Judentums mit der rosaroten Brille der Christusgläubigen liest! Alles, was passt, wird auf Jesu Geschick gedeutet. Immer haben Menschen ihre Hoffnungen in die biblischen Texte hineingelesen. Und so darf man vielleicht auch die Ostererzählungen als Ausdruck einer durchlebten Wende zur Hoffnung lesen.
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Thomas Der Ungläubige
Der sprichwörtliche Zweifler 166 »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« 167 … zum Schluss 167
Der sprichwörtliche Zweifler Thomas ist zum typischen Zweifler geworden. Sein biblischer Beiname lautet Didymus (= Zwilling), doch in die christliche Überlieferung ist er als »ungläubiger Thomas« eingegangen. Der Jünger Jesu, der die Begegnung mit dem Auferstandenen verpasst und nicht glauben will, wenn er es nicht selbst sieht (vgl. Joh 20,24–29), repräsentiert die Zweifel einer ganzen zu spät geborenen Generation: Wie die Lesenden des Johannesevangeliums ist auch Thomas für seinen Glauben auf den Bericht anderer angewiesen. Stellvertretend fordert er das Recht ein, sich selbst ein Bild von der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten zu machen. Er will nur glauben, was er sieht. Und wenn Jesus am Schluss sagt: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben«, so geht dieser Appell an Thomas und an die johanneische Gemeinde insgesamt. Das Johannesevangelium erzählt, dass Jesus die Wirklichkeit seiner Auferstehung durch das Vorzeigen seiner Wundmale demonstriert. Als Thomas davon hört, hat er den fast unverschämten Wunsch, sich selbst Gewissheit zu verschaffen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meine Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben. (Joh 20,25)
Dahinter steckt sein Wunsch sicherzugehen, dass der Auferstandene immer noch Jesus selbst ist. Und: Thomas will kein Hörer zweiter Reihe sein – und Jesus erfüllt ihm diese Bitte. Als Thomas anwesend ist, tritt er erneut in die Mitte der Jüngerschar. Jesus weiß, worauf Thomas hofft, und fordert ihn direkt auf, ihn zu berühren. Überraschenderweise tut Thomas das, was er so nachdrücklich verlangt hatte, nun aber gar nicht, sondern seine Reaktion ist sofort die des gläubigen Bekenners: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28).
Thomas. Der Ungläubige
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»Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« (Joh 20,29). In diesem Satz Jesu gipfelt die Erzählung vom ungläubigen Thomas. Thomas muss Jesus zwar nicht anfassen, um an ihn zu glauben, doch er will ihn zumindest sehen. Wenn Jesus dann aber die Nichtsehenden seligspricht, so führt dieser Satz über die Begegnung mit Thomas hinaus. Dieser glaubt, weil er gesehen hat – doch die LeserinRandbemerkung nen des Johannesevangeliums haben Das Bekenntnis zu Jesu Göttlichkeit dürfte die ersten Christusgläubigen eine gewisse Überwindung diese Möglichkeit nicht. Sie müssen glaugekostet haben. Ihrer jüdischen Herkunft nach blieb ben, ohne zu sehen. Sie sind, wie Thomas der Glaubenssatz zentral, dass Israels Gott »einer zunächst auch, auf die Zeugnisse anderer und einzig« ist. So sagt es das jüdische Bekenntangewiesen. nis des Sch’ma Jisrael* (vgl. Dtn 6,4–5). Christus* als Gott anzurufen, muss also eine Zumutung Die Leser bekommen in Thomas den gewesen sein – und vielleicht ein erster Schritt personifizierten Zweifler als Identifikaauf dem Weg zur Trinitätslehre*, wie sie sich in tionsfigur angeboten. An seinem Beiden folgenden Jahrhunderten entwickeln sollte: spiel werden gleich zwei Probleme verGott ist und bleibt einer, auch in seiner dreifachen Erscheinung als Vater, Sohn und Heiliger Geist. handelt, nämlich das der Identität von Auferwecktem und Gekreuzigtem ebenso wie die Frage, wie man an Jesus glauben kann, wenn man doch selbst kein Zeuge seiner Auferstehung ist. Thomas zeigt exemplarisch, wie man alle Glaubenszweifel überwindet: durch die Hinwendung zu Jesus selbst.
… zum Schluss Unter den zwölf Aposteln mag Thomas keine herausragende Rolle gespielt haben; die Tradition erkannte sie ihm dann aber doch zu. Bereits die Didaskalia, eine Apostellehre aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., bezeichnet Thomas als den Apostel Indiens. Die Legenden über seine dortige Mission wurden in der nachfolgenden Zeit immer weiter ausgebaut. Viele indische Christen nennen sich deshalb bis heute Thomaschristen und pflegen in ihren Gottesdiensten die syrische Liturgiesprache.
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Auch in die Kunstgeschichte hielt der ungläubige Thomas Einzug. Nicht nur diese biblische Erzählung wurde dabei dargestellt, sondern besonders im Barock erfreute sich das Motiv der sogenannten Gürtelspende großer Beliebtheit. Die Tradition überliefert nämlich, dass Thomas nicht nur die Erscheinung Jesu, sondern auch die Auffahrt Mariens in den Himmel verpasst habe. Deshalb erschien auch sie ihm erneut und überreichte ihm ihren Gürtel als Beweis für die Leiblichkeit ihrer Himmelfahrt. Und schließlich gibt es in Deutschland seit einigen Jahrzehnten das Format der »Thomasmesse – für Zweifler und andere gute Christen«. Die Orientierung an Thomas, dem paradigmatischen Zweifler, soll deutlich machen, dass die christliche Kirche gerade für die Menschen offen ist, die immer wieder nach Vergewisserung suchen. Überhaupt lässt sich ja fragen, ob Glaubensgewissheit ohne den Zweifel zu haben ist. Gehört nicht der persönliche – wie übrigens auch der philosophische – Zweifel wie selbstverständlich zur christlichen Existenz dazu?
Die Jünger und der Geist von Pfingsten Geburtstag der Kirche
50 Tage 169 Die Zukunft wird Gegenwart 170 Sprachverwirrung geheilt 171 … zum Schluss 172
50 Tage Jesu Jünger sind zusammen, aber ängstlich; als Gemeinschaft versammelt, aber doch ihres (geistlichen) Anführers beraubt. So schildern die Evangelisten die Stimmung nach Jesu Tod und trotz der Erscheinungen des Auferstandenen (vgl. Lk 24,36; Joh 20,19). 50 Tage nach Ostern scheint sich daran noch nichts geändert haben; doch dann findet das Ereignis statt, das die christliche Tradition als Pfingstwunder kennt (Apg 2,1–13) – Geistbegabung, Sprachverwirrung und Massentaufe inklusive. Erstaunlich, dass dieses außergewöhnliche Event unter dem blassen Namen »Pfingsten« in die Geschichte einging, was bloß ein Anklang an die griechische Zahl 50, »Pentecoste«, ist. Der Bericht in der Apostelgeschichte beginnt recht lapidar: Die Jünger und Jüngerinnen sind versammelt. Leider bleibt vieles offen: Wer ist denn hier versammelt? Der Zwölferkreis oder die 120 Jünger aus Apg 1,15? Unklar ist auch: Warum? Die Begegnungen mit dem Auferstandenen, von denen Lukas berichtet hatte (vgl. Lk 24,13 ff.), scheinen nicht nachhaltig gewirkt zu haben. Die Jüngerschar sitzt einfach beieinander – doch wozu? Vielleicht war der Anlass zu dieser Versammlung das jüdische Wochenfest, das man 50 Tage nach dem Passa* feierte (vgl. Lev 23,15–16; Dtn 16,9–10); ursprünglich ein Erntedankfest, doch zur Zeit Jesu bereits die Feier der Erinnerung des Bundesschlusses durch Mose am Sinai (Ex 24,1–18). Das religiöse Zentrum des Judentums zur Zeit Jesu war der Jerusalemer Tempel*. Gebaut nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil* und unter Herodes dem Großen jahrzehnte-
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lang umgebaut, stand er im Mittelpunkt des jüdischen Kultes. Hier fanden die täglichen Opfer statt und er war das Ziel der großen Pilgerfeste, die den jüdischen Festkalender bestimmten – und die viele Menschen nach Jerusalem lockten. Historisch* ist denkbar, dass die Jünger zum Wochenfest nach Jerusalem zurückgekehrt waren. Das würde auch die merkwürdige Diskrepanz auflösen, dass zwar Erscheinungen Jesu in Galiläa* lokalisiert werden (vgl. Mk 16,7; Mt 28,7.10.16; Joh 21), sich aber später die Jünger offensichtlich in Jerusalem aufhalten (vgl. Lk 24,13–53; Joh 20,19 ff.). Mit beiden Orten könnten sich also historische* Erinnerungen an nachösterliche* Geschehnisse verbinden.
Die Zukunft wird Gegenwart Auf einmal geschieht ein Wunder. Bloß ist nicht ganz klar, was da eigentlich passiert: Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist. (Apg 2,2–4)
Lukas beschreibt zunächst die Begleiterscheinungen: ein stürmisches Brausen im Haus und Feuerzungen. Solche Schilderungen waren den Menschen zu seiner Zeit vertraut: Die Geschichten des Alten Testaments, Grundlage ihres Glaubens, waren voll davon – und immer war es das Erscheinen Gottes selbst, das sich durch ein besonderes Wetterphänomen ankündigte (vgl. 1Kön 19; Ex 13,21–22). Lukas zeigt so: Hier tritt Gott selbst auf – er bringt sich zu Gehör und lässt sich sehen. Um davon überhaupt erzählen zu können, wählt Lukas Worte, in denen eine der großen Verheißungen alttestamentlicher Prophetie aufscheint. So hatte nämlich der Prophet* Joel vorausgesehen, dass es in der Endzeit zu einer allgemeinen Offenbarung des göttlichen Geistes kommen werde, die das ganze Volk umgreifen solle: [Gott spricht:] Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen! (Joel 3,1)
Die Jünger und der Geist von Pfingsten. Geburtstag der Kirche
Genau diesen Geist hatte Jesus selbst noch am Tag seiner Auferstehung seinen Jüngerinnen und Jüngern verheißen (vgl. Lk 24,36–49) – und nun erfüllt sich, was vorhergesagt war. Lukas malt diese Ausgießung als Feuererscheinung. An Gottes Geist erhält nun jede und jeder Einzelne der Anwesenden Anteil – Lukas stellt das sehr eindrücklich im Bild zerteilter Feuerzungen dar. Diese Begeisterung hat auch sofort Folgen: Luther übersetzt, dass die Jünger »predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab« (Apg 2,4) – doch das griechische Verb bringt es auf den Punkt: Sie lallen Unverständliches.
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Randbemerkung Neben Geistverheißung und Geistausgießung verbindet noch eine zweite Klammer Evangelium und Apostelgeschichte; das ist die Himmelfahrt Jesu, die im Evangelium noch am Ostersonntag selbst (vgl. Lk 24,50–53), in der Apostelgeschichte jedoch erst 40 Tage später stattfindet (vgl. Apg 1,3–12). Die Zeitangabe von 40 Tagen oder 40 Jahren – man denke an die Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten – beschreibt in der Bibel weniger einen genauen Zeitraum als vielmehr eine göttlich ausgezeichnete Zeit: 40 Tage fastet Jesus der Überlieferung nach in der Wüste, um sich auf sein eigenes Wirken vorzubereiten (vgl. Mt 4,1–11), und 40 Tage lang rüstet er seine Jünger nach seiner Auferstehung zu, damit sie seine Botschaft weitergeben. Und obwohl sich diese Überlieferung nur bei Lukas findet, hat sie sich bis heute im christlichen Festkalender niedergeschlagen, der die Himmelfahrt Jesu genau 40 Tage nach Ostern datiert.
Sprachverwirrung geheilt Wie bei einem Kameraschwenk nimmt die Erzählung nun die gesamte versammelte Menschenmenge in den Blick: Es sind Menschen aus vielen Ländern in Jerusalem zusammengekommen, Jüdinnen und Juden aus der Diaspora*, deren Familien es durch Handelsbeziehungen, durch erzwungene Umsiedlung oder durch den Militärdienst in andere Länder verschlagen hatte und die von dort die Kenntnis anderer Sprachen mitbrachten. Sie kamen – auch das lässt sich als Auslegung der Vision des Propheten* Joel verstehen (vgl. Joel 4,1–2) – »aus allen Völkern unter dem Himmel«. Dies mag zwar objektiv betrachtet übertrieben sein, ist für Lukas aber der Aufhänger für das folgende Sprachwunder. Denn nun findet innerhalb der Geschichte eine Akzentverschiebung statt: Die Jünger reden nicht (mehr) in unverständlichen Sprachfetzen, sondern in verschiedenen tatsächlich existierenden Sprachen – und das offensichtlich gleichzeitig. Sonst ließe sich die Bemerkung nicht erklären, dass die Anwesenden, obwohl ganz unterschiedlicher Herkunft, plötzlich ihre eigenen Sprachen hören – und das müssen viele sein, wenn man der anschließenden Aufzählung ihrer Heimatorte Glauben schenkt. Auf einmal scheint also die Verständigung möglich, der Gott nach dem Turmbau zu Babel eigentlich ein Ende gesetzt hatte (vgl. Gen 11,1–9). Die babylonische Sprachverwirrung wird vorübergehend ausgesetzt; eine Anspielung, die Lukas vermutlich ganz bewusst platziert.
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Das ruft Überraschung hervor. Immerhin stammen alle, die da sprechen, aus Galiläa*: Woher können sie so viele verschiedene Sprachen? Dass diese Frage einen abschätzigen Unterton hat – gerade Menschen aus Galiläa* galten der städtischen Bevölkerung als ungehobelt und wenig gebildet –, war den antiken Lesenden vermutlich bewusst. Da geschieht ein Wunder vor den Augen von Hunderten, ja Tausenden, doch diese reagieren nicht mit Begeisterung, sondern mit Verwunderung oder gar mit Spott über die Trunkenheit der Jünger. Dieser Spott trifft aber tatsächlich nicht – plötzlich in einer fremden Sprache reden zu können, wird nun kaum das Ergebnis von übermäßigem Alkoholkonsum sein. Der Hohn passt also vielmehr zu der wirren und lallenden Zungenrede, in die die Jünger zuerst verfallen waren. Dies legt nahe, dass Lukas zwei verschiedene Versionen von dem, was am Pfingstsonntag Randbemerkung passierte, miteinander verbindet: einmal Die Vorstellung, dass sich die Begabung durch den unverständliches Gestammel, einmal ein Geist Gottes in unverständlichen Wortfetzen und Gestammel niederschlägt, nennt man Zungenrede Sprachenwunder. oder auch Glossolalie. Das Neue Testament berichtet Was auch immer geschehen ist, die mehrfach davon, dass der Besitz des Geistes dazu Geistbegabung verschafft Aufmerksamführe, dass man in unbekannten Sprachen spreche keit. Und so nutzt Petrus diese Chance (vgl. Apg 10,44–48; 19,6; Mk 16,17; 1Kor 12,10). und hält, so überliefert es Lukas, seine erste Missionspredigt. Mag die Apostelgeschichte auch übertreiben, wenn sie davon spricht, dass 3000 Menschen getauft wurden (vgl. Apg 1,41), so ist doch unbestreitbar, dass dieser Tag im Rückblick zur Geburtsstunde der christlichen Kirche wurde.
… zum Schluss Mit der Pfingstgeschichte erfüllt sich die Verheißung des Propheten* Joel über die endzeitliche Geistausgießung (vgl. Lk 24,49; Apg 1,4–5.8; 2,16). Wenn man die Gründung der Kirche mit einem solchen Bild beschreibt, dann wird damit nicht nur das Versprechen Jesu eingelöst, seinen Geist zu senden, sondern es wird der Beginn eines neuen Zeitalters eingeläutet: die Endzeit, von der Joel sprach. Mit dem Pfingstfest damals in Jerusalem hat das Ende der Welt seinen Anfang genommen. In dieser Spannung lebt die christliche Gemeinde seit 2000 Jahren. Denn Gottes Verheißung, dass er seine endgültige Herrschaft aufrichten werde, wartet bis heute auf ihre Vollendung. Die Kirche Jesu Christi bewahrt dieses Feuer der Pfingst-Erinnerung und trägt es weiter.
Jakobus Herrenbruder und Säule der Urgemeinde
Schwierige Familienverhältnisse 173 Mann des Ausgleichs 174 Das Ende des Jakobus 175 Eine »stroherne Epistel« im Neuen Testament? 175 … zum Schluss 176
Schwierige Familienverhältnisse [Jesus] ging von dort weg und kam in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgten ihm nach. Und als der Sabbat kam, fing er an zu lehren in der Synagoge. Und viele, die zuhörten, verwunderten sich und sprachen: Woher hat er dies? Und was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und solche Taten geschehen durch seine Hände? Ist der nicht der Zimmermann, Marias Sohn und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm. Jesus aber sprach zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und bei seinen Verwandten und in seinem Hause. (Mk 6,1–4)
Davon, dass Jesus Brüder und Schwestern hatte, spricht diese Bemerkung so selbstverständlich, dass ihr historisch* unbedingt zu trauen ist: Jesus hatte vier (jüngere) Brüder, deren Vornamen allesamt auf Gestalten aus der Geschichte Israels verweisen: auf den Stammvater Jakob und dessen Söhne Josef, Juda und Simeon. Auch mindestens zwei Schwestern hatte Jesus, doch sind ihre Namen nicht überliefert. Zu trauen ist dieser Notiz aus Mk 6 allerdings auch darin, dass die Beziehung Jesu zu seiner Herkunftsfamilie schwierig war – das ist noch vorsichtig ausgedrückt und das hätte man sich im Nachgang wohl kaum ausdenken können. Vermutlich konnte Jesu Familie mit seinem charismatischen Wirken nichts anfangen, sodass man wechselseitig auf Distanz ging. Wenn Jesus sagt: »Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter« (Mk 3,35), so zeigt das, dass auch Jesus selbst sich von seiner Familie distanziert und in seiner Jüngerschaft seine neue Familie findet.
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Mann des Ausgleichs Angesichts dieser knappen Notizen aus dem Leben Jesu überrascht es, dass Jesu Mutter und seine Brüder laut der Apostelgeschichte trotzdem von den ersten Anfängen an zur Urgemeinde* gehörten und dass Jakobus dort offensichtlich relativ schnell in eine leitende Position aufstieg. Als nach dem Tod des Zebedaiden Jakobus (vgl. Apg 12,2) Petrus erst gefangen genommen wurde und dann nach seiner wundersamen Errettung Jerusalem verließ, schien die Stunde des Herrenbruders gekommen zu sein, Die ApostelgeRandbemerkung schichte berichtet ganz selbstverständPaulus zitiert eine alte Formel, die auch eine Erscheinung des Auferstandenen vor Jakobus erwähnt lich von seiner hervorgehobenen Rolle: (vgl. 1Kor 15,3–8). Paulus selbst hat den Herrenbruder bei seinem ersten und bei seinem letzten Besuch in Jerusalem getroffen (vgl. Gal 1,18–19; Apg 21,18) und er weiß auch, dass gleich mehrere Brüder Jesu – zusammen mit ihren Ehefrauen – missionarisch tätig gewesen seien und die Botschaft Jesu weitergetragen hätten (vgl. 1Kor 9,5).
Petrus erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis geführt hatte, und sprach: Verkündet dies dem Jakobus und den Brüdern. Dann ging er hinaus und zog an einen andern Ort. (Apg 12,17)
Die Apostelgeschichte zeichnet ein detailliertes, wenn auch sicher gelegentlich stilisiertes Bild der ersten Jahrzehnte nach Jesu Tod. Ihr verdankt die moderne Wissenschaft auch alle Kenntnisse über die Rolle des Jakobus. Nicht nur im Judentum insgesamt, auch in der kleinen christlichen Gemeinschaft brodelte es in dieser Zeit. Immer mehr Menschen nichtjüdischen Glaubens schlossen sich dem neuen »Weg« an, wie die christliche Bewegung zunächst genannt wurde (vgl. Apg 9,1). Waren sie bisher eher Gäste gewesen, so brauchte es nun eine gemeinsame Identität für diese neue Gemeinschaft aus jüdischen und nichtjüdischen Menschen. Lukas erzählt vom sogenannten Apostelkonzil*, bei dem genau das Gegenstand der Beratungen gewesen sei (vgl. S. 26 f.): Wie können Menschen jüdischen und heidnischen Glaubens gemeinsam ihren Glauben an Christus leben? Er verbindet seine Lösung dieses Konflikts mit dem Namen des Jakobus. Am Ende des Konzils* steht das Aposteldekret oder die sogenannte Jakobusklausel, die regelt, wie das Miteinander von Christen aus Judentum und Heidentum* in »gemischten« Gemeinden ablaufen kann: Es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch weiter keine Last aufzuerlegen als nur diese notwendigen Dinge: dass ihr euch enthaltet vom Götzenopferfleisch und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht. Wenn ihr euch davor bewahrt, tut ihr recht. Lebt wohl! (Apg 15,28–29)
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Jakobus. Herrenbruder und Säule der Urgemeinde
So schildert Lukas Jakobus als Mann des Ausgleichs, der dafür plädiert, auch die zum Christusglauben übergetretenen Menschen heidnischen* Glaubens in die Verheißungsgeschichte Israels einzuzeichnen. Jakobus war offensichtlich derjenige, der in der frühen Christenheit die Erinnerung daran wachhielt, dass Jesus aus dem jüdischen Volk stammte – dazu war er als Bruder des Messias* ja auch geradezu prädestiniert. Als Gemeindeleiter der Jerusalemer Urgemeinde* musste er Vermittler sein, der zwar an der Gültigkeit der Hoffnung für die Heiden* festhielt, aber gleichzeitig die jüdische Identität der Christusgläubigen zu wahren suchte.
Randbemerkung Als Jakobus, vermutlich Mitte der 40er-Jahre, eine wichtige Funktion in der Urgemeinde* übernahm, geschah dies in einer krisenhaften Zeit, nicht nur geprägt von politischen Unruhen, sondern auch von religiösen Wirbelstürmen. So kam es in Alexandria zu einem Massaker an der jüdischen Bevölkerung, das Auswirkungen auch auf die jüdische Gemeinde in Judäa hatte. Weil Juden in Jamnia einen Kaiseraltar zerstörten, befahl der römische Kaiser Caligula, sein eigenes Standbild im Jerusalemer Tempel* aufzustellen. Das wiederum löste neue Unruhen aus, die auch nach Caligulas Tod im Jahr 41 n. Chr. in Palästina weiter schwelten und 20 Jahre später schließlich zum Ersten Jüdischen Krieg führen sollten.
Das Ende des Jakobus Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet, dass Jakobus im Jahr 62 n. Chr. auf Veranlassung des amtierenden Hohepriesters* gesteinigt worden sei. Auch christliche Texte haben die Erinnerung daran bewahrt, dass Jakobus das Martyrium* erlitten habe; allerdings erzählt der antike Kirchenhistoriker Hegesipp im 2. Jahrhundert n. Chr. davon, dass er von der Zinne des Tempels* gestürzt worden sei, von der herab er zum Volk gepredigt habe, um anschließend – auch als Sterbender ununterbrochen Fürbitte haltend – mit einem Holzscheit erschlagen zu werden. Hier ist das Interesse an einer Heiligenverehrung unverkennbar.
Eine »stroherne Epistel« im Neuen Testament? Sieben sogenannte katholische Briefe sind im Neuen Testament überliefert (vgl. S. 18), darunter ein Brief, der von Jakobus verfasst sein soll; doch geht die Mehrzahl der Forschenden heute davon aus, dass es sich dabei um eine »geliehene« Verfasserangabe handelt, mit der ein Späterer sagt, was er selbst den Menschen seiner Zeit sagen möchte. Der Jakobusbrief richtet sich »an die zwölf Stämme in der Zerstreuung« (Jak 1,1); dies steht als Chiffre für die christlichen Gemeinden außerhalb Israels. Wie in
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
anderen neutestamentlichen Briefen geht es um ethische Fragen und konkrete Missstände im zwilogischen Fundes in die Schlagzeilen. Im schenmenschlichen Miteinander. Prominent geAntikenhandel tauchte nämlich ein Ossuar worden ist die Aufforderung: »Seid aber Täter des auf, das die aramäische Inschrift »Jakob, Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr Sohn des Josef, sein Bruder, von Jesus« trug. Ossuarien sind kleine Kästen aus euch selbst« (Jak 1,22). Offensichtlich muss sich der Stein, die in der Bestattungskultur ab dem Verfasser mit einem Missverständnis paulinischer 1. Jahrhundert n. Chr. eine wichtige Rolle Rechtfertigungslehre auseinandersetzen. Anscheispielten. Sie dienten der Zweitbestattung nend kannte er Menschen, die einen Gegensatz von der Knochen nach der Verwesung des Glauben und Werken konstruierten – so als müsse Fleisches. Dass auch Jakobus nach seinem Tod irgendwann in ein solches Ossuar man nicht moralisch gut handeln, wenn man nur umgebettet wurde, ist deshalb durchaus glaube – und sich dafür (zu Unrecht!) auf Paulus bevorstellbar. Sollte hier also tatsächlich riefen. Heute weiß man: Dieser Brief verrät weder eine Spur zum Herrenbruder vorliegen? etwas über den historischen* Herrenbruder JakoAllerdings muss offenbleiben, wann diese Spur gelegt wurde, denn eine Datierung bus noch über den Theologen Paulus, sondern nur des Reliktes ist nicht möglich, eine Fälüber Menschen, die sich in deren Tradition stellschung also nicht auszuschließen. Doch ten – und das manchmal fälschlicherweise. selbst wenn das Ossuar samt Inschrift Den schlechten Ruf als »stroherne Epistel«, antik ist, verrät es nichts, was die kundige Bibelleserin nicht schon wusste: Jesus den Martin Luther diesem Brief verpasst hat, führt hatte einen Bruder namens Jakobus. er jedoch zu Unrecht. Luther erzürnte, dass er in diesem Text die paulinische Rechtfertigungslehre nicht wiederfand. Vielleicht ist es aber ganz gut, dass der Jakobusbrief Menschen bis heute daran erinnert, dass sich Glaubensgewissheit auch in der Lebensführung abbilden muss. Zumindest Paulus hätte da auch gar nicht widersprochen. Randbemerkung
2002 geriet Jakobus aufgrund eines archäo-
… zum Schluss Wie so oft schließt die Tradition die Lücken, die die biblischen Texte gelassen haben. Das gilt nicht nur bezüglich der farbigen Berichte vom Ende des Jakobus, sondern auch hinsichtlich seines Wirkens. So erscheint er als erster Bischof von Jerusalem und als Verfasser von Gottesdienstordnungen. Bereits im Thomasevangelium, einer frühchristlichen Schrift mit gnostischen* Anklängen, erhält Jakobus den Beinamen »der Gerechte«. Eine verdiente Auszeichnung für einen Menschen, über den man heute zwar nicht mehr viel Gesichertes sagen kann, von dem die neutestamentlichen Schriften aber doch das Bild von jemandem malen, der es sich zur (Lebens-)Aufgabe gemacht hat, die Gemeinschaft derer zusammenzuhalten, die an seinen gekreuzigten und auferweckten Bruder glaubten.
Stephanus Der erste christliche Märtyrer
Traurige Berühmtheit 177 Witwen und Diakone 177 Das Martyrium 178 … zum Schluss 179
Traurige Berühmtheit Der Diakon Stephanus hat traurige Berühmtheit erlangt: Er ist der Erste, der für seinen Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth sterben musste. Doch die Apostelgeschichte weiß noch mehr von ihm zu berichten als nur seinen Tod: Stephanus gehörte zur Jerusalemer Urgemeinde*, einer Gemeinde, in der sich ausschließlich Menschen jüdischen Glaubens versammelten, die sich zu Jesus als Messias* bekannten. Allerdings war diese Gemeinde nicht so homogen, wie es sich mit dem Abstand der Jahrhunderte vielleicht darstellt: Denn da waren zum einen diejenigen, die aramäisch* sprachen, aus den ländlichen Regionen Israels stammten, tempeltreu und, in moderner Begrifflichkeit ausgedrückt, eher konservativ waren. Zum anderen gab es die, die griechisch sprachen, aus den städtischen Regionen oder aus der Diaspora* stammten und insgesamt stärker von der hellenistischen* Kultur beeinflusst waren. Sie standen dem Jerusalemer Tempelkult* mindestens geografisch und wohl auch emotional eher fern. Die Wissenschaft hat sich angewöhnt, hier von Hebräern und Hellenisten zu sprechen; eine Begrifflichkeit, die allerdings eine Eindeutigkeit suggeriert, die so trennscharf nicht gewesen sein dürfte.
Witwen und Diakone In der Urgemeinde* schwelte zwischen diesen beiden Gruppierungen offensichtlich ein Dauerkonflikt, der ein Klima gegenseitigen Misstrauens schuf. Ein offener Streit wurde daraus, als es um die Frage der Versorgung der Bedürftigen der
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Gemeinde ging. Die Hellenisten klagten darüber, dass ihre Witwen bei der Armenspeisung oft übersehen würden und nicht genug zu essen bekämen (vgl. Apg 6,1). Deshalb wählte man sieben Männer aus den eigenen Reihen, die zukünftig die gerechte Verteilung überwachen sollten. Später bürgerte sich für sie der Begriff »Diakone« (griechisch: diakonia = Dienst) ein. Unter diesen war auch ein Mann namens Stephanus (Apg 6,5). Seine kritische Haltung gegenüber dem Tempel* sollte der Auslöser für einen Prozess gegen ihn sein, der schließlich tödlich endete. Der Vorwurf aus den jüdischen Reihen lautete: Dieser Mensch hört nicht auf, zu reden gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. Denn wir haben ihn sagen hören: Dieser Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und die Ordnungen ändern, die uns Mose gegeben hat. (Apg 6,13–14)
Das Martyrium Lukas sagt ausdrücklich, dass die Aussagen gegen Stephanus von falschen Zeugen gemacht worden seien – ihm ist es wichtig, keinen Schatten auf dessen Bild oder das der Gemeinde fallen zu lassen. Tatsächlich könnte der Anlass für den Prozess wohl auch Neid gewesen sein: Stephanus wird als geistbegabter Mann und Wundertäter geschildert; hingerichtet wird er jedoch deshalb, weil er behauptet haben soll, Jesus wolle den Tempel* zerstören und die Ordnungen des Mose ändern. Deshalb gerät die versammelte jüdische Menge so in Aufruhr, dass an einen ordentlichen Prozess nicht mehr zu denken ist. Stephanus wird gesteinigt – ohne vorausgehendes Gerichtsurteil. Bevor Stephanus stirbt, wird in die Erzählung eine lange Rede eingeschoben, übrigens die längste in der Apostelgeschichte. Besonders auffällig ist ihre Kontext losigkeit: Diese Rede hätte überall gehalten werden können; mit nichts wird ein Bezug zum Schicksal des Stephanus hergestellt. Ausführlich wird die Geschichte Israels von Abraham bis Salomo erzählt und Stephanus kann es nicht lassen, den Vorwurf zu äußern, dass schon das Volk Israel die wahren Propheten* seines Gottes nicht erkannt habe. Das führt zu weiteren Zorneswallungen der Anwesenden und als dann Stephanus noch wagt, die geistgewirkte Vision auszusprechen, die ihm zuteilwird, ist es endgültig um ihn geschehen:
Stephanus. Der erste christliche Märtyrer
Er aber, voll Heiligen Geistes, sah auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. (Apg 7,55–56)
Stephanus wird hingerichtet. Und noch im Sterben bittet er für sich und für seine Mörder – und wird so zum Glaubensvorbild. Interessanter ist aber der Eindruck, den sein Sterben auf einen jungen Mann namens Saulus macht (vgl. Apg 8,1). Dieser Saulus, der später Paulus genannt werden soll, sieht der Steinigung zu und bewacht die Kleider von dessen Peinigern. Er wird durch dieses Erlebnis zum eifrigen Christenverfolger. Die Apostelgeschichte schildert das Martyrium* des Stephanus als Auftakt zu einer umfassenden Verfolgung der christlichen Gemeinde in Jerusalem. Ihr Ergebnis ist deren Zerstreuung – übrig blieben, so sagt es Lukas, nur die Apostel. Die Wissenschaft vermutet, dass die hellenistischen* Judenchristen aus Jerusalem vertrieben wurden, während die hebräischsprachigen zurückblieben. Dass damit vermutlich ein Ruck hin zu einer konservativeren Ausrichtung der Jerusalemer Urgemeinde* einherging, sollte noch eine wichtige Rolle in der urchristlichen Kirchengeschichte spielen.
… zum Schluss Die Geschichte des Stephanus ging nach seinem Lebensende weiter. Nicht nur wird ihm als erstem christlichen Märtyrer* in der Apostelgeschichte ein biblisches Denkmal gesetzt – nein, die Schilderung seines gewaltsamen Todes, inklusive einer langen Predigt des bereits Todgeweihten sowie einer ausführlichen Darstellung seines Heldentums, wurde später zur Vorlage für viele weitere altkirchliche Martyriumsschilderungen*. Stephanus ist eingetreten für seinen Glauben, für das, was ihm wichtig ist – und er hat dafür mit dem Leben bezahlt. Bis heute gibt es Menschen, die für ihren christlichen Glauben Verfolgung und Tod riskieren. Im griechischen Wort Martyrium* steckt die Bedeutung »ein Zeichen setzen« oder »Zeugnis ablegen«. Wie weit darf oder muss ein Mensch dabei gehen? Das ist ohne Zweifel immer eine individuelle Gewissensfrage. Für welche Wahrheit tritt jede und jeder Einzelne ein? Welchen Preis ist man bereit, dafür zu zahlen? Wichtig ist: Ein solches Martyrium* von Menschen zu fordern, ist dem christlichen Glauben fern. Dennoch kann mit Respekt derjenigen gedacht werden, die in ihrer Standhaftigkeit im Glauben ein solches Zeichen gesetzt haben.
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Paulus Unterwegs im Auftrag des Herrn
Der erste große Denker des Christentums 180 Wann war Paulus wo? Von absoluter und relativer Chronologie 181 Vom Saulus zum Paulus? 181 Unterwegs als Handlungsreisender Christi 182 Über das Judentum hinaus 183 Gelegenheitsschreiben oder Heilige Schrift? 184 Hausarrest in Rom 185 Wo Paulus draufsteht, ist auch Paulus drin!?! – Pseudepigrafie 186 … zum Schluss 187
Der erste große Denker des Christentums Ohne Paulus gäbe es das Christentum nicht. Mag Jesus auch der Stifter dieser neuen Religion gewesen sein, so war Paulus doch ihr erster Theologe. Er war es, der aus Jesu Reden und Wirken sowie aus der Erfahrung seiner Passion und Auferstehung die Lehren zog, die zu Grundlagen christlicher Dogmatik werden sollten. Die Inhalte seiner Briefe, die jeweils aus aktuellem Anlass geschrieben sind, bilden bis heute die Basis christlicher Theologie und sind zugleich eine wichtige Quelle für das Wissen über Paulus. Denn auch wenn er der bedeutendste Apostel des Christentums war, so finden sich in außerchristlichen antiken Quellen keine Zeugnisse über ihn. Gäbe es nicht das Neue Testament oder die darauf fußenden späteren Legenden über Paulus – heute wüsste niemand mehr, dass er gelebt hat. Die biblischen Zeugnisse über Paulus lassen sich unterteilen in Briefe – solche, die aus seiner Feder stammen, und solche, die von seinen Schülern verfasst wurden – sowie die Apostelgeschichte, die den Anschein erweckt, als habe ihr Autor Paulus persönlich auf seinen Reisen und bis nach Rom begleitet. Doch ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Verfasser der Apostelgeschichte, wie es die Tradition behauptet, tatsächlich der Reisebegleiter des Paulus war. Vermutlich hat Lukas später Informationen über Paulus zusammengetragen und so nur den Eindruck erweckt, als wäre er dabei gewesen (vgl. dazu S. 200).
Paulus. Unterwegs im Auftrag des Herrn
Wann war Paulus wo? Von absoluter und relativer Chronologie Was allerdings in allen Texten fehlt, sind genaue Zeitangaben: Wann genau Paulus wo war und wann er welchen Brief geschrieben hat, kann man nur durch den Vergleich von Angaben aus der Apostelgeschichte und den biografischen Notizen in den Briefen herausfinden. Doch ist diese Rekonstruktion ausgesprochen unsicher – zumal man auch nicht so genau weiß, ob die Apostelgeschichte historisch* korrekte Erinnerungen an die Reisen des Paulus bewahrt hat. Gelegentlich gibt es nämlich Widersprüche zwischen den Briefen des Paulus und dem Bericht des Lukas. Um das Wirken des Paulus zeitlich einordnen zu können, gibt es tatsächlich nur zwei Fixpunkte, die bei der Bestimmung dieser sogenannten absoluten Chronologie helfen. Das ist zum einen die Erwähnung von Priska und Aquila, beide erst »kürzlich« aus Rom nach Korinth gekommen (vgl. Apg 18,2). Hinter dieser knappen Notiz steckt eine Erinnerung an ein Ereignis, das sich datieren lässt: Der Schriftsteller Sueton berichtet, der Kaiser habe die Juden aus Rom vertreiben lassen, weil sie »von einem Chrestos angestiftet, fortwährend Unruhe stifteten«. Dass Klaudius offensichtlich Juden und Christen noch nicht auseinanderhalten konnte und den Titel Christus* zudem mit dem Sklavennamen Chrestos verwechselte, sei hier nur am Rande erwähnt. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang, dass man dieses Edikt auf das Jahr 49 n. Chr. datieren kann; Paulus kam also vermutlich wenig später nach Korinth. Dies passt zu einer zweiten Notiz in Apg 18,12–18, die den römischen Statthalter Gallio erwähnt – und dass dieser circa 50–52 n. Chr. in Korinth im Amt war, geht aus einer in Delphi gefundenen Inschrift hervor. Paulus war also Anfang der 50er-Jahre in Korinth. Davon ausgehend lässt sich eine sogenannte relative Chronologie des paulinischen Wirkens rekonstruieren, indem man die Angaben über Aufenthalte des Paulus auswertet und mit seinen vermuteten Reisezeiten in Beziehung setzt. Man datiert seine Berufung auf den Zeitraum 33–35 n. Chr. und das Apostelkonzil* auf das Jahr 49 n. Chr.
Vom Saulus zum Paulus? Paulus, dessen hebräischer Name Scha’ul (latinisiert Saulus) ist, wurde in der kleinasiatischen* Hafenstadt Tarsus geboren (vgl. Apg 22,3), vermutlich um die Zeitenwende. Er war Pharisäer und gehörte zum Stamm Benjamin (vgl. Phil 3,5). Als gebildeter Jude seiner Zeit sprach er selbstverständlich Griechisch und besaß seit seiner Geburt das römische Bürgerrecht (vgl. Apg 16,37; 22,28). Vermutlich hatte sein Vater sich dieses Privileg mit Geld erkauft, was für einen gewissen Reichtum der Her-
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
kunftsfamilie von Paulus spricht. Paulus selbst wuchs als Schüler des berühmten Rabbi Gamaliel I. in Jerusalem (vgl. Apg 22,3) auf und erhielt dort seine Ausbildung in den hebräischen heiligen Schriften. In Jerusalem wurde er zudem Zeuge der Steinigung des Stephanus (Apg 7,54–8,1); dem biblischen Zeugnis nach der Auslöser für ihn, selbst zum Verfolger der christlichen Gemeinde zu werden (vgl. Apg 8,1): Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, dass er Anhänger dieses Weges, Männer und Frauen, wenn er sie fände, gefesselt nach Jerusalem führe. (Apg 9,1–2)
Das änderte sich erst mit dem sogenannten Damaskuserlebnis, bei dem der Auferstandene Paulus erschien (vgl. Apg 9,1–19). Die christliche Überlieferung spricht dabei gerne von der »Bekehrung« des Paulus und verknüpft sie mit dem sprichwörtlich gewordenen Namenswechsel »vom Saulus zum Paulus«. Beides ist falsch. Für Paulus selbst bedeutete der Glaube an Jesus Christus* keine Abkehr vom Judentum, sondern vielmehr die Erfüllung aller alttestamentlichen Verheißungen. Deshalb sollte man eher von einer Berufung als von einer Bekehrung sprechen. Von diesem Moment an fühlte Paulus sich nämlich gerufen, als Prediger der Liebe Gottes unterwegs zu sein: Als es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, damit ich ihn durchs Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden … (Gal 1,15–16)
Paulus ließ sich taufen (vgl. Apg 9,18) und wurde Mitglied der christlichen Gemeinschaft. Auch der Namenswechsel ist übrigens nicht mit dem Damaskuserlebnis verknüpft, sondern mit dem Eintritt des Wandermissionars in den hellenistischen* Kulturraum. Vermutlich wurde der für Nichthebräer schwierige Name Scha’ul durch das leichter von den Lippen gehende Wort Paulus ersetzt. So wurde er zum »Saulus, der aber auch Paulus heißt« (Apg 13,9).
Unterwegs als Handlungsreisender Christi Seit seiner Berufungserfahrung vor Damaskus war Paulus als Missionar ebenso unermüdlich, wie er es vorher als Verfolger gewesen war. Er unternahm mehrere große Reisen im kleinasiatischen* Raum und bis nach Europa hinein. Mit ihm unterwegs waren wechselnde Begleiter, zunächst Barnabas, später auch Silas, Timotheus und Titus. Lukas beschreibt in der Apostelgeschichte die Er-
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eignisse während dieser Reisen sehr genau. Allerdings setzt Paulus in seinen Briefen manchmal deutlich andere Akzente als Lukas, und wer Recht hat, kann man heute nicht mehr so genau sagen: Möchte Paulus vielleicht bestimmte Dinge und Ereignisse nicht erwähnen, weil sie ein negatives Bild auf ihn werfen? Oder hat Lukas das Interesse, Konflikte innerhalb der ersten christlichen Generation unter den Tisch zu kehren? Das muss letztlich offenbleiben. Allerdings trifft der Begriff »Reise« das Wirken des Paulus nicht wirklich. Denn zwei der drei großen Reisen sind geprägt durch mehrmonatige, manchmal jahrelange Aufenthalte in Ephesus beziehungsweise Korinth (vgl. Apg 18,1–17; 19,1–20). Anders als andere Apostel (vgl. die Notiz in 1Kor 9,5) reiste Paulus ohne Begleitung durch eine Ehefrau. Die Wissenschaft hat deshalb diskutiert, ob er überhaupt verheiratet war. Dass er der Ehe – wohl auch aufgrund seiner radikalen Naherwartung – wenig Bedeutung zuerkannte, ist deutlich (vgl. 1Kor 7,1 ff.). Dass dahinter eine eigene Erfahrung als Ehemann steckt, wäre zumindest denkbar. Im Judentum galt die Ehe als gute Gabe Gottes; warum hätte Paulus sich ihr entziehen sollen? Wenn er deshalb schreibt, dass die Ledigen und Verwitweten wie er bleiben und sich an seiner Gabe der Ehelosigkeit ein Vorbild nehmen sollten (vgl. 1Kor 7,7–8), so könnte dies auch dahingehend gedeutet werden, dass Paulus verheiratet war und es nun nicht mehr ist.
Über das Judentum hinaus Wenn Paulus unterwegs war, dann lief dies, folgt man dem Bericht der Apostelgeschichte, in der Regel nach folgendem Schema ab: Er predigte, meist im Umfeld der jüdischen Synagogen*, manchmal aber auch auf öffentlichen Plätzen oder in Privathäusern. Im Anschluss an seine Missionspredigten taufte er häufig die Menschen, die sich entschlossen, zu Jesus zu gehören; darunter gelegentlich auch Gottesfürchtige*, die sich der jüdischen Gemeinde verbunden fühlten, ohne endgültig zu konvertieren*. Genau daraus erwuchs die erste große Zerreißprobe für die junge Religionsgemeinschaft: Müssen solche Nichtjuden erst noch zum Judentum übertreten, wenn sie Mitglied der christlichen Gemeinde werden wollen? Anders gefragt: Müssen sie sich beschneiden lassen und die jüdischen Gebote halten?
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Paulus war es, der beim sogenannten Apostelkonzil* in der Debatte mit den anderen Aposteln schließlich durchsetzte: Wenn sich ehemalige gottesfürchtige* Heiden* oder Heidinnen* entscheiden, Christen oder Christinnen zu werden, dann müssen sie nicht mehr zum Judentum konvertieren* (vgl. S. 26 f.). Dass durch solche Öffnungen die christliche Mission unter Menschen möglich wurde, die nicht schon dem jüdischen Glauben angehörten, ist eine Entwicklung, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Gelegenheitsschreiben oder Heilige Schrift? Die Missionserfolge, die Paulus laut der Apostelgeschichte hatte, gaben ihm Recht: An immer neuen Orten predigte und taufte er und gründete so neue Gemeinden. Meist blieb Paulus nur wenige Wochen an einem Ort – gerade so lange, bis er glaubte, dass die Gemeinde theologisch und organisatorisch auf eigenen Beinen stehen konnte. Man stelle sich das heute vor: eine Kirchengemeinde, die erst wenige Monate existiert und dann ohne hauptamtlichen Geistlichen auskommen muss! Kein Wunder, dass das auch zu Paulus’ Zeiten nicht immer so gut klappte, wie der Apostel sich das erhofft hatte: In vielen seiner Gemeinden kamen Fragen auf, die die Christinnen und Christen nicht ohne seinen Rat klären konnten. Was blieb ihnen also anderes übrig, als einen Boten hinter Paulus herzuschicken, der ihm schriftlich oder mündlich diese Fragen ausrichtete, und dann auf dessen Antwort zu warten? Manchmal war es aber auch so, dass Paulus unterwegs mehr zufällig davon erfuhr, wenn es in einzelnen Gemeinden drunter und drüber ging – und dann zur Feder griff und den Menschen an diesem Ort eine geharnischte Nachricht schrieb. Dass so viele Texte von Paulus überliefert sind, verdankt sich dieser Praxis: Seine Briefe sind nichts anderes als seine Bemerkungen zu den Problemen, die in seinen Gemeinden aufgekommen sind. Es handelt sich um »Gelegenheitsschreiben«, das heißt um Texte, die aus einem konkreten Anlass in eine bestimmte Situation hinein zielen. Dass sie Jahrhunderte später Teil einer neuen Heiligen Schrift werden sollten, hätte Paulus sich im Leben nicht träumen lassen! Dank dieser Briefe bekommt man ein ziemlich konkretes Bild von den Themen, die die christlichen Gemeinden damals bewegt haben. Wie gut also, dass Paulus so viel Ärger hatte! Im 1. Thessalonicherbrief zum Beispiel muss er sich mit der Frage beschäftigen, wie es eigentlich sein wird, wenn das Ende der Welt kommt: Was passiert dann mit den Menschen, die schon tot sind? Und mit denen, die noch leben (vgl. 1Thess 4,13–18)? Und wie wird es ablaufen, wenn Christus* wiederkommt (vgl. 1Thess 5,1–11)? Im 1. Korintherbrief hingegen geht es sehr ausführlich darum, wie man sich als Christin oder Christ verhalten muss. Die Gemeinde in
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Korinth lebte offensichtlich sehr freizügig. Ihr Leitspruch lautete: »Alles ist mir erlaubt!« – doch Paulus kontert: »Aber nicht alles dient zum Guten!« (1Kor 6,12). Insgesamt sieben Briefe sind aus der Feder des Paulus selbst erhalten: der Römerbrief, die beiden Korintherbriefe, Galater- und Philipperbrief, das erste Schreiben an die Thessalonicher sowie das an Philemon. Der einzige Brief, den Paulus nicht an eine ihm bekannte Gemeinde geschrieben hat, ist der Römerbrief, vermutlich sein letztes Schreiben. Damit will er in Rom für die Unterstützung seiner Spanienmission werben. In diesem Brief entfaltet Paulus seine Theologie sine ira et studio (deutsch: ohne Zorn und Eifer) und der Römerbrief gilt deshalb als theologisches Testament des Paulus, weil darin seine Lehre am ehesten in reiner Form erhalten ist. Darin legt Paulus auch die Rechtfertigungslehre dar, die zur theologischen Grundlage der evangelischen Kirchen werden sollte: Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. (Röm 3,21–24)
Hausarrest in Rom Zu der lange geplanten Spanienmission sollte es nicht mehr kommen: Bevor Paulus sich auf den Weg machen konnte, wurde er in Jerusalem inhaftiert. Das kam so: Fromme Juden warfen ihm vor, einen unbeschnittenen Heiden* mit in den Tempelbezirk genommen zu haben (vgl. Apg 21,28) – ein todeswürdiges Verbrechen. Um Paulus vor dem aufgebrachten Mob zu retten, wurde er von der römischen Besatzungsmacht in Schutzhaft genommen. Doch was zunächst wie die einzige Möglichkeit aussah, Paulus vor der Lynchjustiz zu bewahren, wurde selbst zur tödlichen Falle. Denn Paulus blieb in Schutzhaft. Jahrelang. Das lag daran, dass politische Zuständigkeiten wechselten, dass er sich weigerte, Bestechungsgelder für seine Freilassung zu zahlen – und dass er schließlich von seinem Recht als römischer Bürger Gebrauch machte, an den Kaiser zu appellieren. Dies führte dazu, dass er als Gefangener nach Rom gebracht wurde; wo er, so die Schlussnotiz der Apostelgeschichte, zwei Jahre lang in einer Art Hausarrest lebte. Wie es danach weitergeht, erzählt die Bibel nicht. Die Legende weiß, dass Paulus in der großen Christenverfolgung unter Nero 64 n. Chr. mit dem Schwert hingerichtet wurde.
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Wo Paulus draufsteht, ist auch Paulus drin!?! – Pseudepigrafie Insgesamt 14 Briefe sind im Neuen Testament überliefert, die aus der Feder des Paulus stammen sollen. Doch man geht heute davon aus, dass das nur auf die Hälfte davon zutrifft. Bei den sieben anderen Briefen – Epheser- und Kolosserbrief, 2. Thessalonicherbrief, den beiden Briefen an Timotheus und dem Titusbrief sowie dem Hebräerbrief – vermutet man, dass sie jeweils von einem der Schüler des Paulus verfasst sind (vgl. S. 17 f.). Es war ja so, dass die Diskussion darüber, wie man als Christin oder Christ leben soll und welche Lehren richtig und falsch sind, auch nach dem Tod des Paulus weiterging. Weil aber niemand mehr da war, der mit der Autorität des Paulus reden konnte, wussten sich seine Schüler keinen anderen Rat, als ihn aus dem Grabe heraus zu rufen, um mit geliehener Stimme klärend in die eigene Zeit hineinzusprechen. Die Wissenschaft bezeichnet diese sieben Briefe als Pseudepigrafen* (das ist griechisch und bedeutet »Falschzuschreibung«). Aber welche Gültigkeit und welchen Wahrheitsanspruch können Texte haben, deren Zugehörigkeit zum biblischen Kanon auf einer gefälschten Verfasserangabe basiert? Hätte man damals schon gewusst, was heute weitgehend als Konsens gilt – dass diese Texte nämlich nicht von Paulus stammen –, so hätte man sie im 4. Jahrhundert kaum in den Kanon aufgenommen. Allerdings zeigen genau diese Briefe, wie sehr – und mit welchen Mitteln – die Christenmenschen in den ersten Jahrzehnten nach dem Tod der Apostel und Augenzeuginnen darum rangen, den chaotischen Anfängen ihrer ReligionsRandbemerkung gemeinschaft eine theologische Gestalt Bei den sogenannten Pseudepigrafen* gilt eben nicht: und strukturelle Organisation zu geben. Wo Paulus draufsteht, ist auch Paulus drin – sondern hier hat sich jemand anderes eine Autorität Die Pauluspseudepigrafen* legen bis angemaßt, die nicht die seine ist. Und in manchen heute ein beredtes Zeugnis davon ab, wie Fällen hat sich der Autor nicht einfach nur den viel Kraft das gekostet haben mag – und Namen des Paulus geliehen, sondern sich tatsächwie es schließlich tatsächlich gelang. lich alle Mühe gegeben, möglichst »echt paulinisch« zu wirken: Der 2. Thessalonicherbrief fingiert sogar eine eigenhändige Unterschrift des Paulus (vgl. 2Thess 3,17) und der 2. Timotheusbrief malt das Bild des Apostels, der diesen Brief im Gefängnis schreibt, so detailliert aus (vgl. 2Tim 4,6–8.9–18), dass man hier von einer bewussten Täuschung sprechen muss.
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… zum Schluss Wie gesagt: Ohne Paulus gäbe es das Christentum vermutlich nicht oder jedenfalls in gänzlich anderer Form. Denn er war es, der aus den Berichten vom Leben, Wirken und Reden des jüdischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth Grundlagen eines theologischen Lehrgebäudes formte. Ihm ist es zu verdanken, dass Jesus Christus* selbst – und nicht nur seine Botschaft – Gegenstand des Nachdenkens wurden. Er war es auch, dessen Briefe den Reformator Martin Luther zu seiner Neuentdeckung der grundlegenden Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Glauben veranlassten. In seinem Turmzimmer auf der Wartburg, so beschreibt es Luther, las er die Worte des Paulus im Römerbrief (Röm 1,17) und wurde geradezu elektrisiert. In der Vorrede zur Ausgabe seiner Schriften sagt er im Rückblick: Wiewohl ich als ein untadeliger Mönch lebte, verspürte ich doch unruhigen Gewissens, dass ich vor Gott ein Sünder sei und dass ich mich nicht darauf verlassen könnte, durch meine eigene Genugtuung versöhnt zu sein. Ich liebte nicht nur nicht – nein, ich hasste den gerechten Gott, der die Sünder straft … So tobte ich in meinem wilden und verwirrten Gewissen und bemühte mich ungestüm um jene Stelle bei Paulus, von der ich brennend gern gewusst hätte, was St. Paulus wolle. Bis Gott sich erbarmte und ich, der ich Tag und Nacht nachgedacht hatte, den Zusammenhang der Worte begriff, nämlich: der Gerechte wird aus Glauben leben. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen, durch die der Gerechte als durch ein Geschenk Gottes lebt, nämlich aus Glauben heraus. Und dass dies der Sinn sei: dass durch das Evangelium Gerechtigkeit Gottes offenbart werde, nämlich eine passive, durch die Gott uns in seiner Barmherzigkeit durch Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: der Gerechte soll aus Glauben leben. Und so sehr ich die Vokabel Gerechtigkeit Gottes gehasst hatte, so viel mehr nun hob ich dieses süße Wort in meiner Liebe empor, so dass jene Stelle bei Paulus mir zur Pforte des Paradieses wurde.
Luther erkannte, dass vor Gott keine Werke gelten, sondern dass allein Gott den Menschen gerecht spricht. Paulus selbst hatte diese Erkenntnis in den Auseinandersetzungen um die Frage entwickelt, ob die zum Christentum übergetretenen Heiden* das jüdische Gesetz halten und sich beschneiden lassen müssen. Paulus betonte: Das jüdische Gesetz ist zwar Geschenk Gottes, aber die Menschen sind nicht in der Lage, es einzuhalten und so die Seligkeit zu erlangen. Er gelangte zu der Erkenntnis, dass Christus* die Menschen befreit habe vom »Fluch des Gesetzes« (Gal 3,10), und sagt: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!« (Gal 5,1). Für den, der an Christus* glaubt, hat das Gesetz als Weg zum Heil aus-
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gedient. Um von Gott errettet zu werden, reicht allein der Glaube; so schreibt Paulus mit dem Zitat aus dem Prophetenbuch von Habakuk: »Der Gerechte wird aus Glauben leben« (Röm 1,17; vgl. Hab 2,4). Luther hat diese Erkenntnis des Paulus aufgegriffen; anders als Paulus allerdings ging es ihm als mittelalterlichem Mönch vor allem um Heilsgewissheit angesichts der permanenten Sorge, vor Gott zu versagen. Seine Frage lautete: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Und seine Antwort war die: Gott ist bereits gnädig – und deshalb muss ein gläubiger Mensch nichts anderes tun, als dem im Glauben zu entsprechen. Niemand muss einen eigenen Beitrag zum ewigen Seelenheil leisten und niemand kann das tun. Allein Gott schenkt Rettung. Dass Christinnen und Christen trotzdem gefordert sind, gute Werke zu tun, ergab sich für Luther als Folge aus seiner Rechtfertigungslehre: Weil der Einzelne Gott so dankbar für seine Rettung ist, gibt er diese Dankbarkeit durch sein Handeln an seine Mitmenschen weiter – nicht weil er es muss, sondern weil er es will.
Priska und Aquila Gemeinsame Sache mit Paulus
Paulus und sein Team 189 Ladies first 190 Werkstattcharakter 190 Eine mobile Missionsbasis 191 … zum Schluss 192
Paulus und sein Team Paulus, der einsame Wolf? Liest man die Paulusbriefe, so gewinnt man leicht den Eindruck, der große Heidenapostel sei ein Einzelkämpfer gewesen – theologisches Genie, mürrischer Single und von der Jerusalemer Urgemeinde* missverstandener Held zugleich. Doch ein genauerer Blick in die Texte des Neuen Testaments und vor allem zwischen die Zeilen verrät, dass dieses Bild trügt. Paulus hatte zahlreiche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, hat viele seiner Briefe gemeinsam mit anderen geschrieben und nennt in umfangreichen Grußlisten die Menschen, die zu seinem Missionsnetzwerk gehörten. Paulus hatte also durchaus Mitstreiter und Mitstreiterinnen; darunter auch solche, bei denen die Betonung tatsächlich eher auf »streiten« liegt: Sowohl sein Verhältnis zu seinem Mitmissionar Barnabas (vgl. Apg 15,36–40) als auch zu Apollos, dem in Korinth sehr erfolgreichen Verkündiger (vgl. 1Kor 1,10–17; 3,5–8), kann man nur als schwierig bezeichnen. Ob das daran liegt, dass auch Paulus selbst kein ganz einfacher Zeitgenosse war (vgl. 2Kor 11,16–18.21–23)? Innerhalb dieses Missionsnetz werkes nimmt ein Ehepaar eine besondere Stellung ein, hat es doch Paulus, so verraten die Notizen aus Apostelgeschichte und Briefen, gleich auf mehreren Etappen seiner Wirksamkeit be-
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gleitet. Die Rede ist von Aquila, einem Mann jüdischen Glaubens aus der Stadt Pontus am Schwarzen Meer (vgl. Apg 18,2), und seiner Frau Priska, in der Apostelgeschichte mit der Verkleinerungsform Priszilla bezeichnet.
Ladies first Was bei der Erwähnung dieses Ehepaars besonders auffällt: Meist steht, entgegen den antiken Gepflogenheiten, der Name der Frau an erster Stelle. Priska und Aquila also, nicht Aquila und Priska. Das hat nichts mit modernen Höflichkeitsfloskeln zu tun, sondern legt nahe, dass Priska innerhalb der (paulinischen) Mission eine wichtigere Funktion hatte als ihr Mann. Jedenfalls heißt das: Sowohl für Paulus selbst als auch für Lukas, der die Apostelgeschichte aufschrieb, spielten Frauen innerhalb der frühchristlichen Gemeinden selbstverständlich eine bedeutsame Rolle. Paulus selbst nennt missionierende Ehepaare wie Andronikos und Junia (Röm 16,7), Philologos und Julia oder Nereus und seine Schwester (Röm 16,15). Dass Paulus dabei Junia (einer Frau!) den Aposteltitel zuerkennt, war im antiken Christentum allerdings keineswegs unumstritten. Das zeigen die Handschriftenbefunde*, die aus dem Frauennamen Junia den für die ersten Jahrhunderte sonst nicht belegten Männernamen Junias machen.
Werkstattcharakter In Priska und Aquila dürfte Paulus zwei Seelenverwandte gefunden haben. Sie gehörten nicht nur wie er zum hellenistischen* Juden(christen)tum, sondern sie übten auch den gleichen Beruf aus: Sie führten eine Zeltmacherwerkstatt (vgl. Apg 18,3) und waren damit Teil des Handwerks – eine Personengruppe, Randbemerkung die zumindest der antike Schriftsteller Gelegentlich findet man recht romantisierende Beschreibungen davon, wie Paulus, Priska und Cicero unter die sprichwörtlichen kleiAquila Beruf und Glauben verbunden hätten: So nen Leute rechnen konnte. Bestimmt habe die Werkstatt bei Verkaufsgesprächen die werden die drei sich in ihrer gemeinMöglichkeit zu vielfältigen Sozialkontakten und samen Werkstatt auch mal schmutzig missionarischen Gesprächen geboten und die als Ballen gestapelten Zeltplanen gute Sitzgelegenheigemacht haben und sicher war es nicht ten abgegeben. Fakt ist aber: Man weiß quasi nichts immer einfach, auf diese Weise den Ledarüber, wie sich die urchristlichen (Haus-)Gemeinbensunterhalt zu verdienen und zuden konstituierten. Und tatsächlich schweigt die gleich für eine Gemeinde zu sorgen. Aber Bibel von einer korinthischen Hausgemeinde rund um die Zeltmacherei; in Röm 16,23 nennt Paulus diese soziale Einordnung passt zu der stattdessen einen Mann namens Gaius als »mein und der ganzen Gemeinde Gastgeber« in Korinth.
Priska und Aquila. Gemeinsame Sache mit Paulus
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Randbemerkung Zusammensetzung der frühchristlichen Hinter dem Hinweis auf die Vertreibung der Juden Gemeinschaften insgesamt, zu denen, aus Rom steht die Erinnerung an das sogenannte zumindest am Anfang, eher diejenigen Klaudiusedikt aus dem Jahr 49 n. Chr., das der gehörten, die gesellschaftlich nicht so antike Schriftsteller Sueton überliefert: Weil die privilegiert waren. Juden, so heißt es dort, von einem »Chrestos« aufgewiegelt, fortwährend Unruhe stifteten, mussten Paulus lernt Priska und Aquila bereits sie die Hauptstadt verlassen. Schätzungen gehen als Christenpaar kennen, als er nach Kodavon aus, dass zu dieser Zeit 30.000–60.000 Menrinth kommt – ein schönes Beispiel dafür, schen jüdischen Glaubens in Rom lebten. Sicher wie aus einer Zufallsbegegnung eine inwurden sie nicht alle zur Aussiedlung gezwungen, sondern wahrscheinlich traf es vor allem Menschen tensive Freundschaft werden kann. Und judenchristlichen Glaubens. Die Wissenschaft verauch wenn Paulus sich als der Gemeinmutet sogar gelegentlich, dass die hier genannten degründer dieser christlichen Gemeinde Unruhen durch christliche Missionare ausgelöst sieht (vgl. 1Kor 16,15), so ist er doch keiwurden; doch muss das Spekulation bleiben. neswegs der erste Christ, der in dieser reichen Hafenstadt auftaucht. Priska und Aquila waren kurz vor Paulus in Korinth eingetroffen, und zwar, so verrät es die Apostelgeschichte, aus Rom, »weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen« (Apg 18,2). Priska und Aquila siedelten jedenfalls nach Korinth über. Vielleicht sind sie es sogar, die Paulus zunächst von der Weiterreise nach Rom abhalten, indem sie ihm von der dortigen politischen Lage berichten (vgl. Röm 1,13; 15,22).
Eine mobile Missionsbasis Nach Korinth ist Ephesus das nächste Ziel des Dreierteams (vgl. Apg 18,18) und hier nun bildet sich tatsächlich eine Hausgemeinde um das Ehepaar (vgl. 1Kor 16,19). Lukas erwähnt auch, dass es Priska und Aquila gewesen seien, die sich in Ephesus um die theologische Ausbildung von Apollos gekümmert hätten (vgl. Apg 18,26), der in Korinth dann einer der schärfsten Konkurrenten des Paulus werden sollte. Nachdem Kaiser Klaudius gestorben war, durften die vertriebenen Juden im Herbst 54 nach Rom zurückkehren. Vermutlich machten sich auch Priska und Aquila erneut auf den Weg; immerhin weiß Paulus sie, folgt man der Grußliste am Schluss des Römerbriefes, wieder in Rom (vgl. Röm 16,3–5). In Dankbarkeit kann Paulus dabei auf ihren persönlichen Einsatz für ihn selbst zurückblicken. Umso erstaunlicher ist es, dass die Apostelgeschichte nichts von einem weiteren Treffen zwischen Paulus und dem Ehepaar während seines zweijährigen Hausarrests in Rom verrät (vgl. Apg 28,30–31). Doch wer weiß, wohin es die beiden zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verschlagen hatte.
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… zum Schluss Ein Blick in die Werkstätten der frühchristlichen Mission: Das Wort »Mission« bedeutet »Sendung« und eigentlich geht es dabei um Gottes Sendung seines Sohnes, und zwar als Rettung für die Welt. Anders als der Begriff später verstanden werden konnte, ist keine »Mitgliederwerbung« gemeint und schon gar keine gewaltsame Unterwerfung. Vielmehr geht es um aktive Zeugenschaft für Gottes Werk. Paulus, Priska und Aquila – sie stehen beispielhaft für die vielen Menschen, die Gottes Mission verbreiteten und seine Botschaft von Frieden, Gerechtigkeit und Erlösung anderen nahebrachten. Und das Faszinierende ist in der Tat, wie das geschah: einfach, indem sie mit diesen Menschen lebten und arbeiteten und von ihrem Glauben und ihren Gewissheiten erzählten.
Lukas und die Synoptiker Chronisten der Zeitenwende
Ein Glücksfall 193 Evangelium – wenn aus einer guten Nachricht ein Buch wird 194 Markus, der Dolmetscher des Petrus? 195 Markus und der »Anfang des Evangeliums« 195 Markus und das »Messiasgeheimnis« 196 Matthäus, der Zöllner? 197 Matthäus – Vorkämpfer für eine bessere Gerechtigkeit 198 Matthäus und sein Kampf gegen den Kleinglauben 199 Lukas, der Arzt und Paulusbegleiter? 200 Lukas, Chronist der Zeitenwende 200 … zum Schluss 201
Ein Glücksfall Jesus aus Nazareth verkündete das Reich Gottes. Er war erfüllt von der Gewissheit, dass die Aufrichtung dieses Gottesreichs unmittelbar bevorstand; der Fachbegriff dafür lautet »Naherwartung«. Und zumindest die allerersten Christusgläubigen teilten diese Naherwartung. So ging auch Paulus in seinen frühen Briefen selbstverständlich davon aus, dass er zu denen gehören würde, die bei der Parusie* noch leben (vgl. 1Thess 4,15). Doch irgendwann dämmerte die Einsicht: Das Reich Gottes würde doch nicht so schnell kommen. Stattdessen ging der Zeitenlauf weiter und man musste sich darin einrichten. Dazu aber war es wichtig, sich der Ursprünge zu vergewissern! So begann man, die Geschichten über und die Gleichnisse und Aussprüche von Jesus zu verschriftlichen. Die vier Evangelien, die sich im Neuen Testament finden, sind ein Ergebnis – jedoch keineswegs das einzige Ergebnis – dieses Verschriftlichungsprozesses. Die drei Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas verbindet die Begeisterung, mit der sie von Jesus erzählten. In ihren Texten verarbeiten die drei zugleich aber Themen ihrer eigenen Gegenwart. Sie erzählen von Jesus und seiner Zeit so, dass die Fragen ihrer Zeit zur Sprache kamen. Berichtet wird in den Evangelien also nicht, was (damals) war, sondern was (immer noch) wirkt. Den modernen Maßstäben für Geschichtsschreibung mag das nicht entsprechen, den antiken allerdings durchaus.
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Für die exegetische Wissenschaft ist das ein Glücksfall, denn so kann man, liest man zwischen den Zeilen, viel über das Leben der Menschen in den frühen christlichen Gemeinden und über die Themen erfahren, die sie bewegten. Bloß verraten die Evangelien leider nicht, wann oder wo genau sie entstanden sind. Dafür muss man dann noch ein bisschen mehr zwischen den Zeilen lesen. Und manchmal hilft nicht mal das.
Evangelium – wenn aus einer guten Nachricht ein Buch wird Für heutige Lesende ist es selbstverständlich: Ein Evangelium erzählt die Geschichte Jesu vom Anfang bis zum Ende. Im Neuen Testament geschieht das gleich vier Mal, die Autoren heißen Matthäus, Markus, Lukas, Johannes. Lukas, der ja nicht nur ein Evangelium, sondern auch die Apostelgeschichte Randbemerkung verfasst hat, widmet sein Werk ausdrückIn der Antike war ein »Evangelium« (griechisch: lich seinem Freund Theophilus: »Gute Nachricht«) zunächst einfach nur eine positive Botschaft – solche »Evangelien« kannte man aus dem Staatskult oder aus der Prophetie (vgl. Jes 52,7). Dass es auch eine »gute Nachricht« von Jesus Christus* gab, war etwas Neues. Erst im Laufe der Zeit wurde »Evangelium« deshalb zu einem Begriff für eine bestimmte Form von Literatur. Den neutestamentlichen Evangelien merkt man übrigens noch an, dass sie am Beginn dieser Entwicklung stehen: Keiner der später so genannten Evangelisten bezeichnet sein eigenes Werk so, Markus spricht vielmehr davon, dass sein Buch
… habe auch ich’s für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, auf dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist. (Lk 1,3–4, vgl. Apg 1,1)
der »Anfang des Evangeliums von Jesus Christus«
Zwar vermuten einige Forschende, dass »Theophilus« – wörtlich übersetzt: der Freund Gottes – gar keine reale Person, sondern nur eine Chiffre sei, doch wird man letzte Sicherheit nicht gewinnen können. Und auch wenn »Lukas« hier seinen Adressaten namentlich anredet, so fällt auf: Seinen eigenen Namen verrät der Evangelist im Text nicht und auch Matthäus, Markus und Johannes tun das nicht. Tatsächlich stand die Frage nach dem Namen des Autors erst dann im Raum, als man begann, die verschiedenen Evangelien zu sammeln. In den bis heute erhaltenen neutestamentlichen Handschriften* finden sich deshalb überall Überschriften über den Evangelien, die jeweils auch den Autor nennen. Doch sind diese erst später hinzugefügt. Wie die Verfasser also wirklich hießen, kann
(Mk 1,1) sei – das eigentliche Evangelium beginnt
dann, wenn Markus endet: mit der Auferstehung.
Lukas und die Synoptiker. Chronisten der Zeitenwende
man nicht mit Gewissheit sagen. Diese Überschriften zeigen aber, wie sehr die Alte Kirche* bemüht war, die Autoren in einen direkten Zusammenhang zu dem unmittelbaren Umfeld Jesu zu stellen. Besonders ergiebig sind hier die Notizen des Papias von Hierapolis, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts den Wissensstand seiner Zeit zusammenfasst; allerdings sind diese Informationen nur durch die Überlieferung bei Eusebius von Cäsarea erhalten, der circa 200 Jahre später lebte.
Markus, der Dolmetscher des Petrus? Über Markus schreibt Papias, dass er der Dolmetscher des Petrus gewesen sei, diesen auf seinen Missionsreisen begleitet und seine Predigten übersetzt habe. Zugleich muss Papias das Markusevangelium gegen Vorwürfe verteidigen: Es sei kein Wunder, dass Markus nicht alles in der richtigen Reihenfolge aufgeschrieben habe – immerhin habe er Jesus nicht selbst gekannt, sondern hätte nur wiedergeben können, was Petrus in seinen Predigten erwähnt habe. Die Frage liegt nahe: Welche »richtige Reihenfolge« hatte Papias dabei vor Augen? Man weiß heute, dass das Matthäusevangelium in der Alten Kirche* besonders hoch geschätzt wurde, weshalb es auch den Kanon* der Evangelien eröffnet. Vermutlich galt dieses auch bei Papias als das »richtige« Evangelium, dem gegenüber Markus »Fehler« aufweist. Noch eine zweite Frage drängt sich auf: Wie viel Griechisch konnte eigentlich Petrus, der aramäisch* sprechende Fischer vom See Genezareth*? Brauchte er außerhalb Israels tatsächlich einen Dolmetscher? Fakt ist: Dass neue Testament weiß von einer Freundschaft zwischen Petrus und einem Mann namens Markus; Markus kann als »Sohn« des Petrus bezeichnet werden (1Petr 5,13), was vielleicht sogar heißt, dass er durch ihn zum Glauben gefunden hat. Man vermutet deshalb heute: Schon früh wurde das Markusevangelium mit dem Namen Markus verbunden, vielleicht ohne dass man Genaueres über den Autor sagen konnte. Später wurde dieser Markus mit dem »Sohn« des Petrus namens Markus identifiziert. Dass dieser auch dessen Dolmetscher gewesen sei, berichtet jedoch nur Papias.
Markus und der »Anfang des Evangeliums« Der Evangelist Markus war der Erste, der ein Werk schrieb, das man heute als Evangelium bezeichnet. Wo genau der Mann hinter diesem Buch lebte, lässt sich nicht mehr sagen – irgendwo im Römischen Reich, weshalb auch viele lateinische Begriffe Eingang in sein Buch fanden. Ziemlich sicher war Markus allerdings nicht
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in Israel heimisch, denn sonst würde er in einer krassen Fehleinschätzung der Größenverhältnisse das kleine Gewässer, das eigentlich See Genezareth* heißt, kaum als »Galiläisches Meer« bezeichnen. Auch in Bezug auf den Abfassungszeitpunkt des ältesten Evangeliums kann man nur spekulieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei Mk 13: Und als er aus dem Tempel ging, sprach zu ihm einer seiner Jünger: Meister, siehe, was für Steine und was für Bauten! Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Hier wird nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als er auf dem Ölberg saß gegenüber dem Tempel, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein, wann das alles vollendet werden soll? (Mk 13,1–4)
Die Wissenschaft geht heute zum großen Teil davon aus, dass diese Sätze, die scheinbar auf die Tempelzerstörung vorausweisen, Jesus erst im Rückblick auf das Jahr 70 n. Chr. in den Mund gelegt wurden. Der Fachbegriff lautet »Vaticinium ex eventu*«. Dann aber wäre das Markusevangelium als Reflex auf die Ereignisse im Jüdischen Krieg entstanden, bei dem es sich in der Tat um ein Geschehen handelte, das auch die ersten christlichen Gemeinden, die sich ihren jüdischen Ursprüngen nach wie vor eng verbunden fühlten, bis ins Mark erschütterte. Dass Markus der Erste war, der ein Evangelium schrieb, ist heute Konsens. Genau genommen müsste man allerdings sagen: Markus schrieb, seinem Selbstverständnis nach, den »Anfang des Evangeliums« (Mk 1,1) – und dieser Anfang findet dann am leeren Grab sein Ende, denn alle Erscheinungsberichte in Mk 16,9– 20 sind später ergänzt (vgl. S. 160). Man kann diesen abrupten Schluss so deuten: Der Anfang des Evangeliums ist vorbei und nun beginnt die gute Botschaft selbst – Jesu Auferstehung. Und alle, die es lesen, sind aufgerufen, diese zu verkündigen (vgl. Mk 13,10).
Markus und das »Messiasgeheimnis« Markus beschäftigte auch die Frage, warum so viele Menschen den Kern von Jesu Sendung nicht verstanden hatten. Seine Antwort lautet: Weil Jesus selbst es so gewollt hatte! Er habe, so erzählt es Markus, aus seiner eigenen Messianität ein Geheimnis gemacht. Deshalb durften die Dämonen, die er austrieb, seine wahre Person nicht preisgeben (vgl. Mk 1,24.34; 3,11; 5,7), deshalb durften die Geheilten davon nicht erzählen, dass sie geheilt worden waren, auch wenn das logisch kaum vorstellbar ist (vgl. Mk 1,44–45; 5,19–20; 7,36–37). Und
Lukas und die Synoptiker. Chronisten der Zeitenwende
Jesus habe deshalb, so legt es Markus ihm in den Mund, in Gleichnissen gesprochen, damit die Menschen nicht verstehen – und gerade nicht, damit sie verstehen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; denen draußen aber widerfährt es alles in Gleichnissen, auf dass sie mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde. (Mk 4,11–12)
Auch Jesu Jünger werden mit ihrem mangelnden Verständnis zu Repräsentanten derer, die Jesu Botschaft nicht annahmen. Der Neutestamentler William Wrede prägte dafür den Begriff »Messiasgeheimnis«. Das ist ein Konzept, mit dem Markus vielleicht auch apologetische Absichten verband: So könnte erklärt werden, warum die Menschen den irdischen Jesus ablehnten – und so werde zugleich deutlich, dass es Kreuz und Auferstehung brauche, um Jesu Messianität wirklich zu verstehen. Das Markusevangelium ist ein Ruf in die Nachfolge – und zwar eine Nachfolge für jedermann und jedefrau. Nachfolge bedeutet bei Markus nämlich nicht (mehr), heimatlos mit Jesus umherzuziehen, sondern kann auch bedeuten, sich von Jesus gerufen zu wissen und trotzdem zu Hause zu bleiben. Dies tut der Zöllner Levi (vgl. Mk 2,13–17) und wird damit zum Vorbild für alle Ortsgemeinden, für die (oder zumindest für eine von denen) Markus sein Evangelium schrieb.
Matthäus, der Zöllner? Über das Matthäusevangelium schreibt Papias von Hierapolis, Matthäus habe sein Evangelium in Hebräisch zusammengestellt und erst später habe es jeder Einzelne, so gut er konnte, ins Griechische übertragen. Bei dieser Notiz gehen die Forschenden meist davon aus, dass sie nicht stimmt. Für ein hebräisches Matthäusevangelium gibt es nämlich keinerlei Anhaltspunkte. Kaum haltbar ist zudem die Annahme, dass das Matthäusevangelium von einem der zwölf Jünger Jesu geschrieben sei, also direkt aus dem »Inner Circle« des Jüngerkreises stamme. Wäre Matthäus wirklich Augenzeuge gewesen, hätte er kaum das Markusevangelium als Vorlage benutzt, wie es die Zwei-Quellen-Theorie* allerdings nahelegt (vgl. S. 15 f.). Tatsache ist allerdings, dass eine Person namens Matthäus im Evangelium eine gewisse Rolle spielt: So übernimmt der Autor von Markus die Geschichte
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der Berufung des Zöllners Levi (vgl. Mk 2,14), ändert dessen Namen aber in Matthäus (vgl. Mt 9,9). Dazu passt, dass nur in diesem Evangelium der Jünger Matthäus aus dem Zwölferkreis den Zusatz »der Zöllner« erhält (vgl. Mt 10,3). Vermutlich war es so, dass sich die Gemeinde, in der das Matthäusevangelium entstand, dem Jünger Matthäus besonders nahe fühlte und ihm dieses Evangelium deshalb später als Autor zuschrieb. Im Text selbst wird allerdings mit keiner Silbe angedeutet, dass dieser Zöllner Matthäus auch sein Verfasser ist. Von wem es tatsächlich stammt, kann man heute nicht mehr sagen.
Matthäus – Vorkämpfer für eine bessere Gerechtigkeit Der Horizont des Evangeliums könnte größer nicht sein, geografisch und zeitlich. Am Beginn versammeln sich Weise aus dem Morgenland – Repräsentanten der Völkerwelt – an der Wiege Jesu (Mt 2,1) und der Schluss wagt einen Ausblick bis ans Ende der Zeiten: »Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende« (Mt 28,20). Dazwischen spannt Matthäus einen weiten Bogen, angelehnt an seine Vorlagen, das Markusevangelium und die Logienquelle* Q. Deren Stoff reichert er mit Texten aus dem sogenannten matthäischen Sondergut an – das sind Geschichten, die sich nur bei Matthäus finden und deshalb seine eigenen Schwerpunkte zeigen. Das ist unter anderem die »bessere Gerechtigkeit«, die Jesus laut Matthäus verkündigt und in der das alttestamentliche Gesetz zu seiner Erfüllung findet: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. (Mt 5,17–19)
Matthäus schildert Jesus als neuen Mose. Sicher ist es kein Zufall, dass es genau fünf programmatische Reden sind, die Jesus im Matthäusevangelium hält und dass die allerwichtigste, die Bergpredigt (Mt 5–7), tatsächlich auf einem Berg lokalisiert ist. Wie Mose einst am Sinai dem Volk die Tora gab, so formuliert Jesus nun ein neues Gesetz. In dessen Zentrum steht das Doppelgebot der Liebe, das Matthäus Jesus an einer anderen Stelle in den Mund legt: Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.« Dies ist das höchste und erste Gebot. Das
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andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Mt 22,37–40)
Immer wieder betont Matthäus, wie wichtig es ist, mit dem eigenen Leben tatsächlich der christlichen Botschaft zu entsprechen. Besonders bekannt ist das sogenannte Gleichnis vom großen Weltgericht (Mt 25,31–46), bei dem Matthäus die massive Drohkulisse einer ewigen Trennung in Himmel und Hölle aufbaut und dabei auf Erkenntnisgewinn durch Angst setzt. Matthäus mag ein kluger Theologe gewesen sein – ein guter Pädagoge war er offensichtlich nicht.
Matthäus und sein Kampf gegen den Kleinglauben Der Evangelist Matthäus beschreibt eine christliche Gemeinschaft aus Menschen jüdischer und heidnischer* Herkunft – die offensichtlich mit einem Problem besonders zu kämpfen hatte: dem Kleinglauben. Immer wieder fällt dieses Wort, weil, zumindest aus Sicht des Matthäus, zwar Glaube vorhanden, aber nicht groß genug ist. »O ihr Kleingläubigen!«, lässt er Jesus mehrmals seufzen (vgl. Mt 6,30; 8,26; 16,8) und ihn sprechen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, […] wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen. (Mt 21,21)
Mit Jesu Tod ist für Matthäus bereits die Endzeit angebrochen. Deshalb kann er davon erzählen, dass sich in Jesu Todesstunde die Gräber der »Heiligen« öffnen und diese den Menschen in Jerusalem erscheinen (vgl. Mt 27,51–53). Doch zeugt sein Evangelium zugleich davon, mit welchen Schwierigkeiten die Christusgläubigen zu kämpfen hatten, weil sie sich dennoch einrichten mussten unter den Bedingungen der Welt. Die Endzeit dauert an, noch immer – und für die Existenz in dieser Zeit und für diese neue Gemeinschaft formuliert Matthäus Regeln und erzählt die Geschichten von Jesus so, dass sie diesen Menschen in dieser Situation etwas zu sagen haben. Entstanden ist das Matthäusevangelium vermutlich ungefähr 80 n. Chr., in jedem Fall aber nach dem Markusevangelium, das als Vorlage diente. Vielleicht lebte der Verfasser in Syrien, weil diese Region explizit genannt wird (vgl. Mt 4,24). Wie immer bei diesen sogenannten Einleitungsfragen muss allerdings auch hier vieles Spekulation bleiben.
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Lukas, der Arzt und Paulusbegleiter? Auch im dritten Evangelium, dem Lukasevangelium, gibt der Verfasser seinen Namen nicht preis. Dabei hätte es hier tatsächlich nahegelegen, immerhin wird im Vorwort auch der reale Leser namens Theophilus direkt angesprochen. Da wäre es gemäß den antiken Gepflogenheiten durchaus angebracht gewesen, Randbemerkung auch den eigenen Namen zu nennen. Für die Verbindung von Paulus zu einem Mann Irenäus von Lyon erwähnt ihn dann im namens Lukas gibt es einige neutestamentliche 2. Jahrhundert: Der Verfasser des EvanBelege: Ein Lukas wird als Mitarbeiter des Paulus geliums und der Apostelgeschichte habe namentlich erwähnt (Phlm 24); es heißt, er sei Arzt (Kol 4,14) und habe als Einziger bei dem zum Tode Lukas geheißen und sei der Begleiter des verurteilten Paulus in der Gefängniszelle ausgeharrt Paulus gewesen. (2Tim 4,10–11). Die Annahme wiederum, dass der Die Apostelgeschichte passt jedoch Verfasser des sogenannten lukanischen Doppelwerks nicht zu den Selbstzeugnissen des Paulus. Paulus auf seinen Reisen begleitet habe, fußt auf den »Wir«-Berichten der Apostelgeschichte: Hier schreibt So verweigert Lukas Paulus den Apostel offensichtlich jemand, der alles hautnah miterlebt titel, wohl weil er kein Begleiter des irdihat (vgl. Apg 16,10–17; 20,5–21,18; 27,1–28,16). Dies schen Jesus war (vgl. Apg 1,21–22). Könnte hat schon früh nahegelegt, darin eben jenen Lukas das wirklich jemand schreiben, der weiß, zu sehen, der bis zum Schluss bei Paulus blieb. Dass das historisch zutreffend ist, ist allerdings umstritten. wie viel Wert Paulus selbst auf diesen Titel legte? Ob die sogenannten Wir- Berichte der Apostelgeschichte ein Hinweis auf eine ältere Quelle sind oder als stilistisches Mittel zur Spannungssteigerung dienen, muss offenbleiben. Ein Hinweis auf den Verfasser von Evangelium und Apostelgeschichte sind sie nicht.
Lukas, Chronist der Zeitenwende Auch Lukas hat das Markusevangelium als Vorlage benutzt; meist setzt man heute circa 90 n. Chr. als Abfassungszeitpunkt an. Lukas blickt nicht nur auf die Jesuszeit, sondern bereits auf den Beginn der Zeit der christlichen Kirche zurück. Hier schreibt also jemand für die dritte christliche Generation. Jesus rückt damit in die Mitte der Zeit, vor ihm gab es die Zeit des Alten Testaments und nach ihm die Zeit der Kirche. Lukas selbst wird damit wortwörtlich zum Chronisten der Zeitenwende. Wo Lukas schreibt, ist völlig offen. Vielfach wird die These vertreten, er habe sich in Rom befunden – doch könnte dies auch eine historisierende Überinterpretation der Wir-Berichte der Apostelgeschichte sowie von deren Ende in Rom sein.
Lukas und die Synoptiker. Chronisten der Zeitenwende
Stärker als die anderen Evangelisten hat Lukas die sogenannten sozialen Randgruppen im Blick: Zöllner, Sünder (und besonders Sünderinnen) und Frauen. Sein Evangelium enthält klare Anweisungen, wie sich Christinnen und Christen diesen gegenüber zu verhalten haben. Dabei dient nicht nur Jesus selbst als Beispiel, sondern Lukas formuliert in seinen Beispielerzählungen Blaupausen für korrektes Verhalten. »So geh hin und tue desgleichen!«, lässt er Jesus deshalb diese Geschichten abschließen (vgl. Lk 10,37). Bis heute zum Allgemeingut gehören dabei die Erzählungen vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) und vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37). Immer wieder sind bei Lukas die im Blick, die sonst niemand auf dem Schirm hat: die Hirten in der Geburtsgeschichte (Lk 2,8–20), der Zöllner Zachäus (Lk 19,1– 10) die Sünderin, die Jesus salbt (Lk 7,36–50), die Witwe vor dem Richter (Lk 18,1– 8) und das ungleiche Schwesternpaar Maria und Martha (Lk 10,38–42). Wie gut, dass Lukas immer wieder daran erinnert, dass niemand verloren gehen soll auf dem Weg ins Reich Gottes und dass es besonders diese »Verlorenen« waren, zu denen Jesus sich gesandt wusste.
… zum Schluss Von den drei synoptischen* Evangelien steht eines in der Petrustradition (Markus), eines in der Paulustradition (Lukas) und eines lässt sich direkt auf den Jüngerkreis (Matthäus) zurückführen. Zufall ist das vermutlich nicht. Die Evangelisten wollten jeweils auf eigene Weise für ihre Gemeinden bewahren, wie Gott sich in Christus* geoffenbart hatte. Darin zeigt sich die Authentizität ihrer Verfasserschaft. Alles andere kam später – und sicher ohne dass Markus, Matthäus oder Lukas jemals damit gerechnet hätten, Teil einer Heiligen Schrift zu werden. Sie schrieben jeweils nur für ihre Gemeinde und deshalb erzählen sie auch jeder für sich die ganze Geschichte neu. Eben so, dass sie für ihre Leserschaft Bedeutung gewann. Wie gut, dass der viergestaltige neutestamentliche Evangelienkanon ein Sinnbild dafür ist, dass es die eine menschliche Sicht auf die Wahrheit Jesu Christi nicht gibt. Die Bibel hat die Erinnerung daran bewahrt, dass die Botschaft von Gott so vielgestaltig ist wie die Menschen, die von ihr erzählen. Und das gilt bis heute.
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Der Jünger, den Jesus liebte Wer schrieb das Johannesevangelium?
Garant für die Wahrheit des Evangeliums? 202 Konkurrenzdruck 203 Ist der Lieblingsjünger unsterblich? 204 … zum Schluss 204
Garant für die Wahrheit des Evangeliums? Wer war das? Dieser geheimnisvolle Jünger, der das Privileg hatte, an Jesu Brust zu ruhen, der auf alten Darstellungen oft als bartloser Jüngling erscheint – und über den es doch so wenig gesicherte Informationen gibt? Wer verbirgt sich hinter der Anonymität des Lieblingsjüngers? Nur das vierte Evangelium erwähnt an einigen Stellen den »Jünger, den Jesus liebte«, sein Name fällt allerdings nirgends. Zudem bleibt der Lieblingsjünger die ganze Zeit über merkwürdig blass. Über seine Person erfährt man quasi nichts – bis es dann am Schluss überraschend heißt: Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. (Joh 21,24)
Randbemerkung Ursprünglich bildeten die Sätze in Joh 20,30–31 den Abschluss des Evangeliums: »Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.« Hier fasst der Evangelist zusammen, was das eigentliche Ziel seines Buches ist: der Glaube an Jesus Christus*. Und weil nach Ostern keine unmittelbare Begegnung mit Jesus mehr möglich ist, sind die schriftlichen Überlieferungen nun die Grundlage dafür: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20,29). Aus Sicht des Evangelisten ist damit alles gesagt.
Damit wird der Lieblingsjünger zum Verfasser des Evangeliums erklärt – eine Identifikation, die sich im Evangelium sonst nirgendwo andeutet. Und noch etwas fällt auf: Dieser Vers ist keine Selbstaussage des Autors, sondern hier spricht jemand anderes über ihn. Heute geht man deshalb davon aus, dass Joh 21 als Nachtragskapitel zum ursprünglichen Evangelium hinzugefügt wurde. Schon frühe Zeugnisse behaupten, dass dessen Verfasser den Namen Johannes trug und Augenzeuge Jesu war. Euseb
Der Jünger, den Jesus liebte. Wer schrieb das Johannesevangelium?
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identifiziert ihn in seiner Kirchengeschichte mit dem Apostel Johannes Zebedäus. Zwar zeugen auch die anderen Evangelien davon, dass dieser Johannes eine besondere Beziehung zu Jesus hatte, doch deutet das vierte Evangelium durch nichts an, dass es sich bei dem Lieblingsjünger um den Zebedaiden Johannes handelt. Auch andere, noch spekulativere Theorien sind vertreten worden, wer denn dieser Lieblingsjünger sein könnte; die Identifizierung mit dem auferweckten Lazarus oder mit Maria Magdalena sind nur zwei davon. Heute vermutet man, dass der Lieblingsjünger keine historische* Person aus dem Umfeld Jesu war, sondern vor allem in der Gemeinde des Johannes eine Rolle spielte. Dort galt er als Garant für die Richtigkeit der (eigenen) christlichen Traditionen; seine Bedeutung wurde also, höflich formuliert, in die Zeit Jesu »zurückdatiert«. Der Gedanke dahinter lautet: Wenn sich die gemeindlichen Überlieferungen auf den einen Jünger stützen können, der Jesus am nächsten stand, dann müssen sie besondere Autorität haben. Jedenfalls: Wer auch immer Joh 21,24 ergänzt hat, wollte die Gültigkeit des Johannesevangeliums durch die Augenzeugenschaft des Verfassers stützen: Alles, was hier berichtet wird, soll von jemandem stammen, der mit Jesus unterwegs war. Doch hat es einen solchen besonderen »Jünger, den Jesus liebte« im Umfeld Jesu nicht gegeben.
Konkurrenzdruck Auch die offenkundige Rivalität zwischen dem Apostelfürsten Petrus und dem Lieblingsjünger ist ein Konstrukt des Johannesevangeliums. Wie kleine Jungs wirken die zwei manchmal. So veranstalten sie einen Wettlauf zum leeren Grab, den der Lieblingsjünger prompt gewinnt – und bei dem dennoch Petrus als ErsRandbemerkung ter das Grab betritt. Doch während er Bei aller Bedeutung, die das vierte Evangelium dem trotzdem nicht versteht, was geschehen Lieblingsjünger zumisst, ist offensichtlich die Erinist, kommt der Lieblingsjünger sofort nerung tief verankert, dass Petrus der erste Zeuge der Auferstehung war – ein Anrecht, das ihm nicht zum Glauben an die Auferstehung (vgl. einmal dieser Evangelist streitig machen konnte. So Joh 20,1–10). Ist er also nicht nur schnelversucht der Autor, den Lieblingsjünger gegenüber ler, sondern auch klüger als Petrus? Petrus zumindest in seinem Glauben hervorzuheben. Die Erscheinungsberichte im Nachtragskapitel setzen dieses Muster fort: Als der Auferstandene den Jüngern am See Tiberias begegnet (vgl. Joh 21,1–14), ist es der Lieblingsjünger, der sofort erkennt, wen er da vor sich hat – doch es ist wiederum Petrus, der als Erster reagiert und sich ins Wasser wirft, um zu ihm zu gelangen.
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Auch das Abschiedsmahl im Johannesevangelium zeugt von Konkurrenz. Hier allerdings ist Petrus der Unterlegene: Als nämlich Jesus den Verrat durch einen aus ihrer Mitte ankündigt, muss Petrus den Lieblingsjünger auffordern, Jesus nach dessen Namen zu fragen – so als ob selbstverständlich sei, dass nur dieser, nicht aber Petrus eine Antwort erhalten würde. Und tatsächlich: Jesus gibt ihm den Namen des Verräters preis (vgl. Joh 13,21–27). Nicht nur diese Szene, sondern noch ein weiteres Motiv mit dem Lieblingsjünger ist in der Kunstgeschichte immer wieder dargestellt worden. Das Johannesevangelium erzählt, dass auch er, übrigens als einziger männlicher Jünger, unterm Kreuz gestanden habe, und zwar gemeinsam mit Maria. Dies veranlasst Jesus, seine Mutter und seinen liebsten Jünger einander anzuvertrauen (vgl. Joh 19,25–27).
Ist der Lieblingsjünger unsterblich? Im Schlusskapitel nimmt die Frage nach dem Lieblingsjünger noch eine neue Wendung: Offensichtlich muss man sich in der Gemeinde des Johannes mit einem gewissen zeitlichen Abstand mit Gerüchten beschäftigen, die behaupteten, der Lieblingsjünger sei unsterblich. Dass das zum Problem wird, zeigt: Wer auch immer der Lieblingsjünger war, inzwischen ist er offensichtlich tot. Und es scheint so, als habe die Gemeinde nicht damit gerechnet, sondern erwartet, dass die Wiederkehr Jesu noch zu seinen Lebzeiten stattfinden würde. Dies muss hier nun, quasi stillschweigend, korrigiert werden. Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? (Joh 21,22–23)
… zum Schluss Es wirkt ein wenig wie ein Fremdkörper neben den drei Synoptikern*: Das Evangelium eines Mannes namens Johannes, der von Jesus noch mal neu und anders erzählt. Im Zentrum steht nicht mehr die Predigt Jesu vom Reich Gottes, sondern der menschgewordene präexistente* Gottessohn* selbst: »Ich bin …« sagt er von sich: der Weg, das Brot, das Licht, der gute Hirte,
Der Jünger, den Jesus liebte. Wer schrieb das Johannesevangelium?
die Auferstehung und das Leben. Dieses vollmächtige »Ich bin …« erinnert an Gottes eigene Offenbarung, der Mose im brennenden Dornbusch versprach: »Ich bin, der ich bin« (vgl. Ex 3,14), ein Anklang an den hebräischen Gottesnamen. Wer dieser Gott namens JHWH* ist, das zeigt sich im Johannesevangelium in besonderer Weise an Jesus Christus*. In ihm wird Gott »Fleisch«, wie es wörtlich in Joh 1,14 heißt – in ihm kommt er den Menschen nahe, ganz persönlich, teilt ihre Freuden wie bei der Hochzeit zu Kana, ihre Nöte wie bei dem Gelähmten am Teich Betesda, ihr Leben und ihr Sterben. Jesus Christus wird zum Gegenstand aller johanneischen Theologie. Und es ist auffällig und vielleicht auch gewöhnungsbedürftig, dass es im Johannesevangelium Jesus selbst ist, der in langen Reden die eigene Bedeutung entfaltet. Dabei wird die Botschaft Jesu doch nach den synoptischen* Evangelien eher in seinem Handeln, seinen Gesprächen und seinen Gleichnissen greifbar. Das Johannesevangelium dagegen berichtet lediglich von sieben Wundergeschichten und die Reich-Gottes-Gleichnisse fehlen sogar ganz. Es scheint deshalb kaum vorstellbar, dass das ein Augenzeuge und enger Vertrauter Jesu geschrieben haben soll. Den Lieblingsjünger hat es, das weiß man heute ziemlich sicher, als historische* Figur im Kontext Jesu nicht gegeben. Und doch legt das Evangelium, das diesem Mann zugeschrieben wird, in besonderer Weise Zeugnis ab davon, dass Gott in Jesus auf Erden präsent war.
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Der Seher Johannes Gericht und Erlösung
Apocalypse now 206 Wer war Johannes? 207 Was war, was ist und was sein wird – ein apokalyptisches Programm 208 Zuspruch und Mahnung 209 Die sieben Siegel 209 Gott oder Kaiser? 210 Armageddon – das Endgericht 211 Die Hure Babylon und das himmlische Jerusalem 212 … zum Schluss 213
Apocalypse now Die Erde getränkt vom Blut unschuldig ermordeter Christinnen und Christen. Scharen von Märtyrern*, die sich in weißen Gewändern vor dem Thron Gottes versammeln. Das Lamm, geschlachtet für die Welt. Drachen, Teufel und die apokalyptischen Reiter … Nur wenige Bücher der Bibel haben so sehr ganze Bildwelten geprägt wie die Offenbarung des Johannes. Der griechischen Bezeichnung dieses Werkes als »Apokalypse« (so das griechische Wort in Offb 1,1) verdankt sogar eine ganze Literaturgattung ihren Namen. Typisch für die Apokalyptik als religiöse Strömung ist ihr Geschichtsbild: Der Weltenlauf ist eine Abfolge von Phasen mit Gott als allmächtigem Regisseur. Die Weltgeschichte wird als Prozess sich steigernden Unheils, Chaos und Gewalt verstanden. Am Ende steht das umfassende göttliche Weltgericht, denn Randbemerkung nur aus der Umkehrung aller weltlichen Eines der frühesten literarischen Beispiele für eine Verhältnisse entsteht eine neue Heilszeit. Apokalypse ist das sogenannte äthiopische HenochDieses Wissen wird in der Apokalyptik buch, dessen Ursprünge bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen; prägend war auch das Mitte des als »rettendes« Wissen betrachtet, das 2. Jahrhunderts v. Chr. entstandene Danielbuch (vgl. Gott aber nur besonderen Menschen Dan 7–12). Auch aus der Zeit Jesu und den ersten geoffenbart hat. Das griechische Wort Jahrhunderten der Christenheit sind weitere apobezeichnet das »Aufdecken« des wahren, kalyptische Schriften (christlichen und jüdischen Ursprungs) bekannt. Der Autor der Johannes aber nur für wenige erkennbaren Planes. apokalypse zeigt sich also als ein Kind seiner Zeit – wenn auch als ein literarisch besonders begabtes.
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Der Seher Johannes. Gericht und Erlösung
Schaut man allerdings genauer in die Offenbarung, so liest man, dass die Welt nicht insgesamt im Blut liegt, sondern dass es einen einzigen (und namentlich bekannten) Märtyrer* gibt: Antipas aus Pergamon (vgl. Offb 2,13). Alles andere – die sieben Engel* mit den sieben Schalen des Zorns, die sieben Posaunen, das Buch mit den sieben Siegeln und die vier apokalyptischen Reiter – kommt als dramatische Zukunftsmusik daher, komponiert mit Anklängen an das Alte Testament. Der Seher Johannes, der all diese Bilder des Schreckens gemalt hat, will so die Erfahrungen seiner eigenen Zeit in den Geschichtsplan Gottes einordnen.
Wer war Johannes? Was weiß man über den Autor dieser Apokalypse? Im Grunde nicht viel mehr als seinen Namen (vgl. Offb 1,1.4.9; 22,8) und einen Ort, Patmos, eine Insel vor der Küste Kleinasiens*. Ein Namenszusatz oder Ehrentitel wie sonst oft üblich, findet sich nicht. Vermutlich war den Lesenden damals sehr klar, wer dieser Johannes ist. Die moderne Auslegung weiß das leider nicht mehr. Bereits in der Alten Kirche* gab es viele Versuche, den Verfasser der Apokalypse mit einem auch sonst im Neuen Testament auftretenden Johannes zu identifizieren. Aus wissenschaftlicher Sicht sind alle diese Möglichkeiten sehr unwahrscheinlich. Sie füllen zudem eine Lücke, die dem Buchautor selbst nicht wichtig war. Denn er begreift sich vor allem als Zeuge eines anderen: Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie gedeutet und gesandt durch seinen Engel zu seinem Knecht Johannes, der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus Christus, alles, was er gesehen hat. (Offb 1,1–2)
Johannes versteht sich als Zeuge und Prophet* im Sinne des Alten Testaments. So bezeichnet er sich wiederholt als »Knecht« oder »Diener« Gottes; das erinnert an ein bestimmtes Geschichtsbild, wonach die Propheten*, allen voran natürlich Mose, als »Knechte JHWHs« erscheinen (vgl. Num 12,7–8; Dtn 34,5;
Randbemerkung Neben der Offenbarung werden in der Überlieferung noch vier weitere Bücher des Neuen Testaments einem Autor namens Johannes zugeschrieben: das Johannesevangelium und drei Johannesbriefe. Dies lässt fragen, ob sie alle von dem gleichen Mann namens Johannes stammen. Und in der Tat gibt es zwischen den Schreiben Gemeinsamkeiten – aber auch Unterschiede. So nennt sich nur der Verfasser der Apokalypse selbst mit Namen, bei allen anderen Texten ist diese Autorschaft erst spätere Zuschreibung. Wie genau deshalb die Verfasserschaft von Evangelium, Offenbarung und Briefen zusammenhängen, ist Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen, für die sich sogar ein eigener Fachbegriff herausgebildet hat, nämlich »Johanneische Frage«. Die Antwort darauf lautet am ehesten so: Alle fünf Bücher sind um die Wende des 1. Jahrhunderts entstanden. Sie stammen aus einer gemeinsamen theologischen Schultradition, die ihr Zentrum in Ephesus hatte.
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Jer 7,25; Am 3,7). Johannes sieht sich als deren »Bruder« (Offb 22,9). Das passt dazu, dass Johannes aus der Bilder- und Gedankenwelt der alttestamentlichen Prophetenbücher schöpft. Die Offenbarung des Johannes kommt im Stil eines Briefes daher (vgl. Offb 1,4–8 als Brieferöffnung und Offb 22,21 als brieflicher Schluss). Man kann allerdings fragen, ob Länge, Form und sprachliche Gestalt wirklich zu einem Brief passen – zumal man nicht weiß, ob dieser Brief jemals versandt wurde. Wie auch immer: Johannes hat augenscheinlich bestimmte Adressaten und Adressatinnen zumindest vor seinem inneren Auge und er tritt ihnen als jemand entgegen, den sie kennen – und als jemand, der sich sehr gut in ihre Situation hineindenken und hineinfühlen kann: »Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus …« (Offb 1,9). Johannes hält sich auf Patmos auf – warum, wird nicht deutlich. Unbestritten ist aber, dass mit dieser Ortsangabe irgendeine historische* Erinnerung verbunden sein muss, da die Nennung dieser Insel sonst nicht plausibel zu machen wäre. Vielleicht hat Johannes sein Buch sogar auf Patmos verfasst? Wann genau er schrieb, verrät er ebenfalls nicht. Wie in der Apokalyptik üblich, spricht er von der Wirklichkeit eher in verschlüsselter Form, in Anspielungen, Bildern und Allegorien. Es hat dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, die Situation, die Johannes beschreibt, in die römische Kaiserzeit um 95 n. Chr. einzuordnen.
Was war, was ist und was sein wird – ein apokalyptisches Programm Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach. (Offb 1,17–19)
Gott selbst ist es, von dem der Seher Johannes diese Worte hört, die das Programm der gesamten Schrift bilden. Gott ist das A und O, genauer: das Alpha und das Omega – das sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets –, und damit der, »der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige« (Offb 1,8). Diesen zeitlichen Dreiklang soll der Buchautor auch in seiner Apokalypse nachzeichnen: Er soll aufschreiben, was er in der Vergangenheit (Offb 1), über die Gegenwart (Offb 2–3) und hinsichtlich der Zukunft erfahren hat – Letzteres umfasst seine Visionen von den weltvernichtenden Ereignissen der letzten Tage (Offb 4–20) und der Aussicht auf einen neuen Himmel und eine neue Erde (Offb 21).
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Johannes kann Rettung nicht mehr innerweltlich denken, sondern nur noch so, dass Gott den Lauf dieser völlig verderbten Welt radikal abbricht. Jetzt kommt es darauf an, sich zu entscheiden: Gehört man zur Sphäre Gottes – oder zu der des Satans? Johannes sieht, was der Satan noch nicht zu wissen scheint: Er ist schon längst vom Thron gestürzt (vgl. Offb 12,10). Doch weil die endgültige Umsetzung des bereits gewonnenen Kampfes durch Gott noch aussteht, will Johannes die Seinen zum Durchhalten ermutigen.
Zuspruch und Mahnung In sieben Briefen (vgl. Offb 2–3) wendet Johannes sich zunächst an die Gemeinden in Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia, Laodizea – alles Orte, die der Insel Patmos gegenüberliegen. Johannes kann Bezug auf deren konkrete Situation nehmen und sendet ihnen in bedrängten Zeiten Hoffnungsbotschaften. Immer wieder muss er auch zur Buße mahnen, weil man Gott untreu Randbemerkung geworden, falschen Gottheiten gefolgt Hinter dem Bild des Lammes steht die Opfertheologie des Alten Testaments. Jesu Tod wird oder auch einfach lau, also »weder kalt im Sinne des Sündenbock-Ritus am großen noch warm« ist (vgl. Offb 3,15–16). Allen Versöhnungstag (Jom Kippur*; vgl. Lev 16) aber wird versprochen, »wer überwindet«, verstanden. Das Jesajabuch kann über den sogealso die falschen Werke hinter sich lässt, nannten Gottesknecht sagen: »Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund wird gerettet. Zuspruch und Mahnung nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank prägen auch in den Sendschreiben das geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt Programm des Johannes. vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht
Die sieben Siegel
auf« (Jes 53,7). Schon früh ist diese Figur christlicherseits auf Jesus gedeutet worden. In der neutestamentlichen Apokalypse rückt dabei die ganze Welt in den Blick: »… denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen« (Offb 5,9).
In einer großartigen, schillernden und vieldeutigen Schau breitet Johannes dann ein Panorama der Endzeit aus. Er sieht in den Thronsaal Gottes und sogar Gott selbst, der in seiner Hand ein Buch mit sieben Siegeln hält – eine sprichwörtlich gewordene Bezeichnung. Diese Siegel zu öffnen ist merkwürdigerweise nur ein Lamm würdig – und als das geschieht, wird gewissermaßen die Zukunft nach und nach in Szene gesetzt. Es ist ein typisches Element apokalyptischer Literatur, nicht »Klartext« zu reden, sondern in Metaphern und Allegorien, die sich nur den Eingeweihten entschlüsselten – und denen dürfte sofort klar gewesen sein, dass hier nur von
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Menschen, zu deren Hoffnung Jesus wurde
Jesus die Rede sein kann. Schon im Johannesevangelium konnte Johannes der Täufer Jesus als »Gottes Lamm« bezeichnen (Joh 1,29). Mit dem Brechen der Siegel wird eine Kaskade von Ereignissen der Endzeit eröffnet: Die vier sogenannten apokalyptischen Reiter (vgl. Offb 6,1–8) haben es bis in die moderne Popkultur geschafft, ebenso das Zahlensymbol der dreifachen 6 »666« (Offb 13,18). Diese steht in der Johannesapokalypse verschlüsselt für den Namen eines Endzeitmonsters, das aus dem Meer aufsteigen und die Anbetung und Verehrung durch die Menschen erzwingen werde. Diesem »Tier aus dem Meer« tritt ein »Tier aus der Erde« zur Seite; beide empfangen ihre Macht von einem Drachen (Offb 13,1–18). Alle diese Symbolgestalten verkörpern die satanischen Mächte, die Gott entgegenstehen.
Randbemerkung Für streng monotheistische* Religionen wie die jüdische und die christliche stellt der römische Kaiserkult* eine Provokation dar. Es ist umstritten, ob das Judentum reichsweit davon befreit war oder ob ein jüdisches Fernbleiben nur hier und da geduldet wurde. Fest steht aber: Als die christlichen Gemeinden als eigene Ableger des Judentums auf den Plan traten, gerieten sie vielerorts in Konflikt mit dem römischen Staatskult. Bald kam es zu Gerichtsverfahren gegen Menschen, die sich zu Christus* bekannten. Kenntnis darüber geben nicht nur die christlichen Märtyrerakten* – die allerdings unter dem Verdacht stehen, zu Verkündigungszwecken alles ein wenig tendenziös darzustellen –, sondern auch nichtchristliche Quellen. So schrieb Plinius der Jüngere, Statthalter in der Provinz Bithynien-Pontus, am Beginn des 2. Jahrhunderts an Kaiser Trajan: »Vorerst habe ich bei denen, die bei mir als Christen angezeigt wurden, folgendes Verfahren angewandt. Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Wer gestand, den habe ich unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal gefragt; blieb er dabei, ließ ich ihn abführen. Diejenigen, die leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu
Gott oder Kaiser? Die Schrift des Johannes ist polemisch und streitbar. Schon die Sendschreiben zeigen, dass Irrlehrer aufgetreten waren, mit deren Interpretation des Christentums der Seher nicht einverstanden war. Hier schimmert ein Konflikt durch, der zu einer der großen Zerreißproben des frühen Christentums werden sollte: die Teilnahme am Kaiserkult*. Ende des 1. Jahrhunderts wurde es üblich, dass die römischen Kaiser die Loyalität, die sie von ihren Untertanen forderten, auch in religiösen Riten erwarteten. Dazu gehörten auch Opfer vor den Kaiserbildern. Menschen jüdischen oder christlichen Glaubens, denen die Verehrung des einen Gottes geboten war, brachte das in erhebliche Gewissenskonflikte. Der Seher Johannes kann diese Angst vor dem Kaiseropfer – und vor allem den Konsequenzen bei einer Verweigerung – in apokalyptische Bilder kleiden:
sein, glaube ich freilassen zu müssen, da sie nach einer von mir vorgesprochenen Formel unsere Götter anriefen und vor Deinem Bilde, das ich zu diesem Zweck zusammen mit den Statuen der Götter hatte bringen lassen, mit Weihrauch und Wein opferten, außerdem Christus fluchten.«
Und es wurde ihm gegeben, Geist zu verleihen dem Bild des Tieres, damit das Bild des Tieres reden und machen könne, dass alle, die das Bild des Tieres nicht anbeteten, getötet würden. (Offb 13,15)
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Wie sollten sich die Christen und ChrisRandbemerkung tinnen angesichts dieser sehr realen Als sich im 3. Jahrhundert der äußere politische und sehr tödlichen Bedrohung verhalDruck auf das römische Imperium erhöhte, galten Christengemeinden plötzlich als grundsätzlich unzuten? Der Seher Johannes hat dazu eine verlässig und damit als potenziell gefährlich. Kaiser klare Haltung: kein Götzenopferfleisch, Decius führte 249–251 n. Chr. einen allgemeinen kein Kaiserkult*. Vielleicht waren die Opferbefehl für das Kaiseropfer ein und ließ bescheiIrrlehrer, gegen die er in seinen Sendnigen, wer geopfert hatte. Infolgedessen kam es zu größeren Christenverfolgungen, die zu Beginn des 4. Jahrschreiben polemisiert, bereit, an diesem hunderts einen traurigen Höhepunkt erreichten. Sie Punkt Zugeständnisse an den Zeitgeist stürzten die frühe Kirche in eine große Krise. Wer für zu machen und in der Alltagstauglichseinen Glauben starb, wurde durch sein Martyrium* keit der eigenen Religion großzügiger zu zwar verklärt – doch zugleich lichteten sich die Reisein? Die Gemeinden, die Johannes vor hen der Gläubigen erheblich. Und wie sollte man mit denen umgehen, die sich dem Martyrium* im Sinne Augen hat, scheinen jedenfalls kurz davor eines tödlichen Zeugnisses für den eigenen Glauben zu sein, sich durch äußeren Druck und nicht stellten, sondern sich durch Flucht, Bestechung innere Auseinandersetzung aufzureiben. oder durch den Vollzug des geforderten Kaiseropfers Die Forschung hat versucht, die in dem Druck des Systems gebeugt hatten? Die Frage nach dem Umgang mit solchen reuigen Sündern der Apokalypse geschilderte Situation führte zu großen Zerreißproben in der Alten Kirche*. mit einer möglichen Christenverfolgung im Römischen Reich zu identifizieren. Kaiser Domitian, der von 81–96 n. Chr. regierte, ist der wahrscheinlichste Kandidat dafür, denn er hat sich, so überliefert es der antike Schriftsteller Sueton, als dominus et deus noster, also »unser Herr und Gott« anreden lassen. Johannes sieht sehr genau, wie schwierig die Situation für seine »Mitgenossen« (Offb 1,9) ist. Deshalb lockt er zum einen mit der Verheißung, dass alle, die standhaft bleiben, dafür belohnt werden – auch wenn sie diese Treue zu ihrem Gott mit dem Leben bezahlen. Sie werden zu dem »Rest« von 144.000 Menschen gehören, die sich auf dem Zion beim »Lamm« versammeln werden. Zum anderen droht Johannes immer wieder: Wer von Christus* abfällt, wird im Endgericht mit denen untergehen, die sowieso auf der falschen Seite stehen.
Armageddon – das Endgericht In der Johannesapokalypse läuft alles auf das große »Armageddon« (Offb 16,16) zu, den Ort des Endgerichts, an dem Gott alle Widersacher sammelt und Gericht* halten wird: Und ein andrer Engel kam vom Altar, der hatte Macht über das Feuer und rief dem, der das scharfe Messer hatte, mit großer Stimme zu: Setze dein scharfes Winzer-
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messer an und schneide die Trauben am Weinstock der Erde, denn seine Beeren sind reif! Und der Engel setzte sein Winzermesser an die Erde und schnitt die Trauben am Weinstock der Erde und warf sie in die große Kelter des Zornes Gottes. Und die Kelter wurde draußen vor der Stadt getreten, und Blut floss von der Kelter bis an die Zäume der Pferde, tausendsechshundert Stadien weit. (Offb 14,18–20)
Gott richtet und stellt damit Gerechtigkeit her – das ist die Botschaft, auf die sich Johannes bezieht und die er mit manchmal unerträglicher Drastik ausmalt. Denn in der Schau des Johannes kann Gerechtigkeit nur in der Vernichtung des Bösen und der Rettung der erlösten Christusgläubigen bestehen. Wo genau aber die Grenzen verlaufen, wird nicht immer deutlich. Und auch nicht, ob so etwas wie Buße und Bekehrung mitgedacht ist. So erscheint das göttliche Gericht* schnell gnadenlos.
Die Hure Babylon und das himmlische Jerusalem Immer wieder ist es die Siebenzahl, die die Vollständigkeit der Vernichtung anzeigt: sieben Siegel, sieben Posaunen, sieben Engel*, sieben Plagenschalen. Am Ende dieses Reigens steht der große Showdown: die Vernichtung der »Hure Babylon« (vgl. Offb 17–18), im Alten Testament immer Personifikation für Perversion, Schlechtigkeit und Unterdrückung Israels und des JHWH-Glaubens (vgl. Jes 47; Jer 51). Für die Leserschaft des Johannes dürfte »Babylon« deshalb unschwer als »Rom« zu entschlüsseln gewesen sein – also als die Macht, die aktuell den Glauben an den Gott Israels gefährdet. Mit großem Halleluja wird der große und grausame Sieg des Christus* eingeleitet (Offb 19). Dabei vermischen sich die Motive einer göttlichen Reinigung der Welt vom Bösen mit wilden Rachefantasien. Doch am Ende geht aus dem Untergang Babylons das neue Jerusalem hervor:
Randbemerkung Spekulationen um die Siebenzahl begegnen in allen Kulturen der Antike: die Kombination aus Quadrat und Dreieck oder die Anzahl der (fünf) damals bekannten Planeten zusammen mit Sonne und Mond, die Bedeutung des siebten Tages im Judentum als göttlichem Ruhetag – der Fantasie waren da wenig Grenzen gesetzt. Immer wieder ging es darum, einzelne Elemente besonders hervorzuheben oder die Vollständigkeit des göttlichen Wirkens zu betonen. Dies spielt auch in der Apokalypse eine wichtige Rolle.
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen
Der Seher Johannes. Gericht und Erlösung
wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. (Offb 21,1–4)
So endet also die Offenbarung des Johannes in einem großartigen Hoffnungsbild. Einem übrigens, bei dem Johannes ebenfalls aus den Motiven alttestamentlicher Prophetie lebt (vgl. Jes 60–62; Jes 65; Ez 48). Diese Sehnsucht, dass am Ende der Mühsal ein Ort steht, an dem alles einfach gut ist, weil Gott selbst Frieden und Gerechtigkeit schafft, ist etwas, was vermutlich immer schon und auch heute noch Menschen anspricht.
… zum Schluss Bei der Lektüre der Apokalypse zeigt sich besonders deutlich: Bei aller Emotionalität, die diese Bilder wecken können, bleibt vieles unverständlich, rätselhaft und kaum oder gar nicht nachvollziehbar. Schon Martin Luther hat dieser Schrift deshalb wenig Wertschätzung entgegengebracht und hätte sie sicher, wenn sie nicht sowieso schon am Schluss des Kanons gestanden hätte, zusammen mit anderen ihm unliebsamen Texten dorthin verschoben. Sein Vorwurf lautete, dass in dieser Schrift Christus* weder gelehrt noch erkannt werde.
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Andererseits haben apokalyptische Vorstellungen Menschen zu allen Zeiten fasziniert. Vielleicht deshalb, weil die apokalyptische Geschichtsschau das eigene Leid und Elend verständlich zu machen und ihm Bedeutung zu verleihen versucht – und zugleich einen Ausblick auf umfassende Veränderung und Rettung bietet. Daran allerdings wäre eine solche Haltung auch zu messen: Geht es um Rache und Gewaltfantasien oder um eine Deutung gegenwärtigen Erlebens mit dem Ziel, Menschen Stärke und Hoffnung zu schenken? Und zu fragen wäre auch: Geht es im christlichen Glauben um eine polemische oder sektiererische Absonderung von der Welt oder um die konstruktive Mitgestaltung der Welt? Hier wäre auch mit dem Verfasser der Johannesapokalypse zu streiten. Aber vielleicht ist das gar nicht die Frage des Johannes, der doch augenscheinlich von der Sorge um seine Gemeinden getrieben ist. Und das ist ihm ohne Zweifel zugute zu halten, dass er dabei die Hoffnung eben nicht aufgegeben hat, sondern gewiss ist: Gott wirkt in dieser Geschichte und er wird in Christus* seine Gemeinde retten.
Landkarten Israel zur Zeit Jesu
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Landkarten
Kleinasien zur Zeit des Paulus
Glossar Alte Kirche: Der Begriff bezeichnet die ersten Jahrhunderte der Kirchengeschichte bis etwa 500 n. Chr. In dieser Zeit entwickelten sich die kirchlichen Organisationsstrukturen sowie die Grundlagen der christlichen Theologie. Der Umfang des biblischen Kanons* wurde festgelegt und die christlichen Glaubensbekenntnisse festgeschrieben. Sie sind das Ergebnis eines gemeinsamen Ringens darum, was in Glaubensfragen richtig ist. Erst die Auseinandersetzung mit den als falsch erkannten Irrlehren führte zur Ausbildung einer eigenen »korrekten« Lehre; diese stand keinesfalls von Anfang an fest. So wurde in großen Konzilien* die Trinitätslehre* festgelegt und die Frage nach dem Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus* (die sogenannte Zwei-Naturen-Lehre) entschieden. Apokryphen/apokryph: Die neutestamentlichen Apokryphen sind christliche Schriften, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, obwohl ihre Verfasserangaben signalisieren, dass sie von einem wichtigen Glaubenszeugen stammen wollen. Zu den christlichen Apokryphen gehören einige Evangelien, die besondere Offenbarungen oder ein geheimes Wissen über Jesus zeigen; besonders bekannt sind das gnostisch* inspirierte Thomasevangelium oder das Protevangelium des Jakobus, das dem Herrenbruder zugeschrieben wurde. Apostelkonzil: siehe Konzil Aramäisch: Aramäisch ist eine der semitischen Sprachen und war die Sprache Jesu und seiner Jüngerschaft. Sie war zur Zeit Jesu weit verbreitet. So wurde in den ersten Jahrhunderten n. Chr. die Tora für den Gebrauch in der jüdischen Synagoge übersetzt und auch der Jerusalemer Talmud ist in Aramäisch abgefasst. Babylonisches Exil: siehe Exil
Christus: Christus ist kein Namensanteil, sondern die griechisch-lateinische Form des hebräischen Ehrentitels Messias*, der als »Gesalbter« zu übersetzen ist. Davidsohn: Mit diesem Titel wird ein männlicher Nachfahre der Daviddynastie bezeichnet. Davids Königtum wurde im Rückblick zur goldenen Zeit eines israelitischen Großreiches verklärt. Als Israel über Jahrhunderte Eroberung und Fremdherrschaft erleben musste, wuchs die Hoffnung auf einen würdigen Nachfahren Davids, der das Königreich seines Vaters wieder aufrichten würde. Auch im Neuen Testament hat sich die Erwartung niedergeschlagen, dass der Messias* aus dem Haus Davids kommen werde (vgl. Mt 1,1–17; Lk 3,23–28). Diaspora: Das griechische Wort »Diaspora« leitet sich von dem Verb »ausstreuen, zerstreuen« ab. Es beschreibt in der Bibel die Situation von Menschen jüdischen Glaubens außerhalb Palästinas und deren Trennung vom Heimatland. Eine jüdische Diaspora entstand zum Beispiel im babylonischen Exil* Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. aufgrund der Deportationen nach der Eroberung Jerusalems. Theologisch wurde die Zerstreuung als Gefangenschaft und Exil* gedeutet und als Strafe JHWHs* verstanden. Allerdings lebten jüdische Menschen aus sehr vielfältigen Gründen außerhalb Palästinas, etwa als Kaufleute, als Soldaten und häufig als Flüchtlinge vor Hunger, Gewalt oder Krieg. Oft gingen von den Diasporagruppen wichtige theologische Impulse aus. Elia: Bei Elia handelt es sich um einen wichtigen Propheten des Alten Testaments. Sein Name bedeutet »Mein Gott ist JHWH« und von ihm werden in den Königebüchern zahlreiche Geschichten und Wunder überliefert. Nach 2Kön 2,1–18 wurde Elia lebendig in den Himmel entrückt, daraus entwickelte sich die Erwartung, dass er
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Glossar
als Wegbereiter Gottes vor dem Endgericht zurückkehren werde (vgl. Mal 3,23–24). Auch Jesus selbst und die Synoptiker* teilten diese Erwartung und sahen sie in Johannes dem Täufer erfüllt (vgl. u. a. Mt 11,14). Engel: Als Engel treten im Alten Testament menschliche Gestalten auf. Sie sind Gesandte Gottes und vermitteln zwischen Gott und menschlicher Wirklichkeit. So erscheinen sie auch im Neuen Testament, wenn etwa Engel Josef und Maria mitteilen, welche Bedeutung diese Schwangerschaft hat (Mt 1,20–21; Lk 1,28–32), oder den Hirten, dass Jesus als Retter geboren sei (Lk 2,9– 14). Genauso verkündet ein Engel den Frauen am Grab, dass Jesus auferstanden ist (vgl. Mt 28,1– 5; Mk 16,5–7). Engel dienen Jesus in der Wüste (vgl. Mk 1,13) wie einst dem Propheten Elia (vgl. 1Kön 19,3–7). Petrus wird von einem Engel aus dem Gefängnis befreit (Apg 12,7–10) und in der Apokalypse werden die Engel zu Verkündern des göttlichen Gerichts (Offb 15–16). Eschatologie/eschatologisch: Vom Griechischen her bezeichnet das Eschaton die »letzten Dinge«. Eschatologie beschreibt im Alten Testament die prophetische Lehre von der endzeitlichen Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung. Die neutestamentliche Eschatologie nimmt ihren Ausgangspunkt in der Ankündigung Jesu, dass die Gottesherrschaft nahegekommen und gleichzeitig in seinem Handeln schon gegenwärtig sei. Die christliche Existenz ist geprägt von dieser eigentümlichen Spannung, wonach die Zukunft bereits die Gegenwart erfüllt. Exil: Mit dem Schlüsselwort vom »Babylonischen Exil« wird in der Bibel die prägende Erfahrung der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 587 v. Chr. und die Deportation der Oberschicht nach Babylon benannt. Weil die Babylonier ihre Gefangenen als Gruppe umsiedelten, konnte sich die jüdische Identität erhalten. Theologisch wurde das Exil in vielen Texten des Alten Testaments als Strafe Gottes für die Sünden des Volkes Israel und seiner Könige gedeutet. Die Exilszeit endete 539 v. Chr., als Babylon von den Persern erobert und die jüdischen Gefangenen zurück in ihre Heimat entlassen wurden.
Manche Jüdinnen und Juden blieben in Babylon und bildeten den Kern der späteren babylonischen Diaspora*. Exodus: Als Exodus (lateinisch »Auszug«) bezeichnet man den »Auszug aus Ägypten«, also die Erzählung von der Rettung der Israeliten aus der Sklaverei des ägyptischen Pharaos unter der Führung des Mose. Sie wird im 2. Buch der Tora*, genannt Exodus, beschrieben (Ex 1–15). Der Exodus gilt als eines der Urdaten der Geschichte des Volkes Israel. Bis heute erinnert sich die jüdische Gemeinde jedes Jahr aufs Neue im Passa fest* an den Exodus als zentrale Befreiungserfahrung und Erwählung des Volkes durch seinen Gott JHWH*. Exorzismus: Wer in der religiösen Praxis der Dämonenaustreibung bewandert ist, wird lateinisch als Exorzist bezeichnet. Weil im antiken Judentum eine Krankheit auch als Folge der Besessenheit von bösen Geistern gelten konnte, können Heilungen und Exorzismen in der neutestamentlichen Überlieferung nahe beieinander liegen; Jesus war nicht nur Heiler, sondern auch Exorzist. Galiläa: So wird ein Gebiet im Norden Israels bezeichnet; der Name steht als hebräische Abkürzung für den Ausdruck »Bezirk der Heiden«. Galiläa war geprägt durch dörfliche Strukturen und hatte nur wenige Städte, die wichtigsten waren Sepphoris und Tiberias. Dort liegt auch der See Genezareth*, der als Ort des Wirkens Jesu eine wichtige Rolle spielte. Garizim: Der Garizim ist ein Berg in Samaria* und repräsentiert für die Samaritaner ihren eigenen Heiligen Ort, an dem sie den Gott JHWH* verehren. Genezareth: Der See Genezareth befindet sich im Norden Israels im Jordanbecken und ist circa 170 Quadratkilometer groß. Zur Zeit Jesu gehörte er zur Landschaft Galiläa* und hatte große Bedeutung für die dortige Bevölkerung als Süßwasserquelle und für den Fischfang. Gerichtstag: siehe Jüngstes Gericht
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Glossar
Gethsemane: Der Garten Gethsemane lag am Fuß des Ölbergs, das heißt nordöstlich des Tempelareals in Jerusalem. Dort hielt Jesus sich am Abend des Passamahls* auf und dort wurde er nach übereinstimmendem Bericht aller Evangelien verhaftet. Am Ölberg soll Jesus der Überlieferung des Lukas nach in den Himmel aufgefahren sein (vgl. Lk 24,50–53; Apg 1,9–11). Gnosis/gnostisch: Mit dem griechischen Begriff Gnosis (»Wissen, Erkenntnis«) werden verschiedene religiöse Strömungen der ersten Jahrhunderte n. Chr. bezeichnet. Auch im christlichen Kontext gab es gnostische Gruppen: christliche Abspaltungen, die behaupteten, über ein zusätzliches Geheimwissen zu verfügen. Das waren oft Lehren, in denen sich christliche Gedanken und antike Volksfrömmigkeit mischten. Die Gnosis wurde in der Alten Kirche* als Irrlehre bekämpft. Zentrales Element ist ein Dualismus, wonach es einen vollkommenen, aber verborgenen Gott auf der einen und einen niedrigeren Schöpfergott auf der anderen Seite gebe. Jesus Christus* sei als Gesandter des obersten Gottes in die Welt gekommen, um alle Geschöpfe des niedrigeren Schöpfergottes daran zu erinnern, dass auch sie in sich den vollkommenen göttlichen Lichtfunken trügen. Grundlage der eigenen Erlösung sei die Erkenntnis dieser Zweiteilung der Welt. Gottesfürchtig: Gottesfürchtig war aus jüdischer Sicht jemand, der oder die mit der jüdischen Religion sympathisierte und sich deshalb am religiösen Leben in der Synagoge* beteiligte und jüdischen Gesetzen folgte, ohne jedoch schon zum Judentum übergetreten zu sein. Diesen Schritt gingen dann die Proselyten*. Gottessohn/Gottessohnschaft: siehe Sohn Gottes Handschriften: Vor der Erfindung des Buchdrucks wurden Texte von Hand abgeschrieben. Das geschah auch mit den Bibeltexten, die zunächst auf Papyrus, später auf Pergament kopiert wurden. Die älteste erhaltene neutestamentliche Handschrift ist ein Papyrus aus dem Jahr 125 n. Chr. mit einigen Versen aus dem Johannesevangelium. Die ältesten komplett erhal-
tenen Bibel-Handschriften stammen aus dem 4. Jahrhundert (Codex Sinaiticus und Codex Vaticanus). Handschriften sind wichtige Zeugen dafür, wie Bibeltexte überliefert und wie sie im Zuge des Überlieferungsprozesses verändert wurden, sei es durch unabsichtliche Abschreibfehler, sei es durch absichtliche Änderungen. Hasmonäer: Als Hasmonäer bezeichnet man ein jüdisches Herrschergeschlecht, dem es gelang, für circa 100 Jahre einen selbstständigen jüdischen Staat zu errichten. Als Folge der Makkabäeraufstände* herrschten die Hasmonäer von 167 v. Chr. bis zur Eroberung durch die Römer 63 v. Chr. über Israel. Der Ahnherr der Hasmonäer ist der Priester Mattatias, der mit seinen Söhnen die Makkabäeraufstände* anführte. Sie waren Herrscher und Hohepriester* zugleich und begründeten ein religiöses Priesterkönigtum. Heide/Heidin/heidnisch: »Heidnisch« ist ein Begriff religiöser Abgrenzung. Aus jüdischer Sicht waren die Völker (gojim), die nicht an JHWH* glaubten, den Heiden zuzurechnen. In jüdischchristlicher Perspektive gerieten zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments damit zumeist die nichtmonotheistischen* Religionen Persiens, Kleinasiens, Griechenlands und Roms in den Blick. Hellenismus/hellenistisch: Der Begriff »Hellenismus« bezeichnet die gesamte Epoche vom Regierungsantritt Alexanders des Großen bis zur Eroberung Ägyptens durch die Römer 30 v. Chr., doch halten die kulturellen Einflüsse des Hellenismus noch bis in die Spätantike an. Er beschreibt die Verbreitung der griechischen Kultur und die Vermischung mit Einflüssen aus dem Vorderen Orient. Der Einfluss des Hellenismus auf den jüdischen Glauben zeigt sich in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (der sogenannten Septuaginta*) sowie der Entstehung einer bedeutsamen jüdischen Philosophentradition in Ägypten, wo unter anderem Philo von Alexandria anzusiedeln ist. Historisch/Historizität/historischer Jesus: Jeder historische Bericht spiegelt die Intentionen derer, die ihn verfasst haben, und ist deshalb quellenkri-
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Glossar
tisch zu interpretieren. Dass eine Überlieferung geschichtliche Wahrheit suggeriert, sagt noch nichts über ihre tatsächliche Historizität aus. Die historisch-kritische Wissenschaft hat deshalb Methoden erarbeitet, um zu ermessen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Geschichtsereignis stattgefunden hat. Diese Methoden lassen sich auch auf die neutestamentliche Literatur anwenden. Dabei hat die Frage nach dem »historischen Jesus«, seinem Leben, seinem Wirken und seiner Verkündigung eine besondere Bedeutung. Hier geht es etwa um die Einschätzung, ob eine überlieferte Begegnung, eine Aussage oder ein Bericht »historisch« ist in dem Sinne, dass das Überlieferte sich mit großer Wahrscheinlichkeit ereignet hat. Wichtig ist dabei: Die Beurteilung der Historizität einer Überlieferung stellt kein Urteil über die Wertigkeit der in ihr enthaltenen theologischen Aussagen dar. Hohepriester: Das Hohepriesteramt stellte zur Zeit Jesu die oberste religiöse Autorität im Judentum dar. Während des Bestehens des Zweiten Tempels* durfte nur der Hohepriester das Allerheiligste betreten, und zwar am Jom Kippur*. Nach der Tora* wurde Aaron, der Bruder des Mose, von Gott selbst als oberster Priester ausersehen (Ex 28). Vor der Eingliederung Israels in das Römische Reich wurde der Hohepriester lebenslang in sein Amt eingesetzt, eine Zeitlang konnte das Amt auch vererbt werden. Die römischen Herrscher führten ein, dass sie die Hohepriester ernennen und absetzen konnten. Nach der Zerstörung des Tempels verlor das Amt an Bedeutung. Das Neue Testament redet von Hohepriestern auch in der Mehrzahl, gemeint sind auch ehemalige Hohepriester oder Mitglieder ihrer Familien. Der Hohepriester, der den Prozess gegen Jesus führte, trug den Namen Kaiphas. Hoher Rat: Der Hohe Rat oder das Synhedrion (griechisch für »Versammlung«) bezeichnet das oberste religiöse Gremium im antiken Judentum. Den jüdischen Schriften nach bestand er aus circa 70 Mitgliedern, nämlich Priestern, Ältesten und Schriftgelehrten, wobei die Letzteren hauptsächlich die beiden religiösen Strömungen der Pharisäer und Sadduzäer repräsentierten. Der
Hohe Rat tagte in Jerusalem und besaß auch zu römischer Zeit noch erheblichen Einfluss; ob er allerdings ein Todesurteil wie das über Jesus noch hätte fällen können, ist umstritten. Den Vorsitz führte ursprünglich der Hohepriester*; nach der Tempelzerstörung wurden dann die Pharisäer die wichtigste Partei im Hohen Rat. JHWH: Diese vier hebräischen Buchstaben bilden den Namen des jüdischen Gottes; der Fachbegriff lautet Tetragramm. Weil das Hebräische eine Konsonantenschrift ist, in der Vokale zwar gesprochen, aber nicht geschrieben werden, bleibt die Rekonstruktion der genauen Aus sprache des Gottesnamens unsicher; man vermutet heute, sie könne etwa »Jahwe« lauten. Dabei handelt es sich um eine hebräische Verbform, die übersetzt so viel heißt wie »er lässt wehen«. Man vermutet, dass JHWH ursprünglich ein Wettergott gewesen sei und zusammen mit einem ganzen Götterhimmel verehrt wurde. Erst nach und nach kam Israel zu dem Glauben, dass dieser Gott JHWH der eine und einzige Gott ist – was heute als Monotheismus* bezeichnet wird. Bis heute sprechen Menschen jüdischen Glaubens den Namen Gottes nicht aus. Schon als der hebräische Bibeltext im Mittelalter mit Vokalen versehen wurde, setzte man deshalb im Tetragramm bewusst falsche Vokale ein, nämlich die des Titels adonaj, also: »Herr«. So verhinderte man, dass jemand aus Versehen den Gottesnamen aussprach. Liest man diese falschen Vokale unter den richtigen Konsonanten JHWH, so ergibt sich die falsche Aussprache Jehova. Jüdinnen und Juden lesen heute adonaj oder haSchem (»der Name«). Jom Kippur: Der »Große Versöhnungstag« ist der höchste jüdische Feiertag. Er findet zehn Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana statt. Er wird heute als Tag der Buße und Umkehr begangen. Zur Zeit des Zweiten Tempels* war dies der einzige Tag im Jahr, an dem der jüdische Hohepriester* das Allerheiligste im Tempel* betrat. Er bat dort Gott um Vergebung für die Sünden des Volkes. Dafür wurde ein Ziegenbock am Brandopferaltar geschlachtet und ein zweiter Bock, der Sündenbock, symbolisch mit den Sünden der Israeliten beladen und in die Wüste gejagt.
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Jüngstes Gericht/Gerichtstag Gottes: Die eschatologische* Vorstellung eines göttlichen Gerichts über alle Lebenden und Toten, durch das dieses Weltgeschehen beendet wird, ist sehr alt. Sie findet sich im Alten Testament (»Tag JHWHs«), hat aber bereits Vorläufer in anderen Religionen. Auch das Neue Testament warnt vor einem kommenden Gericht, das über den Eingang des oder der Einzelnen in Himmel oder Hölle entscheidet; vgl. das sogenannte Gleichnis vom großen Weltgericht in Mt 25,31–46. Johannes der Täufer warnte vor einem Feuergericht mit Gott als Weltenrichter (vgl. Mt 3,11–12). In der Offenbarung des Johannes wird das Weltgericht in farbigen Bildern entfaltet, aber auch einer großen Hoffnung Raum gegeben. Das Christentum übernahm also die Vorstellung vom Jüngsten Gericht, kombinierte sie aber mit der Hoffnung, aufgrund des Glaubens an den gekreuzigten und auferstandenen Christus* durch das Gericht hindurch gerettet zu werden. Kaiserkult: Die kultische Verehrung der Kaiser des Römischen Reichs seit der Regierungszeit des Kaisers Augustus bezeichnet man als Kaiserkult. Man brachte den toten und später auch den lebenden Kaisern Opfer dar und betete ihr Bildnis an, um sich die Götter für sich, die Familie oder für die Volksgemeinschaft gewogen zu machen. Die Herrscher wurden nicht als Götter verehrt, sondern als vergöttlichte Menschen – eine Unterscheidung, die es allerdings für jüdische und christliche Gläubige nicht einfacher machte, sich solchem Kult zu unterwerfen. Das Verhältnis des eigenen Glaubens zum Kaiserkult war deshalb für Judentum wie Christentum oft eine Zerreißprobe und staatlicherseits ein Grund für Verfolgungen und Gerichtsverfahren.
lemer Tempels*: Umgebaut unter Herodes dem Großen und vollendet kurz vor Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges 66 v. Chr., wurde der Tempel bereits 70 n. Chr. von den Römern zerstört. Lediglich die Westmauer blieb weitgehend erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei kultische Bedeutung, inzwischen gilt sie vielen Jüdinnen und Juden als Symbol für den ewig bestehenden Bund mit Gott und ist zum Ort für Gebete geworden. Kleinasien/kleinasiatisch: Kleinasien ist der westliche Teil der Türkei, der in der Antike zur römischen Provinz Asia gehörte und seit Ale xander dem Großen hellenistisch* geprägt war. Konversion: Konversion bezeichnet den formalen Übertritt von einer Religionsgemeinschaft in eine andere. Wenn Menschen in der Antike zum Judentum konvertierten, waren sie zur Einhaltung der jüdischen Regeln und Speisegebote verpflichtet. Bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. gab es eine innerjüdische Debatte darüber, ob eine Konversion von Männern auch die Beschneidung mit einschloss oder nicht.
Kanon/kanonisch: Der Begriff »Kanon« bedeutet so viel wie Richtschnur oder Messlatte. In der Alten Kirche* bezeichnete er zunächst die richtige Norm für das, was zu glauben ist. In späteren Jahrhunderten wurde »Kanon« dann zur Bezeichnung für den Umfang der Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments.
Konzil: Der Begriff kommt von dem lateinischen Wort consilium und bedeutet so viel wie Rat oder Zusammenkunft. Konzilien stehen für offizielle kirchliche Versammlungen, bei denen zentrale theologische Fragen besprochen werden. Das erste große Konzil war das sogenannte Apostelkonzil, das 49 n. Chr. stattfand und an dem unter anderem Paulus und Petrus teilnahmen. Das letzte große Konzil der katholischen Kirche war das 2. Vatikanische Konzil, das von 1962–1965 tagte. Schon in der Alten Kirche* stellten die Konzilien ein wichtiges Instrument dar, um gemeinsame Vereinbarungen über Glaubensgrundlagen zu treffen. Zu den bedeutsamsten zählen die von Nicäa 325 n. Chr. und von Konstantinopel 381 n. Chr., bei denen die Trinitätslehre* festgeschrieben wurde, sowie das Konzil von Chalcedon 451 n. Chr., wo offene Fragen zum Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Jesu Christi* entschieden wurden.
Klagemauer: Bei der Klagemauer handelt es sich um die westliche Umfassungsmauer des Jerusa-
Levit: Der Begriff bezeichnet die Söhne Levis, das heißt die Mitglieder eines der zwölf Stämme
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Israels nach der alttestamentlichen Genealogie der Jakobssöhne. Nach Dtn 18,1 ff. sind die Leviten zum Tempeldienst bestimmt (vgl. auch Num 1,49–50). Der Tradition nach stellen sie die Assistenten der Priester, der Kohanim, die als besondere Gruppe der Leviten in direkter Linie auf Moses Bruder Aaron zurückgeführt werden. Diese strikte Unterscheidung, die zum Beispiel bei der Geschichte vom barmherzigen Samariter (vgl. Lk 10,25–37) noch vorausgesetzt ist, hat seit der Zerstörung des Tempels* allerdings an Bedeutung verloren. Logienquelle/Quelle Q: Die hypothetische Schrift quelle Q stellt neben dem Markusevangelium die zweite wichtige Quelle innerhalb der Zwei-Quellen-Theorie dar. Diese These besagt: Matthäus und Lukas haben nicht nur die Inhalte des Markusevangeliums übernommen, sondern beide aus einer weiteren schriftlichen Quelle, genannt Q, abgeschrieben. Leider hat sich Q nicht bis heute erhalten, daher wird sie aus den gemeinsamen Überlieferungen bei Matthäus und Lukas rekonstruiert. Die Forschung geht heute davon aus, dass Q circa 50 n. Chr. entstand und vor allem Aussprüche Jesu enthielt (deshalb »Logienquelle«), jedoch fast keine Erzählungen und auch keine Passionsgeschichte.
des Christentums sind zahlreiche christliche Märtyrerakten überliefert; sie dienen bei aller literarischen Stilisierung als wichtige Quelle für die frühe christliche Geschichte. Menschensohn: Der Begriff »Menschensohn« kann im Hebräischen einfach nur für »jemand« oder »einer« stehen und als Umschreibung für »ich« dienen. Der Ausdruck »Menschensohn« (oder wörtlich übersetzt: »der Sohn des Menschen«) im Neuen Testament nimmt allerdings Bezug auf das Danielbuch (vgl. Dan 7,13–14), wo es heißt, es werde jemand kommen, »der aussah wie der Sohn eines Menschen«, und dem Gott nach dem Jüngsten Gericht* die Herrschaft über sein zukünftiges Reich übergeben werde. Das Neue Testament übertrug diesen Hoheitstitel auf Jesus Christus*. Der historische* Jesus selbst hat sich vermutlich nicht mit dem kommenden Menschensohn aus Dan 7 identifiziert.
Makkabäer(aufstände): Im 2. Jahrhundert v. Chr. führten die Makkabäer aus dem Geschlecht der Hasmonäer* einen erfolgreichen Aufstand gegen die Fremdherrscher in Jerusalem an. Sie wandten sich gegen die Zunahme des hellenistischen* Einflusses auf den Tempelkult*; der Auslöser war die Errichtung eines Zeusheiligtums im Tempel*. Die Fremdherrscher wurden vertrieben und ein jüdisches Königreich errichtet, das erst 100 Jahre später durch die Römer erobert werden konnte.
Messias/messianisch: Der hebräische Begriff bedeutet wörtlich »Gesalbter«. Ursprünglich wurde in Israel wie im Alten Orient der König als Stellvertreter Gottes auf Erden gesalbt (vgl. Ps 2 und die Salbungen Sauls und Davids durch den Propheten Samuel in 1Sam 9 und 16). Diese Vorstellung wurde nach dem Exil* eschatologisch* überhöht. Schon in späten Teilen des Jesajabuches findet sich etwa die Erwartung eines zukünftigen Messias, der Gottes Willen endgültig zur Geltung bringen und ein neues Reich Israel in Gerechtigkeit und Freiheit errichten werde (vgl. Jes 9,1–6; Jes 11; Jer 33,17). Für die ersten Christinnen und Christen hat sich diese Erwartung des Messias in Jesus Christus* verwirklicht. Für Menschen jüdischen Glaubens steht diese Erfüllung im Allgemeinen noch aus.
Märtyrer/Märtyrerin/Martyrium: Martyrium bedeutet übersetzt »Zeugnis« und eine Märtyrerin ist eine, die wegen ihres Bekenntnisses zu ihrem Glauben zu Tode gekommen ist. Schon das Judentum kennt solche Menschen (vgl. 2Makk 7: Tod aus Treue zur Tora* und als Sühne für das eigene Volk), doch taucht der Begriff »Märtyrer« erstmals in christlichen Texten Ende des 2. Jahrhunderts auf. Apg 6–8 erzählt vom Martyrium des Stephanus. Aus den ersten Jahrhunderten
Monotheismus: Der Begriff setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern monos (= allein) und theos (= Gott) zusammen und bezeichnet den Glauben an die Existenz nur einer einzigen Gottheit. Den Gegensatz dazu stellt der Polytheismus dar (= Glaube an viele Götter). Das Judentum hat sich über viele Jahrhunderte zu einer der ersten monotheistischen Religionen entwickelt, aus der heraus sich das Christentum und letztlich auch der Islam entwickelten.
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Glossar
Nachösterlich: Die Auferstehung Jesu ist ein Glaubensereignis, das für das Christentum zentral wurde. Von diesem Glauben her fand literarisch eine wesentliche Neudeutung der Aussprüche von und Erzählungen über Jesus statt. Der exegetische Fachbegriff »nachösterlich« bezeichnet Texte, denen man anmerkt, dass sie von Ostern her auf das Wirken Jesu zurückblicken. Parusie: Von dem griechischen Wort parousia (Gegenwart) wird die Bezeichnung für die eschatologische* Wiederkunft Christi abgeleitet. Sie wurde von den frühen Christengemeinden als unmittelbar bevorstehend erwartet. Dass sie noch aussteht, kann entsprechend als Parusieverzögerung beschrieben werden. Passa/Passafest: Jährlich vom 15.–21. (22.) Nisan, dem jüdischen Frühlingsmonat, wird das Passa fest gefeiert. Heute ist es ein Familienfest, an dessen Beginn der Sederabend steht. Der Name »Passa« leitet sich ab von dem hebräischen Verb für »vorübergehen« und nimmt Bezug auf den Auszug aus Ägypten. Die Bibel beschreibt nämlich, dass Gottes Strafgericht an den Ägyptern (die Tötung ihrer Erstgeborenen) deshalb an den Israeliten vorübergegangen sei, weil diese ihre Türen mit dem Blut geschlachteter Lämmer besonders gekennzeichnet hätten (vgl. Ex 12,13). Das Passa bewahrt die Erinnerung an Gottes Befreiungstat im Exodus*. Zur Zeit Jesu wurde das Passa jedes Jahr als Wallfahrtsfest in Jerusalem gefeiert. Auch Jesus und seine Jüngerschaft nahmen als Juden und Jüdinnen ihrer Zeit selbstverständlich daran teil. Perikope: Der Begriff steht für ein »ringsherum behauenes Stück« und bezeichnet als Fachbegriff einzelne Abschnitte aus der Bibel, die für die Lesung im Gottesdienst abgegrenzt wurden. Die Kapitel- und Verszählungen in der Bibel gehörten nicht ursprünglich zum Text, sondern sind um der besseren Lesbarkeit willen im Mittelalter ergänzt worden. Eine Perikope ist eine in sich geschlossene Einheit eines Bibeltextes, wobei diese Einheiten unterschiedlich lang sein können. Präexistenz: Die Vorstellung, dass Jesus Christus* bereits existiert habe, bevor er auf Erden
gelebt hat, bezeichnet man in der christlichen Theologie als Präexistenz. Diesem Gedanken folgt zum Beispiel das Johannesevangelium. Hier wird Jesus deshalb auch nicht – wie andere Menschen – einfach geboren, sondern es wird über ihn ausgesagt, dass er als ewiges Wort Gottes Fleisch wurde (Joh 1,14). Insgesamt ist der Gedanke einer Präexistenz im Neuen Testament nur angelegt, er wurde erst später vollständig als Lehre ausgeformt. Prophet/Prophetin: Im Kontext der biblischen Schriften ist ein Prophet oder eine Prophetin ein Mann oder eine Frau, der oder die aufgrund einer Berufung durch Gott mit Vollmacht seinen Willen verkündet. Wichtige Prophetengestalten des Alten Testaments sind Mose und Elia, Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Micha und Amos, aber zum Beispiel auch Debora. Im Urchristentum galt Johannes der Täufer als der letzte und wichtigste der Propheten Israels. Jesus von Nazareth bezeichnete sich nach Mk 6,4 einmal auch als Prophet und wurde nach Mk 8,28 von vielen seiner Zeitgenossen als Prophet verstanden. Proselyt: Der griechische Begriff meint »Hinzugekommener« und bezeichnet in den Texten des Neuen Testaments einen Menschen, der zum jüdischen Glauben gewechselt, also konvertiert* ist. Von einem Proselyten zu unterscheiden sind die Gottesfürchtigen*, die diesen Schritt des Religionswechsels noch nicht endgültig vollzogen haben. Pseudepigrafie/Pseudepigrafen: Der Begriff bedeutet so viel wie »Falschzuschreibung« und bezeichnet Schriften, die sich bewusst den Namen einer anderen Autorität leihen. Pseudepigrafie war in der Antike ein weit verbreitetes Phänomen, das sich auch in der Bibel findet. Die Wissenschaft geht zum Beispiel davon aus, dass von den 14 Paulusbriefen nur die Hälfte tatsächlich von Paulus verfasst wurde, während die sieben anderen (Eph, Kol, 2Thess, 1Tim, 2Tim, Tit und Hebr) von Schülern des Paulus stammen. Quelle Q: siehe Logienquelle Sabbat: Der hebräische Begriff »Schabbat« ist abgeleitet von dem hebräischen Verb für »aufhören,
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Glossar
nachlassen«. Der Sabbat bezeichnet den letzten Tag der Woche, der zugleich ein Ruhetag ist. Dass man am siebten Tage ruhen solle, ist in den Zehn Geboten verankert, findet dort allerdings zwei verschiedene Begründungen: Ex 20,8 betont, dass auch Gott am siebten Tag von der Schöpfung ausgeruht habe. Dtn 5,12 schreibt das Ruhen am Sabbbat vor, weil man an diesem Tag an die Befreiung aus Ägypten, den Exodus*, denken solle. Das antike Judentum befolgte diese Anordnung allerdings mit Augenmaß; so wurden Tiere, die an einem Sabbat in den Brunnen gefallen waren, selbstverständlich gerettet (vgl. Lk 14,5). Dennoch ist die Frage nach dem, was am Sabbat erlaubt ist und was nicht, zumindest im Rückblick der Evangelisten immer wieder Gegenstand der Diskussion zwischen Jesus und seinen Gegnern. Samaria: Samaria bezeichnet als Landschaft den nördlichen Teil des heutigen Westjordanlandes, eine Bergregion, die von Judäa im Süden und Galiläa* im Norden begrenzt wurde. Die Stadt Samaria war die erste Hauptstadt des 722 v. Chr. zerstörten Nordreichs Israel. Zur Zeit Jesu galten die Samaritaner aus Sicht des Jerusalemer Judentums nicht als vollwertige Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinschaft, weil sie in ihrem Heiligtum auf dem Garizim den jüdischen Gott nach eigenen Regeln verehrten. Bis heute gibt es kleine samaritanische Gemeinden in Israel. Sch’ma Jisrael: Das Sch’ma Jisrael ist eines der wichtigsten jüdischen Glaubensbekenntnisse. Seinen Namen hat es wegen des hebräischen Beginns des entsprechenden biblischen Abschnitts Dtn 6,4–9, er bedeutet »Höre Israel«. Das Sch’ma Jisrael bekennt die Einheit und Einzigkeit Gottes und formuliert wichtige Gebote für den jüdischen Glauben, wie zum Beispiel das Anlegen von Gebetsriemen, das Anbringen von Kapseln mit dem Bekenntnistext an Türpfosten sowie die Pflicht zur Weitergabe der Tradition an die nächste Generation. Bis heute ist das Sch’ma Jisrael fester Bestandteil des jüdischen Morgen- und Abend gebets sowie des Synagogengottesdienstes. Semitisierend: Der Fachbegriff beschreibt eine sprachliche Besonderheit mancher neutestamentlicher Bücher und bezeichnet solche Texte,
deren Griechisch nach Hebräisch oder Aramäisch* klingt. Das zeigt sich besonders an der Syntax und bestimmten Begriffen. Für die neutestamentliche Wissenschaft kann sich daran das Alter bestimmter Texte festmachen, aber auch die Frage, ob hier der historische* Jesus zu Wort kommt, der vermutlich nicht griechisch, sondern aramäisch* sprach. Allerdings finden sich auch Texte, die bewusst semitisierend gestaltet sind. Septuaginta: Als Septuaginta wird die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische bezeichnet, die im 3. Jahrhundert v. Chr. begann. Sie wurde der Legende nach von 70 Gelehrten vollzogen; daher die Kurzform LXX für die römische Zahl 70. Die Zitate des Alten im Neuen Testament geben in der Regel die Septuagintafassung des Bibeltextes wieder. Sohn Gottes: Im Alten Testament wie in der altorientalischen Königsideologie handelt es sich bei »Sohn Gottes« um einen Königstitel für den inthronisierten Herrscher als Stellvertreter Gottes auf Erden. Im Neuen Testament erhält Jesus Christus* den Titel. Die Bibel erzählt, dass Gott Jesus spätestens in der Taufe durch Johannes den Täufer als Sohn annimmt (Mk 1,11). Die Wissenschaft geht davon aus, dass Jesus sich nicht selbst als Sohn Gottes bezeichnet hat, sondern dass es sich bei der Übertragung dieses Hoheitstitels auf Jesus um eine spätere theologische Verdichtung seiner besonderen Botschaft und Sendung handelt. Speisegebote: Die biblischen Speisegebote bilden die Grundlage für die bis heute gültigen jüdischen Speisegebote. Im Alten Testament finden sich genaue Angaben darüber, welche Tiere als unrein gelten und nicht gegessen werden dürfen und wie die reinen Tiere zubereitet werden müssen. Für die Zubereitung ist wichtig, dass man sich jeglichen Blutgenusses enthält, dass also die Tiere auf eine bestimmte Weise geschlachtet (»geschächtet«) werden. Die jüdischen Speisegebote ergänzen gegenüber den biblischen noch die explizite Trennung von Milch und Fleisch. Sühnopfer: Das Alte Testament beschreibt verschiedene Opferrituale, die die Wiederherstel-
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Glossar
lung einer Beziehung zwischen den schuldig gewordenen Menschen und Gott ermöglichen sollen. Dazu zählen unter anderem Tieropfer, aber auch eine Altarweihe, die Reinigung eines Hauses oder Speiseopfer. Laut Lev 17,11 gilt das Blut als der Sitz des Lebens; beim Opfer vergossen, symbolisiert es stellvertretende Lebenshingabe. So ermöglicht der Tod des Opfertieres das Weiterleben des schuldig gewordenen Menschen. Theologisch problematisch ist, dass sich dafür der (alttestamentlich nicht belegte) Begriff Sühnopfer eingebürgert hat. Denn er suggeriert, ein Mensch könne selbst für seine Vergebung sorgen. Dabei ist das eigentliche Subjekt jedes alttestamentlichen Opferrituals Gott selbst, der als Geschenk und durch den Kontakt mit seiner Heiligkeit im Ritual neues Leben ermöglicht. Das Neue Testament hat die Vorstellung eines Sühnopfers verwendet, um dem Tod Jesu eine positive, Leben schenkende Deutung zu geben (vgl. Röm 3,25; Hebr 9,12.26). Auch hier ist Gott selbst der Handelnde: Im Tod seines Sohnes schenkt er Versöhnung. Jesu Tod ist damit nicht selbst ein Opfer, sondern wird erklärt in Analogie zu alttestamentlichen Opferritualen. Neben der Sühnopfer-Vorstellung gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die Heilsbedeutung des Todes Jesu zu erklären. Synagoge: Der Begriff ist griechisch und meint »Versammlung«, bezeichnet aber auch das Gebäude, das der Versammlung, dem Gottesdienst oder als Lehrhaus diente. Man vermutet heute, dass Synagogen bereits während des Babylonischen Exils* entstanden sind, um einen Ort zur Zusammenkunft zu bieten. Jedenfalls existierten Synagogen schon zur Zeit des Zweiten Tempels*; archäologisch sind Synagogengebäude in Galiläa* auch zur Zeit Jesu nachweisbar. Dass in Dörfern synagogale Versammlungen stattfanden, wird von den Erzählungen im Neuen Testament selbstverständlich vorausgesetzt (vgl. u. a. Lk 4,16 ff.). Synoptiker: Zwischen den Evangelien des Markus, Matthäus und Lukas bestehen viele inhaltliche und sprachliche Ähnlichkeiten, die vermutlich dadurch zu erklären sind, dass hier voneinander abgeschrieben wurde. Die Wissenschaft beschreibt das Verhältnis zwischen
diesen drei Evangelien mithilfe der Zwei-Quellen-Theorie: Matthäus und Lukas nutzten unabhängig voneinander das Markusevangelium als Vorlage und verwendeten daneben noch eine zweite Quelle, die man Q* nennt. Leider lässt sich der Wortlaut dieser Quelle nur hypothetisch aus den vorliegenden Texten rekonstruieren. Matthäus und Lukas überliefern zudem weitere Texte, das sogenannte Sondergut. Weil diese drei Evangelien aufgrund ihrer Entstehung so ähnlich sind, ist es sinnvoll, sie gemeinsam und im Vergleich miteinander zu betrachten. Man nennt sie deshalb Synoptiker, von dem griechischen Wort für »Zusammenschau«. Tempel Jerusalems: Für die Zeit Jesu ist der sogenannte Zweite Jerusalemer JHWH*-Tempel von Bedeutung, der aufgrund der umfangreichen Umbau- und Renovierungsmaßnahmen unter Herodes dem Großen auch Herodianischer Tempel genannt wird. Er ist der Nachfolger des ersten Jerusalemer Tempels, der im Alten Testament auf König Salomo zurückgeführt und deshalb auch Salomonischer Tempel genannt wird. Dieser wurde bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier 587 v. Chr. zerstört. Erst nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil* wurde dann um 515 v. Chr. mit dem Bau des Zweiten Tempels begonnen. Bis zur endgültigen Zerstörung durch die Römer 70 n. Chr. war er das Zentrum des jüdischen Kultes. Zur Zeit Jesu bestand der Tempel aus einem riesigen Areal, das komplett mit Säulenhallen umgeben war. Es umfasste einen äußeren Vorhof der Heiden und weitere Vorhöfe für verschiedene Personengruppen, je nach abgestufter kultischer Reinheit: für jüdische Frauen, jüdische Männer und für Priester. Der Zugang zum heiligen Inneren selbst war beschränkt, das Allerheiligste durfte nur der Hohepriester* und auch dieser nur am großen Versöhnungstag (Jom Kippur*) betreten. Tempelkult: Die Durchführung des täglichen Tempelkultes war Aufgabe der Priester. Zu ihren Aufgaben gehörte das tägliche Räucheropfer, das Versorgen des Leuchters und das Auflegen der wöchentlichen Schaubrote. Sie führten auch das Brandopfer durch: Sie übernahmen das Sprengen des Blutes an den Altar, verbrannten
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das Opfer und gossen die Trankspende aus; all das erfolgte jeweils nach einem genau festgelegten Ritus. Nach dem Gottesdienst spendeten sie außerdem den Segen. Nach der Schrifttradition des Deuteronomiums durfte nur in Jerusalem ein legitimer jüdischer Tempelkult gefeiert werden (vgl. Dtn 12). Tora: Der hebräische Begriff »Tora« bedeutet so viel wie »Gebot, Weisung, Belehrung« und bezeichnet den ersten Teil der hebräischen Bibel, nämlich die fünf Bücher Mose (Pentateuch). Der jüdischen Überlieferung nach erhielt Mose die gesamte schriftliche Tora des Pentateuch mit ihren Regeln für das Zusammenleben und ihren Geboten und Verboten von Gott am Sinai während des Exodus*. Gelegentlich kann auch die gesamte jüdische Bibel als Tora bezeichnet werden. Trinitätslehre/trinitarisch: Die Trinitätslehre ist eine Form, Gott zu beschreiben. Sie sagt aus, dass Gott als Wesen in drei Personen begegnet, nämlich als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die drei sind zwar voneinander unterschieden, bilden aber zugleich eine unauflösbare Einheit. Die Alte Kirche* rang auf ihren Konzilien* darum, genaue Formulierungen zu finden, die dieses Wunder begreiflich machen können. Doch blieb dies schwierig und führte zu massiven theologischen Debatten. Neutestamentlich ist die Trinitätsvorstellung in den Reden von Gott als Vater, Sohn und Geist zwar angelegt, aber noch nicht entfaltet. Tun-Ergehen-Zusammenhang: Dieser Begriff beschreibt die Vorstellung, wonach das gegenwärtige Ergehen eines Menschen die Folge seines früheren moralischen Verhaltens ist. Innerhalb
dieses Gedankensystems konnten auch Krankheiten und Behinderungen als Folge von Sünde gedeutet werden. Diese Vorstellung ist in der Volksfrömmigkeit bis heute in vielen Religionen verbreitet. Ein notwendiger Zusammenhang von Tun und Ergehen wurde aber schon in der Antike auch in der jüdischen Theologie infrage gestellt (vgl. das alttestamentliche Buch des Predigers). Auch in der Überlieferung des Neuen Testaments findet sich Kritik an diesem Zusammenhang; vgl. Joh 9,2–3. Urgemeinde: Als Urgemeinde bezeichnet man die erste Gemeinschaft des Urchristentums; sie gründete sich nach Jesu Auferstehung in Jerusalem. Sie bestand zunächst nur aus (ehemaligen) Juden und Jüdinnen, sogenannten Judenchristen. Die Urgemeinde war die theologische Heimat unter anderem von Petrus, dem Zwölferkreis und Stephanus, dem ersten Märtyrer*. Vaticinium ex eventu: Der lateinische Ausdruck bezeichnet die Einfügung eines historischen Ereignisses in einen Text in Form einer Voraussage (deutsch: »Weissagung vom Ereignis her«). Was etwa in einer Prophezeiung als zukünftiges Geschehen erscheint, ist für den Verfasser in der Realität schon vergangen. Zelot: Das griechische Wort beschreibt eine Person, die für etwas eifert oder sich leidenschaftlich für etwas begeistert. Die Bezeichnung »Zelot« kam für die Anhänger einer militanten jüdischen Strömung in Gebrauch, die im 1. Jahrhundert n. Chr. gegen die römische Besatzungsmacht kämpfte. Zwei-Quellen-Theorie: siehe Synoptiker
Sach- und Personenregister Abendmahl 19, 44, 49, 52, 90, 104, 164 Abraham 62, 106, 112, 180 Alte Kirche 195 Andreas 77–78, 82, 89, 196 Apokalyptik 123, 206–208 Apokryphen 73–74 Apostelfürst → Petrus Apostelkonzil 25–26, 28, 174 Armenfürsorge 74, 178 Auferstehung 15, 19, 24, 35, 38, 51, 54, 63, 75, 77–78, 86, 89, 91, 123, 127, 129– 130, 155–162, 167, 171, 180, 194, 196, 204 Behinderung 43, 105, 107– 109, 114 Beispielerzählung 149, 201 Berufung 25, 84, 90, 105, 144, 181, 183, 198 Bestattung 157, 176 Bethlehem 35, 40–42, 54 Bund (Gottes) 49, 90, 170 Christenverfolgung 179, 186, 211 Dämon 38, 108, 111, 118, 197 David/Davidsohn 51, 54, 58, 61–62, 66, 108, 118–119 Diakon 24, 177–178 Doppelgebot (der Liebe) 48, 146–147, 199 Ehe, Ehebruch 41, 73, 76, 78, 101–103, 174, 183 Einsetzungsworte → Abendmahl Elia 66–69, 127 Elisabeth 62, 69 Emmausjünger 13, 51–52, 85, 88, 161, 163–165
Engel 39, 51, 61–62, 116, 124, 158–162, 164, 207, 211–212 Essener 123 Exodus 112 Familie Jesu 35, 40, 43, 60, 63–64, 173 »Felsenwort« → Petrus Fischer/Fischfang 45, 51, 78, 80, 82 Frau – in der Antike 72–73, 102 – in der Jesusbewegung 19, 24, 37, 51, 74, 88, 156– 158, 160, 190 Frieden 49, 108, 157, 192, 213 Galiläa 66, 74, 78, 86, 158, 170, 172 Garizim 138, 146, 150 Gebote, Zehn → Zehn Gebote Geburt Jesu 15, 36, 39–42, 54, 59–62, 201 Geist, Heiliger → Heiliger Geist Geister → Dämon Genezareth → See Genezareth Gerechtigkeit 23, 29, 53, 63, 85, 102, 110, 116, 143– 144, 185–187, 192, 198, 212–213 Gericht, Jüngstes → Jüngstes Gericht Geschenkwunder 44 Gesetz → Tora Gethsemane 49, 77–78, 83, 85 Gleichnis 35, 45–47, 142, 144, 150, 193, 197, 199, 205
Gottesvolk 37, 90 Grab (Jesu) 35, 50–51, 74, 79, 99, 156–162, 164, 196, 203 Hasmonäer 20, 67, 133, 147 Heiden/heidnisch 14, 26– 27, 37, 41–42, 91, 115, 117–121, 174–175, 182, 184, 188, 199 Heilige Familie → Familie Jesu Heiliger Geist 15, 24, 36, 61–62, 68, 73, 118, 167, 169–172, 174, 179 Hellenismus 21–24, 52, 73, 105, 109, 147, 150, 177– 179, 182, 190 Herodes Antipas 59, 67 Herodes der Große 20, 40–41, 59 Himmelfahrt 52, 160, 168, 171 Hoher Rat 22, 49–50, 66, 85, 89, 130, 133, 136–137, 157 Immanuel 41, 61 Jairus 83, 125–127 Jakobus Zebedäus 78, 82– 83, 91, 174 Johannes der Täufer 36, 62, 65–71, 104, 210 Johannes Zebedäus 78, 82–83, 203 Johannesprolog 39, 204 Jom Kippur (Fest) 209 Josef, Jesu Vater 36, 40, 58– 63, 176 Judas Iskariot 29, 36, 49, 84–87, 89–91
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Sach- und Personenregister
Judenchristentum 27, 179, 191 Jüdischer Krieg 15, 21, 135, 175, 196 Jüngstes Gericht 19, 46, 66– 67, 69, 90, 123, 129, 199, 206, 211–212 Jungfrau 41, 60–64, 69 Kapernaum 60, 119, 121 Karwoche 19, 38 Kind 16, 37, 40–42, 58–64, 70, 106, 109, 119, 126– 127, 133, 151 Kirche, Alte → Alte Kirche König David → David Krankenheilung 43, 95, 109, 111, 114–116, 119, 122– 126, 160 Krankheit 108–111, 116, 123–124, 128 Kreuzigung 15, 19, 24, 31, 38, 48–50, 52–54, 74, 136–139, 156–157, 164, 166, 177, 204 Kult → Tempelkult Lazarus 75, 96, 98, 115, 128–131, 203 Leidensankündigung 54, 83, 123 Lieblingsjünger 63, 161, 202–204 Magnifikat 62 Mahlgemeinschaft → Tischgemeinschaft Maria, Jesu Mutter 36, 40, 58–64, 69, 173 Maria Magdalena 51, 72–76, 79, 88, 94, 157, 160–161, 203 Maria, die Schwester Marthas 74–75, 96, 98–100, 128–130, 201 Marienverehrung 63–64 Martha, die Schwester Marias 74–75, 96, 98– 100, 128–130, 201
Menschenfischer(wort) 78, 81 Menschensohn 38, 86, 90, 106, 123, 179 Messiasgeheimnis 196–197 Mission 25–30, 70, 76, 90–91, 148, 167, 172, 174, 182–184, 189–192 Missionsbefehl 51, 118 Mose 47, 49, 60, 147–148, 150, 170, 178, 190, 205, 208 Nachfolge 68, 70, 74, 82, 89, 102, 197 Nazareth 35–36, 39–42, 58, 60, 68 Ostern 38, 48, 54, 70, 79, 83, 88, 90, 110, 118, 120, 154, 156–161, 164–165, 169, 171, 203 Papst 79–81 Parabel 142, 144 Passafest 24, 49–50, 73, 85, 138, 170 Passamahl 49, 90 Passionserzählungen 78, 87, 90, 94, 96, 157 Paulus 17–18, 25–30, 53, 60, 76, 79–80, 161, 174, 176, 180–192, 200–201, 216 Petrus 26, 36, 77–83, 88– 89, 91, 121, 161, 165, 172, 174, 195–196, 203–204 Pfingsten 79, 169–172 Pharisäer 21–23, 46, 96, 105, 129, 132–135, 182 Pontius Pilatus 23, 50, 87, 136–139, 157–158 Prophetie/prophetisch 38, 41, 44, 47–48, 52, 61, 65– 71, 95–97, 124, 127, 134, 164, 170–173, 179, 185, 194, 198, 207–208 Prostitution 72, 94, 96–97 Prozess (Jesu) 49, 89, 136– 139
Qumran 23 Rat, Hoher → Hoher Rat Rechtfertigungslehre 176, 185, 187–188 Sabbat 47, 73, 111–113, 115, 157, 173 Sadduzäer 22, 129, 135 Samaritaner 147–149 Satisfaktionstheorie 53 Scheidung 73, 102–103 Schöpfung 63, 112 Schriftgelehrter 21–23, 30, 102, 135, 146, 148 See Genezareth 72, 80, 82, 125, 195 See Tiberias 52, 79, 204 Segen 111, 151, 164 Sikarier 84–85 Sohn Gottes 34, 41, 44, 54, 61–62, 68–70, 126, 129, 139, 202, 205 Steinigung 24, 35, 101–103, 179 Stephanus 24, 177–179, 182 Streitgespräch 123, 133, 146 Sturmstillung 44 Sünde 52–54, 63, 68, 71, 75, 94, 103, 105, 109, 115– 116, 122–124, 135, 185– 187, 201, 209 Synoptiker 16, 47, 68, 78, 89–90, 115, 128, 159, 193–201, 204 Täuferanfrage 67, 69, 108 Tagelöhner 45, 89, 142–144, 151 Taufe 24, 26, 66, 70, 88, 169, 182 – Taufbefehl 118 – Taufe Jesu 15, 36, 39, 54, 67–70 Tempel 15, 20–23, 36, 43, 49, 53, 59, 74, 114, 135, 147, 170, 175, 177–178, 185, 196 – Tempelkult 21–22, 132, 178
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Sach- und Personenregister
Tischgemeinschaft 27, 46, 133 Tora 22, 26, 37, 72, 133, 149, 198 Totenauferweckung 54, 63, 83, 125–132 Trinitätslehre 167 Tun-Ergehen-Zusammenhang 109, 116, 123 Urgemeinde 18, 24–27, 58, 63, 79, 81, 83, 90–91, 174–179, 188
Wahrheit 15, 30, 44, 89, 114, 139, 179, 186, 201–202 Waise 73 Weihnachten 39, 42 Weinberg 35, 45, 142–145 Weltende 14, 19, 46, 65, 52, 55, 172, 185, 198 Witwe 73, 127, 178, 183, 201 Wunder 15, 35, 42–44, 59, 61, 63, 197, 110, 112, 115, 123–128, 158, 160, 169– 172, 178, 205
Zehn Gebote 22, 27, 112, 133, 198 Zelot 84–85, 89 Zöllner 37, 104–106, 197– 198, 201 Zungenrede 172 Zwölferkreis 24, 36–37, 78, 84, 88–91, 169, 197– 198
Bibelstellenregister Die Anordnung der biblischen Schriften folgt der Reihenfolge der Lutherbibel.
Altes Testament Genesis (1. Buch Mose) 3,16 63 11,1–9 171
2. Buch der Könige 1,8 66 2,1–18 66, 224
Exodus (2. Buch Mose) 3,14 205 20,11 112 24,1–18 169
Buch der Psalmen 30,4 108 49 127 73 127
Leviticus (3. Buch Mose) 19,18 146
Buch des Propheten Jesaja 1,3 40 5,1–7 144 7,14 41, 61 27,2 144 35,5–6 43, 108 40,1–2 70 52,7 194 53 52 53,7 209 61,1–2 108
Deuteronomium (5. Buch Mose) 5,15 112 6,4–5 167 6,5 146 24,1–4 72 Buch Josua 1,1–9 60 1. Buch Samuel 2,1–10 62 1. Buch der Könige 17,21–22 127
Buch des Propheten Jeremia 31,31 49
Buch des Propheten Daniel 7,13–14 37, 123 12,1–3 129 12,2 127 Buch des Propheten Hosea 6,1–3 127 Buch des Propheten Joel 3,1 170 4,1–2 171 Buch des Propheten Micha 5,1 41 Buch des Propheten Habakuk 2,4 188 Buch des Propheten Sacharja 9,9 49 Buch des Propheten Maleachi 3,23 66
Buch des Propheten Ezechiel 34,16 106 36,25–27 134 37,1–14 127
Neues Testament Matthäusevangelium 1–2 54, 61 1,1–17 61 1,20 61
1,22–23 61 2 40 2,1 35, 42, 198 2,2 42
3,2 68 3,14–15 68 3,17 54 4,1–11 171
231
Bibelstellenregister
4,12–13 60 4,17 68 4,24 199 5–7 47, 198 5,3–12 47 5,13–16 47 5,15 122 5,17–19 198 5,17 47, 133 5,38–39 47 6,30 199 8,5–13 119 8,11 45 8,22 157 8,26 199 9,1 60 9,9 198 10,2–4 89 10,2 78 10,3 198 10,4 84 10,5–6 148 11,2–6 69 11,5 108 11,14 66 11,19 123 12,11 112 12,46–50 61 14,22–34 77 15,21–28 74, 117 15,24 26, 37, 118 15,26 118 16,8 199 16,18 79 16,19 79 18,3 133 18,18 80 19,28 90 20,1–16 35 20,9–12 143 20,15 143 f. 20,16 46, 144 21,21 199 22,37–40 47, 199 25,31–46 199 26,6–13 94 26,20 90 26,28 53 26,37 78
27,3–10 85 27,11 137 27,15–26 138 27,24 136 f. 27,25 138 f. 27,37 137 27,51–53 199 27,56 156 27,63–64 158 28,1–8 158 28,1 157 28,6–7 159 28,7 170 28,9–10 23, 51, 74, 79, 161 28,10 170 28,11–15 158 28,13–14 51 28,16–20 23, 51, 90, 118 28,16 170 28,19–20 70, 118 28,20 52, 54, 198 Markusevangelium 1,1 194, 196 1,5 66 1,6 65 1,7–8 68 1,9–11 68 1,10–11 36 1,15 46 1,16–18 78 1,17 78 1,24 196 1,29 77 1,30–31 77, 121 1,34 196 1,44–45 196 2,1–12 121 2,5 122 2,8–11 123 2,10 123 2,13–17 105, 197 2,14 198 2,17 104 2,27 47, 113 3,11 196 3,14 89 3,16–19 89 3,16 77 f.
3,17 82 3,19 84 3,20–21 60 3,35 61, 173 4,11–12 197 4,30–32 45 5,7 196 5,19–20 196 5,21–43 125 5,34 126 5,37 82 6,1–4 173 6,3 59 6,6–13 90 6,17–29 67 6,30–44 82 7,24–30 117 7,36–37 196 8,17–18 89 8,29 78 8,33 78 8,38 123 9,2–10 78 9,2 82 9,31 123 10,17–27 46 10,21 95 10,35–45 83 10,45 52 10,46–52 107 11,1–10 49 11,15–19 49 12,38–40 73 13,1–4 196 13,10 196 13,26 123 14,1–11 49 14,3–9 74, 94 14,7 95 14,8 95 14,10–11 85 14,12–25 49 14,21 86 14,24 19 14,26–42 49 14,30 78 14,31 77 14,33 82 14,37 77
232
Bibelstellenregister
14,43–52 49 14,60–61 49 14,70 59 14,72 78 15,1–20 49 15,38–39 50 15,40–41 74 15,40 19, 74, 156 15,42–47 50, 157 15,43 89 15,47 74 16,1–8 157 16,3 157 16,7 159, 170 16,8 160 16,9–20 160, 196 16,9 160 16,12–13 160 16,17 172 16,19 160 Lukasevangelium 1–2 54 1,3–4 194 1,4 34 1,7 69 1,15 69 1,32 54, 69 1,34 69 1,36 62 1,46–55 62 1,75 69 2 35 2,1–3 42 2,1 42 2,7 60 2,8–20 201 2,10–11 40 2,22–52 42 3,9 65 3,10–14 69 3,13 104 4,13 86 5,2 77 6,14–16 89 6,14 78 6,15 85 7,34 104
7,36–50 75, 94, 201 7,36 133 7,42 96 7,43 96 7,47–48 96 7,49 96 8,2–3 72, 74 f. 8,2 160 8,3 37, 89 8,19–21 61 9,51–56 148 9,54 82 10,13–14 46 10,25–37 146, 201 10,27 146 10,37 201 10,38–42 74, 98, 201 11,20 38, 108 11,37 133 13,1–2 138 13,10–17 111 13,22–30 46 13,29 46 13,33 52 14,1 133 14,5 112 15,11–32 150, 201 15,17–19 151 16,19–31 98 17,20–21 46 18,1–8 201 18,9–14 104, 135 19,1–10 46, 105, 201 19,5 105 19,8 104 19,9–10 106 22,3 86 22,17–20 164 22,20 30 23,6–12 136 24 79 24,1 157 24,3 159 24,5–6 159, 161 24,5 51 24,11 157 24,12 161 24,13 ff. 23, 169
24,13–53 170 24,13–35 51, 160, 163 24,16 163 24,17 163 24,19–24 164 24,21 50, 85 24,26 164 24,32 12 24,34 79, 161, 165 24,36–49 171 24,36 169 24,41–43 51, 82 24,49 172 24,50–53 160, 171 24,51 52 Johannesevangelium 1,1–4 39 1,14 39, 205 1,23 70 1,29 52, 71, 210 1,31 70 1,32–34 68 1,37 70 2,4 63 2,6 115 2,13 114 3,1 132 3,3 133 3,4 133 3,10 134 3,30 70 4,9 148 5,1–16 114 6,4 114 7,2 114 7,53–8,11 35, 101 8,7 103 9,1–17 109 9,2–3 109, 116 9,22 25, 133 11,1–44 98, 128 11,4 129 11,25–26 129 11,25 131 11,39 115 11,46–51 130 12,1–8 94
233
Bibelstellenregister
12,1–3 95, 98 12,4 ff. 86 12,42 25 13,10 86 13,21–27 204 13,26 86 13,27 86 15,5 16 15,13 52 16,2 25 18,38 139 19,25–27 63, 204 20 79 20,1–10 203 20,1 157 20,3–10 161 20,11 ff. 23 20,11–18 74, 79, 161 20,17 75 20,19 ff. 170 20,19 169 20,24–31 51 20,24–29 166 20,25 166 20,28 35, 166 20,29 89, 167, 202 20,30–31 202 20,31 34 21 170, 202 21,1–23 23, 51, 78 21,1–14 203 21,22–23 204 21,24 202 f. Apostelgeschichte 1,1 194 1,3–12 171 1,4–5 172 1,4 23 1,8 16, 172 1,9 52 1,13–14 89 1,14 63 1,15–26 91 1,15–20 85 1,15 88, 169 1,21–22 36, 88, 200 1,41 172
2 24, 79 2,1–13 169 2,2–4 170 2,4 171 2,7 59 2,16 172 5,36–37 66 6,1 178 6,2 90 6,5 178 6,13–14 178 7,54–8,1 182 7,55–56 179 8,1 24, 179, 182 9,1–19 182 9,1–2 26, 182 9,1 174 9,18 182 9,27 25 10,44–48 70, 172 11,19–30 25 11,22 25 11,26 25 12,2 83, 91, 174 12,17 174 13,1 25 13,9 182 15 26 15,28–29 174 15,29 27 15,36–40 189 16,10–17 200 16,14–15 76 16,15 70 16,37 181 18,1–17 183 18,2 181, 190 f. 18,3 190 18,12–18 181 18,18 191 18,26 191 19,1–20 183 19,6 172 20,5–21,18 200 21,18 174 21,28 181, 185 22,3 181 f. 22,28 181
27,1–28,16 200 28,30–31 191 Römerbrief 1,13 191 1,17 187 f. 3,21–24 185 15,22 191 15,27 27 15,31 27 16,3–5 191 16,3 76 16,6–13 76 16,7 76, 190 16,15 190 16,23 190 1. Korintherbrief 1,10–17 189 1,11 76 1,16–17 70 3,5–8 189 6,12 185 7,7–8 183 7,25–40 76 9,5 77, 174, 183 11,2–16 76 11,25 30 12 76 12,10 172 14,34 76 15,3–8 174 15,3–5 91 15,5 79, 161 16,15 191 16,19 191 2. Korintherbrief 3,12–16 30 5,19–21 53 5,19–20 52 11,16–18 189 11,21–23 189 Galaterbrief 1,15–16 182 1,18–19 174 2 26
234
Bibelstellenregister
2,9 80, 83 2,11–14 27 3, 10 187 3,28 76 5,1 187 Philipperbrief 3,5 181 4,2 76 Kolosserbrief 2,14 52 4,14 76, 200 1. Thessalonicherbrief 4,13–18 184 4,15 193 5,1–11 184
Philemonbrief 24 200 1. Petrusbrief 1,19 53 2,9 81 2,21–25 80 2,22–24 52 5,13 195 2. Petrusbrief 3,15–16 28 1. Johannesbrief 5,4 19 2. Johannesbrief 10 25
2. Thessalonicherbrief 3,6–8 25 3,17 186
Jakobusbrief 1,1 175 1,22 176
1. Timotheusbrief 2,11–15 76
Offenbarung des Johannes 1 208 1,1–2 207 1,1 206 f. 1,4–8 208 1,4 207 1,8 208
2. Timotheusbrief 4,6–8 186 4,9–18 186 4,10–11 200
1,9 207 f., 211 1,17–19 208 1,17–18 18 2–3 208 f. 2,13 207 3,15–16 209 4–20 208 5,9 209 6,1–8 210 12,10 209 13,1–18 210 13,15 210 13,18 210 14,18–20 212 16,16 211 17–18 212 19 212 21 208 21,1–4 213 22,8 207 22,9 208 22,21 208
Literatur
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