120 57 10MB
German Pages 1818 Year 2013
Assmann . Pötzsch . Uwe H. Schneider (Hrsg.) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz Kommentar herausgegeben von
Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann Ministerialdirigent Dr. Thorsten Pötzsch Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider
2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage
2013
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Bearbeitet von Prof. Dr. Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz-Dieter Assmann, LL.M. Uwe H. Schneider (University of Pennsylvania) Universitätsprofessor in Tübingen
Dr. Doris Döhmel Regierungsdirektorin, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Frankfurt am Main
Dr. Daniela Favoccia Rechtsanwältin in Frankfurt am Main
Dipl.-Kfm. Dr. Hartmut Krause, LL.M. (Southern Methodist University) Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Attorney at Law (New York)
Dr. Andreas Meyer Rechtsanwalt, Syndikus in Frankfurt am Main
Dr. Thorsten Pötzsch Ministerialdirigent, Bundesministerium der Finanzen in Berlin
Dr. Joachim Rosengarten, LL.M. (University of California at Berkeley) Rechtsanwalt in Frankfurt am Main
Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Universität Mainz
Dr. Oliver Seiler, LL.M. (Cornell University) Rechtsanwalt in Frankfurt am Main
Dr. Klaus-Dieter Stephan Rechtsanwalt in Frankfurt am Main
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Seimeider (Hrsg.l, WpÜG, 2. Aufl. 2013, § ... Rz....
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek vezzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-40069-9
©2013 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten RohstoHen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Gennany
Vorwort Über eine Dekade ist vergangen, seit das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Kommentierungen, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung haben seinen Bestimmungen Konturen verliehen, aber auch viele strittige Fragen hinterlassen. Darüber hinaus wirft die Anwendung des Gesetzes immer wieder neue Fragen auf: Manche sind durch neue Erwerbs- und Übernahmekonstellationen und spektakuläre Übernahmefälle (wie etwa Hochtief AG/ACS, Continental/Schaeffler, VW/Porsche) hervorgetreten. Andere sind den zahlreichen Änderungen geschuldet, die das WpÜG, die WpÜG-Rechtsverordnungen (wie namentlich die WpÜG-AngVO) und angrenzende Rechtsgebiete – wie das Aktien-, Konzern-, Umwandlungs- und Kartellrecht sowie das Kapitalmarktrecht (in Gestalt namentlich des Wertpapierhandelsgesetzes) – seit der letzten Auflage dieses Kommentars durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung erfahren haben. Kaum eine Änderung des zwischenzeitlich weitverzweigten und differenzierten Kapitalmarktrechts, die nicht auch ihre unmittelbaren oder – wie im Falle etwa der Neuordnung des Prospektrechts – mittelbaren Auswirkungen auf das Wertpapiererwerbs- und Übernahmerecht mit sich brächte. Von den Änderungen, die das WpÜG und die WpÜG-Rechtsverordnungen selbst erfahren haben, sind vor allem diejenigen durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz und das Risikobegrenzungsgesetz hervorzuheben. Anstehende Reformmaßnahmen in Europa und Deutschland wurden berücksichtigt, soweit ihre Konturen einigermaßen verlässlich abzusehen waren. Wer Näheres über die Entwicklung des Gesetzes und des Rechtsgebiets erfahren möchte, sei auf die Einleitung zum Kommentar verwiesen. Sämtliche der verbliebenen und der neu aufgeworfenen Fragen haben auch in der Neuauflage des Kommentars rechtswissenschaftlich untermauerte und praktikable Antworten gefunden, die das jeweilige Interessen- und Konfliktfeld beleuchten und das Meinungsspektrum offenlegen. Dabei waren vor allem die Erfahrungen aus den zahlreichen Fällen von öffentlichen Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangeboten, eine Fülle neuen Schrifttums, die Praxis der Aufsichtsbehörde sowie eine stattliche Reihe behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen einzuarbeiten. Wiederum nimmt der Kommentar für sich in Anspruch, die bei der Anwendung des WpÜG aufgeworfenen und aufzuwerfenden Fragen umfassend, aber nicht ausladend behandelt zu haben. Dementsprechend konzentrieren sich auch die Erläuterungen der bußgeldrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes unter Verzicht auf lehrbuchartige Grunddarstellungen allein auf den Kontext, in dem sie für die Anwendung des Gesetzes praxisrelevant werden können. Die Erweiterung des Umfangs des Kommentars und der Umstand, dass er mit dieser Auflage in die Liga der „Großen Kommentare“ des Verlags aufgenommen wurde, ist deshalb in erster Linie den geschilderten Entwicklungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmerechts geschuldet. Die Kommentierungszuständigkeiten und das Autorenteam haben in der Neuauflage verschiedene Änderungen erfahren. Ausgeschieden aus dem Autorenteam ist Regierungsdirektor Dr. Andreas Möller. Ihm sei auch an dieser Stelle für seine Mitwirkung an der ersten Auflage sehr herzlich gedankt. Neu hinzugekommen sind Regierungsdirektorin Dr. Doris Döhmel, Rechtsanwältin Dr. Daniela Favoccia, Rechtsanwalt Dr. Joachim Rosengarten und Rechtsanwalt Dr. Klaus-Dieter Stephan. Alle neuen
VII
Vorwort
Autoren sind nicht nur wissenschaftlich, sondern auch durch ihre vielfältigen Erfahrungen in der Aufsicht und in der Beratungspraxis bestens ausgewiesen. Der Kommentar befindet sich auf dem Stand von Dezember 2012. Hinweise, Anregungen und Kritik sind den Herausgebern, Autoren und dem Verlag stets willkommen. Dafür steht am Ende des Kommentars eine Antwortkarte zur Verfügung. Wiederum sind Herausgeber und Autoren Frau Dr. Birgitta Peters vom Verlag Dr. Otto Schmidt zu großem Dank verpflichtet. Sie hat die Fertigstellung der zweiten Auflage des Kommentars unermüdlich vorangetrieben und mit großem Sachverstand betreut. Dabei hat sie stets die schwierige Balance zwischen sanftem Druck und Qualitätsmanagement einerseits und Verständnis für die berufliche Belastung der Herausgeber und Autoren andererseits gehalten. Gedankt sei an dieser Stelle auch Herrn Rechtsanwalt Dr. Per Lessmann, der das Stichwortverzeichnis sorgsam betreut hat. Tübingen, Berlin und Mainz, im Januar 2013
Heinz-Dieter Assmann
VIII
Thorsten Pötzsch
Uwe H. Schneider
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII XV XIX
Text des WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVII
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften §1 §2 §3
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 76 127
Abschnitt 2 Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht §4 §5 §6 §7 §8 §9
Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruchsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden im Inland . . . Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland . Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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160 175 185 194 200 208
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots . Angebotsunterlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäischer Pass. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für die Angebotsunterlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzierung des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage . . . Untersagung des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung. . . . . . .
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224 268 314 325 359 408 430 441
Abschnitt 3 Angebote zum Erwerb von Wertpapieren § 10 § 11 § 11a § 12 § 13 § 14 § 15 § 16
IX
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 17 § 18 § 19 § 20 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 27 § 28
Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuteilung bei einem Teilangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handelsbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrierende Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots. . Grenzüberschreitende Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters . . . . . . . . . . Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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474
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478 572 587 604 630 676 694 713 718
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724 783
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793 804 863 930 939 1070 1096 1123 1143 1154 1163
..... .....
1168 1279
..... ..... .....
1291 1332 1335
Abschnitt 4 Übernahmeangebote § 29 Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 Zurechnung von Stimmrechten . . . . . . . . . . . . . . . . § 31 Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 32 Unzulässigkeit von Teilangeboten . . . . . . . . . . . . . . § 33 Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft . . . . . § 33a Europäisches Verhinderungsverbot. . . . . . . . . . . . . . § 33b Europäische Durchbrechungsregel . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 33b: Lagebericht, Konzernlagebericht . . . . . . . . § 33c Vorbehalt der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33d Verbot der Gewährung ungerechtfertigter Leistungen § 34 Anwendung der Vorschriften des Abschnitts 3 . . . . .
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Abschnitt 5 Pflichtangebote § 35 § 36 § 37 § 38 § 39
X
Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtberücksichtigung von Stimmrechten . . . . . . . . . . . . . . Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruch auf Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung der Vorschriften des Abschnitts 3 und 4 . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt 5a Ausschluss, Andienungsrecht Seite
§ 39a § 39b § 39c
Ausschluss der übrigen Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andienungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1351 1410 1426
Abschnitt 6 Verfahren § 40 § 41 § 42 § 43 § 44 § 45 § 46 § 47
Ermittlungsbefugnisse der Bundesanstalt . Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . Sofortige Vollziehbarkeit. . . . . . . . . . . . . Bekanntgabe und Zustellung . . . . . . . . . . Veröffentlichungsrecht der Bundesanstalt . Mitteilungen an die Bundesanstalt . . . . . . Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1440 1461 1475 1478 1484 1489 1492 1497
Statthaftigkeit, Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufschiebende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte am Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwaltszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeentscheidung; Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltung von Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1501 1522 1526 1536 1540 1543 1545 1548 1551 1560
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1566
Rechtsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bußgeldvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständige Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1570 1583 1592
Abschnitt 7 Rechtsmittel § 48 § 49 § 50 § 51 § 52 § 53 § 54 § 55 § 56 § 57 § 58
Abschnitt 8 Sanktionen § 59 § 60 § 61
XI
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 62 § 63 § 64 § 65
Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im gerichtlichen Verfahren. Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederaufnahme gegen Bußgeldbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Entscheidung bei der Vollstreckung. . . . . . . . . . . . .
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1594 1596 1597 1597
Gerichte für Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachen . . . . . . . . . Senat für Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachen beim Oberlandesgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1599
Abschnitt 9 Gerichtliche Zuständigkeit; Übergangsregelungen § 66 § 67 § 68
1605 1607
WpÜG-Angebotsverordnung Abschnitt 1 Anwendungsbereich Seite
§1
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1611
Abschnitt 2 Inhalt der Angebotsunterlage §2
Ergänzende Angaben der Angebotsunterlage . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1613
Abschnitt 3 Gegenleistung bei Übernahme- und Pflichtangeboten §3 §4 §5 §6 §7
Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berücksichtigung von Vorerwerben . . . . . . . Berücksichtigung inländischer Börsenkurse . Berücksichtigung ausländischer Börsenkurse Bestimmung des Wertes der Gegenleistung . .
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1632 1635 1645 1660 1664
Abschnitt 4 Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots §8 §9 XII
Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befreiungstatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1673 1679
Inhaltsverzeichnis
§ 10 § 11 § 12
Antragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung der Vollständigkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1707 1709 1709
Abschnitt 5 Schlussvorschrift § 13
Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1712
Textanhang Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote . . . . . . . . . . . WpÜG-Angebotsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WpÜG-Beiratsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WpÜG-Gebührenverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WpÜG-Beaufsichtigungsmitteilungsverordnung . . . . . . . . . . . . . .
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1713 1729 1733 1735 1736 1738 1739
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1741
XIII
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Ausführliche Schrifttumshinweise finden Sie auch zu Beginn der Kommentierungen.
Adler/Düring/Schmaltz Adolff/Meister/Randell/ Stephan Apfelbacher/Barthelmess/ Buhl/von Dryander (Hrsg.) Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.) Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Assmann/Schütze (Hrsg.) Bad Homburger Handbuch zum Übernahmerecht BaFin
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995 ff. Public Company Takeovers in Germany, 2002 German Takeover Law, 2002
Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990 Wertpapierprospektgesetz, Verkaufsprospektgesetz, 2. Aufl. 2010 Wertpapierhandelsgesetz, 6. Aufl. 2012 Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007 hrsg. von Zschocke/Schuster, 2003 Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2009 Handelsgesetzbuch, 35. Aufl. 2012 WpÜG (Loseblatt) GWB, 6. Aufl. 2010 Das neue Übernahmerecht, 2002 Handelsbilanz, Steuerbilanz – §§ 238 bis 339, 342 bis 342e HGB mit IFRS-Abweichungen, 8. Aufl. 2012 Handbuch Übernahmerecht, Bd. I, 2012 Kreditwesengesetz, 3. Aufl. 2008
Baumbach/Hopt Baums/Thoma (Hrsg.) Bechtold Beckmann/Kersting/Mielke Beck’scher Bilanz-Kommentar Birkner (Hrsg.) Boos/Fischer/SchulteMattler Buck-Heeb
Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2011
Claussen
Bank- und Börsenrecht, 4. Aufl. 2008
Diregger/Kalss/Winner Dörner/Menold/Pfitzer/ Oser (Hrsg.)
Das österreichische Übernahmerecht in Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2011 Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2002
Ehricke/Ekkenga/Oechsler Emmerich/Habersack Erman
WpÜG, 2003 Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010 BGB, 13. Aufl. 2011
Fleischer (Hrsg.) Fleischer/Kalss
Handbuch des Vorstandsrechts, 2006 Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2002
XV
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (FrankfKomm. Kartellrecht) Frankfurter Kommentar zum WpPG und zur EU-ProspektVO (FrankfKomm. WpPG) Frankfurter Kommentar zum WpÜG (FrankfKomm. WpÜG) Fuchs (Hrsg.) Geibel/Süßmann Gericke/Wiedmer Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff (G/H/E/K) Göhler Groß Großkommentar AktG (Großkomm. AktG) Haarmann/Schüppen (Hrsg.) Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.) Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.) Habersack/Verse Heidel (Hrsg.) Höhn/Lang/Roelli (Hrsg.) Hölters Hoffmann-Becking (Hrsg.) Hopt
hrsg. von Jaeger, Pohlmann, Schroeder (Loseblatt)
hrsg. von Berrar, Meyer, Müller, Schnorbus, Singhof, Wolf, 2011
hrsg. von Haarmann, Schüppen, 3. Aufl. 2008
Wertpapierhandelsgesetz, 2009 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2. Aufl. 2008 Kommentar Übernahmeverordnung (UEV), 2011 Aktiengesetz, 1973 ff. Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 15. Aufl. 2009 Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012 hrsg. von Hopt, Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff. s. Frankfurter Kommentar zum WpÜG Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008
Hopt/Wymeersch Huber (Hrsg.) Hüffer
Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008 Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011 Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2011 Öffentliche Übernahmen, 2011 AktG, 2011 s. Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Europäisches Übernahmerecht – Eine rechtsvergleichende, rechtsdogmatische und rechtspolitische Untersuchung, 2013 European Takeovers, London u.a. 1992 Übernahmegesetz, 2007 Aktiengesetz, 10. Aufl. 2012
Immenga/Mestmäcker
GWB, 4. Aufl. 2007
Just/Voß/Ritz/Zeising
WpPG, 2009
Kallmeyer Karlsruher Kommentar OWiG (KK) Kölner Kommentar AktG (KölnKomm. AktG) Kölner Kommentar SpruchG (KölnKomm. SpruchG)
Umwandlungsgesetz, 5. Aufl. 2013 hrsg. von Senge, 3. Aufl. 2006
XVI
hrsg. von Zöllner, Noack, 3. Aufl. 2004 ff. hrsg. von Riegger/Wasmann, 2005
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Kölner Kommentar WpÜG (KölnKomm. WpÜG) Krause Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Kümpel/Wittig Lenenbach Lutter Lutter/Krieger Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.) Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.) Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht (MünchHdb. AG) Münchener Kommentar AktG (MünchKomm. AktG, MünchKomm. WpÜG) Münchener Kommentar Bilanzrecht
hrsg. von Hirte/von Bülow, 2. Aufl. 2010 Das obligatorische Übernahmeangebot, 1996 Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010 Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011 Kapitalmarktrecht und kapitalmarktrelevantes Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2010 Umwandlungsgesetz, 4. Aufl. 2009 Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008 Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009 10 Jahre WpÜG, 2011 hrsg. von Hoffmann-Becking, Band 4: AG, 3. Aufl. 2007 hrsg. von Goette/Habersack, 3. Aufl. 2008 ff. (Bd. 6 inkl. WpÜG, 3. Aufl. 2011)
hrsg. von Hennrichs, Kleindiek, Watrin (Loseblatt)
Palandt Pötzsch
BGB, 71. Aufl. 2012 Das neue Übernahmerecht, 2002
von Rosen/Seifert (Hrsg.)
Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999
Schäfer (Hrsg.)
Wertpapierhandelsgesetz, Börsengesetz mit BörsZulV, Verkaufsprospektgesetz mit VerkProspV, 1999 Kapitalmarktgesetze (Loseblatt) Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011
Schäfer/Hamann (Hrsg.) Schimansky/Bunte/ Lwowski K. Schmidt/Lutter (Hrsg.) Scholz
Semler/Volhard/Reichert (Hrsg.) Spindler/Stilz (Hrsg.) Steinmeyer/Häger
AktG, 2. Aufl. 2010 GmbHG, 10. Aufl. 6/2007 (Bd. II)/2010 (Bd. III), 11. Aufl. 2012 (Bd. I) Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010 Umwandlungsgesetz, 3. Aufl. 2012 Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, 2001 (Bd. 1), 2003 (Bd. 2) Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2011 AktG, 2. Aufl. 2010 WpÜG, 2. Aufl. 2007
Thaeter/Brandi (Hrsg.)
Öffentliche Übernahmen, 2003
Veil (Hrsg.) Veil/Drinkuth (Hrsg.)
Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009 Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005
Zschocke/Schuster (Hrsg.)
s. Bad Homburger Handbuch zum Übernahmerecht
Schwark/Zimmer Semler/Stengel (Hrsg.) Semler/Volhard (Hrsg.)
XVII
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. EG ABl. EU Abs. AcP ADR a.E. AEUV a.F. AG AGB AGBG AIFM AktG Alt. AngVO Anh. Anm. AnSVG AnwZert HaGesR AO Art. ARUG Aufl. AWGÄndG 13
BaFin BAG BAKred BAnz. BAnzDiG
BausparkG BAVers BAWe BayObLG BB Bbl. Bd. BDSG Begr. BEHG BEHV-FINMA BetrAVG
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften(en) Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis American Depositary Receipts am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alternative Investment Fund Manager Aktiengesetz Alternative Angebotsverordnung Anhang Anmerkung Anlegerschutzverbesserungsgesetz AnwaltZertifikat Online – Handels- und Gesellschaftsrecht Abgabenordnung Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Auflage Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bundeanzeiger Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung Gesetz über Bausparkassen Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Bundesblatt Band Bundesdatenschutzgesetz Begründung Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel Börsenverordnung-FINMA Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
XIX
Abkürzungsverzeichnis
BetrVG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BilMoG BKR BlgNR BMJ BörsG BörsZulV BRAO BR-Drucks. BSK BStBl. BT-Drucks. BuB BVerfG BVerfGE BVerfGK BWG
Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Beilagen zu den. Stenographischen Protokollen des Nationalrats Bundesministerium der Justiz Börsengesetz Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Börsensachverständigenkommission Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Bankrecht und Bankpraxis Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundeswahlgesetz
CC CFL
City Code on Takeovers and Mergers Corporate Finance Law
DAI DAV DB DBAG DBW DCGK DepotG DiskE Diss. DJT DNotZ DRS DStR DSW DZWiR
Deutsches Aktieninstitut Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Börse AG Die Betriebswirtschaft Deutscher Corporate Governance Kodex Depotgesetz Diskussionsentwurf Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift Deutscher Standardisierungsrat Deutsches Steuerrecht Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
E ECFR Eds. EFG EGAktG EStG EU
Entwurf European Company and Financial Law Review Editors Entscheidungen der Finanzgerichte Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einkommensteuergesetz Europäische Union
XX
Abkürzungsverzeichnis
EuGH EuGVVO
EuroEG EUWAX EuZW EWiR EWIV EWR EWS f., ff. FAZ FB FFG FGG FinDAG FINMA FKVO FMStBG FMStFG Fn. FrankfKomm. FRUG FS FusG GenG
Europäischer Gerichtshof Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Euro-Einführungsgesetz European Warrant Exchange Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende, fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanz Betrieb Finanzmarktförderungsgesetz Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Fusionskontrollverordnung Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz Fußnote Frankfurter Kommentar Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Fusionsgesetz
GmbHR GMBl. GPR Großkomm. GVBl. GVG GWB GWR
Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gesellschafter-Ausschlussgesetz Der Gesellschafter. Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht Grundgesetz Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsames Ministerialblatt Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Großkommentar Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Beck’sche Zeitschrift zum gesamten Wirtschaftsrecht
Hdb. HGB h.L.
Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Lehre
GesAusG GesRZ GG G/H/E/K GmbH GmbHG
XXI
Abkürzungsverzeichnis
h.M. Hrsg. HRV HV HypBankG
herrschende Meinung Herausgeber Handelsregisterverfügung Hauptversammlung Hypothekenbankgesetz
IAS IASB i.d.F. i.d.R. IDW i.E. i.e.S. IFRS InsO InvG IRG ISIN IStR i.V.m.
International Accounting Standards International Accounting Standards Board in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer im Ergebnis im engeren Sinne International Financial Reporting Standards Insolvenzordnung Investmentgesetz Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen International Securities Identification Number Internationales Steuerrecht in Verbindung mit
JR JZ
Juristische Rundschau Juristenzeitung
K&R KAGB KAGG KapAEG KapErhG KapInHaG KapMuG KG KGaA KMG KölnKomm. Komm. KonTraG
KWG
Kommunikation & Recht Kapitalanlagegesetzbuch Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kapitalerhöhungsgesetz Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kapitalmarktgesetz Kölner Kommentar Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung Kostenordnung Körperschaftsteuergesetz Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der Kurs- und Marktpreismanipulation Kreditwesengesetz
LAG LG lit. LMK LPartG
Landesarbeitsgericht Landgericht litera Lindenmaier-Möhring kommentierte BGH Rechtsprechung Lebenspartnerschaftsgesetz
KoR KostO KStG KuMaKV
XXII
Abkürzungsverzeichnis
MaKonV MDR MiFID Mio. MittRhNotK MünchHdb. AG MünchKomm. m.w.N. NaStraG
Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der Marktmanipulation Monatsschrift für Deutsches Recht Markets in Financial Instruments Directive; Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente Million Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Die Aktiengesellschaft Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen
n.F. NJW NJW-RR Nr. NVersZ NZA NZG
Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nummer Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OECD OFD oHG OLG OWiG
Organisation for Economic Cooperation and Development Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
PartGG
Partnerschaftsgesellschaftsgesetz
R RefE RefG RegE RG RGZ RIW RL RNotZ Rpfl. RpflStud. Rspr. RWNM Rz.
Richtlinie Referentenentwurf Reforngesetz Regierungsentwurf Reichsgericht Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspfleger – Studienhefte Rechtsprechung Regelwerk Neuer Markt Randzahl
S. SE SEAG
Seite Societas Europaea Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Spruchverfahrensgesetz
SpruchG
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
StBerG StGB StückAG StuW
Steuerbereinigungsgesetz Strafgesetzbuch Stückaktiengesetz Steuer und Wirtschaft
Takeover Code TransPuG TUG TVöD Tz. TzBfG
City Code on Takeovers and Mergers Transparenz- und Publizitätsgesetz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Tarifvertrag öffentlicher Dienst Textziffer Teilzeit- und Befristungsgesetz
u.a. ÜbernRLUG ÜbG ÜbRÄG UEV
unter anderem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz Übernahmegesetz Übernahmerechts-Änderungsgesetz Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote Unterlassungsklagengesetz Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsbereinigungsgesetz Umwandlungsgesetz Umwandlungsgesetz-Änderungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Umsatzsteuergesetz unter Umständen
UKlaG UMAG UmwBerG UmwG UmwGÄndG UmwStG UStG u.U. VAG VBlBW Verk/BekuaÄndG
VerkProspG VerkProspGebVO VerkProspVO VermAnlG VermbG VersorgW VersR VG VGH vgl. VGR VO VVaG VVG VW VwGO
XXIV
Versicherungsaufsichtsgesetz Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung Verkaufsprospektgesetz Verkaufsprospektgebührenverordnung Verkaufsprospektverordnung Vermögensanlagengesetz Vermögensbeteiligungsgesetz Versorgungswirtschaft Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Verordnung Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung
Abkürzungsverzeichnis
VwKostG VwVfG VwVG VwZG
Verwaltungskostengesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz
wbl WG WiB WiKG wistra WKN WM WpAIV WPg WpHG WPK WPO WpPG WpÜG WpÜG-AngVO WpÜG-GebVO WuB WuW
Wirtschaftsrechtliche Blätter Wechselgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaftskriminalitätsgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapierkennnummer Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Die Wirtschaftsprüfung Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferkammer Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WpÜG-Angebotsverordnung WpÜG-Gebührenverordnung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb
ZAP ZBB ZEV ZfB ZfbF ZfgK ZGR ZHR Ziff. ZIP ZNotP ZPO ZRP ZUR ZZP
Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die Notarpraxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für Zivilprozess
XXV
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3822) Zuletzt geändert durch Art. 2c des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht vom 28. November 2012 (BGBl. I S. 2369).
Abschnitt 1. Allgemeine Vorschriften § 1 Anwendungsbereich. (1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. (2) Auf Übernahme- und Pflichtangebote zum Erwerb von Aktien einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1, deren stimmberechtigte Aktien nicht im Inland, jedoch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, ist dieses Gesetz nur anzuwenden, soweit es die Kontrolle, die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots und hiervon abweichende Regelungen, die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft oder des Bieters, Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, durch die der Erfolg eines Angebots verhindert werden könnte, oder andere gesellschaftsrechtliche Fragen regelt. (3) Auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 ist dieses Gesetz vorbehaltlich § 11a nur unter folgenden Voraussetzungen anzuwenden: 1. es handelt sich um ein europäisches Angebot zum Erwerb stimmberechtigter Wertpapiere, und 2. a) die stimmberechtigten Wertpapiere sind nur im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, oder b) die stimmberechtigten Wertpapiere sind sowohl im Inland als auch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, jedoch nicht in dem Staat, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, und aa) die Zulassung erfolgte zuerst zum Handel an einem organisierten Markt im Inland, oder bb) die Zulassungen erfolgten gleichzeitig, und die Zielgesellschaft hat sich für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) als zuständige Aufsichtsbehörde entschieden. Liegen die in Satz 1 genannten Voraussetzungen vor, ist dieses Gesetz nur anzuwenden, soweit es Fragen der Gegenleistung, des Inhalts der Angebotsunterlage und des Angebotsverfahrens regelt. (4) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen darüber, in welchem Umfang Vorschriften dieses Gesetzes in den Fällen des Absatzes 2 und des Absatzes 3 anwendbar sind, zu erlassen. (5) Eine Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren stimmberechtigte Wertpapiere gleichzeitig im Inland und in einem anderen Staat des Europäischen WirtXXVII
WpÜG §§ 1 – 2
Gesetzestext
schaftsraums, jedoch nicht in dem Staat, in dem sie ihrer Sitz hat, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen worden sind, hat zu entscheiden, welche der betroffenen Aufsichtsstellen für die Beaufsichtigung eines europäischen Angebots zum Erwerb stimmberechtigter Wertpapiere zuständig sein soll. Sie hat ihre Entscheidung der Bundesanstalt mitzuteilen und zu veröffentlichen. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über den Zeitpunkt sowie Inhalt und Form der Mitteilung und der Veröffentlichung nach Satz 2 zu erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. § 2 Begriffsbestimmungen. (1) Angebote sind freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. (1a) Europäische Angebote sind Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des Absatzes 3 Nr. 2, die nach dem Recht des Staates des Europäischen Wirtschaftsraums, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, als Angebote im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. EU Nr. L 142 S. 12) gelten. (2) Wertpapiere sind, auch wenn für sie keine Urkunden ausgestellt sind, 1. Aktien, mit diesen vergleichbare Wertpapiere und Zertifikate, die Aktien vertreten, 2. andere Wertpapiere, die den Erwerb von Aktien, mit diesen vergleichbaren Wertpapieren oder Zertifikaten, die Aktien vertreten, zum Gegenstand haben. (3) Zielgesellschaften sind 1. Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland und 2. Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums. (4) Bieter sind natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften, die allein oder gemeinsam mit anderen Personen ein Angebot abgeben, ein solches beabsichtigen oder zur Abgabe verpflichtet sind. (5) Gemeinsam handelnde Personen sind natürliche oder juristische Personen, die ihr Verhalten im Hinblick auf ihren Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder ihre Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft mit dem Bieter auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen. Mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Personen sind natürliche oder juristische Personen, die Handlungen zur Verhinderung eines Übernahme- oder Pflichtangebots mit der Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen. Tochterunternehmen gelten mit der sie kontrollierenden Person und untereinander als gemeinsam handelnde Personen. (6) Tochterunternehmen sind Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 des Handelsgesetzbuchs gelten oder auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt. (7) Organisierter Markt sind der regulierte Markt an einer Börse im Inland und der geregelte Markt im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Nr. 14 der Richtlinie 2004/39/EG des
XXVIII
§§ 2 – 5 WpÜG
Gesetzestext
Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. EU Nr. L 145 S. 1) in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums. (8) Der Europäische Wirtschaftsraum umfasst die Staaten der Europäischen Gemeinschaften sowie die Staaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. § 3 Allgemeine Grundsätze. (1) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die derselben Gattung angehören, sind gleich zu behandeln. (2) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft müssen über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. (3) Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft müssen im Interesse der Zielgesellschaft handeln. (4) Der Bieter und die Zielgesellschaft haben das Verfahren rasch durchzuführen. Die Zielgesellschaft darf nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden. (5) Beim Handel mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften dürfen keine Marktverzerrungen geschaffen werden.
Abschnitt 2. Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht § 4 Aufgaben und Befugnisse. (1) Die Bundesanstalt übt die Aufsicht bei Angeboten nach den Vorschriften dieses Gesetzes aus. Sie hat im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben Missständen entgegenzuwirken, welche die ordnungsmäßige Durchführung des Verfahrens beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können. Die Bundesanstalt kann Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, diese Missstände zu beseitigen oder zu verhindern. (2) Die Bundesanstalt nimmt die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. § 5 Beirat. (1) Bei der Bundesanstalt wird ein Beirat gebildet. Der Beirat besteht aus 1. vier Vertretern der Emittenten, 2. je zwei Vertretern der institutionellen und der privaten Anleger, 3. drei Vertretern der Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 4 des Wertpapierhandelsgesetzes, 4. zwei Vertretern der Arbeitnehmer, 5. zwei Vertretern der Wissenschaft.
XXIX
WpÜG §§ 5 – 6
Gesetzestext
Die Mitglieder des Beirates werden vom Bundesministerium der Finanzen für jeweils fünf Jahre bestellt; die Bestellung der in Satz 2 Nr. 1 bis 4 genannten Mitglieder erfolgt nach Anhörung der betroffenen Kreise. Die Mitglieder des Beirates müssen fachlich besonders geeignet sein; insbesondere müssen sie über Kenntnisse über die Funktionsweise der Kapitalmärkte sowie über Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, des Bilanzwesens oder des Arbeitsrechts verfügen. Die Mitglieder des Beirates verwalten ihr Amt als unentgeltliches Ehrenamt. Für ihre Teilnahme an Sitzungen erhalten sie Tagegelder und Vergütung der Reisekosten nach festen Sätzen, die das Bundesministerium der Finanzen bestimmt. An den Sitzungen können Vertreter der Bundesministerien der Finanzen, der Justiz sowie für Wirtschaft und Technologie teilnehmen. (2) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Zusammensetzung des Beirates, die Einzelheiten der Bestellung seiner Mitglieder, die vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft, das Verfahren und die Kosten erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. (3) Der Beirat wirkt bei der Aufsicht mit. Er berät die Bundesanstalt, insbesondere bei dem Erlass von Rechtsverordnungen für die Aufsichtstätigkeit der Bundesanstalt. Er unterbreitet mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder Vorschläge für die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses und deren Vertreter. (4) Der Präsident der Bundesanstalt lädt zu den Sitzungen des Beirates ein. Die Sitzungen werden vom Präsidenten der Bundesanstalt oder einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder Beamten geleitet. (5) Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung. § 6 Widerspruchsausschuss. (1) Bei der Bundesanstalt wird ein Widerspruchsausschuss gebildet. Dieser entscheidet über Widersprüche gegen Verfügungen der Bundesanstalt nach § 4 Abs. 1 Satz 3, § 10 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3, § 15 Abs. 1 und 2, § 20 Abs. 1, §§ 24, 28 Abs. 1, §§ 36 und 37. (2) Der Widerspruchsausschuss besteht aus 1. dem Präsidenten der Bundesanstalt oder einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder Beamten, der die Befähigung zum Richteramt hat, als Vorsitzendem, 2. zwei vom Präsidenten der Bundesanstalt beauftragten Beamten als Beisitzern, 3. drei vom Präsidenten der Bundesanstalt bestellten ehrenamtlichen Beisitzern. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. (3) Die ehrenamtlichen Beisitzer werden vom Präsidenten der Bundesanstalt für fünf Jahre als Mitglieder des Widerspruchsausschusses bestellt. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über das Verfahren, die Einzelheiten der Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer, die vorzeitige Beendigung und die Vertretung erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
XXX
Gesetzestext
§§ 7 – 9 WpÜG
§ 7 Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden im Inland. (1) Das Bundeskartellamt und die Bundesanstalt haben einander die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen mitzuteilen. Die Bundesanstalt übermittelt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die ihr nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und § 35 Abs. 1 Satz 4 mitgeteilten Informationen und auf Ersuchen dieser Behörde die ihr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 2 Satz 1 übermittelten Angebotsunterlage. Bei der Übermittlung personenbezogener Daten ist § 15 des Bundesdatenschutzgesetzes anzuwenden. (2) Die Bundesanstalt kann sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz privater Personen und Einrichtungen bedienen. § 8 Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland. (1) Der Bundesanstalt obliegt die Zusammenarbeit mit den für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren, Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten sowie den Handel in Wertpapieren und Derivaten zuständigen Stellen anderer Staaten. (2) Im Rahmen der Zusammenarbeit nach Absatz 1 darf die Bundesanstalt Tatsachen übermitteln, die für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder damit zusammenhängender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erforderlich sind; hierbei kann sie von ihren Befugnissen nach § 40 Abs. 1 und 2 Gebrauch machen. Bei der Übermittlung personenbezogener Daten hat die Bundesanstalt den Zweck zu bestimmen, für den diese verwendet werden dürfen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die Daten nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt werden dürfen, zu dessen Erfüllung sie übermittelt wurden. Eine Übermittlung unterbleibt, soweit Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen wird. Die Übermittlung unterbleibt außerdem, wenn durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden, insbesondere wenn im Empfängerland ein angemessener Datenschutzstandard nicht gewährleistet wäre. (3) Werden der Bundesanstalt von einer Stelle eines anderen Staates personenbezogene Daten mitgeteilt, so dürfen diese nur unter Beachtung der Zweckbestimmung durch diese Stelle verarbeitet oder genutzt werden. Die Bundesanstalt darf die Daten unter Beachtung der Zweckbestimmung den Börsenaufsichtsbehörden und den Handelsüberwachungsstellen der Börsen mitteilen. (4) Die Regelungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen bleiben unberührt. § 9 Verschwiegenheitspflicht. (1) Die bei der Bundesanstalt und bei Einrichtungen nach § 7 Abs. 2 Beschäftigten, die Personen, derer sich die Bundesanstalt nach § 7 Abs. 2 bedient, sowie die Mitglieder des Beirates und Beisitzer des Widerspruchsausschusses dürfen ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, sowie personenbezogene Daten auch nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses oder ihrer Tätigkeit nicht unbefugt offenbaren oder verwerten. Dies gilt auch für andere Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von den in Satz 1 bezeichneten Tatsachen erhalten. Ein unbefugtes Offenbaren oder Verwerten im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere nicht vor, wenn Tatsachen weitergegeben werden an
XXXI
WpÜG §§ 9 – 10
Gesetzestext
1. Strafverfolgungsbehörden oder für Straf- und Bußgeldsachen zuständige Gerichte, 2. Stellen, die kraft Gesetzes oder im öffentlichen Auftrag mit der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen, der Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder der Überwachung von Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten, des Wertpapier- oder Derivatehandels, von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, Investmentgesellschaften, Finanzunternehmen oder Versicherungsunternehmen betraut sind, sowie von solchen Stellen beauftragte Personen, 3. das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, soweit die Tatsachen für die Erfüllung der Aufgaben dieser Stellen oder Personen erforderlich sind. Für die bei den in Satz 3 genannten Stellen beschäftigten oder von ihnen beauftragten Personen gilt die Verschwiegenheitspflicht nach den Sätzen 1 bis 3 entsprechend. An eine ausländische Stelle dürfen die Tatsachen nur weitergegeben werden, wenn diese Stelle und die von ihr beauftragten Personen einer den Sätzen 1 bis 3 entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen. (2) Die §§ 93, 97, 105 Abs. 1, § 111 Abs. 5 in Verbindung mit § 105 Abs. 1 sowie § 116 Abs. 1 der Abgabenordnung gelten nicht für die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Personen, soweit sie zur Durchführung dieses Gesetzes tätig werden. Sie finden Anwendung, soweit die Finanzbehörden die Kenntnisse für die Durchführung eines Verfahrens wegen einer Steuerstraftat sowie eines damit zusammenhängenden Besteuerungsverfahrens benötigen, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, und nicht Tatsachen betroffen sind, die den in Absatz 1 Satz 1 oder 2 bezeichneten Personen durch eine Stelle eines anderen Staates im Sinne von Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 oder durch von dieser Stelle beauftragte Personen mitgeteilt worden sind. (3) Die Mitglieder des Beirates und die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses sind nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 547), geändert durch § 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942), in der jeweils geltenden Fassung von der Bundesanstalt auf eine gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu verpflichten.
Abschnitt 3. Angebote zum Erwerb von Wertpapieren § 10 Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots. (1) Der Bieter hat seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich gemäß Absatz 3 Satz 1 zu veröffentlichen. Die Verpflichtung nach Satz 1 besteht auch, wenn für die Entscheidung nach Satz 1 der Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich ist und ein solcher Beschluss noch nicht erfolgt ist. Die Bundesanstalt kann dem Bieter auf Antrag abweichend von Satz 2 gestatten, eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen, wenn der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass dadurch Marktverzerrungen nicht zu befürchten sind.
XXXII
Gesetzestext
§ 10 WpÜG
(2) Der Bieter hat die Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 vor der Veröffentlichung 1. den Geschäftsführungen der Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen sind, 2. den Geschäftsführungen der Börsen, an denen Derivate im Sinne des § 2 Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt werden, sofern die Wertpapiere Gegenstand der Derivate sind, und 3. der Bundesanstalt mitzuteilen. Die Geschäftsführungen dürfen die ihnen nach Satz 1 mitgeteilten Entscheidungen vor der Veröffentlichung nur zum Zwecke der Entscheidung verwenden, ob die Feststellung des Börsenpreises auszusetzen oder einzustellen ist. Die Bundesanstalt kann gestatten, dass Bieter mit Wohnort oder Sitz im Ausland die Mitteilung nach Satz 1 gleichzeitig mit der Veröffentlichung vornehmen, wenn dadurch die Entscheidungen der Geschäftsführungen über die Aussetzung oder Einstellung der Feststellung des Börsenpreises nicht beeinträchtigt werden. (3) Die Veröffentlichung der Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 ist 1. durch Bekanntgabe im Internet und 2. über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem, das bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, nach § 53 Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen, anderen Unternehmen, die ihren Sitz im Inland haben und an einer inländischen Börse zur Teilnahme am Handel zugelassen sind, und Versicherungsunternehmen weit verbreitet ist, in deutscher Sprache vorzunehmen. Dabei hat der Bieter auch die Adresse anzugeben, unter der die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgen wird. Eine Veröffentlichung in anderer Weise darf nicht vor der Veröffentlichung nach Satz 1 vorgenommen werden. (4) Der Bieter hat die Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 unverzüglich den Geschäftsführungen der in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 erfassten Börsen und der Bundesanstalt zu übersenden. Dies gilt nicht, soweit die Bundesanstalt nach Absatz 2 Satz 3 gestattet hat, die Mitteilung nach Absatz 2 Satz 1 gleichzeitig mit der Veröffentlichung vorzunehmen. (5) Der Bieter hat dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots schriftlich mitzuteilen. Der Vorstand der Zielgesellschaft unterrichtet den zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer, unverzüglich über die Mitteilung nach Satz 1. Der Bieter hat die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ebenso seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 mitzuteilen. (6) § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes gilt nicht für Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots.
XXXIII
WpÜG § 11
Gesetzestext
§ 11 Angebotsunterlage. (1) Der Bieter hat eine Unterlage über das Angebot (Angebotsunterlage) zu erstellen und zu veröffentlichen. Die Angebotsunterlage muss die Angaben enthalten, die notwendig sind, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. Die Angaben müssen richtig und vollständig sein. Die Angebotsunterlage ist in deutscher Sprache und in einer Form abzufassen, die ihr Verständnis und ihre Auswertung erleichtert. Sie ist von dem Bieter zu unterzeichnen. (2) Die Angebotsunterlage hat den Inhalt des Angebots und ergänzende Angaben zu enthalten. Angaben über den Inhalt des Angebots sind 1.
Name oder Firma und Anschrift oder Sitz sowie, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, die Rechtsform des Bieters,
2.
Firma, Sitz und Rechtsform der Zielgesellschaft,
3.
die Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind,
4.
Art und Höhe der für die Wertpapiere der Zielgesellschaft gebotenen Gegenleistung,
4a. die Höhe der für den Entzug von Rechten gebotenen Entschädigung nach § 33b Abs. 4, 5.
die Bedingungen, von denen die Wirksamkeit des Angebots abhängt,
6.
der Beginn und das Ende der Annahmefrist.
Ergänzende Angaben sind 1. Angaben zu den notwendigen Maßnahmen, die sicherstellen, dass dem Bieter die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, und zu den erwarteten Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters, 2. Angaben über die Absichten des Bieters im Hinblick auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft sowie, soweit von dem Angebot betroffen, des Bieters, insbesondere den Sitz und den Standort wesentlicher Unternehmensteile, die Verwendung des Vermögens, künftige Verpflichtungen, die Arbeitnehmer und deren Vertretungen, die Mitglieder der Geschäftsführungsorgane und wesentliche Änderungen der Beschäftigungsbedingungen einschließlich der insoweit vorgesehenen Maßnahmen, 3. Angaben über Geldleistungen oder andere geldwerte Vorteile, die Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft gewährt oder in Aussicht gestellt werden, 4. die Bestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 unter Angabe von Firma, Sitz und Rechtsform des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. (3) Die Angebotsunterlage muss Namen und Anschrift, bei juristischen Personen oder Gesellschaften Firma, Sitz und Rechtsform, der Personen oder Gesellschaften aufführen, die für den Inhalt der Angebotsunterlage die Verantwortung übernehmen; sie muss eine Erklärung dieser Personen oder Gesellschaften enthalten, dass ihres Wissens die Angaben richtig und keine wesentlichen Umstände ausgelassen sind. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, 1. nähere Bestimmungen über die Gestaltung und die in die Angebotsunterlage aufzunehmenden Angaben erlassen und
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Gesetzestext
§§ 11 – 12 WpÜG
2. weitere ergänzende Angaben vorschreiben, soweit dies notwendig ist, um den Empfängern des Angebots ein zutreffendes und vollständiges Urteil über den Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen und das Angebot zu ermöglichen. (5) Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung nach Absatz 4 durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. § 11a Europäischer Pass. Die von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen Staates des Europäischen Wirtschaftsraums gebilligte Angebotsunterlage über ein europäisches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren Wertpapiere auch im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, wird im Inland ohne zusätzliches Billigungsverfahren anerkannt. § 12 Haftung für die Angebotsunterlage. (1) Sind für die Beurteilung des Angebots wesentliche Angaben der Angebotsunterlage unrichtig oder unvollständig, so kann derjenige, der das Angebot angenommen hat oder dessen Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen worden sind, 1. von denjenigen, die für die Angebotsunterlage die Verantwortung übernommen haben, und 2. von denjenigen, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht, als Gesamtschuldnern den Ersatz des ihm aus der Annahme des Angebots oder Übertragung der Aktien entstandenen Schadens verlangen. (2) Nach Absatz 1 kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. (3) Der Anspruch nach Absatz 1 besteht nicht, sofern 1. die Annahme des Angebots nicht auf Grund der Angebotsunterlage erfolgt ist, 2. derjenige, der das Angebot angenommen hat, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage bei der Abgabe der Annahmeerklärung kannte oder 3. vor der Annahme des Angebots in einer Veröffentlichung nach § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Inland veröffentlicht wurde. (4) Der Anspruch nach Absatz 1 verjährt in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem derjenige, der das Angebot angenommen hat oder dessen Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen worden sind, von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. (5) Eine Vereinbarung, durch die der Anspruch nach Absatz 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen wird, ist unwirksam. (6) Weitergehende Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, bleiben unberührt.
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WpÜG §§ 13 – 14
Gesetzestext
§ 13 Finanzierung des Angebots. (1) Der Bieter hat vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen. Für den Fall, dass das Angebot als Gegenleistung die Zahlung einer Geldleistung vorsieht, ist durch ein vom Bieter unabhängiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen schriftlich zu bestätigen, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung zur Verfügung stehen. (2) Hat der Bieter die nach Absatz 1 Satz 2 notwendigen Maßnahmen nicht getroffen und stehen ihm zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung aus diesem Grunde die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung, so kann derjenige, der das Angebot angenommen hat, von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das die schriftliche Bestätigung erteilt hat, den Ersatz des ihm aus der nicht vollständigen Erfüllung entstandenen Schadens verlangen. (3) § 12 Abs. 2 bis 6 gilt entsprechend. § 14 Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage. (1) Der Bieter hat die Angebotsunterlage innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der Bundesanstalt zu übermitteln. Die Bundesanstalt bestätigt dem Bieter den Tag des Eingangs der Angebotsunterlage. Die Bundesanstalt kann die Frist nach Satz 1 auf Antrag um bis zu vier Wochen verlängern, wenn dem Bieter die Einhaltung der Frist nach Satz 1 auf Grund eines grenzüberschreitenden Angebots oder erforderlicher Kapitalmaßnahmen nicht möglich ist. (2) Die Angebotsunterlage ist gemäß Absatz 3 Satz 1 unverzüglich zu veröffentlichen, wenn die Bundesanstalt die Veröffentlichung gestattet hat oder wenn seit dem Eingang der Angebotsunterlage zehn Werktage verstrichen sind, ohne dass die Bundesanstalt das Angebot untersagt hat. Vor der Veröffentlichung nach Satz 1 darf die Angebotsunterlage nicht bekannt gegeben werden. Die Bundesanstalt kann vor einer Untersagung des Angebots die Frist nach Satz 1 um bis zu fünf Werktage verlängern, wenn die Angebotsunterlage nicht vollständig ist oder sonst den Vorschriften dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung nicht entspricht. (3) Die Angebotsunterlage ist zu veröffentlichen durch 1. Bekanntgabe im Internet und 2. Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland; im letzteren Fall ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach Nummer 1 erfolgt ist. Der Bieter hat der Bundesanstalt die Veröffentlichung nach Satz 1 Nr. 2 unverzüglich mitzuteilen. (4) Der Bieter hat die Angebotsunterlage dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 zu übermitteln. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Angebotsunterlage unverzüglich dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zu übermitteln. Der Bieter hat die Angebotsunterlage ebenso seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 zu übermitteln. XXXVI
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§§ 15 – 16 WpÜG
§ 15 Untersagung des Angebots. (1) Die Bundesanstalt untersagt das Angebot, wenn 1. die Angebotsunterlage nicht die Angaben enthält, die nach § 11 Abs. 2 oder einer auf Grund des § 11 Abs. 4 erlassenen Rechtsverordnung erforderlich sind, 2. die in der Angebotsunterlage enthaltenen Angaben offensichtlich gegen Vorschriften dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung verstoßen, 3. der Bieter entgegen § 14 Abs. 1 Satz 1 der Bundesanstalt keine Angebotsunterlage übermittelt oder 4. der Bieter entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 die Angebotsunterlage nicht veröffentlicht hat. (2) Die Bundesanstalt kann das Angebot untersagen, wenn der Bieter die Veröffentlichung nicht in der in § 14 Abs. 3 Satz 1 vorgeschriebenen Form vornimmt. (3) Ist das Angebot nach Absatz 1 oder 2 untersagt worden, so ist die Veröffentlichung der Angebotsunterlage verboten. Ein Rechtsgeschäft auf Grund eines nach Absatz 1 oder 2 untersagten Angebots ist nichtig. § 16 Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung. (1) Die Frist für die Annahme des Angebots (Annahmefrist) darf nicht weniger als vier Wochen und unbeschadet der Vorschriften des § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 nicht mehr als zehn Wochen betragen. Die Annahmefrist beginnt mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1. (2) Bei einem Übernahmeangebot können die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, das Angebot innerhalb von zwei Wochen nach der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Veröffentlichung (weitere Annahmefrist) annehmen. Satz 1 gilt nicht, wenn der Bieter das Angebot von dem Erwerb eines Mindestanteils der Aktien abhängig gemacht hat und dieser Mindestanteil nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde. (3) Wird im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Hauptversammlung der Zielgesellschaft einberufen, beträgt die Annahmefrist unbeschadet der Vorschriften des § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 zehn Wochen ab der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Einberufung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft unverzüglich dem Bieter und der Bundesanstalt mitzuteilen. Der Bieter hat die Mitteilung nach Satz 2 unter Angabe des Ablaufs der Annahmefrist unverzüglich im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Er hat der Bundesanstalt unverzüglich die Veröffentlichung mitzuteilen. (4) Die Hauptversammlung nach Absatz 3 ist mindestens 14 Tage vor der Versammlung einzuberufen. Der Tag der Einberufung ist nicht mitzurechnen. § 121 Abs. 7 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. Abweichend von § 121 Abs. 5 des Aktiengesetzes und etwaigen Bestimmungen der Satzung ist die Gesellschaft bei der Wahl des Versammlungsortes frei. Wird die Frist des § 123 Abs. 1 des Aktiengesetzes unterschritten, so müssen zwischen Anmeldung und Versammlung mindestens vier Tage liegen und sind Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes unverzüglich zu machen; § 121 Abs. 7, § 123 Abs. 2 Satz 4 und § 125 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes gelten entsprechend. Die Gesellschaft hat den Aktionären die Erteilung von Stimmrechtsvollmachten soweit nach Gesetz und Satzung möglich zu erleichtern. Mitteilungen an die Aktionäre, ein Bericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 des Aktiengesetzes und fristgerecht eingereichte Anträge von Aktionären sind allen Aktionären zugänglich
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WpÜG §§ 16 – 20
Gesetzestext
und in Kurzfassung bekannt zu machen. Die Zusendung von Mitteilungen kann unterbleiben, wenn zur Überzeugung des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrats der rechtzeitige Eingang bei den Aktionären nicht wahrscheinlich ist. § 17 Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten. Eine öffentliche auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft gerichtete Aufforderung des Bieters zur Abgabe von Angeboten durch die Inhaber der Wertpapiere ist unzulässig. § 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs. (1) Ein Angebot darf vorbehaltlich § 25 nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden, deren Eintritt der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen oder im Zusammenhang mit dem Angebot für diese Personen oder Unternehmen tätige Berater ausschließlich selbst herbeiführen können. (2) Ein Angebot, das unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder des Rücktritts abgegeben wird, ist unzulässig. § 19 Zuteilung bei einem Teilangebot. Ist bei einem Angebot, das auf den Erwerb nur eines bestimmten Anteils oder einer bestimmten Anzahl der Wertpapiere gerichtet ist, der Anteil oder die Anzahl der Wertpapiere, die der Bieter erwerben kann, höher als der Anteil oder die Anzahl der Wertpapiere, die der Bieter zu erwerben sich verpflichtet hat, so sind die Annahmeerklärungen grundsätzlich verhältnismäßig zu berücksichtigen. § 20 Handelsbestand. (1) Die Bundesanstalt lässt auf schriftlichen Antrag des Bieters zu, dass Wertpapiere der Zielgesellschaft bei den ergänzenden Angaben nach § 11 Abs. 4 Nr. 2, den Veröffentlichungspflichten nach § 23, der Berechnung des Stimmrechtsanteils nach § 29 Abs. 2 und der Bestimmung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 1, 3 und 4 und der Geldleistung nach § 31 Abs. 5 unberücksichtigt bleiben. (2) Ein Befreiungsantrag nach Absatz 1 kann gestellt werden, wenn der Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen 1. die betreffenden Wertpapiere halten oder zu halten beabsichtigen, um bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen dem Erwerbspreis und dem Veräußerungspreis kurzfristig zu nutzen und 2. darlegen, dass mit dem Erwerb der Wertpapiere, soweit es sich um stimmberechtigte Aktien handelt, nicht beabsichtigt ist, auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. (3) Stimmrechte aus Aktien, die auf Grund einer Befreiung nach Absatz 1 unberücksichtigt bleiben, können nicht ausgeübt werden, wenn im Falle ihrer Berücksichtigung ein Angebot als Übernahmeangebot abzugeben wäre oder eine Verpflichtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 bestünde. (4) Beabsichtigt der Bieter Wertpapiere, für die eine Befreiung nach Absatz 1 erteilt worden ist, nicht mehr zu den in Absatz 1 Nr. 1 genannten Zwecken zu halten oder auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, ist dies der Bundesanstalt unverzüglich mitzuteilen. Die Bundesanstalt kann die Befreiung nach Absatz 1 außer nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes widerrufen, wenn die Verpflichtung nach Satz 1 nicht erfüllt worden ist.
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Gesetzestext
§§ 21 – 23 WpÜG
§ 21 Änderung des Angebots. (1) Der Bieter kann bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist 1. die Gegenleistung erhöhen, 2. wahlweise eine andere Gegenleistung anbieten, 3. den Mindestanteil oder die Mindestzahl der Wertpapiere oder den Mindestanteil der Stimmrechte, von dessen Erwerb der Bieter die Wirksamkeit seines Angebots abhängig gemacht hat, verringern oder 4. auf Bedingungen verzichten. Für die Wahrung der Frist nach Satz 1 ist auf die Veröffentlichung der Änderung nach Absatz 2 abzustellen. (2) Der Bieter hat die Änderung des Angebots unter Hinweis auf das Rücktrittsrecht nach Absatz 4 unverzüglich gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. § 14 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 gilt entsprechend. (3) § 11 Abs. 1 Satz 2 bis 5, Abs. 3, §§ 12, 13 und 15 Abs. 1 Nr. 2 gelten entsprechend. (4) Im Falle einer Änderung des Angebots können die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die das Angebot vor Veröffentlichung der Änderung nach Absatz 2 angenommen haben, von dem Vertrag bis zum Ablauf der Annahmefrist zurücktreten. (5) Im Falle einer Änderung des Angebots verlängert sich die Annahmefrist um zwei Wochen, sofern die Veröffentlichung der Änderung innerhalb der letzten zwei Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt. Dies gilt auch, falls das geänderte Angebot gegen Rechtsvorschriften verstößt. (6) Eine erneute Änderung des Angebots innerhalb der in Absatz 5 genannten Frist von zwei Wochen ist unzulässig. § 22 Konkurrierende Angebote. (1) Konkurrierende Angebote sind Angebote, die während der Annahmefrist eines Angebots von einem Dritten abgegeben werden. (2) Läuft im Falle konkurrierender Angebote die Annahmefrist für das Angebot vor Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot ab, bestimmt sich der Ablauf der Annahmefrist für das Angebot nach dem Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot. Dies gilt auch, falls das konkurrierende Angebot geändert oder untersagt wird oder gegen Rechtsvorschriften verstößt. (3) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die das Angebot angenommen haben, können bis zum Ablauf der Annahmefrist vom Vertrag zurücktreten, sofern der Vertragsschluss vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden Angebots erfolgte. § 23 Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots. (1) Der Bieter ist verpflichtet, die Anzahl sämtlicher ihm, den mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft einschließlich der Höhe der jeweiligen Anteile und der ihm zustehenden und nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechtsanteile und die Höhe der nach den §§ 25 und 25a des Wertpapierhandelsgesetzes mitzuteilenden Stimmrechtsanteile sowie die sich aus den ihm zugegangenen Annahmeerklärungen ergebende Anzahl der Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind, einschließlich der Höhe der Wertpapierund Stimmrechtsanteile
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WpÜG §§ 23 – 27
Gesetzestext
1. nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage wöchentlich sowie in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist täglich, 2. unverzüglich nach Ablauf der Annahmefrist, 3. unverzüglich nach Ablauf der weiteren Annahmefrist und 4. unverzüglich nach Erreichen der für einen Ausschluss nach § 39a Abs. 1 und 2 erforderlichen Beteiligungshöhe gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen und der Bundesanstalt mitzuteilen. § 14 Abs. 3 Satz 2 und § 31 Abs. 6 gelten entsprechend. (2) Erwerben bei Übernahmeangeboten, bei denen der Bieter die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat, und bei Pflichtangeboten der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor Ablauf eines Jahres nach der Veröffentlichung gemäß Absatz 1 Nr. 2 außerhalb des Angebotsverfahrens Aktien der Zielgesellschaft, so hat der Bieter die Höhe der erworbenen Aktien- und Stimmrechtsanteile unter Angabe der Art und Höhe der für jeden Anteil gewährten Gegenleistung unverzüglich gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen und der Bundesanstalt mitzuteilen. § 31 Abs. 6 gilt entsprechend. § 24 Grenzüberschreitende Angebote. Hat der Bieter bei grenzüberschreitenden Angeboten zugleich die Vorschriften eines anderen Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums einzuhalten und ist dem Bieter deshalb ein Angebot an alle Inhaber von Wertpapieren unzumutbar, kann die Bundesanstalt dem Bieter auf Antrag gestatten, bestimmte Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in dem Staat von dem Angebot auszunehmen. § 25 Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters. Hat der Bieter das Angebot unter der Bedingung eines Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung abgegeben, hat er den Beschluss unverzüglich, spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist, herbeizuführen. § 26 Sperrfrist. (1) Ist ein Angebot nach § 15 Abs. 1 oder 2 untersagt worden, ist ein erneutes Angebot des Bieters vor Ablauf eines Jahres unzulässig. Gleiches gilt, wenn der Bieter ein Angebot von dem Erwerb eines Mindestanteils der Wertpapiere abhängig gemacht hat und dieser Mindestanteil nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Bieter zur Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und zur Abgabe eines Angebots nach § 35 Abs. 2 Satz 1 verpflichtet ist. (2) Die Bundesanstalt kann den Bieter auf schriftlichen Antrag von dem Verbot des Absatzes 1 Satz 1 und 2 befreien, wenn die Zielgesellschaft der Befreiung zustimmt. § 27 Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft. (1) Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner Änderungen abzugeben. Die Stellungnahme muss insbesondere eingehen auf 1. die Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung, 2. die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft, die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft,
XL
§§ 27 – 30 WpÜG
Gesetzestext
3. die vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Ziele, 4. die Absicht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft sind, das Angebot anzunehmen. (2) Übermitteln der zuständige Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft dem Vorstand eine Stellungnahme zu dem Angebot, hat der Vorstand unbeschadet seiner Verpflichtung nach Absatz 3 Satz 1 diese seiner Stellungnahme beizufügen. (3) Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben die Stellungnahme unverzüglich nach Übermittlung der Angebotsunterlage und deren Änderungen durch den Bieter gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. Sie haben die Stellungnahme gleichzeitig dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zu übermitteln. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben der Bundesanstalt unverzüglich die Veröffentlichung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 mitzuteilen. § 28 Werbung. (1) Um Missständen bei der Werbung im Zusammenhang mit Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren zu begegnen, kann die Bundesanstalt bestimmte Arten der Werbung untersagen. (2) Vor allgemeinen Maßnahmen nach Absatz 1 ist der Beirat zu hören.
Abschnitt 4. Übernahmeangebote § 29 Begriffsbestimmungen. (1) Übernahmeangebote sind Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind. (2) Kontrolle ist das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft. § 30 Zurechnung von Stimmrechten. (1) Stimmrechten des Bieters stehen Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft gleich, 1. die einem Tochterunternehmen des Bieters gehören, 2. die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Bieters gehalten werden, 3. die der Bieter einem Dritten als Sicherheit übertragen hat, es sei denn, der Dritte ist zur Ausübung der Stimmrechte aus diesen Aktien befugt und bekundet die Absicht, die Stimmrechte unabhängig von den Weisungen des Bieters auszuüben, 4. an denen zugunsten des Bieters ein Nießbrauch bestellt ist, 5. die der Bieter durch eine Willenserklärung erwerben kann, 6. die dem Bieter anvertraut sind oder aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann, sofern er die Stimmrechte aus diesen Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann, wenn keine besonderen Weisungen des Aktionärs vorliegen. Für die Zurechnung nach Satz 1 Nr. 2 bis 6 stehen dem Bieter Tochterunternehmen des Bieters gleich. Stimmrechte des Tochterunternehmens werden dem Bieter in voller Höhe zugerechnet. XLI
WpÜG § 30
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(2) Dem Bieter werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend. (3) Für die Zurechnung nach dieser Vorschrift gilt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinsichtlich der Beteiligungen, die von ihm im Rahmen einer Wertpapierdienstleistung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 des Wertpapierhandelsgesetzes verwaltet werden, unter den folgenden Voraussetzungen nicht als Tochterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6: 1. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf die Stimmrechte, die mit den betreffenden Aktien verbunden sind, nur aufgrund von in schriftlicher Form oder über elektronische Hilfsmittel erteilten Weisungen ausüben oder stellt durch geeignete Vorkehrungen sicher, dass die Finanzportfolioverwaltung unabhängig von anderen Dienstleistungen und unter Bedingungen, die denen der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmten Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABI. EG Nr. L 375 S. 3), die zuletzt durch Artikel 9 der Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2005 (ABI. EU Nr. L 79 S. 9) geändert worden ist, gleichwertig sind, erfolgt, 2. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen übt die Stimmrechte unabhängig vom Bieter aus, 3. der Bieter teilt der Bundesanstalt den Namen dieses Wertpapierdienstleistungsunternehmens und die für dessen Überwachung zuständige Behörde oder das Fehlen einer solchen mit und 4. der Bieter erklärt gegenüber der Bundesanstalt, dass die Voraussetzungen der Nummer 2 erfüllt sind. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gilt jedoch dann für die Zurechnung nach dieser Vorschrift als Tochterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6, wenn der Bieter oder ein anderes Tochterunternehmen des Bieters seinerseits Anteile an der vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwalteten Beteiligung hält und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Stimmrechte, die mit diesen Beteiligungen verbunden sind, nicht nach freiem Ermessen, sondern nur aufgrund unmittelbarer oder mittelbarer Weisungen ausüben kann, die ihm vom Bieter oder von einem anderen Tochterunternehmen des Bieters erteilt werden. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Umstände erlassen, unter denen im Falle des Absatzes 3 eine Unabhängigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens vom Bieter gegeben ist.
XLII
Gesetzestext
§ 31 WpÜG
§ 31 Gegenleistung. (1) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung sind grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen zu berücksichtigen. (2) Die Gegenleistung hat in einer Geldleistung in Euro oder in liquiden Aktien zu bestehen, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Werden Inhabern stimmberechtigter Aktien als Gegenleistung Aktien angeboten, müssen diese Aktien ebenfalls ein Stimmrecht gewähren. (3) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine Geldleistung in Euro anzubieten, wenn er, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 bis zum Ablauf der Annahmefrist insgesamt mindestens 5 Prozent der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben haben. (4) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, erhöht sich die den Angebotsempfängern der jeweiligen Aktiengattung geschuldete Gegenleistung wertmäßig um den Unterschiedsbetrag. (5) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 außerhalb der Börse Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, ist der Bieter gegenüber den Inhabern der Aktien, die das Angebot angenommen haben, zur Zahlung einer Geldleistung in Euro in Höhe des Unterschiedsbetrages verpflichtet. Satz 1 gilt nicht für den Erwerb von Aktien im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft und für den Erwerb des Vermögens oder von Teilen des Vermögens der Zielgesellschaft durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung. (6) Dem Erwerb im Sinne der Absätze 3 bis 5 gleichgestellt sind Vereinbarungen, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann. Als Erwerb gilt nicht die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts auf Grund einer Erhöhung des Grundkapitals der Zielgesellschaft. (7) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Angemessenheit der Gegenleistung nach Absatz 1, insbesondere die Berücksichtigung des durchschnittlichen Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft und der Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen und die hierbei maßgeblichen Zeiträume sowie über Ausnahmen von dem in Absatz 1 Satz 2 genannten Grundsatz und die Ermittlung des Unterschiedsbetrages nach Absätzen 4 und 5 erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
XLIII
WpÜG §§ 32 – 33a
Gesetzestext
§ 32 Unzulässigkeit von Teilangeboten. Ein Übernahmeangebot, das sich nur auf einen Teil der Aktien der Zielgesellschaft erstreckt, ist unbeschadet der Vorschrift des § 24 unzulässig. § 33 Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft. (1) Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Dies gilt nicht für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte, für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot sowie für Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat. (2) Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand vor dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum zur Vornahme von Handlungen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, um den Erfolg von Übernahmeangeboten zu verhindern, sind diese Handlungen in der Ermächtigung der Art nach zu bestimmen. Die Ermächtigung kann für höchstens 18 Monate erteilt werden. Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst; die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Handlungen des Vorstands auf Grund einer Ermächtigung nach Satz 1 bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. (3) (weggefallen) § 33a Europäisches Verhinderungsverbot. (1) Die Satzung einer Zielgesellschaft kann vorsehen, dass § 33 keine Anwendung findet. In diesem Fall gelten die Bestimmungen des Absatzes 2. (2) Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 dürfen Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Das gilt nicht für 1. Handlungen, zu denen die Hauptversammlung den Vorstand oder Aufsichtsrat nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ermächtigt hat, 2. Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs, 3. Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs, sofern sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gefasst und teilweise umgesetzt wurden, und 4. die Suche nach einem konkurrierenden Angebot. (3) Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt sowie die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich davon zu unterrichten, dass die Zielgesellschaft eine Satzungsbestimmung nach Absatz 1 Satz 1 beschlossen hat.
XLIV
Gesetzestext
§§ 33b – 33c WpÜG
§ 33b Europäische Durchbrechungsregel. (1) Die Satzung einer Zielgesellschaft kann vorsehen, dass Absatz 2 Anwendung findet. (2) Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 gelten die folgenden Bestimmungen: 1. während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots gelten satzungsmäßige, zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbarte Übertragungsbeschränkungen von Aktien nicht gegenüber dem Bieter, 2. während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots entfalten in einer Hauptversammlung, die über Abwehrmaßnahmen beschließt, Stimmbindungsverträge keine Wirkung und Mehrstimmrechtsaktien berechtigen zu nur einer Stimme und 3. in der ersten Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters einberufen wird, um die Satzung zu ändern oder über die Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft zu entscheiden, entfalten, sofern der Bieter nach dem Angebot über mindestens 75 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt, Stimmbindungsverträge sowie Entsendungsrechte keine Wirkung und Mehrstimmrechtsaktien berechtigen zu nur einer Stimme. Satz 1 gilt nicht für Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sowie für vor dem 22. April 2004 zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbarten Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen. (3) Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt sowie die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich davon zu unterrichten, dass die Zielgesellschaft eine Satzungsbestimmung nach Absatz 1 beschlossen hat. (4) Für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 gilt § 16 Abs. 4 entsprechend. (5) Werden Rechte auf der Grundlage des Absatzes 1 entzogen, ist der Bieter zu einer angemessenen Entschädigung in Geld verpflichtet, soweit diese Rechte vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots nach § 10 Abs. 1 Satz 1 begründet wurden und der Zielgesellschaft bekannt sind. Der Anspruch auf Entschädigung nach Satz 1 kann nur bis zum Ablauf von zwei Monaten seit dem Entzug der Rechte gerichtlich geltend gemacht werden. § 33c Vorbehalt der Gegenseitigkeit. (1) Die Hauptversammlung einer Zielgesellschaft, deren Satzung die Anwendbarkeit des § 33 ausschließt, kann beschließen, dass § 33 gilt, wenn der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen einer dem § 33a Abs. 2 entsprechenden Regelung nicht unterliegt. (2) Die Hauptversammlung einer Zielgesellschaft, deren Satzung eine Bestimmung nach § 33b Abs. 1 enthält, kann beschließen, dass diese Bestimmung keine Anwendung findet, wenn der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen einer dieser Bestimmung entsprechenden Regelung nicht unterliegt. (3) Der Vorbehalt der Gegenseitigkeit gemäß den Absätzen 1 und 2 kann in einem Beschluss gefasst werden. Der Beschluss der Hauptversammlung gilt für höchstens 18 Monate. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt und die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen stimmberechtigte Aktien der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen
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WpÜG §§ 33c – 36
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sind, unverzüglich von der Ermächtigung zu unterrichten. Die Ermächtigung ist unverzüglich auf der Internetseite der Zielgesellschaft zu veröffentlichen. § 33d Verbot der Gewährung ungerechtfertigter Leistungen. Dem Bieter und mit ihm gemeinsam handelnden Personen ist es verboten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot ungerechtfertigte Geldleistungen oder andere ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen. § 34 Anwendung der Vorschriften des Abschnitts 3. Für Übernahmeangebote gelten die Vorschriften des Abschnitts 3, soweit sich aus den vorstehenden Vorschriften nichts anderes ergibt.
Abschnitt 5. Pflichtangebote § 35 Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots. (1) Wer unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, hat dies unter Angabe der Höhe seines Stimmrechtsanteils unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen, gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 zu veröffentlichen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Bieter Kenntnis davon hat oder nach den Umständen haben musste, dass er die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat. In der Veröffentlichung sind die nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechte für jeden Zurechnungstatbestand getrennt anzugeben. § 10 Abs. 2, 3 Satz 3 und Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. (2) Der Bieter hat innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft der Bundesanstalt eine Angebotsunterlage zu übermitteln und nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ein Angebot zu veröffentlichen. § 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und 4 gilt entsprechend. Ausgenommen von der Verpflichtung nach Satz 1 sind eigene Aktien der Zielgesellschaft, Aktien der Zielgesellschaft, die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen der Zielgesellschaft gehören, und Aktien der Zielgesellschaft, die einem Dritten gehören, jedoch für Rechnung der Zielgesellschaft, eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens der Zielgesellschaft gehalten werden. (3) Wird die Kontrolle über die Zielgesellschaft auf Grund eines Übernahmeangebots erworben, besteht keine Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1. § 36 Nichtberücksichtigung von Stimmrechten. Die Bundesanstalt lässt auf schriftlichen Antrag zu, dass Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft bei der Berechnung des Stimmrechtsanteils unberücksichtigt bleiben, wenn die Aktien erlangt wurden durch 1. Erbgang, Erbauseinandersetzung oder unentgeltliche Zuwendung unter Ehegatten, Lebenspartnern oder Verwandten in gerader Linie und bis zum dritten Grade oder durch Vermögensauseinandersetzung aus Anlass der Auflösung einer Ehe oder Lebenspartnerschaft, 2. Rechtsformwechsel oder 3. Umstrukturierungen innerhalb eines Konzerns.
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Gesetzestext
§§ 37 – 39a WpÜG
§ 37 Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots. (1) Die Bundesanstalt kann auf schriftlichen Antrag den Bieter von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 befreien, sofern dies im Hinblick auf die Art der Erlangung, die mit der Erlangung der Kontrolle beabsichtigte Zielsetzung, ein nach der Erlangung der Kontrolle erfolgendes Unterschreiten der Kontrollschwelle, die Beteiligungsverhältnisse an der Zielgesellschaft oder die tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers und der Inhaber der Aktien der Zielgesellschaft gerechtfertigt erscheint. (2) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. § 38 Anspruch auf Zinsen. Der Bieter ist den Aktionären der Zielgesellschaft für die Dauer des Verstoßes zur Zahlung von Zinsen auf die Gegenleistung in Höhe von fünf Prozentpunkten auf das Jahr über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet, wenn 1. er entgegen § 35 Abs. 1 Satz 1 keine Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 vornimmt, 2. er entgegen § 35 Abs. 2 Satz 1 kein Angebot gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 abgibt oder 3. ihm ein Angebot im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 untersagt worden ist. § 39 Anwendung der Vorschriften des Abschnitts 3 und 4. Für Angebote nach § 35 Abs. 2 Satz 1 gelten mit Ausnahme von § 10 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 2, § 18 Abs. 1, §§ 19, 25, 26 und 34 die Vorschriften der Abschnitte 3 und 4 sinngemäß.
Abschnitt 5a. Ausschluss, Andienungsrecht § 39a Ausschluss der übrigen Aktionäre. (1) Nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot sind dem Bieter, dem Aktien der Zielgesellschaft in Höhe von mindestens 95 Prozent des stimmberechtigten Grundkapitals gehören, auf seinen Antrag die übrigen stimmberechtigten Aktien gegen Gewährung einer angemessenen Abfindung durch Gerichtsbeschluss zu übertragen. Gehören dem Bieter zugleich Aktien in Höhe von 95 Prozent des Grundkapitals der Zielgesellschaft, sind ihm auf Antrag auch die übrigen Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zu übertragen. (2) Für die Feststellung der erforderlichen Beteiligungshöhe nach Absatz 1 gilt § 16 Abs. 2 und 4 des Aktiengesetzes entsprechend. (3) Die Art der Abfindung hat der Gegenleistung des Übernahme- oder Pflichtangebots zu entsprechen. Eine Geldleistung ist stets wahlweise anzubieten. Die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung ist als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter auf Grund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 Prozent des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben
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WpÜG §§ 39a – 39b
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hat. Die Annahmequote ist für stimmberechtigte Aktien und stimmrechtslose Aktien getrennt zu ermitteln. (4) Ein Antrag auf Übertragung der Aktien nach Absatz 1 muss innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist gestellt werden. Der Bieter kann den Antrag stellen, wenn das Übernahme- oder Pflichtangebot in einem Umfang angenommen worden ist, dass ihm beim späteren Vollzug des Angebots Aktien in Höhe des zum Ausschluss mindestens erforderlichen Anteils am stimmberechtigten oder am gesamten Grundkapital der Zielgesellschaft gehören werden. (5) Über den Antrag entscheidet ausschließlich das Landgericht Frankfurt am Main. (6) Die §§ 327a bis 327f des Aktiengesetzes finden nach Stellung eines Antrags bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausschlussverfahrens keine Anwendung. § 39b Ausschlussverfahren. (1) Auf das Verfahren für den Ausschluss nach § 39a ist das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 bis 5 nichts anderes bestimmt ist. (2) Das Landgericht hat den Antrag auf Ausschluss nach § 39a in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. (3) Das Landgericht entscheidet durch einen mit Gründen versehenen Beschluss. Der Beschluss darf frühestens einen Monat seit Bekanntmachung der Antragstellung im Bundesanzeiger und erst dann ergehen, wenn der Bieter glaubhaft gemacht hat, dass ihm Aktien in Höhe des zum Ausschluss mindestens erforderlichen Anteils am stimmberechtigten oder am gesamten Grundkapital der Zielgesellschaft gehören. Gegen die Entscheidung des Landgerichts findet die Beschwerde statt; sie hat aufschiebende Wirkung. (4) Das Landgericht hat seine Entscheidung dem Antragsteller und der Zielgesellschaft sowie den übrigen Aktionären der Gesellschaft, sofern diese im Beschlussverfahren angehört wurden, zuzustellen. Es hat die Entscheidung ferner ohne Gründe in den Gesellschaftsblättern bekannt zu geben. Die Beschwerde steht dem Antragsteller und den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft zu. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger, für den Antragsteller und für die übrigen Aktionäre, denen die Entscheidung zugestellt wurde, jedoch nicht vor Zustellung der Entscheidung. (5) Die Entscheidung ist erst mit Rechtskraft wirksam. Sie wirkt für und gegen alle Aktionäre. Mit rechtskräftiger Entscheidung gehen alle Aktien der übrigen Aktionäre auf den zum Ausschluss berechtigten Aktionär über. Sind über diese Aktien Aktienurkunden ausgegeben, so verbriefen sie bis zu ihrer Aushändigung nur den Anspruch auf eine angemessene Abfindung. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die rechtskräftige Entscheidung unverzüglich zum Handelsregister einzureichen. (6) Für die Kosten des Verfahrens gilt die Kostenordnung. Für das Verfahren des ersten Rechtszugs wird das Vierfache der vollen Gebühr erhoben. Für das Verfahren über ein Rechtsmittel wird die gleiche Gebühr erhoben; dies gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel Erfolg hat. Wird der Antrag oder das Rechtsmittel vor Ablauf des Tages zurückgenommen, an dem die Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird, so ermäßigt sich die Gebühr auf die Hälfte. Als Geschäftswert ist der Betrag anzunehmen, der dem Wert aller Aktien entspricht, auf die sich der Ausschluss bezieht; er beträgt mindestens 200.000 und höchstens 7,5 Millionen Euro. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts ist der Zeitpunkt der Antragstellung.
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§§ 39b – 41 WpÜG
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Schuldner der Gerichtskosten ist nur der Antragsteller. Das Gericht ordnet an, dass die Kosten der Antragsgegner, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder zum Teil vom Antragsteller zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. § 39c Andienungsrecht. Nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot können die Aktionäre einer Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, das Angebot innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, sofern der Bieter berechtigt ist, einen Antrag nach § 39a zu stellen. Erfüllt der Bieter seine Verpflichtungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder Satz 2 nicht, beginnt die in Satz 1 genannte Dreimonatsfrist erst mit der Erfüllung der Verpflichtungen zu laufen.
Abschnitt 6. Verfahren § 40 Ermittlungsbefugnisse der Bundesanstalt. (1) Die Bundesanstalt kann von jedermann Auskünfte, die Vorlage von Unterlagen und die Überlassung von Kopien verlangen sowie Personen laden und vernehmen, soweit dies auf Grund von Anhaltspunkten für die Überwachung der Einhaltung eines Gebots oder Verbots dieses Gesetzes erforderlich ist. Sie kann insbesondere die Angabe von Bestandsveränderungen in Finanzinstrumenten sowie Auskünfte über die Identität weiterer Personen, insbesondere der Auftraggeber und der aus Geschäften berechtigten oder verpflichteten Personen, verlangen. Gesetzliche Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechte sowie gesetzliche Verschwiegenheitspflichten bleiben unberührt. (2) Während der üblichen Arbeitszeit ist Bediensteten der Bundesanstalt und den von ihr beauftragten Personen, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist, das Betreten der Grundstücke und Geschäftsräume der nach Absatz 1 auskunftspflichtigen Personen zu gestatten. Das Betreten außerhalb dieser Zeit oder das Betreten von Geschäftsräumen, die sich in einer Wohnung befinden, ist ohne Einverständnis nur zulässig und insoweit zu dulden, wie dies zur Verhütung von dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist und bei der auskunftspflichtigen Person Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen ein Verbot oder Gebot dieses Gesetzes vorliegen. Das Grundrecht des Artikels 13 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt. (3) Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Der Verpflichtete ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren. § 41 Widerspruchsverfahren. (1) Vor Einlegung der Beschwerde sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verfügungen der Bundesanstalt in einem Widerspruchsverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält. Für das Widerspruchsverfahren gelten die §§ 68 bis 73 der Verwaltungsgerichtsordnung, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes geregelt ist.
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WpÜG §§ 41 – 46
Gesetzestext
(2) Die Bundesanstalt trifft ihre Entscheidung innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Eingang des Widerspruchs. Bei besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten oder bei einer Vielzahl von Widerspruchsverfahren kann die Bundesanstalt die Frist durch unanfechtbaren Beschluss verlängern. (3) Die Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken, wie es einem auf Förderung und raschen Abschluss des Verfahrens bedachten Vorgehen entspricht. Den Beteiligten können Fristen gesetzt werden, nach deren Ablauf weiterer Vortrag unbeachtet bleibt. (4) Der Widerspruchsausschuss kann das Verfahren ohne mündliche Verhandlung dem Vorsitzenden durch unanfechtbaren Beschluss zur alleinigen Entscheidung übertragen. Diese Übertragung ist nur zulässig, sofern die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufweist und die Entscheidung nicht von grundsätzlicher Bedeutung sein wird. § 42 Sofortige Vollziehbarkeit. Der Widerspruch gegen Maßnahmen der Bundesanstalt nach § 4 Abs. 1 Satz 3, § 15 Abs. 1 oder 2, § 28 Abs. 1 oder § 40 Abs. 1 und 2 hat keine aufschiebende Wirkung. § 43 Bekanntgabe und Zustellung. (1) Verfügungen, die gegenüber einer Person mit Wohnsitz oder einem Unternehmen mit Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ergehen, gibt die Bundesanstalt der Person bekannt, die als Bevollmächtigte benannt wurde. Ist kein Bevollmächtigter benannt, so erfolgt die Bekanntgabe durch öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger. (2) Ist die Verfügung zuzustellen, so erfolgt die Zustellung bei Personen mit Wohnsitz oder Unternehmen mit Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes an die Person, die als Bevollmächtigte benannt wurde. Ist kein Bevollmächtigter benannt, so erfolgt die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger. § 44 Veröffentlichungsrecht der Bundesanstalt. Die Bundesanstalt kann ihre Verfügungen nach § 4 Abs. 1 Satz 3, § 10 Abs. 2 Satz 3, § 15 Abs. 1 und 2, § 20 Abs. 1, § 28 Abs. 1, § 36 oder § 37 Abs. 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach Abs. 2, auf Kosten des Adressaten der Verfügung im Bundesanzeiger veröffentlichen. § 45 Mitteilungen an die Bundesanstalt. Anträge und Mitteilungen an die Bundesanstalt haben in schriftlicher Form zu erfolgen. Eine Übermittlung im Wege der elektronischen Datenfernübertragung ist zulässig, sofern der Absender zweifelsfrei zu erkennen ist. § 46 Zwangsmittel. Die Bundesanstalt kann Verfügungen, die nach diesem Gesetz ergehen, mit Zwangsmitteln nach den Bestimmungen des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes durchsetzen. Sie kann auch Zwangsmittel gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts anwenden. Widerspruch und Beschwerde gegen die Androhung und Festsetzung der Zwangsmittel nach §§ 13 und 14 des VerwaltungsVollstreckungsgesetzes haben keine aufschiebende Wirkung. Die Höhe des Zwangsgeldes beträgt abweichend von § 11 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes bis zu 500.000 Euro.
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§§ 47 – 50 WpÜG
Gesetzestext
§ 47 Kosten. Die Bundesanstalt erhebt für Amtshandlungen auf Grund von § 10 Abs. 2 Satz 3, §§ 14 und 15 Abs. 1 oder 2, §§ 20, 24, 28 Abs. 1, §§ 36, 37 Abs. 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach Abs. 2, oder § 41 in Verbindung mit § 6 Kosten (Gebühren und Auslagen). Das Bundesministerium der Finanzen bestimmt die Kostentatbestände im Einzelnen und die Höhe der Kosten durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
Abschnitt 7. Rechtsmittel § 48 Statthaftigkeit, Zuständigkeit. (1) Gegen Verfügungen der Bundesanstalt ist die Beschwerde statthaft. Sie kann auch auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt werden. (2) Die Beschwerde steht den am Verfahren vor der Bundesanstalt Beteiligten zu. (3) Die Beschwerde ist auch gegen die Unterlassung einer beantragten Verfügung der Bundesanstalt statthaft, auf deren Vornahme der Antragsteller ein Recht zu haben behauptet. Als Unterlassung gilt es auch, wenn die Bundesanstalt den Antrag auf Vornahme der Verfügung ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht beschieden hat. Die Unterlassung ist dann einer Ablehnung gleich zu erachten. (4) Über die Beschwerde entscheidet ausschließlich das für den Sitz der Bundesanstalt in Frankfurt am Main zuständige Oberlandesgericht. § 49 Aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung, soweit durch die angefochtene Verfügung eine Befreiung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 oder § 37 Abs. 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach Abs. 2, oder eine Nichtberücksichtigung von Stimmrechtsanteilen nach § 36 widerrufen wird. § 50 Anordnung der sofortigen Vollziehung. (1) Die Bundesanstalt kann in den Fällen des § 49 die sofortige Vollziehung der Verfügung anordnen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist. (2) Die Anordnung nach Absatz 1 kann bereits vor der Einreichung der Beschwerde getroffen werden. (3) Auf Antrag kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Beschwerde ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen, wenn 1. die Voraussetzungen für die Anordnung nach Absatz 1 nicht vorgelegen haben oder nicht mehr vorliegen, 2. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen oder 3. die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. (4) Der Antrag nach Absatz 3 ist schon vor Einreichung der Beschwerde zulässig. Die Tatsachen, auf die der Antrag gestützt wird, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Ist die Verfügung im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Anordnung der aufschie-
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WpÜG §§ 50 – 55
Gesetzestext
benden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden. (5) Beschlüsse über Anträge nach Absatz 3 können jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Soweit durch sie den Anträgen entsprochen ist, sind sie unanfechtbar. § 51 Frist und Form. (1) Die Beschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem Beschwerdegericht schriftlich einzureichen. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe oder der Zustellung des Widerspruchsbescheides der Bundesanstalt. (2) Ergeht auf einen Antrag keine Verfügung, so ist die Beschwerde an keine Frist gebunden. (3) Die Beschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Beschwerdebegründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. (4) Die Beschwerdebegründung muss enthalten 1. die Erklärung, inwieweit die Verfügung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird, und 2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt. § 52 Beteiligte am Beschwerdeverfahren. An dem Verfahren vor dem Beschwerdegericht sind der Beschwerdeführer und die Bundesanstalt beteiligt. § 53 Anwaltszwang. Vor dem Beschwerdegericht müssen die Beteiligten sich durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Bundesanstalt kann sich durch einen Beamten auf Lebenszeit mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen. § 54 Mündliche Verhandlung. (1) Das Beschwerdegericht entscheidet über die Beschwerde auf Grund mündlicher Verhandlung; mit Einverständnis der Beteiligten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. (2) Sind die Beteiligten in dem Verhandlungstermin trotz rechtzeitiger Benachrichtigung nicht erschienen oder gehörig vertreten, so kann gleichwohl in der Sache verhandelt und entschieden werden. § 55 Untersuchungsgrundsatz. (1) Das Beschwerdegericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. (2) Das Gericht hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. (3) Das Beschwerdegericht kann den Beteiligten aufgeben, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist über aufklärungsbedürftige Punkte zu äußern, Beweismittel zu bezeichnen und in ihren Händen befindliche Urkunden sowie andere Beweismittel vorzulegen. Bei Versäumung der Frist kann nach Lage der Sache ohne Berücksichtigung der nicht beigebrachten Beweismittel entschieden werden.
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§§ 56 – 57 WpÜG
§ 56 Beschwerdeentscheidung; Vorlagepflicht. (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluss darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Das Beschwerdegericht kann hiervon abweichen, soweit Beigeladenen aus berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen Akteneinsicht nicht gewährt und der Akteninhalt aus diesen Gründen auch nicht vorgetragen worden ist. Dies gilt nicht für solche Beigeladene, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. (2) Hält das Beschwerdegericht die Verfügung der Bundesanstalt für unzulässig oder unbegründet, so hebt es die Verfügung auf. Hat sich die Verfügung vorher durch Zurücknahme oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Verfügung der Bundesanstalt unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (3) Hält das Beschwerdegericht die Ablehnung oder Unterlassung der Verfügung für unzulässig oder unbegründet, so spricht es die Verpflichtung der Bundesanstalt aus, die beantragte Verfügung vorzunehmen. (4) Die Verfügung ist auch dann unzulässig oder unbegründet, wenn die Bundesanstalt von ihrem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, insbesondere wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder durch die Ermessensentscheidung Sinn und Zweck dieses Gesetzes verletzt hat. (5) Der Beschluss ist zu begründen und den Beteiligten zuzustellen. (6) Will das Beschwerdegericht von einer Entscheidung eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so legt es die Sache dem Bundesgerichtshof vor. Der Bundesgerichtshof entscheidet anstelle des Oberlandesgerichts. § 57 Akteneinsicht. (1) Die in § 52 bezeichneten Beteiligten können die Akten des Beschwerdegerichts einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. § 299 Abs. 3 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. (2) Einsicht in Vorakten, Beiakten, Gutachten und Unterlagen über Auskünfte ist nur mit Zustimmung der Stellen zulässig, denen die Akten gehören oder die die Äußerung eingeholt haben. Die Bundesanstalt hat die Zustimmung zur Einsicht in die ihr gehörigen Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von berechtigten Interessen Beteiligter oder dritter Personen, geboten ist. Wird die Einsicht abgelehnt oder ist sie unzulässig, dürfen diese Unterlagen der Entscheidung nur insoweit zugrunde gelegt werden, als ihr Inhalt vorgetragen worden ist. Das Beschwerdegericht kann die Offenlegung von Tatsachen oder Beweismitteln, deren Geheimhaltung aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von berechtigten Interessen Beteiligter oder Dritter verlangt wird, nach Anhörung des von der Offenlegung Betroffenen durch Beschluss anordnen, soweit es für die Entscheidung auf diese Tatsachen oder Beweismittel ankommt, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Bedeutung der Sache für die Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrens das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegt. Der Beschluss ist zu begründen. In dem Verfahren nach Satz 4 muss sich der Betroffene nicht anwaltlich vertreten lassen.
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WpÜG §§ 58 – 60
Gesetzestext
§ 58 Geltung von Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivilprozessordnung. Im Verfahren vor dem Beschwerdegericht gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, entsprechend 1. die Vorschriften der §§ 169 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes über Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung und 2. die Vorschriften der Zivilprozessordnung über Ausschließung und Ablehnung eines Richters, über Prozessbevollmächtigte und Beistände, über die Zustellung von Amts wegen, über Ladungen, Termine und Fristen, über die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien, über die Verbindung mehrerer Prozesse, über die Erledigung des Zeugen- und Sachverständigenbeweises sowie über die sonstigen Arten des Beweisverfahrens, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist.
Abschnitt 8. Sanktionen § 59 Rechtsverlust. Rechte aus Aktien, die dem Bieter, mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen gehören oder aus denen ihm, mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen Stimmrechte gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet werden, bestehen nicht für die Zeit, für welche die Pflichten nach § 35 Abs. 1 oder 2 nicht erfüllt werden. Dies gilt nicht für Ansprüche nach § 58 Abs. 4 des Aktiengesetzes und § 271 des Aktiengesetzes, wenn die Veröffentlichung oder das Angebot nach § 35 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. § 60 Bußgeldvorschriften. (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig 1. entgegen a) § 10 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 2 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1, b) § 21 Abs. 2 Satz 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 oder § 27 Abs. 3 Satz 1 oder c) § 1 Abs. 5 Satz 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 5 Satz 3 eine Veröffentlichung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt, 2. entgegen a) § 10 Abs. 2 Satz 1, auch in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 4, § 14 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 2 Satz 1, b) § 10 Abs. 5, auch in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 4, oder § 14 Abs. 4, auch in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 2 oder § 35 Abs. 2 Satz 2 oder c) § 27 Abs. 3 Satz 2 eine Mitteilung, Unterrichtung oder Übermittlung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt,
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Gesetzestext
§§ 60 – 63 WpÜG
3. entgegen § 10 Abs. 3 Satz 3, auch in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 4, oder § 14 Abs. 2 Satz 2, auch in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Satz 2, eine Veröffentlichung vornimmt oder eine Angebotsunterlage bekannt gibt, 4. entgegen § 10 Abs. 4 Satz 1, auch in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 4, eine Veröffentlichung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übersendet, 5. entgegen § 14 Abs. 3 Satz 2, auch in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 2, § 23 Abs. 1 Satz 2 oder § 35 Abs. 2 Satz 2, oder entgegen § 27 Abs. 3 Satz 3 eine Mitteilung nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig macht, 6. entgegen § 15 Abs. 3 eine Veröffentlichung vornimmt, 7. entgegen § 26 Abs. 1 Satz 1 oder 2 ein Angebot abgibt, 8. entgegen § 33 Abs. 1 Satz 1 oder § 33a Abs. 2 Satz 1 eine dort genannte Handlung vornimmt, 9. entgegen § 33a Abs. 3, § 33b Abs. 3 oder § 33c Abs. 3 Satz 3 eine Unterrichtung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vornimmt oder 10. entgegen § 33c Abs. 3 Satz 4 eine Veröffentlichung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt. (2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Abs. 1 oder § 40 Abs. 1 Satz 1 zuwiderhandelt oder 2. entgegen § 40 Abs. 2 Satz 1 oder 2 ein Betreten nicht gestattet oder nicht duldet. (3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 3, 6 bis 8 mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2 Buchstabe a und Nr. 4 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu zweihunderttausend Euro geahndet werden. § 61 Zuständige Verwaltungsbehörde. Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die Bundesanstalt. § 62 Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im gerichtlichen Verfahren. (1) Im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 60 entscheidet das für den Sitz der Bundesanstalt in Frankfurt am Main zuständige Oberlandesgericht; es entscheidet auch über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) in den Fällen des § 52 Abs. 2 Satz 3 und des § 69 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. § 140 Abs. 1 Nr. 1 der Strafprozessordnung in Verbindung mit § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten findet keine Anwendung. (2) Das Oberlandesgericht entscheidet in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des vorsitzenden Mitglieds. § 63 Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Über die Rechtsbeschwerde (§ 79 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) entscheidet der Bundesgerichtshof. Hebt er die angefochtene Entscheidung auf, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, so verweist er die Sache an das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, zurück. LV
WpÜG §§ 64 – 68
Gesetzestext
§ 64 Wiederaufnahme gegen Bußgeldbescheid. Im Wiederaufnahmeverfahren gegen den Bußgeldbescheid der Bundesanstalt (§ 85 Abs. 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) entscheidet das nach § 62 Abs. 1 zuständige Gericht. § 65 Gerichtliche Entscheidung bei der Vollstreckung. Die bei der Vollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen (§ 104 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) werden von dem nach § 62 Abs. 1 zuständigen Gericht erlassen.
Abschnitt 9. Gerichtliche Zuständigkeit; Übergangsregelungen § 66 Gerichte für Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachen. (1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Satz 1 gilt auch für die in § 12 Abs. 6 genannten Ansprüche und für den Fall, dass die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Für Klagen, die auf Grund dieses Gesetzes oder wegen der in § 12 Abs. 6 genannten Ansprüche erhoben werden, ist auch das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Zielgesellschaft ihren Sitz hat. (2) Die Rechtsstreitigkeiten sind Handelssachen im Sinne der §§ 93 bis 114 des Gerichtsverfassungsgesetzes. (3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, für die nach Absatz 1 ausschließlich die Landgerichte zuständig sind, einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen, wenn eine solche Zusammenfassung der Rechtspflege in Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachen dienlich ist. Sie werden ferner ermächtigt, die Entscheidungen über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der nach Absatz 1 zuständigen Landgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem oder einigen der Oberlandesgerichte zuzuweisen, wenn in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind. Die Landesregierungen können die Ermächtigungen auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Durch Staatsverträge zwischen den Ländern kann die Zuständigkeit eines Landgerichts für einzelne Bezirke oder das gesamte Gebiet mehrerer Länder begründet werden. § 67 Senat für Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachen beim Oberlandesgericht. In den ihm nach § 48 Abs. 4, § 62 Abs. 1, §§ 64 und 65 zugewiesenen Rechtssachen entscheidet das Oberlandesgericht durch einen Wertpapiererwerbs- und Übernahmesenat. § 68 Übergangsregelungen. (1) Auf Angebote, die vor dem 14. Juli 2006 veröffentlicht worden sind, findet dieses Gesetz in der vor dem 14. Juli 2006 geltenden Fassung Anwendung. (2) Für Zielgesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren stimmberechtigte Wertpapiere am 20. Mai 2006 zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen waren, ist § 1 Abs. 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass in Nummer 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb an die Stelle der Entscheidung der Zielgesellschaft die Entscheidung der betroffenen Aufsichtsstellen tritt.
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Gesetzestext
§ 68 WpÜG
(3) Wird die Kontrolle über die Zielgesellschaft dadurch erlangt, dass ein vor dem 19. August 2008 abgestimmtes Verhalten auf Grund der Neufassung des § 30 Abs. 2 ab dem 19. August 2008 zu einer Zurechnung von Stimmrechten führt, besteht keine Verpflichtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1. (4) Auf Angebote, die vor dem 19. August 2008 nach § 14 Abs. 2 Satz 1 veröffentlicht worden sind, findet dieses Gesetz in der vor dem 19. August 2008 geltenden Fassung Anwendung. (5) § 16 Abs. 4 in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2479) ist nicht auf Hauptversammlungen anzuwenden, zu denen vor dem 1. September 2009 einberufen wurde.
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Einleitung Inhaltsübersicht A. Wirtschaftlicher Hintergrund und systematische Einordnung des WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
D. Änderungen des WpÜG und der WpÜG-Rechtsverordnungen und praktische Erfahrungen . . . . . . . . . . 54
I. Wirtschaftlicher Hintergrund . . . . .
5
I. Änderungen des WpÜG . . . . . . . . . . 55
II. Systematische Einordnung . . . . . . . .
14
II. Änderungen der WpÜG-Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
B. Entwicklung der Regulierung von Übernahmen in Deutschland: Von den Leitsätzen für Unternehmensübernahmen zum WpÜG . . . . . . . . .
17
I. Leitsätze für Unternehmensübernahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
II. Übernahmekodex . . . . . . . . . . . . . . .
19
III. Entstehung des WpÜG . . . . . . . . . . .
24
1. Expertenkommission „Unternehmensübernahmen“ . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussions- und Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parlamentarisches Verfahren . . . . . .
III. Praktische Erfahrungen mit dem WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
24
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C. Übersicht über das WpÜG und die auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . .
33
I. Das WpÜG als Bestandteil eines Artikelgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
II. Ziel des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . .
35
III. Aufbau und Inhalt des Gesetzes . . .
37
IV. Die Rechtsverordnungen . . . . . . . . .
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E. Europäische Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen: Die Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . 80 I. Historische Entwicklung bis zur Verabschiedung der Übernahmerichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Vom Pennington-Bericht 1974 bis zum vorläufigen Scheitern 2001 . . . 80 2. Vom Winter-Bericht 2002 bis zur Verabschiedung 2004 . . . . . . . . . . . . 87 II. Die Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . 102 1. Inhalt der Übernahmerichtlinie . . . 2. Änderungen der Übernahmerichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission und Revision . . 4. Rolle von CESR bzw. der Nachfolgeorganisation ESMA . . . . . . . . . .
102 129 130 131
III. Umsetzung in deutsches Recht . . . . 133 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
A. Schrifttum zum WpÜG: I. Aufsätze: Aha, Rechtsschutz der Zielgesellschaft bei mangelhaften Übernahmeangeboten, AG 2002, 160; Albach, Das neue Übernahmegesetz, ZfB 2002, 449; Altmeppen, Neutralitätspflicht und Pflichtangebot nach dem neuen Übernahmerecht, ZIP 2001, 1073; Assmann, Übernahmeangebote im Gefüge des Kapitalmarktrechts, insbesondere im Lichte des Insiderrechts, der Ad hoc-Publizität und des Manipulationsverbots, ZGR 2002, 697; Assmann, Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz aus der Sicht der Bietergesellschaft, AG 2002, 114; Assmann, Die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 WpÜG, AG 2002, 153; Assmann, Unternehmenszusammenschlüsse und Kapitalmarktrecht, ZHR 172 (2008), 635; Bachmann, Kapitalmarktrechtliche Probleme bei der Zusammenführung von Unternehmen, ZHR 172 (2008), 597; Baudisch, Nochmals: Neutralitätspflicht des Vorstands und Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung im Übernahmerecht, AG 2001, 251; Baum, „Öffentlichkeit“ eines Erwerbsangebots als Anwendungsvoraussetzung des Übernahmerechts – Eine rechtsvergleichende Analyse, AG 2003, 144; Baums, Low Balling, Creeping in und deutsches Übernahmerecht, ZIP 2010, 2374; Baums/Stöcker, Rückerwerb eigener Aktien und WpÜG, in FS Wiedemann, 2002, S. 703; Bayer, Vorsorge- und präventive Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmen, ZGR 2002, 588; Behnke, Erste praktische Erfahrungen mit
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dem Ausschluss ausländischer Anteilsinhaber nach § 24 WpÜG, WM 2002, 2229; Berding, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Grundsätze im Übernahmerecht, WM 2002, 1149; Berger/Filgut, Material-Adverse-Change-Klauseln in Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten, WM 2005, 253; Bicker/Parameswaran, Die Angemessenheit der Gegenleistung nach dem WpÜG im Falle negativer Abweichung des Unternehmenswerts vom Börsenkurs, ZIP 2007, 1787; Böckmann/Kießling, Möglichkeiten der BaFin zur Beendigung von Übernahmeschlachten nach dem WpÜG, DB 2007, 1796; Böttcher/Krömker, Das Risiko von Pflichtangeboten nach WpÜG bei fusionskontrollrechtlicher Anmeldepflicht, DB 2003, 1831; Bork, Zur Einbeziehung von Paketerwerben in die Erfolgsquote nach § 39a III 3 WpÜG, NZG 2011, 650; Bredow/Liebscher, Befreiung vom Pflichtangebot nach dem WpÜG bei Selbstverpflichtung zur Durchführung eines Squeeze-out, DB 2003, 1368; Büscher, Zur Verfassungswidrigkeit der Anwendung des WpÜG auf den öffentlichen Erwerb eigener Aktien, ZBB 2006, 107; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Cahn, Verwaltungsbefugnisse der BaFin im Übernahmerecht und Rechtsschutz Betroffener, ZHR 167 (2003), 262; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Deilmann, Aktienrechtlicher versus übernahmerechtlicher Squeeze-out, NZG 2007, 721; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE des BMF für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, NZG 2001, 420; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RegE Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZIP 2001, 1736, auch abgedruckt in NZG 2001, 1003; Diekmann, Acting in Concert: Absprachen zur Besetzung des Aufsichtsrats – Besprechung des BGH-Urteils vom 18.9.2006, DStR 2007, 445; Dimke/Heiser, Neutralitätspflicht, Übernahmegesetz und Richtlinienvorschlag 2000, NZG 2001, 241; Drygala, Die neue deutsche Übernahmeskepsis und ihre Auswirkungen auf die Vorstandspflichten nach § 33 WpÜG, ZIP 2001, 1861; Ekkenga, § 33 WpÜG: Neutralitätsgebot oder Grundsatz der Abwehrbereitschaft, in FS Kümpel, 2003, S. 95; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DStR 2002, 724 (Teil I), 768 (Teil II); Fabritius, Erfahrungen aus der Praxis, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, S. 45; von Falkenhausen, Übernahmeprophylaxe – Die Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft, NZG 2007, 97; von Falkenhausen, Das nachgeholte Pflichtangebot, NZG 2010, 1213; Fleischer, Zum Begriff des öffentlichen Angebots im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZIP 2001, 1653; Fleischer, Das neue Recht des Squeeze out, ZGR 2002, 757; Fleischer, Konkurrenzangebote und Due Diligence, ZIP 2002, 651; Fleischer, Schnittmengen des WpÜG mit benachbarten Rechtsgebieten – eine Problemskizze, NZG 2002, 545; Fleischer, Zum Sondervotum einzelner Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder bei Stellungnahmen nach § 27 WpÜG, DB 2007, 95; Fleischer, Zur rechtlichen Bedeutung der Fairness Opinion im deutschen Aktien- und Übernahmerecht, ZIP 2011, 201; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapierwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Friedl, Die Haftung des Vorstands und Aufsichtsrats für eine fehlerhafte Stellungnahme gemäß § 27 Abs. 1 WpÜG, NZG 2004, 448; Gätsch/Schäfer, Abgestimmtes Verhalten nach § 22 II WpHG und § 30 II WpÜG in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes, NZG 2008, 846; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Götz, Nochmals: Neutralitätspflicht des Vorstands und Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung im Übernahmerecht, AG 2001, 254; Grabbe/Fett, Pflichtangebot im Zuge von Verschmelzungen? Zugleich ein Beitrag zur Schnittstelle von Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, NZG 2003, 755; Grobys, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, NZA 2002, 1; Grunewald, Europäisierung des Übernahmerechts, AG 2001, 288; Grunewald, Die neue Squeezeout-Regelung, ZIP 2002, 18; Grunewald, Die Vereinbarkeit der Angemessenheitsvermutung von § 39a III 3 WpÜG mit höherrangigem Recht, NZG 2009, 332; Habersack, Reformbedarf im Übernahmerecht!, ZHR 166 (2002), 619; Habersack, Auf der Suche nach dem gerechten Preis – Überlegungen zu § 31 WpÜG, ZIP 2003, 1123; Habersack, Beteiligungstransparenz adieu?, AG 2008, 817; Hahn, Übernahmerecht und internationales Privatrecht, RIW 2002, 741; Halm, „Squeeze Out“ heute und morgen: Eine Bestandsaufnahme nach dem künftigen Übernahmerecht, NZG 2000, 1162; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG – ein praxisorientierter Überblick, ZIP 2001, 2249; Harbarth, Kontrollerlangung und Pflichtangebot, ZIP 2002, 321; Harbarth, Die Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats zur Gegenleistung bei Übernahmeangeboten, ZIP 2004, 3; Harbarth, Euopäische Durchbrechungsregel im deutschen Übernahmerecht, ZGR 2007, 37; Hasselbach, Verfahrensfragen des übernahme-
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rechtlichen Squeeze out, BB 2010, 2842; Hasselbach/Hoffmann, Die Sanierungsbefreiung nach § 37 WpÜG bei der Übernahme börsennotierter Unternehmen, DB 2009, 327; Heidel/ Lochner, Der übernahmerechtliche Squeeze- und Sell-out gemäß §§ 39a ff. WpÜG, Der Konzern 2006, 653; von Hein, Grundfragen des europäischen Übernahmekollisionsrechts, AG 2001, 213; Hirte, Verteidigung gegen Übernahmeangebote und Rechtsschutz des Aktionärs gegen die Verteidigung, ZGR 2002, 623; Hörmann/Feldhaus, Die Angemessenheitsvermutung des übernahmerechtlichen Squeeze out, BB 2008, 2134; Hoffmann-Becking, Subjektive öffentliche Rechte im Recht der Unternehmensübernahmen, in Freundesgabe Erichsen, 2005, S. 47; Holzborn, Ausschluss ausländischer Aktionäre nach § 24 WpÜG, BKR 2002, 67; Holzborn/Israel, Einflüsse wettbewerbsrechtlicher Regelungen auf das Übernahmerecht, BKR 2002, 982; Hommelhoff/Witt, Bemerkungen zum deutschen Übernahmegesetz nach dem Scheitern der Richtlinie, RIW 2001, 561; Hommelhoff/Witt, Konzernunternehmen im Recht der Pflichtangebote nach deutschem WpÜG, in FS Nobel, 2005, S. 125; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, in FS Lutter, 2000, S. 1361; Hopt, Zum Hintergrund der 13. Richtlinie über Übernahmeangebote und zur Lage und Diskussion in Deutschland, in Kramer/Schumacher (Hrsg.), Beiträge zum Unternehmensrecht, 2001, S. 62; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz – Gemeinsamer Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie und Diskussionsentwurf des Übernahmegesetzes –, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; Houben, Die Gestaltung des Pflichtangebots unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes und der effizienten Allokation der Unternehmenskontrolle, WM 2000, 1873; Ihrig, Rechtsschutz Drittbetroffener im Übernahmerecht, ZHR 167 (2003), 315; Johannsen-Roth/Goslar, Rechtliche Rahmenbedingungen für Übernahmeprämien bei Misch- oder Tauschangeboten im Lichte von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG und § 57 AktG, AG 2007, 573; Johannsen-Roth/Illert, Paketerwerbe und öffentliche Übernahmeangebote im Lichte des neuen übernahmerechtlichen Squeeze out nach § 39a WpÜG, ZIP 2006, 2157; Josenhans, Das neue Übernahmekollisionsrecht, ZBB 2006, 269; Kainer, Binnenmarktrechtliche Grenzen des Übernahmerechts, ZHR 168 (2004), 542; Kallmeyer, Neutralitätspflicht des Vorstands und Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung im Übernahmerecht, AG 2000, 553; Kiem, Der Hauptversammlungsentscheid zur Legitimation von Abwehrmaßnahmen nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2000, 1509; Kiepsch/Kiesewetter, Befreiung vom Pflichtangebot beim Erwerb zur Sanierung, BB 2007, 1403; Kiesewetter, Befreiung vom Pflichtangebotsverfahren bei anschließendem Squeeze Out?, ZIP 2003, 1638; Kiesewetter, Praxisrelevante Aspekte der Finanzierungssicherstellung bei öffentlichen Übernahmen, CFL 2011, 284; Kirchner, Managementpflichten bei „feindlichen“ Übernahmeangeboten, WM 2000, 1821; Kleindiek, Funktion und Geltungsanspruch des Pflichtangebots nach dem WpÜG – Kapitalmarktrecht – Konzernrecht – Umwandlungsrecht, ZGR 2002, 546; Klemm/Reinhardt, Verbesserungspotenziale im deutschen Übernahmerecht, NZG 2007, 281; Klemm/Reinhardt, Vorbereitungshandlungen für eine erfolgreiche Übernahmeverteidigung, NZG 2010, 1006; Knott, Freiheit, die ich meine: Abwehr von Übernahmeangeboten nach Umsetzung der EU-Richtlinie, NZG 2006, 849; Koch, J., Der Erwerb eigener Aktien – kein Fall des WpÜG, NZG 2003, 61; Koch, R., Unzulänglichkeiten im Übernahmerecht? Das Verhinderungsverbot aus institutionenökonomischer Perspektive, WM 2010, 1155; Koch, R., Passiver Kontrollerwerb und Pflichtangebot, ZIP 2008, 1260; Kocher, Die Sanierungsbefreiung vom Pflichtangebot, ZInsO 2010, 2125; Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Körner, Die Neuregelung der Übernahmekontrolle nach deutschem und europäischem Recht – insbesondere zur Neutralitätspflicht des Vorstandes, DB 2001, 367; Kort, Rechte und Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei Übernahmeversuchen, in FS Lutter, 2000, S. 1421; Kossmann, Bewertungspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 27 WpÜG unter Berücksichtigung von IDW ES 8, NZG 2011, 46; Kossmann/Horz, Außerbörslicher Paketerwerb und befreiendes Übernahmeangebot nach § 35 III WpÜG, NZG 2006, 481; Krause, Die geplante TakeoverRichtlinie der Europäischen Union mit Ausblick auf das geplante deutsche Übernahmegesetz, NZG 2000, 905; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Krause, Das deutsche Übernahmegesetz vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie, ZGR 2002, 500; Krause, Prophylaxe gegen feindliche Übernahmeangebote, AG 2002, 133; Krause, Die Abwehr feindlicher Übernahmeangebote auf der Grundlage von Ermächtigungsbeschlüssen der Hauptversammlung, BB 2002, 1053; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahme-
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gesetz, NJW 2004, 3681; Krieger, Das neue Übernahmegesetz: Preisfindung beim Übernahmeangebot und Neutralitätspflicht des Vorstands der Zielgesellschaft, in Henze/Hoffmann-Becking (Hrsg.), RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289; Krieger, Squeeze-out nach neuem Recht: Überblick und Zweifelsfragen, BB 2002, 53; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Anmerkungen zum Regierungsentwurf, DB 2001, 1707; Land/Hasselbach, Das neue deutsche Übernahmegesetz – Einführung und kritische Anmerkungen zum Diskussionsentwurf des BMF, DB 2000, 1747; Lebherz, Publizitätspflichten bei der Übernahme börsennotierter Unternehmen, WM 2010, 154; Lenz, Das Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz in der Praxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, NJW 2003, 2073; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Lenz/Linke, Die Handhabung des WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361; Lenz/Linke, Rückkauf eigener Aktien nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, AG 2002, 420; Letzel, Das Pflichtangebot nach dem Übernahmekodex – mit Vorausschau auf das Pflichtangebot nach dem ÜbG, NZG 2001, 260; Letzel, Das Pflichtangebot nach dem WpÜG, BKR 2002, 293; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Liekefett, Bietergleichbehandlung bei öffentlichen Übernahmeangeboten, AG 2005, 802; Maier-Reimer, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, ZHR 165 (2001), 258; Meilicke/Meilicke, Die Postbank-Übernahme durch die Deutsche Bank – eine Gestaltung zur Vermeidung von Pflichtangeboten nach § 35 WpÜG?, ZIP 2010, 558; Meyer/Kiesewetter, Rechtliche Rahmenbedingungen des Beteiligungsaufbaus im Vorfeld von Unternehmensübernahmen, WM 2009, 340; Meyer/Lipsky, Suspensiveffekt des Antrags gem. §§ 36, 37 WpÜG, NZG 2009, 1092; Möller, Rechtsmittel und Sanktionen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, AG 2002, 170; Möller, Das Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren nach dem WpÜG unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung Dritter, ZHR 167 (2003), 301; Möller/Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Der Regierungsentwurf vom 11.7.2001, ZIP 2001, 1256; Möllers, Verfahren, Pflichten und Haftung, insbesondere der Banken, bei Übernahmeangeboten, ZGR 2002, 664; Moosmayer, Straf- und bußgeldrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, wistra 2004, 401; Mülbert, Übernahmerecht zwischen Kapitalmarktrecht und Aktien(konzern)recht – die konzeptionelle Schwachstelle des RegE WpÜG, ZIP 2001, 1221; Mülbert/Birke, Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot – Die angemessene Rolle der Verwaltung einer Zielgesellschaft in einer feindlichen Übernahme –, WM 2001, 705; Nagel, Der übernahmerechtliche Squeeze-out bei Schwellenwerterreichung durch Nacherwerbe jenseits der (weiteren) Annahmefrist, AG 2009, 393; Oechsler, Der RegE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden!, NZG 2001, 817; Oechsler, Rechtsgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Ott, Der übernahmerechtliche Squeeze-out gem. §§ 39a ff. WpÜG, WM 2008, 384; Paefgen, Die Gleichbehandlung beim Aktienrückerwerb im Schnittfeld von Gesellschafts- und Übernahmerecht, ZIP 2002, 1509; Paefgen, Zum Zwangsausschluss im neuen Übernahmerecht, WM 2007, 765; Paul, Pflichtangebot nach § 35 WpÜG – Ein nicht verzichtbares Recht der Minderheitsaktionäre, DB 2008, 2125; Peters, Rechte und Pflichten des Vorstands einer börsennotieten Zielgesellschaft bei Unternehmens- und Beteiligungskäufen sowie öffentlichen Übernahmeangeboten, in Birk/Pöllath/Saenger (Hrsg.), Forum Unternehmenskauf, 2004, S. 93; Pluskat, Rückerwerb eigener Aktien nach WpÜG – auch offiziell kein Anwendungsfall mehr, NZG 2006, 731; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM-Sonderbeil. 2/2000; Pohlmann, Rechtsschutz der Aktionäre der Zielgesellschaft im Wertpapiererwerbs- und Übernahmeverfahren, ZGR 2007, 1; Posdziech, Zur Rechtsnatur der Angemessenheitsvermutung beim übernahmerechtlichen Squeeze-Out, WM 2010, 787; von Riegen, Verwaltungsrechtsschutz Dritter im WpÜG, Der Konzern 2003, 583; Riehmer/Schröder, Der Entwurf des Übernahmegesetzes im Lichte von Vodafone/Mannesmann, NZG 2000, 820; Riehmer/Schröder, Praktische Aspekte bei der Planung, Durchführung und Abwicklung eines Übernahmeangebots, BB-Beil. 5/2001; Rodewald/Siems, Der Preis ist heiß – Zur Angemessenheit der Gegenleistung bei Übernahmeangeboten, ZIP 2002, 926; Rühland, Die Abfindung von aus der Aktiengesellschaft ausgeschlossenen Minderheitsaktionären – Ein Diskussionsbeitrag zum Entwurf des Übernahmegesetzes vom Bundesministerium der Finanzen vom 29.6.2000 –, WM 2000, 1884; Rühland, Der squeeze-out nach dem RefE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 12.3.2001, NZG 2001, 448; Sailer, Offenlegung von „Change of Control-Klauseln“ im Jahresabschluss, AG 2006, 913; Santelmann, Notwendige Mindesterwerbsschwellen bei Übernahmeangeboten, AG 2002, 497; Schiessl, Fairness Opinions im Übernahme- und Gesellschafts-
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recht, ZGR 2003, 815; Schlitt/Ries/Becker, Der Ausschluss der übrigen Aktionäre gem. §§ 39a, 39b WpÜG, NZG 2008, 700; Schmidt/Prigge/Suckel, Erste Erfahrungen mit dem Übernahmegesetz, ZBB 2003, 460; Schmidtbleicher, Das „neue“ Acting in concert – ein Fall für den EuGH?, AG 2008, 73; Schneider, Uwe H., Die Zielgesellschaft nach Abgabe eines Übernahme- oder Pflichtangebots, AG 2002, 125; Schneider, Uwe H./Burgard, Übernahmeangebote und Konzerngründung – Zum Verhältnis von Übernahmerecht, Gesellschaftsrecht und Konzernrecht, DB 2001, 963; Schnorbus, Drittklagen im Übernahmeverfahren, ZHR 166 (2002), 72; Schnorbus, Rückerwerb eigener Aktien und Übernahmerecht, ZGR 2003, 59; Schnorbus, Rechtsschutz im Übernahmeverfahren, WM 2003, 616 (Teil I), 657 (Teil II); Schockenhoff/Wagner, Zum Begriff des „acting in concert“ – Das Verhältnis zwischen den §§ 2 V und 30 II WpÜG und die Auswirkungen der geplanten Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz, NZG 2008, 361; Scholz, Das Übernahme- und Pflichtangebot bei der KGaA, NZG 2006, 445; Schüppen, Übernahmegesetz ante portas!, WPg 2001, 958; Schulz, WpÜG: Angaben zur Finanzierung eines Angebots und zu den erwarteten Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse beim Bieter, M&A-Review 2002, 559; Schulz, Unternehmensübernahmen – Festsetzung der Gegenleistung, M&A-Review 2003, 114 (Teil 1), 161 (Teil 2); Seibt, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, DB 2002, 529; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Seibt/Heiser, Regelungskonkurrenz zwischen dem neuen Übernahmegesetz und dem Umwandlungsrecht, ZHR 165 (2001), 466; Seibt/Heiser, Der neue Vorschlag einer EU-Übernahmerichtlinie und das deutsche Übernahmerecht, ZIP 2002, 2193; Sieger/Hasselbach, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären nach den neuen §§ 327a ff. AktG, ZGR 2002, 120; Singhof/Weber, Bestätigung der Finanzierungsmaßnahmen und Barabfindungsgewährleistung nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, WM 2002, 1158; Steinmeyer/Santelmann, Zur Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung beim übernahmerechtlichen Squeeze out, BB 2009, 674; Stephan, Angebotsaktualisierung, AG 2003, 551; Strenger, Das deutsche Übernahmegesetz – Ausgewogenheit zwischen Unternehmens- und Anlegerinteressen als Pflichtprogramm, WM 2000, 952; Strunk/Behnke, Die Aufsichtstätigkeit der BaFin nach dem WpÜG im Jahr 2003, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, S. 81; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Übernahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 1; Strunk/Salomon/Holst, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht, in Veil, Übernahmerecht in der Praxis, 2009, S. 1; Süßmann, Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien?, AG 2002, 424; Süßmann, Anwendungsprobleme des WpÜG, WM 2003, 1453; Süßmann, Die Unwiderleglichkeit der Abfindungshöhe beim übernahmerechtlichen Squeeze-out, NZG 2009, 980; Technau, Übernahmerechtliche Austrittsrechte in Verschmelzungsfällen, AG 2002, 260; Thaeter/ Barth, RefE eines Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, NZG 2001, 545; Thoma, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Überblick, NZG 2002, 105; Thümmel, Haftungsrisiken von Vorständen und Aufsichtsräten bei der Abwehr von Übernahmeversuchen, DB 2000, 461; von Thunen, Aktientausch nur für ausgewählte Aktionäre?, NZG 2008, 925; Traugott/Grün, Finanzielle Anreize für Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften bei Private Equity-Transaktionen, AG 2007, 761; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht, DZWIR 2002, 353 (Teil I), 397 (Teil II); Tröger, Deutsches und europäisches Übernahmerecht, in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2. Aufl. 2003, S. 135; Tuttlies/Bredow, Berücksichtigung einer Earn-out-Abrede im nachfolgenden Pflichtangebot, BB 2008, 911; Vaupel, Die Haftung der Banken für die Richtigkeit der Angebotsunterlage bei Umtauschangeboten nach dem WpÜG, WM 2002, 1170; Veranneman/Gärtner, Grenzüberschreitende Tauschangebote nach WpÜG, AG 2009, 648; Verse, Übergang von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle – ein Fall für das Pflichtangebot?, NZG 2009, 1331; Vetter, E., Squeeze-out in Deutschland, ZIP 2000, 1817; Vetter, E., Squeeze-out nur durch Hauptversammlungsbeschluss?, DB 2001, 743; Vetter, E., Squeeze out: Der Ausschluss der Minderheitsaktionäre aus der Aktiengesellschaft nach den §§ 327a – 327f AktG, AG 2002, 176; Wackerbarth, Von golden shares und poison pills: Waffengleichheit bei internationalen Übernahmeangeboten, WM 2001, 1741; Wagner, Zur Rechtsstellung Dritter nach dem WpÜG, NZG 2003, 718; Weber/Meckback, Finanzielle Differenzgeschäfte – Ein legaler Weg zum „Anschleichen“ an die Zielgesellschaft bei Übernahmen?, BB 2008, 2022; Weber-Rey/Schütz, Zum Verhältnis von Übernahmerecht und Umwandlungsrecht, AG 2001, 325; Weiler/Meyer, Abgestimmtes Verhalten gemäß § 30 WpÜG: Neue Ansätze der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht?, NZG 2003, 909; Weis-
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ner, Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Unternehmensübernahmen, ZRP 2000, 520; Wiesbrock/Zens, Die WpÜG-Pflichten bei der Nachfolge in börsennotierte Aktiengesellschaften, ZEV 2006, 137; Wiese/Demisch, Unternehmensführung bei feindlichen Übernahmeangeboten, DB 2001, 849; Wilsing/Ogorek, Die Angemessenheitsvermutung beim übernahmerechtlichen Squeeze Out, GWR 2009, 211; Winner, Die Zielgesellschaft in der freundlichen Übernahme, WM 2002, 39; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG, ZIP 2002, 1; Witt, Regelmäßige „Wasserstandsmeldungen!“ – unverzichtbarer Bestandteil des künftigen Übernahmegesetzes, NZG 2000, 809; Witt, Die Änderungen der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG durch das geplante Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, AG 2001, 233; Witte, Diskussionsentwurf zur Regelung von Unternehmensübernahmen: Abwehrmöglichkeiten des Vorstands der Zielgesellschaft, BB 2000, 2161; Zietsch/Holzborn, Freibrief für pflichtangebotsfreie Unternehmensübernahmen?, WM 2001, 1753; Zillmer, Public to Private-Transaktionen in Deutschland. Eine empirische Analyse öffentlicher Übernahmeangebote, Finanz Betrieb 2002, 490; Zimmer, Aufsicht bei grenzüberschreitenden Übernahmen, ZGR 2002, 731; Zinser, Der Entwurf eines Übernahmegesetzes, ZIP 2001, 363; Zinser, Der RefE eines „Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen“ vom 12.3.2001, NZG 2001, 391; Zinser, Das neue Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 1.1.2002, WM 2002, 15; Zschocke, Europapolitische Mission: Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2002, 79. II. Kommentare: Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander (Hrsg.), German Takeover Law – A Commentary, 2002; Baums/Thoma (Hrsg.), WpÜG, Loseblatt-Kommentar, 7. Lfg., Stand: Juli 2012; von Bülow/Hirte (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Aufl. 2010; Ehricke/Ekkenga/Oechsler, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2003; Geibel/Süßmann (Hrsg.), Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), 2. Aufl. 2008; Haarmann/Schüppen (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008; Heidel (Hrsg.), Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2011; Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 6 (mit WpÜG-Kommentierung), 3. Aufl. 2011; Schäfer/Hamann (Hrsg.), Kapitalmarktgesetze, Loseblatt-Kommentar, 6. Lfg., Stand: April 2012, Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010; Steinmeyer/Häger, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2. Aufl. 2007. III. Handbücher und Monographien: Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, 2002; Bartelt, § 23 WpÜG – Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots, 2003; Barthel, Die Beschwerde gegen aufsichtsrechtliche Verfügungen nach dem WpÜG, 2004; Beckmann/Kersting/Mielke, Das neue Übernahmerecht, 2003; Bimberg, Unternehmensübernahmen und Erwerbsangebote in Deutschland – Eine empirische Analyse, 2009; Blättchen/Wegen, Übernahmen börsennotierter Unternehmen, 2003; Bröcker/Weisner, Übernahmeangebote – Praktikerhinweise und Empfehlungen für Bieter und Zielgesellschaften sowie ihre Berater, 2003; Etzbach, Die Regelung öffentlicher Übernahmeangebote – Unter besonderer Berücksichtigung der vorgeschlagenen 13. EU-Richtlinie zu Übernahmeangeboten und des Übernahmekodex, 2002; Fleischer/Kalss, Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2002; Hens, Vorstandspflichten bei feindlichen Übernahmeangeboten, 2004; Hirte (Hrsg.), Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Gesetzestexte, Quellen, Materialien, 2002; Hopt, Europäisches Übernahmerecht – Eine rechtsvergleichende, rechtsdogmatische und rechtspolitische Untersuchung, 2013; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen in Übernahmeauseinandersetzungen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005; Jünemann, Die angemessene Gegenleistung nach § 31 Abs. 1 WpÜG im Lichte des Verfassungsrechts, 2008; Kiesewetter, Internationales Übernahmerecht, 2006; Koch R., Die Auswirkungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) auf den Erwerb eigener Aktien, 2006; Kubalek, Die Stellungnahme der Zielgesellschaft zu öffentlichen Angeboten nach dem WpÜG, 2006; Mai, Aktionärsschutz und Minderheitenschutz bei der Abwehr unkoordinierter Übernahmen börsennotierter Aktiengesellschaften, 2004; Mühle, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – im Schnittfeld zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht unter besonderer Berücksichtigung des ökonomischen Rahmenbezugs, 2002; Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG: Entwicklungsstand – Praktische Erfahrungen – Reformbedarf – Perspektiven, ZHR-Beiheft 76, 2011; Nörr/Stiefenhofer, Takeover Law in Germany – A Handbook and Practitioner’s Guide, 2003; von Nussbaum, Die Aktien-
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gesellschaft als Zielgesellschaft eines Übernahmeangebotes, 2003; Paul, Die Relevanz des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) für Verschmelzungen und Spaltungen unter Beteiligung der Zielgesellschaft – Zugleich ein Beitrag zum Schnittbereich von Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, 2007; Pittroff, Die Zurechnung von Stimmrechten gemäß § 30 WpÜG, 2003; Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Texte, Materialien, Erläuterungen, 2002; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010; Rasner, Die Pflichten der Zielgesellschaft bei unfreundlichen Übernahmeangeboten nach dem neuen deutschen WpÜG, 2005; Santelmann, Angebotsunterlagenhaftung – Die Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlagen bei öffentlichen Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten nach § 12 WpÜG im Kontext konkurrierender Anspruchsgrundlagen und im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen, 2003; Schmieder, Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats bei Vorliegen eines feindlichen Übernahmeangebots, 2008; Semler/Volhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, 2001 (Bd. 1), 2003 (Bd. 2); Stohlmeier, German Public Takeover Law, 2002; Thaeter/Brandi (Hrsg.), Öffentliche Übernahmen – Recht und Praxis der Übernahme börsennotierter Unternehmen, 2003; Zech, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft in Bezug auf Abwehrmaßnahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2003; Zschocke/ Schuster, S. (Hrsg.), Bad Homburger Handbuch zum Übernahmerecht, 2003. B. Schrifttum zum deutschen Übernahmerecht vor Erlass des WpÜG: Adams, Höchststimmrechte, Mehrfachstimmrechte und sonstige wundersame Hindernisse auf dem Markt für Unternehmenskontrolle, AG 1990, 63; Assmann, Verhaltensregeln für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote – Der Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, AG 1995, 563; Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer, Übernahmeangebote, ZGR Sonderheft 9, 1990; Baumann, Der neue Verhaltenskodex für Unternehmensübernahmen sorgt für größere Transparenz am Kapitalmarkt, WM 1996, 901; Baums, Vorschlag eines Gesetzes zu öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 1997, 1310; Baums, Notwendigkeit und Grundzüge einer gesetzlichen Übernahmeregelung, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999, S. 165; Benner-Heinacher, Mindeststandards für Übernahmeregeln in Deutschland, DB 1997, 2521; Börsensachverständigenkommission, Standpunkte zur künftigen Regelung von Unternehmensübernahmen, 1999; Busch, Die Notwendigkeit der spezialgesetzlichen Regelung von öffentlichen Übernahmeangeboten in Deutschland, 1996; Daum, Die unkoordinierte Übernahme einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht, 1993; Diekmann, Hinweise zur Anwendung des Übernahmekodexes der Börsensachverständigenkommission, WM 1997, 897; Ebenroth/Daum, Die Kompetenzen des Vorstandes einer Aktiengesellschaft bei der Durchführung und Abwehr unkoordinierter Übernahmen, DB 1991, 1105 (Teil I), 1157 (Teil II); Etzbach, Die Regelung öffentlicher Übernahmeangebote – Unter besonderer Berücksichtigung der vorgeschlagenen 13. EU-Richtlinie zu Übernahmeangeboten und des Übernahmekodex, 2002; Frank, Rahmenbedingungen von Unternehmensübernahmen in Deutschland, 1993; Groß, Übernahmekodex für öffentliche Übernahmeangebote: Anerkennung und Rolle des begleitenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens, DB 1996, 1909; Hauschka/Roth, Übernahmeangebote und deren Abwehr im deutschen Recht, AG 1988, 181; Hecker, Regulierung von Unternehmensübernahmen und Konzernrecht, 2000; Heile, City Code und Übernahmekodex – eine Rechtsvergleichung, 2001; Herkenroth, Konzernierungsprozesse im Schnittfeld von Konzernrecht und Übernahmerecht, 1994; Hommelhoff, Konzerneingangs-Schutz durch Takeover-Recht?, in FS Semler, 1993, S. 455; Hopt, Präventivmaßnahmen zur Abwehr von Übernahme- und Beteiligungsversuchen, in WM-Festgabe Heinsius, 1991, S. 22; Hopt, Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534; Hopt, Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997), 368; Hopt, Auf dem Weg zu einem deutschen Übernahmegesetz, in FS Zöllner, 1998, S. 253; Horn, Internationale Unternehmenszusammenschlüsse, ZIP 2000, 473; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote aus wettbewerbspolitischer Sicht, 1990; Kallmeyer, Zur Diskussion gestellt: Der Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, AG 1996, 169; Kallmeyer, Die Mängel des Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, ZHR 161 (1997), 435; Kallmeyer, Pflichtangebote nach dem Übernahmekodex und dem neuen Vorschlag 1997 einer TakeoverRichtlinie, ZIP 1997, 2147; Kirchner, Neutralitäts- und Stillhaltepflicht des Vorstands der Zielgesellschaft im Übernahmerecht, AG 1999, 481; Kirchner, Szenarien einer „feindlichen“ Unternehmensübernahme: Alternative rechtliche Regelungen im Anwendungstest, BB 2000, 105; Kirchner/Ehricke, Funktionsdefizite des Übernahmekodex bei der Börsensachverständigenkommission, AG 1998, 105; Klein, Abwehrmöglichkeiten gegen feindliche Übernahmen
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in Deutschland, NJW 1997, 2085; Knoll, Die Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992; Krause, Das obligatorische Übernahmeangebot. Eine juristische und ökonomische Analyse, 1996; Krause, Zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei Übernahmeangeboten und Beteiligungserwerb, WM 1996, 845 (Teil I), 893 (Teil II); Krause, Zur „Pool- und Frontenbildung“ im Übernahmekampf und zur Organzuständigkeit für Abwehrmaßnahmen gegen „feindliche“ Übernahmeangebote, AG 2000, 217; Kreutzer (Hrsg.), Öffentliche Übernahmeangebote, 1992; Letzel, Das Pflichtangebot nach dem Übernahmekodex – mit Vorausschau auf das Pflichtangebot nach dem ÜbG, NZG 2001, 260; Loehr, Der neue Verhaltenkodex für Unternehmensübernahmen in der praktischen Umsetzung – Eine Zwischenbilanz, WM 1997, 1374; Loehr, Der freiwillige Übernahmekodex, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999, S. 149; Merkt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, ZHR 165 (2001), 224; Mertens, Förderung von, Schutz vor, Zwang zu Übernahmeangeboten?, AG 1990, 252; Michalski, Abwehrmechanismen gegen unfreundliche Übernahmeangebote („unfriendly takeovers“) nach deutschem Aktienrecht, AG 1997, 152; Neye, Der neue Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, ZIP 1995, 1464; Otto, Übernahmeversuche bei Aktiengesellschaften und Strategien der Abwehr, DB-Beil. 12/1988; Paefgen, Alle Macht dem Management, AG 1991, 41; Peltzer, Hostile Takeovers in der Bundesrepublik Deutschland?, ZIP 1989, 69; Pietzke, Das zwingende Übernahmeangebot bei Erwerb einer Kontrollmehrheit, in FS Fikentscher, 1998, S. 601; Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen – eine juristische und ökonomische Analyse, 1991; Riehmer/Schröder, Praktische Aspekte bei der Planung, Durchführung und Abwicklung eines Übernahmeangebots, BB-Beil. 5/2001; Röhricht, Feindliche Übernahmeangebote, 1992; von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999; Schander, Abwehrstrategien gegen feindliche Übernahmen und ihre Zulässigkeit im Lichte der Aktienrechtsreform, BB 1997, 1801; Schander, Selbstregulierung versus Kodifizierung – Versuch einer Standortbestimmung des deutschen Übernahmerechts, NZG 1998, 799; Schander, Der Rückkauf eigener Aktien nach KonTraG und Einsatzpotenziale bei Übernahmetransaktionen, ZIP 1998, 2087; Schander/Posten, Zu den Organpflichten bei Unternehmensübernahmen, ZIP 1997, 1534; Schanz, Feindliche Übernahmen und Strategien der Verteidigung, NZG 2000, 337; Schilling, Takeover, Treupflicht & Shareholder Value, BB 1997, 1909; Schuster, G., Der neue Vorschlag für eine EG-TakeoverRichtlinie und seine Auswirkungen auf den Übernahmekodex, EuZW 1997, 237; Schuster, S./ Zschocke, Übernahmerecht/Takeover Law, 1996; Thoma, Der neue Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, ZIP 1996, 1725; Thümmel, Haftungsrisiken von Vorständen und Aufsichtsräten bei der Abwehr von Übernahmeversuchen, DB 2000, 461; Übernahmekommission, Anmerkungen zum Übernahmekodex, 1996; Übernahmekommission, Drei Jahre Übernahmekodex, 1999; Weisgerber, Der Übernahmekodex in der Praxis, ZHR 161 (1997), 421; Werner, Probleme „feindlicher“ Übernahmeangebote im Aktienrecht, 1989; Wirth/Weiler, Änderung des Übernahmekodex ab 1.1.1998: Das erweiterte Pflichtangebot, DB 1998, 117. Witt, Übernahmen von Aktiengesellschaften und Transparenz der Beteiligungsverhältnisse, 1998; Wolf, Konzerneingangsschutz bei Übernahmeangeboten, AG 1998, 212. C. Schrifttum zur europäischen Übernahmerichtlinie und zu deren Umsetzung in deutsches Recht: Arnold, Entschädigung von Mehrstimmrechten bei Übernahmen, BB 2003, 267; Arnold, Mehrstimmrechte und stimmrechtslose Vorzugsaktien in der Übernahmerichtlinie, Der Konzern 2003, 173; Arnold, Die neue konzernweite Stimmrechtszurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 WpÜG – eine neue Dimension der Zurechnung im Konzern, AG 2006, 567; Austmann/Mennicke, Übernahmerechtlicher Squeeze-out und Sell-out, NZG 2004, 846; Basaldua, Der Vorschlag für eine 13. Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über öffentliche Übernahmeangebote, in Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 157; Baums, Übernahmeregeln in der Europäischen Gemeinschaft, ZIP 1989, 1376; Baums/Cahn (Hrsg.), Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006; Beckmann, Der Richtlinienvorschlag betreffend Übernahmeangebote auf dem Weg zu einer europäischen Rechtsangleichung, DB 1995, 2407; Behrens, Rechtspolitische Grundsatzfragen zu einer Europäischen Regelung für Übernahmeangebote, ZGR 1975, 433; Berger, Unternehmensübernahmen in Europa. Der geänderte Vorschlag für eine EG-Takeover-Richtlinie im Vergleich mit nationalen Übernahmeregelungen, ZIP 1991, 1644; Bess, Eine europäische Regelung für Übernahmeangebote. Kritische Bemerkungen zum Entwurf eines Richtlinienvorschlags über „Übernahmeangebote und andere Angebo-
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te“, AG 1976, 169 (Teil I), 206 (Teil II); Brüls, Minderheitenschutz nach der Take-Over-Richtlinie, RIW 2000, 889; Buck, Übernahmeangebote – Probleme des aktuellen Richtlinienvorschlages der EG, in Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 1997, S. 157; Dauner-Lieb, Das Tauziehen um die Übernahmerichtlinie – eine Momentaufnahme, DStR 2003, 555; Dauner-Lieb/Lamandini, Der neue Kommissionsvorschlag einer EU-Übernahmerichtlinie – Stellungnahme der Gutachter des EU-Parlaments, BB 2003, 265; Dauner-Lieb/Lamandini, Der neue Kommissionsvorschlag einer Übernahmerichtlinie und das Europäische Parlament, Der Konzern 2003, 168; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Übernahmerichtlinie, NZG 2006, 217; Diekmann, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Dimke/Heiser, Neutralitätspflicht, Übernahmegesetz und Richtlinienvorschlag 2000; NZG 2001, 241; Doralt/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Takeover-Recht. Rechtsvergleichende Berichte, Entwurf der 13. EG-Richtlinie 1996 und österreichischer Ministerialentwurf 1997, 1997; Edwards, The Directive on Takeover Bids – Not Worth the Paper It’s Written on?, ECFR 2004, 416; Enriques, The Mandatory Bid Rule in the Take-over Directive: Harmonization Without Foundation?, ECFR 2004, 440; Etzbach, Die Regelung öffentlicher Übernahmeangebote – Unter besonderer Berücksichtigung der vorgeschlagenen 13. EU-Richtlinie zu Übernahmeangeboten und des Übernahmekodex, 2002; Friedl, Die Stellung des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft bei Abgabe eines Übernahmeangebots nach neuem Übernahmerecht unter Berücksichtigung des Regierungsentwurfs zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, NZG 2006, 422; Fuchs, Die Implementierung der 13. (Übernahme-)Richtlinie: Umsetzungspflichten und Umsetzungsoptionen aus der Sicht des deutschen Rechts, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006, S. 110; Glade/Haak/Hellich, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, Der Konzern, 2004, 455 (Teil I), 515 (Teil II); Grundmann, Die rechtliche Verfassung des Marktes für Unternehmenskontrolle nach Verabschiedung der Übernahmerichtlinie, NZG 2005, 122; Grunewald, Was bringt der Vorschlag einer 13. EG-Richtlinie über Übernahmeangebote für das deutsche Recht?, WM 1989, 1233; Grunewald, Der geänderte Vorschlag einer 13. EG-Richtlinie über Übernahmeangebote, WM 1991, 1361; Grunewald, Europäisierung des Übernahmerechts, AG 2001, 288; Habersack/Mayer, Der neue Vorschlag 1997 einer Takeover-Richtlinie – Überlegungen zur Umsetzung in das nationale Recht, ZIP 1997, 2141; Hahn, Die Regulierung von Übernahmen in der Europäischen Gemeinschaft, ZBB 1990, 10; Harbarth, Europäische Durchbrechungsregel im deutschen Übernahmerecht, ZGR 2007, 37; Hasselbach, Das Andienungsrecht von Minderheitsaktionären nach der EU-Übernahmerichtlinie, ZGR 2005, 387; Heidel/Lochner, Verfassungswidrigkeit der Squeeze-out-Regelungen der umzusetzenden EU-Übernahmerichtlinie, DB 2005, 2564; Heidel/Lochner, Der übernahmerechtliche Squeeze- und Sell-out gemäß §§ 39a ff. WpÜG, Der Konzern 2006, 653; von Hein, Grundfragen des europäischen Übernahmekollisionsrechts, AG 2001, 213; Hirte, The Takeover Directive – a Mini-Directive on the Structure of the Corporation: Is it a Trojan Horse?, ECFR 2005, 1; Holzborn/Peschke, Europäische Neutralitätspflicht und Übernahme Squeeze-Out – Die Implementierung der Übernahmerichtlinie im WpÜG, BKR 2007, 101; Hommelhoff, Konzerneingangs-Schutz durch TakeoverRecht?, in FS Semler, 1993, S. 455; Hommelhoff/Kleindiek, Takeover-Richtlinie und europäisches Konzernrecht, AG 1990, 106; Hopt, Übernahmeangebote im europäischen Recht, in FS Rittner, 1991, S. 187; Hopt, European Takeover Regulation: Barriers to and Problems of Harmonizing Takeover Law in the European Community, in Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Takeovers – Law and Practice, 1992, S. 165; Hopt, Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997), 368; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz, in FS Zöllner, 1998, S. 253; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz – Gemeinsamer Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie und Diskussionsentwurf des Übernahmegesetzes –, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Zum Hintergrund der 13. Richtlinie über Übernahmeangebote und zur Lage und Diskussion in Deutschland, in Kramer/Schumacher (Hrsg.), Beiträge zum Unternehmensrecht, 2001, S. 62; Hopt, Feindliche Übernahmen, Protektionismus, One share one vote?, EuZW 2007, 257; Hopt/Mülbert/Kumpan, Reformbedarf im Übernahmerecht, AG 2005, 109; Josenhans, Das neue Übernahmekollisionsrecht, ZBB 2006, 269; Kallmeyer, Pflichtangebote nach dem Übernahmekodex und dem neuen Vorschlag 1997 einer Takeover-Richtlinie, ZIP 1997, 2147; Kallmeyer, Zum neuen Kommissionsvorschlag für eine Übernahmerichtlinie, DB 2002, 2695; van Kann/Just, Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie, DStR 2006, 328; Kersting, Die Reziprozitätsregel im
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Richtlinie – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Übernahmerecht, AG 2000, 289; Neye, Die EU-Übernahmerichtlinie auf der Zielgeraden, ZIP 2001, 1120; Neye, Der Vorschlag 2002 einer Takeover-Richtlinie, NZG 2002, 1144; Niessen, Zur Regelung der öffentlichen Übernahmeangebote durch die Europäische Gemeinschaft, in Kreuzer (Hrsg.), Öffentliche Übernahmeangebote, 1992, S. 35; Peglow, Die EU-Übernahmerichtlinie, GPR 2006, 37; Peltzer, Übernahmeangebote nach künftigem Europa-Recht und dessen Umsetzung in deutsches Recht, in Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 179; Peltzer, Der Kommissionsentwurf für eine 13. Richtlinie über Übernahmeangebote vom 7.2.1996, AG 1997, 145; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM-Sonderbeil. 2/2000; Richter, Chancen für eine Übernahmeregelung in Europa: Das künftige Gemeinschaftsrecht im Vergleich mit dem britischen „City Code on Takeovers and Mergers“, 1997; Röhrich, Gleichbehandlungspflicht bei Kontrollakquisitionen: Eine Analyse der dreizehnten EG-Richtlinie aus ökonomischer Sicht, RIW 1993, 93; Roos, Der neue Vorschlag für eine EG-Übernahme-Richtlinie, WM 1996, 2177; Rühland, Der übernahmerechtliche Squeeze-out im Regierungsentwurf des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, NZG 2006, 401; Sandberger, Teilübernahmeangebote und Zwangsübernahmeangebote im Europäischen Take-over-Recht, DZWIR 1993, 319; Sassenrath, Entwicklung und
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The Impact of the Hostile Takeover, 1988, S. 314; Jensen, Takeovers: Their Causes and Consequences, 2 Journal of Economic Perspectives, 1988, S. 21; Koch, R., Unzulänglichkeiten im Übernahmerecht? Das Verhinderungsverbot aus institutionenökonomischer Perspektive, WM 2010, 1155; Krause, Das obligatorische Übernahmeange-
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A. Wirtschaftlicher Hintergrund und systematische Einordnung des WpÜG Die Finanzmärkte sind unübersehbar einem anhaltenden tief greifenden Strukturwandel unterworfen. Eine Ausprägung dieser Entwicklung ist die seit Jahrzehnten weltweit steigende Anzahl und Bedeutung von Unternehmensübernahmen1. Mitursächlich hierfür sind die technologischen Veränderungen, insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Märkte wachsen zusammen; nationale Grenzen spielen eine immer geringere Rolle bei der wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen. In Europa ist mit der Wirtschafts- und Währungsunion und der Einführung des Euro ein weiterer Faktor hinzugetreten.
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In Deutschland wird diese Entwicklung darüber hinaus durch eine wachsende 2 Markttiefe des nationalen Kapitalmarkts begünstigt2. Steht dem Börsenhandel ein bedeutender Teil des gezeichneten Kapitals zur Verfügung, ist es für einen potentiellen Übernehmer leichter, Beteiligungen an einem Unternehmen aufzubauen. Medienwirksame Fälle wie die Übernahme der Mannesmann AG durch die britische Vo1 Empirische Untersuchungen aus jüngerer Zeit z.B. bei Black, 54 University of Miami Law Review, 2000, S. 799; siehe ferner Bericht der Hochrangigen Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten vom 10.1.2002, Anhang 5, S. 88 ff. (im Internet abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/takeoverbids/2002-01-hlg-report_de.pdf); Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Europäische Wirtschaft Beiheft A „Wirtschaftsanalysen Nr. 2 – Februar 1999 – Fusionen und Übernahmen“; instruktiver Überblick über frühere Untersuchungen bei Romano in Hopt/Wymeersch, European Takeovers, S. 3 ff. Für aktuelle Analysen zum deutschen M&A-Markt siehe M&A-Review 2/2011, 49 (Jahresrückblick 2010), 2/2010, 53 (Jahresrückblick 2009), 2/2009, 47 (Jahresrückblick 2008). Speziell zu internationalen Akquisitionen im Zeitraum Januar 2004 bis September 2006 siehe M&A Review 1/2007, S. 14. 2 Angaben zu Übernahmen in Deutschland seit Inkrafttreten des WpÜG am 1.1.2002 finden sich auf der Website der BaFin (www.bafin.de) und in den dort auch verfügbaren Jahresberichten der BaFin seit 2002 (näher unten Rz. 77); Angaben zu Angebotsverfahren nach dem Übernahmekodex in den Jahren 1995 bis 2001 in Bad Homburger Hdb. Übernahmerecht, Anhang 3.
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dafone AirTouch plc im Winter 1999/2000 oder der Hochtief AG durch die spanische ACS, Actividades de Construcción y Servicios, S.A., im Winter 2010/2011 haben diese Entwicklung auch der breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt. 3
Fusionen und Übernahmen haben für die betroffenen Unternehmen, Aktionäre und Arbeitnehmer sowie für die Wirtschaftsregionen regelmäßig erhebliche Folgen. Einer erfolgreichen Übernahme folgen häufig Umstrukturierungen beim übernommenen Unternehmen mit weit reichenden Konsequenzen für das Management, die Arbeitnehmer und die Aktionäre, insbesondere im Hinblick auf die geschäftspolitische Ausrichtung des Unternehmens und die Werthaltigkeit der Unternehmensanteile.
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Vor diesem Hintergrund sind allgemein anerkannte und praktikable Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen, aber auch für andere öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, unerlässlich. In Deutschland ist ein solcher Rechtsrahmen mit dem Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.20011, dessen Herzstück das seit 1.1.2002 geltende Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) bildet, geschaffen worden.
I. Wirtschaftlicher Hintergrund 5
In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die ökonomische Analyse des Übernahmerechts seit Jahrzehnten fester Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion2. Demgegenüber wird diese Diskussion in Deutschland erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit geführt3; hierbei wird stark auf die amerikanischen Ansätze zurückgegriffen. Im Wesentlichen lassen sich folgende Hauptrichtungen unterscheiden4:
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Nach dem von Manne5 begründeten und insbesondere von Easterbrook und Fischel6 und anderen Vertretern der Chicago School of Law and Economics7 weiterentwickelten Konzept besteht ein Markt für Unternehmenskontrolle. Grundprämisse dieses Konzepts ist die Annahme, dass die Effizienz des Managements und der Unterneh1 BGBl. I 2001, 3822. 2 Aus der umfangreichen amerikanischen Literatur: Manne, 73 Journal of Political Economy, 1965, S. 110 ff.; Easterbrook/Fischel, 91 Yale Law Journal, 1982, S. 698 ff.; Bebchuk, 98 Harvard Law Review, 1985, S. 1693 ff.; Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisitions, 1986, S. 441 ff.; Hermann/Lowenstein in Coffee/Lowenstein/Rose-Ackermann, Knights, Raiders & Targets, S. 211 ff.; Stein, 96 Journal of Political Economy, 1988, S. 61 ff.; neuere Zusammenstellung des Schrifttums bei Loss/Seligman, Securities Regulation, 3rd ed., Supplement 2001, S. 161 ff. 3 Vgl. etwa Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote; Reul, Gleichbehandlung; Hahn, Die feindliche Übernahme von Aktiengesellschaften; Herkenroth, Konzernierungsprozesse; Krause, Übernahmeangebot; Hecker, Regulierung von Unternehmensübernahmen und Konzernrecht. 4 Überblick über die verschiedenen Strömungen etwa bei Romano in Hopt/Wymeersch, European Takeovers, S. 3, 4 ff.; Krause, Übernahmeangebot, S. 93 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 61 ff.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 33 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 11 ff.; Liekefett, RIW 2004, 824 ff. (mit Analyse der EU-Übernahmerichtlinie); zu den möglichen Beweggründen für Übernahmen siehe auch Semler in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 1 Rz. 42 ff. 5 Manne, 73 Journal of Political Economy, 1965, S. 110 ff. 6 Easterbrook/Fischel, 91 Yale Law Journal, 1982, S. 698 ff. 7 Zusammenfassung über die Entwicklung der Chicago School of Law and Economics bei Reul, Gleichbehandlung, S. 111 ff.
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menserfolg in den Aktienkursen eines Unternehmens reflektiert wird. Danach signalisiert ein unterdurchschnittlicher Börsenkurs eine ineffiziente Unternehmensleitung. Dies lockt – so die Vertreter dieses Konzepts – leistungsfähigere Management-Teams an, die den Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten, das alte Management-Team ersetzen und an den Kurssteigerungen der übernommenen Aktien verdienen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise gegenüber einer Fusion liegt darin, dass eine Zustimmung des abzulösenden Management-Teams oder eine Zusammenarbeit mit diesem nicht erforderlich ist1. Gegen dieses Konzept einer Disziplinierung des Managements durch den Markt wird allerdings eingewandt, ein Zusammenhang zwischen Ineffizienz des Managements und Börsenwert des Unternehmens sei empirisch nicht hinreichend nachgewiesen, da häufig auch rentable Unternehmen Ziel von Übernahmen würden – was den Tatsachen entspricht2. Zudem sei auch nicht plausibel, warum Außenstehende zuerst von der ineffektiven Verwendung der Unternehmensressourcen erfahren; nahe liegender sei es, dass non executive directors bzw. Aufsichtsräte bereits vor einem Übernahmeangebot intervenieren3. Eine Weiterentwicklung der vorgenannten Ansicht, die sich jedoch auch dem Kreis der sog. Manager-Theorien zuordnen lässt, stellt die von Jensen4 begründete „free cash flow“-Theorie dar. Ziel von Übernahmen werden danach auch erfolgreiche Unternehmen, die über überschüssige liquide Mittel verfügen, diese jedoch nicht an die Aktionäre ausschütten, weil die verantwortlichen Manager dazu tendieren, die Mittel suboptimal zur Vergrößerung der eigenen Machtfülle für Akquisitionen einzusetzen5. Diese These kann erklären, warum nicht nur schlecht gehende, sondern auch gut gehende Unternehmen übernommen werden; sie wird zudem durch Studien gestützt, nach denen nicht ausgeschütteter cash flow maßgeblich für die untersuchten Übernahmen war6. Allerdings unterstellt sie eine ineffiziente Verwendung der liquiden Mittel durch unrentable Akquisitionen, ohne dies beweisen zu können7.
7
Ebenfalls dem Gedanken einer Werterhöhung verpflichtet ist die Auffassung, wesentliches Ziel von Unternehmensübernahmen sei die Gewinnung von Synergien8. Danach ist das neue Unternehmensgebilde für den Bieter mehr wert als die Summe der Einzelteile. Denkbar sind operative Synergien, z.B. in den Bereichen Produktion, Vertrieb und Unternehmensleitung, und finanzielle Synergien, etwa durch Verstetigung des Einkommensstroms aufgrund diversifizierter Tätigkeitsfelder und besserer Finanzierungsmöglichkeiten9. Ob sich diese Auffassung durch empirische Untersu-
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1 Siehe zum Ganzen aus dem deutschen Schrifttum Krause, Übernahmeangebot, S. 94 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 61 ff. 2 Reul, Gleichbehandlung, S. 132 f.; 154 ff.; Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 318 f.; Krause, Übernahmeangebot, S. 95 ff.; vgl. auch Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 16. 3 Krause, Übernahmeangebot, S. 95 f. 4 Jensen in Coffee/Lowenstein/Rose-Ackermann (Hrsg.), Knights, Raiders & Targets, S. 314, 335; Jensen, 2 Journal of Economic Perspectives, 1988, S. 21, 28. 5 Hierzu aus dem deutschen Schrifttum Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 328 f.; Reul, Gleichbehandlung, S. 182 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 66 ff. 6 Lehn/Poulsen, 44 Journal of Finance, 1989, S. 771 ff. 7 Reul, Gleichbehandlung, S. 182 ff.; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 17. 8 Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisitions, 1986, S. 441, 444; Bebchuk, 98 Harvard Law Review, 1985, S. 1693, 1700 f. 9 Hierzu aus dem deutschen Schrifttum Krause, Übernahmeangebot, S. 99 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 70 ff.; Semler in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 1 Rz. 78 ff.
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chungen hinreichend belegen lässt, ist allerdings umstritten1; nicht zu verkennen ist jedenfalls, dass sich in der Praxis zahlreiche Übernahmen wohlstandsvernichtend auswirken. 9
Während den vorgenannten Auffassungen der Gedanke der Werterhöhung durch Übernahmen zugrunde liegt, gehen andere Auffassungen davon aus, dass Übernahmen keine neuen Werte schaffen, sondern nur bestehende Werte verschieben. Danach erfolgen Übernahmen insbesondere zum Zwecke der Ausbeutung der Zielgesellschaft durch den Bieter, was sich zu Lasten der in der Gesellschaft verbliebenen Minderheitsaktionäre auswirkt. Hier droht entweder eine Zerschlagung der Zielgesellschaft und Veräußerung der einzelnen Unternehmensteile („harte“ Ausbeutung) oder ein verdeckter Vermögensabfluss unter dem Deckmantel gewöhnlicher Verkehrsgeschäfte, beispielsweise durch Zahlung von Konzernumlagen oder Lieferung zu Konzernverrechnungspreisen („weiche“ Ausbeutung)2. Gestützt wird diese These von empirischen Untersuchungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, nach denen die Börsenkurse von Zielgesellschaften nach Übernahmen sinken3. Als weitere Verlustträger werden teilweise auch die Fremdkapitalgeber, die Arbeitnehmer oder der Fiskus durch Geltendmachung steuerlicher Verlustvorträge genannt; Nachweisbarkeit und theoretische Grundlage dieser Auffassungen werden jedoch überwiegend in Frage gestellt4.
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Ebenfalls von einer bloßen Wertverschiebung geht die Auffassung aus, die die Möglichkeit des Bieters zur Erpressung der Aktionäre der Zielgesellschaft akzentuiert. Ziel des Bieters ist es danach, die Aktionäre durch ein öffentliches Übernahmeangebot unter Verkaufsdruck zu setzen und so die Kontrolle über die Gesellschaft unter Wert zu erlangen. Als Druckmittel kommen insbesondere kurze Annahmefristen, Zuteilungen nach dem Prioritätsprinzip und aufeinander folgende Teilangebote mit gestaffelten Angebotskonditionen (front-end loading) in Betracht5. Hier nutzt der Bieter den Umstand aus, dass die Aktionäre sich untereinander nicht koordinieren und auf die kollektive Ablehnung des Angebots verständigen können und daher im Zweifel auf Grund der hieraus resultierenden Unsicherheit über die künftigen Machtverhältnisse in der Gesellschaft sich für die Annahme des Angebots entscheiden werden, auch wenn deren Konditionen nicht den realen Wert der Gesellschaft widerspiegeln (sog. Gefangenendilemma, siehe hierzu auch § 16 Rz. 34 f.)6. Diesen in der Tat bestehenden Gefahren kann durch entsprechende Regelungen, insbesondere
1 Grundsätzlich bejahend Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 707; Mühle, Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, S. 104 ff.; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 14; kritisch Reul, Gleichbehandlung, S. 179; Krause, Übernahmeangebot, S. 100 ff.; Ekkenga/ Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, Einführung Rz. 32; vgl. hierzu auch Romano in Hopt/ Wymeersch, European Takeovers, S. 3, 7 ff. 2 Siehe zum Ganzen Reul, Gleichbehandlung, S. 197 ff.; Krause, Übernahmeangebot, S. 105 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 73 ff.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 36. 3 Vgl. Reul, Gleichbehandlung, S. 200 ff.; Krause, Übernahmeangebot, S. 106 f., jeweils m.w.N. 4 Näher Romano in Hopt/Wymeersch, European Takeovers, S. 3, 13 ff.; Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 334 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 81 ff.; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 19, 23 ff. 5 Grundlegend Bebchuk, 98 Harvard Law Review, 1985, S. 1693. 6 Siehe zum Ganzen Krause, Übernahmeangebot, S. 107 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 85 ff.
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der Festlegung von (Mindest-)Annahmefristen, einer Nachfrist bei erfolgreichen Übernahmeangeboten, dem Gleichbehandlungsgebot aller Angebotsadressaten und dem Verbot von Teilangeboten bei Übernahmen wirksam entgegengewirkt werden – sämtlich Regelungen, die das WpÜG vorsieht (§ 16 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 1, § 32). Ein dritter Erklärungsansatz geht weder von Werterhöhungen noch -verschiebungen 11 aus, sondern stellt den Gedanken der Wertrealisierung in den Vordergrund. Danach suchen Bieter gezielt nach vom Markt unterbewerteten Unternehmen und erwerben diese aufgrund ihres Informationsvorsprungs unter ihrem wirklichen Wert. Dabei wird die Unterbewertung teilweise darauf zurückgeführt, dass langfristige Unternehmensplanungen von den Kapitalmärkten aufgrund deren Kurzsichtigkeit nicht hinreichend gewürdigt werden1. Diesen Informationstheorien wird jedoch entgegengehalten, dass ihre Prämisse, Kapitalmärkte seien informationsineffizient, unzutreffend sei. Auch werden sie durch empirische Studien widerlegt, nach denen Zielgesellschaften im Anschluss an Übernahmeangebote ihre Kursgewinne wieder verlieren2. Ein weiterer Erklärungsansatz verzichtet schließlich auf wertbezogene Erklärungs- 12 versuche und stellt das Eigeninteresse und Beurteilungsvermögen der Manager in den Vordergrund (sog. Manager-Theorien). Danach ist Auslöser von Unternehmensübernahmen der Wunsch der Manager nach Schaffung eines möglichst großen Unternehmens (empire building), mit dem typischerweise ein höheres Gehalt, größeres Prestige und eine geringere Gefahr, selbst übernommen und entlassen zu werden, korrespondieren. In die gleiche Kategorie fallen Fehleinschätzungen des Managements im Hinblick auf den Wert der Zielgesellschaft oder die Fähigkeit, das erworbene Unternehmen ebenfalls führen zu können (Hybris-Theorie). Für diese Theorien lassen sich zahlreiche Studien anführen, nach denen sich Übernahmen wohlstandsvernichtend ausgewirkt haben; allerdings ist hier auch gegenteiliges Datenmaterial vorhanden3. Der Gesetzgeber hat zu den unterschiedlichen Auffassungen nicht ausdrücklich Stel- 13 lung bezogen. Allerdings hat er durch mehrere Regelungen der Gefahr einer Erpressung der Aktionäre der Zielgesellschaft durch Übernahmen entgegengewirkt (siehe oben Rz. 10). Im Übrigen war eine Festlegung nicht erforderlich und wäre rechtspolitisch angesichts der Tatsache, dass sich für nahezu jede der Auffassungen in der Praxis Beispiele finden lassen, auch nicht sinnvoll gewesen. Stattdessen wird in der Begründung des Regierungsentwurfs ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das WpÜG Unternehmensübernahmen weder fördern noch verhindern soll und der Grundgedanke eines fairen Verfahrens hervorgehoben4.
1 Siehe zum Ganzen aus dem deutschen Schrifttum Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 333; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 64 f.; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 26 f., jeweils m.w.N. 2 Näher Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 333; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 90 ff.; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 26 f., jeweils m.w.N. 3 Siehe zum Ganzen aus dem deutschen Schrifttum Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 330 f.; Krause, Übernahmeangebot, S. 103 ff.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 65, 66 ff. (dort Einordnung der Hybris-Theorie als Unterfall der Informationstheorien); Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 28 ff. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28.
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II. Systematische Einordnung 14
Das WpÜG ist ein wichtiger Baustein des deutschen Kapitalmarktrechts. Sein Anwendungsbereich beschränkt sich auf Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, deren Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§§ 1, 2 Abs. 3). Geregelt werden öffentliche Angebote (§ 2 Abs. 1) und damit marktbezogene Angebotsverfahren. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wird von einer Aufsichtsbehörde, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), überwacht, die ihre Aufgaben und Befugnisse nicht im Interesse der Wertpapierinhaber, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt (§ 4 Abs. 2) – eine für kapitalmarktrechtliche Normen typische Konstruktion (siehe näher § 4 Rz. 25). In Übereinstimmung hiermit verweist auch die Begründung des Regierungsentwurfs auf den kapitalmarktrechtlichen Funktionenschutz und die mit dem Gesetz beabsichtigte Stärkung des Finanzplatzes Deutschland1.
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Nicht zu verkennen ist jedoch, dass das WpÜG zugleich zahlreiche Berührungspunkte zu anderen Rechtsmaterien, namentlich dem Aktien-, Konzern-, Umwandlungsund Kartellrecht, aufweist2. An der Schnittstelle zum Aktien(konzern-)recht liegen insbesondere das in §§ 33 ff. verankerte Verhinderungsverbot des Vorstands bei Übernahmeangeboten (siehe hierzu § 33 Rz. 46 ff.) und das Pflichtangebot nach § 35 (siehe hierzu § 35 Rz. 31 ff.). Bei anderen Rechtsmaterien, beispielsweise dem Umwandlungsrecht, stellt sich die Frage einer sachgerechten Abgrenzung des Anwendungsbereichs zum Übernahmerecht (siehe hierzu § 35 Rz. 133 ff.). Aus dem Kartellrecht wiederum ergeben sich komplizierte Abstimmungsfragen zwischen zusammenschlussrechtlichen Regelungen und dem übernahmerechtlichen Pflichtangebot (siehe § 18 Rz. 39 ff., § 39 Rz. 18 ff.).
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Auch innerhalb des Kapitalmarktrechts besteht Abstimmungsbedarf3. Dies betrifft beispielsweise das Verhältnis von Vorgaben des WpÜG zur Ad hoc-Publizität gemäß § 15 WpHG (siehe § 10 Rz. 77 ff., § 35 Rz. 182 f.), zur Prospekthaftung (siehe § 12 Rz. 68, § 27 Rz. 144 f.), zum Insiderrecht (siehe § 10 Rz. 4, § 35 Rz. 238 ff.), zu den wertpapierhandelsrechtlichen Mitteilungspflichten (siehe § 35 Rz. 184) und zum Verbot der Marktmanipulation (siehe § 3 Rz. 61 f.).
B. Entwicklung der Regulierung von Übernahmen in Deutschland: Von den Leitsätzen für Unternehmensübernahmen zum WpÜG I. Leitsätze für Unternehmensübernahmen 17
Erste Bestrebungen zur Regulierung von Unternehmensübernahmen in Deutschland erfolgten 1979 durch die „Leitsätze für öffentliche freiwillige Kauf- und Umtauschangebote bzw. Aufforderungen zur Abgabe derartiger Angebote in amtlich notierten
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 2 Vgl. hierzu Herkenroth, Konzernierungsprozesse; Hecker, Regulierung von Unternehmensübernahmen und Konzernrecht; Mülbert, ZIP 2001, 1221; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 23; Fleischer, NZG 2002, 545; Berding, WM 2002, 1149. 3 Vgl. hierzu Assmann, ZGR 2002, 697; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 14; Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 641, 643 ff.; Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 600 f., 614 ff.
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oder im geregelten Freiverkehr gehandelten Aktien bzw. Erwerbsrechten“1. Veröffentlicht wurden diese Leitsätze von der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen (BSK), einem Gremium, das die Bundesregierung in Kapitalmarkt- und Börsenfragen seit 1968 berät und dem Vertreter der Anlegerschutzverbände, Kreditinstitute, Versicherungen, Investmentgesellschaften, Börsen, Industrie, Deutschen Bundesbank, Wissenschaft und des Länderarbeitskreises für Börsen- und Wertpapierfragen angehören. Die Leitsätze enthielten einige allgemeine Grundsätze, insbesondere zur Gleichbehandlung von Aktionären, sowie Regelungen zur Vorbereitung, zum Inhalt und zur Durchführung von Angeboten. Vorgesehen waren jedoch weder ein Pflichtangebot beim Erwerb der Kontrolle über eine Gesellschaft noch Regelungen zu Abwehrmaßnahmen im Übernahmefall. Die – ohnehin nur fragmentarischen – Leitsätze hatten den Charakter freiwilliger Verhaltensregeln. Eine formelle Anerkennung der Leitsätze war nicht vorgesehen; Verstöße waren nicht sanktionsbewehrt. Auch bestand keine Institution zur Überwachung der Einhaltung der Leitsätze. Vor allem aber mangelte es an einer praktischen Bewährungsprobe2, so dass die Leitsätze kaum Bedeutung erlangt haben.
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II. Übernahmekodex Abgelöst wurden die Leitsätze am 1.10.1995 durch einen ebenfalls von der BSK erar- 19 beiteten Übernahmekodex3, der mit Wirkung zum 1.1.1998 modifiziert wurde4. Die Regelungsdichte des Kodex war erheblich höher als diejenige der Leitsätze. In 24 Artikeln enthielt der Kodex eingehende Regelungen, die eine Gleichbehandlung der Aktionäre im Übernahmefall sowie ein transparentes Verfahren sicher stellen sollten. Darüber hinaus sah der Kodex ein Pflichtangebot zu Gunsten der Minderheitsaktionäre vor (näher § 35 Rz. 10 ff.) und enthielt Verhaltensregeln für das Management der Zielgesellschaft während des Angebotsverfahrens (näher § 33 Rz. 17). Beibehalten wurde das Grundkonzept einer freiwilligen Regelung5. Um eine stärkere 20 Akzeptanz des Kodex am Kapitalmarkt zu erreichen, wurden jedoch zahlreiche börsennotierte Unternehmen aufgefordert, die Regelungen freiwillig anzuerkennen. Flankierend hierzu wurden erstmals Elemente einer Kontrolle und Sanktion eingeführt. So wurde mit der Übernahmekommission eine Institution geschaffen, der es oblag, die Einhaltung des Kodex zu überwachen und erforderlichenfalls auf Grundlage der in der Praxis gewonnenen Erfahrungen den Kodex weiterzuentwickeln. Zu1 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 197. 2 Assmann, AG 1995, 563; Neye, ZIP 1995, 1464; Heinle, City Code und Übernahmekodex, S. 45 f.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 43. 3 Der Übernahmekodex in der Fassung vom 1.10.1995 ist abgedruckt in AG 1995, 572, und ZIP 1995, 1467. Zu dem Kodex Neye, ZIP 1995, 1464; Assmann, AG 1995, 563; Baumann, WM 1996, 901; Groß, DB 1996, 1909; Kallmeyer, AG 1996, 169; Thoma, ZIP 1996, 1725; Schuster, S./Zschocke, Übernahmerecht/Takeover Law, S. 23; Kallmeyer, ZHR 161 (1997), 435; Loehr, WM 1997, 1374; Diekmann, WM 1997, 897; Weisgerber, ZHR 161 (1997), 421; Hopt in FS Zöllner, 1998, S. 253, 263 ff.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 43 ff. 4 Der Übernahmekodex in der Fassung vom 1.1.1998 ist abgedruckt in AG 1998, 133, und NZG 2000, 390. Hierzu Kallmeyer, ZIP 1997, 2147; Hopt in FS Zöllner, 1998, S. 253, 263 ff.; Wirth/Weiler, DB 1998, 117; Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 46 f.; zur Änderung der Pflichtangebotsregelung in der Neufassung des Übernahmekodex siehe auch § 35 Rz. 12. 5 Die Einleitung des Kodex bezeichnete diesen als eine „Empfehlung von Verhaltensnormen für die an freiwilligen öffentlichen Übernahmeangeboten beteiligten Parteien“.
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gleich ermächtigte der Kodex die Geschäftsstelle der Übernahmekommission, bei Zuwiderhandlungen gegen den Kodex Stellungnahmen zu veröffentlichen. Dahinter stand die Überlegung, dass die mit einer solchen Stellungnahme verbundene negative Öffentlichkeitswirkung Unternehmen von einem Verstoß gegen den Kodex abhalten würde (Prangerwirkung als Sanktion). 21
Vor diesem Hintergrund wurde 1997 ein von der Fraktion der SPD in den Bundestag eingebrachter Entwurf eines Übernahmegesetzes1, der sich maßgeblich auf Vorarbeiten von Theodor Baums2 stützte, mit der Begründung abgelehnt, vor einer gesetzlichen Regelung seien zunächst die Erfahrungen mit dem Übernahmekodex als Modell einer freiwilligen Selbstkontrolle abzuwarten.
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In der Folgezeit stellt sich jedoch heraus, dass eine nicht unerhebliche Zahl börsennotierter Gesellschaften nicht bereit war, ihr Verhalten am Kapitalmarkt den Regeln des Kodex zu unterwerfen3. Auch der Umstand, dass ab Anfang 1998 die Anerkennung des Kodex Voraussetzung für die Aufnahme in den DAX, SMAX und den Neuen Markt wurde4, änderte hieran wenig, weil die in diesen Indices bereits aufgenommenen Unternehmen von der Regelung nicht erfasst wurden. Der Übernahmekodex wurde somit nicht in gleichem Umfang zur Kapitalmarktusance wie Selbstregulierungen in anderen Ländern, etwa der City Code on Takeovers and Mergers im Vereinigten Königreich. Schließlich empfahl auch die BSK im Februar 1999 dem Gesetzgeber, die allgemeine Verbindlichkeit von Übernahmeregeln durch ein Gesetz herzustellen5.
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Am 19.12.2001 beschloss die BSK, angesichts des unmittelbar bevorstehenden Inkrafttretens des WpÜG zum 1.1.2002 den Kodex nur noch auf bis zum 31.12.2001 veröffentlichte Angebote zum Erwerb von Wertpapieren und Übernahmeangebote sowie auf Kontrollerwerbe, die bis zu diesem Zeitpunkt vollzogen waren, anzuwenden. Am 4.3.2002 setzte die BSK den Kodex mit sofortiger Wirkung endgültig außer Kraft.
III. Entstehung des WpÜG 1. Expertenkommission „Unternehmensübernahmen“ 24
Vor dem Hintergrund der mit dem Kodex gewonnenen Erfahrungen, angesichts der wachsenden Bedeutung von Unternehmensübernahmen und unter dem Eindruck der Übernahme der Mannesmann AG durch die britische Gesellschaft Vodafone AirTouch plc im Winter 1999/2000 berief die Bundesregierung im Frühjahr 2000 eine Expertenkommission ein, der Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, den Gewerkschaften, dem für die Erarbeitung des Gesetzentwurfs federführenden Bundesministerium der Finanzen sowie dem Bundesministerium der Justiz und dem Ministerium für Wirtschaft und Technologie angehörten. Aufgabe des Gremiums war es, die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung in Deutschland zu untersuchen und Vorschläge für eine künftige gesetzliche Regelung zu erarbeiten. 1 BT-Drucks. 13/8164. 2 Baums, ZIP 1997, 1310; kritisch zu dem Entwurf Hopt in FS Zöllner, 1998, S. 253, 267 ff. 3 Bis zum 11.4.2001 hatten von den damals 1016 börsennotierten inländischen Unternehmen lediglich 755 Gesellschaften, darunter 86 Unternehmen des DAX 100, den Kodex anerkannt; vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 29. 4 Vgl. Zinser, Übernahmeangebote (takeover bids) im englischen und deutschen Recht, S. 176. 5 Standpunkte der BSK zur künftigen Regelung von Unternehmensübernahmen, 1999, S. 9.
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In ihrer abschließenden Sitzung am 17.5.2000 riet die Expertenkommission, zügig 25 ein Übernahmegesetz zu verabschieden, und schlug zehn Eckpunkte für ein Übernahmegesetz1 vor, die zentrale Bereiche einer künftigen gesetzlichen Regelung betrafen (Anwendungsbereich, Regelung von Pflichtangeboten, Bestimmung der Art und Höhe der Gegenleistung, Unterrichtung der Aktionäre und Arbeitnehmer der Zielgesellschaft, Verhalten des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft in Übernahmesituationen, zügiges Verfahren, Aufsicht, Sanktionen und Squeeze-out). 2. Diskussions- und Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen Kurz nach den abschließenden Empfehlungen der Expertenkommission wurde auf europäischer Ebene am 19.6.2000 im Ministerrat ein Gemeinsamer Standpunkt für eine 13. Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote verabschiedet, dessen Grundlage eine unter deutscher Präsidentschaft am 21.6.1999 erzielte politische Einigung war (näher unten Rz. 83).
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Auf der Basis dieses Gemeinsamen Standpunktes und der Empfehlungen der Exper- 27 tenkommission veröffentlichte das Bundesministerium der Finanzen am 29.6.2000 einen Diskussionsentwurf2 zu dem Gesetz, der erhebliche Beachtung in der Öffentlichkeit fand. Der Entwurf war als vorweggenommene Transformation der Übernahmerichtlinie konzipiert, orientierte sich daher eng an den Vorgaben des Gemeinsamen Standpunktes und enthielt bereits ein sehr ausdifferenziertes Regelwerk. Zu dem Entwurf gingen von den betroffenen Kreisen weit mehr als 700 Anregungen ein. Dabei wurde von der breiten Mehrheit der Betroffenen kritisiert, der Anwendungsbereich des Gesetzes sei zu eng, da nur Übernahmeangebote und Pflichtangebote erfasst würden, nicht jedoch sämtliche öffentlichen Angebote zum Erwerb von Wertpapieren. Darüber hinaus war Gegenstand heftiger Kontroversen die in dem Entwurf vorgesehene weitgehende Verpflichtung des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft, Abwehrmaßnahmen während eines Übernahmeangebots zu unterlassen (Verhinderungsverbot, auch Neutralitätspflicht genannt, hierzu § 33 Rz. 19 f.). Zu dem Entwurf fand am 25.7.2000 eine Anhörung im Bundesministerium der Finanzen statt. Am 12.3.2001 legte das Bundesministerium der Finanzen einen zweiten Entwurf des Gesetzes als Referentenentwurf3 vor. Der erheblich überarbeitete Entwurf berücksichtigte zahlreiche Anregungen. Insbesondere wurden – dem Wunsch der Praxis fol-
1 Abgedruckt bei Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 37 f. und Pötzsch, Übernahmerecht, S. 338 ff. 2 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237. Überblick über den Diskussionsentwurf bei Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 13; Land/Hasselbach, DB 2000, 1747; Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820; ausführliche Stellungnahmen zu dem gesamten Entwurf bei Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Stellungnahme der BSK vom 19.7.2000. Zu Einzelfragen Halm, NZG 2000, 1162; Kallmeyer, AG 2000, 553; Kiem, ZIP 2000, 1509; Rühland, WM 2000, 1884; Strenger, WM 2000, 952; E. Vetter, ZIP 2000, 1817; Witt, NZG 2000, 809; Witte, BB 2000, 2161; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241. 3 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374. Überblick über den Referentenentwurf bei Liebscher, ZIP 2001, 853; Thaeter/Bath, NZG 2001, 545; Zinser, NZG 2001, 391; siehe auch die Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses zum RefE, NZG 2001, 420. Zu Einzelfragen Oechsler, NZG 2001, 817; Riehmer/ Schröder, BB-Beil. 5/2001; Rühland, NZG 2001, 448; E. Vetter, DB 2001, 743; Wiese/Demisch, DB 2001, 849.
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gend – der Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich erweitert und nunmehr sämtliche öffentlichen Erwerbsangebote dem Gesetz unterworfen. Nahezu unverändert blieb demgegenüber – abgesehen von redaktionellen Änderungen – die Regelung zum Verhinderungsverbot (näher § 33 Rz. 21). Zum Referentenentwurf erfolgte am 2.4.2001 ebenfalls eine Anhörung im Bundesministerium der Finanzen. 3. Parlamentarisches Verfahren 29
Am 4.7.2001 scheiterten im Europäischen Parlament die Bemühungen um eine europäische Übernahmerichtlinie (näher unten Rz. 86). Damit war klar, dass auf absehbare Zeit nicht mit europäischen Vorgaben zur Regelung von Unternehmensübernahmen zu rechnen sein würde. Nur wenige Tage später, am 11.7.2001, verabschiedete die Bundesregierung den Regierungsentwurf1. Der Entwurf entsprach in wesentlichen Teilen dem Referentenentwurf2, wies jedoch eine vollkommen neu gestaltete Regelung zum Verhinderungsverbot auf, mit der die Handlungsspielräume des Vorstands der Zielgesellschaft während eines Übernahmeangebots erheblich erweitert und zudem erstmals die Möglichkeit geschaffen wurde, den Vorstand einer Zielgesellschaft präventiv durch einen Hauptversammlungsbeschluss (Vorratsbeschluss) zu Abwehrmaßnahmen zu ermächtigen (näher § 33 Rz. 22).
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In seiner Stellungnahme vom 27.9.20013 zu dem Gesetzentwurf bat der Bundesrat die Bundesregierung insbesondere darum, die Regelung zum Verhinderungsverbot zu überprüfen, und legte hierzu mehrere Änderungsvorschläge vor. In ihrer Gegenäußerung vom 10.10.20014 sagte die Bundesregierung im Wesentlichen5 eine Überprüfung dieser Vorschläge im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu. Änderungsvorschläge des Bundesrats zu anderen weniger gewichtigen Einzelfragen wurden teilweise befürwortet, teilweise abgelehnt.
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Bereits am 11.10.2001 überwies der Deutsche Bundestag die Gesetzesvorlage an den federführenden Finanzausschuss, der am 18.10.2001 eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchführte6. Im Anschluss hieran erfolgten intensive Beratungen im Finanzausschuss, die am 14.11.2001 abgeschlossen wurden. Im Mittelpunkt der Beratungen stand erneut die Regelung zum Verhinderungsverbot. Abschließend empfahl der Finanzausschuss, Abwehrmaßnahmen noch weiter zu erleichtern7. Konkret schlug er vor, die Voraussetzungen für Vorratsbeschlüsse abzusenken und zudem dem Vorstand einer Zielgesellschaft die Möglichkeit zu eröffnen, Abwehrmaß-
1 BT-Drucks. 14/7034, S. 7; Überblick über den Regierungsentwurf bei Land, DB 2001, 1707; siehe auch die Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses zum RegE, ZIP 2001, 1736. 2 Überblick über die wesentlichen Änderungen des Regierungsentwurfs gegenüber dem Referentenentwurf bei Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256. 3 BT-Drucks. 14/7034, S. 84; Zusammenfassung der Petiten des Bundesrats im Bericht des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 48. 4 BT-Drucks. 14/7090, S. 1. 5 Abgelehnt wurde der Vorschlag des Bundesrats zur Aufnahme einer gesetzlichen Regelung in das WpÜG, nach der Vorratsbeschlüsse der Hauptversammlung den Vorstand nicht zu vermögensmindernden Maßnahmen ermächtigen dürfen. 6 Der Bericht des BT-Finanzausschusses enthält eine Auflistung der zu der Anhörung eingeladenen Institutionen, Sachverständigen, Verbände und Unternehmensvertreter, BTDrucks. 14/7477, S. 48 f. 7 BT-Drucks. 14/7477, S. 25 f., 53.
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nahmen während eines laufenden Übernahmeangebots allein mit Zustimmung des Aufsichtsrats durchzuführen (näher § 33 Rz. 23 f.). Am 15.11.2001 verabschiedete der Deutsche Bundestag in 2. und 3. Lesung den Ge- 32 setzentwurf mit den vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Änderungen. Der Bundesrat machte von seiner Möglichkeit, gegen das Gesetz Einspruch einzulegen, keinen Gebrauch. Nach Durchführung einiger redaktioneller Bereinigungen im Wege eines Berichtigungsverfahrens nach Verabschiedung1 erfolgte die Verkündung im Bundesgesetzblatt am 22.12.20012. Das Gesetz trat in seinen wesentlichen Teilen3 zeitgleich mit vier Rechtsverordnungen (WpÜG-Angebotsverordnung, WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung, WpÜG-Beiratsverordnung und WpÜG-Gebührenverordnung) des Bundesministeriums der Finanzen am 1.1.2002 in Kraft. Im Jahr 2006 traten eine weitere Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen (WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung) und eine Rechtsverordnung der BaFin (WpÜGBeaufsichtigungsmitteilungsverordnung) hinzu. Zu den Rechtsverordnungen siehe unten Rz. 47 ff.
C. Übersicht über das WpÜG und die auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen I. Das WpÜG als Bestandteil eines Artikelgesetzes Am 1.1.2002 trat das „Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen“ in Kraft4. Dieses Gesetz war als Artikelgesetz konzipiert, dessen Herzstück in Art. 1 das WpÜG bildete. Die übrigen Artikel enthielten im Wesentlichen Änderungen bereits bestehender Gesetze, insbesondere des Wertpapierhandelsgesetzes (Art. 2)5, des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (Art. 3), des Auslandinvestment-Gesetzes (Art. 4), des Gesetzes über das Kreditwesen (Art. 5), des Verkaufsprospektgesetzes (Art. 6) und der Verkaufsprospekt-Verordnung (Art. 10)6.
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Neben dem in Art. 1 enthaltenen WpÜG sind auf Grund ihrer besonderen Bedeutung für die Praxis die in Art. 7 des Artikelgesetzes enthaltenen Änderungen des Aktiengesetzes hervorzuheben. Die dort eingeführten Regelungen (§§ 327a ff. AktG) ermöglichten erstmals unter bestimmten Voraussetzungen einen Ausschluss von Minderheitsaktionären (Squeeze-out)7. Auch wenn die Regelungen zum Squeeze-out politisch das Pendant zu der im WpÜG enthaltenen Verpflichtung darstellen, bei Erlangung der Kontrolle ein Pflichtangebot an alle Aktionäre abzugeben, hat der Ge-
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1 Hierzu Pötzsch, Übernahmerecht, S. 170. 2 BGBl. I 2001, 3822. 3 Die im WpÜG enthaltenen Ermächtigungen des Bundesministeriums der Finanzen zum Erlass von Rechtsverordnungen traten bereits am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft. Hierdurch wurde ein zeitgleiches Inkrafttreten des WpÜG und der Rechtsverordnungen ermöglicht. 4 BGBl. I 2001, 3822. 5 Hierzu Witt, AG 2001, 233. 6 Überblick über die Art. 2 bis 12 bei Pötzsch, Übernahmerecht, S. 57 f. 7 Überblick über die Regelungen zum Squeeze-out bei Fleischer, ZGR 2002, 757; Grunewald, ZIP 2002, 18; Krieger, BB 2002, 53; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 53 ff.; Sieger/Hasselbach, ZGR 2002, 121; E. Vetter, AG 2002, 176; Grunewald in MünchKomm. AktG, Vor § 327a Rz. 1 ff.
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setzgeber die Regelung letztlich1 und zu Recht2 nicht auf börsenzugelassene Gesellschaften beschränkt oder ein vorangegangenes Verfahren nach dem WpÜG gefordert. Die sinnvolle Ergänzung durch ein spezifisch übernahmerechtliches Ausschlussverfahren erfolgte im Jahre 2006 in Umsetzung der Übernahmerichtlinie (§§ 39a, 39b; näher § 39a Rz. 7 ff.). Die Praxis hatte gezeigt, dass ein schneller und kostengünstiger Ausschluss der Minderheitsaktionäre infolge Anfechtung der Hauptversammlungsbeschlüsse bzw. Spruchverfahren über die Abfindungshöhe für den Bieter kaum zu erreichen war. Der neue Squeeze-out, der nur in den Fällen eines vorherigen Übernahme- bzw. Pflichtangebots eingreift, ist daher als Ausschlussverfahren vor dem Landgericht Frankfurt a.M. konzipiert. Die Angemessenheit der Abfindung wird vermutet, sofern sie der Angebotsleistung entspricht und der Bieter auf Grund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 Prozent des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat (näher zur gesetzgeberischen Zwecksetzung § 39a Rz. 5).
II. Ziel des Gesetzes 35
Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs3 ist es das Ziel des WpÜG, Rahmenbedingungen bei Unternehmensübernahmen und anderen öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren in Deutschland zu schaffen, die den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen Rechnung tragen, und hierdurch den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch im internationalen Wettbewerb weiter stärken.
36
Durch das WpÜG sollen insbesondere Leitlinien für ein faires und geordnetes Angebotsverfahren geschaffen werden, ohne Unternehmensübernahmen zu fördern oder zu verhindern. Darüber hinaus sollen die Information und Transparenz für die betroffenen Wertpapierinhaber und Arbeitnehmer verbessert und die rechtliche Stellung4 von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen gestärkt werden. Auch soll sich das WpÜG an international üblichen Standards orientieren5.
III. Aufbau und Inhalt des Gesetzes 37
Das WpÜG weist nicht nur in seiner Kurzbezeichnung, sondern auch in seinem Aufbau Parallelen zum Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) auf. Wie das WpHG enthält das WpÜG zunächst einen Abschnitt 1 (§§ 1–3) mit allgemeinen Vorschriften. Neben dem Anwendungsbereich (§ 1) werden dort zentrale Gesetzesbegriffe definiert (§ 2) und einige allgemein geltende Grundsätze (§ 3) aufgestellt. 1 Im Regierungsentwurf (§ 327b Abs. 1 Satz 3 AktG-RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 24, 72) war ursprünglich noch eine Regelung vorgesehen, nach der bei einem dem Squeeze-out vorausgegangenen Barangebot nach dem WpÜG, das von 90 % der Adressaten angenommen wurde, die dort gewährte Gegenleistung im Rahmen einer unwiderleglichen Vermutung als angemessenes Angebot für einen Squeeze-out angesehen wurde. Angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken ist die Regelung im parlamentarischen Verfahren auf Grund der Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses jedoch entfallen, vgl. BT-Drucks. 14/7477, S. 42, 54. 2 Näher Pötzsch, Übernahmerecht, S. 55. 3 BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 4 Die Stärkung der rechtlichen Stellung von Aktionären ist nicht gleichbedeutend mit der Einräumung von Individualansprüchen; siehe hierzu § 35 Rz. 32, 250 ff.; ferner Krause, NJW 2004, 3681, 3686 f. 5 BT-Drucks. 14/7034, S. 28.
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Wie im WpHG folgen im Abschnitt 2 (§§ 4–9) aufsichtsrechtliche Vorschriften über 38 die BaFin. Neben den Aufgaben und Befugnissen der BaFin (§ 4) sind dort die Organisation und die Aufgaben des Beirats (§ 5) und des Widerspruchsausschusses (§ 6) bei der BaFin geregelt. Dem Beirat kommt die Aufgabe zu, bei der Aufsicht mitzuwirken. Der Widerspruchsausschuss entscheidet über Widersprüche gegen bestimmte, besonders bedeutsame Anordnungen der BaFin. Die weiteren Vorschriften enthalten Vorgaben zur aufsichtlichen Zusammenarbeit im Inland (§ 7) und Ausland (§ 8) sowie Regelungen zur Verschwiegenheitspflicht der mit der Aufsicht betrauten Personen (§ 9), die sich an den Parallelnormen der §§ 6 bis 8 WpHG orientieren. Zur aufsichtlichen Praxis seit Inkrafttreten des WpÜG siehe Rz. 77 ff. Die folgenden drei Abschnitte enthalten weitgehend „materiellrechtliche“ Vorgaben zu öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren (Abschnitt 3), zu freiwilligen Übernahmeangeboten (Abschnitt 4) und zu Pflichtangeboten (Abschnitt 5). Hierbei wird das auch aus dem Umwandlungsgesetz bekannte Baukastenprinzip verwandt. Abschnitt 3 enthält zunächst allgemeine Vorgaben, die bei jedem öffentlichen Angebot gelten. Für Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle über eine Zielgesellschaft gerichtet sind, d.h. für Übernahmeangebote, gelten neben dem Abschnitt 3 zusätzlich die besonderen Regeln des Abschnitts 4 (§ 34). Auf Pflichtangebote finden schließlich sowohl die Abschnitte 3 und 4 als auch der Abschnitt 5 Anwendung (§ 39).
39
Im Abschnitt 3 (§§ 10–28) sind bestimmte Grundregeln für öffentliche Angebote fest- 40 gelegt. Diese betreffen den Inhalt und die Rechtsnatur von Angeboten (§§ 11, 17, 18 und 25), die Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlagen (§ 12) und die Finanzierung von Angeboten (§ 13). Hinzu treten Publizitätspflichten, die während des Angebotsverfahrens vom Bieter (§§ 10, 14 und 23) sowie vom Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft (§ 27) zu erfüllen sind. Geregelt werden zudem die Annahmefrist (§ 16) sowie bestimmte Einzelaspekte von Angeboten, namentlich Teilangebote (§ 19), die Behandlung von Handelsbeständen (§ 20), Angebotsänderungen (§ 21), konkurrierende (§ 22) und grenzüberschreitende Angebote (§ 24). Die Regelungen werden ergänzt durch aufsichtliche Spezialbefugnisse der BaFin, mit denen die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben sichergestellt (§§ 15, 26) und Missstände bei Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit Angeboten verhindert werden sollen (§ 28). Angebotsunterlagen über europäische Angebote (§ 2 Abs. 1a) für Wertpapiere, die auch in Deutschland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, werden dabei ohne zusätzliches Billigungsverfahren bei der BaFin anerkannt, sofern sie bereits von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen EWR-Staats gebilligt wurden (§ 11a, „Europäischer Pass“). Abschnitt 4 (§§ 29–34) enthält Sondervorschriften für Übernahmeangebote. Nach 41 Definition der für diesen Abschnitt maßgeblichen Begriffe des Übernahmeangebots und der Kontrolle (§ 29) sowie der Festlegung bestimmter Zurechnungstatbestände (§ 30) werden Vorgaben über die Art und Höhe der bei Übernahmeangeboten zu gewährenden Gegenleistung (§ 31) und die Verpflichtung zum Vollangebot (§ 32) getroffen. Es folgen Bestimmungen zur Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen der Zielgesellschaft bei Übernahmeangeboten (§§ 33–33c). Im Zentrum steht § 33, der dem Vorstand der Zielgesellschaft solche Handlungen untersagt, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte, umgekehrt aber einige bedeutsame Ausnahmen zulässt (Verhinderungsverbot). Die in Umsetzung der Übernahmerichtlinie eingeführten §§ 33a und 33b ermöglichen der Zielgesellschaft von dieser Regelung per Statut abzuweichen und stattdessen für das (übernahmefreundlichere) europäische
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Verhinderungsverbot (§ 33a) bzw. die europäische Durchbrechungsregel (§ 33b) zu optieren; letztere schließt bestimmte Abwehrmechanismen in der Übernahmesituation aus. Der ebenfalls auf die Übernahmerichtlinie zurückgehende § 33c knüpft an Satzungsbestimmungen nach §§ 33a, 33b an und ermächtigt die Zielgesellschaft deren Geltung davon abhängig zu machen, dass auch der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen entsprechenden Regelungen unterliegt. § 33d richtet sich an den Bieter und mit ihm gemeinsam handelnde Personen und verbietet die Gewährung ungerechtfertigter Leistungen an die Verwaltungsmitglieder der Zielgesellschaft. 42
Abschnitt 5 (§§ 35–39) befasst sich mit dem Pflichtangebot. Ein solches Angebot ist bei Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft abzugeben und ermöglicht Minderheitsaktionären im Falle von Unternehmensübernahmen, denen kein freiwilliges öffentliches Angebot vorausgegangen ist, ihre Beteiligung zu einem angemessenen Preis zu veräußern (§ 35). Bei der Berechnung des für die Kontrolle maßgeblichen Stimmrechtsanteils können in bestimmten Fällen Stimmrechte unberücksichtigt bleiben (§ 36). Unter bestimmten Voraussetzungen kann die BaFin einen Bieter von dem Erfordernis eines Pflichtangebots befreien (§ 37 i.V.m. §§ 8 ff. WpÜG-Angebotsverordnung). Kommt ein Bieter seiner Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots nicht nach, ist die Gegenleistung zu verzinsen (§ 38). Abschnitt 5a (§§ 39a–39c) regelt als Pendant zum Pflichtangebot den Squeeze-out (§§ 39a, 39b) sowie den Sell-out (§ 39c). Der Squeeze-out gewährt dem Bieter unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die nach einem Übernahme- bzw. Pflichtangebot in der Gesellschaft verbleibende Aktionärsminderheit auszuschließen (§ 39a). Der Ausschluss erfolgt auf Antrag durch Beschluss des Landgerichts Frankfurt a.M. (§ 39b). Den Minderheitsaktionären wird spiegelbildlich hierzu das Recht eingeräumt, das vorangegangene Angebot noch drei Monate nach Ablauf der Annahmefrist anzunehmen (§ 39c).
43
Abschnitt 6 (§§ 40–47) enthält verfahrensrechtliche Bestimmungen. Diese betreffen u.a. Ermittlungsbefugnisse (§ 40) und Zwangsmittel (§ 46) der BaFin sowie die Bekanntgabe, Zustellung und Veröffentlichung von Verfügungen (§§ 43 f.). Geregelt werden ferner das Widerspruchsverfahren (§ 41) und die Kosten (§ 47 i.V.m. §§ 1 ff. WpÜG-Gebührenverordnung).
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Abschnitt 7 (§§ 48–58) widmet sich dem Rechtsmittelverfahren. Die dort enthaltenen Vorschriften (insbes. §§ 49 ff.) sind in weiten Teilen den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nachgebildet. Sie dienen vornehmlich der Beschleunigung des Rechtswegs unter Wahrung des Verfassungsgebots des effektiven Rechtsschutzes. Im Übrigen sind im Rechtsmittelverfahren die Vorschriften des GVG und der ZPO anwendbar (§ 58).
45
Abschnitt 8 (§§ 59–65) befasst sich mit Sanktionen. Bei Verstößen gegen Vorgaben des WpÜG drohen neben einem Rechtsverlust (§ 59) Bußgelder bis zu einer Höhe von 1 Mio. t (§ 60). Die übrigen Vorschriften betreffen behördliche und gerichtliche Zuständigkeiten.
46
Abschnitt 9 (§§ 66–68) enthält Sonderregelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 66) und zur Gerichtsverfassung (§ 67) sowie Übergangsregelungen (§ 68).
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Einleitung
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IV. Die Rechtsverordnungen Zeitgleich mit dem WpÜG traten am 1.1.2002 vier am 27.12.2001 verabschiedete Rechtsverordnungen des Bundesministeriums der Finanzen in Kraft, in denen einzelne Bereiche des WpÜG einer eingehenden Regelung unterworfen wurden:
47
– Die Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei 48 Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (WpÜG-Angebotsverordnung)1. – Die Verordnung über die Zusammensetzung und das Verfahren des Widerspruchs- 49 ausschusses bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung)2. – Die Verordnung über die Zusammensetzung, die Bestellung der Mitglieder und das Verfahren des Beirats bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (WpÜG-Beiratsverordnung)3.
50
– Die Verordnung über Gebühren nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG-Gebührenverordnung)4.
51
Auf der Grundlage der durch Art. 1 Nr. 2 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (vgl. Rz. 133 ff.) eingefügten Ermächtigungstatbestände in § 1 Abs. 4, 5 wurden 2006 zwei weitere Rechtsverordnungen erlassen: – Die Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen über die Anwendbarkeit 52 von Vorschriften betreffend Angebote im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung)5. – Die Verordnung der BaFin über den Zeitpunkt sowie den Inhalt und die Form der Mitteilung und der Veröffentlichung der Entscheidung einer Zielgesellschaft nach § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜGBeaufsichtigungsmitteilungsverordnung)6.
53
D. Änderungen des WpÜG und der WpÜG-Rechtsverordnungen und praktische Erfahrungen Seit ihrem Inkrafttreten sind das WpÜG und die auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen teilweise mehrfach geändert worden. Die wohl bedeutendsten Änderungen erfuhr das WpÜG durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz 1 BGBl. I 2001, 4263; zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.2011 (BGBl. I 2011, 2481); siehe hierzu Rz. 71, Text im Anhang S. 1729. 2 BGBl. I 2001, 4261; zuletzt geändert durch Art. 1 der Änderungsverordnung vom 26.6.2003 (BGBl. I 2003, 1006); siehe hierzu Rz. 74, Text im Anhang S. 1736. 3 BGBl. I 2001, 4259; zuletzt geändert durch Art. 368 der Neunten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I 2006, 2407); siehe hierzu Rz. 76, Text im Anhang S. 1733. 4 BGBl. I 2001, 4267; zuletzt geändert durch die Erste Änderungsverordnung vom 27.7.2005 (BGBl. I 2005, 2417); siehe hierzu Rz. 75, Text im Anhang S. 1735. 5 BGBl. I 2006, 1698, Text im Anhang S. 1738. 6 BGBl. I 2006, 2266, Text im Anhang S. 1739.
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im Jahr 2006; näher hierzu und zu den europarechtlichen Vorgaben unten Rz. 80 ff. Die übrigen Änderungen sind nachfolgend dargestellt.
I. Änderungen des WpÜG 55
Durch Art. 3 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung zur Ersetzung von Zinssätzen vom 5.4.20021 wurde mit Wirkung zum 12.4.2002 die Bezugnahme in § 38 auf den relevanten Basiszinssatz um einen Verweis auf den neuen § 247 BGB ergänzt.
56
Durch Art. 1 §§ 1, 4 des Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22.4.20022 wurden die Bundesaufsichtsämter für den Wertpapierhandel (BAWe), für das Kreditwesen (BAKred) und für das Versicherungswesen (BAVers) mit Wirkung zum 1.5.2002 in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zusammengeführt und die den einzelnen Aufsichtsämtern obliegenden Aufgaben auf die BaFin übertragen. Seit diesem Zeitpunkt obliegt die Aufsicht nach dem WpÜG und den korrespondierenden Rechtsverordnungen nicht mehr dem BAWe, sondern der BaFin. Durch die Erste Verordnung zur Anpassung von Bezeichnungen nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz vom 29.4.20023 erfolgten zeitgleich entsprechende Änderungen der Bezeichnung der Aufsichtsbehörde in den jeweiligen Normen des WpÜG und den auf Grund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen.
57
Durch das Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.20024 ist der Lokalisationszwang der Rechtsanwälte auf Ebene der Oberlandesgerichte mit Wirkung zum 1.8.2002 entfallen. Hierdurch wurde die bis dahin in § 66 Abs. 4 enthaltene Sonderregelung zur Lokalisation obsolet und durch Art. 15 des o.g. Gesetzes aufgehoben.
58
Durch Art. 71 der Achten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 25.11.20035 wurde auf Grund der Zusammenlegung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Arbeit der entsprechende Verweis in § 5 Abs. 1 Satz 7 mit Wirkung zum 28.11.2003 an die Neubezeichnung („Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit“) angepasst; die Änderung wurde mit der erneuten Trennung der Ministerien durch Art. 101 der Neunten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.20066 mit Wirkung zum 8.11.2006 wieder rückgängig gemacht.
59
Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22.9.20057 hat u.a. das Erfordernis einer Hinterlegung der Aktien für die Teilnahme an einer Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts (§ 123 Abs. 2 und 3 AktG) als gesetzliches Regelmodell beseitigt. Dementsprechend ist mit Wirkung zum 1.11.2005 die in § 16 Abs. 4 Satz 3 enthaltene Bezugnahme auf die Hinterlegungsfristen entfallen; Gleiches gilt für die Bezugnahme auf Gegenanträge in § 16 Abs. 4 Satz 6 (Art. 2 Abs. 3 UMAG).
1 2 3 4 5 6 7
BGBl. I 2002, 1250. BGBl. I 2002, 1310. BGBl. I 2002, 1495. BGBl. I 2002, 2850. BGBl. I 2003, 2304. BGBl. I 2006, 2407. BGBl. I 2005, 2802.
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Einleitung
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Das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 5.1.20071, das in seinen wesentli- 60 chen Teilen am 20.1.2007 in Kraft getreten ist, führte neben einer marginalen Änderung in § 16 Abs. 4 Satz 3 (als Folge der Ersetzung der Monatsfrist zur Einberufung einer Hauptversammlung nach § 123 Abs. 1 AktG durch eine 30-tägige Frist) auch zu erheblichen Änderungen der Zurechnungsvorschrift des § 22 WpHG, die allerdings im Rahmen der Revision der Transparenzrichtlinie wieder auf den Prüfstand gestellt wird. Als Folge hieraus wurde ebenfalls die Parallelregelung in § 30 geändert. Die Zurechnungstatbestände in § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 6 wurden modifiziert, indem eine im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie erfolgte erweiterte Zurechnung bei Konzerngesellschaften nach Nr. 1 wieder rückgängig gemacht und die Zurechnung nach Nr. 6 ausdrücklich auf den Fall einer nicht weisungsgebundenen Bevollmächtigung der Stimmrechtsausübung erstreckt wurde. Darüber hinaus wurden zwei neue Absätze 3 und 4 angefügt. § 30 Abs. 3 regelt, wann ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Tochterunternehmen des Bieters im Sinne des § 2 Abs. 6 anzusehen ist und daher eine Zurechnung der Stimmrechte erfolgt, § 30 Abs. 4 ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, Einzelheiten zur Frage der Unabhängigkeit eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens vom Bieter festzulegen. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 61 26.3.20072 ist das Erfordernis der Zulassung von Rechtsanwälten bei Gericht (mit Ausnahme der zum BGH) zum 1.6.2007 weggefallen. Als Folge dieser Änderung wurde durch Art. 7 Abs. 13 dieses Gesetzes die Regelung des Anwaltszwangs in § 53 geändert und der dort enthaltene Verweis auf die Zulassung eines Rechtsanwalts bei einem deutschen Gericht gestrichen. Das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 16.7.20073 hat die beiden gesetzlichen Marktsegmente „amtlicher Markt“ und „geregelter Markt“ im Börsengesetz mit Wirkung zum 1.11.2007 durch das Segment „regulierter Markt“ ersetzt; dementsprechend wurde die Bezugnahme auf diese Segmente in der Definition des „organisierten Marktes“ in § 2 Abs. 7 geändert.
62
Durch Art. 3a des Investmentänderungsgesetzes vom 21.12.20074 wurde die Zurech- 63 nungsvorschrift des § 30 erneut geändert und die Sonderregelung für Wertpapierdienstleistungsunternehmen in § 30 Abs. 3 Satz 1 modifiziert, um sie der Regelung in § 22 Abs. 3 Satz 1 WpHG anzupassen; die Änderung trat zum 28.12.2007 in Kraft. Eine weitere Änderung des § 30 erfolgte durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 64 12.8.20085 mit Wirkung zum 19.8.2008. Nach intensiver politischer Diskussion wurde der Anwendungsbereich des acting in concert, das zu einer Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 führt, vergrößert (näher § 30 Rz. 184 ff.). Weitere Änderungen betrafen Übergangsregelungen in § 68 Abs. 3 und Abs. 4. Das FGG-Reformgesetz vom 17.12.20086 hat das familiengerichtliche Verfahren und das FGG-Verfahren mit Wirkung zum 1.9.2009 von Grund auf neu geregelt. Dies führte zu Änderungen der Vorschriften zum übernahmerechtlichen Squeeze-out. Die Regelung des § 39a Abs. 5 Satz 2 ist entfallen (die Zuordnung des Verfahrens zu den Handelssachen ergibt sich nun aus § 95 Abs. 2 Nr. 2 GVG). In § 39b erfolgten Ände1 2 3 4 5 6
BGBl. I 2007, 10. BGBl. I 2007, 358. BGBl. I 2007, 1330. BGBl. I 2007, 3089. BGBl. I 2008, 1666. BGBl. I 2008, 2586.
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rungen, die redaktionelle Anpassungen an die geänderten Gesetzesbezeichnungen im FGG-Bereich enthielten, die die Neuregelung des Beschwerderechts im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) widerspiegelten (§ 39b Abs. 1 und 3) und die kostenrechtlichen Vorschriften an das geänderte Rechtsmittelsystem des FamFG anpassten (§ 39b Abs. 6). 66
Durch das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung vom 18.4.20091 wurde ein besonderes Prüfverfahren im Falle des Erwerbs von gebietsansässigen Unternehmen durch Erwerber aus Ländern außerhalb des Gemeinschaftsgebiets und der Europäischen Freihandelsassoziation mit Wirkung zum 24.4.2009 eingeführt. Dabei wurde durch Art. 3 dieses Gesetzes die Vorschrift des § 7 Abs. 1 über die Zusammenarbeit der BaFin mit Aufsichtsbehörden im Inland ergänzt und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie einbezogen. Zugleich wurde der Kreis der Adressaten eines zulässigen Informationsaustausches nach § 9 Abs. 1 um dieses Ministerium erweitert.
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Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.7.20092 hat die Vorschriften über die Einberufung einer Hauptversammlung in § 16 Abs. 4 geändert; eine hiermit zusammenhängende Übergangsregelung wurde in § 68 Abs. 5 angefügt. Das Gesetz ist zum 1.9.2009 in Kraft getreten.
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Das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.20113 hat mit Wirkung zum 1.2.2012 die wertpapierhandelsrechtlichen Vorschriften zur Beteiligungstransparenz durch Modifikation des § 25 WpHG und Schaffung eines neuen § 25a WpHG erheblich verschärft, um zu verhindern, dass große Stimmrechtspositionen aufgebaut werden können, ohne dass die BaFin oder der Markt darüber frühzeitig Kenntnis erlangen. Gemäß Art. 2 des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes sind Angaben über die nach §§ 25 und 25a WpHG mitteilungspflichtigen Finanz- und sonstigen Instrumente jetzt auch in die sogenannten Wasserstandsmeldungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 aufzunehmen; nach Art. 4 des Gesetzes hat aufgrund einer Änderung des § 2 Nr. 5 WpÜG-Angebotsverordnung nunmehr auch die Angebotsunterlage des Bieters die entsprechenden Informationen zu enthalten.
II. Änderungen der WpÜG-Rechtsverordnungen 69
Die WpÜG-Angebotsverordnung, die WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung, die WpÜG-Gebührenverordnung und die WpÜG-Beiratsverordnung4 wurden sämtlich durch die Erste Verordnung zur Anpassung von Bezeichnungen nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz modifiziert; hierbei wurden jedoch nur Bezeichnungen geändert, materielle Änderungen erfolgten nicht (siehe hierzu oben Rz. 56).
70
Die WpÜG-Angebotsverordnung wurde zudem durch Art. 4 des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes vom 28.10.20045 geändert, das eine Prospektpflicht für nicht in Wertpapieren verbriefte Vermögensanlagen des sog. Grauen Kapitalmarkts eingeführt hat (§§ 8f ff. Verkaufsprospektgesetz a.F.). Hierdurch wurde eine Ergänzung der in § 2 Nr. 2 enthaltenen Bezugnahme auf das Verkaufsprospektgesetz erforderlich. 1 2 3 4 5
BGBl. I 2009, 770. BGBl. I 2009, 2479. BGBl. I 2011, 538. Die Verordnungen sind abgedruckt im Textanhang S. 1729 ff. BGBl. I 2004, 2630.
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Mit dem Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 22.6.20051 wurde die entspre- 71 chende EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt und ein neues Wertpapierprospektgesetz (WpPG) geschaffen. Hieraus resultierten erneut Folgeänderungen in der WpÜG-Angebotsverordnung, um sicherzustellen, dass eine Angebotsunterlage nach WpÜG die gleichen Informationen enthält wie ein Prospekt nach dem WpPG. Daher wurde durch Art. 6 Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz § 2 Nr. 2 WpÜG-Angebotsverordnung neu gefasst und durch eine neue Nr. 2a mit Wirkung zum 1.7.2005 ergänzt. Das Verkaufsprospektgesetz wurde durch Art. 2 des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 6.12.20112 aufgehoben. Dies erforderte in Art. 17 dieses Gesetzes die Änderung der Verweise in § 2 Nr. 2a WpÜG-Angebotsverordnung auf das Verkaufsprospektgesetz und die Verkaufsprospektverordnung in Verweise auf das mit Art. 1 dieses Gesetzes erlassene Vermögensanlagengesetz und die Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung. Weitere Änderungen der WpÜG-Angebotsverordnung erfolgten durch das Übernah- 72 merichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.20063 mit Wirkung zum 14.7.2006. Aufgenommen wurde das Erfordernis, in die Angebotsunterlage auch Angaben über die mit der Zielgesellschaft handelnden gemeinsamen Personen aufzunehmen sowie Angaben über das Verhältnis der gemeinsam handelnden Personen zu Bieter oder Zielgesellschaft zu machen, sofern es sich bei den gemeinsam handelnden Personen um Gesellschaften handelt (§ 2 Nr. 1 WpÜG-Angebotsverordnung). Neu hinzu getreten ist auch die Verpflichtung, die Berechnungsmethoden für eine Entschädigung als Folge der Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b und eine Begründung ihrer Angemessenheit in die Angebotsunterlage aufzunehmen (§ 2 Nr. 3a WpÜG-Angebotsverordnung); Gleiches gilt für die Verpflichtung zu Angaben zum Gerichtsstand betreffend die sich aus der Annahme des Angebots ergebenden Verträge (§ 2 Nr. 12 WpÜG-Angebotsverordnung). Zudem wurde die Referenzperiode für die Berücksichtigung von Vorerwerben bei der Bestimmung der Gegenleistung von drei auf sechs Monate verlängert (§ 4 Satz 1 WpÜG-Angebotsverordnung). Korrespondierend mit der letztgenannten Änderung wurde durch die Verordnung zur Änderung der WpÜG-Angebotsverordnung vom 17.7.20064 mit Wirkung zum 25.7.2006 die Verpflichtung zu Offenlegung von Vorerwerben in der Angebotsunterlage (§ 2 Nr. 7 WpÜG-Angebotsverordnung) ebenfalls von drei auf sechs Monate erweitert. Zu den Änderungen der WpÜG-Angebotsverordnung durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz siehe oben Rz. 68.
73
Mit der Verordnung zur Änderung der WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung vom 26.6.20035 erfolgten technische Änderungen der Regelungen zur Mitwirkung der ehrenamtlichen Beisitzer (§ 3) mit Wirkung zum 1.7.2003.
74
Die Erste Verordnung zur Änderung der WpÜG-Gebührenverordnung vom 27.7.20056 enthielt Änderungen der in dieser Verordnung enthaltenen Gebührentatbestände mit Wirkung zum 18.8.2005.
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1 2 3 4 5 6
BGBl. I 2005, 1698. BGBl. I 2011, 2481. BGBl. I 2006, 1426. BGBl. I 2006, 1697. BGBl. I 2003, 1006. BGBl. I 2005, 2417.
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Lediglich eine Änderung der Bezeichnungen in der WpÜG-Beiratsverordnung bewirkten die Achte und Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung (siehe hierzu oben Rz. 58).
III. Praktische Erfahrungen mit dem WpÜG 77
In den Jahren 2002 bis 2010 gestattete die BaFin insgesamt 313 Angebote und damit durchschnittlich knapp 35 Angebote pro Jahr1. 2009 wirkte sich die Finanzkrise auch im Übernahmemarkt aus. Die Zahl der jährlichen Angebote ging im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte zurück (2008: 39 Angebote; 2009: 18 Angebote). 2010 erholte sich der Markt bereits leicht (23 Angebote). Des Weiteren wurden in dem Zeitraum von 2002 bis 2010 insgesamt 1676 Anträge auf Befreiung vom Pflichtangebot oder auf Nichtberücksichtigung von Stimmrechten nach §§ 36 und 37 gestellt, die somit den größten Teil der Aufsichtstätigkeit einnahmen. Der Squeeze-out nach den §§ 39a, 39b, der den Ausschluss einer Aktionärsminderheit im Anschluss an ein Übernahme- bzw. Pflichtangebot per Gerichtsbeschluss ermöglicht, wurde erstmals 2007 durchgeführt2, hat aber (noch) nicht die ihm zugedachte praktische Bedeutung erlangt; seine Anwendung blieb wie diejenige des Sell-out gemäß § 39c auf Einzelfälle beschränkt3.
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Vor diesem Hintergrund hat das WpÜG durch die Verwaltungspraxis4 und die Rechtsprechung5 deutlich an Konturen gewonnen. Zahlreiche Einzelfragen sind mittlerweile von der BaFin entschieden bzw. vor Gericht geklärt worden. Hierzu gehört namentlich die von der BaFin – zu Recht – bejahte grundsätzliche Anwendbarkeit des WpÜG auf Kontrollerwerbe, bei denen nicht die Stammaktien, sondern nur die stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Zielgesellschaft zum Börsenhandel zugelassen sind (nä1 Vgl. für eine detaillierte Aufschlüsselung sowie weitere statistische Angaben die BaFin-Jahresberichte 2002 ff., jeweils unter dem Punkt „Unternehmensübernahmen“; siehe ferner die Datenbanken und Statistiken auf der website der BaFin (www.bafin.de). 2 Vgl. Squeeze-out der Müller Weingarten AG auf Antrag der Schuler AG durch Beschluss des LG Frankfurt a.M. v. 2.8.2007 – 3-5 O 138/07. 3 Vgl. näher § 39a Rz. 31 (für den Squeeze-out) und § 39c (für den Sell-out). 4 Siehe hierzu auch BaFin Jahresbericht 2003 ff. Überblick über die Praxis seit Inkrafttreten des WpÜG bei Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 1; Krause, NJW 2004, 3681; Fabritius in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, S. 45; Strunk/Behnke in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, S. 81; Lenz, NJW 2003, 2073; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43; Schmidt/Prigge/Suckel, ZBB 2003, 460; Lenz/Linke, AG 2002, 361. 5 Vgl. insbesondere OLG Frankfurt a.M. v. 22.4.2003 – WpÜG-OWi 3/02, ZIP 2003, 2117 = NZG 2003, 638; OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 1/03 – ProSiebenSat.1 I, NZG 2003, 729 = AG 2003, 516; OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 2/03 – Wella I, NZG 2003, 829 = AG 2003, 515; OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, NZG 2003, 1120 = AG 2003, 513; OLG Frankfurt a.M. v. 25.8.2003 – WpÜG 5 und 8/03 – Pixelpark I, ZIP 2003, 1977 = AG 2004, 36; OLG Frankfurt a.M. v. 9.10.2003 – WpÜG 3/03 – ProSiebenSat.1 II, NZG 2004, 243; OLG Frankfurt a.M. v. 9.10.2003 – WpÜG 2/02 – Berliner Effektengesellschaft, NZG 2004, 240; OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a – Pixelpark II, DB 2004, 1718 = AG 2004, 617; OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, NZG 2007, 553; LG München I v. 3.1.2003 – 5 HK O 22225/02 – GAP, BKR 2003, 810; LG München I v. 14.8.2003 – 5 HK O 13413/03 – HVB Real Estate, ZIP 2004, 167; BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03, DB 2004, 1305 = AG 2004, 607. Einen jährlichen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht bietet Weber, NJW 2004, 28, 37 (für 2003); NJW 2004, 3674, 3680 (für 2004); NJW 2005, 3682, 3689 (für 2005); NJW 2006, 3685, 3689 ff. (für 2006); NJW 2007, 3688, 3694 f. (für 2007); NJW 2009, 33, 37 (für 2008); NJW 2010, 274, 278 f. (für 2009); NJW 2011, 273, 278 (für 2010).
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her § 1 Rz. 36), und auf Verschmelzungen, die zu einem Kontrollerwerb bei einer börsenzugelassenen Zielgesellschaft führen (näher § 35 Rz. 139). Erhebliche praktische Bedeutung erlangte auch die Änderung der Verwaltungspraxis der BaFin im Jahr 2006 dahingehend, dass sie künftig von der Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückkaufsangebote der Zielgesellschaft absehe (näher § 2 Rz. 41 f.)1. Darüber hinaus entwickelte die BaFin ein Merkblatt hinsichtlich ihrer Anforderungen an den Zusammenhang zwischen Übernahmeangebot und Kontrollerlangung für eine Befreiung vom Pflichtangebot (näher § 35 Rz. 276 ff.) und gab damit für die Marktteilnehmer eine wichtige Richtschnur vor2. Der BGH konkretisierte in seiner viel beachteten Entscheidung vom 18.9.2006 („WMF“) den Tatbestand der Zurechnung von Stimmrechten bei abgestimmten Verhaltensweisen (sog. acting in concert), in dessen Folge der Gesetzgeber die Vorschrift des § 70 Abs. 2 neu fasste (näher § 30 Rz. 169, 185 f.)3. Die Oberlandesgerichte sicherten die Praxistauglichkeit des übernahmerechtlichen Squeeze-out, indem sie entschieden, dass – wenn überhaupt – eine Widerlegung der Angemessenheitsvermutung für die Abfindung nur unter hohen Voraussetzungen in Betracht kommt (näher § 39a Rz. 83 ff.)4. Hinsichtlich des Verfahrensrechts des WpÜG hat sich gezeigt, dass die vom Gesetzgeber intendierte restriktive Linie in Bezug auf die Beteiligung von Aktionären am aufsichtlichen Verfahren vor der BaFin von der Rechtsprechung nachvollzogen wird (näher § 37 Rz. 95 f.). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich das WpÜG in der Praxis bewährt hat5. Ob 79 Gleiches auch bezüglich der gesetzlichen Regelung sog. feindlicher Übernahmen gilt, die gegen den Willen des Managements der Zielgesellschaft erfolgen, wurde vor einiger Zeit in Zweifel gezogen. Im Kern betrifft die Kritik die seit einigen Jahren vermehrt auftretenden sog. schleichenden Übernahmen. Bei diesen wird durch besondere Gestaltung des Erwerbs- bzw. Angebotsvorgangs eine Kontrollbeteiligung verdeckt bzw. zu den Bieter begünstigenden, aber die Schutzziele des Pflichtangebots unterlaufenden Konditionen aufgebaut6. Der Gesetzgeber hat hierauf bereits durch eine Verschärfung der Meldepflichten im Rahmen des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes reagiert (siehe bereits oben Rz. 68). Die rechtspolitische Diskussion ist allerdings nicht verstummt7.
1 Vgl. Schreiben der BaFin vom 9.8.2006. 2 Merkblatt – Auslegung des § 35 Abs. 3 WpÜG durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 12.7.2007. Abrufbar auf der Website der BaFin (www.bafin.de). 3 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, AG 2006, 883. Siehe hierzu auch Goette, DStR 2006, 2132, 2137 f. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08, AG 2009, 86. Die Widerleglichkeit der Vermutung gänzlich ablehnend OLG Stuttgart v. 5.5.2009 – 20 W 13/08, AG 2009, 707. Anders dagegen noch das LG Frankfurt a.M. v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08, AG 2008, 790. 5 Positive Einschätzung auch bei von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 9, 40; aus der Praxis des Investmentbanking Leithner in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 302; Lenz/Linke, AG 2002, 361; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43; Krause, NJW 2004, 3681, 3688; kritisch demgegenüber (allerdings kurz nach Inkrafttreten des WpÜG) Habersack, ZHR 166 (2002), 619. 6 Vgl. insbesondere das Vorgehen der Schaeffler-Gruppe in Bezug auf Continental AG (2008) sowie der Grupo ACS hinsichtlich Hochtief (2010/2011). 7 So hatten am 27.10.2010 das Land Nordrhein-Westfalen im Bundesrat (vgl. BR-Drucks. 584/2/10) und die SPD-Fraktion im Bundestag (vgl. BT-Drucks. 17/3481) jeweils einen – gescheiterten – Antrag zur Änderung des WpÜG eingebracht, der nach dem Willen der Urheber das „Creeping in“ unter bestimmten Voraussetzungen erschweren bzw. verhindern sollte.
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E. Europäische Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen: Die Übernahmerichtlinie I. Historische Entwicklung bis zur Verabschiedung der Übernahmerichtlinie 1. Vom Pennington-Bericht 1974 bis zum vorläufigen Scheitern 2001 80
Die Bemühungen, europaweit einheitliche Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen zu schaffen, reichen bis in das Jahr 1974 zurück. Den Ausgangspunkt bildet der im Auftrag der Europäischen Kommission von dem britischen Professor Robert Pennington erstellte Bericht über „Übernahmeangebote und andere Angebote“1. Der Bericht enthielt einen Entwurf für eine Übernahmerichtlinie, der sich stark an dem britischen City Code on Takeovers and Mergers aus dem Jahr 1968 orientierte. In den im Anschluss an den Bericht erfolgenden Diskussionen stellte sich jedoch heraus, dass ein Regelungsbedürfnis von den Mitgliedstaaten angesichts der geringen Anzahl und Bedeutung von Übernahmen überwiegend verneint wurde, so dass die Kommission von der Vorlage eines Richtlinienentwurfs zunächst Abstand nahm. Stattdessen beschränkte sie sich darauf, eine die Mitgliedstaaten nicht bindende Empfehlung zu „europäischen Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen“2 zu verabschieden und dort auf den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre und das Erfordernis der Markttransparenz bei Kontrollerwerben hinzuweisen3.
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1985 bekundete die Kommission erstmals formell im Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes ihre Absicht, eine Richtlinie über Übernahmeangebote vorzulegen4. 1987 folgte der Vorentwurf der Richtlinie5, 1989 ein erster Vorschlag für eine Dreizehnte Richtlinie über Übernahmeangebote6 und 1990 ein überarbeiteter Richtlinienvorschlag7. Alle Vorschläge wiesen eine erhebliche Regulierungsdichte auf, was bei zahlreichen Mitgliedstaaten zu negativen Reaktionen führte. Darüber hinaus wurde wiederum grundsätzlich das Erfordernis einer Richtlinie in Frage gestellt. Auch in Deutschland stießen die Entwürfe auf Ablehnung, vor allem im Hinblick auf das in Art. 4 vorgesehene Pflichtangebot, das angesichts der konzernrechtlichen Regelungen (§§ 311 ff. AktG) als überflüssig und unverhältnismäßig angesehen wurde (näher § 35 Rz. 18, 42 ff.). Da sich bei den Beratungen im Rat abzeichnete, dass die 1 Sog. Pennington-Entwurf, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 831; hierzu Behrens, ZGR 1975, 433, und Bess, AG 1976, 169 (Teil I) und 206 (Teil II). 2 Empfehlung der Kommission vom 25.7.1977, ABl. EG Nr. L 212 v. 20.8.1977, S. 37. 3 Vgl. die Nrn. 3. (allgemeiner Grundsatz) sowie 17. und 18. (Einzelregelungen) der Empfehlung; dazu Reul, Gleichbehandlung, S. 6 f. 4 Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Europäischen Rat – Vollendung des Binnenmarktes –, KOM (85) 310 endg., EG-Dok. 7674/85; abgedruckt als BR-Drucks. 289/85, siehe dort 85 B, S. 34 Rz. 139. 5 EG-Kom.-Dok. XV/63/87-DE rev. 1; dazu Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 184. 6 ABl. EG Nr. C 64 v. 14.3.1989, S. 8; auch abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 935. Hierzu u.a. Baums, ZIP 1989, 1376; Grunewald, WM 1989, 1233; Stoll, BB 1989, 1489; Hommelhoff/Kleindiek, AG 1990, 106; Mertens, AG 1990, 252; Hopt in FS Rittner, 1991, S. 187, 195 ff.; Peltzer in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 179, 180 ff., dort auch mit einer Gegenüberstellung des Pennington-Entwurfs, des Vorentwurfs und des Entwurfs von 1989. 7 ABl. EG Nr. C 240 v. 26.9.1990, S. 7; auch abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 946. Hierzu u.a. Grunewald, WM 1991, 1361; Krause, Übernahmeangebot, S. 29 ff.
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erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht zustande kommen würde, wurden die Verhandlungen im Juni 1991 ausgesetzt. Am 8.2.1996 veröffentlichte die Kommission erneut einen überarbeiteten Richtlini- 82 enentwurf1. Nachdem der Wirtschafts- und Sozialausschuss2 eine befürwortende Stellungnahme abgegeben und das Europäische Parlament3 den Entwurf zwar grundsätzlich begrüßt, aber zahlreiche Änderungen vorgeschlagen hatte, legte die Kommission am 10.11.1997 unter Berücksichtigung eines Großteils der Änderungswünsche einen Geänderten Vorschlag für eine Dreizehnte Richtlinie4 vor. Im Gegensatz zu den bisherigen Entwürfen sahen die neuen Vorschläge nur noch eine „Rahmenrichtlinie“5 vor, die sich auf einige grundsätzliche Bestimmungen und eine begrenzte Anzahl allgemeiner Anforderungen beschränkte, die im jeweiligen nationalen Recht konkretisiert werden sollten. Den Mitgliedstaaten wurde ein weiter Handlungsspielraum bei Umsetzung der Richtlinienvorgaben eingeräumt. Unter anderem wurde ihnen ermöglicht, statt eines Pflichtangebots auch „andere geeignete und mindestens gleichwertige Vorkehrungen zum Schutz der Minderheitsaktionäre“ vorzusehen (Art. 3 Abs. 1). Die letztgenannte Regelung zielte auf das deutsche Konzernrecht ab und sollte Deutschland dazu bewegen, der Verabschiedung der Richtlinie zuzustimmen. Nach intensiven, sehr kontroversen Beratungen 1998 und in der ersten Jahreshälfte 83 1999 wurde am 21.6.1999 unter deutscher Ratspräsidentschaft eine politische Einigung erzielt, der mit einjähriger Verzögerung6 die Verabschiedung eines Gemeinsamen Standpunktes7 durch den Ministerrat am 19.6.2000 nachfolgte. Kernbestandteil des weiterhin als Rahmenrichtlinie konzipierten Gemeinsamen Standpunktes war zum einen das Pflichtangebot (Art. 5), wobei die Bestimmung der Kontrollschwelle den Mitgliedstaaten überlassen wurde. Nicht mehr enthalten war die Möglichkeit alternativer Schutzvorschriften, nachdem unter deutscher Ratspräsidentschaft die Forderung nach einer dauerhaften Anerkennung des deutschen Konzernrechts als einer gleichwertigen Alternative zum Pflichtangebot fallen gelassen worden war (näher § 35 Rz. 18, 42 ff.). Zum anderen sah der Gemeinsame Standpunkt eine – häufig als Neutralitätspflicht (besser: Vereitelungsverbot) bezeichnete – 1 ABl. EG Nr. C 162 v. 6.6.1996, S. 5; auch abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 977. Hierzu u.a. Krause, AG 1996, 209; Neye, DB 1996, 1121; Roos, WM 1996, 2117; Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 379 ff.; Peltzer, AG 1997, 145. 2 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 12.6.1996, ABl. EG Nr. C 295 v. 7.10.1996, S. 1. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 26.6.1997, ABl. EG Nr. C 222 v. 21.7.1997, S. 20. 4 ABl. EG Nr. C 378 v. 13.12.1997, S. 10; auch abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 983. Hierzu u.a. Habersack/Mayer, ZIP 1997, 2141; Hopt in FS Zöllner, 1998, S. 253, 255 ff.; Weber, EuZW 1998, 464; Witt, EWS 1998, 318; Monti in von Rosen/Seifert, Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 15; Mülbert, IStR 1999, 83. 5 Kritisch zu dem Konzept einer Rahmenrichtlinie Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 380 f. und Roos, WM 1996, 2177, 2187 f. 6 Hintergrund für die Verzögerung war ein Streit zwischen dem Vereinigten Königreich und Spanien über die zuständige Aufsichtsbehörde bei Unternehmensübernahmen von Gesellschaften mit Sitz in Gibraltar, vgl. hierzu Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 5; Neye, ZIP 2001, 1120, 1121. 7 ABl. EG Nr. C 23 v. 24.1.2001, S. 1; auch abgedruckt bei Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 32 ff. und Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 995 ff. Hierzu eingehend Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 4 ff., siehe ferner Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 63 ff.; Krause, NZG 2000, 905; Neye, AG 2000, 289 f.; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 60.
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weitgehende Verpflichtung des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans einer Zielgesellschaft vor, Abwehrmaßnahmen während eines Übernahmangebots zu unterlassen (Art. 9). Danach waren grundsätzlich nur solche Abwehrmaßnahmen zulässig, zu denen die Hauptversammlung die oben genannten Organe während des Angebotsverfahrens ermächtigt hatte. Eine Ausnahme bestand nur für die Suche nach einem konkurrierenden Bieter und für die Durchführung von Kapitalerhöhungen unter Wahrung des Bezugsrechts, sofern der zu Grunde liegende Hauptversammlungsbeschluss innerhalb der letzten 18 Monate vor Beginn der Annahmefrist des Angebots gefasst wurde. Sämtliche früheren Richtlinienentwürfe hatten ebenfalls ein Vereitelungsverbot, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, vorgesehen. 84
An die Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunktes schloss sich eine Diskussion im Europäischen Parlament an, das im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG-Vertrag (entspricht im Wesentlichen dem heutigen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV) zu beteiligen war. Die Diskussion wurde maßgeblich beeinflusst von dem Berichterstatter des federführenden Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, dem deutschen Abgeordneten Klaus-Heiner Lehne. Sie entzündete sich vor allem an dem Vereitelungsverbot und erfolgte – nicht nur in Deutschland – unter dem noch frischen Eindruck der Übernahme der Mannesmann AG durch die britische Vodafone AirTouch plc im Winter 1999/2000. Da das Vereitelungsverbot nur bestimmte Abwehrmaßnahmen erfasste, während teilweise in der EU verbreitete andere Übernahmehemmnisse, wie z.B. Höchst- und Mehrstimmrechte sowie golden shares (hierzu unten Rz. 96 ff.), unangetastet blieben, und die Regelung zudem nur auf EU-Unternehmen Anwendung finden konnte, wurde ein fehlendes level playing field innerhalb der EU und im Verhältnis zu Drittstaaten, insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika, beanstandet. Weitere Kritikpunkte betrafen u.a. die aus Sicht des Europäischen Parlaments unzureichende Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen sowie die fehlende Harmonisierung im Hinblick auf die Möglichkeit des Ausschlusses von Minderheitsaktionären (Squeezeout). Auf Grundlage des Berichts des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt beschloss das Europäische Parlament daher in Zweiter Lesung am 13.12.2000 15 teilweise sehr weit gehende Abänderungen des Gemeinsamen Standpunktes1. Diese sahen unter anderem erheblich weitere Spielräume des Managements einer Zielgesellschaft bei Abwehrmaßnahmen, eine stärkere Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen und eine Regelung zum Squeeze-out vor. Insbesondere die erstgenannte Forderung hatte sich mittlerweile auch die Bundesregierung zu eigen gemacht.
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Da der Rat nicht bereit war, alle Abänderungen des Europäischen Parlaments zu billigen, war gemäß Art. 251 Abs. 3 Satz 2 EG-Vertrag (vgl. Art. 294 Abs. 8 lit. b) AEUV) der Vermittlungsausschuss einzuberufen. In den nun stattfindenden Verhandlungen zwischen Mitgliedern des Rates und des Europäischen Parlaments, die unter Beteiligung der Kommission erfolgten, konnte zu zahlreichen Themen eine Einigung erzielt werden; hoch umstritten blieb allerdings weiterhin das Vereitelungsverbot. Durch taktische Winkelzüge2 gelang es, in der entscheidenden letzten Sitzung des Vermittlungsausschusses die Zahl der Kritiker des Vereitelungsverbots gering zu halten, und am 6.6.2001 mehrheitlich einen Kompromiss3 zu verabschieden. Dieser sah 1 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments, ABl. EG Nr. C 232 v. 17.8.2001, S. 168; auch abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 1015. 2 Hierzu Lehne in Hirte (Hrsg.), WpÜG, S. 33, 34 f.; Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 35. 3 Abgedruckt bei Pötzsch, Übernahmerecht, S. 342, und in ZIP 2001, 1120 m. Anm. Neye.
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vor, das Vereitelungsverbot im Wesentlichen unverändert beizubehalten und nur für die Fortsetzung bereits eingeschlagener Unternehmensstrategien zu lockern. Im Übrigen wurden die Informationsrechte der Arbeitnehmer, wie vom Europäischen Parlament gefordert, gestärkt. Zudem sagte die Kommission zu, eine Gruppe von Gesellschaftsrechtsexperten einzusetzen, die sich mit der Problematik des Squeeze-out, der Gleichbehandlung der Aktionäre unter Berücksichtigung von Höchst- und Mehrstimmrechten und golden shares sowie der Bestimmung der Gegenleistung bei Pflichtangeboten befassen sollte. Zur Annahme der Richtlinie bedurfte es gemäß Art. 251 Abs. 5 Satz 1 EG-Vertrag 86 (vgl. Art. 294 Abs. 13 Satz 1 AEUV) nunmehr noch der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rates zu dem Kompromiss. Die Aussprache im Europäischen Parlament am 3.7.2001 offenbarte, dass die Auffassungen zum Vereitelungsverbot unverändert auseinander gingen. In der Abstimmung am 4.7.2001 wurde die erforderliche Mehrheit nicht erreicht: Die Richtlinie scheiterte mit der denkbar knappsten Stimmenzahl von 273:273 bei 22 Enthaltungen1. Damit votierte das Europäische Parlament erstmals in seiner Geschichte gegen einen im Vermittlungsverfahren gefundenen Kompromiss. 2. Vom Winter-Bericht 2002 bis zur Verabschiedung 2004 Trotz des erneuten Scheiterns der Bemühungen um eine Übernahmerichtlinie hielt 87 die Kommission weiterhin an ihrem Ziel fest, eine Richtlinie zu erlassen. Wie bereits während des Vermittlungsverfahrens angekündigt, beauftragte sie umgehend eine „Hochrangige Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“ unter Vorsitz des niederländischen Gesellschaftsrechtlers Jaap Winter (sog. Winter-Kommission2) damit, die erforderlichen Rahmenbedingungen für europäische Unternehmensübernahmen zu untersuchen. Am 10.1.2002 legte die Winter-Kommission ihren Bericht über die Abwicklung von 88 Unternehmensübernahmen3 vor, in dem sie eingehend zu dem Erfordernis eines level playing field, zur Bestimmung der Gegenleistung bei Pflichtangeboten sowie zur Einführung einer Squeeze-out-Regelung Stellung nahm. Die Winter-Kommission war der Auffassung, zur Schaffung eines level playing field 89 bei Unternehmensübernahmen seien zwei Grundsätze essenziell. Zum einen müsse die Entscheidung über die Annahme eines Übernahmeangebots bei den Aktionären verbleiben. Danach seien Abwehrmaßnahmen des Managements einer Zielgesellschaft nur zulässig, wenn sie auf Grundlage einer Ermächtigung der Hauptversammlung erfolgten, die erst nach Ankündigung des Angebots erteilt worden sei. Vorratsbeschlüsse böten keine hinreichende Grundlage4. Insoweit bestätigte der Vorschlag das bislang in den Richtlinienentwürfen enthaltene Vereitelungsverbot – und verschärfte dieses gegenüber dem zuletzt diskutierten Richtlinienvorschlag noch, der 1 Hierzu Lehne in Hirte (Hrsg.), WpÜG, S. 33, 34 f.; Zinser, WM 2002, 15; Krause, BörsenZeitung v. 10.7.2001, S. 10. 2 Weitere Mitglieder der Expertengruppe waren: Jan Schans Christensen (Dänemark), José Maria Garrido Garcia (Spanien), Klaus J. Hopt (Deutschland), Jonathan Rickford (Vereinigtes Königreich), Guido Rossi (Italien) und Joëlle Simon (Frankreich). 3 Abrufbar im Internet unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/takeover bids/2002-01-hlg-report_de.pdf. Abdruck der Zusammenfassung der Ausführungen und Empfehlungen der Expertengruppe bei Pötzsch, Übernahmerecht, S. 358 ff. 4 Näher Winter-Bericht, S. 22 ff., 30 ff.
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zumindest eine Ausnahme für die Durchführung von Kapitalerhöhungen unter Wahrung des Bezugsrechts auf der Basis eines Hauptversammlungsbeschlusses vorgesehen hatte, sofern der Beschluss innerhalb der letzten 18 Monate vor Beginn der Annahmefrist des Angebots gefasst worden war. 90
Zum anderen müssten, so die Winter-Kommission, Kontrollrechte an einem Unternehmen und Unternehmensrisiko, das durch Gesellschaftsanteile vermittelt werde, die ein uneingeschränktes Recht auf Beteiligung an den Unternehmensgewinnen oder am Liquidationserlös vermittelten (sog. risikotragendes Kapital), korrespondieren (Proportionalitätsprinzip). Der hier zum Ausdruck kommende Gedanke „one share, one vote“ sei in zweifacher Hinsicht bei Übernahmen zu verwirklichen: Erstens sollten bei der Entscheidung der Hauptversammlung über Abwehrmaßnahmen Höchst- und Mehrstimmrechte wirkungslos werden und Vorzugsaktien und Genussrechte ein Stimmrecht erhalten. Zweitens solle es einem Bieter, der auf Grund des Angebots eine bestimmte Schwelle erreiche, die maximal 75 % des risikotragenden Kapitals betragen dürfe, ermöglicht werden, in der Satzung der Zielgesellschaft verankerte Regelungen, die der Ausübung der Kontrolle durch den Bieter in Höhe seines risikotragenden Kapitals entgegenstünden, z.B. Stimmrechtsbeschränkungen oder Mehrstimmrechte, ohne Entschädigungspflicht außer Kraft zu setzen (Durchgriffsregel, auch Durchbruchsregel genannt)1. Nicht erfasst werden von der Regelung sollten – sofern gemeinschaftsrechtlich zulässig – golden shares, die den Grundsätzen des öffentlichen Rechts unterlägen, d.h. deren Basis eine gesetzliche Grundlage sei2.
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Die Winter-Kommission empfahl darüber hinaus, börsennotierte Gesellschaften zu verpflichten, ihre Kapital- und Kontrollstrukturen regelmäßig in konsolidierter Form offen zu legen3.
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Im Bezug auf Pflichtangebote regte die Winter-Kommission u.a. an, eine Regelung einzuführen, nach der der Preis der anzubietenden Gegenleistung sich grundsätzlich nach dem höchsten Preis bestimme, den der Bieter innerhalb eines von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraums zwischen sechs und zwölf Monaten für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft bezahlt habe4.
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Schließlich empfahl die Winter-Kommission, eine Regelung in die Richtlinie aufzunehmen, die einen Ausschluss von Minderheitsaktionären nach einem Übernahmeangebot ermögliche. Die für einen solchen Squeeze-out maßgebliche Schwelle solle zwischen 90 und 95 % des Grundkapitals betragen. Als Alternative käme in Betracht, einen Squeeze-out für den Fall einer Annahme des vorausgegangenen Übernahmeangebots durch Aktionäre, die mindestens 90 % des Aktienkapitals halten, das Gegenstand des Angebots war, zu ermöglichen. Das Ausschlussrecht solle flankiert werden durch ein Austrittsrecht der Minderheitsaktionäre, sofern ein Großaktionär die für den Squeeze-out maßgebliche Schwelle erreicht habe (Sell-out)5.
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Am 2.10.2002 legte die Kommission einen neuen Richtlinienvorschlag6 vor. Dieser übernahm in weiten Bereichen Anregungen der Winter-Kommission, etwa hinsicht1 2 3 4 5 6
Näher Winter-Bericht, S. 24 f., 32 ff. Näher Winter-Bericht, S. 38 f. Näher Winter-Bericht, S. 28 f. Näher Winter-Bericht, S. 58 ff. Näher Winter-Bericht, S. 70 ff. ABl. EG Nr. C 45 E v. 25.2.2003, S. 1, auch abgedruckt als BR-Drucks. 800/02 und in ZIP 2002, 1863; hierzu Krause, BB 2002, 2341; Kallmeyer, DB 2002, 2695; Neye, NZG 2002, 1144; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193; Wiesner, ZIP 2002, 1967; Arnold, BB 2003, 267; Lehne/
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lich der Gegenleistung bei Pflichtangeboten (Art. 5), der Verpflichtung zur periodischen Offenlegung von Kapital- und Kontrollstrukturen (Art. 10) sowie der Einführung eines Squeeze-out (Art. 14) und Sell-out (Art. 15). Auch im Hinblick auf die im Winter-Bericht behandelte Problematik des level playing field folgte der Entwurf den Empfehlungen – jedenfalls im Ansatz: So enthielt der Entwurf (wiederum) ein weit gehendes Vereitelungsverbot (Art. 9). Auch das vorgeschlagene Proportionalitätsprinzip und die Durchgriffsregel fanden ihren Niederschlag in dem Entwurf (Art. 11 Abs. 2 bis 4): Danach war vorgesehen, dass bei Übernahmeangeboten in der Satzung verankerte oder vertraglich zwischen der Zielgesellschaft und Wertpapierinhabern oder Wertpapierinhabern untereinander vereinbarte Übertragungsbeschränkungen nicht gegenüber dem Bieter gelten. Zudem wurden in der Satzung verankerte oder vertraglich zwischen der Zielgesellschaft und Wertpapierinhabern oder Wertpapierinhabern untereinander vereinbarte Stimmrechtsbeschränkungen bei der Entscheidung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft über Abwehrmaßnahmen für wirkungslos erklärt. Schließlich war vorgesehen, dass gegenüber Bietern, die nach einem Angebot über eine Beteiligung verfügen, die eine Satzungsänderung ermöglicht, die oben genannten Übertragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen sowie Rechte von Gesellschaftern zur Ernennung und Abberufung von Mitgliedern der Geschäftsleitung in der ersten Hauptversammlung nach Angebotsschluss keine Wirkung entfalten.
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Der Entwurf blieb bei der Verwirklichung des level playing field jedoch auf halber 96 Strecke stehen: Gerade die in Skandinavien und Frankreich weit verbreiteten Doppel- und Mehrstimmrechte wurden von den Regelungen des Art. 11 nicht erfasst. Begründet wurde die überraschende legislatorische Enthaltsamkeit in diesem Bereich mit verfassungsrechtlichen Problemen im Falle einer Aufhebung solcher Rechte und mit dem nicht nachvollziehbaren Hinweis, ihre übernahmeverhindernde Wirkung sei nicht bewiesen1, was im Widerspruch zu den eindeutigen Aussagen des von der Kommission selbst initiierten Winter-Berichts stand2. Tatsächlich ging es der Kommission wohl eher darum, eine qualifizierte Mehrheit in den Mitgliedstaaten zu gewinnen, um die Richtlinie – ggf. auch gegen den Willen Deutschlands – verabschieden lassen zu können3. In Deutschland wurde der vorgelegte Entwurf von der Bundesregierung ablehnend aufgenommen4, was nicht weiter überraschte, da er erneut das Ziel verfehlte, einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Ablehnung des neuen Entwurfs stieß auf breite Zustimmung5. Bei den Ratsverhandlungen in Brüssel zeigte sich bald, dass auch andere Mitgliedstaaten nicht unerhebliche Bedenken gegen den Entwurf hatten. Bestätigt wurden diese Bedenken durch ein im Auftrag des Europäischen Par-
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Haak, Der Konzern 2003, 163; Dauner-Lieb/Lamandini, BB 2003, 265; Dauner-Lieb/Lamandini, Der Konzern 2003, 168; Zinser, EuZW 2003, 10; Zinser, ZRP 2002, 78. Begründung der Kommission zu Artikel 11 des Entwurfs; ABl. EG Nr. C 45 E v. 25.2.2003, S. 1, 7. Winter-Bericht, S. 85. Neye, NZG 2002, 1144, 1145. Vgl. Presseerklärung Nr. 507 der Bundesregierung vom 2.10.2002. Vgl. Gemeinsame Stellungnahme des Bundesverbandes der deutschen Industrie, des Bundesverbandes deutscher Banken, der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände, des deutschen Industrie- und Handelstages und des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft für Fragen des Übernahmerechts zum Kommissionsvorschlag für eine neue Übernahmerichtlinie vom 26.11.2002; Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 4.12.2002. Siehe ferner Wiesner, ZIP 2002, 208; Wiesner, ZIP 2002, 1967.
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laments erstelltes Gutachten der Professoren Barbara Dauner-Lieb und Marco Lamandini vom 9.12.2002, in dem diese die Einbeziehung von Mehrstimmrechten in die Regelungen zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen forderten1. 98
Bei den folgenden Verhandlungen im Rat und in Diskussionen mit dem Europäischen Parlament zeichnete sich jedoch ab, dass keine der bis dahin angedachten möglichen Lösungen (u.a. Einbeziehung von Mehrstimmrechten in die Durchgriffsregel, Lockerung des Vereitelungsverbots, komplette Streichung der Regelungen über das Vereitelungsverbot und die Durchgriffsregel) die für eine Verabschiedung erforderliche Unterstützung fand. In dieser Situation schlug die italienische Ratspräsidentschaft einen Kompromiss vor, der auf Überlegungen der vorhergehenden portugiesischen Ratspräsidentschaft zurückging. Dieser sah vor, Mehrstimmrechte2 in die Richtlinienregelungen einzubeziehen und deren Inhabern nur ein einfaches Stimmrecht bei der Entscheidung der Hauptversammlung über Abwehrmaßnahmen sowie – wenn ein Bieter nach einem Angebot über mindestens 75 % des stimmberechtigten Kapitals verfügte – in der ersten Hauptversammlung nach Angebotsschluss zuzugestehen. Zugleich wurde das Außerkraftsetzen vertraglich vereinbarter Stimmrechtsund Übertragungsbeschränkungen auf nach Annahme der Richtlinie geschlossene Vereinbarungen beschränkt. Hinzu trat ein zweistufiges Optionsmodell: Dieses sah ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten vor, von der Umsetzung des Vereitelungsverbots und der Durchgriffsregel abzusehen (opt out). Mitgliedstaaten, die von diesem Recht Gebrauch machten, mussten jedoch den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet die Möglichkeit eröffnen, sich den Beschränkungen der Richtlinie durch Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit individuell zu unterwerfen und sich ggf. von diesen Beschränkungen auch wieder zu lösen (opt in).
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Der Vorschlag stieß sowohl bei den Mitgliedstaaten als auch im Europäischen Parlament auf positive Resonanz, wurde jedoch von der Kommission als unakzeptabel zurückgewiesen. Dennoch erzielte der Ministerrat am 27.11.2003 mit 14 Stimmen bei Enthaltung Spaniens, das sachfremde Zugeständnisse beim Europäischen Patent forderte, eine politische Einigung über die Richtlinie auf Basis des italienischen Vorschlags. Da diese Einigung ohne Gegenstimme erfolgte, war klar, dass eine Zustimmung der Kommission zu dem geänderten Richtlinienentwurf nicht mehr erforderlich sein würde (Art. 250 Abs. 1 EG-Vertrag; vgl. Art. 293 Abs. 1 AEUV).
100 Am 16.12.2003 nahm das Europäische Parlament auf Empfehlung des federführenden Ausschusses für Recht und Binnenmarkt mit 321 zu 219 Stimmen bei 9 Enthaltungen den Richtlinienvorschlag mit den im Ministerrat konsentierten Änderungen an. 101 Die formelle Verabschiedung durch den Ministerrat erfolgte am 30.3.2004; die Entscheidung erging einstimmig. Am 20.5.2004 trat die Richtlinie in Kraft3.
1 Dauner-Lieb/Lamandini, Gutachten Nr. 5.1; Dauner-Lieb/Lamandini, BB 2003, 265, 267; ebenso Arnold, Der Konzern 2003, 173, 174 ff. 2 Nicht jedoch Doppelstimmrechte in der Ausgestaltung nach französischem Recht: Dort entsteht das Doppelstimmrecht nach Ablauf einer bestimmten Mindesthaltefrist bei sämtlichen ausgegebenen Aktien; es besteht daher keine „gesonderte und eigene Gattung“ im Sinne der Definition von „Wertpapieren mit Mehrfachstimmrechten“ nach Art. 2 Abs. 1 lit. g) Übernahmerichtlinie. 3 Art. 22 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12.
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II. Die Übernahmerichtlinie 1. Inhalt der Übernahmerichtlinie Ziel der Übernahmerichtlinie ist es, eine flexible Rahmenregelung (Erwägungsgrün- 102 de 6, 26) zu schaffen, die dem Schutz der Interessen der Aktionäre bei Übernahmeangeboten und Kontrollerwerben1 dient (Erwägungsgrund 2). Ferner soll durch die Festlegung von Mindestvorgaben bei der Abwicklung von Übernahmeangeboten gemeinschaftsweit Klarheit und Transparenz geschaffen werden (Erwägungsgründe 3, 25). Der Anwendungsbereich der Übernahmerichtlinie erfasst gemäß Art. 1 Abs. 1 Über- 103 nahme- und Pflichtangebote (nicht: einfache Erwerbsangebote) für Wertpapiere von Zielgesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen. Voraussetzung ist, dass die Wertpapiere dieser Gesellschaften ganz oder zum Teil zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie2 in mindestens einem Mitgliedstaat zugelassen sind. Vom Anwendungsbereich nicht erfasst werden gemäß Art. 1 Abs. 2 und 3 Angebote auf von Investmentfondsgesellschaften und Zentralbanken ausgegebene Wertpapiere. Art. 2 enthält Begriffsbestimmungen. Definiert werden die Begriffe „(Übernah- 104 me-)Angebot“ (Art. 2 Abs. 1 lit. a)), „Zielgesellschaft“ (Art. 2 Abs. 1 lit. b)), „Bieter“ (Art. 2 Abs. 1 lit. c)), „gemeinsam handelnde Personen“ (Art. 2 Abs. 1 lit. d)), Abs. 2), „Wertpapier“ (Art. 2 Abs. 1 lit. e)), „Wertpapier mit Mehrfachstimmrecht“ (Art. 2 Abs. 1 lit. g)) und „Parteien des Angebots“ (Art. 2 Abs. 1 lit. f)). Besonders herauszuheben ist die Definition der Wertpapiere: Hierunter werden „übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in der Gesellschaft verleihen“, d.h. stimmberechtigte Aktien, verstanden. Im Anschluss hieran folgen in Art. 3 einige „allgemeine Grundsätze“. Zu diesen gehören die Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 lit. a)), das Transparenzprinzip (Art. 3 Abs. 1 lit. b)), die Verpflichtung des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft auf das Gesellschaftsinteresse und das Verbot, den Aktionären die Möglichkeit vorzuenthalten, Angebote selbst zu beurteilen (Art. 3 Abs. 1 lit. c)), die Vermeidung von Marktverzerrungen (Art. 3 Abs. 1 lit. d)), die Sicherstellung der Finanzierung (Art. 3 Abs. 1 lit. e)) und der Grundsatz, dass Zielgesellschaften durch Übernahmeangebote nicht unangemessen lang in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden sollen (Art. 3 Abs. 1 lit. f)). Die Mitgliedstaaten werden ferner ausdrücklich ermächtigt, über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinausgehend zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen im nationalen Recht vorzusehen (Art. 3 Abs. 2 lit. b)).
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Art. 4 enthält Regelungen zur Aufsicht und zum anwendbaren Recht bei Übernah- 106 men mit grenzüberschreitendem Bezug. Aufsichtsstelle kann danach eine Behörde oder eine staatlich anerkannte private Einrichtung sein (Art. 4 Abs. 1). Für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig ist grundsätzlich die Aufsichtsstelle in dem Mitgliedstaat, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, wenn deren Aktien 1 Der in Erwägungsgrund 2 verwendete Begriff des Kontrollwechsels ist insofern missverständlich, als die Übernahmerichtlinie auch den Fall der erstmaligen Kontrollerlangung erfasst und für beide Fallgruppen ein Pflichtangebot statuiert, vgl. Art. 5 Abs. 1. 2 Richtlinie 93/22/EWG des Rates über Wertpapierdienstleistungen vom 10.5.1993, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27, zuletzt geändert durch Art. 27 der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2002, ABl. EG Nr. L 35 v. 11.2.2003, S. 1.
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dort an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind (Art. 4 Abs. 2 lit. a)). Sind die Aktien nicht im Mitgliedstaat des Sitzes der Gesellschaft, aber in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten zugelassen, ist die Aufsichtsstelle zuständig, in deren Land die Aktien (zuerst) zugelassen wurden (Art. 4 Abs. 2 lit. b)). Bei gleichzeitiger Zulassung in mehreren Mitgliedstaaten hat die Gesellschaft am ersten Handelstag die zuständige Aufsichtsstelle zu bestimmen; für Altfälle gilt eine Sonderregelung (Art. 4 Abs. 2 lit. c)). Für die Fälle, in denen die Aktien nicht in dem Mitgliedstaat des Sitzes der Zielgesellschaft zugelassen sind (Art. 4 Abs. 2 lit. b) und c)), enthält die Richtlinie auch Vorgaben zum anwendbaren Recht. Danach gilt für Fragen betreffend die Gegenleistung, insbesondere den Preis, und das Angebotsverfahren das Recht des Mitgliedstaates der zuständigen Aufsichtsstelle. Für Fragen der Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft und für gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere betreffend die Kontrollschwelle, für von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots abweichende Regelungen und für die Bedingungen, unter denen Abwehrmaßnahmen getroffen werden können, gelten die Vorschriften des Sitzmitgliedstaates der Zielgesellschaft (Art. 4 Abs. 2 lit. e)); siehe zum Ganzen näher § 1 Rz. 9 ff. Weitere Regelungen in Art. 4 betreffen einzelne Aspekte aufsichtlicher Tätigkeit, namentlich Fragen des Berufsgeheimnisses (Art. 4 Abs. 3), der Zusammenarbeit der Aufsichtsstellen (Art. 4 Abs. 4), deren Befugnisse (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1) sowie das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren (Art. 4 Abs. 6). 107 Dem Ziel, eine flexible Rahmenregelung zu schaffen (siehe oben Rz. 102), trägt Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 Rechnung: Danach wird den Mitgliedstaaten ermöglicht, von den Richtlinienvorgaben abzuweichen, sofern dabei die allgemeinen Grundsätze des Art. 3 Abs. 1 eingehalten werden. Zulässig ist hier sowohl der Erlass entsprechender Ausnahmevorschriften als auch die Ermächtigung der Aufsichtsstellen, solche Ausnahmen zuzulassen. 108 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Falle des unmittelbaren oder mittelbaren Erwerbs der Kontrolle über eine Gesellschaft ein Pflichtangebot vorzusehen. Bestehende kontrollierende Beteiligungen lösen kein Pflichtangebot aus (Erwägungsgrund 10). Die Bestimmung der Kontrollschwelle und die Art der Berechnung der Stimmrechtsanteile bleiben gemäß Art. 5 Abs. 3 dem Mitgliedstaat überlassen, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 hat das Angebot als Vollangebot zu einem angemessenen Preis zu erfolgen. Art. 5 Abs. 4 und 5 enthalten detaillierte Vorgaben hinsichtlich Art und Höhe der vom Bieter zu erbringenden Gegenleistung. Danach hat der angebotene Preis grundsätzlich mindestens dem höchsten Preis zu entsprechen, den der Bieter oder gemeinsam mit ihm handelnde Personen während eines Zeitraums von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten (nach Wahl der Mitgliedstaaten) vor dem Angebot für die Aktien der Zielgesellschaft gezahlt haben. Als Gegenleistung können grundsätzlich liquide, an einem geregelten Markt in der EU zugelassene Aktien, eine Geldleistung oder eine Kombination aus beidem angeboten werden; die Mitgliedstaaten können jedoch vorschreiben, dass stets eine Geldleistung angeboten werden muss. Nach Art. 5 Abs. 6 können die Mitgliedstaaten zusätzlich zum Pflichtangebot weitere Schutzmechanismen zugunsten der Aktionäre vorsehen. Ein Pflichtangebot ist gemäß Art. 5 Abs. 2 entbehrlich, wenn die Kontrolle auf Grund eines freiwilligen Übernahmeangebots erlangt wurde, das „im Einklang mit der Richtlinie“ allen Aktionären für alle ihre Aktien unterbreitet worden ist (näher zum Ganzen § 35 Rz. 18 ff.). 109 Art. 6 und 8 schreiben umfangreiche Informationspflichten vor und regeln die Bekanntmachung des Angebots. Die maßgeblichen Eckpfeiler sind: Pflicht zur unver-
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züglichen Bekanntmachung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (Art. 6 Abs. 1), Erstellung und Bekanntmachung einer Angebotsunterlage, deren Inhalt von der Richtlinie detailliert vorgegeben wird und im Komitologieverfahren nach Art. 18 Abs. 2 (siehe hierzu auch unten Rz. 125) noch weiter konkretisiert werden kann (Art. 6 Abs. 2 bis 4), und Sicherstellung EU-weiter Markttransparenz und -integrität bei der Bekanntmachung (Art. 8). Besonders hervorgehoben wird dabei die Verpflichtung, auch die Arbeitnehmervertreter oder – in Ermangelung solcher Vertreter – unmittelbar die Arbeitnehmer sowohl der Ziel- als auch der Bietergesellschaft zu unterrichten (Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 3, Art. 8 Abs. 2). Nach Art. 7 Abs. 1 beträgt die Annahmefrist für Angebote grundsätzlich zwischen 2 und 10 Wochen. Mitgliedstaaten können die Frist verlängern, sofern der Bieter seine Absicht zur Schließung des Angebots 2 Wochen vor Ablauf der Frist bekannt gibt. Weitere Ausnahmen sind nach Art. 7 Abs. 2 möglich.
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Art. 9 enthält das während der Richtlinienverhandlungen hochumstrittene Vereite- 111 lungsverbot. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 muss das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft, das über die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots informiert worden ist, die vorherige und zu diesem Zweck erteilte Ermächtigung der Hauptversammlung einholen, bevor es Maßnahmen ergreift, durch die das Angebot vereitelt werden könnte. Unter Leitungs- und Verwaltungsorgan ist hier gemäß Art. 9 Abs. 6 der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zu verstehen. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 legt Beginn und Ende des Vereitelungsverbots fest. Gemäß Art. 9 Abs. 4 können Mitgliedstaaten Vorschriften vorsehen, die die kurzfristige Einberufung einer Hauptversammlung zur Entscheidung über Abwehrmaßnahmen ermöglichen; dabei darf die Ladungsfrist zwei Wochen nicht unterschreiten. Das Vereitelungsverbot wird von zwei Ausnahmen durchbrochen. Zulässig ist gemäß 112 Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 die Suche nach einem konkurrierenden Angebot. Aus einem Umkehrschluss zu Art. 9 Abs. 3 ergibt sich, dass zudem Maßnahmen zulässig sind, die innerhalb des „normalen Geschäftsverlaufs“ der Gesellschaft liegen, wenn sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen, die vor Beginn der Geltung des Vereitelungsverbots gefasst wurden und noch nicht oder nicht vollständig umgesetzt worden sind (näher zum Ganzen § 33 Rz. 25 ff.) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft hat gemäß Art. 9 Abs. 5 zu 113 dem Angebot eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu erstellen, zu veröffentlichen, und den Arbeitnehmervertretern bzw. Arbeitnehmern zu übermitteln. In der Stellungnahme ist u.a. auch auf die Auswirkungen des Angebots auf die Interessen der Gesellschaft, insbesondere der Beschäftigung, und auf die strategische Planung des Bieters für die Zielgesellschaft und die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und Standorte einzugehen (näher § 27 Rz. 21 ff.). Art. 10 ordnet die Offenlegung von Übernahmehindernissen an. Um die Vorschriften 114 über den freien Aktienhandel und die freie Stimmrechtsausübung in ihrer Wirkung zu stärken, haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 1 und 2 sicherzustellen, dass börsennotierte Gesellschaften im Lagebericht offen legen, welche Strukturen und Mechanismen der Übernahme und Ausübung der Kontrolle entgegenstehen können. Nach Art. 10 Abs. 3 hat das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Gesellschaft, deren stimmberechtigte Aktien auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Hauptversammlung einen erläuternden Bericht zu den im Lagebericht darzustellenden Strukturen und Mechanismen vorzulegen (näher § 33 Rz. 37 ff.).
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115 Art. 11 enthält die Durchgriffsregel. Zwei Phasen sind hier zu unterscheiden. Die erste Phase ist grundsätzlich mit der Annahmefrist identisch. In diesem Zeitraum sind satzungsmäßige Beschränkungen der Übertragung von Wertpapieren gegenüber dem Bieter unwirksam. Gleiches gilt für Übertragungsbeschränkungen, die auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären der Zielgesellschaft zurückgehen, sofern diese Vereinbarungen nach Annahme der Richtlinie geschlossen worden sind (Art. 11 Abs. 2). Weiterhin entfalten Stimmrechtsbeschränkungen in einer über Abwehrmaßnahmen beschließenden Hauptversammlung keine Wirkung, sofern sie in der Satzung der Zielgesellschaft verankert sind oder auf nach Annahme der Richtlinie geschlossene vertragliche Vereinbarungen zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären der Zielgesellschaft zurückgehen (Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2). Eine Durchbrechung erfolgt nicht, wenn für die Einschränkung des Stimmrechts besondere finanzielle Vorteile gewährt werden (Art. 11 Abs. 6). Schließlich gewähren Mehrstimmrechtsaktien auf einer Hauptversammlung, die über Abwehrmaßnahmen beschließt, nur eine Stimme (Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 3). 116 Die zweite Phase beginnt, wenn der Bieter nach Abschluss des Angebots über 75 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft verfügt. In diesem Fall finden die vorstehend genannten satzungmäßigen oder vertraglichen Übertragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen sowie satzungsmäßige Entsendungsrechte auf der ersten Hauptversammlung nach Abschluss des Angebots, die der Bieter einberuft, keine Anwendung. Auch Mehrstimmrechtsaktien gewähren dort nur eine Stimme (Art. 11 Abs. 4). 117 Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die Inhaber der von der Durchgriffsregel betroffenen Rechte für ihren Verlust angemessen entschädigt werden (Art. 11 Abs. 5). 118 Gemäß Art. 11 Abs. 7 gilt die Durchgriffsregel nicht für Wertpapiere, die von einem Mitgliedstaat gehalten werden und ihm besondere Rechte einräumen (golden shares), sofern diese Rechte mit dem EG-Vertrag vereinbar sind. Sie gilt ferner nicht für Sonderrechte, die nach einzelstaatlichem Recht gewährt werden und mit dem EG-Vertrag vereinbar sind (näher zur Durchgriffsregel § 33b Rz. 1 ff.) 119 Art. 12 enthält das in der Schlussphase der Richtlinienverhandlungen eingeführte Optionsmodell. Hiernach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, von der Umsetzung des Vereitelungsverbots und der Durchgriffsregel abzusehen (opt out, Art. 12 Abs. 1). Mitgliedstaaten, die von diesem Recht Gebrauch machen, müssen den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet jedoch die Möglichkeit eröffnen, sich den Beschränkungen der Richtlinie durch Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit individuell zu unterwerfen und von diesen auch wieder zu lösen (opt in, Art. 12 Abs. 2). Neben dem opt out für die Mitgliedstaaten und dem individuellen opt in für die betroffenen Gesellschaften enthält das Optionsmodell eine Regelung zur Gewährleistung der Gegenseitigkeit (näher zum Ganzen § 33 Rz. 35 f.). 120 Art. 13 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Einzelregelungen zur Hinfälligkeit von Angeboten, zu Angebotsänderungen, konkurrierenden Angeboten, zur Publizität von Angebotsergebnissen, zur Unwiderruflichkeit von Angeboten und zu Bedingungen zu schaffen, überlässt die konkrete Ausgestaltung dieser Regelungen aber den Mitgliedstaaten.
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Art. 14 stellt klar, dass die Übernahmerichtlinie die Vorschriften über die Unterrich- 121 tung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter der Bieter- und Zielgesellschaft und mitbestimmungsrechtliche Regelungen unberührt lässt. Art. 15 regelt den Ausschluss von Minderheitsaktionären im Anschluss an die Über- 122 nahme einer börsenzugelassenen Gesellschaft. Ein solcher Squeeze-out ist innerhalb von 3 Monaten nach Ablauf der Annahmefrist möglich, wenn der Bieter mindestens 90 % (Mitgliedstaaten können den Schwellenwert auf bis zu 95 % anheben) des stimmberechtigten Kapitals erworben hat oder er Aktien erworben hat, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals entsprechen, das Gegenstand des Angebots war (Art. 15 Abs. 2, 4). Für die Art und Höhe der zu gewährenden Abfindung gelten besondere Vorgaben (Art. 15 Abs. 5). Flankiert wird die vorgenannte Regelung durch ein Andienungsrecht (Sell-out) der Minderheitsaktionäre in Art. 16. Danach können die Aktionäre im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen ein Squeeze-out durch den Bieter möglich wäre, von diesem den Erwerb ihrer Aktien zu einem angemessenen Preis verlangen, der den Konditionen bei einem Squeeze-out entspricht.
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Art. 17 enthält die mittlerweile bei Richtlinien übliche Sanktionsklausel.
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Art. 18 überweist technische Durchführungsbestimmungen zu der Richtlinie in ein 125 Komitologieverfahren1 (zur Reform des Verfahrens siehe unten Rz. 129). Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auf Durchführungsbestimmungen zum Inhalt der Angebotsunterlage beschränkt, da nur Art. 6 Abs. 4 auf Art. 18 verweist. Nach Art. 19 wird ein Kontaktausschuss eingesetzt, der die einheitliche Anwendung der Richtlinie gewährleisten und die Kommission erforderlichenfalls im Hinblick auf Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie beraten soll.
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Art. 20 enthält eine Revisionsklausel, nach der die Kommission 5 Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Richtlinie auf Grundlage der bei ihrer Anwendung gewonnenen Erfahrungen überprüft und erforderlichenfalls Änderungen vorschlägt.
127
Art. 21 bis 23 enthalten technische Vorschriften zum Inkrafttreten der Richtlinie (20.5.2004), zur Umsetzungsfrist (20.5.2006) und zum Normadressaten (Mitgliedstaaten).
128
2. Änderungen der Übernahmerichtlinie Das durch die Reform des Komitologieverfahrens im Jahre 2006 eingeführte sog. Regelungsverfahren mit Kontrolle2 wurde per Verordnung (EG) Nr. 219/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.20093 auf die Erarbeitung von Durchführungsvorschriften zum Inhalt der Angebotsunterlage erstreckt, was zu Änderun1 Siehe hierzu Wiesner, ZIP 2004, 343, 348. 2 Vgl. Beschluss Nr. 2006/512/EG: Beschluss des Rates vom 17.7.2006 zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. EG Nr. L v. 22.7.2006, S. 11–13. 3 Verordnung zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Zweiter Teil, ABl. Nr. L 87 v. 31.3.2009, S. 109.
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gen des Art. 6 Abs. 4 sowie des Art. 18 Abs. 2 führte. Durch das Regelungsverfahren mit Kontrolle wurden dem Europäischen Parlament erstmals Mitspracherechte im Zusammenhang mit dem Erlass von Durchführungsbestimmungen eingeräumt. Die Verordnung bewirkte außerdem die Streichung des Art. 18 Abs. 3, der eine zeitliche Befristung der Übertragung der Durchführungsbefugnisse an die Kommission vorsah. 3. Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission und Revision 130 Die Kommission veröffentlichte im Februar 2007 einen Bericht über die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in nationales Recht1. Der Bericht gibt zunächst eine knappe Übersicht über den Stand der Umsetzung. Hiernach hatten nur sieben Mitgliedstaaten die Übernahmerichtlinie fristgerecht (bis zum 20.5.2006) umgesetzt2. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts waren es 17 Mitgliedstaaten3. Zum anderen wird dargestellt, inwiefern die Mitgliedstaaten die ihnen eingeräumten (Umsetzungs-)Spielräume genutzt haben. Der Bericht unterscheidet dabei zwischen der Implementierung von Bestimmungen, die auf die Erleichterung von grenzüberschreitenden Übernahmen abzielen4, und einer solchen von Vorschriften betreffend den Minderheitenschutz5. In ersterer Hinsicht stellt die Kommission fest, dass das strenge Verhinderungsverbot (Art. 9), für das die Richtlinie ein opt out für die Mitgliedstaaten vorsieht, nur von 18 Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde bzw. eine Umsetzung geplant sei6. Dabei handelt es sich – mit einer Ausnahme (Malta) – sämtlich um Mitgliedstaaten, deren Rechtsordnung bereits zuvor ein derartiges bzw. ähnlich strenges Verhinderungsverbot kannte. Für die – ebenfalls zur Disposition der Mitgliedstaaten gestellte – Implementierung der übernahmefreundlichen Durchgriffsregel (Art. 11) entschieden sich nur die Baltischen Staaten7. Die Reziprozitätsregelung (Art. 12 Abs. 3) übernahmen 14 Mitgliedstaaten, darunter fünf Mitgliedstaaten, in denen zuvor ein uneingeschränktes Verhinderungsverbot galt8. Die Kommission sieht vor diesem Hintergrund die Erreichung des von der Richtlinie angestrebten Ziels einer Förderung von grenzüberschreitenden Unternehmensübernahmen in Europa in Frage gestellt9. Mit der Nichtumsetzung von Verhinderungsverbot und Durchgriffsregel stünde deren Einführung im Belieben der Unternehmen, denen im Falle des opt out der Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines opt in hinsichtlich dieser Bestimmungen gewährt werden muss (Art. 12 Abs. 2). Zustimmungserfordernisse derjenigen, deren Rechte „durchbrochen“ werden sollen, sowie hohe Konsensquoren könnten aber verhindern, dass entsprechende Unternehmensbeschlüsse gefasst werden10. Die Rezipro-
1 Commission Staff Working Document: Report on the implementation of the Directive on Takeover Bids, Brussels, 21.2.2007, SEC (2007) 268 (http://ec.europa.eu/internal_mar ket/company/docs/takeoverbids/2007-02-report_eu.pdf). 2 S. 4 des Reports. 3 S. 4, Annex 1 (S. 12) des Reports. 4 S. 4 ff. des Reports. 5 S. 9 ff. des Reports. 6 S. 6 f., Annex 1 (S. 12) des Reports. 7 S. 7 f., Annex 1 (S. 12) des Reports. 8 S. 8 f., Annex 1 (S. 12) des Reports. 9 S. 10 f. des Reports. 10 S. 8 des Reports.
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zitätsregelung eröffne den Unternehmen zudem eine weitere Möglichkeit, das Verhinderungsverbot und/oder die Durchgriffsregel nicht anzuwenden1. Auch die den Minderheitenschutz betreffenden Bestimmungen wurden sehr unterschiedlich umgesetzt. Die Schwellen für ein Pflichtangebot (Art. 5 Abs. 2), deren genaue Festsetzung den nationalen Gesetzgebern überantwortet ist, variieren in den Mitgliedstaaten zwischen 25 % und 66 % der Stimmrechte2. Die meisten Mitgliedstaaten haben die Schwelle bei 30 % angesetzt3. In vielen Rechtsordnungen sind überdies teils weit reichende gesetzliche Ausnahmen vom Pflichtangebot vorgesehen. Oftmals wird auch den Aufsichtsbehörden die Befugnis eingeräumt, unter bestimmten Bedingungen von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots zu befreien4. Die Kommission bewertet die Ausnahmen von der Pflichtangebotsregel unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Minderheitenschutzes ebenfalls kritisch5. Im Lichte dieser Ergebnisse hatte die Kommission sogar eine Vorverlegung der ursprünglich für 2011 avisierten Revision der Übernahmerichtlinie erwogen, wovon sie letztlich indes Abstand nahm. Nach Art. 20 musste die Übernahmerichtlinie fünf Jahre nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist (20.5.2006) evaluiert und, wenn die Evaluierung Revisionsbedarf erkennen ließ, auch überarbeitet werden. In die Evaluierung sind gemäß Art. 20 Abs. 1 Satz 2 auch Kontrollstrukturen und Übernahmehindernisse einzubeziehen, welche die Übernahmerichtlinie nicht erfasst. Der Evaluierungsauftrag richtet sich damit auf das gesamte Übernahmerecht auch in seinen bisher nicht harmonisierten Teilen6. Im Jahr 2011 vergab die Kommission zur Einleitung des Evaluierungsprozesses einen Studienauftrag7. Am 28.6.2012 hat die Europäische Kommission ihren Bericht über die Evaluierung veröffentlicht8. Sie stellt darin fest, dass die Übernahmerichtlinie keine strukturellen Defizite in der Anwendung des harmonisierten Rechts in den Mitgliedstaaten erkennen lässt9. Jedoch seien die in der Richtlinie enthaltenen freiwilligen Regeln von den Mitgliedstaaten nicht in dem von der Kommission erhofften Maß umgesetzt worden10. Die Kommission zieht daraus den Schluss, dass nicht eine Überarbeitung des Richtlinientexts selbst, sondern eine Präzisierung der bestehenden Richtlinienbestimmungen in einzelnen Punkten angezeigt wäre11. Eine Vereinheitlichung durch Leitlinien unterhalb des Regelungsniveaus der Richtlinie beabsichtigt die Kommission für das
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S. 9 des Reports. S. 9, Annex 2 (S. 13 f.) des Reports. S. 9, Annex 2 (S. 13 f.) des Reports. Siehe 10 Annex 3 (S. 15 ff.) des Reports. S. 10 des Reports. Zu den unterschiedlich angesetzten Schwellen für den Squeeze-out (Art. 15) und den Sell-out (Art. 16) siehe Annex 4 (S. 18) des Reports. Dies hebt Hopt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 42, 43 hervor. Studie der von der Kommission beauftragten Anwaltskanzlei Marccus Partners in Zusammenarbeit mit dem Zentraum für Europäische Politische Studien vom Juni 2012 abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/takeoverbids/study/study_en.pdf (Text nur in englischer Sprache verfügbar); die Studie beruht auf einer Umfrage bei Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden auf der Grundlage eines umfangreichen Fragebogens. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, COM2012 347 (endgültig) (http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/takeoverbids/COM2012_347_de.pdf). Bericht der Kommission, Abschnitt 6. Bericht der Kommission, Abschnitt 7. Bericht der Kommission, Abschnitt 21, 22.
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acting in concert im Jahr 20131, bei dem die von der Kommission festgestellte Divergenz der nationalen Anwendung allerdings maßgeblich durch die unterschiedlichen Gesellschaftsrechtsordnungen in den Mitgliedstaaten bestimmt wird. Empfehlungen der Kommission stellt der Bericht auch zur Frage des befreienden Pflichtangebots (§ 35 Abs. 3) in Aussicht2; im Übrigen setzt die Kommission in den wenigen weiteren noch nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit harmonisierten Bereichen zunächst auf weitere Untersuchungen3. 4. Rolle von CESR bzw. der Nachfolgeorganisation ESMA 131 Das im Juni 2001 eingerichtete Committee of European Securities Regulators (CESR)4 stellte ein mit hochrangigen Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden der EU besetztes unabhängiges Gremium dar und übte eine Doppelfunktion aus: Zum einen beriet es die Kommission hinsichtlich der Erstellung von technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards (Komitologieverfahren). Im Bereich der Übernahmerichtlinie ist damit die Erarbeitung von Durchführungsbestimmungen zum Inhalt der Angebotsunterlage (Art. 6 Abs. 4) angesprochen, die bislang unterblieb. Zum anderen wirkte es auf eine EU-weit einheitliche Aufsichtspraxis hin. In diesem Zusammenhang richtete CESR im Mai 2007 ein Netzwerk zwischen Vertretern der für Übernahmeangebote zuständigen Aufsichtsbehörden (takeover bid network) ein, das deren Meinungs- und Erfahrungsaustausch dient. Das Netzwerk trifft sich regelmäßig und bespricht neben Fragen der angemessenen Gegenleistung, des acting in concert, der Anwendung und Auslegung der Squeeze-out- und Sell-out-Bestimmungen sowie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch Übernahmefälle im Einzelnen5. Im Übrigen unterstützte das Netzwerk die Kommission bei der Ausarbeitung einer Checkliste, in der die von den Mitgliedstaaten an die Kommission zwecks Revision der Übernahmerichtlinie zu übermittelnden Informationen aufgeführt werden (vgl. Art. 20)6. 132 Zum 1.1.2011 ging CESR in der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA als seiner Rechtsnachfolgerin auf7. Die ESMA kann gemäß Art. 1 Abs. 3 Satz 2 der maßgeblichen Verordnung geeignete Maßnahmen im Zusammenhang mit Fragen bezüglich Übernahmeangeboten ergreifen. Der ESMA werden zwar weiter reichende Befugnisse als CESR zugestanden. Diese betreffen allerdings nur die in Art. 1 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, COM 2012 740/2 (http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/121212_company-law-corpora te-governance-action-plan_de.pdf). 2 Bericht der Kommission, Abschnitt 25. 3 Bericht der Kommission, Abschnitt 21 ff. 4 Vgl. Beschluss Nr. 2001/527/EG der Kommission vom 6.6.2001 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, ABl. Nr. L 191 v. 13.7.2001, S. 43 sowie dessen Ersetzung durch den Beschluss Nr. 2009/77/EG der Kommission vom 23.1.2009 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, ABl. Nr. L 25 v. 29.1.2009, S. 18, der die Befugnisse des CESR konkretisiert und erweitert. 5 Vgl. CESR Annual Report 2007 ff., abrufbar unter www.esma.europa.eu. 6 Siehe CESR Annual Report 2008 und 2009 sowie das Dokument European Commission’s checklist on Article 20 of the Directive, DG MARKT F2/ET D(2008) 74062 v. 16.2.2008. 7 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 84.
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Abs. 2 der Verordnung genannten Rechtsakte, zu denen – anders als noch nach dem Kommissionsvorschlag1 – nicht die Übernahmerichtlinie zählt. Das Übernahmenetzwerk (Rz. 131) besteht fort.
III. Umsetzung in deutsches Recht 1. Überblick Die Übernahmerichtlinie war bis spätestens 20.5.2006 in nationales Recht umzusetzen (Art. 21 Abs. 1). Eine Generalrevision des WpÜG war insoweit nicht erforderlich. Da dieses auf Basis des damals aktuellen Gemeinsamen Standpunktes bereits als vorweggenommene Transformation einer möglichen künftigen Übernahmerichtlinie konzipiert worden war (siehe oben Rz. 27), handelte es sich bei Kernbestimmungen der Übernahmerichtlinie bereits um lex lata2. Dies galt insbesondere für die in Art. 3 der Richtlinie normierten allgemeinen Grundsätze des Übernahmerechts (vgl. §§ 3, 13 und 27 Abs. 1) sowie das in Art. 5 der Richtlinie geregelte Pflichtangebot (vgl. § 30 Abs. 1). Die verbleibenden erforderlichen Anpassungen3 erfolgten durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote vom 8.7.2006, das am 14.7.2006 in Kraft trat4. Ausgangspunkt des Gesetzgebungsverfahrens bildete ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.12.20055, der in leicht geänderter Fassung am 15.2.2006 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde6. Der Regierungsentwurf wurde dem Finanzausschuss zur Federführung überwiesen und am 19.5.2006 mit den vom Finanzausschuss empfohlenen Änderungen durch den Deutschen Bundestag verabschiedet7. Das Gesetz verfolgt grundsätzlich das Konzept einer „Eins zu Eins“-Umsetzung der Übernahmerichtlinie. Es handelt sich um ein Artikelgesetz, das vor allem Änderungen des WpÜG (Art. 1), daneben aber auch der WpÜG-Angebotsverordnung (Art. 7), des Handelsgesetzbuches (Art. 4) und des Aktiengesetzes (Art. 6) in sich vereint. Die wichtigsten Änderungen sind nachfolgend kurz dargestellt8.
1 Vgl. Vorschlag KOM(2009) 503 vom 23.9.2009 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde. 2 Vgl. auch van Kann/Just, DStR 2006, 328, ebd. 3 Hierzu Krause, BB 2004, 113; Wiesner, ZIP 2004, 343; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221 (Teil I) und 306 (Teil II); Lanfermann/Maul, BB 2004, 1517; Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866; Mülbert, NZG 2004, 633; Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455 (Teil I) und 515 (Teil II); Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200; Maul, NZG 2005, 151; auf der Basis des Richtlinienentwurfs der Kommission vom 2.10.2002 zuvor schon Krause, BB 2002, 2341; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193. 4 BGBl. I 2006, 1426. 5 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 19.12.2005. 6 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz), BT-Drucks. 16/1003 v. 17.3.2006. 7 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drucks. 16/1541 v. 18.5.2006. 8 Im Übrigen sei auf die jeweilige Einzelkommentierung verwiesen.
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134 Eine tiefgreifende Modifikation erfuhr das WpÜG hinsichtlich seines Anwendungsbereichs (§ 1) und damit der – hieran anknüpfenden – Überwachungszuständigkeit der BaFin (vgl. § 4) bei Übernahme- und Pflichtangeboten mit grenzüberschreitenden Bezug (nicht dagegen bei einfachen Erwerbsangeboten, vgl. oben Rz. 103). In Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie unterliegen nunmehr einerseits Angebote an die Aktionäre deutscher Zielgesellschaften, deren Wertpapiere nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, nur noch in Bezug auf gesellschaftsrechtliche und dem Gesellschaftsrecht verwandte Fragen (Unterrichtung der Arbeitnehmer, Kontrollschwelle beim Pflichtangebot und Ausnahmen von demselben, Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen) dem WpÜG und der Beaufsichtigung der BaFin. Umgekehrt sind auf Übernahme- und Pflichtangebote von Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat und Börsenzulassung in Deutschland die Regeln des WpÜG über das Angebotsverfahren und die Gegenleistung anzuwenden und ist deren Einhaltung von der BaFin zu überwachen. Im Falle mehrfacher Börsenzulassung sind grundsätzlich die angebotsbezogenen Regelungen des Staats der Erstzulassung maßgeblich, näher § 1 Rz. 10 ff. Die jeweils anwendbaren Vorschriften hat der Gesetzgeber in der WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung konkretisiert1. 135 Der daneben verbleibende Anwendungsbereich des aufgrund Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie eingefügten § 11a („Europäischer Pass“) ist umstritten. Nach der Vorschrift bedürfen Angebotsunterlagen über europäische Angebote (§ 2 Abs. 1a) die auch in Deutschland gehandelte Wertpapiere betreffen, keiner (zusätzlichen) Billigung durch die BaFin, sofern sie bereits von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen EWR-Staats gebilligt wurden. Näher hierzu siehe § 11a Rz. 22 ff. 136 In Bezug auf das Pflichtangebot war in erster Linie eine Änderung der Regelung zur Gegenleistung erforderlich. Nach Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 der Übernahmerichtlinie muss der anzubietende Preis grundsätzlich Vorerwerbe des Bieters während eines Zeitraums von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot berücksichtigen. Art. 5 Abs. 5 Unterabs. 3 der Übernahmerichtlinie bestimmt, dass eine Geldleistung zumindest wahlweise anzubieten ist, wenn der Bieter während dieses von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitraums bis zum Ablauf der Annahmefrist mindestens 5 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben hat. Mit Blick hierauf wurden die in § 4 Satz 1 WpÜG-Angebotsverordnung und § 31 Abs. 3 geregelten Referenzperioden von drei auf sechs Monate verlängert. § 31 Abs. 3 Nr. 2 wurde gestrichen, wonach bereits der einprozentige Parallelerwerb zu einem zwingendem Barangebot führte. Die geänderten Fristvorgaben gelten – über die Anforderungen der Richtlinie hinausgehend – richtigerweise nicht nur für Pflicht-, sondern auch für Übernahmeangebote. Hiermit wird dem im WpÜG verankerten Gleichlauf von Übernahme- und Pflichtangeboten Rechnung getragen (hierzu § 35 Rz. 9). 137 Des Weiteren wurden die Vorgaben zum Inhalt der Angebotsunterlage modifiziert. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 wurde entsprechend Art. 6 Abs. 3 lit. i)) der Übernahmerichtlinie neu gefasst, wonach eine Vielzahl von Angaben zu den Absichten des Bieters bezüglich der künftigen Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft sowie ggf. der Bietergesellschaft offen zu legen ist. § 2 Nr. 1 WpÜG-Angebotsverordnung wurde im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. m)) der Übernahmerichtlinie dahingehend ergänzt, dass
1 Kritisch hierzu Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1287.
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nunmehr auch Angaben über die mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnden Personen in die Angebotsunterlage aufzunehmen sind. Sofern es sich bei den gemeinsam mit dem Bieter oder Zielgesellschaft handelnden Personen um Gesellschaften handelt, ist zudem deren Verhältnis zum Bieter und – soweit bekannt – zur Zielgesellschaft anzugeben. Überdies wurden die Regeln über die Bekanntgabe überarbeitet. § 14 Abs. 3 Nr. 2 138 wurde insoweit geändert, als anstelle der Veröffentlichung der Angebotsunterlage bzw. der diesbezüglichen Hinweisbekanntmachung in einem überregionalen Börsenpflichtblatt die Veröffentlichung im Bundesanzeiger getreten ist. Die Änderung war zwar nicht zwingend durch die Richtlinie geboten. Sie stellt aber eine sinnvolle vorweggenommene Ergänzung des am 1.1.2007 vollständig in Kraft getretenen Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) dar. In Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Übernahmerichtlinie wurde § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 neu gefasst: die Veröffentlichung der Angebotsentscheidung erfolgt ab sofort per Bekanntgabe im Internet sowie kumulativ (anstatt wahlweise) über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem nach Nr. 2. An die Richtlinienvorgaben angepasst wurden auch die Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmer(vertreter)n im Hinblick auf die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Übernahmeangebots und die Angebotsunterlage1. In Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 3 der Übernahmerichtlinie schreiben nunmehr § 10 Abs. 5, § 14 Abs. 4 eine Unterrichtung nicht nur der Arbeitnehmer(vertreter) der Zielgesellschaft, sondern auch der Bietergesellschaft vor, wobei jede Seite ihre eigenen Arbeitnehmer(vertreter) zu informieren hat2. Siehe näher § 10 Rz. 71 bzw. § 14 Rz. 30, 43.
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Im Hinblick auf das in Art. 9 der Übernahmerichtlinie verankerte Vereitelungsverbot 140 und die Durchgriffsregel nach Art. 11 der Übernahmerichtlinie machte die Bundesrepublik Deutschland von dem opt out gemäß Art. 12 Abs. 1 Gebrauch. Nach Art. 12 Abs. 2 war daher den deutschen Gesellschaften ein opt in im Hinblick auf das Vereitelungsverbot bzw. die Durchgriffsregel einzuräumen. Das WpÜG setzt diese Vorgaben in Gestalt der §§ 33a und 33b um. Zugleich entschied sich der Gesetzgeber für die Übernahme der – ins Belieben der Mitgliedstaaten gestellte – Reziprozitätsregel nach Art. 12 Abs. 3 (vgl. § 33c). Die in Art. 10 Abs. 1, 2 der Übernahmerichtlinie angeordnete Verpflichtung zur Of- 141 fenlegung von Übernahmehindernissen im Lage- bzw. Konzernlagebericht börsennotierter Gesellschaften war ohne deutsches Vorbild und erforderte die Einfügung der § 289 Abs. 4, § 315 Abs. 4 in das HGB. Die Vorgabe in Art. 10 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie, wonach das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Jahreshauptversammlung der Aktionäre einen erläuternden Bericht zu den in Abs. 1 genannten Punkten vorzulegen habe, wurde in Form des § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F. umgesetzt. Hiernach hat der Aufsichtsrat in seinem schriftlichen Bericht an die Hauptversammlung auch die Angaben nach § 289 Abs. 4, § 315 Abs. 4 HGB zu erläutern. Später wurde
1 Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 232 f.; Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 872. 2 Zutreffend Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 232 f.; unklar Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 872.
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diese Pflicht auf den Vorstand übertragen1; sie findet sich nunmehr in § 176 Abs. 1 Satz 1 AktG i.V.m. § 124a Satz 1 Nr. 3 AktG2. 142 Die in Art. 15 der Übernahmerichtlinie enthaltene Regelung zum Squeeze-out wurde in Form des § 39a in das WpÜG übernommen. Der ebenfalls neu eingefügte § 39b regelt Einzelheiten des Ausschlussverfahrens, für das die Richtlinie keine Vorgaben enthält. Die Neuregelung steht im starken Kontrast zu den §§ 327a ff. AktG3, die zusammen mit dem WpÜG eingeführt wurden (hierzu oben Rz. 34). Der Ausschluss erfolgt auf Antrag und per Beschluss durch das Landgericht Frankfurt am Main. In Umsetzung von Art. 15 Abs. 5 der Übernahmerichtlinie wird zudem nach § 39 Abs. 3 Satz 3 vermutet, dass die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung eine angemessene Abfindung darstellt, wenn der Bieter auf Grund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 Prozent des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat4. Die §§ 327a ff. AktG wurden zweckmäßigerweise beibehalten5, was möglich war, weil die Richtlinie die Beibehaltung abweichender nationaler Regelungen zum Squeeze-out gestattet (vgl. Erwägungsgrund 24 Satz 4 der Übernahmerichtlinie). 143 Das in Art. 16 der Übernahmerichtlinie vorgesehenen Recht der Minderheitsaktionäre, ihre Aktien dem Bieter im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot anzudienen (Sell-out), erforderte die Einfügung des § 39c. Eine bloße Modifikation der in § 16 Abs. 2 verankerten sog. Zaunkönigregelung kam nicht in Betracht. Hiernach wird bei einem erfolgreichen Übernahmeangebot denjenigen Aktionären, die das Angebot nicht angenommen haben, eine zweiwöchige Nachfrist eingeräumt. Allerdings ist diese Regelung vollkommen anders ausgestaltet als der Sell-out nach der Übernahmerichtline. Sie ist zudem auch nicht als Pendant zu einem möglichen Squeezeout konzipiert, sondern versucht, die den Kleinaktionären fehlende Möglichkeit einer koordinierten Vorgehensweise (sog. Gefangenendilemma, siehe auch § 16 Rz. 34 f.) zu kompensieren.
1 Vgl. die Streichung des Verweises auf die §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F. und dessen Einfügung in § 120 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F. durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes. 2 Vgl. Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG). Es handelt sich hierbei um eine Pflicht zur Zugänglichmachung des Berichts durch Veröffentlichung auf der Internetseite der Gesellschaft alsbald nach Einberufung der Hauptversammlung. Zur Frage, ob der Bericht auch von der Einberufung an in dem Geschäftsraum der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen ist und welche Angaben er insoweit umfasst, Kiefner, NZG 2010, 692; im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2012 ist die Klarstellung geplant, dass eine solche Pflicht nicht (mehr) besteht. Zu den sich bei der Umsetzung ergebenden zahlreichen Einzelfragen siehe Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2196 ff.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 307 ff.; Lanfermann/Maul, BB 2004, 1517; Krause, BB 2004, 113, 116; Glade/Haak/Hellich; Der Konzern 2004, 455, 459 ff.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 236 ff. 3 Näher Krause, BB 2004, 113, 118 f.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 315 ff.; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846 ff.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 239 ff.; siehe ferner Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 115 ff.; auf Basis des Kommissionsvorschlags vom 2.10.2002 zuvor schon Krause, BB 2002, 2341, 2345 f.; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2200 ff.; Neye, NZG 2002, 1144, 1145. 4 Zur Frage, ob es sich hierbei um eine unwiderlegliche Angemessenheitsvermutung handelt, zusf. Posdziech, WM 2010, 787 ff. 5 Den Dualismus zwischen aktien- und übernahmerechtlichem Squeeze-Out bewerten kritisch Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1289 sowie Schüppen, BB 2006, 165, 166.
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Im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 5 der Übernahmerichtlinie wurden die Eingriffsrechte der BaFin gemäß § 40 Abs. 1 und 2 um ein Auskunftsrecht gegenüber jedermann und ein Recht zum Betreten von Geschäftsräumen erweitert.
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2. Resümee Die deutsche Umsetzungslösung konzentriert sich auf eine „Eins zu Eins“-Umset- 145 zung der Richtlinie und schöpft die Spielräume im Sinne einer weitgehenden Beibehaltung der Rechtslage aus. Der behutsame Reformansatz wurde teilweise kritisiert1. So wurde insbesondere beanstandet, dass sich der Gesetzgeber für eine Fortgeltung des – durch weit reichende Ausnahmen erheblich relativierten – Verhinderungsverbots nach § 33 und gegen eine zwingende Anwendung des strengeren EU-Neutralitätsgebots bzw. der Durchbruchsregel entschieden habe (opt out)2. Wie in der Regierungsbegründung zutreffend ausgeführt, wird auf diesem Weg indes eine Benachteiligung deutscher gegenüber ausländischen Unternehmen vermieden3. Bereits damals war absehbar, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten von dem opt out hinsichtlich der genannten EU-Bestimmungen Gebrauch machen würde, um ihre strengeren Abwehrmechanismen beizubehalten4. Auch insoweit zeigt sich daher, dass ein Abbau nationaler Übernahmehürden realiter nur vor dem Hintergrund der Erzielung eines entsprechenden Kompromisses auf europäischer Ebene, also der Schaffung eines level playing field auch im Hinblick auf Verteidigungsmöglichkeiten europäischer Unternehmen zu erwarten ist. Im Ergebnis sollten die unterbliebenen Änderungen nicht den Blick davon ablenken, dass mit der Richtlinientransformation erhebliche Verbesserungen der Rechtslage verbunden waren. Diese reichen von der entschiedenen Stärkung der Rechtssicherheit im Falle grenzüberschreitenden Übernahmen aufgrund Neuregelung des Anwendungsbereichs5 über die hinzugewonnene Transparenz für Markt und Anleger insbesondere auch hinsichtlich Übernahmehindernisse6 bis hin zur Einführung eines gegenüber §§ 327a ff. AktG für den Bieter praktikableren Ausschlussrechts in Gestalt der §§ 39a, 39b7.
1 Vgl. etwa die Kritik bei Schüppen, BB 2006, 165, 166, 171. A.A. van Kann/Just, DStR 2006, 328, 333. 2 An der praktischen Bedeutung der Durchbruchsregel allerdings zweifelnd van Kann/Just, DStR 2006, 328, 331. 3 BT-Drucks. 16/1003, S. 13 f. 4 Siehe Bericht der Kommission, Abschnitt 7 und 19, wonach lediglich drei Mitgliedstaaten die Durchbrechungsregel umgesetzt haben; dazu Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einleitung Rz. 69a. 5 Vgl. auch Diekmann, NJW 2007, 17, 21; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1292. 6 Ebenso van Kann/Just, DStR 2006, 328, 333. 7 Vgl. auch van Kann/Just, DStR 2006, 328, 333.
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Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften §1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. (2) Auf Übernahme- und Pflichtangebote zum Erwerb von Aktien einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1, deren stimmberechtigte Aktien nicht im Inland, jedoch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, ist dieses Gesetz nur anzuwenden, soweit es die Kontrolle, die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots und hiervon abweichende Regelungen, die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft oder des Bieters, Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, durch die der Erfolg eines Angebots verhindert werden könnte, oder andere gesellschaftsrechtliche Fragen regelt. (3) Auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 ist dieses Gesetz vorbehaltlich § 11a nur unter folgenden Voraussetzungen anzuwenden: 1. es handelt sich um ein europäisches Angebot zum Erwerb stimmberechtigter Wertpapiere, und 2. a) die stimmberechtigten Wertpapiere sind nur im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, oder b) die stimmberechtigten Wertpapiere sind sowohl im Inland als auch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, jedoch nicht in dem Staat, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, und aa) die Zulassung erfolgte zuerst zum Handel an einem organisierten Markt im Inland, oder bb) die Zulassungen erfolgten gleichzeitig, und die Zielgesellschaft hat sich für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) als zuständige Aufsichtsbehörde entschieden. Liegen die in Satz 1 genannten Voraussetzungen vor, ist dieses Gesetz nur anzuwenden, soweit es Fragen der Gegenleistung, des Inhalts der Angebotsunterlage und des Angebotsverfahrens regelt. (4) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen darüber, in welchem Umfang Vorschriften dieses Gesetzes in den Fällen des Absatzes 2 und des Absatzes 3 anwendbar sind, zu erlassen. (5) Eine Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren stimmberechtigte Wertpapiere gleichzeitig im Inland und in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, jedoch nicht in dem Staat, in dem sie ihrer Sitz hat, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen worden sind, hat zu entscheiden, welche der betroffenen Aufsichtsstellen für die Beaufsichtigung eines europäischen Angebots 54
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§1
Anwendungsbereich
zum Erwerb stimmberechtigter Wertpapiere zuständig sein soll. Sie hat ihre Entscheidung der Bundesanstalt mitzuteilen und zu veröffentlichen. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über den Zeitpunkt sowie Inhalt und Form der Mitteilung und der Veröffentlichung nach Satz 2 zu erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
Inhaltsübersicht C. Inlandsgesellschaft mit ausschließlicher Börsenzulassung in einem anderen EWR-Staat (§ 1 Abs. 2) . . . . 38
A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Entstehung der Vorschrift. . . . . . . . .
7
III. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
9
IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
B. Inlandsgesellschaft mit Börsenzulassung in Deutschland (§ 1 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
I. Angebot zum Erwerb von Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
II. Ausgabe der Wertpapiere von einer Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
F. Wahl der Aufsichtsstelle bei Mehrfachzulassung außerhalb des Sitzstaats (§ 1 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . 51
28
III. Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt. . . . . . . . . . . . . .
G. Freiwillige Unterstellung öffentlicher Angebote unter das WpÜG? . 55
31
H. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Anwendbarkeit des Gesetzes . . 57
1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilweise Zulassung von Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 34
D. EWR-Gesellschaft mit Börsenzulassung in Deutschland (§ 1 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 E. Verordnungsermächtigung zur Anwendbarkeit des Gesetzes in den Fällen der Absätze 2 und 3 (§ 1 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
J. Internationales Gesellschafts- und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Schrifttum: Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme. Deutsches und europäisches Übernahmekollisionsrecht im Spannungsfeld zwischen internationalem Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Diekmann, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Teil I), DStR 2002, 724; Fischer, Rechtsfragen grenzüberschreitender Übernahmeangebote, 2008; Fleischer, Zum Begriff des öffentlichen Angebots im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZIP 2001, 1653; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Hahn, Übernahmerecht und Internationales Privatrecht, RIW 2002, 741; Harrer/Müller, Die Renaissance des Freiverkehrs – Eine aktuelle Analyse mit internationalem Vergleich, WM 2006, 653; von Hein, Grundfragen des europäischen Übernahmekollisionsrechts, AG 2001, 213; von Hein, Zur Kodifikation des europäischen Übernahmekollisionsrechts, ZGR 2005, 528; Hilmer, Die Übernahmerichtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht. Eine Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, 2007; Holzborn, Ausschluss ausländischer Aktionäre nach § 24 WpÜG, BKR 2002, 67; Holzborn/Peschke, Europäische Neutralitätspflicht und Übernahme Squeeze-Out, BKR 2007, 101; Hopt, Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997), 368; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hopt/Mülbert/Kumpan, Reformbedarf im Übernahmerecht, AG 2005, 109; Josenhans, Das neue Übernahmekollisionsrecht, ZBB 2006, 269; Josenhans, Grenzüberschreitende öffentliche Übernahmeangebote. Unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-amerikanischen Ver-
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hältnisses, 2007; van Kann/Just, Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie, DStR 2006, 328; Kiesewetter, Internationales Übernahmerecht. Eine Untersuchung der kollisionsrechtlichen Behandlung von Übernahmeregeln, 2006; Kindler/ Horstmann, Die EU-Übernahmerichtlinie – Ein „europäischer“ Kompromiss, DStR 2004, 866; Kleindiek, Funktion und Geltungsanspruch des Pflichtangebots nach dem WpÜG, ZGR 2002, 546; Krause, Die geplante Takeover-Richtlinie der Europäischen Union mit Ausblick auf das geplante deutsche Übernahmegesetz, NZG 2000, 905; Krause, Der Kommissionsvorschlag für eine Revitalisierung der EU-Übernahmerichtlinie, BB 2002, 2341; Krause, Die EUÜbernahmerichtlinie – Anpassungsbedarf im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2004, 113; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Anmerkungen zum Regierungsentwurf, DB 2001, 1707; Maul, Die EU-Übernahmerichtlinie – ausgewählte Fragen, NZG 2005, 151; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie – Inhalt und Umsetzung in nationales Recht (Teil I), AG 2004, 221; Meixner, Das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, ZAP Fach 8, 417; Merkt/Binder, Änderungen im Übernahmerecht nach Umsetzung der EG-Übernahmerichtlinie: Das deutsche Umsetzungsgesetz und verbleibende Problemfelder, BB 2006, 1285; Meyer, Änderungen im WpÜG durch die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, WM 2006, 1135; Mühle, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2002; Mülbert, Übernahmerecht zwischen Kapitalmarktrecht und Aktien(konzern)recht – die konzeptionelle Schwachstelle des RegE WpÜG, ZIP 2001, 1221; Mülbert, Umsetzungsfragen der Übernahmerichtlinie – erheblicher Änderungsbedarf bei den heutigen Vorschriften des WpÜG, NZG 2004, 633; Oechsler, Der RegE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden!, NZG 2001, 817; Pfab, Die WpÜGReform 2006. Änderungen und Auswirkungen, 2008; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM-Sonderbeil. 2/2000; Ryngaert, Cross-Border Takeover Regulation: a Transatlantic Perspective, ECFR 2007, 434; Scamuffa, Öffentliche Übernahmeangebote. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und italienischen Übernahmerechts vor dem Hintergrund der Europäischen Übernahmerichtlinie, 2009; Schüppen, WpÜG-Reform: Alles Europa, oder was?, BB 2006, 165; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Seibt/Heiser, Analyse der EU-Übernahmerichtlinie und Hinweise für eine Reform des deutschen Übernahmerechts, ZGR 2005, 200; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; Siems, The Rules on Conflict of Laws in the European Takeover Directive, ECFR 2004, 458; Steinmeyer, Der übernahmerechtliche Sitzbegriff, in FS Immenga, 2004, S. 743; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Übernahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3; Tierel, Anmerkung zu OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09, jurisPR-StrafR 17/2010 Anm. 3; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht (Teil I), DZWiR 2002, 353; Tröger, Deutsches und europäisches Übernahmerecht, in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2003, S. 135; Veranneman/Gärtner, Grenzüberschreitende Tauschangebote nach WpÜG, AG 2009, 648; Weber, Die Entwicklung des Kapitalmarktrechts im Jahre 2006, NJW 2006, 3685; Wecker, Die Beaufsichtigung öffentlicher Wertpapiererwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote. Zuständigkeit, Befugnisse und Sanktionen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2008; Winkelmann, Aufsicht und anwendbares Recht bei grenzüberschreitenden Unternehmensübernahmen. Zur Harmonisierung des europäischen Übernahmekollisionsrechts, 2008; Wymeersch, Übernahmeangebote und Pflichtangebote, ZGR 2002, 520; Zimmer, Aufsicht bei grenzüberschreitenden Übernahmen, ZGR 2002, 731; Zschocke, Europapolitische Mission: Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2002, 79.
A. Überblick I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1
§ 1 regelt in erster Linie den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Daneben regelt die Vorschrift auch den internationalen Anwendungsbereich und ist insofern eine sog. „einseitige Kollisionsnorm“, da es ausschließlich um die Anwendbarkeit
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des deutschen Rechts geht1. Sie ist im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1, 1a, 2, 3, 7 und 8 zu lesen, in denen die in § 1 verwandten Begriffe („Angebot“, „Europäisches Angebot“, „Wertpapiere“, „Zielgesellschaft“, „organisierter Markt“ sowie der „Europäische Wirtschaftsraum“ als Bestandteil des Begriffs des „organisierten Marktes“) definiert werden. § 1 Abs. 1 setzt diese Begriffe zueinander in Bezug. Zugleich statuiert die Vorschrift mit dem Erfordernis der Zulassung der von einem Angebot betroffenen Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt eine nicht in § 2 enthaltene eigenständige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gesetzes. § 1 Abs. 1 hat daher trotz der eingehenden Regelungen in § 2 erhebliche eigenständige Bedeutung2. Nach § 1 Abs. 1 gilt das Gesetz für Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von 2 einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Die Absätze 2 und 3 schränken den Anwendungsbereich wiederum für die Fälle ein, in denen die Zielgesellschaft zwar ihren Sitz in Deutschland hat, ihre stimmberechtigen Aktien aber ausschließlich in einem oder mehreren anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, oder die Zielgesellschaft ihren Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat3. Absatz 4 enthält eine Verordnungsermächtigung, aufgrund derer Regelungen über die anwendbaren Vorschriften im Rahmen der Absätze 2 und 3 getroffen werden können. Davon wurde mit Erlass der WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung Gebrauch gemacht (hierzu unten Rz. 40 f., 47, 50). Absatz 5 statuiert die Pflicht einer Zielgesellschaft zur Entscheidung über die zuständige Aufsichtsstelle, falls ihre Wertpapiere sowohl im Inland als auch in einem anderen EWR-Staat, in dem sie nicht ihren Sitz hat, zugelassen sind. Neben der Festlegung des Anwendungsbereichs enthält § 1 zugleich eine bündige Zusammenfassung des Regelungsprogramms des Gesetzes, die dem Rechtsanwender den Einstieg in das Gesetz erleichtert4.
3
Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes folgt nicht aus § 1, sondern ergibt sich aus den jeweiligen Einzelvorschriften des Gesetzes5. Normadressaten sind primär der Bieter, die Zielgesellschaft und die BaFin. Hinzu treten auf Seiten des Bieters die für die Angebotsunterlage und die Finanzierungsbestätigung Verantwortlichen (§ 11 Abs. 3, § 13). Auf Seiten der Zielgesellschaft sind zudem deren Organe und Arbeitnehmervertretungen (§§ 27, 33) zu nennen. Demgegenüber richtet sich das WpÜG nur im Ausnahmefall (§ 12) an die Angebotsadressaten, was im Wesentlichen auf die kapitalmarktrechtliche Konzeption des Gesetzes zurückzuführen ist (hierzu Einl. Rz. 14 ff.; zu § 35 dort Rz. 31 ff.).
4
Ebenfalls nicht geregelt in § 1 ist der zeitliche Anwendungsbereich des WpÜG. Nach Art. 12 des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.20016 ist das WpÜG
5
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 66; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 9; Wecker, Die Beaufsichtigung öffentlicher Wertpapiererwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote, 2008, S. 68. 2 Zutreffend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 2; a.A. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 1, der jedoch in Rz. 3 von einem eigenständigen Regelungsgehalt des § 1 in Bezug auf den internationalen Anwendungsbereich spricht. 3 Kritisch zur Regelungstechnik Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 7. 4 Ähnlich Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 6 („einführende Erläuterung“). 5 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 23; ähnlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 1. 6 BGBl. I 2001, 3822.
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am 1.1.2002 in Kraft getreten. § 68 enthält Übergangsregelungen. Diese sind mittlerweile zeitlich überholt. 6
Zur Anwendbarkeit des WpÜG auf umwandlungsrechtliche Vorgänge siehe § 35 Rz. 133 ff. Auf die Tätigkeit von Investmentaktiengesellschaften ist das WpÜG unanwendbar (§ 99 Abs. 5 InvG).
II. Entstehung der Vorschrift 7
Die Anwendbarkeit des Übernahmekodex (hierzu Einl. Rz. 19 ff.) war an die Voraussetzung geknüpft, dass die Beteiligten gegenüber der Übernahmekommission erklärten, dass sie die Vorschriften als für sie maßgeblich anerkennen. Der Anwendungsbereich beschränkte sich auf öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland. Zudem waren ausschließlich solche Wertpapiere erfasst, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen und mit Stimmrechten ausgestattet waren (für stimmrechtslose Vorzugsaktien galt der Kodex analog). Der Anwendungsbereich des Übernahmekodex war allerdings insoweit weiter, als auch Wertpapiere einbezogen waren, die ausschließlich im Freiverkehr an einer inländischen Börse gehandelt wurden.
8
Der Anwendungsbereich des Gesetzes beschränkte sich im DiskE (§§ 1, 2 Abs. 3) noch auf Übernahme- und Pflichtangebote. Im RefE (§§ 1, 2 Abs. 1) wurde der Anwendungsbereich auf sämtliche Erwerbsangebote erweitert (näher Einl. Rz. 27 f.). Im anschließenden parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erfolgten keine weiteren Modifikationen des Anwendungsbereichs. Die im Zuge der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie1 zum 14.7.2006 neu eingefügten Absätze 2 bis 5 regeln den Anwendungsbereich des Gesetzes bei grenzüberschreitenden Sachverhalten2. Die Vorschriften entsprechen den unionsrechtlichen Vorgaben3.
III. EU-Übernahmerichtlinie 9
Der Anwendungsbereich der Übernahmerichtlinie4 erfasst gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 lit. a)) Übernahme- und Pflichtangebote, nicht jedoch einfache Erwerbsangebote, für Wertpapiere von Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen. Voraussetzung ist, dass alle oder ein Teil dieser Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne der Wertpapierdienstleistungsricht-
1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 8.7.2006, BGBl. I 2006, 1426. 2 Zur Umsetzung der Übernahmerichtlinie in deutsches Recht vgl. Diekmann, NJW 2007, 17, 18 f.; Holzborn/Peschke, BKR 2007, 101 ff.; Josenhans, ZBB 2006, 269 ff.; Meixner, ZAP Fach 8, 417 f.; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1287; Meyer, WM 2006, 1135, 1136 ff.; Seibt/Heiser, AG 2006, 301 ff. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 22. 4 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, zuletzt geändert durch Anh. Nr. 5 der ÄndVO (EG) 219/2009 vom 11.3.2009, ABl. EU Nr. L 87 v. 31.3.2009, S. 109, 133, Text im Anhang S. 1713.
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linie1 in mindestens einem Mitgliedstaat zugelassen sind. Wertpapiere werden in Art. 2 Abs. 1 lit. e)) definiert als „übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen“. Ausdrücklich ausgenommen vom Anwendungsbereich werden gemäß Art. 1 Abs. 2 und 3 Angebote auf von Investmentfondsgesellschaften und Zentralbanken ausgegebene Wertpapiere. Von einer Zielgesellschaft abgegebene Angebote zum Erwerb eigener Wertpapiere unterfallen ebenfalls nicht der Übernahmerichtlinie, da die Angebotsdefinition des Art. 2 Abs. 1 lit. a)) diese ausdrücklich ausnimmt. Für Übernahmen mit grenzüberschreitendem Bezug, bei denen die Wertpapiere der 10 Zielgesellschaft nicht in dem Mitgliedstaat zum Börsenhandel zugelassen sind, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat2, enthält Art. 4 Abs. 2 eine komplexe Regelung zur Zuständigkeit der Aufsichtsstellen und zum anwendbaren Recht, die – vereinfacht formuliert – nach dem Grundsatz „Angebotsverfahren ist Marktrecht, Gesellschaftsrecht ist Heimatrecht“3 verfährt und somit zu einer gespaltenen Rechtsanwendung führt. Im Einzelnen sieht Art. 4 Abs. 2 Folgendes vor4: Für die Beaufsichtigung des Ange- 11 botsvorgangs zuständig ist grundsätzlich die Aufsichtsstelle in dem Mitgliedstaat, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz5 hat, wenn deren Wertpapiere dort an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind (Art. 4 Abs. 2 lit. a)). Sind die Wertpapiere nicht im Mitgliedstaat des Sitzes der Zielgesellschaft zugelassen, ist die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaates zuständig, in dem die Wertpapiere zugelassen sind; bei Zulassung in mehreren Mitgliedstaaten ist entscheidend, wo die Wertpapiere zuerst zugelassen wurden (Art. 4 Abs. 2 lit. b)). Bei gleichzeitiger Zulassung in mehreren Mitgliedstaaten hat die Gesellschaft am ersten Handelstag die zuständige Aufsichtsstelle zu bestimmen.
1 Richtlinie 93/22/EWG des Rates über Wertpapierdienstleistungen vom 10.5.1993, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27, aufgehoben durch Art. 69 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1. 2 Beispiele entsprechender ausländischer Gesellschaften, deren Aktien (ausschließlich) an einer Börse in Deutschland zum Handel zugelassen sind: Fabasoft AG (Sitz: Österreich), BEKO Holding AG (Sitz: Österreich), SMARTRAC N.V. (Sitz: Niederlande), Quanmax AG (Sitz: Österreich), Logwin AG (Sitz: Luxemburg). Deutsche Gesellschaften, deren Aktien ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat zum Börsenhandel zugelassen sind, existieren – soweit ersichtlich – nicht, vgl. Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 52 Fn. 4; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 204 Fn. 28. 3 Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 10 f.; im Anschluss hieran auch Baums/Rieder in Baums/Thoma, Einleitung 2.7. 4 Hierzu Krause, BB 2004, 113, 117; Mülbert, NZG 2004, 633, 637 ff.; Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 867 f.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 227 ff.; Siems, ECFR 2004, 458, 469 ff.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 204 ff.; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109 ff.; von Hein, ZGR 2005, 528 ff.; van Kann/Just, DStR 2006, 328 f.; Maul, NZG 2005, 151, 157 f.; Schüppen, BB 2006, 165, 169 f.; zu der im Wesentlichen identischen Regelung im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 19.6.2000 schon zuvor Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 10 f.; Krause, NZG 2000, 905, 907; von Hein, AG 2001, 213, 214 ff.; Zimmer, ZGR 2002, 731, 736 ff. 5 Der Sitzbegriff ist in der Übernahmerichtlinie nicht definiert, wird jedoch von den Mitgliedstaaten unterschiedlich verstanden. Siehe dazu und zu den hieraus resultierenden Problemen Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 17 ff.; von Hein, AG 2001, 213, 216 ff.; Zimmer, ZGR 2002, 731, 741; Mülbert, NZG 2004, 633, 638; Steinmeyer in FS Immenga, 2004, S. 743, 754 f.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 205 ff.
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Bestand bei Ablauf der Umsetzungsfrist1 der Übernahmerichtlinie bereits eine Mehrfachzulassung, die gleichzeitig erfolgte, mussten die Aufsichtsbehörden innerhalb von vier Wochen gemeinsam festlegen, wer zuständig ist; unterblieb die Festlegung, hatte die Zielgesellschaft zu entscheiden, wer zuständig sein soll (Art. 4 Abs. 2 lit. c))2. Für die Fälle, in denen die Wertpapiere nicht in dem Mitgliedstaat des Sitzes der Zielgesellschaft zugelassen sind (Art. 4 Abs. 2 lit. b) und c)), enthält die Übernahmerichtlinie auch Vorgaben zum anwendbaren Recht3. Danach gilt für Fragen betreffend die Gegenleistung, insbesondere den Preis, und das Angebotsverfahren (einschließlich der Unterrichtung über die Entscheidung zur Angebotsabgabe, des Inhalts der Angebotsunterlage und der Bekanntmachung des Angebots) das Recht des Mitgliedstaates der zuständigen Aufsichtsstelle. Für Fragen der Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft, für gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere betreffend die Kontrollschwelle, für von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots abweichende Regelungen und für die Bedingungen, unter denen Abwehrmaßnahmen getroffen werden können, gelten die Vorschriften des Sitzmitgliedstaates der Zielgesellschaft (Art. 4 Abs. 2 lit. e)).
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Die Übernahmerichtlinie war nach Art. 21 Abs. 1 bis zum 20.5.2006 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Im Hinblick auf den oben Rz. 9 dargestellten Anwendungsbereich bestand in Deutschland kein Umsetzungsbedarf. Zwar erfasst das WpÜG auch einfache Erwerbsangebote sowie nach der früheren Praxis der BaFin den Fall der Identität von Bieter und Zielgesellschaft, der beim Erwerb eigener Aktien (hierzu und zur nach Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes insoweit geänderten Verwaltungspraxis § 2 Rz. 38 ff.) relevant wird, und geht insoweit über den Anwendungsbereich der Übernahmerichtlinie hinaus. Jedoch sind diese Abweichungen europarechtlich unproblematisch (siehe § 2 Rz. 9)4. Das Erfordernis der Zulassung der Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt i.S.d. Übernahmerichtlinie entspricht dem in § 1 enthaltenen Erfordernis der Zulassung an einem organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7, 8; es hätte klargestellt werden können, dass bereits die Zulassung eines Teils der Wertpapiere für die Anwendbarkeit des Gesetzes ausreichend ist. Die Wertpapierdefinition erfasst stimmberechtigte Aktien; diese sind auch nach dem WpÜG zwingend Gegenstand eines (von der Übernahmerichtlinie nur geregelten) Übernahme- bzw. Pflichtangebots (siehe zum Pflichtangebot § 35 Rz. 28 und 221, die dortigen Ausführungen gelten entsprechend für Übernahmeangebote). Dass – wie nach dem WpÜG (siehe § 32 Rz. 8) – darüber hinaus auch stimmrechtslose Vorzugsaktien erfasst werden können, stellt Erwägungsgrund 11 Satz 2 Übernahmerichtlinie ausdrücklich klar5.
1 Gemäß Art. 21 Abs. 1 ist dies der 20.5.2006. 2 Obwohl aus dem Wortlaut dieser Regelung nicht erkennbar, wird man angesichts des Art. 4 Abs. 2 zu Grunde liegenden Regelungskonzeptes für ihre Anwendung zu fordern haben, dass Wertpapiere der Zielgesellschaft nicht im Mitgliedstaat des Sitzes der Zielgesellschaft zugelassen sind; hierzu auch Krause, BB 2002, 2341, 2344. 3 Liegen Sitz der Zielgesellschaft und Börsenzulassung im selben Mitgliedstaat, ist – ohne dass dies ausdrücklich in der Übernahmerichtlinie bestimmt wird – auch dessen Recht anwendbar; vgl. Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 11; von Hein, AG 2001, 213, 214 f.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 228; Mülbert, NZG 2004, 633, 637. 4 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 4 hält die Erstreckung auf einfache Erwerbsangebote ebenfalls für europarechtskonform, doch stelle dies eine unnötige Überregulierung dar. 5 Der Erwägungsgrund betrifft nur Pflichtangebote. Dass Gleiches für Übernahmeangebote gilt, legt jedoch die in Art. 5 Abs. 2 Übernahmerichtlinie zum Ausdruck kommende Wertung nahe.
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Umsetzungsbedarf bestand dagegen bei den oben Rz. 10 f. dargestellten Sachverhal- 14 ten des Fehlens einer Börsenzulassung im Sitzmitgliedstaat der Zielgesellschaft1. Der Anwendungsbereich des Gesetzes und die Überwachungszuständigkeit der BaFin bei Übernahme- und Pflichtangeboten, nicht jedoch bei einfachen Erwerbsangeboten2, war anzupassen. Für Übernahme- und Pflichtangebote an die Aktionäre deutscher Zielgesellschaften, deren Aktien ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, war vorzusehen, dass das WpÜG und die Beaufsichtigung durch die BaFin nur in Bezug auf die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft, gesellschaftsrechtliche Fragen, die Kontrollschwelle beim Pflichtangebot und Ausnahmen von demselben sowie die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen gelten. Umgekehrt war auch vorzusehen, dass auf Übernahme- und Pflichtangebote von Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, deren Aktien nicht zum Handel an einem organisierten Markt in diesem Mitgliedstaat, aber in Deutschland zugelassen sind, die Regeln des WpÜG über die Gegenleistung und das Angebotsverfahren anzuwenden sind und deren Einhaltung von der BaFin zu überwachen ist. Für beide Fälle waren zudem die oben Rz. 11 dargestellten Vorgaben zu Mehrfachzulassungen umzusetzen. Die Umsetzung ist in § 1 Abs. 2 bis 5 erfolgt (hierzu unten Rz. 51 ff.).
IV. Kritik Kritisiert worden ist, dass § 1 allein ohne sachliche Aussagekraft sei3. Hieran ist rich- 15 tig, dass zum näheren Verständnis der Norm ein Rückgriff auf die Definitionen des § 2 erforderlich ist. Dies ist aber kein Nachteil der Regelung. § 1 verschafft dem Rechtsanwender einen ersten Überblick über das Regelungsprogramm des WpÜG4. Die Alternativen eines vollständigen Verzichts auf § 1 und einer entsprechenden Ergänzung der Definitionen des § 25 oder eines stark erweiterten § 1 verbessern kaum die Lesbarkeit des Gesetzes. Abgesehen hiervon hat § 1, nicht zuletzt durch die Regelungen zum internationalen Anwendungsbereich, auch erhebliche eigenständige Bedeutung (siehe oben Rz. 1)6. Teilweise ist darauf hingewiesen worden, die Bezugnahme auf Angebote in § 1 sei zu 16 eng bzw. irreführend und zirkulär7. Insbesondere würde bei genauer Lesart des § 1 das WpÜG nicht auf Pflichtangebote anwendbar sein. Deren Auslöser sei ein Kontrollerwerb, der aber – sofern er nicht in Form eines öffentlichen Angebots erfolge – nicht von § 1 erfasst werde. Ein Rückgriff auf § 2 Abs. 1, der Pflichtangebote erwähnt, sei nicht möglich, da die Vorschrift die Anwendbarkeit des Gesetzes voraussetze. Gegen diese Ansicht spricht zunächst, dass das Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, was auch von denjenigen anerkannt wird, die die (ausschließliche) Bezugnahme auf Angebote kritisieren. Wenn man hingegen bei der Auslegung des § 1 den Willen des Ge1 Siehe hierzu auch die oben Rz. 11 Fn. 4 aufgeführte Literatur. 2 Dies wird übersehen im Formulierungsvorschlag einer Neuregelung von Mülbert, NZG 2004, 633, 639. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 1; siehe auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 1. 4 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 1 Fn. 1 hält die Formulierung des § 1 zu diesem Zweck für ungeeignet. 5 In diese Richtung gehend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 1. 6 Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 6. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 5 ff.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 1.
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setzgebers1 und die in zentralen Vorschriften des WpÜG (hier § 2 Abs. 1, §§ 35 ff.) zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen berücksichtigt2, gelangt man zwanglos zum zutreffenden Ergebnis. 17
Vielfach wird ferner der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes, der sich auf Zielgesellschaften beschränkt, deren Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, als zu eng beanstandet. Der organisierte Markt umfasst im Inland nur den – bis zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie als amtlicher bzw. geregelter Markt bezeichneten – regulierten Markt (§ 2 Abs. 7). Wünschenswert sei eine Einbeziehung auch des Freiverkehrs (§ 48 BörsG)3. Teilweise wird darüber hinausgehend auch eine Anwendung des WpÜG auf Gesellschaften ohne jeden Bezug zum Kapitalmarkt (börsenferne Gesellschaften) gefordert4. Begründet wird dies im Wesentlichen mit dem Schutzbedürfnis der Anleger bzw. bei börsenfernen Gesellschaften der außenstehenden Aktionäre. Mit Blick auf das Pflichtangebot wird insbesondere auf das Erfordernis eines auch für börsenferne Gesellschaften geltenden einheitlichen Konzerneingangsschutzes und – hiermit zusammenhängend – den verfassungsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz verweisen.
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Dieser Kritik ist nicht zu folgen5. Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des WpÜG bewusst ein Sonderrecht für solche Märkte geschaffen, die bestimmten Mindeststandards im Hinblick auf Organisation und Überwachung genügen6. Die im WpÜG erfolgte Abgrenzung ist sowohl gesellschaftsrechtlich (§ 3 Abs. 2 AktG) als auch kapitalmarktrechtlich (§§ 15, 21 ff. WpHG) anerkannt und zudem auch in Art. 1 Abs. 1 Übernahmerichtlinie angelegt. Die fehlende Einbeziehung des Freiverkehrs trägt dem Umstand Rechnung, dass es gerade dem Wesen des Freiverkehrs entspricht, dass dort eben nicht das gleiche hohe Schutzniveau wie an organisierten Märkten herrscht. Gerade das regulatorische Gefälle7 grenzt den Freiverkehr von organisierten Märkten ab; aus diesem Grund kann auch nicht der Anlegerschutz als tragendes Argument herangezogen werden. Hinzu treten strukturelle Unterschiede wie das Fehlen eines förmlichen Zulassungsverfahrens und die privatrechtliche Organisation, 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 29 f. 2 Zu dieser Methodik (allerdings Bezug nehmend auf die allgemeinen Grundsätze des § 3) Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 70 f. 3 Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1227 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 394; zuvor schon Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 375 f.; Tröger, DZWiR 2002, 353, 355; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 280; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 27; sofern die Wertpapiere der Zielgesellschaft mit ihrer Zustimmung in den Freiverkehr einbezogen wurden auch Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 60; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 49 f., 73 (für Übernahmeund Pflichtangebote). 4 Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1227 f.; zuvor schon Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 375; für Anwendbarkeit der Pflichtangebotsregelungen Tröger, DZWiR 2002, 353, 355; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 74 ff.; wohl auch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 725; für grundsätzliche Geltung und Ausschlussmöglichkeit durch Satzung Mühle, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 463 f. 5 Gegen Erstreckung des Anwendungsbereichs auf den Freiverkehr auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 53; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 41; gegen Erstreckung auf börsenferne Gesellschaften auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 8; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 557 ff., 563 (zum Pflichtangebot). 6 Den kapitalmarktrechtlichen Ansatz der Regelungen in diesem Zusammenhang betonend auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 8; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 557 ff., 563 (zum Pflichtangebot). 7 Siehe dazu BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BB 2012, 2010, 2012.
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Anwendungsbereich
die erhebliche Spielräume bei der Ausgestaltung des Marktes ermöglicht. Gegen die Erstreckung insbesondere der Pflichtangebotsregeln auf börsenferne Gesellschaften spricht, dass deren Aktionäre ganz anders als Anleger börsennotierter Gesellschaften durch entsprechende Vertragsgestaltung Vorsorge für den Fall des Kontrollwechsels treffen können und dies häufig auch tun. Auch der Hinweis auf das Erfordernis eines einheitlichen Konzerneingangsschutzes überzeugt nicht, da das Pflichtangebot kapitalmarktrechtlich, nicht konzernrechtlich zu verankern ist (näher § 35 Rz. 31 ff.). Vor diesem Hintergrund ist auch ein verfassungsrechtliches Gebot der Einbeziehung des Freiverkehrs oder börsenferner Gesellschaften in den Anwendungsbereich des WpÜG nicht erkennbar1. Von einigen Stimmen in der Literatur wurde der internationale Anwendungsbereich 19 einerseits als zu eng, anderseits als zu weit angesehen: zu eng deshalb, weil das WpÜG nicht Sachverhalte erfasste, bei denen Aktien ausländischer Gesellschaften ausschließlich oder in erheblichem Umfang an einem inländischen organisierten Markt gehandelt werden2; die Anwendbarkeit des WpÜG scheiterte hier am Merkmal der Zielgesellschaft (§ 2 Abs. 3 a.F.). Zu weit deshalb, weil das WpÜG auch anwendbar war, wenn Aktien inländischer Zielgesellschaften ausschließlich an ausländischen organisierten Märkten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehandelt wurden3. Nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie ist diese Kritik jedenfalls im Hinblick auf den EWR obsolet geworden, da eine Neuregelung dieser Fälle entsprechend den in Art. 4 Abs. 2 Übernahmerichtlinie vorgegebenen Grundsätzen (hierzu oben Rz. 10 f., 14 und unten Rz. 38 ff.) erfolgte. Gleichwohl werden auch die neu eingefügten Vorschriften des § 1 Abs. 2 bis 5 beanstandet4: So sei der Anwendungsbereich des WpÜG insofern zu weit, als die Beschränkungen von § 1 Abs. 2 nicht bei einfachen Erwerbsangeboten gelten und auch nicht für den Fall, dass die zugelassenen Aktien nicht stimmberechtigt sind. Hingegen verenge die Regelung in § 1 Abs. 3 die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu sehr, indem es ausgeschlossen werde, wenn die nur im Inland zugelassenen Aktien nicht stimmberechtigt seien oder das WpÜG nach § 1 Abs. 1 auf Nicht-EWR-Gesellschaften von vornherein keine Anwendung finde.
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Hingewiesen werden soll hier nur darauf, dass die Beschränkung auf inländische Zielgesellschaften im Ansatz positive Kompetenzkonflikte, die Einbeziehung ausländischer Märkte negative Kompetenzkonflikte mit anderen Rechtsordnungen vermei-
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1 Genauso wenig wie umgekehrt das Delisting von Verfassungs wegen das Angebot einer Barabfindung gebietet, vgl. BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BB 2012, 2010 ff. 2 von Hein, AG 2001, 213, 231 f.; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 14 (kritisch nur noch hinsichtlich Gesellschaften aus Nicht-EWR-Staaten); Land, DB 2001, 1707, 1708; Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1229; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 398 f.; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 725 mit Fn. 12; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 280; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 11; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 16, 51, 77; teilweise wird hier das zusätzliche Erfordernis aufgestellt, dass in dem Sitzstaat des Unternehmens keine oder jedenfalls keine dem WpÜG entsprechenden Übernahmeregeln bestehen. Den vom Gesetzgeber festgelegten Anwendungsbereich dagegen begrüßend Zschocke, DB 2002, 79, 80; zu Recht auf das Fehlen praktizierbarer Alternativen in Bezug auf Nicht-EWR-Staaten verweisend auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 9. 3 Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1228 f.; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 725 mit Fn. 12; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 280; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 10; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 15, 50; das Regelungskonzept dagegen begrüßend von Hein, AG 2001, 213, 231 f.; wohl auch Hahn, RIW 2002, 741, 743. 4 Hierzu ausführlich Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 14 ff.
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det. Allerdings wäre es in der Tat wünschenswert gewesen, das WpÜG auf im Inland zugelassene Gesellschaften aus Drittstaaten hinsichtlich des Marktrechts zu erstrecken. Umgekehrt wäre es konsequenter und sinnvoll gewesen, die Beschränkungen des § 1 Abs. 2 jedenfalls auch bei einfachen Erwerbsangeboten und in den Fällen anzuwenden, in denen die Aktien der Zielgesellschaft (gleich ob stimmberechtigt oder nicht) nur im Ausland zugelassen sind. Es ist nicht ersichtlich, warum bei diesen Fällen deutsches Übernahmerecht neben dem Übernahmerecht des Zulassungsstaates gelten soll. Der Beschränkung in § 1 Abs. 3 auf stimmberechtigte Wertpapiere ist hingegen zuzustimmen. Sie mag zwar im Einzelfall unbefriedigend sein, die Vorgaben aus der Übernahmerichtlinie gehen aber nicht weiter, so dass es an einer entsprechenden Regelungsbefugnis des deutschen Gesetzgebers für die ausländischen Gesellschaften fehlt. Im Übrigen zeigt der Rechtsvergleich, dass international einheitliche Regeln, nach denen sich der Anwendungsbereich übernahmerechtlicher Regularien bestimmt, bis zum Erlass der Übernahmerichtlinie nicht bestanden haben1 und eine befriedigende Lösung sich letztlich nur im Wege der Harmonisierung finden lässt2. 22
Das gilt auch heute noch. Die Einführung eines Systems der gespaltenen Rechtsanwendung in § 1 Abs. 2 und 3 hat zur Folge, dass die Interaktion von deutschem und ausländischem Recht sorgfältig zu prüfen ist, gerade auch im Hinblick auf die inhaltlich teils divergierenden Übernahmegesetze3.
B. Inlandsgesellschaft mit Börsenzulassung in Deutschland (§ 1 Abs. 1) I. Angebot zum Erwerb von Wertpapieren 23
Nach § 1 Abs. 1 Halbsatz 1 findet das WpÜG Anwendung auf „Angebote zum Erwerb von Wertpapieren“. § 2 Abs. 1 enthält eine Legaldefinition des Begriffs des Angebots (näher § 2 Rz. 5 ff.). Es muss sich daher jedenfalls um ein Angebot handeln, das öffentlich erfolgt4. Das Gesetz kennt drei Arten von Angeboten: einfache Erwerbsangebote, Übernahmeangebote und Pflichtangebote. Zur Anwendbarkeit des Gesetzes auf Angebote zum Erwerb eigener Aktien siehe § 2 Rz. 38 ff. Ob der Bieter mit dem Erwerb die Kontrollmehrheit anstrebt, ist für den sachlichen Anwendungsbereich nicht von Bedeutung5.
1 Überblick über die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte bei Ryngaert, ECFR 2007, 434, 438 ff.; Wymeersch, ZGR 2002, 520, 525 ff.; Holzborn, BKR 2002, 67, 69 f., 72 ff.; Siems, ECFR 2004, 458, 461 ff.; hierzu auch Zimmer, ZGR 2002, 731, 732 ff. 2 Ebenso Zimmer, ZGR 2002, 731, 748, 753; Tröger in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser, S. 135, 145. 3 So führt z.B. ein vorgeschaltetes freiwilliges Übernahmeangebot nicht nach allen Rechtsordnungen immer dazu, dass ein Pflichtangebot nicht mehr erforderlich ist. Während es nach der Verwaltungspraxis der BaFin ausreicht, dass ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen dem Kontrollerwerb und dem freiwilligen Übernahmeangebot besteht (siehe Merkblatt BaFin vom 7.12.2007 zur Auslegung von § 35 Abs. 3), ist nach anderen Rechtsordnungen erforderlich, dass Kontrolle konkret aufgrund des freiwilligen Übernahmeangebots erworben wurde (so etwa nach niederländischem Recht). 4 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 2; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 20; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 7; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 1 WpÜG Rz. 2. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 28; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 7.
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§1
Anwendungsbereich
Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes sind sowohl dessen Sinn 24 und Zweck als auch die in einzelnen Regelungen des WpÜG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu berücksichtigen1. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die einzelnen Normen in einem Gesamtzusammenhang stehen, was gerade auch für § 1 gilt, der eine bündige Zusammenfassung des Regelungsprogramms des WpÜG enthält. Berücksichtigt man diese Grundsätze, zeigt sich, dass das tatsächliche Vorliegen eines Angebots nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit des WpÜG ist, sondern der Anwendungsbereich weiter gefasst ist und darüber hinausgehend auch Sachverhalte im Zusammenhang mit (potenziellen) Angeboten erfasst2: So verpflichtet § 10 Abs. 1 den Bieter, bei einfachen Erwerbsangeboten und Übernahmeangeboten bereits seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu veröffentlichen; die tatsächliche Abgabe des Angebots erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. § 17 untersagt eine öffentliche invitatio ad offerendum, obwohl diese selbst kein Angebot i.S.d. § 2 Abs. 1 ist. Bei Pflichtangeboten ist die Abgabe des Angebots Rechtsfolge des Kontrollerwerbs (hierzu schon oben Rz. 16), der bereits eine Veröffentlichungspflicht gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 auslöst. Aus §§ 36 und 37 ergibt sich, dass das Gesetz sogar dann Anwendung findet, wenn ein Kontrollerwerb auf Grund der Nichtberücksichtigung von Stimmrechten nicht vorliegt und somit gar kein Angebot abzugeben ist oder die BaFin den (potenziellen) Bieter von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots befreit. Dass die Formulierung des § 1 nicht all diese Fälle berücksichtigen kann, liegt auf der Hand und ist wohl kaum als ein Mangel der Norm anzusehen. Das Angebot muss auf den Erwerb von Wertpapieren gerichtet sein. Zum Begriff des Erwerbs siehe § 2 Rz. 18 ff.
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§ 2 Abs. 2 enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Wertpapiere; siehe hierzu § 2 Rz. 46 ff.
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§ 1 Abs. 1 Halbsatz 1 gibt keine Antwort auf die Frage, ob der Bieter sein Angebot auf 27 einzelne Arten von Wertpapieren i.S.d. § 2 Abs. 2 beschränken, nach Wertpapiergattungen differenzieren, oder das Angebot als Teilangebot ausgestalten kann. Bei Beantwortung dieser Fragen sind die Vorschriften der § 3 Abs. 1, § 19 und § 32 heranzuziehen. Hier gilt Folgendes: Mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung ist der Bieter grundsätzlich frei, bei seinem Angebot zwischen verschiedenen Arten von Wertpapieren i.S.d. § 2 Abs. 2 zu differenzieren, also beispielsweise ein Angebot nur zum Erwerb von Aktien oder von Wandelschuldverschreibungen abzugeben. Nach § 3 Abs. 1 stets unzulässig sind jedoch Differenzierungen zwischen Wertpapieren, die derselben Gattung3 angehören. Dagegen können Inhaber verschiedener Wertpapiergattungen, z.B. Stamm- und Vorzugsaktionäre oder Inhaber von Wandelschuldverschreibungen verschiedener Serien, grundsätzlich unterschiedlich behandelt werden. Teilangebote sind 1 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 5; ebenfalls zu dieser Methodik (allerdings Bezug nehmend auf die allgemeinen Grundsätze des § 3) Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 70 f. 2 Hierzu Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 8 f., 16; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 24; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 26, § 2 Rz. 31; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 4; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 8; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 1 WpÜG Rz. 2. Zu weitgehend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 5, § 2 Rz. 104 (ernsthafte Überlegungen, ein Angebot abzugeben, sollen genügen); siehe hierzu auch die Kommentierung zu § 2 Rz. 113. 3 Nach § 11 Satz 2 AktG bilden Aktien mit gleichen Rechten eine Gattung, Entsprechendes gilt für die anderen in § 2 Abs. 2 genannten Wertpapiere. Zu den unterschiedlichen Aktiengattungen siehe Hüffer, § 11 AktG Rz. 3 ff.
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grundsätzlich zulässig, jedoch hat hier gemäß § 19 eine Zuteilung pro rata zu erfolgen. Für Übernahme- und Pflichtangebote sieht § 32 (i.V.m. § 39) jedoch eine Pflicht zum Erwerb aller Aktien vor (siehe auch § 32 Rz. 4 ff.). Insoweit enthält § 32 sowohl eine Ausnahme von der Möglichkeit zur Abgabe von Teilangeboten als auch der Möglichkeit, zwischen Inhabern unterschiedlicher Aktiengattungen zu differenzieren.
II. Ausgabe der Wertpapiere von einer Zielgesellschaft 28
§ 1 Abs. 1 Halbsatz 2 verlangt, dass die Wertpapiere, auf die sich das Angebot bezieht, „von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden“. § 2 Abs. 3 enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Zielgesellschaft. Danach muss es sich bei der Gesellschaft um eine AG oder KGaA mit Sitz im Inland oder um eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums handeln (hierzu § 2 Rz. 57 ff.). Keine Anwendung findet das WpÜG daher auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von Gesellschaften mit Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums emittiert wurden, auch wenn die betreffenden Wertpapiere überwiegend oder ausschließlich zum Handel an einem organisierten Markt in Deutschland zugelassen sind (zur Kritik hieran siehe oben Rz. 19 ff., zu den Vorgaben der Übernahmerichtlinie Rz. 10 f., 14)1. Unerheblich ist demgenüber der (Wohn-)Sitz oder die Rechtsform des Bieters (hierzu § 2 Rz. 78 ff.) oder der Adressaten des Angebots2.
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Das Erfordernis der Ausgabe von einer Zielgesellschaft nimmt generell Bezug auf „Wertpapiere“, ohne zwischen den verschiedenen in § 2 Abs. 2 aufgeführten Wertpapieren zu differenzieren. Ist dies bei den in Nr. 1 aufgeführten Aktien als gesetzgeberischem Grundfall unproblematisch, stellt sich die Frage, wie dieses Merkmal bei den anderen in § 2 Abs. 2 aufgeführten Wertpapieren aufzufassen ist. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung würde dazu führen, dass solche Wertpapiere, die Aktien einer Zielgesellschaft vertreten (beispielsweise Depositary Receipts) oder die den Erwerb von Aktien einer Zielgesellschaft zum Gegenstand haben (beispielsweise Wandelanleihen), aber von Dritten emittiert werden, nicht dem Anwendungsbereich des WpÜG unterfallen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn deren Emittent im Einzelfall eine inländische AG oder KGaA oder eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums wäre und so die Kriterien einer Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3 erfüllen würde. Eine derartige Sichtweise würde allerdings nicht nur zu unvertretbaren Zufallsergebnissen führen, sondern auch den systematischen Zusammenhang zum Begriff der Zielgesellschaft verkennen. Der Gesetzgeber ist ersichtlich von dem Leitbild eines Angebots auf Aktien deutscher Zielgesellschaften ausgegangen (alle anderen in § 2 Abs. 2 genannten Wertpapiere nehmen auf Aktien Bezug) und wollte sämtliche Angebote, die unmittelbar oder mittelbar deren Aktien betreffen, regeln. Daher sind auch von Dritten emittierte Wertpapiere in den Anwendungsbereich des WpÜG einzubeziehen, sofern diese Wertpapiere Aktien einer Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3 vertreten oder den Erwerb dieser Aktien zum Gegenstand haben3. Erfasst sind darüber hinaus nur die Aktien 1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 30; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 36. 2 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 127. 3 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 42; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 45; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 32 (sofern die Emission auf das Betreiben der Zielgesellschaft zurückgeht); zweifelnd Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 67 (mit unzutreffendem Verweis auf Versteegen); offen gelassen bei Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12.
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Anwendungsbereich
bzw. Rechte auf Aktien der Zielgesellschaft selbst, nicht dagegen Rechte auf Aktien einer anderen Aktiengesellschaft1. Umstritten ist die Behandlung von Wertpapieren, deren Ausgabe erst nach der Ver- 30 öffentlichung eines Angebots während der Annahmefrist erfolgt. Die Frage, ob den Bieter eine Pflicht zum Erwerb auch dieser Wertpapiere trifft2, stellt sich grundsätzlich bei allen Angeboten3 und hinsichtlich aller Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2. Praktische Bedeutung gewinnt sie jedoch vor allem bei Übernahme- und Pflichtangeboten, sofern die Zielgesellschaft junge Aktien auf Grund einer Kapitalerhöhung, etwa durch Ausnutzung genehmigten Kapitals oder Ausübung von Wandlungs- bzw. Optionsrechten, ausgibt. Gegen eine Verpflichtung zur Einbeziehung spricht das Interesse des Bieters, bei Abgabe des Angebots – auch im Hinblick auf die Finanzierung (§ 13) – den genauen Umfang seiner Verpflichtungen zu kennen. Für eine Verpflichtung spricht allerdings der Wortlaut des § 1 („Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die … ausgegeben wurden“), da das Angebot bis zum Ablauf der Annahmefrist angenommen werden kann und die betreffenden Wertpapiere bis zu diesem Zeitpunkt ausgegeben worden sind. Hinzu tritt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber gemäß § 3 Abs. 1, der während des gesamten Angebotsverfahrens gilt. Bei Übernahme- und Pflichtangeboten verbietet zudem § 32 (i.V.m. § 39) die Abgabe von Teilangeboten, um sämtlichen Aktionären die Möglichkeit einer Veräußerung ihrer Aktien zu eröffnen. Schließlich ist auch kaum einsichtig, warum Aktionäre junger Aktien anders behandelt werden sollten als Aktionäre, die ihre Aktien nach Angebotsabgabe während der Annahmefrist über die Börse erworben haben (hierzu § 32 Rz. 11 und § 35 Rz. 224).
III. Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt 1. Grundlagen § 1 Abs. 1 Halbsatz 3 verlangt, dass die Wertpapiere, auf die sich das Angebot bezieht, 31 „zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind“. § 2 Abs. 7 enthält eine Legaldefinition des „organisierten Marktes“ (siehe § 2 Rz. 130 ff.). Organisierter Markt ist im Inland der regulierte Markt (§§ 32 ff. BörsG), nicht aber der Freiverkehr (§ 48 BörsG). Ausländische organisierte Märkte sind sämtliche geregelten Märkte im Sinne der europäischen Finanzmarktrichtlinie in den anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, der in § 2 Abs. 8 definiert ist (näher zum Ganzen § 2 Rz. 139 ff.). Die Wertpapiere müssen zum Handel zugelassen sein. Dies ist der Fall, wenn die Erlaubnis für den Handel mit den Papieren an dem entsprechenden Markt erteilt worden ist4. Zur Frage des Zeitpunktes, zu dem eine Zulassung vorliegen muss, und zum Weg-
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 31. 2 Für eine solche Verpflichtung Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 19 f.; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 6; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 7; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12; wohl auch von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 39 Rz. 28 ff.; dagegen Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 44; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 34 ff., 38; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 47, 70. 3 Bei einfachen Erwerbsangeboten in der Form von Teilangeboten stellt sich die Frage, ob die Wertpapiere pro rata berücksichtigt werden müssen. 4 Zur Zulassung Heidelbach in Schwark/Zimmer, § 32 BörsG Rz. 17.
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fall einer Zulassung siehe § 2 Rz. 131. Angesichts der eindeutigen Gesetzesformulierung und der historischen Auslegung1 ist unerheblich, ob die Wertpapiere nach erfolgter Zulassung auch tatsächlich an diesem Markt gehandelt werden, so lange nicht die Zulassung nach § 38 Abs. 4 BörsG erlischt2; hierzu und zur Frage der Einordnung des zum 4.6.2003 eingestellten Neuen Marktes sowie vergleichbarer Märkte siehe § 2 Rz. 133 ff. Ebenfalls zugelassen i.S.d. § 1 sind gemäß § 33 BörsG auf Antrag eines Handelsteilnehmers oder von Amts wegen in den regulierten Markt einbezogene Wertpapiere3. 33
Dem Bieter steht es frei, Angebote zu kombinieren, d.h. Angebote zum Erwerb zugelassener Wertpapiere mit Angeboten zum Erwerb nicht zugelassener Wertpapiere zu verbinden (Beispiel: Angebot zum Erwerb börsenzugelassener Aktien und nicht börsenzugelassener Wandelanleihen). Sofern hier nicht einer der unten Rz. 37 genannten Fälle vorliegt, in dem von einem einheitlichen Angebot auszugehen ist, unterliegt jedoch nur das Angebot zum Erwerb zugelassener Wertpapiere dem WpÜG4. Auch die Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin nach §§ 14 f. beschränkt sich auf dieses Angebot5; regelmäßig wird ohnehin zur Vermeidung von Missverständnissen die Erstellung zweier getrennter Angebotsunterlagen angezeigt sein. Wird in einer einheitlichen Angebotsunterlage der Eindruck erweckt, diese unterfalle in vollem Umfang dem WpÜG und sei vollumfänglich von der BaFin in dem hierfür vorgesehenen Verfahren nach dem Gesetz überprüft worden, kann die BaFin die Angebotsunterlage beanstanden; hier gelten die unten Rz. 56 dargestellten Grundsätze. 2. Teilweise Zulassung von Wertpapieren
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Fraglich ist die Anwendbarkeit des WpÜG, wenn nur ein Teil der Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen ist. Die Zulassung kann sich auf einen Teil gattungsgleicher Wertpapiere beschränken (Beispiel 1: Zulassung nur eines Teils der Stammaktien6, vgl. § 7 BörsZulV). Möglich ist aber auch, dass von unterschiedlichen Wertpapiergattungen nur eine zugelassen wird (Beispiel 2: Zulassung nur der Stammaktien, nicht aber der stimmrechtslosen Vorzugsaktien; Beispiel 3: Zulassung nur der stimmrechtslosen Vorzugsaktien, nicht aber der Stammaktien). Hier gilt Folgendes:
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Beschränkt sich ein Erwerbsangebot auf nicht zugelassene7 Wertpapiere (im Beispiel 1: diejenigen Stammaktien, die nicht zugelassen sind; im Beispiel 2: Vorzugsaktien, im Beispiel 3: Stammaktien), unterliegt dieses Angebot nicht dem Anwendungs-
1 2 3 4
Vgl. Begr. RegE zu § 2 Abs. 7, BT-Drucks. 14/7034, S. 35. Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 60; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 30. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 27. Im Grundsatz auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 17 f., jedoch ohne die in Rz. 31 genannten Ausnahmen; für uneingeschränkte Anwendbarkeit des WpÜG bei Angeboten auf zugelassene und nicht zugelassene Aktien Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 76 f.; für teilweise Erstreckung des Anwendungsbereichs des WpÜG Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 47 a.E. 5 Wenig überzeugend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1: Grundsätzlich keine Prüfung (Rz. 18, 52), jedoch Prüfungspflicht, sofern der Bieter im Angebot auf Vereinbarkeit mit §§ 3, 10 ff. hinweist (Rz. 20, 54, 79). 6 Die Börsenzulassung führt nicht zur Gattungsverschiedenheit, da sie sich nicht auf die aus den Aktien resultierenden Mitgliedschaftsrechte auswirkt, vgl. § 11 Satz 2 AktG. 7 Nicht zugelassen im Sinne des WpÜG sind die Wertpapiere auch dann, wenn sie ausschließlich an einem Markt außerhalb des EWR zugelassen sind, vgl. § 2 Abs. 7, 8.
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bereich des Gesetzes, da die Wertpapiere die Gegenstand des Angebots sind, nicht „zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen“ sind1. Daher sind hier auch § 19 und § 32 unanwendbar2 (siehe § 32 Rz. 11 ff.)3. Erlangt der Bieter durch ein Angebot, das sich auf nicht zugelassene Aktien be- 36 schränkt, die Kontrolle über die Zielgesellschaft (möglich im Beispiel 1 und 3), hat er ein Pflichtangebot abzugeben (siehe hierzu auch § 32 Rz. 11 ff.)4. Gleiches gilt, wenn die Kontrolle durch Paketerwerb erlangt wurde; für den im Beispiel 3 genannten Fall hat dies die BaFin auch bereits entschieden5. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist hier eröffnet, da die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt wurde, deren Aktien zumindest teilweise zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Die befreiende Wirkung des § 35 Abs. 3 greift nicht ein, da die Kontrolle nicht auf Grund eines Übernahmeangebotes im Sinne der §§ 29 ff. in dem dafür nach §§ 10 ff. vorgesehenen Verfahren erlangt wurde6 (siehe auch § 35 Rz. 271). Zu den in das Pflichtangebot einzubeziehenden Wertpapieren, insbesondere zur Frage der Einbeziehung nicht börsenzugelassener Aktien, siehe § 35 Rz. 221 ff. Erstreckt ein Bieter das Angebot sowohl auf zugelassene als auch auf nicht zugelasse- 37 ne Wertpapiere, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass hier zwei unterschiedliche Angebote vorliegen, von denen nur das Angebot zum Erwerb der börsenzugelassenen Wertpapiere den Regeln des WpÜG unterliegt7 (Beispiel: Angebot zum Erwerb börsenzugelassener Aktien und nicht börsenzugelassener Wandelanleihen). Anderes gilt allerdings, sofern es sich bei den Wertpapieren um solche gleicher Gattung handelt (Beispiel 1). Hier lässt sich aus § 3 Abs. 1 ableiten, dass sofern der Anwendungsbereich des Gesetzes einmal eröffnet ist, von einem einheitlichen Angebot auszugehen ist, in dem eine Differenzierung zwischen Inhabern gattungsgleicher Wertpapiere untersagt ist8. Gleiches gilt für Angebote zum Erwerb gattungsverschiedener
1 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 72 (mit Kritik in Rz. 73 ff.); Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 5; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 32 f. (aber Rz. 34); Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 34; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 302 f.; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 30, der dies jedoch für rechtspolitisch nicht unbedingt einleuchtend hält. Für Geltung bei Angeboten, die auf Kontrollerwerb gerichtet sind, § 32 Rz. 11; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 10a; noch anders Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 41: Anwendbarkeit bei teilweiser Zulassung gattungsgleicher Aktien. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 27; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 41. 3 Anders jedoch bei einem Angebot, das sich auf börsennotierte Aktien bezieht (siehe § 32 Rz. 12 f.). 4 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 70, 81 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 40; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 32, 62; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 36; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 31; wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 10a. 5 Pflichtangebot P7S1 Holding/ProSiebenSat.1 Media vom 16.10.2003; das Angebot hat sich nach Auffassung der BaFin auch auf die nicht börsenzugelassenen Stammaktien zu erstrecken, hierzu näher § 35 Rz. 222. 6 Ebenso Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 81. 7 Ebenso im Ansatz Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 17, jedoch ohne die nachfolgend im Text genannten Ausnahmen; für uneingeschränkte Anwendbarkeit des WpÜG bei Angeboten auf zugelassene und nicht zugelassene Aktien Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 76 f.; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 35; für teilweise Erstreckung des Anwendungsbereichs des WpÜG Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 47 a.E. 8 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 77, 79; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 35; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 33.
Pötzsch/Favoccia
69
§1
Anwendungsbereich
Aktien (Beispiele 2 und 3), die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind; für ein einheitliches Angebot spricht hier die Verpflichtung zum Vollangebot an alle Aktionäre gemäß § 321.
C. Inlandsgesellschaft mit ausschließlicher Börsenzulassung in einem anderen EWR-Staat (§ 1 Abs. 2) 38
§ 1 Abs. 2 dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 lit. e) i.V.m. lit. b) Übernahmerichtlinie und beschränkt den Anwendungsbereich des Gesetzes für Zielgesellschaftschaften i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 1 (Sitz im Inland), deren stimmberechtigte Aktien nicht im Inland, jedoch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Ausgenommen von der Regelung sind einfache Erwerbsangebote2.
39
§ 1 Abs. 2 ist nur in dem Fall anwendbar, dass die stimmberechtigten Aktien der Zielgesellschaft ausschließlich im EWR-Ausland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind3. Die Beschränkungen gelten also nicht, wenn etwa die stimmrechtslosen Vorzugsaktien im Ausland börsennotiert sind, die Stammaktien dagegen in Deutschland oder überhaupt nicht zum Börsenhandel zugelassen sind4. Demgegenüber ist § 1 Abs. 2 einschlägig, falls in Deutschland nur die Vorzugsaktien, in einem EWR-Staat jedoch alle Stammaktien börsenzugelassen sind5. Werden sämtliche Wertpapiere ausschließlich in Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums gehandelt, ist das WpÜG gemäß § 1 Abs. 1 nicht anwendbar6.
40
Liegen die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 vor, so sind nur die Vorschriften des Gesetzes anzuwenden, die die Kontrolle, die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots und hiervon abweichenden Regelungen, die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft oder des Bieters, Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, durch die der Erfolg eines Angebots verhindert werden könnte, oder andere gesellschaftsrechtliche Fragen regeln. Welche Vorschriften dies namentlich sind, wird durch § 1 der aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 4 vom Bundesministerium der Finanzen am 17.7.2006 erlassenen WpÜG-AnwendbarkeitsVO (Text im Anhang S. 1738) konkretisiert. Hiernach sind die §§ 1 bis 9, 29, 30, 33 bis 33d, 34, 35 (teilweise), 36 bis 39c und 40 bis 68 anwendbar.
41
Der Normenkatalog von § 1 AnwendbarkeitsVO ist im Hinblick auf § 1 Abs. 2 inkonsistent. So ist nicht jede der aufgeführten Normen als ausschließlich gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. § 3 enthält etwa auch Regelungen, die sich auf Inhalt und Verfahren des Angebots beziehen (Gleichbehandlung, Transparenz, rasche Durchführung, keine Marktverzerrungen)7. Gleichermaßen verweisen §§ 34 und 39
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 83; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 35; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 33. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 16; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 48. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 98; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 36. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 31; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 98. 5 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 37; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 98. 6 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 99; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 37; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 5. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 53.
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§1
Anwendungsbereich
auf Vorschriften, die neben gesellschaftsrechtlichen auch Regelungen über die Gegenleistung sowie das Angebotsverfahren treffen1. Demgegenüber ist § 1 WpÜG-AnwendbarkeitsVO insofern unvollständig, als teilweise gesellschaftsrechtlich zu qualifizierende Vorschriften nicht erfasst werden2. Im Ergebnis müssen diejenigen Vorschriften, die nicht die Voraussetzungen von § 1 42 Abs. 2 erfüllen und damit nicht von der Verordnungsermächtigung gedeckt sind, unangewendet bleiben bzw. entsprechend dem Regelungszweck ausgelegt werden3. So ist etwa die Anwendung von § 35 auf dessen Nr. 1 und 3 beschränkt4, § 60 auf als gesellschaftsrechtlich einzuordnende Vorschriften5. Im Hinblick auf Bestimmungen, die § 1 Abs. 2 unterfallen, aber nicht in § 1 WpÜG-AnwendbarkeitsVO aufgeführt sind, ist jene Regelung als nicht abschließend zu betrachten6. Die praktische Relevanz der Regelung ist gering, da es – soweit ersichtlich – keine Gesellschaften mit Sitz in Deutschland gibt, deren stimmberechtigten Aktien nicht in Deutschland, sondern ausschließlich in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Börsenhandel zugelassen sind7.
43
D. EWR-Gesellschaft mit Börsenzulassung in Deutschland (§ 1 Abs. 3) § 1 Abs. 3 regelt den Anwendungsbereich des WpÜG für Zielgesellschaften i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 (Sitz in einem anderen EWR-Staat), indem bestimmte Vorschriften für anwendbar erklärt werden, falls die stimmberechtigten Wertpapiere (zumindest auch) im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind und keine Zulassung im EWR-Heimatstaat gegeben ist8. Hiermit werden die Vorgaben von Art. 4 Abs. 2 lit. e) i.V.m. lit. b) und c) Übernahmerichtlinie umgesetzt. Liegt der Sitz
1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 32; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 53; kritisch auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 104 f.; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 39. 2 Siehe hierzu Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 102, 105 (§ 3 Abs. 3, § 16 Abs. 4, § 20); Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 38 (§ 20); Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 54 (§ 32); Josenhans, ZBB 2006, 269, 280 (§ 3 Abs. 3, § 16, § 27). 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 54. 4 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 107. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 54. 6 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 38; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 54; einschränkend Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 105 und Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 32, die dies nur auf die Vorschriften des dritten Abschnitts des WpÜG (§§ 10–28) beziehen; weitergehend Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 7, der § 1 Nr. 9 WpÜG-AnwendbarkeitsVO für nichtig hält; a.A. Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 20 Fn. 5 mit Hinweis auf den Wortlaut von § 1 Abs. 2 und 4 sowie § 1 Abs. 2 WpÜG-AnwendbarkeitsVO. 7 Van Kann/Just, DStR 2006, 328; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 3. 8 Vgl. Untersagungsbescheid der BaFin vom 5.4.2012 zu Lasten der Andrem Power S.C.A. für das angekündigte Übernahmeangebot an die Aktionäre der 3W Power S.A. (Sitz: Luxemburg); Angebot Brambles Investment Limited/IFCO Systems N.V. (Sitz: Niederlande) vom 23.12.2010, Ziff. 1.1, S. 6; Angebot OEP Technologie B.V./SMARTRAC N.V. (Sitz: Niederlande) vom 11.10.2010, Ziff. 1.1, S. 5; Pflichtangebot Cross Industries AG/BEKO Holding AG (Sitz: Österreich) vom 17.11.2008, Ziff. 1.1, S. 4; Pflichtangebot QUANMAX Malaysia Sdn Bhd/Gericom AG (Sitz: Österreich) vom 1.10.2008, Ziff. 1.1, S. 5.
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§1
Anwendungsbereich
der Gesellschaft außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, ist das Gesetz nicht anwendbar1. 45
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 muss es sich um ein europäisches Angebot zum Erwerb stimmberechtigter Wertpapiere handeln. Dies ist nach der ebenfalls im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie neu eingefügten Legaldefinition des § 2 Abs. 1a ein Angebot, das nach dem Recht des Sitzstaats der Zielgesellschaft als Angebot i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. a) Übernahmerichtlinie gilt2. Dadurch wird verhindert, dass ein Auslandssachverhalt der Aufsicht der BaFin unterliegt, obwohl nach dem Recht des Sitzstaats der Zielgesellschaft kein Angebot vorliegt3. Darüber hinaus bedarf es dieser Voraussetzung, da der deutsche Gesetzgeber nach der Übernahmerichtlinie nur insofern in Bezug auf Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen EWR-Staat regelungsbefugt ist4. Daher ist § 1 Abs. 3 ebenso wie § 1 Abs. 2 nur auf Pflicht- und Übernahmeangebote, nicht aber auf einfache Erwerbsangebote oder Angebote zum Erwerb von börsennotierten, aber nicht stimmberechtigten Aktien, anwendbar5.
46
Weitere Voraussetzung der teilweisen Anwendbarkeit des Gesetzes für Zielgesellschaften mit Sitz im EWR ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, dass die stimmberechtigten Wertpapiere entweder ausschließlich im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind oder sie auch in einem anderen EWR-Staat, der jedoch nicht Sitzstaat ist, börsennotiert sind. Im letzteren Fall ist zudem erforderlich, dass die Zulassung zuerst zum Handel an einem organisiertern Markt im Inland erfolgte oder bei gleichzeitigen Zulassungen die Zielgesellschaft sich nach § 1 Abs. 5 für die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde entschieden hat.
47
Sofern die Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 Satz 1 vorliegen, findet das Gesetz gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 nur insoweit Anwendung, als es Fragen der Gegenleistung, des Inhalts der Angebotsunterlage und des Angebotsverfahrens regelt. Die gesellschaftsrechtlichen Aspekte werden nach Maßgabe der Übernahmerichtlinie vom Recht des jeweiligen Sitzstaates normiert. Die nach § 1 Abs. 4 i.V.m. § 2 WpÜG-AnwendbarkeitsVO anzuwendenden Vorschriften sind die §§ 1 bis 9, 31, 32, 33d, 34, 35 (teilweise), 38, 39, 40 bis 68. Wie jedoch auch im Rahmen von § 1 WpÜG-AnwendbarkeitsVO ist diese Aufzählung weder abschließend noch können sämtliche Vorschriften ohne Weiteres Geltung beanspruchen (siehe oben Rz. 40 ff.). Über die Verweisungsnormen der §§ 34 und 39 werden etwa auch die als gesellschaftsrechtlich zu beurteilenden Regelungen über die Kontrolle (§§ 29 und 30) miteinbezogen6. Hingegen müssen auch die Vorschriften des Dritten Abschnitts weitgehend Anwendung finden7.
1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 36; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 5; van Kann/Just, DStR 2006, 328, 329. 2 Die Norm ist insoweit redundant, als sich bereits aus § 2 Abs. 1a ergibt, dass sich § 1 Abs. 3 auf Zielgesellschaften mit Sitz im EWR-Ausland bezieht, vgl. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 14. 3 Holzborn/Peschke, BKR 2007, 101, 102. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 16; so auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 111. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 33, 39; kritisch zur Beschränkung auf stimmberechtigte Wertpapiere Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 15. 6 Ebenfalls kritisch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 49; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 33. 7 So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 60; Josenhans, ZBB 2006, 269, 279 f.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 123 (§§ 3 Abs. 1, 10, 11, 14, 17, 18 und 22); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 34 (§§ 10–26); Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 48 (§ 11; zweifelnd bei §§ 12 und 13).
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§1
Anwendungsbereich
Der Vorbehalt zugunsten § 11a stellt klar, dass unabhängig von § 1 Abs. 3 eine von der zuständigen Aufsichtsstelle eines EWR-Staats gebilligte Angebotsunterlage über ein europäisches Angebot ohne zusätzliches Billigungsverfahren im Inland anerkannt wird. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist indes gering1.
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§ 68 enthält eine Übergangsregelung für die Zuständigkeitswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b) bb) i.V.m. § 1 Abs. 5.
49
E. Verordnungsermächtigung zur Anwendbarkeit des Gesetzes in den Fällen der Absätze 2 und 3 (§ 1 Abs. 4) Nach § 1 Abs. 4 ist das Bundesministerium der Finanzen dazu ermächtigt, durch 50 Rechtsverordnung näher festzulegen, in welchem Umfang Vorschriften dieses Gesetzes in den Fällen des Absatzes 2 und des Absatzes 3 anwendbar sind2. Hiervon wurde in Gestalt der WpÜG-AnwendbarkeitsVO3 Gebrauch gemacht. Anders als bei der Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 5 Satz 4 ist eine Weiterdelegation an die BaFin nicht möglich.
F. Wahl der Aufsichtsstelle bei Mehrfachzulassung außerhalb des Sitzstaats (§ 1 Abs. 5) Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 1 verpflichtet eine Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren stimmberechtigten Wertpapiere gleichzeitig im Inland und in einem anderen EWR-Staat, jedoch nicht in ihrem Sitzstaat, zum Börsenhandel zugelassen sind, zur Entscheidung über die zuständige Aufsichtsstelle.
51
Gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 hat die Zielgesellschaft ihre Entscheidung der BaFin mit- 52 zuteilen und zu veröffentlichen. Dies gilt auch dann, wenn sie sich gegen die BaFin als Aufsichtsbehörde entscheidet4. Nähere Bestimmungen über den Zeitpunkt sowie Inhalt und Form der Mitteilung und der Veröffentlichung ergeben sich aus der WpÜG-BeaufsichtigungsmitteilungsVO5, die aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 5 Satz 3 und der Subdelegation des Bundesministeriums der Finanzen nach § 1 Abs. 5 Satz 46 von der BaFin erlassen wurde. Gemäß § 1 Abs. 1 WpÜGBeaufsíchtigungsmitteilungsVO hat die Zielgesellschaft ihre Entscheidung der BaFin spätestens am ersten Handelstag ihrer stimmberechtigten Wertpapiere an einem organisierten Markt im Inland mitzuteilen und nach § 2 Abs. 1 unverzüglich nach deren Handelszulassung an einem organisierten Markt im Inland zu veröffentlichen. 1 Vgl. Seibt/Heiser, ZGR 2006, 301, 305; Meyer, WM 2006, 1135, 1138; Holzborn/Peschke, BKR 2007, 101, 102 f. 2 Kritisch zu dieser Regelungstechnik Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1287; Schüppen, BB 2006, 165, 170. 3 Verordnung über die Anwendbarkeit von Vorschriften betreffend Angebote im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes vom 17.7.2006, BGBl. I 2006, 1698 (Text im Anhang S. 1738). 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 63. 5 Verordnung über den Zeitpunkt sowie den Inhalt und die Form der Mitteilung und der Veröffentlichung der Entscheidung einer Zielgesellschaft nach § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes vom 13.10.2006, BGBl. I 2006, 2266 (Text im Anhang S. 1739). 6 Vgl. § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Übertragung von Befugnissen zum Erlass von Rechtsverordnungen auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Pötzsch/Favoccia
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§1
Anwendungsbereich
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Mitteilung und Veröffentlichung müssen gemäß § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 WpÜG-BeaufsichtigungsmitteilungsVO1 folgende Angaben enthalten: Firma, Sitz, Rechtsform und Geschäftsanschrift der Zielgesellschaft, Angabe der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in welchen die stimmberechtigten Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, Bezeichnung der organisierten Märkte, Tag der Zulassung der stimmberechtigten Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt im Inland, jeweiliger Tag der Zulassung der stimmberechtigten Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums sowie Erklärung über die gewählte Aufsichtsstelle.
54
Zwar ist ein Widerruf der Entscheidung nicht ausdrücklich geregelt, doch wird man einen einverständlichen Wechsel der Aufsichtsstelle in Abstimmung mit bisheriger und in Zukunft gewünschter Aufsichtsbehörde für zulässig erachten müssen2.
G. Freiwillige Unterstellung öffentlicher Angebote unter das WpÜG? 55
Öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die nicht in den Anwendungsbereich des WpÜG fallen, können freiwillig im Einklang mit den Vorgaben des WpÜG abgefasst werden3, was in der Praxis auch bereits geschehen ist4. Hieraus folgt jedoch nicht die Anwendbarkeit des WpÜG auf derartige Angebote. Das Gesetz sieht nicht die Möglichkeit eines opting in vor5.
56
Aus dem Vorgenannten folgt, dass die BaFin grundsätzlich keine aufsichtsrechtlichen Maßnahmen im Hinblick auf derartige Angebote ergreifen kann, da hierfür die erforderlichen Rechtsgrundlagen fehlen6. Anderes dürfte dann gelten, wenn das Angebot den Eindruck erweckt, es unterfalle dem WpÜG und sei von der BaFin in dem hierfür nach dem Gesetz vorgesehenen Verfahren überprüft worden. In derartigen Fällen gebietet der Schutzzweck des WpÜG, der BaFin die Möglichkeit zu eröffnen, das Angebot im Rahmen der allgemeinen Missstandsaufsicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 zu beanstanden und, sofern eine Klarstellung im Angebot nicht unverzüglich erfolgt, dieses erforderlichenfalls zu untersagen7. Eine Verpflichtung zur Überprüfung des Angebots auf seine Vereinbarkeit mit den Vorgaben des WpÜG besteht dabei
1 Der Verweis in § 2 Abs. 1 auf § 2 Abs. 2 ist wohl ein Redaktionsversehen; gemeint ist offenkundig § 1 Abs. 2, vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 63; Angerer in Geibel/ Süßmann, § 1 Rz. 118; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 35 Fn. 47. 2 Ansonsten bliebe der Zielgesellschaft die Möglichkeit eines Delistings im Mitgliedstaat der gewählten Zuständigkeit und anschließender Neubestimmung der Aufsichtsstelle, vgl. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 20. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 131; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 62; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 79; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 56. 4 Noch unter Geltung der Rechtslage vor dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz: Angebot der Berna Biotech AG vom 25.6.2002 für die niederländische Rhein Biotech B.V., deren Aktien ausschließlich in Deutschland zugelassen waren. 5 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 129 ff.; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 28. 6 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 130. 7 Weitergehend Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 56 (BaFin kann bei Vorliegen der Voraussetzungen stets nach § 4 Abs. 1 Satz 3 vorgehen); a.A. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 28, wonach es mangels Anwendbarkeit des WpÜG an der erforderlichen öffentlich-rechtlichen Kompetenznorm fehle.
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Anwendungsbereich
mangels Rechtsgrundlage nicht1. Falls die BaFin den sachlichen Anwendungsbereich für nicht eröffnet hält, sollte sie den Gestattungsantrag des Bieters abweisen2.
H. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Anwendbarkeit des Gesetzes Nimmt der Bieter irrtümlich an, dass das Angebot nicht den Vorschriften des WpÜG 57 unterfalle und führt er es dementsprechend nicht gemäß den Vorschriften des Gesetzes durch, kommt je nach Art des Rechtsverstoßes ein Vorgehen der BaFin gemäß §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 15 Abs. 1 Nr. 2 und bei vorsätzlichem oder leichtfertigem Handeln darüber hinaus die Verhängung eines Bußgeldes nach § 60 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 in Betracht3.
J. Internationales Gesellschafts- und Privatrecht Von der Frage der Anwendbarkeit des WpÜG zu unterscheiden ist die Frage, welchen gesellschaftsrechtlichen Regelungen die Beteiligten eines Angebotsverfahrens unterliegen. Maßgeblich hierfür sind die Regelungen des allgemeinen internationalen Gesellschaftsrechts4. Für Zielgesellschaften und Bietergesellschaften mit Sitz im Inland ist daher deutsches Gesellschaftsrecht maßgeblich5.
58
Das Vertragsstatut, d.h. das Recht, das auf die schuldrechtlichen Kauf- bzw. Tausch- 59 verträge Anwendung findet, die auf Grund eines Angebots nach dem WpÜG geschlossen werden, bestimmt sich nach den in den Art. 3 ff. der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) enthaltenen Regeln des internationalen Schuldvertragsrechts6. Nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO sind dabei jene Regeln des WpÜG, die Vorgaben im Hinblick auf die vertragliche Ausgestaltung des Angebots enthalten (beispielsweise §§ 11, 18, 31 usw.), stets anzuwenden, da sie ihrer Natur nach zwingend sind7. Im Übrigen ist eine Rechtswahl durch den Bieter gemäß Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO zulässig und durch § 2 Nr. 12 WpÜG-AngVO sogar gesetzlich vorgeschrieben, da der Bieter verpflichtet ist, in die Angebotsunterlage auch Angaben über das auf die Erwerbsverträge anwendbare Recht aufzunehmen (näher § 2 WpÜG-AngVO Rz. 37 ff.). Fehlt die Angabe, hat die BaFin die Angebotsunterlage zu beanstanden und, sofern die Angebotsunterlage nicht ergänzt wird, das Angebot gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 zu untersagen8. Erfolgt trotzdem eine Veröffentlichung des Angebots, sind die auf Grund des Angebots abgeschlossenen Verträge gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 nichtig. Die umstrittene Frage, nach welchen Kriterien sich das anwendbare Recht im Falle einer unterlassenen Rechtswahl richtet9, stellt sich vor diesem Hintergrund nicht. Trifft der Bieter eine Rechts1 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 56; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 132; a.A. (ohne Begründung) Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 79. 2 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 56. 3 Siehe dazu auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 53. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 72. 5 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 21. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 71; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 97; Baums/Rieder in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 2.13. 7 Ähnlich von Hein, AG 2001, 213, 224; Baums/Rieder in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 2.20. 8 Hat die BaFin irrtümlich eine unvollständige Angebotsunterlage gebilligt, kann sie die Veröffentlichung einer Berichtigung anordnen; vgl. hierzu § 15 Rz. 14 und Thoma in Baums/ Thoma, § 15 Rz. 41. 9 Hierzu von Hein, AG 2001, 213, 223 ff.; Hahn, RIW 2002, 741, 743 f.; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 95; Baums/Rieder in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 2.14 ff.; ferner auch Assmann in Großkomm. AktG, Einleitung Rz. 714 ff.
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§2
Begriffsbestimmungen
wahl zu Gunsten einer ausländischen Rechtsordnung, was zulässig ist1, ergibt sich auf Grund zwingend anzuwendender Regeln des WpÜG eine Rechtsspaltung2. Hieraus resultieren regelmäßig Abstimmungsschwierigkeiten beim anwendbaren Recht, die weder im Interesse des Bieters noch der betroffenen Wertpapierinhaber liegen. Von einer solchen Rechtswahl ist daher, sofern nicht besonders gelagerte Sachverhalte vorliegen, grundsätzlich abzuraten. 60
Die dingliche Übereignung der Wertpapiere richtet sich entsprechend den Regelungen des Internationalen Wertpapierrechts nach der lex cartae sitae. Dies ist der Ort, an dem die die Wertpapiere verbriefenden Urkunden verwahrt werden3. Eine Rechtswahl der Beteiligten kommt hier nicht in Betracht, da das Wertpapiersachstatut der Privatautonomie entzogen ist4. Befinden sich die vom Angebot betroffenen Wertpapiere in Sammelverwahrung, was regelmäßig der Fall sein wird, regelt § 17a Depotgesetz das anzuwendende Recht5.
§2 Begriffsbestimmungen (1) Angebote sind freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. (1a) Europäische Angebote sind Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des Absatzes 3 Nr. 2, die nach dem Recht des Staates des Europäischen Wirtschaftsraums, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, als Angebote im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. EU Nr. L 142 S. 12) gelten. (2) Wertpapiere sind, auch wenn für sie keine Urkunden ausgestellt sind, 1. Aktien, mit diesen vergleichbare Wertpapiere und Zertifikate, die Aktien vertreten, 2. andere Wertpapiere, die den Erwerb von Aktien, mit diesen vergleichbaren Wertpapieren oder Zertifikaten, die Aktien vertreten, zum Gegenstand haben. (3) Zielgesellschaften sind 1. Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland und 2. Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums.
1 Widersprüchlich Baums/Hecker in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 2.18: Bieter müsse durch Rechtswahlklausel eine Rechtsaufsplitterung vermeiden (was nur bei Wahl des deutschen Rechts möglich ist! – Anm. Verf.), sei aber nicht gezwungen, die Anwendung deutschen Rechts vorzusehen. 2 von Hein, AG 2001, 213, 224; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 71. 3 Hahn, RIW 2002, 741, 744; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 12a. 4 Baums/Rieder in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 2.21; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 144. 5 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 144.
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§2
Begriffsbestimmungen
(4) Bieter sind natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften, die allein oder gemeinsam mit anderen Personen ein Angebot abgeben, ein solches beabsichtigen oder zur Abgabe verpflichtet sind. (5) Gemeinsam handelnde Personen sind natürliche oder juristische Personen, die ihr Verhalten im Hinblick auf ihren Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder ihre Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft mit dem Bieter auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen. Mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Personen sind natürliche oder juristische Personen, die Handlungen zur Verhinderung eines Übernahme- oder Pflichtangebots mit der Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen. Tochterunternehmen gelten mit der sie kontrollierenden Person und untereinander als gemeinsam handelnde Personen. (6) Tochterunternehmen sind Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 des Handelsgesetzbuchs gelten oder auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt. (7) Organisierter Markt sind der regulierte Markt an einer Börse im Inland und der geregelte Markt im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Nr. 14 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. EU Nr. L 145 S. 1) in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums. (8) Der Europäische Wirtschaftsraum umfasst die Staaten der Europäischen Gemeinschaften sowie die Staaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Angebot (§ 2 Abs. 1). . . . . . . . . . . . . .
5
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
II. Freiwilliges oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgendes Angebot . . . . . . . . . . . . .
C. Europäisches Angebot (§ 2 Abs. 1a). 43 D. Wertpapiere (§ 2 Abs. 2) . . . . . . . . . . 46
10
III. Kauf- oder Tauschangebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
IV. Öffentliches Angebot . . . . . . . . . . . .
25
1. 2. 3. 4. 5. 6.
2. Erwerb eigener Aktien nach der Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . 42a 3. Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . 42b
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Entbehrlichkeit urkundlicher Verbriefung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Erfasste Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . 50 1. Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1. . 50 2. Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2. . 53
Bedeutung des Begriffs . . . . . . . . . . . Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . Fallgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 26 28 31 33 37
V. Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . . .
38
1. Rechtsform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Sitzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
1. Erwerb eigener Aktien nach WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
III. Sitz im EWR-Ausland (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
E. Zielgesellschaft (§ 2 Abs. 3) . . . . . . . 57 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Sitz im Inland (§ 2 Abs. 3 Nr. 1). . . . 61
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§2
Begriffsbestimmungen
F. Bieter (§ 2 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . .
75
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
II. Geeignete Rechtssubjekte . . . . . . . .
78
III. Bestimmung des Bieters . . . . . . . . . .
87
IV. Mehrere Personen als Bieter. . . . . . .
91
G. Gemeinsam handelnde Personen (§ 2 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
II. Natürliche oder juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
III. Vereinbarung und Abstimmung in sonstiger Weise . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Erwerb von Wertpapieren oder Ausübung von Stimmrechten . . . . . 109 V. Mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Person . . . . . . . . . . . 118 VI. Tochterunternehmen des Bieters . . 120 H. Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) . . 123 J. Organisierter Markt (§ 2 Abs. 7) . . . 130 K. Europäischer Wirtschaftsraum (§ 2 Abs. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Schrifttum: Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme. Deutsches und europäisches Übernahmekollisionsrecht im Spannungsfeld zwischen internationalem Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008; Adolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797; Assmann, Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz aus der Sicht der Bietergesellschaft, AG 2002, 114; Baum, Rückerwerbsangebote für eigene Aktien: übernahmerechtlicher Handlungsbedarf?, ZHR 167 (2003), 580; Baum, „Öffentlichkeit“ eines Erwerbsangebots als Anwendungsvoraussetzung des Übernahmerechts, AG 2003, 144; Baums/Stöcker, Rückerwerb eigener Aktien und WpÜG, in FS Wiedemann, 2002, S. 703; Behrens, Das Internationale Gesellschaftsrecht nach dem Centros-Urteil des EuGH, IPRax 1999, 323; Berrar/Schnorbus, Rückerwerb eigener Aktien und Übernahmerecht, ZGR 2003, 59; Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG 2002, 145; Boguslawska, Das Verbot des Handelns in eigenen Aktien und seine Ausnahmen, 2010; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Büscher, Zur Verfassungswidrigkeit der Anwendung des WpÜG auf den öffentlichen Erwerb eigener Aktien, ZBB 2006, 107; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Clouth/Lang, MiFID-Praktikerhandbuch, 2007, S. 373 f.; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE des BMF für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, NZG 2001, 420; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RegE Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZIP 2001, 1736; Diekmann, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Diekmann/Merkner, Die praktische Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, ZIP 2004, 836; Diemer/Hasselbach, Öffentliche Übernahmeangebote in Italien, NZG 2000, 824; Ebke, Das Centros-Urteil des EuGH und seine Relevanz für das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht, JZ 1999, 656; Ekkenga, „Macrotron“ und das Grundrecht auf Aktieneigentum – der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003, 878; Eßers/Weisner/Schlienkamp, Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse – die Macrotron-Entscheidung des BGH, DStR 2003, 985; Fleischer, Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und das Finanzmarkt-RichtlinieUmsetzungsgesetz – Entstehungsgeschichte, Grundkonzeption, Regelungsschwerpunkte, BKR 2006, 389, 393; Fleischer, Zum Begriff des öffentlichen Angebots im Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, ZIP 2001, 1653; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Freitag, Der Wettbewerb der Rechtsordnungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, EuZW 1999, 267; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008; Geyrhalter, Niederlassungsfreiheit contra Sitzheorie – Good Bye „Daily Mail“?, EWS 1999, 201; Görk, Das EuGH-Urteil in Sachen „Centros“ vom 9. März 1999: Kein Freibrief für Briefkastengesellschaften!, GmbHR 1999, 793; Gressinger, Öffentliche Angebote börsennotierter Gesellschaften zum Erwerb eigener Aktien, 2008; Hahn, Übernahmerecht und internationales Privatrecht, RIW 2002, 741; Harrer/Müller, Die Renaissance des Freiverkehrs – Eine aktuelle Analyse mit internationalem Vergleich, WM 2006, 653; von Hein, Grundfragen des europäi-
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§2
Begriffsbestimmungen
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Begriffsbestimmungen
schäftsführer einer GmbH, ZIP 2005, 729; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Seibt/Heiser, Analyse der EU-Übernahmerichtlinie und Hinweise für eine Reform des deutschen Übernahmerechts, ZGR 2005, 200; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; Sonnenberger/Großerichter, Konfliktlinien zwischen internationalem Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, RIW 1999, 721; Steinmeyer, Der übernahmerechtliche Sitzbegriff, in FS Immenga, 2004, S. 743; Strunk/Behnke, Die Aufsichtstätigkeit der BaFin nach dem WpÜG im Jahr 2003, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, 2004, S. 81; Süßmann, Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, AG 2002, 424; Süßmann, Obligatorisches Kaufangebot beim Delisting, BKR 2003, 257; Teichmann, Austrittsrecht und Pflichtangebot bei Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft, AG 2004, 67; Tierel, Anmerkung zu OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09, jurisPR-StrafR 17/2010 Anm. 3; Vater, Todesstoß für Delistings? – Bundesgerichtshof schafft neue zivilrechtliche Voraussetzungen für Delistings –, M&A-Review 2003, 276; Veller, Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, 2008; Veranneman/Gärtner, Grenzüberschreitende Tauschangebote nach WpÜG, AG 2009, 648; Weber, Die Entwicklung des Kapitalmarktrechts im Jahre 2006, NJW 2006, 3685; Wiesbrock, Rechtsfragen der Befreiung vom Pflichtangebot nach WpÜG in Sanierungsfällen, NZG 2005, 294; Winkelmann, Aufsicht und anwendbares Recht bei grenzüberschreitenden Unternehmensübernahmen. Zur Harmonisierung des europäischen Übernahmekollisionsrechts, 2008.
A. Grundlagen 1
Die Vorschrift definiert neun grundlegende Begriffe des WpÜG. Die hier gewählte Gesetzestechnik eines vor die Klammer gezogenen allgemeinen Definitionskataloges findet in der Gesetzgebung zunehmend Anwendung (vgl. nur § 2 WpHG, § 1 KWG). Sie wird auch in Art. 2 der Übernahmerichtlinie1 verwandt; die dortigen Definitionen stimmen allerdings nur zum Teil mit den in § 2 enthaltenen Definitionen überein2. Im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie wurde die Definition des „Europäischen Angebots“ in Abs. 1a neu hinzugefügt. Daneben wurden die Bestimmungen der „Zielgesellschaft“ (Abs. 3) sowie der „gemeinsam handelnden Person“ (Abs. 5) erweitert. Ferner wurde der Begriff des „organisierten Marktes“ (Abs. 7) angepasst3.
2
§ 2 ist von erheblicher Bedeutung für das gesamte WpÜG. Zum einen ergänzt die Norm die Vorschrift des § 1, der den Anwendungsbereich des Gesetzes regelt, indem die dort verwandten zentralen Begriffe („Angebot“, „Europäisches Angebot“, „Wertpapiere“, „Zielgesellschaft“ und „organisierter Markt“ sowie mittelbar auch der „Europäische Wirtschaftsraum“ als Bestandteil der Definition des „organisierten Marktes“) erläutert werden. Zum anderen werden zahlreiche weitere Bestimmungen des Gesetzes konkretisiert, die einen oder mehrere der definierten Begriffe verwenden4. Hierdurch werden diese Bestimmungen sprachlich vereinfacht und überflüssige Wiederholungen vermieden.
3
Die in § 2 verwandten Definitionen weichen von den Definitionen andere Gesetze ab. So deckt sich der Angebotsbegriff des WpÜG nicht mit dem im Wertpapierpro1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 2 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 2. 3 Bezug genommen wurde zunächst auf die Segmente des Amtlichen und Geregelten Marktes, die dann durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG), das am 1.11.2007 in Kraft trat, zum heutigen Segment des regulierten Marktes zusammengefasst wurden. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 1.
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Begriffsbestimmungen
spektgesetz verwandten Begriff1. Auch stimmt beispielsweise der Wertpapierbegriff nicht mit dem in § 2 Abs. 1 WpHG oder § 1 Abs. 1 Depotgesetz verwandten Begriff überein2. Die in den einzelnen Gesetzen verwandte unterschiedliche Terminologie erklärt sich aus den verschiedenen Regelungsbereichen und Schutzzielen der jeweiligen Gesetze, die es dem Gesetzgeber erschweren, auf vorhandene Definitionen zurückzugreifen3. Neben § 2 enthält das WpÜG an anderen Stellen weitere Begriffsbestimmungen (§ 11 4 Abs. 1 Satz 1 – Angebotsunterlage, § 16 Abs. 1 Satz 1 – Annahmefrist, § 16 Abs. 2 Satz 1 – weitere Annahmefrist, § 22 Abs. 1 – konkurrierendes Angebot, § 29 Abs. 1 – Übernahmeangebot, § 29 Abs. 2 – Kontrolle). Auch wenn es grundsätzlich möglich gewesen wäre, diese Begriffsbestimmungen ebenfalls in § 2 zu verankern4, hat sich der Gesetzgeber im Interesse einer besseren Lesbarkeit des Gesetzes bewusst gegen eine solche Lösung entschieden. Hierbei wurden Begriffe solcher Definitionen ausgelagert, die schwerpunktmäßig an einer Stelle des Gesetzes geregelt werden und deshalb dort vom Rechtsanwender vordringlich von Bedeutung sind (z.B. § 11 – Angebotsunterlage, § 16 – Annahmefrist) oder die nicht für das gesamte WpÜG, sondern nur für einzelne Abschnitte relevant sind (§ 29 – Übernahmeangebot und Kontrolle als Zentralbegriffe der Abschnitte 4 und 5 des Gesetzes).
B. Angebot (§ 2 Abs. 1) I. Überblick § 2 Abs. 1 definiert als Angebot freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach 5 dem Gesetz erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. Der Begriff des Angebots ist einer der Zentralbegriffe des WpÜG5. Schon die in § 1 enthaltene Regelung zum Anwendungsbereich des Gesetzes nimmt auf Angebote Bezug. Auch ist das Angebot Bezugspunkt der allgemeinen Grundsätze des § 3. In den Abschnitten 3 und 4 ist das Angebot (als einfaches Erwerbs- oder Übernahmeangebot) Ausgangspunkt der dortigen Regelungen, in Abschnitt 5 (als Pflichtangebot) Rechtsfolge des Kontrollerwerbs über eine Zielgesellschaft. Auch die Aufgaben und Befugnisse der BaFin nach § 4 Abs. 1, § 15 knüpfen an das Angebot an, ebenso § 1 WpÜG-AngVO. Die Definition des Angebots in § 2 Abs. 1 verwendet ihrerseits den Begriff des Ange- 6 bots, indem sie auf das Erfordernis eines „Kauf- oder Tauschangebots“ verweist, ohne den dort verwandten Begriff zu konkretisieren. Hieraus ergibt sich zum einen, dass der Gesetzgeber von einem speziellen Angebotsbegriff im WpÜG ausgeht, dessen Voraussetzungen näher in § 2 Abs. 1 umschrieben sind6. Zum anderen gibt er zu erkennen, dass er den innerhalb der Definition verwandten Angebotsbegriff als allgemein bekannt voraussetzt. Hieraus lässt sich ableiten, dass der in § 2 Abs. 1 verwandte Begriff des Angebots – dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch folgend – im Sinne einer auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklärung mit 1 Zu Letzterem von Kopp-Colomb/Knobloch in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/ VerkProspG, § 2 WpPG Rz. 28 ff. 2 Zu den unterschiedlichen Wertpapierbegriffen siehe etwa Habersack in MünchKomm. BGB, Vor § 793 Rz. 5 ff. 3 Dagegen Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 2. 4 Hierfür Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 3, 7. 5 So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 9; Fleischer, ZIP 2001, 1653. 6 Hierzu Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 10.
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entsprechendem Rechtsbindungswillen zu verstehen ist, d.h. der bürgerlich-rechtliche Angebotsbegriff des § 145 BGB zu Grunde zu legen ist1. Bestätigt wird diese Auslegung durch § 17, der dem Bieter untersagt, eine öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (invitatio ad offerendum), die auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft gerichtet ist, abzugeben. Nach dem Vorgenannten ist daher mangels Willenserklärung die (auch öffentliche) Verlautbarung des Erwerbs eines Aktienpaketes vom einem Großaktionär kein Angebot2 und unterfällt nicht den Regelungen des WpÜG. Zum standing in the market siehe unten Rz. 36. 7
Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Angebotsdefinition modifiziert. Die in § 2 Abs. 3 DiskE3 enthaltene Definition beschränkte sich entsprechend dem ursprünglich auf Übernahme- und Pflichtangebote begrenzten Anwendungsbereich des Gesetzes zunächst nur auf diese Angebotstypen. Mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf sämtliche Erwerbsangebote (hierzu Einl. Rz. 27 f.) erfolgte eine entsprechende Erweiterung der Definition in § 2 Abs. 1 RefE4. Diese Regelung wurde unverändert in § 2 Abs. 1 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung5 übernommen6; sie entspricht der Gesetz gewordenen Fassung. Den im parlamentarischen Verfahren vom Bundesrat7 geäußerten Anregungen, eine Bagatellgrenze sowie eine Klarstellung des Begriffs des „öffentlichen Kauf- und Tauschangebots“, beispielsweise in Form von Regelbeispielen, in das Gesetz aufzunehmen, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung8 zu Recht9 widersprochen. Auch der Deutsche Bundestag hat diese Anregungen nicht aufgegriffen.
8
Die Definition des „Angebots“ (Synonym: „Übernahmeangebot“) in Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie10, mit der zugleich auch der in Art. 1 Abs. 1 geregelte Anwendungsbereich der Richtlinie konkretisiert wird, erfasst ausschließlich Übernahme- und Pflichtangebote, nicht jedoch einfache Erwerbsangebote. Wie im WpÜG muss es sich um öffentliche Angebote handeln, ohne dass dieser Begriff näher definiert wird. Teilangebote werden in die Definition einbezogen. Ausdrücklich ausgenommen sind von der Zielgesellschaft selbst abgegebene Angebote.
9
Vergleicht man beide Definitionen, zeigt sich, dass die Definition des § 2 Abs. 1 insoweit weiter ist, als sie auch einfache Erwerbsangebote erfasst und den Fall der Identität von Bieter und Zielgesellschaft, der beim Rückerwerb eigener Aktien relevant wird (hierzu unten Rz. 38 ff.), jedenfalls vom Wortlaut her nicht ausnimmt. Keine Aussage trifft § 2 Abs. 1 dagegen zu Teilangeboten; diese werden jedoch bei Übernahme- und Pflichtangeboten nach §§ 32, 39 für unzulässig erklärt. Europarechtlich sind diese Abweichungen unproblematisch: Da die Richtlinie einfache Erwerbsangebote und Angebote, bei denen Bieter und Zielgesellschaft identisch sind, nicht erfasst, 1 Vgl. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 7; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 30; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 5; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 8; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 1; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 2 Rz. 1. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 33; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 8. 3 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 239. 4 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 376. 5 BT-Drucks. 14/7034, S. 8. 6 Dies begrüßend Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 13. 7 Stellungnahme des BRats, BT-Drucks. 14/7034, S. 84. 8 Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 14/7090, S. 1. 9 Näher Pötzsch, Übernahmerecht, S. 20. 10 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713.
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Begriffsbestimmungen
sind die Mitgliedstaaten frei, hierfür entsprechende Regelungen vorzusehen1. Auch das Verbot von Teilangeboten bei Übernahme- und Pflichtangeboten ist zulässig: Für Pflichtangebote sieht die Richtlinie dies in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 ohnehin selbst vor. Für Übernahmeangebote lässt sich eine entsprechende Ermächtigung der Mitgliedstaaten aus Art. 3 Abs. 2 lit. b) ableiten, nach dem zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen vorgesehen werden können, sofern die allgemeinen Grundsätze des Art. 3 Abs. 1 beachtet werden. Im Hinblick auf die Definition des Angebots bestand daher kein Änderungsbedarf bei Umsetzung der Richtlinie2.
II. Freiwilliges oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgendes Angebot Nach § 2 Abs. 1 unterfallen dem WpÜG „freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz“ erfolgende Angebote. Ersichtlich ist der Gesetzgeber hier von dem Gegensatzpaar „freiwilliges Angebot“ – „gesetzlich angeordnetes Angebot“ ausgegangen und hat von den letztgenannten Angeboten diejenigen aus dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 ausgenommen, die durch andere Gesetze als das WpÜG angeordnet werden3.
10
Nach dem Vorgenannten lassen sich alle diejenigen Angebote als freiwillige Angebo- 11 te einordnen, zu deren Abgabe keine gesetzliche Verpflichtung besteht4. Freiwillig sind daher auch solche Angebote, denen wirtschaftliche Zwänge zu Grunde liegen oder die auf Druck einzelner Aktionäre erfolgen5. Gleiches gilt für Angebote, die auf Grund einer vertraglichen Verpflichtung abgegeben werden6. Hierfür spricht schon, dass anderenfalls die Anwendbarkeit des WpÜG zur Disposition der dem Gesetz potenziell Unterworfenen gestellt würde. Zudem ist aus Sicht der Wertpapierinhaber ohne Belang, ob der Bieter sich gegenüber Dritten vertraglich zur Abgabe eines Angebots verpflichtet hat. Als Angebote, die auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgen, kommen ausschließlich die im Abschnitt 5 geregelten Pflichtangebote (§§ 35 ff.) in Betracht.
1 Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 9 Satz 3, der auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten verweist, über die Richtlinie hinausgehende Vorkehrungen zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorzusehen, und hierbei u.a. beispielhaft einen Sachverhalt außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie aufführt (Anordnung von Teilangeboten, falls ein Bieter nicht die Kontrolle erwirbt). 2 Im Ergebnis auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 19 (auf Basis des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 19.6.2000); Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 871; Maul/ Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 225 (zur Unzulässigkeit von Teilangeboten). 3 Vgl. auch die Begr. zu § 2 Abs. 1 RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34, nach der „ein Angebot zum einen auf freiwilliger Basis erfolgen kann“, während im nachfolgenden Absatz gesetzlich angeordnete Angebote (zunächst nach WpÜG, sodann nach anderen Gesetzen) behandelt werden. 4 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 70; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6; wohl auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 15 f.; im Ergebnis ähnlich Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 11 ff. 5 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 15; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 75; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 11; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 11. 6 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 17; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 68 ff.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 11.
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Folgt die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots aus anderen Gesetzen, liegt kein Angebot i.S.d. § 2 Abs. 1 vor, so dass das WpÜG keine Anwendung findet1. Hierunter fallen insbesondere die aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsangebote nach § 305 AktG (Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag), § 320b AktG (Mehrheitseingliederung), § 29 UmwG (Verschmelzung durch Aufnahme) und § 207 UmwG (Formwechsel), die auch die Begründung des Regierungsentwurfs2 beispielhaft aufführt, ferner die Verpflichtung zur Unterbreitung eines Abfindungsangebots nach § 327a AktG (Squeeze Out). Diese Angebote sind deshalb ausgenommen, weil ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen bereits eingehend an anderer Stelle geregelt sind3.
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Den vorstehenden Abfindungsangeboten gleichzustellen sind Angebote, die auf Grund eines außergerichtlichen Vergleichs oder gerichtlichen Vergleichs im Anfechtungsverfahren oder nach § 11 Abs. 2 und 4 SpruchG im Spruchverfahren abgegeben werden, dessen Gegenstand aus dem Aktien- bzw. Umwandlungsrecht resultierende Angebotspflichten sind: Der Umstand, dass die beteiligten Parteien sich über diese Angebote vergleichen, rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung4.
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In seiner Macrotron-Entscheidung hat der BGH5 als Voraussetzung für den Widerruf der Börsenzulassung zum amtlichen Markt nach § 38 Abs. 4 BörsG a.F. die Abgabe eines Angebots an alle Aktionäre durch die Gesellschaft oder den Großaktionär gefordert. Derartige Angebote werden von der BaFin6 und der herrschenden Meinung in der Literatur7 zu Recht nicht als Angebote i.S.d. § 2 Abs. 1 angesehen; sie unterfallen daher nicht dem WpÜG. Sie leiten sich aus dem gesellschaftlichen Minderheitenschutz ab8 und sind – obwohl vom BGH missverständlich als Pflichtangebot bezeichnet – nicht mit dem kapitalmarktrechtlichen (siehe § 35 Rz. 32 f.) Pflichtangebot, sondern mit den in Rz. 13 genannten aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsangeboten vergleichbar und wie diese zu behandeln.
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 17; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 12 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 5; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 16; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 65 ff. 2 BT-Drucks. 14/7034, S. 34. 3 Zutreffend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 13; vgl. Adolff/Tieves, BB 2003, 797, 802, 804 f., die die Spezialiät von § 305 AktG und § 207 UmwG gegenüber dem WpÜG betonen. 4 Für den gerichtlichen Vergleich im Spruchverfahren im Ergebnis auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 14. 5 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387 = AG 2003, 273; siehe zu dem Urteil auch die in Fn. 7 aufgeführte Literatur und BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07; 1 BvR 1569/08, NZG 2012, 826. 6 Vgl. Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 14 f.; BaFin-Jahresbericht 2003, S. 203. 7 Adolff/Tieves, BB 2003, 797, 802, 804 f.; Eßers/Weisner/Schlienkamp, DStR 2003, 985, 987 ff.; Krämer/Theiß, AG 2003, 225, 239; Land/Behnke, DB 2003, 2531 f.; Schlitt, ZIP 2004, 533, 538; Heidelbach in Schwark/Zimmer, § 39 BörsG Rz. 22; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 14; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜg Rz. 35; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 19; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 16; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 5; Pluskat, BKR 2007, 54, 56 f.; a.A. Süßmann, BKR 2003, 257, 258; Vater, M&A-Review 2003, 276, 277 (beide ohne nähere Begründung); differenzierend Ekkenga, ZGR 2003, 878, 894 f., 907 (Angebot des Großaktionärs, nicht aber der Gesellschaft unterfällt §§ 10 ff.). 8 Vgl. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 57 = AG 2003, 273; für analoge Anwendung des § 207 UmwG sowie ggf. § 305 AktG, sofern nicht die Gesellschaft, sondern der Großaktionär das Angebot abgibt, BayObLG v. 1.12.2004 – 3 Z BR 106/04, BB 2005, 458, 461 f.
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Umstritten ist die Einordnung von Angeboten, deren Grundlage hoheitliches Han- 16 deln, beispielsweise eine Auflage des Bundeskartellamtes, ist. Für die Gleichstellung derartiger Angebote mit gesetzlich angeordneten Angeboten – mit der Folge der Unanwendbarkeit des WpÜG – wird angeführt, dass auf der Gegenseite ein Träger von Hoheitsgewalt stünde, auch wenn es sich häufig um „Verhandlungslösungen“ handele1. Praktisch dürften hier jedoch nur Fälle in Betracht kommen, bei denen ein beantragter begünstigender Verwaltungsakt mit einer belastenden Nebenbestimmung – der Anordnung eines Angebots – versehen wird. Da der Adressat eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht verpflichtet ist, von diesem Gebrauch zu machen, spricht mehr dafür, derartige Angebote als freiwillige Angebote einzuordnen, die dem Anwendungsbereich des WpÜG unterfallen2. Dies gilt erst recht bei öffentlichrechtlichen Verträgen.
III. Kauf- oder Tauschangebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft § 2 Abs. 1 erfasst „Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft“. Der hier verwandte Begriff des Angebots ist im bürgerlich-rechtlichen Sinne (§ 145 BGB) zu verstehen (siehe oben Rz. 6).
17
Das Angebot muss auf den Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft gerichtet 18 sein3. Das WpÜG verwendet den Begriff des Erwerbs grundsätzlich im Sinne der Erlangung des Eigentums4, d.h. der rechtlichen Inhaberschaft an den Wertpapieren. Angebote, die auf den Abschluss von Verträgen gerichtet sind, deren Ziel nicht die Erlangung des Eigentums an den Wertpapieren ist, sind daher keine Angebote i.S.d. § 2 Abs. 15. Angebote zum Abschluss von Stimmbindungsverträgen („Poolverträgen“), bei denen keine Eigentumsübertragung erfolgt, unterfallen somit nicht dem Gesetz6. Allerdings werden die Stimmrechte dem Vertragschließenden nach § 30 Abs. 2 zugerechnet; erlangt dieser hierdurch die Kontrolle über eine Zielgesellschaft, hat er ein Pflichtangebot gemäß § 35 anzugeben. Demgegenüber erfolgt ein Eigentumsübergang bei Wertpapierpensionsgeschäften, die von der herrschenden Meinung als Kaufverträge in Gestalt eines Kassaverkaufs und eines Terminrückkaufs eingeordnet werden7. Öffentliche Angebote zum Abschluss derartiger Verträge unterfallen daher grundsätzlich dem WpÜG8, wenngleich sie kaum jemals praktisch relevant werden 1 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 17; dem folgend Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 15; a.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6; wohl auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 74. 3 Ein sog. Virtual Bid, das vor allem in England öfter eingesetzt wird und mit dem der Bieter nur die Eckpunkte seiner Überlegungen zur Abgabe eines Übernahmeangebots mitteilt, z.B. um die Akzeptanz des Kaufangebots im Markt zu testen, ist demnach kein Angebot i.S.v. § 2 Abs. 1. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54. 5 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 37; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 16; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 8; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 20 f. (um wirksamen Umgehungsschutz zu gewährleisten, entgeltliche „Abtretung“ der Stimmrechte ausreichend). 6 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 8; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 37; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 18; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 4. 7 Für die herrschende Meinung spricht § 340b Abs. 2 und Abs. 4 HGB. 8 Ebenso Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6.
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dürften. Theoretisch denkbar sind auch Wertpapierleihgeschäfte. Bei diesen erfolgt ebenfalls ein Eigentumsübergang1; allerdings scheitert die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 hier daran, dass diese Verträge nicht als Kauf- oder Tauschverträge, sondern als Sachdarlehen (§ 607 BGB)2 zu qualifizieren sind3. 19
Die Gesetzesformulierung „Angebot zum Erwerb“ legt auf den ersten Blick nahe, dass hiermit der Abschluss des dinglichen Übereignungsgeschäfts gemeint ist. Dem ist jedoch nicht so, wie sich aus der Bezugnahme auf „Kauf- oder Tauschangebote“ und aus anderen Normen, z.B. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ergibt, nach dem der Inhalt des Angebots auch die Gegenleistung umfasst. Angebote i.S.d. § 2 Abs. 1 sind daher solche auf Abschluss des schuldrechtlichen Grundgeschäfts4. Ohne Belang ist, ob diese zugleich ein Angebot auf Abschluss des dinglichen Übereignungsgeschäfts beinhalten5. In der Praxis unterbreiten die Bieter regelmäßig das Angebot, die Aktien zu kaufen und zu erwerben; mit der Annahme durch die Aktionäre kommt dann ein Vertrag über den Verkauf und die Übereignung zustande.
20
Wortlaut und ratio des § 2 Abs. 1 verlangen nicht, dass der Bieter selbst die Wertpapiere erwirbt, die Gegenstand des Angebots sind. Auf Angebote zum Abschluss eines Vertrags zu Gunsten Dritter, etwa einer Konzerngesellschaft, ist § 2 Abs. 1 daher ebenfalls anwendbar6.
21
Das Angebot muss auf den Erwerb von Wertpapieren gerichtet sein. Wertpapiere werden in § 2 Abs. 2 definiert, siehe hierzu unten Rz. 46 ff.
22
Bei den zu erwerbenden Wertpapieren muss es sich nach § 2 Abs. 1 um Wertpapiere „einer Zielgesellschaft“ handeln. Die Formulierung stellt eine sprachliche Verkürzung des in § 1 enthaltenen Erfordernisses des Erwerbs von Wertpapieren dar, „die von einer Zielgesellschaft ausgeben wurden“. Zu diesem Erfordernis siehe § 1 Rz. 28 ff.; zu dem in § 2 Abs. 3 definierten Begriff der Zielgesellschaft siehe unten Rz. 57 ff.
23
Nach § 2 Abs. 1 muss es sich bei dem Angebot um ein Kauf- oder Tauschangebot (§§ 433, 480 BGB) handeln. Unter den Begriff des Tauschangebots fallen auch Angebote, bei denen die Angebotsadressaten ihre Aktien im Wege einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage in die Bietergesellschaft einbringen sollen und im Gegenzug junge Aktien erhalten7, auch wenn die rechtliche Einordnung derartiger Transaktionen umstritten ist8. Für eine Einbeziehung sprechen der allgemeine Sprachgebrauch bei Unternehmensübernahmen, der diesen Fall als Tauschangebot (exchange offer) bezeichnet9, sein 1 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 6 Rz. 202; Weidenkaff in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 607 BGB Rz. 3, 6; Mansel in Jauernig, 13. Aufl. 2009, §§ 607–609 BGB Rz. 3 m.w.N.; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.104. 2 Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.104; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 6 Rz. 202. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 37. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 38 f. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 39; für kumulatives Erfordernis dagegen offenbar Busch, AG 2002, 145. 6 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 17; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 36; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 6. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 41 ff., 45; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 34; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 7; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955 ff. 8 Siehe einerseits Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 41 m.w.N. (Vertrag sui generis); andererseits Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6 (Tauschvertrag). 9 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43.
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dem Tausch zumindest vergleichbarer Charakter und die Erwägung, dass die technische Abwicklung des Vorgangs nicht über die Anwendbarkeit des WpÜG entscheiden kann1. Angebote, die nicht auf den Abschluss von Kauf- oder Tauschverträgen gerichtet sind, unterfallen nicht dem Gesetz2. Teilweise befürchtete „erhebliche Schutzlücken“3 entstehen hierdurch nicht, da die anderweitig genannten Vertragstypen (Dienstvertrag, Schenkung) auf öffentliche Angebotsverfahren als Massenverfahren nicht passen und in der Praxis wohl kaum relevant werden. Abgesehen hiervon scheiden derartige Vertragstypen bei Übernahme- und Pflichtangeboten auf Grund der Vorgaben der § 31 Abs. 2 (i.V.m. § 39) ohnehin aus. Für die Qualifikation als Angebot i.S.d. § 2 Abs. 1 unerheblich ist die Anzahl der 24 Wertpapiere, zu deren Erwerb sich der Bieter verpflichtet. Eine – vom Bundesrat geforderte (siehe oben Rz. 7) – Bagatellgrenze ist im Gesetz nicht vorgesehen. Zur Ansprache nur ausgewählter Wertpapierinhaber siehe unten Rz. 34 f.
IV. Öffentliches Angebot 1. Bedeutung des Begriffs § 2 Abs. 1 verlangt, dass es sich bei dem Angebot um ein öffentliches Angebot handelt. Abgrenzungsfragen, ob ein Angebot öffentlich oder nicht öffentlich abgegeben wird, stellen sich nur bei einfachen Erwerbs- und bei Übernahmeangeboten, nicht jedoch bei Pflichtangeboten4. Bei ersteren ist das Vorliegen eines öffentlichen Angebots Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gesetzes. Demgegenüber ist das Pflichtangebot Rechtsfolge eines Kontrollerwerbs; liegt ein solcher vor, ist ein Angebot gemäß § 35 Abs. 2 zwingend auf dem in § 14 Abs. 3 vorgesehenen Weg (Internetpublizität sowie Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder Schalterpublizität, näher § 14 Rz. 31 ff.) zu veröffentlichen; die Frage der Öffentlichkeit des Angebots stellt sich hier nicht5.
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2. Wille des Gesetzgebers Der Gesetzgeber hat auf eine gesetzliche Definition des Merkmals „öffentlich“ be- 26 wusst verzichtet6. Die Begründung des Regierungsentwurfs7 führt hierzu aus, eine solche Definition sei angesichts der Vielgestaltigkeit der möglichen Sachverhalte kaum möglich, zudem berge sie die Gefahr von Umgehungsmöglichkeiten. Um dem Rechtsanwender dennoch eine Hilfestellung bei der Auslegung zu geben, weist sie zugleich darauf hin, dass bei der Beurteilung, ob ein öffentliches Angebot vorliege, eine Vielzahl von Kriterien herangezogen werden könne. So sei beispielsweise von Be-
1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 6; a.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 45 f.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 34; wohl auch dagegen Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 6. 3 So Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 46 f. 4 Zutreffend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 19; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 20. 5 So auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 19. 6 Kritisch hierzu unter dem Aspekt der Rechtssicherheit Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 51; Baum, AG 2003, 144, 145; zustimmend demgegenüber Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 393; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 10. Der letztgenannten Auffassung ist auf Grund der mit einer gesetzlichen Definition verbundenen Nachteile (siehe hierzu nachfolgend im Text) zuzustimmen. 7 BT-Drucks. 14/7034, S. 33.
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deutung, ob sich das Angebot nur an einen begrenzten Personenkreis oder an eine Vielzahl von Wertpapierinhabern richte, oder ob es sich um ein einseitig formuliertes oder ein individuell ausgestaltetes Angebot handele. Zudem könnten einzelne Vertragsbedingungen Anhaltspunkte für ein öffentliches Angebot bieten. So sprächen Bedingungen, die dem Bieter ein Rücktrittsrecht bei Nichterreichen einer bestimmten Annahmequote einräumen, für ein öffentliches Angebot. Zugrunde zu legen sei hier eine typologische Betrachtungsweise1. 27
In seiner Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf hat der Bundesrat2 eine gesetzliche Klarstellung bzw. die Aufnahme von Regelbeispielen gefordert. Die Bundesregierung3 hat diesen Wunsch vor allem unter Verweis auf das Scheitern entsprechender Versuche im Ausland4 abgelehnt. Auch der Deutsche Bundestag hat den Wunsch des Bundesrats nicht aufgegriffen. 3. Rechtsvergleich
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Für den vom deutschen Gesetzgeber beschrittenen Weg des Verzichts auf eine gesetzliche Definition des Merkmals „öffentlich“ finden sich Vorbilder in vielen ausländischen Rechtsordnungen5. So enthalten beispielsweise die übernahmerechtlichen Regularien in Österreich, in der Schweiz, im Vereinigten Königreich und in den USA ebenfalls keine entsprechende Definition6. Die Konkretisierung wird hier der (aufsichtsbehördlichen und gerichtlichen) Praxis und der Wissenschaft überlassen, die im Wege einer Typusbildung Kriterien herausgearbeitet haben.
29
Rechtsvergleichend besondere Aufmerksamkeit erfahren hat der von der US-amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde SEC erarbeitete und in der Leitentscheidung Wellman v. Dickinson7 angewandte „eight factor test“. Entscheidend für die Annahme eines öffentlichen Angebots sind danach die folgenden Faktoren: (1) Aktives und breit gestreutes Nachfragen von Anteilen, (2) Anstreben eines erheblichen Anteils, (3) Gewährung einer Prämie auf den aktuellen Marktpreis, (4) standardisierte, nicht verhandelbare Vertragsbedingungen, (5) Knüpfung des Angebots an den Erwerb einer Mindestbeteiligung, (6) zeitliche Begrenzung des Angebots, (7) Erzeugung von Verkaufsdruck auf die Aktionäre, (8) rascher Erwerb eines erheblichen Anteils von Aktien im zeitlichen Zusammenhang mit der öffentlichen Bekanntmachung des Angebots. Die acht Faktoren haben die Funktion von Anhaltspunkten, sie müssen daher nicht alle gleichzeitig vorliegen und können sich wechselseitig kompensieren8. Auf den eight factor test hat auch der österreichische Gesetzgeber bei Schaffung des ÜbG verwiesen9; ein1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Gegenäußerung der BReg zur Stellungnahme des BRats, BT-Drucks. 14/7090, S. 1. Stellungnahme des BRats, BT-Drucks. 14/7034, S. 84. Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 14/7090, S. 1. Zu US-amerikanischen Versuchen siehe Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 148 ff.; Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1657. Vgl. auch den Hinweis der BReg in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des BRats, BTDrucks. 14/7090, S. 1. § 1 Nr. 1 österr. ÜbG; Art. 2 lit. e) schweizerisches BEHG; Sec. 14 (d) des US-amerikanischen SEA; Definition „offer“ des britischen Takeover Code. Vgl. auch rechtsvergleichender Überblick bei Baum, AG 2003, 144, 145 ff. und Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1655 ff. Wellman v. Dickinson, 475 F. Supp. 873, 823 f. (S.D.N.Y. 1979). Zum eight factor test siehe Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 150 f.; Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1657. Erläuterungen zur Regierungsvorlage, Zu § 1 Z. 1 ÜbG, 1276 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XX.GP, S. 25, auch abgedruckt bei Huber/Alscher in Huber, Übernahmegesetz, S. 3 f.
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zelne Bestandteile des Tests, nämlich die Merkmale (4), (5) und im Ergebnis auch (1), finden sich ebenfalls in der Begründung zum Regierungsentwurf des WpÜG (siehe oben Rz. 26). Einige Staaten sehen demgegenüber eine gesetzliche Definition (so etwa Italien) vor 30 oder spezifizieren eine allgemeine Definition durch Größenangaben, ab denen zwingend ein öffentliches Angebot erforderlich ist (so etwa Japan). Für die Bejahung eines öffentlichen Angebots (bzw. Verpflichtung dazu) maßgeblich ist nach den beiden vorgenannten Rechtsordnungen vor allem die Unbestimmtheit bzw. Größe des angesprochenen Adressatenkreises, wobei beide Rechtsordnungen feste, allerdings erheblich voneinander abweichende Schwellenwerte (10 Personen im Falle von Japan bzw. 150 Personen im Falle von Italien) vorsehen. Hinzu treten Bagatellgrenzen (Erwerb von mindestens 5 % stimmberechtigter Aktien in Japan bzw. Aktien mit einem Mindestwert in Höhe von 5 Mio. Euro in Italien)1. 4. Auslegungskriterien Nach allgemeinem Sprachverständnis wird der Begriff „öffentlich“ im Sinne von „allgemein“ bzw. „für jedermann zugänglich“ gebraucht. Hieraus lässt sich – in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung – zunächst ableiten, dass ein Angebot umso eher als öffentlich zu qualifizieren ist, je größer der angesprochene Personenkreis ist2. Regelmäßig hiermit verbunden, jedoch angesichts der auch vom Gesetzgeber gewollten typologischen Betrachtungsweise nicht zwingend zur Bejahung eines öffentlichen Angebots erforderlich, sind die Verbreitung über allgemein zugängliche Medien, die Verwendung standardisierter, nicht verhandelbarer Vertragsbedingungen, eine zeitliche Begrenzung des Angebots sowie eine fehlende persönliche Beziehung zwischen dem Bieter und den Angebotsadressaten.
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Des Weiteren hat sich die Auslegung an den Schutzzwecken des WpÜG zu orientieren, die primär in den allgemeinen Grundsätzen des § 3 reflektiert werden3. Maßgeblich sind danach vor allem das in § 3 Abs. 1 verankerte Gleichbehandlungsgebot und der in § 3 Abs. 2 enthaltene Grundsatz einer informierten, ohne übermäßigen Zeitdruck getroffenen Transaktionsentscheidung4. Entgegen einer teilweise vertretenen
32
1 Art. 27–2 Abs. 6 japanisches Wertpapierverkehrsgesetz (WVG) vom 30.9.2007; Art. 1 lit (v), 100 (1) lit b) und c), ital. Testo Unico dell’intermediazione finanziaria, Decreto legislativo 58/98 vom 24.2.1998 i.V.m. Art. 34 ter. CONSOB Regulation 11971/99. 2 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 33; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 16; dagegen ist nach Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 63 die Zahl der von dem Angebot betroffenen Personen weitgehend bedeutungslos. 3 So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 55; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 13; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 8; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 3. Zu dem methodischen Problem, dass hier zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes (der Angebotsbegriff ist Bestandteil der Definition in § 1) Normen herangezogen werden, die ihrerseits die Anwendbarkeit des Gesetzes voraussetzen, siehe einerseits Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658; andererseits Baum, AG 2003, 144, 153 f. 4 Vgl. Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658, der dies als „funktionales Begriffsverständnis“ bezeichnet; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 56; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 55 ff.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 22 ff., 33; differenzierend Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 13, wonach es auf die Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber nicht ankommen könne; den Schutzzweck des Gesetzes betonend auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 393; für eine normative Analyse aus Sicht des Bieters Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 11 ff.
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§2
Begriffsbestimmungen
Auffassung1 stimmt der im WpÜG verwandte Begriff des öffentlichen Angebots daher nicht mit dem gleichlautenden Begriff im Wertpapierprospektgesetz oder dem Begriff des öffentlichen Vertriebs im Investmentgesetz überein: Die Schutzrichtungen der letztgenannten Gesetze sind nicht mit dem des WpÜG deckungsgleich, sie statuieren insbesondere weder ein Gleichbehandlungsgebot noch verfolgen sie das Ziel, übermäßigen Handlungsdruck auf die Angebotsadressaten zu vermeiden2. 5. Fallgruppen 33
Nach dem Vorgenannten sind als öffentlich zunächst solche Angebote zu qualifizieren, die sich an eine Vielzahl von Wertpapierinhabern richten. Regelmäßig werden diese über allgemein zugängliche Medien (Tageszeitungen, Internet, Fernsehen, usw.)3 im In- oder Ausland4 verbreitet werden. An der Einordnung als öffentliches Angebot ändert sich jedoch nichts, wenn die Angebote im Einzelfall mittels Brief, Fax, E-Mail oder Telefonanruf individuell adressiert werden5, was vor allem bei Namensaktien in Betracht kommt, oder der Bieter Kreditinstitute zur Übermittlung einschaltet6. Unerheblich ist auch, ob dem Bieter einzelne der angesprochenen Wertpapierinhaber persönlich bekannt sind.
34
Werden nur ausgewählte Wertpapierinhaber angesprochen, ist auf die konkrete Vorgehensweise und Ausgestaltung des Angebots sowie die oben Rz. 32 erwähnten Schutzwecke des Gesetzes abzustellen: Je eher der Typus des Angebots demjenigen eines an eine Vielzahl von Wertpapierinhabern gerichteten Angebots entspricht oder ein Schutzbedürfnis der Adressaten im Hinblick auf eine Gleichbehandlung bzw. auf eine informierte und von übermäßigem Zeitdruck befreite Transaktionsentscheidung besteht, desto eher ist von einem öffentlichen Angebot auszugehen7.
35
So ist beispielsweise die Ansprache nur institutioneller Anleger als öffentliches Angebot zu werten, wenn die Vertragskonditionen nicht verhandelbar sind, allen Beteiligten gleiche (kurze) Annahmefristen gesetzt werden und das Angebot vom
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 21 ff., wonach die dazu entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen, aber nicht unreflektiert und unverändert zu übernehmen sind; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 10 a.E. (aber mit Einschränkungen in Rz. 13); auch Assmann, AG 2002, 114, 115 Fn. 3. 2 Vgl. Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1654 f.; Paefgen, ZIP 2002, 1509, 1516; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 22 ff. 3 Die ganz h.M. bejaht ein öffentliches Angebot bei Verbreitung auf diesem Wege; vgl. Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658 f.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 26; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 12; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 60; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 22 ff.; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 14; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 8; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 10. 4 Der internationale Anwendungsbereich des Gesetzes ist nicht auf inländische Angebote begrenzt, Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 12; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 38. 5 Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1659; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 13; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 9; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 39; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 14; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 7; einschränkend Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 26 (bei Publikumsgesellschaften). 6 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 27; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 9; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 40; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 7. 7 Ähnlich Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 24; vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14, der auf das Vorliegen eines Umgehungsvorsatzes des Bieters abstellt.
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§2
Begriffsbestimmungen
Erreichen einer Mindestbeteiligung abhängig gemacht wird1. Erst recht gilt dies, wenn – wie im Fall Wellman v. Dickinson (siehe oben Rz. 29) – unter den gleichen Voraussetzungen zusätzlich Privatanleger angesprochen werden; hier ist das Schutzbedürfnis der Adressaten auf Grund des vorhandenen Informationsgefälles und der Gesamtumstände der Ansprache evident. Demgegenüber ist ein öffentliches Angebot regelmäßig zu verneinen, wenn mit den (institutionellen oder privaten) Anlegern individuelle Vertragsverhandlungen geführt werden, auch wenn dem eine zuvor entwickelte Strategie zugrunde liegt2. Anders dürfte wiederum zu entscheiden und damit ein öffentliches Angebot zu bejahen sein, wenn der Bieter das Angebot als nicht verhandelbar herausgelegt hat, sich im weiteren Verlauf des Verfahrens aber auf Verhandlungen mit einzelnen Wertpapierinhabern, die über substanzielle Pakete verfügen, einlässt3. Die Beispiele zeigen, dass die Festlegung eines generellen Schwellenwerts, ab dem ein öffentliches Angebot zu bejahen ist, nicht zielführend ist4; entscheidend sind vielmehr die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Der anonyme Erwerb von Wertpapieren über die Börse (open market purchase) ist 36 nach ganz herrschender Meinung5 und nach Auffassung der BaFin6 grundsätzlich nicht als öffentliches Angebot einzuordnen7. Ob dies auch dann gilt, wenn der Erwerber öffentlich angekündigt hat, er werde Aktien über die Börse in erheblichem Umfang aufkaufen (standing in the market), ist umstritten8. Die für die Unanwendbarkeit des WpÜG beim börslichen Erwerb häufig angeführte Anonymität der Beteiligten besteht hier nicht, wenngleich die Veräußerer der Wertpapiere letztlich nicht sicher sein können, dass ihr Vertragspartner derjenige ist, der den Erwerb öffentlich angekündigt hat. Auch der Hinweis auf ein angebliches lex specialis-Verhältnis der börsenrechtlichen Regelungen gegenüber dem WpÜG9 überzeugt nicht, da dies dann auch für die Meldepflichten beim Erwerb bzw. der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen gemäß §§ 21 ff. WpHG gelten müsste, dort aber niemand von einer Unanwendbarkeit des WpHG ausgeht. Im Ergebnis wird man dennoch derartige An1 Für Qualifikation als öffentliches Angebot bei ausschließlicher Ansprache institutioneller Investoren Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 36; dagegen Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 30; Baum, AG 2003, 144, 157 ff. 2 Paefgen, ZIP 2002, 1509, 1515 (zum Rückerwerb eigener Aktien); Baums/Hecker in Baums/ Thoma, § 2 Rz. 46; a.A. wohl Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 62. 3 Zutreffend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 45. 4 Ablehnend auch Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1659; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 45. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 61; Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1660 (jedoch mit Einschränkungen beim Erwerb eigener Aktien); Pötzsch, Übernahmerecht, S. 20; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 17; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14; Paefgen, ZIP 2002, 1509, 1515 (zum Erwerb eigener Aktien); Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 10; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14a; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 46; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 10. 6 BaFin-Jahresbericht 2002, S. 172. 7 So ausdrücklich auch die BReg in ihrer Gegenäußerung zur abweichenden Stellungnahme des BRats, BT-Drucks. 14/7090, S. 1. 8 Ein öffentliches Angebot verneinen Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 33; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 15; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 10; bejahend dagegen Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1659; Noack/Holzborn in Schwarz/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 10; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14a; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 7; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 17, der allerdings aufgrund der unkalkulierbaren Höhe der Gegenleistung ein solches Vorgehen für wirtschaftlich wenig sinnvoll hält. 9 So Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 14; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 46.
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Begriffsbestimmungen
kündigungen nicht als öffentliche Angebote ansehen können, da das vom WpÜG vorgesehene Leitbild des öffentlichen Angebots ersichtlich nicht mit börslichen Transaktionen übereinstimmt. Besonders deutlich wird dies bei der Angebotsabgabe, die gemäß § 14 Abs. 2 durch Veröffentlichung der Angebotsunterlage erfolgt, und mit einer Auftragserteilung im Börsenhandel1 nichts gemein hat. Folgt man der hier vertretenen Auffassung nicht, stellt sich die weitere Frage, ob es sich bei der öffentlichen Erklärung des Erwerbers um eine nach § 17 unzulässige öffentliche invitatio ad offerendum handelt, was dann im Ergebnis wohl zu bejahen ist. 6. Rechtsfolgen 37
Werden Aktien vom Bieter in einer Art und Weise erworben, die als öffentliches (Erwerbs- oder Übernahme-)Angebot einzuordnen ist, ohne dass der Bieter ein den Anforderungen des WpÜG genügendes Angebot durchführt, verstößt er damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 3 Abs. 1) und den Grundsatz, dass der Aktionär aufgrund ausreichender Informationsgrundlage in Ruhe über das Angebot entscheiden können soll (§ 3 Abs. 2); ferner liegt dann i.d.R. ein Verstoß gegen die Verfahrensregeln der §§ 10 ff., insbesondere §§ 10 Abs. 1, 13, 14 des Gesetzes vor. Die BaFin kann in einem solchen Fall von ihren aufsichtsrechtlichen Befugnissen nach § 4 Abs. 1 und § 15 des Gesetzes Gebrauch machen und das Angebot untersagen, mit der Folge, dass das Erwerbsgeschäft nach § 15 Abs. 3 Satz 2 nichtig und rückabzuwickeln wäre2. Ferner kann ein Bußgeld nach § 60 des Gesetzes verhängt werden. Ein Anspruch auf Einschreiten der BaFin besteht aber nicht; die BaFin wird nur im öffentlichen Interesse tätig (§ 4 Abs. 2 und Kommentierung dazu). Ferner könnten Aktionäre versuchen, ihre Rechte im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Dagegen spricht jedoch, dass – abgesehen von einem Pflichtangebot – Aktionäre gerade keinen Anspruch auf Durchführung eines Angebots haben. Die BaFin könnte den Bieter auch nicht zu einem Angebot zwingen, sondern nur das Angebot untersagen.
V. Erwerb eigener Aktien 1. Erwerb eigener Aktien nach WpÜG 38
Streitig diskutiert wird, ob Angebote zum Erwerb eigener Aktien3 dem WpÜG unterfallen. Hierbei ist zunächst zwischen den verschiedenen Arten der Erwerbs eigener Aktien4 zu unterscheiden. Der Erwerb über die Börse (open market repurchase, hierzu oben Rz. 36) und der Paketerwerb (negotiated repurachse), so man ihn aktienrechtlich überhaupt für zulässig erachtet5, scheiden von vornherein aus, da hier kein öffentliches Angebot erfolgt. Fraglich ist jedoch die Anwendbarkeit des WpÜG bei Erwerben in Form öffentlicher Rückkaufangebote zu einem Festpreis (fixed price self tender offer)6, in Form öffentlicher Rückkaufangebote, bei denen den Aktionären ein
1 Hierzu Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 9 Rz. 213 ff. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 15 f., der – allerdings insoweit zu weitgehend – auch einen Anspruch des übergangenen Aktionärs gemäß § 3 und § 19 bejaht; siehe auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 49. 3 Die Frage stellt sich auch beim Rückerwerb anderer Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2. 4 Hierzu Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rz. 136 ff.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 13 ff. 5 Hierzu Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rz. 143; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 242 ff., jeweils m.w.N.; Hüffer, § 71 AktG Rz. 19 K. 6 Hierzu Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rz. 139 f.
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Begriffsbestimmungen
Preisrahmen vorgegeben wird (Dutch auction self tender offer, und bei Ausgabe übertragbarer Verkaufsoptionen an alle Aktionäre (transferable put rights)1. Im Blickpunkt der Frage nach der Anwendbarkeit des WpÜG stehen vor allem die 39 allgemeinen Grundsätze des § 3 und die für einfache Erwerbsangebote geltenden Vorschriften der §§ 10 ff. in Abschnitt 3, nicht aber die für Übernahme- und Pflichtangebote geltenden Regelungen der Abschnitte 4 und 5 (§§ 29 ff., 35 ff.). Dies erklärt sich aus der beim Erwerb eigener Aktien geltenden Obergrenze von 10 % des Aktienbestands gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG2 und der Regelung des § 71b AktG, nach der einer Gesellschaft keine (Stimm-)Rechte aus eigenen Aktien zustehen. Ein Erwerb eigener Aktien kommt danach weder in der Form des auf den Erwerb der Kontrolle gerichteten Übernahmeangebotes (§ 29 Abs. 1) in Betracht noch kann durch ihn die ein Pflichtangebot auslösende Kontrollschwelle in Höhe von 30 % der Stimmrechte (§ 29 Abs. 2) erreicht werden3. Die BaFin4 und die vormals herrschende Meinung5 bejahten – mit Unterschieden im 40 Detail – die Anwendbarkeit des Gesetzes im Grundsatz. Demgegenüber verneinte eine nicht unbeachtliche Zahl von Stimmen in der Literatur6 generell die Anwendbarkeit des WpÜG; teilweise wurden hier jedoch einzelne Vorschriften des WpÜG analog angewandt. Nachdem noch in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Übernahmerichtlinie- 41 Umsetzungsgesetz7 die grundsätzliche Geltung des WpÜG für auf den Erwerb eigener Aktien gerichtete einfache Erwerbsangebote bekräftigt wurde, wies die Bundesregierung im Verlaufe der Ausschussberatungen darauf hin, dass sie bei Rückerwerben die Erstellung einer Angebotsunterlage mangels Informationsbedürfnisses der Aktionäre für entbehrlich halte8. Nach Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-
1 Hierzu Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rz. 142; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 16. 2 Die Obergrenze gilt nur in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, 7 und 8 AktG, gerade dort stellt sich allerdings die Frage der Anwendbarkeit des WpÜG. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 1 Rz. 94. 4 BaFin-Jahresberichte 2002, S. 172, und 2003, S. 208; aus der BaFin auch Lenz/Linke, AG 2002, 420, 421 ff.; Strunk/Behnke in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, S. 81, 92 ff.; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 5 f. Der Entscheidung der BaFin lag eine Anfrage der Siemens AG zu Grunde. In de Folge hatten mehrere Gesellschaften (Axel Springer AG, Spütz AG, Beiersdorf AG, SGL Carbon AG – dort Rückerwerb einer in Aktien wandelbaren Teilschuldverschreibung) ein entsprechendes Verfahren nach dem WpÜG durchgeführt. 5 So auch noch die 1. Aufl., Rz. 37–73; ferner Oechsler, NZG 2001, 817, 818 f.; Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2592 f.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 62 ff.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 393; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 22; Paefgen, ZIP 2002, 1509 ff.; Thaeter in Thaeter/Brandi, Öffentliche Übernahmen, Teil 2 Rz. 29; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 5 ff.; in die gleiche Richtung gehend auch die Stellungnahmen des DAV-Handelsrechtsausschusses zum RefE, NZG 2001, 420, und zum RegE, ZIP 2001, 1736. 6 Baums/Stöcker in FS Wiedemann, 2002, S. 703 ff.; Süßmann, AG 2002, 424 ff.; Berrar/ Schnorbus, ZGR 2003, 59, 68 ff.; J. Koch, NZG 2003, 61, 64 ff.; Baum, ZHR 167 (2003), 580 ff.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 104 ff.; Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836 ff.; R. Koch, Die Auswirkungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) auf den Erwerb eigener Aktien, 2006, S. 137 ff. 7 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 17. 8 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 11.
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Begriffsbestimmungen
Umsetzungsgesetzes stellte die BaFin mit Schreiben vom 9.8.20061 klar, dass sie ihre Verwaltungspraxis geändert habe und das WpÜG auf den Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung mehr finde2. 42
Im Ergebnis ist der Auffassung der BaFin zu folgen3: Dem Wortlaut ist zwar keine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Gesetzes zu entnehmen4. Zudem sind auch beim Erwerb eigener Aktien die Regelungszwecke des WpÜG zumindest teilweise betroffen5. Entscheidend für die Nichtanwendbarkeit ist jedoch, dass das WpÜG an mehreren Stellen ersichtlich von einer Dualität von Bieter und Zielgesellschaft ausgeht6, sich dem Informationsbedürfnis der Aktionäre, das durch § 3 Abs. 2 geschützt wird, ausreichend auch durch § 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 AktG Rechnung tragen lässt, wonach die Aktionäre den Vorstand zum Rückkauf eigener Aktien ermächtigen müssen, und dem Gleichbehandlungsgebot des § 3 Abs. 1 durch §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3, § 53a AktG Genüge getan wird7. Demnach beurteilt sich die Zulässigkeit des Rückerwerbs eigener Aktien in erster Linie nach den insofern vorrangigen aktienrechtlichen Regelungen (§§ 71 ff. AktG)8. 2. Erwerb eigener Aktien nach der Übernahmerichtlinie
42a Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie sind Angebote der Gesellschaft auf Erwerb eigener Aktien aus dem Anwendungsbereich der Übernahmerichtlinie ausgeschlossen. 3. Rechtsvergleich 42b In den USA sind nach sec. 14 (d) (8) (B) SEA von der Zielgesellschaft selbst abgegebene Angebote oder Aufforderungen zur Abgabe von Angeboten (issuer tender offers oder self tender offers) von den Regelungen des sec. 14 (d) SEA ausgenommen. Allerdings gelten insoweit Sondervorschriften, vor allem Rule 13e – 4 der SEC, welcher 1 Veröffentlicht auf http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Auslegungs entscheidung/WA/ae_060809_rueckerwerb.html; zugleich wurde damit das entsprechende Merkblatt vom 5.7.2005 aufgehoben. 2 Vgl. hierzu Pluskat, NZG 2006, 731. 3 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 64; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 128; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 33; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 11; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 9; Glade in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 34; dezidiert a.A. auch nach Änderung der Verwaltungspraxis der BaFin, Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 25 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 157 ff. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 64; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005, S. 122; Büscher, ZBB 2006, 107, 110. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 64; Paefgen, ZIP 2002, 1509, 1514; vgl. auch Baums/Stöcker in FS Wiedemann, 2002, S. 703, 709. 6 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 33; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 11; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 64; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005, S. 122 ff.; Baums/Stöcker in FS Wiedemann, 2002, S. 703, 713; Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 159. 7 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 268 ff., 270, 271, 274; Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 159, der ferner auf den Schutz der Aktionäre durch die Treubindung der Gesellschaft gegenüber den Aktionären verweist. 8 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 11; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 33; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 11; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005, S. 132; Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 83 ff.; Baum, ZHR 167 (2003), 580, 606 ff.
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Begriffsbestimmungen
§2
für den Erwerb eigener Aktien besondere Offenlegungs- und Verfahrenvorschriften enthält. Ferner können auch die Anforderungen der Landesrechte der US-Bundesstaaten zu beachten sein (wie etwa gesellschaftsrechtliche Treuepflichten, Interessenkonflikt- und Kapitalaufbringungsregeln). Im Vereinigten Königreich sind beim Rückerwerb eigener Aktien neben den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften Rule 9 und 37 des Takeover Code zu beachten. Diese sehen Hauptversammlungsbeschlusserfordernisse, Publizitätserfordernisse und ein spezielles Pflichtangebotserfordernis vor. Das Takeover Panel kann hiervon jedoch Befreiungen erteilen. In Österreich fehlt es ebenso wie in Deutschland an einer ausdrücklichen kapitalmarktrechtlichen Regelung. Jedoch wird in Österreich davon ausgegangen, dass die Regelungen des Übernahmerechts (genauer: zweiter Teil des öÜbG) über freiwillige öffentliche Übernahmeangebote grundsätzlich Anwendung finden, solange sie keinen Kontrollbezug aufweisen1. Der Wortlaut der §§ 1 f. öÜbG umfasst eigene Aktien unter dem Begriff der „Beteiligungspapiere“; ferner fällt auch die Zielgesellschaft unter den Begriff des „Bieters“2. Ebenso steht der Zweck des öÜbG seiner Anwendung nicht entgegen, da der Aktionärsschutz unabhängig von der Person des Bieters zu erfolgen hat3. Allerdings ist bei jeder Norm zu prüfen, ob sie auf den Erwerb eigener Aktien anwendbar ist, was insbesondere dann zu verneinen ist, wenn die Normen von der Personenverschiedenheit von Bieter und Zielgesellschaft ausgehen4. Diese Vorgehensweise wurde vom österreichischen Verfassungsgerichtshof gebilligt5. Anders als in Deutschland geht man in Österreich auch noch nach der Umsetzung der Übernahmerichtlinie davon aus, dass sich die Durchführung des Angebots weiterhin nach dem öÜbG richtet6. In der Schweiz bzw. im dortigen Börsengesetz (BEHG) fehlt ebenfalls eine ausdrückliche Regelung zum Erwerb eigener Aktien. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Aktienrückkäufe unter die Regelungen des fünften Abschnitts des BEHG fallen, und das Übernahmerecht folglich Anwendung findet. Unterhalb gewisser Schwellen bestehen aber vereinfachte Vorschriften. Einzelheiten ergeben sich aus einer auf § 4 Abs. 2 der Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (UEV) gestützten Mitteilung der schweizerischen Übernahmekommission7.
C. Europäisches Angebot (§ 2 Abs. 1a) Die teilweise Anwendbarkeit des WpÜG bei Angeboten zum Erwerb von Aktien ei- 43 ner Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 (siehe dazu § 1 Rz. 44) setzt voraus, dass es sich bei dem Angebot um ein sog. „Europäisches Angebot“ handelt. Nach dem durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz neu eingefügten § 2 Abs. 1a ist dies ein Angebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 (also Gesellschaften mit Sitz im EWR-Ausland), das nach dem Recht des Staates des
1 2 3 4
ÜbK vom 4.6.1999, GZ 1999/2/4-7. Huber/Alschner in Huber, § 2 ÜbG Rz. 17. ÜbK vom 4.6.1999, GZ 1999/2/4-7. Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. AktG, Das österreichische Übernahmerecht, § 2 Rz. 55. 5 VfGH v. 12.12.2000, B 2010/99. 6 Vgl. etwa das freiwillige Angebot der Frauenthal Holding AG gemäß §§ 4 ff. öÜbG vom 24.9.2012 auf Rückerwerb eigener Aktien. 7 Vgl. das UEK-Rundschreiben vom 26.2.2010, abrufbar unter www.takeover.ch.
Assmann/Favoccia 95
§2
Begriffsbestimmungen
Europäischen Wirtschaftsraums, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, als Angebot i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie gilt. 44
Aufgrund des Verweises auf Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie sind von der Definition nur Übernahme- und Pflichtangebote erfasst1. Für die Regelung von einfachen Erwerbsangeboten in Bezug auf Zielgesellschaften mit Sitz im EWR-Ausland fehlt dem deutschen Gesetzgeber die Regelungsbefugnis2. Weiterhin muss es sich bei den Wertpapieren um solche handeln, die Stimmrechte verleihen3.
45
Nicht ganz eindeutig ist die Bedeutung der Voraussetzung, dass das Angebot nach dem Recht des Sitzstaates als Angebot i.S.d. Übernahmerichtlinie gelten muss. Hierdurch soll offenbar verdeutlicht werden, dass die Definition des Begriffs der „Kontrolle“ den einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten ist (vgl. Art. 5 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie)4. Dadurch wird jedenfalls verhindert, dass ein Auslandssachverhalt der Aufsicht der BaFin unterliegt, obwohl nach dem Recht des Sitzstaats der Zielgesellschaft kein Angebot vorliegt5.
D. Wertpapiere (§ 2 Abs. 2) I. Übersicht 46
Gegenstand des WpÜG sind freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden (siehe dazu § 1 Rz. 2) und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§§ 1, 2 Abs. 1). Als Wertpapiere in diesem Sinne gelten nur die in § 2 Abs. 2 definierten (und gemäß § 1 darüber hinaus an einem organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 zugelassenen) Papiere. Der Wertpapierbegriff des § 2 Abs. 2 dient mithin dazu, den Anwendungsbereich des WpÜG zu umreißen und ist dementsprechend eigenständig unter Berücksichtigung der speziellen Regelungsziele des WpÜG zu bestimmen, deckt sich also weder mit dem von der Wissenschaft geprägten allgemeinen Wertpapierbegriff noch mit dem Wertpapierbegriff anderer Gesetze, darunter namentlich demjenigen des BGB6.
47
Der Wertpapierbegriff des § 2 Abs. 2 ist weiter als derjenige, welcher der Übernahmerichtlinie7 zugrunde liegt8. Während Art. 2 lit. e) Übernahmerichtlinie nur Wert1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 76; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 111; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 21 f.; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 7; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 11. 2 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 111; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 16. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 76; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43; a.A. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 21. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 77; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 23. 5 Holzborn/Peschke, BKR 2007, 101, 102. 6 Ebenso etwa Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 19; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 80; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 24, der den Definitionsansatz für perplex hält. 7 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 8 Vgl. dazu Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 82; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 28.
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Assmann/Favoccia
Begriffsbestimmungen
§2
papiere erfasst, mit denen Stimmrechte in einer Gesellschaft verbunden sind, wird dies von Abs. 2 nicht vorausgesetzt. Das hat seinen Grund darin, dass das WpÜG, im Gegensatz zur Übernahmerichtlinie, nicht nur Übernahmeangebote – d.h. Angebote, die zur Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft mittels Erwerbs einer entsprechenden Zahl von Stimmrechten (vgl. § 29) – sowie Pflichtangebote i.S.v. §§ 35 ff. regelt, sondern auch andere Angebotsformen (nämlich Wertpapiererwerbsangebote i.S.v. § 2 Abs. 1 und §§ 10 ff.). Innerhalb des WpÜG findet nicht immer der weite Wertpapierbegriff des § 2 Abs. 2 Anwendung. So bezieht sich § 35 nur auf Aktien (siehe Kommentierung zu § 35).
48
II. Entbehrlichkeit urkundlicher Verbriefung Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 müssen nicht urkundlich verbrieft sein. Erfasst werden 49 damit auch solche Wertpapiere i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2, die weder durch Einzelurkunden noch durch Sammel- oder Globalurkunden verkörpert sind. Reine Wertund Registerrechte sind damit auch erfasst. Die praktische Bedeutung dieser Regelung wird teils für gering erachtet, weil gemäß § 1 nur solche Wertpapiere in Betracht kommen, die an einem organisierten Markt (i.S.v. § 2 Abs. 7) gehandelt werden, was jedenfalls in Deutschland (nach § 32 BörsG i.V.m. § 5 BörsZulV bzw. § 33 BörsG) voraussetzte, dass die Wertpapiere zumindest der Girosammelverwahrung zugänglich und damit mindestens in einer Globalurkunde verbrieft seien1. Richtigerweise wird man aber davon ausgehen müssen, dass es auch für das Börsengesetz nach der Umsetzung der Prospektrichtlinie durch das Wertpapierprospektgesetz auf eine Verbriefung nicht mehr ankommt2. Die Entmaterialisierung der Wertpapiere nimmt zu. Es gibt Wertpapiere, die ausschließlich in elektronischer Form existieren3.
III. Erfasste Wertpapiere 1. Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 angeführten Wertpapieren gehören namentlich Aktien. Da 50 sich das WpÜG nicht nur auf solche Angebote bezieht, die auf den Erwerb der Kontrolle über eine Zielgesellschaft gerichtet sind („Übernahmeangebote“, § 29; siehe dazu oben Rz. 47), sind damit Aktien jeder Art gemeint4 und nicht nur solche, die ein Stimmrecht gewähren. Erfasst werden damit Nennbetrags- und Stückaktien (§ 8 AktG), Stammaktien und Vorzugsaktien mit und ohne Stimmrechte (§§ 12 Abs. 1, 139 Abs. 1 AktG), sowie Inhaberaktien, Namensaktien und vinkulierte Namensaktien (§§ 10 Abs. 1, 68 Abs. 2 AktG). Mangels rechtlicher Selbständigkeit gehören bloße Nebenpapiere zu Aktien (wie etwa Kuponbögen nebst Erneuerungsschein oder
1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 74; Heidelbach in Schwark/Zimmer, § 32 BörsG Rz. 28, § 33 BörsG Rz. 8; siehe auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 45; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 12; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 80. 2 Groß, Kapitalmarktrecht, § 32 BörsG Rz. 12, § 2 WpPG Rz. 2 ff. 3 Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 47; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 45; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 12. 4 Vgl. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 56; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 59; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 14; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 100; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 22; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 39; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 25.
Assmann/Favoccia 97
§2
Begriffsbestimmungen
einzelne Kupons) weder zu den Aktien noch zu den anderen der § 2 Abs. 2 genannten Wertpapiere1. 51
Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 sind auch Aktien vergleichbare Wertpapiere, d.h. Wertpapiere, die – wie die Aktie – ein Mitgliedschaftsrecht verkörpern2. Zu dieser Gruppe von Wertpapieren sind bspw. Zwischenscheine (auch Interimscheine genannt) zu zählen3, d.h. Anteilscheine, die den Aktionären vor der Ausgabe von Aktien erteilt werden (§ 8 Abs. 6 AktG). Wenn auch nur vorläufig (bis zur Ausgabe der Aktienurkunde), verbriefen sie doch – wie Aktien – Mitgliedschaftsrechte. Nicht zu den Aktien vergleichbaren Wertpapieren gehören Genussscheine4. Selbst wenn diese Genussrechte verbriefen, die den in der Aktie verbrieften Mitgliedschaftsrechten ähnlich sind, so eröffnen sie dem Berechtigten doch nur vermögensrechtliche Ansprüche und keine Mitgliedschaftsrechte. Gleiches gilt für Schuldverschreibungen und die in diesen verbrieften Leistungsversprechen (vgl. § 793 Abs. 1 BGB)5. Haben Schuldverschreibungen den Erwerb von Aktien, mit diesen vergleichbaren Wertpapieren oder Zertifikaten, die Aktien vertreten, zum Gegenstand, so handelt es sich jedoch um Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 (siehe dazu unten Rz. 53).
52
Wertpapiere sind des Weiteren auch Aktien vertretende Zertifikate. Solche Zertifikate, die ihrerseits Wertpapiere im wertpapierrechtlichen Sinne sind, werden etwa ausgestellt, um die Handelbarkeit von Aktien zu erleichtern, sei es weil die Aktien auf den Namen lauten oder sei es, weil für sie überhaupt keine Urkunden ausgestellt wurden. Eine typische Erscheinungsform solcher Zertifikate sind die sog. American Depositary Receipts („ADRs“)6, d.h. an einer US-amerikanischen Börse gehandelte, auf den Namen lautende Wertpapiere, die Rechte an hinterlegten Wertpapieren einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat als den USA verbriefen7. In der Angebotsunterlage sind im Hinblick auf die Abwicklung des Angebots ausführliche Hinweise für die Behandlung der ADRs aufzunehmen8. Auch Zertifikate über die Hinterlegung einer Vielzahl oder eines Bruchteils der bei einer Depotbank hinterlegten Aktien kommen als Aktien vertretende Zertifikate in Betracht.
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 92; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 40; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12 Fn. 20. 2 Begr. RegE, BT-Druck. 14/7034, S. 34; vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 92. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34. Vgl. etwa Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 40; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 58; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 14; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 9; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 26; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 23; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 91; Sohbi in Heidel, § 2 Rz. 12. 4 Ebenso etwa Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 92; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 14; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 26; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 24; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 43; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 9; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 92; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34. Vgl. auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 60; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 41; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 9; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 93; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 23; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43. 7 Siehe Röhler, American Depositary Shares, 1997, S. 40; Wieneke, Die Stellung des Inhabers von ADRs in der Hauptversammlung der Gesellschaft, AG 2001, 504, 505. 8 Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 12.
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Assmann/Favoccia
Begriffsbestimmungen
§2
2. Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 sind Papiere, die den Erwerb der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 53 genannten Wertpapiere (Aktien, Aktien vergleichbare Wertpapiere oder aktienvertretende Zertifikat) zum Gegenstand haben. Bei diesen Wertpapieren handelt es sich um solche, die zwar nicht selbst ein Mitgliedschaftsrecht verbriefen, dafür aber das Recht zum Erwerb eines Papiers, das seinerseits ein Mitgliedschaftsrecht verkörpert. Zu dieser Gruppe von Wertpapieren, die ebenfalls nicht urkundlich verbrieft sein müssen, gehören etwa Optionsanleihen, Wandelschuldverschreibungen, Wandelgenussscheine und zum Bezug von Aktien berechtigende Optionsscheine1. Nicht erfasst sind dagegen Wertpapiere, die ein Leistungsversprechen verbriefen, 54 welches – als Inhaber(sammel)schuldverschreibung – vermögensrechtliche Ansprüche begründet und das im Übrigen nur eine vom Eintritt einer Bedingung oder der Entscheidung des Schuldners abhängende Möglichkeit des Erwerbs oder Aussicht auf die Lieferung von Aktien, Aktien vergleichbaren Wertpapieren und Aktien vertretenden Zertifikaten eröffnet, wie dies etwa bei so genannten Aktienanleihen (Schuldverschreibungen mit optionaler Aktienandienung)2 der Fall ist: Der Erwerber solcher Aktienanleihen erhält in keinem Fall das Recht, die Lieferung von Aktien verlangen zu können; allein die Einräumung einer Wahlschuld des Leistungsversprechenden i.S.d. §§ 262–265 BGB (bei der Annahme einer Ersetzungsbefugnis wäre dies nicht anders)3 rechtfertigt nicht die Annahme, ein solcher Vertrag habe die Lieferung von Aktien zum Gegenstand4. Ungeachtet ihrer schriftlichen Verkörperung sind Zeichnungsscheine (§ 185 Abs. 1 AktG) oder Bezugserklärungen (§ 198 Abs. 1 AktG) keine Wertpapiere5 und unterfallen damit ebenfalls nicht den Wertpapieren i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2. Gleiches gilt für bloße Bezugsrechte i.S.v. §§ 186 Abs. 1, 203 Abs. 1 AktG6. Erst recht nicht erfasst sind Wertpapiere, die von vornherein nur den schuldrechtlichen und nicht auf einem Mitgliedschaftsrecht gründenden Anspruch auf eine (feste oder von einem Unternehmenserfolg abhängige) Gegenleistung in Geld verbriefen, wie etwa (die nicht mit einem Wandlungsrecht versehenen, siehe Rz. 53) Schuldverschreibungen und Genussscheine7. Gleiches gilt für Investmentanteile8.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34. Vgl. auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 42; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 63; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 16; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 9; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 97; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 27; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 44; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. 2 Vgl. Assmann, Irrungen und Wirrungen im Recht der Termingeschäfte, ZIP 2001, 2061, 2063, 2067 ff. 3 Zur zivilrechtlichen Beurteilung von Aktienanleihen siehe Assmann, ZIP 2001, 2061, 2068 f. 4 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 43; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 46; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. A.A. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 63; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 98. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist gering, da es bei Aktienanleihen regelmäßig an der Zulassung zum Handel an einer organisierten Börse i.S.v. § 1 fehlt. 5 Vgl. Hüffer, § 185 AktG Rz. 3 bzw. § 198 AktG Rz. 8. Vgl. auch Baums/Hecker in Baums/ Thoma, § 2 Rz. 65; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. 6 Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 98; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 43. 8 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 44; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 46; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 12.
Assmann/Favoccia 99
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§2 56
Begriffsbestimmungen
Zur Frage, ob der Bieter sein Angebot auf einzelne Arten von Wertpapieren i.S.d. § 2 Abs. 2 beschränken und/oder nach Wertpapiergattungen differenzieren kann, siehe § 1 Rz. 27.
E. Zielgesellschaft (§ 2 Abs. 3) I. Überblick 57
§ 2 Abs. 3 definiert den Begriff der Zielgesellschaft. Danach kommen als Zielgesellschaft eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (zur Europäischen Gesellschaft siehe unten Rz. 66) mit Sitz im Inland (Nr. 1) oder eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (Nr. 2) in Betracht. Die Definition ist insbesondere relevant für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes gemäß § 1. Nach dieser Norm findet das WpÜG nur Anwendung auf Angebote zum Erwerb börsenzugelassener Wertpapiere, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden. Darüber hinaus wird der Begriff der Zielgesellschaft in zahlreichen weiteren Vorschriften des Gesetzes verwandt (siehe etwa §§ 3, 27, 33, 35). Dort bezeichnet er – in Anlehnung an die Formulierung in § 1 – diejenige Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand des (künftigen) Angebots des Bieters sind1.
58
Die Bezugnahme auf Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland (§ 2 Abs. 3 Nr. 1) war bereits im DiskE2 und RefE3 des Bundesministeriums der Finanzen enthalten, rechtstechnisch dort allerdings Bestandteil der Regelung des Anwendungsbereichs in § 1, auf den die Definition der Zielgesellschaft in § 2 Abs. 4 (DiskE) bzw. § 2 Abs. 3 (RefE) verwies. Die Definition der Zielgesellschaft im Gesetzentwurf der Bundesregierung4 entspricht der Gesetz gewordenen Fassung; Änderungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erfolgten nicht.
59
Die Bezugnahme auf Gesellschaften mit Sitz im EWR-Ausland (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) wurde erst nachträglich im Rahmen der Umsetzung der Übernahmerichtlinie5 in deutsches Recht (siehe dazu auch § 1 Rz. 8 ff.) eingefügt. Art. 2 Abs. 1 lit. b) der Übernahmerichtlinie6 definiert als Zielgesellschaft eine Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Angebots sind. Die Richtlinie verwendet den Begriff der Zielgesellschaft daher in dem oben Rz. 57 a.E. dargestellten zweiten Sinne. Von den deutschen Gesellschaftsformen erfasst die Übernahmerichtlinie – wie auch das WpÜG – Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Die von diesen Gesellschaften emittierten Aktien sind „übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen“, d.h. Wertpapiere i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. e), die Gegenstand eines Angebots gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie sein können. Auf Grund der Regelung des Art. 4 Abs. 2 sind jedoch die Vorschriften des WpÜG über das Angebotsverfahren und die Gegenleistung auch auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat anzuwenden und deren Einhaltung von der BaFin zu überwachen, sofern diese Wertpapiere nicht im 1 2 3 4 5
Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 104. Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237 ff. Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374 ff. BT-Drucks. 14/7034, S. 8. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 21.4.2008 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz), BGBl. I 2006, 1426. 6 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713.
100 Pötzsch/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
Sitzmitgliedstaat der Gesellschaften, sondern in Deutschland zum Börsenhandel zugelassen sind (näher § 1 Rz. 8 f., 11). Insoweit wurde der Kreis der Zielgesellschaften im WpÜG durch die Umsetzung der Übernahmerichtlinie erweitert. Zur Frage, ob auch ein Bieter selbst Zielgesellschaft sein kann und daher das WpÜG auch auf den Fall des Erwerbs eigener Aktien Anwendung findet, siehe oben Rz. 37 ff.
60
II. Sitz im Inland (§ 2 Abs. 3 Nr. 1) 1. Rechtsform Als Zielgesellschaft kommt zunächst eine deutsche Aktiengesellschaft i.S.d. §§ 1 ff. 61 AktG in Betracht. Ob es sich bei der betreffenden Gesellschaft um eine Aktiengesellschaft handelt, richtet sich formal nach der Frage, ob die Gesellschaft mit dieser Rechtsform gegründet und in das Handelsregister eingetragen (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG)1 worden ist. Die Gesellschaft endet mit der vollständigen Abwicklung und Löschung2; ab diesem Zeitpunkt ist auch das WpÜG nicht mehr anwendbar. Zielgesellschaft kann ferner eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) gemäß §§ 278 ff. AktG mit Sitz im Inland sein3. Die Ausführungen in der vorstehenden Rz. gelten hier entsprechend.
62
Im Vorfeld des Inkrafttretens des WpÜG wurde diskutiert, ob im Hinblick auf die un- 63 terschiedliche Struktur der KGaA und der Aktiengesellschaft Modifikationen einzelner Vorschriften des WpÜG, insbesondere des Kontrollbegriffs und des Pflichtangebots, für die KGaA erforderlich seien4. Im Ergebnis wurde hiervon jedoch zu Recht abgesehen und ist der nach Inkrafttreten des WpÜG vereinzelt geäußerten Kritik an der grundsätzlichen Gleichbehandlung der KGaA mit der Aktiengesellschaft im WpÜG nicht zuzustimmen5, da ein Kommanditaktionär mit einer entsprechenden Beteiligung jedenfalls zusammen mit den Komplementären die Kontrolle ausüben kann6, ein von § 29 Abs. 2 abweichender handhabbarer und rechtssicherer Kontrollbegriff für die KGaA nicht ersichtlich ist und durch die in § 37 vorgesehenen Befreiungsmöglichkeiten vom Pflichtangebot (hierzu § 37 Rz. 67) im Einzelfall unbillige Härten vermieden werden können7. Ob deutsche Gesellschaften anderer Rechtsformen, z.B. Personengesellschaften, Genossenschaften oder Gesellschaften mbH, über den Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 1 hinausgehend als Zielgesellschaften in Betracht kommen, kann dahin stehen. Hier 1 Zur theoretischen Frage, ob eine VorAG Zielgesellschaft sein kann, siehe Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 28; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 109 Fn. 141; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 5; die Anwendbarkeit des WpÜG scheitert hier bereits an der fehlenden Börsenzulassung der Anteile (vgl. § 1). 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 109; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 78. 3 Zur Verbreitung der börsenzugelassenen KGaA in Deutschland Herfs in MünchHdb. AG, § 75 Rz. 3 ff.; Perlitt in MünchKomm. AktG, Vor § 278 Rz. 5; Schüppen in Seibert/Kiem, Handbuch der kleinen AG, 5. Aufl. 2008, Rz. 6.27 f. 4 Siehe hierzu ausführliche Kommentierung in der 1. Aufl., § 2 Rz. 89 ff. 5 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 110 Fn. 143; Baums/Hecker in Baums/ Thoma, § 2 Rz. 81 ff.; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 34; im Ergebnis nunmehr auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 29. 6 Instruktiv Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 84. 7 So auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 29; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 34 Fn. 61; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 110.
Pötzsch/Favoccia
101
64
§2
Begriffsbestimmungen
scheitert die Anwendbarkeit des WpÜG jedenfalls an dem in § 1 verankerten Erfordernis der Börsenzulassung, da Mitgliedschaftsrechte dieser Gesellschaften nicht an der Börse handelbar sind1. Streng genommen wäre daher eine Aufzählung der Gesellschaftsformen auch in § 2 Abs. 3 Nr. 1 nicht erforderlich gewesen2. 65
REIT-Aktiengesellschaften sind kraft ausdrücklicher Regelung Zielgesellschaften i.S.d. WpÜG (vgl. § 1 Abs. 3 REITG)3. Demgegenüber sind die Vorschriften des WpÜG auf Investmentaktiengesellschaften nicht anzuwenden (vgl. § 99 Abs. 5 InvG). Die Bundesregierung hat am 12.12.2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz) vorgelegt4. Vorausgegangen war ein Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.7.2012. Die Richtlinie ist bis zum 22.7.2013 in nationales Recht umzusetzen. Der Regierungsentwurf sieht die Schaffung eines Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB) unter Aufhebung der Regeln des Investmentgesetzes vor. Der RegE KAGB regelt in seinem § 108 Abs. 5 für Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital, dass das WpÜG auf die Tätigkeit dieser Gesellschaft keine Anwendung finden soll. Der noch im DiskE KAGB vorgesehene § 120 Abs. 3, der Entsprechendes für die neu eingeführte offene Investmentkommanditgesellschaft bestimmte, ist gestrichen worden (vgl. § 124 RegE KAGB). Hintergrund ist wohl, dass die Investmentkommanditgesellschaft, die nur in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft betrieben werden darf (§ 124 Abs. 1 RegE KAGB), von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des WpÜG fällt (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2, 3).
66
Nach Art. 10 der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) vom 8.10.20015 wird die SE in jedem Mitgliedstaat wie eine Aktiengesellschaft behandelt, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Eine SE mit Sitz in Deutschland kommt daher ebenfalls als Zielgesellschaft nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 in Betracht6. Sind deren Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, ist der Anwendungsbereich des WpÜG gemäß § 1 eröffnet. Hat diese ihren Sitz im EWR-Ausland, ist § 2 Abs. 3 Nr. 2 einschlägig7.
67
Umstritten ist, ob im Ausland gegründete (Kapital-)Gesellschaften als Zielgesellschaften i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 in Betracht kommen, wenn sie ihren Verwaltungssitz im Inland haben bzw. diesen in das Inland verlegen. Durch die Einbeziehung von Gesellschaften mit Sitz im EWR-Ausland in den Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) hat die Streitfrage etwas an Bedeutung verloren, ist aber nicht obsolet, weil das WpÜG auf Gesellschaften mit Sitz außerhalb des EWR keine Anwendung findet und auf Gesellschaften im EWR-Ausland nur eingeschränkt (§ 1 Abs. 3). Die Rechts- und Parteifähigkeit derartiger Gesellschaften aus dem EU-Raum ist nach der
1 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 32; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 103; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 11. 2 Nach Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 32 und Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 103 ist die Aufzählung von Rechtsformen in § 2 Abs. 3 Nr. 1 überflüssig, da sich die erforderliche Eingrenzung bereits aus dem Wertpapierbegriff in § 2 Abs. 1 sowie dem Erfordernis der Börsenzulassung in § 1 ergebe. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 52; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 11. 4 BR-Drucks. 791/12. 5 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 111; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 5; zum Pflichtangebot bei Gründung einer SE Teichmann, AG 2004, 67, 77 ff. 7 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 39.
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§2
Begriffsbestimmungen
seit 1999 ergangenen Rechtsprechung des EuGH1 – und in deren Gefolge auch des BGH2 – im Inland anzuerkennen. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BGH3 auch für US-amerikanische Gesellschaften. Da die Anerkennung dieser Gesellschaften jedoch nach dem Recht ihres Gründungsstaates erfolgt, findet auf sie gerade nicht das deutsche, sondern das ausländische Aktienrecht Anwendung. Somit ist auch die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 Nr. 1 nicht zwingend vorgegeben4. Vor diesem Hintergrund verneint eine Auffassung5 die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 Nr. 1 unter Hinweis darauf, dass diese Gesellschaften keine Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien i.S.d. Aktiengesetzes seien. Eine andere Auffassung6 hält dem entgegen, der Normzweck der Vorschrift spreche dafür, den Handel mit Wertpapieren von im Inland ansässigen Gesellschaften gleichmäßig zu erfassen, und verweist auf das Marktverzerrungsverbot des § 3 Abs. 5. Auch wenn die letztgenannten Erwägungen durchaus gewichtig sind, ist dennoch der erstgenannten Auffassung zuzustimmen: Für eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 3 Nr. 1 auf die vorgenannten Gesellschaften fehlt es an der erforderlichen Regelungslücke, da der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik7 ersichtlich von einer Anwendbarkeit deutschen Aktienrechts auf Gesellschaften nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 ausgegangen ist, was nicht nur in § 2 Abs. 3 Nr. 1, sondern auch an anderer Stelle, etwa in § 16 Abs. 4 und § 27, zum Ausdruck gekommen ist8. Jedenfalls wäre die zweite Voraussetzung des § 2 Abs. 3 Nr. 1 („Sitz im Inland“) bei im Ausland gegründeten Gesellschaften mit bloßem Verwaltungssitz in Deutschland nicht erfüllt (siehe dazu unten Rz. 68 ff.). 2. Sitzbegriff Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 kommen als Zielgesellschaften Gesellschaften mit Sitz im In- 68 land in Betracht. In diesem Zusammenhang wird unter Bezugnahme auf das nicht kodifizierte internationale Gesellschaftsrecht diskutiert, ob hier der Sitztheorie, die auf den effektiven Verwaltungssitz abstellt, oder der Gründungstheorie zu folgen sei,
1 Grundlegend hierzu die Entscheidungen des EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 – Centros, EuGH Slg. 1999, I-1459 = ZIP 1999, 438 = AG 1999, 226; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering, EuGH Slg. 2002, I-9919; EuGH v. 30.9.2003 – C 167/01 – Inspire Art, NJW 2003, 3331 = BB 2003, 2195; dazu Maul/Schmidt, BB 2003, 2297; Horn, NJW 2004, 893; s. zuletzt EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10 – Vale, DB 2012, 1614; dazu Teichmann, DE 2012, 2085; ferner Hüffer, § 1 AktG Rz. 30 ff.; Zimmer in K. Schmidt/Lutter, AktG, Int. GesR Rz. 5 ff. 2 BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185, 188 ff. = AG 2003, 386. 3 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 356 ff.; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, BB 2004, 1868. Die Anerkennung folgt hier aus Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl. II 1956, 487, 763); zu diesem und zu weiteren völkerrechtlichen Abkommen siehe Kindler in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2010, IntGesR Rz. 328 ff., 333 ff. 4 Zutreffend Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 112. 5 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 52; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 90; wohl auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 32 ff.; vgl. auch Oechsler, NZG 2001, 817 (der jedoch eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 3 erwägt). 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 1 Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 13. 7 Die in Fn. 7 zu Rz. 67 erwähnte Centros-Entscheidung des EuGH wurde schon vor Verabschiedung des WpÜG eingehend in der Fachliteratur diskutiert, u.a. von Behrens, IPRax 1999, 323; Ebke, JZ 1999, 656; Freitag, EuZW 1999, 267; Geyrhalter, EWS 1999, 201; Görk, GmbHR 1999, 793; Kindler, NJW 1999, 1993; Meilicke, DB 1999, 627; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721; Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001), 233. 8 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 112.
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für die der von den Gründern festgelegte statuarische Sitz der Gesellschaft maßgeblich ist1. 69
Dem ist zu Recht entgegengehalten worden, dass Sitz- und Gründungstheorie nur die Frage nach dem Recht beantworten, welches auf einen bestimmten Lebenssachverhalt anzuwenden ist, an dem ein Personenzusammenschluss beteiligt ist. Zur Auslegung einer inländischen Kollisions- oder Sachnorm können diese Theorien jedoch nicht herangezogen werden; vielmehr ist insoweit auf die hergebrachten Auslegungsgrundsätze zurückzugreifen2. Danach liegt es nahe, angesichts der Sachnähe zum Aktienrecht den dort verwandten Sprachgebrauch auch im WpÜG zu Grunde zu legen und gemäß § 5 AktG auf den in der Satzung der Gesellschaft bestimmten Ort – den statuarischen Sitz – abzustellen3. In gleicher Weise ist nach zutreffender, allerdings umstrittener Auffassung auch der in § 1 Abs. 1 UmwG verwandte Begriff des Sitzes im Inland zu verstehen4. Zudem zeigen u.a. die Verweise in § 16 Abs. 4 auf die Vorschriften des Aktiengesetzes, dass vom WpÜG nicht Gesellschaften erfasst werden sollen, die nur ihren Verwaltungssitz, nicht aber ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben. Auf derartige Gesellschaften ist auch bei ihrer Anerkennung weiterhin ausländisches Aktienrecht anzuwenden (siehe oben Rz. 67), so dass die o.g. Verweise keinen Sinn ergeben würden5. Schließlich sprechen für die Maßgeblichkeit des satzungsmäßigen Sitzes die im Übernahmerecht besonders bedeutsamen Aspekte der Praktikabilität und Rechtssicherheit, da der satzungsmäßige Sitz leichter feststellbar ist als der effektive Verwaltungssitz6.
70
Nach dem Vorgenannten kommen als Zielgesellschaft nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 ausschließlich Gesellschaften in Betracht, die ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben7. Unerheblich ist dabei, ob die Satzung einen Doppelsitz vorsieht und der zweite Sitz im Ausland liegt8. Der Umstand, dass sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft im Ausland befindet, hindert eine Einordnung als Zielgesellschaft nicht. Allerdings führt nach herkömmlicher Auffassung die Verlegung des Verwaltungssitzes einer 1 In Deutschland war lange die Sitztheorie vorherrschend (siehe nur BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 334), diese wird jedoch zunehmend durch die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit überlagert. Hierzu Kindler in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2010, IntGesR Rz. 358 ff., 420 ff.; Habersack in MünchKomm. AktG, Einl. Rz. 93 ff.; Hüffer, § 1 AktG Rz. 30 ff. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 87. 3 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 34; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 112; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 88; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 47 ff.; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 35; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 20; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 18; von Hein, ZGR 2005, 528, 545 ff.; Josenhans, ZBB 2006, 269, 276; Steinmeyer in FS Immenga, 2004, S. 743, 745 ff.; Kiesewetter, RIW 2006, 518 ff.; für einen eigenständigen Sitzbegriff Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 16, 37. 4 Lutter/Drygala in Lutter, § 1 UmwG Rz. 15; Kallmeyer in Kallmeyer, § 1 UmwG Rz. 10; Drinhausen in Semler/Stengel, Einleitung C Rz. 19 f.; a.A. Samson/Flindt, NZG 2006, 290, 292. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 112. Nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 können auf diese Gesellschaften aber seit der Änderung des WpÜG durch das ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetz (§ 1 Rz. 8) jedenfalls die angebotsbezogenen (im Unterschied zu den gesellschaftsrechtlichen) Regelungen Anwendung finden. 6 Steinmeyer in FS Immenga, 2004, S. 743, 747 f.; ähnlich Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 35. 7 Eine britische Public Limited Company (plc) mit Verwaltungssitz in Deutschland und deutscher Börsenzulassung ist demgemäß eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraum (§ 2 Abs. 3 Nr. 2); siehe Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 35; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 20. 8 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 89.
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Gesellschaft mit Satzungssitz im Inland zur Auflösung der Gesellschaft1. Bis zum Abschluss der Auflösung bleiben jedoch der Charakter der Gesellschaft unverändert2 und die Normen des Aktiengesetzes weiterhin anwendbar, so dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die Gesellschaft weiterhin als Zielgesellschaft in Betracht kommt3. Im Übrigen ist die Richtigkeit der Auffassung, die eine Auflösung im Falle des Wegzugs bejaht, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Anerkennung von Auslandsgründungen im Falle des Zuzugs in das Inland (siehe oben Rz. 67) kritisch zu hinterfragen, da überzeugende Gründe für eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle nicht ersichtlich sind4. Die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer inländischen Gesellschaft in das 71 Ausland, deren aktienrechtliche Behandlung umstritten ist5, führt zum Wegfall der Eigenschaft als Zielgesellschaft, sofern man einen solchen Beschluss – nach einer vereinzelt vertretenen Auffassung6 – für wirksam erachtet. Gleiches gilt, wenn man mit der früher herrschenden Meinung7 den Beschluss als Auflösungsbeschluss gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG wertet, mit Abschluss der Auflösung, da dann die Gesellschaft als solche erlischt. Sieht man den Beschluss dagegen mit einer stark im Vordringen befindlichen Auffassung8 als nichtig gemäß § 241 Nr. 3 AktG an, bleibt die Gesellschaft weiterhin taugliche Zielgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 3. De lege ferenda erscheint die erstgenannte Auffassung als vorzugswürdig. Nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit satzungsmäßigen Sitz im Inland sind keine Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien i.S.d. Aktiengesetzes; nach den oben Rz. 67 a.E. dargestellten Grundsätzen sind derartige Gesellschaften daher keine Zielgesellschaften.
72
III. Sitz im EWR-Ausland (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) Zielgesellschaft kann nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 auch eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums sein. Entscheidend ist auch hier der statuarische Sitz der Gesellschaft9.
73
Während in § 2 Abs. 3 Nr. 1 nur bestimmte Rechtsformen – die Aktiengesellschaft, die 74 Kommanditgesellschaft auf Aktien sowie aufgrund von Art. 10 SE-Verordnung auch die SE – als Zielgesellschaften in Betracht kommen, erfasst § 2 Abs. 3 Nr. 2 scheinbar sämtliche Gesellschaften unabhängig von ihrer Rechtsform. Hintergrund dieser offe1 Pentz in MünchKomm. AktG, § 45 Rz. 23; Großfeld in Staudinger, BGB, Neubearb. 1998, IntGesR Rz. 608 ff., jeweils m.w.N. 2 Hüffer in MünchKomm. AktG, § 274 Rz. 3; Hüffer, § 274 AktG Rz. 2. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 112; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 89. 4 Hierzu Hüffer, § 5 AktG Rz. 12; Zimmer in K. Schmidt/Lutter, AktG, Int. GesR Rz. 5 ff.; Lutter, BB 2003, 7, 10; Maul/Schmidt, BB 2003, 2297, 2300; Horn, NJW 2004, 893, 897; siehe auch EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10 – Vale, DB 2012, 1614 (identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung durch Formwechsel grundsätzlich möglich). 5 Zum Streitstand Pentz in MünchKomm. AktG, § 45 Rz. 24; Großfeld in Staudinger, BGB, Neubearb. 1998, IntGesR Rz. 650 ff.; Hüffer, § 45 AktG Rz. 2, § 5 AktG Rz. 12 f. 6 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 352 f. 7 Vgl. etwa Großfeld in Staudinger, BGB, Neubearb. 1998, IntGesR Rz. 652 ff.; Brändel in Großkomm. AktG, § 5 Rz. 28 m.w.N. 8 Hüffer, § 5 AktG Rz. 12; Heider in MünchKomm. AktG, § 5 Rz. 66; Pentz in MünchKomm. AktG, § 45 Rz. 24; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 89. 9 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 11; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 37.
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nen Formulierung, die auch bei § 2 Abs. 3 Nr. 1 möglich gewesen wäre (siehe oben Rz. 64) ist, dass der deutsche Gesetzgeber die Regelung der Rechtsformen einer anderen Rechtsordnung nicht beeinflussen kann1 und jede Aufzählung daher schnell überholt sein kann. Gleichwohl ist mit Blick auf § 1 Abs. 3 das WpÜG für ausländische Gesellschaften nur dann anwendbar, wenn sie Wertpapiere emittieren können, die zum Handel im regulierten Markt zugelassen werden können2. Im Ergebnis werden somit ausschließlich Kapitalgesellschaften von der Vorschrift erfasst3. Es muss sich um eine Rechtsform handeln, die mit der Aktiengesellschaft vergleichbar ist4, so dass beispielsweise eine britsche plc sowie eine französische oder belgische SA, nicht aber etwa eine britische Limited oder eine österreichische GmbH Zielgesellschaft sein können5. Eine SE mit Sitz im EWR-Ausland ist wiederum erfasst (siehe oben Rz. 66).
F. Bieter (§ 2 Abs. 4) I. Überblick 75
§ 2 Abs. 4 definiert den Begriff des Bieters, den das WpÜG an zahlreichen Stellen verwendet. Als Bieter kommen danach sowohl natürliche als auch juristische Personen sowie Personengesellschaften in Betracht. Für die Bietereigenschaft erforderlich ist, dass diese Rechtsträger ein Angebot abgeben, ein solches beabsichtigen oder zur Abgabe eines Angebots verpflichtet sind. Ob die Vorgenannten ein Angebot allein oder gemeinsam mit anderen abgeben, dies beabsichtigen oder hierzu verpflichtet sind, ist unerheblich.
76
Die Definition des Bieters wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens an zwei Stellen modifiziert. Entsprechend dem ursprünglich auf Übernahme- und Pflichtangebote begrenzten Anwendungsbereich des Gesetzes nahm die in § 2 Abs. 5 DiskE6 enthaltene Definition des Bieters nur auf derartige Angebote Bezug; mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf sämtliche Erwerbsangebote (hierzu Einl. Rz. 27 f.) erfolgte eine entsprechende Anpassung der Bieterdefinition in § 2 Abs. 4 RefE7. Auf Anregung des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins8 wurde ferner in § 2 Abs. 4 RegE9 die Aufzählung der in Betracht kommenden Bieter um Personengesellschaften ergänzt. Die Definition des Bieters im RegE entspricht der Gesetz gewordenen Fassung; Änderungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erfolgten nicht.
77
Die Übernahmerichtlinie10 definiert in Art. 2 Abs. 1 lit. c) als Bieter „jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, die ein Angebot 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 17; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 11; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 19. 2 Siehe auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 38. Da diese Voraussetzung auch für inländische Gesellschaften gelte, hält Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 103, 115 die Regelung des § 2 Abs. 3 für überflüssig. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 17; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 55. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 115; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 38. 5 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 6 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 239. 7 Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 376. 8 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE, NZG 2001, 420. 9 BT-Drucks. 14/7034, S. 8. 10 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713.
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abgibt“. Trotz des im Vergleich zu § 2 Abs. 4 vermeintlich engeren Wortlauts („die ein Angebot abgibt“) enthält die Richtlinie jedoch auch Vorgaben für denjenigen, der ein Angebot abzugeben beabsichtigt, dieses aber noch nicht abgegeben hat (Art. 6 Abs. 1). Sie bezeichnet als Bieter auch diejenigen Personen, die zur Abgabe eines Angebots verpflichtet sind (Art. 5 Abs. 4 und 5). Insoweit ist die Definition des Bieters in der Richtlinie mit derjenigen des WpÜG identisch. Allerdings ist der Begriff des „Angebots“ in der Übernahmerichtlinie enger als derjenige des WpÜG, da die Richtlinie nur Übernahme- und Pflichtangebote, nicht aber sonstige Erwerbsangebote regelt (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 lit. a). Die in den Definitionen im Übrigen verwandten unterschiedlichen Formulierungen (Verweis auf Personen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts in Art. 2 Abs. 1 lit. c) bzw. auf Personengesellschaften sowie gemeinsame Angebote in § 2 Abs. 4) enthalten keine sachlichen Differenzen; ihnen kommt lediglich klarstellende Bedeutung zu1. Der weitgehende Gleichlauf beider Definitionen beruht auf dem Umstand, dass das WpÜG ursprünglich als vorweggenommene Transformation der Übernahmerichtlinie konzipiert war (siehe Einl. Rz. 26 f.; 83 ff.).
II. Geeignete Rechtssubjekte Nach § 2 Abs. 4 kommen als Bieter natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften in Betracht. Die Aufzählung der als Bieter geeigneten Rechtsträger „natürliche und juristische Personen“ geht auf die Bieterdefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. c) Übernahmerichtlinie zurück (siehe oben Rz. 77), die gesonderte Erwähnung von Personengesellschaften auf eine Anregung des deutschen Anwaltvereins (siehe oben Rz. 76).
78
Die Aufzählung hat lediglich klarstellenden Charakter2. Sie verdeutlicht, dass jedes 79 Rechtssubjekt, d.h. jeder Träger von Rechten und Pflichten, Bieter i.S.d. Gesetzes sein kann (siehe auch § 35 Rz. 49 ff.)3. Ohne Belang ist insbesondere, ob der Bieter ein Unternehmen i.S.d. §§ 15 ff. AktG ist4. Allerdings stellt das Gesetz teilweise darauf ab, dass eine Bietergesellschaft vorliegt (so z.B. §§ 3 Abs. 5, 25). Bieter können zunächst natürliche Personen sein. Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der natürlichen Person sind unerheblich5.
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Zu den juristischen Personen des Inlands gehören die juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts6. Juristische Personen des Privatrechts sind
81
1 Für die Erwähnung von Personengesellschaften in § 2 Abs. 4 ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 50. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 126; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 40. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 126; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 12; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 24; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 40. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 49; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 21b; vgl. auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 396. 5 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 95; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128. 6 Vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 95; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 40; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 49; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 7; zur Unterscheidung Ellenberger in Palandt, 71. Aufl. 2012, Einf. v. § 21 BGB Rz. 3 f.
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u.a. der rechtsfähige Verein und die rechtsfähige privatrechtliche Stiftung, die Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, GmbH, die eingetragene Genossenschaft, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und die Europäische Gesellschaft. Zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zählen die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, soweit sie rechtsfähig sind1. Ausländische juristische Personen können ebenfalls Bieter sein2. 82
Als Bieter kommen ferner Personengesellschaften in Betracht. Hierunter fallen im Inland die Personenhandelsgesellschaften (OHG und Kommanditgesellschaft) und die sonstigen rechtsfähigen (siehe oben Rz. 79, 82) Personengesellschaften. Zu Letzteren gehören die Partnerschaftsgesellschaft, die Partenreederei und die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)3. Hinzu tritt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts4, deren Rechtsfähigkeit der BGH5 anerkannt hat, sofern es sich nicht nur um eine reine Innengesellschaft handelt6. Als Bieter kommen auch ausländische Personenvereinigungen unabhängig von Sitz und Rechtsform in Betracht. Erforderlich ist jedoch, dass diesen Vereinigungen nach dem Recht ihres Staates unter Berücksichtigung der Regeln des internationalen Gesellschaftsrechts Rechtsfähigkeit zukommt7. Hierzu zählt etwa die Scheinauslandsgesellschaft, die nach Auffassung des BGH8 rechtsfähig ist (siehe auch § 35 Rz. 52).
83
Andere als die in der vorstehenden Rz. genannten inländischen Gesamthandsgemeinschaften wie eine Güter- oder Erbengemeinschaft scheiden als Bieter aus9, da die Gesamthandsgemeinschaft nach traditioneller Auffassung grundsätzlich kein Rechtssubjekt ist10. Entsprechendes gilt für die Bruchteilsgemeinschaft (siehe auch § 35 Rz. 53).
84
Auch die Vorstandsmitglieder einer Zielgesellschaft können ein öffentliches Übernahmeangebot abgeben und somit Bieter i.S.d. § 2 Abs. 4 sein (management buy-out)11.
85
Hingegen ist die Zielgesellschaft selbst in keinem Fall Bieter, da das WpÜG auf den Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung findet (siehe oben Rz. 38 ff.). 1 Näher Ellenberger in Palandt, 71. Aufl. 2012, Vorb. v. § 89 BGB Rz. 1 f. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 14. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 7. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 97; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 12; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 40; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 8; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 24; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 49. 5 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 342. 6 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 97; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 8, 11. In der Regel wird es sich um eine Außen-GbR handeln; zutreffend Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 24 Fn. 29. 7 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 96; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 128. 8 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BB 2002, 2031, 2032. 9 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 98; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 12; zweifeld Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 14. 10 Vgl. nur Ellenberger in Palandt, 71. Aufl. 2012, Einf. v. § 21 BGB Rz. 2 m.w.N. Gleichwohl sind in diesem Fall die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft selbst Bieter und agieren als gemeinsam handelnde Personen i.S.d. § 2 Abs. 5, vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 12; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 129, 144. 11 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 18; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 129; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 24.
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Begriffsbestimmungen
Die Auswahl des „richtigen“ Bieters bei einem Erwerbs- oder freiwilligen Übernah- 86 meangebot1 kann auch durch die Art des Angebots vorgegeben werden. Im Falle eines Tauschangebots etwa, bei dem die Gegenleistung aus liquiden börsenzugelassenen Aktien besteht (§ 31 Abs. 2 Satz 1), handelt es sich zwar nicht notwendiger-, aber doch typischerweise2 um Aktien des Bieters, so dass als Bieter dann eine AG, KGaA, SE oder vergleichbare ausländische Rechtsform naheliegt3. Auch später angedachte Integrationsmaßnahmen können eine Rolle spielen. Wenn z.B. im Anschluss an die Übernahme ein Squeeze Out geplant ist, sollte als Bietergesellschaft eine Aktiengesellschaft gewählt werden, um sich die Möglichkeit des verschmelzungsrechtlichen Squeeze Out offenzuhalten4.
III. Bestimmung des Bieters Bieter ist nach § 2 Abs. 4 zunächst derjenige, der ein Angebot abgibt. Wer dies ist, er- 87 gibt sich für sämtliche Angebotstypen, d.h. für einfache Erwerbsangebote, Übernahme- und Pflichtangebote, aus der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, §§ 34, 39). Mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage wird zugleich das zivilrechtliche Angebot abgegeben. Entscheidend für die Bietereigenschaft ist daher das rechtsgeschäftliche Auftreten nach außen5. Aus dem Vorgenannten folgt, dass für die Bestimmung des Bieters unerheblich ist, 88 von wem das Angebot wirtschaftlich ausgeht6. Die Abgabe eines Angebots durch eine Tochtergesellschaft oder eine speziell hierfür gegründete Erwerbsgesellschaft (NewCo) führt daher nicht zur Bietereigenschaft (auch) der Muttergesellschaft bzw. der hinter der Erwerbsgesellschaft stehenden Gesellschafter7. Allerdings sind diejenigen, von denen das Angebot wirtschaftlich ausgeht, regelmäßig gemeinsam handelnde Personen i.S.d. § 2 Abs. 58, die der Bieter gemäß § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO in der Angebotsunterlage aufzuführen hat, und bei denen – je nach Lage des Falles – auch
1 Bei einem Pflichtangebot ergibt sich der Bieter demgegenüber aus dem Gesetz: derjenige, der Kontrolle gemäß § 35 Abs. 1 erlangt hat. 2 Siehe dazu Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1963 ff.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 26 ff. 3 Vgl. zuletzt etwa Tauschangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011 und Tauschangebot der SolarWorld AG/Solarparc AG vom 31.12.2010. 4 Seibt, CFL 2011, 213, 223. 5 Im Ergebnis ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 51; gleichsinnig auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 136; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 41; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 11; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 15. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 138; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 26; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 105; Santelmann in Steinmeyer/ Häger, § 2 Rz. 15; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 53; zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die nachfolgend im Text genannten Konstellationen siehe § 35 Rz. 273, 194 ff. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 137 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 53; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 105, 108; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 16; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 15; wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 11; a.A. Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 99 f. für den Fall, dass eine Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft zum Erwerb ihrer Aktien veranlasst. 8 Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 138; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 26.
Pötzsch/Favoccia
109
§2
Begriffsbestimmungen
eine Haftung für eine fehlerhafte Angebotsunterlage des Bieters gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 in Betracht zu ziehen ist (hierzu § 12 Rz. 35 ff.)1. 89
Bieter ist nach § 2 Abs. 4 auch, wer die Abgabe eines Angebots beabsichtigt. Wie sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 ableiten lässt, ist hier auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Entscheidung zu Abgabe eines Angebots getroffen wird2. Derjenige, der ein Angebot nur ernsthaft in Betracht zieht, sich die endgültige Entscheidung aber noch vorbehalten hat, ist daher noch nicht Bieter i.S.d. Gesetzes3. Eine andere Auffassung würde zu unzumutbarer Rechtsunsicherheit führen. Sie lässt sich im Übrigen auch nicht aus der Verwendung des Begriffs des „Bieters“ in § 10 ableiten: Der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass „der Bieter“ die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots trifft – und daher bereits vor der Entscheidung Bieter ist4; sie verpflichtet vielmehr denjenigen, der die Entscheidung getroffen hat, zur unverzüglichen Veröffentlichung – und bezeichnet diesen zutreffend als Bieter.
90
Bieter ist schließlich auch derjenige, der zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Diese Alternative stellt das Pendant zur vorgenannten Fallgruppe für den Bereich der Pflichtangebote dar. Sie bezieht auch diejenigen in die Bieterdefinition ein, die infolge Kontrollerwerbs gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots verpflichtet sind. Dass § 35 Abs. 2 Satz 1 den Angebotspflichtigen selbst als Bieter bezeichnet, ist als Zirkelschluss kritisiert worden5, der sich jedoch problemlos beseitigen lässt, indem man an die Stelle des Bieters in § 35 Abs. 2 Satz 1 unter Rückgriff auf die Formulierung des § 35 Abs. 1 Satz 1 denjenigen setzt, der mittelbar oder unmittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt hat6. Erwerben mehrere Personen auf Grund der Zurechnungsvorschrift des § 30 gleichzeitig die Kontrolle über eine Zielgesellschaft, sind grundsätzlich sämtliche Personen zur Abgabe eines Angebots verpflichtet und damit Bieter i.S.d. § 2 Abs. 47; eingehend zur Behandlung derartiger Konstellationen siehe § 35 Rz. 55 ff., 194 ff. Die Einordnung als Bieter setzt nur voraus, dass den Betreffenden im Grundsatz eine Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots trifft. Bieter ist daher auch derjenige, der vom Pflichtangebot befreit werden kann (vgl. § 37 Abs. 1).
IV. Mehrere Personen als Bieter 91
Bieter ist nicht nur, wer allein, sondern auch, wer gemeinsam mit anderen ein Angebot abgibt, dieses beabsichtigt, oder hierzu verpflichtet ist. Im Falle einer solchen
1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 53 plädiert in diesem Zusammenhang für eine Pflicht des formellen Bieters, die ihn betreffenden Angaben in der Angebotsunterlage nicht nur für sich, sondern auch für den wirtschaftlich Handelnden zu machen, soweit das Angebot auf dessen Einflussnahme beruhe. 2 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 131; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 2 Rz. 11; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 15; wohl auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 42. 3 A.A. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 104. 4 So aber Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 104; wie hier Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 131. 5 Hommelhoff/Witt in FrankfKomm. WpÜG, § 35 Rz. 68; kritisch auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 93; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 133. 6 Zutreffend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 93; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 133. Zur Identität des Adressatenkreises von § 35 Abs. 1 und Abs. 2 siehe § 35 Rz. 49. 7 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 42; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 17.
110 Pötzsch/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
Bietergemeinschaft ist jeder der beteiligten Bieter und hat die Verpflichtungen nach dem Gesetz zu erfüllen1. Ob ein freiwilliges Angebot allein oder gemeinsam mit anderen abgegeben oder dies beabsichtigt wird, richtet sich entsprechend den oben Rz. 87 dargestellten Ausführungen nach dem rechtsgeschäftlichen Auftreten nach außen2. Schließen sich mehrere Personen zur Abgabe eines Angebots zu einer der oben Rz. 82 genannten Personengesellschaften zusammen (in Betracht kommt insbesondere eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Außengesellschaft), ist nur diese Gesellschaft Bieter. Es liegt daher kein Fall des gemeinsamen Angebots vor3. Da ein Zusammenschluss mehrerer Personen regelmäßig eine Außengesellschaft hervorbringen wird, kommen Bietergemeinschaften in der Praxis nur selten vor4.
92
Eine gemeinsame Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots entsteht nicht schon 93 dann, wenn mehrere Personen auf Grund der Zurechnungsvorschrift des § 30 gleichzeitig die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangen, da die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots hier grundsätzlich jeden einzelnen Kontrollerwerber für sich trifft (siehe auch § 35 Rz. 58)5. Eine gemeinsame Verpflichtung wird beispielsweise im Falle einer Erbengemeinschaft aus § 2038 Abs. 1 BGB abgeleitet6. Dies erscheint jedoch zweifelhaft, da auch hier die Verpflichtung grundsätzlich jeden einzelnen Miterben trifft, sofern dieser die Kontrolle trotz nur quotaler Zurechnung seiner Anteile (siehe § 35 Rz. 53) erwirbt7. Generell dürfte eine gemeinsame Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots kaum jemals in Betracht kommen. Bietergemeinschaften sind von gemeinsam handelnden Personen i.S.d. § 2 Abs. 5 ab- 94 zugrenzen. Bieter einer Bietergemeinschaft sind stets gemeinsam handelnde Personen8. Dies legt bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 4 nahe, ergibt sich aber auch daraus, dass sie ihr Verhalten im Hinblick auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft untereinander abstimmen. Umgekehrt sind gemeinsam handelnde Personen jedoch nicht immer Bieter9. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie nach den oben Rz. 87 ff. dargestellten Grundsätzen als Bieter einzuordnen sind.
G. Gemeinsam handelnde Personen (§ 2 Abs. 5) Schrifttum: Adam, Acting in concert. Die Zurechnung von Stimmrechten im Übernahmerecht, 2008; Arnold, Die neue konzernweite Stimmrechtszurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG – eine neue Dimension der Zurechnung im Konzern, AG 2006, 567; Berger/Filgut, 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 52. 3 Zutreffend Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 110; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 142; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 28. 4 Vgl. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 114; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 143; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 18 Fn. 43. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 144; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 41. 6 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 112, § 35 Rz. 12. 7 Ähnlich Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 144. 8 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 22; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 113; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 145. 9 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 43; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 113; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 145; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 52; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 22.
Uwe H. Schneider/Favoccia
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§2
Begriffsbestimmungen
„Acting in Concert“ nach § 30 Abs. 2 WpÜG, AG 2004, 592; Braun, Das einflusslose Mitglied im Stimmrechtspool, NZG 2008, 928; von Bülow, Acting in Concert: Anwendungsprobleme des neuen Zurechnungstatbestands, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 137; von Bülow/Bücker, Abgestimmtes Verhalten im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, ZGR 2004, 669; Casper, Acting in Concert – Grundlagen eines neuen kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestandes, ZIP 2003, 1469; Diekmann, Acting in Concert: Absprachen zur Besprechung des Aufsichtsrats, DStR 2007, 445; Düchting, Acting in concert: Stimmrechtszurechnung im Übernahmerecht – eine juristische und ökonomische Analyse, 2009; Fischer zu Cramburg, Definitionen des „acting in concert“ auf dem Prüfstand, NZG 2009, 100; Halász/Kloster, Abgestimmtes Verhalten im Sinne des § 30 Abs. 2 WpÜG im Zusammenhang mit einem Debt-Equity Swap, WM 2006, 2152; Hamann, In concert or not in concert, ZIP 2007, 1088; Kiem, Investorenvereinbarungen im Licht des Aktien- und Übernahmerechts, AG 2009, 301; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, NJW 2004, 3681; Löhdefink, Acting in Concert und Kontrolle im Übernahmerecht, 2007; Markwardt, Diskussionsbericht zu den Referaten „Acting in Concert“ von Casper und Pentz, ZIP 2003, 1492; Mülbert, Übernahmerecht im Gefolge der EU-Übernahmerichtlinie: Deutschland, in Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Vermögensverwaltung – Übernahmerecht im Gefolge der EU-Übernahmerichtlinie, 2007, S. 141; Nelle, Stimmrechtszurechnung und Pflichtangebot nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie, ZIP 2006, 2057; Pentz, Acting in Concert – Ausgewählte Einzelprobleme zur Zurechnung und zu den Rechtsfolgen, ZIP 2003, 1478; Saenger/Kessler, Abgestimmtes Verhalten i.S.d. § 30 Abs. 2 WpÜG bei der Aufsichtsratswahl, ZIP 2006, 837; Uwe H. Schneider, Acting in concert – ein kapitalmarktrechtlicher Zurechnungstatbestand, WM 2006, 1321; Uwe H. Schneider, Acting in concert: Vereinbarung oder Abstimmung über Ausübung von Stimmrechten?, ZGR 2007, 440; Schockenhoff/Schumann, Acting in concert – geklärte und ungeklärte Rechtsfragen, ZGR 2005, 568; Schockenhoff/Wagner, Zum Begriff des „acting in concert“, NZG 2008, 361; Seibt, Grenzen des übernahmerechtlichen Zurechnungstatbestandes in § 30 Abs. 2 WpÜG (Acting in Concert), ZIP 2004, 1829; Seibt/Wunsch Investorenvereinbarungen bei öffentlichen Übernahmen, Der Konzern 2009, 195; Taschke, Acting in concert im deutschen Übernahmerecht. Entwicklung, Auslegung und Reform eines Zurechnungstatbestandes, 2010; Wackerbarth, Die Zurechnung nach § 30 WpÜG zum Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, ZIP 2005, 1217. Siehe auch Schrifttum vor § 30.
I. Überblick 95
§ 2 Abs. 5 definiert die Begriffe „gemeinsam handelnde Personen“ und „mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Personen“. Angeknüpft wird damit an das angloamerikanische Konzept vom „acting in concert“. So wird in den Notes zu Rule 9.1 des britischen Takeover Code ausführlich definiert, was unter „persons acting in concert“ zu verstehen ist. Allerdings wird das „acting in concert“ international unterschiedlich ausgelegt1. Der in § 2 Abs. 5 Satz 1 definierte Begriff der mit dem Bieter „gemeinsam handelnden Person“ findet sich u.a. in § 2 Abs. 4, in § 18 Abs. 1, § 20 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 in § 31 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, 4 und 5, in § 33d, in § 59 Satz 1 und in § 2 Nr. 1 und 5 sowie § 4 WpÜG-AngVO. Der Begriff der „mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnden Person“ wurde durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz in § 2 Abs. 5 Satz 2 eingeführt2. Die Fiktion von Tochterunternehmen als mit der sie kontrollierenden Person und untereinander gemeinsam handelnde Personen befindet sich nunmehr in § 2 Abs. 5 Satz 3.
96
Durch § 2 Abs. 5 Satz 1 soll in erster Linie verhindert werden, dass der Bieter durch ein abgestimmtes Verhalten mit einer aus seinem „Lager“ stammenden Person ein1 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a, 6/03 und 8/03a, AG 2004, 618; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 204; Fischer zu Cramburg, NZG 2009, 100; Casper, ZIP 2003, 1470; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 674; Berger/Filgut, AG 2004, 601. 2 Kritisch zur Terminologie Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 148.
112 Uwe H. Schneider/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
zelne Normen zu Lasten der Aktionäre der Zielgesellschaft umgeht1. Hierzu werden dem Bieter einerseits bestimmte Umstände in Bezug auf die gemeinsam handelnde Person zugerechnet, andererseits diese mit Verpflichtungen und Sanktionen belegt, die prinzipiell nur den Bieter treffen2. Besondere Relevanz hat die Vorschrift für die Bestimmung der Gegenleistung bei Übernahme- und Pflichtangeboten, indem nach § 31 der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft durch gemeinsam handelnde Personen Einfluss auf den Mindestumfang und möglicherweise die Art der Gegenleistung hat3. Zudem hat der Bieter gemäß § 2 Nr. 1, 5 und 7 WpÜG-AngVO Angaben zu den gemeinsam handelnden Personen, den von diesen gehaltenen Wertpapieren, Stimmrechtsanteilen und durchgeführten Vorerwerben in die Angebotsunterlage aufzunehmen4. Ungeachtet des ähnlichen Wortlauts von § 2 Abs. 5 Satz 1 und § 30 Abs. 2 unter- 97 scheiden sich die beiden Normen inhaltlich5. Dafür spricht nicht nur, dass der Gesetzgeber andernfalls in § 30 Abs. 2 sinnvollerweise auf den ohnehin in § 2 Abs. 5 Satz 1 definierten Begriff der mit dem Bieter „gemeinsam handelnden Person“ Bezug genommen hätte6. Beide Vorschriften weisen höchst unterschiedliche Regelungsbereiche auf: Während es bei den Vorschriften, die auf mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen i.S.v. § 2 Abs. 5 Satz 1 abstellen, ausschließlich um Pflichten im Rahmen des laufenden Angebotsverfahrens geht, dient § 30 Abs. 2 der Beantwortung der Fragen, ob ein beabsichtigtes Angebot als Übernahmeangebot i.S.d. § 29 Abs. 1 zu qualifizieren ist oder ob nach § 29 Abs. 2 die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt wurde und aus diesem Grund ein Pflichtangebot abzugeben ist7. Daher spielt § 2 Abs. 5 Satz 1 für die Frage der Stimmrechtszurechnung keine Rolle8. 1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 115; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 31; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 153; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 24; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 57; Santelmann in Steinmeyer/ Häger, § 2 Rz. 20; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 20; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 396; Halász/Kloster, WM 2006, 2152, 2154; Seibt, CFL 2011, 213, 229. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 149. 3 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 31; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 153. 4 Für als Tochterunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 5 Satz 3 geltende Unternehmen statuiert § 12 Abs. 3 Nr. 2 FMStBG hiervon eine Ausnahme, falls der Bund oder der SoFFin im Zusammenhang mit einer Stabilisierung ein Angebot i.S.d. § 2 zum Erwerb von Wertpapieren i.S.d § 2 Abs. 1 FMStFG abgeben und das Unternehmen tatsächlich sein Verhalten im Hinblick auf seinen Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder seiner Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft nicht mit dem Bund abstimmt; kritisch dazu Langenbucher, ZGR 2010, 75, 101. 5 Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 163 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 55a; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 21; siehe auch zur Rechtslage vor der Änderung der Definition des abgestimmten Verhaltens in § 30 Abs. 2 Satz 2 durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 12.6.2008 (BGBI. I 2008, 1666, in Kraft getreten am 19.8.2008) – Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 117; Hamann, ZIP 2007, 1088, 1089; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 45; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 20; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 27. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 163. 7 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 117; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 21; Schockenhoff/Wagner, NZG 2008, 361, 362. 8 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 45; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 695 f.; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 841; Schockenhoff/Wagner, NZG 2008, 361, 363; Braun, NZG 2008, 928, 931; von Bülow in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2010, S. 137, 142; Hamann, ZIP 2007, 1088, 1089; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 32; § 30 Abs. 2 Satz 1 als lex specialis ansehend Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321; Uwe H. Schneider, ZGR 2007, 440, 448; Halász/Kloster, WM 2006, 2152, 2154.
Uwe H. Schneider/Favoccia
113
§2
Begriffsbestimmungen
II. Natürliche oder juristische Personen 98
Die Vorschrift nennt nur natürliche oder juristische Personen und nicht wie in § 2 Abs. 4 oder allgemein in § 14 Abs. 1 BGB auch rechtsfähige Personengesellschaften (§ 14 Abs. 2 BGB). Diese Lücke ist ein Redaktionsversehen1. § 2 Abs. 5 Satz 1 ist vielmehr im Sinne einer Klarstellung zu verstehen, wonach die Regelung für jedes Rechtssubjekt gilt, das den Tatbestand der Norm erfüllen kann2. Im Ergebnis kann hierbei auf die Grundsätze zu § 2 Abs. 4 rekurriert werden (siehe oben Rz. 78 ff.)3.
99
Eine Mindest- oder Höchstzahl von Personen, die an der Vereinbarung oder Abstimmung beteiligt sind, gibt es nicht. Keine der beteiligten Personen braucht im Zeitpunkt der Vereinbarung oder Abstimmung Aktionär der Zielgesellschaft zu sein.
100 Unklar ist, ob die Zielgesellschaft selbst mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person sein kann4. Die Frage stellt sich vor allem beim Abschluss von Transaktionsvereinbarungen im Zusammenhang mit geplanten Übernahmeangeboten oder Investorenvereinbarungen zwischen Investor und Gesellschaft anlässlich eines bevorstehenden Beteiligungserwerbs5. Obwohl im Zusammenhang mit § 2 Abs. 5 üblicherweise von einer „dritten“ Person gesprochen wird6, lässt sich dem Wortlaut keine Beschränkung entnehmen, dass die Zielgesellschaft nicht erfasst sein soll. Im Hinblick auf den Schutzzweck von § 2 Abs. 5 sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen ein abgestimmtes Verhalten von Bieter und Zielgesellschaft nachteilige Auswirkungen auf die Aktionäre haben kann7. Indessen ist es bei einigen, auf den Terminus der „gemeinsam handelnden Person“ abstellenden Normen denknotwendig ausgeschlossen, dass als solche (auch) die Zielgesellschaft selbst in Betracht kommt. So bedarf es weder ergänzender Angaben nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO über die Zielgesellschaft (entsprechende Informationen über die Zielgesellschaft sind bereits nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zu erteilen), noch soll etwa § 18 davor schützen, dass die Zielgesellschaft Einfluss auf den Eintritt einer Angebotsbedingung hat. Bei § 33d wiederum steht einer Einbeziehung der Zielgesellschaft der Vorrang der gesellschaftsrechtlichen Regelungen entgegen (siehe unten Kommentierung zu § 33 Rz. 6) und bei § 59 würde sich daraus materiell nicht viel mehr ergeben, als sich aus § 71b AktG ohnehin schon ergibt. Auch in Bezug auf § 31 wäre es nicht sachgerecht, die Zielgesellschaft als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person zu qualifizieren. Der von der Gesellschaft für den Erwerb eigener Ak1 So auch Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 18 Fn. 44; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 46; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 28; schärfer Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 120 („Unachtsamkeit des Gesetzgebers“). 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 120; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 166; a.A. Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 28, der in der analogen Anwendung der Vorschrift auf Personengesellschaften einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzips erblickt, die Gegenansicht aber als „gängige Praxis“ ansieht. 3 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 46; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 20. 4 Im Grundsatz bejahend Stephan, siehe unten Kommentierung zu § 33d Rz. 6. 5 Siehe allg. zu Investorenvereinbarungen und den typischen Inhalten Kiem, AG 2009, 301 ff.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195 ff. Zu den aktienrechtlichen Grenzen der Zulässigkeit solcher Vereinbarungen siehe jüngst LG München v. 5.4.2012 – 5 HK O 20488/11, juris = BeckRS 2012, 11175. 6 Siehe etwa Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 122; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 153; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 55. 7 Siehe dazu etwa jüngst LG München v. 5.4.2012 – 5 HK O 20488/11, juris = BeckRS 2012, 11175.
114 Uwe H. Schneider/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
tien zu entrichtende Preis hat sich an den Regeln des Aktienrechts auszurichten (§ 71 AktG) und verfolgt andere Schutzzwecke. Hinzu kommt, dass dem Gesetz ersichtlich der Gedanke zugrunde liegt, dass die Zielgesellschaft Handlungsobjekt und nicht Handlungssubjekt ist und sich an dieser Dualität von Bieter und Zielgesellschaft auch dann nichts ändert, wenn sie mit dem Bieter eine Vereinbarung schließt, mit der sie Unternehmensinteressen zur Geltung verhelfen möchte. Daher sprechen die besseren Gründe dafür, die Frage, ob die Zielgesellschaft als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person in Betracht kommt, zu verneinen. Jedenfalls für den Fall der sog. „Non Tender“-Vereinbarungen des Bieters mit der Zielgesellschaft, durch die sich letztere dazu verpflichtet, das Übernahmeangebot für die von ihr gehaltenen eigenen Aktien nicht anzunehmen und die eigenen Aktien nicht an Dritte zu veräußern, entspricht dies auch der Verwaltungspraxis der BaFin1. Ebenso können Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen sein, wenn diese ein Eigeninteresse am Erwerb der Wertpapiere haben, die Gegenstand des Angebots sind2.
101
III. Vereinbarung und Abstimmung in sonstiger Weise Die Personen müssen ihr Verhalten auf Grund einer „Vereinbarung“ oder „in sonstiger Weise“ abstimmen.
102
Auf die Form der Vereinbarung kommt es nicht an. Art. 2 Abs. 1 lit. d) der Übernah- 103 merichtlinie spricht explizit „von einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen“ Vereinbarung. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 5 Satz 1. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob die Absprache ausdrücklich oder stillschweigend, förmlich oder formlos abgeschlossen wird3. Der Begriff „Vereinbarung“ umfasst alle Verträge der Zivilrechtsdogmatik, also Stimmbindungsverträge, Interessenwahrungsverträge, Gesellschaftsverträge usw. Hierher zählen auch Aktionärsvereinigungen und Investmentclubs in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
104
Eine Abstimmung „in sonstiger Weise“ genügt nach § 2 Abs. 5 Satz 1. Eine recht- 105 liche Verpflichtung ist nicht erforderlich4. Ausreichend ist vielmehr auch ein bewusst praktiziertes Zusammenwirken („understanding“)5. Weder brauchen klagbare 1 Siehe etwa Übernahmeangebot TKH Technologie Deutschland AG/Augusta Technologie AG vom 11.5.2012, Ziff. 6.6, S. 20; Übernahmeangebot Lenovo Germany Holding GmbH/ Medion AG vom 28.6.2011, Ziff. 14.1.2, S. 41/42. 2 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 80; vgl. dazu Angebot Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG vom 14.12.2006, Ziff. 6.2, 6.3 und 12.1, S. 17 und 32: Der Bieter vereinbarte mit Vorstandsmitgliedern der Zielgesellschaft, dass sie im Falle des Erfolgs des Angebots eine unmittelbare oder mittelbare Rückbeteiligung an der Erwerbsgesellschaft erhalten. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 123; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 169; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 23; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 34. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 168; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 123. 5 Daher ist es etwa grundsätzlich unbeachtlich, dass eine Vereinbarung formunwirksam geschlossen wurde und die Abstimmung nach § 2 Abs. 5 wegen § 139 BGB nichtig ist; vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 169; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 25.
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§2
Begriffsbestimmungen
Ansprüche noch müssen sonstige Rechte und Pflichten durch die Beteiligten begründet sein1. Für ein abgestimmtes Verhalten genügt es, dass die Personen unter Berufung auf den kaufmännischen Anstand, die gemeinsamen Interessen der Familie, die Interessen der Anbieter oder Nachfrager im Markt usw. Übereinstimmung erzielen, ihr Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft abzustimmen (gentlemens’ agreement2). Ausreichend sind damit abgestimmte Abreden in einem förmlichen Familienrat oder im informellen Familienkreis. Und ausreichend sind Abstimmungen institutioneller Anleger, unabhängig davon, ob diese sich ihrerseits organisiert haben, etwa in einem Council of Institutional Investors, um breitflächig ihre Interessen wahrzunehmen oder ob die Beteiligten nur eine Abstimmung im Einzelfall gerade im Blick auf die Zielgesellschaft vornehmen. 106 Voraussetzung eines abgestimmten Verhaltens ist allerdings eine Kommunikation zwischen den Beteiligten dahingehend, im Hinblick auf künftiges Verhalten koordiniert zusammenzuwirken3. Hierzu ist es erforderlich, dass die „gemeinsam handelnde Person“ zum Ausdruck gebracht hat, entsprechend den Vorgaben des Bieters zu handeln4. Das bloße parallele Verfolgen identischer Interessen und Ziele reicht daher für die Annahme eines „abgestimmten Verhaltens“ nicht aus5. Der Kommunikationsprozess muss im Übrigen nicht notwendigerweise direkt erfolgen, sondern kann durch Dritte vermittelt werden6. 107 Abgestimmtes Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung ist von gleichförmigem Abstimmungsverhalten zu unterscheiden. Abgestimmtes Abstimmungsverhalten durch „gemeinsam handelnde Personen“ liegt vor, wenn institutionelle Anleger oder individuelle „shareholder activists“ zu einzelnen oder einer Vielzahl von Beschlußgegenständen verabreden, gemeinsam abzustimmen7. Fehlt es an einer vorherigen Verabredung, verweigern die Aktionäre etwa dem Vorstand die Entlastung, oder stimmen sie einer Kapitalerhöhung nicht zu, so liegt darin nur ein gleichförmiges Abstimmungsverhalten aber kein abgestimmtes Verhalten8 (siehe auch bei § 30 Rz. 177). 108 Gleichförmiges Abstimmungsverhalten begründet nicht die Vermutung eines abgestimmten Verhaltens. 1 Siehe auch zum US-amerikanischen „voting-group-concept“: Coffee, Cardozo Law Rev. 15 (1004), 837, 879 m.w.N. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 169; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 123; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 41; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 25; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 22. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 123; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 170 f.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 40; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 25; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1832; OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, NZG 2007, 553, 557. 4 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 40; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 170 f.; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1832. 5 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 127; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 170 f.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 38, 42; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1832; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 40. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 170 f.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 123; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 40. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34. 8 Ebenso: OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a, 6/03 und 8/03a, AG 2004, 618; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 26; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 215; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 170 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 40; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 22; Liebscher, ZIP 2002, 1007.
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§2
Begriffsbestimmungen
IV. Erwerb von Wertpapieren oder Ausübung von Stimmrechten Die Personen müssen übereinkommen, ihr Verhalten entweder im Hinblick auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder im Hinblick auf die Unternehmensleitung insbesondere die Unternehmensstrategie abzustimmen.
109
An der Transaktion beteiligte Berater (z.B. Investmentbanken, Unternehmensberatungen, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater) scheiden in Ermangelung einer darauf gerichteten Abstimmung als gemeinsam handelnde Personen in aller Regel aus1. Ein relevantes Abstimmen liegt vor allem vor, wenn die Beteiligten die Kontrolle erlangen und dann Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen wollen2 (siehe auch bei § 30 Rz. 178 ff.). Das Tatbestandsmerkmal dient der Abgrenzung zwischen einem gemeinsamen Vor- 110 gehen von Aktionären bei der Wahrnehmung der Stimmrechte3 von dem Ziel der Aktionäre, ihre Mitgliedschaftsrechte koordiniert und kontinuierlich auszuüben, um Einfluss, auf die Unternehmensleitung an den Zuständigkeiten der Hauptversammlung vorbei zu nehmen. Der Erwerb kann offen oder verdeckt durch alle, einzelne oder eine bestimmte Person beabsichtigt sein.
111
Eine Vereinbarung, mit der sich ein Dritter im Vorfeld verpflichtet, dem Bieter aus 112 dem Übernahmeangebot erworbene Aktien abzukaufen, führt nicht zu einem gemeinsamen Handeln i.S.v. § 2 Abs. 5 Satz 14. Entsprechendes muss gelten, wenn der Bieter einen Abwicklungstreuhänder einschaltet, auf den die das Übernahmeangebot annehmenden Aktionäre ihre Aktien direkt übertragen, um beim Bieter einen dinglichen Zwischenerwerb auszuschließen. Dafür kann es etwa dann ein Bedürfnis geben, wenn eine Konsolidierungspflicht oder eine fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht von vornherein nicht erwünscht ist. Der Abwicklungstreuhänder handelt hier nicht auf eigene Rechnung. Sein wirtschaftliches Interesse am Erwerb des Eigentums an den Aktien, für die das Angebot angenommen wird, erschöpft sich in der Gebühr, die der Abwicklungstreuhänder für seine Mitwirkung bei der technischen Abwicklung des Angebots erhält. Er wird lediglich als verlängerter Arm des Bieters tätig. Dies schließt die Annahme gemeinsamen Handelns nach § 2 Abs. 5 Satz 1 aus5. Seine Stellung ist damit vergleichbar mit der Rechtsposition des Umtauschtreuhänders im Rahmen eines Tauschangebots, der Eigentum an den Aktien der Zielgesellschaft, für die das Angebot angenommen wird, erwirbt, um diese dann als Sacheinlage gegen Zeichnung neuer Aktien des Bieters in diesen einzubringen. Auch
1 Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 177; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 122; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 33; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 22; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 37. 2 Str. wie hier: Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 37; Berger/Filgut, AG 2004, 592. 3 Siehe OECD-Grundsätze der Corporate Governance 2004, Regel II. G: „Die Aktionäre, einschließlich der institutionellen Anleger, sollten – außer im Falle von Missbrauchsgefahr – das Recht haben, sich miteinander in Fragen, betreffend ihre in den Grundsätzen definierten grundlegenden Aktionärsrechte, zu beraten.“ 4 von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669. 686 f.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 125. 5 Vgl. etwa Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 177; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 686.
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§2
Begriffsbestimmungen
dieser ist in den Fällen eines Tauschangebotes nicht als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person behandelt worden1. 113 Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „im Hinblick auf ihre Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft“ verlangt eine Abgrenzung zwischen Abstimmungen zu einem einzelnen Beschlussgegenstand und Abstimmungen, die dazu dienen, Einfluss auf die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft zu gewinnen. Vereinbarungen oder Verabredungen, die sich lediglich auf eine einzelne Maßnahme, z.B. die Abberufung eines Mitglied des Aufsichtsrats, eine Kapitalmaßnahme, oder die Beschlussfassung über einen Unternehmensvertrag beziehen, reichen in der Regel nicht aus2. 114 Der angestrebte Einfluss muss vielmehr dazu dienen, Einfluss auf die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft zu gewinnen („board control seeking“). Das ist nicht nur der Fall, wenn die Zielgesellschaft i.S.v. § 18 AktG konzerniert werden soll bzw. eine „dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft“ (§ 30 Abs. 2 Satz 2) erstrebt ist. Zu denken ist insbesondere an ein bereits vorhandenes Konzept zur Fortführung oder Sanierung des Unternehmens3. Auch die Begründung der Abhängigkeit genügt; und es genügt die Absicht der Zerschlagung der Zielgesellschaft. Die Abstimmung muss auf eine nachhaltige und beständige Interessenkoordination gerichtet sein4. Eine Abstimmung „in Bezug auf die Zielgesellschaft“ liegt aber auch vor, wenn es den Beteiligten darum geht, die Zielgesellschaft und gegebenenfalls ihre Konzernunternehmen zu zerschlagen5. 115 Absprachen über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern in einem Einzelfall ist kein Verhalten i.S.v. § 2 Abs. 56. Das gilt auch, wenn die Beteiligten nach ihrer ersten Verabredung ihre Verabredung wiederholen, um für eine zweite Bestellung zu sorgen. Langfristig gemeinschaftliche Ziele bezüglich der Geschäftsführung sind aber zu vermuten, wenn die Beteiligten übereinkommen, über mehrere Amtsperioden dasselbe Aufsichtsratsmitglied zu bestellen. Die Vermutung ist unwiderleglich, wenn neben der Wahlabsprache weitere Umstände gegeben sind, aus denen abzuleiten ist, dass die Betreffenden künftig Einfluss auf die Unternehmensleitung nehmen wollen.
1 Siehe etwa Übernahmeangebot Pixelpark/Elephant Seven AG vom 2.12.2006 – Umtauschtreuhänder M.M. Warburg; Umtauschangebot QSC AG/Broadnet AG vom 22.7.2006 – Umtauschtreuhänder Sal. Oppenheim; Umtauschangebot Delta Beteiligungen AG/Beta Systems Software AG vom 22.2.2006 – Umtauschtreuhänder Bayerische Hypo- und Vereinsbank. 2 Ähnlich Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 180, wonach die Abstimmung auf eine gewisse Dauer angelegt sein und nicht nur ein punktuelles Ereignis, sondern ein „nachhaltiger grundsätzlich umfassender Zustand“ darstellen müsse; ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 59; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 31; a.A. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 127; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 80 f.; Schockenhoff/Wagner, NZG 2008, 361, 362; a.A. wohl auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 45 und OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, NZG 2007, 553, 557. 3 A.A. wenig überzeugend OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a, 6/03 und 8/03a, AG 2004, 617. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a, 6/03 und 8/03a, AG 2004, 617; Liebscher, ZIP 2002, 1008; Casper, ZIP 2003, 1476; Seibt, AG 2004, 1833. 5 A.A. wohl Liebscher, ZIP 2002, 1008: Nicht genügt eine gemeinsame Desinvestitionsentscheidung. 6 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 31; im Rahmen von § 30 Abs. 2 siehe auch BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, ZIP 2006, 2077, 2079 f.
118 Uwe H. Schneider/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
Personen, die Vereinbarungen treffen, ihre Beteiligungen nicht zu erhöhen oder zu vermindern („Stand still Vereinbarungen“), haben nicht ihr Verhalten abgestimmt, um Einfluss auf die Unternehmensleitung zu nehmen1.
116
Entsprechendes gilt, wenn sich Dritte gegenüber dem Bieter dazu verpflichten, ein bestimmtes Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft zu unterlassen2. Solche „Unterlassenserklärungen“ finden sich häufig in Vereinbarungen des Bieters mit dem bisherigen Mehrheitsaktionär, die Aktien im Rahmen des Übernahmeangebots anzudienen. In diesen sog. irrevocable undertakings verpflichtet sich der Veräußerer gegenüber dem Bieter regelmäßig auch dazu, bestimmte Handlungen zu unterlassen, die den Erfolg des Übernahmeangebots gefährden können (einschließlich Fortführung im ordentlichen Geschäftsgang), insbesondere der Hauptversammlung keine Kapitalmaßnahmen, Veräußerung wesentlicher Unternehmensteile oder Satzungsänderungen der Zielgesellschaft vorzuschlagen bzw. diesen nicht zuzustimmen. Jedenfalls dann, wenn sich die Verpflichtung des Veräußerers darauf beschränkt, etwas „nicht zu tun“ (einschließlich Verbot der Stimmenthaltung), fehlt es – anders als bei einer Verpflichtung, „nichts, ohne Zustimmung des Bieters zu tun“ – an einer relevanten Abstimmung des Verhaltens i.S.v. § 2 Abs. 5 Satz 13.
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V. Mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Person Nach dem durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz neu gefassten § 2 Abs. 5 Satz 2 sind mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Personen natürliche oder juristische Personen, die Handlungen zur Verhinderung eines Übernahmeoder Pflichtangebots mit der Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen.
118
Ausweislich der Gesetzesbegründung dient die Vorschrift der Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie4. An den Begriff der „mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnden Person“ wird allerdings in keiner Norm des WpÜG angeknüpft, so dass sie faktisch bedeutungslos ist5. Lediglich in § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO wird darauf Bezug genommen und sind für die mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnde Person ergänzende Angaben in die Angebotsunterlage aufzunehmen6. Un-
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1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 125; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 32; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 22; und zu § 30 Abs. 2 siehe auch BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, ZIP 2006, 2077, 2079 f.; a.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 178 f. 2 A.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 178 f. 3 Eine ähnliche Überlegung kennt das Fusionskontrollrecht. Die Vereinbarung, bis zum Closing keine wesentlichen Änderungen am Geschäft vorzunehmen, ist kartellrechtlich zulässig, wenn es nur darum geht, den Wert des Erwerbssubstrats zu erhalten, s. Europäische Kommission, Bekanntmachung über die Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. EU Nr. C 56 v. 5.3.2005, S. 24, Rz. 14. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 17. Nach Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 185 erfordert Art. 2 Abs. 1 lit. a) die Aufnahme der Vorschrift in das WpÜG nicht. 5 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 26; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 185; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 41; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 62. 6 Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 23, der die Aufnahme der zusätzlichen Information unter Hinweis darauf erklärt, dass aufgrund der Umsetzung der Übernahmerichtlinie der Bieter nunmehr auch die Arbeitnehmer von dem Angebot zu unterrichten hat und diese Information auch den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft dient.
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Begriffsbestimmungen
abhängig davon ist im Hinblick darauf, dass die Übernahmerichtlinie nur für Übernahme- und Pflichtangebote gilt, fraglich, ob auf § 2 Abs. 5 Satz 2 Bezug nehmende Vorschriften auch für einfache Erwerbsangebote gelten1.
VI. Tochterunternehmen des Bieters 120 § 2 Abs. 5 Satz 3 enthält die unwiderlegliche2 Vermutung, dass Tochterunternehmen mit der sie kontrollierenden Person und untereinander als gemeinsam handelnde Personen gelten. Angesichts des Einflusses des Bieters auf seine Tochterunternehmen ist es gerechtfertigt, ihr Verhalten ihm zuzurechnen3. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 30 Abs. 1 Satz 3 zu lesen. Nach der zuletzt genannten Bestimmung sind Stimmrechte des Tochterunternehmens dem Bieter in voller Höhe zuzurechnen. 121 Im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie wurde die unwiderlegliche Vermutung4 dahingehend erweitert, dass Tochterunternehmen „untereinander“ ebenfalls als gemeinsam handelnde Personen gelten und somit nunmehr auch Schwesterunternehmen von der Norm erfasst sind5. Dagegen ist zweifelhaft, ob gleichfalls die Einbeziehung von Mutterunternehmen von der Vorschrift gedeckt ist6. 122 Die Vermutungswirkung erstreckt sich nicht auf Tochterunternehmen der gemeinsam handelnden Personen7. Der Gesetzgeber hat die Zurechnung bei derartigen Tochterunternehmen in der jeweiligen Vorschrift geregelt (z.B. § 18 Abs. 1, § 23 Abs. 1 und 2, § 31 Abs. 4 und 5, § 59), so dass mangels planwidriger Regelungslücke eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 5 Satz 3 ausscheidet8. Indes ist die Verwaltungspraxis der BaFin hiervon wohl abweichend9.
1 Dafür Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 185. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 186 f.; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 27; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 43; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 50; Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 24. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34; so auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 28; kritisch Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 44. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 17. 5 Vgl. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 190; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 27; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 43; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 63. 6 Dafür Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 189 f.; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 64, wonach sich die Muttergesellschaft nicht mit dem Bieter abzustimmen pflege, sondern vielmehr das Handeln des Bieters bestimme und damit jedenfalls nicht automatisch mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person sei; wohl auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 36. 7 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 130; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 45; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 192; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 50; im Ergebnis wohl auch Oechsler, NZG 2001, 817, 819, der dies aber für „befremdlich“ hält; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 63. 8 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 29; Seibt, CFL 2011, 213, 230; ähnlich Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 191. 9 Vgl. Angebot OEP Technologie B.V./SMARTRAC N.V. vom 11.10.2010, Ziff. 6.4, S. 12 und Anlage 3, S. 38 ff.: Die Tochterunternehmen der gemeinsam handelnden Person JPMorgan gelten als mit OEP Technologie B.V. gemeinsam handelnden Personen gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Satz 3; siehe dazu Seibt, CFL 2011, 213, 230.
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Begriffsbestimmungen
H. Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) § 2 Abs. 6 definiert den Begriff „Tochterunternehmen“. Nach § 2 Abs. 5 Satz 3 gelten „Tochterunternehmen“ mit der sie kontrollierenden Person und untereinander als gemeinsam handelnde Personen. Der Begriff findet sich u.a. in § 30 und in § 59. Die Definition entspricht derjenigen in § 1 Abs. 7 Satz 1 KWG und in § 22 Abs. 3 WpHG1. Sie orientiert sich an § 290 HGB, ist aber jeweils anhand des Schutzzwecks des entsprechenden Gesetzes auszulegen2.
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Tochterunternehmen sind nach § 2 Abs. 6 Alt. 1 zunächst alle Unternehmen, die als 124 Tochterunternehmen i.S.d. § 290 HGB „gelten“. Ursprünglich knüpfte diese Vorschrift tatbestandlich sowohl an den deutschen konzernrechtlichen Begriff der „einheitlichen Leitung“ als auch an das angelsächsische Control-Konzept an. Durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)3 aus dem Jahre 2009 wurde das konzernrechtliche Prinzip aufgegeben. Während § 290 Abs. 1 HGB nunmehr – wie bereits § 2 Abs. 6 Alt. 24 – auf die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses abstellt, bestimmt § 290 Abs. 2 HGB, unter welchen Umständen beherrschender Einfluss „stets“5 besteht. Dies ist der Fall, wenn das Mutterunternehmen die Stimmrechtsmehrheit der Gesellschafter innehat (Nr. 1), ihm das Recht zusteht, bei gleichzeitiger Gesellschafterstellung die Mehrheit der Mitglieder des die Finanzund Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen (Nr. 2), es aufgrund eines Beherrschungsvertrags oder einer Satzungsbestimmung die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmen kann (Nr. 3) oder das Mutterunternehmen bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mehrheit der Risiken und Chancen eines Unternehmens trägt, das zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient (Nr. 4). Im Hinblick auf den letztgenannten Tatbestand der sog. Zweckgesellschaft dürfte wohl eine teleologische Reduktion von § 2 Abs. 6 angezeigt sein. § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB wurde durch das BilMoG eingeführt und macht für Konsolidierungszwecke zwar Sinn, geht aber für die Zwecke des WpÜG – jedenfalls in Form einer unwiderleglichen Vermutung – zu weit6. Für alle Fälle des § 290 Abs. 2 HGB gelten gemäß § 290 Abs. 3 Satz 1 HGB auch die Töchter eines Tochterunternehmens, d.h. die Enkel, als Tochter des übergeordneten Mutterunternehmens7. Nach dem Control-Konzept des § 290 Abs. 2 HGB kann ein Unternehmen auch als Tochterunternehmen mehrerer von-
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34; so auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 46; Hommelhoff/Witt in FS Nobel, 2005, S. 125, 131; Seibt, ZIP 2005, 729, 732. 2 Im HGB steht etwa die Frage der Konsolidierung im Vordergrund, im WpHG geht es vorrangig um die Schaffung von Transparenz im Markt, im Aktienrecht um den Schutz der Aktionäre im Konzern, im UWG um die Aufsicht, und im WpÜG um Zurechnung von Stimmrechten und den Schutz von Minderheitsaktionären. Das ist bei der Auslegung zu berücksichtigen. Siehe auch oben Rz. 3. 3 BGBl. I 2009, 1102. 4 Insofern kommt dem Verweis auf § 290 HGB in § 2 Abs. 6 Alt. 1 kaum noch eine eigenständige Bedeutung zu. Siehe auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 203. 5 Unwiderlegbare Vermutung, vgl. Merkt in Baumbach/Hopt, § 290 HGB Rz. 8; Morck in Koller/Roth/Morck, § 290 HGB Rz. 3; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 51. 6 So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 209, der die insoweit unterbliebene Einschränkung von § 2 Abs. 6 für ein Redaktionsversehen hält. § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB greife im Einzelfall auch bei fehlenden Einflussmöglichkeiten ein, was für die Begründung der Eigenschaft als Tochterunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 6 nicht ausreiche. 7 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 136; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 63; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 210.
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§2
Begriffsbestimmungen
einander unabhängiger Mutterunternehmen anzusehen sein1. Dies ist der Fall, wenn mehrere „Mütter“ die Voraussetzungen der Tatbestände des § 290 Abs. 2 HGB erfüllen, einem Unternehmen also beispielsweise die Stimmenmehrheit zusteht (§ 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB) und ein anderes Unternehmen die Leitungsorgane (§ 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB) besetzen kann2. 125 Unabhängig vom Vorliegen der in § 290 Abs. 2 HGB genannten Konstellationen gelten Unternehmen gemäß § 2 Abs. 6 Alt. 2 als Tochterunternehmen, wenn auf sie beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann. 126 Diese Fallgruppe knüpft an § 17 Abs. 1 AktG an3. Eine tatsächliche Ausübung des Einflusses ist nicht erforderlich4. Wohl aber muss die Möglichkeit zur Einflussnahme beständig, umfassend und gesellschaftsrechtlich, also insbesondere durch eine Beteiligung unmittelbar oder mittelbar begründet sein5. Dabei wird bei einer Mehrheitsbeteiligung Abhängigkeit vermutet (§ 17 Abs. 2 AktG analog)6. Dies kann bei der Ausgabe von stimmrechtslosen Anteilen entscheidend sein, wenn die Kapitalmehrheit nicht der Stimmrechtsmehrheit entspricht und daher § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB nicht eingreift7. Ferner kann auch eine Minderheitsbeteiligung einen beherrschenden Einfluss begründen, falls hierdurch wegen niedriger Präsenz in der Hauptversammlung regelmäßig die Stimm- und Kapitalmehrheit erreicht wird (sog. faktische Hauptversammlungsmehrheit)8. Schuldrechtliche oder sonstige faktische Abhängigkeiten, etwa als Folge von Kredit- oder Lieferverträgen, reichen nicht aus9, es sei denn, sie führen neben einer Beteiligung zur tatsächlichen Abhängigkeit (sog. kombinierte Beherrschung)10. Ein beherrschender Einfluss i.S.d. § 17 Abs. 1 AktG muss nicht unmittelbar bestehen, sondern kann auch mittelbar ausgeübt werden bspw. über eine unmittelbar beherrschte Tochter, welche wiederum ein weiteres Unternehmen (Enkel) beherrscht. Das Enkelunternehmen ist in diesem Fall ebenfalls 1 Angerer in Geibel/Süßmann § 2 Rz. 62; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 43. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 213. 3 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 35; so auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 214; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 138; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 45. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 218; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 138; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 68; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 45; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 40; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 66. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 216 f., 219 ff.; Hommelhoff/Witt in FS Nobel, 2005, S. 125, 131. 6 Im Ergebnis ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 222; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 138; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 64; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 41; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 66; a.A. Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1011; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 45. 7 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 41. 8 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 221; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 139; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 51; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 40; Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 66; Hommelhoff/Witt in FS Nobel, 2005, S. 125, 132. Vgl. zu § 17 AktG: BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (Volkswagen AG); vgl. § 9 Satz 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO. 9 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 69; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 219; Hommelhoff/Witt in FS Nobel, 2005, S. 125, 131. 10 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 219. Zur Auslegung des § 17 AktG: BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 395; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rz. 16; Hüffer, § 17 AktG Rz. 8; a.A. noch die Vorauflage; ebenso Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rz. 58 f.
122 Uwe H. Schneider/Favoccia
§2
Begriffsbestimmungen
als Tochterunternehmen gemäß § 2 Abs. 6 zu qualifizieren1. Beherrschender Einfluss i.S.v. § 17 AktG kann – auch außerhalb mehrstufiger Verbindungen – von mehreren Unternehmen gemeinschaftlich ausgehen, wenn diese ihre Einflussmöglichkeiten koordinieren und eine ausreichend sichere Grundlage für die Ausübung der gemeinsamen Herrschaft gegeben ist2. Teilweise wird in diesen Konstellationen vertreten, dass nur das dominierende Gruppenmitglied als herrschende Mutter i.S.v. § 2 Abs. 6 anzusehen ist3. Die wohl herrschende Auffassung dagegen sieht alle beherrschenden Unternehmen als Muttergesellschaften nach § 2 Abs. 6 an4. Ein Entherrschungsvertrag, der auf Beseitigung des Beherrschungsmittels der Stimmrechtsmehrheit gerichtet ist, hilft nicht, da es nach § 290 Abs. 2 HGB – anders als nach § 17 AktG – nicht darauf ankommt, ob ein beherrschender Einfluss tatsächlich besteht5.
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Auf die Rechtsform und den Sitz des Tochterunternehmens stellt § 2 Abs. 6 nicht ab. 128 Gleichwohl können natürliche Personen keine Tochterunternehmen sein6. Das Gesetz verwendet hier – im Unterschied etwa zu § 2 Abs. 4 und 5 – bewusst nicht die Umschreibung natürliche oder juristische Person. Nicht erforderlich ist indes die Eigenschaft als handels- bzw. konzernrechtliches Unternehmen7. Die Frage der Möglichkeit der Einflussnahme beurteilt sich unabhängig davon, ob eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird8. Auch der kontrollierende Rechtsträger muss kein Unternehmen sein9, wenngleich dies in der Praxis für gewöhnlich der Fall ist10. Gemäß § 32 Abs. 2 InvG sind Kapitalanlagegesellschaften hinsichtlich der von ihr verwalteten Sondervermögen unter bestimmten Voraussetzungen keine Tochterunternehmen11. Eine Nachfolgeregelung hierzu findet sich in § 94 Abs. 2 des RegE zum KAGB12. Hiernach sind Kapitalverwaltungsgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen hinsichtlich der von ihr verwalteten Sondervermögen keine Toch-
1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 140. Siehe auch Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rz. 48; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, § 17 AktG Rz. 18. 2 Siehe auch Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rz. 50; Hüffer, § 17 AktG Rz. 45; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rz. 90. 3 So Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 223 ff.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 139. 4 Siehe Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rz. 53; Hüffer, § 17 AktG Rz. 13 ff.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rz. 90; zustimmend auch Brellochs, NZG 2012, 1010, 1014. 5 Siehe auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 34; OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, NZG 2007, 553, 556 (vertraglicher Ausschluss beseitigt nicht die Möglichkeit der vertragswidrigen Stimmabgabe). 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 199; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 133; Angerer in Geibel/Süßmannn, § 2 Rz. 48; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 37 Fn. 54; Uwe H. Schneider, unten § 30 Rz. 29; a.A. noch die Kommentierung in der 1. Aufl., § 2 Rz. 138; ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 56. 7 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 133; Angerer in Geibel/Süßmannn, § 2 Rz. 50; a.A. wohl Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 199. 8 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 38 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 68. 9 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 199a; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 134; Angerer in Geibel/Süßmannn, § 2 Rz. 50; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 2 Rz. 38; Wackerbarth, ZIP 2005, 1217 ff.; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 308; a.A. Seibt, ZIP 2005, 729 ff.; Wiesbrock, NZG 2005, 294, 295. 10 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 199a. 11 Vgl. dazu Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 228. 12 Siehe zum KAGB oben Rz. 65.
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§2
Begriffsbestimmungen
terunternehmen. Der neue Begriff der Kapitalverwaltungsgesellschaft ist dabei in § 17 KAGB (RegE) definiert.
J. Organisierter Markt (§ 2 Abs. 7) 130 Gemäß § 1 unterfallen Wertpapiererwerbsangebote nur dann dem Anwendungsbereich des WpÜG, wenn sie sich auf Wertpapiere beziehen, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Anders als etwa § 2 Abs. 5 WpHG umschreibt § 2 Abs. 7 den Begriff des organisierten Markts nicht allgemein (d.h. als ein im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum betriebenes oder verwaltetes, durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt oder das Zusammenbringen fördert, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt), sondern benennt das dem Begriff unterfallende inländische Marktsegment konkret, wohingegen für die diesem entsprechenden ausländischen Märkte auf die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der Finanzmarktrichtlinie (MiFID) enthaltene allgemeine Begriffsdefinition verwiesen wird. Von Bedeutung ist die Begriffsbestimmung des organisierten Markts im Übrigen auch für die Anwendung von § 31 Abs. 2, dem zufolge bei Übernahmeangeboten und (gemäß § 39 auch bei) Pflichtangeboten die Gegenleistung, statt in Geld, auch in einer solchen von liquiden Aktien bestehen kann, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. 131 Zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind Wertpapiere stets dann, wenn die Erlaubnis für den Handel mit den fraglichen Papieren an dem entsprechenden Markt erteilt worden ist. Die tatsächliche Nutzung dieser Erlaubnis, also die effektive Aufnahme des Börsenhandels mit den betroffenen Papieren, ist dagegen unerheblich1. Dies gilt auch, falls die Kursfestsetzung für die Aktien ausgesetzt wurde2. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Zulassung vorliegt, ist im Falle freiwilliger Angebote auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 und bei Pflichtangeboten auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Kontrollerwerbs abzustellen3. Ein danach eintretender Wegfall der Zulassung ist für die Anwendbarkeit des Gesetzes folgenlos4. Dagegen bleibt es aus Gründen der Rechtssicherheit im Falle einer nach dem Kontrollerwerb erfolgten Börsenzulassung bei der Unanwendbarkeit des WpÜG5.
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 60; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 30; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 2 Rz. 54. 2 Vgl. dazu OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296; so auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 29. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 61; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 45. 4 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 62; wohl auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 45. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 45; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 63; a.A. Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 29, wonach unter bestimmten Umständen (z.B. unmittelbar bevorstehende Börsenzulassung mit anschließendem Kontrollwechsel) das WpÜG bereits im Vorfeld der Zulassung von Aktien einer Zielgesellschaft zum Handel am regulierten Markt anwendbar sein könne; ähnlich auch Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 32.
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§2
Begriffsbestimmungen
Organisierter Markt des Inlands nach § 2 Abs. 7 ist der regulierte Markt1 an einer deutschen Börse (§§ 32 ff. BörsG). Der Freiverkehr i.S.v. § 48 BörsG ist dagegen nicht erfasst2. Die Beantwortung der Frage, ob auch der in § 2 Abs. 7 nicht ausdrücklich erwähnte, 1997 an der Frankfurter Wertpapierbörse eingerichtete Neue Markt zu den organisierten Märkten des Inlands gehörte, hat zwar nach dem Wegfall dieses Marktsegments keine unmittelbare praktische Bedeutung mehr, doch sind die hierfür maßgebenden Gesichtspunkte nach wie vor im Hinblick auf die Beurteilung der weiteren Frage von Belang, ob auch sog. Themenmärkte von § 2 Abs. 7 erfasst werden.
132
Zwar fand der Neue Markt in § 2 Abs. 7 nie ausdrücklich Erwähnung, doch war er 133 gleichwohl deshalb von der Vorschrift erfasst3, weil nach Abschnitt 2 Nr. 2.3 Abs. 1 des Regelwerks Neuer Markt (RNM) die Einführung von Wertpapieren in dieses Marktsegment die vorherige Zulassung der Wertpapiere zum Geregelten Markt voraussetzte. Mit der Stellung des Antrags auf Zulassung zum Geregelten Markt verzichtete der Antragsteller zwar auf die Einführung der Wertpapiere in den Geregelten Markt4, doch stand damit außer Frage, dass der Neue Markt auf Grund der im Hinblick auf die Zulassung zu demselben zu durchlaufenden Zulassungsprozedur und der sich an diese anschließenden Beaufsichtigung zu den organisierten Märkten i.S.d. § 2 Abs. 7 zu zählen war. Folglich ist das Gesetz nicht anwendbar auf Aktien, die ausschließlich im sog. Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse einbezogen sind, da er keine vorherige Zulassung zu einem organisierten Markt voraussetzt5.
134
Organisierte Märkte sind darüber hinaus auch Märkte im Europäischen Wirtschafts- 135 raum i.S.d. § 2 Abs. 8 (siehe unten Rz. 140 f.), sofern sie die Voraussetzungen eines „geregelten Markts“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID vom 21.4.20046 erfüllen. Ein „Geregelter Markt“7 ist nach dieser Richtlinienbestimmung „ein von einem Marktbetreiber betriebenes und/oder verwaltetes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach seinen nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt, die gemäß den Regeln und/oder den Systemen des Marktes zum Handel zugelassen wurden, sowie eine Zulassung erhalten hat und ordnungsgemäß und gemäß den Bestimmungen des Titels III funktioniert.“
136
Es liegt auf der Hand, dass sich Bieter und Aufsichtsbehörde bei der Beantwortung der Frage, ob ein Angebot für Wertpapiere, die im Europäischen Wirtschaftsraum ge-
137
1 Früher waren das der Amtliche und Geregelte Markt. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 143; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 233; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 2 WpÜG Rz. 47; Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 65; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 1 Rz. 53; Sohbi in Heidel, § 2 Rz. 26; Harrer/ Müller, WM 2006, 653, 655; kritisch hierzu Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1227 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 27 (kein Schutzbedürfnis der Anleger). 3 So auch ausdrücklich Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35; Krause, NJW 2002, 705, 706; Hammen, Wertpapierübernahmegesetz und Neuer Markt, WM 2002, 2349. Das ist bis heute fast einhellige Ansicht. 4 Abschnitt 2 Nr. 2 Abs. 4 RNM. 5 Sohbi in Heidel, § 2 WpÜG Rz. 26; ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 65. 6 Richtlinie 2004/39/EG, ABl. EU Nr. L 145 v. 21.4.2004, S. 1. 7 Zum Begriff des „geregelten Markts“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der MiFID siehe näher Clouth/ Lang, MiFID-Praktikerhandbuch, 2007, S. 373 ff.; EuGH v. 22.3.2012 – C-248/11, EuZW 2012, 350 ff., jeweils m.w.N.
Assmann/Favoccia
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§2
Begriffsbestimmungen
handelt werden, dem Anwendungsbereich des WpÜG unterfallen, weil sie zum Handel an einem „geregelten Markt“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID zugelassen sind, vorderhand nicht an den in dieser Vorschrift enthaltenen Begriffsmerkmalen eines „geregelten Markts“, sondern an dem nach Art. 47 MiFID zu erstellenden Verzeichnis der geregelten Märkte orientieren werden. Dieses muss von der Kommission gemäß Art. 47 Satz 3 MiFID mindestens einmal jährlich im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Da verringerte Zugangsschranken zu den organisierten Märkten und die Differenzierung derselben in spezielle Handelssegmente zu einer kontinuierlichen Veränderung der als „geregelte Märkte“ anerkannten Märkte führen, ist die Kommission dazu übergegangen, eine aktualisierte Fassung auf ihrer offiziellen Internetsite – http://ec.europa.eu/internal_market/securities/isd/index_de.htm – zugänglich zu machen. Das Verzeichnis wird auf der Grundlage der der Kommission von den mitgliedstaatlichen Behörden übermittelten Informationen regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht1. 138 Die Eintragung eines Marktes in das in Art. 47 MiFID genannte Verzeichnis ist aber keine notwendige Voraussetzung für die Qualifizierung des entsprechenden Marktes als geregelter Markt i.S.d. MiFID2.
K. Europäischer Wirtschaftsraum (§ 2 Abs. 8) 139 Nach §§ 1, 2 Abs. 7 ist das WpÜG auf alle Erwerbsangebote in Bezug auf Wertpapiere anwendbar, die zum Handel an einem regulierten Markt des Inlands (siehe oben Rz. 130 ff.) oder einem „geregelten Markt“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der Finanzmarktrichtlinie in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind. Nach der Definition in § 2 Abs. 8 umfasst der Europäische Wirtschaftsraum sowohl die Staaten der Europäischen Gemeinschaft (numehr: Europäische Union) als auch die Staaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.19923. Zu Letzteren gehören derzeit Island, Liechtenstein und Norwegen. 140 Neben der Umschreibung des generellen Anwendungsbereichs des WpÜG ist der Begriff des Europäischen Wirtschaftsraums vor allem noch für die Anwendung des § 11a und der §§ 24, 33a Abs. 3, 33b Abs. 3 und 33c Abs. 3 WpÜG von Bedeutung. § 11a regelt, unter welchen Voraussetzungen eine von der zuständigen Aufsichtsbehörde eines anderen EWR-Staates gebilligte Angebotsunterlage im Inland ohne weiteres Billigungsverfahren anerkannt werden kann. Nach § 24 kann die BaFin dem Bieter auf dessen Antrag hin gestatten, bestimmte Wertpapierinhaber durch entsprechenden „disclaimer“ von einem Angebot auszunehmen, wenn dieses die Beachtung der Vorschriften eines Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zur Folge hätte und 1 Zuletzt ABl. EU Nr. C 348 v. 21.12.2010, S. 9, 11. Derzeit gehören in Deutschland zu den organisierten Märkten: Börse Berlin (Regulierter Markt, Regulierter Berliner Sekundärmarkt), Tradegate Exchange (Regulierter Markt), Börse Düsseldorf (Regulierter Markt), Frankfurter Wertpapierbörse (Regulierter Markt), Eurex Deutschland, Hanseatische Wertpapierbörse Hamburg (Regulierter Markt), Niedersächsische Börse zu Hannover (Regulierter Markt), Börse München (Regulierter Markt), Baden-Württembergische Wertpapierbörse (Regulierter Markt), European Energy Exchange (Europäische Energiebörse). 2 EuGH v. 22.3.2012 – C-248/11, EuZW 2012, 350 ff. Der EuGH hat in dieser Entscheidung ferner entschieden, dass ein Markt für Finanzinstrumente, der nicht den Anforderungen des Teils III der MiFID genügt, nicht unter den Begriff „geregelter Markt“ i.S.d. Definition fällt, und zwar auch dann nicht, wenn sein Betreiber mit dem Betreiber eines solchen geregelten Marktes fusioniert hat. 3 BGBl. II 1993, 266.
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§3
Allgemeine Grundsätze
die Einhaltung der entsprechenden Bestimmungen unzumutbar wäre. Ferner nehmen §§ 33a Abs. 3, 33b Abs. 3 und § 33c Abs. 3 auf den Begriff im Zusammenhang mit Informationspflichten gegenüber Aufsichtsstellen von EWR-Staaten Bezug.
§3 Allgemeine Grundsätze (1) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die derselben Gattung angehören, sind gleich zu behandeln. (2) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft müssen über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. (3) Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft müssen im Interesse der Zielgesellschaft handeln. (4) Der Bieter und die Zielgesellschaft haben das Verfahren rasch durchzuführen. Die Zielgesellschaft darf nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden. (5) Beim Handel mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften dürfen keine Marktverzerrungen geschaffen werden.
Inhaltsübersicht IV. Rechte und Pflichten des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
A. Gesetzgebungsgeschichte und Bedeutung der allgemeinen Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
II. Inhalt und Reichweite . . . . . . . . . . .
9
III. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . .
18
C. Transparenzgrundsatz (§ 3 Abs. 2) . .
20
1. Rechte und Pflichten im Vorfeld eines Angebots. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . 4. Abwehr von Gefahren für die Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflichten gegenüber Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Pflichten nach Erfolg eines Übernahmeangebots . . . . . . . . . . . . .
41 43 44 46 47
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
II. Inhalt und Reichweite . . . . . . . . . . .
21
III. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . .
28
D. Interessenwahrungsgrundsatz (§ 3 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
31
III. Interesse der Zielgesellschaft . . . . . .
33
1. Position des WpÜG-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktienrechtliche Maßstäbe . . . . . . . 3. Überformung durch EU-Recht? . . . .
I. Marktverzerrungsverbot als Gegenstand des Grundsatzes . . . . . . . . . . . 60
33 34 40
II. Elemente des Marktverzerrungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
50
V. Pflichten des Aufsichtsrats . . . . . . . 51 VI. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . 53 E. Beschleunigungsgrundsatz (§ 3 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 F. Grundsatz der Vermeidung von Marktverzerrungen (§ 3 Abs. 5) . . . . 60
III. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . 69
Stephan
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Allgemeine Grundsätze
Schrifttum: Abeltshauser, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht: Zu den Sorgfaltsund Loyalitätspflichten von Unternehmensleitern im deutschen und im US-amerikanischen Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Assmann, Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz aus der Sicht der Bietergesellschaft, AG 2002, 114; Assmann, Übernahmeangebote im Gefüge des Kapitalmarktrechts, ZGR 2002, 697; van Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, 1996; Bachmann, Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Kapitalmarktrecht, ZHR 170 (2006), 144; Bachmann, Vorstandspflichten bei freundlichen Übernahmeangeboten, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109; Berger, Das deutsche Übernahmegesetz nimmt Formen an, Die Bank 2000, 558; Berger/Filgut, Material-Adverse-Change-Klauseln in Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten, WM 2005, 253; Böckmann/Kießling, Möglichkeiten der BaFin zur Beendigung von Übernahmeschlachten nach dem WpÜG, DB 2007, 1796; von Bonin, Die Leitung der Aktiengesellschaft zwischen Shareholder Value und Stakeholder-Interessen, 2004; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Deckert, Inkompatibilitäten und Interessenkonflikte – Zur Rechtsstellung des Aufsichtsratsmitglieds, DZWIR 1996, 406; Dimke/Heiser, Neutralitätspflicht, Übernahmegesetz und Richtlinienvorschlag 2000, NZG 2001, 241; Dreher, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmitgliedern von Aktiengesellschaften, JZ 1990, 896; von Falkenhausen, Gleichbehandlung der Bieter?, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93; Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980; Habersack/Tröger, „Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten …“ – Zur Frage eines europarechtlichen Gleichbehandlungsgebots beim Anteilshandel, NZG 2010, 1; Heermann, Interessenkonflikte von Bankenvertretern in Aufsichtsräten bei (geplanten) Unternehmensübernahmen, WM 1997, 1689; Heiser, Interessenkonflikte in der Aktiengesellschaft und ihre Lösung am Beispiel des Zwangsangebots: Das Spannungsfeld zwischen Unternehmer- und Anlegerinteressen – ein Vorschlag zur Harmonisierung von Aktien- und Kapitalmarktrecht, 1999; Hellgardt, Anmerkung zum Urteil des OLG Celle v. 19.6.2006 – 9 U 15/06, WuB II A. § 53a AktG 1.06; Herkenroth, Bankenvertreter als Aufsichtsratsmitglieder von Zielgesellschaften: Zur beschränkten Leistungsfähigkeit des Rechts bei der Lösung von Interessenkonflikten anlässlich der Finanzierung von Übernahmen, AG 2001, 33; Herrmann, Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen gegen unfreundliche Übernahmeversuche in Deutschland und Großbritannien, 1993; Hirte/Schander, Die Organpflichten bei Unternehmensübernahmen, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999, S. 341; Hopt, Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, in FS Lutter, 2000, S. 1361; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem WpÜG, ZHR 166 (2002), 383; Käpplinger, Die Bindung des Bieters an das Angebotsverfahren. Anforderungen an Bedingungen und Vorbehalte im WpÜG, 2008; Kirchner, Managementpflichten bei „feindlichen“ Übernahmeangeboten, WM 2000, 1821; Klöhn, Zur Frage des Bestehens eines ungeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatzes im europäischen Gesellschaftsrecht, LMK 2009, 294692; Kort, Rechte und Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei Übernahmeversuchen, in FS Lutter, 2000, S. 1421; Krause, Der revidierte Vorschlag einer Takeover-Richtlinie (1996), AG 1996, 209; Krause, Zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei Übernahmeangeboten und Beteiligungserwerb, WM 1996, 845 (Teil I), 893 (Teil II); Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Lammers, Verhaltenspflichten von Verwaltungsorganen in Übernahmeauseinandersetzungen 1994; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Liekefett, Bietergleichbehandlung bei öffentlichen Übernahmeangeboten, AG 2005, 802; Linker/Zinger, Rechte und Pflichten der Organe einer Aktiengesellschaft bei der Weitergabe vertraulicher Unternehmensinformationen, NZG 2002, 497; Lutter, Bankenvertreter im Aufsichtsrat, ZHR 145 (1981), 224; Lutter, Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten in den Aufsichtsräten von Konkurrenzunternehmen, in FS Beusch, 1993, S. 509; Lutter, Due Diligence des Erwerbers beim Kauf einer Beteiligung, ZIP 1997, 613; Mehringer, Das allgemeine kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsprinzip, 2007; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. 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Allgemeine Grundsätze
schaft, ZIP 2006, 1615; Mucciarelli, Equal treatment of shareholders and European Union law, ECFR 2010, 158; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt: Die Aktionärsrechte bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbandsund Anlegerschutzrecht, 2. Aufl. 1996; Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht, ZGR 1997, 129; Mülbert, Die Zielgesellschaft im Vorschlag 1997 einer Takeover-Richtlinie, IStR 1999, 83; Mülbert/Birke, Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot, WM 2001, 705; K. J. Müller, Gestattung der Due Diligence durch den Vorstand der Aktiengesellschaft, NJW 2000, 3452; W. Müller, Die Entscheidungsspielräume der Verwaltung einer Aktiengesellschaft im Verhältnis zu ihren Aktionären, in FS Semler, 1993, S. 195; Neumann/Ogorek, Reichweite und verfassungsrechtliche Grenzen der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des § 23 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 WpÜG bei fehlendem Kontrollerwerb, BB 2010, 1297; von Nussbaum, Die Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft eines Übernahmeangebots, 2003; Oechsler, Rechtsgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht – Der Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen zu einem Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen und der Gemeinsame Standpunkt des Rates zur europäischen Übernahmerichtlinie, WM-Sonderbeil. 2/2000; Prasuhn, Der Schutz von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen nach dem WpÜG, 2009; Rathenau, Vom Aktienwesen – eine geschäftliche Betrachtung, 1917; Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991; Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1987; Rittner, Zur Verantwortung des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG 1965, in FS Geßler, 1971, S. 139; Roschmann/Frey, Geheimhaltungsverpflichtungen der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften bei Unternehmenskäufen, AG 1996, 449; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, Rechtsprobleme konkurrierender Übernahmeangebote nach dem WpÜG, AG 2007, 137; Schilling, Das Aktienunternehmen, ZHR 144 (1980), 136; Schroeder, Darf der Vorstand der Aktiengesellschaft dem Aktienkäufer eine Due Diligence gestatten?, DB 1997, 2161; Stoffels, Grenzen der Informationsweitergabe durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft im Rahmen einer „Due Diligence“, ZHR 165 (2001), 362; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Übernahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3; v. Thunen, Aktientausch nur für ausgewählte Aktionäre?, NZG 2008, 925; Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, 2000; Ulmer, Aufsichtsratsmandat und Interessenkollision, NJW 1980, 1603; Weber, Kursmanipulation am Wertpapiermarkt, NZG 2000, 113; Westermann, Gesellschaftsrechtliche Verantwortung des Unternehmens als Gesellschaftsrechtsproblem, ZIP 1990, 771; Wilsing/Paul, Zur Gleichbehandlung von Aktionären nach Gemeinschaftsrecht, EWiR 2009, 755; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat bei feindlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG, ZIP 2002, 1; Ziemons, Die Weitergabe von Unternehmensinterna an Dritte durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft, AG 1999, 492; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963; Zöllner, Zur Problematik der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, AG 2000, 145; Zöllner, Unternehmensinnenrecht: Gibt es das?, AG 2003, 2.
A. Gesetzgebungsgeschichte und Bedeutung der allgemeinen Grundsätze Die Bestimmung enthält allgemeine Grundsätze, die bei jedem der vom WpÜG erfassten Angebote zu beachten sind. Die Vorschrift folgte darin Art. 5 ÜA-RiLiVo1 sowie Art. 3 ÜA-GemStp2, die in der Erwähnung derartiger allgemeiner Grundsätze ihrerseits auf entsprechenden Regelungsvorbildern in den Übernahmeangebotsregelungen anderer Staaten, wie etwa in Gestalt der „General Principles“ des britischen City Code on Takeovers and Mergers, aufbauen. Die im Jahre 2004 in Art. 3 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie3 niedergelegten allgemeinen Grundsätze stellen im 1 ABl. EG Nr. C 378 v. 13.12.1997, S. 10. 2 ABl. EG Nr. C 23 v. 24.1.2001, S. 1. 3 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12.
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Wesentlichen eine Konkretisierung der bereits in dem vorstehend angeführten Richtlinienvorschlag von 1997 und dem ebenfalls erwähnten gemeinsamen Standpunkt des Rates von 2001 enthaltenen Grundsätze dar. Der deutsche Gesetzgeber sah bei der Umsetzung der Übernahmerichtlinie zu Recht keinen zwingenden Anpassungsbedarf, auch wenn § 3 nicht in jeder Einzelheit Art. 3 der Übernahmerichtlinie entspricht1. Die Voranstellung und Hervorhebung allgemeiner Grundsätze für öffentliche Wertpapiererwerbsangebote findet sich bspw. auch in § 3 des österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG)2. 2
Für die deutsche Gesetzgebungstechnik ist die Voranstellung allgemeiner Grundsätze ungewöhnlich und wirft deshalb v.a. die Frage nach der Regelungsfunktion und Regelungsreichweite derselben auf3. Die Frage ist für die einzelnen Absätze von § 3 durchaus unterschiedlich zu beantworten. Teilweise geben die in der Bestimmung angeführten allgemeinen Grundsätze grundlegende, bei der Auslegung4 des Gesetzes heranzuziehende Wertungen des Gesetzgebers wieder. Darüber hinaus kann ihnen bei der Ausfüllung sich offenbarender Regelungslücken5 besondere Bedeutung zukommen. Die allgemeinen Grundsätze bringen damit in der Sache nichts anderes als den „allgemeinen Willen“ des Gesetzgebers zum Ausdruck, dem allerdings bei der Gesetzesauslegung nicht die allein entscheidende Rolle zukommt6 und der, schon wegen der Abstraktheit der allgemeinen Grundsätze, bei der Auslegung einzelner Normen des Gesetzes regelmäßig nur geringe Orientierungshilfe bieten wird7. Das gilt zwangsläufig auch für die den allgemeinen Grundsätzen vielfach zugeschriebene weitere Funktion der Ermessensbindung8 namentlich in Bezug auf Ermessensentscheidungen der BaFin.
3
Soweit die einzelnen Regelungen in § 3 hinreichend konkret und nicht durch andere, speziellere Regelungen überlagert sind, beanspruchen die Regelungen unmittelbare Anwendbarkeit9. Eine gegen § 3 Abs. 1 verstoßende Ungleichbehandlung von Bietern 1 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, BTDrucks. 16/2003, S. 12 f. 2 Siehe dazu die Erläuterungen bei Huber/Alscher in Huber, § 3 ÜbG Rz. 1 ff. 3 „Zweifel an der Existenzberechtigung“ der allgemeinen Grundsätze bei Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 3 (a.E.). Kritisch auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 2; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 281; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 1 und 2; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 1. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35 (Die Grundsätze sind „auch bei der Auslegung einzelner Rechtsvorschriften heranzuziehen“). Siehe ferner bspw. Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 400; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 1; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 1; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 3; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 6 („wichtige Auslegungshilfe“). In der Voranstellung allgemeiner Grundsätze sehen Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 1, den die Kompetenzen des Gesetzgebers überschreitenden Versuch, Rechtsprechung und Wissenschaft auf Interpretationsmaximen festzulegen. 5 Ein solcher Fall wird von Teilen des Schrifttums etwa in der gesetzlich nicht geregelten Pflicht des Bieters zur Aktualisierung der Angebotsunterlage gesehen, wobei der Transparenzgrundsatz des § 3 Abs. 2 sowohl zum Nachweis als auch zur Schließung der Regelungslücke herangezogen wird. Siehe dazu näher unten Rz. 25 f. 6 So auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 1. 7 Vgl. EuGH v. 15.10.2009 – C 101/08 – Audiolux, AG 2009, 821, 822, Rz. 43 ff. und dazu Habersack/Tröger, NZG 2010, 1 ff.: Zurückhaltung gegenüber einer ausdehnenden Anwendung der allgemeinen Grundsätze. 8 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 3; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 1; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 1; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 3. 9 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 4.
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ist rechtwidrig, ein entsprechendes Angebot wäre von der BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 zu untersagen. Dagegen könnte die BaFin eine Annahmefrist von zehn Wochen (vgl. § 16 Abs. 1) nicht mit der Begründung beanstanden, das sei nicht „rasch“ i.S.v. § 3 Abs. 4 Satz 1. Des Weiteren sind die Grundsätze beim Erlass von Verordnungen, neben dem Inhalt der Ermächtigungsnorm, als allgemeine Maßstäbe mit zu berücksichtigen. Die allgemeinen Grundsätze sind weder geeignet, wechselseitige Ansprüche der Ver- 4 fahrensbeteiligten zu begründen noch stellen sie Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar1. Dementsprechend kann aus den allgemeinen Grundsätzen auch nicht der Schutzgesetzcharakter derjenigen Vorschriften des Gesetzes abgeleitet werden, die als Ausprägung eines der Grundsätze betrachtet werden können2. Den Grundsätzen lässt sich zwar entnehmen, dass der Gesetzgeber die Interessen bestimmter Beteiligter als besonders schutzwürdig betrachtet, doch folgt allein daraus noch nicht, dieser Schutz solle im Wege unmittelbarer Ansprüche, namentlich von Schadensersatzansprüchen, der in ihren Interessen zu Schützenden gegen einzelne Beteiligte bewerkstelligt werden. Deshalb ist vielmehr jede Einzelbestimmung darauf zu überprüfen, ob sie die Anforderungen der Rechtsprechung an die Schutzgesetzeigenschaft einer Norm3 erfüllt. § 3 enthält keine Aussage zu der umstrittenen Frage der so genannten Neutralitäts- 5 pflicht des Vorstands der Zielgesellschaft4, obwohl die Frage in innerem Zusammenhang mit der in Abs. 3 hervorgehobenen Interessenwahrungspflicht steht. Der Gesetzgeber hat diese Frage in § 33 angesiedelt, dessen Regelungen (soweit ein Widerspruch bestünde) insoweit Vorrang vor § 3 Abs. 3 beanspruchen würden. Zu Einzelheiten hierzu ist auf die Kommentierung zu § 3 Abs. 3 (Rz. 33 ff.) und insbesondere zu § 33 zu verweisen.
B. Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) I. Allgemeines § 3 Abs. 1 enthält den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung aller Inhaber von Wertpapieren derselben Gattung. Dieser Grundsatz ist bei jedem Angebot zum Erwerb von Wertpapieren zu beachten. Einen dem § 3 Abs. 1 entsprechenden Grund1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 62; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58. 2 Ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58. A.A. aber, zumindest im Hinblick auf den in § 3 Abs. 4 niedergelegten Beschleunigungsgrundsatz, den er bezeichnenderweise mit der Überschrift „Schutz der Zielgesellschaft“ versieht, Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 3 Rz. 29. 3 Als Schutzgesetz kommen nur solche Rechtsnormen i.S.v. Art. 2 EGBGB in Betracht, die gerade (auch) den Schutz bestimmter Rechtsgüter oder Interessen des Einzelnen bezwecken, wobei die Eröffnung eines Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen muss. St. Rspr., etwa: BGH v. 29.4.1966 – V ZR 147/63, BGHZ 46, 17, 23; BGH v. 8.6.1976 – VI ZR 50/75, BGHZ 66, 388, 390 f.; BGH v. 13.12.1988 – VI ZR 235/87, BGHZ 106, 204, 206 f.; BGH v. 26.2.1993 – V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 3 f.; BGH v. 13.12.2011 – XI ZR 51/10, BB 2012, 530, 532 = AG 2012, 209, 211. 4 Das entspricht den allgemeinen Grundsätzen in Art. 5 ÜA-RiLiVo und Art. 3 ÜA-GemStp, die sich mit dieser Frage ebenfalls nicht befassen und keinen Widerspruch zu § 3 Abs. 3 WpÜG enthalten: a.A. 1. Aufl., Rz. 5. Vgl. allerdings Art. 8 lit. a) ÜA-RiLiVo und Art. 9 Abs. 1 lit. a) ÜA-GemStp.
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satz enthält auch die Nummer 1 der General Principles des Britischen City Code on Takeovers and Mergers, Art. 24 des Schweizer Börsengesetzes (BEHG), § 3 Abs. 1 des Österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG) sowie die Übernahmerichtlinie in Art. 3 Abs. 1 lit. a). 7
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist neben dem Gebot der ausreichenden Information der Wertpapierinhaber ein zentrales Element des Übernahmerechts. Der Grundsatz berücksichtigt die regelmäßig fehlende „Waffengleichheit“ zwischen Bieter und Wertpapierinhabern und dient der Fairness des Verfahrens. Bei einem öffentlichen Angebot akzeptiert das Gesetz als Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Angebotsadressaten nur Gattungsunterschiede der betroffenen Wertpapiere. Der Bieter ist regelmäßig besser über den Wert des Unternehmens und damit über die Werthaltigkeit der Wertpapiere informiert. Zudem kennt auch nur der Bieter die Höhe der für den Wertpapiererwerb zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Das Gebot der Gleichbehandlung verhindert zumindest teilweise, dass der Bieter seinen Informationsvorsprung gegenüber einzelnen Angebotsadressaten in unterschiedlicher Weise umsetzt. Am Gleichbehandlungsgebot wird teilweise unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Einschränkung der Privatautonomie Kritik geübt1. Daran ist richtig, dass beispielsweise das Verbot von Paketzuschlägen als Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf einer Wertung beruht, die auch anders getroffen werden könnte2. Nicht zu unterschätzen ist allerdings die einer strikten Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes immanente Klarheit und Übersichtlichkeit der Regeln, die zur Attraktivität eines Kapitalmarkts beiträgt3. Das WpÜG enthält neben den Preisregelungen (§ 31 Abs. 4 bis 6) und dem damit verbundenen Verbot von Paketzuschlägen eine Reihe weiterer Ausprägungen des Gleichbehandlungsgebots z.B. in § 19 (Teilangebote – gleichmäßige Zuteilung), § 31 Abs. 3 (zwingendes Barangebot) und § 32 (Erstreckung von Übernahmeangeboten auf alle Aktien)4. Aus den im WpÜG enthaltenen speziellen Ausprägungen des Gleichbehandlungsgebots ergeben sich gleichzeitig Schranken für dessen inhaltliche Reichweite. Mit dem allgemeinen Gleichheitsgebot lassen sich weiter reichende Anforderungen, als sie sich aus den Spezialvorschriften ergeben, nicht begründen.
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Abzugrenzen ist der übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz von den Gleichbehandlungsgeboten des § 53a AktG und § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG. § 53a AktG verpflichtet die Aktiengesellschaft, in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen ihre Aktionäre bei gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln5. § 30a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 WpHG verpflichtet ebenfalls die Aktiengesellschaft zur Gleichbehandlung ihrer eigenen Aktionären und der Inhaber sonstiger von ihr ausgegebener Wertpapiere und bestimmter Zertifikate. Der Anwendungsbereich gegenüber § 53a AktG ist insoweit erweitert, als das Gebot auch für bestimmte ausländische Emittenten und gegenüber Inhabern von ausschließlich Gläubigerrechte verbriefenden Wertpapieren gilt6. Demgegenüber betrifft das übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot ausschließlich den Bieter im Verhältnis zu den Inhabern von Wertpapieren (i.S.v. § 2 Abs. 2 WpÜG) der Zielgesellschaft, auch wenn der Gesetzeswortlaut den 1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 3 unter Bezugnahme auf „einfache Erwerbsangebote“. 2 Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 171. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 11; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 4. 4 Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 149. 5 Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 53a Rz. 5; Hüffer, § 53a AktG Rz. 4; Drygala in KölnKomm. AktG, § 53a Rz. 5. 6 Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider, § 30a WpHG Rz. 4, 8.
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Normadressatenkreis nicht näher bestimmt1. Die Zielgesellschaft ist bereits durch § 53a AktG verpflichtet, die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln2. Danach würde der Vorstand der Zielgesellschaft gegen das aktienrechtliche Gebot verstoßen, wenn er Inhaber von Wertpapieren derselben Gattung hinsichtlich der in Zusammenhang mit einem Erwerbs-, Übernahme- oder Pflichtangebot maßgeblichen Informationspflichten unterschiedlich behandeln würde. Wenn die Zielgesellschaft beim Rückerwerb eigener Aktien im Rahmen eines öffentlichen Angebots ihren Aktionären als Bieter gegenübertritt, ist die Zielgesellschaft aktienrechtlich zur Gleichbehandlung ihrer Aktionäre verpflichtet; ein Rückgriff auf § 3 Abs. 1 ist ausgeschlossen, weil öffentliche Angebote zum Aktienrückkauf nach zutreffender, mittlerweile auch von der BaFin geteilter Auffassung nicht dem WpÜG unterliegen3. Ebenfalls findet das Gleichbehandlungsgebot des § 3 Abs. 1 keine Anwendung auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)4. Eine entsprechende Verpflichtung der Verwaltung ergibt sich bereits auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz und von Art. 3 GG5.
II. Inhalt und Reichweite Das Gleichbehandlungsgebot beinhaltet die Verpflichtung des Bieters, die Inhaber 9 von Wertpapieren der Zielgesellschaft derselben Gattung bei der Ausgestaltung und bei der Abwicklung des Angebots materiell und formal gleich zu behandeln. Ob das Gleichbehandlungsgebot nur unter im Übrigen gleichen Voraussetzungen gilt und deshalb Ungleichbehandlungen durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden können, steht im Streit. Aus der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich das nicht herleiten. Zwar heißt es im Vorspann zur Vorlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung an den Bundestag, zu den wichtigsten Grundsätzen gehöre, „Aktionäre unter gleichen Bedingungen gleich zu behandeln“6. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich aber nicht, dass darunter mehr zu verstehen ist als die im Gesetz selbst enthaltenen Einschränkungen und insbesondere die Gattungsgleichheit7. Weder § 3 Abs. 1 noch die 1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 16; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 5 ff.; Hopt, ZHR 166 (2003), 383, 399 f.; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 14 (mit leichter Einschränkung in Rz. 6); von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 96; a.A. Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 72; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 4, 11; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 5; danach sind neben dem Bieter auch die Zielgesellschaft sowie die BaFin in den Kreis der Normadressaten einbezogen mit der Folge einer unschädlichen Regelungsdoppelung. 2 So auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 6; a.A. offenbar Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 3 Rz. 4. 3 A.A. vom Ausgangspunkt einer abweichenden Meinung zur Anwendbarkeit des WpÜG auf den Aktienrückerwerb Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 7; wenn man das WpÜG insoweit für anwendbar hält, dann bestünde allerdings kein Grund, den Bieter nur deshalb vom Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 auszunehmen, weil er auch Zielgesellschaft ist; a.A. insoweit 1. Aufl., Rz. 8. Zur Anwendbarkeit des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote § 2 Rz. 38 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 2 Rz. 23 ff. 4 A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 3; unklar, aber im Ergebnis wohl wie hier Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 5, 12 f. 5 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 5, 12 f. 6 BT-Drucks. 14/7034, S. 1. 7 A.A. Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 174, der allerdings im Unterschied zu bloßen Willkürverboten eine Ungleichbehandlung nur im Ausnahmefall als gerechtfertigt ansieht, aaO, S. 177.
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speziellen Ausprägungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes im WpÜG gestatten Differenzierungen nach Kriterien in der Person der Wertpapierinhaber oder des Umfangs ihres Aktienbesitzes. In § 24 wird die Abweichung von der Gleichbehandlung an die strenge Schranke der Unzumutbarkeit geknüpft und der Gestattung durch die BaFin unterworfen. Sachlich nachvollziehbare Gründe genügen für eine Differenzierung innerhalb einer Gattung deshalb nicht. Das Gebot geht damit über das Verbot willkürlicher Differenzierung hinaus1. Differenzierungen, die die Gleichbehandlung überhaupt erst herstellen, sind zulässig. Wenn sich das Angebot auf nicht börsennotierte Aktien mit abweichendem Nennwert erstreckt, muss das der Preis pro Aktie linear berücksichtigen. 10
Gattungsverschiedenheit liegt vor, wenn die fraglichen Wertpapiere unterschiedliche Rechte gewähren (§ 12 Satz 2 AktG). Bei Aktien ist die Unterscheidung zwischen Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien praktisch am bedeutsamsten. Gattungsverschiedenheit ist aber darauf nicht beschränkt2, sondern kann z.B. auch bei unterschiedlicher Gewinnbeteiligung (§ 60 Abs. 3 AktG) oder unterschiedlicher Beteiligung am Liquidationserlös (§ 272 Abs. 2 AktG) vorliegen3. Ein Grenzfall ist das Entsenderecht in den Aufsichtsrat (§ 101 Abs. 2 AktG), das kraft gesetzlicher Fiktion (§ 101 Abs. 2 Satz 3 AktG) nicht zur Gattungsverschiedenheit führt. Da die Gründe dafür pragmatischer Art sind (keine Sonderbeschlüsse erforderlich) und die Schutzzwecke des WpÜG nicht berühren, ist eine unterschiedliche Behandlung solcher materiell eben doch gattungsverschiedener Aktien zulässig. Vorhandene oder fehlende Börsenzulassung begründet grundsätzlich keine Gattungsverschiedenheit und kann deshalb eine Ungleichbehandlung nur rechtfertigen, wenn sich das aus Einzelnormen des WpÜG herleiten lässt4. Bei Wertpapieren i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AktG, also z.B. Wandelanleihen, ist Gattungsverschiedenheit bei unterschiedlicher Ausstattung irgendeiner Art (Währung, Laufzeit, Verzinsung, Verwässerungsschutz etc.) gegeben5. Abgrenzungsschwierigkeiten wird es insoweit nicht geben, verschiedene Emissionen sind klar getrennt und werden unter separaten Kennnummern (ISIN, WKN) gehandelt. Auf den Grad der Abweichung kommt es nicht an.
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Handelt es sich um Inhaber von Wertpapieren verschiedener Gattungen, dürfen diese demzufolge vom Bieter ungleich behandelt werden. So bleibt es dem Bieter im Rahmen eines Angebotes, das kein Übernahme- oder Pflichtangebot darstellt, beispielsweise unbenommen, dieses auf eine bestimmte Wertpapiergattung zu beschränken und beispielsweise nur den Vorzugsaktionären ein Angebot zu machen, nicht aber hingegen den Stammaktionären und den anderen Wertpapierinhabern. Vor allem aber ist es auch im Rahmen von Übernahme- und Pflichtangeboten zulässig (und nicht unüblich), für Stamm- und Vorzugsaktien unterschiedliche Preise zu
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 13; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 11 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 6; im Ergebnis wohl auch Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 174, 177 (Differenzierung nur im Ausnahmefall); a.A. (sachlicher Grund genügt) Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 5; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 6; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 7 und ausführlich v. Thunen, NZG 2008, 925 ff. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 17; unklar Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 4; a.A. anscheinend Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 7. 3 Zu Begriff der Aktiengattung vgl. Hüffer, § 11 AktG Rz. 3 ff., § 139 AktG Rz. 11; DaunerLieb in KölnKomm. AktG, § 11 Rz. 5 ff. 4 Eine andere Frage ist es, ob ein Angebot, das sich auf nicht börsennotierte Aktien beschränkt, überhaupt dem WpÜG unterliegt; vgl. dazu § 32 Rz. 11 ff. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 17.
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bieten1. Der Grad einer abweichenden Behandlung muss sich nicht zwingend aus der Gattungsverschiedenheit ableiten lassen2. Bei einfachen Erwerbsangeboten kann eine Gattung komplett ausgeschlossen werden, ohne dass der Bieter dies sachlich rechtfertigen müsste. Bei Übernahme- und Pflichtangeboten kann der Bieter nicht nur, wie sich unmittelbar aus § 3 Satz 3 WpÜG-AngVO ergibt, unterschiedliche Preise für Aktien verschiedener Gattungen festlegen, sondern auch unterschiedlich hohe Aufschläge auf die jeweils nach Maßgabe von § 31 und der WpÜG-AngVO vorgeschriebenen Mindestpreise anbieten3, und zwar (gerade) auch dann, wenn er damit das Ziel unterschiedlich hoher Annahmequoten verfolgt. Seine Grenze findet das im Missbrauchsverbot. So wäre es unter Umständen missbräuchlich, für junge Aktien, die für das abgelaufene Geschäftsjahr noch nicht dividendenberechtigt, dann aber gattungsgleich sind, einen Preisunterschied festzulegen, der in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert des Dividendenrechts steht. Wenn der Vollzug des Angebots nach Hauptversammlung und Dividendenausschüttung der Zielgesellschaft liegt, sind diese Aktien ohnehin als gattungsgleich zu behandeln4. Besteht bei Erwerbsangeboten zwar die Möglichkeit, das Angebot auf die Inhaber ei- 12 ner bestimmten Wertpapiergattung zu beschränken oder den Umfang des Angebots für Wertpapiere verschiedener Gattung unterschiedlich festzulegen, ist der Bieter infolge des Gleichbehandlungsgrundsatzes jedoch verpflichtet, die Wertpapierinhaber derselben Gattung, an die ein dermaßen beschränktes Angebot gerichtet ist, gleich zu behandeln. Dies folgt hinsichtlich der Verpflichtung zur verhältniswahrenden Zuteilung aus § 195 (§ 19 Rz. 9 ff.). § 19 enthält aber insoweit eine Erleichterung gegenüber dem Gebot strikter Gleichbehandlung, als die gleichmäßige Zuteilung nur „grundsätzlich“ gilt6. Angebote sind an alle Aktionäre derselben Gattung zu richten, wie § 24 voraussetzt, 13 der gleichzeitig mögliche Einschränkungen für ausländische Aktionäre regelt. Für Pflichtangebote enthält § 35 Abs. 2 Satz 3 weitere Ausnahmen hinsichtlich eigener Aktien der Zielgesellschaft und gleichgestellter Aktien. Pflichtangebote sind die am strengsten regulierten Angebote mit dem geringsten Spielraum des Bieters; diese Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots sind deshalb analog („erst recht“) auf Übernahmeangebote und einfache Erwerbsangebote anwendbar7. Die generelle Verpflichtung, Wertpapierinhabern derselben Gattung im Angebot dieselbe Gegenleistung anzubieten, ergibt sich nicht aus § 31 (der das in Abs. 4 und 5
1 Verfassungsrechtlich ist das unbedenklich: BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, NZG 2004, 617 f. = AG 2004, 607. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 18; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 WpÜG Rz. 14; anders (allerdings auf Grundlage einer abweichenden Regelungsstruktur) City Code Rule 14. 3 Näher Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Anh. § 3 AngebVO Rz. 10 m.w.N. 4 Unzulässig wäre auch eine unterschiedliche Information von Vorzugs- und Stammaktionären (Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 7), was aber aufgrund der speziellen Regelungen des WpÜG zur Informationsbereitstellung ohnehin ausscheidet. 5 Soweit es nicht um die in § 19 geregelte Frage der Zuteilungsquote geht, ist allerdings nicht ersichtlich, weshalb für sonstige Fragen der Gleichbehandlung nicht § 3 Abs. 1, sondern der insoweit eher schweigsame § 19 gelten soll; a.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 20. Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. 6 Näher § 19 Rz. 12 f.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 22 ff. 7 Näher § 32 Rz. 9 f.; für Übernahmeangebote; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 21; a.A. die Verwaltungspraxis der BaFin, vgl. Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 106 Fn. 82.
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voraussetzt) sondern aus § 3 Abs. 11. Daraus ergibt sich zwanglos, dass auch bei einfachen Erwerbsangeboten den Inhabern derselben Gattung derselbe Preis angeboten werden muss2. Wenn bei Übernahme- und Pflichtangeboten alternativ zur „Pflichtgegenleistung“, die die Voraussetzungen von § 31 erfüllt, freiwillig eine Wahlleistung angeboten wird, so unterliegt die Wahlleistung zwar keinen inhaltlichen Anforderungen3, aber wiederum dem Gleichbehandlungsgebot nach § 3 Abs. 14. Möglich wäre es aber, bei der Wahlleistung nach Gattungen zu differenzieren, selbst wenn bei der „Pflichtleistung“ nicht differenziert wird. Möglich ist es auch, außerhalb des Angebots Aktien von einzelnen Aktionären für eine andere Gegenleistung zu erwerben. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz erstreckt sich darauf nicht. Den Schutz der Angebotsadressaten gewährleistet (ausschließlich) § 31 Abs. 4. Unzulässig ist jede Differenzierung der Gegenleistung innerhalb derselben Gattung, wie zum Beispiel Paketzuschläge oder die unter dem Stichwort „Windhundrennen“ diskutierte Differenzierung der vom Bieter angebotenen Gegenleistung nach dem Zeitpunkt der Annahmeerklärungen5. 15
Die Bestimmungen über den Inhalt der Angebotsunterlage (§ 11) und deren Veröffentlichung (§ 14) sowie über die sonstigen Meldungen (§ 23) sorgen für eine gleichmäßige Informationsbasis und sind insofern Ausprägungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Das Gleichbehandlungsgebot erfordert nicht darüber hinausgehend, dass der Bieter sämtliche weiteren Informationsangebote an alle Angebotsadressaten richtet. Wenn bei solchen Gelegenheiten allerdings relevante und über den Inhalt der Angebotsunterlage hinausgehende Informationen übermittelt werden, kann das je nach den Umständen die Vermutung nahelegen, dass die Angebotsunterlage nicht vollständig war6.
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Mit der Frage, ob die Zielgesellschaft verpflichtet ist, mehrere potentielle Bieter gleichzubehandeln und Informationen, die sie vor der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots dem Bieter zur Verfügung gestellt hat, auch einem konkurrierenden Bieter oder Informationen, die sie einem White Knight zugänglich macht, auch dem ungeliebten Erstbieter zugänglich zu machen (dazu § 22 Rz. 94 ff.), hat das übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot in § 3 Abs. 1 nichts zu tun7. Das ergibt sich bereits daraus, dass § 3 Abs. 1 sich nur an den Bieter und nicht an die Zielgesellschaft richtet (oben Rz. 8); selbst wenn man mit einem Teil der Literatur insoweit anderer Auffassung sein wollte, betrifft § 3 Abs. 1 ausdrücklich nur die Gleichbehandlung von Inhabern von Wertpapieren der Zielgesellschaft. Ob potentielle Bieter mehr oder weniger zufällig auch Aktionäre der Zielgesellschaft sind, kann dabei kei1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 22; im Ergebnis besteht darüber Einigkeit. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 22; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 4; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 16. 3 Näher § 31 Rz. 61 f. 4 Für die Möglichkeit, die Wahlleistung aufgrund sachlicher Kriterien auf bestimmte Aktionäre zu begrenzen, v. Thunen, NZG 2008, 925 ff. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 23; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 8; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 16. 6 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 25. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 11; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 4; Barst, Rechtsschutzinstrumente des Bieters bei feindlichen Übernahmen, 2008, S. 120 ff.; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 95 ff.; Liekefett, AG 2005, 802, 803; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 WpÜG Rz. 14; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 13; Maßstab für Recht und Pflicht zur Informationsweitergabe ist das Gesellschaftsinteresse, unten Rz. 44 f.
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nen Unterschied machen, denn nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck will § 3 Abs. 1 die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft gerade in dieser Eigenschaft und mithin als potentielle Verkäufer, nicht aber als potentielle Käufer der Wertpapiere schützen. Im vorliegenden Zusammenhang ist deshalb die Eigenschaft als Bieter maßgeblich und nicht eine mögliche Stellung als Wertpapierinhaber. Eine Verpflichtung der Zielgesellschaft zur Gleichbehandlung von Bietern will § 3 Abs. 1 aber gerade nicht statuieren1. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gilt im zeitlichen und sachlichen Rege- 17 lungsbereich des WpÜG, d.h. innerhalb und für die Dauer des Erwerbs- bzw. Übernahmeverfahrens. Im Kern betrifft das den Zeitraum von der Veröffentlichung der Entscheidung nach § 10 bis zum Ablauf der Annahmefrist (§ 16 Abs. 1) bzw. der weiteren Annahmefrist (§ 16 Abs. 2). Der Vollzug des Angebots wird zwar im WpÜG nicht geregelt und nur an einigen Stellen am Rande erwähnt. Die Vollzugsmodalitäten sind aber untrennbarer Bestandteil des Angebots und vom Gleichbehandlungsgebot erfasst. Dem steht nicht entgegen, dass der Bieter die Wahl hat, den Vollzug im Fall der Anwendbarkeit der weiteren Annahmefrist entweder nach deren Ablauf in einem Durchgang vorzunehmen, oder aber nach Ablauf der (ersten) Annahmefrist für die dann bereits angedienten Aktien eine Teilabwicklung durchzuführen. Soweit es die Gegenleistung anbelangt, wirkt das Gleichbehandlungsgebot kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung noch ein Jahr nach Ablauf der Annahmefrist fort, sofern der Bieter innerhalb dieses Zeitraums außerhalb der Börse Zukäufe in Aktien der Gesellschaft zu einem über dem Angebot liegenden Preis tätigt (vgl. § 31 Abs. 5).
III. Rechtsfolgen bei Verstößen Da das Gleichbehandlungsgebot im Angebot gilt, würden sich Verstöße in der Regel in der Angebotsunterlage niederschlagen. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der in der Angebotsunterlage Niederschlag gefunden hat, kann zur Untersagung des Angebots nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 führen. Verstöße gegen § 3 Abs. 1 werden oft auch offensichtlich im Sinne der Untersagungsermächtigung sein. Wenn sich ein Verstoß nicht aus der Angebotsunterlage ergibt (Beispiel: Der Bieter zahlt bestimmten Aktionären, die das Angebot annehmen, einen Zusatzpreis), ist nach Lösungen im Bereich der konkret betroffenen Vorschriften (im Beispielsfall: § 31 Abs. 5) zu suchen. Die Übernahmerichtlinie (Art. 17) verlangt Sanktionen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind“. Das ist bei der Auslegung des WpÜG zu berücksichtigen.
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Hingegen wird man einen individuellen Anspruch des einzelnen Wertpapierinhabers auf Gleichbehandlung unter Berufung auf § 3 Abs. 1 verneinen müssen2. Die Regelungen des WpÜG schützen die Anleger nur in ihrer Gesamtheit und vermitteln keinen Individualschutz (vgl. § 4 Rz. 25 ff.). Folglich scheidet auch ein Schadensersatzanspruch gegen den Bieter wegen Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgebotes aus.
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1 Damit ist indes noch nicht die Frage beantwortet, ob sich aus anderen Vorschriften des WpÜG ein Prinzip der Bietergleichbehandlung ergibt, vgl. hierzu § 22 Rz. 94 ff., § 33 Rz. 165. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 61.
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C. Transparenzgrundsatz (§ 3 Abs. 2) I. Allgemeines 20
§ 3 Abs. 2 entspricht in der Sache Art. 3 Abs. 1 lit. b) Halbsatz 1 der Übernahmerichtlinie1 und formuliert den allgemeinen Grundsatz, die Angebotsadressaten müssten über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. In Anlehnung an die Regierungsbegründung zum WpÜG2 wird § 3 Abs. 2 häufig schlagwortartig als Transparenzgrundsatz oder -gebot bezeichnet, was allerdings den Inhalt jedenfalls insoweit nur unzureichend wiedergibt, als das zeitliche Element („genügend Zeit“) damit nicht erfasst wird3. Der Grundsatz steht insoweit in einem gewissen Spannungsverhältnis zu demjenigen der raschen Durchführung des Angebotsverfahrens (§ 3 Abs. 4; siehe unten Rz. 54 ff.), doch enthalten die Fristenregelungen des WpÜG eine dieses Spannungsverhältnis aufhebende (abschließende) gesetzgeberische Kompromisslösung. § 3 Abs. 2 dient mit der Festlegung grundsätzlicher Erfordernisse der Angebotsdurchführung – Information und Zeit zur Verarbeitung der Information – einem geordneten, die Interessen der Kapitalmarktteilnehmer angemessen berücksichtigenden Verfahren. Eine weitergehende Bedeutung hat der Transparenzgrundsatz nicht. Weder macht er die Wertpapierinhaber zum Schiedsrichter über den Ausgang einer geplanten Übernahme insgesamt, noch steht er in Konflikt mit den Regelungen in § 33 über Möglichkeiten und Grenzen von Verteidigungsmöglichkeiten der Organe der Zielgesellschaft4.
II. Inhalt und Reichweite 21
Die Bedeutung der Vorschrift liegt eher in der Umschreibung eines Teils der dem WpÜG unterliegenden Regelungsphilosophie als in einer konkreten Regelung einzelner Aspekte von Übernahmesachverhalten5. Die Regelungen des WpÜG in Bezug auf Publizität und Verfahrensfristen, die als Ausprägung der in § 3 Abs. 2 enthaltenen Grundsätze verstanden werden können – bspw. in §§ 10–12, 16, 21, 23, 27, 28, 32 und § 2 WpÜG-AngVO – haben eine solche Dichte erreicht, dass ein Bedürfnis, dem Grundsatz ergänzende Verhaltenspflichten entnehmen zu müssen, nur schwerlich eintreten dürfte6. Hinzu kommt, dass die speziellen Ausprägungen des Grundsatzes, namentlich im Bereich der Informationspflichten (siehe dazu näher unten Rz. 23 ff.), ihrerseits so gestaltet sind, dass sie eine flexible Reaktion auf die Besonderheiten des jeweiligen Angebots erlauben. § 3 Abs. 2 kann bei der Auslegung einzelner Bestimmungen zum Tragen kommen. So werden die Anforderungen an die Klarheit von An-
1 Die Übernahmerichtliche orientiert sich wiederum ebenso wie § 3 Abs. 2 an den Vorläuferregelungen in Art. 5 Abs. 1 lit. b) ÜA-RiLiVo und Art. 3 Abs. 1 lit. b) ÜA-GemStp. 2 Begr. RegE zum WpÜG, Allgemeiner Teil, BT-Drucks. 14/7034, S. 29. 3 Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 281; Liebscher, ZIP 2001, 853, 859; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 17; zurückhaltend Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 27; kritisch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 16; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 24. 4 Zweifelnd 1. Aufl., Rz. 22. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 30; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 27; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 281. 6 Einen eigenständigen Anwendungsbereich des Grundsatzes neben den im Gesetz vorgenommenen Konkretisierungen desselben bestreitet auch Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 15, 20.
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gebotsbedingungen, die an wesentliche nachteilige Änderungen bei der Zielgesellschaft anknüpfen („material adverse change“-Klauseln), teilweise unter Rückgriff auf § 3 Abs. 2 begründet1. Allerdings sollte die Konkretisierung von Informationspflichten zum Beispiel im Zusammenhang mit der Angebotsunterlage (§ 11) oder der Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 27) besser aus diesen Normen heraus entwickelt werden, als durch Rückgriff auf den doch eher programmatischen § 3 Abs. 22. Für eine Änderung der gesetzlich vorgesehenen Fristen und Fristenrahmen unter 22 Rückgriff auf § 3 Abs. 2 besteht auch im Einzelfall kein Raum3. In der 1. Aufl. (§ 3 Rz. 23) wurde erwogen, dass u.U. besondere Umstände die Wahl der Mindestannahmefrist von vier Wochen oder ggf. einer anderen als der Höchstfrist von zehn Wochen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. §§ 34, 39) als unangemessen erscheinen lassen könnte; als besondere Umstände wurden grenzüberschreitende Angebote in Bezug auf Wertpapiere, die an mehreren Börsen gehandelt werden, besonders komplizierte Sachverhalte der Beurteilung der Angemessenheit der offerierten Gegenleistung oder der absehbare, im gesetzlichen Zeitfenster liegende Ausgang eines Genehmigungsverfahrens in Betracht gezogen. Derartige Überlegungen sind im Ergebnis abzulehnen. Der Bieter kann unabhängig von der Komplexität des Angebots oder sonstigen Umständen des Angebots die Annahmefrist ohne weiteres auf die Mindestfrist von vier Wochen beschränken4. Die Angebotsadressaten sind durch die Veröffentlichung nach § 10 WpÜG vorgewarnt und können sich darauf einstellen, alsbald eine Entscheidung über die Annahme des Angebots treffen zu müssen. Das WpÜG selbst enthält keine handhabbaren Maßstäbe, die es der BaFin ermöglichen könnten, an Stelle des Bieters unter Abwägung des Beschleunigungsgebots nach § 3 Abs. 4 einerseits und des Gebots ausreichender Zeit nach § 3 Abs. 2 andererseits eine Entscheidung über die „richtige“ Annahmefrist zu treffen. Der Gesetzgeber hat bei öffentlichen Angeboten im Zusammenhang mit einer Stabilisierungsmaßnahme nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz in § 12 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 FMStBG die Verkürzung auf zwei Wochen ermöglicht und damit zu erkennen geben, dass auch bei komplizierten Sachverhalten selbst eine Annahmefrist von weniger als vier Wochen noch zumutbar sein kann. In gleicher Weise ist dem Grundsatz, der Anleger müsse über ausreichende Informa- 23 tionen verfügen, selbst eine bloß mittelbare regulative Bedeutung abzusprechen. Soweit es um die Art oder den Umfang von Informationen geht, die der Bieter bzw. die Organe der Zielgesellschaft zu erbringen haben, enthält das Gesetz eine Reihe spezieller Regelungen, die als abschließend anzusehen sind. So verpflichtet § 11 den Bieter nicht nur zur Aufnahme der in § 11 Abs. 2, 3 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO angeführten Standardangaben in die Angebotsunterlage, sondern verlangt in § 11 Abs. 1 Sätze 2–4 ganz allgemein, die Angebotsunterlage habe vollständig, richtig und verständlich über sämtliche Umstände zu informieren, die notwendig seien, um den Angebotsadressaten in die Lage zu versetzen, in Kenntnis der Sachlage über das Angebot zu entscheiden. Die Eingriffsbefugnisse der BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sind insoweit die geeigneteren Durchsetzungsmittel als die allgemeinen Anordnungsbefug-
1 Thoma/Stöcker in Baums/Thoma, § 18 Rz. 119; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 47 f. 2 Für § 27 tendenziell anders Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 15a. 3 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 27; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 20. 4 § 16 Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 30; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 27.
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nisse im Rahmen der Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1. Die Angebotspublizität auf der Grundlage der Angebotsunterlage wird durch weitere, im Zuge des Angebotsverfahrens eintretende Veröffentlichungspflichten des Bieters (wie etwa die nach § 23) ergänzt. Auf der Seite der Organe der Zielgesellschaft ist insbesondere auf die Pflicht des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zur Abgabe einer Stellungnahme (§ 27) hinzuweisen. 24
Abzulehnen ist die Auffassung, aus dem Zusammenspiel von § 3 Abs. 2 und dem Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 folge ein Gebot informationeller Gleichbehandlung der Angebotsadressaten etwa dergestalt, dass die einzelnen Adressaten des Angebots über das „Pflichtprogramm“ des WpÜG hinaus in nicht öffentlicher Weise gegebene Informationen unverzüglich zu veröffentlichen seien1. Noch weniger kann § 3 Abs. 2 dazu herangezogen werden, um den Bieter zu im WpÜG nicht vorgesehenen Mindeststandards für den eigentlichen Inhalt des Angebots zu zwingen2.
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Für den Fall, dass nach Veröffentlichung des Angebots und vor Ablauf der Annahmefrist neue Marktdaten oder sonstige relevante Informationen vorliegen, enthält das WpÜG keine spezifischen Aktualisierungspflichten. Ein großer Teil des Schrifttums leitet aus § 3 Abs. 2 i.V.m. §§ 11 und 12 eine Verpflichtung zur Aktualisierung der Angebotsunterlage her3. Das OLG Frankfurt hat eine Aktualisierungspflicht nur dann in Erwägung gezogen, wenn die Angebotsunterlage bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung unrichtig oder unvollständig war oder ergänzende Informationen in der Angebotsunterlage selbst als deren integraler Bestandteil angekündigt waren4. Der erste Fall, nämlich die Berichtigung des Angebots, ist in § 12 Abs. 3 Nr. 3 gesetzlich geregelt. Der zweite Fall, die Ankündigung ergänzender Informationen als Bestandteil des Angebots, würde ein explizit unvollständiges und damit unzulässiges, von der BaFin zu untersagendes Angebot darstellen. Die BaFin verneint innerhalb des von ihr zu überwachenden Verfahrens das Bestehen einer Aktualisierungspflicht. In den Angebotsunterlagen hat sich der Hinweis eingebürgert, dass der Bieter die Angebotsunterlage nur aktualisieren wird, soweit er dazu gesetzlich verpflichtet ist. Die BaFin beanstandet es nicht, wenn dieser Hinweis mit der Überschrift „Keine Aktualisierung“ versehen wird. Seit Inkrafttreten des WpÜG hat sich das Fehlen einer Aktualisierungspflicht nicht als wirklich drängendes Problem erwiesen.
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Das Problem als solches war bei Schaffung des WpÜG durchaus bekannt. Im Unterschied zum Prospektrecht (vgl. § 16 WpPG) wurde auf eine explizite Aktualisierungspflicht verzichtet. Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage beschränkt sich das weitere Programm auf die Stellungnahme der Organe der Zielgesellschaft (§ 27) und
1 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 10. Ablehnend, wie hier, auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 28. 2 Die Meinung von Santelmann, AG 2002, 497, 500 f. zu notwendigen Mindesterwerbsschwellen ist vereinzelt geblieben; anders die durchgängige Praxis und Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 27 sowie jetzt auch Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 10, § 29 Rz. 6. 3 § 12 Rz. 32; Möllers, ZGR 2002, 664, 673 ff.; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 49 ff., 53; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 40; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331 f., 1334; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 29 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 17; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 16 f.; Assmann, AG 2002, 153, 156 f.; Clasen, Die Pflichten des Bieters zur Sicherstellung der Aktualität der Angebotsunterlage nach dem WpÜG, 2006, S. 96 ff.; auf wenige Fälle beschränkt Stephan, AG 2003, 551, 555 ff.; a.A. Hamann, ZIP 2001, 2249, 2257. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 70/06, juris Rz. 65 f.
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die Wasserstandsmeldungen (§ 23). Das kann nur so verstanden werden, dass grundsätzlich während des Laufs der Annahmefrist keine spezifischen Informationspflichten bestehen, zumal das WpÜG kein Rücktrittsrecht vorsieht, das eine Reaktion auf neue Informationen erlauben würde. Im Fehlen einer Regelung mag man einen Widerspruch zu dem in § 3 Abs. 2 formulierten Grundsatz sehen, der Adressat des Angebots müsse über ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können, doch lässt sich weder die Planwidrigkeit dieser Regelungslücke noch die gebotene Art ihrer Schließung allein aus § 3 Abs. 2 ableiten1. Eine Lückenschließung im Weg der Analogie kommt jedenfalls bei Barangeboten nur in Grenzen – im Wesentlichen beschränkt auf neue Erkenntnisse zur Zahlungsfähigkeit des Bieters –, bei Umtauschangeboten weitergehend hinsichtlich der zum Tausch angebotenen Wertpapiere in Analogie zu den prospektrechtlichen Vorschriften in Betracht2. Der Bieter ist nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht verpflichtet, die Aktionäre und Angebotsadressaten über die wirtschaftliche Entwicklung der Zielgesellschaft auf dem Laufenden zu halten. Wenn der Bieter absieht, dass nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage weitere Informationen bekannt werden können, die für die Angebotsadressaten relevant sind, ist es ihm unbenommen, in der Angebotsunterlage darauf hinzuweisen und ggfs. auch anzukündigen, dazu Informationen künftig zu veröffentlichen. Das macht diese weiteren Informationen weder zum Inhalt der Angebotsunterlage noch macht es die Angebotsunterlage unvollständig – im Gegenteil, ein solcher Hinweis kann nach den Maßstäben von § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 sogar geboten sein. Für die Einzelheiten ist auf die Kommentierungen zu § 11 (§ 11 Rz. 42 ff.) und § 12 (§ 12 Rz. 30 ff.) zu verweisen3. Der in § 3 Abs. 2 anerkannte Anspruch der Angebotsadressaten, über ausreichende 27 Informationen zu verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können, kann mit den Geheimhaltungsinteressen namentlich des Bieters, u.U. (vgl. § 27) aber auch der Zielgesellschaft in Konflikt geraten4. Es versteht sich, dass der Bieter keine Geschäftsgeheimnisse in der Angebotsunterlage ausbreiten muss, die für die Adressaten zur Beurteilung des Angebots nicht erforderlich sind5. Das Gebot zu richtiger und vollständiger Information nach §§ 11, 12 wird dadurch allerdings nicht berührt, was zur Folge hat, dass die Angaben der Angebotsunterlagen, auch unter Berücksichtigung der der Geheimhaltung unterliegenden Tatsachen, nicht unrichtig oder unvollständig sein dürfen6. Für die Zielgesellschaft – die nicht die Möglichkeit hat, von dem Angebot Abstand zu nehmen – ist die Situation schwieriger. In der Praxis tauchen allerdings selten Probleme auf. Wenn die Zielgesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Stellungnahme nach § 27 von einer Selbstbefreiung
1 Tendenziell anders Clasen, Die Pflichten des Bieters zur Sicherstellung der Aktualität der Angebotsunterlage nach dem WpÜG, S. 98 f. 2 Stephan, AG 2003, 551 ff. 3 Soweit die ältere Literatur die Aktualisierungspflicht bejahte, das Erfordernis einer Billigung des Nachtrags durch die BaFin aber unter Hinweis auf die prospektrechtliche Situation verneinte, ist darauf hinzuweisen, dass nach Prospektrecht mittlerweile ein Billigungserfordernis besteht, § 16 Abs. 1 Satz 2 bis 4 WpPG. 4 Vgl. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 11. In der Sache ebenso für das ÜbG Huber/ Alscher in Huber, § 3 ÜbG Rz. 29. 5 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 30. 6 Vgl. zu den dazu vertretenen Meinungen Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 109, 120 f.; abzulehnen ist die Auffassung, es gebe einen Bereich nicht der Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 unterliegender, aber zur Haftung nach § 12 führender Angebotsunterlagen; so aber Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 30 a.E.
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nach § 15 Abs. 3 WpHG Gebrauch macht, kann ein schwer zu lösender Konflikt zwischen den Interessen der Gesellschaft an Geheimhaltung und der Aktionäre an Information bestehen, der nur von Fall zu Fall gelöst werden kann.
III. Rechtsfolgen bei Verstößen 28
Aus dem Gesagten folgt, dass selbständige Sanktionen für Verstöße gegen § 3 Abs. 2 nicht in Betracht kommen: Vorrangig ist immer die Normanwendung der verschiedenen Ausprägungen von § 3 Abs. 2 samt den in den jeweiligen Zusammenhängen bestehenden Sanktionen, wie beispielsweise Untersagung nach § 15 Abs. 1 oder Schadensersatz nach § 12. § 3 Abs. 2 ist kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB1.
D. Interessenwahrungsgrundsatz (§ 3 Abs. 3) I. Allgemeines 29
Gemäß § 3 Abs. 3 müssen Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft im Interesse der Zielgesellschaft handeln. Der Zweck der Vorschrift besteht in der Klarstellung, dass die gesellschaftsrechtlichen Pflichten dieser Organe während eines Angebotsverfahrens durch das WpÜG nicht suspendiert sind2. Die Vorschrift war bereits im DiskE enthalten und blieb während des Gesetzgebungsverfahrens unverändert. Sie steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1, das den Schutz der Aktionäre an der unbeeinträchtigten Möglichkeit zur Annahme des Angebots bezweckt, indem es dem Vorstand die Vornahme von Handlungen untersagt, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte (näher § 33 Rz. 57, 126, 145)3.
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Das gleiche Spannungsverhältnis kennzeichnet die Übernahmerichtlinie4. Ihr Art. 3 Abs. 1 lit. c) ordnet an, dass das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft „im Interesse der gesamten Gesellschaft“ handeln muss, aber den Inhabern von Wertpapieren nicht die Möglichkeit vorenthalten darf, das Angebot selbst zu beurteilen. Im Vereitelungsverbot des Art. 9 ist dieser allgemeine Grundsatz weiter präzisiert.
II. Anwendungsbereich 31
Der sachliche Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 ist dadurch eingeschränkt, dass ihm § 33 als lex specialis vorgeht, soweit die zu beurteilende Handlung des Vorstands den Erfolg des Übernahmeangebots verhindern könnte5. Die in § 3 Abs. 3 angeord-
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 12; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 35; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 15. 3 Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt durchaus gesehen; siehe Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 4 Zu diesem Spannungsverhältnis (auf der Grundlage des Richtlinienvorschlags 1997) Mülbert, IStR 1999, 83, 85 ff. 5 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 29; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 39; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 23; ebenso zum Parallelproblem in der Übernahmerichtlinie Krause, AG 1996, 209, 214; Mülbert, IStR 1999, 83, 85 ff.
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nete Bindung des Vorstands und Aufsichtsrats an das Interesse der Zielgesellschaft ist bei der Übernahmeabwehr allerdings insofern von Bedeutung, als der Aufsichtsrat den Vorstand vom Verhinderungsverbot nur dann befreien (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3) und der Vorstand Ausnahmen des Verhinderungsverbots (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 2) und Ermächtigungen des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 1 Alt. 3) bzw. der Hauptversammlung (nicht nur gemäß § 33 Abs. 2) nur dann nutzen darf, wenn dies im Interesse der Gesellschaft liegt (siehe § 33 Rz. 128 ff., 236 ff.). § 3 Abs. 3 liefert weiterhin den Prüfungsmaßstab dafür, ob Vorstand und Aufsichtsrat das Angebot eines Bieters fördern dürfen. Soweit die Förderungsmaßnahmen dem Interesse der Gesellschaft widersprechen, sind sie gemäß § 3 Abs. 3 unzulässig. § 33 steht dem nicht entgegen, weil sich aus ihm nicht herleiten lässt, dass das Angebot vor dem Interesse der Zielgesellschaft Vorrang genießt1. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 ist eröffnet, sobald der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots (bzw. die Tatsache des Kontrollerwerbs) veröffentlicht hat. Vorher findet das Gesetz insgesamt keine Anwendung (§ 1). Hieraus folgt, dass vor diesem Zeitpunkt ergriffene Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe ebenso wie Maßnahmen zur Förderung eines möglichen Angebots nicht an § 3 Abs. 3, sondern allein an aktienrechtlichen Grundsätzen zu messen sind (hierzu eingehend § 33 Rz. 243 ff.)2.
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III. Interesse der Zielgesellschaft 1. Position des WpÜG-Gesetzgebers Nach § 3 Abs. 3 sind Vorstand und Aufsichtsrat auf das Interesse der „Zielgesell- 33 schaft“ verpflichtet. Die Begründung des Regierungsentwurfs spricht davon, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Interesse des „Unternehmens“ handeln müssen und dabei „die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und die Interessen der Gesellschaft insgesamt“ zu berücksichtigen sind3. Mit dieser Erläuterung hat der Gesetzgeber des WpÜG weder einen neuen Verhaltensmaßstab eingeführt4 noch in der Diskussion um die Unternehmenszielvorgaben des Aktiengesetzes Position bezogen5. Wie die Begründungen sämtlicher Gesetzentwürfe erkennen lassen („stellt klar“), ging es dem Gesetzgeber lediglich um die Feststellung, dass die aktienrechtlichen Pflichten des Vorstands und Aufsichtsrats auch während des Angebotsverfahrens fortgelten6. Zur Verdeutlichung wurde in die Begründung des Referenten- und des Regierungsentwurfs die Erläuterung aufgenommen, dass die „allgemeinen gesell-
1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 37. 2 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 37. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35; die Begr. RegE zu § 27 Abs. 1, BT-Drucks. 14/7034, S. 52, nimmt darüber hinaus auf das Gemeinwohl Bezug. 4 A.A. von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 189 ff., 202 f., 269 (keine Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit). 5 Auch die Rechtsprechung verwendet die Begriffe nicht einheitlich; vgl. einerseits BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78 sowie 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 374; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331 („Unternehmensinteresse“); andererseits BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321 („Gesellschaftsinteresse“); noch anders BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, BGHZ 125, 239, 241, 243 f. = AG 1994, 276; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 139, 140 = AG 1997, 465 (Verwendung beider Begriffe). 6 Insoweit zweifelnd Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 19.
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schaftsrechtlichen Pflichten dieser Organe … durch das Gesetz nicht suspendiert“1 werden. Folglich bestimmt sich das in § 3 Abs. 3 angesprochene „Interesse der Zielgesellschaft“ nach aktienrechtlichen Maßstäben2. 2. Aktienrechtliche Maßstäbe 34
Bei der Konkretisierung der aktienrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten sind – anders nach den Maßstäben der Rechtsordnungen, die das Interesse der Gesellschaft weitgehend mit dem Interesse der Aktionäre gleichsetzen3 – das Interesse der Gesellschaft und das Interesse der Aktionäre zu unterscheiden. Das in § 3 Abs. 3 angesprochene Interesse der Zielgesellschaft ist nicht gleichzusetzen mit dem Interesse ihrer Aktionäre, zu einem möglichst hohen Preis an den Bieter verkaufen zu können.
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Im Aktiengesetz ist nicht angesprochen, was unter dem Gesellschaftsinteresse zu verstehen ist. Insbesondere § 76 Abs. 1 AktG, der dem Vorstand aufgibt, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten, liefert für die Erfüllung dieser Aufgabe keine Zielvorgaben. Weil der Gegenstand der Leitung das Unternehmen der Gesellschaft ist, sieht die ganz überwiegende Literatur den Vorstand an das „Unternehmensinteresse“ gebunden4. Dem ist zu folgen, soweit der Begriff des Unternehmensinteresses als sprachliche Abkürzung dafür dient, dass der Vorstand die in der Gesellschaft und ihrem Unternehmen zusammentreffenden Interessen sachgerecht wahrzunehmen hat5. Dagegen ist eine von der Gesellschaft verselbständigte Interessenträgerschaft des Unternehmens6 schon deshalb abzulehnen, weil es bisher nicht gelungen ist, einem in diesem Sinn verstandenen Unternehmensinteresse konsensfähige Konturen zu verleihen7.
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Die Formel des Unternehmensinteresses ist allerdings nur insoweit hilfreich, als die verschiedenen in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen gleichgerichtet sind. Sie versagt, wenn, wie bei Übernahmeangeboten, verschiedene Gruppen von Interessenträgern typischerweise unterschiedliche Interessen haben. Von der Rechtsprechung in völlig anderem Zusammenhang unternommene Konkretisierungsversuche – etwa dergestalt, dass der Vorstand für den Bestand des Unternehmens als Wirtschaftseinheit und somit für seine dauerhafte Rentabilität zu sorgen habe8 oder die durch das 1 Begr. RefE zu § 3 Abs. 3, abgedr. bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 407, 432; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 30; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 21; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 12; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 35; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 18; a.A. von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 189 ff., 204, 269 (mit dem Argument, dass dann die aktienrechtliche Neutralitätspflicht zur Geltung gelange). 3 Vgl. von Bonin, Leitung der Aktiengesellschaft, S. 217 f. 4 Hierzu Hüffer, § 76 AktG Rz. 15 m.w.N.; Kort, AG 2012, 605 ff. 5 Hüffer, § 76 AktG Rz. 15 m.w.N.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 40. 6 So aber Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 6 f., im Anschluss an die Lehre vom Aktienunternehmen; hierzu etwa Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Band I/1, 1983, S. 59; Schilling, ZHR 144 (1980), 136 ff. 7 Plastisch Zöllner, AG 2003, 2, 7; im Ergebnis ebenso Hüffer, § 76 AktG Rz. 15; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 39 f.; Mülbert, IStR 1999, 83, 84; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 24; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 31. 8 OLG Hamm v. 10.5.1995 – 8 U 59/94, AG 1995, 512, 514; Hüffer, § 76 AktG Rz. 13; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 18, 21; Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 8 Rz. 58; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 25.
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KonTraG1 kodifizierte Bestandssicherungspflicht (§ 91 Abs. 2 AktG) bei einer erforderlich werdenden Abwägung schwerer wiege als die Interessen der Minderheitsaktionäre2 – taugen wenig, um übernahmerechtliche Sachverhalte hierunter zu subsumieren. Eine Subsumtion des Verwaltungshandelns unter die Anforderungen von § 3 Abs. 3 ist umso schwieriger, je diffuser die von der Verwaltung zu verfolgenden Ziele und Interessen sind3 und je weniger Einigkeit über deren Bestand und Gewichtung besteht. Die aktienrechtliche Debatte konzentriert sich im Wesentlichen auf die Frage, ob und 37 in welchem Umfang die Unternehmensleitung über das durch den Verbandszweck4 vorgegebene formale Ziel der Gewinnerzielung hinaus auch zur Berücksichtigung anderer Interessen (etwa sozialer Aspekte5 sowie der Interessen von Arbeitnehmern6 und anderer stakeholder wie etwa Gläubiger, Zulieferer, Kunden und Gebietskörperschaften, in denen die Gesellschaft ihren Sitz genommen oder Produktionsstätten errichtet hat) verpflichtet ist7. Nach hergebrachter Auffassung, die sich allerdings nicht auf eine einheitliche Konzeption stützt, sondern in viele Varianten zerfällt, ist der Vorstand weder berechtigt noch verpflichtet, sich bei der Erfüllung seiner Leitungsaufgabe allein von Aktionärsinteressen leiten zu lassen8. Vielmehr bestehe seine Aufgabe (und seine Berechtigung) darin, durch Abwägung der gegenläufigen Interessen „praktische Konkordanz“9 herzustellen und so zu einer Entscheidung zu gelangen10. Dieser Auffassung ist auch die Regierungsbegründung zum WpÜG gefolgt11. 1 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. I 1998, 786. 2 BGH v. 9.2.1998 – II ZR 278/96 – Sachsenmilch, BGHZ 138, 71, 81 = AG 1998, 284, 285; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1442; W. Müller in FS Semler, 1993, S. 195, 208 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 25. 3 Zutreffend Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 87; ähnlich Hüffer, § 76 AktG Rz. 15. 4 Brändel in Großkomm. AktG, § 3 Rz. 27 f.; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 157 ff.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 141; Tröger, Treupflicht, S. 70; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 54 ff., 59 f.; a.A. Großmann, Unternehmensziele, S. 104 ff., 125 f. (keine Bindung der Leitungsorgane an inhaltlich-materielle Zielvorgaben, insbesondere nicht an den Verbandszweck). 5 Rathenau, Vom Aktienwesen, 1917, S. 34 ff., 38, 62; Mülbert, AG 2009, 766 ff. 6 Schilling, ZHR 144 (1980), 136, 142 f.; Ballerstedt, ZGR 1977, 136. 7 Dass die Berücksichtigung dieser Interessen nicht per se unzulässig ist, ist unstreitig; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rz. 88; Westermann, ZIP 1990, 771, 775; Rittner in FS Geßler, 1971, S. 139; Abeltshauser, Leitungshaftung, 1998, S. 196. 8 Ausführliche Darstellung des Streitstands bei Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 45 ff., 62 ff., 130 ff.; von Bonin, Leitung der Aktiengesellschaft, S. 92 ff.; vgl. aus der neueren Literatur Kort, AG 2012, 605 ff.; aus dem übernahmerechtlichen Schrifttum die Darstellung bei Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 31 ff. sowie aus der Rspr. beispielhaft BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01 – SSV Reutlingen, AG 2002, 347, 348 f. (Zulässigkeit von Sponsoring, „good corporate citizen“). 9 Hopt, ZGR 1993, 534, 536; auch der Gesetzgeber verwendet diese Formulierung, vgl. Begr. RegE zu § 27 Abs. 1, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 10 Hüffer, § 76 AktG Rz. 12b und 15h; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 805 f.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 64; im Ergebnis auch von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 196 ff., 203, 205. 11 BT-Drucks. 14/7034, S. 35: „Dabei sind die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und die Interessen der Gesellschaft insgesamt zu berücksichtigen“ – mit der „Gesellschaft insgesamt“ ist an dieser Stelle wohl die Aktiengesellschaft und nicht das Sozialgefüge als solches gemeint, vgl. weiter aaO S. 52 (zu § 27 Abs. 1): „Durch die Stellungnahme kommt der Vorstand seiner Verpflichtung zur sachgerechten Wahrnehmung der in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen nach, deren Träger neben den Aktionären die Arbeitnehmer und das Gemeinwohl sind und deren ggf. divergierenden (sic) Interessen im Wege praktischer Konkordanz auszugleichen sind.“
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Dieser pluralistische Ansatz hat nach jahrzehntelanger Diskussion keine konkreten Maßstäbe für das Vorstandshandeln in Konfliktfällen herausbilden können1 und war daher im Ergebnis eher geeignet, die Verantwortung des Vorstands aufzulösen als ihr Orientierung zu geben2. Die jüngere Diskussion wandte sich daher – aus der Sicht des Augenblicks des Jahres 2012 schon wieder vorübergehend – anderen Leitbildern des Vorstandshandelns wie etwa dem shareholder value, der Gewinnmaximierung oder der langfristigen Rentabilität zu, die – mit unterschiedlichen Akzenten – als Konkretisierung des Formalziels der Gewinnerzielung angesehen werden3. Nach diesen Stimmen ist der Verbandszweck vorrangig4. Die Interessen der Arbeitnehmer und der übrigen stakeholder dürfen und müssen im Rahmen des unternehmerischen Ermessens nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies für die Erreichung dieses Verbandszweckes erforderlich ist5. Lassen sich die Interessen der Arbeitnehmer und übrigen stakeholder dagegen mit dem Ziel der Gewinnerzielung nicht in Einklang bringen, dürfen sie nach dieser Auffassung nicht berücksichtigt werden6. Was dies für die Lösung des bei Übernahmeangeboten aufbrechenden „horizontalen“ Interessenkonflikts zwischen den Interessen der Aktionäre einerseits und der Arbeitnehmer und der übrigen stakeholder andererseits bedeutet7 und ob dieser Ansatz dem hergebrachten interessenpluralistischen Leitbild vorzuziehen ist8, ist bei weitem nicht ausdiskutiert.
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Ob die weitere Diskussion allerdings große Erkenntnisgewinne bringen wird, mag man bezweifeln. Jedes Handeln zugunsten gesellschaftlich anerkannter Drittinteressen kann mittelbar auch der Gesellschaft und ihrer Reputation und im Ergebnis den
1 Plastisch Mertens, AG 1990, 49, 54 (Unternehmensinteresse sei das „juristische Ei des Kolumbus“); kritisch ebenfalls Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 39 f.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 156 ff.; Zöllner, AG 2003, 2, 7 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 70 f. 2 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 87; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 46; Zöllner, AG 2003, 2, 7 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 70 f. 3 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 155; Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 51 ff.; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, § 3 Rz. 9; Brändel in Großkomm. AktG, § 3 Rz. 17; Zöllner in KölnKomm. AktG, § 179 Rz. 111, 115; Mülbert, Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, S. 157 ff.; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 61 ff.; von Bonin, Leitung der Aktiengesellschaft, S. 82 ff., 118 ff. 4 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 338 f., 625 ff.; Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 93; Schön, ZGR 1996, 429, 440; Mülbert, ZGR 1997, 129, 141 ff.; Heiser, Interessenkonflikte, S. 93 ff., 137 ff.; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 244 f.; Schlechtriem in Kreuzer (Hrsg.), Haftung der Leitungsorgane, 1991, S. 9, 38, 40 ff.; Zöllner, AG 2000, 145, 146 f.; von Bonin, Leitung der Aktiengesellschaft, S. 92 ff., 116 ff.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 24; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 3 Rz. 12; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 60, 66 ff.; ähnlich Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 64 (auf der Grundlage des interessenpluralistischen Ansatzes). 5 Zöllner, Stimmrechtsmacht, S. 67 ff.; Westermann, ZGR 1977, 223 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 625; Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 108; Pape, BB 2000, 711, 712. 6 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S 627 f. 7 Vgl. etwa Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 19 ff. (bei Übernahmeangebot nur Wahrung von Aktionärsinteressen); eingehend von Bonin, Leitung der Aktiengesellschaft, S. 436 ff., 448 ff. 8 Dafür Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 21; dagegen Kirchner, WM 2000, 1821, 1824 f.; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1426; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 23; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 25.
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Gewinnerzielungsinteressen der Aktionäre dienen1. Die Gewichtung und Beurteilung der Angemessenheit ist nicht Wissenschaft, sondern Kunst. Der Vorstand muss notwendigerweise die Einschätzungsprärogative haben. Dort, wo es wirklich darauf ankommt, nämlich bei der Haftung, hat sich die Diskussion im Rahmen der business judgment rule auf eine Mischung aus Verfahrenselementen und subjektiver Einschätzung verlagert: Wenn Vorstand und Aufsichtsrat „vernünftigerweise annehmen durfte[n], auf der Grundlage angemessener Information zum Wohl der Gesellschaft zu handeln“ (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, für den Aufsichtsrat anwendbar über § 116 Satz 1 AktG) und damit nach dem Maßstab des AktG bereits objektiv pflichtgemäß handelten, sind sie auch dem Maßstab von § 3 Abs. 3 gerecht geworden. Es versteht sich, dass dabei spezielle gesetzliche Verhaltensanforderungen, im vorliegenden Zusammenhang insbesondere gemäß § 33, beachtet werden müssen. 3. Überformung durch EU-Recht? Von einer Überlagerung oder gar Entscheidung dieser Streitfragen durch EU-Recht ist 40 nicht auszugehen. Die in Art. 3 Abs. 1 lit. c) Übernahmerichtlinie enthaltene Formel, dass das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft im Interesse der gesamten Gesellschaft handeln müsse und den Inhabern von Wertpapieren nicht die Möglichkeit der Beurteilung des Angebots vorenthalten dürfe, beschreibt lediglich das Spannungsverhältnis zu Art. 9, lässt aber mit der Bezugnahme auf das „Interesse der gesamten Gesellschaft“ offen, welches Gewicht den einzelnen in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen einzuräumen ist2. Die noch im Kommissionsvorschlag von 1997 (Art. 5 Abs. 1 lit. c)) enthaltene Wendung, dass das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft „bei seinem Vorgehen sämtliche Interessen der Gesellschaft, einschließlich der Beschäftigung, berücksichtigen“ muss, wurde nicht weiterverfolgt. Regelungsvorschläge der Kommission, Leitungsund Verwaltungsorgane auf „das Interesse des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer“ zu verpflichten3, waren nicht erfolgreich; die 5. Richtlinie wurde nie verabschiedet und die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft4 enthält sich einer Stellungnahme5. Auch die Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer konstituiert kein Rangverhältnis zwischen den Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und ggf. sonstigen Interessen6. Der Bericht der Kommission zur Anwendung der Übernahmerichtlinie vom 28.6.20127 verweist auf die verschiedenen betroffenen Interessen, ohne spezifische Schlussfolgerungen 1 Vgl. BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01 – SSV Reutlingen, AG 2002, 347, 348: Zulässig ist es, „… die soziale Akzeptanz der AG zu verbessern, sie als ‚good corporate citizen‘ darzustellen und dadurch indirekt ihr wirtschaftliches Fortkommen zu verbessern.“ 2 Hierzu ausführlich Mülbert, IStR 1999, 83, 84 ff. 3 Art. 74 Abs. 2 Dritter geänderter Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft vom 16.5.1991, ABl. EG Nr. C 176 v. 8.7.1991, S. 1, abgedr. bei Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Ziff. 16; Art. 10a Abs. 2, Art. 21q Abs. 2 Dritter geänderter Vorschlag für eine 5. Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts v. 20.11.1997, ABl. EG Nr. C 321 v. 12.12.1991, S. 9, abgedr. bei Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Ziff. 5. 4 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 5 In der Organisationsverfassung der monistisch verfassten SE ist dieses Thema überhaupt nicht angesprochen; für die dualistisch verfasste SE ist lediglich vorgesehen, dass das Leitungsorgan die Geschäfte der SE in eigener Verantwortung führt (Art. 39 Abs. 1 Satz 1). 6 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8.10.2001, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 22. 7 COM (2012) 347 final, Tz. 3.
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zu ziehen. Und schließlich betont das Grünbuch der Kommission von 2001 das Erfordernis der Einbeziehung sozialer Belange in die Unternehmensführung1.
IV. Rechte und Pflichten des Vorstands 1. Rechte und Pflichten im Vorfeld eines Angebots 41
Im Vorfeld eines Angebots, insbesondere eines Übernahmeangebots, kann der Vorstand im Rahmen seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung (§§ 76, 93 AktG) verpflichtet sein, Informationen über potenzielle Bieter einzuholen, um seine Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat und der Hauptversammlung erfüllen zu können2. Diese Pflicht kann jedoch erst dann entstehen, wenn dem Vorstand konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Angebot beabsichtigt ist (etwa nach Kontaktaufnahme durch den potenziellen Bieter). Weiter gehenden übernahmerechtlichen Informationsbeschaffungspflichten unterliegt der Vorstand nicht3. Dem Vorstand steht es frei, zur Planung der Konzernstrategie jederzeit, auch ohne Zusammenhang mit einem konkret anstehenden Übernahmeangebot, Informationen über potenzielle Investoren einzuholen.
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Der Umfang zulässiger Einflussnahme des Vorstands auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises und damit auch der Umfang aktiver Einwirkung auf das Zustandekommen oder das Nicht-Zustandekommen eines Angebots sind umstritten. Teilweise wird in unterschiedlicher Strenge die Auffassung vertreten, dem Vorstand sei es untersagt, auf Änderungen der Beteiligungsverhältnisse einzuwirken4. Ein umfassendes „Neutralitätsgebot“ dieses Inhalts kennt das Aktienrecht aber nicht. Dem Vorstand können vielmehr – unter Bindung an das Wohl der Gesellschaft – zahlreiche Entscheidungen übertragen werden, die auf die Beteiligungsverhältnisse einwirken5. Das gilt für den Rückerwerb eigener Aktien (§ 71 AktG), die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AktG) ebenso wie für die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts beim genehmigten Kapital (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG). Als zulässigen sachlichen Grund für den Bezugsrechtsausschluss hat die Rechtsprechung beispielsweise die Internationalisierung des Aktionärskreises anerkannt6. Im Übernahmerecht ist die Suche nach einem „White Knight“ ausdrücklich gestattet (§ 33 Abs. 1 Satz 2). Im aktienrechtlichen Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit, dass der Vorstand einem Kaufinteressenten Informationen über die Gesellschaft zugänglich machen darf (und damit implizit auf mögliche Veränderungen der Aktionärsstruktur Einfluss nimmt), wenn das durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist7. Die Fälle gesetzlich vorgesehener oder generell akzeptierter unmittelbarer oder mittelbarer Einflussnahmen sind so zahlreich und gewichtig, dass es 1 COM (2001) 366 endg. 2 Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1438; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 28; a.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 42; zur Informationserteilungspflicht des Bieters Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 419 ff. 3 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 28. 4 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 26; Mestmäcker, BB 1961, 945, 946 f.; Schilling in FS Hengeler, 1972, S. 226, 237 ff.; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 50 ff.; Hopt, ZGR 2002, 333, 360; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 129; W. Müller in FS Semler, 1993, S. 195, 212 f.; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1079 f.; Adams, AG 1990, 243, 245 f.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 35 ff.; Krause, AG 2000, 217 ff. 5 Grunewald, AG 2001, 286, 290. 6 BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, AG 1994, 276, 277 – Deutsche Bank. 7 Hüffer, § 93 AktG Rz. 8.
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Allgemeine Grundsätze
keinen Anlass für die Annahme eines Verbots der Einflussnahme jenseits dieser Fälle gibt. Der Vorstand darf hinsichtlich der Zusammensetzung der Aktionäre die Maßnahmen treffen, die dem Wohl der Gesellschaft dienen1. Das bedeutet, dass der Vorstand unter Umständen auch von sich aus nach einem Bieter für das Unternehmen suchen darf. Persönliche Interessen hat er dabei außer Betracht zu lassen2. 2. Geschäftsführung Die aktienrechtlichen Pflichten des Vorstands bleiben von der Ankündigung und Durchführung eines Angebots unberührt. Folglich ist der Vorstand auch nach der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10) zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet; in § 33 Abs. 1 Satz 2 ist dies ausdrücklich anerkannt. Soweit der Vorstand Maßnahmen ergreifen möchte, die über Handlungen im Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 2 hinausgehen, kann er gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 verpflichtet sein, die vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen. Wenn der Vorstand nach pflichtgemäßer Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass ein Angebot unmittelbar bevorsteht, kann er gemäß § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG verpflichtet sein, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu informieren3.
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3. Verschwiegenheitspflicht Während eines Angebotsverfahrens bleibt der Vorstand zur Verschwiegenheit über 44 vertrauliche Umstände und Geheimnisse der Gesellschaft verpflichtet (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG). Demnach darf der Vorstand weder dem Bieter noch den Aktionären Umstände offenbaren, deren Veröffentlichung erhebliche Nachteile für die Gesellschaft zur Folge hätte, selbst wenn diese Umstände für die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots maßgeblich sein können4. Diese Begrenzung des Informationsrechts der Aktionäre ist aus dem Rechtsgedanken des § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG herzuleiten. Die Verschwiegenheitspflicht kann sich etwa auf Verhandlungen mit Dritten über den Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmensteilen oder die dem Vorstand vertraulich zugeleiteten Informationen über ein bevorstehendes Übernahmeangebot oder auch Gespräche des Bieters mit der Zielgesellschaft im Vorfeld des Angebots erstrecken5. Die Verschwiegenheitspflicht wird allerdings vielfach rechtlich überlagert, so dass es in der Regel nicht zu unauflösbaren Konflikten kommt. Der Vorstand ist nach Maßgabe von § 15 WpHG verpflichtet, Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen. Da die Informationen, die für die Aktionäre bei ihrer Entscheidung über Annahme oder Ablehnung relevant sind, typischerweise den Wert der Aktien betreffen, ist ein Konflikt mit der Verschwiegenheitspflicht insoweit praktisch nur bei der Frage denkbar, ob und für wie lange in einer Übernahmesituation von einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3
1 So oder ähnlich Hüffer, § 76 AktG Rz. 15d; Fuchs in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 22 Rz. 111; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 12 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 57; die Unterschiede zu den Verfechtern eines Neutralitätsgebots sind im praktischen Ergebnis wohl eher gering, vgl. z.B. Hopt, ZGR 1993, 534, 547 f., 559 f. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 37 a.E. 3 Lammers, Verhaltenspflichten, S. 112 ff.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 29. 4 Herrmann, Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen, S. 90 ff.; zur Parallelproblematik bei § 27 siehe § 27 Rz. 50. 5 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 191; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1394; Herrmann, Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen, S. 90 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 30; Lammers, Verhaltenspflichten, S. 111.
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WpHG Gebrauch gemacht werden kann und ob die Selbstbefreiung auch den Inhalt der Stellungnahme nach § 27 beschränken kann1. 45
Im Verhältnis zum Bieter – auch einem konkurrierenden Bieter – gelten zunächst die allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen über die Bereitstellung von Informationen über das Unternehmen an potentielle Investoren. Die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG kann auch der Weitergabe von Informationen an einen konkurrierenden Bieter entgegenstehen2. Im Ausgangspunkt besteht weitgehend Einigkeit, dass der Vorstand Investoren Informationen zur Verfügung stellen kann, wenn das dem Gesellschaftsinteresse dient3. Die Orientierung am Gesellschaftsinteresse bedingt, dass ein strikter Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Weitergabe von Informationen nicht gelten kann4. Die Privilegierung der Suche nach einem konkurrierenden Angebot in § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 dispensiert ebenfalls nicht von der Bindung an das Gesellschaftsinteresse und ist keine eigenständiger Grund für die erweiterte Bereitstellung von Informationen (zur Weitergabe von Informationen an konkurrierende Bieter auch § 22 Rz. 94 ff.). 4. Abwehr von Gefahren für die Zielgesellschaft
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Zu den Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands gehört die Verpflichtung, Gefahren von der Zielgesellschaft fern zu halten, insbesondere wenn sie den Fortbestand der Gesellschaft gefährden (§ 91 Abs. 2 AktG). Hieraus folgt jedoch keine generelle Berechtigung, Abwehrmaßnahmen gegen ein aus Sicht des Vorstands oder Aufsichtsrats unerwünschtes Angebot unter Berufung auf die von ihm ausgehenden Gefahren für die Zielgesellschaft zu ergreifen5. Diesen Gefahren wäre zunächst mit dem aktienrechtlichen Instrumentarium (z.B. §§ 311 ff. AktG) zu begegnen, und dem Bieter kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, er werde sich nachhaltig gesetzeswidrig verhalten. Der zu erwartende Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit6, eine zu erwartende grundlegende wirtschaftliche Neuorientierung des Unternehmens der Zielgesellschaft7 (selbst wenn sie nach Auffassung des Vorstands nicht sinnvoll ist8)
1 Dazu Rz. 27. Allgemein zum Verhältnis zur Verschwiegenheitspflicht zu § 27 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 32; Plandaten müssen schon deshalb nicht generell offen gelegt werden, weil sie für den vernünftigen Anleger wenig Relevanz haben. Im Übrigen wird das Geheimhaltungsinteresse an Plandaten überschätzt, bei allen Maßnahmen mit Bewertung nach IDW S 1 erfolgt eine umfangreiche Offenlegung der Planung. 2 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1383 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 25. 3 Hüffer, § 93 AktG Rz. 8; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 213; Roschmann/Frey, AG 1996, 449; K. Mertens, AG 1997, 541; Schroeder, DB 1997, 2161; Ziemons, AG 1999, 492; K. J. Müller, NJW 2000, 3452; Stoffels, ZHR 165 (2001), 362; Linker/Zinger, NZG 2002, 497; bei gleichem Ausgangspunkt zu eng Lutter in FS Schippel, 1996, S. 455 ff. 4 Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 11; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 104 ff.; wohl auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 43; a.A. (Pflicht zur Gleichbehandlung aus § 33) Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 4; fernliegend Liekefett, AG 2005, 802, 806 ff., wonach gerade das Gesellschaftsinteresse die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Bieter erfordere. 5 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 32; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 37. 6 Vgl. Hopt, ZGR 1993, 534, 550 f. 7 Vgl. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 26; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 101; Hopt, ZGR 1993, 534, 553. 8 Vgl. Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392.
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oder die drohende Beeinträchtigung von Arbeitnehmer-1 oder Gemeinwohlinteressen2 können nicht per se eine Ausnahme vom Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 rechtfertigen, wohl aber für den Vorstand Anlass sein, das ihm nach § 33 Abs. 1 Satz 2 zur Verfügung stehende Repertoire – unter Bindung an das Gesellschaftsinteresse – auszuschöpfen. Dies gilt auch dann, wenn der Zielgesellschaft nach der Übernahme die Auflösung droht, weil diese Entscheidung jederzeit und ohne weitere Voraussetzungen von der Hauptversammlung getroffen werden kann3. Ob Tatbestände wie bevorstehende Gesetzesverstöße oder eine bevorstehende dauerhaft rechtswidrige Tätigkeit der Zielgesellschaft (etwa nach der Übernahme durch die Mafia), die vor Geltung des WpÜG als Ausnahme des Neutralitätsgebots diskutiert wurden, den Vorstand nach § 33 zu Abwehrmaßnahmen berechtigen, ist erfreulicherweise bisher eine eher theoretische Frage geblieben, kann aber nicht ernsthaft bestritten werden (näher § 33 Rz. 49, 52). Unter Umständen kann sich die Verpflichtung des Vorstands auf das Interesse der Gesellschaft zu der Pflicht verdichten, die Hauptversammlung einzuberufen (§ 121 Abs. 1 Fall 2 AktG) oder die Einberufung des Aufsichtsrats zu verlangen (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AktG), um die Zustimmung zu geeigneten Abwehrmaßnahmen zu erwirken4. 5. Pflichten gegenüber Arbeitnehmern Wegen der nicht selten weitreichenden Folgen einer erfolgreichen Übernahme für 47 die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft sieht das Gesetz die Verpflichtung des Vorstands zur Information des Betriebsrats oder, wenn ein solcher nicht besteht, der Arbeitnehmer über das Angebot (§§ 10 Abs. 5 Satz 2, 14 Abs. 4 Satz 2) und die Verpflichtung des Vorstands zu Veröffentlichung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 2) vor. Darüber hinaus sind zwei Vertreter der Arbeitnehmer als Mitglieder des bei der BaFin gebildeten Beirats an der öffentlich-rechtlichen Aufsicht von Angeboten nach dem WpÜG beteiligt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4). Eine Erweiterung oder Einschränkung individual- oder kollektivrechtlicher Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer aufgrund anderer Rechtsvorschriften ist damit nicht beabsichtigt. Vielmehr soll auch gegenüber den Arbeitnehmern die Transparenz geschaffen werden, die erforderlich ist, um ihnen die Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte zu ermöglichen5. Ohne eine ausdrückliche Normierung könnten derartige Pflichten bzw. Ansprüche der Arbeitnehmer aus den §§ 76, 93 AktG regelmäßig nicht hergeleitet werden6. Weitere Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern, insbesondere Informationspflichten, können sich aus Vorschriften des kollektiven Arbeitsrechts ergeben7. Die Vorschriften des WpÜG zur Information des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer gewähren Betriebsräten und Arbeitnehmern keine subjektiven Rechte, sondern besitzen wegen des vorrangig auf den Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts
1 Vgl. Hopt, ZGR 1993, 534, 552. 2 Vgl. Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392. 3 Hopt, ZGR 1993, 534, 550; wohl auch Assmann/Bozenhardt in Assmannn u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 114. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 32. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28, 40; Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 33. 6 Lammers, Verhaltenspflichten, S. 115 f.; van Aubel, Vorstandspflichten, S. 174 f.; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1397; Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 34. 7 Überblick bei Marsch-Barner in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 7 Rz. 226 ff.
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und mittelbar der Aktionärsinteressen1 gerichteten Zweckes gegenüber anderen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen (wie etwa dem KSchG oder dem BetrVG) eine Sonderstellung. Die Belange der Arbeitnehmer werden nicht durch individual- oder kollektivrechtliche Mitwirkungsrechte (die auf eine Beeinflussung der Entscheidung des Bieters, des Vorstands oder der Aktionäre der Zielgesellschaft abzielen), sondern durch ihre – durch öffentlich-rechtliche Sanktionen (§§ 4 Abs. 1, 60 Abs. 1) bewehrte – Teilhabe an der Information über das Angebot gewahrt2. Das Gesetz ist somit kein arbeitsrechtliches Schutzgesetz3. Forderungen der Gewerkschaften nach weiter gehender Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer und nach weiter gehenden Beteiligungsrechten4 blieben im Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt, um das gesetzgeberische Ziel, ein zügiges Angebotsverfahren zu schaffen und Unternehmensübernahmen nicht zu verhindern, nicht zu gefährden. 49
Mit diesem Ansatz folgt das WpÜG der auch im Umwandlungsgesetz maßgeblichen „Trennungstheorie“5, die den gesellschaftsrechtlichen Vorgang der Umwandlung und die in seiner Dokumentation enthaltenen arbeitsrechtlichen Angaben von den Individualrechten der Arbeitnehmer und den Beteiligungsrechten des Betriebsrats isoliert. Gegenüber dem Umwandlungsrecht und gegenüber mitbestimmungs- und betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten sieht das WpÜG eine Erweiterung des Adressatenkreises (Betriebsrat oder Arbeitnehmer) sowie die Pflicht des Vorstands zur Veröffentlichung der Stellungnahme des Betriebsrats oder der Arbeitnehmer vor. Im Ergebnis handelt es sich hierbei um eine arbeitsrechtliche Flankierung der übernahmerechtlichen Vorschriften, die der Tatsache Rechnung trägt, dass die Belange der Arbeitnehmer durch die Übernahme faktisch in besonderer Weise berührt sein können (wenn auch nicht müssen)6. Ob die gesetzliche Arbeitnehmerbeteiligung im WpÜG daneben zum Hintergrund hat, dass der wirtschaftliche Erfolg der Übernahme durch die aktive und wohlwollende Mitarbeit der Arbeitnehmer befördert werden kann7 und somit der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und der Wahrung der Interessen der Wertpapierinhaber dient8 (1. Aufl., Rz. 45) erscheint zweifelhaft. Die Beteiligungsrechte sind schließlich gerade auch für den Fall da, dass die Arbeitnehmervertretungen sich gegen die Übernahme stellen wollen (welchen Erfolg das auch immer versprechen mag). 6. Pflichten nach Erfolg eines Übernahmeangebots
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Wenn ein Übernahmeangebot erfolgreich gewesen ist, hat der Vorstand unter Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Kontrolle möglichst reibungslos in die Hände des Bieters übergeht9. Solange kein Beherrschungsvertrag mit dem Bieter geschlossen und in Kraft gesetzt worden ist, bleibt der 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 27 f. 2 Grobys in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 36; a.A. wohl Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 98. 3 Grobys in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 36; Grobys, NZA 2002, 1, 6; Seibt, DB 2002, 529, 535 f. 4 Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmensübernahmen vom 11.10.2000, S. 3 ff. 5 Willemsen, NZA 1996, 791, 795 ff. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 3 Rz. 11. 7 Berger, Die Bank 2000, 558, 562 f. 8 Grobys in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 37; a.A. offenbar Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 75. 9 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 131; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1400; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 40.
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Vorstand auch nach dem Kontrollwechsel zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft verpflichtet.
V. Pflichten des Aufsichtsrats Auch der Aufsichtsrat unterliegt während des Angebotsverfahrens weiter seinen 51 aktienrechtlichen Verpflichtungen. Insbesondere hat er den Vorstand zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG) und gegebenenfalls Berichte über den Ablauf des (Übernahme-)Verfahrens anzufordern (§ 90 AktG)1. Außerdem ist der Aufsichtsrat zur Abgabe einer Stellungnahme zu dem Angebot verpflichtet (§ 27 Abs. 1). Bei der Abwehr feindlicher Übernahmeangebote ist der Aufsichtsrat je nach Art der Abwehrmaßnahme in die Entscheidung über die Maßnahme einzubeziehen (§ 33 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 4). Die Geschäftsführung kann der Aufsichtsrat nicht an sich ziehen, und zwar auch nicht in der „Ausnahmesituation“ der drohenden Übernahme2. Die Anordnung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ist im aktienrechtlich zulässigen Umfang möglich und damit nach herrschender Auffassung grundsätzlich auch ad hoc für ein Einzelgeschäft3. Unzulässig wäre allerdings die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts für die Stellungnahme des Vorstands nach § 27 Abs. 1 Satz 1, denn dort muss es dem Vorstand möglich sein, gerade auch eine von der Sicht des Aufsichtsrats abweichende Meinung zu äußern. Während des Übernahmeverfahrens bleiben die Mitglieder des Aufsichtsrats zur Ver- 52 schwiegenheit verpflichtet (§ 116 Satz 2 AktG). Dies gilt auch für die Arbeitnehmervertreter sowie ferner für solche Aufsichtsratsmitglieder, die Organmitglieder oder Arbeitnehmer des Bieters sind oder in sonstiger Weise dem Lager des Bieters zugerechnet werden müssen. Die Weitergabe von vertraulichen Informationen aus dem Aufsichtsrat der Zielgesellschaft in das Lager des Bieters ist mit dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit des Aufsichtsratsmandats nicht vereinbar4. Die Verschwiegenheitspflicht korrespondiert mit der Befugnis, gemäß § 90 AktG Berichte des Vorstands anzufordern und entgegenzunehmen und im Rahmen der Überwachungspflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG Auskünfte zum Vorstand einzuholen. Im Einzelfall können sich hier schwer lösbare Interessenskonflikte ergeben5.
VI. Rechtsfolgen bei Verstößen Da die Bindung an das Interesse der Zielgesellschaft auf die aktienrechtliche Pflichtenlage rekurriert (dazu Rz. 33), können sich Rechtsfolgen für Verstöße aus den aktienrechtlichen Vorschriften ergeben. Insbesondere können sich Vorstand und Auf-
1 Lammers, Verhaltenspflichten, S. 112 ff., 193 ff.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 38. 2 Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1444; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 38. 3 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 110, 127 = AG 1994, 124, 127; OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 1717/77, WM 1979, 1296, 1300; Hüffer, § 111 AktG Rz. 18. 4 Hüffer, § 116 AktG Rz. 5, 7; Hirte/Schander in von Rosen/Seifert, Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 341, 369. 5 Hierzu Ulmer, NJW 1980, 1603; Lutter, ZHR 145 (1981), 224; Lutter in FS Beusch, 1993, S. 509; Matthiessen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989, S. 181 ff.; Dreher, JZ 1990, 896; Deckert, DZWIR 1996, 406; Heermann, WM 1997, 1689; Herkenroth, AG 2001, 33; Deutscher Corporate Governance Kodex, Fassung vom 15. Mai 2012, Ziffern 5.5.2 und 5.5.3.
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sichtsrat nach §§ 93, 116 AktG schadensersatzpflichtig machen. § 3 Abs. 3 ist kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB1.
E. Beschleunigungsgrundsatz (§ 3 Abs. 4) 54
Der Beschleunigungsgrundsatz des § 3 Abs. 4 formuliert in seinem Satz 2 das Ziel, um dessentwillen das Angebotsverfahren gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 rasch durchzuführen ist: die Vermeidung einer Behinderung der Zielgesellschaft in ihrer Geschäftstätigkeit über das Maß hinaus, welches mit der Durchführung eines öffentlichen Angebots notwendigerweise verbunden und deshalb hinzunehmen ist2. Darüber hinaus liegt die rasche Durchführung eines Angebotsverfahrens aber auch im Interesse des Bieters, der vom Angebot angesprochenen Wertpapierinhaber und des Publikums, welchen allesamt daran gelegen sein muss, dass die durch öffentliche Erwerbs- und Übernahmeangebote geschaffene Ausnahmesituation nicht länger anhält als es erforderlich ist, um allen Beteiligten eine angemessene Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen und gesetzlichen Pflichten zu ermöglichen.
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Jedes öffentliche Angebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, gleich welcher der vom WpÜG erfassten Angebotsformen es zuzurechnen ist, stellt, da es die Anteilseignerstruktur der Gesellschaft berührt und diesbezüglich in einen „Schwebezustand“3 mündet, eine Ausnahmesituation für das betroffene Unternehmen dar und wirkt sich damit auch zwangsläufig auf seine allgemeine Geschäftstätigkeit aus. Schon mit einfachen Wertpapiererwerbsangeboten i.S.d. §§ 2 Abs. 1, 10 ff. gehen zusätzliche Belastungen der Organe der Zielgesellschaft einher, die sich mit dem Angebot auseinander zu setzen und nach § 27 eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot abzugeben haben. Ist das Angebot ein Übernahmeangebot i.S.d. § 29, sind die Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf der Zielgesellschaft noch weitaus gravierender: Der mögliche Verlust der unternehmerischen Selbständigkeit oder der Kontrollwechsel bedingen eine neue Bewertung der Situation durch Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter der Zielgesellschaft, durch die Märkte, auf denen sie tätig ist, ebenso wie die Kapitalmärkte. Die Organe der Zielgesellschaft, namentlich der Vorstand, unterliegen nunmehr besonderem Druck, in oft eher kurzer Zeit die bisherige Aufstellung der Gesellschaft und die Unternehmensstrategie einer Prüfung auf mögliche Auswirkungen der Übernahme zu unterziehen und zu einer positiven oder negativen Bewertung zu gelangen. Soweit diese Analyse in Abwehrmaßnahmen mündet, hat der Vorstand die in § 33 gezogenen rechtlichen Grenzen zu beachten. Damit können besondere Anforderungen an den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung der Zielgesellschaft verbunden sein.
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Ausnahmesituationen der geschilderten Art4 sind, zur Vermeidung insbesondere von Nachteilen für die Zielgesellschaft, vor allem zeitlich auf einen Umfang zu beschränken, der für die ordnungsgemäße Durchführung eines Angebots erforderlich ist. Dabei sind allerdings nicht nur die Interessen der Zielgesellschaft, sondern auch die des Bieters, konkurrierender Bieter und der Angebotsadressaten zu berücksichtigen, wie 1 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 62; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58. 2 In diesem Teil (d.h. in Satz 2) folgt der in Abs. 4 niedergelegte Grundsatz Art. 5 Abs. 1 lit. e) ÜA-RiLiVo und Art. 3 Abs. 1 lit. f) ÜA-GemStp und entspricht Art. 3 Abs. 1 lit. f) der Übernahmerichtlinie. 3 Siehe dazu auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35. 4 Siehe zu diesen auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 29, 35.
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sie namentlich in dem in § 3 Abs. 2 niedergelegten Grundsatz ihre Anerkennung gefunden haben. Der potenzielle Konflikt zwischen einzelnen der in § 3 formulierten Grundsätzen braucht zu Zwecken der Anwendung des WpÜG indes nicht auf der Ebene der Grundsätze selbst geführt zu werden, denn auch der Beschleunigungsgrundsatz des § 3 Abs. 4 vermag wohl schwerlich Verhaltenspflichten zu generieren, die über diejenigen hinaus gehen, die das Gesetz bereits als Ausprägung des Grundsatzes und in Abwägung mit anderen Grundsätzen formuliert hat1. Diesbezüglich ist vor allem auf zwei, den Beschleunigungsgrundsatz umsetzende Regelungsmuster des Gesetzes hinzuweisen: zum einen auf die zahlreichen Bestimmungen, die „unverzügliches“ Handeln, überwiegend des Bieters, verlangen2, und den Betroffenen, zu denen auch die Aufsichtsbehörde gehört, klare gesetzliche Zeitlimits setzen; und zum anderen auf die auf einen Rechtszug beschränkte Ausgestaltung des Rechtswegs zur Überprüfung von Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, die sich als Kompromiss zwischen den Rechtsschutzinteressen der von solchen Maßnahmen Betroffenen und den Interessen anderer Beteiligter an der beschleunigten Verfahrensdurchführung3 sowie an der Vermeidung rechtsstreitbedingter „Hängepartien“ versteht.
57
Neben den einer raschen Verfahrensdurchführung dienenden Regelungen bezweckt 58 auch § 26 u.a. den Schutz der geregelten Geschäftstätigkeit. Die in dieser Vorschrift dem mit einem Wertpapiererwerbs- oder Übernahmeangebot gescheiterten Bieter auferlegte einjährige Angebotssperre soll die Zielgesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Erwerbs- oder Übernahmeangebots waren, davor schützen, schon kurz nach der Untersagung oder des Scheiterns eines Angebots zum Ziel eines neuerlichen Angebots desselben Bieters zu werden. Aus alledem folgt, dass es sich bei dem Beschleunigungsgrundsatz um einen für die 59 Auslegung4 unbestimmter Rechtsbegriffe und für die Ausübung von Ermessensentscheidungen der Aufsichtsbehörde5 relevanten Grundsatz handeln mag, der jedoch einer unmittelbaren Anwendung auf Übernahmesachverhalte nicht zugänglich ist6. Soweit der zeitliche Rahmen des Gesetzes den Beteiligten Spielräume gewährt, können diese Spielräume nicht durch Bezugnahme auf das Beschleunigungsgebot eingeschränkt werden. Insbesondere ist der Bieter in der Wahl der Annahmefrist innerhalb der durch § 16 Abs. 1 gezogenen Grenzen frei7. Weder ist § 3 Abs. 4 Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB8, noch kann die Schutzgesetzeigenschaft von Vorschriften, die als Ausprägungen des in § 3 Abs. 4 niedergelegten allgemeinen Grundsatzes angesehen werden können, aus § 3 Abs. 4 hergeleitet werden9.
1 Böckmann/Kießling, BB 2007, 1796, 1800 möchten aus § 3 Abs. 4 die Möglichkeit der BaFin nach § 4 Abs. 2, das Aufschaukeln konkurrierender Angebote zu begrenzen, herleiten. 2 Der Begriff „unverzüglich“ gehört zu den vom WpÜG am meisten gebrauchten Begriffen. Das Gesetz verwendet ihn in nicht weniger als 29 Fällen. 3 So Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 29. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 2 Rz. 29. 5 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 44. 6 Vgl. Rz. 2 f.; ebenso Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 33 („rein deklaratorische Bedeutung“); Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 48. A.A. aber wohl Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 10. 7 Oben Rz. 3, 22; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 3. 8 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 62; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58. 9 Siehe oben Rz. 4. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 29.
Assmann/Stephan
155
§3
Allgemeine Grundsätze
F. Grundsatz der Vermeidung von Marktverzerrungen (§ 3 Abs. 5) I. Marktverzerrungsverbot als Gegenstand des Grundsatzes 60
§ 3 Abs. 5 entspricht weitgehend dem ursprünglichen Vorschlag einer Übernahmeangebotsrichtlinie vom 7.2.19961. Die in Art. 5 Abs. 1 lit. d) ÜA-RiLiVo, Art. 3 Abs. 1 lit. d) ÜA-GemStp und auch in Art. 3 Abs. 1 lit. d) der Übernahmerichtlinie enthaltenen Zusätze2 werden von ihm nicht übernommen. Nach der Bestimmung dürfen beim Handel mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften keine Marktverzerrungen geschaffen werden. Dadurch soll vermieden werden, dass diesem Grundsatz zuwiderlaufende „marktverzerrende“ Maßnahmen die Angebotsadressaten zu sachlich ungerechtfertigten Entscheidungen veranlassen3. Marktverzerrende Maßnahmen sind darüber hinaus aber auch geeignet, die Anteilsinhaber der Bietergesellschaft und anderer mittelbar von dem Angebot betroffener Gesellschaften zu schädigen, die Interessen der von den Maßnahmen berührten Gesellschaften zu beeinträchtigen und das Vertrauen des Publikums in die Integrität der Wertpapiermärkte zu verletzen.
61
Wie bei den anderen allgemeinen Grundsätzen finden sich auch im Hinblick auf den in § 3 Abs. 5 niedergelegten Grundsatz, entgegen verbreiteter Ansicht4, spezielle Ausprägungen im Gesetz selbst, wie etwa in dem Angebotsvereitelungsverbot der §§ 33 Abs. 1 Satz 1, 60 Abs. 1 Nr. 8 oder im Hinblick auf die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3, derzufolge eine Befreiung von der Pflicht des Bieters zur Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots nur erteilt werden darf, wenn der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass dadurch Marktverzerrungen nicht zu befürchten sind. Ausprägungen5 des Grundsatzes finden sich aber vor allem außerhalb des WpÜG, etwa in Gestalt des Insiderhandelsverbots nach §§ 14, 38 Abs. 1 und 2 WpHG und des Marktmanipulationsverbots des § 20a WpHG6.
62
Ähnlich wie in den § 3 Abs. 1–4 formulierten Grundsätzen ist auch bei § 3 Abs. 5 ein direkter Anwendungsbereich neben den zahlreichen spezialgesetzlichen Regelungen insbesondere des WpHG kaum ersichtlich7. Konkretisierungen eines autonomen Anwendungsbereichs von § 3 Abs. 5 sind in den zehn Jahren seit Inkrafttreten des WpÜG nicht bekannt geworden.
1 ABl. EG Nr. C 162 v. 6.6.1996, S. 5. 2 Art. 5 Abs. 1 lit. d) ÜA-RiLiVo enthielt den Zusatz: „… dürfen keine Marktverzerrungen dahingehend geschaffen werden, dass eine künstliche Hausse oder Baisse der Wertpapiere entsteht und das normale Funktionieren der Märkte gestört wird.“ Art. 3 Abs. 1 lit. d) ÜAGemStp und Art. 3 Abs. 1 lit. d) der Übernahmerichtlinie enthielt bzw. enthält den Zusatz „… dürfen keine Marktverzerrungen durch künstliche Beeinflussung der Wertpapierkurse und durch Verfälschung des normalen Funktionierens der Märkte herbeigeführt werden.“ 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35. 4 Etwa Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 36; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 52. 5 So auch die Qualifizierung der nachfolgend angeführten Vorschriften in der Begr. RegE, BTDrucks. 14/7034, S. 35. 6 Siehe dazu die Erläuterungen zu den vorgenannten Vorschriften von Assmann bzw. Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.), WpHG. Zu den sich aus diesen sowie aus § 3 Abs. 5 ergebenden Verhaltenspflichten im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten siehe Assmann, ZGR 2002, 721 ff. 7 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 36; a.A. 1. Aufl., Rz. 57; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 52.
156 Assmann/Stephan
§3
Allgemeine Grundsätze
II. Elemente des Marktverzerrungsverbots Adressaten des Marktverzerrungsverbots des § 3 Abs. 5 sind nicht nur Verfahrensbeteiligte, sondern all jene, die – wie natürliche und juristische Personen sowie Personengemeinschaften – beim Handel mit Wertpapieren der in der Vorschrift genannten Gesellschaften Marktverzerrung hervorrufen können.
63
Die Bestimmung umfasst jede Marktverzerrung, die unmittelbar aus dem Handel 64 mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften, d.h. dem Erwerb oder der Veräußerung solcher Papiere, hervorgeht1. Handlungen, die lediglich geeignet sind, Marktverzerrungen mit sich zu bringen, sind dem Wortlaut nach von der Vorschrift nicht erfasst2. Wäre anderes gewollt gewesen, hätte der Gesetzgeber dies, wie etwa in § 13 Abs. 1 WpHG bei der Definition der Insidertatsache oder in § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. bei der Umschreibung ad-hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen, ohne weiteres zum Ausdruck bringen können. Das bedeutet, dass von § 3 Abs. 5 nur solche Handlungen erfasst sind, die tatsächlich zu einer Marktverzerrung führen, wie immer man diese umschreiben mag. Dem Anliegen, auch generell zur Marktverzerrung geeignete Handlungen zu erfassen, kann jedoch – siehe dazu unten Rz. 66 – bei der Umschreibung des Begriffs der Marktverzerrung nachgekommen werden. Dabei kommen auch Handlungen in Betracht, die in einem Zeitpunkt erfolgen, der vor der zu veröffentlichenden Entscheidung zur Abgabe eines Angebots als dem Einsatzpunkt der Regelungen des WpÜG liegt3, doch spielen diese, da Marktverzerrungen i.S.v. § 3 Abs. 5 nur im Rahmen der Missstandsaufsicht durch die BaFin sanktioniert werden können, nur insoweit eine Rolle, als es um Vorgänge geht, die bereits der Missbrauchsaufsicht durch die BaFin unterliegen. Dies wird regelmäßig erst mit der Mitteilungsund Veröffentlichungspflichten nach § 10 auslösenden Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der Fall sein. Handlungen, wie etwa die Verbreitung fehlerhafter Informationen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Erwerbs- oder Veräußerungsvorgang stehen, werden nicht erfasst4. Dafür, dass § 3 Abs. 5 ein subjektives Element aufweist und nur solche Handlungen untersagen will, die in dem Bewusstsein der Möglichkeit durchgeführt werden, dass sie den Kurs der Wertpapiere beeinflussen werden5, gibt die Vorschrift nichts her. Allerdings sind Fälle einer rein objektiven „Marktverzerrung“ eher schwer vorstellbar.
65
Weder in § 3 Abs. 5 noch an einer anderen Stelle des WpÜG oder eines sonstigen Ge- 66 setzes finden sich Anhaltspunkte, die unmittelbar zum Zwecke einer allgemeinen Umschreibung des untersagten Verhaltens herangezogen werden können. Die Ver-
1 Ähnlich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 31; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 53 ff. A.A. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 54 f., denen zufolge jede Handlung erfasst sein soll, sofern sie sich nur direkt oder indirekt (Rz. 55) „beim Handel“ mit Wertpapieren der in § 3 Abs. 5 genannten Unternehmen auswirkt (Rz. 54). 2 Anders, unter Berufung auf den (diesen Schluss nicht zwingend erlaubenden) Zweck des Gesetzes, Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 31. 3 Dagegen wohl Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 3 WpÜG Rz. 24 (nur in „krassen Ausnahmefällen“; keine Vorverlagerung von Bieterpflichten). 4 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 31; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 54. 5 So aber Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 55, unter Anknüpfung an den Begriff der „Schaffung“ von Marktverzerrungen; auch Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 54.
Assmann/Stephan
157
§3
Allgemeine Grundsätze
wendung des Begriffs der Marktverzerrung in europäischen Rechtsakten1 oder den Regelungen anderer europäischer Länder2 ist nur in Maßen hilfreich und ist vor allem nicht mit dem Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung von § 3 Abs. 5 unter Berücksichtigung vergleichbarer Regelungen in anderen Mitgliedstaaten der EU verbunden. Das zwingt indes nicht dazu, einen dem deutschen Recht bislang so nicht bekannten allgemeinen Begriff der Marktverzerrung als Grundlage eines diesem bislang ebenso wenig bekannten allgemeinen Marktverzerrungsverbots entwickeln zu müssen. Vielmehr ist zu beachten, dass § 3 Abs. 5 nur solche Marktverzerrungen zu erfassen beabsichtigt, die einerseits aus dem Handel mit Wertpapieren (und den sich hierdurch einstellenden Marktpreisen) resultieren (siehe oben Rz. 64) und die sich andererseits auf das Angebotsverfahren auswirken, über dessen Erfolg allein die Angebotsadressaten „in Kenntnis der Sachlage“ entscheiden sollen (§ 3 Abs. 2). Im Hinblick darauf wird man als marktverzerrend i.S.d. § 3 Abs. 5 nur solches Verhalten anzusehen haben, das auf Grund des Handels mit Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften über die Vorteilhaftigkeit der Gegenleistung für ein eigenes oder fremdes öffentliches An- oder Verkaufsangebot eines Vermögenswerts irreführt. Das bedeutet, Marktverzerrungen nicht durch einen Vergleich der tatsächlichen mit der hypothetischen Marktentwicklung (ohne das verzerrende Verhalten)3, sondern durch die Umschreibung eines Verhaltens – der Irreführung – zu bestimmen. Dabei legt der Begriff der Verzerrung nahe, nur solche Irreführungshandlungen zu erfassen, die den Markt spürbar zu beeinflussen und so zur Täuschung der Angebotsadressaten über die Preiswürdigkeit eines Angebots beizutragen geeignet sind4. 67
Marktverzerrend im vorstehenden Sinne können beispielsweise Verkäufe von Wertpapieren der Zielgesellschaft durch den Bieter sein, wenn und soweit diese den Börsenkurs der vom Angebot betroffenen Wertpapiere der Zielgesellschaft verringern und so das Angebot als besonders günstig erscheinen lassen. Das gilt erst recht, wenn der Bieter bzw. mit diesem gemeinsam oder abgestimmt handelnde Personen zur Verstärkung dieses Effekte „eigene“ Aktien bzw. Wertpapiere der Bietergesellschaft erwerben. Darüber hinaus kommt als marktverzerrend auch der Insiderhandel in Wertpapieren der Zielgesellschaft oder der Bietergesellschaft i.S.d. § 14 WpHG sowie ein diese Papiere betreffendes kurs- und marktmanipulatives Verhalten i.S.d. § 20a WpHG in Betracht.
68
Insgesamt erscheint es angesichts dieses Befunds wenig sinnvoll, den stärker konturierten Vorschriften des WpHG ein eigenständiges „Marktverzerrungsverbot“ des WpÜG an die Seite zu stellen. Auch hier sind in den zehn Jahren des Bestehens des WpÜG keine Fälle bekannt geworden, die auf eine durch das WpHG nicht angemessen abgedeckte Schutzlücke hindeuten würden. Falls die BaFin je erwöge, einer übernahmerechtlichen „Marktverzerrung“ mit den Mitteln von § 4 entgegenzutreten, 1 Art. 5 Abs. 1 lit. d) ÜA-RiLiVo („Marktverzerrungen dahingehend …, dass eine künstliche Hausse oder Baisse der Wertpapierkurse entsteht und das normale Funktionieren der Märkte gestört wird“) bzw. Art. 3 Abs. 1 lit. d) ÜA-GemStp („Marktverzerrungen durch künstliche Beeinflussung der Wertpapierkurse und durch Verfälschung des normalen Funktionierens der Märkte“). 2 Siehe insbesondere § 5 Abs. 2 ÜbG und Rule 2.2 City Code („untoward price movement“). 3 So der durchaus nahe liegende und derzeit wohl am meisten verbreitete Ansatz. Siehe etwa Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 3 Rz. 33. Vielfach wird aber auch ganz auf eine Begriffsbestimmung zugunsten der Anführung von Beispielsfällen verzichtet. 4 Für den Einzug einer Erheblichkeitsschwelle wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 3 Rz. 33; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 55.
158 Assmann/Stephan
§3
Allgemeine Grundsätze
würde sie sich eng an die Insiderhandelsverbote und vor allem an das Verbot der Marktmanipulation anzulehnen haben.
III. Rechtsfolgen bei Verstößen Verletzungen lösen keine unmittelbaren Sanktionen aus und können von der BaFin lediglich in der Weise geahndet werden, dass die BaFin nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Anordnungen trifft, die geeignet und erforderlich sind, die Marktverzerrung zu verhindern oder zu beseitigen1. § 3 Abs. 5 ist kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB2.
1 Assmann, AG 2002, 114, 116; Assmann, ZGR 2002, 697, 722; Baums/Hecker in Baums/ Thoma, § 3 Rz. 52; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 59. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 62; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 58; so auch BGH v. 13.12.2011 – XI ZR 51/10 – IKB, AG 2012, 209, 210 ff. zu § 20a WpHG.
Assmann/Stephan
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69
Abschnitt 2 Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht §4 Aufgaben und Befugnisse (1) Die Bundesanstalt übt die Aufsicht bei Angeboten nach den Vorschriften dieses Gesetzes aus. Sie hat im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben Missständen entgegenzuwirken, welche die ordnungsmäßige Durchführung des Verfahrens beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können. Die Bundesanstalt kann Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, diese Missstände zu beseitigen oder zu verhindern. (2) Die Bundesanstalt nimmt die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen und Normentwicklung
1
B. Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . .
5
I. Aufsicht nach Maßgabe der Vorschriften des WpÜG (§ 4 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
II. Missstandsaufsicht (§ 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1. Aufgabe der Missstandsaufsicht und Missstandsbegriff (§ 4 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnungsbefugnisse (§ 4 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Recht auf Tätigwerden der Bundesanstalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wahrnehmung der Aufgaben im öffentlichen Interesse (§ 4 Abs. 2) . .
9 16 24
1. Ausschluss von Ansprüchen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Korrekturversuche . . . . . . . . . . . . . . a) Korrektur durch Auslegung . . . . . b) Verfassungskonformität des § 4 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Ansprüche Dritter aufgrund EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . 4. Aufforderungen an die Bundesanstalt zum Tätigwerden . . . . . . . . .
25 31 32 34 39 41
C. Organisation und Kommunikation. 42 I. Organisation der Aufgaben . . . . . . . 42 II. Kommunikation mit der Bundesanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
25
Schrifttum: Aha, Rechtsschutz der Zielgesellschaft bei mangelhaften Übernahmeangeboten, AG 2002, 160; Cahn, Verwaltungsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Übernahmerecht und Rechtsschutz Betroffener, ZHR 167 (2003), 262; Gratias, Bankenaufsicht, Einlegerschutz und Staatshaftung, NJW 2000, 786; Geerlings, Staatshaftung und Bankenaufsicht in Deutschland, BKR 2003, 889; Ihrig, Rechtsschutz Drittbetroffener im Übernahmerecht, ZHR 167 (2003), 315; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Lenz/Linke, Die Handhabung des WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361; Pohlmann, Rechtsschutz der Aktionäre der Zielgesellschaft im Wertpapiererwerbs- und Übernahmeverfahren, ZGR 2007, 1; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM 2000, Sonderbeil. 2; Schnorbus, Drittklagen im Übernahmeverfahren, ZHR 166 (2002), 72; Seibt, Rechtsschutz im Übernahmerecht, ZIP 2003, 1865. Siehe im Übrigen das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
160 Döhmel
§4
Aufgaben und Befugnisse
A. Grundlagen und Normentwicklung Die Überwachung der Einhaltung und die Durchsetzung der für Wertpapiererwerbsangebote, Übernahmeangebote und Pflichtangebote geltenden Vorschriften des WpÜG ist der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übertragen (§ 4 Abs. 1 Satz 1). Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Aufsicht von einem Kontrollgremium durchgeführt wird, dessen Neutralität in Streitfällen außer Zweifel steht1 und das zugleich hoheitliche Befugnisse ausüben sowie wirkungsvolle Sanktionen gegen regelwidriges Verhalten verhängen kann2. Die Bundesanstalt ist zugleich Aufsichtsstelle i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie. Zwar enthält das WpÜG auch Vorschriften, die Mitteilungspflichten gegenüber den Geschäftsführungen der Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen sind (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) oder an denen auf Wertpapiere bezogene Derivate im Sinne des § 2 Abs. 2 WpHG gehandelt werden (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2), begründen, doch sollen diese Benachrichtigungspflichten nur dazu dienen, den Geschäftsführungen eine Entscheidung über die Aussetzung oder Einstellung der Feststellung des Börsenpreises der betroffenen Wertpapiere zu ermöglichen. Aufsichtsrechtliche Befugnisse von Börsenstellen werden dadurch nicht begründet.
1
Zur Mitwirkung bei der Überwachungsaufgabe der Bundesanstalt in Bezug auf die 2 vom WpÜG geregelten Angebote bzw. zur Wahrnehmung bestimmter Entscheidungsaufgaben sieht das Gesetz die Einrichtung eines Beirats (§ 5) bzw. die Bildung eines Widerspruchsausschusses (§ 6) vor. Zu deren Aufgaben im Einzelnen ist auf die Kommentierung von § 5 und § 6 zu verweisen. Außer Frage steht jedenfalls, dass es sich weder bei dem Beirat noch bei dem Widerspruchsausschuss um eigenständige Behörden handelt. Namentlich die Entscheidungen des Widerspruchsausschusses werden der Bundesanstalt zugerechnet. § 4 entspricht weitgehend der Vorschrift des § 4 Abs. 1 WpHG (§ 4 WpHG a.F.), in 3 welchem die Aufgaben und Befugnisse der Bundesanstalt zur Beaufsichtigung der Einhaltung der Bestimmungen des WpHG geregelt sind. Wie die Beaufsichtigung nach Maßgabe von § 4 WpHG ist auch diejenige nach § 4 eine marktbezogene, d.h. sie ist auf das normgemäße Marktverhalten der jeweiligen Normadressaten (Kapitalmarktteilnehmer) gerichtet und gewährt keine status- und verbandsbezogenen Eingriffsbefugnisse wie etwa die Abberufung des Geschäftsleiters eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Falle des WpHG oder bspw. die Verpflichtung zur Einberufung einer Hauptversammlung der Zielgesellschaft im Falle eines Übernahmeangebots. Auch bei der Umschreibung der zulässigen Abwehrmaßnahmen des Vorstands in § 33 handelt es sich um keine Ausnahme von dieser Regel, wenngleich in dieser Vorschrift ein Beispiel dafür gesehen werden kann, wie kapitalmarktorientierte Verhaltenspflichten (zu denen vor allem auch Publizitätspflichten gehören) verbandsrechtliche Dimensionen erlangen können. § 4 hat durch Art. 1 Nr. 4 des
1 Eine entsprechende Anforderung („unparteiisch und unabhängig von allen Parteien des Angebots“) enthält auch Art. 4 Abs. 1 Satz 4 Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713). Dazu auch Pötzsch/Möller, WM 2000, Sonderbeil. 2, S. 10. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 31.
Döhmel
161
§4
Aufgaben und Befugnisse
Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes1 eine rein redaktionelle Änderung erfahren, indem in § 4 Abs. 1 Satz 1 die Wörter „für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt)“ gestrichen wurden. 4
In der Praxis hat bislang weder die allgemeine Missbrauchsaufsicht nach dieser Vorschrift noch die besondere nach § 28 Bedeutung erlangt2. Das mag mit dem Umstand zusammenhängen, dass mit missbräuchlichem Verhalten von Marktteilnehmern in vorstehendem Sinne wohl eher in anziehenden, boomenden oder überhitzten Märkten zu rechnen ist, wohingegen die Wertpapiermärkte und der Markt für Unternehmensübernahmen beim Inkrafttreten des WpÜG stark daniederlagen und auch heute außerordentlich angespannt sind.
B. Aufgaben und Befugnisse I. Aufsicht nach Maßgabe der Vorschriften des WpÜG (§ 4 Abs. 1 Satz 1) 5
Die Aufsicht bei Wertpapiererwerbsangeboten, Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten ist ausschließlich Sache der Bundesanstalt (siehe schon oben Rz. 1). Diese hat die Aufsicht nach den Vorschriften des WpÜG auszuüben. Daraus folgt dreierlei: In erster Linie ist die Aufsicht nach Maßgabe der sich aus den einzelnen Vorschriften des WpÜG in Bezug auf die verschiedenen Angebotsformen ergebenden Aufsichtspflichten und Aufsichtsbefugnisse einschließlich der jeweiligen Marktbeobachtung und Sachverhaltsaufklärung wahrzunehmen. Darüber hinaus ist die Bundesanstalt befugt und verpflichtet, entsprechend der aufsichtsrechtlichen Generalnorm des § 4 Abs. 1 tätig zu werden (dazu unten Rz. 6 und 9 ff.). Schließlich beschränken sich die Befugnisse der Bundesanstalt zur Beaufsichtigung von Angeboten auf die Tätigkeitsfelder und Kompetenzen, die ihr durch die einzelnen Bestimmungen des WpÜG und die Generalnorm des § 4 Abs. 1 zugewiesen sind3.
6
Das schließt freilich nicht aus, dass im Zusammenhang mit Angeboten i.S.d. WpÜG Vorkommnisse eintreten, welche in den Kompetenzbereich der Bundesanstalt fallen, der ihr nach Maßgabe anderer Gesetze zugewiesen ist. Die Kumulation von Kompetenzen der Bundesanstalt in Übernahmesachverhalten ergibt sich insbesondere aus den ihr durch das WpHG (wiederum durch eine Generalnorm in Gestalt des § 4 WpHG sowie einzelner Bestimmungen des Gesetzes) zugewiesenen Aufgaben zur Überwachung des Insiderhandels (§§ 10, 12 ff. WpHG), der Ad hoc-Publizitätspflichten eines Emittenten (§ 15 WpHG), der Meldepflichten nach §§ 21 ff. WpHG und der Verhaltenspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach §§ 31 ff. WpHG sowie der Überwachung des Verbots der Kurs- und Marktpreismanipulation in §§ 10, 20a WpHG. Es sind aber auch andere Bereiche denkbar, wie die Kontrolle bedeutender Beteiligungen nach § 2c KWG.
7
Die aus der Generalnorm des § 4 Abs. 1 folgenden Kompetenzen der Bundesanstalt lassen sich ihrer Art nach in zwei Gruppen unterteilen: zum einen in die eher gewer-
1 Gesetz vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz – ÜbernRLUG), BGBl. I 2006, 1426. 2 Lenz/Linke, AG 2002, 361; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36 („allein nach den Vorschriften dieses Gesetzes“).
162 Döhmel
§4
Aufgaben und Befugnisse
bepolizeilichen1 Eingriffsbefugnisse zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen und zum anderen in die Befugnis, Maßnahmen zur Förderung der ordnungsgemäßen Durchführung von Angeboten i.S.d. WpÜG zu ergreifen. Aufsicht durch die Bundesanstalt bedeutet sowohl die laufende Überwachung der 8 Einhaltung als auch die (den speziellen und allgemeinen Eingriffsbefugnissen folgende) Durchsetzung der Vorschriften des WpÜG (siehe auch oben Rz. 1). In beiderlei Hinsicht hat sich die Bundesanstalt an die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze zu halten. Deshalb ist der Hinweis in § 4 Abs. 1 Satz 3, Anordnungen der Bundesanstalt müssten „geeignet und erforderlich“ sein, die aufgetretenen Missstände zu beseitigen oder zu verhindern, eher von klarstellender Natur.
II. Missstandsaufsicht (§ 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3) 1. Aufgabe der Missstandsaufsicht und Missstandsbegriff (§ 4 Abs. 1 Satz 2) § 4 Abs. 1 Satz 2 verlangt von der Bundesanstalt, im Rahmen der ihr zugewiesenen 9 Aufgaben Missständen entgegenzuwirken, welche die ordnungsmäßige Durchführung des Verfahrens beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können. Dabei handelt es sich vornehmlich um eine besondere Ausprägung der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 von der Bundesanstalt vorzunehmenden „Aufsicht bei Angeboten nach den Vorschriften dieses Gesetzes“. § 4 Abs. 1 Satz 2 begründet keine Eingriffsbefugnis der Bundesanstalt. D.h., dass die Bundesanstalt auf dieser Grundlage beispielsweise mit Hinweisen aufklärend tätig werden kann2, aber keine belastende Maßnahmen zu ergreifen vermag. Eine Eingriffsbefugnis ergibt sich vielmehr erst aus der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 33. Dass sich die Missstandsaufsicht der Bundesanstalt nur im Rahmen der dieser durch 10 das WpÜG zugewiesenen Aufgaben bewegen darf, ist eher eine Reminiszenz an vergleichbare Formulierungen in anderen Gesetzen (wie etwa in § 4 Abs. 1 Satz 2 WpHG) als von eigenständiger kompetenzbeschränkender Bedeutung, denn anders als bei der Beaufsichtigung der Einhaltung der Vorschriften des WpHG und des Verhaltens der von diesem erfassten Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§§ 2 Abs. 4, 2a WpHG) bestehen im Hinblick auf die „Aufsicht über Angebote“ keine potentiell konkurrierenden oder sich überlappenden Aufsichtskompetenzen zwischen der Bundesanstalt und anderen Behörden. Immerhin hat die Bundesanstalt aber auch Missständen entgegenzuwirken, die erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können. Diesbezüglich mag die Formulierung, die Bundesanstalt dürfe solchen Missständen nur im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben entgegenwirken, jedoch gewährleisten und verdeutlichen, dass der Bundesanstalt keine allgemeine Kompetenz zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte zukommt und keine kartellrechtlichen Aspekte zu berücksichtigen hat. Daraus folgt dann, dass die Bundesanstalt nur solchen mit Nachteilen für den Wertpapiermarkt verbundenen Missständen entgegenwirken kann, die aus Angebotssachverhalten (§ 4 Abs. 1 Satz 1), namentlich der nicht ordnungsgemäßen Durchführung von Angebotsverfahren (§ 4 Abs. 1 Satz 2), heraus erwachsen. 1 Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 13. So auch für die der Bundesanstalt durch (dem § 4 Abs. 1 weitgehend entsprechenden) § 4 WpHG zugewiesenen Aufgaben z.B. Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 4 WpHG Rz. 2. 2 Vgl. auch Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 13: „fördernder Aspekt“; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 4. 3 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 3; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 13.
Döhmel
163
§4
Aufgaben und Befugnisse
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Soll die Missstandsaufsicht einer Einstellung der Wirtschaftsaufsicht auf sich ändernde und nicht vorhersehbare Entwicklungen auf den Märkten und Verhaltensweisen der Marktteilnehmer Rechnung tragen, so kann nicht erwartet werden, dass der Gesetzgeber den unbestimmten Rechtsbegriff des Missstandes abschließend definiert, denn dies würde nur unter neuerlichem Rückgriff auf andere unbestimmte Rechtsbegriffe möglich sein. Vor der gleichen Schwierigkeit steht allerdings auch die Auslegung des Missstandsbegriffs durch den Rechtsanwender. Entsprechend den Definitionsversuchen in Bezug auf den Missstandsbegriff des § 4 Abs. 1 Satz 2 WpHG (§ 4 Satz 2 WpHG a.F.)1 und unter Bezugnahme auf den übrigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 lässt sich jedoch ein Missstand im Sinne dieser Vorschrift in jedem Vorgang sehen, der die ordnungsgemäße Durchführung von Angeboten beeinträchtigt oder im Zusammenhang mit der Durchführung von Angeboten, unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten und des Publikums, erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt mit sich bringt und nicht Gegenstand einer besonderen Ge- oder Verbotsnorm des WpÜG ist2. Als unbestimmter Rechtsbegriff unterliegt die Auslegung und Anwendung des Begriffs des Missstands in jeder Hinsicht der richterlichen Kontrolle3.
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Nicht erforderlich ist, dass der Missstand bereits eingetreten ist4, denn über die Beseitigung eines Missstands hinaus ist die Bundesanstalt auch befugt, Missständen entgegenzuwirken und ihren Eintritt zu verhindern. Damit kann sie auch präventiv tätig werden. Deshalb ist auch nicht zu verlangen, dass es sich bei dem als Missstand in Betracht kommenden Vorgang um einen dauerhaften oder wiederholten Regelverstoß handelt5.
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Fraglich ist allerdings, ob man einen Missstand nur für den Fall annehmen darf, dass der ihm zugrundeliegende Sachverhalt in zeitlicher und sachlicher Hinsicht eine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung erlangt oder zu erlangen droht: Zwar könnte der allgemeine Sprachgebrauch nahelegen, Missstände nur in solchen Vorgängen oder Verhaltensmustern zu erblicken, die sich über einen gewissen Zeitraum gebildet und gehalten haben bzw. das Verhalten von Personen in mehr als nur einem Einzelfall bestimmen oder sich zu bestimmen anschicken. Demgegenüber geht das WpÜG erkennbar davon aus, dass ein Missstand auch in Bezug auf Vorgänge im Zusammenhang mit einem einzelnen Verfahren eintreten kann6. 1 Geibel in Schäfer, § 4 WpHG Rz. 14: Jedes „Verhalten, welches den Zielen des WpHG und den im Einzelnen zur Verwirklichung dieser Ziele normierten Pflichten zuwiderläuft“. 2 Ähnlich, wie hier in Anlehnung an den Missstandsbegriff des WpHG, Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 17. Vgl. auch Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 5; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 4; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 5; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 4 Rz. 32. 3 Ebenso etwa Geibel in Schäfer, § 4 WpHG Rz. 16; Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 15; Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 5; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 4; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 9; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 4 Rz. 6. Allgemein etwa Schmieszek in Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 3. Aufl. 2009, Rz. J 21. 4 Ebenso Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 13 („auch vorbeugende Maßnahmen“); Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 4; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 10 (ausreichend, aber erforderlich ist ein „Zustand …, der nach verständigem Ermessen in absehbarer Zeit das Eintreten einer Störung erwarten lässt“), Rz. 11 („vorbeugend“). 5 So aber Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 5, obwohl dieser (ebd. Rz. 7) anerkennt, dass der fragliche Zustand nicht bereits eingetreten sein muss, um als Missstand angesehen werden zu können. Wie hier Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 11. 6 Wie hier Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 266 (ausreichend der Verstoß eines der Beteiligten gegen die Vorschriften des WpÜG oder der diesem zugehörigen Verordnungen). In Bezug auf
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Das kommt schon im Wortlaut der ersten Alternative des Misstandsbegriffs in § 4 14 Abs. 1 Satz 2 zum Ausdruck, in dem von Missständen bei der ordnungsmäßigen Durchführung „des Verfahrens“ die Rede ist. Dafür spricht auch, dass es bei der Missstandsaufsicht und der darauf beruhenden Anordnungskompetenz der Bundesanstalt (§ 4 Abs. 1 Satz 3) in erster Linie darum geht, eine den Zielen des Gesetzes angemessene Durchführung eines jeden einzelnen Verfahrens zu gewährleisten. Letztlich kann aber auch auf die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts1 zu § 4 WpHG verwiesen werden, wonach bei einem Verstoß gegen die zwingenden Regelungen des Aufsichtsgesetzes stets ein Missstand vorliegt. Die zweite Alternative des Missstandsbegriffs bezieht sich auf erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt. Bei dieser Alternative kann in einem Vorgang oder Zustand nur dann ein Missstand gesehen werden, wenn diesen jeweils Erheblichkeit beizumessen ist. Diese Erheblichkeit muss im Hinblick auf deren besondere oder allgemeine Auswirkungen auf den Wertpapiermarkt gegeben sein.
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2. Anordnungsbefugnisse (§ 4 Abs. 1 Satz 3) In Gestalt einer Generalermächtigung gibt § 4 Abs. 1 Satz 3 der Bundesanstalt die 16 Rechtsgrundlage, um gegen Missstände i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 mittels entsprechender Anordnungen einschreiten zu können (sog. Anordnungskompetenz)2. Die Bestimmung ergänzt die der Bundesanstalt durch einzelne Vorschriften des WpÜG eingeräumten Eingriffsbefugnisse, kommt also nur zum Zuge, soweit das Gesetz der Bundesanstalt keine speziellen Eingriffs- oder Anordnungskompetenzen gewährt3, da diese an besondere Voraussetzungen und Anforderungen geknüpft sein können. Spezielle Kompetenzen in vorstehendem Sinne enthält das WpÜG in §§ 15 Abs. 1 und 2, 28 Abs. 1, 40 Abs. 1 und 2, 444. Außerhalb dieser speziellen Kompetenznormen kann die Bundesanstalt jederzeit auf die Kompetenznorm des § 4 Abs. 1 Satz 3 zurückgreifen5. Das Gesetz stellt zwar klar, dass die von der Bundesanstalt zu treffenden Anordnungen geeignet und erforderlich sein müssen (dazu unten Rz. 23), um die fraglichen Missstände zu beseitigen oder zu verhindern, sagt aber nicht, welcher Art die Anordnungen sein können. § 4 Abs. 1 Satz 3 ermächtigt zu einzelfallbezogenen Anordnun-
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die Parallelbestimmung des § 4 Satz 2 WpHG Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 4 WpHG Rz. 18. BVerwG v. 24.4.2002 – 6 C 2/02, WM 2002, 1919; auch BVerwG v. 13.4.2005 – 6 C 4/04, NZI 2005, 510 = AG 2005, 579. Ähnliche Vorschriften finden sich bspw. in § 3 Abs. 1 Satz 2 BausparkG, § 3 Abs. 5 BörsG, § 4 HypBankG, § 6 Abs. 3 KWG, § 4 SchiffsbankG, § 81 VAG und § 4 Abs. 1 Satz 3 WpHG. Vgl. etwa Geibel in Schäfer, § 4 WpHG Rz. 18; Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 35; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 13; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 9; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 4 Rz. 32. Im Grundsatz auch Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 266, allerdings mit dem Vorbehalt (S. 267), die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 3 komme auch dann in Betracht, „wenn die speziellen Befugnisse der Bundesanstalt auch im Zusammenwirken mit anderen Rechtsfolgen eines Gesetzesverstoßes nicht ausreichen, um dem Missstand erfolgreich entgegenzuwirken“ und das Gesetz dieses Durchsetzungsdefizit nicht bewusst in Kauf genommen habe. Speziell zur Frage, inwieweit unter Rückgriff auf § 4 Abs. 1 Satz 3 Pflichtangebote und Angebotsänderungen (namentlich in Gestalt vorschriftswidriger Gegenleistungen) erzwungen und gegen unzulässige Abwehrmaßnahmen eingeschritten werden kann, siehe Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 265–283. Ohne zwingenden Grund enger Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 9.
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gen, zwingt aber nicht1. Der Terminus „Anordnungen“ ist insoweit weit zu verstehen, als diesbezüglich Akte schlichten Verwaltungshandelns, Bekanntmachungen, Mitteilungen, Schreiben, Verlautbarungen und Richtlinien2 ebenso in Betracht kommen wie der Erlass von Verwaltungsakten (dazu näher unten Rz. 18). Zu Rechtsverordnungen ist die Bundesanstalt in dem in Frage kommenden Bereich nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ermächtigt3. 18
Unter den angeführten, von der Anordnungskompetenz des § 4 Abs. 1 Satz 3 abgedeckten Handlungsformen ist der Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) namentlich dann das angezeigte Mittel, wenn es um die Beseitigung von Missständen in einem Einzelfall, d.h. im Zusammenhang mit einem konkreten Angebot, geht. Dabei kann sich der (begünstigende oder belastende, befehlende oder feststellende) Verwaltungsakt als Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme an einzelne Personen (§ 35 Satz 1 VwVfG) oder als Allgemeinverfügung an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis (§ 35 Satz 2 VwVfG) richten.
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– Im Falle des Erlasses einer Allgemeinverfügung kann die Bundesanstalt von der Anhörung der Beteiligten absehen (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Ansonsten ist vor dem Erlass eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Angebotsbeteiligten eingreift, der Beteiligte grundsätzlich anzuhören, d.h. es ist ihm Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von der Anhörung kann auch abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist oder einer der in § 28 VwVfG aufgezählten besonderen Fälle vorliegt.
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– Der Verwaltungsakt ist dem Adressaten oder dem von ihm Betroffenen bekannt zu geben (§ 41 Abs. 1 VwVfG). Bei Allgemeinverfügungen kann die Bekanntgabe des Verwaltungsakts durch öffentliche Bekanntgabe ersetzt werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist (§ 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG).
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– Der schriftliche oder schriftlich bestätigte (siehe § 39 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 2 VwVfG) Verwaltungsakt ist zu begründen (§ 39 Abs. 1 VwVfG), sofern nicht eine der in § 39 Abs. 2 VwVfG aufgeführten Ausnahmen eingreift. Unter diesen ist v.a. diejenige von Bedeutung, der zufolge die öffentlich bekannt gemachte Allgemeinverfügung keiner Begründung bedarf (§ 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG).
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– Hinsichtlich der Form des Verwaltungsakts gilt, dass dieser (1) schriftlich, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden kann (im Falle seines mündlichen Erlasses u.U. schriftlich zu bestätigen ist, § 37 Abs. 2 VwVfG), (2) die erlassende Behörde erkennen lassen und zumindest die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten muss (§ 37 Abs. 3 VwVfG) und (3) inhaltlich hinreichend bestimmt zu sein hat (§ 37 Abs. 1 VwVfG).
1 A.A. offenbar Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 8. 2 Vgl. etwa Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 18. 3 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 4. I.E. auch Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 19. Eine genuine Verordnungskompetenz räumt das WpÜG der Bundesanstalt nicht ein. Diese erlangt es vielmehr jeweils erst dann, wenn das Bundesministerium der Finanzen die ihm in §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 5, 31 Abs. 7, 37 Abs. 2 und § 47 Sätze 2 und 3, gewährte Kompetenz zum Erlass von Rechtsverordnungen entsprechend der ihm in den angeführten Bestimmungen jeweils erteilten Befugnis auf die Bundesanstalt überträgt.
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Die von der Bundesanstalt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 zu treffenden Anordnungen zur 23 Beseitigung oder Verhinderung aufgetretener Missstände müssen zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich sein. Mit dieser Formulierung wiederholt der Gesetzgeber lediglich einen generell geltenden Grundsatz verwaltungsrechtlichen (namentlich aufsichtsrechtlichen) Handelns. Deshalb versteht es sich von selbst, dass nicht nur Maßnahmen der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 3, sondern auch solche auf Grund spezieller Eingriffsnormen des WpÜG dem Grundsatz der Eignung und Erforderlichkeit zu genügen haben1. 3. Kein Recht auf Tätigwerden der Bundesanstalt Auf ein Tätigwerden der Bundesanstalt im Rahmen der Missbrauchsaufsicht steht 24 weder einzelnen Angebotsbeteiligten noch Dritten ein Recht zu. Maßnahmen der Missbrauchsaufsicht können mithin weder im Wege der Beschwerde (§ 48 Abs. 3) initiiert werden noch Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG sein. Dagegen können Verfügungen, welche die Bundesanstalt auf Grund ihrer Anordnungsbefugnisse nach § 4 Abs. 1 Satz 3 erlassen hat, im Wege der Beschwerde angegriffen werden und bei schuldhafter Amtspflichtverletzung Grundlage eines Amtshaftungsanspruchs sein (siehe dazu Rz. 25 ff.). Generell zum Ausschluss des Anspruchs Dritter auf Vornahme einer bestimmten Handlung durch die Bundesanstalt oder zur Beteiligung am Beaufsichtigungsverfahren siehe unten Rz. 29.
III. Wahrnehmung der Aufgaben im öffentlichen Interesse (§ 4 Abs. 2) 1. Ausschluss von Ansprüchen Dritter Gemäß § 4 Abs. 2 nimmt die Bundesanstalt die ihr nach diesem Gesetz zugewiese- 25 nen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. Gleichartige Vorschriften fanden sich – bis zur Zusammenführung der Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zum 1.5.2002 – in § 6 Abs. 4 KWG, § 81 Abs. 2 Satz 2 VAG, § 2 Abs. 4 WpHG und wurden mit der Errichtung der Bundesanstalt durch § 4 Abs. 4 FinDAG2 ersetzt. Eine § 4 Abs. 2 vergleichbare Bestimmung findet sich beispielsweise noch in § 3 Abs. 5 BörsG. Zum rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Hintergrund dieser Vorschriften siehe unten Rz. 35 und § 48 Rz. 33 f. Der Regelung des § 4 Abs. 4 FinDAG entsprechend stellt § 4 Abs. 2 klar, dass die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des WpÜG durch die Bundesanstalt ausschließlich den Zweck verfolgt, das Vertrauen der Investoren in eine ordnungsgemäße Abwicklung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen als Voraussetzung funktionsfähiger Wertpapiermärkte zu sichern3. Aus § 4 Abs. 2 lässt sich indes nicht folgern, keinem der an einem Wertpapiererwerbs- 26 oder Übernahmeangebot Beteiligten stehe ein persönlicher Anspruch auf eine Tätigkeit der Bundesanstalt nach den Vorschriften des WpÜG zu, weil § 4 Abs. 2 dem Ein1 Siehe dazu auch Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 16; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 4 Rz. 35. 2 Die Vorschrift lautet: „Die Bundesanstalt nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr.“ 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36. Siehe auch § 48 Rz. 28.
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zelnen die Möglichkeit abschneide, den für eine Klage nach § 42 VwGO erforderlichen Nachweis zu führen, durch die Untätigkeit der Bundesanstalt „in seinen Rechten verletzt zu sein“ (§ 42 Abs. 2 VwGO). Ebenso wenig rechtfertigt § 4 Abs. 2 den Schluss, die Vorschrift schließe a limine Amtspflichten der Bundesanstalt gegenüber den in einem Angebotsverfahren beteiligten Personen oder Unternehmen aus. Vielmehr steht außer Frage, dass § 4 Abs. 2 die Pflicht der Bundesanstalt zu rechtmäßigem Verhalten in Bezug auf die von Aufsichtsmaßnahmen unmittelbar betroffenen Personen und Unternehmen unberührt lässt1. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass § 48 Abs. 1 und 3 gegen erlassene bzw. antragswidrig unterlassene Verfügungen der Bundesanstalt das Rechtsmittel der Beschwerde vorsehen, wobei vor allem § 48 Abs. 3 (Beschwerde gegen die Unterlassung einer beantragten Verfügung) voraussetzt, dass einem Beteiligten überhaupt Rechte auf die Vornahme einer Verfügung zustehen können. Verletzt die Bundesanstalt ihre Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten schuldhaft, so kann der hiervon unmittelbar Betroffene folglich auch einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG geltend machen (vgl. § 48 Rz. 28). 27
Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 ist es, drittgerichtete Amtspflichten und damit Amtshaftungsansprüche Dritter auszuschließen, was darüber hinaus zur Folge hat, dass den von einer unterlassenen oder ergriffenen Maßnahme der Bundesanstalt lediglich mittelbar Betroffenen („Drittbetroffenen“, „Dritten“) weder eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO noch eine Beschwerdebefugnis nach § 48 zusteht (vgl. § 48 Rz. 29 ff.)2. Zur Geltendmachung von Rechtsmitteln gegen Aufsichtsmaßnahmen der Bundesanstalt sowie zur Erhebung von Amtshaftungsansprüchen in Bezug auf das Verwaltungshandeln der Bundesanstalt sollen nach dem Willen des Gesetzgebers mithin nur diejenigen berechtigt sein, die entweder Adressaten einer Verfügung der Bundesanstalt sind oder nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des WpÜG ein Recht zum Tätigwerden der Bundesanstalt haben. Das sind m.a.W. diejenigen, die kraft eigener unmittelbarer Betroffenheit Beteiligte eines Verfahrens vor der Bundesanstalt sein können (siehe dazu § 48 Rz. 20 ff.).
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Des Weiteren sollte außer Frage stehen, dass bei verfassungskonformer Auslegung des § 4 Abs. 2 der Rechtsschutz Dritter, die durch das Handeln der Bundesanstalt im Einzelfall in ihren Grundrechten verletzt wurden, nicht ausgeschlossen ist3. Eine solche Grundrechtsverletzung dürfte indes praktisch wenig wahrscheinlich sein4 und liegt jedenfalls nicht bereits in dem durch § 4 Abs. 2 begründeten Ausschluss des Drittschutzes als angeblicher Verstoß gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG5. Im Einzelnen dazu Rz. 31 ff.
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Dem Ausschluss des Drittschutzes durch § 4 Abs. 2 entspricht der Ausschluss von Ansprüchen Dritter auf Vornahme einer bestimmten Handlung durch die Bundes1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36; Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 285; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 318; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 85; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 14; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 8. Zur entsprechenden Vorschrift des § 4 Abs. 4 FinDAG, Dreyling in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 4 WpHG Rz. 24; Geibel in Schäfer, § 4 WpHG Rz. 24. 2 Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2011 – WpÜG 1/11, DB 2012, 275 = AG 2012, 335. 3 Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 63 f.; Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 16; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 9. 4 Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 318, 326; Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 17; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 25. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2003 – WpÜG 1/03 – Saban/ProSiebenSat.1 AG, DB 2003, 1371, 1373 (insoweit in AG 2003, 515, nicht abgedruckt); OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, AG 2003, 513, 515. Siehe auch unten Rz. 33 und § 48 Rz. 31 ff.
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anstalt und zur Beteiligung am Verwaltungsverfahren nach den Vorschriften des WpÜG (insbes. §§ 40–47)1. Neben der Verfassungskonformität von Vorschriften, die – wie § 4 Abs. 2 – drittschützende Amtspflichten in Bezug auf die Bank-, Versicherungs-, Börsen- und Wertpapierhandelsaufsicht ausschließen (siehe dazu unten Rz. 34 ff.), ist auch deren Konformität mit dem Europarecht angezweifelt worden. Der EuGH ist dem jedoch mit seinem Urteil vom 12.10.2004 in Sachen Peter Paul u.a./Bundesrepublik Deutschland2 entgegengetreten. Dazu und zur Übertragung der Überlegungen des EuGH auf die Übernahmerichtlinie3 und ihre Umsetzung ins deutsche Recht siehe unten Rz. 39 f.
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2. Korrekturversuche Der erklärte Wille des Gesetzgebers, Dritten im Rahmen des Übernahmeverfahrens 31 keine subjektiven Rechte zu gewähren, die ihnen die Geltendmachung von Rechtsmitteln gegenüber Aufsichtsmaßnahmen der Bundesanstalt oder die Erhebung von Amtshaftungsansprüchen wegen schuldhafter Amtspflichtverletzungen der Bundesanstalt erlauben, ist schwerlich zu bestreiten4 und wird auch von den Kritikern der Regelung des § 4 Abs. 2 nicht in Abrede gestellt5. Dessen ungeachtet finden sich verschiedene Ansätze, die Regelung von § 4 Abs. 2 zu korrigieren, um vermeintliche Schutzlücken6 im System des Rechtsschutzes bei Angeboten nach dem WpÜG zu schließen. Dabei versucht eine Gruppe von Ansätzen den geäußerten „subjektiven“ Willen des Gesetzgebers durch den mittels Auslegung der einzelnen Normen und des Normensystems des WpÜG zu ermittelnden „objektiv“ zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers7 zu ersetzen: Hierzu wird teils auf das Instrument der verfassungskonformen Auslegung, teils auf dasjenige der „Drittklagerechte im Verwaltungsprozessrecht“ zurückgegriffen (dazu unten Rz. 32 f.). Daneben finden sich im Schrifttum Stimmen, welche die Verfassungskonformität des generellen Ausschlusses drittschützender Amtspflichten im Bereich der Bank-, Versicherungs-, Börsen- und Wertpapierhandelsaufsicht in Frage stellen (dazu unten Rz. 34 ff.) und ihrer Art nach grundsätzlich geeignet sind, auch die Verfassungskonformität des § 4 Abs. 2 in Zweifel zu ziehen8. 1 Etwa OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2003 – WpÜG 1/03 – Saban/ProSiebenSat.1 AG, DB 2003, 1373 = AG 2003, 516: Mangels Wahrscheinlichkeit eines Rechtsanspruchs eines Aktionärs auf Beteiligung am Verfahren auf Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots nach §§ 37, 35, kein Anspruch auf eine entsprechende einstweilige Anordnung gegen die Bundesanstalt. Zu dem Beschluss Seibt, ZIP 2003, 1865; Wagner, NZG 2003, 718; Hecker, ZBB 2004, 41. OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, AG 2003, 513: Kein Widerspruchsrecht der Aktionäre gegen Gestattungsbescheide der Bundesanstalt. Zu dem Beschluss Seibt, ZIP 2003, 1865. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht angenommen; BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03, ZIP 2004, 950 = AG 2004, 607. Aus dem Schrifttum etwa Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 286; Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 11, 14; Ritz in Baums/Thoma, § 4 Rz. 34. 2 EuGH v. 12.10.2004 – Rs. C-222/02, ZIP 2004, 2039. 3 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 4 Siehe dazu die Hinweise in § 48 Rz. 28 ff. und bei Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 86 f. 5 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 87. 6 So schon Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853, 858. 7 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 106 („objektiver Gesetzgeber“). 8 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 84 f., 85: „Verfassungsrechtliche Bedenken … nicht mehr fern“.
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a) Korrektur durch Auslegung 32
Den Ansätzen, die dem „objektiven Gesetzgeber“ gegenüber dem geäußerten Willen des Gesetzgebers Geltung verschaffen wollen, ist der Versuch gemeinsam, dem WpÜG durch Auslegung subjektive, durch entsprechende Rechtsmittel und Amtshaftungsansprüche zu bewehrende Rechte Dritter zu entnehmen. Dabei fragt eine Ansicht nach den grundgesetzlich geschützten Rechtspositionen von Verfahrensbeteiligten, um diese im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einschlägiger Normen des WpÜG zur Geltung zu bringen und gegenüber den Regelungen von § 4 Abs. 2 durchzusetzen1. So gelangt namentlich Aha zu der Ansicht, eine in Ansehung von Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG vorzunehmende verfassungskonforme Auslegung des § 11 zwinge dazu, die Zielgesellschaft dergestalt in den Schutzbereich dieser Bestimmung einzubeziehen, dass sich die Gesellschaft im Wege der Beschwerde gegen ein mit einem wesentlichen Mangel behaftetes Angebot wehren könne2. Ein anderer, von Schnorbus vorgetragener Ansatz geht davon aus, der Gesetzgeber habe sich mit dem in § 4 Abs. 2 zum Ausdruck gebrachten Ausschluss subjektiver Rechte Dritter in Widerspruch zum Rechtsschutzsystem des WpÜG gesetzt, das die Existenz solcher Rechte geradezu (objektiv) voraussetze. Drittbetroffenen sei, nach dem Vorbild der „Drittklagerechte im Verwaltungsprozessrecht“, „eine Rechtsmacht zur Reaktion“ (d.h. Rechtsmittel und ggf. Amtshaftungsansprüche) gegen das Handeln der Bundesanstalt stets dann zuzuerkennen, wenn die in Frage stehende Normen „die sich widersprechenden Partizipations- und Verschonungsinteressen der Beteiligten konfliktschlichtend in ihr Entscheidungsprogramm aufgenommen haben (multipolare Konfliktentscheidungsfunktion)“3.
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Diesen Korrekturversuchen ist nur insoweit zu folgen, als aus Grundrechten abgeleitete subjektive Rechte eine von § 4 Abs. 2 unberührt bleibende Beschwerdebefugnis Dritter rechtfertigen können (siehe § 48 Rz. 31). Zweifelhaft, wenngleich nicht von vornherein von der Hand zu weisen, ist indes, ob das durch das WpÜG installierte System zur Kontrolle fehlerhafter Angebotsunterlagen bereits dazu zwingt, der Zielgesellschaft im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG Rechtsmittel zu gewähren, die ihr der Gesetzgeber auf Grund von § 4 Abs. 2 i.V.m. § 48 vorenthält. Gegen den von Schnorbus vorgetragenen Ansatz sprechen rechtsdogmatische Bedenken, die der Autor mit dem Hinweis, die Lehre von der „multipolaren Konfliktentscheidungsfunktion“ habe „grundsätzlich nur subjektive Rechte als Klagebefugnis zum Gegenstand“, selbst andeutet, ohne sie mit dem Argument, der Gedanke lasse sich aber „auf andere, mehr formalisierte Klagerechte übertragen“ wirklich auszuräumen4. Im Speziellen kommt hinzu, dass gerade die sodann angeführten Vorschriften (in Gestalt namentlich von §§ 20 Abs. 1, 26 Abs. 2, 36 und 37 Abs. 1) nicht erkennen lassen, dass sie dem mittelbar Betroffenen „eine Rechtsmacht zur Reaktion“ gewähren wollten (siehe dazu § 48 Rz. 33 ff.). b) Verfassungskonformität des § 4 Abs. 2
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Ist die Verfassungskonformität des generellen Ausschlusses drittschützender Amtspflichten in Bezug auf die Bank-, Versicherungs-, Börsen- und Wertpapierhandelsaufsicht (zu den einschlägigen Bestimmungen siehe oben Rz. 25) vielfach bezweifelt 1 Aha, AG 2002, 160 ff.; Giesberts in KölnKomm. WpÜG, § 4 Rz. 75 ff.; Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 9 ff.; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 104 ff. 2 Aha, AG 2002, 160 ff. 3 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 106 (Hervorhebung im Original). 4 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 106.
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worden, so liegt es auf der Hand, dass auch die Regelung des § 4 Abs. 2 auf entsprechende Vorbehalte treffen wird. Hintergrund der zwischenzeitlich durch § 4 Abs. 4 FinDAG ersetzten Vorschriften 35 (siehe oben Rz. 25), die – wie § 4 Abs. 2 – bestimmten, dass die jeweiligen Aufsichtsbehörden die ihnen per Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnehmen, sind zwei Entscheidungen des BGH aus dem Jahre 19791: Mit diesen gab das Gericht seinen zuvor eingenommenen Standpunkt2 auf und befand, dass die Bankenaufsicht durch das BAKred nach dem KWG nicht ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolge, sondern auch dem Schutz der in den Schutzbereich der Bankenaufsicht einbezogenen Personen, wie etwa Einlagegläubigern (nicht aber den Gesellschaftern des beaufsichtigten Instituts), diene. Zur künftigen Vermeidung eines solchen Haftungsrisikos aus fehlerhafter Beaufsichtigung von Kreditinstituten gegenüber Kunden der Kreditinstitute3 wurde dem KWG mit der 3. KWG-Novelle von 19844 die Vorschrift des § 6 Abs. 3 (heute § 6 Abs. 4) hinzugefügt, welche drittgerichtete Amtspflichten des BAKred ausschließen sollte und zum Vorbild für die übrigen der (oben Rz. 25) angeführten, weitgehend gleichlautenden Bestimmungen wurde. Wurde vor dem Erlass der seinerzeitigen Bestimmung des § 6 Abs. 3 KWG (im 36 Zeitpunkt seiner Ersetzung durch § 4 Abs. 4 FinDAG: § 6 Abs. 4 KWG) über die Berechtigung der neuen Rechtsprechung des BGH zur Amtshaftung in Bezug auf die Bankenaufsicht5 gestritten6, so stand danach die Umkehrung der durch den BGH geschaffenen Verhältnisse durch die 3. KWG-Novelle und die in deren Gefolge erlassenen, § 6 Abs. 4 KWG entsprechenden Bestimmungen auf dem Prüfstand, wobei insbesondere verfassungsrechtliche und – soweit es um die Beaufsichtigung nach Vorschriften ging, die auf der Umsetzung von EG-Richtlinien beruhten (sog. angeglichenes Recht) – europarechtliche Bedenken gegen Regelungen der fraglichen Art erhoben wurden7. Über die Verfassungskonformität des generellen Ausschlusses dritt1 BGH v. 15.2.1979 – III ZR 108/76 – Wetterstein, BGHZ 74, 144 = WM 1979, 482; BGH v. 12.7.1979 – III ZR 154/77 – Herstatt, BGHZ 75, 120 = WM 1979, 1364. Bestätigend BGH v. 15.2.1984 – IVb ZB 701/81, BGHZ 90, 129 = WM 1984, 957. 2 BGH v. 24.1.1972 – III ZR 166/69, BGHZ 58, 96. 3 Vgl. Begr. RegE 3. KWG-Novelle, BT-Drucks. 10/1441, S. 20. 4 Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 20.12.1984, BGBl. I 1984, 1693. 5 Siehe oben Rz. 35 Fn. 3 und Rz. 27. 6 Zustimmend etwa Bender, Die Amtspflicht des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen gegenüber einzelnen Gläubigern eines Kreditwesens, NJW 1978, 622; Kopf-Bäumler, Die neue Rechtsprechung des BGH zur Amtshaftung im Bereich der Bankenaufsicht, NJW 1979, 1871. Ablehnend etwa Starke, Drittschutzwirkung der Bankenaufsicht und ihre Konsequenzen, WM 1979, 1402; Püttner, Von der Bankenaufsicht zur Staatsgarantie für Bankeinlagen, JZ 1982, 47. Differenzierend etwa Papier, Wirtschaftsaufsicht und Staatshaftung – BGHZ 74, 144; NJW 1979, 1879, JuS 1980, 265; Schwark, Individualansprüche Privater aus wirtschaftsrechtlichen Gesetzen, JZ 1979, 670. 7 Beck/Samm, § 6 KWG Rz. 61 ff.; Gratias, NJW 2000, 786, 788; Geerlings, BKR 2003, 889, 890; Habscheid, Staatshaftung, S. 119 ff.; Habscheid, BB 1988, 2333 Fn. 57; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 63 f.; Nicolaysen in Gedächtnisschrift W. Martens, 1987, S. 663 ff.; Papier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rz. 255; Papier in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 34 GG Rz. 190; Nüßgens in FS Gelzer, 1991, S. 293, 300; Plück/Schmutzler/Kühn, Kapitalmarktrecht, S. 70 f.; Schäfer in Schäfer, § 4 WpHG Rz. 26 f.; Schenke in FS Lorenz, 1994, S. 473 ff. (zu § 81 Abs. 1 VAG); Schenke/Ruthig, NJW 1994, 2324 ff.; Tönnies, Staatshaftung, S. 55 ff.; Vespermann, Staatshaftung im Versicherungswesen, 1996, S. 118 ff.; a.A. OLG Köln v. 11.1.2001 – 7 U 104/00, NJW 2001,
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§4
Aufgaben und Befugnisse
schützender Amtspflichten im Bereich der Beaufsichtigung des Kredit- und Versicherungswesens mag man streiten, doch gehen die hiergegen vorzubringenden Einwände jedenfalls im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 2 einhergehenden Ausschluss drittgerichteter Amtspflichten bei der Beaufsichtigung des gesetzlich vorgeschriebenen Ablaufs von öffentlichen Angebotsverfahren ins Leere. 37
Schon im Hinblick auf die Beurteilung der Verfassungskonformität des § 6 Abs. 4 KWG (ursprünglich § 6 Abs. 3 KWG, siehe Rz. 36) verfehlt ist das Argument, der Gesetzgeber habe mit dem Erlass dieser Bestimmung und dem gezielten Versuch, die Rechtsprechung des BGH zur Drittbezogenheit von Amtspflichten in der Bankenaufsicht1, gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen, indem er die Amtspflichten nach dem KWG selbst unangetastet gelassen und nur die an deren Verletzung geknüpfte Haftung ausgeschlossen habe2. Dagegen spricht vor allem, dass es dem Gesetzgeber unbenommen ist, einer bestimmten Auslegung von Gesetzen durch die Gerichte durch die Änderung dieser Gesetze den Boden zu entziehen, solange dadurch nicht in die Befugnis der Gerichte zur Rechtsauslegung geltenden Rechts selbst eingegriffen wird. Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG3 scheidet schon deshalb aus, weil diese Vorschrift keine subjektiven Rechte zu begründen vermag, sondern solche voraussetzt4. Damit bleiben nur solche Einwände, die darauf hinauslaufen, in der durch den Ausschluss drittgerichteter Amtspflichten eine Schutzlücke im Hinblick auf den gebotenen Sozialschutz (Verstoß gegen das Rechts- und Sozialstaatsprinzip5), den Eigentumsschutz (Art. 14 GG)6 sowie drittschädigendes Fehlverhalten von Aufsichtsbehörden (Art. 34 GG7) zu sehen.
1 2 3 4 5
6
7
2724 = WM 2001, 1372; LG Bonn v. 16.4.1999 – 1 O 186/98, ZIP 1999, 959 ff.; LG Bonn v. 4.10.1999 – 1 O 55/99, ZIP 1999, 2051 ff.; Schwirten in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 4 FinDAG Rz. 7 ff.; Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf. Rz. 68; Fischer in Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 125 Rz. 20; Lange, Informationspflichten, 2000, S. 276 Fn. 21; Starke, WM 1979, 1402; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 1189 f.; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.183 ff.; wohl auch Haug in Szagunn/Haug/Ergenzinger, 6. Aufl. 1997, § 6 KWG Rz. 14a. Offen Hopt in WM-Festgabe Hellner, 1994, S. 29; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 158. Ebenso etwa Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 326 (in Bezug auf den Richtlinienvorschlag vom 2.2.2002). Papier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rz. 255; Papier in Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 34 GG Rz. 190. Auch Beck/Samm, § 6 KWG Rz. 65. Beck/Samm, § 6 KWG Rz. 67; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 4 Rz. 19. Ebenso OLG Köln v. 11.1.2001 – 7 U 104/00, ZIP 2001, 645, 647; Schenke in FS Lorenz, 1994, S. 473, 487 f. (zu § 81 Abs. 1 VAG); Schenke/Ruthig, NJW 1994, 2324, 2326; Habscheid, Staatshaftung, S. 148 ff. Etwa Habscheid, Staatshaftung, S. 125 f. Dagegen zu Recht OLG Köln v. 11.1.2001 – 7 U 104/00, ZIP 2001, 645, 647. Ablehnend ferner Nicolaysen in Gedächtnisschrift W. Martens, 1987, S. 663, 676 f. Zu den – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber zum Einschreiten verpflichtet wird, Sommermann in v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl., Art. 20 GG Rz. 115 ff. Etwa Wieland in Dreier, 1998, Art. 14 GG Rz. 145; Nicolaysen in Gedächtnisschrift W. Martens, 1987, S. 663, 677 f.; Erichsen, Jura 1997, 85, 86 f.; Cremer, JuS 2001, 643, 649. Ablehnend bspw. OLG Köln v. 11.1.2001 – 7 U 104/00, ZIP 2001, 645, 648; Steinberg/Lubberger, Aufopferung, Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 229. Etwa Beck/Samm, § 6 KWG Rz. 66; Habscheid, Staatshaftung, 1988, S. 127 ff.; Nicolaysen in Gedächtnisschrift W. Martens, 1987, S. 663, 669 ff.; Nüßgens in FS Gelzer, 1991, S. 293, 300; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 63 f.; Papier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rz. 251. Ablehnend etwa Steinberg/Lubberger, Aufopferung, Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 299; Wieland in Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 34 GG Rz. 47; Tönnies, Staatshaftung, 1985, S. 60; Schenke in FS Lorenz, 1994, S. 473, 486 zu § 81 Abs. 1 VAG a.F.; Schenke/Ruthig, NJW 1994, 2324, 2326; Cremer, JuS 2001, 643, 649.
172 Döhmel
§4
Aufgaben und Befugnisse
Solche Schutzlücken, die § 4 Abs. 2 als verfassungswidrig erscheinen ließen, sind je- 38 doch durch den Ausschluss drittgerichteter Amtspflichten im Zusammenhang mit der Überwachung von Angebotsverfahren nicht zu erkennen1. Diesbezüglich gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass es bei der Ordnung und Beaufsichtigung eines Angebotsverfahrens, anders als im Hinblick auf die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und anderen Finanzinstitutionen, nicht um den Schutz von Anlegern im Hinblick auf Vermögensdispositionen geht, die diese u.a. im Vertrauen auf die ordnungsgemäße Erfüllung von Amtspflichten bei der Beaufsichtigung der fraglichen Unternehmen getätigt haben und durch die Verletzung solcher Amtspflichten verletzt werden können. Als Aktionäre der Bieter- oder der Zielgesellschaft trifft sie eine Verletzung von Amtspflichten gegenüber einer dieser Gesellschaften nur reflexartig auf Grund der Schädigung der Gesellschaft, an der sie beteiligt sind. Als Angebotsadressaten sind sie – ganz abgesehen davon, dass die Bundesanstalt nur eine formelle Vollständigkeitskontrolle der Angebotsunterlage vornimmt – gegen Falschinformationen in der Angebotsunterlage durch den Schadensersatzanspruch nach § 12 geschützt; soweit durch die Verletzung von Amtspflichten die Abgabe eines Angebots unterbleibt oder ein solches nicht erfolgreich durchgeführt werden kann, sind die Wertpapierinhaber allenfalls hinsichtlich einer Geschäftschance betroffen, die nicht in den Bereich des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes oder einer sonstigen grundgesetzlich geschützten Position fällt. Im Hinblick auf den Schutz von Bietern, konkurrierenden Bietern und Zielgesellschaften mag im Einzelfall zu prüfen sein, inwieweit sich aus Grundrechten einzelne subjektive Rechte derselben herleiten lassen, in die eine vorgenommene oder unterlassene Maßnahme der Bundesanstalt, in diesem Falle unberührt von § 4 Abs. 2, eingreift. Dass die Regelung des § 4 Abs. 2 eine verfassungswidrige Lücke im grundrechtlich gebotenen Schutz von Bietern, konkurrierenden Bietern und Zielgesellschaften darstelle, lässt sich im Übrigen jedoch nicht generell behaupten. 3. Keine Ansprüche Dritter aufgrund EU-Übernahmerichtlinie Neben der Verfassungskonformität von Vorschriften, die – wie § 4 Abs. 2 – drittschützende Amtspflichten in Bezug auf die Bank-, Versicherungs-, Börsen- und Wertpapierhandelsaufsicht ausschließen (siehe dazu Rz. 34 ff.), ist auch deren Konformität mit dem Europarecht angezweifelt worden. Der EuGH hat indes mit seinem Urteil vom 12.10.2004 in Sachen Peter Paul u.a./Bundesrepublik Deutschland2 festgestellt, dass eine nationale Vorschrift, nach der die nationale Behörde zur Aufsicht über die Kreditinstitute ihre Aufgabe nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist: Zur Begründung führt das Gericht insbesondere an, die Richtlinien über das Bankenrecht würden dem Einzelnen nicht das Recht verleihen, von der Bankenaufsichtsbehörde den Erlass angemessener Aufsichtsmaßnahmen zu verlangen oder die Behörde bzw. den betreffenden Staat bei unzureichender Aufsicht haftbar zu machen. Diese Überlegungen sind auch auf die EUÜbernahmerichtlinie3 und ihre Umsetzung ins deutsche Recht zu übertragen. 1 I.E. ebenso Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 286 ff.; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 318, 325; Noack in Schwark/Zimmer, § 4 WpÜG Rz. 23; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 89 ff.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 4 Rz. 13. Siehe auch OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2003 – WpÜG 1/03 – Saban/ProSiebenSat.1 AG, DB 2003, 1371, 1373 (insoweit in AG 2003, 515, nicht abgedruckt); OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 2/03, AG 2003, 515, 516; OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, AG 2003, 513, 515. 2 EuGH v. 12.10.2004 – Rs. C-222/02, ZIP 2004, 2039. 3 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713.
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39
§4 40
Aufgaben und Befugnisse
Insoweit ändert sich auch nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie nichts an der Aussage, dass die Bundesanstalt die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt. So ergeben sich – wie aus dem WpÜG nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie – auch aus der Richtlinie heraus keine Ansprüche der Aktionäre der Zielgesellschaft oder anderer Dritter. Das wurde vom OLG Frankfurt a.M. auch in dessen Entscheidung vom 5.12.20111 ausgeführt. Zwar sollen mit der Richtlinie durchaus die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft geschützt werden (2. Erwägungsgrund). Das bedeutet aber nicht, dass die Richtlinie subjektive Rechte Dritter vorsieht. Denn mit der Übernahmerichtlinie wurde eine Rahmenregelung geschaffen, die zum Zwecke der Harmonisierung grundsätzlich nur Mindestanforderungen festlegt und den Mitgliedstaaten im Übrigen einen weiten Gestaltungsspielraum belässt. Allein schon die Schaffung dieses einheitlichen Rahmens dient den Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft und schafft für diese Rechtssicherheit. Die Richtlinie sieht aber keine Verpflichtung vor, den Aktionären der Zielgesellschaft in materieller Hinsicht unmittelbar ein subjektiv-öffentliches Recht gegenüber der Aufsichtsbehörde einzuräumen. Sie enthält keine zwingende Vorgabe, auf welche Weise die einzelnen Mitgliedstaaten den Schutz der Minderheitsaktionäre zu regeln und durchzusetzen haben. Die Befugnis der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Parteien des Angebots Rechte im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren geltend machen können, wird von der Richtlinie ausdrücklich nicht berührt (8. Erwägungsgrund und Art. 4 Abs. 6 Satz 1). Gleiches gilt nach Art. 4 Abs. 6 Satz 3 der Übernahmerichtlinie ausdrücklich auch für die nationale Befugnis, die Rechtslage in Bezug auf die Haftung von Aufsichtsstellen oder im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien des Angebots zu bestimmen. Der deutsche Gesetzgeber hat daher an seiner Entscheidung zum Tätigwerden der Bundesanstalt nur im öffentlichen Interesse festgehalten2. 4. Aufforderungen an die Bundesanstalt zum Tätigwerden
41
§ 4 Abs. 2 schließt es nicht aus, dass sich Dritte mit Beschwerden, Anregungen, Hinweisen oder Hintergrundinformationen an die Bundesanstalt wenden und die Bundesanstalt nach Prüfung derselben reagiert, sei es im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 oder unter Nutzung ihrer Eingriffsbefugnisse3. Zu Beteiligten (§ 48 Rz. 20 ff.) an dem Verwaltungsverfahren, das auf Grund entsprechender Aktivitäten Dritter durch die Bundesanstalt eingeleitet werden kann, werden die Dritten damit allerdings nicht.
C. Organisation und Kommunikation I. Organisation der Aufgaben 42
Die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse, welche das Gesetz der Bundesanstalt zuweist, wird behördenintern durch das Referat WA 16 wahrgenommen. Die
1 OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2011 – WpÜG 1/11, DB 2012, 275 = AG 2012, 335. 2 Vgl. Begr. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 12. 3 Zur entsprechenden Praxis der Bundesanstalt im Hinblick auf Beschwerden über das Verhalten von Wertpapierdienstleistern siehe Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 4 WpHG Rz. 8. Siehe auch unten § 48 Rz. 16.
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§5
Beirat
Geschäftsverteilung kann der Web-Site der Bundesanstalt1 sowie ihren Jahresberichten entnommen werden2.
II. Kommunikation mit der Bundesanstalt Für Angelegenheiten nach dem WpÜG steht eine besondere Fax-Nummer zur Ver- 43 fügung: 0228-4108-3112. Für Vorabmitteilungen nach § 10 ist die FaxNr. 0228-4108-3255 zu verwenden.
§5 Beirat (1) Bei der Bundesanstalt wird ein Beirat gebildet. Der Beirat besteht aus 1. vier Vertretern der Emittenten, 2. je zwei Vertretern der institutionellen und der privaten Anleger, 3. drei Vertretern der Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 4 des Wertpapierhandelsgesetzes, 4. zwei Vertretern der Arbeitnehmer, 5. zwei Vertretern der Wissenschaft. Die Mitglieder des Beirates werden vom Bundesministerium der Finanzen für jeweils fünf Jahre bestellt; die Bestellung der in Satz 2 Nr. 1 bis 4 genannten Mitglieder erfolgt nach Anhörung der betroffenen Kreise. Die Mitglieder des Beirates müssen fachlich besonders geeignet sein; insbesondere müssen sie über Kenntnisse über die Funktionsweise der Kapitalmärkte sowie über Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, des Bilanzwesens oder des Arbeitsrechts verfügen. Die Mitglieder des Beirates verwalten ihr Amt als unentgeltliches Ehrenamt. Für ihre Teilnahme an Sitzungen erhalten sie Tagegelder und Vergütung der Reisekosten nach festen Sätzen, die das Bundesministerium der Finanzen bestimmt. An den Sitzungen können Vertreter der Bundesministerien der Finanzen, der Justiz sowie für Wirtschaft und Technologie teilnehmen. (2) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Zusammensetzung des Beirates, die Einzelheiten der Bestellung seiner Mitglieder, die vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft, das Verfahren und die Kosten erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. (3) Der Beirat wirkt bei der Aufsicht mit. Er berät die Bundesanstalt, insbesondere bei dem Erlass von Rechtsverordnungen für die Aufsichtstätigkeit der Bundesanstalt. Er unterbreitet mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder Vorschläge für die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses und deren Vertreter.
1 Siehe www.bafin.de unter der Rubrik: Wir über uns/Organisation. 2 Vgl. z.B. den Jahresbericht der Bundesanstalt 2011, S. 282, veröffentlicht auch auf der Internetseite der Bundesanstalt.
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§5
Beirat
(4) Der Präsident der Bundesanstalt lädt zu den Sitzungen des Beirates ein. Die Sitzungen werden vom Präsidenten der Bundesanstalt oder einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder Beamten geleitet. (5) Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung.
Inhaltsübersicht A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Bildung des Beirates (§ 5 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX. Verordnungsermächtigung (§ 5 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2
D. Aufgabe des Beirates (§ 5 Abs. 3) . . . 17 I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
C. Zusammensetzung des Beirats und Mitgliedschaft (§ 5 Abs. 1 Sätze 2–7, Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . .
7
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
II. Zusammensetzung (§ 5 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
III. Bestellung der Mitglieder (§ 5 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . .
10
IV. Qualifikation der Mitglieder (§ 5 Abs. 1 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . . . .
11
V. Pflichten der Mitglieder . . . . . . . . . .
12
II. Beschlussfassung und Protokollierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . 28
VI. Stellvertreter der Beiratsmitglieder .
13
VII. Beendigung der Mitgliedschaft im Beirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
VIII. Vergütung des Beirates (§ 5 Abs. 1 Sätze 5 und 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
II. Mitwirkung bei der Aufsicht durch Beratung (§ 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2) . 18 III. Vorschlagsrecht nach § 5 Abs. 3 Satz 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 E. Verfahrensfragen (§ 5 Abs. 1 Satz 7, Abs. 4 und 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Sitzungen des Beirates (§ 5 Abs. 1 Satz 7, Abs. 4). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
IV. Geschäftsordnung (§ 5 Abs. 5) . . . . . 29
Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Übersicht 1
§ 5 verlangt, bei der Bundesanstalt einen Beirat zu bilden. Dieser Beirat soll es der Bundesanstalt erlauben, sich zusätzlichen Sachverstand für übernahmerechtliche Fragestellungen zu erschließen. Der Beirat reiht sich ein in eine Reihe anderer Beiräte, die zur Unterstützung der verschiedenen Bereiche der Finanzdienstleistungsaufsicht eingerichtet wurden. § 5 Abs. 1 regelt die Bildung des Beirates, seine Zusammensetzung, die Bestellung und Qualifikation seiner Mitglieder und deren Teilnahme an den Sitzungen. § 5 Abs. 2 enthält eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Finanzen hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Zusammensetzung des Beirates, der Bestellung seiner Mitglieder und deren Tätigwerdens. Zudem ist die Möglichkeit der Übertragung der Ermächtigung auf die Bundesanstalt vorgesehen. § 5 Abs. 3 bestimmt die Aufgaben des Beirates. § 5 Abs. 4 regelt die Einberufung und Leitung der Sitzungen des Beirates und § 5 Abs. 5 sieht eine Geschäftsordnung für den Beirat vor. Durch Art. 101 der Neunten Zuständigkeitsanpassungsverordnung (9. ZustAnpV) vom 31.10.20061 hat die Vorschrift eine geringfügige 1 BGBl. I 2006, 2407.
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§5
Beirat
redaktionelle Änderung erfahren: In § 5 Abs. 1 Satz 7 wurden die Wörter „Wirtschaft und Arbeit“ durch die Wörter „Wirtschaft und Technologie“ ersetzt. Zudem wurde die Norm durch Art. 2c des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht vom 28.11.20121 an die Änderung2 im FinDAG insoweit angepasst, als klargestellt wurde, dass der Präsident der Bundesanstalt auch weiterhin die Exekutivdirektoren, die nun in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen, mit der Leitung des Übernahmebeirats beauftragen kann.
B. Bildung des Beirates (§ 5 Abs. 1 Satz 1) § 5 Abs. 1 Satz 1 verlangt die Bildung eines Beirates. Zweck des Beirates ist es, für 2 die Bundesanstalt den Sachverstand der Wirtschaft und anderer betroffener Kreise zu erschließen und zudem die Akzeptanz von Entscheidungen der Aufsicht zu fördern3. Damit lehnt sich die Regelung nicht nur am bisherigen Übernahmekodex an, sondern auch an andere Regelungen im Aufsichtsbereich, mit denen die Praxis in die Aufsichtstätigkeit eingebunden werden soll. Hier sind beispielsweise der in § 92 VAG geregelte Versicherungsbeirat, der in § 5 WpHG vorgesehenen Wertpapierbeirat oder der Fachbeirat nach § 8 FinDAG anzuführen, die alle eine beratende Aufgabe haben. Demgegenüber gehen die Aufgaben des Börsenrats nach § 12 BörsG weiter. Nach § 12 Abs. 2 hat dieser z.B. eine eigene Rechtssetzungsbefugnis bezüglich der Börsenordnung, der Bedingungen für Geschäfte an der Börse, der Gebührenordnung, der Zulassungsordnung für Börsenhändler und der Handelsordnung für den Freiverkehr, die er jeweils durch den Erlass von Satzungen geltend machen kann. Darüber hinaus obliegt ihm u.a. die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer im Einvernehmen mit der Börsenaufsichtsbehörde und die Überwachung der Geschäftsführung. Schließlich sind bestimmte Maßnahmen nur mit Zustimmung des Börsenrates möglich. Im WpÜG entschied sich der Gesetzgeber, ein letztlich rein beratendes Gremium als Beirat zu schaffen, das keine solchen Kompetenzen hat, die ihm verwaltungsrechtliche Handlungen mit Außenwirkung erlauben würden. Eine über die Beratung hinaus gehende Aufgabe kommt dem Beirat bei der Unterbreitung einer Vorschlagsliste für die Besetzung des Widerspruchsausschusses zu. Die Bildung eines besonderen Gremiums sah schon der Übernahmekodex4 mit der 3 Übernahmekommission vor, deren Zusammensetzung sich nach § 5 Abs. 1 Satz 2 vergleichbaren Vorgaben richtete (siehe Art. 20 Übernahmekodex). Diesem Gremium kam in Bezug auf die Anwendung des Kodex’ weitaus mehr als nur eine beratende oder, wie es in den Begriffsbestimmungen des Kodex (unter dem Stichwort „Übernahmekommission“) hieß, „Schiedsfunktion“ zu. Vielmehr war es die Übernahmekommission selbst, welcher die Administration des Kodex’ und damit der Anwendung seiner Vorschriften oblag und als deren „Exekutivorgan“ die Geschäftsstelle des Gremiums diente. Demgegenüber ist für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des WpÜG allein die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt, BaFin) zuständig. Der nach Maßgabe von § 5 zu bildende und tätig werdende Beirat ist auf eine letztlich beratende Aufgabe beschränkt (siehe dazu unten Rz. 14), die nur durch § 5 Abs. 3 Satz 3 um ein Vorschlagsrecht zur Besetzung der 1 2 3 4
BGBl. I 2012, 2369. Änderung des FinDAG durch Art. 8 des Gesetzes vom 4.12.2011 (BGBl. I 2011, 2427). Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36. Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 14.7.1995, geändert durch Bekanntmachung vom 28.11.1997 mit Wirkung ab 1.1.1998, abgedruckt u.a. in Baumbach/Hopt, 30. Aufl. 2000, Nr. 18.
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Beirat
ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses (§ 6) erweitert wird (siehe dazu unten Rz. 16 f.). 4
Die Idee eines Übernahmebeirates wurde von der europäischen Übernahmerichtlinie1 nicht weiter verfolgt. Art. 4 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie sieht nur die Schaffung einer zuständigen Stelle vor, die die Aufsicht wahrnimmt. Mitgliedsstaaten sind von der organisatorischen Ausgestaltung der Aufsicht weitestgehend frei2. Entsprechend blieb § 5 von der Umsetzung der Übernahmerichtlinie unberührt.
5
Inwieweit der Beirat eine kollegiale Einrichtung im Sinne von §§ 88 ff. VwVfG ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt3. Maßgeblich ist die Frage, ob der Beirat in einem Verfahren nach § 9 VwVfG tätig wird. Da der Beirat auf Grund seiner beschränkten Aufgabenstellung nach § 5 Abs. 3 (siehe oben Rz. 2 und unten Rz. 18) nur ausnahmsweise im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens i.S.d. § 9 VwVfG tätig wird4, handelt es sich bei ihm i.d.R. auch nicht um eine kollegiale Einrichtung i.S.d. § 88 VwVfG5, auf die §§ 89–93 VwVfG anzuwenden wäre. Allein im Rahmen der Anhörung nach § 28 Abs. 2 ist der Beirat vor allgemeinen Maßnahmen bezüglich der Missstandsaufsicht bei Werbung zu hören. Da hier auch der Erlass von Allgemeinverfügungen zur Untersagung von bestimmten Werbemaßnahmen in Betracht kommt, wäre in einem derartigen Verfahren der Beirat eine kollegiale Einrichtung i.S.v. § 88 VwVfG.
6
Ob es angesichts dieser beschränkten Funktion des Beirates des Aufwands bedurfte, den die Einrichtung dieses Gremiums nach Maßgabe des § 5 mit sich bringt, kann man angesichts der Gesetzesgebundenheit der Bundesanstalt als Aufsichtsbehörde und der überwiegend klar umrissenen Aufgaben der Bundesanstalt bezweifeln. In Anbetracht des Beschleunigungsgebotes des WpÜG, der Eilbedürftigkeit von Entscheidungen und der gesetzlich vorgegebenen Fristen kann die Beratungsfunktion des Beirates vornehmlich bei den Vorüberlegungen zum Erlass von Rechtsverordnungen6 zur Konkretisierung einzelner Bestimmungen des Gesetzes zum Tragen kommen. Das schließt es freilich nicht aus, dass sich die Bundesanstalt des einzurichtenden Beirates auch im Hinblick auf die Anwendung einzelner Vorschriften des WpÜG bedient, doch dürfte hierbei nur bei länger währenden Entscheidungsprozessen eine praktizierbare Einbindung möglich sein.
1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie), ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12–23, Text im Anhang S. 1713. 2 Vgl. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 8. 3 Befürworten z.B. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 5 Rz. 2; Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 1; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 5 Rz. 20; ablehnend 1. Aufl.; vermittelnd: Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 12. 4 So auch Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 13 f. 5 A.A., weil die Frage außer Acht lassend, ob der Beirat überhaupt an einem Verwaltungsverfahren i.S.d. § 9 VwVfG teilnimmt, Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 1; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 5 Rz. 2. 6 Eine originäre Verordnungskompetenz ist der Bundesanstalt im WpÜG nicht eingeräumt. Eine solche erlangt sie vielmehr jeweils erst dann, wenn das Bundesministerium der Finanzen die ihm in §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 5, 31 Abs. 7, 37 Abs. 2 und § 47 Sätze 2 und 3, gewährte Kompetenz zum Erlass von Rechtsverordnungen auf die Bundesanstalt überträgt.
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§5
Beirat
C. Zusammensetzung des Beirats und Mitgliedschaft (§ 5 Abs. 1 Sätze 2–7, Abs. 2) I. Übersicht § 5 Abs. 1 Sätze 2–7 regeln die Zusammensetzung des Beirates, die Mitgliedschaft im 7 Beirat auf der Grundlage entsprechender Qualifikation und Bestellung durch das BMF sowie die Vergütung der Beiratsmitglieder. Im Hinblick auf die Zusammensetzung des Beirates, die Einzelheiten der Bestellung seiner Mitglieder, die vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft, das Verfahren (in Bezug auf die Arbeit des Beirates) und die Kosten (Vergütung der Beiratsmitglieder) kann das Bundesministerium der Finanzen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen erlassen. Die diesbezügliche Ermächtigung darf durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2). Ohne von dieser Subdelegationsmöglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, hat das BMF auf Grund der Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Satz 1 die WpÜG-BeiratsVO vom 27.12.20011 erlassen (siehe unten Rz. 26). Die in dieser enthaltenen Regelungen werden im Rahmen der nachfolgenden Erläuterungen der Vorschriften des § 5 Abs. 1 Sätze 2–7 berücksichtigt.
II. Zusammensetzung (§ 5 Abs. 1 Satz 2) Der zu bildende Beirat besteht aus 15 Personen. Diese müssen sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–5 auf vier Vertreter der Emittenten, auf je zwei Vertreter der institutionellen und der privaten Anleger, drei Vertreter der Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 4 WpHG, zwei Vertreter der Arbeitnehmer und zwei Vertreter der Wissenschaft verteilen2. Damit sind die jeweils unmittelbar oder mittelbar betroffenen Wirtschaftskreise einschließlich Arbeitnehmer und sonstige Experten, konkret Vertreter der Wissenschaft, einbezogen. Im Interesse einer effizienten Arbeitsweise schien dem Gesetzgeber diese Anzahl von Beiratsmitgliedern noch vertretbar3.
8
Mitglieder des Beirates sind nur die vom BMF gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 zu Beiratsmit- 9 gliedern bestellten Personen. Zwar gestattet § 5 Abs. 1 Satz 7, dass an den Sitzungen des Beirates Vertreter der Bundesministerien der Finanzen, der Justiz sowie für Wirtschaft und Technologie teilnehmen können, doch handelt es sich bei den entsprechenden Vertretern nicht um Mitglieder des Beirates. Das hat zur Folge, dass sie sich zwar an der Beratung des Gremiums beteiligen können, bei Abstimmungen des Gremiums aber keine Stimme haben. Gleiches muss auch im Hinblick auf den Präsidenten der Bundesanstalt gelten, der zwar zu den Sitzungen des Beirates einlädt (§ 5 Abs. 4 Satz 1; § 3 Abs. 1 WpÜG-BeiratsVO) und diese (ggf. vertreten durch einen von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder Beamten) leitet (§ 5 Abs. 4 Satz 2), aber dadurch nicht die Eigenschaft eines Mitglieds dieses Gremiums erlangt.
1 Verordnung über die Zusammensetzung, die Bestellung der Mitglieder und das Verfahren des Beirats bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BGBl. I 2001, 4259, zuletzt geändert durch Art. 368 der Verordnung vom 31.10.2006, BGBl. I 2006, 2407, 2456; Text im Anhang S. 1733. 2 Die aktuelle Zusammensetzung ist veröffentlicht auf der Internetseite der Bundesanstalt unter www.bafin.de. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36.
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III. Bestellung der Mitglieder (§ 5 Abs. 1 Satz 3) 10
Die Mitglieder werden vom BMF für jeweils fünf Jahre bestellt (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1). Hinsichtlich der Bestellung der Mitglieder aus dem Kreis der Wirtschaft sind – wie in § 5 Abs. 1 Satz 2 geregelt – die betroffenen Kreise anzuhören. Anzuhören sind danach die betroffenen Interessenvertretungen der in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–4 angeführten Gruppen, was insoweit Bedenken hervorrufen mag, als die angeführten Gruppen durchweg nur partikulare Interessenvertretungen aufweisen, doch wird man deren Anhörung – pars pro toto – als ausreichend ansehen können, um die angestrebte Repräsentanz des Gremiums als Ganzes zu gewährleisten. Die Entscheidung über die Berufung einer Person in den Beirat liegt jedoch allein beim BMF1. Für die Vertreter der Wissenschaft ist eine solche Anhörung nicht vorgesehen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2).
IV. Qualifikation der Mitglieder (§ 5 Abs. 1 Satz 4) 11
Da die Mitglieder des Beirates als „Sachverständige“ zur Verfügung stehen sollen, dürfen als solche nur solche Personen bestellt werden, die für die Arbeit in dem Beirat fachlich besonders geeignet sind (§ 5 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1). Das setzt zumindest spezielle, überdurchschnittliche2 Kenntnisse über die Funktionsweise der Kapitalmärkte sowie, kumulativ hierzu, entweder Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts oder des Bilanzwesens oder des Arbeitsrechts voraus (§ 5 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2)3. Im Hinblick auf die Ermittlung der fachlichen Eignung der für eine Mitgliedschaft im Beirat in Betracht kommenden Kandidaten wird sich das BMF (oder in Vorbereitung der Entscheidung ggf. die Bundesanstalt) darauf beschränken können, aus der Ausbildung, dem beruflichen Werdegang und der aktuellen beruflichen Tätigkeit der betreffenden Personen auf deren jeweilige fachliche Eignung zu schließen. Das schließt es freilich nicht aus, dass im Wege einer Rechtsverordnung nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 ein Verfahren zur Anhörung der Betroffenen installiert wird, dessen Durchführung nähere Rückschlüsse auf deren besondere fachliche Eignung erlaubt.
V. Pflichten der Mitglieder 12
Die Tätigkeit im Beirat ist ein Ehrenamt. Das Ehrenamt sollte möglichst unabhängig von einer Interessengruppe ausgeübt werden; denn die Mitglieder werden als Sachverständige tätig4. Zu den Pflichten der Beiratsmitglieder gehören insbesondere die Teilnahme an den Sitzungen des Beirates bzw. die Pflicht, den Präsidenten der Bundesanstalt nach Erhalt einer Einladung zu einer Beiratssitzung unverzüglich über eine Verhinderung an der Sitzungsteilnahme zu unterrichten (siehe unten Rz. 19) sowie die Pflicht zur Verschwiegenheit über die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen (siehe unten Rz. 24). Obwohl als „Vertreter“ der von Angeboten nach dem WpÜG betroffenen Kreise nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 Satz 2 ernannt, 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36. 2 In dieser Minimalanforderung übereinstimmend Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 6; Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 8; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 18; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 5 Rz. 12. 3 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 6; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 5 Rz. 12; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 18; Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 8. 4 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 20.
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§5
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haben die Beiratsmitglieder nicht als Vertreter der Interessen der jeweiligen Betroffenengruppe, sondern als „Sachverständige“ tätig zu werden1. In dieser Eigenschaft sollen sie „zur Lösung der Probleme im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung von öffentlichen Angeboten nur durch die besondere Erfahrung beitragen, die sie sich in ihrem Berufs- oder Lebenskreis erworben haben“2.
VI. Stellvertreter der Beiratsmitglieder Für jedes Mitglied des Beirates ist gemäß § 1 Satz 1 der auf Grund von § 5 Abs. 2 13 Satz 1 ergangenen WpÜG-BeiratsVO ein erster und zweiter Stellvertreter zu bestellen. Scheidet ein Mitglied des Beirates vorzeitig aus (siehe unten Rz. 11), rückt sein Stellvertreter bis zum Ablauf der ursprünglichen Bestellung des ausgeschiedenen Mitglieds automatisch nach (§ 1 Satz 2 WpÜG-BeiratsVO). Steht kein Stellvertreter mehr zur Verfügung, erfolgt die Nachbestellung eines solchen bis zum Ablauf der ursprünglichen Bestellung des ausgeschiedenen Mitglieds (§ 1 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO).
VII. Beendigung der Mitgliedschaft im Beirat Nach § 2 der auf Grund von § 5 Abs. 2 Satz 1 ergangenen WpÜG-BeiratsVO erlischt 14 die Mitgliedschaft im Beirat durch Ablauf der Amtszeit (§ 2 Satz 1 WpÜG-BeiratsVO) oder durch vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft in Gestalt des Widerrufs derselben aus wichtigem Grund durch das BMF (§ 2 Sätze 1 und 2 WpÜG-BeiratsVO). Als wichtige Gründe zum Widerruf der Mitgliedschaft im Beirat werden in § 2 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO insbesondere (d.h. beispielhaft und nicht abschließend) die Umstände angeführt, dass ein Mitglied des Beirates nicht mehr der Gruppe nach § 5 Abs. 1 Satz 2 angehört, die es repräsentiert (siehe oben Rz. 5) oder aus persönlichen Gründen aus dem Beirat auszuscheiden wünscht. In einem solchen Fall beruft gemäß § 1 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO der Präsident der Bundesanstalt einen neuen Beisitzer bis zum Ablauf der ursprünglichen Periode. Der Widerruf ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, gegen den die Rechtsmittel des Widerspruchs und der Anfechtungsklage nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der VwGO zulässig sind, denn die im WpÜG vorgesehenen Rechtsmittelvorschriften richten sich nur gegen Maßnahmen der Bundesanstalt.
VIII. Vergütung des Beirates (§ 5 Abs. 1 Sätze 5 und 6) Die Tätigkeit als Beiratsmitglied ist ein Ehrenamt, das nicht mit einem Honorar ver- 15 gütet wird (§ 5 Abs. 1 Satz 5; § 6 Abs. 1 WpÜG-BeiratsVO). Sofern das Mitglied an den Sitzungen des Beirates teilnimmt, erhält es ein Tagegeld und die Vergütung der Reisekosten nach festen Sätzen (§ 5 Abs. 1 Satz 6). Die diesbezüglichen Sätze bestimmt das BMF (§ 5 Abs. 1 Satz 6). Gemäß § 6 Satz 2 der auf Grund von § 5 Abs. 2 Satz 1 erlassenen WpÜG-BeiratsVO erhalten die Mitglieder des Beirates für ihre Tätigkeit Tagegelder und Reisekostenvergütung nach den Richtlinien des BMF über die Abfindung der Mitglieder von Beiräten, Ausschüssen, Kommissionen und ähnlichen 1 Ebenso Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 3; Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 4; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 5 Rz. 4; Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 9; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 5 Rz. 4; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 5 Rz. 13. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 36.
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Einrichtungen im Bereich des Bundes vom 31.10.2001 (GMBl. 2002, 92). Auf die Erstattung des Tagegelds und der Reisekosten besteht ein durch einen entsprechenden Antrag geltend zu machender Rechtsanspruch gegen die Bundesanstalt1. Diesbezügliche Entscheidungen der Bundesanstalt stellen Verwaltungsakte dar2, gegen die im Wege des Verpflichtungswiderspruchs bzw. der Verpflichtungsbeschwerde vorgegangen werden kann. Ist schon zu bestreiten, dass der Beirat im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben überhaupt in einem Verwaltungsverfahren i.S.d. § 9 VwVfG tätig wird und §§ 82–93 VwVfG Anwendung finden (siehe oben Rz. 3), so wäre die Regelung in § 5 Abs. 1 Sätze 5 und 6 doch jedenfalls als eine § 85 VwVfG verdrängende Sonderregelung zu betrachten3.
IX. Verordnungsermächtigung (§ 5 Abs. 2) 16
§ 5 Abs. 2 ermächtigt das BMF, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Zusammensetzung des Beirates, die Einzelheiten der Bestellung seiner Mitglieder, die vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft, das Verfahren und die Kosten zu erlassen, und gestattet es dem Ministerium, die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt zu übertragen. Mit dem Erlass der Beiratsverordnung4 hat das BMF selbst von der Ermächtigung Gebrauch gemacht.
D. Aufgabe des Beirates (§ 5 Abs. 3) I. Übersicht 17
Die Aufgabe des Beirates ist eine zweifache: Er wirkt bei der Aufsicht mit, indem er zum einen die Bundesanstalt, insbesondere bei dem Erlass von Rechtsverordnungen für die Aufsichtstätigkeit des Amts, berät (§ 5 Abs. 3 Sätze 1–2) und indem er zum anderen mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder Vorschläge für die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchausschusses und deren Vertreter in Form einer Vorschlagsliste unterbreitet (§ 5 Abs. 3 Satz 3). Zudem sieht § 28 Abs. 2 eine Pflicht der Bundesanstalt zur Anhörung des Beirates vor, und zwar vor Erlass von allgemeinen Maßnahmen, die Missständen bei der Werbung im Zusammenhang mit Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren begegnen sollen5.
II. Mitwirkung bei der Aufsicht durch Beratung (§ 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2) 18
Die Mitwirkung des Beirates bei der Aufsicht (§ 5 Abs. 3 Satz 1) ist ausschließlich eine solche in Gestalt der Beratung der Bundesanstalt. Über selbständige Aufsichtskompetenzen oder Befugnisse zur Mitausübung der Aufsicht verfügt der Beirat mit1 2 3 4
Vgl. Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 10; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 40. Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 10; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 5 Rz. 40. So auch Ritz in Baums/Thoma, § 5 Rz. 13. Verordnung über die Zusammensetzung, die Bestellung der Mitglieder und das Verfahren des Beirats bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BeiratsVO) vom 27.12.2001, BGBl. I 2001, 4259, zuletzt geändert durch Art. 368 des Gesetzes vom 31.10.2006, BGBl. I 2006, 2407; Text im Anhang S. 1733. 5 Vgl. auch die vergleichbare Regelung in § 36b WpHG, auf deren Basis von der Bundesanstalt eine entsprechende Allgemeinverfügung erlassen wurde.
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hin nicht und darf er auch nicht verfügen, soll eine mit Art. 87 Abs. 3 GG nicht zu vereinbarende Mischverwaltung vermieden werden1. Dieser Aspekt hätte es freilich erlaubt, die Beratung der Anstalt bei einzelnen Aufsichtsmaßnahmen und Verfügungen der Anstalt zur Pflicht zu machen. Dennoch hat der Gesetzgeber von einer entsprechenden Regelung abgesehen und selbst Überlegungen zurückgewiesen, die Bundesanstalt zur Anhörung des Beirats vor Erlass von Rechtsverordnungen zu verpflichten2. Deshalb hängt weder die Wirksamkeit einer Aufsichtsmaßnahme der Bundesanstalt noch diejenige des Erlasses einer Rechtsverordnung durch die Bundesanstalt von der Anhörung des Beirates und der Einholung seines Rats ab3. Darüber hinaus gewährt § 5 Abs. 3 Satz 2 dem Beirat kein erzwingbares Recht zur Mitwirkung bei der Aufsicht in Gestalt der Beratung der Bundesanstalt, doch räumt § 3 Abs. 1 Satz 2 WpÜG-BeiratsVO dem Beirat die Befugnis ein, auf Antrag von mindestens acht Mitgliedern die Anberaumung einer Sitzung des Beirates verlangen zu können. Ihrerseits kann die Bundesanstalt den Rat des Beirates in allen Angelegenheiten der 19 Aufsicht suchen. Zu diesen gehören auch Entscheidungen des Widerspruchsausschusses oder der Bundesanstalt über Widersprüche gegen Verfügungen der Bundesanstalt (siehe § 6 Rz. 22). Wenn § 5 Abs. 3 Satz 2 anführt, der Beirat berate die Bundesanstalt bei dem Erlass von Rechtsverordnungen, so handelt es sich hierbei nur um eine vom Gesetzgeber hervorgehobene Beratungsaufgabe des Beirates. Die Aufgabe des Beirates beschränkt sich auf die Beratung der Bundesanstalt. Dementsprechend wird der Erlass von Rechtsverordnungen durch das BMF in den Bereichen, in denen es seine Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen nicht auf Grund entsprechender Ermächtigung durch einzelne Vorschriften des WpÜG auf die Bundesanstalt übertragen hat, von § 5 Abs. 3 Satz 2 nicht erfasst. Aber auch in den Fällen, in denen der Beirat beratend tätig werden kann und tätig wird, ist die Bundesanstalt nicht an den Rat des Beirates gebunden4.
III. Vorschlagsrecht nach § 5 Abs. 3 Satz 3 Neben der Mitwirkung bei der Aufsicht durch Beratung besteht eine weitere, praktisch relevantere Aufgabe des Beirates darin, mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder Vorschläge für die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses und deren Vertreter (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) zu unterbreiten. Die vorgeschlagenen Personen können, müssen aber nicht Mitglieder des Beirates sein5. Die Ernennung der Beisitzer (und ihrer Vertreter, siehe § 6 Rz. 9) erfolgt gemäß § 6 Abs. 3 durch den Präsidenten der Bundesanstalt. Dieser ist an die Vorschläge des Beirates nicht gebunden.
20
Bei der Erstellung der Vorschlagsliste hat der Beirat darauf zu achten, dass nur solche Personen zu ehrenamtlichen Beisitzern des Widerspruchsausschusses bestellt werden können, die nach § 15 des BWG wählbar sind (§ 1 Abs. 2 WpÜG-Widerspruchs-
21
1 Vgl. Begr. RegE 2. FFG zu § 5 Abs. 2 WpHG, BT-Drucks. 12/6679 v. 27.1.1994, S. 40 f., und Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 5 WpHG Rz. 3. 2 Einen entsprechenden Vorschlag hatte der DAV-Handelsrechtsausschuss unterbreitet; siehe NZG 2001, 420, 422. 3 Zu der insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 (am Anfang) WpHG siehe Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 5 WpHG Rz. 4. Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 5 WpÜG Rz. 12. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37.
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ausschussVO; siehe § 6 Rz. 10). Da der Präsident der Bundesanstalt nach § 1 Abs. 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO aus der vom Beirat nach § 5 Abs. 3 Satz 3 zu erstellenden Vorschlagsliste 15 Personen auswählen und zu ehrenamtlichen Beisitzern zu bestellen hat, sollte die Vorschlagsliste des Beirates zweckmäßigerweise mindestens fünfzehn Vorschläge enthalten.
E. Verfahrensfragen (§ 5 Abs. 1 Satz 7, Abs. 4 und 5) I. Sitzungen des Beirates (§ 5 Abs. 1 Satz 7, Abs. 4) 22
Der Beirat tritt auf Einladung des Präsidenten der Bundesanstalt zusammen (§ 5 Abs. 4 Satz 1; § 3 Abs. 1 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO), wann immer dieser eine Sitzung des Beirates für erforderlich hält. Einen festen Sitzungsturnus oder eine Mindestzahl von Sitzungen schreibt weder das Gesetz noch die WpÜG-BeiratsVO vor. Aus eigener Initiative kann der Beirat nicht zusammentreten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WpÜG-BeiratsVO ist der Präsident der Bundesanstalt jedoch verpflichtet, eine Sitzung des Beirates einzuberufen, wenn mindestens acht Mitglieder des Beirates einen solchen Antrag stellen. Die Einladung muss die Zeit und den Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung enthalten (§ 3 Abs. 1 Satz 4 WpÜG-BeiratsVO).
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Vom Präsidenten der Bundesanstalt einzuladen sind die Mitglieder des Beirates. Falls ein Mitglied des Beirates verhindert ist, an dessen Sitzung teilzunehmen, so hat es den Präsidenten der Bundesanstalt hierüber unverzüglich zu unterrichten (§ 3 Abs. 1 Satz 5 WpÜG-BeiratsVO). Die Einladung von Vertretern der Bundesministerien der Finanzen, der Justiz sowie für Wirtschaft und Technologie steht dem Präsidenten frei; umgekehrt können die vorstehend angeführten Ministerien gemäß § 5 Abs. 1 Satz 7 aber verlangen, durch Vertreter an den Sitzungen des Beirates teilzunehmen und hierzu eingeladen zu werden. Darüber hinaus kann der Präsident der Bundesanstalt weitere Vertreter des Amts zu der Sitzung heranziehen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 WpÜG-BeiratsVO), was ihm erlaubt, die mit einer Aufsichtsmaßnahme befassten Mitarbeiter der Bundesanstalt an der Sitzung des Beirates teilnehmen und gegebenenfalls einen Sachbericht abgeben zu lassen.
24
Die Sitzungen des Beirates werden vom Präsidenten der Bundesanstalt, einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder einem von ihm beauftragten Beamten geleitet (§ 5 Abs. 4 Satz 2). Sie sind nicht öffentlich (§ 3 Abs. 2 Satz 1 WpÜG-BeiratsVO), was den Vorteil mit sich bringt, dass sie jederzeit – nach Bedarf – kurzfristig und ohne die Pflicht zur Wahrung gesetzlicher Fristen, anberaumt werden können1.
II. Beschlussfassung und Protokollierung 25
Der Beirat ist beschlussfähig, wenn mindestens acht Mitglieder anwesend sind (§ 4 Satz 1 WpÜG-BeiratsVO). Bei der Beschlussfassung hat jedes Mitglied eine Stimme (§ 4 Satz 2 WpÜG-BeiratsVO). Der Präsident der Bundesanstalt und Leiter der Sitzung des Beirates ist nicht Beiratsmitglied und hat dementsprechend keine Stimme.
26
Beschlüsse des Beirates im Zusammenhang mit seiner Aufgabe der Mitwirkung bei der Aufsicht nach § 5 Abs. 3 Sätze 1–2 bedürfen der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 4 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO). Für die Unterbreitung der Vorschlä1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37.
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§6
Widerspruchsausschuss
ge für die ehrenamtlichen Mitglieder des Widerspruchsausschusses und deren Vertreter nach § 5 Abs. 3 Satz 3 ist dagegen eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Beirates erforderlich (§ 4 Satz 4 WpÜG-BeiratsVO). Über die Sitzungen und Beschlüsse des Beirates ist von der Bundesanstalt ein 27 Protokoll anzufertigen, das der Sitzungsleiter und der Protokollführer zu unterzeichnen haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WpÜG-BeiratsVO) und das an die Mitglieder des Beirates und die übrigen Teilnehmer zu versenden ist (§ 5 Abs. 1 Satz 4 WpÜG-BeiratsVO). Erhebt innerhalb von drei Werktagen nach seiner Übersendung kein Mitglied schriftlich Einwendungen gegen das Protokoll, so gilt dies als genehmigt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WpÜG-BeiratsVO). Über Einwendungen entscheidet der Sitzungsleiter, d.h. in der Regel der Präsident der Bundesanstalt, abschließend. Notwendiger Inhalt des Protokolls sind nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1–4 WpÜG-BeiratsVO Angaben über Ort und Tag der Sitzung, die Namen der anwesenden Personen, die behandelten Gegenstände der Tagesordnung sowie die Ergebnisse und gefassten Beschlüsse. Die Wirksamkeit eines Beschlusses ist jedoch nicht von seiner Protokollierung abhängig (§ 5 Abs. 2 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO).
III. Verschwiegenheitspflicht Die Mitglieder des Beirates sowie die übrigen der an den Sitzungen des Beirates teilnehmenden Personen unterliegen der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 des WpÜG (so für die Mitglieder des Beirates auch § 3 Abs. 2 Satz 3 WpÜG-BeiratsVO). Die Mitglieder des Beirates sind nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2.3.1974 (BGBl. I 1974, 469, 547, geändert durch § 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 15.8.1974, BGBl. I 1974, 1942) in dessen jeweils geltender Fassung von der Bundesanstalt auf eine gewissenhafte Erfüllung ihrer Verschwiegenheitsobliegenheiten zu verpflichten (§ 9 Abs. 3).
28
IV. Geschäftsordnung (§ 5 Abs. 5) Der Beirat ist verpflichtet, sich eine Geschäftsordnung zu geben (§ 5 Abs. 5). Diese kann im Rahmen der durch das WpÜG (namentlich § 5) und der auf Grund von § 5 Abs. 2 ergangenen WpÜG-BeiratsVO im Besonderen und der durch Gesetz und Recht im Allgemeinen gezogenen Grenzen nähere Regeln zur Ausgestaltung der Arbeit des Beirats und dem diesbezüglich einzuhaltenden Verfahren enthalten.
§6 Widerspruchsausschuss (1) Bei der Bundesanstalt wird ein Widerspruchsausschuss gebildet. Dieser entscheidet über Widersprüche gegen Verfügungen der Bundesanstalt nach § 4 Abs. 1 Satz 3, § 10 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3, § 15 Abs. 1 und 2, § 20 Abs. 1, §§ 24, 28 Abs. 1, §§ 36 und 37. (2) Der Widerspruchsausschuss besteht aus 1. dem Präsidenten der Bundesanstalt oder einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor oder Beamten, der die Befähigung zum Richteramt hat, als Vorsitzendem, 2. zwei vom Präsidenten der Bundesanstalt beauftragten Beamten als Beisitzern,
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§6
Widerspruchsausschuss
3. drei vom Präsidenten der Bundesanstalt bestellten ehrenamtlichen Beisitzern. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. (3) Die ehrenamtlichen Beisitzer werden vom Präsidenten der Bundesanstalt für fünf Jahre als Mitglieder des Widerspruchsausschusses bestellt. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über das Verfahren, die Einzelheiten der Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer, die vorzeitige Beendigung und die Vertretung erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Bildung und Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses (§ 6 Abs. 1) .
3
C. Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses sowie Bestellung und Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer (§ 6 Abs. 2 und 3) . . . . . . . . . . . . . . . .
6
I. Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses (§ 6 Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
D. Verfahren im Widerspruchsausschuss (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und WpÜG-WiderspruchsausschussVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Einladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 III. Auswahl der ehrenamtlichen Beisitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 IV. Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . 18
II. Amtliche Beisitzer. . . . . . . . . . . . . . .
8
III. Bestellung und Amtszeit der ehrenamtlichen Beisitzer (§ 6 Abs. 3) . . . .
9
IV. Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
V. Sitzungen und Entscheidungen des Widerspruchsausschusses . . . . . 21 E. Verordnungsermächtigung (§ 6 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Überblick 1
§ 6 Abs. 1 Satz 1 ordnet die Bildung eines Widerspruchsausschusses zur Entscheidung über Widersprüche gegen die in § 6 Abs. 1 Satz 2 angeführten Verfügungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt, BaFin) an. § 6 Abs. 2 und 3 regeln die Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses und die Bestellung der Ausschussmitglieder. § 6 Abs. 4 ermächtigt das BMF, mittels Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über das Verfahren des Widerspruchsausschusses, die Einzelheiten der Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer, die vorzeitige Beendigung ihrer Bestellung und die Vertretung verhinderter Beisitzer zu erlassen. Das BMF hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und die WpÜG-Widerspruchsausschuss-Verordnung vom 27.12.20011 (WpÜG-WiderspruchsausschussVO) erlassen. Die Rege1 Verordnung über die Zusammensetzung und das Verfahren des Widerspruchsausschusses bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BGBl. I 2001, 4261, geändert durch Art. 1 der Änderungsverordnung vom 26.6.2003, BGBl. I 2003, 1006; Text im Anhang S. 1736.
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lungen dieser Verordnung werden bei der Erläuterung der Bestimmungen des § 6 mit berücksichtigt. Auf den Widerspruchsausschuss finden darüber hinaus die Vorschriften der §§ 88–93 VwVfG Anwendung (siehe Rz. 2). Für das Widerspruchsverfahren, das der Erhebung der Beschwerde nach § 48 regelmäßig (siehe zu Ausnahmen § 41 Abs. 1 Satz 2) vorausgehen muss (§ 41 Abs. 1 Satz 1), ist § 41 maßgeblich. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 3 gelten für das Widerspruchsverfahren die §§ 68–73 VwGO, soweit im WpÜG nichts Abweichendes geregelt ist. Die Vorschrift wurde durch Art. 2c des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanz- 2 aufsicht vom 28.11.20121 geändert. Mit der Änderung wurde klargestellt, dass der Präsident der Bundesanstalt auch weiterhin einem Exekutivdirektor, der seit der FinDAG-Änderung2 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24.11.2010 im Hinblick auf die Errichtung der Europäischen Finanzaufsichtssystems vom 4.12.2011 in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht, den Vorsitz im Widerspruchsausschuss übertragen kann.
B. Bildung und Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses (§ 6 Abs. 1) § 6 Abs. 1 Satz 1 verlangt die Bildung eines Widerspruchsausschusses. Bei diesem 3 handelt es sich um eine in die Bundesanstalt eingegliederte kollegiale Einrichtung i.S.d. § 88 VwVfG, dessen Entscheidungen der Bundesanstalt zugerechnet werden, und nicht um eine eigenständige Behörde3. Soweit nicht anderweitige Rechtsvorschriften, wie insbesondere die Bestimmungen der WpÜG-WiderspruchsausschussVO, etwas anderes bestimmen, finden deshalb auf den Widerspruchsausschuss die Vorschriften der §§ 89–93 VwVfG Anwendung4. Der Widerspruchsausschuss ist für die Entscheidung über Widersprüche gegen die in 4 § 6 Abs. 1 Satz 2 angeführten Verfügungen (d.h. Verwaltungsakte i.S.v. § 35 VwVfG)5 der Bundesanstalt ausschließlich zuständig. Hierbei ist die Bundesanstalt Widerspruchsbehörde gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO für die von ihr zur Durchsetzung des WpÜG erlassenen Verfügungen. Im Einzelnen hat der Widerspruchsausschuss nach § 6 Abs. 1 Satz 2 zu entscheiden über Widersprüche gegen – eine Anordnung der Bundesanstalt zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 (§ 4 Abs. 1 Satz 3), – eine Verfügung der Bundesanstalt über einen Antrag des Bieters, es ihm abweichend von § 10 Abs. 1 Satz 2 zu gestatten, eine Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen (§ 10 Abs. 1 Satz 3), – eine Verfügung der Bundesanstalt über einen Antrag des Bieters mit Wohnort oder Sitz im Ausland, es ihm zu gestatten, die Mitteilung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gegenüber den in § 10 Abs. 2 Satz 1 angeführten Stellen nicht, 1 2 3 4
BGBl. I 2012, 2369. Änderung des FinDAG durch Art. 8 des Gesetzes vom 4.12.2011 (BGBl. I 2011, 2427). Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. Ebenso etwa Noack in Schwark/Zimmer, § 6 WpÜG Rz. 1; Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 3; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 10; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 6 Rz. 4; Stögmüller in FrankfKomm. WpÜG, § 6 Rz. 2. 5 Ausdrücklich weist Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37, darauf hin, „schlicht verwaltende Tätigkeit und Verlautbarungen“ der Behörde seien hiervon nicht erfasst.
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wie diese Bestimmung es verlangt, vor, sondern gleichzeitig mit der Veröffentlichung vorzunehmen (§ 10 Abs. 2 Satz 3), – die Untersagung eines Angebots durch die Bundesanstalt nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2, – eine Verfügung der Bundesanstalt über den Antrag des Bieters nach § 20 Abs. 1 über die Nichtberücksichtigung des Handelsbestands an Wertpapieren der Bietergesellschaft, d.h. dem Antrag, bestimmte Wertpapiere der Zielgesellschaft bei den ergänzenden Angaben nach § 11 Abs. 4 Nr. 2, den Veröffentlichungspflichten nach § 23, der Berechnung des Stimmrechtsanteils nach § 29 Abs. 2 und der Bestimmung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 1, 3 und 4 und der Geldleistung nach § 31 Abs. 5 unberücksichtigt zu lassen, – eine Verfügung der Bundesanstalt bei grenzüberschreitenden Angeboten über den Antrag des Bieters nach § 24, es ihm zu gestatten, bestimmte Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in dem Staat von dem Angebot auszunehmen, – die Untersagung bestimmter Arten der Werbung durch die Bundesanstalt nach § 28 Abs. 1, – eine Verfügung der Bundesanstalt über die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten nach § 36 sowie – eine Verfügung der Bundesanstalt über die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots gemäß § 37. 5
Der sich aus § 6 Abs. 1 Satz 2 ergebende, oben in Rz. 4 aufgelistete Zuständigkeitskatalog ist abschließend1. Zwar findet auch bei Widersprüchen gegen Verfügungen, die auf anderen als den in § 6 Abs. 1 Satz 2 genannten Rechtsgrundlagen beruhen, wie etwa Gebührenbescheide oder Auskunftsverlangen der Bundesanstalt nach § 40 Abs. 1 bis 4, ein Widerspruchsverfahren statt, doch ist diesbezüglich eine Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses nicht begründet. Die Einschaltung des Widerspruchsausschusses schien dem Gesetzgeber in solchen Fällen nicht angezeigt, weil es sich bei diesen entweder um bloße Verfügungen zur Vorbereitung oder Vollziehung anderer Entscheidungen oder um Gebührenbescheide der Bundesanstalt handele2. Sinn dieser Regelung ist es, den Widerspruchsausschuss nur mit Widersprüchen gegen „grundlegende Sachentscheidungen zur Regelung des Angebotsverfahrens“ zu befassen, in allen anderen Fällen dem Gedanken der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen und die im Widerspruchsausschuss tätigen ehrenamtlichen Beisitzer zu entlasten3.
C. Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses sowie Bestellung und Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer (§ 6 Abs. 2 und 3) I. Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses (§ 6 Abs. 2 Satz 1) 6
Der Widerspruchsausschuss setzt sich nach § 6 Abs. 2 Satz 1 zusammen aus dem Präsidenten der Bundesanstalt (oder einem von ihm beauftragten Exekutivdirektor 1 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 4 Rz. 2; Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 5; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 12; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 6 Rz. 3. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37.
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oder einem beauftragten Beamten, der die Befähigung zum Richteramt gemäß § 5 DRiG hat1) als Vorsitzendem, zwei vom Präsidenten der Bundesanstalt beauftragten Beamten als (amtlichen) Beisitzern und drei vom Präsidenten der Bundesanstalt bestellten ehrenamtlichen Beisitzern. Die Besetzung des Widerspruchsausschusses mit den ehrenamtlichen Beisitzern soll 7 diesem die besondere Fachkompetenz der betroffenen Wirtschaftskreise und Interessengruppen zuführen, eine möglichst breite Akzeptanz der Entscheidungen des Widerspruchsausschusses herbeiführen und dadurch im Interesse aller Beteiligter zu einer zügigen Abwicklung des Verfahrens beitragen2. Die ehrenamtlichen Beisitzer üben ihr Amt als unentgeltliches Ehrenamt aus. Sofern sie an den Sitzungen des Widerspruchsausschusses teilnehmen, erhalten sie ein Tagegeld und die Vergütung ihrer Reisekosten (§ 7 Sätze 1 und 2 WpÜG-WiderspruchsausschussVO; näher zur Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer unten Rz. 13 ff.).
II. Amtliche Beisitzer Amtliche Beisitzer i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sind die vom Präsidenten der Bundes- 8 anstalt beauftragten Beamten. Als solche kommen aus praktischen Erwägungen nur Bedienstete der Bundesanstalt in Betracht3. Zudem soll die Bundesanstalt auch auf die aus der Tätigkeit der Beamten in der Behörde fließende Sachkompetenz abstellen. Die Amtszeit der beauftragten Beamten ist mangels anderweitiger Regelung unbegrenzt und endet nur mit Abberufung durch den Präsidenten der Bundesanstalt oder durch Verlust der Beamteneigenschaft4. Für die Abberufung der amtlichen Beisitzer ist § 2 Satz 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO nicht anwendbar. Hier fehlt es schon an einer entsprechenden Verordnungsermächtigung in § 6 Abs. 4. Entsprechend steht es dem Präsidenten der Bundesanstalt im Rahmen seines Organisationsrechts frei, neue amtliche Beisitzer zu berufen5. Für die amtlichen Beisitzer werden durch den Präsidenten jeweils Vertreter benannt, die die gleichen Voraussetzungen erfüllen müssen, wie die amtlichen Beisitzer.
III. Bestellung und Amtszeit der ehrenamtlichen Beisitzer (§ 6 Abs. 3) Die Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses (und ihrer 9 Vertreter, vgl. § 5 Abs. 3 Satz 36) erfolgt nach § 6 Abs. 3 durch den Präsidenten der 1 Irreführend Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 11, nach deren Ausführungen „der Vorsitzende“, also ggf. auch der Präsident der Bundesanstalt, die Befähigung zum Richteramt haben müsse. Das ist der Vorschrift indes nicht zu entnehmen. Wie hier z.B. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 16; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 6 Rz. 5. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. 3 Hierfür sprechen schon die Dienstherreneigenschaft des Präsidenten für die Beamten der Bundesanstalt und der Umstand der fehlenden Weisungsmöglichkeit für Beamte anderer Behörden. Ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 11; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 6 Rz. 6. Implizit auch Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 6 Rz. 12 (Bestimmung der Beamten „im Rahmen seiner Dienstherreneigenschaft“). A.A. Noack in Schwark/Zimmer, § 6 WpÜG Rz. 7; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 18. 4 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 6 WpÜG Rz. 7; Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 11; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 25; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 6 Rz. 6. 5 Wie hier Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 25; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 6 Rz. 12. 6 Die Nichterwähnung der Ernennung der Vertreter ist als Redaktionsversehen anzusehen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die in der Stellungnahme des DAV-Handels-
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Bundesanstalt für die Dauer von fünf Jahren. Für die Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer unterbreitet der Beirat (§ 5) mit Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder Vorschläge (§ 5 Abs. 3 Satz 3), doch ist der Präsident an die Vorschläge des Beirats nicht gebunden (siehe § 5 Rz. 16). Die erstellte Liste ist zeitlich nicht befristet und kann vom Beirat aktualisiert werden, sollte es aber jedenfalls, wenn nicht mehr genügend aktuelle Vorschläge vorhanden sind. Für die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des ehrenamtlichen Beisitzers kann auf § 2 Satz 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO verwiesen werden. Nach § 86 Satz 1 VwVfG kann eine Person, die zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit herangezogen worden ist, von der Stelle, die sie berufen hat, aus wichtigem Grund abberufen werden. Ein solcher liegt nach § 86 Satz 2 VwVfG insbesondere vor, wenn der ehrenamtlich Tätige seine Pflicht gröblich verletzt oder sich als unwürdig erwiesen hat (Nr. 1) oder seine Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß ausüben kann (Nr. 2). Für den Fall der Abberufung wird gemäß § 2 Satz 2 WpÜG-WiderspruchsausschussVO ein neuer Beisitzer nach § 1 Abs. 1 WpÜGWiderspruchsausschussVO bis zum Ablauf der ursprünglichen Bestellung des abberufenen Beisitzers bestellt. 10
Zu ehrenamtlichen Beisitzern können nur solche Personen bestellt werden, die nach § 15 des BWG wählbar sind (§ 1 Abs. 2 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Nach dieser Bestimmung ist wählbar, wer am Wahltage Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist und das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; nicht wählbar ist, wer nach § 13 BWG vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, infolge Richterspruchs die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt.
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Um die Arbeitsfähigkeit des Widerspruchsausschusses für den Fall der Notwendigkeit der gleichzeitigen Behandlung mehrerer Widersprüche in einem oder verschiedenen Verfahren zu gewährleisten, kann dieser in unterschiedlicher Besetzung über die Widersprüche gegen die in § 6 Abs. 1 Satz 2 angeführten Verfügungen der Bundesanstalt entscheiden1. Das erfordert die Bestellung einer ausreichenden Anzahl von ehrenamtlichen Beisitzern. Zu diesem Zwecke bestimmt § 1 Abs. 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO, dass der Präsident der Bundesanstalt aus der vom Beirat nach § 5 Abs. 3 Satz 3 zu erstellenden Vorschlagsliste 15 Personen auszuwählen und zu ehrenamtlichen Beisitzern zu bestellen hat. Die Vorschlagsliste des Beirats sollte deshalb mindestens 15 (zweckmäßigerweise aber mehr) Vorschläge enthalten.
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Die ehrenamtlichen Mitglieder des Beirates unterliegen einer Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1, auf deren gewissenhafte Erfüllung sie gemäß § 9 Abs. 3 nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2.3.1974 (BGBl. I 1974, 469, 547, zuletzt aktuell geändert durch § 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 15.8.1974, BGBl. I 1974, 1942) in dessen jeweils geltender Fassung von der Bundesanstalt zu verpflichten sind.
IV. Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer 13
Die Tätigkeit der ehrenamtlichen Beisitzer ist ein Ehrenamt, das nicht mit einem Honorar vergütet wird (§ 7 Satz 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Sofern die ehrenamtlichen Beisitzer an den Sitzungen des Widerspruchsausschusses teilnehmen, rechtsausschusses vom April 2001 zum Referentenentwurf eines WpÜG (NZG 2001, 420, 422) angemahnte Klarstellung, ob mit der Vorschrift auch die Bestellung von Vertretern ermöglicht werde, keinen Widerhall fand. Wäre anderes gewollt, hätte hierzu eine Erläuterung nahe gelegen. Für ein Redaktionsversehen und wie hier auch Süßmann in Geibel/Süßmann, § 5 Rz. 10. I.E. zustimmend Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 12. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37.
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erhalten sie hierfür nach § 7 Satz 2 WpÜG-WiderspruchsausschussVO als Entschädigung ein Tagegeld und die Vergütung ihrer Reisekosten nach den Richtlinien des BMF über die Abfindung der Mitglieder von Beiräten, Ausschüssen, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen im Bereich des Bundes vom 9.11.1981 (GMBl. 1981, 515), zuletzt geändert durch das Rundschreiben des BMF vom 19.3.1997 (GMBl. 1997, 172). Auf die durch einen entsprechenden Antrag geltend zu machende Entschädigung in vorstehendem Sinne besteht ein Rechtsanspruch gegen die Bundesanstalt1. Diesbezügliche Entscheidungen der Bundesanstalt stellen Verwaltungsakte dar, gegen die im Wege des Verpflichtungswiderspruchs bzw. der Verpflichtungsbeschwerde vorgegangen werden kann2.
D. Verfahren im Widerspruchsausschuss (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und WpÜG-WiderspruchsausschussVO) I. Übersicht § 6 enthält keine näheren Bestimmungen über das Verfahren im Widerspruchsaus- 14 schuss. § 6 Abs. 2 Satz 2 ordnet nur an, dass bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden entscheidet. Die auf Grund der Ermächtigung in § 6 Abs. 4 ergangene WpÜG-WiderspruchsausschussVO enthält jedoch eine Reihe von Vorschriften, die das vom Widerspruchsausschuss einzuhaltende Verfahren betreffen. Zudem ist § 41 zu beachten, der seinerseits auf §§ 68–73 VwGO verweist.
II. Einladung Die Einberufung des Widerspruchsausschusses erfolgt gemäß § 5 Satz 1 WpÜG-Wi- 15 derspruchsausschussVO durch dessen Vorsitzenden (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Organisatorisch steht ihm hierfür eine Geschäftsstelle für den Widerspruchsausschuss zur Verfügung. Er lädt die Beisitzer und die Beteiligten nach näherer Maßgabe des § 5 Sätze 2–4 WpÜG-WiderspruchsausschussVO ein. Die Einladung erfolgt aufgrund der zeitlich eng bemessenen Entscheidungsfrist nach § 41 Abs. 2 Satz 1 schriftlich i.d.R. nach telefonischer Abklärung der Verfügbarkeit oder in besonders eilbedürftigen Fällen sogar telefonisch (§ 5 Satz 4 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). In der Einladung sind Ort, Zeit und Gegenstand der Sitzung sowie Besetzung des Widerspruchsausschusses mitzuteilen. Zudem wird den Beisitzern regelmäßig zur Vorbereitung der Sitzung eine Kopie der Verfahrensakte zur Verfügung gestellt. Der Widerspruchsausschuss kann insbesondere in Anbetracht der Liste der ehrenamtlichen Beisitzer in unterschiedlichen Besetzungen entscheiden.
III. Auswahl der ehrenamtlichen Beisitzer Da der Präsident der Bundesanstalt fünfzehn ehrenamtliche Beisitzer des Widerspruchsausschusses zu bestellen hat, dieser jedoch in einer Zusammensetzung entscheiden muss, in der lediglich drei ehrenamtliche Beisitzer vertreten sein dürfen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3), ist die Frage nach der Reihenfolge der Mitwirkung der bestellten ehrenamtlichen Beisitzer aufgeworfen. § 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO beantwortet sie dahingehend, dass die ehrenamtlichen Beisitzer zu den 1 Vgl. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 45. 2 Vgl. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 45.
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Sitzungen des Widerspruchsausschusses auf Grund einer Liste – der Beisitzerliste – heranzuziehen sind (§ 3 Abs. 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO), wobei die Reihenfolge der ehrenamtlichen Beisitzer auf der Beisitzerliste in einer Sitzung des Widerspruchsausschusses durch ein vom Vorsitzenden des Ausschusses zu ziehendes Los zu bestimmen ist (§ 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Da zu diesem Zeitpunkt die Reihenfolge der Heranziehung der ehrenamtlichen Beisitzer noch nicht bestimmt, sondern erst zu bestimmen ist, kann hierbei nur eine Sitzung des Widerspruchsausschusses ohne die bestellten ehrenamtlichen Beisitzer oder mit allen bestellten ehrenamtlichen Beisitzern in Frage kommen. Zweckmäßigerweise wird man diesbezüglich eine Sitzung des Widerspruchsausschusses ohne die bestellten ehrenamtlichen Beisitzer in Betracht zu ziehen haben, da diese allenfalls Zeugenfunktion im Hinblick auf die Losziehung durch den Präsidenten der Bundesanstalt haben könnten und diese, ohne die hierdurch verursachten Kosten und den Zeitaufwand der ehrenamtlichen Beisitzer, durch die vom Präsidenten der Bundesanstalt beauftragten Beamten als Beisitzer (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) erfüllt werden kann. 17
Die Führung der Beisitzerliste ist Sache des Vorsitzenden des Widerspruchsausschusses (§ 3 Abs. 2 Satz 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO), d.h. des Präsidenten der Bundesanstalt oder eines von ihm beauftragten Beamten, der die Befähigung zum Richteramt hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Scheidet ein ehrenamtlicher Beisitzer aus und wird für diesen ein neuer bestellt, so nimmt der Neue die Stelle des Ausscheidenden in der Beisitzerliste ein (§ 3 Abs. 2 Satz 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Bei Verhinderung eines ehrenamtlichen Beisitzers ist der in der Beisitzerliste dem Verhinderten nachfolgende Beisitzer zur Mitwirkung berufen (§ 3 Abs. 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO).
IV. Inkompatibilitäten 18
Von der Mitwirkung an einem Widerspruchsverfahren sind die in § 20 VwVfG benannten Personen sowie jene ausgeschlossen, für welche die Besorgnis der Befangenheit nach Maßgabe von § 21 VwVfG besteht.
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Ergänzend zu diesen Vorschriften bestimmt § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO, dass ehrenamtliche Beisitzer, die bei dem Bieter oder der Zielgesellschaft, bei einem mit diesen verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) oder bei einer mit diesen gemeinsam handelnden Person (§ 2 Abs. 5) beschäftigt oder Organmitglieder sind, von der Mitwirkung an Entscheidungen des Widerspruchsausschusses ausgeschlossen sind. Gleiches gilt für ehrenamtliche Beisitzer, die bei einem Unternehmen beschäftigt oder Organmitglieder sind, das für den Bieter, die Zielgesellschaft oder eine mit diesem gemeinsam handelnde Person im Zusammenhang mit dem Angebot tätig geworden ist (§ 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). In diesem Falle bestimmt der Vorsitzende des Widerspruchsausschusses (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) einen anderen ehrenamtlichen Beisitzer.
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Unbeschadet der §§ 20, 21 VwVfG sind darüber hinaus beamtete Beisitzer (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) von der Mitwirkung an Entscheidungen des Widerspruchsausschusses ausgeschlossen, wenn sie an dem Erlass der angegriffenen Entscheidung beteiligt waren (§ 4 Abs. 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO).
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V. Sitzungen und Entscheidungen des Widerspruchsausschusses Die Sitzungen des Widerspruchsausschusses sind nicht öffentlich (§ 6 Abs. 2 WpÜGWiderspruchsausschussVO). Der Grund hierfür ist, dass regelmäßig nach § 9 geheimhaltungsbedürftige und brisante Tatsachen offenbart werden.
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Der Widerspruchsausschuss ist bei Anwesenheit des Vorsitzenden (§ 6 Abs. 2 Satz 1 22 Nr. 1) und zweier Beisitzer beschlussfähig (§ 6 Abs. 3 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Er entscheidet regelmäßig ohne mündliche Verhandlung, es sei denn, der Vorsitzende ordnet eine solche an, weil die Angelegenheit besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist (§ 6 Abs. 1 WpÜG-WiderspruchsausschussVO). Diese Regelung entspricht dem Beschleunigungsgrundsatz des WpÜG, der auch in § 41 Abs. 2 zum Ausdruck kommt. Beschlüsse des Widerspruchsausschusses werden mit Stimmenmehrheit gefasst (§ 91 Satz 1 VwVfG); bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende (§ 6 Abs. 2 Satz 2). Die Entscheidung des Widerspruchsausschusses über den Widerspruch erfolgt nach Maßgabe von § 41 Abs. 1 WpÜG i.V.m. § 72 VwGO (für den Fall, dass dem Widerspruch abgeholfen wird) bzw. § 73 Abs. 1 VwGO (für den Fall, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen wird). Da Entscheidungen über Widersprüche gegen Verfügungen der Bundesanstalt zu der 23 von der Bundesanstalt auszuübenden Aufsicht i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 gehören, könnte der Widerspruchsausschuss theoretisch zuvor den Beirat (§ 5) anhören. Gleiches gilt für Verwaltungsverfahren, in denen der Widerspruchsausschuss nicht zuständig ist und die Bundesanstalt ohnehin gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG Sachverständige hinzuziehen kann1. Ehrenamtliche Beisitzer des Widerspruchsausschusses, die auch dem Beirat angehö- 24 ren (siehe dazu § 5 Rz. 16), sind weder an Beschlüsse des Beirats noch an Weisungen desselben gebunden2. Gleichwohl handelt es sich beim Widerspruchsausschuss nicht um ein Gremium, dessen Mitglieder an keinerlei Weisungen3 gebunden sind: Wie die Bundesanstalt unterliegt auch der bei ihr gebildete Widerspruchsausschuss der Dienstaufsicht durch das BMF und damit dessen Weisungen4. Der Widerspruchsausschuss kann gemäß § 41 Abs. 4 das Verfahren ohne mündliche Verhandlung dem Vorsitzenden durch unanfechtbaren Beschluss zur alleinigen Entscheidung übertragen. Diese Übertragung ist nur zulässig, sofern die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufweist und die Entscheidung nicht von grundsätzlicher Bedeutung sein wird.
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E. Verordnungsermächtigung (§ 6 Abs. 4) § 6 Abs. 4 ermächtigt das BMF, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung 26 des Bundesrats bedarf, nähere Bestimmungen über das Verfahren, die Einzelheiten der Bestellung der ehrenamtlichen Beisitzer, die vorzeitige Beendigung und die Ver1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 37. 3 Die noch in § 6 Abs. 3 Satz 2 des Diskussionsentwurfs des WpÜG vom 29.6.2000 vorgesehene Regelung, die Mitglieder des Widerspruchsausschusses entschieden unabhängig und seien nur dem Gesetz unterworfen, wurde wegen verfassungsrechtlicher Bedenken schon im Referentenentwurf vom 12.3.2001 gestrichen. 4 Ritz in Baums/Thoma, § 6 Rz. 4; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 6 Rz. 43; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 6 Rz. 17.
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tretung zu erlassen, und gestattet es dem Ministerium, die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt zu übertragen. Das BMF hat von der Ermächtigung zum Erlass einer solchen Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die WpÜG-WiderspruchsausschussVO erlassen. Zu Einzelheiten siehe oben Rz. 1.
§7 Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden im Inland (1) Das Bundeskartellamt und die Bundesanstalt haben einander die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen mitzuteilen. Die Bundesanstalt übermittelt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die ihr nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und § 35 Abs. 1 Satz 4 mitgeteilten Informationen und auf Ersuchen dieser Behörde die ihr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 2 Satz 1 übermittelten Angebotsunterlage. Bei der Übermittlung personenbezogener Daten ist § 15 des Bundesdatenschutzgesetzes anzuwenden. (2) Die Bundesanstalt kann sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz privater Personen und Einrichtungen bedienen.
Inhaltsübersicht A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden (§ 7 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . .
III. Übermittlung personenbezogener Daten (§ 7 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . .
7
2
I. Informationsaustausch (§ 7 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Einsatz Dritter bei der Aufsicht (§ 7 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2
II. Informationsübermittlung an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (§ 7 Abs. 1 Satz 2) .
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Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Übersicht 1
§ 7 Abs. 1 regelt die über die normale Amtshilfe hinausgehende Zusammenarbeit der Bundesanstalt mit anderen Behörden im Inland. Im Konkreten ist das der gegenseitige Informationsaustausch mit dem Bundeskartellamt und ein Informationsfluss an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Für die Übermittlung von personenbezogenen Daten wird die Anwendbarkeit des § 15 Bundesdatenschutzgesetz angeordnet. § 7 Abs. 2 ermöglicht es der Bundesanstalt, sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach dem WpÜG privater Personen und Einrichtungen zu bedienen. Die Vorschrift hat durch Art. 3 Nr. 1 des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung vom 18.4.20091 eine Änderung erfahren: nach Satz 1 wurde der jetzige Satz 2 eingefügt und der bisherige Satz 2 wurde zum heutigen Satz 3.
1 BGBl. I 2009, 770.
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Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden im Inland
B. Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden (§ 7 Abs. 1) I. Informationsaustausch (§ 7 Abs. 1 Satz 1) § 7 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die Bundesanstalt und das Bundeskartellamt, sich aus 2 jeweils eigener Initiative1 wechselseitig Informationen mitzuteilen, die für die Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben erforderlich sind. Obwohl die Vorschrift den Austausch jeglicher Informationen regelt, die in einer der genannten Behörden anfallen und für die Aufgabe der jeweils anderen erforderlich sind, zielt die Vorschrift der Sache nach doch in erster Linie auf die Befugnis und die Pflicht des Bundeskartellamts, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) die Informationen mitzuteilen, die diese bei der Ausübung ihrer Aufsichtstätigkeit nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 benötigt. Umgekehrt ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Bundesanstalt im Zuge ihrer Aufsicht bei Angeboten nach dem WpÜG Informationen über Sachverhalte, wie beispielsweise Erkenntnisse über Beteiligungsverhältnisse, erlangen kann, die für die Aufgaben des Bundeskartellamts von Bedeutung sind. Entscheidend ist, dass die Informationsaustauschpflicht sich nicht allein auf die Anwendung des WpÜG bezieht2, sondern das Wettbewerbsrecht in Gestalt des GWB mit umfasst. Die Vorschrift regelt den Informationsaustausch zwischen den genannten Behörden, 3 nicht aber den Informationsaustausch innerhalb der Bundesanstalt, d.h. denjenigen zwischen den mit der Aufsicht nach dem WpÜG einerseits und der Aufsicht nach Maßgabe z.B. des WpHG, des KWG, des VAG, des WpPG und des VermAnlG andererseits befassten Abteilungen der Bundesanstalt3. Das bedeutet, dass die Vorschrift keine interne Informationsaustauschpflicht in Bezug auf die weiteren Aufgaben der Bundesanstalt begründet4. Zugleich bedeutet das, dass sich der in § 7 geregelte Informationsaustausch mit dem Bundeskartellamt auf Seiten der Bundesanstalt auf die Informationen aus dem Bereich der Aufsicht nach dem WpÜG bezieht. Im Rahmen der Aufsicht etwa nach dem WpHG besteht z.B. eine eigene Zusammenarbeitspflicht der Bundesanstalt mit dem Bundeskartellamt nach § 6 Abs. 2 WpHG. Gegenstand der zwischenbehördlichen Mitteilungsrechte und -pflichten nach § 7 4 Abs. 1 Satz 1 sind Informationen. Darunter sind sämtliche Erkenntnisse einer Behörde zu verstehen, gleichgültig ob es sich hierbei um solche über Tatsachen oder um Meinungen, Vorhaben oder Gerüchte handelt5. Diese Auslegung folgt schon aus dem Umstand, dass das WpHG zwischenbehördliche Mitteilungsrechte und -pflichten in § 6 Abs. 2 WpHG auf „Beobachtungen und Feststellungen einschließlich personen1 Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 2; Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 4; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 14; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 2; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 1; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 7 Rz. 12. 2 Ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 4; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 2. A.A., aber sowohl dem Wortlaut als auch Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechend, Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 2. 3 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 3; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 16; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 3; Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 7, teilweise jedoch mit dem Vorbehalt, die innerbehördliche Weitergabe habe sich „im Rahmen der von der Norm gezogenen Grenzen zu halten“. 4 Vgl. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 16. 5 Im Kern ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 4; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 18; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 4; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 4. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 7 Rz. 2, der den Begriff der Information unzutreffend (dazu im Folgenden) mit dem der Tatsache in § 8 Abs. 2 Satz 2 identifiziert.
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bezogener Daten“ und in § 8 Abs. 2 Satz 2 WpHG auf „Tatsachen“ bezieht und mit dem hier gewählten Begriff der Information einen hinsichtlich seiner Extension weiteren Begriff wählt. Da alles, was eine Behörde zur Kenntnis nehmen kann und nimmt, dem Beweise zugänglich ist, lassen sich mitteilungspflichtige Informationen auch abstrakter als dem Beweis zugängliche gegenwärtige und vergangene Verhältnisse, Zustände oder Geschehnisse umschreiben1. Das führt nicht zwangsläufig zu einem ständigen Datenaustausch oder einer überzogenen Mitteilungspflicht, weil die Einschränkung, nur die zur Aufgabenerfüllung der jeweiligen Behörde erforderlichen Informationen (siehe unten Rz. 5) seien mitzuteilen, als Filter wirkt und die wechselseitigen Informationspflichten begrenzt. 5
Außer Frage steht, dass § 7 Abs. 1 Satz 1 den beiden genannten Behörden nicht nur die Befugnis einräumt, sondern auch die Pflicht auferlegt, einander die in ihrem Tätigkeitsbereich erlangten Informationen mitzuteilen. Die Befugnis und die Pflicht der beiden Behörden, einander Informationen mitzuteilen, bezieht sich im Übrigen nur auf solche Informationen, die erforderlich sind, damit diese ihre jeweiligen Aufsichtsaufgaben erfüllen können. Erforderlich in diesem Sinne sind Informationen, wenn sie Tatbestände betreffen, die vorliegen müssen, damit die jeweilige Behörde eine Aufsichtsmaßnahme ergreifen kann, oder geeignet sind, die Behörde zu Ermittlungen im Hinblick auf das Vorliegen solcher Tatbestände zu veranlassen. D.h. die Informationen müssen zur Überwachung der Einhaltung der Ge- und Verbote des jeweiligen Aufsichtsgesetzes dienlich sein. Damit dürfen Informationen über Unternehmen oder Personen, die nicht Adressaten der Aufsicht der als Informationsempfänger gedachten Behörde sind, grundsätzlich nicht an diese weitergegeben werden, es sei denn, die Informationen enthalten zugleich Erkenntnisse über die Aufsichtsadressaten der jeweiligen Behörde oder geben Anhaltspunkte zu Ermittlungen in Bezug auf Umstände, die für die Wahrnehmung der Aufgabe der jeweiligen Behörde erheblich sind. Ausreichen soll, dass die Behörde nach sorgfältiger Prüfung von der Erforderlichkeit überzeugt ist2.
II. Informationsübermittlung an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (§ 7 Abs. 1 Satz 2) 6
Im Rahmen der Zusammenarbeit der Bundesanstalt mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ist nach § 7 keine wechselseitige Informationsweitergabe vorgesehen, sondern ein Informationsfluss von der Bundesanstalt an das Bundesministerium. Die Informationsübermittlung wird auf zweierlei Weisen ausgelöst: im ersten Fall hat die Bundesanstalt automatisch die entsprechenden, bei ihr eingehenden Informationen zu übermitteln. Dieser Informationsfluss betrifft die an die Bundesanstalt zu richtenden Vorabmitteilungen bezüglich der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) und zum anderen hinsichtlich der Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1 Satz 4). Im zweiten Fall erfolgt die Informationsübermittlung auf Ersuchen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Das betrifft die an die Bundesanstalt übermittelten Angebotsunterlagen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 2 Satz 1. Da die Angebotsunterlagen zu dem Zeitpunkt der Anforderung noch nicht veröffentlicht sein müssen, werden hier ggf. auch verschwiegenheitspflichtige, öffentlich noch nicht bekannte Informationen weitergegeben. Anders als beim Informationsaustausch mit dem Bundeskartellamt ist für die 1 Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 5; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 4. 2 Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 5; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 19.
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Informationsübermittlung von der Bundesanstalt an das Bundesministerium nicht vorausgesetzt, dass die Information für dessen Aufgabenerfüllung erforderlich ist.
III. Übermittlung personenbezogener Daten (§ 7 Abs. 1 Satz 3) Enthalten die zu übermittelnden Informationen personenbezogene Daten, so findet nach § 7 Abs. 1 Satz 3 die Vorschrift des § 15 BDSG Anwendung. Diese Vorschrift sowie die Bestimmungen, auf die sie verweist, haben in den hier erheblichen Teilen folgenden Wortlaut: § 15 Datenübermittlung an öffentliche Stellen (1) Die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen ist zulässig, wenn 1. sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der übermittelnden Stelle oder des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, liegenden Aufgaben erforderlich ist und 2. die Voraussetzungen vorliegen, die eine Nutzung nach § 14 zulassen würden. (2) Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die übermittelnde Stelle. Erfolgt die Übermittlung auf Ersuchen des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, trägt dieser die Verantwortung. In diesem Fall prüft die übermittelnde Stelle nur, ob das Übermittlungsersuchen im Rahmen der Aufgaben des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, liegt, es sei denn, dass besonderer Anlass zur Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung besteht. § 10 Abs. 4 bleibt unberührt. (3) Der Dritte, an den die Daten übermittelt werden, darf diese für den Zweck verarbeiten oder nutzen, zu dessen Erfüllung sie ihm übermittelt werden. Eine Verarbeitung oder Nutzung für andere Zwecke ist nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 zulässig. (4) … (5) Sind mit personenbezogenen Daten, die nach Absatz 1 übermittelt werden dürfen, weitere personenbezogenen Daten des Betroffenen oder eines Dritten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, so ist die Übermittlung auch dieser Daten zulässig, soweit nicht berechtigte Interessen des Betroffenen oder eines Dritten an deren Geheimhaltung offensichtlich überwiegen; eine Nutzung dieser Daten ist unzulässig. (6) Absatz 5 gilt entsprechend, wenn personenbezogene Daten innerhalb einer öffentlichen Stelle weitergegeben werden. § 10 Einrichtung automatisierter Abrufverfahren (1)–(3) … (4) Die Verantwortung für die Zulässigkeit des einzelnen Abrufs trägt der Dritte, an den übermittelt wird. Die speichernde Stelle prüft die Zulässigkeit der Abrufe nur, wenn dazu Anlass besteht. Die speichernde Stelle hat zu gewährleisten, dass die Übermittlung personenbezogener Daten zumindest durch geeignete Stichprobenverfahren festgestellt und überprüft werden kann. Wird ein Gesamtbestand personenbezogener Daten abgerufen oder übermittelt (Stapelverarbeitung), so bezieht sich die Gewährleistung der Feststellung und Überprüfung nur auf die Zulässigkeit des Abrufes oder der Übermittlung des Gesamtbestandes. (5) … § 14 Datenspeicherung, -veränderung und -nutzung (1) Das Speichern, Verändern oder Nutzen personenbezogener Daten ist zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stellen liegenden Aufgaben erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind. Ist keine Erhebung vorausgegangen, dürfen die Daten nur für die Zwecke geändert oder genutzt werden, für die sie gespeichert worden sind. (2) Das Speichern, Verändern oder Nutzen für andere Zwecke ist nur zulässig, wenn 1. eine Rechtsvorschrift dies vorsieht oder zwingend voraussetzt, 2. der Betroffene eingewilligt hat,
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3. offensichtlich ist, dass es im Interesse des Betroffenen liegt, und kein Grund zu der Annahme besteht, dass er in Kenntnis des anderen Zwecks seine Einwilligung verweigern würde, 4. Angaben des Betroffenen überprüft werden müssen, weil tatsächliche Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen, 5. die Daten allgemein zugänglich sind oder die verantwortliche Stelle sie veröffentlichen dürfte, es sei denn, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Zweckänderung offensichtlich überwiegt, 6. es zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zur Wahrung erheblicher Belange des Gemeinwohls erforderlich ist, 7. es zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Vollstreckung oder zum Vollzug von Strafen oder Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 des Strafgesetzbuchs oder von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes oder zur Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen erforderlich ist, 8. es zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person erforderlich ist oder 9. … (3) Eine Verarbeitung oder Nutzung für andere Zwecke liegt nicht vor, wenn sie der Wahrnehmung von Aufsichts- und Kontrollbefugnissen, der Rechnungsprüfung oder der Durchführung von Organisationsuntersuchungen für die verantwortliche Stelle dient. … (4)–(6) …
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Aus der Anwendung von § 15 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 14 Abs. 1 und 3 BDSG folgt, dass die Weitergabe personenbezogener Daten von einer der in § 7 Abs. 1 genannten Behörden an eine andere der in dieser Vorschrift angeführten Behörden zur Erfüllung der in § 7 Abs. 1 geregelten Pflichten und unter Beachtung der in dieser aufgestellten Voraussetzungen zulässig ist. Jedoch sind hinsichtlich der Übermittlung und der Nutzung der übermittelten personenbezogenen Daten vor allem die in § 15 Abs. 2, 3 sowie Abs. 5 und 6 enthaltenen Vorschriften zu beachten.
C. Einsatz Dritter bei der Aufsicht (§ 7 Abs. 2) 9
Nach § 7 Abs. 2 kann sich die Bundesanstalt bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz privater Personen und Einrichtungen bedienen. Die Vorschrift entspricht § 4 Abs. 3 FinDAG, unterscheidet sich von dieser Bestimmungen jedoch darin, dass sie nicht von „andere(n) Personen und Einrichtungen“, sondern von „private(n) Personen und Einrichtungen“ (Hervorhebungen hinzugefügt) spricht. Sie wird damit dem Umstand gerecht, dass mit § 4 Abs. 3 FinDAG nicht die Anordnung einer Rechts- und Amtshilfe gemeint sein kann1, die sich schon aus Art. 35 GG ergibt und einer Verankerung im FinDAG nicht bedurft hätte, sondern die Befugnis der jeweiligen Aufsichtsbehörde, sich zur Durchführung ihrer Aufgaben anderer Einrichtungen als Behörden zu bedienen. Wenn sich § 7 Abs. 2 in der dargelegten Weise von § 4 Abs. 3 FinDAG unterscheidet, so gewiss nicht mit dem Ziel, den Einsatz Dritter bei der Aufsicht „enger“2 zu fassen, sondern zu dem Zweck, Irritationen zu vermeiden, wie sie der in § 4 Abs. 3 FinDAG übernommene Wortlaut von § 6 Abs. 1 WpHG a.F. und § 8 Abs. 1 KWG a.F. hervorgerufen hatte. § 7 Abs. 2 bezweckt deshalb nichts anderes, als die Bundesanstalt zu ermächtigen, sich zur Durchführung ihrer Auf-
1 So auch für § 6 Abs. 1 WpHG a.F. Dreyling in Assmann/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 1999, § 6 WpHG Rz. 1, und für § 8 Abs. 1 KWG a.F. Reischauer/Kleinhans, § 8 KWG a.F. Rz. 5. 2 Wie hier im Ergebnis Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 26; a.A. Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 7 Rz. 6.
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gaben (auch) privater Einrichtungen bedienen zu können1. § 7 Abs. 2 schließt die Inanspruchnahme von Amtshilfe durch die Bundesanstalt, d.h. die Inanspruchnahme „anderer Personen und Einrichtungen“ mit Behördencharakter, entsprechend Art. 35 Abs. 1 GG („Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe“), §§ 4 ff. VwVfG nicht aus2. Die Vorschrift dient der Effizienz der Aufsicht: Erfordert die Erfüllung von Aufsichts- 10 aufgaben unter besonderen Umständen den Einsatz speziellen Sachverstands, muss dieser nicht durch entsprechend ausgebildetes eigenes Personal bereitgehalten werden; vielmehr kann im Einzelfall – nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen3 – auf externes Spezialistenwissen zurückgegriffen werden. Dessen ungeachtet können aber auch Personalengpässe den Rückgriff auf den Sachverstand privater Personen und Einrichtungen sinnvoll erscheinen lassen. Tatsächlich eröffnet die Bestimmung der Bundesanstalt die Möglichkeit, sich im Hinblick auf die Erfüllung sämtlicher ihrer Aufsichtsaufgaben Dritter zu bedienen, solange die Behörde nicht originär hoheitlich tätig werden muss4. Das schließt den Einsatz Privater als Verwaltungshelfer5 nicht aus6 und beschränkt deren Tätigkeit nicht nur auf bloße Vorarbeiten zur Vorbereitung hoheitlichen Handelns der Behörde. Auch im Hinblick auf die sich aus dem WpÜG ergebenden Aufsichtsaufgaben dürfte der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Nutzung des Sachverstands von Wirtschaftsprüfern bestehen. Private Personen und Einrichtungen sind zur Übernahme der ihnen angetragenen 11 Aufgaben nicht verpflichtet; vielmehr muss sich die Bundesanstalt der Dienste Dritter durch den Abschluss entsprechender privatrechtlicher Verträge versichern7. Dabei hat die Behörde darauf zu achten, dass die Personen und Einrichtungen, derer sie sich bedient, keinen Interessenkonflikten unterliegen8. Die Kosten der Tätigkeit der privaten Dritten trägt die Bundesanstalt als deren Vertragspartner9. Mit der Annahme des Auftrags unterliegen die beauftragten Dritten hinsichtlich der ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Tatsachen der Verschwiegenheitspflicht nach Maßgabe von § 9 (§ 9 Abs. 1 Satz 1). Solange die privaten Personen 1 Zur entsprechenden Auslegung von § 4 Abs. 3 FinDAG siehe Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, Vor § 3 WpHG Rz. 20 ff. 2 Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 10; Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 13 ff.; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 14; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 8. 3 Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 3, 27. 4 Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, Vor § 3 WpHG Rz. 23. Ebenso Noack in Schwark/ Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 7; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 24; Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 7 Rz. 7. 5 Verwaltungshelfer ist ein Privater, der die Verwaltungsbehörde bei der Durchführung von Verwaltungsaufgaben – d.h. bei der Ausübung hoheitlicher Funktionen – unterstützt, indem er im Auftrag und nach Weisung der Behörde (darin unterscheidet er sich vom Beliehenen) Hilfstätigkeiten ausführt. Siehe statt vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 23 Rz. 59; Erman/Hecker, 13. Aufl. 2011, § 839 BGB Rz. 39; Papier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rz. 135 f. 6 Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 24 ff.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 6; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 7. Implizit auch: Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 9. 7 Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 8; Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 12; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 7 Rz. 1; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 28; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 7 Rz. 7; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 8; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 7 Rz. 15. 8 Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 8; Ritz in Baums/Thoma, § 7 Rz. 12; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 27. 9 Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 31.
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und Einrichtungen, derer sich die Bundesanstalt bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz bedient, nicht als Verwaltungshelfer zu qualifizieren sind, also lediglich Hilfsdienste in Bezug auf hoheitliches Handeln der Behörde selbst verrichten, kommt eine Amtshaftung für ihre Leistung nicht in Betracht. Das Fehlverhalten von Verwaltungshelfern kann dagegen – in den durch § 4 Abs. 2 gezogenen Grenzen – einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auslösen1.
§8 Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland (1) Der Bundesanstalt obliegt die Zusammenarbeit mit den für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren, Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten sowie den Handel in Wertpapieren und Derivaten zuständigen Stellen anderer Staaten. (2) Im Rahmen der Zusammenarbeit nach Absatz 1 darf die Bundesanstalt Tatsachen übermitteln, die für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder damit zusammenhängender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erforderlich sind; hierbei kann sie von ihren Befugnissen nach § 40 Abs. 1 und 2 Gebrauch machen. Bei der Übermittlung personenbezogener Daten hat die Bundesanstalt den Zweck zu bestimmen, für den diese verwendet werden dürfen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die Daten nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt werden dürfen, zu dessen Erfüllung sie übermittelt wurden. Eine Übermittlung unterbleibt, soweit Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen wird. Die Übermittlung unterbleibt außerdem, wenn durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden, insbesondere wenn im Empfängerland ein angemessener Datenschutzstandard nicht gewährleistet wäre. (3) Werden der Bundesanstalt von einer Stelle eines anderen Staates personenbezogene Daten mitgeteilt, so dürfen diese nur unter Beachtung der Zweckbestimmung durch diese Stelle verarbeitet oder genutzt werden. Die Bundesanstalt darf die Daten unter Beachtung der Zweckbestimmung den Börsenaufsichtsbehörden und den Handelsüberwachungsstellen der Börsen mitteilen. (4) Die Regelungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen bleiben unberührt.
Inhaltsübersicht A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Internationale Zusammenarbeit (§ 8 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
C. Übermittlung von Tatsachen ins Ausland (§ 8 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . .
6
I. Übermittlungsbefugnis (§ 8 Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
II. Besondere Anforderungen an die Tatsachenübermittlung (§ 8 Abs. 2 Sätze 2–5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1 Noack in Schwark/Zimmer, § 7 WpÜG Rz. 9; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 7 Rz. 30; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 7 Rz. 8. Näher zur Amtshaftung für Verwaltungshelfer Erman/Hecker, 13. Aufl. 2011, § 839 BGB Rz. 39; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 26 Rz. 13; Papier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rz. 135 f.
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Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland 1. Übermittlung personenbezogener Daten (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3). . . . 2. Übermittlungshindernisse (§ 8 Abs. 2 Sätze 4 und 5) . . . . . . . . . . . . .
10 13
D. Übermittlung personenbezogener Daten an die Bundesanstalt durch ausländische Stellen (§ 8 Abs. 3) . . . 19 E. Internationale Rechtshilfe (§ 8 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Übersicht § 8 regelt die besondere Befugnis und die Pflichten der Bundesanstalt im Rahmen der 1 Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren, Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten sowie den Handel in Wertpapieren und Derivaten zuständigen Stellen anderer Staaten zusammenzuarbeiten. Denn die Internationalisierung der Finanzmärkte bringt es mit sich, dass bei der Aufsicht über Wertpapiererwerbsangebote mehr und mehr grenzüberschreitende Sachverhalte zu berücksichtigen sind. Insoweit nimmt § 8 Abs. 1 eine entsprechende Aufgabenübertragung vor, die seit der Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie auch europarechtlich gefordert ist. § 8 Abs. 2 regelt die Weitergabe von Tatsachen einschließlich personenbezogener Daten von der Bundesanstalt an ausländische Stellen und trägt hierbei zugleich den Belangen des Datenschutzes Rechnung. Die Pflichten der Bundesanstalt im Umgang mit personenbezogenen Daten, die sie von ausländischen Stellen erhalten hat, regelt § 8 Abs. 3. Gemäß § 8 Abs. 4 bleiben im Übrigen die Regelungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen unberührt. Vergleichbare Regelungen zu § 8 finden sich in einer Vielzahl von kapitalmarktrechtlichen Gesetzen, wie z.B. in § 7 WpHG, § 8 Abs. 3–9 KWG, § 23 WpPG, um nur eine Auswahl zu nennen. Die Vorschrift hat durch Art. 1 Nr. 5 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes1 eine rein redaktionelle Änderung erfahren, indem in § 8 Abs. 2 Satz 1 Teilsatz 2 die Angabe „§ 40 Abs. 1 bis 4“ durch die Angabe „§ 40 Abs. 1 und 2“ ersetzt wurde.
B. Internationale Zusammenarbeit (§ 8 Abs. 1) § 8 Abs. 1 nimmt eine Aufgabenzuweisung für die Bundesanstalt vor. Hiernach ist die Bundesanstalt sowohl berechtigt als auch verpflichtet zur Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Stellen anderer Staaten. Diese Obliegenheit zur Zusammenarbeit bezieht sich auf die auf das WpÜG und vergleichbare ausländische Regelungswerke bezogene Sachverhalte. Soweit die Bundesanstalt aufgrund von Aufsichtssachverhalten bezüglich anderer Aufsichtsgesetze tätig wird, sind die Regelungen zur Zusammenarbeit dieser Aufsichtsgesetze anzuwenden.
2
Bei den zuständigen Stellen, mit denen die Bundesanstalt zusammenzuarbeiten hat, muss es sich um solche Stellen handeln, die nach der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren, Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten sowie den Handel in Wertpapieren und Derivaten zuständig sind. Damit handelt es sich bei den ausländischen Stellen um einen vom Aufgabenzuschnitt weiteren Kreis von Stellen als nur Auf-
3
1 Gesetz vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz – ÜbernRLUG), BGBl. I 2006, 1426.
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Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland
sichtsstellen über Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachverhalte. Auf einen bestimmten rechtlichen Charakter dieser Stellen kommt es nicht an. Maßgeblich ist nur, dass sie eine entsprechende Aufsichtszuständigkeit aufgrund staatlichen Auftrags haben. Die jeweils zuständige Stelle zu ermitteln, ist Sache der Bundesanstalt1. 4
Die Regelungen in § 8 unterscheiden – anders als z.B. in § 7 WpHG – nicht zwischen einer europäischen Zusammenarbeit und einer sonstigen internationalen Zusammenarbeit. § 8 stellt stattdessen einheitliche Regeln für die internationale Zusammenarbeit auf. Eine Unterscheidung ergibt sich allenfalls dadurch, dass Art. 4 Abs. 4 der Übernahmerichtlinie2 eine Zusammenarbeit und einen Informationsaustausch zwischen den europäischen Stellen zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte, z.B. nach der Prospektrichtlinie, verlangt3. Zur Zusammenarbeit gehört insoweit auch die Hilfestellung bei der Zustellung von erforderlichen Schriftstücken und Unterstützungen in anderer Form (Art. 4 Abs. 4 Satz 3 der Übernahmerichtlinie). Letztlich handelt es sich hierbei aber auch um Stellen, die zuständig sind für die Überwachung von Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten sowie den Handel in Wertpapieren und Derivaten. Entsprechende Hilfestellungen kann die Bundesanstalt aber auch zuständigen Aufsichtsstellen i.S.d. § 8 Abs. 1 aus Drittstaaten erbringen.
5
Die Aufgabenzuweisung in § 8 Abs. 1 bezieht sich auch auf jede Form der internationalen Zusammenarbeit, d.h. die Bundesanstalt kooperiert sowohl in konkreten grenzüberschreitenden Sachverhalten mit den jeweils ausländischen Stellen als auch im Rahmen einer generelleren Zusammenarbeit. So arbeitet die Bundesanstalt mit anderen ausländischen Aufsichtsbehörden teils auf europäischer4, teils auf internationaler Ebene5 durch ihr Zusammenwirken in verschiedenen Gremien zusammen, ohne dass diese Gremien selber solche zuständigen Aufsichtsstellen sind6. Hier können z.B. grundsätzliche Fragestellungen zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie abgeklärt werden. Zudem kann eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf der Grundlage bilateraler oder multilateraler Memoranda of Understanding7 stattfinden. Bislang beziehen sich die MoU aus dem Bereich der Wertpapieraufsicht vornehmlich auf das WpHG, so dass sich dann für das WpÜG ggf. eine Verknüpfung durch die In-
1 Zur diesbezüglichen Praxis der Bundesanstalt siehe Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 7 WpHG Rz. 14. 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 3 Vgl. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 und Erwägungspunkt 15 der Übernahmerichtlinie. 4 Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist seit dem 1.1.2011 durch die drei Europäischen Aufsichtsbehörden (EBA) gekennzeichnet. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Market Authority) mit Sitz in Paris ist hierbei die zuständige europäische Aufsicht auch soweit übernahmerechtliche Fragestellungen im gesamteuropäischen Kontext geklärt werden müssen. Zur europäischen Aufsicht seit 2011 vgl. Jahresbericht der Bundesanstalt 2011, S. 38 für eine Übersicht der internationalen Institutionen und Ausschüsse und S. 74 ff. für die europäische Aufsichtsstruktur, insbesondere S. 79 ff. für ESMA; Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 7 WpHG Rz. 6 und 13 ff. 5 Im Vordergrund steht hier die weltweite Zusammenarbeit der Wertpapieraufsichtsbehörden im Rahmen der 1983 gegründeten International Organization of Securities Commissions (IOSCO), der 115 ordentliche, 77 angeschlossene und 11 assoziierte Mitglieder aus mehr als 100 Ländern angehören. Vgl. auch die Internetseiten von IOSCO unter http://www.ios co.org. 6 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 8 Rz. 14. 7 Näher hierzu der Jahresbericht der Bundesanstalt 2011, S. 98 f.; Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 7 WpHG Rz. 8 ff.
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Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen im Ausland
formationen über bedeutende Stimmrechtsanteile nach §§ 21 ff. WpHG ergibt, die dem § 30 entsprechen.
C. Übermittlung von Tatsachen ins Ausland (§ 8 Abs. 2) I. Übermittlungsbefugnis (§ 8 Abs. 2 Satz 1) Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit nach § 8 Abs. 1 darf die Bundesanstalt den zuständigen ausländischen Stellen Tatsachen übermitteln, soweit sie für die Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder damit zusammenhängender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erforderlich sind. Hierbei kann sie von ihren Befugnissen nach § 40 Abs. 1 und 2 Gebrauch machen (§ 8 Abs. 2 Satz 1). Hierbei handelt es sich um eine Befugnisnorm für die Bundesanstalt, die sowohl den praktischen Bedürfnissen für eine effektive grenzüberschreitende Überwachung von Wertpapiererwerbs- und Übernahmesachverhalten einschließlich den europarechtlichen Vorgaben als auch datenschutzrechtlichen Belangen1 und hinreichendem Schutz sonstiger sensibler Daten Rechnung tragen soll.
6
Dem Schutz sensibler Daten dient schon die Beschränkung der Befugnis zur Über- 7 mittlung von Tatsachen. So unterliegt die Befugnis zur Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen i.S.d. § 8 Abs. 1 grundsätzlich keiner Beschränkung nach Art und Umfang. Soweit aber die Bundesanstalt Tatsachen an ausländische Stellen übermitteln will, ist sie hierzu nur dann befugt, wenn die Tatsachen für die zuständige ausländische Stelle erforderlich sind (siehe hierzu die Erläuterungen in § 7 Rz. 5), und zwar entweder zur Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder für die Durchführung damit zusammenhängender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Ob die Tatsachen für diesen Zweck erforderlich sind, ist im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt und die jeweiligen ausländischen Aufsichtsregelungen zu bestimmen. § 8 Abs. 2 Satz 1 (Halbsatz 1) erlaubt die Übermittlung von Tatsachen. Nach all- 8 gemeiner Begriffsdefinition sind Tatsachen der äußeren Wahrnehmung zugängliche, d.h. beweisbare Geschehnisse und Zustände der Innen- und Außenwelt2. Da etwa Meinungen, Absichten (Pläne, Vorhaben), Rechtsauffassungen und Prognosen ihrem Inhalt nach nicht dem Beweis zugänglich sind, unterfallen sie grundsätzlich nicht dem Tatsachenbegriff, doch stellt der Umstand, dass Personen eine bestimmte Meinung haben, bestimmte Absichten (Pläne, Vorhaben) verfolgen, eine bestimmte Rechtsauffassung vertreten oder Prognosen gestellt haben, eine beweisbare Tatsache dar. Entsprechendes gilt für Gerüchte, die gerade durch die Unsicherheit im Hinblick auf die Richtigkeit der von ihnen transportierten Aussage geprägt sind, deren Inhalt und Existenz aber dem Beweis zugänglich sind. Das bedeutet, dass sämtliche Erkenntnisse, welche die Bundesanstalt im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit erlangt, der Übermittlung zugängliche Tatsachen sind3. Gegen diese weite Auslegung des Tatsachenbegriffs könnte eingewandt werden, dass Gegenstand der zwischenbehördlichen Mitteilungsrechte und -pflichten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 „Informationen“, d.h. 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 38. 2 Siehe Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 13 WpHG Rz. 12 ff. m.w.N. Vgl. Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 12. 3 So auch zu § 7 WpHG, z.B. Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 7 WpHG Rz. 15. A.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 8 Rz. 3 (enger Tatsachenbegriff); Geibel in Schäfer, § 7 WpHG Rz. 7.
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Erkenntnisse einer Behörde jeglicher Art (siehe § 7 Rz. 3), sein können, § 8 Abs. 2 Satz 1 die Übermittlungsbefugnisse der Anstalt aber auf den gegenüber „Informationen“ engeren Begriff der „Tatsachen“ bezieht1. Dabei würde indes übersehen, dass der Begriff der „Information“ in § 7 Abs. 1 Satz 1 lediglich als Oberbegriff für „Tatsachen“ und „personenbezogene“ Daten verwandt wird, während §§ 8, 9 für diese jeweils getrennte Regelungen vorsehen. Auch muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der in § 8 und § 9 verwandte Begriff der Tatsache gleich auszulegen ist und es schwerlich angehen kann, den nach § 9 Abs. 1 einem Offenbarungs- und Verwertungsverbot unterliegenden Personen das Recht zuzubilligen, ihnen bekannt gewordene, aber geheime Planrechnungen und -daten eines Unternehmens oder vom Vorstand einer Gesellschaft verfolgte Absichten nur deshalb offenbaren oder für private Zwecke verwerten zu dürfen, weil Pläne und Absichten zukunftsbezogene Daten beinhalten, deren Eintritt ungewiss und damit nicht dem Beweis zugänglich ist. Für eine weite Auslegung des Begriffs „Tatsache“ spricht auch die europarechtskonforme Auslegung von § 8. Denn nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote erteilen sich die europäischen Aufsichtsstellen Auskünfte, wann immer dies zur Anwendung der gemäß der Richtlinie erlassenen Vorschriften erforderlich ist. Derartige Auskünfte können auch Informationen über Absichten (Pläne, Vorhaben), Rechtsauffassungen und Prognosen sein. 9
Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 (Halbsatz 2) kann die Bundesanstalt zum Zwecke der Tatsachenübermittlung auch von ihren Ermittlungsbefugnissen nach § 40 Abs. 1 und 2 Gebrauch machen. Das heißt, dass die Bundesanstalt von ihren Ermächtigungsgrundlagen für Auskunfts- bzw. Vorlageersuchen, Vernehmungen etc. aus § 40 Abs. 1 und 2 auch zur Erfüllung ihrer Aufgabe der Zusammenarbeit mit zuständigen ausländischen Stellen in übernahmerechtlichen Sachverhalten Gebrauch machen kann. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung. Das bedeutet, die Bundesanstalt braucht im Falle einer Anfrage einer zuständigen ausländischen Aufsichtsstelle keine eigenen Anhaltspunkte für die Überwachung der Einhaltung der Ge- oder Verbote des WpÜG zu haben. Als Tatbestandsvoraussetzung für eine entsprechende Verfügung reicht die Notwendigkeit einer Tatsachenübermittlung an eine zuständige ausländische Stelle in Rahmen der Zusammenarbeit nach § 8 Abs. 1. Es geht hierbei nicht um Ermittlungen zur Vorbereitung eigener Aufsichtsmaßnahmen, sondern um solche im Zusammenhang mit der Übermittlung von Tatsachen nach Maßgabe von § 8 Abs. 2 Satz 1 (Halbsatz 1) im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit2. Der nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 zur Auskunft Verpflichtete hat gleichfalls ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 40 Abs. 3 und ist hierüber zu belehren3.
II. Besondere Anforderungen an die Tatsachenübermittlung (§ 8 Abs. 2 Sätze 2–5) 1. Übermittlung personenbezogener Daten (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3) 10
Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 hat die Bundesanstalt bei der Übermittlung personenbezogener Daten den Zweck zu bestimmen, für den diese verwendet werden dürfen. Darüber hinaus hat die Bundesanstalt den Empfänger dieser Daten nach § 8 Abs. 2 Satz 3 darauf hinzuweisen, dass die Daten nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt wer1 So Süßmann in Geibel/Süßmann, § 8 Rz. 3. 2 Vgl. Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 13. 3 Holst in KölnKomm. WpÜG, § 8 Rz. 20; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 8 Rz. 12.
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den dürfen, zu dessen Erfüllung sie übermittelt wurden. Die Zweckbestimmungsund Hinweispflicht nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 passen die sich aus § 15 BDSG (abgedruckt in § 7 Rz. 7) ergebenden Anforderungen an die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen (siehe § 2 BDSG) den Umständen der Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit an. Zusammen mit § 8 Abs. 2 Satz 1 bilden § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Regelungen eines Gesetzes i.S.v. § 4b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BDSG, welcher die Übermittlung personenbezogener Daten ins Ausland regelt. Personenbezogene Daten sind, der Definition in § 3 Abs. 1 BDSG entsprechend, Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Für die Übermittlung von Tatsachen, die keine personenbezogenen Daten sind, ist 11 nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung, die zwischen dem weiteren Begriff der Tatsachen und dem engeren der personenbezogenen Daten differenziert, keine Zweckbestimmung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 erforderlich1. Das bedeutet nicht, dass diese übermittelten Tatsachen nicht auch einer Geheimhaltung unterliegen. Im Rahmen des Informationsaustauschs auf europäischer Ebene unterliegen auch diese Tatsachen dem Berufsgeheimnis nach Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 4 Satz 2 Übernahmerichtlinie. Es greift nur nicht die noch strenger datenschutzrechtlich begründete Zweckbestimmungspflicht. Im Rahmen des Austauschs mit Drittstaaten kann die Übermittlung unterbleiben, wenn sonst schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Soweit zu befürchten ist, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Betroffenen bei einer Weitergabe nicht hinreichend geschützt wären, könnte die Übermittlung unterbleiben. Zudem sieht § 9 Abs. 1 Satz 4 die Weitergabe der Verschwiegenheitspflicht vor. In Anbetracht dessen, dass die Tatsachen zur Aufgabenerfüllung der ausländische Stelle erforderlich sein müssen, scheinen sachgerechte Lösungen nahe liegend. Die nach § 8 Abs. 2 Satz 2 im Hinblick auf die Übermittlung personenbezogener Da- 12 ten vorzunehmende Zweckbestimmung kann sich nur in dem Rahmen bewegen, den die Übermittlung von Tatsachen durch § 8 Abs. 2 Satz 1 – ggf. auch unter Berücksichtigung von § 9 Abs. 1 – allgemein einzuhalten hat. Die denkbar weiteste Zweckbestimmung kann mithin nur dahin gehen, die übermittelten personenbezogenen Daten dürften nur zur Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder damit zusammenhängender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren genutzt werden. Engere (d.h. konkretere) Zweckbegrenzungen sind dagegen möglich. Für öffentliche Stellen des Bundes und der Länder (siehe §§ 1 Abs. 2, 2 BDSG) bedarf es wegen der Regelung in § 15 Abs. 3 BDSG keines Hinweises auf die Pflicht, personenbezogene Daten nur zweckentsprechend zu nutzen, doch ist im Kontext der internationalen Zusammenarbeit und der Datenübermittlung an ausländische Stellen ein solcher Hinweis angebracht und nach § 8 Abs. 2 Satz 3 zwingend. Erscheint die Einhaltung der Zweckbestimmung nicht gewährleistet, ist die Datenübermittlung nach § 8 Abs. 2 Sätze 3 und 5 zu unterlassen; hierzu und zu weiteren Schranken der Tatsachenübermittlung im Folgenden. 1 Wie hier Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 8 Rz. 8; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 8 Rz. 23; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 8 Rz. 13. Entgegen dem klaren Wortlaut a.A. unter Berufung auf Sinn und Zweck der Vorschrift zum Schutz sensibler Daten Noack in Schwark/ Zimmer, § 8 WpÜG Rz. 9; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 8 Rz. 4 (wohl nur bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen juristischer Personen); Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 14, mit dem allerdings zutreffenden Hinweis, dass sich die Praxis, entsprechenden Regelungen der zwischenstaatlichen Memoranda of Understanding (siehe oben Rz. 5) folgend, auch hier an eine Zweckbestimmung hält; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 8 Rz. 5.
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2. Übermittlungshindernisse (§ 8 Abs. 2 Sätze 4 und 5) 13
§ 8 Abs. 2 Sätze 4 und 5 enthalten für alle übermittelten Tatsachen, einschließlich der besonders geschützten personenbezogenen Daten, weitere spezielle und allgemeine Schranken für deren Übermittlung, die über die sich aus § 8 Abs. 2 Sätze 1–3 ergebenden Grenzen der Übermittlung von Tatsachen im Allgemeinen und der Übermittlung personenbezogener Daten im Besonderen hinausgehen. Das Gesetz unterscheidet für diese Schranken weder in § 8 Abs. 2 Satz 4 noch in Satz 5 zwischen der Übermittlung von Tatsachen und der Übermittlung von personenbezogenen Daten1. Zusammen mit anderen gesetzlichen Übermittlungshindernissen für Tatsachen einschließlich personenbezogener Daten sind dies die Folgenden:
14
– Nach § 9 Abs. 1 Satz 5 dürfen Tatsachen an eine ausländische Stelle nur weitergegeben werden, wenn diese Stelle und die von ihr beauftragten Personen einer den Sätzen 1 bis 3 entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen.
15
– Eine weitere Schranke der Tatsachenübermittlung ergibt sich aus den Bestimmungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), die kraft ausdrücklicher Anordnung in § 8 Abs. 4 unberührt bleiben (siehe dazu unten Rz. 20 ff.).
16
– Darüber hinaus hat nach § 8 Abs. 2 Satz 4 die Übermittlung von Tatsachen, einschließlich personenbezogener Daten, zu unterbleiben, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Übermittlung gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen wird. In Betracht kommen diesbezüglich z.B. Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht (§ 9), gegen den Zweck der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder.
17
– Schließlich hat nach § 8 Abs. 2 Satz 5 die Übermittlung von Tatsachen, einschließlich personenbezogener Daten, zu unterbleiben, wenn durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden, insbesondere wenn im Empfängerland ein angemessener Datenschutzstandard nicht gewährleistet wäre. Die Vorschrift schützt alle schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, auch beispielsweise Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Bezüglich des Regelbeispiels des Datenschutzstandards entspricht die Vorschrift § 4b Abs. 2 Satz 2 BSDG. Die Regelung geht über das BDSG insoweit hinaus als der Anwendungsbereich dieser Bestimmung einerseits auf alle ausländischen Stellen ausgedehnt wird, einschließlich solcher in der EU oder des EWR, und sich andererseits auch auf die Übermittlung von Tatsachen erstreckt, die keine personenbezogenen Daten darstellen. § 4c BDSG, der die ausnahmsweise Übermittlung von personenbezogenen Daten an bestimmte ausländische Stellen für den Fall regelt, dass bei diesen ein angemessenes Datenschutzniveau nicht gewährleistet ist, wird durch die insoweit abschließende Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 5 verdrängt und ist mithin nicht anwendbar.
18
Betroffene sind dementsprechend, anders als bei rein personenbezogenen Daten (siehe oben Rz. 10), nicht nur natürliche Personen, sondern auch Unternehmen2. Da nur schützwürdige Interessen der Betroffenen ein Übermittlungshindernis darstellen können, verlangt § 8 Abs. 2 Satz 5 von der Bundesanstalt eine Bestimmung des Ter1 Hier i.E. wie Noack in Schwark/Zimmer, § 8 WpÜG Rz. 13; Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 17; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 8 Rz. 21; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 8 Rz. 8; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 8 Rz. 14, zu § 8 Abs. 2 Satz 5 nicht eindeutig. 2 Ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 17.
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minus „schutzwürdige Interessen“. Hierbei kann sie auch auf die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Bestimmung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder des Feststellungsinteresses i.S.v. § 43 VwGO zurückgreifen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz einer effektiven internationalen Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden innerhalb und außerhalb Europas eine besondere Bedeutung1 beimisst2 und schon eigene Regelungen zum Schutz von sensiblen Tatsachen, einschließlich personenbezogener Daten aufgenommen hat.
D. Übermittlung personenbezogener Daten an die Bundesanstalt durch ausländische Stellen (§ 8 Abs. 3) § 8 Abs. 3 regelt die Pflichten der Bundesanstalt, wenn sie personenbezogene Daten 19 von einer ausländischen Stelle nach § 8 Abs. 1 mitgeteilt bekommt. Diese personenbezogenen Daten dürfen nur unter Beachtung der international üblichen Zweckbestimmung verarbeitet oder genutzt werden (§ 8 Abs. 3 Satz 1). Das Nutzen und Verarbeiten personenbezogener Daten ist in § 3 Abs. 4 und 5 BDSG geregelt. In diesem Zusammenhang bedeutet „verarbeiten“ das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen von Daten. Unter Beachtung der jeweiligen Zweckbestimmung darf die Bundesanstalt die erhaltenen Daten auch den Börsenaufsichtsbehörden und den Handelsüberwachungsstellen der Börsen mitteilen (§ 8 Abs. 3 Satz 2). Entsprechend dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gilt diese Verpflichtung nur für personenbezogene Daten (siehe oben Rz. 11). Eine gesetzliche Pflicht zur zwingenden Beachtung möglicher Zweckbestimmungen bei anderen Informationen besteht nicht; eine entsprechende Verpflichtung ist auch nicht analog anzuwenden3. Der Bundesanstalt ist es aber unbenommen, nicht-personenbezogene Tatsachen, die ihr von ausländischen Stellen mit einer Zweckbestimmung übermittelt wurden, entsprechend der Zweckbestimmung zu verwenden, soweit es inländischen Gesetzen nicht widerspricht. Die Zweckbestimmung könnte sich z.B. aus einer Bitte einer ausländischen Stelle, einem entsprechenden MoU etc. ergeben. Inwieweit ein MoU oder eine entsprechende Bitte eine ggf. anderweitige Pflicht der Bundesanstalt zur Weitergabe der Tatsache suspendieren kann, muss anhand der Norm geprüft werden, die die Bundesanstalt zur Weitergabe anhält. Losgelöst von der Zweckbestimmung muss aber auch für die nicht-personenbezogenen Informationen die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 geprüft werden. Eine Weitergabe der Tatsachen an Steuerbehörden zwecks gleichmäßiger Besteuerung ist nach § 9 Abs. 2 ausgeschlossen.
E. Internationale Rechtshilfe (§ 8 Abs. 4) § 8 Abs. 4 stellt klar, dass bei der Übermittlung von Tatsachen, einschließlich personenbezogener Daten, die Regelungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)4 zu beachten sind. 1 Siehe Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 38, und Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 42 (zu § 7 WpHG). 2 Vgl. auch Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 17; Linke in FrankfKoomm. WpÜG, § 8 Rz. 15. 3 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 8 Rz. 26 und 23, Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 8 Rz. 8. Wohl auch Ritz in Baums/Thoma, § 8 Rz. 22 („Wortlaut“), unter Hinweis auf die anderweitige Praxis auf Grund strengerer zwischenstaatlicher Memoranda of Understanding; a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 8 Rz. 11. 4 Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.6.1994 (BGBl. I 1994, 1537), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566.
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21
Dieses Gesetz erfasst den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (§ 1 Abs. 1 IRG), wobei hierunter auch Verfahren wegen einer Tat zu verstehen sind, die nach deutschem Recht als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße oder die nach ausländischem Recht mit einer vergleichbaren Sanktion bedroht ist, sofern über deren Festsetzung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht entscheiden kann (§ 1 Abs. 2 IRG). Hat die Bundesanstalt Grund zu der Annahme, dass das Auskunftsersuchen einer ausländischen Stelle im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Angelegenheit i.S.d. § 1 Abs. 1 oder 2 IRG erfolgt und die Tatsachenübermittlung, einschließlich der Übermittlung personenbezogener Daten, eine Rechtshilfe i.S.d. § 59 Abs. 2 IRG darstellen würde, sind die Vorschriften des IRG anstelle derjenigen des § 8 anzuwenden. Einschlägig sind in den hier interessierenden Fällen vor allem §§ 59 ff., 73 ff. IRG. Darüber hinaus sind die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) zu beachten.
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Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 IRG bedarf die als Rechtshilfe zu beurteilende Übermittlung von Tatsachen durch die Bundesanstalt der vorherigen Bewilligung („Entscheidung“) des Bundesfinanzministers. Das BMF hat allerdings von der in § 74 Abs. 1 Satz 3 IRG enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht und seine Befugnis, über ausländische Rechtshilfeersuchen zu entscheiden, insoweit auf die Bundesanstalt übertragen, als die Erbringung der Rechtshilfe in die Zuständigkeit der Bundesanstalt fällt1.
§9 Verschwiegenheitspflicht (1) Die bei der Bundesanstalt und bei Einrichtungen nach § 7 Abs. 2 Beschäftigten, die Personen, derer sich die Bundesanstalt nach § 7 Abs. 2 bedient, sowie die Mitglieder des Beirates und Beisitzer des Widerspruchsausschusses dürfen ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäftsund Betriebsgeheimnisse, sowie personenbezogene Daten auch nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses oder ihrer Tätigkeit nicht unbefugt offenbaren oder verwerten. Dies gilt auch für andere Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von den in Satz 1 bezeichneten Tatsachen erhalten. Ein unbefugtes Offenbaren oder Verwerten im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere nicht vor, wenn Tatsachen weitergegeben werden an 1. Strafverfolgungsbehörden oder für Straf- und Bußgeldsachen zuständige Gerichte, 2. Stellen, die kraft Gesetzes oder im öffentlichen Auftrag mit der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen, der Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder der Überwachung von Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten, des Wertpapier- oder Derivatehandels, von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, Investmentgesellschaften, Finanzunternehmen oder Versicherungsunternehmen betraut sind, sowie von solchen Stellen beauftragte Personen, 3. das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, soweit die Tatsachen für die Erfüllung der Aufgaben dieser Stellen oder Personen erforderlich sind.
1 Vgl. auch Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 8 Rz. 12.
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Verschwiegenheitspflicht
Für die bei den in Satz 3 genannten Stellen beschäftigten oder von ihnen beauftragten Personen gilt die Verschwiegenheitspflicht nach den Sätzen 1 bis 3 entsprechend. An eine ausländische Stelle dürfen die Tatsachen nur weitergegeben werden, wenn diese Stelle und die von ihr beauftragten Personen einer den Sätzen 1 bis 3 entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen. (2) Die §§ 93, 97, 105 Abs. 1, § 111 Abs. 5 in Verbindung mit § 105 Abs. 1 sowie § 116 Abs. 1 der Abgabenordnung gelten nicht für die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Personen, soweit sie zur Durchführung dieses Gesetzes tätig werden. Sie finden Anwendung, soweit die Finanzbehörden die Kenntnisse für die Durchführung eines Verfahrens wegen einer Steuerstraftat sowie eines damit zusammenhängenden Besteuerungsverfahrens benötigen, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, und nicht Tatsachen betroffen sind, die den in Absatz 1 Satz 1 oder 2 bezeichneten Personen durch eine Stelle eines anderen Staates im Sinne von Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 oder durch von dieser Stelle beauftragte Personen mitgeteilt worden sind. (3) Die Mitglieder des Beirates und die ehrenamtlichen Beisitzer des Widerspruchsausschusses sind nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 547), geändert durch § 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942), in der jeweils geltenden Fassung von der Bundesanstalt auf eine gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu verpflichten.
Inhaltsübersicht A. Übersicht und Zweck der Regelung
1
B. Das Offenbarungs- und Verwertungsverbot und seine Adressaten (§ 9 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
c) „Weitergabe“ der Verschwiegenheitspflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 4) . . . 24 d) Besondere Anforderungen bei Übermittlungen an ausländische Stellen (§ 9 Abs. 1 Satz 5) . . . . . . . 25 e) Sonstige Einzelfälle einer Offenbarungs- und Verwertungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
I. Adressaten des Verbots . . . . . . . . . . .
5
II. Gegenstand des Verbots: Geheimhaltungspflichtige Tatsachen und personenbezogene Daten . . . . . . . . .
6
III. Unbefugtes Offenbaren oder Verwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Keine Auskunft gegenüber Finanzbehörden (§ 9 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 32
13
D. Förmliche Verpflichtung von Mitgliedern des Beirats und des Widerspruchsausschusses (§ 9 Abs. 3). . . . 35
1. Offenbaren/Verwerten . . . . . . . . . . . 2. Unbefugt/Befugt . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelbeispiele der Befugnis zur Weitergabe von Tatsachen im Rahmen der inner- und zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (§ 9 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . .
14 16 16
E. Rechtsfolgen der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und des Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . 36 I. Strafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . 37
17
II. Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . 40
Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Übersicht und Zweck der Regelung Die Bestimmung statuiert eine Verschwiegenheitspflicht und ein Verwertungsverbot 1 für die bei der Bundesanstalt Beschäftigten und für die bei dieser tätigen Personen, für Beiratsmitglieder, für Beisitzer des Widerspruchsausschusses und für Personen, an die Informationen weitergegeben wurden (§ 9 Abs. 1 Sätze 1–4). Sie stellt des WeiDöhmel
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Verschwiegenheitspflicht
teren sicher, dass erlangtes Tatsachenwissen an eine ausländische Stelle nur unter der Voraussetzung mitgeteilt werden darf, dass diese entsprechenden Verschwiegenheitspflichten unterliegt (§ 9 Abs. 1 Satz 5). § 9 Abs. 2 enthält ein „besonderes Verwertungsverbot“1 des im Rahmen der Aufsicht über öffentliche Angebote erlangten Wissens im Verhältnis zu den Finanzbehörden. § 9 Abs. 3 verlangt, die Mitglieder des Beirats (§ 5) und die ehrenamtlichen Mitglieder des Widerspruchsausschusses (§ 6) als (regelmäßig) nicht beamtete Personen nach dem Verpflichtungsgesetz auf die Einhaltung ihrer Obliegenheiten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 zu verpflichten. 2
Die Regelung schützt insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Bieters und der Zielgesellschaft, mit denen die Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit bei einem Angebotsverfahren in Berührung kommt2. Daneben werden aber auch alle personenbezogenen Daten geschützt, die die Bundesanstalt im Rahmen ihrer Tätigkeit erlangt. Denn bei ihrer Tätigkeit erhält die Bundesanstalt tiefgehende Einblicke in die finanziellen Verhältnisse, Geschäftsstrategien, Planungen etc. der betroffenen natürlichen und juristischen Personen. Durch die besondere gesetzliche Verschwiegenheitspflicht soll das für die Kooperationsbereitschaft aller Verfahrensbeteiligten und Beaufsichtigten notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichtspraxis sichergestellt werden3. Mit dem Schutz der bezeichneten sensiblen Tatsachen und Daten gegen unbefugte Offenbarung korrespondiert das Verbot der Verwertung des im Zusammenhang mit einer Tätigkeit in der oder für die Aufsichtsbehörde erlangten Wissens zu privaten Zwecken4. Der Vorschrift ähnliche Bestimmungen finden sich in einer Vielzahl kapitalmarktrechtlich relevanter Regelwerke, wie beispielsweise in § 8 WpHG, § 9 KWG, § 10 BörsG und § 84 VAG.
3
Mit dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz5 kam § 9 zusätzlich die Aufgabe zu, Art. 4 Abs. 3 Übernahmerichtlinie6 umzusetzen. Eine sprachliche Anpassung der Norm war nicht notwendig, da die europarechtlich geforderte Verschwiegenheitspflicht mit der bisherigen Regelung in § 9 schon fixiert war. Nach dieser Vorschrift müssen alle Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass alle Personen, die bei den Aufsichtsstellen tätig sind oder waren, zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind. Zudem bestimmt Art. 4 Abs. 4 Satz 2 Übernahmerichtlinie, dass die aus den anderen Mitgliedsstaaten erhaltenen Informationen auch unter dieses Berufsgeheimnis fallen. Letztlich wurde durch Art. 3 des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung7 im Katalog der Regelbeispiele für die befugte Weitergabe von Informationen auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgenommen, damit die Bundesanstalt ihren Über-
1 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 38. Die Formulierung ist insofern missverständlich, als diese Vorschrift die Bundesanstalt von behördlichen Auskunftspflichten nach der AO gegenüber den Finanzbehörden befreit und es hierbei nicht um ein Verwertungsverbot i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 geht. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 38. Zu der vergleichbaren Bestimmung des § 8 WpHG siehe auch Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679 v. 21.1.1994, S. 42 f. (zu Art. 1 § 8 Abs. 1); Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 8 WpHG Rz. 4. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 38. 4 Vgl. zur Parallelvorschrift § 8 WpHG Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 8 WpHG Rz. 3. 5 Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.2006 (BGBl. I 2006, 1426). 6 Richtlinie 2004/25/EG vom 24.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 7 AWGÄndG 13 vom 18.4.2009, BGBl. I 2009, 770.
210 Döhmel
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Verschwiegenheitspflicht
mittlungspflichten nach § 7 Abs. 1 Satz 2 an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachkommen kann1.
B. Das Offenbarungs- und Verwertungsverbot und seine Adressaten (§ 9 Abs. 1) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 dürfen die in § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 benannten, nachfolgend 4 (Rz. 5) aufgeführten Normadressaten die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, sowie personenbezogene Daten auch nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses oder ihrer Tätigkeit nicht unbefugt offenbaren oder verwerten.
I. Adressaten des Verbots Adressaten des in § 9 Abs. 1 näher umschriebenen Offenbarungs- und Verwertungs- 5 verbots (dazu unten Rz. 13 ff.) sind die Personen, die im Zuge der Aufsicht über Angebote auf Seiten der Bundesanstalt unmittelbar oder mittelbar mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen in Berührung kommen können. Im Einzelnen: – Beschäftigte der Bundesanstalt (§ 9 Abs. 1 Satz 1), wobei die Art des Beschäftigungsverhältnisses (Beamter, Angestellter, Arbeiter) keine Rolle spielt. Es handelt sich hier um eine Ergänzung der auch schon aus § 67 BBG und § 3 Abs. 1 TVöD folgende Verschwiegenheitspflicht2. Zudem fallen auch Referendare und Praktikanten, die einen Ausbildungsabschnitt bei der Bundesanstalt ableisten und hierdurch in Berührung mit sensiblen Informationen kommen, unter die Verschwiegenheitspflicht. – Personen und Einrichtungen nach § 7 Abs. 2, einschließlich ihrer Beschäftigten, deren sich die Bundesanstalt bei der Durchführung ihrer Aufgaben bedient (§ 9 Abs. 1 Satz 1). Hier kann insbesondere an Wirtschaftsprüfer gedacht werden. – Mitglieder des Beirates und Beisitzer des Widerspruchsausschusses (§ 9 Abs. 1 Satz 1). § 9 Abs. 1 Satz 1 ist eine Sonderbestimmung i.S.v. § 81 VwVfG zu § 84 Abs. 1 VwVfG. Die entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 7 an den Sitzungen des Beirats teilnehmenden Vertreter der Bundesministerien der Finanzen, der Justiz oder für Wirtschaft und Arbeit sind keine Beiratsmitglieder. Da sie auch nicht unter die übrigen Adressaten von § 9 Abs. 1 fallen3, unterliegen sie lediglich der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht aus § 67 BBG und § 3 Abs. 1 TVöD4.
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Vgl. BR-Drucks. 638/08, S. 24. Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 8 WpHG Rz. 5. Wie hier Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 6; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 15. I.E. ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 6. Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 15, will die Lücke durch Analogie schließen; im Ergebnis ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 9 WpÜG Rz. 4. Doch besteht dafür wegen der Anwendbarkeit der angeführten Bestimmungen kein zwingender Bedarf; ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 9 Rz. 2. Allerdings spricht gegen eine Analogie nicht zwangsläufig das strafrechtliche Analogieverbot (so Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 6), da die Strafbarkeit der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht der in Betracht kommenden Vertreter der Ministerien nach §§ 203 Abs. 2, 204 StGB nicht erweitert würde, würde man sie per Analogie zu dem von § 9 Abs. 1 erfassten Personenkreis zählen.
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– Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen erhalten (§ 9 Abs. 1 Satz 2). Hierbei kommt vor allem die dienstliche Berichterstattung an das Bundesministerium für Finanzen und dessen Beschäftige in Betracht. – Beschäftigte bei den Stellen, die nach § 9 Abs. 1 Satz 3 befugt geheimhaltungsbedürftige Informationen erhalten haben, sowie die von diesen beauftragten Personen (§ 9 Abs. 1 Satz 4). – Schließlich die Bundesanstalt als Aufsichtsbehörde selbst, auch wenn sie nicht ausdrücklich in § 9 Abs. 1 Satz 1 erwähnt ist1.
II. Gegenstand des Verbots: Geheimhaltungspflichtige Tatsachen und personenbezogene Daten 6
Gegenstand des Offenbarungs- und Verwertungsverbots sind den Normadressaten (Rz. 5) bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordene personenbezogene Daten und weitere Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt.
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Personenbezogene Daten unterliegen dem Offenbarungs- und Verwertungsverbot, ohne dass weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Dass es sich hierbei letztlich auch um Tatsachen handelt, bedarf keiner näheren Erläuterung. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des WpÜG, bei dem es im Kern um Übernahmen von börsennotierten Gesellschaften geht, den personenbezogenen Daten einen insofern besonderen Schutz gewährt, als es keines Geheimhaltungsinteresses bedarf. Soweit die natürliche Person außerhalb von § 9 Abs. 1 Satz 3 einer Weitergabe durch die Bundesanstalt zustimmt, ist eine Weitergabe möglich. Personenbezogene Daten sind nach § 3 Abs. 1 BDSG Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Dabei kann es sich um personenbezogene Daten sowohl von Normadressaten des WpÜG als auch von Dritten (etwa Organmitgliedern, Beschäftigten, Geschäftspartnern oder Anteilseignern der Normadressaten) handeln, solange die Daten der Bundesanstalt und denjenigen, die von ihnen Kenntnis erlangen, nur im Rahmen aufsichtsbezogener Tätigkeit bekannt geworden sind (siehe unten Rz. 12).
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Tatsachen, die nicht zu den personenbezogenen Daten zählen, unterfallen diesem Verbot, wenn deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt. Als Tatsachen kommen – insoweit gilt der gleiche Tatsachenbegriff wie in § 82 – sämtliche Erkenntnisse in Betracht, welche die Bundesanstalt im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit und der Normadressat im Rahmen seiner diese Eigenschaft begründenden Tätigkeit3 erlangt hat (hierzu und zum Tatsachenbegriff siehe die Erläuterungen zu § 8 Rz. 7). Der Tatsachenbegriff muss 1 So auch die einhellige Rechtsprechung zu § 8 WpHG: z.B. VG Frankfurt a.M. v. 23.1.2008 – 7 E 3280/06, NVwZ 2008, 1384. Zur Begründung ausführlich (in Bezug auf § 8 WpHG) Dreyling in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 8 WpHG Rz. 4. Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 6; Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 3; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 17; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 11. A.A. Szagunn/Haug/Ergenzinger, § 9 KWG Rz. 1; Kollhosser in Prölss, § 84 VAG; auch Noack in Schwark/Zimmer, § 9 WpÜG Rz. 2 (sonst „widersinnig“). 2 Ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 8. 3 Man kann dies mit Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 6, als „dienstliche Kenntniserlangung“ bezeichnen.
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weit ausgelegt werden und kann nicht an den Grenzen des strafrechtlichen Tatsachenbegriffs enden. Denn bei der Auslegung ist zum einen die Übernahmerichtlinie zu berücksichtigen, die von Informationen spricht. Zum anderen ist der Normzweck von § 9 zu beachten, durch den erreicht werden soll, dass das Vertrauen in die Integrität der Aufsicht nicht dadurch beeinträchtigt werden soll, dass Tatsachen offenbart werden, an denen Beaufsichtigte oder Dritte ein Geheimhaltungsinteresse haben. Entsprechend müssen unter Tatsachen alle gegenwärtigen oder vergangenen Verhältnisse, Zustände oder Geschehnisse der Innen- und Außenwelt verstanden werden. Dazu gehören auch innere Tatsachen wie bspw. Werturteile, Meinungen und Rechtsauffassungen1, solange nur ein Geheimhaltungsinteresse der nach dem WpÜG Verpflichteten oder eines Dritten anzuerkennen ist. Denn auch der Umstand, dass jemand ein Werturteil oder eine Meinung geäußert hat, ist eine Tatsache. Anders als personenbezogene Daten unterliegen Tatsachen dann dem Offenbarungs- 9 und Verwertungsverbot, wenn ein Geheimhaltungsinteresse einer natürlichen oder einer juristischen Person, die Adressat von Vorschriften des WpÜG ist, oder eines Dritten gegeben ist. Anders als bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (siehe dazu unten Rz. 10), an deren Geheimhaltung zudem berechtigtes wirtschaftliches Interesse bestehen muss, ist hier keine wie auch immer geartete Willensbekundung zur Geheimhaltung durch den Betroffenen erforderlich2; vielmehr ist in objektiver Würdigung der Umstände zu ermitteln, ob die Geheimhaltung im subjektiven Interesse des Betroffenen liegt, d.h. ihm objektiv nützlich und von Vorteil ist. Für eine Interessenabwägung ist hier kein Raum3. Das Gesetz spricht insbesondere nicht von einem berechtigten oder rechtlichen Interesse. Bestehen Zweifel, ob die Geheimhaltung im Interesse des Betroffenen liegt oder nicht, bietet sich auch eine Nachfrage bei dem Betroffenen an. Ein Geheimhaltungsinteresse in diesem Sinne besteht nicht, wenn die Tatsache bereits einem breiten Personenkreis bekannt (offenkundig) oder ohne weiteres der Kenntnisnahme durch einen solchen Personenkreis zugänglich ist4. In § 9 Abs. 1 ist für derartige geheimhaltungsbedürftige Tatsachen ein Regelbeispiel benannt. Wie schon die Verwendung des Wortes „insbesondere“ zeigt, ist das Regelbeispiel nicht abschließend. Der Kreis der verschwiegenheitspflichtigen Tatsachen ist 1 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 18 f. I.E. ebenso – allerdings mit der wegen des Normzwecks des § 9 Abs. 1 Satz 1 nicht gebotenen (weil in Gestalt eines Urteils über das berechtigte Geheimhaltungsinteresse zu berücksichtigenden) Einschränkung, Meinungen, Werturteilen etc. müssten zumindest auf einem Tatsachenkern beruhen – zu § 8 WpHG Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 3, unter zutreffender Berufung auf den Normzweck, denjenigen, der ein Geheimhaltungsinteresse habe, vor Nachteilen aus der Offenbarung oder Verwertung des Geheimnisses zu schützen, zu § 9 KWG Szagunn/Haug/Ergenzinger, § 9 KWG Rz. 6. Zu eng Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 15: Urteile und Meinungsäußerungen nur, wenn es sich „der Sache nach um die Mitteilung einer Tatsache handelt, die lediglich in die äußere Form eines Urteils oder einer Meinungsäußerung gekleidet worden ist“. 2 A.A., der aber nicht zu folgen ist, sind (zu § 9 KWG) Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 13 („objektiv im Interesse des Betroffenen … und von diesem gewollt“). Ebenso Noack in Schwark/Zimmer, § 9 WpÜG Rz. 7 („Geheimhaltung … zumindest mutmaßlich gewollt“). 3 Vgl. auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 22, der von einem kombiniert objektiv-subjektiven Geheimhaltungsinteresse spricht. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 9 Rz. 5 spricht von einem objektiv zu bestimmenden Geheimhaltungsinteresse. Nach a.A. soll es auf ein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung ankommen, welches unter Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu ermitteln sei. Etwa Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 8 und 9; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 9 Rz. 5; Schmitz in Geibel/Süßmann, § 9 Rz. 5. 4 Reischauer/Kleinhans, § 9 WpHG Rz. 14; Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 4.
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weitergehend. Verschwiegenheitspflichtig sind alle Tatsachen, die die Beschäftigten der Bundesanstalt im Rahmen ihrer Tätigkeit erlangt haben und deren Geheimhaltung im Interesse eines Betroffenen oder eines Dritten liegt. 10
Als Regelbeispiel („insbesondere“) für Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines nach diesem Gesetz Verpflichteten oder eines Dritten liegt, werden in § 9 Abs. 1 Satz 1 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse angeführt. Bei diesen handelt es sich, nach der zu § 90 HGB, § 17 UWG und zu §§ 203, 204 StGB ergangenen Rechtsprechung, auf die hier ohne weiteres zurückgegriffen werden kann, um Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt (also nicht offenkundig) sind, nach dem Willen des Unternehmers (bzw. der Unternehmensverantwortlichen) geheim gehalten werden sollen und an deren Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht1. Dabei betreffen Geschäftsgeheimnisse vornehmlich das kaufmännische Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebes maßgeblich bestimmt werden können2.
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Des Weiteren werden nur solche Tatsachen erfasst, die den Normadressaten (siehe oben Rz. 5) bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Damit werden die Fälle ausgeschlossen, in denen die Kenntniserlangung einer Tatsache in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit steht. Das schließt insbesondere die Kenntniserlangung in rein privatem Rahmen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus. Ein Zusammenhang der Kenntniserlangung mit der Tätigkeit des Normadressaten ist auch dann nicht gegeben, wenn ihm die bei seiner Tätigkeit erworbenen Erkenntnisse oder Kontakte die Beurteilung und Einordnung einer Tatsache oder die Erlangung derselben in privater Sphäre erleichtert haben3. Dagegen ist ein Zusammenhang von Tätigkeit und Kenntniserlangung anzunehmen, wenn einem Normadressaten tätigkeitsbezogene Informationen, welche Tatsachen i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 umfassen, durch einen anderen Normadressaten in privatem Gespräch und Kontakt mitgeteilt werden4.
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Weder im Falle von Tatsachen5 noch in demjenigen personenbezogener Daten ist es erheblich, ob der Gegenstand der fraglichen Informationen in eine rein private oder eine geschäftliche Sphäre fällt. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob die Tatsachen oder personenbezogenen Daten von den Betroffenen selbst oder von Dritten stammen. Entscheidend ist insoweit allein, dass den Adressaten des Verbots aus § 9 Abs. 1 die geheimhaltungspflichtigen Tatsachen und die personenbezogene Daten bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Das ist stets dann anzunehmen, wenn die Kenntniserlangung in einem Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten steht, welche die Betroffenen zu Normadressaten des § 9 Abs. 1 macht. Beschäftigte bei der Bundes1 BVerfG v. 14.3.2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, NVwZ 2006, 1041; BGH v. 15.3.1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425; BGH v. 1.7.1960 – I ZR 72/59, NJW 1960, 1999, 2000; OLG Koblenz v. 24.7.1986 – 6 U 604/86, NJW-RR 1987, 95, 97. Zu Einzelheiten siehe die einschlägigen Kommentare zum HGB und zum UWG. 2 BVerfG v. 14.3.2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, NVwZ 2006, 1041. 3 Ebenso Kollhosser in Prölss, § 84 VAG Rz. 10; Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 5. 4 Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 5; Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 10 (Normzweck); Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 16 (Normzweck); Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 20; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 15. 5 Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 13.
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anstalt unterliegen deshalb auch im Hinblick auf solche Tatsachen und personenbezogenen Daten dem Verbot des § 9 Abs. 1, die ihnen, ohne dass es für ihre Tätigkeit erforderlich wäre, im Rahmen derselben zugingen oder zugänglich wurden. Selbst die nur gelegentlich dieser Tätigkeit (also mehr oder weniger zufällig) erlangten Kenntnisse unterliegen dem Verbot des § 9 Abs. 1, sofern dessen weitere Voraussetzungen gegeben sind. Nicht erfasst werden dagegen die außerdienstlich, rein privat erlangten Informationen.
III. Unbefugtes Offenbaren oder Verwerten Den Normadressaten (siehe oben Rz. 5) ist es nach § 9 Abs. 1 Satz 1 verboten, die ih- 13 nen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen geheimhaltungspflichtigen Tatsachen und personenbezogene Daten unbefugt zu offenbaren oder zu verwerten. Dieses Verbot gilt nicht nur für die Dauer ihres Dienstverhältnisses, sondern erstreckt sich auch auf den Zeitraum nach Beendigung desselben. 1. Offenbaren/Verwerten Tatsachen und personenbezogene Daten werden offenbart, wenn sie Dritten münd- 14 lich, schriftlich, über elektronische Medien oder gestisch – gewollt oder ungewollt1 – mitgeteilt oder auf andere Weise zugänglich gemacht werden2. Letzteres ist der Fall, wenn der Normadressat die Tatsachen oder Daten Dritten nicht durch Mitteilung weitergibt, sondern lediglich die Voraussetzungen dafür schafft, dass die fraglichen Tatsachen oder Daten von einem anderen zur Kenntnis genommen werden und die Kenntnisnahmemöglichkeit gewollt ist3. Unerheblich ist es, ob der Offenbarende sich oder einem anderen durch sein Verhalten einen Vorteil verschaffen wollte oder nicht4. Tatsachen und personenbezogene Daten werden verwertet, wenn sie zu eigenen pri- 15 vaten oder auch fremden Zwecken5 genutzt werden. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass daraus ein Vorteil für den Verwertenden oder den Dritten erwächst6.
1 Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 10. 2 So auch Noack in Schwark/Zimmer, § 9 WpÜG Rz. 10; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 9 Rz. 6; Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 9 Rz. 8; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 9 Rz. 6; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 26. 3 Zur Auslegung des auch in § 14 WpHG verwandten Begriffs siehe Assmann in Assmann/ Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 65 f. m.w.N. 4 Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 10. 5 Ohne Differenz in der Sache Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 13: „Ausnutzen für eigene Zwecke“. Ebenso Dreyling in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 8 WpHG Rz. 13; Szagunn/Haug/Ergenzinger, § 9 KWG Rz. 7; Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 10. 6 So auch zutreffend Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 27, der darauf hinweist, dass sonst die Geheimhaltung der Tatsache bzw. des personenbezogenen Datums in die Beliebigkeit des Offenbarenden gestellt würde, sofern er keine Vorteile für sich oder Dritte, sondern z.B. nur Nachteile für den anderen anstrebt. A.A. Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 9 Rz. 9; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 16 „Bewusstsein …, aus der Benutzung des Geheimnisses … für sich oder andere Vorteile zu ziehen“.
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2. Unbefugt/Befugt a) Regel 16
Durch § 9 Abs. 1 Satz 1 verboten ist nur die unbefugte Offenbarung oder Verwertung geheimhaltungspflichtiger Tatsachen und personenbezogener Daten. Aus rechtsdogmatischer Sicht handelt es sich bei der Befugnis zur Weitergabe der Tatsachen oder Daten um einen Rechtfertigungsgrund. Hinsichtlich des Rechtfertigungsgrundes hat der Gesetzgeber aber keine abschließende Definition von „befugt“ oder „unbefugt“ vorgesehen. Die Weitergabe oder Verwertung sowohl von Tatsachen als auch personenbezogenen Daten ist jedenfalls dann befugt, wenn sie mit Zustimmung (Einwilligung) des Betroffenen erfolgt. Denn bei einer Einwilligung des von der Informationsweitergabe Betroffenen kann das Vertrauen in die Integrität der Aufsichtstätigkeit der Bundesanstalt nicht nachteilig beeinflusst werden. Im Übrigen kann sich die Befugnis aus vorrangigen gesetzlichen Regelungen ergeben, die im Einklang mit der gesetzgeberischen Intension der gesetzlichen Regelbeispiele stehen. Diese Regelbeispiele sind in § 9 Abs. 1 Satz 3 normiert. Die Auslegung, wann eine Weitergabe befugt ist, muss im Lichte dieser gesetzlich geregelten Beispiele erfolgen. b) Regelbeispiele der Befugnis zur Weitergabe von Tatsachen im Rahmen der innerund zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (§ 9 Abs. 1 Satz 3)
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Ausdrücklich als befugt erklärt § 9 Abs. 1 Satz 3 die Weitergabe von Tatsachen an Strafverfolgungsbehörden oder für Straf- und Bußgeldsachen zuständige Gerichte (Nr. 1). Gesetzlich ist damit die Weitergabe der Tatsachen an Zivilgerichte nicht vorgesehen, auch nicht an Dritte zur Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen1.
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Befugt ist zudem die Weitergabe der Tatsachen an Stellen, die kraft Gesetzes oder im öffentlichen Auftrag mit der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen, der Überwachung von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren oder der Überwachung von Börsen oder anderen Wertpapier- oder Derivatemärkten, des Wertpapier- oder Derivatehandels, von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, Investmentgesellschaften, Finanzunternehmen oder Versicherungsunternehmen betraut sind, sowie an die von diesen Stellen beauftragten Personen (Nr. 2). Welchen rechtlichen Status die „Stelle“ nach den jeweiligen Vorschriften haben muss, wird in § 9 nicht näher erläutert. Eine Definition ist im Hinblick auf die verschiedenen Möglichkeiten und sich verändernden Organisationsstrukturen weder zweckmäßig noch erforderlich. Für die Bundesanstalt reicht es vielmehr aus, dass die Stelle aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschriften oder durch sonstigen staatlichen Auftrag Überwachungsaufgaben i.S.d. § 9 Abs. 1 wahrnimmt. Die Anzahl der hierfür in Betracht kommenden inländischen Stellen ist überschaubar, wobei zu den mit der Überwachung von Börsen betrauten Stellen auch die Handelsüberwachungsstellen gehören2. Die Befugnis zur Weitergabe gilt darüber hinaus aber auch für die Weitergabe von Tatsachen an die für die Überwachung der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 genannten Unternehmen zuständigen ausländischen Stellen und die von diesen beauftragten
1 So zu § 9 KWG VG Köln v. 29.4.2002 – 14 L 2316/01, juris; Hess. VGH v. 2.3.2010 – 6 A 1684/08, NVwZ 2010, 1036. 2 Begr. RegE Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 13/7142 v. 6.3.1997, in Bezug auf die § 9 Abs. 1 Satz 3 entsprechende Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 3 WpHG.
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Personen1. Dabei ist allerdings zu beachten, dass § 9 Abs. 1 Satz 5 die Weitergabe von Tatsachen in diesen Fällen nur unter der Voraussetzung des Bestehens einer den § 9 Abs. 1 Sätze 1–3 entsprechenden Verschwiegenheitspflicht für den ausländischen Empfänger erlaubt. Im Hinblick auf die Ermittlung der ausländischen Stellen, deren Aufgabe die Überwachung der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 angeführten Unternehmen ist, sind die zur Bezeichnung derselben verwandten Begriffe im materiellen Sinn zu verstehen, so dass es nicht darauf ankommt, ob die fraglichen Unternehmen nach dem für sie maßgeblichen Recht formal unter diese Begriffe fallen2. Die Befugnis der Weitergabe von Tatsachen an das Bundesministerium für Wirt- 19 schaft und Technologie (Nr. 3) wurde mit der Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes im Jahre 2009 aufgenommen. Mit dieser Regelung ist der Bundesanstalt der Weg eröffnet, ihren Übermittlungspflichten nach § 7 Abs. 1 Satz 2 an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachzukommen3. Die Bundesanstalt ist nach dieser Regelung zu einer Mitteilung an das Bundesministerium verpflichtet, wenn eine Person die Kontrollschwelle von § 29 Abs. 2 an einer Zielgesellschaft erlangt hat oder für die Aktien einer Zielgesellschaft ein Erwerbs- oder Übernahmeangebot abgibt. Die Mitteilung kann zudem Anlass für weitere Nachfragen des Bundesministeriums an die Bundesanstalt sein. Gerade bezüglich des Erreichens der Kontrollschwelle kann es sich durchaus um eine Tatsache handeln, deren Geheimhaltung in Interesse der Person liegt, die die Stimmrechte hält oder zugerechnet bekommt. Man bedenke hier z.B. die Möglichkeiten nach §§ 36, 37. Mit der Formulierung „soweit die Tatsachen zur Erfüllung der Aufgaben dieser Stellen erforderlich sind“ beschränkt das Gesetz die Weitergabe von Informationen durch die Bundesanstalt an die benannten Stellen auf das notwendige Maß. Das bedeutet, dass es für die Bundesanstalt nachvollziehbar sein muss, dass die Stelle, an die sie die Tatsachen einschließlich der personenbezogenen Daten weitergibt, diese für ihre Aufgabenerfüllung benötigt. Bezüglich der Erforderlichkeit kann auf die Erläuterungen zu § 7 Abs. 1 Satz 2 verwiesen werden4.
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Ohne in den Katalog der Regelbeispiele aufgenommen zu werden, sieht § 9 Abs. 1 zudem die Weitergabe verschwiegenheitspflichtiger Informationen auch an die Mitglieder des Beirats nach § 5, an die Beisitzer des Widerspruchsausschusses nach § 6, an die Personen, derer sich die Bundesanstalt nach § 7 Abs. 2 bedient, und im Rahmen der dienstlichen Berichterstattung vor.
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Die allgemeine beamtenrechtliche Vorschrift des § 67 Abs. 3 BBG, nach der ein Beamter ohne Genehmigung über die seiner Verschwiegenheitspflicht unterfallende Angelegenheiten weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben darf, wird weder durch § 9 Abs. 1 Satz 3 noch durch den die Weitergabebefugnisse an ausländische Stellen regelnden § 9 Abs. 1 Satz 5 (dazu unten Rz. 25 ff.) verdrängt5.
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Insoweit findet die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 ihre Rechtfertigung in drei Aspekten: Zum einen erlaubt sie eine enge Kooperation mit anderen in- und ausländischen Stellen und Personen, deren Zuständigkeit im Zusammenhang mit einem öffent-
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Begr. RegE Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 13/7142 v. 6.3.1997, S. 105. Begr. RegE Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 13/7142 v. 6.3.1997, S. 105. Vgl. BR-Drucks. 638/08, S. 24. Vgl. Ausführungen unter § 7 Rz. 5. Ebenso Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 12; Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 7 (zu § 9 KWG); Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 17.
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lichen Angebot betroffen sein kann und auf deren Hilfe die Bundesanstalt zur eigenen Aufgabenerfüllung zurückgreifen muss oder die ihrerseits zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben auf Informationen der Bundesanstalt angewiesen sind; zum anderen ist die Befugnis zur Informationsweitergabe stets an die Erforderlichkeit für die Aufgabenerfüllung gebunden. Und letztlich unterliegen die bei den in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 angeführten Behörden und Stellen Beschäftigten regelmäßig neben der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 1 schon aus ihrem Status oder ihrer Aufgabe heraus einer Verschwiegenheitspflicht. Insoweit wird auch im Rahmen der befugten Weitergabe der Zweck der Norm, Erhalt des Vertrauens in die Integrität der Aufsicht, gewährleistet. c) „Weitergabe“ der Verschwiegenheitspflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 4) 24
Für die bei den in § 9 Abs. 1 Satz 3 angeführten Stellen beschäftigten oder von ihnen beauftragten Personen gilt das Offenbarungs- und Verwertungsverbot aus § 9 Abs. 1 Satz 1 bis 3 entsprechend (§ 9 Abs. 1 Satz 4). Das bedeutet, dass die Verschwiegenheitspflicht aus § 9 Abs. 1 neben ihre auch sonst schon gegebenen Verschwiegenheitspflichten tritt. Daraus wiederum folgt: Soweit diesen Personen von der Bundesanstalt und ihren Beschäftigten Tatsachen offenbart werden, die unter § 9 fallen, haben sie zusätzlich in entsprechender Weise wie die Bundesanstalt das Offenbarungs- und Verwertungsverbot aus § 9 zu berücksichtigen. Hierdurch ist sichergestellt, dass auch sie die erlangten Informationen nur für dienstliche Zwecke im Rahmen ihrer Aufgaben und nicht für eigene private Zwecke oder die Interessen Dritter nutzen dürfen1. d) Besondere Anforderungen bei Übermittlungen an ausländische Stellen (§ 9 Abs. 1 Satz 5)
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Die Vorschrift erlaubt die Weitergabe von Tatsachen an zuständige ausländische Stellen im Rahmen des benannten Aufgabenkreises (siehe oben Rz. 18). Neben der Beschränkung der Tatsachenweitergabe nur in einem für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Umfang ist folgender Aspekt zu berücksichtigen: Die Einhaltung einer entsprechenden Verschwiegenheitspflicht wird im Ausland bezüglich der zuständigen Stelle und beauftragten Personen dadurch gewährleistet, dass § 9 Abs. 1 Satz 5 eine Weitergabe von Tatsachen an ausländische Stellen nur gestattet, wenn diese sowie die von ihr beauftragten Personen einer den Sätzen 1 bis 3 entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Von einer entsprechenden Verschwiegenheitspflicht kann man grundsätzlich bei allen Stellen ausgehen, die als zuständige Stellen im Sinne der Übernahmerichtlinie benannt sind (Art. 4 Abs. 3). Inwieweit Stellen im Drittausland entsprechenden Verschwiegenheitspflichten unterliegen, ist eine Einzelfallfrage, wobei künftig bei der Beantwortung dieser Frage die ESMA Unterstützung leisten kann (Art. 33 ESMA-VO). e) Sonstige Einzelfälle einer Offenbarungs- und Verwertungsbefugnis
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§ 9 Abs. 1 Sätze 3–5 stellen keine abschließende Regelung im Hinblick auf die befugte Offenbarung oder Verwertung von Tatsachen oder personenbezogenen Daten dar (siehe oben Rz. 16, 21). Die Beantwortung der Frage, wann eine sonstige Befugnis zur Weitergabe gegeben sein könnte, muss sich am Sinn und Zweck von § 9 ausrichten und die gesetzlichen Regelbeispiele berücksichtigen (vgl. Rz. 23). In Betracht kommt 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 38.
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die befugte Weitergabe bei Einverständnis der von der Weitergabe Betroffenen (vgl. Rz. 16) und aufgrund von höherrangigen öffentlichen Interessen1. Im letzteren Fall muss es sich um staatliche oder u.U. internationale Stellen handeln, die ihrerseits einer entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Die Weitergabe muss zudem für die Erfüllung von deren gesetzlicher oder öffentlicher Aufgabe erforderlich sein. Die Weitergabe von Tatsachen einschließlich personenbezogener Daten innerhalb 27 der Behörde ist grundsätzlich befugt2. Das ergibt sich schon aus der behördenübergreifenden Weitergabebefugnis nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, aus der Verschwiegenheitspflicht der Empfänger nach § 9 Abs. 1 Satz 1 und der Möglichkeit der dienstlichen Berichterstattung. Das gilt auch, wenn die Übermittlung der Tatsachen sich nicht als zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers unbedingt erforderlich erweist. Bei der Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb der Bundesanstalt sind §§ 15 Abs. 6, 14 Abs. 3 BDSG zu beachten. Eine befugte Weitergabe liegt auch vor, wenn die Bundesanstalt von ihrem gesetzlichen Veröffentlichungsrecht nach § 44, u.U. im Rahmen der Missstandsaufsicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3, Gebrauch macht und z.B. Untersagungsverfügungen veröffentlicht. Hier hat der Gesetzgeber innerhalb des WpÜG eine Informationsmöglichkeit der Bundesanstalt sowohl für den Kapitalmarkt als auch für Aktionäre der Zielgesellschaften geschaffen, die nicht durch § 9 konterkariert werden soll. Stattdessen muss die Bundesanstalt hier im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung und Verhältnismäßigkeit tätig werden.
28
Demgegenüber ist die Offenlegung von Tatsachen oder personenbezogenen Daten ge- 29 genüber Dritten durch die BaFin oder andere Normadressaten auch dann nicht befugt, wenn sie allgemeinen öffentlichen Interessen dienen soll, wie beispielsweise der Aufdeckung von Straftaten3. Hier sind die Betroffenen gehalten, den Weg der Mitteilung solcher Erkenntnisse an die in § 9 Abs. 1 Satz 3 genannten Stellen zu gehen. Diese Möglichkeit schließt ein „überwiegendes“ öffentliches Interesse an der Offenbarung aus. Die Landespressegesetze können eine Behörde zu Auskünften verpflichten, die auch auf die Mitteilung der der Bundesanstalt bekannt gewordenen geschäftlichen Tatsachen oder persönlichen Angelegenheiten eines Unternehmens oder einer Person gegenüber der Presse hinauslaufen kann4. Soweit keine besonderen Gründe vorliegen, nach denen die erbetene Auskunft zu verweigern ist (vgl. § 3 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse), und die stets gebotene Güterabwägung zwischen den Interessen der Presse und den Informationsinteressen der Öffentlichkeit auf der einen Seite und den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen auf der anderen Seite zugunsten der Erteilung der nachgefragten Auskunft ausschlägt, ist diese als befugt zu betrachten. So muss und darf die Bundesanstalt regelmäßig über die Einleitung oder das Ergebnis des Abschlusses eines Verfahrens nach dem WpÜG Auskunft geben, doch bedarf es dazu grundsätzlich keiner weiter gehenden Tatsachenmitteilungen und Mitteilungen personenbezogener Daten.
1 Vgl. auch Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 17. 2 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 38. 3 Nicht zu folgen ist der gegenteiligen Ansicht von Szagunn/Haug/Ergenzinger, § 9 KWG Rz. 7. Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 15, will die Weitergabe von Informationen an die Presse zumindest von einer Güterabwägung abhängig machen; siehe dazu aber im Folgenden. 4 So auch Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 36 Näher hierzu – in Bezug auf die Parallelregelung in § 8 WpHG – Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 8 WpHG Rz. 21.
Döhmel
219
§9
Verschwiegenheitspflicht
30
Im Rahmen des IFG besteht ein Anspruch Dritter gegenüber der Bundesanstalt auf Informationszugang nach § 1 Abs. 1 IFG, wenn die Informationen nicht einem Ausschlussgrund nach §§ 3 ff. IFG unterliegen. Hier ist § 3 Nr. 4 IFG zu berücksichtigen, der einen absoluten Ausschlussgrund für den Informationsanspruch enthält. Danach ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn die Informationen einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen. § 9 ist eine solche Norm1, so dass auch ein Antrag nach § 1 IFG nicht zu einer befugten Weitergabe von geheimhaltungspflichtigen Tatsachen einschließlich personenbezogener Daten führt.
31
Die Verwertung von Tatsachen oder personenbezogenen Daten durch diejenigen, die sie befugt erlangt haben, zu Vorträgen, Ausarbeitungen oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist ihrerseits als befugt zu betrachten, wenn sie hinreichend anonymisiert erfolgt2. Damit scheidet zugleich eine Befugnis zur Weitergabe der fraglichen Informationen aus rein wissenschaftlichem Interesse aus.
C. Keine Auskunft gegenüber Finanzbehörden (§ 9 Abs. 2) 32
§ 9 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass die sich aus §§ 93, 97, 105 Abs. 1, § 111 Abs. 5 i.V.m. § 105 Abs. 1 sowie § 116 Abs. 1 AO ergebenden Auskunfts-, Vorlage- und Anzeigepflichten gegenüber Finanzbehörden grundsätzlich nicht für die in § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 bezeichneten, zur Durchführung dieses Gesetzes tätig werdenden Personen gelten. § 9 enthält insoweit ein besonderes Verwertungsverbot der im Rahmen der Aufsichtstätigkeit erlangten Informationen, Kenntnisse und Unterlagen im Verhältnis zu den Finanzbehörden. Die weitgehende (nur durch die Rückausnahme in § 9 Abs. 2 Satz 2 begrenzte) Außerkraftsetzung der sich aus den angeführten Bestimmungen der AO ergebenden Pflichten wird damit begründet, dass das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung gegenüber den Zielen einer effektiven Beaufsichtigung von Angeboten nach diesem Gesetz zurücktreten müsse: Da die Bundesanstalt bei ihrer Tätigkeit in hohem Maße auf die Kooperationsbereitschaft der an einem Angebotsverfahren beteiligten Personen und Unternehmen angewiesen sei, sei das Verwertungsverbot notwendig, um eine wirksame Aufsicht zu ermöglichen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass die zuständigen Stellen in anderen Staaten vielfach nur unter dem Vorbehalt der steuerlichen Nichtverwertung zur Übermittlung von Informationen an die Bundesanstalt bereit seien3.
33
Die in § 9 Abs. 2 Satz 1 angeführten Vorschriften der AO bleiben dagegen gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 anwendbar, soweit die Finanzbehörden die Kenntnisse für die Durchführung eines Verfahrens wegen einer Steuerstraftat (nicht erfasst sind damit bloße Steuerordnungswidrigkeiten) sowie eines damit zusammenhängenden Besteuerungsverfahrens benötigen, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Ein zwingendes öffentliches Interesse ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn ohne die Durchführung der angeführten Verfahren schwere Nachteile für das all1 Vgl. auch Rechtsprechung zu § 8 WpHG und § 9 KWG: z.B. VG Frankfurt a.M. v. 19.3.2008 – 7 E 4067/06; VG Frankfurt a.M. v. 28.1.2009 – 7 K 4037/07.F; VG Frankfurt a.M. v. 18.2.2009 – 7 K 4170/07.F, jeweils veröffentlicht in der Entscheidungssammlung der hessischen Justiz unter http://lareda.hessenrecht.hessen.de; VG Frankfurt a.M. v. 7.5.2009 – 7 L 676/09.F, NVwZ 2009, 1182. 2 Vgl. Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 8 WpHG Rz. 13, hier fehlt es schon an der Erfüllung des Tatbestands einer Verwertung der Tatsachen oder personenbezogenen Daten. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. So schon zur Parallelregelung in § 8 Abs. 2 WpHG Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 42 f.
220 Döhmel
§9
Verschwiegenheitspflicht
gemeine Wohl eintreten1, und im Besonderen in den in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO beispielhaft angeführten Fällen. Eine Weitergabe der Tatsachen an die Steuerbehörden hat aber auch bei einem zwin- 34 genden öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Steuerstraftat dann zu unterbleiben, wenn von den Steuerbehörden Tatsachen angefordert werden, die im Rahmen des internationalen Austauschs von ausländischen Stellen an die Beschäftigen der Bundesanstalt, des Bundesministerium für Finanzen oder sonst nach § 9 Abs. 1 Satz 1 verschwiegenheitspflichtige Personen mitgeteilt wurden. Insoweit regelt § 9 Abs. 2 Satz 2 letzter Teilsatz eine Rückausnahme von der Ausnahme der Weitergabe an Steuerbehörden, wenn Tatsachen betroffen sind, die den in § 9 Abs. 1 Satz 1 oder 2 bezeichneten Personen durch eine Stelle eines anderen Staates im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 oder durch von dieser Stelle beauftragte Personen mitgeteilt worden sind. Diese Regelung nimmt darauf Rücksicht, dass anderenfalls der Informationsaustausch auf internationaler Ebene gefährdet werden könnte.
D. Förmliche Verpflichtung von Mitgliedern des Beirats und des Widerspruchsausschusses (§ 9 Abs. 3) § 9 Abs. 3 verlangt, sämtliche Mitglieder des Beirates (§ 5) und die ehrenamtlichen Mitglieder des Widerspruchsausschusses (§ 6) nach dem Verpflichtungsgesetz auf die Einhaltung ihrer Obliegenheiten nach § 9 Abs. 1 Satz 1, d.h. die Einhaltung ihrer Verschwiegenheitspflicht und die Beachtung des Verwertungsverbots förmlich zu verpflichten. Hintergrund ist, dass diese Personen regelmäßig nicht verbeamtet sind und für eine wirksame Durchsetzung der Verschwiegenheitspflicht dann eine gesonderte Verpflichtung notwendig ist. Die Verpflichtung wird durch die Bundesanstalt durchgeführt und dokumentiert.
35
E. Rechtsfolgen der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und des Verwertungsverbots Das WpÜG enthält selbst keine Sanktionen der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und des Verwertungsverbots. Verstöße gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 werden von den Sanktionsvorschriften des 8. Abschnitts des Gesetzes (§§ 59–65), unter diesen namentlich den Bußgeldvorschriften des § 60, nicht erfasst. Dessen ungeachtet sind Verstöße gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich haftungsbewehrt.
36
I. Strafrechtliche Folgen In erster Linie können Verschwiegenheitspflichtverletzungen strafrechtliche Konsequenzen nach Maßgabe von § 203 Abs. 2 StGB, Verstöße gegen das Verwertungsverbot solche nach § 204 StGB nach sich ziehen. In beiden Fällen ist nur vorsätzliches Handeln strafbar (§ 15 StGB) und der Versuch nicht unter Strafe gestellt (§ 23 Abs. 1 StGB). Die Vergehen nach §§ 203 Abs. 2, 204 StGB werden nur auf Antrag des Verletzten verfolgt (§ 205 StGB).
1 Siehe etwa BGH v. 12.2.1981 – III ZR 123/79, NJW 1982, 1648, 1649; BFH v. 10.2.1987 – VII R 77/84, BStBl. II 1987, 545, 548.
Döhmel
221
37
§9
Verschwiegenheitspflicht
38
Werden mit einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 zugleich „wichtige öffentliche Interessen gefährdet“, kommt darüber hinaus eine Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 und Abs. 2 StGB in Betracht; in diesem Falle ist auch der Versuch strafbar (§ 353b Abs. 3 StGB). Eine Tat nach § 353b Abs. 1 und Abs. 2 StGB wird nur mit Ermächtigung durch die in § 353b Abs. 4 Satz 2 StGB genannten Stellen verfolgt (siehe § 353b Abs. 4 Satz 1 StGB). Ist im Zusammenhang mit der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht eine Vorteilsnahme im Spiel oder wird von der Verschwiegenheitspflicht erfasstes Wissen um einer Gegenleistung willen offenbart, kann auch ein Verstoß gegen § 331 StGB (Vorteilsnahme) oder § 332 StGB (Bestechlichkeit) vorliegen.
39
Ein Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 kann darüber hinaus, wenn es sich bei der verwerteten Information um eine Insiderinformation (§ 13 Abs. 1 WpHG) handelt, eine Insiderstraftat nach §§ 14, 38 Abs. 1 WpHG darstellen. So z.B. die Kenntnis von einem bevorstehenden Übernahmeangebot, das noch nicht öffentlich bekannt ist.
II. Zivilrechtliche Folgen 40
Als zivilrechtliche Folge der Verletzung sowohl der Verschwiegenheitspflicht als auch des Verwertungsverbots kommt in erster Linie eine Staatshaftung für die Amtspflichtverletzung der Normadressaten des § 9 Abs. 1 Satz 1 nach Maßgabe von Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB in Frage. Die Normadressaten des § 9 Abs. 1 Satz 1 sind Beamte in dem für die Staatshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB erforderlichen Sinne (es gilt der sog. haftungsrechtliche Beamtenbegriff). Die Verschwiegenheitspflicht und das Verwertungsverbot nach § 9 Abs. 1 Satz 1 stellen der Wahrung der Interessen eines nach dem WpÜG Verpflichteten oder eines Dritten dienende Amtspflichten dar1. Darüber hinaus ist allerdings erforderlich, dass die Amtspflichtverletzung „in Ausübung“ des dem Beamten im haftungsrechtlichen Sinne „anvertrauten öffentlichen Amtes“ erfolgt (Art. 34 GG), was voraussetzt, dass ein enger innerer und äußerer Zusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und anvertrautem Amt besteht2. Das mag bei Verschwiegenheitspflichtverletzungen regelmäßig zu bejahen sein, ist aber bei der Verwertung von Tatsachen und personenbezogenen Daten zu eigenem oder fremdem Vorteil eher zu bezweifeln.
41
Scheidet die Staatshaftung aus, was i.d.R. nur deshalb in Betracht kommt, weil es an der letztgenannten Voraussetzung fehlt, ist für eine Eigenhaftung desjenigen, der seine Amtspflicht verletzt, nach § 839 BGB kein Raum, denn sie greift nur in dem vorliegend auszuschließenden Fall ein, dass der Beamte – der hier zudem Beamter im staatsrechtlichen Sinne (d.h. nach § 6 BBG formell zum Beamten ernannt) sein muss – im privatrechtlichen Funktionskreis der Verwaltung tätig geworden ist. Eine Eigenhaftung des Beamten kommt unter diesen Umständen nur nach anderweitigen Anspruchsgrundlagen (siehe unten Rz. 33 f.) in Frage. Sind die Voraussetzungen einer Staatshaftung dagegen gegeben, so kann im Falle vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns des Normadressaten bei diesem Rückgriff genommen werden (Art. 34 Satz 2 GG).
1 Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 7; Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 6 (zu § 9 KWG); Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 22. 2 BGH v. 26.11.1953 – III ZR 26/52, BGHZ 11, 181, 185 ff.; BGH v. 16.4.1964 – III ZR 182/63, BGHZ 42, 176, 177 ff.; BGH v. 12.12.1991 – III ZR 10/91, NJW 1992, 1227, 1228.
222 Döhmel
§9
Verschwiegenheitspflicht
Soweit die Staatshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB nicht eingreift, kann die 42 Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und des Verwertungsverbots die deliktische Haftung nach sich ziehen. Zweck der Verschwiegenheitspflicht und des Verwertungsverbots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 ist es, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer Betroffener („Dritter“) zu schützen (siehe oben Rz. 2), so dass die Bestimmung als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB1 zu Gunsten der Vorgenannten anzusehen ist und ihre Verletzung Schadensersatzansprüche (in den hier in Frage kommenden Fällen praktisch weniger relevant sind damit zusammenhängende Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche) der Geschädigten zur Folge haben kann. Des Weiteren kommt eine zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB (Recht am Gewerbebetrieb, denkbar auch Persönlichkeitsrechtsverletzung) und § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, wobei bedingter Vorsatz genügt) in Betracht. Darüber hinaus sind bei Verstößen gegen das Verwertungsverbot § 812 BGB (Eingriffskondiktion) und vor allem § 687 Abs. 2 BGB (angemaßte Eigengeschäftsführung) nahe liegende Anspruchsgrundlagen, um dem Kondiktionsgläubiger bzw. dem Geschäftsherrn Zugriff auf das durch die Verwertung der geheimen Tatsachen oder personenbezogenen Daten Erlangte zu ermöglichen.
1 Wie hier im Übrigen Noack in Schwark/Zimmer, § 9 WpÜG Rz. 19; Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 9 Rz. 1; Ritz in Baums/Thoma, § 9 Rz. 23; Holst in KölnKomm. WpÜG, § 9 Rz. 59; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 9 Rz. 20; Linke in FrankfKomm. WpÜG, § 9 Rz. 21. Entsprechend für § 8 WpHG Geibel in Schäfer, § 8 WpHG Rz. 20, für § 9 KWG Reischauer/Kleinhans, § 9 KWG Rz. 29, und Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 9 KWG Rz. 25.
Döhmel
223
43
Abschnitt 3 Angebote zum Erwerb von Wertpapieren § 10 Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (1) Der Bieter hat seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich gemäß Absatz 3 Satz 1 zu veröffentlichen. Die Verpflichtung nach Satz 1 besteht auch, wenn für die Entscheidung nach Satz 1 der Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich ist und ein solcher Beschluss noch nicht erfolgt ist. Die Bundesanstalt kann dem Bieter auf Antrag abweichend von Satz 2 gestatten, eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen, wenn der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass dadurch Marktverzerrungen nicht zu befürchten sind. (2) Der Bieter hat die Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 vor der Veröffentlichung 1. den Geschäftsführungen der Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen sind, 2. den Geschäftsführungen der Börsen, an denen Derivate im Sinne des § 2 Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt werden, sofern die Wertpapiere Gegenstand der Derivate sind, und 3. der Bundesanstalt mitzuteilen. Die Geschäftsführungen dürfen die ihnen nach Satz 1 mitgeteilten Entscheidungen vor der Veröffentlichung nur zum Zwecke der Entscheidung verwenden, ob die Feststellung des Börsenpreises auszusetzen oder einzustellen ist. Die Bundesanstalt kann gestatten, dass Bieter mit Wohnort oder Sitz im Ausland die Mitteilung nach Satz 1 gleichzeitig mit der Veröffentlichung vornehmen, wenn dadurch die Entscheidungen der Geschäftsführungen über die Aussetzung oder Einstellung der Feststellung des Börsenpreises nicht beeinträchtigt werden. (3) Die Veröffentlichung der Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 ist 1. durch Bekanntgabe im Internet und 2. über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem, das bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, nach § 53 Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen, anderen Unternehmen, die ihren Sitz im Inland haben und an einer inländischen Börse zur Teilnahme am Handel zugelassen sind, und Versicherungsunternehmen weit verbreitet ist, in deutscher Sprache vorzunehmen. Dabei hat der Bieter auch die Adresse anzugeben, unter der die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgen wird. Eine Veröffentlichung in anderer Weise darf nicht vor der Veröffentlichung nach Satz 1 vorgenommen werden. (4) Der Bieter hat die Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 unverzüglich den Geschäftsführungen der in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 erfassten Börsen und der Bundesanstalt zu übersenden. Dies gilt nicht, soweit die Bundesanstalt nach Absatz 2 Satz 3
224 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
gestattet hat, die Mitteilung nach Absatz 2 Satz 1 gleichzeitig mit der Veröffentlichung vorzunehmen. (5) Der Bieter hat dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots schriftlich mitzuteilen. Der Vorstand der Zielgesellschaft unterrichtet den zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer, unverzüglich über die Mitteilung nach Satz 1. Der Bieter hat die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ebenso seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 mitzuteilen. (6) § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes gilt nicht für Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots.
Inhaltsübersicht A. Die Vorschriften des Abschnitts 3 .
1
I. Regelungsreichweite und Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Der Zeitraum vor der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots. . . . . . . .
3
B. Übersicht über die Regelung des § 10 und Normentwicklung . . . . . . .
5
9
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
9
1. 2. 3. 4.
Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrere Bieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anderweitige Auslöser einer Veröffentlichungspflicht? . . . . . . . . .
III. Unbeachtlichkeit der Entscheidung der Gesellschafterversammlung (§ 10 Abs. 1 Sätze 2 und 3) . . . . . . . .
11 12 14 28 30
32
1. Grundsatz (§ 10 Abs. 1 Satz 2) . . . . . 2. Ausnahme und Ausnahmegenehmigung (§ 10 Abs. 1 Satz 3). . . . . . . .
33
IV. Unverzügliche Veröffentlichung (§ 10 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . .
43
1. 2. 3. 4.
Unverzüglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Veröffentlichung . . . . . . . Art und Weise der Veröffentlichung Abbruch des Angebotsverfahrens durch den Bieter nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots . . . . . . . . . . .
I. Die Mitteilungspflichten und ihre Adressaten (§ 10 Abs. 2 Satz 1) . . . . 53 II. Zweckgebundene Verwendung der Mitteilungen (§ 10 Abs. 2 Satz 2). . . 59 III. Sonderregelung für „ausländische“ Bieter (§ 10 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . 61
C. Pflicht zur Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots (§ 10 Abs. 1) . . II. Entscheidung des Bieters (§ 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2) . . . . . . . .
D. Mitteilungspflichten vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 2) . . 53
32
43 45 49
E. Veröffentlichungsverfahren (§ 10 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 F. Übersendung der Veröffentlichung an die BaFin und die beteiligten Börsenstellen (§ 10 Abs. 4) . . . . . . . . 68 G. Unterrichtungspflichten des Bieters und des Vorstands der Zielgesellschaft (§ 10 Abs. 5). . . . . . . . . . 70 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Pflicht des Bieters zur Unterrichtung des Vorstands der Zielgesellschaft (§ 10 Abs. 5 Satz 1) . . . . . . . . . 72 III. Pflicht des Vorstands der Zielgesellschaft zur Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung bzw. der Arbeitnehmer (§ 10 Abs. 5 Satz 2) . . 74 IV. Pflicht des Bieters zur Unterrichtung seines Betriebsrats bzw. seiner Arbeitnehmer (§ 10 Abs. 5 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76a H. Ad hoc-Publizität (§ 10 Abs. 6) . . . . 77 J. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
50
I. Ordnungswidrigkeitsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen . . . . 81
Assmann
225
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
II. Zivilrechtliche Rechtsfolgen . . . . . .
85
1. Pflichtverletzungen des Bieters . . . .
85
2. Pflichtverletzungen des Vorstands der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 88
Schrifttum: Assmann, Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz aus der Sicht der Bietergesellschaft, AG 2002, 114; Assmann, Übernahmeangebote im Gefüge des Kapitalmarktrechts, insbesondere im Lichte des Insiderrechts, der Ad hoc-Publizität und des Manipulationsverbots, ZGR 2002, 697; Assmann, Unternehmenszusammenschlüsse und Kapitalmarktrecht, ZHR 172 (2008), 635; Bachmann, Kapitalmarktrechtliche Probleme bei der Zusammenführung von Unternehmen, ZHR 172 (2008), 597; Diekmann, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Eichner, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität nach dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz, 2009; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Grobys, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, NZA 2002, 1; Gunßer, Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht bei zukunftsbezogenen Sachverhalten, NZG 2008, 855; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG, ZIP 2001, 2249; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem WpÜG, ZHR 166 (2002), 383; Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2001, 1707; Land/Hasselbach, Das neue deutsche Übernahmegesetz, DB 2000, 1747; Lebherz, Publizitätspflichten bei der Übernahme börsennotierter Unternehmen, WM 2010, 154; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Noack, Elektronische Publizität im Aktien- und Kapitalmarktrecht in Deutschland und Europa, AG 2003, 537; Möller/Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Der Regierungsentwurf vom 11. Juli 2001, ZIP 2001, 1256; Oechsler, Rechtgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Seibt, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, DB 2002, 529; Thoma, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Überblick, NZG 2002, 105; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht, DZWIR 2002, 353 (I), 397 (II); Tröger, Deutsches und europäisches Übernahmerecht, in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2. Aufl. 2003, S. 135; Zschocke/Berresheim, Schadensersatzhaftung des Bieters wegen unterlassener Angebotsunterbreitung im Übernahmerecht, BKR 2004, 301. Siehe im Übrigen das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Die Vorschriften des Abschnitts 3 I. Regelungsreichweite und Normentwicklung 1
Die Bestimmung leitet die Vorschriften des Abschnitts 3 des Gesetzes (§§ 10–28) ein, die sich auf alle Angebote i.S.d. § 2 Abs. 1 beziehen. §§ 10–28 sind mithin grundsätzlich sowohl auf freiwillige Angebote in Gestalt der in Abschnitt 3 unmittelbar geregelten Angebote zum Erwerb von Wertpapieren und der in Abschnitt 4 (§§ 29–34) behandelten Übernahmeangebote als auch auf die in Abschnitt 5 (§§ 35–39) geregelten Pflichtangebote anwendbar. Zusammen mit den in § 3 niedergelegten allgemeinen Grundsätzen stellen die Vorschriften des 3. Abschnitts damit gleichsam den allgemeinen Teil der materiellen Regelungen des Ablaufs der vom Gesetz erfassten Angebote (einschließlich der Rechte und Pflichten der Beteiligten) dar. Soweit die Vorschriften des 3. Abschnitts auf Übernahme- und Pflichtangebote keine Anwendung finden sollen, ist dies in den diese Angebotsformen betreffenden Vorschriften des 4. und 5. Abschnitts des Gesetzes ausdrücklich angeordnet (siehe § 34 für Übernahmeangebote und § 39 für Pflichtangebote).
226 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Abgesehen davon, dass sie die Grundlage der gesetzlichen Regelung von Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten bilden, regeln die Vorschriften des 3. Abschnitts aber auch und vor allem die selbständige Angebotsform des freiwilligen, nicht auf den Erwerb der Kontrolle gerichteten (siehe § 29) Wertpapiererwerbsangebots. Nur ausnahmsweise und im Hinblick auf ihre weitere Funktion, die für alle Angebotsformen geltenden allgemeinen Regeln bereit zu stellen, enthalten die Vorschriften des 3. Abschnitts auch einige die allgemeinen Regeln modifizierende spezielle Bestimmungen für Übernahmeangebote (§§ 16 Abs. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 23 Abs. 2, 29 Abs. 1) und Pflichtangebote (§ 23 Abs. 2).
2
II. Der Zeitraum vor der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots Die Bestimmungen des Abschnitts 3 regeln die verschiedenen Phasen eines Ange- 3 bots, beginnend mit der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 1). Vor der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots liegende Vorgänge sind vom WpÜG nur ausnahmsweise, im Zusammenhang mit der Ermittlung der Gegenleistung des Bieters (siehe § 31 Abs. 3 i.V.m. § 4 WpÜG-AngVO), erfasst1; im Übrigen fehlt es an speziellen übernahmerechtlichen Regelungen2. Die Zulässigkeit des Erwerbs von Aktien der Zielgesellschaft vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots durch den Bieter und der nachfolgenden Abgabe des Angebots bleibt damit von den Vorschriften des Gesetzes unberührt. Allerdings ist zu beachten, dass der Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft außerhalb eines Angebotsverfahrens ein Pflichtangebot nach § 35 auslösen kann. Von den Vorschriften des Abschnitts 3 und den übrigen Bestimmungen des WpÜG 4 unberührt bleiben auch die allgemeinen, anderweitig niedergelegten kapitalmarktrechtlichen Regelungen: So können bereits Pläne und Vorhaben zur Abgabe eines Angebots dem Insiderhandelsverbot nach §§ 14, 38 Abs. 1 WpHG unterfallen3, wenn diese hinreichend konkret und geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs bzw. den Börsen- oder Marktpreis dieser Papiere erheblich zu beeinflussen4. Das Insiderhandelsverbot hindert die Bietergesellschaft allerdings weder an der Durchführung des Angebots noch am weiteren Zukauf von Wertpapieren der Zielgesellschaft5. Bis zu ihrer Veröffentlichung kommt auch die Entscheidung über die Abgabe eines Angebots selbst als Insiderinformation in Betracht, wobei regelmäßig von einer Kursrelevanz einer diesbezüglichen Information auszugehen ist6. Für das Eingreifen der Ad hoc-Veröffentlichungspflicht des § 15 WpHG ist die Sonderregelung des § 10 Abs. 6 zu berücksichtigen, die auch Ausstrahlungen auf die Anwendung des § 15 WpHG für Ereignisse im Vorfeld der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots hat; im Einzelnen siehe hierzu die Erläuterungen unten Rz. 77 ff.
1 Zu den diese Phase anwendbaren Regelungskomplexen und Vorschriften siehe etwa Assmann, ZGR 2002, 697, 700 ff.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 28 ff. 2 Vgl. etwa Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 401; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 5. 3 Ausführlich zur Anwendung des Insiderhandelsverbots in Übernahmesituationen Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 133 ff., und Assmann, ZGR 2002, 697, 700 ff. 4 Siehe dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 13 WpHG Rz. 20 f., 27 (zur „hinreichend konkreten“ Information) und Rz. 50 ff. (zur Eignung der Information zur Kursbeeinflussung) sowie § 14 WpHG Rz. 137. 5 Siehe dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 139 f.; Assmann, ZGR 2002, 697, 702 f. 6 Siehe Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 13 WpHG Rz. 20 f., § 14 WpHG Rz. 138.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
B. Übersicht über die Regelung des § 10 und Normentwicklung 5
Die Vorschriften des WpÜG zur Regelung von freiwilligen Angebotsverfahren knüpfen an die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots und nicht erst an die Veröffentlichung eines Angebots, d.h. die Abgabe eines Angebots („Antrags“, §§ 145 ff. BGB) im rechtsgeschäftlichen Sinne, an (siehe oben Rz. 3). Damit soll die Öffentlichkeit frühzeitig über marktrelevante Daten informiert, die Ausnutzung von Spezialwissen verhindert1 und, für den Fall, dass dieses Spezialwissen eine Insidertatsache darstellt, dem Insiderhandel vorgebeugt werden. Dabei nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass die Zielgesellschaft erst mit oder nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots von diesem erfährt bzw. in Kenntnis gesetzt wird (§ 10 Abs. 5).
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Im Einzelnen setzt § 10 dieses Konzept wie folgt um: – § 10 Abs. 1 verpflichtet den Bieter, seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich zu veröffentlichen. – Nach § 10 Abs. 2 hat der Bieter seine Entscheidung vor deren Veröffentlichung den in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Börsen und der BaFin mitzuteilen. Unter den in § 10 Abs. 2 Satz 3 genannten Voraussetzungen kann die BaFin einem ausländischen Bieter gestatten, seinen vorstehend angeführten Mitteilungspflichten gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu genügen. – § 10 Abs. 3 regelt die Art und Weise, in der die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu veröffentlichen ist. – § 10 Abs. 4 verlangt vom Bieter, dass er die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots den Börsen und der BaFin, welche er vorab nach § 10 Abs. 2 zu informieren hatte, übersendet. – § 10 Abs. 5 legt dem Bieter die Verpflichtung auf, den Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots von dieser schriftlich in Kenntnis zu setzen, was wiederum den Vorstand dazu verpflichtet, unverzüglich den Betriebsrat bzw., falls ein solcher nicht existiert, die Arbeitnehmer entsprechend zu unterrichten. Darüber hinaus muss der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich auch seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern mitteilen. – Aus § 10 Abs. 6 ergibt sich, dass die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht der Verpflichtung zur Ad hoc-Publizität nach § 15 WpHG unterfällt.
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Im Hinblick auf das Ziel, die Öffentlichkeit vorrangig von der Entscheidung des Bieters über die Abgabe eines Angebots zu informieren und die Möglichkeit zur Ausnützung von Wissensvorsprüngen zu minimieren, stellt die Vorschrift eine Verbesserung gegenüber der Regelung des Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission2 dar, der in seinem Art. 5 lediglich Mitteilungspflichten über den Inhalt des Angebots gegenüber der Zielgesellschaft, den dort näher benannten Börsen, der Aufsichtsbehörde und der Geschäftsstelle der Übernahmekommission vorsah, deren sich der Bieter vor Abgabe des Angebots zu entledigen hatte. Andererseits sieht § 10 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 2 Vom 14.7.1995, geändert durch die Bekanntmachung vom 28.11.1997 mit Wirkung zum 1.1.1998, abgedruckt in Baumbach/Hopt, 30. Aufl. 2000 (18).
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
– aus Gründen der Rechtssicherheit und verschiedener anderweitiger Systemdivergenzen zu Recht – davon ab, sich die Regelung des österreichischen Übernahmegesetzes und des britischen City Code on Takeovers and Mergers (City Code) zu eigen zu machen, welche – weitgehend übereinstimmend – eine Pflicht zur Veröffentlichung der Überlegungen oder Absicht zur Abgabe eines Angebots (§ 5 Abs. 2 ÜbG) bzw. eines Angebotsvorhabens (Rule 2.2 i.V.m. Nr. 3 der General Principles des City Code) u.a. für den Fall vorsehen, dass erhebliche Kursbewegungen in den Wertpapieren der Zielgesellschaft zu beobachten sind oder Gerüchte und Spekulationen über ein bevorstehendes Angebot auftreten. Die angeführte Regelung des City Code, derzufolge Indizien für das Durchsickern von Informationen über ein noch nicht veröffentlichtes Angebot oder des Ausnutzens von Wissen über dasselbe eine Pflicht zur Veröffentlichung des Angebotsvorhabens auslösen, ist vor allem auch eine Konsequenz des Ansatzes des Code, demzufolge ein Angebot zuerst und vor seiner Veröffentlichung dem Board der Zielgesellschaft oder seinen Beratern zu unterbreiten ist (Rule 1a City Code), was den Kreis der Geheimnisträger und die Gefahr des Geheimnisbruchs (die secrecy obligations sind Gegenstand von Rule 2.1 des City Code) nicht unerheblich erweitert. Anders als der City Code sieht das WpÜG (ausweislich § 10 Abs. 5) keine die Zielgesellschaft gegenüber der Öffentlichkeit privilegierende Vorabinformation der Ersteren vor. Seit seinem Erlass hat § 10 zwei Änderungen erfahren: Eine erste, allerdings rein re- 8 daktionelle Änderung erfuhr § 10 durch die Erste Verordnung zur Anpassung von Bezeichnungen nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz vom 29.4.20021. Soweit sich in der Norm die Bezeichnung der Aufsichtsbehörde als „Bundesaufsichtsamt“ (für „Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel“) fand, wurde diese Bezeichnung durch die neue Bezeichnung „Bundesanstalt“ (für „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht“) ersetzt. Die Bestimmung ist sodann durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes vom 8.7.20062 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (siehe Einl. Rz. 133, 138, 139) geringfügig modifiziert worden: Durch Änderung des § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 trat an die Stelle der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt die Bekanntgabe im Internet. Nach Hinzufügung eines neuen Satzes 3 zu § 10 Abs. 5 ist der Bieter nicht mehr nur gegenüber den Arbeitnehmern der Zielgesellschaft, sondern auch gegenüber seinen Arbeitnehmern zur Unterrichtung über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots verpflichtet.
C. Pflicht zur Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots (§ 10 Abs. 1) I. Anwendungsbereich Hat der Bieter sich zur Abgabe eines Angebots entschieden, das die Voraussetzungen 9 des § 2 Abs. 1 erfüllt, muss er die Entscheidung unverzüglich (dazu unten Rz. 43 f.), in der in § 10 Abs. 3 Satz 1 bestimmten Weise veröffentlichen. Diese Pflicht trifft den Bieter auch dann, wenn sein Angebot ein Übernahmeangebot darstellt, d.h. auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet ist (§§ 29, 34). Die Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots setzt das Angebotsverfahren nach Maßgabe der Vorschriften des Gesetzes in Gang und hat als un1 BGBl. I 2002, 1495. 2 BGBl. I 2006, 1426.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
mittelbare Folge die Nachweis- bzw. Mitteilungspflichten nach § 10 Abs. 4 und 5 sowie die Verpflichtung, innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung der Bundesanstalt eine § 11 und den Vorschriften der WpÜG-AngVO genügende Angebotsunterlage zu übermitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 1). 10
Die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 knüpft an die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots und setzt damit die Entscheidungsfreiheit des Bieters voraus, ein solches Angebot abzugeben oder zu unterlassen. Auf Pflichtangebote nach § 35 findet § 10 Abs. 1 Satz 1 deshalb gemäß § 39 keine Anwendung. Vielmehr tritt in den Fällen, in denen eine Person unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, die Pflicht zur Veröffentlichung dieses Umstands und der Höhe des erlangten Stimmrechtsanteils an die Stelle der Veröffentlichung der Entscheidung eines Bieters über die Abgabe eines Angebots (§ 35 Abs. 1 Satz 1).
II. Entscheidung des Bieters (§ 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2) 11
Die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 setzt eine Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots voraus. Wer Bieter ist, ergibt sich aus § 2 Abs. 4; zum Fall der gemeinschaftlichen Abgabe eines Angebots durch mehrere Bieter siehe unten Rz. 28 f. Die Entscheidung, ein Übernahmeangebot abgeben zu wollen, ist weder das Angebot selbst noch überhaupt eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung1. Sie entfaltet dementsprechend auch keine rechtsgeschäftlichen Bindungswirkungen, sondern ist lediglich der Auslöser eines Angebotsverfahrens in Gestalt von Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten (siehe oben Rz. 9). 1. Natürliche Person
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Handelt es sich beim Bieter um eine natürliche Person, so ist seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots dann gefallen, wenn er sich entschlossen hat, ein Angebot abzugeben. Das setzt einen subjektiv unbedingten Handlungswillen2 des Bieters zur Abgabe eines Angebots voraus3. Daran fehlt es, wenn die Person im Hinblick auf die Abgabe eines Angebots – wobei es auf das „Ob“ und nicht die Modalitäten (das „Wie“) des Angebots ankommt4 – noch Vorbehalte hat, etwa dergestalt, die endgültige Entscheidung zur Abgabe eines Angebots – und nicht erst das Angebot selbst – vom Eintritt eines Ereignisses (wie bspw. der Entwicklung der Börsenkurse) abhängig zu machen5. Eine Veröffentlichung über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, die Faktoren anzuführen hätte oder anführt, von denen die Entscheidung zur
1 Unstr. Vgl. etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 8; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333; Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 3; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 12. 2 So die allg. Meinung zum Merkmal des Entschlusses im Hinblick auf die Versuchsstrafbarkeit nach § 22 StGB; vgl. Eser in Schönke/Schröder, 28. Aufl. 2010, § 22 StGB Rz. 18. 3 Ähnlich Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 17 (verbindlicher und endgültiger Entschluss), jedoch – wie Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 30 – mögliche Vorbehalte nicht berücksichtigend, wenn diese nicht aus dem Herrschaftsbereich des Bieters stammen. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 8; Lebherz, WM 2010, 154, 155; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 20. Jetzt wohl auch Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 19 (unter Abkehr von der in Rz. 18 dargestellten Ansicht, gewisse nicht aus dem Herrschaftsbereich des Bieters stammende Unsicherheitsfaktoren stünden der Annahme einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht entgegen). 5 Ebenso Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 4.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Abgabe eines Angebots abhängt1, oder, mit anderen Worten, eine „bedingte Vorankündigung“2, kann es deshalb nicht geben3. Anders verhält es sich, wenn sich der Bieter entschlossen hat, ein – nach Maßgabe von §§ 18, 25 zulässiges – bedingtes Angebot abzugeben. In diesem Fall ist seine Entscheidung zur Abgabe des (bedingten) Angebots selbst unbedingt und nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 zu veröffentlichen. Hier kann allein fraglich sein, ob der Bieter in der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 bereits auf die Bedingung des Angebots hinzuweisen hat (dazu unten Rz. 48). Die Entscheidung des Bieters ist eine innere Tatsache, die, wenn der Bieter sie nicht 13 Dritten kundgibt, allenfalls anhand von Indizien nachzuweisen ist. Praktische Schwierigkeiten im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht aus § 10 Abs. 1 Satz 1 dürften sich daraus gleichwohl nicht ergeben, da die Vorbereitung zur Abgabe eines Angebots alsbald den Einsatz von Hilfspersonen und damit die Kundgabe des inneren Tatbestands erfordert und natürliche Personen nur höchst selten als Bieter in Frage kommen dürften. Zu den objektiven Umständen, aus denen geschlossen werden kann, der Bieter habe seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots erheblich früher als veröffentlicht getroffen, soll etwa eine „sehr bald“ nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots an die BaFin übermittelte Angebotsunterlage gehören4. Das ist ebenso fragwürdig wie die Annahme, bereits der Beginn der Arbeiten an der Angebotsunterlage sei ein Anhaltspunkt für die bereits getroffene Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, da der Bieter in der kurzen Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots die Angebotsunterlage erstellen und der BaFin übermitteln muss, weshalb in der Praxis selbst dann mit Vorbereitungen zur Erstellung der Angebotsunterlage begonnen wird, wenn die endgültige Entscheidung zur Angebotsabgabe noch aussteht5. Auch ist es keinem potentiellen Bieter untersagt, sich für potentielle Angebote zu wappnen und soweit wie möglich eine schon kurz nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots veröffentlichungsfähige Angebotsunterlage vorzuhalten6. Als allgemeine Definition einer Entscheidung zu eng und speziell wird im Übrigen die Annahme anzusehen sein, von einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots könne ausgegangen werden, wenn ein Abrücken von dem Plan der Abgabe eines Angebots in Anbetracht aller Umstände objektiv nicht mehr ernstlich in Betracht komme7. 2. Gesellschaften Ist der Bieter eine Gesellschaft, ist im Hinblick auf die Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem subjektiv unbedingten Willen des Bieters zur Abgabe eines Angebots (siehe oben Rz. 12) ausgegangen werden kann, zweierlei zu unterscheiden: Zum einen die Frage, wann der Wille der Bieter-Gesellschaft als gebildet 1 So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23. 2 So Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 14. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 14; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/ Häger, § 10 Rz. 13. Jetzt auch Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 19. 4 Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 44. 5 Entsprechend findet sich im Schrifttum vielfach die Empfehlung, mit der Erstellung der Angebotsunterlage bereits vor der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots und der Veröffentlichung derselben zu beginnen. Etwa Hamann, ZIP 2001, 2249, 2250; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 14. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 21 (Vorbereitung eines „Überraschungsangriffs“). 7 Liebscher, ZIP 2001, 853, 860. Wie dieser etwa auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 10; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2250 (Fn. 14).
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
angesehen werden kann (dazu Rz. 15 ff., 27); und zum anderen die Frage, inwieweit die Entscheidung der zur Mitwirkung an der Willensbildung der Gesellschaft berufenen Organe, deren Beschlüsse auch nach Maßgabe von § 10 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 vorliegen müssen, von Bedingungen abhängig gemacht werden kann (Rz. 24–26). 15
Ist der Bieter eine Gesellschaft, hängt die Beantwortung der Frage, ob diese eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots getroffen hat, von dem auf die Gesellschaft anwendbaren Gesellschaftsrecht in Bezug auf die Geschäftsführung und die Willensbildung der Gesellschaft ab. Bei Kapitalgesellschaften kann dies zur Folge haben, dass zu dem Beschluss der Geschäftsführung über die Abgabe eines Angebots die Zustimmung eines Aufsichtsorgans und/oder der Gesellschafterversammlung (im Falle einer AG oder KGaA: der Hauptversammlung) hinzutreten muss, die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots mithin erst dann als getroffen angesehen werden kann, wenn der mehrstufige Entscheidungsprozess zum Abschluss gekommen ist. Das Gesetz respektiert diesen Ablauf1, soweit er gesellschaftsrechtlich erforderlich ist (siehe dazu unten Rz. 16 f.)2, mit der Ausnahme, dass es eine die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 auslösende Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 bereits dann als gegeben ansieht, wenn deren Wirksamkeit allein von dem noch ausstehenden „Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters“ abhängt (dazu Rz. 16). Es folgt damit im Grundsatz den Regeln, welche sich in der Aufsichtspraxis und im Schrifttum im Hinblick auf die Bestimmung des Zeitpunkts herausgebildet haben, zu dem eine Entscheidung eines Emittenten der Ad hoc-Publizitätspflicht nach § 15 WpHG unterliegt3. Die Geltl-Entscheidung des EuGH4, welche die Frage zum Gegenstand hat, ob und unter welchen Voraussetzungen einzelne Vorgänge (Zwischenschritte) im Zuge eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses Insiderinformationen darstellen und nach § 15 Abs. 1 WpHG zu veröffentlichen sind, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, da § 15 WpHG nach § 10 Abs. 6 auf Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots keine Anwendung findet (siehe unten Rz. 77 ff.).
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Dass nach der in § 10 Abs. 1 Satz 2 enthaltenen Ausnahme zwar die gesellschaftsrechtlich – sei es durch Gesetz oder Satzung5 – vorgeschriebene Zustimmung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, nicht aber diejenige der Hauptversammlung der Gesellschaft abgewartet werden darf, bevor die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 vorzunehmen ist6, rechtfertigt sich unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen: Wäre bei einer Bieter-AG die Zustimmung der Hauptversammlung abzuwarten, hätte die zu deren Einberufung einzuhaltende Prozedur zur Folge, dass das Vorhaben zur Abgabe eines Angebots auf eine nicht mehr kontrollierbare und zu Marktverzerrungen (namentlich in Bezug auf die Wertpapiere der Zielgesellschaft) führende Weise öffentlich bekannt würde7. Zum anderen: Die Rechte der Aktionäre der Bietergesell1 Siehe Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 2 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 38; Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 4. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. Siehe auch Pötzsch/Möller, WM Sonderbeil. 2 zu Heft 31/2000, S. 16. 4 EuGH (2. Kammer) v. 28.6.2012 – C-19/11, AG 2012, 555. 5 Tröger in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser, S. 150. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. Siehe auch Pötzsch/Möller, WM Sonderbeil. 2 zu Heft 31/2000, S. 16. Ferner etwa Assmann, AG 2002, 114, 117; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 35; Liebscher, ZIP 2001, 853, 860; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 7; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 7; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 24; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 20; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 16; Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 4; Tröger, DZWiR 2002, 353, 357. I.E. ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 16 ff. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
schaft werden dadurch gewahrt, dass in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots auf die noch ausstehende Zustimmung der Hauptversammlung hingewiesen wird und das nachfolgende Angebot bei weiterhin ausstehender Zustimmung der Hauptversammlung unter der Bedingung der Zustimmung derselben abzugeben ist (§§ 18 Abs. 1, 25)1; in letzterem Falle ist der Beschluss der Hauptversammlung unverzüglich, spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist herbeizuführen (§ 25). Vermag der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen, dass Marktverzerrungen auf Grund des Abwartens des gesellschaftsrechtlich erforderlichen Beschlusses der Hauptversammlung nicht zu erwarten sind, so kann die BaFin ihm gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 auf Antrag gestatten, abweichend von § 10 Abs. 1 Satz 2, eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen (dazu unten Rz. 33 ff.). Sieht der Gesellschaftsvertrag bzw. die Satzung des Bieters in gesellschaftsrechtlich 17 zulässiger Weise vor, dass Maßnahmen der Geschäftsführung, wie die Abgabe eines Übernahmeangebots, der Genehmigung durch ein anderes als ein zwingend vorgeschriebenes Organ der Gesellschaft – d.h. ein sog. fakultatives Organ – bedürfen, so ist auch dessen Zustimmung als gesellschaftsrechtlich erforderlich anzusehen. Für die Bieter-AG ist dies ohne Bedeutung, da die Bildung fakultativer Organe mit Zustimmungskompetenz zu Maßnahmen der Geschäftsführung in die aktiengesetzliche Zuständigkeitsordnung eingreifen würde und damit unzulässig wäre2. Anders verhält es sich in der Bieter-GmbH etwa im Hinblick auf einen nach § 52 Abs. 1 GmbHG gebildeten fakultativen Aufsichtsrat und die diesem zugewiesene Zustimmungskompetenz im Hinblick auf Geschäfte wie die Abgabe eines Übernahmeangebots3 bzw. einem neben oder an Stelle eines Aufsichtsrats gebildeten Beirat (Verwaltungsrat, Gesellschafterausschuss)4. Gleiches gilt in der Bieter-KGaA für den auf Grund der Satzung der Gesellschaft gebildeten und mit einer entsprechenden Zustimmungskompetenz versehenen Beirat5. In den Fällen, in denen die Entscheidung über die Abgabe eines Übernahmeangebots 18 von der Genehmigung eines anderen Organs der Gesellschaft als der Gesellschafterversammlung abhängt, hält ein Teil des Schrifttums ein Abwarten der Entscheidung dieses Organs dann für entbehrlich, wenn dieses rechtlich über keinen eigenen Entscheidungsspielraum („Ermessensspielraum“)6 mehr verfügt, im Zuge seiner Einbeziehung in die Planung seine Zustimmung signalisiert hat7 oder bereits im Vorfeld
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 2 Siehe dazu etwa Hüffer, § 23 AktG Rz. 36, 38, § 95 AktG Rz. 4; Spindler bzw. Habersack in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 10 bzw. § 95 Rz. 6; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, vor § 76 Rz. 18. 3 Die gesetzlichen Grenzen der Kompetenzzuweisung an einen solchen Aufsichtsrat sind damit nicht überschritten. Siehe dazu etwa Lutter in Lutter/Hommelhoff, 18. Aufl. 2012, § 52 GmbHG Rz. 15; Uwe H. Schneider in Scholz, 10. Aufl. 2007, § 52 GmbHG Rz. 129 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 19. Aufl. 2010, § 52 GmbHG Rz. 24 ff., 253 f. 4 Lutter in Lutter/Hommelhoff, 18. Aufl. 2012, § 52 GmbHG Rz. 117 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, 19. Aufl. 2010, § 45 GmbHG Rz. 17, 18 ff. 5 Das Erfordernis der Zustimmung des Beirats zu einzelnen speziellen Geschäftsführungsmaßnahmen wie die Abgabe eines Übernahmeangebots überschreitet noch die durch zwingendes Gesellschaftsrecht gezogenen Grenzen der Kompetenzzuweisung an den Beirat. Siehe dazu näher Assmann/Sethe in Großkomm. AktG, § 287 Rz. 79 ff., insbes. Rz. 96 f. 6 Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses vom April 2001 zum RefE WpÜG, NZG 2001, 420, 422. 7 Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 16.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
des Entscheidungsfindungsprozesses seine Zustimmung erteilte1. Dem ist nicht zu folgen, weil die angeführten Umstände durchweg mit erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Unsicherheiten belastet sind: Wann wird bspw. ein Aufsichtsrat je keine andere Entscheidung als die der Zustimmung zu einem Angebot treffen dürfen oder unter allen Umständen an ein (und wessen?) „Signal“ gebunden sein? Oder: Unter welchen Voraussetzungen darf der Aufsichtsrat überhaupt vorweg einem Angebot zustimmen? 19
Auch der weiter gehende Versuch, die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 auf einen Zeitpunkt vorzuverlagern, in dem die Entscheidung des Bieters bereits „hinreichend sicher“ ist2, ist ebenso abzulehnen wie der Vorschlag, dem Bieter eine Verpflichtung aufzuerlegen, zu einem bestimmten Zeitpunkt die die Veröffentlichungspflicht auslösende Entscheidung herbeizuführen3:
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– Im Hinblick auf die sich aus der Entscheidung zur Annahme eines Angebots ergebenden Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten (siehe oben Rz. 9) derselben sowie die daran anknüpfende Pflicht zur Erstellung einer Angebotsunterlage binnen einer Frist von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung (§ 14 Abs. 1 Satz 1) auf der einen Seite und dem Recht des Bieters, den günstigsten Zeitpunkt für die Abgabe seines Angebots abzuwarten, auf der anderen Seite, ist es vielmehr dem Kalkül des Bieters zu überlassen, wann er seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots trifft4. Auch wenn das im Grundsatz unstreitig zu sein scheint, wird verbreitet eine missbräuchliche Verzögerung der Entscheidungsfindung für möglich gehalten, ohne dass für den Missbrauchsvorwurf auch nur annähernd brauchbare Kriterien genannt werden können5. Lässt sich etwa nachweisen, 1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 18. 2 Land/Hasselbach, DB 2000, 1747, 1749 (eine Entscheidung liegt „regelmäßig“ vor, „sofern von einer Zustimmung des Aufsichtsrats unter normalen Umständen auszugehen ist“); Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 16 („wenn die Zusicherung des Aufsichtsrats als sicher gilt“). Ähnliche Überlegungen klingen auch an bei Liebscher, ZIP 2001, 853, 860, der seine diesbezüglichen Hinweise allerdings noch als Warnung versteht, der Bieter möge sich im Hinblick auf die Verpflichtung zur Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht auf die „Letztentscheidung des Aufsichtsrats“ verlassen oder diese gar noch „hinauszögern, um eine größere Vorbereitungszeit für die Transaktion zu gewinnen“. Wie hier ablehnend etwa auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 11; Tröger, DZWiR 2002, 353, 357. 3 Ebenso Liebscher, ZIP 2001, 853, 860, dessen diesbezügliche Ausführungen allerdings mit dem in der vorstehenden Fn. angeführten Vorbehalt zu lesen sind; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23. Ablehnend im Grundsatz auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 11, der allerdings (ebd.) eine Rechtspflicht zur Herbeiführung einer Entscheidung für die Fälle annehmen will, dass aus der „allein maßgeblichen Sicht des Bieters … keinerlei Zweifel mehr bestehen, dass es zur Abgabe des Angebots kommen wird“ oder eine „vor dem Hintergrund von § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO“ zu sehende missbräuchliche Entscheidungsverzögerung im Zusammenhang mit Paketerwerben vor Abgabe des Angebots vorliege; dieser Ausnahmen bedarf es indes nicht. 4 Vorbehaltlos wie hier Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23 (Bieter ist „Herr der Verfahrens und kann den konkreten Zeitpunkt der Entscheidung autonom festlegen“); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 22. Im Ausgangspunkt auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 11, allerdings dann doch (Rz. 21) missbräuchliche Verzögerung für möglich haltend. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 21 (mit dem Vorbehalt missbräuchlicher Entscheidungsverzögerungen im Zusammenhang mit Paketerwerben vor Abgabe des Angebots); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 27, 35; Liebscher, ZIP 2001, 853, 860 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 7; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 16; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 19, 24.
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dass die „formale Entscheidungsfindung bewusst hinausgezögert wird“1, so handelt es sich diesbezüglich nicht um ein missbräuchliches Verhalten, vielmehr ist in einem solchen Fall bereits von einer (konkludenten) Entscheidung auszugehen. – Das gilt auch für Entscheidungen, deren Wirksamkeit, aufschiebend bedingt, von 21 einer „echten“ Bedingung i.S. eines objektiven ungewissen Ereignisses abhängig gemacht werden (siehe dazu auch unten Rz. 24). Selbst eine Zeitbestimmung für die Wirksamkeit eines Beschlusses (i.S.v. § 163 BGB) wird man nicht per se als bedenklich ansehen können2. Die hierdurch eröffneten Spielräume zur zeitlichen Verschiebung der Wirksamkeit einer Entscheidung sind schon deshalb hinzunehmen, weil sie sich auch durch die Hinauszögerung der Entscheidung selbst realisieren ließen, ohne dass diesbezüglich eine praktikable Umgehungskontrolle möglich wäre. Da die zeitliche Streckung der Wirksamkeit einer Entscheidung den Kreis der „Mitwisser“ nicht vermehrt und auch Vorhaben als Insidertatsache anzusehen sind, wenn ihnen – was mit zunehmender Realisierungswahrscheinlichkeit eines Plans zur Abgabe eines Angebots der Fall sein wird – Kursrelevanz zuzuschreiben ist, ist dem Gedanken der Insiderprävention regelmäßig hinreichend Rechnung getragen und bedarf deshalb keiner weiteren Eingriffe in die gesellschafts- und zivilrechtliche Gestaltungsfreiheit des Bieters. – Im Übrigen berufen sich die Vertreter der angeführten Versuche zu einer zeitli- 22 chen Vorverlagerung der Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 zu Unrecht auf die Handhabung der „Parallelproblematik“ zu § 15 WpHG (a.F.), da nach heutiger Rechtslage die noch ausstehende und notwendige Zustimmung des Aufsichtsrats in der Regel einen Aufschub im berechtigten Interesse des Emittenten nach § 15 Abs. 3 Satz 1 rechtfertigt3. Dessen ungeachtet kommt in § 10 Abs. 1 Satz 2 deutlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber als Regel unterstellt, vor einer nach Recht oder Satzung (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) zwingenden Entscheidung des Aufsichtsrats über die Abgabe eines Angebots sei eine Entscheidung über die Abgabe desselben nicht gefallen4. Bei Bieter-Gesellschaften ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass ihre Entscheidungen auf Beschlüssen der zur Entscheidungsbildung berufenen Organe beruhen. Wie auch immer solche Beschlüsse rechtlich zu qualifizieren sein mögen, so haben sie doch rechtsgeschäftlichen Charakter (Rechtsgeschäfte eigener, wenngleich nicht vertraglicher Art)5, auf die zumindest die Vorschriften des BGB über Rechtsgeschäfte nicht grundsätzlich unanwendbar sind6.
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– Deshalb ist es bspw. einem Vorstand nicht verwehrt, die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unter einer aufschiebenden Bedingung7 zu treffen, was unabhängig
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1 So der von Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 7, angeführte Missbrauchsfall. 2 Ebenso Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 3. 3 Siehe m.w.N. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 143, 144 ff. 4 Eine entsprechende Auslegung des Entscheidungs-Begriffs in § 10 Abs. 1 findet sich auch in der Begründung des RegE des WpÜG, Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 5 Siehe etwa Hüffer, § 108 AktG Rz. 3; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 15 I. 2. a). 6 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 15 I. 2. a). 7 Ebenso Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 3; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 8. Ein Beschluss über die Abgabe eines Angebots unter auflösender Bedingung ist dagegen – im Falle einer gesellschaftsrechtlich erforderlichen Zustimmung eines anderen Organs vorbehaltlich der Zustimmung desselben – als Entscheidung anzusehen und,
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von der Zustimmungsbedürftigkeit des Beschlusses durch den Aufsichtsrat dazu führt, dass eine Entscheidung erst mit Eintritt der Bedingung anzunehmen ist (§ 158 Abs. 1 BGB). Das ist auch übernahmerechtlich nicht zu beanstanden (siehe oben Rz. 21). So kann etwa der Bieter seine Entscheidung über die Abgabe eines Angebots davon abhängig machen, dass der von dem Vorhaben informierte Vorstand und ggf. auch Aufsichtsrat der Zielgesellschaft erklärt, dem Angebot, würde es unterbreitet, nicht entgegenzutreten1. Was für den Vorstand gilt, muss entsprechend auch für den zustimmenden Beschluss des Aufsichtsrats des Bieters gelten, sofern dieser nach Gesetz oder Satzung erforderlich ist. 25
– Eine Einschränkung ist hier nur in der Hinsicht vorzunehmen, dass die für eine Entscheidung über die Abgabe eines Angebots gesetzlich zuständigen Organe die Abgabe eines Angebots von der Zustimmung eines anderen Organs oder Gremiums der Bietergesellschaft oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens abhängig machen, dessen Mitwirkung bei der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots gesellschaftsrechtlich nicht erforderlich (siehe oben Rz. 17) ist: Zum einen ist nur so zu vermeiden, dass eine interne Staffelung des Entscheidungsvorgangs und eine Erweiterung des Kreises der Eingeweihten über das Maß hinaus vorgenommen wird, das die Respektierung gesellschaftsrechtlicher Vorgaben verlangt; und zum anderen entspricht dies dem Rechtsgedanken des § 10 Abs. 1 Satz 2, welcher die Verpflichtung zur Veröffentlichung der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots selbst unabhängig von der noch ausstehenden Entscheidung der Generalversammlung als zwingendes Organ anordnet.
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– Auch bei Bieter-Gesellschaften sind bedingte Entscheidungen über die Abgabe eines Angebots, welche noch nicht nach § 10 Abs. 1 Satz veröffentlichungspflichtig sind, von Entscheidungen über die Abgabe eines bedingten Angebots, welche gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 eine Veröffentlichungspflicht auslösen, zu unterscheiden (siehe oben Rz. 12). Zur Frage, ob der Bieter im letzteren Falle in der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 bereits auf die Bedingung des Angebots hinzuweisen hat, siehe unten Rz. 48.
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– Fehlerhafte Beschlüsse stellen keine Entscheidung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 dar. Darüber hinaus hat das Übernahmerecht rechtliche Auseinandersetzungen um die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses in der Weise zu berücksichtigen, dass bis zu deren Abschluss eine Entscheidung als nicht gegeben anzusehen ist. Der Bieter wird in solchen Fällen zu prüfen haben, inwieweit eine Beschlussfassung und der Streit um eine solche unter den gegebenen Umständen als kurserheblich i.S.d. § 15 WpHG anzusehen ist und eine Ad hoc-Meldung gebieten kann. 3. Mehrere Bieter
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Ist die gemeinschaftliche Abgabe eines Angebots durch mehrere Bieter (§ 2 Abs. 4) beabsichtigt, so treffen grundsätzlich jeden der Beteiligten die sich aus dem Gesetz ergebenden Pflichten2. Deshalb hat jeder der gemeinschaftlich handelnden Bieter seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu veröffentlichen, kann sich im Hinda diese die Pflichten nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und in der Folge nach § 14 Abs. 1 Satz 1 auslöst, in der Praxis nicht zu erwarten. 1 I.E. ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 8; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 19; Sohbi in Heidel, § 10 WpÜG Rz. 3. Jetzt auch Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 25. A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 27. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34.
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blick auf die Erfüllung dieser Pflicht allerdings vertreten lassen1. Diese Möglichkeit kann dahingehend genutzt werden, dass ein Bieter der Bietergemeinschaft in Erfüllung seiner Veröffentlichungspflichten sowie in Vertretung der übrigen Bieter die Veröffentlichung vornimmt. Nehmen die gemeinschaftlich handelnden Bieter diese Möglichkeit nicht wahr und veröffentlichen ihre Entscheidung zur Abgabe eines Angebots je für sich, so wird zu verlangen sein, dass sie in der Veröffentlichung (entsprechend der Regelung für die Veröffentlichungspflichten bei Abgabe des Angebots nach § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO) auf die Absicht hinweisen, das Angebot gemeinschaftlich mit anderen, namentlich zu benennenden Bietern abzugeben. Dafür spricht, dass die gemeinschaftliche Abgabe eines Angebots Bestandteil der Entscheidung des jeweiligen Bieters ist. Im Hinblick auf die Beantwortung der Frage, wann in diesem Falle von einer Ent- 29 scheidung zur Abgabe eines Angebots auszugehen ist, ist allerdings der Wille zum gemeinschaftlichen Handeln zu berücksichtigen. Macht mithin jeder Bieter ausdrücklich oder konkludent die Abgabe seines Angebots von der Mitwirkung des anderen Bieters oder der anderen Bieter abhängig, so ist von einer Entscheidung zur Abgabe eines gemeinschaftlichen Angebots erst für den Zeitpunkt auszugehen, in dem der letzte Bieter der Bietergemeinschaft seine Entscheidung zur gemeinsamen Angebotsabgabe getroffen hat2. Hat sich ein oder haben sich mehrere Bieter dazu entschieden, unabhängig von der Entscheidung der anderen Bieter im Hinblick auf das gemeinschaftliche Handeln auf jeden Fall ein Angebot abzugeben, so besteht für ein Abwarten der Veröffentlichung der Entscheidung bis zum Entschluss der anderen Bieter kein Anlass. Das kann der zum alleinigen Vorgehen entschlossene Bieter aber dadurch vermeiden, dass er die Wirksamkeit seiner Entscheidung (entsprechend § 163 BGB) zeitlich auf die Vornahme des Beschlusses eines anderen Bieters bestimmt (siehe oben Rz. 21). 4. Anderweitige Auslöser einer Veröffentlichungspflicht? § 10 Abs. 1 macht die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots 30 allein vom Vorliegen einer diesbezüglichen Entscheidung abhängig. Anderweitige Umstände, wie etwa das Aufkommen von Gerüchten oder außergewöhnliche Kursbewegungen bei Wertpapieren der Bieter- oder Zielgesellschaft können – im Gegensatz zu den Regelungen des ÜbG und des britischen City Code on Takeovers and Mergers (siehe oben Rz. 7 f.) – keine Veröffentlichungspflicht auslösen oder die Gesellschaft dazu zwingen, eine Entscheidung über die Abgabe eines Angebots herbeizuführen. Auch im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 kann der Bieter in solchen und vergleichbaren Fällen nicht zu einer Veröffentlichung oder einer Entscheidung gezwungen werden, da die BaFin die Aufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 „nach den Vorschriften dieses Gesetzes auszuüben“ hat, welches die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 an keinen anderen Tatbestand als den einer Entscheidung zur Abgabe des Angebots knüpft. Die Frage, ob eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots vorliegt und unverzüglich zu veröffentlichen ist, hängt im Übrigen weder davon ab, ob die Finanzierung des Angebots gesichert ist, noch ist die Sicherstellung bzw. Unsicherheit der Finan1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34, mit näherer Begründung. 2 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 45; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 9; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 5; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 14; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 20.
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zierung ein Indiz dafür, dass eine Entscheidung getroffen wurde1. Die Sicherstellung der Finanzierung des Angebots ist, wie sich aus §§ 11 Abs. 2 Satz 2, 13 Abs. 1 Satz 1, ergibt, allein eine Voraussetzung, die erfüllt sein muss, damit der Bieter durch die Veröffentlichung der Angebotsunterlage sein Angebot unterbreiten kann. Dabei schreibt das Gesetz nicht vor, dass die Finanzierung bereits bei Veröffentlichung der Entscheidung, in der im Übrigen keinerlei Angaben zum Inhalt des Angebots enthalten sein brauchen (siehe unten Rz. 47), gesichert sein muss.
III. Unbeachtlichkeit der Entscheidung der Gesellschafterversammlung (§ 10 Abs. 1 Sätze 2 und 3) 1. Grundsatz (§ 10 Abs. 1 Satz 2) 32
Handelt es sich bei dem Bieter um eine Gesellschaft, so hat er gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 auch dann vorzunehmen, wenn eine rechtswirksame Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots einen noch ausstehenden Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters voraussetzt. Dadurch soll, wie bereits oben Rz. 16 ausgeführt, die Gefahr von Marktverzerrungen auf Grund der für die Einberufung der Gesellschafterversammlung, namentlich der Hauptversammlung einer AG, regelmäßig erforderlichen öffentlichen Bekanntmachung und Information der Anteilseigner vermieden werden. 2. Ausnahme und Ausnahmegenehmigung (§ 10 Abs. 1 Satz 3)
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Eine solche Gefahr besteht jedoch dann nicht, wenn es sich bei der Bietergesellschaft um eine Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis handelt und zu der Gesellschafterversammlung nicht durch öffentliche Bekanntmachung einzuladen ist. In diesen Fällen können die Irritationen des Marktes, die durch eine vorzeitige Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Gesellschafterversammlung stehenden Angebots ausgelöst werden, größer sein als die Risiken von Marktverzerrung durch Abwarten des Beschlusses der Gesellschafterversammlung und der Erweiterung des Kreises der über das Angebotsvorhaben Informierten. Vor allem im Hinblick auf Personengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften mit engem Aktionärskreis enthält § 10 Abs. 1 Satz 3 deshalb die Regelung, dass die BaFin es der Bietergesellschaft auf deren Antrag gestatten kann, unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen (siehe unten Rz. 35 ff.) eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen.
33a Mit der Ausnahme kann im Übrigen auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die gebotene Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Abgabe eines Angebots fragwürdig oder nur schwer prognostizierbar ist, die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unter Hinweis auf die noch ausstehende Zustimmung der Gesellschafterversammlung die Gefahr einer Irreführung des Publikums oder von Markverzerrungen mit sich bringt und ein Abbruch des Angebotsverfahrens aufgrund der Verweigerung der Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung der Gesellschaft erhebliche Nachteile zufügen könnte, darunter die mögliche einjährige Angebotssperre nach § 26 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 15 Abs. 1 Nr. 3. Zwar sprechen gute Gründe – namentlich der Umstand der aus § 10 Abs. 1 Satz 2 und der gesellschaftsrechtlichen Zustimmungsbedürftigkeit ei1 Unklar, aber wohl anderer Ansicht, Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 12.
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nes Angebots einerseits und aus §§ 10 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 1 andererseits folgenden Pflichtenkollision – dafür, eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots mit dem Hinweis versehen zu dürfen, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung stehe noch aus, um bei verweigerter (und entsprechend § 10 Abs. 3 veröffentlichter1) Zustimmung die Pflicht zur Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und die Sanktion des § 15 Abs. 1 Nr. 3 entfallen zu lassen2, doch besteht diesbezüglich nicht nur rechtliche Unsicherheit3, sondern auch die Gefahr der Irreführung des Publikums und von Marktverzerrungen u.a. durch spekulatives Verhalten der Marktteilnehmer (über den Beschluss der Gesellschafterversammlung) zum Schaden von Anlegern, Bieter und Zielgesellschaft. Die Voraussetzungen, bei deren kumulativem Vorliegen die BaFin eine Ausnahmegenehmigung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 3 erteilen kann, sind die folgenden:
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– Ein entsprechender an die BaFin gerichteter Antrag des Bieters. Eine Benachrichti- 35 gung der in § 10 Abs. 2 Nr. 1 und 2 genannten börslichen Stellen ist nicht erforderlich4. Der Antrag muss in schriftlicher Form erfolgen, wobei die Übermittlung im Wege der elektronischen Datenfernübertragung erfolgen kann, sofern der Absender zweifelsfrei zu erkennen ist (§ 45). Der Schriftform ist Genüge getan, wenn die Übermittlung des Antrags oder der Mitteilung per Telefax vorgenommen wird (§ 45 Rz. 3). Siehe im Übrigen die Erläuterungen in § 45 Rz. 3. Der Antrag zielt auf die Hinauszögerung einer Veröffentlichungspflicht (nach § 10 Abs. 1 Satz 1), die unverzüglich zu erfüllen ist, und hat deshalb ebenfalls unverzüglich (siehe Rz. 43 f.) zu erfolgen5, ohne dass insoweit regelmäßig Rechtsfragen auftreten, deren Prüfung eine zeitliche Verzögerung der Antragstellung rechtfertigt (vgl. Rz. 44). Bis zur Entscheidung über den Antrag ruht die Veröffentlichungspflicht des Bieters (siehe Rz. 41). Nach der Ablehnung des Antrags ist unverzüglich zu veröffentlichen (Rz. 43). Wird dem Antrag stattgegeben, ist die Veröffentlichung unverzüglich nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen6; wird in diesem die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots abgelehnt, so entfällt die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 (siehe Rz. 42). – Für die Abgabe des Angebots ist ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung erforderlich. Dabei ist auf die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung und nicht darauf abzustellen, ob eine pflichtwidrige Geschäftsführungsmaßnahme im Außenverhältnis, d.h. Dritten gegenüber, wirksam wäre oder nicht. 1 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 102; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 28. 2 So auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 153; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 56; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 26; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 28. 3 Zu dieser gehört auch die Frage, ob der Bieter eine bereits durch Gesetz oder Satzung erforderliche Zustimmung der Gesellschafterversammlung in der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zur Bedingung eines Angebots machen kann. Da die Zustimmungsbedürftigkeit in diesem Fall nicht eingeschränkt, sondern eher bekräftigt wird und dies nicht zur Irreführung des Publikums über das Zustimmungserfordernis führt, wird man ein solches Vorgehen für zulässig erachten können. I.E. ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 40; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 28. 4 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 43. 5 Hierzu im Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 Satz 5 WpHG a.F., demzufolge die Aufsichtsbehörde den Emittenten unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen auf Antrag von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung ad hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen befreien konnte, etwa Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, 3. Aufl. 2003, § 15 WpHG Rz. 133; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 158; v. Klitzing, Die Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 168; S. Schneider, BB 2001, 1214, 1216. 6 Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 49.
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Inwieweit ein Beschluss der Gesellschafterversammlung in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach dem für die jeweilige Bietergesellschaft maßgeblichen Gesellschaftsrecht (Gesetz und Recht) und dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung1. Ist die rechtmäßige Abgabe eines Angebots durch die Geschäftsführung der Gesellschaft, ggf. unter der weiteren Voraussetzung der Zustimmung eines Kontrollgremiums, auch ohne einen Beschluss der Gesellschafterversammlung möglich, kommt eine Ausnahmegenehmigung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 nicht in Betracht. Das ist etwa dann der Fall, wenn Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung der Geschäftsführung – wie etwa in Gestalt der gesetzlichen Regelung des § 119 Abs. 2 AktG – lediglich das Recht einräumen, nicht aber die Pflicht auferlegen, die Gesellschafterversammlung über Fragen der Geschäftsführung entscheiden zu lassen. Anders verhält es sich, wenn der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung der Bietergesellschaft auf der Grundlage entsprechenden dispositiven Gesellschaftsrechts die Mitwirkung der Gesellschafterversammlung bei einem Vorgang wie dem der Abgabe eines Angebots anordnen, denn diesbezüglich kann es keinen Unterschied machen, ob die der Geschäftsführung auferlegten Pflichten auf Gesetz oder auf der Ausübung der von diesem eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten beruhen. 37
– Der Bieter stellt durch geeignete Vorkehrungen sicher, dass Marktverzerrungen (zum Begriff siehe § 3 Rz. 66) als Folge des Abwartens der Entscheidung der Gesellschafterversammlung, d.h. insbesondere Kursbewegungen in den Wertpapieren der Zielgesellschaft auf Grund des Durchsickerns von Informationen über das beabsichtigte Angebot oder von Insidergeschäften, nicht zu befürchten sind. Über den Umstand hinaus, dass die informierten Gesellschafter durch die Erlangung der fraglichen Informationen Insiderwissen erlangen und dem Insiderhandelsverbot des § 14 Abs. 1 WpHG unterliegen können, sind deshalb zusätzliche Maßnahmen nachzuweisen, die geeignet sind, der Gefahr von Marktverzerrungen zu begegnen. Zu den vom Bieter zu diesem Zweck zu treffenden Vorkehrungen gehören auf jeden Fall solche zur Gewährleistung der Vertraulichkeit der den Gesellschaftern übermittelten Informationen in Bezug auf das beabsichtigte Angebot2. Das gilt sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Übermittlung der fraglichen Informationen als auch bezüglich der Wahrung von deren Vertraulichkeit. In letzterer Hinsicht wird zu verlangen sein, dass die Gesellschafter ausdrücklich auf den Ausnahmefall des § 10 Abs. 1 Satz 3 und ihre Pflicht zur vertraulichen Behandlung der übermittelten Informationen sowie ihrer Entscheidung hingewiesen werden3. Eine zur Vermeidung von Marktverzerrungen geeignete Vorkehrung kann auch die in der Erwartung des Verzichts der Gesellschafter auf Form- und/oder Fristrügen (etwa nach § 121 Abs. 6 AktG im Hinblick auf eine Hauptversammlung als Vollversammlung aller Aktionäre) vorgenommene umgehende Einberufung der Gesellschafterversammlung darstellen, und dies insbesondere für den Fall, dass für eine unverzügliche Veröffentlichung der Entscheidung der Geschäftsführung zur Abgabe eines Angebots für den Fall von Rügen Sorge getragen wird. Im Übrigen erscheint die Vertraulichkeit vor allem in den Fällen gewahrt werden zu können, in denen die Anzahl der Gesellschafter überschaubar und zur Gesellschafterversammlung nicht durch öffentliche Bekanntmachung einzuladen ist4; das ist beispielsweise bei einer AG der Fall, wenn die Einladung zur Haupt1 2 3 4
Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 13. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. Auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 33; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 41. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
versammlung nach §§ 124 Abs. 1 Satz 3, 121 Abs. 4 AktG durch eingeschriebenen Brief erfolgen kann. Dass die Zustimmung der Gesellschafterversammlung „keine reine Formsache“ ist, sollte dagegen nicht als Voraussetzung einer Ausnahme gelten1. Abgesehen davon, dass die Sicherung der Mehrheit der Gesellschafterversammlung nur in Ausnahmefällen mit der gebotenen (an Sicherheit grenzenden) Wahrscheinlichkeit gewährleistet sein wird, ist der Umstand einer „reinen Formsache“ von der BaFin als Genehmigungsbehörde regelmäßig nicht zu erkennen, während der einen Ausnahmeantrag stellende Bieter keinen Grund hat und sich hüten wird, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Behörde gegenüber als sicher darzustellen. Wenn die BaFin zu prüfen hat, ob auf Grund „geeignete(r) Vorkehrungen … Marktverzerrungen nicht zu befürchten sind“, so handelt es sich bei diesem Kriterium um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung der BaFin keinen Beurteilungsspielraum eröffnet und damit der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt2.
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Auch wenn der Bieter durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass Marktverzer- 39 rungen wegen einer Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung nicht zu befürchten sind, liegt es im Ermessen der Bundesanstalt, ob sie dem Antrag des Bieters entspricht3. Dabei sind die Interessen des Bieters an einer Herbeiführung der Entscheidung der Gesellschafterversammlung mit denjenigen der Zielgesellschaft, der Anteilseigner der Zielgesellschaft und des Kapitalmarkts an einer möglichst schnellen Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Auch hierbei kann der Zeitraum, der bis zur Entscheidung der Gesellschafterversammlung abzuwarten wäre, eine Rolle spielen. Will die BaFin dem Antrag des Bieters, eine Veröffentlichung erst nach dem Be- 40 schluss der Gesellschafterversammlung vornehmen zu müssen, entsprechen, so kann sie ihre Gestattungsentscheidung mit einem Widerrufsvorbehalt4 i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG für den Fall versehen, dass Marktverzerrungen zu beobachten sind oder die Vorkehrungen zur Vermeidung von Marktverzerrungen nicht ergriffen oder eingehalten werden. Denkbar ist auch, dass dem Antrag unter einer Auflage5 (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG) stattgegeben wird. Eine Befristung der Befreiung ist grundsätzlich möglich, ist aber (anders als bei Befreiungsentscheidungen nach § 15 Abs. 1 1 A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 35; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 42 (die „Wahrscheinlichkeit einer positiven Entscheidung der Gesellschafterversammlung“ darf sich „nicht bereits zu sehr verdichtet haben“); Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 42. 2 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 30; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 29; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 47. 3 Zu der hier wie in § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. (demzufolge die Aufsichtsbehörde den Emittenten auf Antrag von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung ad hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen befreien konnte) enthaltenen Kopplung eines unbestimmten Rechtsbegriffs (Eignung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Marktverzerrungen) mit einer Ermessensentscheidung („kann“) siehe v. Klitzing, Die Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 172 f.; S. Schneider, BB 2001, 1214, 1216. A.A. und nur im Ansatz („Ermessen“) ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 48, jedoch für den Regelfall eine Ermessensreduzierung auf Null annehmend; ähnlich Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 29 („gebundenes Ermessen“). 4 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 31; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 14. In Bezug auf § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. etwa Assmann in Assmann/ Uwe H. Schneider, 3. Aufl. 2003, § 15 WpÜG Rz. 151; Fürhoff/Wölk, WM 1997, 449, 457. 5 Zu § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. etwa S. Schneider, BB 2001, 1214, 1217.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Satz 3 WpHG a.F., demzufolge die Aufsichtsbehörde den Emittenten auf Antrag von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung ad hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen befreien konnte) in der Regel nicht angezeigt, da der Befreiungsantrag des Bieters dahin geht, eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen und eine antragsgemäße Entscheidung damit eine Befristung der Befreiung impliziert. 41
Die Antragstellung suspendiert den Bieter von seiner Veröffentlichungspflicht1 und damit auch von seinen Mitteilungspflichten nach § 10 Abs. 2 (siehe unten Rz. 53)2. Das heißt insbesondere, dass, solange die BaFin über einen nicht rechtsmissbräuchlichen3 und zumindest unverzüglich nach der Entscheidung der Geschäftsführung (bzw. eines darüber hinaus in die Entscheidung involvierten und die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 hinausschiebenden Gremiums) gestellten Antrag des Bieters nach § 10 Abs. 1 Satz 3 noch nicht entschieden hat, der Bieter nicht zur Veröffentlichung der Entscheidung der bisher mit dieser Frage der Abgabe eines Angebots befassten Organe der Gesellschaft verpflichtet ist (siehe Rz. 35).
42
Wird dem Antrag stattgegeben, so ist die Veröffentlichung unverzüglich nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vorzunehmen (siehe Rz. 35), doch entfällt die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1, falls die Gesellschaft der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht zustimmt. In diesem Falle, in dem die Abgabe eines Angebots unterbleiben muss, besteht weder ein Bedürfnis, die Entscheidung der Geschäftsführung zur Abgabe eines Angebots noch die Ablehnung dieser Entscheidung durch die Gesellschafterversammlung zu veröffentlichen4. Da der Bieter nach einem zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich zu veröffentlichen hat und insoweit den Mitteilungspflichten nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 4 Satz 1 unterliegt, wird man auch bei einem ablehnenden Beschluss in entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen eine diesbezügliche Mitteilungspflicht gegenüber der BaFin anzunehmen haben5. Bei der Ablehnung des Antrags gemäß § 10 Abs. 1 1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 34, 45; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 43; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 46; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 32. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 45; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 49 f.; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 16, 19; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 46; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 37. 3 Siehe zu § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F., demzufolge die Aufsichtsbehörde den Emittenten unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen auf Antrag von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung ad hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen befreien konnte, etwa Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679 v. 21.1.1994, S. 49; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, 3. Aufl. 2003, § 15 WpHG Rz. 133; Fürhoff/Wölk, WM 1997, 449, 457; Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz, 1997, S. 169; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 157; v. Klitzing, Die Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 177; S. Schneider, BB 2001, 1214, 1216. 4 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 50, mit zutreffenden Hinweis auf den Parallelfall, dass eine Insiderinformation, von deren Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG abgesehen wurde, nicht mehr veröffentlicht werden muss, wenn sie im Befreiungszeitraum entfallen ist (zu diesem Fall siehe Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 173); Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 57. 5 I.E. ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 50. Entgegen entsprechenden Hinweisen im Schrifttum kann Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 102, eine gegenteilige Ansicht nicht entnommen werden, da er an dieser Stelle nur den Fall behandelt, in dem eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots veröffentlicht wurde, die Gesellschafterversammlung jedoch in einem danach vorgenommenen Beschluss ihre Zustimmung zur Abgabe des Angebots verweigert.
242 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Satz 3 ist die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich (Rz. 43 f.)zu veröffentlichen (siehe Rz. 35). Gegen die Ablehnung kann der Bieter Widerspruch einlegen1, der jedoch – auf Grund seiner Eigenschaft als Verpflichtungswiderspruch – keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 1 VwGO)2. Auch die denkbare Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO oder ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hätten keine die Veröffentlichungspflicht des Bieters nach § 10 Abs. 1 Satz 1 aufschiebende Wirkung3.
IV. Unverzügliche Veröffentlichung (§ 10 Abs. 1 Satz 1) 1. Unverzüglich Der Bieter hat seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich, d.h. oh- 43 ne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zu veröffentlichen. Ist einem die Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 suspendierenden (siehe Rz. 35, 41) Antrag nach § 10 Abs. 1 Satz 3 nicht stattgegeben worden, so ist auch in diesem Fall die Veröffentlichung der Entscheidung unverzüglich nach Bekanntgabe des den Antrag ablehnenden Verwaltungsakts (§§ 41, 43 VwVfG) zu veröffentlichen (Rz. 35). Bei der Beurteilung der Frage, welche Anforderungen das Erfordernis der Unverzüg- 44 lichkeit der Veröffentlichung im Einzelnen an den Bieter stellt, sind die in dem Schreiben des BAWe vom 8.2.2002 (Az. II 2-W-2310-27/2001) zu den Veröffentlichungspflichten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. dargelegten Grundsätze entsprechend heranzuziehen. Nach diesen ist ein „beschleunigtes Handeln“ erforderlich, das nicht auf Börsenzeiten Rücksicht nehmen darf und „nur durch die besonderen Umstände des Einzelfalls ein Zuwarten rechtfertigt“. Zu diesen Umständen zählt das Schreiben die für die Prüfung der Rechtsfrage, ob eine ad hoc-publizitätspflichtige Tatsache vorliegt, erforderliche Zeit, doch dürfte dem Bieter im Falle der Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ein solcher Zeitraum nicht einzuräumen sein: Während der Emittent die Frage, ob ein neu eingetretener Umstand ein nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ad hoc zu publizierender ist, erst nach Eintritt des Umstands wird beurteilen können, vermag der Bieter die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 veröffentlichungspflichtige Entscheidung vorliegt, im Vorhinein zu prüfen bzw. prüfen zu lassen4. Die entsprechenden Regeln gelten auch unter § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG, wobei die Grundsätze, die sich zur Auslegung des Merkmals der unverzüglichen Veröffentlichung entwickelt haben5, entsprechend auf die Bestimmungen des WpÜG übertragen werden können6. 2. Inhalt der Veröffentlichung Die vom Bieter nach § 10 Abs. 1 Satz 1 vorzunehmende Veröffentlichung kann sich auf die Information beschränken, dass die Abgabe eines Angebots beabsichtigt ist. Das setzt zwangsläufig die Benennung des Bieters, der betroffenen Wertpapiere7 (un1 Über den Widerspruch entscheidet der Widerspruchsausschuss bei der BaFin (§§ 6 Abs. 1 Satz 2, 41; § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO). 2 Siehe zu § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. S. Schneider, BB 2001, 1214, 1218. 3 Zu § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. S. Schneider, BB 2001, 1214, 1218. 4 Ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 29. 5 Dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 284 ff. 6 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 38; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 26; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 53. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39.
Assmann
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
ter Angabe der Wertpapierkennnummer – WKN – und der International Securities Identification Number – ISIN) und damit auch der Zielgesellschaft voraus1. Wie sich aus § 10 Abs. 3 Satz 2 ergibt, hat der Bieter darüber hinaus die Internetadresse anzugeben, unter der die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgen wird (siehe auch unten Rz. 67). 46
Wie an früherer Stelle ausgeführt, wird auch zu verlangen sein, dass der Bieter für den Fall, dass er das Angebot gemeinschaftlich mit anderen abzugeben beabsichtigt, auf diesen Umstand und die Mitbieter hinweist. Das gemeinschaftliche Angebot ist Teil der Entscheidung des Bieters i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 und beinhaltet keine Pflicht einer „Veröffentlichung zu Lasten Dritter“, wenn man der hier (Rz. 28 f.) vertretenen Ansicht folgt und den gemeinschaftlichen Bieter als berechtigt ansieht, seine Entscheidung für ein gemeinschaftliches Angebot mit anderen Bietern bis zu deren Entscheidung abzuwarten. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass die gemeinschaftlichen Bieter einen Bieter aus ihrem Kreis mit der Wahrnehmung der ihnen jeweils einzeln obliegenden Veröffentlichung in einer einzigen Veröffentlichung beauftragen können (siehe oben Rz. 28).
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Weitere Angaben sind nicht erforderlich. Vor allem ist der Bieter nicht verpflichtet, Angaben über den konkreten Inhalt des beabsichtigten Angebots (wie etwa über den Umfang des Angebots oder die zu offerierende Gegenleistung) zu unterbreiten2. Das gilt auch für den Fall, dass der Bieter bereits eine Entscheidung über Art und Höhe der vorgesehenen Gegenleistung oder andere Konditionen des Angebots getroffen hat3. Des Weiteren sind auch Angaben über den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsanlage4 sowie über die Art des Angebots (einfaches Wertpapiererwerbsangebot oder Übernahmeangebot, Vollangebot oder Teilangebot) nicht zwingend5. Auch zu Unsicherheiten in Bezug auf die Finanzierung des Angebots, die sicherzustellen der Bieter nach § 13 Abs. 1 Satz 1 bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage
1 Unstr. Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 39; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 27; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 22; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 54; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 57; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 52. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 3 Assmann, AG 2002, 114, 117; Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 39 (nicht erforderlich, wenngleich in der Praxis üblich); Land, DB 2001, 1707, 1709; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, Rz. B 133; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 70; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 52 f.; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 22 f. A.A., aber ohne triftige Begründung (der Umstand, dass über einzelne Konditionen bereits entschieden ist, rechtfertigt, entgegen der eindeutigen gesetzgeberischen Absicht, nicht den Schluss, sie als Teil der nach dieser Vorschrift zu veröffentlichenden „Entscheidung“ zu betrachten), Tröger, DZWiR 2002, 353, 357. 4 A.A. allein Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 59, auf der Grundlage einer unvertretbaren analogen Anwendung von § 11 Abs. 2 Nr. 1–3, Abs. 4. 5 Ebenso Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 52. Im Ausgangspunkt ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 24, der allerdings (obschon die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nichts mit Fragen der Ad hoc-Publizität zu tun hat) eine Angabepflicht für den Fall annimmt, dass die Art des Angebots „potentielle kursbeeinflussend“ sei. A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 27 (abweichend von Voraufl.); Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 22 („ist zu fordern“); Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 55 („muss in der Veröffentlichung in jedem Fall angegeben werden“); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 59 (im Hinblick auf Teiloder Vollangebot).
244 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Zeit hat, braucht nicht berichtet zu werden1. Andererseits sind solche Angaben sowie Informationen über feststehende Eckpunkte des beabsichtigten Angebots nicht ausgeschlossen2. Sie sind zwar Bestandteile der Angebotsunterlage, deren Veröffentlichung von der BaFin zu gestatten ist, doch beschränkt sich die Kontrolle der Angebotsunterlage durch die BaFin ohnehin im Wesentlichen auf die Vollständigkeit der Angebotsunterlage und nicht auf die Richtigkeit einzelner Angaben; hinzu kommt, dass Angaben der fraglichen Art dem Interesse des Publikums an einer möglichst frühzeitigen und weit reichenden Information über das beabsichtigte Angebot durchaus entgegenkommen. Weitergehende, über Informationen zur Art und zu den Eckpunkten des Angebots hinausgehende Angaben sind, dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 2 Satz 1 WpHG (im Hinblick auf unzulässige Angaben in Ad hoc-Meldungen) folgend, als unzulässig anzusehen3. Dagegen ist es eine andere, an späterer Stelle zu behandelnde Frage, ob der Bieter bereits feststehende und als Insiderinformation zu behandelnde, aber in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht angegebene Eckpunkte des Angebots nach § 15 WpHG zu veröffentlichen hat (siehe unten Rz. 78). Da sich mit der Angabe von Eckpunkten des bevorstehenden Angebots, namentlich mit der Benennung einer Gegenleistung oder Gegenleistungsspanne, bereits eine Bindung in Bezug auf das endgültige Angebot ergeben kann4, sollte mit der Bekanntgabe derselben in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zurückhaltend verfahren werden. Des Weiteren ist der Bieter, der sich entschieden hat, ein bedingtes Angebot i.S.v. § 18 abzugeben (siehe oben Rz. 12), auch nicht verpflichtet, bereits in der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, auf diesen Umstand und gegebenenfalls auch die Bedingung, unter der das Angebot erfolgen soll, hinzuweisen5, denn in der von § 10 Abs. 1 Satz 1 vorgeschriebenen Veröffentlichung geht es allein um die Publikation der Entscheidung des Bieters für die Abgabe eines Angebots, ohne dass über Modalitäten des Angebots zu berichten ist. Deshalb braucht auch der Umstand, dass das Angebot unter einer Bedingung stehen wird, nicht zwingend in die Veröffentlichung aufgenommen zu werden. In gleicher Weise gehört auch der Umstand, dass die Abgabe des Angebots noch von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung abhängt, nicht notwendigerweise zu den Angaben, die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 zu veröffentlichen sind6.
1 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 23, 29; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 27. Nach Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 6, soll in einem solchen Fall sogar die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 unzulässig sein. 2 So auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39, welche Angaben über die feststehenden Eckpunkte des Angebots sogar für „angezeigt“ hält. 3 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 58. 4 Bindung befürwortend etwa Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 11 f. (Änderungen nur analog § 21 Abs. 1 Satz 1 zulässig); Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 27; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 22. Ablehnend etwa Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1a; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 57. Da § 10 Abs. 1 Satz 1 keine inhaltlichen Angaben verlangt, zu keinen rechtsgeschäftlichen Bindungen führt und noch keine Dispositionen der Angebotsadressaten auslöst, also allenfalls zusätzliche Aufmerksamkeit auszulösen vermag, kann man auf Grund der dadurch erzeugten „Selbstbindung“ im Hinblick auf die Entscheidung der Frage, ob über die zwingenden Angaben hinausgehenden Angaben zum Inhalt des bevorstehenden Angebots Bindungswirkungen auslösen, eher zurückhaltend sein und auf das Instrument der Missbrauchsaufsicht setzen. 5 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 19 (Möglichkeit, aber keine Verpflichtung). 6 So auch Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 52.
Assmann
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
3. Art und Weise der Veröffentlichung 49
Die Art und Weise, in der die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 zu veröffentlichen ist, ist in § 10 Abs. 3 geregelt. Siehe dazu die Erläuterungen unten Rz. 63 ff. zum Veröffentlichungsverfahren. 4. Abbruch des Angebotsverfahrens durch den Bieter nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
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Nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots muss der Bieter innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung der BaFin eine § 11 und den Vorschriften der WpÜG-AngVO genügende Angebotsunterlage übermitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 1) und, nachdem die BaFin deren Veröffentlichung gestattet hat, veröffentlichen (§ 14 Abs. 2 Satz 1). Übermittelt der weiterhin zur Abgabe eines Angebots entschlossene Bieter der BaFin nach der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots keine Angebotsunterlage oder hat er sich – was grundsätzlich zulässig ist1 – entschlossen, sein Vorhaben nicht weiter zu verfolgen und zurückzunehmen, so führt dies zur Untersagung des Angebots durch die BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 32. Die Veröffentlichung einer Angebotsunterlage ist danach verboten (§ 15 Abs. 3 Satz 1); ein erneutes Angebot des Bieters ist vor Ablauf eines Jahres unzulässig (§ 26 Abs. 1 Satz 1). Eine Veröffentlichung des Umstands, dass der Bieter, entgegen der durch die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 geweckten Erwartungen, kein Angebot unterbreiten wird, sieht das Gesetz nicht explizit vor. Die nahe liegende analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 13 mit der Folge, dass der Bieter die Rücknahme seiner Entscheidung zur Unterbreitung eines Angebots zu veröffentlichen hätte, ist nicht ganz unproblematisch, weil die Verletzung einer Veröffentlichungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. a)). Um Marktverzerrungen aus den unzutreffenden Erwartungen des Publikums über das angekündigte Angebot zu vermeiden, kommt aber in Betracht, dass die BaFin im Zuge ihrer Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 eine Veröffentlichung des Bieters 1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 2; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 10; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 45; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 61; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 6 f. Einschränkend Grobys/Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 148, 149 ff.: „zivilrechtlich keine Durchführungspflicht“ (Rz. 148 a.E.), wohingegen (Rz. 150 f.) eine „öffentlich-rechtliche“, das Ordnungswidrigkeitenrecht einschließende „Bindungspflicht“ bejaht wird. A.A. Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 65, dem zufolge eine veröffentlichte Entscheidung zur Abgabe eines Angebots „grundsätzlich“ nicht zurückgenommen werden kann. Näher hierzu im Folgenden. 2 Die Annahme, § 15 Abs. 1 Nr. 3 sei in der Weise teleologisch zu reduzieren, dass die Untersagung eines nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots abgebrochenen Angebotsvorhabens ausscheide (so Riehmer in Haarmann/Riehmer/Schüppen, WpÜG, 2002, § 15 Rz. 15), ist – weil damit jeglicher Zwang zur sorgfältigen Umgangsweise mit dem Instrument des öffentlichen Wertpapiererwerbs- oder Übernahmeangebots aufgegeben würde – vereinzelt geblieben (für reine Wertpapiererwerbsangebote folgend noch Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 15 WpÜG Rz. 8, jetzt aber auch insoweit ablehnend Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 8) und wird heute nicht mehr vertreten. Vgl. Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 61. 3 Dafür Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 21, 23 a.E.; unter Berufung auf diesen auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 4; ferner Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 49.
246 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
entsprechend § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 anordnet. Folgerichtig muss der Bieter dieser Anordnung aber durch freiwillige Veröffentlichung zuvorkommen können. Eine gesetzliche Regelung der angebotsverfahrensrechtlichen Folgen des Abbruchs des Angebotsverfahrens durch den Bieter nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots – etwa durch die Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 für diesen Fall – erscheint aber gleichwohl angebracht. Die vorstehend angeführten Folgen eines Abbruchs des Angebotsverfahrens durch 51 den Bieter nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots sind jedenfalls für den Fall als ausreichende Sanktionen zu betrachten, dass der Bieter bei Vornahme der Veröffentlichung redlicherweise davon ausging, ein Angebot zu unterbreiten, er also nicht von vornherein beabsichtigte, sein gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 veröffentlichtes Vorhaben nicht weiter zu verfolgen. Nicht der Zwang zur Weiterverfolgung eines mit einer Veröffentlichung über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots eingeleiteten Verfahrens ist das Ziel des Gesetzes1; vielmehr ist beabsichtigt, ein solches Vorhaben frühzeitig in ein formelles Verfahren einzubetten und unter Beachtung der in § 3 dargelegten allgemeinen Grundsätze durchzuführen. Hinzu kommt, dass mit der Veröffentlichung einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots keinerlei rechtsgeschäftliche Bindungen entstehen und die mit der Eröffnung des Angebotsverfahrens auf Wertpapiere der Zielgesellschaft verbundenen herbeigeführten Marktverzerrungen oder schuldhaft herbeigeführten Schäden Dritter, namentlich der Zielgesellschaft, anderweitig – bspw. bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat nach §§ 20a, 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 38 Abs. 2 WpHG Marktmanipulation)2 oder im Wege des Schadensersatzes nach den allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmungen des § 823 Abs. 1 BGB (zielgerichteter Eingriff in den Gewerbebetrieb der Zielgesellschaft)3 oder des § 826 BGB (mindestens bedingt vorsätzliche Schädigung der Zielgesellschaft)4 – sanktioniert werden können (siehe auch unten Rz. 86 f.). Eine Haftung wegen der Verletzung einer vertraglichen Leistungspflicht nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB oder wegen der Verletzung vorvertraglicher Verhaltenspflichten (culpa in contrahendo) nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 BGB, kommt nicht in Betracht5. Selbst wenn man mit der Vornahme der Veröffentlichung der Entscheidung eine vorvertragliche „Sonderbeziehung“ zwischen Bieter und Adressaten des beabsichtigten Angebots sehen wollte, besteht doch, wie vorstehend (Rz. 51) ausgeführt, kein Zwang zur Weiterverfolgung eines mit einer Veröffentlichung eingeleiteten Verfahrens, weshalb die unterlassene Angebotsunterbreitung nicht per se eine Pflichtverletzung darstellt. Dementsprechend ist eine Erweiterung des Sanktionenarsenals für den Abbruch ei- 52 nes Angebotsverfahrens nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht zu befürworten. Auch § 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) beabsichtigt, indem er 1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 19 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 2. 2 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 46. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 138 (keine taugliche Anspruchsgrundlage). Nicht in Betracht kommt Betrug (§ 263 StGB), der damit auch als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ausscheidet; siehe dazu unten Rz. 86. Die Vorschrift für anwendbar halten dagegen Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 138; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 62. 3 Dazu etwa Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 13. 4 Etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 138; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 46; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 62. 5 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 2; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 88. A.A., allerdings ohne brauchbare Begründung, Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 13; Zschocke/Berresheim, BKR 2004, 301, 302 ff.
Assmann
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
die Nichtübermittlung einer Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 als ordnungswidriges Handeln bußgeldbewehrt, nicht etwa, Druck auf die unbedingte Fortführung des mit der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots eröffneten Angebots auszuüben, sondern versucht lediglich sicherzustellen, dass nachfolgende Akte sich sachlich und zeitlich in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen bewegen1. Die Bestimmung ist also auf jeden Fall dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass sie nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Bieter sein Angebot unter Missachtung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 weiter verfolgt2. Ungeachtet dessen käme es auch dann nicht zur Anwendung von § 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a), wenn man ein Verschulden des Bieters, der aus kaufmännisch nachvollziehbaren Erwägungen von seinem Vorhaben abrückte, verneinen wollte3.
D. Mitteilungspflichten vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 2) I. Die Mitteilungspflichten und ihre Adressaten (§ 10 Abs. 2 Satz 1) 53
Vor der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 1 Satz 1 hat der Bieter seine Entscheidung 1. den Geschäftsführungen der (inländischen, siehe Rz. 55) Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen sind, 2. den Geschäftsführungen der (inländischen, siehe Rz. 55) Börsen, an denen Derivate i.S.d. § 2 Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt werden, sofern die Wertpapiere Gegenstand der Derivate sind, und 3. der BaFin mitzuteilen (§ 10 Abs. 2 Satz 1). Die Vorschrift entspricht § 15 Abs. 4 Satz 1 WpHG, zu dem §§ 8, 9 WpAIV konkretisierende Regelungen enthalten. Sie ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden. Die Mitteilung an die BaFin hat nach § 45 Satz 1 schriftlich zu erfolgen, kann aber nach § 45 Satz 2 auch im Wege der elektronischen Datenübertragung erfolgen, wenn der Absender zweifelsfrei zu erkennen ist. Dazu gehört auch die Mitteilung mittels Fax4, für die dem Bieter bei der BaFin die Telefax-Nummer 0228/4108-3255 zur Verfügung steht5. Nichts anderes hat (§ 9 Satz 1 WpAIV6) hinsichtlich der Mitteilungen an die Geschäftsführungen der nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 zu benachrichtigenden Börsen zu gelten. Zum Mitteilungszeitpunkt siehe unten Rz. 56. Entsprechend der Regelung des § 8 1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 19. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 150 f.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 61 a.E., der – neben § 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) – auch gleich noch eine Ordnungswidrigkeit wegen fehlender Veröffentlichung der nicht eingereichten Angebotsunterlage nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) in Betracht zieht. 2 Ablehnend namentlich Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 150 f. 3 So Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 11. Diese Überlegung zur Beschneidung des Anwendungsbereichs des § 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) erfasst aber nur einen Teil der Fälle, in denen ein nicht von Anfang an unredlich handelnder Bieter seine Entscheidung zurücknimmt. 4 Zur Zulässigkeit siehe näher § 45 Rz. 3. 5 Siehe BaFin, Aufsicht über Wertpapiererwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote nach dem WpÜG, www.bafin.de/SharedDocs/Standardartikel/DE/bieterpflichten_wpueg.html. 6 Dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 271.
248 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Abs. 1 WpAIV in Bezug auf den Inhalt von Mitteilungen nach § 15 Abs. 4 Satz 1 WpHG sollte die Vorabmitteilung dem Inhalt nach den Wortlaut der vorgesehenen Veröffentlichung, den vorgesehenen Zeitpunkt der Veröffentlichung und einen Ansprechpartner des Mitteilungspflichtigen mit Rufnummer enthalten. Es ist zweckmäßig, die Mitteilung als solche nach § 10 Abs. 2 Satz 1 zu kennzeichnen. Im Falle einer Ausnahmegenehmigung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 ist die Mitteilung erst 54 und nur dann vorzunehmen, wenn ein Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Abgabe des Angebots gefasst wurde (siehe schon oben Rz. 41). Bereits der Antrag, eine Veröffentlichung erst nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vornehmen zu dürfen (§ 10 Abs. 1 Satz 3), suspendiert die Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 (siehe Rz. 41). Die im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebrachte Beschränkung 55 der Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 auf die Geschäftsführung inländischer Börsen hat ihren Grund im verwaltungsrechtlichen Charakter der Vorschrift, welcher eine gesetzliche Verpflichtung zu Mitteilungen an ausländische Börsen ausschließt1. Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft auch an einem organisierten Markt eines anderen EWR-Staates (§ 2 Abs. 7 und 8) zugelassen, so unterliegt der Bieter darüber hinaus den an diesem Platz geltenden Veröffentlichungspflichten2. Hat ein grenzüberschreitendes Angebot zur Folge, dass der Bieter zugleich die Vorschriften eines Staates außerhalb des EWR (§ 2 Abs. 8) einhalten muss, kann die BaFin dem Bieter auf Antrag gestatten, bestimmte Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in dem fraglichen Staat von dem Angebot auszunehmen, wenn diesem ein Angebot an alle Inhaber von Wertpapieren unzumutbar ist (§ 24). Die Mitteilungspflicht des Bieters besteht im Übrigen nach dem Wortlaut der Vorschrift nur gegenüber den Geschäftsführungen der inländischen Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen sind, also nicht in Bezug auf Wertpapiere, die lediglich in den regulierten Markt an einer inländischen Börse einbezogen (§ 33 BörsG) wurden3. Diese Beschränkung ist fragwürdig und wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Einbeziehung von Wertpapieren in einen inländischen organisierten Markt (in Gestalt des regulierten Markts) erst mit dem Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 16.7.20074 eröffnet wurde, ohne das WpÜG entsprechend anzupassen5. Fragwürdig deshalb, weil auch hinsichtlich der in den geregelten Markt einbezogenen Wertpapiere eine Entscheidung der Geschäftsführungen über die Aussetzung oder Einstellung der Feststellung des Börsenpreises als Folge der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 2 Satz 2 und unten Rz. 56) sinnvoll ist und möglich sein muss6. Dagegen lässt sich nicht einwenden, ein Wertpapier könne in den regulierten Markt nur einbezogen werden, wenn es
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 3 Dem Wortlaut in der Sache folgend Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 49 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 54; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 72. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 54 (nur in den regulierten Markt „einbezogene Wertpapiere sind gleichwohl im Sinne des Abs. 2 ‚zugelassen‘, da ihr Handel gemäß § 32 BörsG erlaubt“ sei). 4 BGBl. I 2007, 1330. 5 Ohne Erwägung dieser Möglichkeit auf die anderweitige gesetzliche Differenzierung zwischen Zulassung und Einbeziehung hinweisend Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 49 f. 6 So noch Thoma/Stöcker in Baums/Thoma (bis zur 5. Lieferung 1/2011 zu dem Kommentar), § 10 Rz. 108; anders jetzt Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 72.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
bereits an einer anderen in- oder ausländischen Börse zugelassen sei1, so dass es ausreiche, wenn diese Börsen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 benachrichtigt werden, denn diese Benachrichtigungspflicht hat, wie eingangs dieser Rz. ausgeführt, nur inländische Börsen als Adressaten. Ebenso wenig lässt sich argumentieren, auch die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG treffe, weil der Emittent der Einbeziehung von Wertpapieren in den regulierten Markt nicht zugestimmt haben müsse, nur Emittenten von Wertpapieren, die zum Handel an einem organisierten Markt – hier dem regulierten Markt – zugelassen seien (§ 2 Abs. 5 WpHG), denn die Mitteilungspflicht aus § 10 Abs. 2 Satz 1 trifft den Bieter und nicht den Emittenten von Wertpapieren2. Wegen der Bewehrung der Mitteilungspflicht als Ordnungswidrigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 2a) wird eine Erweiterung derselben auf in den regulierten Markt einbezogene Wertpapiere allerdings nicht ohne entsprechende gesetzliche Korrektur möglich sein3. Unstreitig ist, dass keine Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 hinsichtlich der in den Freiverkehr einbezogenen Wertpapiere besteht, weil es sich bei diesem nicht um einen organisierten Markt i.S.d. § 1 Abs. 1 handelt und das WpÜG auf solche Wertpapiere betreffenden Angebote keine Anwendung findet. 56
Die Unterrichtung der Geschäftsführungen inländischer Börsen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat den Zweck sicherzustellen, dass die Geschäftsführung der jeweiligen Börse – falls erforderlich – eine Kursaussetzung verfügen kann (§ 10 Abs. 2 Satz 2)4. Die Unterrichtung der BaFin nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ist erforderlich, um dieser die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Gesetzes über das Angebotsverfahren zu ermöglichen5. Diesen Zielen einer Vorabmitteilung entsprechend wird für den Regelfall eine Mitteilung 20–30 Minuten vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots als ausreichend betrachtet6.
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Die Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 besteht nur gegenüber den Geschäftsführungen der inländischen Börsen, an denen Wertpapiere des Bieters, der Zielgesellschaft und anderer durch das Angebot unmittelbar betroffener Gesellschaften zum Handel zugelassen oder, falls man der oben Rz. 55 dargelegten Ansicht folgt, in den regulierten Markt einbezogen) sind. Andere, durch das Angebot unmittelbar betroffene Gesellschaften sind namentlich solche, deren Wertpapiere im Falle eines Tauschangebots vom prospektiven Bieter als Gegenleistung für den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft angeboten werden sollen7. Das können etwa Tochtergesellschaften oder andere konzerneingebundene Gesellschaften sein, wenn ihre Wertpapiere Gegenstand des Tauschangebots sind. Im Hinblick auf den Zweck der 1 Andeutungsweise Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 54; Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 51. 2 So aber Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 54, und diesem folgend jetzt Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 72. 3 Insoweit wie Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 52 f. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 51; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 16; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 26; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 69. Vgl. auch zur entsprechenden Problematik einer Vorabmitteilung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 WpHG, § 9 WpAIV Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 273 m.w.N. 7 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 55; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 56; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 20; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 15; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 73; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 40.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Mitteilungspflicht, durch Kursaussetzungen auf die Gefährdung des ordnungsgemäßen Börsenhandels in Wertpapieren der betroffenen Gesellschaft und zum Schutz des Publikums reagieren zu können (Rz. 56), sind auch börsennotierte Tochtergesellschaften und Muttergesellschaften der Zielgesellschaft, auf deren Kurse die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots wegen ihrer direkten Beteiligungsverbundenheit zur Zielgesellschaft Auswirkungen haben kann, noch als unmittelbar betroffene Gesellschaften anzusehen1. Andere Konzerngesellschaften gehören dagegen nicht zum Kreis der vom Angebot des Bieters unmittelbar Betroffenen2. Tochterunternehmen der Bieters gelten nach § 2 Abs. 5 Satz 2 als mit diesem gemeinsam handelnde Gesellschaften und sind als solche gemäß § 2 Abs. 4 als Bieter zu behandeln, so dass schon von daher – seitens der Tochtergesellschaft als Bieter – auch die Börsen zu benachrichtigen sind, an denen Wertpapiere der Tochtergesellschaft bzw. auf diese bezogene Derivate gehandelt werden3. Bei den von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erfassten Wertpapieren handelt es sich um die in § 2 Abs. 2 (siehe § 2 Rz. 46 ff.) beschriebenen Papiere. Die Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 besteht gegenüber den Geschäftsführungen der inländischen Börsen, an denen Derivate (i.S.d. § 2 Abs. 2 WpHG)4 der die Mitteilungspflicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 auslösenden Wertpapiere gehandelt werden.
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II. Zweckgebundene Verwendung der Mitteilungen (§ 10 Abs. 2 Satz 2) Die Geschäftsführungen der Börsen, denen eine Mitteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 59 zugeht, dürfen die erlangte Information vor ihrer Veröffentlichung nur zum Zwecke der Entscheidung verwenden, ob die Feststellung (in neuerer börsenrechtlicher Terminologie: Ermittlung) des Börsenpreises auszusetzen oder einzustellen ist. Die Vorschrift entspricht § 15 Abs. 4 Satz 3 WpHG. Sie soll verhindern, dass privatrechtliche Träger der öffentlichrechtlich organisierten Börsen, die einen in Wettbewerb zu anderen Anbietern stehenden Informationsverbreitungsdienst anbieten, durch die Vorabmitteilung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten erlangen5. Sie ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden. Die BaFin dagegen unterliegt im Hinblick auf die Verwendung der ihr in der Mitteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 zugegangenen Informationen keinen – über die sonstigen gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden – Verwendungsbeschränkungen, kann also die Mitteilung nutzen, um die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (nach § 4 Abs. 1) zu untersagen. Das kann bspw. dann geboten sein, wenn das durch die Veröffentlichung der Entscheidung in Gang gesetzte Verfahren zur Verletzung einer Angebotssperre nach § 26 führen müsste, weil die Veröffent1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 55; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 41; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 28; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 73. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 55; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 20; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 53. 2 Weiter gehend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 55 (alle verbundenen Unternehmen). 3 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 20. 4 Siehe dazu im Einzelnen Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 2 WpHG Rz. 38 ff. 5 Siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum RegE 2. FFG vom 15.6.1994, BT-Drucks. 12/7918, S. 101. Vgl. auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 276 zu § 15 Abs. 4 Satz 3 WpHG.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
lichung der Angebotsunterlage auf Grund der zeitlichen Vorgaben in § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 innerhalb der Sperrfrist des § 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2 läge (vgl. § 26 Rz. 13).
III. Sonderregelung für „ausländische“ Bieter (§ 10 Abs. 2 Satz 3) 61
§ 10 Abs. 2 Satz 3 enthält eine Sonderregelung zu der sich aus § 10 Abs. 2 Satz 1 ergebenden Pflicht des Bieters zur Vorabinformation der Börsengeschäftsführungen und der BaFin über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1. Die Vorschrift entspricht § 15 Abs. 4 Satz 4 WpHG und soll, wie diese, dem Umstand Rechnung tragen, dass zahlreiche ausländische Unternehmen auf Grund anderweitiger Verfahrensregelungen an ihren Heimatbörsen Probleme mit der Vorabunterrichtung der BaFin und der deutschen Börsen haben können1. Sie ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden.
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Nach § 10 Abs. 2 Satz 3 kann die Bundesanstalt gestatten, dass „ausländische“ Bieter – d.h. Bieter mit Wohnort oder Sitz im Ausland – die Mitteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 gleichzeitig mit der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Veröffentlichung vornehmen, wenn dadurch die Entscheidungen der Geschäftsführungen der Börsen über die Aussetzung oder Einstellung der Feststellung des Börsenpreises nicht beeinträchtigt werden. An einer solchen Beeinträchtigung fehlt es etwa dann, wenn ausländische Börsen die entsprechenden Informationen unverzüglich den betroffenen deutschen Börsen übermitteln2. Die Gestattung kann als Allgemeinverfügung oder als Entscheidung im Einzelfall erfolgen.
E. Veröffentlichungsverfahren (§ 10 Abs. 3) 63
§ 10 Abs. 3 regelt im Wesentlichen das Verfahren zur Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 und nur ganz rudimentär auch seinen Inhalt. Die Vorschrift entspricht weitgehend derjenigen zur Regelung des Verfahrens zur Veröffentlichung einer Ad hoc-Mitteilung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG a.F. (vor seiner Änderung das AnSVG) und aktuellen Regelung in § 15 Abs. 1 und 7 WpHG i.V.m. § 5 Satz 1 WpAIV3, mit dem Unterschied, dass die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 3 Satz 1 nur in Deutsch vorgenommen werden darf (siehe dazu näher Rz. 66). Die Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, wonach die Veröffentlichung der Entscheidung auch „durch Bekanntgabe im Internet“ vorzunehmen ist, beruht auf der Änderung der Vorschrift durch Art. 1 Nr. 6 lit. a) des Gesetzes vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote4. Das Erfordernis der Veröffentlichung der Entscheidung auch „durch Bekanntgabe im Internet“ trat an die Stelle der bisherigen Regelung, welche – alternativ zu der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 – eine Veröffentlichung „in mindestens einem überregionalen Pflichtblatt“ vorsah. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Zu den Erwägungen zur entsprechenden Regelung in dem § 15 Abs. 4 Satz 4 WpHG entsprechenden § 15 Abs. 2 Satz 3 WpHG a.F. siehe Pötzsch, Der Diskussionsentwurf des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes, AG 1997, 193, 199 und Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, 949, 958. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 3 Siehe dazu etwa Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 280h. 4 BGBl. I 2006, 1426.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
Hat der Bieter eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 64 getroffen, muss er diese unverzüglich veröffentlichen (siehe Rz. 43 f.). Bis zur Änderung von § 10 Abs. 3 Satz 1 durch Gesetz vom 8.7.2006 (Rz. 63) eröffnete ihm § 10 Abs. 3 Satz 1 a.F. zwei Wege: entweder veröffentlichte der Bieter seine Entscheidung in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder er bediente sich hierzu eines elektronisch betriebenen Informationsverbreitungssystems nach Maßgabe des (unveränderten) § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2. Nach der in Rz. 63 angeführten Änderung von § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 durch Gesetz vom 8.7.2006 muss die Veröffentlichung der Entscheidung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 sowohl durch Bekanntgabe im Internet (Nr. 1) als auch über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem erfolgen, das bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, nach § 53 Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen, anderen Unternehmen, die ihren Sitz im Inland haben und an einer inländischen Börse zur Teilnahme am Handel zugelassen sind, und Versicherungsunternehmen weit verbreitet ist (Nr. 2). Die Neuregelung bezweckt vor allem die Herstellung eines Gleichlaufs zur Veröffentlichung von Ad hoc-Mitteilungen (nach § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 WpHG i.V.m. § 5 Satz 1 WpAIV)1. Dies wiederum wird als notwendig angesehen, weil die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots eine Insiderinformation sein kann2. Die Veröffentlichung der Entscheidung durch Bekanntgabe im Internet soll, zusammen mit der zusätzlich erforderlichen Veröffentlichung über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem, sicherstellen, „dass die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots in der Weise bekannt gemacht wird, dass sie den Wertpapierinhabern ohne weiteres und umgehend zur Verfügung stehen“3. § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 spricht nur von einer Veröffentlichung der Entscheidung durch Bekanntgabe im Internet. Einen Ort, an dem die Bekanntgabe im Internet zu erfolgen hat, schreibt das Gesetz nicht vor. Dies ist bewusst geschehen, um „möglichen technologischen Neuerungen Rechnung zu tragen“, doch gibt die Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes vom 8.7.2006 (Rz. 63) den Hinweis, „zweckmäßigerweise“ solle sie „auf der Website des Bieters erfolgen“4. Zu den elektronisch betriebenen Informationsverbreitungssystemen, welche die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 erfüllen, gehören namentlich diejenigen von Bloomberg, Deutsche Börse Infobolsa, Deutsche Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität (DGAP), Reuters und die Vereinigten Wirtschaftsdienste (VWD)5. Um den erstrebten Gleichlauf der Veröffentlichung einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots mit der Veröffentlichung einer ad hoc-publizitätspflichtigen Insiderinformation zu gewährleisten, sollte auch § 5 Satz 2 WpAIV entsprechend angewandt werden6, demzufolge eine Veröffentlichung über das Internet nicht vor einer Veröffentlichung in dem elektronisch betriebenen Informationsverbreitungssystem erfolgen darf. Anders verhält es sich im Hinblick auf das in § 5 Satz 1 Nr. 2 WpAIV aufgestellte Erfordernis, die für die Veröffentlichung im Internet gewählte Adresse mindestens für die Dauer von einem Monat verfügbar zu halten7. Wäre eine solche Anforderung gewollt gewesen, hätte sie ohne weiteres mit der Änderung übernommen werden können. In der Sache er1 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18. Dem dort erwähnten § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpAIV entspricht heute § 5 Satz 1 Nr. 2 WpAIV. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18. 5 Näher hierzu Noack, AG 2003, 537, 540 f. 6 In der Sache befürwortend: Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 72, der aber Bedarf für eine Klarstellung durch den Gesetzgeber sieht; ohne solche Vorbehalte Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 69 a.E. A.A. Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 87. 7 Für eine „Anlehnung“ an diese Regelung aber Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 69.
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
gibt sich aber bereits insoweit ein gewisser Gleichlauf mit dieser Regelung, als in systematischer und teleologischer Auslegung von § 10 Abs. 3 Satz 1 zu verlangen ist, dass die Bekanntgabe im Internet mindestens bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage aufrecht zu erhalten ist1, welche nach § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der BaFin zu übermitteln und nach deren Billigung durch die Aufsichtsbehörde, spätestens aber zehn Werktage seit dem Eingang bei der BaFin, unverzüglich zu veröffentlichen ist. 65
Eine Veröffentlichung der Entscheidung in anderer Weise als in § 10 Abs. 3 Satz 1 vorgeschrieben ist zwar zulässig, darf aber nach § 10 Abs. 3 Satz 3 erst dann vorgenommen werden, wenn den (vorstehend – in Rz. 64 – beschriebenen) Anforderungen des § 10 Abs. 3 Satz 1 genügt wurde. Diese Regelung dient nicht nur der Gewährleistung der „Einheitlichkeit der Veröffentlichungswege“2, sondern dämmt darüber hinaus die Gefahr des Insiderhandels ein, indem entweder (über die Börsenpflichtblattveröffentlichung) ein möglichst großer Teil des interessierten Publikums oder (auf Grund der Veröffentlichung über ein elektronisches Informationsverbreitungssystem) die Bereichsöffentlichkeit3 informiert werden muss. Die Vorschrift ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden.
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Die Veröffentlichung muss in Deutsch erfolgen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 a.E.)4. Darin unterschied sich § 10 Abs. 3 von Anfang an von § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG a.F., der in seinem Teilsatz 2 die Möglichkeit einer zeitgleichen Veröffentlichung in Englisch erlaubte und in Teilsatz 3 die Möglichkeit einer Befreiung von der Pflicht zur Veröffentlichung in Deutsch durch die BaFin vorsah. Die Regelung des § 10 Abs. 3 basiert auf der Überlegung, bei der Veröffentlichung nach § 10 gehe es um die Information der Öffentlichkeit sowie der deutschen Aktionäre und der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft über die Absicht eines Angebots zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft mit Sitz im Inland, weshalb es geboten sei, die Unterrichtung auf eine solche in Deutsch zu beschränken5. Das schließt indes eine zeitgleiche Veröffentlichung in englischer oder anderen Sprachen nicht aus6: Wie sich § 10 Abs. 3 Satz 3 – der eine Entsprechung in § 15 Abs. 5 Satz 1 WpHG hat – entnehmen lässt, ist eine Veröffentlichung in anderer Weise als in § 10 Abs. 3 Satz 1 vorgeschrieben durchaus 1 Ähnlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 63. Offener Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 87, demzufolge „die Veröffentlichung der Information zumindest so lange zu erfolgen“ habe, „wie sie für das angekündigte Angebotsverfahren erheblich“ sei. Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 72. 2 So Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 3 Bereichsöffentlichkeit ist (bereits dann) gegeben, wenn es einer unbestimmten Anzahl von Personen aus dem Kreis der Marktteilnehmer möglich ist, von einer Information Kenntnis zu nehmen. Die Information muss mithin nicht der breiten Öffentlichkeit oder einem breiten Anlegerpublikum, sondern lediglich dem engeren Kreis regelmäßiger Marktteilnehmer bekannt sein, um als öffentlich bekannt zu gelten. Siehe Assmann in Assmann/ Uwe H. Schneider, § 13 WpHG Rz. 34 ff. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Kritisch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 72 (mit der absurden Annahme, dies sei eine „kaum zu verhehlende Maßnahme des Protektionismus“); Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 29 (mit dem Hinweis, so könne eine „für internationale Kapitalmärkte inakzeptable Informationsdisparität entstehen“). 6 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 76; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 72; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 29; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/ Häger, § 10 Rz. 36; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 90 (anders Voraufl.).
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
zulässig und darf nur nicht vor der Veröffentlichung nach Satz 1 vorgenommen werden. Es sprechen keine Gründe dagegen, diese Regelung auch auf die Sprache einer zulässigen anderweitigen Veröffentlichung zu erweitern, da diese die zwingend in Deutsch vorzunehmende Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 Satz 3 nicht berührt. Das wird durch die Erwägung im RegE des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen bestätigt, mit der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 sollten Veröffentlichungen auf anderen als den in § 10 Abs. 3 Satz 1 genannten Veröffentlichungswegen untersagt werden1. Zum Inhalt der Veröffentlichung siehe die Erläuterungen oben Rz. 45 ff. Ergänzend 67 bestimmt § 10 Abs. 3 Satz 2, dass der Bieter in der Veröffentlichung auch die Adresse anzugeben hat, unter der die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgen wird. Das soll einen unmittelbaren und raschen Zugriff der von der Publikation angesprochenen Adressaten auf die für die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 in den nächsten vier Wochen jedenfalls auch im Internet zu veröffentlichende Angebotsunterlage erlauben2.
F. Übersendung der Veröffentlichung an die BaFin und die beteiligten Börsenstellen (§ 10 Abs. 4) Der Bestimmung in § 15 Abs. 5 Satz 2 (Halbsatz 1) WpHG entsprechend, verpflichtet 68 § 10 Abs. 4 Satz 1 den Bieter, die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 unverzüglich (siehe dazu oben Rz. 43 f.) den Geschäftsführungen der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 erfassten Börsen und der BaFin zu übersenden, um diesen die Überwachung der Einhaltung der Veröffentlichungspflichten3 aus § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 zu erleichtern. Die Vorschrift ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden. Da in § 10 Abs. 4 Satz 1 von einer Übersendung der Veröffentlichung die Rede ist, ist die bloße Mitteilung über die Art und Weise und den Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht ausreichend; vielmehr ist den fraglichen Stellen ein Dokument (Belegexemplar, Kopie, elektronische Datei) zu übersenden, aus denen sich der Text und das Medium der Veröffentlichung ergibt4. Ebenfalls in Anlehnung an § 15 Abs. 5 Satz 2 (Halbsatz 2) WpHG stellt § 10 Abs. 4 Satz 2 denjenigen Bieter, dem die BaFin nach § 10 Abs. 2 Satz 3 gestattet hat, die Mitteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 gleichzeitig mit der Veröffentlichung vorzunehmen, von der in § 10 Abs. 4 Satz 1 statuierten Pflicht zur Übersendung der Veröffentlichung frei. Der Gesetzgeber vertraut insoweit darauf, dass die zeitgleich vorzunehmende Mitteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 und Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 inhaltlich identisch sind und verzichtet damit auf einen effektiven Nachweis, dass dies auch tatsächlich der Fall ist.
1 2 3 4
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 78; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 76; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 30, 32; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 23; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 55; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 93 f.
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G. Unterrichtungspflichten des Bieters und des Vorstands der Zielgesellschaft (§ 10 Abs. 5) I. Überblick 70
Unverzüglich nach der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 muss der Bieter gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 dem Vorstand der Zielgesellschaft die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots schriftlich mitteilen. Daraufhin hat der Vorstand der Zielgesellschaft gemäß § 10 Abs. 5 Satz 2 seinerseits unverzüglich den zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer, über die ihm vom Bieter zugegangene Mitteilung (nach § 10 Abs. 5 Satz 1) zu unterrichten. Darüber hinaus muss der Bieter nach § 10 Abs. 5 Satz 3 die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich auch seinem zuständigen Betriebsrat mitteilen oder, falls ein solcher nicht besteht, unverzüglich nach der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 den Arbeitnehmern unmittelbar zur Kenntnis bringen. § 10 Abs. 5 ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden.
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Diese hintereinander geschalteten Unterrichtungspflichten nach § 10 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 haben zum einen und in erster Linie den Zweck sicherzustellen, dass die Vertretung der Arbeitnehmer (Betriebsrat) der Zielgesellschaft oder, falls eine solche Vertretung nicht besteht, die Arbeitnehmer selbst in die Lage versetzt werden, ihre (vor allem aus § 27 Abs. 2 folgenden) Rechte im Hinblick auf das bevorstehende Angebot wahrzunehmen. Die Regelung des § 10 Abs. 5 Satz 2 soll nach der Begründung des RegE WpÜG darüber hinaus zugleich deutlich machen, dass durch das WpÜG „die bestehenden Rechte der Arbeitnehmer nicht beschränkt werden“1; auch wenn die Begründung diesbezüglich nur auf „bestehende Rechte“ verweist, darf man darin zugleich eine Absage an die Stimmen sehen, die den Arbeitnehmern jegliche Rechte im Zusammenhang mit der Abgabe eines Übernahmeangebots absprechen wollen. Zum anderen löst die Unterrichtung des Vorstands der Zielgesellschaft dessen Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Zielgesellschaft nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG (Berichtspflicht aus „sonstigen wichtigen Anlässen“) aus; dieser hat den Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 5 Satz 3 AktG spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung über die ihm vom Vorstand zugeleitete Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Die Unterrichtung des Vorstands der Zielgesellschaft selbst ist, obschon formal an erster Stelle der Unterrichtungskette stehend, insoweit nur Mittel zu anderen (nämlich den vorgenannten) Zwecken, da davon ausgegangen werden darf, dass dem Vorstand in der Praxis eine Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 schneller bekannt wird als ihn die schriftliche Mitteilung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 erreicht; diese indes erlaubt eine eindeutige Wissenszurechnung als Grundlage zur Beurteilung der Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft zur Unterrichtung der Arbeitnehmer(vertretung) und des Aufsichtsrats(vorsitzenden). Durch die Einfügung des neuen Satzes 3 in § 10 Abs. 5 durch Art. 1 Nr. 6 lit. b) des Gesetzes vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote2, mit dem Art. 6 Abs. 1 Satz 3 der Übernahmerichtlinie umgesetzt wird, sind nunmehr auch die Vertreter der Arbeitnehmer (Betriebsrat) des Bieters bzw. die Arbeitnehmer direkt von diesem über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu informieren. Sämtliche Mitteilungsund Unterrichtungspflichten des § 10 Abs. 5 müssen unverzüglich nach dem Eintritt 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 2 BGBl. I 2006, 1426.
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des die Pflicht auslösenden Ereignisses, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (siehe dazu ausführlich oben Rz. 43 f.), erfolgen.
II. Pflicht des Bieters zur Unterrichtung des Vorstands der Zielgesellschaft (§ 10 Abs. 5 Satz 1) Die Mitteilung des Bieters (oder seines gesetzlichen oder rechtsgeschäftlich bestell- 72 ten Vertreters) muss schriftlich erfolgen. D.h., dass sie vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterschrieben (§ 126 Abs. 1 BGB) oder im Falle der nach § 126 Abs. 3 BGB zulässigen Ersetzung der schriftlichen durch die elektronische Form mit dem Namen des Ausstellers und einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen sein muss (§ 126a Abs. 1 BGB)1. Die bloße Übersendung einer Kopie der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 an den Vorstand reicht damit nicht aus, kann aber zum Bestandteil der Mitteilung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 gemacht werden. Auch auf die Verwendung von Telefax, die mit unterschiedlichen Erwägungen für zulässig erachtet wird2, sollte aus Sicherheitsgründen verzichtet werden. Textform gemäß § 126b BGB3 erscheint zwar de lege ferenda als ausreichend, weil die Entscheidung zur Abgabe des Angebots bereits veröffentlicht wurde, doch ist de lege lata Schriftform angeordnet und die Vorschrift mithin nicht anwendbar4. Die Mitteilung ist gegenüber dem Vorstand der Zielgesellschaft vorzunehmen. Ist 73 eine Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft abzugeben, reicht es nach § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG aus, wenn sie gegenüber einem der Vorstandsmitglieder abgegebenen wird. Gleiches gilt nach ganz h.M. auch im Hinblick auf andere Arten von Äußerungen oder Mitteilungen gegenüber der Gesellschaft5. Das ist auch auf Mitteilungen gegenüber dem Vorstand der Gesellschaft, der auch hier als Vertretungsorgan der Gesellschaft angesprochen ist, übertragbar, weshalb es ausreichend ist, wenn die Mitteilung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 an ein einzelnes Vorstandsmitglied – naheliegender Weise, aber nicht zwingend, an den Vorstandsvorsitzenden – gerichtet ist6.
1 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 81; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 81; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 40; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 84. A.A. Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 104 (§ 126 BGB nicht anwendbar); Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 24 (Anforderungen „geringer als in den übrigen Fällen des § 126 Abs. 1 BGB“); Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 33 (§ 126b BGB anwendbar). 2 Etwa Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 81; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 24; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 33; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 40; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 104; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 56. Dagegen Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 81. 3 So Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 33. 4 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 81. 5 Siehe etwa Habersack in Großkomm. AktG, § 78 Rz. 38; Hüffer, § 78 AktG Rz. 13; Spindler in MünchKomm. AktG, § 78 Rz. 84. 6 I.E. ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 80; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 80; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 102; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 72.
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III. Pflicht des Vorstands der Zielgesellschaft zur Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung bzw. der Arbeitnehmer (§ 10 Abs. 5 Satz 2) 74
Nach Erhalt der Mitteilung des Bieters nach § 10 Abs. 5 Satz 1 hat der Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich den (nach den Vorschriften des BetrVG) zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer, über die Mitteilung zu informieren. Über diese Informationspflicht hinaus treffen den Vorstand keine Erörterungs- oder Beratungspflichten1.
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Dass bei der Zielgesellschaft kein Betriebsrat existiert, ist zwar wenig wahrscheinlich, doch nicht ausgeschlossen, weil von § 1 BetrVG kein Zwang zur Errichtung eines Betriebsrats ausgeht und auch bei Zielgesellschaften mit mehreren Betrieben kein Gesamtbetriebsrat zu bilden ist, wenn nicht mindestens zwei Betriebsräte vorhanden sind (§ 47 Abs. 1 BetrVG). Andererseits können bei einer Zielgesellschaft, je nach ihrer Struktur, mehrere Betriebsräte gebildet sein. Sofern dies der Fall ist, ist das nach den Bestimmungen des BetrVG jeweils ranghöchste Ratsgremium zu unterrichten2: Ist die Zielgesellschaft herrschendes Unternehmen eines Konzerns i.S.v. § 18 Abs. 1 AktG und ist gemäß § 54 Abs. 1 BetrVG ein Konzernbetriebsrat gebildet worden, so ist dieser zu unterrichten3. Ist ein Konzernbetriebsrat (mangels Konzerneinbindung der Zielgesellschaft) nicht zu bilden oder (mangels einer von § 54 BetrVG ausgehenden Pflicht zur Bildung eines solchen) nicht gebildet worden, so kommt die Unterrichtung der Gesamtbetriebsräte4 bzw. des Gesamtbetriebsrats bei der Zielgesellschaft in Betracht, sofern dieser nach § 47 BetrVG in einem Unternehmen zu bilden ist, das (wegen der von diesem unterhaltenen separaten Betriebe) mehrere Betriebsräte aufweist5. Fehlt es bei der Zielgesellschaft an einem Gesamtbetriebsrat, so ist – sofern vorhanden (siehe oben) – der bei ihr nach § 1 BetrVG gebildete Betriebsrat zu informieren6. Die Unterrichtung ist an den Vorsitzenden des im Einzelfall zu unterrichtenden Gremiums zu richten (§§ 26 Abs. 2 Satz 2, 51 Abs. 1 BetrVG)7. Zweifelsfragen im Hinblick auf die Bestimmung des zuständigen Betriebsrats wird die Praxis, ohne Bedenken, durch gleichzeitige Unterrichtung der in Betracht kommenden Betriebsräte begegnen können8. Ein bei der Zielgesellschaft errichteter Europäi1 Vgl. Grobys, NZA 2002, 1, 4; Seibt, DB 2002, 529, 531. 2 Das kommt auch in Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40, deutlich zum Ausdruck. Vgl. Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 92; Seibt, DB 2002, 529, 532. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40; Grobys, NZA 2002, 1, 3; Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 74; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 35. A.A. Seibt, DB 2001, 529, 532 (Angebotsabgabe betrifft nur das Zielunternehmen und nicht den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen; zuständig ist der Gesamtbetriebsrat bzw. der Betriebsrat des Zielunternehmens); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 88. 4 Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 90. 5 I.E. ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 35; Grobys in Geibel/ Süßmann, § 10 Rz. 88. 6 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 35. Bei einem pflichtwidrig nicht errichteten Gesamtbetriebsrat soll zur Verwirklichung des Sinn und Zwecks der Vorschrift (Transparenz gegenüber den Arbeitnehmern) nach Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 89, die Interessenwahrnehmung durch die Einzelbetriebsräte erfolgen, obwohl die „Regelungskompetenz des (fehlenden) Gesamtbetriebsrats“ regelmäßig „nicht an die Einzelbetriebsräte“ zurückfalle. 7 Im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden erfolgt die Entgegennahme der Unterrichtung durch dessen Stellvertreter und im Falle auch von dessen Verhinderung durch jedes Betriebsratsmitglied. Vgl. Seibt, DB 2002, 529, 532. 8 Grobys, NZA 2002, 1, 3; Seibt, DB 2002, 529, 532.
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scher Betriebsrat ist kein „zuständiger“ Betriebsrat i.S.d. § 10 Abs. 5 Satz 2 und damit nicht zwingend zu unterrichten1, kann aber zusätzlich informiert werden2. Auch die Unterrichtung eines (leitende Angestellte eines Unternehmens repräsentierenden) Sprecherausschusses ist nicht erforderlich3. Für die Unterrichtung des zuständigen Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer über die 76 Mitteilung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 durch den Vorstand der Zielgesellschaft ist, anders als im Hinblick auf diese Mitteilung an den Vorstand selbst, keine Form vorgeschrieben. Sowohl die Unterrichtung des zuständigen Betriebsrats als auch (sofern es an einem solchen fehlt) diejenige der Arbeitnehmer kann damit sowohl schriftlich als auch unter Verwendung telegraphischer und elektronischer Mittel oder mündlich erfolgen4. Sind mangels Existenz eines Betriebsrats die Arbeitnehmer unmittelbar zu unterrichten, bietet sich, da § 10 Abs. 5 Satz 2 im Hinblick auf die Unterrichtung der Arbeitnehmer nicht auf Individualpublizität abstellt, als einfachstes Mittel ein (falls mehrere Betriebe vorhanden sind, im jeweiligen Betrieb vorzunehmender) Aushang an den für Mitteilungen an die Arbeitnehmer vorgesehenen Stellen an5. Ist der Vorstand der Zielgesellschaft schon nicht zur Unterrichtung der Organe einer von ihr abhängigen Gesellschaft verpflichtet und genügt selbst in Konzernverhältnissen, wenn ein Konzernbetriebsrat nicht gebildet wurde, die Unterrichtung des Gesamtbetriebsrats oder des Betriebsrats der Zielgesellschaft, so besteht auch kein Grund zu der Annahme, der Vorstand habe, falls es überhaupt an einem zuständigen Betriebsrat fehlt, auch dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmer abhängiger Gesellschaften von der Mitteilung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 unterrichtet würden6. Maßnahmen für die Unterrichtung von Mitarbeitern, die nicht Arbeitnehmer der Zielgesellschaft im arbeitsrechtlichen Sinne sind (wie etwa sog. freie Mitarbeiter, Leiharbeitnehmer und Personen, die auf der Grundlage einzelner Werk-, Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnisse tätig werden), muss der Vorstand auf Grund von § 10 Abs. 5 Satz 2 nicht ergreifen.
IV. Pflicht des Bieters zur Unterrichtung seines Betriebsrats bzw. seiner Arbeitnehmer (§ 10 Abs. 5 Satz 3) Nach dem 2006 dem § 10 Abs. 5 hinzugefügten Satz 3 (siehe oben Rz. 71 a.E.) muss 76a der Bieter die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots auch seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 mitteilen. Das bedeutet, „dass die Arbeitnehmer des Bieters in gleicher Weise von der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots zu unterrichten sind wie die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft“7. Wie in § 10 Abs. 5 Satz 2 schreibt das Gesetz auch hier keine 1 Ebenso Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 90; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 89. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 75a mit dem auslegungsmethodisch nicht haltbaren Argument, dieser werde „die meisten Arbeitnehmer repräsentieren“. 2 Auch Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 90. 3 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 89. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 75a. 4 Vgl. Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 108; Grobys, NZA 2002, 1, 4; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 90; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 36; Seibt, DB 2002, 529, 531; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 109. 5 Ebenso Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 111; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 58. 6 A.A. Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 100. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18.
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Form vor, in der die Mitteilung zu erfolgen hat. Es steht dem Bieter deshalb frei, wie er seiner Mitteilungspflicht genügt.
H. Ad hoc-Publizität (§ 10 Abs. 6) 77
Nach § 10 Abs. 6 gilt der Ad hoc-Publizitätspflichten von Inlandsemittenten regelnde § 15 WpHG nicht für Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots. § 10 Abs. 6 ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend auf die Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 anzuwenden. Die Regelung des § 10 Abs. 6 hat zur Folge, dass die Entscheidung eines Bieters zur Abgabe eines Angebots ausschließlich nach Maßgabe von § 10 zu veröffentlichen ist und keine Ad hoc-Meldepflicht nach § 15 WpHG auslöst. Das gilt nicht nur im Hinblick auf eine eventuelle Meldepflicht des Bieters, wie sie sich ohne die Bestimmung in § 10 Abs. 6 aus § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ergeben könnte, sondern jedenfalls auch für mögliche Ad hoc-Meldepflichten anderer Beteiligter – namentlich die Zielgesellschaft (dazu noch unten Rz. 80) – in Bezug auf den Umstand, dass der Bieter eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots getroffen hat1.
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Nach einer Formulierung in der Begründung zum RegE WpÜG soll es sich bei § 10 um eine Sonderregelung zu § 15 WpHG allerdings „nur in dem Umfang“ handeln, „in dem die Veröffentlichung nach § 10 vorgenommen worden sei“2. Diese Formulierung ist missverständlich, denn das zu ihrer Illustration angeführte Beispiel macht deutlich, dass mit ihr nicht etwa die Auffassung zum Ausdruck gebracht werden soll, eine pflichtwidrig unterlassene Veröffentlichung i.S.d. § 10 führe zur Anwendbarkeit des § 15 WpHG. Bei näherer Betrachtung geht es der Begründung vielmehr um die Aussage, die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots verdränge die Ad hoc-Publizitätspflicht aus § 15 WpHG nur in dem Umfang, als es um Angaben gehe, die nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3 zu veröffentlichen seien. Für die Annahme, eine Veröffentlichung nach § 10 ersetze eine Ad hoc-Publizitätspflicht aus § 15 WpHG nur in dem Umfang, als es um Angaben gehe, die nach § 10 zwingend oder zulässigerweise zu veröffentlichen seien und veröffentlicht wurden, spricht der Umstand, dass § 10 Abs. 6 sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seiner systematischen Stellung anderweitige gesetzliche Publizitätspflichten (wie die aus § 15 WpHG) nur in dem Umfang verdrängen will, als diese von einer Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3 inhaltlich und in der Art und Weise ihrer Publikation abgedeckt werden3. Alle Umstände außer der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unterliegen deshalb der durch § 10 Abs. 6 nicht eingeschränkten Ad hocPublizitätspflicht von nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG Veröffentlichungspflichtigen4. Das hat für den Bieter – worauf auch in der Begründung zum RegE WpÜG causa colorandi hingewiesen wird5 – etwa zur Folge, dass bspw. Eckdaten eines beabsichtigten Angebots, welche in einer Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 nicht aufgeführt 1 Hopt, ZGR 2002, 333, 346/347; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 99; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 27; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 59. A.A. Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 616. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. 3 So i.E. auch Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 615; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 100; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 50; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 12; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 116. Auch OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 752. Kritisch zu dieser Regelung Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 653. 4 Kritisch zu dieser Regelung Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 653. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40.
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werden müssen (weil sie in diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht feststehen) und auch tatsächlich nicht aufgeführt wurden, „bei ihrem Vorliegen nach § 15 WpHG zu veröffentlichen“ sind1. Nicht anders soll es sich für alle übrigen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots eintretenden Ereignisse verhalten: Sie sollen, sofern sie nur die Voraussetzungen einer den Bieter betreffenden Insiderinformation erfüllen und ihre Veröffentlichung nicht nach § 15 Abs. 3 WpHG aufgeschoben werden kann, vom Bieter ad hoc zu publizieren sein2. Im Übrigen ist unbestritten, dass angebotsbezogene Angaben, die der Bieter, ohne hierzu gesetzlich gezwungen zu sein, zulässigerweise in eine Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3 aufnimmt, einer eventuellen Ad hoc-Publizitätspflicht nach § 15 WpHG entzogen sind. § 15 WpHG hat nach herrschender Ansicht einen universellen Anwendungsbereich 79 und kann nur in dem Umfang von anderen Publizitätsregelungen verdrängt werden, als diesbezügliche Spezialbestimmungen dies vorsehen3. Der insoweit einschlägige § 10 Abs. 6 verdrängt die Ad hoc-Publizität nach § 15 WpHG nur im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 1, 3 vorzunehmenden Veröffentlichungen in Bezug auf die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (siehe Rz. 78). Dementsprechend können auch alle dieser Entscheidung vorausgehenden Vorgänge eine Pflicht zur Ad hoc-Veröffentlichung auslösen4. Das bedeutet, dass schon das Vorhaben des Vorstands zur Abgabe eines Übernahmeangebots ein ad hoc-publizitätspflichtiger Umstand sein kann und ein späterer Beschluss des Vorstands oder gar eine eventuell erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats der Bietergesellschaft nicht unter Berufung auf § 10 Abs. 6 abgewartet werden dürfen. Der Bieter ist auch insoweit gehalten, die Möglichkeit der Verzögerung der Ad hoc-Veröffentlichung des fraglichen Umstands nach § 15 Abs. 3 WpHG zu prüfen. Ob der Entschluss des potenziellen Bieters, vor der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots Gespräche mit der potenziellen Zielgesellschaft aufzunehmen, eine ad hoc zu publizierende Insiderinformation darstellt, hängt allein davon ab, ob schon auf Grund dieses Umstands die Abgabe des Angebots als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden darf, was regelmäßig zu verneinen ist5. Gleiches gilt, wenn lediglich ein „nicht bindendes Angebotsschreiben“ („non binding indicative offer letter“) vorliegt6. Und nicht anders verhält es sich, wenn die Zielgesellschaft dem potentiellen Bieter (oder später einem „white knight“) die Möglichkeit einer Due-Diligence-Prüfung einräumt7, es sei denn, außergewöhnliche Um1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40. Siehe auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 123; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 102; Kocher/Widder, CFL 2011, 89; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 40; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 23, 52; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 116; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 63. Ablehnend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 81. 2 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 59. 3 Siehe dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 35. 4 Brandi/Süßmann, AG 2004, 652; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rz. 301; Eichner, S. 169; Gunßer, S. 135; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 41; Pfüller in Fuchs, § 15 WpHG Rz. 196; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 54; Versteegen in KölnKomm. WpHG, § 15 Rz. 134. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 82. 5 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63. 6 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63. 7 Zur insiderrechtlichen Behandlung von Due-Diligence-Prüfungen im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen siehe Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 113. Speziell im Hinblick auf die Ad hoc-Publizität siehe etwa Brandi/Süßmann, AG 2004, 655; Geibel/Schäfer in Schäfer/Hamann, § 15 WpHG Rz. 96; Hemeling, ZHR 169 (2005), 285; Zimmer/Kruse in Schwark/Zimmer, § 15 WpHG Rz. 42.
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stände sprechen dafür, dass diese Maßnahme bereits eine konkrete und kursrelevante Information im Hinblick auf die Angebotsabgabe darstellt1. Dagegen kann der Abschluss eines „Letter of Intent“, in dem bereits Eckpunkte eines Angebots, eines zukünftigen Vorgehens des Bieters nach einem erfolgreichen Angebot oder die Haltung des Managements der Zielgesellschaft zu einem Angebot festgeschrieben werden, eine Insiderinformation sowohl im Hinblick auf die Bietergesellschaft wie die Zielgesellschaft darstellen2. Vereinbarungen zwischen Bieter und Zielgesellschaft auf Vorstandsebene, die keiner Zustimmung der Aufsichtsräte der Beteiligten bedürfen, sind ad hoc-publizitätspflichtig, wenn sie als kurserheblich anzusehen sind; für zustimmungsbedürftige Vereinbarungen gelten die Regeln über mehrstufige Entscheidungsprozesse3. Entsprechendes gilt für Pflichtangebote nach §§ 35 ff. Zwar erklärt § 35 Abs. 1 Satz 4 im Hinblick auf die sich aus § 35 Abs. 1 Satz 1 ergebende Verpflichtung, die Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft zu veröffentlichen, u.a. § 10 Abs. 6 für anwendbar, doch wird dadurch die Pflicht zur Ad hoc-Publizität nach § 15 WpHG nur in dem Umfange verdrängt, als es um die Veröffentlichung der Kontrollerlangung geht. Vor oder nach derselben eingetretene Ereignisse sind, soweit kurserheblich und den Bieter als Emittenten betreffend, ganz unabhängig von anderweitigen übernahmerechtlichen Veröffentlichungs- und Meldepflichten gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu veröffentlichen. Ein Aufschub der Veröffentlichung ist auch hier nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG möglich. 80
Für die Zielgesellschaft wurde bis zur Änderung des § 15 WpHG durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) vom 28.10.20014 eine Verpflichtung zur Ad hocVeröffentlichung ihr bekannt gewordener Informationen über die bevorstehende Abgabe von Wertpapiererwerbs-, Übernahme- und Pflichtangeboten ganz überwiegend verneint5. Das hierfür ausschlaggebende Argument, eine diesbezügliche Information betreffe kein im Tätigkeitsbereich der Zielgesellschaft als Emittentin eingetretenes Ereignis, ist seit der Neufassung des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG durch das AnSVG nicht mehr aufrecht zu erhalten6: Die bevorstehende Abgabe eines Wertpapiererwerbs-, Übernahme- oder Pflichtangebots (für Letzteres gilt § 10 Abs. 6 gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 entsprechend), ist ein Sachverhalt, der zwar nicht im Tätigkeitsbereich der Ziel1 Zu solchen Umständen (etwa der Durchführung einer bloßen „confirmatory due diligence“) Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 10 Rz. 40; vgl. auch Brandi/Süßmann, AG 2004, 655. A.A. Pfüller in Fuchs, § 15 WpHG Rz. 201, der der Einräumung einer Due Diligence bereits als solcher („Vorbereitungshandlung“) Kursrelevanz zusprechen will. 2 Ähnlich BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63/64; Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 10 Rz. 41; Gunßer, S. 112; Hopt in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rz. 92; Veith, NZG 2005, 255. 3 Siehe Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 60, 75. Undifferenziert Geibel/Schäfer in Schäfer/Hamann, § 15 WpHG Rz. 93, die eine Verpflichtung zur Ad hocMitteilung „in der Regel bereits mit Abschluss der entsprechenden Vereinbarungen auf Vorstandsebene“ annehmen (Hervorh. hinzugefügt). 4 BGBl. I 2004, 2630. 5 Siehe Assmann/Kümpel in Assmann/Uwe H. Schneider, 3. Aufl. 2003, § 15 WpHG Rz. 46 m.w.N. in Fn. 1 S. 405. 6 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 71, 77; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 103; Hopt in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rz. 92; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 43; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 115, 118; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 89 f.; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 64. Implizit auch Begr. RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 1, 35 („Übermittlung eines Übernahmeangebots im Sinne des § 29 Abs. 1 Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetzes durch eine andere Gesellschaft“ als ein „von außen“ kommender, jedoch den Emittenten dennoch unmittelbar betreffender Umstand).
262 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
gesellschaft eingetreten sein mag, der sie aber jedenfalls unmittelbar betrifft1. Damit besteht auch für eine Differenzierung zwischen „feindlichen“ Übernahmeangeboten, bei denen eine Mitwirkung der Zielgesellschaft per definitionem ausgeschlossen ist und folglich auch keinen selbständigen Informationsgegenstand bilden kann, und freundlichen Übernahmeangeboten, bei denen eine solche eigenständige Veröffentlichungspflichten auslösende Mitwirkung angenommen werden kann, kein Bedarf mehr2. § 10 Abs. 6 gibt weder dem Wortlaut noch dem Rechtsgedanken nach Grund für die Annahme, eine Ad hoc-Publizitätspflicht der Zielgesellschaft in Bezug auf die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Übernahmeangebots entfalle bis zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung durch den Bieter3, doch ist hier stets zweierlei zu erwägen: zum einen, ob die Zielgesellschaft angesichts der ausbleibenden Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 noch Anlass für die Annahme hat, der Bieter habe (ohne seinen Entscheidung revidiert zu haben) tatsächlich eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots getroffen und sie verfüge (nach wie vor) über eine entsprechende Insiderinformation; zum anderen, ob im Hinblick auf die Veröffentlichung einer möglicherweise „unwahren“ Information (i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 2 WpHG) ein Grund für die Aussetzung der Ad hoc-Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG i.V.m. § 6 WpAIV gegeben ist4. In diesem Zusammenhang ist gegenüber der Annahme, bereits die Aufnahme von Übernahmeverhandlungen zwischen Bieter und Zielgesellschaft oder von „einvernehmlichen Übernahmegesprächen“5 stelle eine Insiderinformation dar6, deren Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 WpHG nur im Wege einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG i.V.m. § 6 Satz 2 Nr. 1 WpAIV abgewendet werden könne, Vorsicht angebracht, denn allein die Aufnahme solcher Gespräche stellt noch keine Insiderinformation dar7. Um eine solche würde 1 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpÜG Rz. 71; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 50, 58; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 118. 2 Auch Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 10 Rz. 30; Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 132; Gunßer, S. 141. Zu dieser Differenzierung unter dem alten Recht vgl., jeweils m.w.N., Brandi/Süßmann, AG 2004, 655; Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 934. 3 Für eine solche Aussetzung der Ad hoc-Publizitätspflicht Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 99; Hopt, ZGR 2002, 333, 345 ff.; von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 730. Wie hier ablehnend Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 133. Dagegen etwa Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 616. 4 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 64: „Um im Falle laufender Verhandlungen zu verhindern, dass Insiderinformationen gemäß § 15 WpHG unverzüglich bekannt gemacht werden müssen, besteht für die beteiligten Verhandlungspartner die Möglichkeit einer Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG, soweit deren Voraussetzungen gegeben sind. Das berechtigte Interesse auf Seiten des als Bieter auftretenden Emittenten für eine solche Befreiung ist regelmäßig anzunehmen, wenn durch die frühzeitige Veröffentlichung der Information eine für die Bietergesellschaft nicht akzeptable Preisveränderung oder gar ein Scheitern der Transaktion zu befürchten ist.“ 5 So, vermutlich einschränkend gemeint, Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 237. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 103; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 237; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 93. Der vielfach fälschlich zum Beleg für diese Ansicht angeführte Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 135, weist lediglich darauf hin, „das Führen von Übernahmegesprächen“ könne eine Insiderinformation darstellen, sieht in solchen Gesprächen also nicht per se eine Insiderinformation. Auch die Berufung auf Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 60, ist verfehlt, da sich dort keine entsprechenden Hinweise finden. Nicht anders verhält es sich mit der Berufung auf die Ausführungen der BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63, die für die Auffassung, für die sie zitiert werden, nichts hergeben. Siehe dazu auch im Folgenden. 7 So auch BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63 („Bei der Bietergesellschaft ist die interne Entscheidung, mit einer potenziellen Zielgesellschaft Vorgespräche aufzunehmen, grundsätzlich noch keine Insiderinformation. Gleiches gilt für die umgekehrte Situation. Dieser
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§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
es sich bei diesem Umstand vielmehr gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG erst dann handeln, wenn – jenseits bloßer Vorbereitungshandlungen1 – aufgrund weiterer Umstände2 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass diese Verhandlungen zur Entscheidung für die Abgabe eines Angebots führen könnten. Auch „bei einer feindlichen Übernahme“ ist hinsichtlich der Aussage Vorsicht geboten, die „Ankündigung gegenüber der Zielgesellschaft, dass in Kürze ein öffentliches Angebot unterbreitet“ werde, könne „für die Zielgesellschaft bei entsprechender Preisrelevanz eine ad hoc-publizitätspflichtige Insiderinformation darstellen“3, denn hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn die Abgabe eines „feindlichen“ Angebots den Umständen nach als hinreichend wahrscheinlich erscheint und nicht etwa, weil solche Vorankündigungen in hohem Maße unwahrscheinlich sind, als bloßes Verhandlungsangebot zu deuten ist. Da die Zielgesellschaft, anders als nach dem bis zur Änderung durch das AnSVG geltenden Recht4, auch durch Kontrollerwerbsvorgänge i.S.v. § 35 unmittelbar betroffen ist5, können auch damit im Zusammenhang stehende Vorgänge die unmittelbare Betroffenheit der Zielgesellschaft begründen und eine Pflicht zur Ad hoc-Publizität auslösen. Vielfach wird eine Pflicht der Zielgesellschaft aber schon deshalb entfallen, weil der Bieter den zu einem Pflichtangebot führenden Vorgang bereits seinerseits nach § 35 Abs. 1 Satz 1 öffentlich gemacht hat. Doch gibt es auch andere Konstellationen: Konnte das OLG Schleswig6 unter Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG in seiner Fassung vor dem AnSVG noch zutreffend zu der Ansicht gelangen, in der Absicht eines Dritten (d.h. des Bieters), nach § 37 Abs. 1 einen Antrag auf Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots zu stellen, sei keine Tatsache zu sehen, die in die „unternehmerische Sphäre“ des Emittenten (d.h. der Zielgesellschaft) falle und damit in dessen Tätigkeitsbereich eingetreten sei, lässt sich dieses Urteil unter § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG in seiner durch das AnSVG geänderten Fassung nicht mehr aufrechterhalten. Entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer Ad hoc-Publizitätspflicht ist auch in diesem Falle nur
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Entschluss ist grundsätzlich noch nicht hinreichend konkret, so dass eine Insiderinformation noch nicht angenommen werden kann … Gleiches gilt für Vorgespräche des potenziellen Bieters mit der Zielgesellschaft oder Aktionären der Zielgesellschaft, selbst wenn bereits ein Non-Disclosure-Agreement abgeschlossen wurde“); Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 44. BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63, als solche die bloße „Beauftragung von Beratern (z.B. von Rechtsanwälten, Banken, Unternehmensberatern)“ und „sogenannte nicht bindende Angebotsschreiben (non binding indicative offer letter)“ anführend. BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 63 f.: „Eine Insiderinformation entsteht grundsätzlich erst dann, wenn aus Sicht eines verständigen Anlegers eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen der betreffenden Transaktion besteht und dies einschließlich der Aussicht auf eine etwa zu erwartende Gegenleistung (z.B. Prämie) eine Insiderinformation begründen kann. Dabei sind bereits „eingepreiste“ Nachrichten, Gerüchte oder Übernahmefantasien zu berücksichtigen. In den Fällen, in denen jeweils nur eine Bieter- und Zielgesellschaft an den Übernahmeverhandlungen beteiligt ist oder einem Verhandlungspartner Exklusivität zugestanden wurde, ist daher, z.B. bei dem Abschluss eines Letter of Intent mit typischem Inhalt (z.B. Vereinbarung der Eckpunkte des künftigen Vertrags, Preisspanne) oder einer anderen Vereinbarung, in der sich der ernsthafte Einigungswille der Verhandlungspartner manifestiert, zu prüfen, ob damit nicht bereits eine Insiderinformation vorliegt.“ BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, S. 64. Siehe Brandi/Süßmann, AG 2004, 653; siehe auch die Erläuterung bei Krause/Pötzsch unten § 35 Rz. 182. Siehe speziell zum Kontrollerwerb als Auslöser eines Pflichtangebots Brandi/Süßmann, AG 2004, 653; Krause/Pötzsch unten § 35 Rz. 183. OLG Schleswig v. 16.12.2004 – 5 U 50/04, AG 2005, 212, 213.
264 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
noch die Kurserheblichkeit der diesbezüglichen Information im Hinblick auf die Wertpapiere der Zielgesellschaft.
J. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen I. Ordnungswidrigkeitsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen Der Bieter handelt ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig
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– entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 die Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. a; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 10 Abs. 2 Satz 1 den in dieser Vorschrift genannten Stellen seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig mitteilt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 500 000 Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 10 Abs. 3 Satz 3 vor der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots diese in anderer Weise als nach § 10 Abs. 3 Satz 1 vorgeschrieben vornimmt (§ 60 Abs. 1 Nr. 3; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 10 Abs. 4 Satz 1 den in dieser Bestimmung angeführten Stellen den Beleg der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1) nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übersendet (§ 60 Abs. 1 Nr. 4; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 500 000 Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 10 Abs. 5 Satz 1 dem Vorstand der Zielgesellschaft seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig mitteilt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. b; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3). Vorsatz bedeutet „Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden 81a objektiven Merkmale“ (siehe im Einzelnen § 60 Rz. 13). Leichtfertigkeit ist „qualifizierte Fahrlässigkeit“ (§ 60 Rz. 15), d.h. sie stellt einen „erhöhten Grad von Fahrlässigkeit“ dar, vergleichbar der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht1. Sie ist gegeben, wenn eine ungewöhnlich grobe Pflichtwidrigkeit vorliegt, etwa, weil ganz naheliegende Überlegungen verabsäumt werden oder unbeachtet gelassen werden, was jedem einleuchten muss2. So soll der Vorstand einer Aktiengesellschaft leichtfertig handeln, wenn er ohne Einholung von Rechtsrat ein öffentliches Kaufangebot für Aktien, deren Preisfeststellung von der Börse lediglich ausgesetzt wurde, unter Verletzung der Veröffentlichungs- und Gestattungspflichten nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 14 Abs. 2 Satz 2 bekannt gibt, weil er fälschlich davon ausgeht, bereits die Aussetzung des Börsenhandels führe zu einer Beendigung der Börsenzulassung3. 1 Im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670. Siehe auch § 60 Rz. 15. 2 Etwa BGH v. 13.4.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240; OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670, m.w.N. 3 OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670.
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Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
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Nimmt der Bieter eine Veröffentlichung über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3 vor, verfolgt er dieses jedoch nicht weiter und unterlässt er diesem Plan entsprechend die Fortsetzung des Verfahrens durch Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 Satz 1, so handelt der Bieter nach hier vertretener Ansicht (siehe oben Rz. 52) nicht ordnungswidrig i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a): Diese Vorschrift ist weder zur Erzwingung des Fortgangs eines Angebotsverfahrens noch zur Sanktionierung von Scheinangeboten gedacht und ist dementsprechend teleologisch auf den Fall zu reduzieren, dass der Bieter sein Angebot unter Missachtung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 weiter verfolgt.
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Nicht ausgeschlossen ist, dass der Bieter, vorbehaltlich der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen im Übrigen, etwa durch falsche Angaben in einer Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 oder durch das Vortäuschen einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots im Wege einer Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1, gegen das Verbot der Marktsmanipulation nach § 20a WpHG verstößt und damit ordnungswidrig handelt (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WpHG; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro, § 39 Abs. 4 WpHG). Dagegen kommt in diesen Fällen Betrug (§ 263 StGB), abgesehen von den Schwierigkeiten beim Nachweis der Tathandlung und des subjektiven Tatbestands dieses Delikts, regelmäßig schon deshalb nicht in Betracht, weil der Täuschende den möglichen Vorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Getäuschten (sog. Stoffgleichheit1) erlangt.
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Als Vorstand der Zielgesellschaft handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 10 Abs. 5 Satz 2 den zuständigen Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig über die Mitteilung des Bieters nach § 10 Abs. 5 Satz 1 unterrichtet (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. b); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3).
II. Zivilrechtliche Rechtsfolgen 1. Pflichtverletzungen des Bieters 85
Zivilrechtliche Rechtsfolgen wegen der Verletzung der in § 10 statuierten Bieterpflichten sieht die Vorschrift nicht vor, schließt sie allerdings auch nicht aus, wenn sie sich aus anderen Rechtsgrundlagen ergeben. Dass es in § 10, anders als etwa bei § 15 Abs. 6 WpHG für die Ad hoc-Publizitätspflicht, an einer solchen Feststellung fehlt, steht dem nicht entgegen, denn anders als bei § 15 WpHG hat der Gesetzgeber die Annahme, die Verletzung der Verhaltenspflichten aus § 10 könne überhaupt zur Grundlage von Schadensersatzansprüchen werden, ganz offenbar – und ohne dass ihm dies einer ausdrücklichen Anordnung wert erschien – ausgeschlossen (siehe dazu unten Rz. 86). Dementsprechend bestand auch kein Anlass, Schadensersatzansprüche aus anderweitigen Rechtsgrundlagen für „unberührt“ zu erklären. Dessen ungeachtet hält ein Teil des Schrifttums §§ 37b, 37c WpHG, die eine Haftung für unterlassene bzw. unrichtige Ad hoc-Meldungen begründen, für direkt2 oder analog3 an1 Siehe dazu im Einzelnen Cramer/Perron in Schönke/Schröder, 28. Aufl. 2010, § 263 StGB Rz. 168. 2 So wohl, ohne nähere Begründung, Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 46; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 48, unter Verweis auf Hirte. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 121, mit dem Argument, bei der Veröffentlichungspflicht nach § 10 handele es sich um einen Spezialfall von § 15 WpHG.
266 Assmann
§ 10
Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
wendbar. Dem ist aber nicht zu folgen, weil § 10 Abs. 1 Satz 1 die Veröffentlichung der Entscheidung ganz unabhängig von der Kursrelevanz dieser Tatsache statuiert1 und als angebotsverfahrensrechtlicher Schritt einer eigenständigen Haftungsbewehrung als Ordnungswidrigkeit unterliegt2. Die naheliegendste anderweitige Rechtsgrundlage wäre § 823 Abs. 2 BGB, demzufol- 86 ge der Bieter für eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten aus § 10 auf Schadensersatz haftete, würde es sich bei dieser Vorschrift um ein Schutzgesetz i.S. dieser Vorschrift handeln. Für eine solche Annahme besteht indes nach nahezu einhelliger Ansicht kein Anlass3. In der Tat bezwecken die Verhaltenspflichten des Bieters aus § 10 nicht den Schutz einer speziellen Gruppe von Marktteilnehmern, sondern haben ganz allgemein die frühzeitige Information der Öffentlichkeit über marktrelevante Daten sowie damit verbundene Seiteneffekte, wie die Verhinderung von Insidergeschäften, kurz: die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts, zum Ziel4. Gleiches gilt für den Fall, dass das Verhalten des Bieters nicht nur gegen § 10, sondern auch gegen § 20a WpHG (Verbot der Marktmanipulation) verstößt, denn auch bei dieser Norm handelt es sich, wie schon bei dem von ihr abgelösten § 88 BörsG (a.F.)5, nicht um ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB6. Außer Frage steht dagegen, dass Verstöße gegen § 10, die darüber hinaus in der Ab- 87 sicht der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung Dritter vorgenommen werden, zum Schadensersatz nach § 826 BGB führen können, wenngleich diesbezüglich regelmäßig die Hürde zu überwinden ist, dass der (zumindest bedingte) Vorsatz des Bieters auch die Schadensfolgen umfassen muss und eine nur allgemeine Vorstellung über die mögliche Schädigung Dritter nicht ausreicht7. 1 Die Behauptung, in § 10 werde die Kursrelevanz der zu veröffentlichenden Entscheidung „unwiderleglich vermutet“ – so Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 726; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 27; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 5 –, ist eine logisch nicht haltbare Schlussfolgerung aus der Deutung der angebotsverfahrensrechtlich motivierten Regelung des § 10 als lex specialis zu § 15 WpHG. 2 Ablehnend auch Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. C 311. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 136; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 86; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 88; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 120; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 10 Rz. 3, 68. I.E. auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 48. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 10 Rz. 100. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39 (auch S. 28 f.). 5 BVerfG v. 24.9.2002 – 2 BvR 742/02, ZIP 2002, 1986, 1988; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, BGHZ 160, 134, 139 ff. = ZIP 2004, 1599; OLG München v. 1.10.2002 – 30 U 855/01, ZIP 2002, 1989, 1991 ff. Anders, soweit ersichtlich, allein das durch die vorstehend angeführte Entscheidung des OLG München aufgehobene Urteil des LG Augsburg v. 24.9.2001 – 3 O 4995/00, WM 2001, 1944, 1945. Aus dem Schrifttum etwa Barnert, WM 2002, 1473, 1474 f.; Groß, WM 2002, 477, 484; Riekers, BB 2002, 1213, 1215; Rössner/Worms in Assmann/ Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 9 Rz. 8; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, § 88 BörsG Rz. 1; Thümmel, DB 2001, 2331, 2332 f.; Weber, NZG 2000, 113, 114. A.A. Möllers/Leisch, BKR 2001, 78, 82 f.; Rodewald/ Siems, BB 2001, 2437, 2439. 6 BGH v. 13.12.2011 – XI ZR 51/10 – IKB, AG 2012, 209 (Ls. 1), 211 m.w.N. Aus dem Schrifttum etwa Fleischer in Fuchs, § 20a WpHG Rz. 154; Schwark in Schwark/Zimmer, § 20a WpHG Rz. 7; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, § 20a WpHG Rz. 31. A.A. Altenhain, BB 2002, 1874, 1875; Ekkenga, ZIP 2004, 781, 792; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 46; Lenzen, ZBB 2002, 279, 284; Mock/Stoll/Eufinger in KölnKomm. WpHG, § 20a Rz. 427; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 143 f. 7 Vgl. statt vieler Thomas in Palandt, § 826 BGB Rz. 10 m.w.N.; Schaub in Prütting/Wegen/ Weinreich, 7. Aufl. 2012, § 826 BGB Rz. 8.
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§ 11
Angebotsunterlage
2. Pflichtverletzungen des Vorstands der Zielgesellschaft 88
Verletzt der Vorstand der Zielgesellschaft seine Pflicht aus § 10 Abs. 5 Satz 2 zur Unterrichtung des zuständigen Betriebsrats oder, sofern ein solcher nicht besteht, der Arbeitnehmer, so kann dies zwar eine Ordnungswidrigkeit darstellen (siehe oben Rz. 84), doch ist eine solche Pflichtverletzung in der Regel nicht geeignet, einen ersatzfähigen Schaden eines Dritten auszulösen. Dessen ungeachtet kann § 10 Abs. 5 Satz 2 (nicht anders als § 10 in seiner Gesamtheit, siehe oben Rz. 86) auch nicht als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB betrachtet werden1. Schadensersatzansprüche der Zielgesellschaft nach § 93 Abs. 2 AktG sind grundsätzlich möglich, werden aber durchweg ebenfalls schon daran scheitern, dass eine Handlung, die auch gegen § 10 Abs. 5 Satz 2 verstößt, i.d.R. keinen ersatzfähigen Schaden der Zielgesellschaft auszulösen vermag.
§ 11 Angebotsunterlage (1) Der Bieter hat eine Unterlage über das Angebot (Angebotsunterlage) zu erstellen und zu veröffentlichen. Die Angebotsunterlage muss die Angaben enthalten, die notwendig sind, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. Die Angaben müssen richtig und vollständig sein. Die Angebotsunterlage ist in deutscher Sprache und in einer Form abzufassen, die ihr Verständnis und ihre Auswertung erleichtert. Sie ist von dem Bieter zu unterzeichnen. (2) Die Angebotsunterlage hat den Inhalt des Angebots und ergänzende Angaben zu enthalten. Angaben über den Inhalt des Angebots sind 1.
Name oder Firma und Anschrift oder Sitz sowie, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, die Rechtsform des Bieters,
2.
Firma, Sitz und Rechtsform der Zielgesellschaft,
3.
die Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind,
4.
Art und Höhe der für die Wertpapiere der Zielgesellschaft gebotenen Gegenleistung,
4a. die Höhe der für den Entzug von Rechten gebotenen Entschädigung nach § 33b Abs. 4, 5.
die Bedingungen, von denen die Wirksamkeit des Angebots abhängt,
6.
der Beginn und das Ende der Annahmefrist.
Ergänzende Angaben sind 1. Angaben zu den notwendigen Maßnahmen, die sicherstellen, dass dem Bieter die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, und zu den erwarteten Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters, 2. Angaben über die Absichten des Bieters im Hinblick auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft sowie, soweit von dem Angebot betroffen, des Bieters, insbesondere den Sitz und den Standort wesentlicher Unternehmensteile, die Verwendung des Vermögens, künftige Verpflichtungen, die Arbeitnehmer und de1 Ebenso Grobys in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 145.
268 Meyer
§ 11
Angebotsunterlage
ren Vertretungen, die Mitglieder der Geschäftsführungsorgane und wesentliche Änderungen der Beschäftigungsbedingungen einschließlich der insoweit vorgesehenen Maßnahmen, 3. Angaben über Geldleistungen oder andere geldwerte Vorteile, die Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft gewährt oder in Aussicht gestellt werden, 4. die Bestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 unter Angabe von Firma, Sitz und Rechtsform des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. (3) Die Angebotsunterlage muss Namen und Anschrift, bei juristischen Personen oder Gesellschaften Firma, Sitz und Rechtsform, der Personen oder Gesellschaften aufführen, die für den Inhalt der Angebotsunterlage die Verantwortung übernehmen; sie muss eine Erklärung dieser Personen oder Gesellschaften enthalten, dass ihres Wissens die Angaben richtig und keine wesentlichen Umstände ausgelassen sind. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, 1. nähere Bestimmungen über die Gestaltung und die in die Angebotsunterlage aufzunehmenden Angaben erlassen und 2. weitere ergänzende Angaben vorschreiben, soweit dies notwendig ist, um den Empfängern des Angebots ein zutreffendes und vollständiges Urteil über den Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen und das Angebot zu ermöglichen. (5) Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung nach Absatz 4 durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsinhalt (Übersicht) . . . . 2. Gegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2 3 5 8
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
10
1. Begriff, Funktion und Rechtsnatur . a) Bindendes Angebot . . . . . . . . . . . . b) Kein Zugangserfordernis . . . . . . . c) Qualifizierung des Angebots als AGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erwerbsprospekt . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Veröffentlichung . . . . . . . . . . . .
16 20 24 27 36 38
II. Allgemeine inhaltliche und formale Anforderungen (§ 11 Abs. 1 Sätze 2 bis 5). . . . . . . . . . . . . . 40
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
B. Allgemeine Grundsätze über die Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 1). . . .
16
1. Generalklausel: entscheidungsrelevante Umstände (§ 11 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richtigkeit, Vollständigkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 3). . . . . . . . . . . . . . . 3. Sprache, Verständlichkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 4). . . . . . . . . . . . . . . a) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verständlichkeit, Transparenz . . 4. Unterzeichnung durch den Bieter (§ 11 Abs. 1 Satz 5). . . . . . . . . . . . . . .
16
C. Angebotsinhalt und ergänzende Angaben (§ 11 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . 65
1. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . 2. City Code des Vereinigten Königreichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Österreichisches Übernahmegesetz 4. Regelung in der Schweiz. . . . . . . . . .
I. Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung (§ 11 Abs. 1 Satz 1) . .
10 11 13 14
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40 42 52 53 58 60
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§ 11
Angebotsunterlage
I. Kategorien von Angaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
II. Angebotsinhalt (§ 11 Abs. 2 Satz 2) .
67
1. Identifikation des Bieters (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) . . . . . . . . . . 2. Identifikation der Zielgesellschaft (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . 3. Bezeichnung der Wertpapiere (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Von Dritten ausgegebene Wertpapiere (Umtauschanleihen, Optionsscheine auf Aktien der Zielgesellschaft), von einer Zielgesellschaft mittelbar ausgegebene Wandelschuldverschreibungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenleistung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entschädigung für den Entzug von Rechten (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedingungen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Annahmefrist (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergänzende Angaben (§ 11 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelbeschaffung, Auswirkungen auf den Bieter (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 69 70 70
71 77
80 81
a) Mittelbeschaffung . . . . . . . . . . . . . aa) Barangebote . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aktienangebote . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen auf den Bieter . . . 2. Absichten des Bieters (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft und des Bieters . aa) Sitz und Standort wesentlicher Unternehmensteile . . . . bb) Verwendung des Vermögens . cc) Künftige Verpflichtungen . . . dd) Arbeitnehmer und deren Vertretung, wesentliche Änderungen der Beschäftigungsbedingungen und insoweit vorgesehene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . ee) Mitglieder der Geschäftsführungsorgane . . . . . . . . . . . . 3. Leistungen an Organmitglieder der Zielgesellschaft (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Finanzierungsbestätigung (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4). . . . . . . . . .
90 95 102 103 109 109 111 115 116 117
118 120
122 126
87
D. Übernahme der Verantwortung (§ 11 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
90
E. Rechtsverordnungen (§ 11 Abs. 4) . . 134 F. Übertragung der Verordnungsermächtigung (§ 11 Abs. 5) . . . . . . . . 135
90
G. Freiwillige Angaben . . . . . . . . . . . . . 136
Schrifttum: Aha, Rechtsschutz der Zielgesellschaft bei mangelhaften Übernahmeangeboten, AG 2002, 160; Assmann, Die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 WpÜG, AG 2002, 153; Berger/Filgut, Material-Adverse-Change-Klauseln in Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten, WM 2005, 253; Berrar, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 WpÜG, ZBB 2002, 174; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Busch, Die Frist für den Bedingungsverzicht gemäß § 21 Abs. 1 WpÜG, ZIP 2003, 102; Diregger/Winner, Deutsches und österreichisches Übernahmerecht aus Anlegersicht, WM 2002, 1583; Gericke/Wiedmer, Kommentar Übernahmeverordnung (UEV), 2011; Grobys, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, NZA 2002, 1; Hahn, Übernahmerecht und Internationales Privatrecht, RIW 2002, 741; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG – Ein praxisorientierter Überblick, ZIP 2001, 2249; von Hein, Grundfragen des europäischen Übernahmekollisionsrechts, AG 2001, 213; Holzborn, Die gebundenen Ausnahmen der Zurechnung nach dem WpÜG, WM 2002, 948; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hopt/Mülbert/Kumpan, Reformbedarf im Übernahmerecht, AG 2005, 109; Köck in A Practitioner’s Guide to Takeovers and Mergers in the European Union, 5th ed. 2008 (City Financial Publishing); Krause, BB-Europareport: Die EU-Übernahmerichtlinie – Anpassungsbedarf im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2004, 113; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Lenz/Linke, Die Handhabung des WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie, AG 2004, 221; Möllers, Verfahren, Pflichten und Haftung, insbesondere der Banken, bei Übernahmeangeboten, ZGR 2002, 664; Mülbert, Umsetzungsfragen der Übernahmerichtlinie – erheblicher Änderungsbedarf bei den heutigen Vorschriften des WpÜG, NZG 2004, 633; Pfüller/
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§ 11
Angebotsunterlage
Detweiler, Die Haftung der Banken bei öffentlichen Übernahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), BKR 2004, 383; Pötzsch, Das neue Übernahmerecht, 2002; Santelmann, Notwendige Mindesterwerbsschwellen bei Übernahmeangeboten, AG 2002, 497; Seibt, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, DB 2002, 529; Singhof/Weber, Bestätigung der Finanzierungsmaßnahmen und Barabfindungsgewährleistung nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, WM 2002, 1158; Stephan, Angebotsaktualisierung, AG 2003, 551; Tschäni/Iffland/Diem, Öffentliche Kaufangebote, 2. Aufl. 2010; Vaupel, Die Haftung der Banken für die Richtigkeit der Angebotsunterlage bei Umtauschangeboten nach dem WpÜG, WM 2002, 1170; Vogel, Finanzierung von Übernahmeangeboten – Testat und Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nach § 13 WpÜG, ZIP 2002, 1421; Weinberg, Weinberg and Blank on Takeovers and Mergers, 5th ed. 2011.
A. Grundlagen § 11 und die auf § 11 Abs. 4 beruhende WpÜG-Angebotsverordnung (siehe dazu die 1 Kommentierung zu § 2 WpÜG-AngVO, S. 1613) regeln Inhalt und Form der Angebotsunterlage. Diese muss das Angebot und die für dessen Beurteilung relevanten ergänzenden Informationen enthalten. Sie ist das für ein Angebot (§ 2 Abs. 1) zentrale und maßgebliche öffentliche Dokument1 und bildet „den Kern der auf die Herstellung von Transparenz zum Schutz der Aktionäre abzielenden gesetzlichen Regelung“2.
I. Normzweck 1. Überblick a) Grundgedanke Die Angebotsunterlage ist, wie bereits erwähnt, das für ein öffentliches Erwerbsangebot zentrale Dokument, in dem der Inhalt des Angebots und die für die Entscheidung über dessen Annahme wesentlichen Informationen wiederzugeben sind.
2
b) Regelungsinhalt (Übersicht) § 11 Abs. 1 Satz 1 enthält die gesetzliche Definition der Angebotsunterlage. Die Defi- 3 nition dient in erster Linie einem redaktionellen Zweck, indem sie diesen Begriff in die Terminologie des Gesetzes einführt3. § 11 enthält im Übrigen Vorschriften über den Gegenstand und, in Absatz 1 Satz 4 und 5 sowie Absatz 4 Nr. 1, die Sprache und Form der Angebotsunterlage. § 11 Abs. 1 Satz 2 bestimmt im Sinne einer Generalklausel, dass die Angebotsunter- 4 lage diejenigen Angaben enthalten muss, die für den Adressaten des Angebots potenziell entscheidungsrelevant sind; nach § 11 Abs. 1 Satz 3 müssen diese Angaben richtig und vollständig sein. In § 11 Abs. 2 und 3 und in § 2 WpÜG-AngVO werden die erforderlichen Angaben im Einzelnen aufgeführt. § 11 Abs. 4 und 5 enthalten die Ermächtigung an das Bundesministerium der Finanzen, ergänzend Verordnungen zu erlassen und diese Ermächtigung auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachstehend Bundesanstalt oder BaFin) zu delegieren.
1 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 402 f. 2 Krause, NJW 2002, 705, 708. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 19.
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271
§ 11
Angebotsunterlage
2. Gegenstand 5
Die Angebotsunterlage (nachstehend auch kurz Unterlage genannt) enthält das eigentliche Angebot. Dieses wird, abgesehen von den beschränkten Änderungsmöglichkeiten nach § 21 und etwaigen Bedingungen (vgl. §§ 18, 25), durch die Veröffentlichung der Angebotsunterlage endgültig und bindend. Die dieser Veröffentlichung vorausgehenden Maßnahmen bereiten das Angebot lediglich vor; sie bewirken noch keine Bindung des Bieters. Zu nennen sind hier vornehmlich die nach § 10 vorgeschriebenen Benachrichtigungen über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots. Dazu gehören vor allem die Mitteilung dieser Entscheidung an die Geschäftsführungen der in § 10 Abs. 2 genannten Börsen und die Bundesanstalt, die Veröffentlichung dieser Entscheidung (§ 10 Abs. 1 und 3) und ihre Mitteilung an den Vorstand der Zielgesellschaft (§ 10 Abs. 5).
6
Die Maßnahmen nach § 10 bewirken noch keine Bindung des Bieters (dazu § 10 Rz. 11, 50)1. Vereinzelt wird zwar aus der Pflicht des Bieters nach § 14 Abs. 1 Satz 1, binnen vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung nach § 10 Abs. 1 und 3 die Angebotsunterlage zu übermitteln, seine Verpflichtung zur Durchführung des Angebots abgeleitet2. Die überwiegende Auffassung lehnt dies jedoch ab3. Denn erst mit der Angebotsunterlage liegt ein zivilrechtlich bindendes Angebot vor, das die Aktionäre der Zielgesellschaft annehmen können; die Veröffentlichung nach § 10 gibt die notwendigen Einzelheiten des Angebots, darunter die Gegenleistung des Bieters, dagegen noch nicht an.
7
Anders ist die Rechtslage unter dem britischen City Code on Takeovers and Mergers4. Rule 2.7(c)(i) des Code bestimmt, dass die Erklärung der festen Absicht, ein Angebot abzugeben, bereits den Inhalt des Angebots (terms of the offer) enthalten muss; diese Erklärung begründet die grundsätzliche Pflicht, das Angebot durchzuführen (Rule 2.7(b)). 3. Zweck
8
Zweck der Vorschriften über die Angebotsunterlage ist es, ein transparentes und vollständiges Angebot sicherzustellen. Dazu gehören Informationen sowohl über den Inhalt des Angebots als auch über wesentliche Begleitumstände, einschließlich der mit dem Angebot verfolgten Ziele (vgl. § 11 Abs. 2). Die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft sollen, wie es in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung heißt5, eine hinreichende Grundlage für ihre Entscheidung über die Annahme des Angebots erhalten; darüber hinaus dient die Veröffentlichung laut Regierungsbegründung auch der Unterrichtung der Öffentlichkeit und der Aufsichtsbehörde6. Auch die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft sollen über die sie berührenden Pläne und Absichten un1 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR-Beiheft 76 (2011), S. 226, 231 m.w.N. 2 Thaeter in Thaeter/Brandi, Öffentliche Übernahmen, Teil 2 Rz. 65; Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 150. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 10 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 61; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 45; Geibel in Geibel/Süßmann, § 10 Rz. 148; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 2; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 19 f. 4 Der City Code ist im Internet über die Website des Panel on Takeovers and Mergers (sog. Takeover Panel) unter http://www.thetakeoverpanel.org.uk abrufbar. 5 BT-Drucks. 14/7034, S. 28 f., 41. 6 Hierzu vgl. auch Krause, NJW 2002, 705, 708 f.; Thoma, NZG 2002, 105, 108 f.
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§ 11
Angebotsunterlage
terrichtet werden1. Seit der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie (siehe unten Rz. 10, 112) muss der Bieter sich auch zu seinen Absichten hinsichtlich seiner eigenen Geschäftstätigkeit äußern, soweit diese von dem Angebot betroffen ist. Dies dient insbesondere den Interessen der Arbeitnehmer des Bieters, die über etwaige Veränderungen ihrer Beschäftigungsbedingungen infolge des Angebotes informiert werden sollen2. § 11 ist Ausfluss des in § 3 Abs. 2 allgemein statuierten Informationsgebots. Nach einer im Schrifttum vertretenen Meinung ist auch die Zielgesellschaft in den Schutzbereich des § 11 einbezogen mit der Folge, dass sie gegen in wesentlicher Beziehung mangelhafte Übernahmeangebote verwaltungsrechtlich und zivilrechtlich vorgehen kann3. Die Vorschriften über die Angebotsunterlage reflektieren wesentliche materielle Re- 9 gelungen des Gesetzes. So tragen etwa die Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 (Angaben über Finanzierung und finanzielle Auswirkungen) den in § 13 getroffenen Regelungen über die Finanzierung Rechnung. Des Weiteren steht z.B. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 (Angaben über finanzielle Vorteile für Organmitglieder) im Zusammenhang mit dem in § 33d festgelegten Verbot, Organmitgliedern der Zielgesellschaft bestimmte ungerechtfertigte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen. Schließlich sind die Bestimmungen in § 11 Abs. 1 Satz 5 (Unterzeichnungspflicht), § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 (Wiedergabe der Finanzierungsbestätigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und Identifizierung des sie abgebenden Unternehmens) sowie § 11 Abs. 3 (Übernahme der Verantwortung für die Angebotsunterlage) im Licht der §§ 12 und 13 Abs. 2 über die Haftung für die Angebotsunterlage und die Finanzierungsbestätigung zu sehen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ist ferner über die Höhe der Entschädigung für den Entzug von Rechten Auskunft zu geben, der aufgrund sog. Durchbrechungsregel nach § 33b erfolgen kann. Diese Regelung zur Überwindung bestimmter struktureller Übernahmehindernisse kann seit Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie fakultativ durch eine ausdrückliche Satzungsbestimmung der Zielgesellschaft zur Anwendung kommen. Auch die ergänzenden Angaben nach § 2 WpÜG-AngVO haben einen Bezug zu verschiedenen – in § 2 WpÜG-AngVO genannten – materiellen Bestimmungen des Gesetzes.
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Übernahmerichtlinie 1. EU-Übernahmerichtlinie Die im Mai 2004 in Kraft getretene Richtlinie des Europäischen Parlaments und des 10 Rates betreffend Übernahmeangebote vom 21.4.2004 („Übernahmerichtlinie“)4 regelt in Art. 6 Abs. 2 und 3 das Erfordernis einer Angebotsunterlage und deren Mindestinhalt. Art. 6 Abs. 3 enthält einen detaillierten Katalog einzelner Angaben. § 11 WpÜG und § 2 WpÜG-AngVO erfüllten bereits vor der Umsetzung der Richtlinie größtenteils deren Anforderungen und mussten daher nur in wenigen Punkten ergänzt werden. So sind, wie bereits erwähnt, nunmehr auch Angaben zur Entschädigung zu 1 2 3 4
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 41. Begr. RegE Übernahmerichtlinie-UmsetzungsG, BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18. Aha, AG 2002, 160 ff.; vgl. auch Schnorbus, WM 2003, 657, 660. Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote vom 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. Zur Vorgeschichte Krause, ZGR 2002, 500 ff.; Pötzsch, Das neue Übernahmerecht, 2002, S. 58 ff., sowie zur Entwicklung bis zur endgültigen Verabschiedung Krause, BB 2004, 113; Wiesner, ZIP 2004, 343 ff.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 222; Meyer, WM 2006, 1135 f.
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Angebotsunterlage
machen, die aufgrund der – für Zielgesellschaft optionalen – sog. Europäischen Durchbrechungsregel an die Inhaber der dadurch entzogenen Rechte nach § 33b Abs. 4 zu zahlen ist1. Nach § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO muss die Angebotsunterlage jetzt auch Angaben über Personen enthalten, die gemeinsam mit der Zielgesellschaft handeln. Ferner ist nach § 2 Nr. 12 WpÜG-AngVO auch der Gerichtsstand für Streitigkeiten zwischen dem Bieter und den Aktionären der Zielgesellschaft zu nennen. 2. City Code des Vereinigten Königreichs 11
Der im Vereinigten Königreich für öffentliche Erwerbsangebote maßgebliche City Code on Takeovers and Mergers2 regelt in Rule 24 den Inhalt des „offer document“. Dieses muss innerhalb von 28 Tagen nach Erklärung der festen Absicht, ein Angebot abzugeben, veröffentlicht werden (Rule 24.1). Diese Frist ist nicht in jeder Beziehung mit der Vierwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 vergleichbar. Dies vor allem deswegen nicht, weil die Erklärung der Absicht nach Rule 2.5 ff. des City Code bereits den Angebotsinhalt spezifiziert (siehe oben Rz. 7), also typischerweise in einem späteren Stadium des Entscheidungsprozesses abgegeben wird als die – grundsätzliche, aber unter Umständen noch zu konkretisierende – Entscheidung zur Abgabe eines Angebots i.S.d. §§ 10, 14. So gesehen, ist die Vierwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 knapper bemessen als diejenige nach dem City Code.
12
Der City Code enthält im Übrigen in Section J bis Section L (Rules 23 bis 29) sehr detaillierte Anforderungen hinsichtlich der bereit zu stellenden Informationen. Diese gehen teilweise erheblich über die Erfordernisse des § 11 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO hinaus. So müssen etwa auch bei Barangeboten eingehende Angaben über die finanzielle Lage des Bieters gemacht werden (Rule 24.3)3. In bestimmten Konstellationen hat das Takeover Panel zudem Ermessen hinsichtlich der konkreten Anforderungen an die in das Offer Document aufzunehmenden Informationen und ist insoweit vorab zu konsultieren4. 3. Österreichisches Übernahmegesetz
13
Das österreichische Übernahmegesetz (ÜbG)5 regelt die Angebotsunterlage in seinem § 7. Die Bestimmung entspricht weitgehend dem § 11; Unterschiede bestehen 1 Im Einzelnen dazu und zu weiteren eher technischen Umsetzungserfordernissen im Zusammenhang mit der Angebotsunterlage Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 232; Mülbert, NZG 2004, 633, 639 ff.; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 110. 2 Der City Code ist im Internet über die Website des Panel on Takeovers and Mergers (sog. Takeover Panel) unter http://www.thetakeoverpanel.org.uk abrufbar. 3 Zu weiteren Unterschieden der britischen Regelung im Vergleich mit derjenigen nach § 11 WpÜG vgl. etwa Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 12–15; zu den Anforderungen des City Code an das Offer Document Davies in A Practitioner’s Guide to Takeovers and Mergers in the European Union, 5th ed. 2008 (City & Financial Publishing), Chapter 29; Weinberg in Weinberg and Blank on Takeovers and Mergers, 5th ed. 2011, Section 18; Maul/ Muffat-Jeandet/Simon, Takeover Bids in Europe, 5th ed. 2008, Chapter 16 Rz. 348 ff. 4 Etwa in Bezug auf die durch einen ausländischen oder nicht im Vereinigten Königreich börsennotierten Bieter zu machenden Angaben, vgl. Rule 24.3 (b) des City Code. 5 Art. 1 des Bundesgesetzes betreffend Übernahmeangebote (Übernahmegesetz-ÜbG), im Internet abrufbar über die Website der österreichischen Übernahmekommission unter http://www.takeover.at. Zum österreichischen Übernahmegesetz in seiner geltenden Fassung vgl. etwa Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Das österreichische Übernahmerecht, insbes. Rz. 61; zu den Anpassungen an die Übernahmerichtlinie Kalss in Baums/Cahn, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006, S. 39 ff.
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Angebotsunterlage
jedoch in Einzelfragen1, etwa dem Sprachenregime. Während die Angebotsunterlage auch nach dem ÜbG in deutscher Sprache zu veröffentlichen ist, können bei Tauschangeboten die Angaben zu den als Gegenleistung angebotenen Wertpapieren in englischer Sprache abgefasst werden, wie es für einen Prospekt nach österreichischem Recht gemäß § 7b KMG zulässig ist (ggf. ergänzt durch eine Zusammenfassung in deutscher Sprache)2. Aus dem Wortlaut des § 7 ÜbG ergibt sich zudem, dass die dort aufgeführten Angaben nur den Mindestinhalt der Angebotsunterlage definieren; es müssen ggf. weitere Informationen aufgenommen werden, die es dem Aktionär der Zielgesellschaft ermöglichen, seine Entscheidung in voller Kenntnis der Sachlage treffen zu können (vgl. § 3 Ziff. 2 ÜbG). Die Geschäftsstelle der österreichischen Übernahmekommission hat zudem eine Musterangebotsunterlage mit Erläuterungen herausgegeben, die Empfehlungscharakter hat und die Erstellung der Angebotsunterlage durch den Bieter wie die Prüftätigkeit der Übernahmekommission erleichtern soll3. 4. Regelung in der Schweiz Die schweizerischen Bestimmungen über Angebotsprospekte für öffentliche Erwerbs- 14 angebote haben ihre Grundlage im 5. Abschnitt (Art. 22 ff.) des BEHG4, besonders dessen Art. 24, und den dazu ergangenen Verordnungen. Hierzu gehört insbesondere die auf der Ermächtigung in Art. 28 lit. b) BEHG beruhende Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (Übernahmeverordnung, UEV) vom 21.8.2008. Sie regelt den Inhalt des Angebots in ihren Art. 17 bis 25. Art. 17 Satz 1 enthält die Generalklausel, wonach der Angebotsprospekt alle Informationen enthalten muss, die notwendig sind, damit die Empfänger des Angebots ihre Entscheidung in Kenntnis der Sachlage treffen können. Art. 19 bis 25 konkretisieren einzelne Anforderungen an den Inhalt des Angebotsprospekts5.
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote Die Bestimmungen des § 11 gelten nach §§ 34 und 39 in vollem Umfang auch für Übernahme- und Pflichtangebote im Sinne der Abschnitte 4 und 5.
1 Vgl. dazu den Überblick bei Gall in Huber (Hrsg.), 2007, § 7 ÜbG Rz. 6. 2 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Das österreichische Übernahmerecht, Rz. 143; Gall in Huber (Hrsg.), 2007, § 7 ÜbG Rz. 15, 66 unter Verweis auf den Fall UniCredito S.p.A. – Bank Austria Creditanstalt AG. 3 Richtlinien der Übernahmekommission zur Erstellung einer Angebotsunterlage gemäß § 7 ÜbG (mit Erläuterungen Dezember 2010 im Internet abrufbar über die Website der österreichischen Übernahmekommission unter http://www.takeover.at./gesetze oder http:// www.uebkom.at/takeover_new/download/Musterangebotsunterlage_2010.pdf). 4 Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel vom 24.3.1995, Bbl. II 1995, 419; das Gesetz und die dazu ergangenen Verordnungen sind im Internet abzurufen über die Website der Schweizer Übernahmekommission unter http://www.takeover.ch. 5 Ausführlich dazu Tschäni/Iffland/Diem, Öffentliche Kaufangebote, 2. Aufl. 2010, S. 175 ff.; sowie die Kommentierung zu Art. 17–25 UEV bei Gericke/Wiedmer, UEV, 2011.
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Angebotsunterlage
B. Allgemeine Grundsätze über die Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 1) I. Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung (§ 11 Abs. 1 Satz 1) 1. Begriff, Funktion und Rechtsnatur 16
„Angebotsunterlage“ ist begrifflich gleichbedeutend mit Angebotsdokument oder Angebotsschrift. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Begleitdokument zu einem anderweitig mündlich oder schriftlich gemachten Angebot. Vielmehr stellt die Veröffentlichung der Angebotsunterlage das eigentliche Erwerbsangebot des Bieters dar (siehe oben Rz. 5 und unten Rz. 20 ff.). Dies bringt auch die Regierungsbegründung zu § 11 Abs. 1 zum Ausdruck1.
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Die Angebotsunterlage hat in ihrer Gesamtheit eine doppelte Funktion: Sie enthält zum einen das Angebot und darüber hinaus ergänzende Informationen über die wesentlichen Begleitumstände, insbesondere die wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergründe und Rahmenbedingungen. In der Terminologie des Gesetzes sind dies der „Inhalt des Angebots“ einerseits und „ergänzende Angaben“ andererseits. Diese – in § 11 getroffene – Unterscheidung findet sich in allgemeiner Form in § 11 Abs. 2 Satz 1 und mit näheren Einzelheiten in § 11 Abs. 2 Satz 2 (Angaben über den Inhalt des Angebots) sowie in § 11 Abs. 2 Satz 3 (ergänzende Angaben) und § 11 Abs. 4 Nr. 2 (weitere ergänzende Angaben).
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Weil und soweit die Angebotsunterlage das Erwerbsangebot des Bieters enthält, stellt sie eine nicht empfangsbedürftige bindende Willenserklärung des Bieters dar. Genauer ausgedrückt: Sie ist ein Antrag an jeden angesprochenen Wertpapierinhaber auf Abschluss eines Vertrages mit ihm im Sinne der §§ 145 ff. BGB2, und zwar eines Kauf- oder Tauschvertrages (vgl. die Definition des Angebots in § 2 Abs. 1). Der Antrag richtet sich an die Inhaber der in der Unterlage bezeichneten Wertpapiere. Er muss diesen aber nicht zugehen, sondern wird durch Veröffentlichung wirksam3.
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Soweit die Unterlage ergänzende Angaben in dem oben bezeichneten Sinn enthält, ist sie ein prospektähnliches Dokument (siehe unten Rz. 36 f. und § 2 WpÜG-AngVO Rz. 7 ff.)4.
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Die Angebotsunterlage wird im Gesetz nicht ausdrücklich als bindendes (nach § 145 BGB annahmefähiges) Erwerbsangebot bezeichnet. Die Einordnung als Vertragsangebot folgt jedoch aus dem Zusammenhang der Regelung und einzelnen Bestimmungen5.
a) Bindendes Angebot
1 BT-Drucks. 14/7034, S. 41. 2 Begr. RegE, BR-Drucks. 574/01, S. 98; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 2; vgl. auch Liebscher, ZIP 2001, 853, 862; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 13; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 42 Rz. 17; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 20. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 20; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 5; im Ergebnis ähnlich, jedoch Zugang zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 unterstellend, Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 15. 4 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 403. 5 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 2; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 5; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 1; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 7; vgl. auch Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 41.
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Die §§ 17 und 18 bringen den Grundsatz zum Ausdruck, dass unverbindliche öffentliche Erwerbsankündigungen in Bezug auf vom Gesetz erfasste Wertpapiere (§ 2 Abs. 2) nicht gestattet sind. § 17 untersagt eine öffentliche Aufforderung an die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, ein Verkaufsangebot abzugeben (invitatio ad offerendum). Nach § 18 sind Potestativbedingungen und Widerrufs- sowie Rücktrittsvorbehalte unzulässig.
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Darüber hinaus lässt § 2 Nr. 4 WpÜG-AngVO erkennen, dass die Inhaber der betroffenen Wertpapiere in der Lage sein müssen, die Annahme des Angebots zu erklären. Dies setzt die Existenz eines (bindenden) Antrags i.S.d. § 145 BGB voraus.
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Schließlich steht die Bindungswirkung auch im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Gebot, die Inhaber von gattungsgleichen Wertpapieren der Zielgesellschaft gleich zu behandeln (§ 3 Abs. 1). Eine unverbindliche öffentliche Absichtserklärung könnte, wenn sie zulässig wäre, vom Bieter dazu genutzt werden, selektiv nur einige Angebote von Wertpapierinhabern anzunehmen. Dies ist ausgeschlossen, wenn das Angebot zugunsten aller Wertpapierinhaber bindend ist.
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b) Kein Zugangserfordernis Das Konzept eines nicht zugangsbedürftigen Vertragsantrags mag atypisch erscheinen. 24 Es ergibt sich bei einem öffentlichen Angebot an einen unbestimmten Adressatenkreis jedoch aus der Natur der Sache. In dem hier interessierenden Zusammenhang sind die angesprochenen Wertpapierinhaber dem Bieter oft weitgehend unbekannt. Einen Zugang bei jedem einzelnen Wertpapierinhaber kann der Bieter also nicht oder jedenfalls nicht mit zumutbarem Aufwand bewirken, vor allem wenn die Wertpapiere auf den Inhaber lauten. Diesem Umstand trägt das Gesetz Rechnung. Zumindest bei Inhaberpapieren, teilweise aber auch bei Namenspapieren (besonders wenn diese breit gestreut sind), ist es daher in der Kapitalmarktpraxis üblich, dass Erklärungen an die Anleger generell als nicht zugangsbedürftig ausgestaltet werden. Sie werden durchweg im Wege der Veröffentlichung abgegeben und durch Veröffentlichung wirksam. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein annahmebedürftiges Angebot (wie z.B. ein Tilgungs- oder Rückkaufangebot), die Ausübung eines Gestaltungsrechts (z.B. die Kündigung einer Schuldverschreibung durch deren Emittenten zur vorzeitigen Rückzahlung) oder nicht rechtsgestaltende Mitteilungen handelt.
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Die Wirksamkeit einer Willenserklärung, die durch Veröffentlichung erfolgt, war 26 Gegenstand eines Urteils des OLG Frankfurt vom 21.10.19931. Eine Serie von Inhaber-Schuldverschreibungen war vom Emittenten bedingungsgemäß durch Veröffentlichung gekündigt worden. Ein Anleger hielt die Kündigung für unwirksam, weil sie auf einer nach § 10 Nr. 6 AGBG a.F. (jetzt § 308 Nr. 5 BGB) unwirksamen Zugangsfiktion beruhe. Hier war die Prämisse unrichtig, nämlich dass eine Kündigungserklärung notwendigerweise empfangsbedürftig sei. Das Gericht bejahte die Wirksamkeit der Kündigung, allerdings mit einer anderen Begründung2. Die Regelung des WpÜG über die Angebotsunterlage und ihre Veröffentlichung (§§ 11, 14) macht deutlich, dass Erklärungen an die Inhaber von Wertpapieren in der Form einer Veröffentli-
1 OLG Frankfurt a.M. v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, WM 1993, 2089. 2 Näheres dazu Bosch in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Köln, Loseblatt-Sammlung (Sonderdruck von Teil 10: Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, 1998, ergänzte Ausgabe 2000), Rz. 10/192, m.w.N.
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chung keine Zugangsfiktion1 voraussetzen und auch nicht von einem Leitbild des Gesetzes abweichen. Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Umstand Rechnung getragen, dass eine andere (individuelle) Art der Kommunikation nicht praktikabel wäre. c) Qualifizierung des Angebots als AGB? 27
Das Angebot des Bieters bildet einen für eine Vielzahl von Verträgen einseitig vorformulierten Vertragsinhalt. Dies spricht – anscheinend – dafür, die Bestimmungen des Angebots als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB zu qualifizieren. Für eine Einordnung als AGB plädieren eine Reihe von Autoren2, meist ohne das Ergebnis zu hinterfragen und als Rechtsproblem zu erörtern. Tatsächlich stehen dieser Einordnung gewichtige Gründe entgegen. Allgemeine Geschäftsbedingungen und deren Verwendung weichen von dem gesetzlich vorausgesetzten Idealtypus des je im Einzelfall frei ausgehandelten Vertrages ab. Im Fall eines Erwerbs nach Maßgabe des WpÜG ist jedoch das individuelle Aushandeln von Vertragsbedingungen angesichts des gesetzlichen Gleichbehandlungsgebots (§ 3 Abs. 1) ausgeschlossen. Eine Abweichung von einem gesetzlichen Idealtypus liegt daher nicht vor. Für den Fall eines Angebots nach dem WpÜG ist die Gleichbehandlung aller Inhaber von Wertpapieren gleicher Gattung zwingend vorgegeben.
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Es würde der gesetzlichen Wertung widersprechen, wenn die an die Verwendung von AGB geknüpften Rechtsnachteile der §§ 305 ff. BGB auch denjenigen träfen, der u.U. individuelle Vereinbarungen bevorzugen würde, aber durch das Gesetz daran gehindert wird, solche abzuschließen. Zu den genannten Rechtsnachteilen gehören unter anderem die absoluten und relativen Verbote bestimmter Klauseln, die beschränkten Möglichkeiten der Abweichung von einem gesetzlichen Leitbild und die Möglichkeit der Verbandsklage nach §§ 1, 3 UKlaG.
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Darüber hinaus beruht die Kontrolle des Inhalts Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf dem Gedanken, dass deren Verwender Marktmacht zu Lasten eines Einzelnen zur Geltung bringt, der dieser Marktmacht ausgeliefert ist. Auch diese Überlegung passt nicht auf die Bedingungen eines öffentlichen Erwerbsangebots. Hier trifft nicht ein mächtiger Marktteilnehmer auf einzelne relativ schutzlose Gegenparteien, sondern ein Bieter trifft – in aller Öffentlichkeit – auf die Gesamtheit der potentiellen Veräußerer. Unbillige oder überraschende Klauseln würden auf ablehnende Reaktionen stoßen und das Erwerbsprojekt gefährden. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass in solchen Fällen „der Markt versagt“, wie es bei der Verwendung von AGB typisch ist.
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Auch die Interessenlage der Beteiligten, und zwar sowohl des Bieters als auch der Zielgesellschaft und ihrer Wertpapierinhaber, steht im Widerspruch zu den möglichen Rechtsfolgen einer Einordnung des Angebots als AGB. Die Beteiligten sind an Rechts- und Planungssicherheit und einer möglichst zügigen Abwicklung interes1 In diesem Sinne jedoch Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 5; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 14. Die von diesen abweichende hier vertretene Auffassung vermeidet jedoch die von Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 15 geschilderten Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zeitpunktes des fingierten Zugangs. 2 Für eine solche Qualifizierung Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 3, mit Hinweis darauf, dass die Bereichsausnahmen des § 310 Abs. 4 BGB (betreffend Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts) nicht eingreifen; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 6; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 23; Oechsler, NZG 2001, 818, 821; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 42 Fn. 42; Beckmann/Kersting/Mielke, Das neue Übernahmerecht, 2003, S. 93 Rz. B237; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 29.
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siert. Wertpapiererwerbe und Übernahmen nach dem WpÜG würden jedoch erheblich beeinträchtigt, wenn sie im Nachhinein, also nach ihrer Durchführung, mit der Behauptung der Unbilligkeit oder der Abweichung vom gesetzlichen Leitbild in Frage gestellt werden könnten. Im Hinblick auf das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot müsste eine Nachbesserung der Angebotskonditionen allen betroffenen Wertpapierinhabern zugutekommen. Eine nachträgliche gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit des Erwerbs hätte für und gegen alle Wertpapierinhaber zu gelten. Die Rückabwicklung wäre aber gegen den Willen der betroffenen (früheren) Wertpapierinhaber nicht durchsetzbar. Schließlich erscheint es zweifelhaft, ob die Verbandsklage ein zur Bekämpfung von öffentlichen Erwerbs- oder Übernahmeangeboten geeignetes und wünschenswertes Instrument ist. Dass sie für solche Sachverhalte nicht konzipiert worden ist, steht außer Frage. Vor allem das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot (§ 3 Abs. 1) steht somit im Wider- 31 spruch zu den möglichen Rechtsfolgen einer Qualifikation als AGB. Der Widerspruch löst sich auf, wenn der Begriff der AGB im Wege der teleologischen Reduktion dahin gehend eingeengt wird, dass er die Bedingungen eines Angebots nach dem WpÜG nicht erfasst, weil hier das individuelle Aushandeln durch zwingende gesetzliche Regelung ausgeschlossen ist, und weil außerdem die Gesamtheit der angesprochenen Wertpapierinhaber ein Gewicht hat, das einen Missbrauch von Marktmacht durch den Bieter weitgehend ausschließt1. Die Nichtanwendung der Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) ist auch deswegen hinnehmbar, weil die Bundesanstalt das Angebot ihrerseits auf bestimmte Kriterien, darunter den Grundsatz der Transparenz (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 4), zu prüfen hat (§ 14 Abs. 2 Satz 1).
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Eine Anwendung der Grundsätze des deutschen Rechts über Allgemeine Geschäftsbedingungen kommt aus anderen Gründen nicht in Betracht, wenn der Erwerbsvertrag einem ausländischen Recht unterliegt. Der Bieter kann nach allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts das für sein Angebot, und damit für das daraufhin zustande kommende Erwerbsgeschäft, maßgebliche Recht bestimmen. § 2 Nr. 12 WpÜG-AngVO setzt die Möglichkeit einer solchen Rechtswahl voraus, die auch im Interesse der Praktikabilität und vor allem wegen des Gleichheitsgrundsatzes nach § 3 Abs. 1 geboten ist (siehe § 2 WpÜG-AngVO Rz. 37 ff.).
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Sollte die Rechtsprechung entgegen der hier vertretenen Auffassung Angebotsbedin- 34 gungen als AGB qualifizieren, so würde dies einen Anreiz für Bieter darstellen, die Auswirkungen durch Wahl eines ausländischen Rechts zu vermeiden. Die Rechtssuche für den deutschen Anleger würde dadurch erschwert und verteuert. Wären die Bestimmungen eines Angebots als AGB zu beurteilen, so könnte dies dennoch nicht dazu führen, dass der wesentliche Inhalt des Geschäfts („essentialia negotii“) umgestaltet, also beispielsweise eine unzulässige Bedingung als nicht existent behandelt oder ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechender Angebotspreis erhöht wird2. Soweit Bedarf für eine gesetzliche Inhaltskontrolle gesehen wird, 1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 8 sieht das WpÜG als gegenüber den §§ 305 ff. BGB spezielleres Gesetz an, das den Gestaltungsspielraum des Bieters bei der Angebotsunterlage grds. abschließend regelt; ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11 WpÜG Rz. 31; ähnlich auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 Rz. 50, der aber offenbar § 305 BGB ergänzend zur Anwendung bringen will, wenn der Bieter weitere, nicht durch das WpÜG vorgegebene Bedingungen festsetzt. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 23.
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etwa in Bezug auf die Gefahr, dass der Bieter Gewährleistungen der veräußernden Aktionäre für Eigenschaften der Zielgesellschaft vorsehen könnte1, bleiben folgende Aspekte offenbar unberücksichtigt: Zum einen kann der Bieter die Anwendung der Vorschriften des deutschen Rechts, wie bereits erwähnt, in der Regel durch Wahl eines ausländischen Rechts vermeiden. Die These, bei Angebotsbedingungen handele es sich um AGB, dient im praktischen Ergebnis also nicht dem Schutz der Angebotsempfänger (vor allem derjenigen im Inland), sondern bewirkt das Gegenteil, weil sie eine Flucht aus dem deutschen Recht herbeizuführen droht. Zum anderen wird angesichts der Öffentlichkeit und Transparenz des Übernahmeverfahrens eine unbillige, unklare oder überraschende Klausel öffentliche Kritik auslösen und den Erfolg des Angebots somit gefährden. Eines Schutzes der Wertpapierinhaber vor einer wirtschaftlichen und intellektuellen Überlegenheit der Marktgegenseite bedarf es also im Verhältnis zwischen den Angebotsadressaten und dem Bieter nicht2. d) Erwerbsprospekt 36
Die Angebotsunterlage ist insofern, als sie Informationen als Grundlage für den Erwerb von Wertpapieren dient, mit einem Wertpapierprospekt vergleichbar. In mehrfacher Hinsicht bestehen jedoch wesentliche Unterschiede: Zum einen stellt ein Wertpapierprospekt im Gegensatz zur Angebotsunterlage in aller Regel kein bindendes Angebot dar. Ferner handelt es sich bei der Angebotsunterlage nicht um ein Verkaufsdokument des Veräußerers, sondern um einen Kauf-(oder Tausch-)Prospekt des Bieters als des potenziellen Erwerbers (gelegentlich im Schrifttum „umgekehrter Verkaufsprospekt“ genannt3). Die Unterlage beschreibt daher nicht primär das Erwerbsobjekt (d.h. die Wertpapiere der Zielgesellschaft) mit den diesbezüglichen Chancen und Risiken, denn den Angebotsempfängern wird nicht deren Erwerb, sondern ihre Veräußerung vorgeschlagen. Schwerpunkte der Unterlage sind vielmehr die Angaben über die Gegenleistung, die Maßnahmen und Absichten des Bieters sowie Abwicklungs- und sonstige Verfahrensaspekte.
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Werden Wertpapiere als Gegenleistung angeboten, so hat die Angebotsunterlage allerdings – zusätzlich – die Eigenschaften eines Wertpapierprospekts. Dies gilt jedoch mit Bezug auf die Gegenleistung, nicht den Gegenstand des Erwerbsangebots. Für die so als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere sind nach § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO Angaben wie in einem Wertpapierprospekt zu machen, vorbehaltlich der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme des Verweises auf einen bereits veröffentlichten (noch) gültigen Prospekt. Entsprechendes gilt für (bei einem einfachen Erwerbsangebot) als Gegenleistung angebotene Vermögensanlagen in Bezug auf die Angaben nach § 7 VermAnlG. 2. Die Veröffentlichung
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§ 11 Abs. 1 Satz 1 bestimmt eine Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung des Angebots. Die Pflicht zur Erstellung hat neben derjenigen zur Veröffentlichung keine eigenständige Bedeutung. Die Erstellung ist selbstverständliche Voraussetzung der Ver1 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 23. Eine solche Gewährleistung wäre übrigens gegenüber der Vielzahl der – dem Bieter weitgehend unbekannten – Angebotsempfänger kaum durchsetzbar. 2 Im Ergebnis ähnlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 8, der den Wertungen des WpÜG Vorrang vor denjenigen der §§ 305 ff. BGB einräumt. 3 Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 13; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 9; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 3; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 2, 34.
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öffentlichung. Die Form der Veröffentlichung, der deren Gestattung durch die BaFin vorauszugehen hat, regelt § 14 Abs. 3. Zweck der Veröffentlichung ist die Schaffung eines für die Betroffenen, die Öffent- 39 lichkeit und die Aufsichtsbehörde transparenten Angebots. Die Veröffentlichung ist also auch dann erforderlich, wenn der Bieter ein öffentliches Angebot an die Inhaber von auf den Namen lautenden Wertpapieren der Zielgesellschaft richtet und der Meinung ist, dass er diese aufgrund von in einem Register festgehaltenen Angaben erreichen kann. Die Veröffentlichung hat somit einen zweifachen Zweck: Konstituierung des Angebots im engeren, rechtlichen Sinn und Schaffung von Transparenz im Kapitalmarkt.
II. Allgemeine inhaltliche und formale Anforderungen (§ 11 Abs. 1 Sätze 2 bis 5) 1. Generalklausel: entscheidungsrelevante Umstände (§ 11 Abs. 1 Satz 2) Die Wertpapierinhaber sollen eine hinreichende Grundlage für eine informierte Ent- 40 scheidung über die Abgabe ihrer Papiere aufgrund des Angebots erhalten. Die Bestimmung ist vergleichbar mit § 5 Abs. 1 Satz 1 WpPG. Danach muss der Prospekt dem Publikum ein zutreffendes Urteil über den Emittenten und die Wertpapiere ermöglichen und über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Beurteilung der zuzulassenden bzw. angebotenen Wertpapiere wesentlich sind, Auskunft geben1. § 11 Abs. 1 Satz 2 ist systematisch als Ergänzung des Katalogs von Angaben zu betrachten, die nach § 11 Abs. 2 sowie § 2 WpÜG-AngVO zu machen sind: Der Katalog bestimmt den Gegenstand der notwendigen Angaben; die Generalklausel des § 11 Abs. 1 Satz 2 bestimmt den Umfang und Detaillierungsgrad der Angaben, wobei nach der Art des Angebots, vor allem der Gegenleistung, differenziert werden muss2. Liegt eine vorläufige Äußerung der Zielgesellschaft zu dem Angebot bereits vor, so 41 kann es zweckmäßig sein, diese wiederzugeben. Eine Pflicht dazu besteht nicht, da die Stellungnahme der Zielgesellschaft gemäß § 27 Abs. 3 nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu erfolgen hat3. 2. Richtigkeit, Vollständigkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 3) § 11 Abs. 1 Satz 3 hat eine inhaltliche Parallele in den allgemeinen Vorgaben des § 5 42 Abs. 1 Satz 1 WpPG. Dieser stellt – in etwas anderer Formulierung – auf „sämtliche Angaben“ ab, die „notwendig sind, um (…) ein zutreffendes Urteil [des Anlegers] zu ermöglichen“ ab. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass der Prospekt die beurteilungsrelevanten Umstände angeben, sowie richtig und vollständig sein muss. Unvollständig sind die Angaben, wenn Informationen fehlen, die i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 2 notwendig sind, insbesondere solche, die durch § 11 Abs. 2 oder 3 oder § 2 WpÜG-AngVO vorgeschrieben sind, oder wenn Aussagen wegen Weglassung wesentlicher Details oder Einschränkungen irreführend wirken. Es kommt insoweit (auch) auf den Gesamteindruck der Angebotsunterlage an4. Für den Fall unrichtiger oder 1 Vgl. Meyer in FrankfKomm. WpPG, § 5 Rz. 6, 9; Schlitt/Schäfer in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 5 WpPG Rz. 8 ff. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 26. 3 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 80. 4 Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 32; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 38.
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unvollständiger Angaben sieht § 12 eine Haftung des oder der Prospektverantwortlichen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 und 2) auf Schadensersatz vor. 44
Die Generalklausel in § 11 Abs. 1 Satz 2 sowie das Richtigkeits- und Vollständigkeitsgebot des § 11 Abs. 1 Satz 3 lassen nicht eindeutig erkennen, ob aus ihnen in einzelnen Fällen eine Pflicht zu weiteren Angaben abgeleitet werden kann, die der Katalog des § 11 Abs. 2 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO ansonsten nicht verlangen würde. Die Frage wird von einigen Autoren bejaht1, von anderen im Prinzip verneint2. In ihren praktischen Auswirkungen unterscheiden sich diese gegenteiligen Thesen weniger als dies bei erster Überlegung erscheinen mag. So wird beispielsweise der Fall eines Strohmannangebots mit der Absicht, die erworbenen Papiere anschließend an Dritte weiterzuveräußern, im Ergebnis von den Vertretern beider Meinungen gleich beurteilt. Nur in der Begründung neigt die eine Meinung3 dazu, eine Pflicht zur Offenlegung dieser besonderen Umstände aus der Generalklausel und dem Richtigkeits- und Vollständigkeitsgebot abzuleiten, während die andere Meinung4 die Offenlegungspflicht aus § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 (Auswirkungen auf die Finanzlage des Bieters; Absichten im Hinblick auf die künftige Geschäftspolitik) in Verbindung mit dem Richtigkeits- und Vollständigkeitsgebot des § 11 Abs. 1 Satz 3 stützt. Im Grundsatz aber besteht ein erheblicher Unterschied. Es ist möglich, dass sich auch im praktischen Einzelfall aus der erstgenannten Auffassung (wonach der Katalog der vorgeschriebenen Angaben nicht abschließend ist) inhaltlich wesentlich weiter gehende Offenlegungspflichten als nach der Gegenmeinung und weitgehende Haftungsrisiken für den Bieter ergeben können.
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Sachgerecht und zutreffend erscheint eine vermittelnde Ansicht. Sie kommt der vorstehend erwähnten zweiten Meinung nahe. Auszugehen ist nach der hier vertretenen Auffassung davon, dass der Katalog der vorgeschriebenen Angaben prinzipiell ein abschließender ist. Dafür spricht zum einen der Wortlaut des Gesetzes5. In § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 findet sich kein Hinweis darauf, dass in diesen Bestimmungen nur ein Mindestinhalt normiert wird. Demgegenüber werden die inhaltlichen Anforderungen an Wertpapierprospekte anhand von ausdrücklich so genannten „Mindestangaben“ nach § 7 WpPG konkretisiert, die im Einzelnen in der sog. EU-Prospektverordnung6 aufgeführt sind. Damit knüpfte das WpPG an die Konzeption der Vorgängerregelungen in § 13 Abs. 3 Satz 1 BörsZulV a.F. und § 2 Abs. 1 Satz 2 VerkProspVO a.F. an, wonach der Prospekt „insbesondere“ Angaben über die in der jeweiligen Verordnung genannten Gegenstände enthalten musste. § 11 und § 2 WpÜG-AngVO enthalten keine vergleichbare Formulierung. Angesichts des Umstandes, dass diese Regelungen im Übri1 Assmann, AG 2002, 153, 156; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2251; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 14; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 33; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 44 Rz. 19; Beckmann/Kersting/Mielke, Das neue Übernahmerecht, 2003, S. 99 Rz. B268. 2 Seydel und Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 27 und § 12 Rz. 41 ff.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 403; Möllers, ZGR 2002, 664, 677 ff.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 Rz. 3; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 14. 3 Hamann, ZIP 2001, 2249, 2251; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 14. 4 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 27. 5 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 27. 6 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29.4.2004, ABl. EU Nr. L 149 v. 30.4.2004, S. 1; Berichtigung in ABl. EU Nr. L 215 v. 16.6.2004, S. 3; kürzlich im Rahmen der Reform der EU-Prospektrichtlinie geändert durch Delegierte Verordnung (EU) Nr. 486/2012 der Kommission vom 30.3.2012, ABl. EU Nr. L 150 v. 9.6.2012 S. 1 und durch Deligierte Verordnung (EU) Nr. 862/2012 der Kommission vom 4.6.2012, ABl. EU Nr. L 256 v. 22.9.2012, S. 4.
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gen erkennbar an den früheren § 13 BörsZulV und § 2 VerkProspVO angelehnt wurden, ist die Abweichung in der Diktion vom Gesetzgeber offensichtlich gewollt, und somit als sachlicher Unterschied zu interpretieren. Darüber hinaus besteht – abgesehen vom Wortlaut der Bestimmung – die Gefahr, dass die Anforderungen an den Inhalt der Angebotsunterlage unübersehbar werden, wenn aus § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 für sich allein uneingeschränkte zusätzliche Offenlegungspflichten über den Katalog der gebotenen Angaben hinaus hergeleitet würden. Denkbar wäre es dann beispielsweise, dass detaillierte Angaben zur finanziellen Situation des Bieters – ähnlich wie nach Rule 24.3 (a) (ii) des City Code on Takeover and Mergers (siehe oben Rz. 12) – verlangt würden, möglicherweise zusätzlich auch Angaben zur finanziellen Lage des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, das die Bestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 abgibt. Die Begründung dafür könnte sein, dass die Solvenz des Bieters und des bestätigenden Wertpapierdienstleisters für die Angebotsadressaten entscheidungserheblich sein kann. Eine derart weitgehende Interpretation kann zu für den Bieter unerwarteten und kaum vorhersehbaren Offenlegungspflichten führen. Das Risiko der Haftung nach § 12 für die Vollständigkeit seiner Angaben wäre für ihn dann kaum einschätzbar. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Katalog der vorgeschriebenen Angaben vollständig ist, kommt daher nur in engen Grenzen in Betracht1. Angebracht ist eine Ausnahme dann, wenn (1) das Angebot andernfalls unvollständig wiedergegeben wäre, weil es Elemente enthält (wie z.B. eine Sicherheitsleistung für die Aufbringung des Erwerbspreises), die in § 11 Abs. 2 Satz 2 und § 2 WpÜG-AngVO nicht aufgeführt sind (siehe unten Rz. 67), (2) die Angaben andernfalls nicht oder nur schwer verständlich wären2 oder (3) ohne ergänzende Angaben ein irreführender Gesamteindruck entstünde3. Unter diesem Gesichtspunkt wird man auch begründen können, dass eine dem Bieter von der Zielgesellschaft für den Fall, dass das Angebot scheitert, zugesagte Entschädigung (break up fee) angegeben werden muss. Denn dieser Umstand wird für den Aktionär der Zielgesellschaft in der Regel ein bei seiner Gesamtbewertung der Vor- und Nachteile des Angebots wesentlicher Umstand sein, ohne dessen Kenntnis er sich kein abschließendes Bild über die Auswirkungen eines erfolgreichen oder fehlschlagenden Angebots auf den Bieter machen kann4. Ein anderes Beispiel ist ein Angebot an Aktionäre einer Zielgesellschaft mit Sitz außerhalb Deutschlands (§ 2 Abs. 3 Nr. 2), auf das nach § 1 Abs. 3, § 2 WpÜG-AnwendbarkeitsVO das WpÜG nur eingeschränkt gilt. Darauf ist in der Angebotsunterlage hinzuweisen und zu erläutern, welche Gesichtspunkte des Angebots welchen aufsichtsrechtlichen Regelungen unterliegen (zu der für die zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse zwischen Bieter und Aktionären der Zielgesellschaft maßgeblichen Rechtsordnung siehe dagegen Rz. 33 sowie § 2 WpÜG-AngVO Rz. 38 f.)5. Eine ausdrückliche Bestimmung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auf Angaben nach § 11 Abs. 2 oder § 2 WpÜG-AngVO verzichtet werden kann, fehlt –
1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 Rz. 3: „Besondere Umstände des Einzelfalls, die eine besondere Gefährdungslage auf Seiten der potentiellen Veräußerer entstehen lassen“; ähnlich Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 36; ob die bei Thoma angeführten Beispielsfälle für die Aktionäre der Zielgesellschaft als „wesentlich“ anzusehen sind, wird im Einzelfall nach den hier nachfolgend dargestellten Kriterien zu entscheiden sein. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 27. 3 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 403; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 14; ähnlich OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 751. 4 Ähnlich Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 36. 5 Seibt, CFL 2011, 213, 223 mit Verweis auf die Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der OEP Technologie B.V. an die Aktionäre der SMARTRAC NV vom 8.10.2010.
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anders als bei vergleichbaren Regelungen wie etwa bei Wertpapierprospekten § 8 Abs. 2 WpPG oder der für Offenlegungsdokumente bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen maßgeblichen § 293a Abs. 2 AktG und § 8 Abs. 2 UmwG. Diesen Regelungen ist gemeinsam, dass Angaben unterbleiben können, wenn der Offenlegung bedeutende Belange entgegenstehen, insbesondere wenn einem der betroffenen Unternehmen daraus sonst ein erheblicher Nachteil droht. Eine in der Literatur weit verbreitete Auffassung spricht sich für eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens dieser Ausnahmebestimmungen im Rahmen des Gestattungsverfahrens durch die BaFin aus1. Mangels einer gesetzlichen Regelung dürfte hier freilich eine an der Generalklausel des § 11 Abs. 1 Satz 2 ausgerichtete Auslegung des Katalogs der in die Angebotsunterlage auszunehmenden Informationen geboten sein. So erscheint es denkbar, im Einzelfall auf Angaben zu verzichten, die für die Entscheidung über die Annahme des Angebots nicht notwendig sind2. Auf notwendige, d.h. für die Beurteilung des Angebots wesentliche Angaben (vgl. § 12 Abs. 1), kann dagegen nicht verzichtet werden. Auf jeden Fall ist im Rahmen des Gestattungsverfahrens mit der BaFin abzustimmen, ob einzelne Pflichtangaben weggelassen werden können, auch um eine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 wegen Unvollständigkeit der Angebotsunterlage zu vermeiden. 47
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage ist zunächst einmal der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung. Das bedeutet: treten zwischen der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin und ihrer Veröffentlichung neue Umstände ein, die diese unrichtig oder unvollständig machen, ist sie insoweit zu ergänzen; eine entsprechende Ergänzung ist der BaFin nachzureichen. Stellt sich die Angebotsunterlage nach ihrer Übermittlung an die BaFin als von vorneherein unrichtig oder unvollständig heraus, gilt Entsprechendes3.
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Für den Zeitraum nach erfolgter Veröffentlichung sieht das Gesetz, anders als bei Wertpapierprospekten (§ 16 WpPG), keine Pflicht zur Veröffentlichung eines Nachtrages vor. Im Hinblick darauf, dass sich die Regelungen des WpÜG für Angebotsunterlagen ansonsten aber an die Regelungen für Wertpapierprospekte anlehnen und Anhaltspunkte für eine bewusste Abkehr des Gesetzgebers vom Konzept des Nachtrages fehlen, wird überwiegend davon ausgegangen, dass entsprechend § 11 VerkProspG a.F. bzw. § 16 WpPG eine Pflicht zum Nachtrag einer unrichtig oder unvollständig gewordenen Angebotsunterlage besteht (vgl. § 12 Rz. 32)4.
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Im Fall der ursprünglichen Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit gilt Entsprechendes. So sieht § 16 Abs. 1 Satz 1 WpPG, anders als noch die Vorläuferregelungen in § 11 VerkProspG a.F. und § 52 Abs. 2 BörsZulV a.F., ausdrücklich auch im Fall der nach Veröffentlichung festgestellten „wesentlichen Unrichtigkeit“ eine Nachtrags-
1 Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 34; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 37; ähnlich Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 15 („allgemeine Regel der Güterabwägung zwischen Offenbarungs- und Offenlegungspflicht“). 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 30. 3 Ebenso Stephan, AG 2003, 551, 552; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 41; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 31, 40; ähnlich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13. 4 Assmann, AG 2002, 153, 157; Möllers, ZGR 2002, 664, 674 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 17; Stephan, AG 2003, 551, 558 ff. mit eingehender Erörterung der Reichweite dieser Pflicht; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13 stützt die Aktualisierungspflicht auf eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 3 Nr. 3 WpÜG; ebenso wohl Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 13.
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pflicht vor. Daneben wird – ähnlich wie nach früherem Prospektrecht aus § 23 Abs. 2 Nr. 4 WpPG1 – eine Pflicht zur Berichtigung aus § 12 Abs. 3 Nr. 3 gefolgert2. An letzterem Begründungsansatz mag man jedoch insoweit zweifeln, als sich aus § 12 Abs. 3 Nr. 3 zwar eine Berichtigungsmöglichkeit mit haftungsbefreiender Wirkung, nicht jedoch eine Berichtigungspflicht entnehmen lässt3. In jedem Fall wird sich angesichts des Wesentlichkeitsmaßstabes von § 16 WpPG 50 bzw. § 12 Abs. 1 die Berichtigungs- bzw. Nachtragspflicht auf solche Angaben beschränken, die für die Beurteilung des Angebots wesentlich sind. Dabei ist vom Horizont des Empfängers, d.h. des Aktionärs der Zielgesellschaft auszugehen4. Die Nachtrags- bzw. Berichtigungspflicht endet entsprechend § 11 VerkProspG mit dem Ende des Angebotes, genauer dem Ablauf der Annahmefrist5. Ausnahmsweise kann sie länger andauern, wenn den Aktionären der Zielgesellschaft nach Ablauf der Annahmefrist noch das Recht zum Rücktritt eingeräumt wurde6. Einer Gestattung der Veröffentlichung der Berichtigung bzw. des Nachtrags durch die 51 BaFin bedarf es nicht7, anders als bei einem Prospektnachtrag, der nach § 16 Abs. 1 Satz 3 WpPG vor seiner Veröffentlichung von der BaFin zu billigen ist. Ein Gestattungserfordernis lässt sich dem WpÜG ohnehin nicht entnehmen, so dass es auch an der Ermächtigungsgrundlage für eine entsprechende Gestattung fehlen würde8. 3. Sprache, Verständlichkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 4) Parallelbestimmungen zu § 11 Abs. 1 Satz 4 finden sich einerseits in § 19 WpPG (Sprache), andererseits in § 5 Abs. 1 Satz 3 WpPG (Verständlichkeit). Nach § 19 WpPG kann schon bei rein nationalen Sachverhalten die Abfassung eine Prospekts in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache (worunter de facto Englisch zu verstehen ist)9 gestattet werden (§ 19 Abs. 1 Satz 2 WpPG), wovon die BaFin aber nur äußerst restriktiv Gebrauch macht10. Größere Bedeutung haben Prospekte in englischer Sprache bei grenzüberschreitenden Wertpapieremissionen gefunden, bei denen nach § 19 Abs. 2–4 WpPG ein Wahlrecht besteht; hier hat sich englisch als Prospektsprache durchgesetzt. Die Wahl der englischen Sprache sieht das WpÜG jedoch – anders als das WpPG – auch in grenzüberschreitenden Fällen nicht vor.
1 Siehe dazu in der 1. Aufl. die Nachweise bei § 11 Rz. 53. 2 Assmann, AG 2002, 153, 156; Möllers, ZGR 2002, 664, 676; Stephan, AG 2003, 551, 553. 3 Dementsprechend spricht Groß, Kapitalmarktrecht, § 23 WpPG Rz. 8 bei der Parallelregelung in § 23 Abs. 2 Nr. 4 WpPG nur von der „Berichtigungsmöglichkeit“; ebenso unter ausdrücklicher Abgrenzung von der Nachtragspflicht Mülbert/Steup in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 33 Rz. 129. 4 Eingehend dazu Stephan, AG 2003, 551, 558 f. 5 Assmann, AG 2002, 153, 157; Möllers, ZGR 2002, 664, 676; Stephan, AG 2003, 551, 559 f.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13. 6 Stephan, AG 2003, 551, 559 f. 7 Assmann, ZGR 2002, 697, 718; Stephan, AG 2003, 551, 561; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 18. 8 So auch OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 752. 9 Ritz/Voß in Just/Voß/Ritz/Zeising, § 19 WpPG Rz. 11 ff.; von Ilberg in Assmann/Schlitt/ von Kopp-Colomb, § 19 WpPG Rz. 21 ff.; Wolf in FrankfKomm. WpPG, § 19 Rz. 7. 10 Ritz/Voß in Just/Voß/Ritz/Zeising, § 19 WpPG Rz. 16; von Ilberg in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 19 WpPG Rz. 27 f.; Wolf in FrankfKomm. WpPG, § 19 Rz. 15.
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a) Sprache 53
Die Abfassung in deutscher Sprache ist, wie die Regierungsbegründung1 verdeutlicht, im Interesse der Wertpapierinhaber der deutschen Zielgesellschaft und ihrer Arbeitnehmer vorgeschrieben worden. Bei der Abwägung der Interessen der Bieter an einer raschen und möglichst kostengünstigen Erstellung der notwendigen Unterlagen einerseits und dem Informations- und Schutzbedürfnis der Adressaten des Angebots und der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft andererseits sei dem Bedürfnis der Anleger und der Arbeitnehmer nach einer verständlichen und nachvollziehbaren Entscheidungs- und Informationsgrundlage der Vorzug zu geben. Es soll insbesondere vermieden werden, dass die Aktionäre einer deutschen Zielgesellschaft gezwungen sind, sich anhand englischsprachiger Angebotsdokumente zu informieren, wie es bei dem während der Beratungen des WpÜG durchgeführten Übernahmeangebots der Vodafone AirTouch plc an die Aktionäre der Mannesmann AG Ende 1999/Anfang 2000 der Fall war. Damals waren genauere Informationen über die als Gegenleistung angebotenen Aktien des Bieters nur dessen englischsprachigen Listing Particulars zu entnehmen. Dies war auch deshalb möglich, weil im damals geltenden Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission die Verwendung der deutschen Sprache für das Angebotsdokument nicht vorgeschrieben war2.
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Dasselbe gilt grds., wenn das WpÜG nach § 1 Abs. 3 Satz 1 auf Übernahme- oder Pflichtangebote (sog. Europäische Angebote nach § 2 Abs. 1 lit. a) an die Aktionäre einer Zielgesellschaft mit Sitz in einem anderen EWR-Staat anzuwenden ist3. Denn in diesem Fall folgt die Anwendung des WpÜG aus der Börsenzulassung der Aktien der Zielgesellschaft im Inland. Daher geht der Gesetzgeber davon aus, dass insbesondere auch inländische Anleger an der Zielgesellschaft beteiligt sind und deshalb denselben Schutz genießen sollen wie bei Angeboten betreffend Zielgesellschaften mit Sitz im Inland. Folglich sind nach § 1 Abs. 3 Satz 2 die Regelungen des WpÜG zur Gegenleistung, zum Inhalt der Angebotsunterlage und zum Angebotsverfahren anwendbar, mithin also auch die Vorgaben zur Sprache, in der die Angebotsunterlage abzufassen ist. Großzügiger behandelt der Gesetzgeber jedoch offenbar Angebotsunterlagen, die von einer zuständigen Aufsichtsstelle in einem anderen EWR-Staat gebilligt wurden und daher nach § 11a aufgrund des sog. Europäischen Passes im Inland ohne zusätzliches Billigungsverfahren anerkannt werden (dazu § 11a Rz. 2)4. Denn der deutsche Gesetzgeber hat von dem nach Art. 6 Abs. 2 Unterabsatz 2 Übernahmerichtlinie möglichen Vorbehalt keinen Gebrauch gemacht, wonach das nationale Recht des Aufnahmestaates eine Übersetzung der von der ausländischen Behörde gebilligten Angebotsunterlage (in die deutsche Sprache) verlangen kann5.
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Die Veröffentlichung einer zwei- oder mehrsprachigen Version der Angebotsunterlage oder einer gesonderten zusätzlichen Version in einer anderen Sprache ist dadurch nicht ausgeschlossen6. Ein solches Vorgehen, vor allem also die Bereitstellung auch eines Textes in englischer Sprache, kann im Einzelfall den Interessen ausländischer Wertpapierinhaber dienen und die Erfolgsaussichten des Angebots fördern. Rechtlich maßgeblich und bindend ist jedoch allein das in deutscher Sprache abgefasste Ange1 BT-Drucks. 14/7034, S. 41. 2 Dazu Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 821; der Übernahmekodex ist abgedruckt in NZG 2000, 390. 3 Zur Anwendung des WpÜG auf europäische Angebote vgl. Meyer, WM 2006, 1135, 1137. 4 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 42. 5 Meyer, WM 2006, 1135, 1138. 6 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 42.
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bot. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung ist insoweit unmissverständlich. Es erscheint ratsam sowie aus Gründen der Klarheit und Verständlichkeit (§ 11 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2) geboten, dies klarzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob die fremdsprachige Version zusammen mit der deutschsprachigen veröffentlicht wird oder als separates Schriftstück. Verpflichtend dürfte eine derartige Klarstellung nur in Bezug auf den Inhalt des An- 56 gebots sein, also hinsichtlich der Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und solcher, die diese ergänzen. Die übrigen Angaben haben keinen rechtsgeschäftlichen, sondern nur Informationscharakter, können also nicht im eigentlichen Sinn bindend sein. Es gibt insoweit keinen Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Frage, welche Version Vertragsinhalt werden wird. Dennoch empfiehlt sich auch bei Angaben, die nur Informationszwecken dienen, der 57 Hinweis, dass allein die in deutscher Sprache gegebene Information maßgeblich ist. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Für die Haftung nach §§ 12, 13 ist in jedem Fall die deutschsprachige Version maßgeblich, denn diese ist im Hinblick auf das in § 11 Abs. 1 Satz 4 enthaltene Gebot, die deutsche Sprache zu verwenden, als „Angebotsunterlage“ i.S.d. § 12 (und damit auch für Zwecke des § 13) anzusehen. Eine Haftung auch für einen freiwillig zur Verfügung gestellten fremdsprachigen Text kann sich aber auf einer anderen Rechtsgrundlage, etwa culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, direkt oder analog), ergeben, bei Verbreitung der Unterlage im Ausland auch nach ausländischem Recht. Ist die fremdsprachige Textversion äußerlich Teil der Angebotsunterlage, kommt dafür auch eine Haftung in unmittelbarer Anwendung der §§ 12, 13 in Betracht, wenn sie nicht klar als im Rechtssinne unmaßgebliche Übersetzung gekennzeichnet wird. Das Gebot, die deutsche Sprache zu verwenden, schließt nämlich nicht zwingend eine Haftung für freiwillig zusätzlich in einer anderen Sprache bereitgestellte Textpassagen aus. Das Risiko der Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit auch des fremdsprachigen Textes wird potenziell relevant, wenn dieser nicht genau mit dem deutschen übereinstimmt. Dieses zusätzliche Haftungsrisiko, gleich auf welcher Rechtsgrundlage, dürfte sich erheblich vermindern, wenn die fremdsprachige Version insgesamt, also auch hinsichtlich der „ergänzenden Angaben“, als lediglich unverbindliche Übersetzung der allein maßgeblichen deutschen Version bezeichnet wird. b) Verständlichkeit, Transparenz Die Regelung zur Verständlichkeit in § 11 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 entspricht wört- 58 lich § 5 Abs. 1 Satz 3 WpPG für Wertpapierprospekte. Sie verlangt Verständlichkeit der Aussagen in der Angebotsunterlage und ihre Abfassung in einer Form, die ihre Auswertung erleichtert. Dies schließt das Erfordernis einer klaren Ausdrucksweise, einer schlüssigen Gliederung und einer übersichtlichen Gestaltung ein1. Ein durchschnittlicher (verständiger) Adressat des Angebots ohne Spezialkenntnisse sollte die Unterlage bei sorgfältiger Lektüre verstehen können2. Sachlich zusammengehörende
1 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363. 2 Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 20; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 43; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2252; Sperlich/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/ Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 11 Rz. 4; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 45; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 28, verweist dabei zu Recht auf die Rechtsprechung zur gesetzlichen Prospekthaftung, die seit dem BGH-Urteil v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – Beton- und Monierbau, WM 1982, 862 auf den „durchschnittlichen Anleger, der
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Angaben sind im Zusammenhang darzustellen. Fachbegriffe sind auf ein Mindestmaß zu begrenzen und im Allgemeinen zu erklären1. 59
Auf die Schwierigkeit, aus dieser allgemein gehaltenen Regelung konkrete rechtliche Konsequenzen abzuleiten, ist verschiedentlich hingewiesen worden2. Eine Untersagung des Angebots kommt bei mangelnder Klarheit und Verständlichkeit nur in Betracht, wenn der Vorstoß gegen das gesetzliche Verständlichkeits- und Transparenzgebot des § 11 Abs. 1 Satz 4 offensichtlich ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 2)3. Konkrete Folgerungen etwa im Bezug auf sprachliche Vereinfachung (z.B. durch Verwendung von kurzen Sätzen), Mindestschriftgröße oder Voranstellung einer zusammenfassenden Darstellung lassen sich aus § 11 Abs. 1 Satz 4 nicht herleiten4. Auch dafür, dass der Aufbau der Reihenfolge des Angabenkatalogs in § 11 und § 2 WpÜG-AngVO zwingend folgen müsse5, gibt es keinen Anhaltspunkt6. 4. Unterzeichnung durch den Bieter (§ 11 Abs. 1 Satz 5)
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§ 11 Abs. 1 Satz 5 wurde, ebenso wie § 11 Abs. 1 Sätze 2 bis 4, angelehnt an korrespondierende Regelungen im bei Inkrafttreten des WpÜG geltenden Prospektrecht, nämlich § 13 Abs. 1 Satz 5 BörsZulV a.F. und § 2 Abs. 2 VerkProspVO a.F., denen der heutige § 5 Abs. 3 Satz 1 WpPG entspricht.
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Zu unterzeichnen ist das nach § 14 Abs. 1 Satz 1 an die Bundesanstalt zu übermittelnde Exemplar7. Der nach § 14 Abs. 3 zu veröffentlichende Text und das nach § 14 Abs. 4 dem Vorstand der Zielgesellschaft zu übermittelnde Exemplar brauchen die Originalunterschriften auch nicht als Faksimile oder in Kopie wiederzugeben8. Die Vertretungsbefugnis der Unterzeichner muss nachprüfbar sein, z.B. anhand einer Eintragung ins Handelsregister als gesetzlicher Vertreter oder Prokurist9, und auf Verlangen der BaFin nachgewiesen werden.
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Die Unterzeichnung durch den Bieter signalisiert, dass er die Verantwortung für die Unterlage übernimmt und im Fall von deren Fehlerhaftigkeit dafür haftet. So jedenfalls stellt die Regierungsbegründung10 das Verhältnis des Unterzeichnungserfordernisses nach § 11 Abs. 1 Satz 5 zu § 11 Abs. 3 und § 12 dar. Die Unterzeichnung ist jedoch angesichts des Wortlauts von § 11 Abs. 3 und § 12 nicht Bedingung für die Übernahme der Verantwortung und die Haftung. Das Verhältnis zwischen § 11 Abs. 1 Satz 5 und § 11 Abs. 3 dürfte sich wie folgt darstellen: Der Bieter fällt in jedem
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10
zwar eine Bilanz zu lesen versteht, aber nicht unbedingt mit der in eingeweihten Kreisen gebräuchlichen Schlüsselsprache vertraut zu sein braucht“ abstellt. In diesem Sinne zur Parallelproblematik bei Wertpapierprospekten Meyer in FrankfKomm. WpPG, § 5 Rz. 44. Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 6; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 21. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 44. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 42. So Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 22. Wie hier Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 43. Vgl. Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 7; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 45. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 45. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 45; gegen die Unterzeichnung durch Prokuristen Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 Rz. 7; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 47; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 24; für ein solches qualifiziertes Unterzeichnungserfordernis besteht jedoch kein Anhaltspunkt. BT-Drucks. 14/7034, S. 41.
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Fall unter § 11 Abs. 3, jedoch nicht notwendigerweise er allein. Dennoch muss nur er die Unterlage unterschreiben. Die anderen Personen, die möglicherweise zusätzlich die Verantwortung übernehmen, sind zur Unterzeichnung nicht verpflichtet. Der Bieter unterzeichnet folglich im Ergebnis zu Lasten anderer Beteiligter die Erklärung über deren Verantwortung und die Richtigkeit der Unterlage. Aus der Angebotsunterlage selbst geht es dabei nicht notwendigerweise hervor, ob er dazu bevollmächtigt war. Es empfiehlt sich zu präzisieren, dass gegebenenfalls die anderen Beteiligten ihrer Nennung zugestimmt haben. Im Übrigen siehe unten § 12 Rz. 35 ff. Wie die Gesetzesbegründung zeigt, entspricht es der Absicht des Gesetzgebers, und 63 insbesondere dem Grundgedanken des § 11 Abs. 1 Satz 5, dass der Bieter die Übernahme der Verantwortung i.S.d. § 11 Abs. 3 nicht ablehnen und dadurch vermeiden kann. Der Gesetzestext sagt dies allerdings nicht ausdrücklich. Es wäre wünschenswert, das Verhältnis der Bestimmungen zueinander bei Gelegenheit gesetzlich klarzustellen, etwa durch eine Regelung des Inhalts, dass die Unterschrift nach § 11 Abs. 1 Satz 5 als Übernahme der Verantwortung i.S.d. § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 und Abgabe der Richtigkeits- und Vollständigkeitserklärung i.S.d. § 11 Abs. 3 Halbsatz 2 gilt1. Im Fall eines gemeinschaftlichen Angebots durch mehrere Bieter müssen diese sämtlich unterzeichnen. Die Muttergesellschaft eines Bieters braucht die Unterlage nicht zu unterzeichnen, auch wenn von ihr i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 2 das Angebot ausgeht2.
64
C. Angebotsinhalt und ergänzende Angaben (§ 11 Abs. 2) I. Kategorien von Angaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1) Die in eine Angebotsunterlage aufzunehmenden Angaben sind nach dem Wortlaut 65 des § 11 Abs. 2 Satz 1 in zwei Kategorien eingeteilt. Unter Berücksichtigung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 kann man von drei Kategorien sprechen: Angaben über den Inhalt des Angebots (§ 11 Abs. 2 Satz 2), ergänzende Angaben (§ 11 Abs. 2 Satz 3) und „weitere ergänzende Angaben“ (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO). Die erste Kategorie und die zweite unterscheiden sich deutlich voneinander: Es handelt sich zum einen um den rechtsgeschäftlichen Teil der Angebotsunterlage, nämlich das Angebot, oder anders ausgedrückt die essentialia negotii3, und zum anderen um zusätzliche Angaben, die Informationszwecken dienen. Die dritte Kategorie besteht überwiegend ebenfalls aus ergänzenden Informationen. Einige der in § 2 WpÜG-AngVO geforderten Angaben betreffen jedoch den Inhalt des Angebots. Dies gilt etwa für die Angaben zur Form der Annahme des Angebots und zur Fälligkeit der Gegenleistung (§ 2 Nr. 4 WpÜG-AngVO), bei Tauschangeboten für die Angaben zu den als Gegenleistung angebotenen Wertpapieren oder Vermögensanlagen (§ 2 Nr. 2, 2a WpÜG-AngVO) sowie bei
1 Für die Geltung dieses Grundsatzes bereits de lege lata Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 7, in Anlehnung an entsprechende Äußerungen zum Prospektrecht von Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, § 13 VerkProspG Rz. 49; Meyer in FrankfKomm. WpPG, § 5 Rz. 72 f. Im Ergebnis dürfte dies zutreffen. Allerdings wird man die Haftung des Bieters, der nicht nach Absatz 3 angibt, dass er die Verantwortung übernimmt, nur auf § 12 Abs. 1 Nr. 2 stützen können (Haftung, weil von ihm „der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht“), nicht ohne weiteres auf § 12 Abs. 1 Nr. 1 (Haftung derjenigen, „die für die Angebotsunterlage die Verantwortung übernommen haben“). 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 45. 3 Liebscher, ZIP 2001, 853, 862; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 8.
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Teilangeboten für die Angaben zum Umfang des Angebots und zum Zuteilungsverfahren (§ 2 Nr. 6 WpÜG-AngVO). 66
Zwischen der zweiten und der dritten Kategorie von Informationen (soweit letztere nicht den Inhalt des Angebots betreffen) ist kein klarer qualitativer Unterschied auszumachen1. Es besteht auch kein deutlicher Rangunterschied unter dem Gesichtspunkt ihres wirtschaftlichen Gewichts. Ein Unterschied liegt indessen in ihrer politischen Relevanz: Die Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 3 beziehen sich auf Gegenstände (Sicherung der nötigen Mittel und gegebenenfalls der Finanzierung, Absichten des Bieters, Leistungen an Organmitglieder der Zielgesellschaft), die potenziell für die Öffentlichkeit, und damit auch politisch, von besonderem Interesse sind. Insoweit wurden Änderungen dem Gesetzgeber vorbehalten. Die Mehrheit der Anforderungen über ergänzende Angaben sind jedoch in der Verordnung enthalten und damit der Disposition des Verordnungsgebers überlassen worden. Sie können folglich relativ schnell an neue Erkenntnisse oder Erfordernisse angepasst werden2.
II. Angebotsinhalt (§ 11 Abs. 2 Satz 2) 67
§ 11 Abs. 2 Satz 2 spezifiziert die stets zum Inhalt des Angebots zu machenden Angaben. Sollte das Angebot weitere Elemente enthalten, etwa eine Sicherheitsleistung für die Aufbringung der Gegenleistung, sind auch diese aufzuführen (siehe oben Rz. 45). Dies folgt nicht nur aus dem Erfordernis der Richtigkeit und Vollständigkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3, sondern bereits daraus, dass der Inhalt des Erwerbsgeschäfts durch die Angaben in der Angebotsunterlage definiert wird und eine Auslassung einzelner Elemente schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt. Zu der allgemeinen Fragestellung, ob die erforderlichen Angaben in § 11 Abs. 2 und 3 sowie § 2 WpÜG-AngVO abschließend aufgeführt sind, siehe oben Rz. 44 f. 1. Identifikation des Bieters (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1)
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Die Fassung der Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass der Bieter (§ 2 Abs. 4) eine natürliche Person, eine Personengesellschaft oder eine juristische Person sein kann. Anzugeben sind der Name (§ 12 BGB) oder die Firma (§§ 17 ff. HGB), die Anschrift oder der Sitz und bei Gesellschaften die Rechtsform des Bieters. Sitz und Rechtsform sollten auch dann angegeben werden, wenn der Bieter keine Gesellschaft, sondern eine nicht als Gesellschaft zu qualifizierende juristische Person ist. Zudem kann es bei ausländischen Bietern sinnvoll sein, die Gesellschaftsform kurz zu charakterisieren, jedenfalls wenn nicht davon ausgegangen werden kann (wie etwa bei einer Aktiengesellschaft nach österreichischem oder schweizerischem Recht), dass sie den Aktionären der Zielgesellschaft ihren wesentlichen Merkmalen nach bekannt ist3. Betrachtet man entgegen der hier im Grundsatz vertretenen Ansicht (siehe oben Rz. 44 f.) den Katalog von Angaben nach § 11 Abs. 2 und § 2 WpÜG-AngVO als nicht abschließend, so ist die entsprechende Angabe nicht nur empfehlenswert, sondern verpflichtend. Grundlage dafür sind, wenn man dieser Auffassung folgt, die allgemeinen Grundsätze gemäß § 11 Abs. 1, vor allem § 11 Abs. 1 Sätze 2 bis 4. Un1 Kritisch auch Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 29; Schüppen, WPg 2001, 958, 961; Zinser, WM 2002, 15, 18; Liebscher, ZIP 2001, 853, 863. 2 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch etwa Peltzer/Voight, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Deutsch-Englische Textausgabe mit Einleitung, 2002, S. 10; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 9. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 54; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 49.
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ter Sitz ist nach überwiegender Meinung nicht der effektive Verwaltungssitz, sondern der in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag festgelegte Sitz zu verstehen1. Möglich ist jedoch auch eine Auslegung dahin gehend, dass sowohl der satzungsmäßige als auch der Verwaltungssitz anzugeben sind. In der Praxis empfiehlt es sich bei Gesellschaften jedenfalls, stets beides anzugeben2. Nach dem Wortlaut der Nr. 1 scheint es zu genügen, dass bei Gesellschaften oder juristischen Personen wahlweise die Anschrift oder der Sitz angegeben werden. Gemeint ist aber wohl, dass bei Gesellschaften stets der Sitz anzugeben ist3. Im Schrifttum4 wird z.T. verlangt, dass auch Registergericht oder -behörde und die Registernummer, unter der die Gesellschaft eingetragen ist, angegeben werden. Die Angabe empfiehlt sich, obwohl der Gesetzeswortlaut sie nicht erfordert. Sofern es sich bei dem Bieter um eine ausschließlich zum Zweck der Übernahme gegründete oder eingesetzte Zweckgesellschaft handelt, sind die Angaben zum Bieter auch in Bezug auf die wirtschaftlich hinter dieser Zweckgesellschaft stehenden Personen anzugeben, unabhängig davon, ob diese als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen nach § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO handelt (dazu siehe unten § 2 WpÜG-AngVO Rz. 3)5. 2. Identifikation der Zielgesellschaft (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 soll die eindeutige Identifizierung der Zielgesellschaft, d.h. 69 des Emittenten der Aktien, die den Gegenstand des Angebots bilden, sicherstellen. Zielgesellschaft im Sinne des Gesetzes ist entweder eine AG oder KGaA mit Sitz im Inland (§ 2 Abs. 3 Nr. 1); für eine Europäische Gesellschaft (SE) mit Sitz im Inland gilt Entsprechendes (vgl. § 2 Rz. 66). Oder es handelt sich um eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des europäischen Wirtschaftsraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 2), auf die das Gesetz nach § 1 Abs. 3 im Fall eines europäischen Angebots unter den dort genannten Voraussetzungen Anwendung findet. Die Angabe der Registereintragung der Gesellschaft ist angesichts des Wortlauts des Gesetzes nicht erforderlich6, aber empfehlenswert. 3. Bezeichnung der Wertpapiere (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) a) Allgemeines Zur genauen Bezeichnung der zu erwerbenden Wertpapiere (und zwar aller betroffenen Gattungen) gehört auch die Angabe von deren ISIN oder Wertpapier-Kennnum-
1 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 11; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 38; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 49; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 26; a.A. – in Bezug auf den Sitz der Zielgesellschaft (Satz 2 Nr. 2; siehe unten Rz. 69) – Hahn, RIW 2002, 741. 2 Im Ergebnis ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 54; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 49. 3 So im Ergebnis Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 46 Rz. 25. Das Gleiche ist nach der hier vertretenen Ansicht für juristische Personen, die nicht als Gesellschaft zu qualifizieren sind, jedenfalls zu empfehlen. 4 Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 27; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 49. 5 Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 47; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 55; ähnlich offenbar Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 28. 6 A.A. Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 29; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 50; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 56.
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mern1. Wertpapiere i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 können nach der Definition in § 2 Abs. 2 nicht nur Aktien der Zielgesellschaft sein. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 gehören dazu auch mit Aktien vergleichbare Wertpapiere und Zertifikate, die Aktien vertreten. Diese werden nachstehend zusammen auch als „gleichwertige Wertpapiere“ bezeichnet. Darüber hinaus erfasst die Definition der Wertpapiere gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 auch Wertpapiere der Zielgesellschaft (wie Wandelschuldverschreibungen und Optionsscheine), die zum Bezug von Aktien oder gleichwertigen Wertpapieren der Zielgesellschaft berechtigen. b) Von Dritten ausgegebene Wertpapiere (Umtauschanleihen, Optionsscheine auf Aktien der Zielgesellschaft), von einer Zielgesellschaft mittelbar ausgegebene Wandelschuldverschreibungen 71
Nicht zweifelsfrei ist es, ob von einem Dritten, also einem nicht mit der Zielgesellschaft identischen Emittenten, ausgegebene Wertpapiere nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen und, wenn sie ein Recht auf Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft (oder von gleichwertigen Wertpapieren) verbriefen, ebenso zu behandeln sind wie Wandelschuldverschreibungen und Optionsscheine der Zielgesellschaft auf eigene Aktien. Der Wortlaut des Gesetzes spricht eher dagegen: § 1, die grundlegende Bestimmung über den Anwendungsbereich des Gesetzes, setzt voraus, dass die Wertpapiere, auf deren Erwerb sich das Angebot richtet, „von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden“. Nach § 2 Abs. 1 sind Angebote im Sinne des Gesetzes solche „zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft“.
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Die Frage ist von Bedeutung bei Schuldverschreibungen aus Umtauschanleihen („exchangeable bonds“), also solchen, die einen Anspruch des Anlegers gegen den Dritten auf Umtausch in Aktien der Zielgesellschaft verbriefen. Gleiches gilt für von Dritten ausgegebene Optionsscheine, die den Anleger zum Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft gegen Zahlung eines festgelegten Optionspreises berechtigen. Den genannten Papieren ist gemeinsam, dass sie ihrem wesentlichen Inhalt nach (bei Optionsscheinen) oder neben anderen Rechten (bei Umtausch-Schuldverschreibungen) eine Option verbriefen, für die der Emittent im wirtschaftlichen Sinn als Optionsverkäufer („Stillhalter“) fungiert.
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Es entspricht nicht nur dem Wortlaut des Gesetzes, sondern erscheint auch sachgerecht, dass Angebote auf Erwerb derartiger Wertpapiere vom WpÜG nicht erfasst werden. Ihr Erwerb berührt die Zielgesellschaft nicht in ähnlicher Weise wie der von Wandelschuldverschreibungen oder Optionsscheinen, die sie selbst – im Rahmen einer Maßnahme der Kapitalbeschaffung nach § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG – ausgegeben hat. Keinesfalls kann der Wortlaut der §§ 1 und 2 Abs. 1 so verstanden werden, dass die hier erörterten Wertpapiere Dritter erfasst werden, weil der Dritte neben den Emittenten der Aktien, auf deren Erwerb sich die von ihm ausgegebenen Wertpapiere richten, ebenfalls als Zielgesellschaft zu behandeln sei. Ein solches Verständnis des Gesetzes würde zu einem Ergebnis führen, das mit seiner Zielsetzung nicht vereinbar wäre: Schuldverschreibungen aus Umtauschanleihen und Optionsscheine, die zum Erwerb von Aktien einer anderen Gesellschaft als des Emittenten der Optionsscheine berechtigen, würden nur dann in den Anwendungsbereich des Gesetzes fal-
1 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 13; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 43; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 51; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 55; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 30; a.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 11 Rz. 8.
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len, wenn ihr Emittent eine AG, KGaA oder SE mit Sitz im Inland wäre1, andernfalls nicht. Außerdem hätte – unter der genannten Voraussetzung – der Emittent dieser Wertpapiere die nach dem Gesetz vorgesehene Stellung einer Zielgesellschaft; dies wäre offensichtlich verfehlt, da seine Aktionäre und Mitarbeiter von dem Erwerb nicht betroffen wären. Man könnte eine extensive Auslegung von § 2 Abs. 1 und § 1 in Erwägung ziehen in 74 dem Sinne, dass ein Angebot zum Erwerb von Wertpapieren „einer Zielgesellschaft“ bzw. „die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden“ auch dann vorliegt, wenn die Wertpapiere, die unmittelbar Gegenstand des Angebots sind, von einem Dritten ausgegeben wurden, sofern sie sich ihrerseits auf Erwerb von Aktien oder vergleichbaren Wertpapieren der Zielgesellschaft richten. Auf letztere würde sich das Angebot bei dieser Betrachtungsweise also mittelbar beziehen. Diese Auslegung wäre indessen durch den Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt. Eine analoge Anwendung der genannten Bestimmungen würde voraussetzen, dass eine Gesetzeslücke vorliegt und nach Sinn und Zweck des Gesetzes eine Gleichbehandlung der fraglichen Wertpapiere sachgerecht ist. Beides ist nicht der Fall. Wertpapiere anderer Emittenten mit Optionsrechten auf 75 Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft sind in dem hier interessierenden Zusammenhang eher mit unverbrieften Optionsrechten zu vergleichen als mit Wandelschuldverschreibungen oder Optionsrechten der Zielgesellschaft auf eigene Aktien. Sie geben keine Gewähr dafür, dass dem Inhaber auf Verlangen Aktien der Zielgesellschaft geliefert werden. Wird die Zielgesellschaft übernommen und werden die verbleibenden Minderheitsaktionäre nach §§ 327a ff. AktG ausgeschlossen, so kann der Emittent der fraglichen Wertpapiere die Aktien der Zielgesellschaft nicht mehr liefern2. Gegebenenfalls muss er stattdessen Barausgleich leisten. Entsprechendes gilt typischerweise für den Fall von Marktstörungen im Handel der zu Grunde liegenden Aktien (d.h. derjenigen, die Gegenstand der Option sind). Schließlich gibt es Varianten der hier fraglichen Wertpapiere anderer Emittenten (insbesondere von Optionsscheinen), die von vornherein oder nach Wahl des Emittenten oder des Anlegers Erfüllung durch Barausgleich statt durch Lieferung von Wertpapieren vorsehen. Die Zielgesellschaft wird von der Erfüllung der Verpflichtungen dieser von Dritten ausgegebenen Wertpapiere jedenfalls dann nicht berührt, wenn der Dritte Barausgleich leistet. Auch wenn dies nicht der Fall ist, haben Wertpapiere Dritter der hier erörterten Art zumindest keine stärkeren Auswirkungen auf den Emittenten als unverbriefte Optionen. Es wäre angesichts dessen nicht angemessen, den Bieter etwa im Rahmen eines Pflichtangebots zu verpflichten, sein Angebot auf die fraglichen, von Dritten ausgegebenen „Stillhalter-Wertpapiere“ auszudehnen. Die vorstehend erwähnten Wertpapiere anderer Emittenten als der Zielgesellschaft sind also in der Angebotsunterlage nicht aufzuführen. Etwas anderes gilt freilich, wenn sich die Emission eines Dritten wirtschaftlich als 76 Emission der Zielgesellschaft darstellt. Dies ist häufig bei der Emission von Schuldverschreibungen durch eine ausländische Finanzierungsgesellschaft der Fall, die in Aktien einer Zielgesellschaft gewandelt werden können und bei denen die Erfüllung der Ansprüche der Anleihegläubiger durch die Emittentin von dieser Zielgesellschaft garantiert werden. Diese Zwischenschaltung einer ausländischen Finanzierungs1 Ebenso ablehnend Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 31. 2 Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie bedingte Aktienbezugsrechte, die die Zielgesellschaft eingeräumt hat, beim Squeeze-out behandelt werden; vgl. dazu Wilsing/Kruse, ZIP 2002, 1465.
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gesellschaft erfolgt dabei grds. rein aus steuerlichen Gründen1. Anders als in den im vorigen Absatz beschriebenen Fällen ist hier Emission von einer Zielgesellschaft veranlasst und erfolgt auch im Hinblick auf die dabei typischerweise vereinbarte Erlösweiterleitung zu deren Kapitalaufnahme. Solche von einer Zielgesellschaft mittelbar ausgegebene Wandelschuldverschreibungen werden daher auch aktienrechtlich den von dieser direkt ausgegebenen Wandelschuldverschreibungen gleich gestellt2. Konsequenterweise dürfte daher bei auf solche Wandelschuldverschreibungen gerichtete Erwerbsangebote das WpÜG zur Anwendung kommen (vgl. auch § 1 Rz. 29). 4. Gegenleistung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4) 77
Die für die Wertpapiere der Zielgesellschaft gebotene Gegenleistung wird regelmäßig bei der Entscheidung der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft den Ausschlag geben. Die Gegenleistung kann der Art nach aus Geld oder sonstigen Vermögensgegenständen, insbesondere Aktien des Bieters oder eines Dritten, bestehen. Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 39 muss jedoch bei Übernahme- und Pflichtangeboten eine Geldleistung in Euro oder, vorbehaltlich des § 31 Abs. 3, die Übertragung liquider Aktien angeboten werden, die an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 7) zugelassen sind.
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Ergänzende Angaben zur Gegenleistung sieht § 2 WpÜG-AngVO in Nr. 2 und Nr. 2a (für den Fall von Tauschangeboten) und Nr. 3 (im Hinblick auf die Bewertungsmethoden) vor.
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Die Höhe der Gegenleistung unterliegt bei Übernahme- und Pflichtangeboten den Vorgaben des § 31 Abs. 1 (i.V.m. § 39) und der §§ 3 bis 6 WpÜG-AngVO. Bei Tauschangeboten ist der Umfang der Gegenleistung, also z.B. die Anzahl der als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere (oder Vermögensanlagen), anzugeben, nicht notwendigerweise ein Gegenwert in Geld, zumal dieser sich während der Dauer des Angebots laufend verändert. Die Gegenleistung muss nicht zwingend in einem festen Gegenwert oder auch einer festen Zahl an Wertpapieren oder Vermögensanlagen bestehen, auch nicht bei Übernahme- oder Pflichtangeboten (solange in diesem Fall die Vorgaben des § 31 eingehalten sind). Denkbar ist vielmehr auch eine variable Gegenleistung, deren Höhe sich aus einer angegebenen Berechnungsformel ergibt und die auf dieser Grundlage jedenfalls bestimmbar sein muss. Die Formel hat freilich dem allgemeinen Transparenzgebot zu entsprechen (Rz. 58) und ist – etwa im Rahmen der Darstellung der angewandten Bewertungsmethoden nach § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO – zu erläutern3. Zu beachten ist aber, dass im Hinblick auf die nötigen Angaben zur Finanzierung des Angebots der maximale Gesamtbetrag der für die volle Erfüllung der Gegenleistung notwendigen Mittel bestimmt werden muss (siehe Rz. 94).
1 Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 13 Rz. 37. 2 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 51 Rz. 4 f.; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 32; diese Transaktionen hat offenbar auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 32, im Blick, ohne freilich die Abgrenzung zu der vorgenannten Fallgruppe vorzunehmen. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 59; differenzierend mit Betonung des Bestimmbarkeitserfordernisses Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 54.
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5. Entschädigung für den Entzug von Rechten (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a) Seit der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie ist die Höhe der für den Entzug von 80 Rechten gebotenen „Entschädigung nach § 33b Abs. 4“ ebenfalls anzugeben. Diese Entschädigungspflicht ergibt sich aus der Anwendung der dort so genannten „Durchgriffsklausel“ nach Art. 11 der EU-Übernahmerichtlinie, wonach strukturelle Übernahmehindernisse bei einem Übernahmeangebot nicht gelten, also „durchbrochen“ werden sollen. In Deutschland wurde Art. 11 der EU-Übernahmerichtlinie durch § 33b als so genannte „europäische Durchbrechungsregelung“ in nationales Recht umgesetzt. Dabei hat der Gesetzgeber von seinem Wahlrecht nach Art. 12 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie Gebrauch gemacht und die Durchbrechungsregelung nicht als zwingendes Recht umgesetzt, sondern gemäß Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie den Zielgesellschaften lediglich die Möglichkeit eingeräumt, freiwillig die Durchbrechungsregel durch eine ausdrückliche Satzungsbestimmung zur Anwendung zu bringen (siehe im Einzelnen dazu die Kommentierung zu § 33b). Werden in diesem Fall bestimmten Aktionären der Zielgesellschaft Sonderrechte aufgrund der Anwendung der europäischen Durchbrechungsregel entzogen, so muss der Bieter nach § 33b Abs. 5 diesen Aktionären eine angemessene Entschädigung in Geld leisten. Diese Entschädigung, in Bezug auf deren Bemessung vieles unklar ist (siehe dazu § 33b Rz. 51 ff.), ist in der Angebotsunterlage anzugeben – der Verweis auf § 33b Abs. 4 (statt Abs. 5) ist offensichtlich ein Redaktionsversehen1. Die Angabe korrespondiert mit dem ergänzenden Erfordernis nach § 2 Nr. 3a WpÜG-AngVO, wonach die zur Berechnung der Entschädigung angewandten Methoden anzugeben sind. Dabei ist zu begründen, weshalb diese Methoden angemessen sind. Im Hinblick darauf, dass die Einführung der europäischen Durchbrechungsregel in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung erlangt hat, ist auch die entsprechende Angabe in der Angebotsunterlage nahezu irrelevant. Indes erwartet die BaFin auch bei Nichtanwendbarkeit der europäischen Durchbrechungsregel mangels entsprechender Satzungsregelung der Zielgesellschaft hinsichtlich dieser Angabe zumindest eine Negativerklärung. 6. Bedingungen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5) Bedingungen sind ein wesentliches Element vieler Angebote. Auf sie kann nach § 21 81 Abs. 1 Nr. 4 verzichtet werden2. In der Angebotsunterlage muss auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen werden3. Allerdings erfolgt in der Praxis regelmäßig ein entsprechender Hinweis, insbesondere auf die dadurch ggf. eintretende Verlängerung der Angebotsfrist nach § 21 Abs. 5, zumal § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO einen Hinweis darauf verlangt4. Als Bedingungen der Wirksamkeit des Angebots dürfen nach § 18 nur solche festgelegt werden, deren Eintritt der Bieter oder bestimmte ihm nahestehende Beteiligte nicht ausschließlich selbst herbeiführen können. Die BaFin legt diese Beschränkung extensiv aus und erlaubt nur solche Bedingungen, deren Eintritt der Bieter weder unmittelbar noch mittelbar über ihm nach § 18 Abs. 1 zuzurechnende Personen beeinflussen kann5. Eine Ausnahme von diesem Verbot sog. Potestativbe1 Ebenso: Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 66; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 61; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 55; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 33; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 61. 2 Zur Fristberechnung in diesem Zusammenhang Busch, ZIP 2003, 102. 3 A.A. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 56. 4 Vgl. zum Beispiel: Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der FPS Beteiligungs AG an die Aktionäre der RHÖN-KLINIKUM AG vom 18.5.2012, S. 34 Tz. 13.2. 5 Jahresbericht der BaFin für 2005, S. 174; ausführlich dazu Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR-Beiheft 76 (2011), S. 226, 245.
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dingungen bildet der aus § 25 i.V.m. § 18 abzuleitende Grundsatz, dass der Bieter das Angebot unter der Bedingung des Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung abgeben kann. Kraft Gesetzes vorgeschriebene Bedingungen gibt es nicht, insbesondere keine obligatorische Mindesterwerbsschwelle bei Übernahmeangeboten1. Zulässig sind z.B. Bedingungen, die die Wirksamkeit des Angebots vom Erreichen einer bestimmten Beteiligungshöhe, der Erteilung einer kartellrechtlichen oder sonstigen Genehmigung oder dem Unterbleiben gewisser Abwehrmaßnahmen der Zielgesellschaft, wie z.B. Kapitalveräußerungen oder Veräußerungen wesentlicher Unternehmensteile, abhängig machen2. Einzelheiten siehe unten zu § 18 Rz. 24 ff. 82
Bedingungen müssen in der Angebotsunterlage hinreichend bestimmt formuliert werden, so dass der Aktionär der Zielgesellschaft klar erkennen kann, ob eine Bedingung eingetreten ist oder nicht3. In Bezug auf sog. Material Adverse Change („MAC“)-Klauseln hat die BaFin jedoch ihre ursprüngliche Ablehnung mittlerweile relativiert. So soll es zulässig sein, das Erwerbsangebot unter die Bedingung des Ausbleibens einer wesentlichen nachteiligen Veränderung der Verhältnisse der Zielgesellschaft zu stellen, sofern diese Veränderungen hinreichend spezifiziert werden. Insbesondere darf der Bieter dem Aktionär der Zielgesellschaft nicht die Prüfung auferlegen, ob ein Umstand „wesentlich“ oder „vernünftigerweise zu erwarten“ ist, so dass eine Bedingung nicht mit diesen Vorbehalten versehen werden darf4. Zulässig ist dagegen, das Angebot unter die Bedingung zu stellen, dass sich bestimmte Kennzahlen der Zielgesellschaft nicht um mehr als ein bestimmtes in der Angebotsunterlage angegebenes Maß verändert haben5. Ähnliches gilt für gravierende Veränderungen des Marktumfeldes (sog. Force Majeure Klausel), wenn sie hinreichend spezifiziert und objektiv feststellbar sind (z.B. Einstellung des Börsenhandels an bestimmten Wertpapierbörsen, Verhängung eines Bankenmoratoriums oder Absinken eines Aktienindex wie dem DAX in einem bestimmten Umfang während einer Referenzperiode)6. Zu Material Adverse Change und Force Majeure Regelungen in einer der Finanzierung zugrunde liegenden Kreditzusage siehe unten Rz. 98 ff. Eine weitere Abwandlung des Grundsatzes der Bestimmtheit von Angebotsbedingungen hat die BaFin im Hinblick auf eine so genannte Compliance-Bedingung zugelassen7. Darunter war im konkreten Fall das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen Antikorruptionsvorschriften durch ein Organ oder einen Mitarbeiter der Zielgesellschaft zu verstehen. Das erforderliche Maß an Bestimmtheit wurde dadurch erreicht, dass dieser Verstoß eine Insiderinformation darstellen musste (mithin also eine gewisse Erheblichkeit aufzuweisen hat). Dies wird angenommen, wenn die Zielgesellschaft insoweit entweder eine Ad hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG veröffentlichte oder ein vom Bieter benannter Gutachter dies feststellt8.
1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 6; Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 126; jetzt auch Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6; a.A. Santelmann, AG 2002, 497, 498 ff. 2 Pötzsch, Das neue Übernahmerecht, 2002, S. 30; Beckmann/Kersting/Mielke, Das neue Übernahmerecht, 2003, S. 95 Rz. B250; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 29 ff.; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 62. 3 So schon Jahresbericht der BaFin für 2004, S. 205. 4 Jahresbericht der BaFin für 2011, S. 223 f. 5 Krause, NJW 2004, 3681, 3683; Berger/Filgut, WM 2005, 253, 256 (mit Beispielen in Fn. 49); Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR-Beiheft 76 (2011), S. 226, 257 ff. 6 Krause, NJW 2004, 3681, 3683; Berger/Filgut, WM 2005, 253, 257 (mit Beispielen in Fn. 51); Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR-Beiheft 76 (2011), S. 226, 259 f. 7 Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Engine Holding GmbH an die Aktionäre der Tognum AG vom 5.5.2011, S. 47. 8 Dazu Jahresbericht der BaFin für 2011, S. 228.
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Allerdings sind auch nach der Verwaltungspraxis der BaFin Bedingungen, auf deren 83 Eintritt der Bieter einen gewissen (sei es auch erheblichen) Einfluss hat, nicht generell ausgeschlossen1. Eine solche Bedingung ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Bieter das Angebot anderenfalls nicht vollziehen dürfte, ohne gegen ein gesetzliches Verbot zu verstoßen2. Dies gilt für den Vorbehalt einer behördlichen Genehmigung, etwa im Rahmen der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle. Wenn der Bieter das betreffende Verfahren nicht mehr oder nicht mit Nachdruck betreibt, kann dies freilich zur Versagung der Genehmigung führen. Dass dem Bieter in solchen Fällen die Möglichkeit verbleibt, den Eintritt bestimmter Bedingungen auch aufgrund eigener subjektiver Einschätzung zu unterbinden, ist sachgerecht. Ihm muss beispielsweise die Möglichkeit bleiben, einen Genehmigungsantrag zurückzuziehen, wenn er die Sache für aussichtslos oder behördliche Auflagen oder Einschränkungen für unannehmbar hält. Im Prinzip muss er allerdings das betreffende Genehmigungsverfahren fördern (siehe § 18 Rz. 26). Bestimmte Arten von Bedingungen sind durch einzelne konkrete Vorschriften des 84 Gesetzes implizit ausgeschlossen. Dies gilt etwa für die Bedingung, dass die Aufbringung der notwendigen Mittel gesichert ist3. Ein solcher Vorbehalt wäre mit § 13 Abs. 1 unvereinbar. Des Weiteren dürften Bedingungen unzulässig sein, wenn diese voraussichtlich erst nach dem Ende der Annahmefrist erfüllt werden können und nicht absehbar ist, in welcher Frist darüber Klarheit entsteht (siehe unten § 2 WpÜGAngVO Rz. 24)4. Die Regelung des WpÜG folgt im Ansatz dem britischen City Code on Takeovers 85 and Mergers. Nach dessen Rule 13.1 sind Bedingungen unzulässig, die ausschließlich von der subjektiven Einschätzung des (Geschäftsführungsorgans des) Bieters oder der Zielgesellschaft abhängen oder deren Erfüllung in den Händen von Bieter oder Zielgesellschaft liegt. Indes kann das Takeover Panel subjektive Elemente in Bedingungen ausnahmsweise erlauben, wenn ihr vollständiger Ausschluss nicht praktikabel ist, insbesondere, wenn behördliche Genehmigungen von der Mitwirkung des Bieters oder der Zielgesellschaft abhängen. Eine entsprechende Regelung findet sich auch im österreichischen Recht. Dort sind nach § 8 ÜbG Angebotsbedingungen und Rücktrittsvorbehalte nur zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind (insbesondere auf Rechtspflichten des Bieters beruhen), oder ihr Eintritt bzw. ihre Geltendmachung nicht ausschließlich vom Ermessen des Bieters abhängen. Eine sachliche Rechtfertigung ist dabei auszuschließen, wenn die Bedingung im ausschließlichen Ermessen des Bieters liegt5. Dem Wortlaut nach weiter als die genannten Regelungen aus dem EU-Ausland scheint das Bedingungsverbot in Art. 13 Abs. 2 der schweizerischen UEV. Danach darf ein Angebot grds. nur an Bedingungen geknüpft werden, deren Eintritt der Bieter selbst nicht maßgeblich beeinflussen kann. Hier sieht Art. 13 Abs. 3 UEV ferner ausdrücklich vor, dass der Bieter alle ihm zumutbaren Maßnahmen zugunsten des Eintritts von Bedingungen zu treffen hat, wenn dieser von seiner Mitwirkung abhängt6. Trotz der teilweise abweichenden Formulierungen ist den Re-
1 Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 87 Rz. 110. 2 Jahresbericht der BaFin für 2005, S. 174. 3 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 16; Aha, AG 2002, 160, 165 Fn. 51; Busch, AG 2002, 145, 147; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 88 Rz. 111, jeweils mit weiteren Beispielen unzulässiger Bedingungen (vgl. ferner dort S. 87 f. Rz. 110). 4 Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 91 Rz. 117. 5 Gall in Huber (Hrsg.), 2007, § 8 ÜbG Rz. 7. 6 Eingehend Gericke/Wiedmer, Art. 13 UEV Rz. 27 ff.
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gelungen in Großbritannien, Österreich und der Schweiz also mit dem deutschen Recht gemein, dass sie grundsätzlich Potestativbedingungen verbieten, aber gegenüber Bedingungen mit notwendiger Mitwirkung durch den Bieter, insbesondere bei behördlichen Genehmigungsverfahren, offen sind mit der Maßgabe, dass den Bieter eine Förderungspflicht trifft. 86
Nimmt der Bieter nach Maßgabe des § 24 bestimmte Inhaber von Wertpapieren, die in Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig sind, von dem Angebot aus, so ist auch diese Ausnahmeregelung in der Angebotsunterlage anzugeben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine solche Ausnahme rechtlich eine Bedingung im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ist. Da die Ausnahme das Angebot einschränken würde, muss sie in jedem Fall (siehe oben Rz. 67) schon nach den allgemeinen Grundsätzen des § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 in der Unterlage aufgeführt werden1. 7. Annahmefrist (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6)
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Die Frist für die Annahme des Angebots (Annahmefrist) beträgt nach § 16 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich zwischen vier und zehn Wochen, vorbehaltlich der Sonderregelungen der §§ 21 und 22. Die Frist beginnt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 3 Satz 1). Die Regelung ist zwingend; der Bieter kann nicht einen anderen (späteren) Fristbeginn festlegen2. Im Interesse der Klarheit für die Beteiligten ist der Tag des Fristbeginns als konkretes Datum zu benennen. Zum Zeitpunkt der Übermittlung der Unterlage an die BaFin ist dieses Datum allerdings noch nicht bekannt, so dass der Fristbeginn zunächst nur abstrakt beschrieben werden kann. Die abstrakte Aussage auch in der veröffentlichten Fassung, die Frist beginne mit Veröffentlichung der Angebotsunterlage, dürfte dagegen nicht ausreichen, es sei denn der Bieter fügt hinzu, für welchen Tag er die Veröffentlichung erwartet. Verzögert sich die Veröffentlichung, so empfiehlt sich eine Berichtigung gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 3 bzw. Aktualisierung der Angebotsunterlage. Es kann sich insoweit auch anbieten, eine Konkretisierung der abstrakten Angaben vorzusehen, die nach Gestattung, aber vor Veröffentlichung vervollständigt wird3. In der Praxis wird man sich mit der BaFin auf einen Zeitpunkt der voraussichtlichen Gestattung verständigen und diesen in einer zur Gestattung vorgelegten Fassung einfügen.
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Erfolgt die Veröffentlichung in den nach § 14 Abs. 3 vorgeschriebenen Medien (Internet und Bundesanzeiger oder Bereithaltung zur kostenlosen Ausgabe unter Hinweisbekanntmachung im Bundesanzeiger) nicht gleichzeitig, so ist die zeitlich letzte Bekanntmachung für den Fristbeginn maßgeblich (siehe unten § 16 Rz. 19)4. Verzögert sich die Bekanntmachung also, muss die angegebene Annahmefrist ggf. durch Veröffentlichung einer berichtigten Angebotsunterlage berichtigt werden5.
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Das Ende der Annahmefrist kann vom Bieter auf einen Zeitpunkt festgelegt werden, der nicht weniger als vier Wochen und nicht mehr als zehn Wochen nach dem Beginn dieser Frist liegt (§ 16 Abs. 1 Satz 1). Das Fristende sollte mit Tag und Uhrzeit
1 Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 105 Rz. 150; Näheres zu § 24 vgl. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364 f. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 17. 3 Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 34; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 56; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 65. 4 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 14 ff.; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 67. 5 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 67.
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(mit Ortsbezug wie z.B. MEZ oder GMT) bezeichnet werden1. Zur Fristberechnung vgl. unten § 16 Rz. 22.
III. Ergänzende Angaben (§ 11 Abs. 2 Satz 3) 1. Mittelbeschaffung, Auswirkungen auf den Bieter (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1) a) Mittelbeschaffung Mehreren Bestimmungen des Gesetzes ist die Zielsetzung zu entnehmen, unseriöse 90 und finanziell nicht abgesicherte Angebote zu unterbinden. Dazu gehören die Regelungen der §§ 17, 18, wonach der Bieter fest entschlossen sein und sich grundsätzlich binden muss, das Angebot im Fall seiner Annahme zu erfüllen. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 beruht auf dem Gedanken, dass der Bieter nicht nur willens, sondern auch in der Lage sein sollte, das angenommene Angebot zu erfüllen. Es ist, wie die Regierungsbegründung ausführt, im Interesse weder der angesprochenen Wertpapierinhaber noch der Zielgesellschaft, einem Angebotsverfahren ausgesetzt zu sein, das auf der Seite des Bieters auf keiner vertretbaren wirtschaftlichen Grundlage steht und unter Umständen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist2. Der Bieter hat folglich Auskunft über die Maßnahmen zur Sicherstellung der Verfügbarkeit der für die Erfüllung notwendigen Mittel zu geben. Wie sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 ergibt, müssen die Maßnahmen, die sicherstellen, 91 dass dem Bieter die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, bereits vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage getroffen werden. Die Mittel selbst brauchen jedoch nach dieser Vorschrift erst „zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung“ bereit zu stehen. Sie müssen nicht bei Veröffentlichung der Unterlage schon im Vermögen des Bieters vorhanden sein. Die Formulierung lässt also erkennen, dass der Bieter, z.B. wenn er eine Gegenleistung in Geld anbietet und diese durch Aufnahme von Darlehen finanzieren will, die nötige Finanzierungsvereinbarung bereits getroffen, aber die Darlehensvaluta noch nicht erhalten haben muss. Die Formulierung des § 13 Abs. 1 Satz 1 in dem hier erörterten Punkt entspricht derjenigen des Regierungsentwurfs. Indem sie verdeutlicht, dass die für die Finanzierung erforderlichen Mittel nicht schon vor der Veröffentlichung des Angebots zur Verfügung stehen müssen, weicht sie von der Fassung des früheren § 15 des Diskussionsentwurfs und auch des § 13 Abs. 1 Satz 1 des Referentenentwurfs ab. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 enthält nicht ebenfalls die in § 13 Abs. 1 Satz 1 enthaltene Passage „zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung“. Diese redaktionelle Verkürzung ist sachlich ohne Bedeutung; § 11 ist in dieser Beziehung im Lichte des § 13 zu verstehen. Aus dem Vorstehenden ergeben sich zwei entscheidende Grundsätze, die für die An- 92 forderungen an die Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und die Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 maßgeblich sind: Zum einen ist die Ernsthaftigkeit des Angebots zu demonstrieren; es muss auf einer „vertretbaren“ wirtschaftlichen Grundlage beruhen. Zum anderen müssen die notwendigen Mittel erst bei Fälligkeit, also zu einem künftigen Zeitpunkt, bereit stehen. Wenn die vom Bieter zu treffenden Maßnahmen „sicherstellen“ müssen, dass die Mittel dann verfügbar sind, so setzt dies eine Prognose des Bieters voraus. Diese muss auf einer realistischen und kaufmän1 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 65. 2 BT-Drucks. 14/7034, S. 41; BR-Drucks. 574/01, S. 99; vgl. dazu ferner etwa Liebscher, ZIP 2001, 853, 863; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 54.
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nisch vernünftigen Betrachtungsweise beruhen. Es kommt also darauf an, ob bei einer solchen Betrachtungsweise und normalem Ablauf des Geschehens damit zu rechnen ist, dass die Mittel bei Bedarf zur Verfügung stehen. Trifft dies zu, so ist die wirtschaftliche Grundlage des Angebots „vertretbar“ im Sinne der Gesetzesbegründung. Aus dem Wortlaut des Gesetzes und insbesondere der Begründung lässt es sich nicht ableiten, dass die Mittelbeschaffung unter allen denkbaren, auch ungewöhnlichen und unerwarteten, Umständen sicher gestellt sein muss. Vor allem gibt es keine Grundlage dafür, auch nicht in § 13 Abs. 1 Satz 2, dass ein finanzierendes Institut die Auszahlung der nötigen Finanzierungsmittel unwiderruflich garantieren muss oder dass die Wertpapierinhaber sogar davor zu schützen sind, dass der Bieter, der die nötigen flüssigen Mittel bereits hat, aus eigener freiwilliger Entscheidung „anderweitig über die Mittel verfügt“. Gleichwohl sichert sich das die Finanzierungsbestätigung ausstellende Institut im eigenen Interesse zur Vermeidung von Haftungsrisiken regelmäßig gegen anderweitige Verfügungen ab (vgl. § 13 Rz. 40)1. 93
Ein Verständnis dahin gehend, dass die Aufbringung der Mittel unter allen denkbaren Umständen gesichert sein muss2, wäre unrealistisch und würde dem in § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 niedergelegten Grundsatz, dass die Mittel erst bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen müssen, widersprechen. Verlangte man dies, würde das bestätigende Unternehmen damit praktisch unter anderem auch die Haftung für den Fall der Insolvenz einer finanzierenden Bank, der Einführung von Devisenkontrollen im Land der Währung, auf die die Gegenleistung lautet, und andere unwägbare und von ihm nicht zu kontrollierende Ereignisse übernehmen müssen. Selbst wenn die Mittel, wie es im Schrifttum zum Teil nahe gelegt wird3, bei einem Kreditinstitut, wie z.B. dem bestätigenden Unternehmen selbst, in Form einer gesperrten Einlage bereits hinterlegt werden, würde dies keine uneingeschränkte Sicherstellung bewirken. Das Risiko der Insolvenz des Kreditinstituts bliebe. Eine Sicherstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre nur im Fall einer Einlage bei der für die jeweilige Währung zuständigen Zentralbank und eines darauf basierenden Zahlungsversprechens der Zentralbank gegeben. Mit einer solchen Anforderung würde jedoch die oben hervorgehobene Regelung unterlaufen, wonach die Mittel erst bei Fälligkeit und nicht bereits vor Abgabe des Angebots bereit stehen müssen.
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Wenn der Bieter sicherstellen muss, dass ihm bei Fälligkeit die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, so bedeutet dies, dass er bei seinen vorbereitenden Maßnahmen von der Annahme einer vollständigen Annahme seines Angebots auszugehen hat. Es ist also nicht zulässig, die Mittel nur in Höhe einer geschätzten Annahmequote einzuplanen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes scheint dies selbst dann zu gelten, wenn mit der Ablehnung des Angebots durch einige Wertpapierinhaber sicher zu rechnen ist. Geht ein Wertpapierinhaber so weit, dass er sogar verbindlich erklärt, das Angebot auf keinen Fall anzunehmen, erscheint das Erfordernis für den Bieter, dennoch die Mittel für die lediglich hypothetisch errechnete vollständige Angebotsannahme beschaffen zu müssen, als eine in der Sache nicht gerechtfertigte formale Anforderung, die zudem ein Angebot ohne sachlichen Grund erschweren oder verhindern kann4. Die BaFin, die nach § 15 Abs. 1 1 Dazu Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1114. 2 In diese Richtung tendiert Hamann, ZIP 2001, 2249, 2254; dagegen Berrar, ZBB 2002, 174, 177. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 21; dagegen Berrar, ZBB 2002, 174, 177 f. unter Hinweis auf die Praxis der BaFin und die Kosten einer solchen gesperrten Einlage; Vogel, ZBB 2002, 1421, 1426; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162. 4 So aber Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 70.
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Nr. 1, § 14 Abs. 2 hierüber zu entscheiden hat, vertritt allerdings die Ansicht, dass eine schuldrechtliche Verpflichtung, das Angebot nicht anzunehmen, für sich allein nicht ausreicht, um den von dieser Verpflichtung erfassten Teil der Wertpapiere unberücksichtigt zu lassen1. Eine Ausnahme gilt aber für den Fall, dass ein Verstoß gegen eine vereinbarte Nichtannahmeverpflichtung eine Vertragsstrafe in Höhe der im Rahmen des Angebots gebotenen Gegenleistung pro abredewidrig eingelieferter Aktie auslöst. Dadurch kann der Bieter mit seinem Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe gegen den Anspruch des vertragsbrüchigen Aktionärs auf die Gegenleistung aufrechnen, so dass die Finanzierung des Angebots insoweit nicht sichergestellt werden muss2. In jedem Fall verlangt die BaFin detaillierte Ausführungen zum Umfang des Angebots, zum Gesamtbetrag der vom Bieter (maximal) zu erbringenden Gegenleistung und zu den erwarteten Transaktionskosten, da nur auf dieser Grundlage nachvollzogen werden kann, dass die zur vollständigen Erfüllung der Gegenleistung notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen getroffen wurden3. Die getroffenen Finanzierungsmaßnahmen sind im Einzelnen zu erläutern, insbesondere im Hinblick auf ihre Eignung zur Sicherstellung der Finanzierung4. aa) Barangebote Im Fall eines Barangebots, das nicht durch Aufnahme von Eigenkapital oder Fremdmitteln finanziert werden soll, könnte der Bieter darlegen, dass er über frei verfügbare liquide Mittel, also vor allem Guthaben bei Kreditinstituten oder liquide Wertpapiere, in ausreichendem Umfang verfügt (erforderlichenfalls in Verbindung mit Geschäften zur Absicherung gegen Kursrückgänge) oder andere Aktiva (wie Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen) veräußert hat oder rechtzeitig aufgrund geeigneter Absprachen (z.B. einer Verkaufsoption) veräußern kann5.
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Die Angaben müssen erkennen lassen, dass und warum die vorhandenen oder erwar- 96 teten Geldmittel dem Bieter voraussichtlich bei Fälligkeit seiner Gegenleistung (noch) zur Verfügung stehen werden. Es wird ausreichen, das Letztere in allgemeiner Form darzulegen. Wenn, was die Regel sein wird, die Aktiva des Bieters teilweise fremdfinanziert sind, also etwa durch Darlehen oder Anleihen, kann erläutert werden, dass die Finanzierungen eine Laufzeit über den Zeitpunkt der Fälligkeit der Gegenleistung hinaus haben und die liquiden Mittel bis dahin voraussichtlich nicht durch Zins- oder Kapitalzahlungen verbraucht sein werden. Bestehen bei Darlehensfinanzierungen ordentliche Kündigungsmöglichkeiten, die die Liquiditätslage in relevanter Weise beeinträchtigen könnten, wird der Bieter darzulegen haben, wie er sich gegen dadurch möglicherweise entstehende Liquiditätsengpässe abgesichert hat. Dagegen wird der Bieter nicht die unter den (möglicherweise zahlreichen) Fremdfinanzierungen bestehenden außerordentlichen Möglichkeiten einer Kündigung zu beschreiben haben, es sei denn er hat Anlass anzunehmen, dass eine dieser Möglichkeiten wegen des Angebots oder in zeitlichem Zusammenhang mit diesem genutzt werden könnte. Es empfiehlt sich jedoch zu erwähnen, dass solche Kündigungsmöglichkeiten im Prinzip bestehen6. 1 2 3 4 5 6
Krause, NJW 2004, 3681, 3683. Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 290 f. Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46; dagegen Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 60. Seibt, CFL 2011, 213, 223. Eingehend dazu Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162. Für ein Erfordernis der Darstellung der „wesentlichen Kündigungsrechte“ Berrar, ZBB 2002, 174, 177, 179.
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In Anlehnung an diese Überlegungen wird auch die Frage zu beantworten sein, welche Maßnahmen zur Finanzierung als notwendig und ausreichend anzusehen sind, wenn liquide Mittel vom Bieter noch zu beschaffen sind. Sollten die Mittel durch eine Kapitalerhöhung beschafft werden, so kommt es bei der Beurteilung, ob die „notwendigen Maßnahmen“ getroffen sind, um den Mittelzufluss „sicherzustellen“, auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an. Die Einberufung der Hauptversammlung dürfte nicht ausreichen, die Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses grds. nur dann, wenn mit Opposition gegen den Beschluss nicht zu rechnen ist1. Die Unsicherheit in Bezug auf die Anfechtung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses kann durch eine entsprechende Angebotsbedingung berücksichtigt werden (dazu § 13 Rz. 46)2. Zur Sicherstellung der Mittelaufbringung muss zudem gewährleistet sein, dass die Übernahme der neuen Aktien zu einem solchen Mindestpreis sichergestellt ist, der für die Finanzierung der Gegenleistung ausreicht. Hierzu können sog. Festbezugserklärungen von Aktionären oder bindende Übernahmezusagen (underwriting commitments) von Banken eingeholt werden (dazu auch § 13 Rz. 47)3. Im Fall einer Fremdfinanzierung muss eine verbindliche Kreditzusage vorliegen. Eine solche setzt voraus, dass die wesentlichen Bedingungen des Kreditvertrags bereits festliegen. Der Bieter muss auf dieser Basis in der Lage sein, die Auszahlung der Kreditmittel im Streitfall durchzusetzen4. Eine unter dem Vorbehalt der Einigung über einen Kreditvertrag gegebene grundsätzliche Zusage würde also nicht ausreichen. Ebenso wenig wäre eine Zusage unter der Bedingung der erfolgreichen Syndizierung des Kredits, also der Beteiligung anderer Banken am Kreditrisiko, bereits als Sicherstellung der rechtzeitigen Verfügbarkeit der Kreditmittel anzusehen. Gleiches würde für eine Kreditzusage gelten, die jederzeit mit kurzer Frist von z.B. einem Monat oder weniger ordentlich gekündigt werden kann5.
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Andererseits steht jede Kreditzusage unter bestimmten generellen Einschränkungen. Dabei handelt es sich vor allem um die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung oder der sonstigen Beendigung des Vertrags oder der Zusage aus wichtigem Grund, wegen Force Majeure6 oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus damit vergleichbaren Gründen. § 490 BGB bestimmt, dass ein Darlehensvertrag fristlos gekündigt bzw. eine noch nicht valutierte Darlehenszusage widerrufen werden kann, wenn in den Vermögensverhältnissen des anderen Teils eine wesentliche Verschlechterung eintritt, durch die der Anspruch auf die Rückerstattung gefährdet wird. Diese Regelung ist der Sache nach auch in Nr. 19 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der privaten Banken übernommen worden. Darüber hinaus können Darlehen, weil sie Dauerschuldverhältnisse begründen, auch ohne dahin gehende Vereinbarung nach § 314 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden7. Dieser Kündigungsgrund geht 1 Vogel, ZIP 2002, 1421, 1427. 2 So im Fall ACS/Hochtief vgl. Jahresbericht der BaFin für 2010, S. 222. 3 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117 f. 4 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164. 5 Weitergehend Vogel, ZIP 2002, 1421, 1428, der eine feste Laufzeit der Kreditzusage und den Ausschluss einer jeden ordentlichen Kündigung verlangt. Dies geht über die Anforderungen des Gesetzes hinaus und erscheint unschlüssig: Eine Kreditzusage mit einer festen Laufzeit von z.B. einem Jahr wäre danach zulässig, nicht aber eine solche, die die Möglichkeit einer Kündigung nach einem Jahr vorsieht. 6 Hierzu – im Zusammenhang der Finanzierungsbestätigung nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 – Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 78 Rz. 93; vgl. auch Busch, AG 2002, 145, 147, 150. 7 Zur Qualifizierung des Darlehens als Dauerschuldverhältnis und zur Rechtslage vor der Schuldrechtsreform BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234 f.; BGH v. 10.1.1980
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über den Anwendungsbereich des § 490 BGB hinaus. Das darauf beruhende Kündigungsrecht ist als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht vertraglich ausschließbar1. Alle diese Einschränkungen stehen nicht im Widerspruch zu den Erfordernissen des § 13 Abs. 12. Auch andere marktübliche Beendigungsgründe, die dem Tatbestand des § 490 BGB ähnlich sind oder seinem Grundgedanken entsprechen, erscheinen zulässig3. Dazu gehört insbesondere eine einzelvertraglich ausgestaltete Regelung der Kündigung aus wichtigen Grund oder, wie es in der internationalen Vertragspraxis eher formuliert würde, der Kündigung wegen einer wesentlichen Verschlechterung (material adverse change) der maßgeblichen Umstände4. Ferner ist hier zu erwähnen der Kündigungsgrund des Drittverzugs (cross default), d.h. der Verletzung von Zahlungs- oder sonstigen wesentlichen Verpflichtungen gegenüber anderen Geldgebern5. Dieser Kündigungsgrund ist ein vor allem im internationalen Kreditgeschäft weit verbreiteter Standard. Er ist aus der Praxis der grenzüberschreitenden Kreditverträge kaum wegzudenken. Das Fehlen einer entsprechenden Klausel kann die Akzeptanz des Kredits bei internationalen Banken und damit die Bildung eines Bankenkonsortiums zur Finanzierung des Angebots beeinträchtigen oder ausschließen. Ein Zahlungsverzug oder sonstige wesentliche Vertragsverletzungen gegenüber anderen Gläubigern werden als Indiz für eine wesentliche Verschlechterung der finanziellen Lage des Kreditnehmers angesehen. Ohne die sich aus dem Gesetz ergebenden oder marktüblichen Beendigungsgründe wird sich eine Finanzierung oft nicht oder nicht unter zumutbaren Bedingungen beschaffen lassen. Wenn der Bieter eine ihm mögliche und zumutbare Finanzierung vereinbart hat, so sind damit die Anforderungen des § 13 Abs. 1 erfüllt6. Das Erfordernis, die „notwendigen Maßnahmen“ zu treffen, verlangt nichts Unmögliches oder Unzumutbares.
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Schließlich können die finanzierenden Banken ihre Kreditgewährung von der Einhal- 100 tung von Auflagen, der Richtigkeit ihnen gegebener Zusicherungen oder der Erfüllung von Verpflichtungen des Bieters abhängig machen. Auflagen können etwa darin bestehen, dass der Bieter bestimmte Verschuldungsgrenzen nicht überschreiten oder das Angebot nicht ohne Zustimmung der finanzierenden Banken wesentlich verändern, ausweiten oder ergänzen darf. Werden derart entscheidende Bestimmungen der Kreditvereinbarung verletzt, so kann diese üblicherweise gekündigt und die Auszahlung verweigert werden. Im Interesse einer richtigen und vollständigen Information (§ 11 Abs. 1 Satz 3) sollten vertragliche Vorbehalte und Einschränkungen vom Bieter in der Unterlage offengelegt werden7. Dazu empfiehlt es sich, deren wesentlichen Inhalt anzugeben. Die Aussage, es bestünden „marktübliche“ Einschränkungen, mag im Einzelfall ausrei-
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– III ZR 108/78, WM 1980, 380 m.w.N.; Bruchner/Krepold in Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 79 Rz. 203; Früh in Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 3/155 ff., jeweils m.w.N. Vgl. etwa Palandt/Heinrichs, 71. Aufl. 2012, § 314 BGB Rz. 3; Gaier in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 314 Rz. 4, jeweils m.w.N. Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164. Ausführlich Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR-Beiheft 76 (2011), S. 226, 242 m.w.N. Busch, AG 2002, 145, 147; mit Einschränkungen Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164. Dazu auch Vogel, ZIP 1421, 1428. Berrar, ZBB 2002, 175, 179. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 61; Berrar, ZBB 2002, 175, 177, 179; Aha, AG 2002, 160, 165 Fn. 51.
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chen, ist aber wegen ihrer Allgemeinheit mit den Risiken ihrer Auslegung (und der Behauptung ihrer Missverständlichkeit) im Streitfall behaftet. Nicht notwendig erscheint hingegen in der Regel die Wiedergabe der Kreditzusage oder der diese einschränkenden Passagen im vollen Wortlaut. Ebenfalls nicht erforderlich ist der Hinweis auf Einschränkungen und Kündigungsrechte, die sich aus Gesetz oder Gewohnheitsrecht ergeben, wie etwa das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund (für den Fall, dass die Kreditzusage deutschem Recht unterliegt). Dennoch kann sich eine entsprechende Klarstellung empfehlen, um Fehlvorstellungen des Lesers zu vermeiden. Entscheidend ist, dass der Bieter und das finanzierende Institut oder Konsortium eine Verweigerung der Auszahlung des Finanzierungsbetrages im konkreten Fall nicht erwarten und keine Anhaltspunkte dafür haben, dass die Auszahlung gefährdet ist1. Um möglichen Bedenken der BaFin bei der Prüfung der Unterlage (§ 14 Abs. 2, § 15), aber auch der Angebotsadressaten, zu begegnen, kann dies in der Angebotsunterlage ausdrücklich erklärt werden. bb) Aktienangebote 102 Werden als Gegenleistung neue Aktien des Bieters angeboten, so ist über die erfolgten Kapitalmaßnahmen oder die Einleitung solcher Maßnahmen, z.B. Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung oder das Vorhandensein eines ausreichenden genehmigten Kapitals, zu berichten2. Bei Übernahme- und Pflichtangeboten müssen als Gegenleistung angebotene Aktien gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 liquide und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sein. Auf die insoweit getroffenen Maßnahmen sowie den organisierten Markt, in dem die angebotenen Aktien handelbar sind, ist ebenfalls einzugehen (entsprechende Angaben sind ohnehin nach § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO i.V.m. § 7 WpPG und Anhang III Ziff. 6 der EU-Prospektverordnung aufzunehmen). b) Auswirkungen auf den Bieter 103 Darüber hinaus sind Ausführungen zu machen über die erwarteten Auswirkungen, insbesondere die finanziellen Belastungen, eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Angebot, das den Bieter finanziell überfordert, sich trotz eines scheinbaren anfänglichen Erfolgs als Fehlschlag erweisen kann, besonders wenn finanzielle Probleme des Bieters dazu beitragen, die Zielgesellschaft ihrerseits in eine Krise zu stürzen3. 104 Die hier geforderten Angaben sind Prognosen. Als solche sind sie prinzipiell mit Risiken behaftet, zumal im Hinblick auf die Haftung nach § 12. Die Regierungsbegründung4 legt indessen eine einschränkende Auslegung der Vorschrift nahe: Danach ist Auskunft zu geben über die finanziellen Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots. Diese Konkretisierung ist einerseits wegen der andernfalls schwer übersehbaren Haftungsrisiken im Fall einer Fehlprognose angebracht. Sie liegt vor allem aber auch deswegen nahe, weil das Auskunftserfordernis in § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, der 1 Vogel, ZIP 2002, 1421, 1428. 2 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 20; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 66; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 62. 3 Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeilage Nr. 2 zu Heft 31/2000, S. 20; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 71; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 22; einschränkend Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 63. 4 BT-Drucks. 14/7034, S. 41.
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Bestimmung zur Finanzierung des Angebots, enthalten ist. Die Angaben müssen sich also insbesondere auf eine etwa zu erwartende Erhöhung der Gesamtverschuldung des Bieters und den künftigen Schuldendienst beziehen. Eine Langfrist-Prognose der künftigen Finanz- und Ertragslage des Bieters ist dagegen nicht erforderlich1. Ebenso wenig muss der Bieter zu allgemeinen unternehmerischen Aspekten wie Integrationsaussichten und erhofften Synergien eine Prognose abgeben. Insoweit hat er nur – nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 – seine Absichten zu beschreiben, an die er nicht gebunden ist, die sich also später ändern können (siehe unten Rz. 114). Die BaFin verlangt in der Regel eine verbale und zahlenmäßige Darstellung der 105 Auswirkungen des erfolgreichen Angebots auf die wesentlichen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen unter Einbeziehung einer Kapitalflussrechnung und insbesondere unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Finanzierungskosten für das Angebot2. Regelmäßig erfolgt dies in Form einer hypothetischen Darstellung wesentlicher Positionen von Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung sowie ggf. einer hypothetischen Kapitalflussrechnung, bei der die vollständige Annahme des Angebots unterstellt wird3. Diese Darstellungen werden bisweilen als „Pro-forma-Finanzinformationen“ bezeichnet. Dieser Begriff sollte freilich vermieden werden. Denn an Proforma-Finanzinformationen knüpft die EU-Prospektverordnung, deren Anforderungen über den Verweis in § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO im Fall des Tauschangebotes gegen Lieferung von Wertpapieren auch für die Angebotsunterlage gelten, spezifische Anforderungen (vgl. Anhang II der EU-Prospektverordnung). Diese können im Fall eines Erwerbs- oder Übernahmeangebots wegen des typischerweise fehlenden Zugangs zum Rechnungswesen der Zielgesellschaft regelmäßig nicht erfüllt werden4. Es empfiehlt sich daher, auf diese unvermeidbaren Unsicherheiten hinzuweisen, ebenso auf die Annahmen, die bei der Darstellung der bilanziellen Auswirkungen getroffen wurden5. Ferner sollte erwähnt werden, dass die Darstellung nicht den Anforderungen an Pro-forma-Finanzinformationen entspricht6. Zur besseren Abgrenzung vom Begriff der „Pro-forma Finanzinformationen“ wird in der Praxis bisweilen für die hypothetische Darstellung auch der Begriff der erläuternden Finanzinformationen verwendet7. 1 Hamann, ZIP 2001, 2249, 2254; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 64. 2 Näheres dazu Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363 f.; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 65; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 79 ff. Rz. 96 ff. 3 Vgl. nur Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Robert Bosch GmbH an die Aktionäre der aleo solar Aktiengesellschaft vom 27.8.2009, S. 34 ff.; Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der OEP Technologie B.V. an die Aktionäre der SMARTRAC N.V. vom 8.10.2010, S. 30 ff.; zu dieser Thematik Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 41; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 22; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 71; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 63 f. 4 Dazu Meyer in FrankfKomm. WpPG, EU ProspektVO Anh. I Rz. 18; Kunold in Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 229. 5 Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Lenovo Germany Holding GmbH an die Aktionäre der Medion AG vom 27.6.2011, S. 46 (Tz. 15.2) „Da eine Quantifizierung der Auswirkungen der den Abschlüssen zugrunde liegenden unterschiedlichen Bilanzierungsverfahren, -grundsätze, -methoden und -richtlinien der Bieterin nicht möglich ist, sind etwaige Auswirkungen daher nicht berücksichtigt.“. 6 Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Deutsche Bank Aktiengesellschaft an die Aktionäre der Deutsche Postbank AG vom 6.10.2010, S. 45: „Die Finanzinformationen wurden keiner prüferischen Durchsicht oder Prüfung unterzogen. Sie wurden nicht entsprechend dem IDW Rechnungslegungshinweis zur Erstellung von Pro-Forma-Finanzinformationen (IDW RH HFA 1.004) erstellt und weichen wesentlich von diesem ab.“ 7 Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. an die Aktionäre der Deutsche Börse Aktiengesellschaft vom 2.5.2011, S. 100.
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106 Handelt es sich bei dem Bieter um ein bloßes Erwerbsvehikel, das – etwa aus steuerlichen Gründen – von einer operativen Muttergesellschaft oder Konzernholding als formeller Bieter eingesetzt wird, ist zusätzlich eine entsprechende hypothetische Darstellung auch für diese Muttergesellschaft oder Konzernholding vorzunehmen, und zwar sachgerechter Weise auf der Grundlage von deren Konzernabschluss1. 107 Dabei ist grds. ausreichend, die hypothetische Darstellung auf die letzte Periode zu beziehen, für die vom Bieter (und der Zielgesellschaft) Finanzinformationen veröffentlicht wurden2. Diese zugrundegelegten Finanzangaben dürfen nicht älter als zwölf Monate sein3. Im Hinblick auf die Zielgesellschaft sind diese grds. unproblematisch verfügbar. Denn als Emittent von Wertpapieren, die an einem organisierten Markt zugelassen sind (vgl. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3), ist sie zur Erstellung von Halbjahresberichten nach § 37w WpHG bis spätestens zwei Monate nach Ablauf des Berichtszeitraumes verpflichtet. Die Fähigkeit zur Bereitstellung aktueller eigener geeigneter Finanzinformationen des Bieters liegt in dessen Sphäre und ist bei der Planung des Angebots zu berücksichtigen. Eine hypothetische Darstellung über mehrere Perioden in der Vergangenheit wie etwa im Prospektrecht nach Anhang II Ziff. 5 der EU-Prospektverordnung (Pro-forma-Finanzinformationen für den letzten abgeschlossenen Berichtszeitraum und Zwischenberichtszeitraum)4 ist dagegen nicht erforderlich5. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung, eine (zahlenmäßige) Prognose über die künftige Entwicklung abzugeben6. Denn dafür fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten in der gesetzlichen Regelung7. Allerdings sind seit dem Stichtag der der hypothetischen Darstellung zugrunde gelegten Finanzinformationen eingetretene wesentliche Veränderungen bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu berücksichtigen8; dies gilt insbesondere für die Transaktionskosten des Angebots selbst9. 108 Führt ein Tauschangebot (bei vollständiger Annahme) jedoch zu einer bedeutenden Bruttoveränderung i.S.v. Art. 4a Abs. 6 der EU-Prospektverordnung, also einer mehr als 25 %igen Veränderung der Situation eines Emittenten, gemessen anhand eines oder mehrerer Größenindikatoren für seine Geschäftstätigkeit, sind grds. nach § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO i.V.m. Anhang I Ziff. 20.2 der EU-Prospektverordnung ProForma-Finanzinformationen aufzunehmen. Können diese jedoch – insbesondere 1 Ebenso Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 66; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 74; vgl. etwa die Darstellung der erwarteten Auswirkungen auf den Konzernabschluss des Fresenius-Konzerns in der Angebotsunterlage für das öffentliche Übernahmeangebot der FPS Beteiligungs AG an die Aktionäre der RHÖN-KLINIKUM AG vom 18.5.2012, S. 42, Tz. 15.4. 2 So auch Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 22; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 73; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 71; ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 64. 3 Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46. 4 Meyer in FrankfKomm. WpPG, EU ProspektVO Anh. II Rz. 37. 5 So die Praxis, statt vieler vgl. nur Angebotsunterlage für das Übernahmeangebot der Deutsche Bank Aktiengesellschaft an die Aktionäre der Deutsche Postbank AG vom 6.10.2010, S. 45 ff.; Angebotsunterlage für das öffentliche Übernahmeangebot der FPS Beteiligungs AG an die Aktionäre der RHÖN-KLINIKUM AG vom 18.5.2012, S. 41 ff.; Angebotsunterlage für das Pflichtangebot der Volkswagen Aktiengesellschaft an die Aktionäre der MAN SE vom 30.5.2011, S. 53 ff.; a.A. Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 71 (für die vergangenen ein bis zwei Jahre). 6 So offenbar Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 71 (zwei Jahre); kritisch dazu Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 75; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 78. 7 Veil, AG 2006, 691. 8 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 64. 9 Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46.
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mangels Zugang zum Rechnungswesen der Zielgesellschaft (siehe oben Rz. 105) – nicht erstellt werden, kommt auch in diesem Fall in entsprechender Anwendung von Art. 4a der EU-Prospektverordnung neben der Aufnahme historischer Finanzinformationen der Zielgesellschaft auch die Aufnahme von „erläuternden Finanzinformationen“ in Betracht, die nicht den Anforderungen von Pro-forma-Finanzinformationen nach der EU-Prospektverordnung entsprechen1. 2. Absichten des Bieters (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2) a) Allgemeines Die Anleger, die aufgefordert werden, ihre Wertpapiere zu veräußern, sollen nach 109 den Vorstellungen des Gesetzgebers in der Lage sein, ihre Beurteilung des Angebots nicht nur von der Art und Höhe der Gegenleistung abhängig zu machen, sondern auch von Überlegungen, die die Zukunft der Zielgesellschaft und ihrer Arbeitnehmer im Auge haben. Dies ist der Grund dafür, dass der Bieter auch seine Absichten über die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft offen zu legen hat. Seit der Umsetzung der Übernahmerichtlinie müssen diese Angaben auch zur geschäftlichen Zukunft des Bieters gemacht werden. Absichten sind auch dann anzugeben, wenn bestimmte Maßnahmen noch nicht förmlich beschlossen sind. Es reicht aus, dass Veränderungen konkret in Aussicht genommen werden2. Zu weitgehend erscheint dagegen, wenn gefordert wird, dass die Absichten des Bieters noch nicht einmal das Planungsstadium erreicht haben müssen3. Denn bloße Vorüberlegungen sind mangels Konkretisierung und Realisierungswahrscheinlichkeit eher zur Irreführung als zur sachdienlichen Information geeignet. Auch ist eine detaillierte Erläuterung der Konsequenzen dieser Pläne nicht erforderlich4. In Sonderfällen kann sich der Bieter damit begnügen zu erklären, dass er mit dem Angebot keine derartigen Absichten verfolgt. Dies kann, wie die Regierungsbegründung5 ausführt, dann angebracht sein, wenn das Angebot kein Übernahme- oder Pflichtangebot ist und wegen der geringen Höhe der angestrebten Beteiligung keinen Einfluss des Bieters auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft erwarten lässt6.
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b) Künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft und des Bieters Die Angaben über die beabsichtigte künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft 111 müssen sich u.a. beziehen auf die strategische Ausrichtung der Zielgesellschaft, ihre Diversifizierung oder umgekehrt ihre Konzentration auf bestimmte Kerngeschäfte, ihr Produktangebot und ihre künftige Finanzierung sowie insbesondere ihre etwaige Einordnung in den Konzern des Bieters. In letzter Hinsicht sind etwa ein geplanter Unternehmensvertrag, der geplante Ausschluss von Minderheitsaktionä1 Zur parallelen Fragestellung im Prospektrecht Meyer in FrankfKomm. WpPG, EU ProspektVO Art. 4a Rz. 11 ff. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 67. 3 So aber Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 2; wie hier Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 67. 4 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 69; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 77. 5 BR-Drucks. 574/01, S. 100. 6 Vgl. Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 78; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 72; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 68; a.A. möglicherweise Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364.
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ren (§§ 327a ff. AktG) und eine etwa geplante Aufgabe der Börsennotierung der Zielgesellschaft zu erwähnen1. Ferner sind insbesondere Angaben über die in § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 spezifisch angeführten Punkte zu machen. Die BaFin verlangt insoweit Angaben zu sämtlichen dort genannten Gesichtspunkten. Sollten insoweit – teilweise – noch keine Absichten bestehen, ist zumindest eine ausdrückliche Negativerklärung aufzunehmen2. 112 Seit Umsetzung der Übernahmerichtlinie müssen in Bezug auf die eigene Geschäftstätigkeit des Bieters grds. die gleichen Angaben gemacht werden. Gedacht ist dabei (auch hier) etwa an die strategische Planung, die Finanzierung und die geplante Einordnung der Zielgesellschaft in den Konzern des Bieters. Weiterhin muss über geplante wesentliche Veränderungen für seine Arbeitnehmer und deren Vertretungen berichtet werden3. Allerdings wurde auf Vorschlag des Bundesrates klargestellt, dass es dabei nur um Absichten geht, die von dem Angebot betroffen sind. Angaben zu Absichten, die mit dem Angebot nichts zu tun haben, müssen nicht gemacht werden4. 113 In allen Fällen sind nur konkrete Absichten und daraus resultierende Planungen des Bieters zu beschreiben, nicht auch solche Veränderungen, die aus anderen Gründen (wie z.B. Marktentwicklungen) zu erwarten sind. 114 Die Angaben führen nicht zu einer rechtlichen Bindung des Bieters gegenüber den Angebotsempfängern, der Zielgesellschaft, ihrer Verwaltung oder ihren Arbeitnehmern5 oder etwa den eigenen Arbeitnehmern. Eine Änderung der Absichten und die Durchführung neuer Pläne nach dem Erwerb sind zulässig; den übrigen Beteiligten stehen keine Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche zu, die dies verhindern oder wirtschaftlich erschweren würden. In solchen Fällen haftet der Bieter auch nicht nach § 12 wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben in der Angebotsunterlage, wenn die Absicht nicht schon zuvor, auch nicht als eine ernsthaft in Betracht gezogene Handlungsalternative, bestand. Ändert der Bieter seine Absichten vor Ende der Annahmefrist, so hat er eine Berichtigung nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 zu veröffentlichen, um dem Risiko einer Haftung nach § 12 entgegenzuwirken6. aa) Sitz und Standort wesentlicher Unternehmensteile 115 Angaben sind erforderlich zu Plänen über die Verlegung des rechtlichen Sitzes oder der tatsächlichen Verwaltung der Zielgesellschaft oder von Tochtergesellschaften, die Schließung oder Neuerrichtung von Produktionsstandorten oder sonstigen Betrieben sowie die Veräußerung von Tochtergesellschaften, Betrieben oder Betriebsteilen mit möglichen Auswirkungen auf Sitz oder Standorte. Gleiches gilt für entsprechende Veränderungen im Konzern des Bieters selbst. Vorausgesetzt ist jeweils, dass die 1 Ebenso Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 77; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 50 f. 2 Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46. 3 Begr. RegE Übernahmerichtlinie-UmsetzungsG, BT-Drucks. 16/1003, S. 18. 4 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, BT-Drucks. 16/1342, S. 1, 5. 5 Seibt, DB 2002, 529, 533; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 11 Rz. 22; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 74; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 78. 6 Sperlich/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 11 Rz. 24; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 78; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 36; zurückhaltend wegen der geringen Bedeutung dieser Angaben für die Aktionäre der Zielgesellschaft Stephan, AG 2003, 551, 555.
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betroffenen Unternehmensteile (Tochtergesellschaften, Betriebe oder Betriebsteile) wesentlich sind. Die Wesentlichkeit kann sich aufgrund verschiedener Merkmale, einzeln oder in Kombination miteinander ergeben, darunter Umsatz, Geschäftsvolumen, Ertrag oder Mitarbeiterzahl. Wenn entsprechende Pläne bestehen, wird sich die Angabe in der Regel empfehlen; im Zweifel sollte also davon ausgegangen werden, dass die Unternehmensteile wesentlich sind1. bb) Verwendung des Vermögens Hierzu gehören in erster Linie Veräußerungsabsichten in Bezug auf wesentliche Ak- 116 tiva, aber wohl auch Umstrukturierungspläne (beabsichtigte Ausgliederungen, Verschmelzungen) und geplante Änderungen der Kapitalstruktur2. cc) Künftige Verpflichtungen Zu den hier zu behandelnden Verpflichtungen gehören sowohl die bilanzrelevanten 117 Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft, insbesondere solche aus Finanzierungen, als auch Verpflichtungen aus langfristigen Liefer- oder Leistungsverträgen. Sofern der Bieter beabsichtigt, eigene Verbindlichkeiten mit Mitteln der Zielgesellschaft zurückzuführen (wie dies bei stark fremdfinanzierten Übernahmen nicht selten ist), so wird man dies ggf. ebenfalls zu den zukünftigen Verpflichtungen der Zielgesellschaft zu zählen haben3. dd) Arbeitnehmer und deren Vertretung, wesentliche Änderungen der Beschäftigungsbedingungen und insoweit vorgesehene Maßnahmen Die Formulierung lehnt sich an vergleichbare Bestimmungen im Umwandlungs- 118 gesetz für die Verschmelzung (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG), die Spaltung (§ 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG) und den Formwechsel (§ 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG) an. Allerdings müssen anders als im UmwG nur Absichten, nicht die tatsächlichen Folgen dargestellt werden. Dies erklärt sich daraus, dass der Bieter vor dem Erwerb nicht den gründlichen Einblick in die Angelegenheiten der Zielgesellschaft hat, der für eine wohlbegründete Prognose der zu erwartenden Folgen notwendig wäre. Rechtliche Folgen der vom Bieter beabsichtigten Maßnahmen sind vom Wortlaut der Bestimmung nicht ausdrücklich erfasst, aber ein Hinweis auf sie wird sich im Allgemeinen empfehlen, vor allem wenn dies der Verständlichkeit dient. Zu solchen Folgen gehören etwa die Einflüsse auf die Existenz oder Struktur der Organe nach dem BetrVG wie z.B. der Fortfall von Betriebsräten oder auch die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft, des Bieters (und seiner Konzernobergesellschaft) oder von einer oder mehrerer ihrer jeweiligen Tochtergesellschaften4. Änderungen der Beschäftigungsbedingungen können solche rechtlicher Art sein, et- 119 wa im Bezug auf Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen, als auch solche tatsächlicher Art, wie etwa hinsichtlich der Organisation der Produktion.
1 Ähnlich im Ergebnis Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 70, mit der Überlegung, das Bestehen konkreter Absichten des Bieters spreche bereits für sich gegen die Unwesentlichkeit der betroffenen Aktivitäten. 2 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 25; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 71; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 81. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 82. 4 Grobys in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 30 f.; Seibt, DB 2002, 529, 533; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 73.
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ee) Mitglieder der Geschäftsführungsorgane 120 Anzugeben sind geplante personelle Veränderungen in Geschäftsführungsorganen, gleich ob es sich um eine Ersetzung von Mitgliedern oder eine Ergänzung des Gremiums handelt. Auch die Absicht, insoweit keine Änderung vorzunehmen, oder Pläne allgemeiner Art, etwa für eine mittelfristige Vergrößerung oder Verringerung der Zahl der Mitglieder der Geschäftsführungsorgane, sind offen zu legen. Da das Gesetz von Geschäftsführungsorganen (Plural) spricht, dürften auch Angaben hinsichtlich der Geschäftsführungsorgane von Tochtergesellschaften der Zielgesellschaft vorzunehmen sein1. allerdings nur insoweit als diese für die Entscheidung der Aktionäre des Bieters über das Angebot eine Bedeutung haben können. Dies wird allenfalls bei wesentlichen Tochtergesellschaften der Fall sein. Ferner sind vorgesehene neue Aufgaben von Mitgliedern des Vorstands der Zielgesellschaft, etwa der Eintritt in die Geschäftsleitung des Bieters oder einer seiner Konzerngesellschaften, anzugeben. 121 Geplante Änderungen im Aufsichtsorgan der Zielgesellschaft beziehen sich als solche zwar nicht auf die Geschäftsführungsorgane, können sich aber indirekt auf diese und im Übrigen allgemein auf die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft2 auswirken. Sie sollten daher in der Regel ebenfalls angegeben werden3. Gleiches dürfte gelten für geplante Veränderungen im Aufsichtsorgan des Bieters, wenn sie im Zusammenhang mit dem Angebot stehen. 3. Leistungen an Organmitglieder der Zielgesellschaft (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3) 122 § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 bezweckt die Offenlegung möglicher Interessenkonflikte von Organmitgliedern der Zielgesellschaft. Dies ist bedeutsam besonders auch angesichts des Umstands, dass der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zu dem Angebot Stellung zu nehmen haben (§ 27)4. 123 Darüber hinaus steht diese Bestimmung in Beziehung zu § 33d; hiernach ist es verboten, den betreffenden Personen im Zusammenhang mit dem Angebot ungerechtfertigte finanzielle Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen. Die Offenlegungspflicht nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 setzt jedoch nach dem Wortlaut der Bestimmung anders als § 33d nicht voraus, dass die Leistungen oder Vorteile ungerechtfertigt sind oder im Zusammenhang mit dem Angebot stehen. Auf die Zulässigkeit kommt es in der Tat für die Frage der Offenlegung nicht an5. Anders steht es mit der Beziehung zu dem Angebot. Ohnehin wird eine Gewährung oder Zusage solcher Vorteile durch den Bieter ohne Zusammenhang mit dem Angebot selten vorkommen. Außerdem dürften die hier in Frage stehenden Vorteile begrifflich den „besonderen Vorteilen“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 8 UmwG entsprechen, die in Ver-
1 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 75; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 89; a.A. Grobys in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 37. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 75. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 88. 4 Begr. RegE, BT-Drucks 14/7034, S. 41; Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 40 ff.; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 80; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 79; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 75. 5 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 42; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 80; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 82; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 76; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 87 Rz. 108; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 95; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 58.
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schmelzungsverträgen aufzuführen sind1. Zu den aufzuführenden Vorteilen gehören beispielsweise Abfindungszahlungen oder Zusagen im Hinblick auf Positionen in der Zielgesellschaft oder auf andere berufliche Perspektiven2. Anzugeben sind sowohl die Art als auch, wenn andernfalls kein klares Bild von dem möglichen Interessenkonflikt entstehen würde3, die Höhe oder gegebenenfalls das Geldäquivalent der betreffenden Vorteile. Dabei ist jedenfalls dann nach den einzelnen Organmitgliedern zu differenzieren, wenn diese unterschiedlich behandelt werden4.
124
Auf Leistungen der Vorteile seitens der Zielgesellschaft („golden parachutes“ u.Ä.) findet § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 keine Anwendung. Die Transparenz solcher Leistungen wird jedoch seit Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie im Rahmen der Regelpublizität erreicht. Denn nach § 289 Abs. 4 Nr. 9 und § 315 Abs. 4 Nr. 9 HGB müssen Zielgesellschaften in ihren Lagebericht bzw. Konzernlagebericht Angaben über Entschädigungsvereinbarungen der Gesellschaft mit den Mitgliedern des Vorstands oder Arbeitnehmern aufnehmen, die für den Fall eines Übernahmeangebots getroffen worden sind. Für Vorteile, die von Aktionären der Zielgesellschaft gewährt oder in Aussicht gestellt werden, gilt dies freilich nicht. Hat der Bieter Kenntnis von solchen Absprachen, so wird er – ohne Bestehen einer entsprechenden Verpflichtung – deren Offenlegung in Erwägung ziehen, wenn sie einen erheblichen Einfluss auf die Stellungnahme nach § 27 haben und daher einen Interessenkonflikt begründen können: Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Verpflichtung kann er nicht unbedingt auf eine Offenlegung in der Stellungnahme des Vorstands nach § 27 vertrauen; allerdings ist davon auszugehen, dass Vorstand und Aufsichtsrat in ihrer Stellungnahme eigene Interessen und sich daraus etwa ergebende Konflikte offenlegen müssen (siehe § 27 Rz. 58).
125
4. Finanzierungsbestätigung (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4) Im Fall eines Barangebots ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 die Finanzierungsbestätigung ei- 126 nes Wertpapierdienstleistungsunternehmens erforderlich. Die Bestätigung ist nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 in der Angebotsunterlage wiederzugeben. In der Praxis wird sie der Angebotsunterlage als Anlage beigefügt5. Die Bestätigung wird im Schrifttum überwiegend als Erklärung an die Angebotsempfänger, nicht an einen anderen (bekannten) Adressaten angesehen6. Auch wenn sie – was der Wortlaut des Gesetzes nicht ausschließt – einem konkreten Adressaten, insbesondere dem Bieter, gegenüber abgegeben wird, kommt eine nur zusammenfassende, verkürzte Wiedergabe nicht in Betracht. Die Bestätigung muss nicht besagen, dass das bestätigende Unternehmen selbst die 127 notwendigen Mittel zur Verfügung stellt7. Dies sieht weder der Wortlaut des Gesetzes vor noch ergibt sich dies aus der Natur der Sache. Es ist zulässig, dass die Be1 Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11 Rz. 91, insbes. Fn. 91; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 77; zweifelnd Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 41. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 41 f. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 77. 4 Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 93. 5 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364; Holzborn in Bad Homburger Hdb., S. 78 Rz. 92; Berrar, ZBB 2002, 174, 175 f. 6 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364. 7 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1161.
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stätigung von einem den Bieter beratenden Institut ausgestellt wird1, während die Finanzierung durch ein Bankenkonsortium geplant sein kann, dem das bestätigende Institut nicht notwendigerweise angehört. Ob eine solche Konstellation zweckmäßig und für das bestätigende Institut unter Gesichtspunkten des Haftungsrisikos im Einzelfall akzeptabel ist, ist eine andere Frage. Ungeachtet dessen ist eine Bestätigung jedenfalls auch dann erforderlich, wenn spezifische Maßnahmen zur Finanzierung des Angebots nicht geplant und wegen ausreichender Liquiditätsreserven des Bieters nicht erforderlich sind. Die Aufgabe des bestätigenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens besteht darin, als Finanzexperte zu überprüfen, ob die Angaben des Bieters nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 den Tatsachen entsprechen und ob die Erfüllung des Angebots rechnerisch sowie unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der finanzierenden Institute voraussichtlich sichergestellt ist. Insbesondere garantiert das Unternehmen nicht die Solvenz des Bieters oder die Auszahlung zugesagter Kreditmittel. Die Bestätigung ist keine Garantie, sondern eine Wissenserklärung2. 128 Zu der Frage, welche Vorbehalte oder sonstige Einschränkungen mit einer Finanzierungszusage verbunden sein dürfen, siehe oben Rz. 97 ff. In der Praxis werden diese in der Finanzierungsbestätigung nicht wiederholt3. Diese richtet sich vielmehr streng nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 2. 129 Insgesamt wird es nicht zu beanstanden sein, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sich der Sache nach im Wesentlichen darauf beschränkt, die Richtigkeit der Angaben des Bieters gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 zu bestätigen4. Dies setzt eine – allerdings ohnehin gebotene – umfassende und sorgfältige Darstellung der getroffenen Maßnahmen durch den Bieter voraus, verbunden mit der Aussage gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2, dass dadurch die Verfügbarkeit der notwendigen Mittel sichergestellt ist. Die Bestätigung braucht sich nicht auf den Fall einer nachträglichen Erhöhung des Angebots nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 oder einer Nachbesserung nach § 31 Abs. 4 zu beziehen5.
D. Übernahme der Verantwortung (§ 11 Abs. 3) 130 § 11 Abs. 3 ist angelehnt an die vergleichbaren früheren Regelungen für Börsenzulassungs- und Verkaufsprospekte, nämlich § 14 BörsZulV a.F. und § 3 VerkProspVO a.F., denen heute § 5 Abs. 4 Satz 1 WpPG entspricht. Die Bestimmung steht im Zusammenhang mit § 11 Abs. 1 Satz 2, 3 und 5 sowie § 12. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2, 3 und 5 muss die Angebotsunterlage die nötige Entscheidungsgrundlage bieten, richtig und vollständig sein sowie vom Bieter unterzeichnet werden. Nach § 12 haften diejenigen, die die Verantwortung für die Unterlage übernommen haben, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Die betreffenden Personen oder Gesellschaften, gegen die
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 2 Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1161, 1163 mit eingehender Begründung; Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258; ähnlich Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, 2002, S. 165; gegen das Erfordernis einer Garantie auch Vogel, ZIP 2002, 1421, 1427. 3 Für die Unzulässigkeit solcher Beschränkungen Vogel, ZIP 2002, 1421, 1424; vgl. auch Busch, AG 2002, 145, 147; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162. 4 Berrar, ZBB 2002, 174, 179. 5 Vogel, ZIP 2002, 1421, 1424; Berrar, ZBB 2002, 174, 179. Bei Erhöhung des Angebots muss allerdings eine Nachtragsbestätigung beigebracht werden; dies ergibt sich aus dem Verweis in § 21 Abs. 3 auf § 13.
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hiernach potentiell Ansprüche bestehen, sind daher nach § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 zu identifizieren. Nach § 11 Abs. 3 Halbsatz 2 müssen die für den Inhalt der Angebotsunterlage verant- 131 wortlichen Personen in der Angebotsunterlage erklären, dass die darin enthaltenen Angaben ihres Wissens richtig und keine wesentlichen Umstände ausgelassen sind. Da nicht alle diese Personen die Unterlage unterzeichnen, sondern nur der Bieter, gibt dieser de facto die Erklärung auch im Namen der anderen für die Angebotsunterlage Verantwortlichen ab (siehe oben Rz. 62). Der Bieter kann die Verantwortung im Sinne des § 11 Abs. 3 nicht ablehnen. Er ist daher wohl stets als Verantwortlicher im Sinne dieser Bestimmung aufzuführen1. Dagegen muss eine das Angebot begleitende Bank nicht als Verantwortlicher aufgeführt werden und übernimmt daher typischerweise auch nicht die Verantwortung für die Angebotsunterlage2. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 müssen die Angaben in der Unterlage richtig und vollständig sein. Wenn der Bieter zwar, insbesondere durch seine Unterzeichnung, die Verantwortung übernimmt, dies aber nicht nach § 11 Abs. 3 offen legt, so besteht die Gefahr, dass dies irreführend wirkt.
132
Die Angabe nach § 11 Abs. 3 führt grundsätzlich dazu, dass die als Verantwortliche 133 genannten Personen oder Gesellschaften nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage haften3. Dies setzt allerdings voraus, dass die Angabe ihrerseits richtig ist. Wenn also der Bieter fälschlich einen Dritten ohne dessen Einwilligung als Verantwortlichen benennt, der tatsächlich die Verantwortung für den Inhalt der Unterlage nicht übernommen hat, so haftet der Dritte nicht. Um ein solches unbefriedigendes Ergebnis zu vermeiden, liegt es nahe, dass der Bieter sich die Einwilligung des Dritten schriftlich geben und die Bundesanstalt sich diese Einwilligung vorlegen lässt.
E. Rechtsverordnungen (§ 11 Abs. 4) Wie oben zu § 11 Abs. 2 Satz 1 dargelegt (siehe oben Rz. 65 f.), legt das Gesetz in § 11 134 Abs. 2 Satz 3 nicht sämtliche der in die Unterlage aufzunehmenden „ergänzenden Angaben“ fest. Von der ihm in § 11 Abs. 4 Nr. 2 zugewiesenen Befugnis, die Aufnahme weiterer Angaben in die Angebotsunterlage und deren Form zu bestimmen, hat das Bundesministerium der Finanzen mit Erlass der WpÜG-Angebotsverordnung (WpÜG-AngVO) vom 27.12.20014 Gebrauch gemacht. Dort werden in § 2 WpÜGAngVO in Bezug auf die Angebotsunterlage weitere Anforderungen aufgestellt (siehe dazu die Kommentierung von § 2 WpÜG-AngVO unten S. 1613).
F. Übertragung der Verordnungsermächtigung (§ 11 Abs. 5) Von der Befugnis gemäß § 11 Abs. 5, die Ermächtigung nach § 11 Abs. 4 auf die Bundesanstalt zu übertragen, hat das Bundesministerium der Finanzen noch keinen Gebrauch gemacht.
1 A.A. Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 90; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 81. 2 Vaupel, WM 2002, 1170; Pfüller/Detweiler, BKR 2004, 383. 3 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 89. 4 BGBl. I 2001, 4263.
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Europäischer Pass
G. Freiwillige Angaben 136 In Angebotsunterlagen werden oft ohne Verpflichtung dazu noch weitere Angaben gemacht. Dazu gehören solche über steuerliche Auswirkungen auf die das Angebot annehmenden Wertpapierinhaber, etwa im Hinblick auf die Besteuerung realisierter Gewinne. Weiterhin können eingeschaltete Berater oder Dienstleister, wie z.B. Finanzberater, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Finanzierungs- und Abwicklungsbanken, und ihre Aufgabenstellung genannt und beschrieben werden. Auch für diese Angaben wird nach § 12 gehaftet, wenn sie unrichtig oder irreführend sind. Für ihre Vollständigkeit besteht angesichts ihrer Freiwilligkeit naturgemäß keine Haftung.
§ 11a Europäischer Pass Die von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen Staates des Europäischen Wirtschaftsraums gebilligte Angebotsunterlage über ein europäisches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2, deren Wertpapiere auch im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, wird im Inland ohne zusätzliches Billigungsverfahren anerkannt.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
2
1. Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung in deutsches Recht . . . .
2 7
II. Vergleichbare Regelungen . . . . . . . .
9
1. City Code des Vereinigten Königreichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Österreichisches Übernahmegesetz
9 10
B. Inhalt der Norm und Rechtsfolgen .
11
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
11
1. Europäisches Angebot . . . . . . . . . . . .
11
2. Zuständigkeit einer Aufsichtsstelle in einem anderen EWR-Staat . . . . . . 13 3. Zulassung im Inland . . . . . . . . . . . . . 14 II. Anerkennung der Billigung . . . . . . . 15 1. Billigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Anerkennung . . . . . a) Anerkennung gebilligter Angebotsunterlagen. . . . . . . . . . . . . . . . b) Anerkennung von Angebotsunterlagen, die keiner Billigung bedürfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anerkennung als gebilligter Wertpapierprospekt? . . . . . . . . . . . 3. Praktische Relevanz des § 11a . . . . .
15 16 16 17 20 22
A. Grundlagen 1
§ 11a sieht vor, dass bei sog. europäischen Angeboten die Billigung der Angebotsunterlage durch die (nach Maßgabe der Übernahmerichtlinie) zuständige ausländische Behörde im Inland anerkannt wird. Das bedeutet, dass die so gebilligte Angebotsunterlage auch im Inland als Angebotsunterlage für die Durchführung des Angebots verwendet werden kann. Es bedarf in diesem Fall also weder der Erstellung einer Angebotsunterlage nach den Vorgaben des WpÜG, noch einer (weiteren) Billigung durch die BaFin.
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§ 11a
Europäischer Pass
I. Entstehung der Norm 1. Übernahmerichtlinie Die Regelung setzt Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie1 um. Die Übernahmerichtlinie schreibt zwar nicht zwingend vor, dass die Angebotsunterlage von einer Aufsichtsbehörde zu billigen ist. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Übernahmerichtlinie spricht nur von der „Übermittelung“ an die Aufsichtsstelle. Sofern jedoch eine Billigung erfolgt, so ist die Angebotsunterlage in allen anderen Mitgliedstaaten ohne weitere Billigung in dem jeweiligen Mitgliedstaat anzuerkennen, an dessen Märkten die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind.
2
Dieser Grundsatz gegenseitiger Anerkennung der Billigung von Angebotsdokumenten ist der gemeinschaftsweiten Geltung gebilligter Prospekte nach Art. 17 der Prospektrichtlinie2 nachgebildet. Das Grundprinzip beider Regelungen besteht darin, dass für ein öffentliches Angebot in Bezug auf Wertpapiere im Europäischen Wirtschaftsraum nur (wenn überhaupt) die Erlaubnis einer Aufsichtsbehörde erforderlich ist, die für alle Mitgliedstaaten gilt (sog. Europäischer Pass)3. Damit kommt ein Regelungsprinzip zum Ausdruck, das ein wesentliches Gestaltungselement des Aktionsplans Finanzdienstleistungen der Europäischen Kommission zur Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes darstellt. Dadurch sollen nationale Hürden abgebaut werden, die die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen, aber auch den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr innerhalb des EWR in der Vergangenheit beschränkten4.
3
Die Übernahmerichtlinie sieht dabei vor, dass die Mitgliedstaaten die Geltung der 4 Billigung einer Angebotsunterlage durch die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates an bestimmte Voraussetzungen knüpfen können. So erlaubt Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 Übernahmerichtlinie, die Anerkennung unter dem Vorbehalt einer gegebenenfalls erforderlichen Übersetzung zu stellen. Dies bedeutet potentiell eine erhebliche Einschränkung des Europäischen Passes, zumal die Übernahmerichtlinie – anders als die Prospektrichtlinie in deren Art. 19 – keine Vorgaben zu den Sprachanforderungen bei grenzüberschreitenden Angeboten macht. Insbesondere ist keine (weitgehende) Anerkennung eines in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache (d.h. Englisch) abgefassten Angebotsdokuments vorgesehen5. Weiterhin ermächtigt Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie die Mitgliedstaaten zu Regelungen nationalen Rechts, wonach die nationalen Aufsichtsstellen zusätzliche Angaben in der Angebotsunterlage verlangen können, wenn diese 1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote vom 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 2 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EU Nr. L 345 v. 31.12.2003, S. 64. 3 Meyer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 64 ff.; Wolf in FrankfKomm. WpPG, § 17 Rz. 1. 4 Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, § 17 WpPG Rz. 3; Wolf in FrankfKomm. WpPG, § 17 Rz. 1. 5 Zum Sprachenregime nach Art. 19 Prospektrichtlinie Crüwell, AG 2003, 243, 248; Kunold/ Schlitt, BB 2004, 501, 508; Meyer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 64 ff.; sowie die Kommentierungen zu § 19 WpPG, etwa Ritz/Voß in Just/Voß/Ritz/Zeising, WpPG, 2009; von Ilberg in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, 2. Aufl. 2010; Wolf in Frankf.Komm. WpPG, 2011.
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Angaben für den Markt des betreffenden Mitgliedstaats, auf dem die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, spezifisch sind und sich auf Förmlichkeiten beziehen, die bei der Annahme des Angebots und dem Erhalt der Gegenleistung im Rahmen des Angebots zu beachten sind. Dasselbe gilt für Angaben zur steuerlichen Behandlung der den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft angebotenen Gegenleistung. 6
Dagegen sieht die Übernahmerichtlinie im Gegensatz zur Prospektrichtlinie kein sog. Notifizierungsverfahren vor. Nach Art. 18 Prospektrichtlinie setzt die Verwendung eines von der zuständigen Behörde des Herkunftstaates gebilligten Prospekts für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder deren Börsenzulassung in einem anderen EWR-Staat (Aufnahmestaat) voraus, dass die Billigungsbehörde die im Aufnahmestaat für eine Prospektbilligung zuständige Behörde über die erfolgte Billigung förmlich unterrichtet (sog. Notifizierung nach Art. 18 Prospektrichtlinie). Dies ist in deutsches Recht durch § 18 WpPG umgesetzt. 2. Umsetzung in deutsches Recht
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Die Umsetzung der Regelung zum europäischen Pass für Angebotsunterlagen in § 11a beschränkt sich auf die lapidare Aussage, dass eine von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen Staates des EWR gebilligte Angebotsunterlage bei sog. europäischen Angeboten i.S.v. § 2 Abs. 3 (dazu Rz. 11) ohne zusätzliches Billigungsverfahren im Inland anerkannt wird.
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Von den nach Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie (oben Rz. 2 ff.) im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht möglichen Einschränkungen der Anerkennung ausländischer Angebotsunterlagen macht der deutsche Gesetzgeber in § 11a keinen Gebrauch. Die Anerkennung wird also weder von einer Übersetzung der Angebotsunterlage in die deutsche Sprache noch von der Aufnahme zusätzlicher für den inländischen Markt, auf dem die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, spezifischen Angaben abhängig gemacht. In Anbetracht des – auch im Vergleich zum Prospektrecht – restriktiven Sprachregime des WpÜG (dazu § 11 Rz. 52 ff.) erscheint dies inkonsequent. Denn § 11 Abs. 1 Satz 4 schreibt für die Angebotsunterlage ausschließlich die deutsche Sprache vor. Dies war seinerzeit eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, u.a. auch um dem Informations- und Schutzbedürfnis der (inländischen) Adressaten des Angebots nach einer verständlichen und nachvollziehbaren Entscheidungs- und Informationsgrundlage gerecht zu werden1. Weshalb ihnen dieser Schutz im Rahmen der grenzüberschreitenden Geltung von Angebotsunterlagen nicht zuteilwerden soll, obwohl die Übernahmerichtlinie dem nationalen Gesetzgeber ausdrücklich entsprechenden Gestaltungsspielraum zubilligt, ist nicht nachvollziehbar2. Die Begründung des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes schweigt dazu; sie verweist nur darauf, dass Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie umgesetzt werde3.
1 BT-Drucks. 14/7034, S. 41. 2 Meyer, WM 2006, 1135, 1138; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 18. 3 Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 24.2.2006, BR-Drucks. 154/06.
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II. Vergleichbare Regelungen 1. City Code des Vereinigten Königreichs Der City Code on Takeovers and Mergers enthält keine ausdrückliche Regelung über 9 die Anerkennung der Billigung einer Angebotsunterlage durch eine Aufsichtsstelle eines anderen EWR-Staates. Dies dürfte seinen Grund darin haben, dass der City Code keine förmliche Billigung des Offer Document vorsieht1. Die Übernahmerichtlinie schreibt eine behördliche Billigung auch nicht zwingend vor (dazu Rz. 2). Damit läuft die Regelung über den europäischen Pass in Bezug auf das Vereinigte Königreich leer. Nach Ziff. 3 lit. d) der Einleitung zum City Code wird in den Fällen, in denen Art. 4 Abs. 2 lit. b) und c) Übernahmerichtlinie die Zuständigkeit für die Überwachung des Übernahmevorgangs dem Takeover Panel als der zuständigen britischen Aufsichtsstelle zuweist und in denen nach Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie britisches Recht Anwendung findet, für die aber auch eine ausländische Aufsichtsstelle (overseas regulator) zuständig sein könnte, freilich empfohlen, das Panel frühzeitig zu konsultieren. Dies dient dazu, etwaige Konflikte zwischen den relevanten Regelwerken auszuräumen und zu klären, welche Bestimmungen des City Code nach Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie Anwendung finden. 2. Österreichisches Übernahmegesetz Das österreichische Übernahmegesetz (ÜbG)2 regelt die eingeschränkte Anwendbarkeit seiner Bestimmungen auf Angebote zum Erwerb von stimmberechtigten Wertpapieren von Aktiengesellschaften mit Sitz in einem anderen EWR-Staat in § 27c ÜbG. Danach kommt es in den Fällen, in denen Art. 4 Abs. 2 lit. b) und c) der Übernahmerichtlinie die Zuständigkeit der österreichischen Aufsichtsstelle für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs vorsieht, zu einer (Teil-)Anwendbarkeit des österreichischen Rechts. Diese erstreckt sich gemäß § 27c Abs. 2 ÜbG – in konsequenter Umsetzung des Art. 4 Abs. 2 lit. e) Satz 1 der Übernahmerichtlinie – auch auf die Regelungen des ÜbG über die Veröffentlichung einer Angebotsunterlage. Dazu gehört insbesondere die Pflicht zur Einreichung einer Angebotsunterlage bei der österreichischen Übernahmekommission nach § 11 Abs. 1 Satz 1 ÜbG und deren Möglichkeit der Untersagung der Veröffentlichung und der Durchführung des Angebots nach § 10 Abs. 3 ÜbG. Eine Regelung zur Anerkennung der Billigung einer Angebotsunterlage lässt sich mittelbar aus § 27c Abs. 3 ÜbG entnehmen. Sie erstreckt sich auf jene Fälle, in denen die Übernahmerichtlinie die Zuständigkeit für die Überwachung des Angebotsvorgangs nicht der österreichischen Übernahmekommission als der in Österreich zuständigen Aufsichtsstelle zuweist und damit nach Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie österreichisches Recht für das Übernahmeverfahren auch nicht zur Anwendung kommt. In diesem Fall hat die österreichische Übernahmekommission eingeschränkte Befugnisse. So kann sie die Veröffentlichung der Angebotsunterlage in Österreich nach § 27c Abs. 3 Satz 1 ÜbG nur untersagen, wenn die Veröffentlichung 1 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 7. 2 Art. 1 des Bundesgesetzes betreffend Übernahmeangebote (Übernahmegesetz-ÜbG) sowie über Änderungen des Börsengesetzes und des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991, öBGBl. I 1998, 127 (i.d.F. öBGBl. I 1999, 189; öBGBl. I 2001, 98), verkündet am 14.8.1998, in Kraft seit 1.1.1999, im Internet abrufbar über die Website der österreichischen Übernahmekommission unter http://www.takeover.at. Vgl. dazu etwa die Übersicht bei Köck in A Practitioner’s Guide to Takeovers and Mergers in the European Union, 3rd ed. 2001 (City Financial Publishing), S. 31 ff.; ferner Diregger/Winner, WM 2002, 1583; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, § 4 V. 2 (S. 169 ff.).
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im Staat der nach der Übernahmerichtlinie zuständigen Aufsichtsstelle unzulässig ist. Bei der Beurteilung der Unzulässigkeit soll die österreichische Übernahmekommission dabei an die Rechtsauffassung dieser zuständigen Aufsichtsstelle gebunden sein1. Das hat also die Anerkennung von deren Billigungsentscheidung zur Folge, falls in dem betreffenden EWR-Staat die Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Billigung voraussetzt2. Allerdings kann die österreichische Übernahmekommission nach § 27c Abs. 3 Satz 2 ÜbG die Aufnahme zusätzlicher Angaben in die Angebotsunterlage verlangen, wenn diese für den österreichischen Wertpapiermarkt spezifisch sind und sich auf Förmlichkeiten beziehen, die bei der Annahme des Angebots und für den Erhalt der Gegenleistung zu beachten sind. Gleiches gilt für Abgaben zur steuerlichen Behandlung der Gegenleistung. Ferner kann die Übernahmekommission auf einer Übersetzung der Angebotsunterlage in die deutsche oder englische Sprache bestehen. Österreich macht damit – anders als Deutschland – in vollem Umfang von den in Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch, den „europäischen Pass für Angebotsunterlagen“ einzuschränken.
B. Inhalt der Norm und Rechtsfolgen I. Anwendungsbereich 1. Europäisches Angebot 11
Die Anerkennung der Billigung einer Angebotsunterlage durch eine zuständige Behörde eines anderen EWR-Staates betrifft diejenigen Angebotsunterlagen, die sich auf ein sog. europäisches Angebot zum Erwerb von Aktien einer Zielgesellschaft nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 beziehen. Der Begriff des europäischen Angebots ist in § 2 Abs. 1a definiert. Es handelt sich dabei um Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 (dazu sogleich), die nach dem Recht ihres Sitzstaates als Angebote i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie gelten. Danach ist ein „Angebot“ ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes (und nicht von der Zielgesellschaft selbst abgegebenes) öffentliches Pflichtoder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft anschließt oder den Kontrollerwerb zum Ziel hat. Mithin kann also nur die Billigung von solchen Angebotsunterlagen anerkannt werden, die nach dem Recht des Sitzstaates der Zielgesellschaft ein – der Terminologie des WpÜG folgend – Übernahmeangebot oder Pflichtangebot zum Gegenstand haben (zu den Begriffen im Rahmen des Anwendungsbereichs des WpÜG vgl. die Begriffsbestimmungen in § 29 Abs. 1 und § 35 Abs. 1). Für einfache Erwerbsangebote gilt der Europäische Pass also nicht. Eine Anwendung auf einfache Erwerbsangebote, die nach anwendbarem nationalem Recht eines anderen EWR-Staates als Übernahme- oder Pflichtangebote behandelt werden, dürfte dagegen nicht in Betracht kommen3. Denn der Verweis auf das anwendbare einzelstaatliche Recht in Art. 2 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass der Begriff der Kontrolle (genauer: des die Kontrolle begründenden Stimmrechtsanteils) nach Art. 5 Abs. 1 und 3 Übernahmerichtlinie sich nach 1 Alscher in Huber (Hrsg.), 2007, § 27c ÜbG Rz. 13; ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 7. 2 Ebenso Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 7; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 7. 3 So aber Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 11; wohl auch Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 13.
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dem nationalen Recht des Sitzstaates der Zielgesellschaft richtet. Eine Erweiterung der Definition des Übernahmeangebotes nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) Übernahmerichtlinie stünde dagegen im Widerspruch zur Richtlinie. Eine solche Auslegung des Begriffs des europäischen Angebots nach § 2 Abs. 1a wäre mithin nicht richtlinienkonform. Der Definition des europäischen Angebots folgend findet die Regelung über den Europäischen Pass ferner nur Anwendung auf Zielgesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 2).
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2. Zuständigkeit einer Aufsichtsstelle in einem anderen EWR-Staat Die Anerkennung der Billigung durch eine Aufsichtsstelle in einem anderen EWR- 13 Staat setzt voraus, dass diese für die Billigung zuständig war. Dies erfordert zunächst die Zuständigkeit der betreffenden Aufsichtsstelle nach dem jeweiligen nationalen Recht1. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Art. 4 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie die internationale Zuständigkeit der Aufsichtsstellen für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs und damit auch für ein etwaiges Verfahren hinsichtlich der Billigung der Angebotsunterlage regelt. Der Begriff der Zuständigkeit in § 11a ist daher richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass als eine Aufsichtsstelle nur insoweit als zuständig gelten kann, wenn ihr nach Art. 4 Abs. 2 Übernahmerichtlinie auch die internationale Zuständigkeit für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zugewiesen ist. Dort wird wie folgt differenziert: – Die Aufsichtsstelle des Sitzstaats der Zielgesellschaft ist zuständig, wenn deren Wertpapiere auch dort börsenzugelassen sind, Art. 4 Abs. 2 lit. a) Übernahmerichtlinie. – Sind die Wertpapiere nicht im Sitzstaat der Zielgesellschaft, sondern in einem anderen Mitgliedstaat börsenzugelassen, ist die Aufsichtsstelle dieses anderen Mitgliedstaats zuständig, Art. 4 Abs. 2 lit. b) Unterabsatz 1 Übernahmerichtlinie. – Bei Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die in mehreren Mitgliedstaaten börsenzugelassen sind, von denen keiner der Sitzstaat ist, wird die Zuständigkeit der Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zugewiesen, in dem sie zuerst zugelassen wurden, Art. 4 Abs. 2 lit. b) Unterabsatz 2 Übernahmerichtlinie. – Erfolgte die Zulassung in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig, entscheidet die Zielgesellschaft, welche der Aufsichtsstellen zuständig sein soll, Art. 4 Abs. 2 lit. c) Unterabsatz 1 Übernahmerichtlinie. – Waren die Wertpapiere der Zielgesellschaft am 20.5.2006 in mehreren Mitgliedstaaten zugelassen und erfolgte diese Zulassung gleichzeitig, so legen die Aufsichtsstellen der betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb von vier Wochen nach dem 20.5.2006 fest, welche von ihnen zuständig ist. Wurde nach Ablauf dieses Zeitraums keine Aufsichtsstelle benannt, bestimmt die Zielgesellschaft, welche der Aufsichtsstellen zuständig sein soll, Art. 4 Abs. 2 lit. d) Übernahmerichtlinie. 3. Zulassung im Inland § 11a setzt weiterhin voraus, dass die Wertpapiere der Zielgesellschaft auch im In- 14 land zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Mit „Wertpapieren“ 1 Vgl. dazu die Übersicht bei Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 14.
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sind dabei Wertpapiere i.S.v. § 2 Abs. 2 gemeint, also entweder Aktien, mit diesen vergleichbare Wertpapiere und Zertifikate, die Aktien vertreten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1) oder andere Wertpapiere, die den Erwerb von Aktien, mit diesen vergleichbaren Wertpapieren oder Zertifikaten, die Aktien vertreten, zum Gegenstand haben (§ 2 Abs. 2 Nr. 2). Die Beschränkung auf zugelassene Wertpapiere ist deklaratorisch, denn anderenfalls wären nach § 1 Abs. 1 das WpÜG und damit auch die Pflicht zur Erstellung einer Angebotsunterlage ohnehin nicht anwendbar1.
II. Anerkennung der Billigung 1. Billigung 15
§ 11a regelt die Anerkennung einer von der zuständigen Aufsichtsstelle eines anderen Staates des Europäischen Wirtschaftsraums gebilligten Angebotsunterlage im Inland ohne zusätzliches Billigungsverfahren. Die Verwendung des Begriffs „Billigungsverfahren“ irritiert, denn von einer Billigung ist sonst im WpÜG nicht die Rede. Mit anderen Worten: das WpÜG sieht gar kein Billigungsverfahren vor, von dem ein Bieter befreit werden könnte2. Freilich lässt sich der Begriff aus der Terminologie der deutschen Sprachfassung des Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie herleiten. Denn dort wird in der Tat der Terminus der „Billigung“ verwendet und zwar als (mögliche) Voraussetzung für die Veröffentlichung einer Angebotsunterlage für ein Übernahme- oder Pflichtangebot. Mit Billigung ist dort also eine behördliche Erlaubnis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage gemeint. Dies ist zwar so nicht ausdrücklich definiert, ergibt sich aber aus dem Regelungszusammenhang. Folglich wird man den Begriff der „Billigung“ in § 11a als gleichbedeutend mit der „Gestattung der Veröffentlichung“ i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 1 verstehen können3. 2. Reichweite der Anerkennung a) Anerkennung gebilligter Angebotsunterlagen
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Aus Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass eine Angebotsunterlage vor ihrer Veröffentlichung der behördlichen Billigung bedarf, dies aber nicht müssen. Hat also ein Mitgliedstaat eine behördliche Billigung von Angebotsunterlagen angeordnet4, dann ist aufgrund dieser Billigung keine weitere Billigung der Angebotsunterlage im Hinblick auf ein Übernahme- oder Pflichtangebot im Inland erforderlich. b) Anerkennung von Angebotsunterlagen, die keiner Billigung bedürfen?
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Einige Mitgliedstaaten sehen dagegen keine ausdrückliche Billigung der Angebotsunterlage vor. So ist der Bieter nach dem österreichischen ÜbG nur verpflichtet, die Angebotsunterlage bei der Übernahmekommission einzureichen und spätestens am 15. „Börsetag“ danach zu veröffentlichen, es sei denn die Übernahmekommission untersagt die Veröffentlichung (§ 11 Abs. 1 Satz 1 ÜbG). Jedoch muss der Bieter keine 1 2 3 4
Ebenso Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 16. Darauf weist auch Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 13 hin. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 14; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 17. Dies ist etwa der Fall in Belgien, vgl. Wymeersch in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, Takeover Bids in Europe, 2008, Rz. 686; Frankreich, Simon in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, aaO, Rz. 1470 f.; Italien, Picardi in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, aaO, Rz. 2283; Niederlande, Rammeloo in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, aaO, Rz. 2470.
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Entscheidung oder Stellungnahme der Übernahmekommission abwarten; folglich erteilt diese gerade keine „Billigung“1. Auch in Großbritannien sieht der City Code keine „Billigung“ des Offer Document vor. Nach Ziff. 24.1 (a) Satz 1 des City Code hat der Bieter binnen 28 Tagen nach der Ankündigung seiner Absicht, ein Angebot zu unterbreiten, den Aktionären der Zielgesellschaft ein Offer Document zugänglich zu machen bzw. dieses zu veröffentlichen. Das Takeover Panel muss nur dann angesprochen werden, wenn möglicherweise auch Regelungen des Übernahmerechts eines anderen Staates anwendbar sind (Abschnitt 3 (d) der Einführung des City Code) oder wenn die vorgenannte Frist nicht eingehalten wird, Ziff. 24.1 (a) Satz 3 des City Code. Eine Billigung durch das Takeover Panel muss nicht abgewartet werden2. Für solche Fälle wird teilweise vertreten, dass Angebotsunterlagen, die nach dem 18 Recht des für das Angebotsverfahren zuständigen EWR-Staates keiner behördlichen Billigung bedürfen, ebenfalls nach § 11a anzuerkennen seien3. Mit dem Wortlaut des § 11a ist diese Auffassung freilich nicht zu vereinbaren, da dieser nur die Anerkennung solcher Angebotsunterlagen regelt, die von der zuständigen Aufsichtsstelle gebilligt wurden. Allenfalls ließe sich argumentieren, dass ein Verfahren, das eine Einreichung mit nachfolgender Prüfung durch die Aufsichtsstelle, entsprechender Wartefrist und der Möglichkeit der Untersagung der Veröffentlichung in seinem Ablauf dem Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 2 Satz 1 mit seiner Gestattungsfiktion vergleichbar sei. Dem steht jedoch entgegen, dass in diesem Fall eben keine „gebilligte“ Angebotsunterlage vorliegt; vielmehr wurde nur die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht untersagt. Allenfalls ließe sich im Lichte der Gestattungsfiktion in § 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 vertreten, dass eine gebilligte Angebotsunterlage i.S.v. § 11a auch dann vorliegt, wenn eine – grds. erforderliche – Billigung durch Fristablauf fingiert wird. Im Fall der österreichischen Regelung ist dies nicht der Fall, da das Gesetz dort eben keine Billigung verlangt. § 11a stellt aber gerade auf die Billigung ab. Daher genügt ein der Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorangehendes Einreichungs- und Prüfungsverfahren, das keine behördliche Billigung vorsieht, für die Anwendung von § 11a nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie. Denn dieser sieht ausdrücklich nur die Anerkennung einer vor Veröffentlichung erforderlichen und tatsächlich erteilten Billigung vor („Bedarf die Angebotsunterlage gemäß Unterabsatz 1 der vorherigen Billigung durch die Aufsichtsstelle und ist diese Billigung erteilt worden, so ist die Unterlage […] in allen anderen Mitgliedstaaten, an deren Märkten die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, anzuerkennen, ohne dass eine Billigung durch die Aufsichtsstellen der betreffenden Mitgliedstaaten erforderlich wäre.“). Erst recht kann § 11a keine Anwendung finden, wenn es – wie in Großbritannien – 19 überhaupt kein behördliches Prüfungsverfahren gibt4. Eine solche extensive Auslegung verstieße nicht nur gegen den Wortlaut des § 11a. Sie kann auch nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie begründet werden. Denn dieser sieht eine Anerkennung einer ausländischen Angebotsunterlage ohne Billigung nur dann vor, wenn die Angebotsunterlage der vorherigen Billigung durch die (ausländische) Aufsichtsstelle bedarf und diese Billigung erteilt wurde. Sieht also das Recht, nach dem die Angebotsunter-
1 Huber/Trenkwalder in Huber (Hrsg.), 2007, § 11 ÜbG Rz. 7. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 7. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 13; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 15; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11a WpÜG Rz. 6. 4 So aber Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 13.
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lage erstellt und veröffentlicht wurde, kein Billigungsverfahren vor und wurde demzufolge auch keine Billigung erteilt, bleibt für die Anwendung von § 11a kein Raum. c) Anerkennung als gebilligter Wertpapierprospekt? 20
Da der Wortlaut des § 11a die Anerkennung einer von der zuständigen Aufsichtsstelle in einem anderen EWR-Staat gebilligten Angebotsunterlage „ohne zusätzliches Billigungsverfahren“ vorsieht, mag man erwägen, ob diese Befreiungswirkung auch zur Folge hat, dass diese Angebotsunterlage einen Prospekt nach dem WpPG ersetzen kann. Dieser müsste nämlich sonst nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 WpPG im Hinblick auf das Angebot und/oder die Börsenzulassung der im Rahmen eines Tauschangebots als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere (nach erfolgter Billigung durch die BaFin nach § 13 WpPG) veröffentlicht werden1. Jedoch ist die Befreiung von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts für beide Fälle im WpPG ausdrücklich geregelt, nämlich in § 4 Abs. 1 Nr. 2 (Angebot) und Abs. 2 Nr. 3 WpPG (Zulassung)2. Wie der Vergleich mit dem Wortlaut der Übernahmerichtlinie zeigt (siehe oben Rz. 15), ist die Verwendung des Begriffs der „Billigung“ in § 11a auf den Wortlaut der deutschen Sprachfassung des Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie zurückzuführen. Dass § 11a eine Sperrwirkung auf ein sonst bestehendes Prospekterfordernis nach dem WpPG entfalten soll, kann dem nicht entnommen werden3. Auch die Gesetzesmaterialien sind insoweit unergiebig. Eine Verknüpfung mit der Prospektpflicht nach dem WpPG bzw. der Prospektrichtlinie 2003/71 findet sich in der Übernahmerichtlinie lediglich in Art. 4 Abs. 4 Satz 1. Dieser ordnet an, dass die gemäß der Übernahmerichtlinie benannten Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten und andere Stellen zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte, darunter auch die nach der Prospektrichtlinie zuständigen Stellen zusammenarbeiten und einander Auskünfte erteilen, soweit dies zur Anwendung der Bestimmungen der Übernahmerichtlinie erforderlich ist.
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Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 WpPG kann auf die Veröffentlichung eines Prospekts nach den Vorschriften des WpPG (und dessen vorherige Billigung nach § 13 WpPG) bei einem Tauschangebot nur verzichtet werden, wenn ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben denen eines Prospekts gleichwertig sind. Inwieweit die eine Angebotsunterlage diesen Anforderungen genügt, ist ggf. von der BaFin im Rahmen ihrer allgemeinen Marktaufsicht nach § 21 WpPG zu prüfen4. Dabei ist zu bedenken, dass in der Übernahmerichtlinie insoweit nur der rudimentäre Katalog von Angaben in Art. 6 Abs. 3 vorgegeben ist. Dagegen ist nicht vorgesehen, dass eine Angebotsunterlage für ein Tauschangebot die Mindestangaben nach der EU-Prospektverordnung 809/2004 enthalten muss, wie dies im deutschen Recht nach § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO der Fall ist. Folglich kann nicht notwendigerweise von einer Gleichwertigkeit ausgegangen werden, wie dies bei einer Angebotsunterlage nach dem WpÜG der Fall wäre (dazu § 2 WpÜG-AngVO Rz. 7. Ist die BaFin der Auffassung, dass die Angaben einer von der zuständigen Aufsichtsstelle in einem anderen EWR-Staat gebilligten Angebotsunterlage nicht denen eines Prospekts gleichwertig sind, hat sie also gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 WpPG das Angebot zu untersagen, weil entgegen § 3 WpPG kein Prospekt veröffentlicht wurde, der mangels Eingreifens der 1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11a Rz. 3. 2 Darauf weisen auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11a WpÜG Rz. 7 hin. 3 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 305; Thoma in Baums/Thoma, § 11a Rz. 3 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 305. 4 Schnorbus in FrankfKomm. WpPG, § 4 Rz. 13.
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gesetzlichen Befreiungstatbestände in § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 WpPG erforderlich gewesen wäre1. 3. Praktische Relevanz des § 11a Die Anerkennung einer durch die zuständige Behörde eines anderen EWR-Staates gebilligten Angebotsunterlage wird nur relevant, wenn im Inland die Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung einer Angebotsunterlage nach dem WpÜG besteht. Dies setzt voraus, dass auf das betreffende Angebot das WpÜG überhaupt Anwendung findet. Dies ist bei den hier zu betrachtenden europäischen Angeboten (also Übernahmeund Pflichtangeboten an die Aktionäre einer ausländischen Zielgesellschaft, siehe oben Rz. 13) nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ausschließlich („ist dieses Gesetz vorbehaltlich § 11a nur unter folgenden Voraussetzungen anzuwenden“) in folgenden Konstellationen der Fall:
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– Die stimmberechtigten Wertpapiere sind nur im Inland zum Handel an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 7 zugelassen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. a)). In diesem Fall ist nach Art. 4 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 1 Übernahmerichtlinie die BaFin für das Verfahren betreffend die Angebotsunterlage zuständig. – Die stimmberechtigten Wertpapiere sind sowohl im Inland als auch in einem anderen EWR-Staat, der nicht der Sitzstaat der Zielgesellschaft ist, zugelassen, und die Zulassung erfolgte zuerst im Inland (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b) aa)). Hier ist die BaFin nach Art. 4 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 2 Übernahmerichtlinie für das Verfahren betreffend die Angebotsunterlage zuständig. – Die stimmberechtigten Wertpapiere wurden gleichzeitig sowohl im Inland als auch in einem anderen EWR-Staat, der nicht der Sitzstaat der Zielgesellschaft ist, zugelassen, und die Zielgesellschaft hat die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde gewählt (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b) bb)). Aufgrund der Wahl der Zielgesellschaft ist auch hier die BaFin zuständig, Art. 4 Abs. 2 lit. c) Unterabs. 1 Übernahmerichtlinie. Erfolgte dagegen bei einer Zielgesellschaft, deren stimmberechtigte Wertpapiere 23 nicht in deren Sitzstaat zugelassen sind, die Börsenzulassung im Inland nach der Zulassung in einem anderen EWR-Staat, dann ist das WpÜG auf Erwerbsangebote betreffend diese Wertpapiere nicht anzuwenden, da dieser Fall nicht von § 1 Abs. 3 Satz 1 erfasst wird. Gleiches gilt für den Fall, dass die Zulassung im Inland und einem oder mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig erfolgte und sich die Zielgesellschaft für die Zuständigkeit der Aufsichtsstelle eines dieser anderen EWR-Staaten als der für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständigen Stelle entschieden hat2. In beiden Fällen hat auch die Übernahmerichtlinie die internationale Zuständigkeit für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs einem anderen EWR-Staat zugewiesen. Damit läuft § 11a in diesen Fällen leer, da eine Verpflichtung zur Erstellung einer Angebotsunterlage nach dem WpÜG, an deren Stelle die von einer zuständigen ausländischen Aufsichtsstelle gebilligte Angebotsunterlage anerkannt werden könnte, mangels Anwendbarkeit des WpÜG gar nicht besteht.
1 Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 15. 2 Für eine Anwendbarkeit des § 11a in diesem Fall jedoch Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11a Rz. 16; Thoma in Baums/Thoma, § 11a Rz. 4; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 11a Rz. 22.
Meyer
323
§ 11a
Europäischer Pass
24
In den Fällen, in denen nach dem Vorstehenden das WpÜG anwendbar (und nach Art. 4 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie die BaFin für die Überwachung des Übernahmevorgangs international zuständig) ist, weist Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie die Fragen betreffend die angebotene Gegenleistung und Fragen des Angebotsverfahrens den Vorschriften des Mitgliedstaats der zuständigen Aufsichtsstelle zu, also dem deutschen Recht. Dies betrifft insbesondere die Unterrichtung über die Entscheidung des Bieters zur Unterbreitung eines Angebots, den Inhalt der Angebotsunterlage und die Bekanntmachung des Angebots. Diese Regelung findet ihre Entsprechung in § 1 Abs. 3 Satz 2. Freilich wird der Umfang der Anwendbarkeit der Bestimmungen des WpÜG in der gemäß § 1 Abs. 4 erlassenen WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung1 konkretisiert. In der Liste der in § 2 WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung aufgeführten Bestimmungen, die in Fällen des § 1 Abs. 3 anwendbar sein sollen, fehlt jedoch ein Verweis auf die Regelungen über die Angebotsunterlage (§ 11) und deren Prüfung durch die BaFin sowie die nachfolgende Gestattung der Veröffentlichung (§ 14)2. Somit bestünde selbst im Falle der Anwendbarkeit des deutschen Übernahmerechts auf ausländische Zielgesellschaften nach Art. 4 Abs. 2 lit. b) und c) der Übernahmerichtlinie (bzw. gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1) nach deutschem Recht keine Pflicht zur Veröffentlichung einer Angebotsunterlage oder gar zu deren Billigung (bzw. Gestattung von deren Veröffentlichung). Jedoch wird von Teilen der Literatur die Anwendbarkeit der Bestimmungen des dritten Abschnitts des WpÜG (§§ 10–28, Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, einschließlich der Regelungen über die Angebotsunterlage, deren Veröffentlichung und das Gestattungsverfahren) trotzdem befürwortet3. Den offensichtlichen Widerspruch zur Zuweisung der Regelungen des Angebotsverfahrens und des Inhalts der Angebotsunterlage in Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie und § 1 Abs. 3 Satz 2 versuchen einige Autoren dadurch zu lösen, dass sie die Aufzählung der auf Angebote an die Aktionäre ausländischer Zielgesellschaften anwendbarer Bestimmungen des WpÜG in § 2 WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung als nicht abschließen ansehen4. Letztlich wird man die Anwendbarkeit dieser Regelungen auch damit begründen können, dass die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 der WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung als höherrangiges Recht vorgeht und dass § 2 WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung zudem im Lichte des Art. 4 Abs. 2 lit. e) der Übernahmerichtlinie richtlinienkonform auszulegen ist.
25
Ungeachtet dessen kommt in den Fällen, in denen das WpÜG überhaupt auf Übernahme- oder Pflichtangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer ausländischen Zielgesellschaft nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Anwendung findet, die in § 11a geregelte Anerkennung einer in einem anderen EWR-Staat gebilligten Angebotsunterlage nicht in Betracht. Denn in diesem Fall ist auch nach der Übernahmerichtlinie die BaFin für Fragen der Angebotsunterlage und der Veröffentlichung zuständig (und damit keine Behörde in einem anderen EWR-Staat)5. Es bedarf also gar keiner Regelung, die bei Übernahme- oder Pflichtangeboten zum Erwerb von Wertpapieren einer auslän1 Verordnung über die Anwendbarkeit von Vorschriften betreffend Angebote im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 des Wertpapiererwerbs und Übernahmegesetzes (WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung) vom 17.6.2006, BGBl. I 2006, 1698, Text im Anhang S. 1729. 2 Auf den Widerspruch zwischen dem in diesen Fällen nach Art. 6 Abs. 2 lit. e) Übernahmerichtlinie dem deutschen Recht zugewiesenen Anwendungsbereich und der Anwendbarkeit des WpÜG nach § 2 WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung weist zu Recht hin: Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 34. 3 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 60. 4 Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 Rz. 101 ff., insbesondere Rz. 105; ebenso offenbar Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 1 Rz. 48 ff. 5 Im Ergebnis ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11a WpÜG Rz. 7.
324 Meyer
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
dischen Zielgesellschaft von diesen Pflichten freistellt oder deren Einhaltung durch die Veröffentlichung einer nach Regelungen eines anderen EWR-Staates erstellten und gebilligten Angebotsunterlage bestimmt. Es verbleibt letztlich kein Anwendungsbereich für § 11a; dieser läuft also leer (so dass es auch des Vorbehalts für § 11a in § 1 Abs. 3 Satz 1 nicht bedarf). Anders gewendet: § 11a bestätigt nur deklaratorisch, dass bei Angeboten, bei denen eine zuständige Aufsichtsbehörde eines anderen EWR-Mitgliedstaat die Veröffentlichung der Angebotsunterlage gestattet hat, keine weitere behördliche Entscheidung der BaFin in Bezug auf die Veröffentlichung dieses Dokuments erforderlich ist1.
§ 12 Haftung für die Angebotsunterlage (1) Sind für die Beurteilung des Angebots wesentliche Angaben der Angebotsunterlage unrichtig oder unvollständig, so kann derjenige, der das Angebot angenommen hat oder dessen Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen worden sind, 1. von denjenigen, die für die Angebotsunterlage die Verantwortung übernommen haben, und 2. von denjenigen, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht, als Gesamtschuldnern den Ersatz des ihm aus der Annahme des Angebots oder Übertragung der Aktien entstandenen Schadens verlangen. (2) Nach Absatz 1 kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. (3) Der Anspruch nach Absatz 1 besteht nicht, sofern 1. die Annahme des Angebots nicht auf Grund der Angebotsunterlage erfolgt ist, 2. derjenige, der das Angebot angenommen hat, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage bei der Abgabe der Annahmeerklärung kannte oder 3. vor der Annahme des Angebots in einer Veröffentlichung nach § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Inland veröffentlicht wurde. (4) Der Anspruch nach Absatz 1 verjährt in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem derjenige, der das Angebot angenommen hat oder dessen Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen worden sind, von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. (5) Eine Vereinbarung, durch die der Anspruch nach Absatz 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen wird, ist unwirksam. (6) Weitergehende Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, bleiben unberührt. 1 Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 11a Rz. 4.
Assmann
325
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage Inhaltsübersicht V. Haftungsbegründende Kausalität (§ 12 Abs. 1; § 12 Abs. 3 Nr. 1, 3) . . . 45
A. Übersicht und Gesetzesentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . .
6
I. Angebotsunterlage als Bezugspunkt der Haftung (§ 12 Abs. 1). . . . . . . . . .
VI. Verschulden und Mitverschulden (§ 12 Abs. 2; § 12 Abs. 3 Nr. 2) . . . . . 49
6
II. Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Angebotsunterlage (§ 12 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Rechtsfolgen und Haftungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
10
1. Wesentliche Angaben . . . . . . . . . . . . 2. Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben . . . . . . . . . . . . . 3. Anfängliche und nachträgliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit .
11
I. Schadensersatz, haftungsausfüllende Kausalität und Schutzbereichsgrenzen (§ 12 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . 55 II. Verjährung (§ 12 Abs. 4) . . . . . . . . . . 66
23 30
III. Adressaten der Haftung (§ 12 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
IV. Anspruchsberechtigte (§ 12 Abs. 1) .
41
III. Haftungsbeschränkung (§ 12 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 IV. Konkurrenzen (§ 12 Abs. 6) . . . . . . . 68 D. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Schrifttum: Assmann, Prospekthaftung, 1985; Assmann, Die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 WpÜG, AG 2002, 153; Assmann, Übernahmeangebote im Gefüge des Kapitalmarktrechts, insbesondere im Lichte des Insiderrechts, der Ad hoc-Publizität und des Manipulationsverbots, ZGR 2002, 697; Assmann, Prospektaktualisierungspflichten, in FS Ulmer, 2003, S. 757; Assmann, Die Prospekthaftung beruflicher Sachkenner de lege lata und de lege ferenda, AG 2004, 435; Assmann, Unternehmenszusammenschlüsse und Kapitalmarktrecht, ZHR 172 (2008), 635; Bachmann, Kapitalmarktrechtliche Probleme bei der Zusammenführung von Unternehmen, ZHR 172 (2008), 597; Ellenberger, Die Börsenprospekthaftung nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz, in FS Schimansky, 1999, S. 591; Ellenberger, Prospekthaftung im Wertpapierhandel, Berlin 2001; H. H. Förster, Die Prospekthaftung der organisierten und grauen Kapitalmärkte, 2002; Groß, Die börsengesetzliche Prospekthaftung, AG 1999, 199; Gerber, Die Prospekthaftung bei Wertpapieremissionen nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz, 2001; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG – ein praxisorientierter Überblick, ZIP 2001, 2249; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 382; J. Hüffer, Das Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz, Köln 1996; Kort, Neuere Entwicklungen im Recht der Börsenprospekthaftung (§§ 45 ff. BörsG) und der Unternehmensberichtshaftung (§ 77 BörsG), AG 1999, 9, 10; Kunz, Die Börsenprospekthaftung nach Umsetzung der EG-Richtlinien in innerstaatliches Recht, 1992; Möllers, Verfahren, Pflichten und Haftung, insbesondere der Banken, bei Übernahmeangeboten, ZGR 2002, 664; Oechsler, Der ReE zum Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden, NZG 2001, 817; Oechsler, Rechtsgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Pfüller/Detweiler, Die Haftung der Banken bei öffentlichen Übernahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), BKR 2004, 383; Santelmann, Angebotsunterlagenhaftung – Die Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlagen bei öffentlichen Erwerbs- und Übernahmeangeboten nach § 12 WpÜG im Kontext konkurrierender Anspruchsgrundlagen und im Vergleich mit anderen Rechtsordnungen, 2003; Sittmann, Modernisierung der börsengesetzlichen Prospekthaftung, NJW 1998, 3761; Stephan, Prospektaktualisierung, AG 2002, 3; Stephan, Angebotsaktualisierung, AG 2003, 551; Vaupel, Die Haftung der Banken für die Richtigkeit der Angebotsunterlage bei Umtauschangeboten nach dem WpÜG, WM 2002, 1170; Vortmann (Hrsg.), Prospekthaftung und Anlageberatung, Stuttgart 2000. Siehe im Übrigen das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
326 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
A. Übersicht und Gesetzesentwicklung Eines der Ziele des WpÜG ist die Schaffung von Transparenz für die Adressaten von 1 Wertpapiererwerbs-, Übernahme- und Pflichtangeboten, damit diese in Kenntnis der Sachlage über das jeweilige Angebot entscheiden können. Diese Aufgabe übernimmt vor allem die vom Bieter zu erstellende und zu veröffentlichende Angebotsunterlage (§ 11). Bevor die Angebotsunterlage veröffentlicht werden kann, bedarf sie zwar der Billigung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, doch nimmt diese nur eine formelle Vollständigkeitskontrolle der Unterlage vor. Eine materielle Inhaltskontrolle der Angebotsunterlage geht dagegen – obschon nur ex post, so doch gleichwohl mit präventiver Wirkung – von der auf diese bezogenen zivilrechtlichen Haftung nach § 12 aus. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der nach § 11 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO zu erstellenden und zu veröffentlichenden Angebotsunterlage haften (1) der Bieter (§ 11 Abs. 1 Satz 5 als Unterzeichner der Angebotsunterlage), (2) diejenigen, die neben dem Bieter für die Angebotsunterlage die Verantwortung übernommen haben (§ 11 Abs. 3), sowie (3) diejenigen, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht, nach Maßgabe von § 12 als Gesamtschuldner den Anlegern, die das Angebot angenommen haben, auf Schadensersatz. Die Haftung für die Angebotsunterlage nach § 12 ist derjenigen der Haftung für unrichtige Börsenzulassungsprospekte nach §§ 44 ff. BörsG a.F. (heute §§ 21 ff. WpPG) nachgebildet und folgt im Übrigen in zahlreichen Punkten der investmentrechtlichen Prospekthaftung nach § 20 KAGG a.F. und § 12 AuslInvestmG a.F., welche in § 127 InvG1 zusammengeführt wurde, sowie der Haftung für Verkaufsprospekte nach § 13 VerkProspG a.F., dem – nach seiner Aufhebung – § 20 VermAnlG entspricht. Anspruchsberechtigte sind (1) diejenigen, die das Angebot angenommen haben, darunter auch die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot aufgrund des Andienungsrechts nach § 39c angenommen haben, sowie (2) diejenigen, deren Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen wurden.
2
Die Ausgestaltung der Haftung für die Angebotsunterlage nach prospekthaftungs- 3 rechtlichen Grundsätzen trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Angebotsunterlage um eine der Information von Anlegern mittels Prospekten vergleichbare Information der Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft und des Publikums handelt2, wobei dem Umstand, dass (Zulassungs- und Verkaufs-)Prospekte auf eine Investitionsentscheidung, die Angebotsunterlage dagegen auf eine Desinvestitionsentscheidung des Anlegers gerichtet ist, keine maßgebliche Bedeutung zukommt3. Die Anlehnung vor allem an die 1998 durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz (3. FFG)4 novellierte börsengesetzliche Prospekthaftung, die ihrerseits Elemente der bür-
1 Nach dem Entwurf eines Kapitalanlagegesetzbuchs im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG) (BR-Drucks. 791/12 v. 21.12.2012), welches in seinem Art. 2 die Aufhebung des InvG vorsieht, zukünftig in § 306 KAGB. 2 Hopt in FS Koppensteiner, 2002, S. 61, 78. Auch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 1. 3 In beiden Fällen geht es um die Gewährleistung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen, auf die der Anleger seine Entscheidung stützt. Überzogen deshalb die Trennung von Verkaufsprospekt und Angebotsunterlage bei Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 5. Zu § 12 wie hier Hamann, ZIP 2001, 2249, 2255; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 17. 4 Gesetz zur weiteren Entwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz) vom 24.3.1998, BGBl. I 1998, 529, 530 f.; RegE, BT-Drucks. 13/8933 v.
Assmann
327
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
gerlichrechtlichen (synonym: allgemein-zivilrechtlichen) Prospekthaftung aufnahm und eine Angleichung an die investmentrechtliche Prospekthaftung mit sich brachte, ist im Interesse der Einheitlichkeit der Haftung für gesetzlich angeordnete Informationen der Anleger bei öffentlichen Angeboten zur Platzierung oder zum Erwerb von Wertpapieren geboten und zu begrüßen. Im Hinblick auf zahlreiche der sich nach § 12 für die Angebotsunterlage stellenden Rechtsanwendungsprobleme kann dementsprechend auf den Diskussionsstand zurückgegriffen werden, der in Bezug auf die Beantwortung von Auslegungsfragen der früheren börsengesetzlichen und heutigen wertpapierprospektgesetzlichen, der investmentrechtlichen sowie der vormaligen verkaufsprospektgesetzlichen und heutigen vermögensanlagegesetzlichen Prospekthaftung erreicht ist. 4
Aufgrund spezieller gesetzlicher Regelung in § 21 Abs. 3 ist § 12 entsprechend anwendbar, wenn eine im Falle der Änderung eines Angebots nach § 21 Abs. 2 vorzunehmende Veröffentlichung mit dem sich aus der entsprechenden Anwendung von § 11 Abs. 1 Sätze 2–5 ergebenden Inhalt unrichtig und unvollständig ist. Darüber hinaus finden nach § 13 Abs. 3 die Vorschriften in § 12 Abs. 2–6 entsprechende Anwendung auf den Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter schriftlicher Bestätigung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens über die Sicherstellung der Finanzierung eines Angebots durch den Bieter i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 2, den derjenige, der das Angebot angenommen hat, gegenüber dem bestätigenden Unternehmen geltend machen kann (§ 13 Abs. 2).
5
Die Haftung nach § 12 Abs. 1 ist auf den Ersatz des Schadens gerichtet, welcher derjenigen Person entstanden ist, die das Angebot aufgrund der fehlerhaften Angebotsunterlage angenommen hat oder deren Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen wurden. Dementsprechend folgen die nachfolgenden Erläuterungen zu § 12 dem üblichen Aufbau eines Schadensersatzanspruchs. Dabei kann die Zuordnung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen zu den verschiedenen Absätzen des § 12 den jeweiligen Kapitelüberschriften entnommen werden.
5a
Die Vorschrift hat durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz – ÜbernRLUG) vom 8.7.20061 geringfügige Änderungen erfahren. Die weitreichendste Änderung besteht darin, dass Schadensersatz künftig nicht nur jene verlangen können, die das Angebot innerhalb der durch das Gesetz eröffneten Annahmefristen angenommen haben, sondern auch jene, deren Aktien nach der mit dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz neu ins Gesetz gelangten „Squeeze-out“-Regelung des § 39a auf den Bieter übertragen wurden.
B. Haftungsvoraussetzungen I. Angebotsunterlage als Bezugspunkt der Haftung (§ 12 Abs. 1) 6
Gegenstand der Haftung nach § 12 Abs. 1 ist die gemäß § 11 Abs. 1 zu erstellende und zu veröffentlichende sowie von der Bundesanstalt nach § 14 Abs. 2 gebilligte
6.11.1997 (identisch mit BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 55 f., 76 ff.; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 13/9874 v. 11.2.1998. 1 BGBl. I 2006, 1426.
328 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
und tatsächlich veröffentlichte Angebotsunterlage1. Eine gebilligte, aber nicht veröffentlichte Angebotsunterlage löst dagegen keine Haftung nach § 12 aus. Gleiches gilt für den Fall, dass überhaupt keine Angebotsunterlage erstellt und veröffentlicht wurde2. Nicht erforderlich ist, dass die gebilligte Angebotsunterlage den gesetzlichen Anforderungen entsprach3 und nach Maßgabe von § 14 Abs. 2 und 3 ordnungsgemäß veröffentlicht wurde4. Andere Veröffentlichungen des Emittenten als die gebilligte Angebotsunterlage, die der Verbreitung des Angebots über die zu platzierenden Wertpapiere dienen, sind der Haftung nach § 12 entzogen5. Für die Verwendung von Angebotsunterlagen, die – aus welchem Grunde auch immer – nicht von der BaFin gebilligt wurden (§§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 1)6, kommt jedoch eine Haftung analog § 12 oder die Anwendung der Grundsätze der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung in Frage. Was eine analoge Anwendung des § 12 betrifft, wurde für den Parallelfall der Veröffentlichung eines nicht (gemäß § 8i Abs. 2 VerkProspG a.F., heute § 8 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG) gebilligten Verkaufsprospekts eine analoge Anwendung der Vorschrift über die Haftung für fehlerhafte Prospekte – § 13 VerkProspG a.F. – ganz überwiegend abgelehnt7, weil sich das Haftungssystem des § 13 VerkProspG a.F. (heute § 20 VermAnlG) erkennbar nur auf gebilligte Prospekte beziehen sollte. Das bewog diejenigen, die den Anleger in solchen Fällen nicht 1 Für den insoweit vergleichbaren Fall der Haftung für die von § 13 VerkProspG a.F. erfassten Wertpapier- und Verkaufsprospekte siehe Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 16, 20; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 57. Zu § 12 wie hier Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 22 f.; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 4; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 4; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 334; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 10, 12. Anders, aber zu weitgehend, Groß, Kapitalmarktrecht, § 13 VerkProspG Rz. 10; Hamann in Schäfer, § 13 VerkProspG a.F. Rz. 3; J. Hüffer, S. 133. Sie sehen als Verkaufsprospekte auch dasjenige vom Anbieter ausgestellte Schriftstück an, das nach seinem Willen zur Erfüllung der Verpflichtungen aufgrund des Verkaufsprospektgesetzes erstellt wurde. 2 Ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 3; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 11. 3 Auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2. 4 Vgl., mit ausführlicher, auch für den Fall der Haftung für die Angebotsunterlage einschlägiger Begr., Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 17, 22; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 22; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 10. 5 Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 23; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 13. 6 Dieser Fall ist sicherlich praktisch unbedeutend und „bislang nicht relevant geworden“ (Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 12 a.E.), doch ist er andererseits nicht von vornherein ausgeschlossen (so Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 4: Frage „stellt sich nicht“): Zwar hätte die BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4 das Angebot zu untersagen, wenn der Bieter entgegen § 14 Abs. 1 Satz 1 der Bundesanstalt keine Angebotsunterlage übermittelt oder entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 die (gebilligte) Angebotsunterlage nicht veröffentlichte, doch wird es zu einer solchen Untersagung nicht kommen, wenn der Bieter – die BaFin erhält nach § 14 Abs. 3 Satz 2 nur die Mitteilung der Veröffentlichung, aber keinen Beleg – unbemerkt eine andere als die gebilligte Angebotsunterlage veröffentlicht, was auch dann der Fall ist, wenn nur teilweise Abweichungen zur gebilligten Angebotsunterlage vorliegen. Daneben sieht auch Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 4, die Möglichkeit, dass „die Angebotsunterlage entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 vor der Gestattung bekannt gegeben wird und die BaFin das Angebot letztlich nicht untersagt“. 7 Vgl. Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, Verkaufsprospektgesetz, Verkaufsprospekt-Verordnung, Verkaufsprospektgebühren-Verordnung, 2001, § 13 VerkProspG Rz. 11; Groß, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2002, § 13 VerkProspG Rz. 8; Hamann in Schäfer, § 13 VerkProspG n.F. Rz. 6. Für den übernahmerechtlichen Kontext auch Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 335.
Assmann
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
schutzlos lassen wollten, auf die Heranziehung der Grundsätze der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung1. Die Ablehnung einer analogen Anwendung von § 13 VerkProspG a.F. auf gebilligten Prospekten nur funktional äquivalente Dokumente hat der Gesetzgeber insoweit bestätigt, als er die Haftung für nicht von der BaFin gebilligte Prospekte durch die Einfügung des § 13a VerkProspG a.F. durch Art. 2 des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes (AnSVG) vom 28.10.20042 als eine Haftung für fehlende Prospekte ausgestaltete. Mit § 13a VerkProspG a.F., dem heute § 21 VermAnlG entspricht, hat sich der Gesetzgeber mithin dagegen entschieden, die Haftung für die Verwendung eines nicht gebilligten Prospekts im Rahmen eines prospektpflichtigen Angebots im Wege der Haftung für die Fehlerhaftigkeit des tatsächlich verwandten Prospekts zu regeln und hat statt dessen den selbständigen Tatbestand der Haftung für fehlende Prospekte geschaffen3. Schon von daher verbietet sich eine analoge Anwendung von § 12 auf Angebotsunterlagen, die nicht von der BaFin gebilligt wurden4. Nicht minder naheliegend wäre es angesichts dessen, die Haftung für die Verwendung nicht gebilligter Angebotsunterlagen analog § 13a VerkProspG a.F. und dem heutigen § 21 VermAnlG als Haftung für eine fehlende Angebotsunterlage zu behandeln. Für eine solche Analogie spricht, dass dem Gesetzgeber die Parallelproblematik der Verwendung nicht gebilligter Verkaufsprospekte einerseits und nicht gebilligter Angebotsunterlagen andererseits entgangen sein könnte und seine mit § 13a VerkProspG a.F./§ 21 VermAnlG verfolgten regulatorischen Vorstellungen auf den Fall der Verwendung nicht gebilligter Angebotsunterlagen ohne Weiteres übertragbar erscheinen. Hält man zwar die Interessenlage in den Fällen der Verwendung nicht gebilligter Verkaufsprospekte oder nicht gebilligter Angebotsunterlagen für vergleichbar, betrachtet aber – unter Hinweis auf die Besonderheit des Wertpapiererwerbs auf der Grundlage von Verkaufsprospekten – das Regulierungsmodell des § 13a VerkProspG a.F., das in § 21 VermAnlG überführt wurde, samt seiner differenzierten Rechtsfolgenregelung nicht auf Angebote und Angebotsunterlagen nach dem WpÜG für übertragbar, so lässt sich der gebotene Anlegerschutz im Hinblick auf die Verwendung nicht gebilligter Angebotsunterlagen, wie schon früher vertreten5, nur im Wege der entsprechenden (d.h. dem Umstand, dass eine Angebotsunterlage kein Prospekt i.S.d. bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung ist, Rechnung tragenden6) Heranziehung der Grundsätze der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung gewährleisten7. Nicht anders ist in Bezug auf Angebotsunterlagen zu verfahren, die entgegen § 14 Abs. 2 vor ihrer nachfolgenden Billigung durch die BaFin veröffentlicht wurden.
1 Ausführlich Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, 2. Aufl. 1997, § 7 Rz. 3 und 94 ff.; Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, Verkaufsprospektgesetz, VerkaufsprospektVerordnung, Verkaufsprospektgebühren-Verordnung, 2001, § 13 VerkProspG Rz. 11. 2 BGBl. I 2004, 2630. 3 Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 16 und § 13a VerkProspG Rz. 6. 4 I.E. ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 3; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 12. 5 1. Aufl., § 12 Rz. 7. Auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2. 6 Daran soll nach Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25a, die Anwendung der Grundsätze der „allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung“ scheitern. Für die entsprechende Anwendung der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftungsgrundsätze ist es ausreichend, dass die Unterlage – insoweit einem Prospekt vergleichbar – den Eindruck erweckt, vollständig und richtig über das Angebot zu informieren. 7 I.E. ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 2; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 4; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 335, 363; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 12. A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 4.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Material, das vor oder nach der Veröffentlichung eines Angebots neben der Angebots- 8 unterlage benutzt wird und das den Eindruck erweckt, vollständig oder richtig über das Angebot zu informieren, unterliegt nicht der Haftung nach § 121, sollte aber – vergleichbar dem Falle des Gebrauchs von Angebotsmaterial neben einem gebilligten Verkaufsprospekt2 – nach den Grundsätzen der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung behandelt werden3. Das gilt allerdings nicht für Veröffentlichungen, die als Werbung für die Annahme des Angebots erkennbar sind und beim Publikum nicht die Vorstellung einer vollständigen Information über die Angebotsumstände und -bedingungen hervorrufen4. Die Kontrolle der Werbung nach Form und Inhalt findet nach den hierfür geltenden allgemeinen zivilrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen sowie nach § 28 statt5. Stellte der Bieter in einer den Anforderungen aus § 11 i.V.m. §§ 2 ff. WpÜG-AngVO genügenden Angebotsunterlage zusätzliche Informationen lediglich unverbindlich in Aussicht, so sind später veröffentlichte Zusatzinformationen nicht als Bestandteil dieser Angebotsunterlage anzusehen und unterliegen daher nicht der Haftung nach § 12 Abs. 16. Aber auch in diesem Falle ist eine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Zusatzinformationen wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Ad hoc-Publizität oder nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, darunter insbesondere die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung, nicht ausgeschlossen7. Dessen ungeachtet können der Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorausgehen- 9 de, zeitgleich verbreitete oder nach derselben verwendete Materialien Gegenstand der Haftung nach anderweitigen Regelungen sein, wie insbesondere Vertragshaftung, der Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo)8 sowie der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB oder nach
1 Unstr., etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 23; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 5; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 13. 2 Siehe dazu Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 16; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 75 ff.; detailliert auch schon Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, Verkaufsprospektgesetz, Verkaufsprospekt-Verordnung, Verkaufsprospektgebühren-Verordnung, 2001, § 13 VerkProspG Rz. 13 f. m.w.N. 3 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe BGH v. 12.7.1982 – II ZR 172/81, AG 1982, 282), die schriftliche Zeichnungsaufforderungen für Aktien weder der allgemeinen zivilrechtlichen noch der börsengesetzlichen Prospekthaftung unterwirft, steht dieser Behandlung schriftlicher Angebotsmaterialien, die nicht Angebotsunterlage i.S.d. §§ 11, 12 Abs. 1 sind, allerdings (noch) entgegen. Wie hier, m.w.N., Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 23; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 5; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 334; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 13. 4 Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 23; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 5; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 362; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 13. 5 Siehe zu dem vergleichbaren Fall von § 8j VerkProspG a.F. die Kommentierung von Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8j VerkProspG. 6 OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 752. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der BGH v. 21.7.2008 – II ZR 284/07, juris, zurückgewiesen. I.E. zustimmend Widder/Bedkowski, BB 2008, 17. Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 14. 7 OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 752. Zur bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung ebd. S. 753. 8 OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 753; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25a; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 5; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 15.
Assmann
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
§ 826 BGB1 (vgl. § 12 Abs. 6). Außer Frage steht darüber hinaus, dass die Haftung für die Angebotsunterlage nach § 12 eine Haftung für dieselbe nach Maßgabe der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung ausschließt2.
II. Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Angebotsunterlage (§ 12 Abs. 1) 10
Eine Haftung für die Angebotsunterlage nach § 12 Abs. 1 setzt des Weiteren voraus, dass zur Beurteilung des Angebots wesentliche Angaben der Angebotsunterlage unrichtig oder unvollständig sind. Die Beweislast für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angebotsunterlage sowie dafür, dass eine falsche oder unterlassene Angabe eine wesentliche Angabe betrifft, trägt der Anspruchsteller3. 1. Wesentliche Angaben
11
Nicht jede Angabe, die nach § 11 Abs. 2 und § 2 WpÜG-AngVO in die Angebotsunterlage aufgenommen werden muss, ist per se als wesentlich zu betrachten4. Eine Vermutung, dass eine nach diesen Bestimmungen nicht in der Angebotsunterlage enthaltene Angabe eine wesentliche sei, gibt es nicht5. In Anlehnung an die zur bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung und zur Haftung nach den gesetzlichen Prospekthaftungstatbeständen entwickelten Grundsätze6, lassen sich vielmehr nur solche Angaben als wesentlich (oder synonym: notwendig oder erheblich) bezeichnen, die Umstände betreffen, die objektiv für die Beurteilung des Angebots im Hinblick auf seine Annahme bzw. Ablehnung erforderlich sind und die der durchschnittliche, verständige Adressat des Angebots „eher als nicht“ bei seiner Entscheidung über dasselbe berücksichtigen würde7. Ähnlich, aber zu sehr auf die wertbildenden Faktoren der vom Erwerbsangebot betroffenen Wertpapiere verengt, heißt es in der Begrün1 Wie hier Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 12; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 5; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 15. Auch OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 752, 755 f. 2 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034 v. 5.10.2001 (= BR-Drucks. 574/01 v. 17.8.2001), im Folgenden: Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 1; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 2 (abschließende Sonderregelung). 3 Vgl. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 80. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. Vgl. auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 78; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 11; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 10; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 17. 5 Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 78; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9. 6 Dazu ausführlich Assmann, Prospekthaftung, S. 319; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 86 f.; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 38 ff. m.w.N. 7 Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 38; Assmann, AG 2002, 153, 154. Ebenso etwa Hamann, ZIP 2001, 2249, 2256; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 6; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 35; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 10; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 18. Nach Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 77, alle wertbildenden Faktoren, welche den Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft bei seiner Entscheidung bestimmen, vor allem die Angaben, welche die essentialia negotii eines Vertrages darstellten; ebenso Möllers, ZGR 2002, 664, 671.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
dung des Regierungsentwurfs1, für die Beurteilung von Angaben als wesentlich sei entscheidend, „ob sich im konkreten Fall bei einer ordnungsgemäßen Angabe die für die Beurteilung der Wertpapiere maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse verändern würden“. Berücksichtigt man, dass der durchschnittliche Adressat für die Beurteilung des Wertpapiererwerbsangebots nicht nur solche Informationen zu Grunde legen wird, welche die aktuelle Werthaltigkeit der in Frage stehenden Wertpapiere betrifft, sondern auch die Umstände, welche die Konditionen des Angebots sowie zukünftige Entwicklung der Werthaltigkeit der Wertpapiere für den Fall der Nichtannahme des Angebots betreffen, so sind es vor allem Angaben zu den nachfolgend angeführten Sachverhalten und Umständen, die als wesentliche in Betracht kommen:
12
– Umstände, die objektiv zu den wertbildenden Faktoren der Wertpapiere gehören, auf die sich das Angebot bezieht;
13
– die Angebotskonditionen (wie etwa die angebotene Gegenleistung)2, die Finanzierung des Angebots3 sowie Umstände, welche für die Beurteilung der Angebotskonditionen und der Sicherstellung der Finanzierung des Angebots von Bedeutung sein können;
14
– Umstände, welche dem Erfolg des Angebots und der Wirksamkeit der durch die 15 Annahme des Angebots zustande gekommenen Geschäfte entgegenstehen können, wie etwa vom Bieter stipulierte Bedingungen oder rechtliche Hindernisse, von deren Eintritt bzw. Beseitigung die Wirksamkeit solcher Geschäfte abhängt4; – die Absichten5 des Bieters im Hinblick auf die Zielgesellschaft6, namentlich in 16 Bezug auf deren zukünftige Organisation und Geschäftstätigkeit sowie die Verwendung des Vermögens der Zielgesellschaft; und schließlich – Umstände, die für die Beurteilung der Stellungnahmen von Bedeutung sind, die 17 andere als der Bieter nach Maßgabe des WpÜG abzugeben haben, wie etwa dem 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. 2 Etwa Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 77; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 8 (Bsp.: wegen „fehlerhafter Angaben oder Berechnung zu niedrig angesetzte Gegenleistung“); Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3. A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 13 ff., mit dem Argument, Gegenleistungen seien die essentialia negotii des durch die Annahme des Angebots zustande kommenden Wertpapiererwerbsvertrags und stellten deshalb keine haftungsrelevanten Angaben i.S.d. § 12 dar, aber übersehend, dass die Angaben zu den Angebotskonditionen, für deren Ermittlung das Gesetz (anders als bei arms length-Transaktionen) Vorgaben macht, zuzutreffen haben und nicht irreführend sein dürfen. Vgl. auch die gegen Steinhardt, a.a.O., anzuführenden Argumente bei Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 8. 3 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 77; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 19. 4 Vgl. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 77; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 19. 5 Zur Frage, ob es sich bei diesen zukunftsbezogenen Angaben um solche handeln kann, die der Beurteilung als richtig oder unrichtig zugänglich sind und damit als Haftungsgrundlage taugen, siehe die Ausführungen unten in Rz. 24. 6 Vgl. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 27. Nach Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3, soll dies nur für den Fall gelten, dass eine Kontrollmehrheit angestrebt wird.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Vorstand oder dem Aufsichtsrat der Zielgesellschaft gewährte oder versprochene Geldleistungen oder geldwerte Vorteile. 18
Von den nach § 11 und § 2 WpÜG-AngVO verlangten Angaben sind daher regelmäßig als wesentlich zu betrachten:
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– Einzelne der nach § 11 Abs. 2 Satz 2 erforderliche Angaben über den Inhalt des Angebots, wie etwa diejenigen über die Art und die Höhe der für die Wertpapiere der Zielgesellschaft gebotenen Gegenleistung oder die Bedingungen, von denen die Wirksamkeit des Angebots abhängt. Auch falsche Angaben über die Dauer der Angebotsfrist können, soweit sie die zeitliche Dispositionsfreiheit des Angebotsadressaten maßgeblich beeinträchtigt haben, als wesentlich zu betrachten sein1.
20
– Verschiedene der nach § 11 Abs. 2 Satz 3 vorzunehmenden („ergänzenden“) Angaben zum Angebot, wie etwa: (1) Angaben zu den notwendigen Maßnahmen, die sicherstellen, dass dem Bieter die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zu Verfügung stehen; (2) jedenfalls im Falle von Tauschangeboten, bei denen Aktien des Bieters angeboten werden, Angaben zu den erwarteten Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters2; (3) Angaben über die Absichten des Bieters im Hinblick auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft, insbesondere den Sitz und den Standort wesentlicher Unternehmensteile, die Verwendung ihres Vermögens, ihre künftigen Verpflichtungen, die Arbeitnehmer und deren Vertretungen, die Mitglieder ihrer Geschäftsführungsorgane und wesentliche Änderungen der Beschäftigungsbedingungen einschließlich die insoweit vorgesehenen Maßnahmen; (4) Angaben über Geldleistungen oder andere geldwerten Vorteile, die einem Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft gewährt werden.
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– Von den Angaben, die nach der generalklauselartigen Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 2 notwendig sind, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können, etwa Angaben über das Erfordernis und die Durchführung einer aufsichtsrechtlichen Genehmigung der Übernahme (vgl. § 2 Nr. 8 WpÜG-AngVO), namentlich über den Stand eines Fusionskontrollverfahrens3.
22
– Von den Angaben, die nach § 2 WpÜG-AngVO vom Bieter in die Angebotsunterlage aufzunehmen sind, etwa: (1) die Angaben, die nach Nr. 2 im Falle eines Tauschangebots notwendig sind, um den Adressaten des Angebots ein zutreffendes Urteil über den Emittenten und die als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere zu ermöglichen4; (2) die nach Nr. 3 verlangten Angaben über die Bewertungsmethoden, die für die Festsetzung der Gegenleistung angewandt wurden; (3) die in Nr. 5 und 7 aufgeführten Angaben über die vom Bieter und bestimmten Dritten gehaltenen Wertpapiere, die sich aus diesen ergebenden Stimmrechtsanteile sowie, falls die 1 Ähnlich Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 77 und Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 19, unter Hinweis auf den Zeitdruck, der von falschen Fristangaben auf den Anleger ausgelöst werden kann. 2 Ebenso, allerdings nicht auf Tauschangebote beschränkt, auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 77; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 9; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 19. Kritisch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 3. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. 4 § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO i.V.m. § 7 WpPG und der VO (EG) Nr. 809/2004 vom 29.4.2004 (ABl. EU Nr. L 149 v. 30.4.2004, S. 1, berichtigte Fassung ABl. EU Nr. L 215 v. 16.6.2004, S. 3).
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
fraglichen Wertpapiere in den letzten drei Monaten vor Veröffentlichung des Angebots erworben wurden, die hierfür gewährte oder vereinbarte Gegenleistung; (4) die nach Nr. 6 bei Teilangeboten verlangten Angaben, sowie (5) Angaben zum Erfordernis und zum Stand behördlicher Verfahren im Zusammenhang mit dem Erwerb der Wertpapiere der Zielgesellschaft nach Nr. 8. 2. Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben Die Beantwortung der Frage, ob wesentliche Angaben der Angebotsunterlage unrich- 23 tig sind oder die Angebotsunterlage im Hinblick auf wesentliche Angaben unvollständig1 ist, hat aus der Perspektive und den Maßstäben eines „durchschnittlichen“ Anlegers zu erfolgen2, d.h. eines Anlegers, der mit der gebräuchlichen Schlüsselsprache nicht vertraut ist3, die Angebotsunterlage „sorgfältig und eingehend“ liest4 und, im Sinne einer ex ante-Betrachtung5, die Erkenntnisse zugrunde legt, wie sie im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage6 verfügbar sind7. Dass die 1 Die Beurteilung der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit einer Angebotsunterlage folgt im Wesentlichen gleichen Gesichtspunkten, denn bei dem Kriterium der Unvollständigkeit handelt es sich in der Sache um einen Sonderfall („Unterfall“) der Unrichtigkeit; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42 (mit dem Hinweis darauf, dass es angesichts der Praxisrelevanz des Falls der Unvollständigkeit von Angebotsunterlagen geboten sei, ihn gesondert aufzuführen). So auch schon der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz), BTDrucks. 13/8933 v. 6.11.1997, S. 76, 80. Auch Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 23; Groß, AG 1999, 199, 202. Vgl. auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 39; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 22 f. 2 Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 27; Assmann, AG 2002, 153, 155; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 34; Möllers, ZGR 2002, 664, 682; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 9; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 22; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 4; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 7; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 20. 3 BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – BuM, WM 1982, 862, 863 = AG 1982, 278. In Anlehnung an § 265b StGB soll nach den Darlegungen im RegE 2. WiKG (BT-Drucks. 10/318 v. 26.8.1983, S. 24) in Bezug auf § 264a StGB vom „verständigen, durchschnittlich vorsichtigen“ Anleger auszugehen sein. 4 So für die Prospekthaftung BGH v. 31.3.1992 – XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 904; BGH v. 14.6.2007 – III ZR 125/06, ZIP 2007, 1993, Rz. 9. Vgl. auch den Beschluss BGH v. 12.1.2006 – III ZR 407/04, WM 2006, 522, 523, in welchem der BGH es nicht als Prospektmangel erachtet, wenn dem Anleger kein „schneller Überblick“ über die Risiken der Anlage geboten wird und er statt dessen auf die Lektüre „umfangreiche(r) Ausführungen zu den Einzelinvestitionen angewiesen ist. Für den vorliegenden Zusammenhang zustimmend etwa Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 22; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 7. 5 Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 32; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 108 ff.; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 24, 33a; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 7; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 7. A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 8, der eine ex ante-Betrachtung nur bei der Beantwortung der Frage des Verschuldens für erforderlich hält. 6 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 72; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 4; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 24; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 4; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 8; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 29. A.A., aber zu undifferenziert, implizit die explizit abgelehnten Aktualisierungspflichten annehmend und letztlich ohne Begründung Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 14: „Zeitpunkt der Annahme des Angebots“. 7 Zur Möglichkeit der Berichtigung anfänglich unrichtiger Angebotsunterlagen sowie zur Frage, ob nachträglich (aufgrund neuer Ereignisse) unrichtig gewordene Angebotsunterlagen eine Haftung nach § 12 begründen und zum Zwecke der Vermeidung derselben zu aktualisieren sind, siehe unten Rz. 30 ff. Praktikabilitätsgesichtspunkte sprechen gegen einen
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Haftung für die Angebotsunterlage
Rechtsprechung an dem dictum festhält, der „durchschnittliche Anleger“ sei in der Lage, eine Bilanz zu lesen1, darf heute mit einiger Sicherheit verneint werden2, denn diese Einschränkung liegt weder in der Linie des von ihr später verfolgten Anlegerschutzes noch in derjenigen des zumindest für Wertpapierprospekte maßgeblichen EG-Richtlinien3. 24
Unrichtig sind in der Angebotsunterlage mitgeteilte Tatsachen (siehe oben Rz. 37), wenn sie (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage, Rz. 23 a.E.) mit den wirklichen Verhältnissen nicht übereinstimmen4. Unrichtig können Angaben der Angebotsunterlage nicht nur hinsichtlich tatsächlicher Angaben, sondern auch in Bezug auf dort wiedergegebene Meinungen, Werturteile, Prognosen und zukunftsbezogene Informationen sein5. Sie sind sämtlich dann als unrichtig zu betrachten, wenn sie nicht ausreichend durch Tatsachen gestützt und kaufmännisch nicht vertretbar sind6.
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Zur Aufnahme zukunftsbezogener Angaben in die Angebotsunterlage ist der Bieter allerdings nur insoweit verpflichtet, als das Gesetz ihm eine diesbezügliche Ver-
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nach den Angebotsadressaten des Angebots differenzierenden Maßstab, wie ihn Lenenbach, Rz. 16.117, vertritt. BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81, WM 1982, 862, 863. Ausdrücklich folgend (die nicht rechtskräftig gewordene Entscheidung des) OLG Frankfurt a.M. v. 6.7.2004 – 5 U 122/03, ZIP 2004, 1411, 1414. Folgend im Schrifttum Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 9; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 22; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 20. Kritisch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 6; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 7. Namentlich die Prospektrichtlinie 2003/71/EG vom 4.11.2003 vom 22.6.2005, BGBl. I 2005, 1698, die ausweislich der Ausführungen in Erwägungsgrund 41 den Schutz des Vertrauens des Kleinanlegers einfordert. Siehe für die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung m.w.N. Assmann in Assmann/Schlitt/ von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 40. Entsprechend für die Angebotsunterlage etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25b, 36; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 5; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 4; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 8; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 16; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 22. Insbesondere BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – BuM, WM 1982, 862, 863 = AG 1982, 278. Auch OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.1994 – 5 U 213/92, WM 1994, 291, 295 = AG 1995, 134; LG Frankfurt a.M. v. 7.10.1997 – 3/11 O 44/96, WM 1998, 1181, 1184. Im Hinblick auf Rendite- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen etwa BGH v. 16.1.1985 – IVa ZR 83/83, WM 1985, 483; BGH v. 7.10.1987 – IVa ZR 67/86, WM 1987, 1557; BGH v. 17.6.1991 – II ZR 121/90, WM 1991, 1543; OLG Bremen v. 21.12.1982 – 1 U 66/82, ZIP 1983, 423. Siehe auch Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 37; Hopt, ZHR 166 (2002), 382, 407; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25b; Assmann, AG 2002, 153, 155; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 9; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 21. BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – BuM, WM 1982, 862, 865 = AG 1982, 278; OLG Düsseldorf v. 5.4.1984 – 6 U 239/82, WM 1984, 586, 595 f. = AG 1984, 188. Assmann in Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 40 mit umfangreichen weiteren Nachweisen; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 120; Groß, AG 1999, 199, 202; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 13. In Bezug auf die Angebotsunterlage vgl. Assmann, AG 2002, 153, 155; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2252; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 36; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 8; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 5; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 25; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 4; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 9; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 9, 16; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 22.
336 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
pflichtung auferlegt1. Eine solche ist derzeit nur in § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 im Hinblick auf die zu erwartenden Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters sowie die Absichten des Bieters in Bezug auf die Zielgesellschaft zu finden. Im ersteren Falle sind die Angaben der Angebotsunterlage nicht zu beanstanden, wenn sie hinreichend durch Tatsachen unterlegt und kaufmännisch vertretbar sind (siehe oben Rz. 24 a.E.). Obschon hinsichtlich des herbeizuführenden Zustands oder des an den Tag zu legenden Verhaltens zukunftsbezogen, sind die im zweiten Fall (gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2) in die Angebotsunterlage aufzunehmenden Angaben über Absichten des Bieters jedoch Angaben über Tatsachen im Sinne innerer Tatsachen. Die diesbezüglichen Angaben sind deshalb nicht als unrichtig anzusehen, wenn der Bieter sich später anders verhält, als es seinen kundgegebenen Absichten entspricht; entscheidend ist allein, ob er im Zeitpunkt der Prospekterstellung tatsächlich die angegebenen Absichten verfolgte2. Freilich ist daran zu denken, die Abweichung von den in der Angebotsunterlage geschilderten Absichten als Indiz dafür zu werten, dass der Bieter diese im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht ernsthaft verfolgte, um ihn so zu einer substantiierten Darlegung der Gründe zu veranlassen, aus der sich die Abweichung seiner Absicht von seinem tatsächlichen Handeln ergibt. Unvollständig ist die Angebotsunterlage, wenn ihr wesentliche Angaben fehlen, d.h. 26 Informationen, die ein durchschnittlicher, verständiger Anleger „eher als nicht“ bei seiner Entscheidung über die Annahme des Angebots berücksichtigen würde3. Eine Angebotsunterlage ist daher nicht bereits deshalb vollständig, weil sie alle nach § 11, § 2 WpÜG-AngVO erforderlichen und hinsichtlich ihrer Vollständigkeit von der BaFin kontrollierten Angaben enthält4. Auch für den Fall von Umtauschangeboten ist eine Angebotsunterlage nicht unvollständig, wenn sie keine Angaben über eventuelle Negativberichterstattung, Negativratings oder Downratings betreffend den Bieter oder die Zielgesellschaft enthält5. Allerdings kann eine – unter Berücksichtigung bekannter kritischer Berichte Dritter6 – zu positive Darstellung einen falschen Ge1 Im Hinblick auf die Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG a.F. ausführlich Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 60. 2 Assmann, AG 2002, 153, 156; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 9; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 36; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 27. 3 In Bezug auf die Prospekthaftung etwa BGH v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7, 12; BGH v. 29.5.2000 – II ZR 280/98, WM 2000, 1503, 1504. Zur Angebotsunterlage OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 751. Aus dem Schrifttum etwa Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 23 ff.; Assmann, AG 2002, 153, 156; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 35; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 10, 18; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 23 m.w.N. 4 Assmann, AG 2002, 153, 156; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2251; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 10; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 28; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 7; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 18; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 24. A.A. nur Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 42 ff. 5 In Bezug auf Börsenzulassungs- und Verkaufsprospekte und die Prospekthaftung nach Börsenprospekthaftung §§ 45, 46 BörsG a.F. und § 13 VerkProspG a.F. siehe OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.1994 – 5 U 213/92, WM 1994, 291, 297. Näher hierzu, jeweils m.w.N., Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 46; Assmann in Assmann/ Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 97 f.; Assmann, ZIP 2002, 637 ff. Für die Haftung für die Angebotsunterlage Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 46; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 29; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 19; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 25. 6 Ähnlich Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 46, mit der Folgerung, dies könne den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen.
Assmann
337
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
samteindruck (siehe Rz. 27) der Angebotsunterlage hervorrufen und damit fehlerhaft sein1. 27
Wie bei der Beurteilung der von den verschiedenen Tatbeständen der Prospekthaftung erfassten Prospekte ist auch bei der Beurteilung der Richtigkeit und Vollständigkeit einer Angebotsunterlage der von dieser erzeugte Gesamteindruck2 zu berücksichtigen3. Danach ist – in Anlehnung an die einschlägige Rechtsprechung zur Prospekthaftung4 – eine Angebotsunterlage auch dann unrichtig oder unvollständig, wenn sie unter Betrachtung aller ihrer Angaben bei den maßgeblichen Adressaten5 Vorstellungen über die Vorteilhaftigkeit des Erwerbsangebots erweckt, welche den tatsächlichen Umständen nicht entsprechen. Dabei sind zu den Angaben betreffend die Vorteilhaftigkeit des Angebots nicht nur die Angebotskonditionen im engeren Sinne zu zählen, sondern auch Informationen, welche die aktuelle und zukünftige Werthaltigkeit der vom Angebot betroffenen Wertpapiere sowie die Absichten des Bieters6 im Hinblick auf seine zukünftige Rolle als Anteilseigner der Zielgesellschaft zum Gegenstand haben (dazu schon oben Rz. 25).
28
Die Unrichtigkeit einer Angebotsunterlage wegen Gestaltungsmängeln kommt nur bei schwerwiegenden Mängeln dieser Art, die zu einem fehlerhaften Gesamteindruck führen, in Betracht7. Wenn § 11 Abs. 1 Satz 4 verlangt, die Angebotsunterlage sei in einer Form abzufassen, die ihr Verständnis und ihre Auswertung erleichtert, so sind Angebotsunterlagen, die diesem Erfordernis nicht genügen, gleichwohl erst dann unrichtig oder unvollständig, wenn sie – im vorstehenden Sinne – schwerwiegende Gestaltungs- und Darstellungsmängel aufweisen. 1 So kontrolliert das OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.1994 – 5 U 213/92, WM 1994, 291, 297, die Vollständigkeit des Prospekts, ohne eine Prospektierungspflicht von Negativkritiken oder Downratings zu begründen, allein unter dem Gesichtspunkt des erzeugten Gesamteindrucks, wobei Negativkritiken oder Downratings nur zur Beurteilung des Verschuldens der Anspruchsgegner, d.h. der Beantwortung der Frage herangezogen werden sollen, ob die jeweiligen Prospektverantwortlichen einzelne Unrichtigkeiten, eventuelle Unvollständigkeiten oder den unzutreffenden Gesamteindruck des Prospekts durch das Vorhandensein solcher Kritik und der hierfür angegebenen Gründe hätten erkennen können. Zustimmend insoweit Schwark, WuB I G 9. – 2.94 zu 1. (a.E.); Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44, 45 BörsG Rz. 51. Für den vorliegenden Zusammenhang Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 46; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 29; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 19; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 25. 2 BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – BuM, WM 1982, 862, 863 = AG 1982, 278; OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.1994 – 5 U 213/92, WM 1994, 291, 295 = AG 1995, 134; OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.1999 – 21 U 260/97, ZIP 1999, 1005, 1007 = AG 2000, 132; LG Frankfurt a.M. v. 7.10.1997 – 3/11 O 44/96, WM 1998, 1181, 1184. Assmann in Assmann/Schlitt/von KoppColomb, § 13 VerkProspG Rz. 47; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 106; Groß, AG 1999, 199, 202; Hauptmann in Vortmann, § 3 Rz. 66 f.; J. Hüffer, S. 138 ff.; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 48; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 30 f. 3 Hopt, ZHR 166 (2002), 382, 407; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 47 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 8; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 6; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 21, 23; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 4, 5; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 11; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 20; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 26; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 6. 4 Siehe dazu die Nachweise oben in Rz. 23 Fn. 3 (S. 335). 5 Siehe dazu die Ausführungen zu und die Nachweise in Rz. 23 Fn. 7 (S. 335). 6 Vgl. schon oben Rz. 16, 20. 7 OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 751. Näher Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 42.
338 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Der Beurteilung der Angebotsunterlage als in Bezug auf wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig steht der Umstand, dass die BaFin die Angebotsunterlage gebilligt und ihre Veröffentlichung gestattet hat (§ 14 Abs. 2 Satz 1), nicht entgegen1.
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3. Anfängliche und nachträgliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit Dass anfänglich unrichtige oder unvollständige, gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 veröffent- 30 lichte Angebotsunterlagen eine Haftung nach § 12 Abs. 1 auszulösen vermögen, die durch Berichtigung der Angebotsunterlage nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 gegenüber denjenigen abgewendet werden kann, welche das Angebot nach der Berichtigung erwerben, steht außer Frage. Unklar ist hingegen, ob eine nachträglich fehlerhafte, d.h. nach ihrer Veröffentlichung in Bezug auf wesentliche Angaben2 unrichtig oder unvollständig gewordene Angebotsunterlage eine Haftung nach § 12 Abs. 1 auslösen kann und mithin von den Adressaten der Haftung eine permanente Aktualisierung der wesentlichen Angaben der Angebotsunterlage bis zum Ablauf der Annahmefrist verlangt. Die Vorschriften des § 11 Abs. 1 (namentlich Satz 3) und des § 12 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 Nr. 3 enthalten diesbezüglich keine klare Aussage: Ihrem Wortlaut lässt sich weder eine Pflicht zur Aktualisierung einer Angebotsunterlage3 noch die Aussage entnehmen, es solle nur für anfänglich unrichtige oder unvollständige Angebotsunterlagen gehaftet werden4. Auch aus einem Vergleich mit der früher im BörsG und im VerkProspG und heute im WpPG und VermAnlG geregelten börsen- und verkaufsprospektgesetzlichen Haftung ließ sich zu keiner Zeit folgern, es solle nur für anfänglich unrichtige oder unvollständige Angebotsunterlagen gehaftet werden. Dass Börsenzulassungsprospekte, Unternehmensberichte und Emissionsprospekte einer Aktualisierungspflicht unterlagen, für deren Verletzung nach § 44 Abs. 1 BörsG a.F. (heute § 21 Abs. 1 WpPG) gehaftet wurde, ist zwar von der h.M. bestritten worden5, doch standen §§ 45, 46 BörsG a.F. sowie § 52 Abs. 2 BörsZulV a.F. (heute §§ 21, 23 WpPG) der Annahme einer sol1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 751. Hamann, ZIP 2001, 2249, 2251; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 7; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 74; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 12, 24; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 37; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 7; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 3; Steinhardt in Steinmeyer/ Häger, § 12 Rz. 5; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 341 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 28. So schon für den Börsenzulassungsprospekt OLG Frankfurt a.M., Teilurteil v. 1.2.1994 – 5 U 213/92, WM 1994, 291, 297 m.w.N.; LG Frankfurt a.M. v. 6.10.1992 – 3/11 O 173/91, WM 1992, 1768, 1770 f.; RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BRDrucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 76. Das entspricht auch der einhelligen Meinung im Schrifttum; siehe dazu die Nachweise bei Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 26 mit Fn. 2. 2 Etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 56; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 37. 3 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 32. A.A. in Bezug auf § 11 Abs. 1 Satz 3: Häger/ Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 16, die eine Aktualisierungspflicht unmittelbar aus § 11 Abs. 1 Satz 3 herleiten wollen. Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 40, mit dem Hinweis, die Aktualisierungspflicht folge aus Sinn und Zweck von § 11 Abs. 1 Satz 3. Wieder anders Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 50, der eine Ausdehnung des § 11 Abs. 1 Satz 3 über den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anlage hinaus befürwortet. A.A. in Bezug auf § 12 Abs. 3 Nr. 3: Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331, der § 12 Abs. 3 Nr. 3 für eine mögliche Analogiegrundlage hält. 4 Eine Aktualisierungspflicht ablehnend Hamann, ZIP 2001, 2249, 2257. Ablehnend de lege lata auch noch Oechsler, NZG 2001, 817, 823. 5 Siehe dazu ausführlich, m.w.N., Stephan, AG 2002, 3, 6.
Assmann
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31
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
chen Pflicht zur Aktualisierung nicht grundsätzlich entgegen1. Schon § 11 VerkProspG a.F. ordnete eine Nachtragspflicht zur Korrektur nachträglich unrichtig gewordener Prospekte sogar ausdrücklich an2, und heute findet sich eine ausführliche Regelung der Nachtragspflicht sowohl in § 16 WpPG in Bezug auf Wertpapierprospekte und in § 11 VermAnlG in Bezug auf Verkaufsprospekte betreffend Vermögensanlagen. Dass eine entsprechende Regelung im WpÜG – namentlich im Zusammenhang mit §§ 11 Abs. 1, 12 – fehlt, ist eine Lücke dieses Gesetzeswerks, aber – schon wegen der Nähe von Übernahmeangebotssachverhalten (hier geht es um Desinvestitionsentscheidungen) zu solchen des öffentlichen Angebots von Wertpapieren und Vermögensanlagen (bei diesen geht es um Investitionsentscheidungen) – schwerlich als bewusster gesetzgeberischer Wille anzusehen3. Die Ad hoc-Publizitätspflichten des Bieters nach § 15 WpHG vermögen die Lücke nicht zu schließen: Zunächst sind nicht alle potentiellen Bieter der Ad hoc-Publizität unterliegende „Emittenten“ i.S.d. § 15 WpHG4; des Weiteren treten nicht alle die Angebotsunterlage möglicherweise nachträglich unrichtig machenden Ereignisse im Tätigkeitsbereich des Bieters ein oder sind geeignet, wegen ihrer Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten den Börsenpreis der Papiere des Bieters erheblich zu beeinflussen5; und schließlich verlangt § 15 WpHG auch keine deutliche Prospektberichtigung wie es etwa schon nach § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG a.F. im Hinblick auf Prospektkorrekturen der Fall war und auch heute nach § 23 Abs. 2 Nr. 4 WpPG der Fall ist. 32
Es sprach deshalb schon bisher alles dafür, im Interesse einer klaren und rechtseinheitlichen Lösung § 11 VerkProspG a.F. analog auf die Angebotsunterlage anzuwenden6, und es spricht auch alles dafür, diese auf den an die Stelle dieser Bestimmung getretenen § 11 VermAnlG, der im Übrigen § 16 WpPG entspricht, zu übertragen. 1 Der h.M. war darin zuzustimmen, dass sich § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG a.F. (heute § 23 Abs. 2 Nr. 4 WpPG) keine Aktualisierungspflicht entnehmen ließ. Ebenso wenig war der Vorschrift allerdings zu entnehmen, dass sie nur die Kausalität der bei Veröffentlichung fehlerhaften Prospekte oder Unternehmensberichte für den Entschluss des Anlegers zum Erwerb der betroffenen Wertpapiere beseitigen soll. Nicht zu bestreiten war auch, dass § 52 Abs. 2 BörsZulV a.F. eine Nachtragspflicht nur bis zu dem Zeitpunkt der Einführung der fraglichen Wertpapiere zum börslichen Handel (§ 37 Abs. 1 BörsG a.F.) begründete, doch fehlte ihr im Hinblick auf nachträgliche Aktualisierungspflichten jegliche Aussagekraft. Des Weiteren war nicht in Abrede zu stellen, dass allein der veröffentlichte Prospekt oder Unternehmensbericht den Ausgangspunkt der Haftung nach §§ 44 ff. BörsG a.F. (heute §§ 21, 23 WpPG) darstellte, doch war auch damit über haftungsbewehrte Aktualisierungspflichten desselben nichts entschieden. 2 Siehe dazu insgesamt Stephan, AG 2002, 3 ff. 3 Assmann, ZGR 2002, 153, 157; Assmann, AG 2002, 153, 157; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 52, 53; Möllers, ZGR 2002, 664, 675; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331; Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 16; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 34 ff. 4 Auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13. 5 Siehe auch diesbezüglich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13. 6 Assmann, AG 2002, 153, 157; Assmann, ZGR 2002, 697, 719; Assmann in FS Ulmer, S. 757, 776; auch Meyer oben zu § 11 Rz. 48; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 34, unter zusätzlicher Anführung von § 52 Abs. 2 BörsZulV als Analogiegrundlage; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 408; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 36. Differenzierend (zwischen Bar- und Tauschangeboten) Stephan, AG 2003, 1330, 1331. Die analoge Anwendung von § 11 VerkProspG a.F. zugunsten einer Analogie zu § 12 Abs. 3 Nr. 3 ablehnend Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 66, 70; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 15. Offen gelassen von OLG Frankfurt a.M. v. 18.4.2007 – 21 U 72/06, AG 2007, 749, 751. Gegen Aktualisierungspflicht Hamann, ZIP 2001, 2249; 2257; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 33 f. (für den Fall eines reinen Barangebots,
340 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
§ 23, der Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots regelt, die keinen Zusammenhang mit der (Richtigkeit und Vollständigkeit der) Angebotsunterlage aufweisen, steht dem nicht entgegen1. Die entsprechende Anwendung des § 11 VermAnlG und des § 16 WpPG wird man allerdings auf die Verpflichtung zur Erstellung eines Nachtrags zu beschränken und nicht auf die einer Veröffentlichung des Nachtrags vorhergehende Billigung durch die BaFin zu erstrecken haben, denn diese dürfte mangels gesetzlicher Regelung die Prüfung und Billigung eines Nachtrags zu einer Angebotsunterlage ablehnen. Dem Nachtragspflichtigen vermag daraus kein Nachteil zu entstehen, denn die Bußgeldbewehrung der Pflicht zur Veröffentlichung eines Nachtrags nach § 11 VermAnlG in § 29 Abs. 1 Nr. 3 VermAnlG und nach § 16 WpPG in § 35 Abs. 1 Nr. 9 WpPG lässt sich wegen des auch im Ordungswidrigkeitenrecht geltenden Analogieverbots auf keinen Fall auf die Pflicht zur Erstellung eines Nachtrags zu einer Angebotsunterlage erstrecken. Auch wenn der Nachtrag zu einer Angebotsunterlage damit zwar nicht von der BaFin zu billigen wäre, unterläge er dafür aber – wie die Angebotsunterlage selbst – der Haftung nach § 122. Denkbar ist es aber auch, den Erwägungen des Bundesgerichtshofs in der Elsflether Werft-Entscheidung3 betreffend die Pflicht zur Aktualisierung eines nachträglich unrichtig gewordenen Unternehmensberichts zu folgen und eine allgemeine Pflicht zur Aktualisierung der Angebotsunterlage im Hinblick auf die in diese gemäß § 11 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO aufzunehmenden Angaben von wesentlicher Bedeutung bis zum Ende der Annahmefrist zu befürworten. Auch daraus würde allerdings nicht mehr als eine Nachtragspflicht und die Haftung für die Richtigkeit des Nachtrags folgen. Doch wie auch immer wäre eine gesetzliche Regelung der Nachtragspflicht bei Angebotsunterlagen zu wünschen. Auch in Bezug auf Form und Inhalt der Veröffentlichung ist von dem in § 11 Satz 1 VerkProspG a.F. und in § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 4 VermAnlG (entsprechend § 16 Abs. 1 Sätze 1 und 5 WpPG) enthaltenen Grundsatz und nicht von einer entsprechenden Anwendung des § 12 Abs. 3 Nr. 34 auszugehen, denn es geht hier nicht in erster Linie um den Ausschluss einer Haftung für die Richtigkeit der Angebotsunterlage nach § 12, sondern um die Information des Publikums, die bei der Veröffentlichung einer Korrektur der Angebotsunterlage in der gleichen Weise zu erfolgen hat wie bei der Publikation der Angebotsunterlage selbst: So wie § 11 Satz 1 VerkProspG a.F. und § 11 Abs. 1 Satz 4 VermAnlG (entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 5 WpPG) hinsichtlich der Veröffentlichung des Nachtrags zu Verkaufsprospekten auf die Vorschriften über den Verkaufsprospekt (bei Wertpapierprospekten entsprechend auf die Bestimmungen über den Wertpapierprospekt im WpPG) und dessen Veröffentlichung verweisen, sind in Bezug auf die Veröffentlichung des Nachtrags zur Angebotsunterlage die Vor-
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anders bei Umtauschangeboten); Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 12 (allenfalls bei Tauschangeboten). A.A., aber aus dem vorgenannten Grunde nicht haltbar, Hamann, ZIP 2001, 2249, 225, der in § 23 eine abschließende Regelung der Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots sieht. § 11 Satz 2 VerkProspG a.F., jetzt § 11 Abs. 1 Satz 4 VermAnlG (entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 5 WpPG). Vgl. Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 11 VerkProspG Rz. 50. Im Gegensatz zum Verkaufsprospektnachtrag (siehe ebd., Rz. 33) bedürfte der Nachtrag zu einer Angebotsunterlage bei analoger Anwendung von § 11 VerkProspG a.F. und nunmehr § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 4 VermAnlG, mangels Einrichtung einer Hinterlegungsstelle, keiner Hinterlegung (wie dies § 11 Abs. 3 Satz 1 VermAnlG verlangt). BGH v. 14.7.1998 – XI ZR 173/97, WM 1998, 1772, 1774 f. = AG 1998, 520. So aber Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 66; Möllers, ZGR 2002, 664, 676; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 15; Stephan, AG 2003, 551, 560; Thoma in Baums/ Thoma, § 12 Rz. 38 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 17.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
schriften über die Veröffentlichung der Angebotsunterlage in § 14 Abs. 3 und 4 entsprechend anzuwenden1. Entfällt nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 eine Haftung für die Angebotsunterlage, wenn vor der Annahme des Angebots in einer Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 WpHG oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben vorgenommen wurde, wird man diese Regelung sowohl im Hinblick auf Form und Inhalt der Veröffentlichung allerdings auch entsprechend auf die aus § 12 folgende Haftung für die Unterlage anwenden, mit der die Berichtigung der Angebotsunterlage vorgenommen wurde. 34
Eine Aktualisierungspflicht besteht entsprechend § 11 VerkProspG a.F. und § 11 VermAnlG (entsprechend § 16 WpPG) für die Dauer des Angebots. Sie endet dementsprechend mit dem Ablauf der Angebotsfrist2, die – je nach den Umständen – auch eine „weitere Annahmefrist“ nach § 16 Abs. 2, eine für den Fall einer (nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorgenommenen) Einberufung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft nach § 16 Abs. 3 verlängerten Annahmefrist oder einer sich nach § 39a (übernahmerechtlicher Squeeze-out) oder § 39c (übernahmerechtlicher „Sell-out“) ergebende Frist sein kann3. Ganz unerheblich ist es für die Dauer der allgemeinen Pflicht zur Aktualisierung der Angebotsunterlage, ob Anleger das Angebot bereits angenommen haben oder nicht4. Eine andere Frage ist es, ob sich einzelne Anleger, die das Angebot auf der Grundlage einer im Annahmezeitpunkt zutreffenden Angebotsunterlage angenommen haben, auf eine später eingetretene Unrichtigkeit der Angebotsunterlage berufen können; sie ist mangels Ursächlichkeit fehlerhafter Angaben der Angebotsunterlage für die konkrete Entscheidung des Angebots zu verneinen5. Und eine wiederum andere Frage ist die, ob ein Anleger, welcher das Angebot auf der Grundlage einer im Annahmezeitpunkt zutreffenden Angebotsunterlage bereits angenommen hatte, aus einem sonstigen Grunde – etwa wegen der Vereitelung der Ausübung eines vom Anbieter eingeräumten oder gesetzlichen (vgl. §§ 21 Abs. 4, 22 Abs. 3) Rücktrittsrechts – wegen unterlassener oder fehlerhafter Aktualisierung vertragliche oder deliktische Ansprüche geltend machen kann6.
III. Adressaten der Haftung (§ 12 Abs. 1) 35
Für eine unrichtige oder unvollständige Angebotsunterlage haften nach § 12 Abs. 1 (Nr. 1 und 2) diejenigen, die nach § 11 Abs. 3 für die Angebotsunterlage die Verant1 Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 38, scheint im Grundsatz einer analogen Anwendung des § 12 Abs. 3 Nr. 3 zuzuneigen, empfiehlt aber eine „vorsichtshalber“ der Form des § 14 Abs. 3 Satz 1 genügende Veröffentlichung. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 14, hält – obwohl eine Berichtigungspflicht aus § 12 Abs. 3 Nr. 3 befürwortend – neben der Einhaltung der Form des § 15 Abs. 3 WpHG a.F. eine Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 in dem Börsenpflichtblatt für erforderlich, in welchem die Angebotsunterlage veröffentlicht wurde. 2 Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 17; Möllers, ZGR 2002, 664, 676; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 59; Stephan, AG 2003, 551, 559 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 40. 3 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 60 ff. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 13; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331; Stephan, AG 2003, 551, 560; i.E. auch Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 42; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 59. 5 Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 42. 6 Das räumt auch Thoma in Baums/Thoma, § 12 in seinen (die vorstehenden Erläuterungen in Rz. 34 missverstehenden) Ausführungen in Rz. 42 Fn. 120 und Rz. 43 ein.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
wortung übernommen haben sowie diejenigen, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht. Ihre Haftung ist eine gesamtschuldnerische (§ 12 Abs. 1). Hiervon abweichende Vereinbarungen zwischen den nach § 12 Abs. 1 Haftenden sind den Anspruchsberechtigten gegenüber unbeachtlich (§ 12 Abs. 5)1. Zu denen, die die Verantwortung für die Angebotsunterlage übernommen haben gehören regelmäßig der Bieter als Unterzeichner der Unterlage (§ 11 Abs. 1 Satz 5) sowie diejenigen, die (zusätzlich zum Bieter und ohne hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein) in der Angebotsunterlage als Verantwortliche für dieselbe angeführt sind (§ 11 Abs. 3).
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Zu denen, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht, zählen (entsprechend 37 den Auslegungsgrundsätzen zur gleich lautenden Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F., dem § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpPG) die für das Angebot maßgeblichen „Hintermänner“ und die Mitglieder der „Leitungsgruppe“ des Bieters, die möglicherweise die Angebotsverantwortlichen i.S.v. § 11 Abs. 1 und 3 nur vorgeschoben haben, um sich selbst der Verantwortung zu entziehen2 und so die „tatsächlichen Urheber“3 der Angebotsunterlage darstellen. Typischerweise soll es sich hierbei, nach der Begründung zum RegE, um diejenigen handeln, die an der Übernahme ein eigenes „wirtschaftliches Interesse“ (unten Rz. 39) haben, wie etwa die mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen4. Dazu kann auch der Bieter gehören, der nicht nach § 11 Abs. 3 die Verantwortung für die Angebotsunterlage übernommen hat5. Sämtliche der vorstehend angeführten Kriterien zur Bestimmung der Gruppe
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 141 f.; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 19a; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 23; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 28; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 57; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 24. 2 Siehe etwa, jeweils m.w.N., Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 223; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 74; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 42; Hopt, S. 69 f.; Kort, AG 1999, 9, 10; Kunz, S. 133 ff.; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 6; Nußbaum, Kommentar zum Börsengesetz, 1910, § 46 Anm. II. und II. b); Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 9; Schwark, KapitalmarktrechtsKommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 7; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 16; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 50. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. Die Formulierung, als Personen, von denen der Prospekt ausgeht, hafteten die „tatsächlichen“ oder „eigentlichen“ Urheber des Prospekts, ist allerdings mit Vorsicht zu handhaben. Wie bei der allgemein-zivilrechtlichen Prospekthaftung – siehe etwa Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 155 f. – sind nämlich diejenigen, die nur Material zur Erstellung des Prospekts geliefert haben, aus der Verantwortlichkeit auszunehmen; vgl. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 223; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 74; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 44; J. Hüffer, S. 142; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 7. In Bezug auf die Angebotsunterlage vgl. Assmann, AG 2002, 153, 157; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 9; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 50. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 42. Ebenso Assmann, AG 2002, 153, 157; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2255; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 6; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 19; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 26; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 50. 5 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 5, scheinen den Bieter immer als Person anzusehen, von der Erlass der Angebotsunterlage i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 2 ausgeht. Ebenso wohl Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 21. Zur Frage, ob der Bieter immer zu denjenigen gehört, die für die Angebotsunterlage die Verantwortung (i.S.v. § 11 Abs. 3) übernommen haben, siehe unten Rz. 40.
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Haftung für die Angebotsunterlage
derer, von denen der Erlass der Angebotsunterlage ausgeht, sind jedoch mit Vorsicht zu handhaben: 38
Zu den Personen, die als die „tatsächlichen“ oder „eigentlichen“ Urheber des Prospekts anzusehen sind, gehören – anerkannten Grundsätzen der allgemein-zivilrechtlichen Prospekthaftung folgend1 – jedenfalls nicht diejenigen, die nur Material zur Erstellung des Prospekts geliefert2 oder (wie etwa Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer) kraft entsprechender vertraglicher Verpflichtungen die technische Erstellung des Prospekts übernommen haben3. Entsprechendes gilt auch bei der Verantwortlichkeit für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 Abs. 14. Folgerichtig haftet auch eine Person nicht allein deshalb für den Inhalt der Angebotsunterlage, weil sie in dieser mit eigenen Erklärungen angeführt wird oder sonst in der Angebotsunterlage namentlich Erwähnung findet. Erweist sich die jeweilige Erklärung, mit der eine Person in der Angebotsunterlage Erwähnung fand, als fehlerhaft, so begründet auch dies keine Haftung nach § 12, solange der Erklärende nicht einem der in dieser Vorschrift umschriebenen Adressatenkreise (siehe oben Rz. 35) zuzurechnen ist5 oder aus einem anderen rechtlichen Grunde6 haftet. Namentlich das in der Angebotsunterlage nach §§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4, 13 Abs. 1 Satz 1 aufzuführende, bei der Finanzierung eines Angebots beteiligte Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 4 WpHG (sog. Finanzierungsbank) gerät damit nicht allein kraft seiner Nennung in den Kreis derer, die für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 haften7; seine Haftung bestimmt sich, sofern es nicht aus anderen Gründen dem Adressatenkreis des § 12 unterfällt, allein nach § 13 Abs. 3 und beschränkt sich dementsprechend auf die Richtigkeit seiner Finanzierungserklärung i.S.v. § 13 Abs. 1.
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Für die Annahme, eine Person oder ein Unternehmen habe ein eigenes „wirtschaftliches Interesse“ an der Übernahme, ist ein Interesse an der mit dem Angebot verfolgten Beteiligung am Zielunternehmen zu verlangen, wohingegen bloße Provisionsoder Honorarinteressen von Beratern, Finanziers oder sonstigen Hilfspersonen nicht ausreichen, selbst wenn diese erfolgsbezogen vereinbart wurden8. Ebenso wenig wie das in der Angebotsunterlage aufzuführende Wertpapierdienstleistungsunternehmen (oben Rz. 38) gehören deshalb auch die sonst im Zusammenhang mit Angaben zur
1 Siehe etwa Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 155 f. m.w.N. 2 Vgl. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 223; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 74; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 44; J. Hüffer, S. 142; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 7. 3 Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51. 4 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 6; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 17; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 20; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 13; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 26; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51. 5 A.A. wohl Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 52. 6 Etwa aus Delikt oder culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB). Vgl. Assmann, AG 2004, 435, 437 f.; Möllers, ZGR 2002, 664, 689; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92. 7 Vgl. Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 352; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51; Vaupel, WM 2002, 1170, 1171; nunmehr auch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 20, 25; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 21. 8 Vgl. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 20, 25; ähnlich Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51. Zweifelnd Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 352, unter unzutreffender Berufung auf Assmann, AG 2002, 153, 157.
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Haftung für die Angebotsunterlage
Vorbereitung oder Abwicklung des Angebots in der Angebotsunterlage erwähnten Kreditinstitute oder Unternehmen zu den Adressaten der Haftung aus § 121. Soll das Angebot als Tauschangebot (§ 2 Abs. 1) erfolgen, so kann es vorkommen, 40 dass der Bieter zur Erbringung der vereinbarten Gegenleistung auf geliehene Wertpapiere zurückgreift, weil ihm nicht genügend Stücke der fraglichen Art zur Verfügung stehen und erst noch geschaffen werden müssen. Der in diesem Falle in der Angebotsunterlage als Leihgeber Anzuführende ist selbst dann nicht als Angebotsverantwortlicher anzusehen, wenn er in der Angebotsunterlage als sog. technischer Bieter angeführt wird, vorausgesetzt, er gehört nicht zu den Personen, die in einer Erklärung gemäß § 11 Abs. 3 die Verantwortung für die Angebotsunterlage übernommen haben und deshalb zu dem nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 haftenden Personenkreis gehören. Soll nach verbreiteter Ansicht nicht einmal der Bieter zwingend dazu verpflichtet sein, die Verantwortung für den Prospekt i.S.d. § 11 Abs. 3 zu übernehmen2, so besteht erst recht keine solche Verpflichtung für den bloß „technischen Bieter“, weshalb er – sofern er nicht freiwillig die Verantwortung für die Angebotsunterlage (mit-)übernommen hat – nicht bereits kraft § 12 Abs. 1 Nr. 1 für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage haftet3. Darüber hinaus gehört der „technische Bieter“ auch nicht zu denjenigen, die ein eigenes „wirtschaftliches Interesse“ an dem Angebot haben4: Seine Rolle gleicht demjenigen eines Finanziers des Angebots, indem er die Voraussetzungen zur Erbringung der vom Bieter versprochenen Gegenleistung erbringt; ein über sein Vergütungsinteresse im Hinblick auf die Wertpapierleihe hinausgehendes Interesse an der mit dem Angebot verfolgten Beteiligung am Zielunternehmen ist ihm regelmäßig nicht eigen.
IV. Anspruchsberechtigte (§ 12 Abs. 1) Anspruchsberechtigt sind diejenigen, die das Angebot angenommen haben (§ 12 41 Abs. 1), sowie diejenigen, deren Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen wurden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 12 Abs. 1 können Angebotsadressaten, die das Angebot nicht angenommen haben, keinen Anspruch aus § 12 Abs. 1 geltend machen5. Die Vorschrift ist für diese Fälle auch nicht entsprechend anwend-
1 Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 352; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51; Vaupel, WM 2002, 1170, 1171. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 80; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 150 m.w.N., der aber, sich damit selbst widersprechend, in § 12 Rz. 51 (unter Verweis auf den Urheber dieser irrigen Ansicht – Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 22) die Auffassung vertritt, der „technische Bieter“ sei (zwingend) Prospektverantwortlicher i.S.d. §§ 12 Abs. 1 Nr. 1, 11 Abs. 3. A.A., d.h. eine Verpflichtung des Bieters annehmend, die Verantwortung für die Angebotsunterlage übernehmen zu müssen, dabei aber den „technischen Bieter“ nicht erwähnend, die Erläuterungen von Meyer, § 11 Rz. 132; ebenso Sohbi in Heidel, § 11 WpÜG Rz. 33. 3 A.A. namentlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 22, auf der Grundlage der fehlerhaften Prämisse, der „technische Bieter“ sei (zwingend) eine Person, die die Verantwortung für die Angebotsunterlage nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 1, 11 Abs. 3 übernommen habe. Dem ungeprüft und ohne weitere Begründung folgend Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 92 (2. Abs.); Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 150. 4 Ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 21 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 51. 5 Vgl. Assmann, AG 2002, 153, 157; Assmann, ZGR 2002, 697, 719; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 81, 83a; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 4; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 20; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 13; Sohbi
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Haftung für die Angebotsunterlage
bar1. Ebenso wenig kommt die Anwendung der Grundsätze der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung in Betracht2, zum einen, weil § 12 Abs. 1 als abschließende Regelung der Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlagen gedacht ist, und zum anderen, weil Ansprüche aus bürgerlichrechtlicher Prospekthaftung nicht zu den weitergehenden Ansprüchen gehören, die nach § 12 Abs. 6 geltend gemacht werden können3. Dessen ungeachtet dürften Ansprüche aus bürgerlichrechtlicher Prospekthaftung regelmäßig auch an der Notwendigkeit des Nachweises der Ursächlichkeit4 der Fehlerhaftigkeit der Angebotsunterlage für die Nichtannahme des Angebots scheitern5. Zu den Anspruchsberechtigten gehören dagegen auch die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot aufgrund des Andienungsrechts nach § 39c angenommen haben6. § 39c ist in § 12 Abs. 1 nicht erwähnt, doch bedurfte es dieser Erwähnung nicht, denn es bestehen keine Zweifel, dass es sich auch bei der Annahme des Angebots, die auf dem Andienungsrecht nach § 39c beruht, welches erst durch Art. 1 Nr. 9 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 8.7.2006 (siehe oben Rz. 5a) mit dem neuen Abschnitt 5a in das Gesetz gekommen ist, um eine Annahme i.S.v. § 12 Abs. 1 handelt7. 42
Die Bestimmung des Anspruchsberechtigten bereitet regelmäßig keine Schwierigkeiten, doch treten solche dann auf, wenn das Wertpapiererwerbsangebot in Gestalt eines Übernahmeangebots einer heute national wie international verbreiteten Gepflogenheit folgt und in den Übernahmebedingungen bestimmt wird, dass dem Bieter aufgrund der Annahme des Angebots eingereichte Wertpapiere während der Angebotsfrist (und ggf. einer Nachfrist) bis zu einem bestimmten Zeitraum vor Abrechnung unter einer neuen Wertpapierkennnummer an der Börse gehandelt werden. Hier stellt sich die Frage, ob (1) nur derjenige, der das Angebot annahm, (2) nur derjenige, der die sodann unter getrennter Wertpapierkennnummer gehandelten Wertpapiere erwarb, oder gar (3) beide der Vorgenannten im Falle einer unrichtigen oder unvollständigen Angebotsunterlage einen Anspruch aus § 12 geltend machen können.
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in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 14; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 35; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 47; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 11. Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 47. A.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 83a; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 47; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 11. Siehe unten Rz. 68. Auch Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 22; Thoma in Baums/ Thoma, § 12 Rz. 84. A.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 83a, der zwar ebenfalls Ansprüche aus bürgerlichrechtlicher Prospekthaftung durch § 12 Abs. 6 ausgeschlossen sieht, jedoch die Auffassung vertritt, § 12 Abs. 6 greife nicht ein, weil „der Anwendungsbereich von § 12 bei Nichtannahme des Angebots nicht eröffnet“ sei, d.h. er betrachtet die Regelung des § 12 Abs. 1 nicht als abschließende Regelung der Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlagen jenseits der durch § 12 Abs. 6 nicht ausgeschlossenen Ansprüche. Zur Notwendigkeit des Kausalitätserfordernisses und -nachweises bei der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung siehe Assmann in Assmann/Schütze, § 6 Rz. 175 ff. Ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 47. RegE BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 12: „Die Haftung wird erweitert. Schadensersatz kann künftig nicht nur wie bislang derjenige verlangen, der das Angebot innerhalb der Annahmefrist angenommen hat, sondern auch derjenige, der von seinem Andienungsrecht Gebrauch gemacht und das Angebot innerhalb der Frist des § 39c angenommen hat, sowie derjenige, dessen Aktien unter den Voraussetzungen des § 39a auf den Bieter übertragen worden sind“. Dies übersehend (und eine Annahme in Ausübung des Andienungsrechts nach § 39c ausschließend) Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 14. Wie hier Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 81; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 3; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 14; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 47 mit Fn. 143; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 11 mit Fn. 1.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Unzweifelhaft hat auch in diesem Falle nur derjenige das Angebot angenommen, der 43 als Inhaber der Wertpapiere, auf die sich das Angebot bezog, dem Bieter die Wertpapiere unter Annahme des Angebots einreichte. Der spätere Erwerber der fraglichen Papiere indes nimmt nicht das Übernahmeangebot an, sondern erwirbt die unter anderer Kennnummer gehandelten Wertpapiere im Wege eines einfachen Effektengeschäfts, wenngleich mit der in diesem Falle regelmäßigen, in der Angebotsunterlage bestimmten Maßgabe, dass „alle Rechte und Pflichten, die aufgrund der Annahme des öffentlichen Kaufangebots zwischen dem annehmenden Aktionär und [dem Bieter, d. Verf.] entstanden sind, … auf einen etwaigen Erwerber der eingereichten oder zur Verfügung gestellten“ Wertpapiere übergehen1. Das könnte dahingehend verstanden werden, dass aufgrund dieser Klausel auch der Anspruch desjenigen, der das Angebot angenommen und seine Wertpapiere dem Bieter eingereicht hat, aus § 12 auf den Erwerber der eingereichten Wertpapiere übergeht. Das wiederum hätte zur Folge, dass derjenige, der von der Angebotsunterlage zur Annahme des Angebots veranlasst wurde, seinen Anspruch aus § 12 verliert, während derjenige, der die bereits eingereichten und schon mit der Übereignungspflicht gegenüber dem Bieter belasteten Wertpapiere aufgrund eines regelmäßigen Effektengeschäfts erwirbt, ohne hierzu durch die Angebotsunterlage und das Übernahmeangebot veranlasst worden zu sein, mit den Wertpapieren auch den Anspruch aus § 12 erwürbe. Dieses, dem (u.a. auf die Information und Transparenz für die Adressaten des Wert- 44 papiererwerbsangebots gerichteten) Schutzzweck des § 12 zuwiderlaufende Ergebnis, lässt sich am einfachsten und am naheliegendsten dadurch korrigieren2, dass die den Übergang von Rechten und Pflichten des das Angebot Annehmenden auf den späteren Erwerber der eingereichten Wertpapiere anordnende Klausel so ausgelegt wird, dass sie nur die Rechte (etwa das Recht auf die Gegenleistung) und Pflichten (etwa die Pflicht zur Übereignung) erfasst, welche die Annahme des Angebots und die Einreichung der Aktien beim Bieter in Bezug auf die Wertpapiere auslösen, nicht aber den Anspruch aus § 12, der beim das Angebot Annehmenden in persona entsteht, ohne den fraglichen Wertpapieren als wertpapiermäßig verbrieftes Recht oder wertpapiermäßig verbriefte Pflicht anzuhaften. Diese Auslegung würde den Interessen und Schutzbedürfnissen aller Beteiligten gerecht, würde den Bieter keiner Anspruchsverdopplung aussetzen und den Anspruch aus § 12 bei demjenigen belassen, der tatsächlich das Angebot annimmt. Der Praxis ist anzuraten, die Angebotsbedin1 Die Formulierung ist Ziff. VII. (S. 5) der Angebotsunterlage des öffentlichen Kaufangebots der INA Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH, Düsseldorf, an die Aktionäre der FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG, Schweinfurt, vom September 2001 entnommen. Eine ähnliche Formulierung fand sich auch im Übernahmeangebot von Vodafone AirTouch an die Aktionäre der Mannesmann AG vom Dezember 1999, S. 72: „Although withdrawal rights do not exist with respect to the offer …, a holder of Mannesmann shares who has tendered Mannesmann shares into the offer may, prior to the expiration of the offer and the offer becoming unconditional, continue to trade such shares on an ‚as tendered‘ basis on the Frankfurt Stock Exchange upon registration under Securities Identification Number 656 034. Any shares that are trade on an ‚as tendered‘ basis will trade subject to Vodafone AirTouch’s right to acquire full and unencumbered title to the underlying Mannesmann shares upon the offer becoming unconditional. If a Mannesmann share that is traded on an ‚as tendered‘ basis is sold or transferred from one holder to another, only the transferee holder will be entitled to exercise the rights and claims attaching to the Mannesmann shares underlying such share, including any withdrawal rights“. 2 Hierfür auf jeden Fall auszuscheiden ist das Instrument der Drittschadensliquidation, da, würde man die fragliche Klausel nicht in dem nachfolgend vorgeschlagenen Sinne auslegen, aufgrund des Übergangs von Rechten und Pflichten des das Angebot Annehmenden auf den späteren Erwerber der eingereichten Wertpapiere kein – für die Anwendung dieser Rechtsfigur erforderliches – Auseinandertreten von Schaden und Anspruch gegeben wäre.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
gungen in Ansehung des möglichen Anspruchs des Angebotsadressaten aus § 12 entsprechend zu formulieren. Wollte man dem vorstehend unterbreiteten Vorschlag nicht folgen, wäre eine Inhaltskontrolle der Angebotsbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen in Betracht zu ziehen. Dem ist an dieser Stelle jedoch nicht näher nachzugehen.
V. Haftungsbegründende Kausalität (§ 12 Abs. 1; § 12 Abs. 3 Nr. 1, 3) 45
Ein Anspruch aus § 12 Abs. 1 setzt voraus, dass die Annahme des Angebots aufgrund der Angebotsunterlage erfolgt ist (vgl. § 12 Abs. 3 Nr. 1). Die Ursächlichkeit der Angebotsunterlage für die Annahmeentscheidung des Angebotsadressaten wird jedoch, wie sich aus der Formulierung von § 12 Abs. 1 (der diese nicht zur Haftungsvoraussetzung erhebt) einerseits und § 12 Abs. 3 Nr. 11 (der den Anspruch aus § 12 Abs. 1 entfallen lässt, wenn die Annahme des Angebots nicht aufgrund der Angebotsunterlage erfolgt) andererseits ergibt, widerleglich vermutet2. Die Beweislast für das Fehlen der Kausalität zwischen veröffentlichter Angebotsunterlage und Angebotsannahme liegt mithin, der Regelung der börsengesetzlichen Prospekthaftung (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG a.F., jetzt § 23 Abs. 2 Nr. 1 WpPG)3 entsprechend, beim Anspruchsgegner4.
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Nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 scheidet ein Anspruch nach § 12 Abs. 1 aus, wenn derjenige, der das Angebot angenommen hat, die Fehlerhaftigkeit der Angebotsunterlage bei der Abgabe der Annahmeerklärung kannte. In der Sache regelt diese Bestimmung einen Fall fehlender Kausalität5 zwischen mangelhafter Angebotsunterlage und der Annahmeentscheidung des Angebotsadressaten, doch sieht der Gesetzgeber in der Vorschrift eine Sonderregelung der Frage der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten. Diese Einordnung ist von Bedeutung, weil der Gesetzgeber § 12 Abs. 3 Nr. 2 als eine abschließende Regelung der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Angebotsadressaten betrachtet. Dazu deshalb unten Rz. 54. An der Ursächlichkeit von fehlerhafter Angebotsunterlage und Annahmeerklärung fehlt es aber nach § 12 Abs. 3 Nr. 36 dann, wenn vor der Annahme des Angebots in einer Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 des WpHG (sog. Ad hoc-Veröffentlichung) oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Inland veröffentlicht wurde. Gleichsam im Gegenzug zur Vermutung der Kausalität von fehlerhafter Angebotsunterlage und Annahmeentscheidung wird auch hier die Kenntnis des nach der Veröffentlichung der 1 Die Vorschrift entspricht § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG a.F., jetzt § 23 Abs. 2 Nr. 1 WpPG. 2 Ebenso etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 84; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 55; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 11, 32; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 59. 3 Vgl. RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 76, 80. 4 So auch ausdrücklich Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43, mit dem diese Regelung rechtfertigenden Hinweis darauf, dass es dem das Angebot Annehmenden regelmäßig nicht möglich sein wird, den Nachweis zu führen, dass seine Annahmeerklärung aufgrund der fehlerhaften Angebotsunterlage erfolgte. Ebenso etwa Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 55; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 11, 31; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 59. 5 Auch Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 62. 6 Aufgrund von Art. 1 Nr. 9 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 8.7.2006 (siehe oben Rz. 5a) wurde in § 12 Abs. 3 Nr. 3 die Angabe „§ 15 Abs. 3“ durch die Angabe „§ 15“ ersetzt, was nach RegE BT-Drucks. 16/1003, S. 1, 18, eine lediglich redaktionelle Anpassung an die Änderung des § 15 Abs. 3 WpHG durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28.10.2004 (BGBl. I 2004, 2630) darstellt.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Berichtigung das Angebot Annehmenden im Hinblick auf den Inhalt der Berichtigung vermutet, so dass es auf den Nachweis der Kenntnis des das Angebot Annehmenden von der Berichtigung nicht ankommt1. Hat der Angebotsadressat seine Annahmeerklärung vor der Berichtigung erteilt, so berührt diese den zuvor eventuell entstandenen Anspruch aus § 12 Abs. 1 nicht2. Eine der Ad hoc-Veröffentlichung nach § 15 WpHG vergleichbare Veröffentlichung ist anzunehmen, wenn die Bekanntmachung sowohl inhaltlich als auch in der Form der Veröffentlichung den Anforderungen an eine Ad hoc-Veröffentlichung entspricht3. Die Berichtigung muss deutlich als solche erkennbar sein. Das verlangt die Abfas- 47 sung derselben in einer Form, die es dem Adressaten ohne aufwendige Nachforschungen ermöglicht, davon Kenntnis zu nehmen, dass die Berichtigung von der Angebotsunterlage abweichende Angaben enthält4. Ausreichend ist es, wenn sich „einem verständigen Leser“, dem sowohl die fehlerhafte Angebotsunterlage als auch die Berichtigung derselben vorliegt, „ohne aufwendige Nachforschung erschließ(t), dass die Berichtigung von dem Prospekt abweichende Angaben enthält“5. Ein ausdrücklicher Hinweis auf einen Fehler der Angebotsunterlage oder gar eine Gegenüberstellung des zu berichtigenden Texts und der Berichtigung6 – ist nicht erforderlich7, zumal eine solche Verpflichtung in der Praxis einer Aufforderung aller Angebotsadressaten, die das Angebot bereits angenommen haben, zur Geltendmachung von Ansprüchen aus § 12 gleichkäme und die Möglichkeit zur Berichtigung daher nicht wahrgenommen würde8. Die Berichtigung unterliegt ihrerseits der Haftung nach § 12 Abs. 19. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. auch Assmann, AG 2002, 153, 158; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 128; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 19; Stephan, AG 2003, 3, 11; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 63, mit (wenig überzeugenden und sachdienlichen) Überlegungen (in Rz. 64 f.) zu den Möglichkeiten der Betroffenen, die schon begründete Haftung auf andere Weise – etwa durch die Verschaffung von Rücktrittsrechten – abwenden zu können. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. Assmann, AG 2002, 153, 158; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 122; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 16; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 35; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 63. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43, mit Darlegungen zur ratio dieser Regelung. Vgl. dazu auch schon RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 80/81. Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG a.F., jetzt § 23 Abs. 2 Nr. 1 WpPG. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. Assmann, AG 2002, 153, 158; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 127; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 62; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 67. 5 RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 81, zur entsprechenden Regelung in § 46 Abs. 1 Nr. 4 BörsG a.F. zum Börsenzulassungsprospekt. 6 So aber Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 62; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 67; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 33. 7 Ebenso Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 127. A.A. Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG n.F. Rz. 45; Hauptmann in Vortmann, § 3 Rz. 129; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 62; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 36; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 67. 8 So die Begründung des RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 81, zu § 46 Abs. 1 Nr. 4 BörsG a.F. Vgl. auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 127. 9 Im Hinblick auf die diesbezüglich gleich gelagerte frühere börsengesetzliche und jetzt wertpapierprospektgesetzliche sowie verkaufsprospektrechtliche und jetzt vermögensanlagengesetzliche Prospekthaftung etwa Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, Verkaufsprospektgesetz, Verkaufsprospekt-Verordnung, Verkaufsprospektgebühren-Verordnung, 2001, § 13 Verk-
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§ 12 48
Haftung für die Angebotsunterlage
Zur haftungsausfüllenden Kausalität siehe unten im Zusammenhang mit der Erörterung des Umfangs des zu ersetzenden Schadens (Rz. 63 f.).
VI. Verschulden und Mitverschulden (§ 12 Abs. 2; § 12 Abs. 3 Nr. 2) 49
Nach § 12 Abs. 2 entfällt die Haftung aus § 12 Abs. 1, wenn der Anspruchsgegner nachweist, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage nicht gekannt zu haben und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht1. Daraus folgt zweierlei: – Zum einen, dass es sich bei der Haftung aus § 12 Abs. 1 um eine solche für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit handelt. Die Unkenntnis beruht auf grober Fahrlässigkeit, wenn die erforderliche Sorgfalt bei der Erstellung der Angebotsunterlage bzw. der Mitwirkung bei der Erstellung desselben in besonders schwerem Maße verletzt wurde2. – Zum anderen wird das Verschulden des Anspruchsgegners – nach Maßgabe von § 12 Abs. 2 zu entkräften – vermutet3. Es ist dementsprechend Sache des Anspruchsgegners nachzuweisen, dass ihm der fragliche Mangel der Angebotsunterlage nicht bekannt war und seine Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht.
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Das Verschulden eines jeden Anspruchsgegners ist gesondert4 und individuell5, d.h. unter Beachtung der Möglichkeiten zu bestimmen, die sich ihm zur Vermeidung des Mangels der Angebotsunterlage zumutbar eröffnet hätten.
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Ein Verschulden und damit die Haftung der Betroffenen entfällt nicht etwa deshalb, weil die BaFin die fehlerhafte Angebotsunterlage nicht beanstandet und deren Veröffentlichung nach § 14 Abs. 2 gestattet hat6.
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ProspG Rz. 45; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44, 45 BörsG Rz. 64; Assmann, AG 1999, 199, 209; Hamann in Schäfer, § 13 VerkProspG n.F. Rz. 7, § 13 VerkProspG a.F. Rz. 13; J. Hüffer, S. 134, 161. In Bezug auf die Angebotsunterlage vgl. Assmann, AG 2002, 153, 158; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 129; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 30; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 2; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 68. Die Vorschrift entspricht § 45 Abs. 1 BörsG a.F., jetzt § 23 Abs. 1 WpPG und § 127 Abs. 3 Satz 1 InvG (§ 20 Abs. 3 KAGG a.F. und § 12 Abs. 3 Satz 1 AuslInvestmG a.F.). BGH v. 11.5.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14, 16; BGH v. 15.12.1983 – II ZR 252/82, BGHZ 89, 153, 161. Im Hinblick auf die entsprechende Regelung der börsengesetzlichen Prospekthaftung etwa Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 238 und 1. ErgLfg. § 7 Rz. 42 ff.; Groß, AG 1999, 199, 206; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 95; Hauptmann in Vortmann, § 3 Rz. 104; J. Hüffer, S. 142; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 20. In Bezug auf die Angaben in der Angebotsunterlage siehe etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 105; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 10; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 29; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 31; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 73. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 103; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 32. So für die entsprechende prospekthaftungsrechtliche Regelung nach dem BörsG (jetzt WpPG) und dem aufgehobenen VerkProspG (jetzt VermAnlG) Assmann in Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 94; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44, 45 BörsG Rz. 75; Assmann, AG 1999, 199, 206; Hauptmann in Vortmann, § 3 Rz. 104; J. Hüffer, S. 141. In Bezug auf die Angebotsunterlage vgl. Assmann, AG 2002, 153, 159; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 105; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 47; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 73. Siehe oben Rz. 29.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Das Verschulden Dritter, derer sich die nach § 12 haftende Person bei der Erstellung 52 der Angebotsunterlage bedient, soll nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht dem Betroffenen generell und ohne jede Einschränkung nach § 278 BGB zugerechnet werden1. Dem ist nicht zu folgen2. Zum einen deshalb nicht, weil die Qualifikation der Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage als vertragliche3 (oder, was weitaus näher liegt, als quasivertragliche), d.h. dem individuellen Angebotsadressaten geschuldete Verhaltenspflicht, den primär kapitalmarktfunktionsbezogenen und Prospekten4 vergleichbaren Aufgaben der AngebotsunterlagenPublizität nicht gerecht wird5. Und zum anderen deshalb nicht, weil die vorbehaltlose Annahme der Verantwortlichkeit für von Dritten erstelltes und in die Angebotsunterlage übernommenes Material weder der Arbeitsteilung bei der Erstellung komplexer Informationswerke noch dem Umstand gerecht wird, dass in diese Materialien einzugehen haben, die der Prospektverantwortliche selbst nur eingeschränkt kontrollieren kann. Deshalb sind zumindest die Grundsätze anzuwenden, welche sich im Rahmen der 53 Börsenprospekthaftung nach §§ 44 ff. BörsG a.F. (jetzt §§ 21, 23 WpPG) zur Überprüfungspflicht einer emissionsbegleitenden Bank im Hinblick auf die von sachkundigen Personen erstellten Prospektbestandteile herausgebildet haben6. Danach muss das der Haftung nach § 44 BörsG a.F. (jetzt § 21 WpPG) unterliegende Kreditinstitut die fraglichen Prospektbestandteile nur einer Plausibilitätskontrolle unterziehen, während eine darüber hinausgehende Nachprüfungspflicht nur bei konkreten Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der fraglichen Angaben besteht7. Dagegen lässt sich nicht argumentieren, im Falle der Angebotsunterlage sei 1 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 107; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 32; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 74 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 27. 2 Ablehnend auch Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 51; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 30. 3 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 107. Implizit auch Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 74. 4 Eine rein vertragliche oder quasivertragliche Qualifikation der Prospekthaftung wird heute kaum noch vertreten. Zur im Übrigen unterschiedlichen rechtlichen Qualifikation der Prospekthaftungstatbestände vgl. etwa Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 25 ff.; Schwark in Schwark/Zimmer, § 45 BörsG Rz. 5 ff. Dabei werden die gesetzlichen Prospekthaftungstatbestände überwiegend als „deliktisch“ eingeordnet; vgl. die Nachweise bei Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 27, 39, und Schwark in Schwark/Zimmer, § 45 BörsG Rz. 7. Gegen die Einordnung der Prospekthaftungstatbestände als „deliktisch“ kann nicht – wie Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 16 – eingewandt werden, das geltende Deliktsrecht gewähre den Ersatz primärer Vermögensschäden nur unter den Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 826 BGB, lässt sich das Deliktsrecht doch nicht auf diese Tatbestände reduzieren und ordnet der BGH doch selbst die Prospekthaftung als eigenständige kapitalmarktrechtliche „gesetzliche Haftpflichtbestimmung“ ein (vgl. BGH v. 21.5.2003 – IV ZR 327/02, BKR 2003, 591, 592). 5 Ablehnend gegen die Anwendung von § 278 BGB im Bereich der Börsenprospekthaftung nach §§ 44 ff. BörsG etwa Schwark in Schwark/Zimmer, § 45 BörsG Rz. 49 m.w.N. 6 Ebenso etwa Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 30; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 32; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 49. Wohl auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 24 f., der sich (Rz. 24) für eine nach Bieter und sonstigen Verantwortlichen differenzierende Abstufung von Sorgfaltsanforderungen ausspricht und (Rz. 25) selbst für den Bieter kein Verschulden annimmt, wenn er die Ausführungen sorgfältig ausgewählter Sachverständiger übernimmt. Ablehnend Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 106 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 75. 7 Vgl. im Einzelnen BGH v. 4.3.1987 – IVa ZR 122/85, WM 1987, 495, 497 = BGHZ 100, 117; BGH v. 14.7.1998 – XI ZR 173/97, BGHZ 139, 225, 230 = AG 1998, 520. Aus dem Schrift-
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Haftung für die Angebotsunterlage
– was nicht zu bestreiten ist – diese nicht von einer emissionsbegleitenden Bank zu unterzeichnen1, geht es doch nicht darum zu bestreiten, dass emissionsbegleitende Banken und Emittenten bei der Börsenprospekthaftung unterschiedlich nahe an einzelnen Prospektinformationen sind2, sondern um die Frage, ob und inwieweit sich emissionsbegleitende und der Börsenprospekthaftung unterliegende Banken in einer den Angebotsverantwortlichen und der Haftung nach § 12 unterliegenden Personen im Hinblick auf die an sie zu stellenden Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Überprüfung etwa von Rechnungslegungswerken, Testaten oder Angaben sachverständiger Dritter in einer vergleichbaren Situation befinden. 54
Nach § 12 Abs. 3 Nr. 23 entfällt der Anspruch aus § 12 Abs. 1, wenn derjenige, der das Angebot angenommen hat, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angebotsunterlage bei Abgabe der Angebotserklärung kannte. Die Vorschrift verlangt positive Kenntnis; bloß fahrlässige Unkenntnis der Mängel der Angebotsunterlage führt nicht etwa zu einer anteilsmäßigen Minderung des Prospekthaftungsanspruchs, sondern ist unbeachtlich4. Die Beweislast im Hinblick auf die Kenntnis des Anspruchstellers von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angebotsunterlage liegt bei dem Anspruchsgegner5. Regelt § 12 Abs. 3 Nr. 2 in der Sache einen Fall fehlender Kausalität zwischen mangelhafter Angebotsunterlage und der Annahmeentscheidung des Angebotsadressaten und mithin einen solchen der fehlenden haftungsbegründenden Kausalität6, so sieht der Gesetzgeber in der Vorschrift eine Sonderregelung der Frage der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten. Das ist insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber die Bestimmung des § 12 Abs. 3 Nr. 2 als eine abschließende Regelung der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Angebotsadressaten betrachtet7.
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tum etwa Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 185, 238; Ellenberger, S. 49 ff.; Gerber, S. 149 ff.; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44, 45 BörsG Rz. 81 ff.; Förster, S. 149 ff.; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 111 ff.; Hauptmann in Vortmann, § 3 Rz. 105 ff.; Hopt in Baumbach/Hopt, (14) § 44 BörsG Rz. 7; Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 186 ff.; Schwark in Schwark/Zimmer, § 45 BörsG Rz. 49. So aber Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 75. Schwark in Schwark/Zimmer, § 45 BörsG Rz. 48 m.w.N. in Fn. 176; Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rz. 76. Die Bestimmung entspricht § 45 Abs. 2 Nr. 3 BörsG a.F., jetzt § 23 Abs. 2 Nr. 3 WpPG, und § 127 Abs. 3 Satz 2 InvG (§ 20 Abs. 3 Satz 2 KAGG a.F., § 12 Abs. 3 Satz 2 AuslInvestmG a.F.). Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. zur entsprechenden früheren börsen- und verkaufsprospekthaftungsrechtlichen (in das WpPG bzw. das VermAnlG verlagerten) Regelung Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 97 m.w.N. In Bezug auf die Haftung für die Angebotsunterlage etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 118; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 34; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 18; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 62. Für die entsprechenden prospekthaftungsrechtlichen Regelungen nach dem BörsG a.F. und dem VerkProspG a.F. siehe etwa Ellenberger in FS Schimansky, S. 591, 607; Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, Verkaufsprospektgesetz, Verkaufsprospekt-Verordnung, Verkaufsprospektgebühren-Verordnung, 2001, § 13 VerkProspG Rz. 59. In Bezug auf die Haftung für die Angebotsunterlage vgl. etwa Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 31; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 31. Assmann, AG 2002, 153, 159; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 62. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. So schon RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933 v. 6.11.1997 (= BR-Drucks. 605/97 v. 15.8.1997), S. 80, in Bezug auf die Prospekthaftung nach dem BörsG a.F. Zu Letzterer (und zur Haftung nach dem VerkProspG a.F.) auch Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 97; Ellenberger in FS Schimansky, S. 606; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44, 45 BörsG Rz. 93. A.A., soweit ersichtlich, nur Sittmann, NJW 1998, 3761, 3762. In Bezug auf die Angebotsunterlage Assmann, AG
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Haftung für die Angebotsunterlage
C. Rechtsfolgen und Haftungsmodalitäten I. Schadensersatz, haftungsausfüllende Kausalität und Schutzbereichsgrenzen (§ 12 Abs. 1) Soll von der drohenden zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit wesentlicher Angaben der Angebotsunterlage eine (zwar erst ex post eingreifende, aber präventiv wirkende) materielle Inhaltskontrolle der Angebotsunterlage ausgehen, so kommt der Frage nach dem ersatzfähigen Schaden desjenigen, der das Angebot angenommen hat, eine besondere Bedeutung zu.
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Nach § 12 Abs. 1 a.E. kann der zum Schadensersatz Berechtigte denjenigen Schaden 56 ersetzt verlangen, der ihm aus der Annahme des Angebots oder der Übertragung von Aktien auf den Bieter nach § 39a entstanden ist. Von dem Sonderfall der Aktienübertragung nach § 39a abgesehen, entspricht dies der Regelung von § 45 Abs. 1 Satz 1 (a.E.) BörsG in seiner bis 1998 geltenden Fassung1, die damit zur Ermittlung des zu ersetzenden Schadens auf die allgemeinen Vorschriften des Schadensrechts verwies (§§ 249 ff. BGB)2. Ergänzend bestimmte allerdings § 46 Abs. 2 BörsG a.F. (bis 1998), dass der Ersatzpflichtige seiner Ersatzpflicht dadurch genügen konnte, dass er das Wertpapier gegen Erstattung des vom Anspruchsberechtigten nachgewiesenen Erwerbspreises oder desjenigen Kurswerts übernimmt, den die Wertpapiere zum Zeitpunkt der Einführung hatten (sog. Ersetzungsbefugnis). Eine solche Vorschrift fehlt in § 12 Abs. 1, weshalb die allgemeinen Bestimmungen des Schadensrechts in diesem Falle vorbehaltlos zur Anwendung kommen. Hierbei ist im Übrigen den Grundsätzen zu folgen, wie sie sich zu § 45 Abs. 1 Satz 1 (a.E.) BörsG a.F. (bis 1998) herausgebildet haben3, doch ist im Hinblick auf die Besonderheiten der Schadensermittlung bei fehlerhaften Angebotsunterlagen noch vieles im Unklaren. Den allgemeinen Regeln des Schadensrechts folgend, kann der Schadensersatz- 57 berechtigte verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er die wahre Sachlage gekannt4. Zu ersetzen ist danach der gesamte Schaden, der aus der Abweichung der Sachlage von den fehlerhaften Angaben der Angebotsunterlage entstanden ist5. Herzustellen ist mithin der Zustand, der bestehen würde, wäre das schädigende Ereignis
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2002, 153, 159; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 119; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 53; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 34; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 33; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 62. D.h. in der Fassung, die durch das 3. FFG vom 24.3.1998, BGBl. I 1998, 529, geändert wurde. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, 2. Aufl. 1997, § 7 Rz. 229; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 143; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38. Zur Anwendung der allgemeinen Regeln der §§ 249 ff. BGB bei der Schadensberechnung im Zusammenhang mit einer Haftung für die Angebotsunterlage vgl. Assmann, AG 2002, 153, 159; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 131; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 16; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 17; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 27; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 70. Siehe dazu etwa Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 143 ff.; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38 ff.; Assmann in Assmann/ Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 245 ff. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. Assmann, AG 2002, 153, 159; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 15; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 39; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 15. Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 143; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38.
Assmann
353
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
in Gestalt der fehlerhaften Angebotsunterlage nicht eingetreten („negatives Interesse“). Dagegen kann der Schadensersatzberechtigte nicht die Herstellung eines den fehlerhaften Angaben entsprechenden Zustands verlangen („positives Interesse“)1. 58
Wenn der Geschädigte verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er ohne die fehlerhaften Angebotsangaben stünde (Rz. 57), so bedeutet dies in erster Linie, dass er bei ordnungsgemäßer Information das Angebot nicht angenommen hätte (siehe oben Rz. 45 f.) und es nicht zum Austausch der Wertpapiere gegen die offerierte Gegenleistung gekommen wäre. Nach dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Satz 1 BGB) sind deshalb dem Schadensersatzberechtigten die dem Bieter übertragenen Wertpapiere zurück zu gewähren, Zug um Zug gegen Erstattung der von diesem erbrachten Gegenleistung2. Hat der Bieter dem Geschädigten im Zuge eines Umtauschangebots Wertpapiere übertragen und wurde auf diese zwischenzeitlich eine Dividende gezahlt, so ist diese im Wege des Vorteilsausgleichs (auch: Vorteilsanrechnung) zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Rückgewähr der dem Bieter eingereichten Wertpapiere, kann der Geschädigte dem Bieter eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, dass er die Rückgewähr der Wertpapiere nach dem Ablauf der Frist ablehne (§ 250 Satz 1 BGB), um nach dem Ablauf der Frist Schadensersatz in Geld zu verlangen (§ 250 Satz 2 BGB). Als Schaden gilt insoweit der Preis, zu dem der Bieter die fraglichen Wertpapiere erlangte. Hiervon wird der Schadensersatzberechtigte indes nur Gebrauch machen, wenn der Kurs der fraglichen Wertpapiere zum Zeitpunkt der Erklärung unter demjenigen liegt, den der Bieter als Gegenleistung für den Erwerb der Wertpapiere zahlte.
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Macht der Schadensersatzpflichtige seinen Herstellungsanspruch nach § 249 Satz 1 BGB geltend, so ist der Bieter verpflichtet, dem Schadensersatzberechtigten Wertpapiere der Art zurück zu gewähren, wie sie von diesem eingereicht wurden. Sind Papiere der fraglichen Art, etwa infolge einer zwischenzeitlich erfolgten Verschmelzung der Zielgesellschaft mit einer anderen Gesellschaft, nicht mehr verfügbar, hat der Bieter – ohne dass ihm eine Frist gesetzt werden muss – Schadensersatz in Geld zu leisten (§ 251 Abs. 1 BGB)3. Hierbei ist als Sockelbetrag der vom Bieter gezahlte Erwerbspreis anzusetzen; nach der Annahme des Angebots erfolgte Wertsteigerungen der fraglichen Papiere sind nach Maßgabe von § 287 ZPO4 im Wege der richterlichen Schadensschätzung zu berücksichtigen. Gleiches gilt für den (in der Praxis wenig wahrscheinlichen) Fall, dass die Beschaffung der zurück zu gewährenden, beim Bie-
1 Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 198; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 146; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38. Dabei wird das zu ersetzende „negative Interesse“ allerdings durch das positive nicht begrenzt: Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 192. So in Bezug auf die Haftung für eine unrichtige Angebotsunterlage auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 131; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 15; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 39; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 15; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 15; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 36; Thoma in Baums/ Thoma, § 12 Rz. 77; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 15. 2 Ebenso Hamann, ZIP 2001, 2249, 2256; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 132; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 17; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 15; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 36; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 77. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 14 (nur Anspruch auf Geldersatz). 3 Vgl. Hamann, ZIP 2001, 2249, 2256; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 132, 137, 139; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 78. 4 Vgl. Hamann, ZIP 2001, 2249, 2256; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 78.
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
ter nicht mehr vorhandenen Wertpapiere mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre (§ 251 Abs. 2 BGB). Ist demjenigen, der das Angebot aufgrund der fehlerhaften Angebotsunterlagen ange- 60 nommen hat, darüber hinaus ein weiter gehender Schaden entstanden, so kann er auch diesen nach den allgemeinen Regeln des Schadensrechts (§§ 249 ff. BGB) geltend machen. Zu ersetzen sind dementsprechend jedenfalls sämtliche vom Schadensersatzberechtigten erbrachten Aufwendungen im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags, wie etwa solche im Zusammenhang mit der Angebotsannahme1 und der Abwicklung derselben. Ersatzfähig in Gestalt eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs2 sind darüber hinaus auch diejenigen Aufwendungen, die der Geschädigte für erforderlich halten durfte, um seinen Anspruch gegen die Schadensersatzpflichtigen durchzusetzen (§§ 249 Satz 1, 256 BGB)3, namentlich die sog. Rechtsverfolgungskosten4. Die Kosten eines (vor oder nach der Anhängigkeit eines Rechtsstreits) privat in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens gehören regelmäßig nicht zu dem erstattungsfähigen Aufwand5, und zwar auch dann nicht, wenn der Bieter die nicht offenkundige Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angebotsunterlage bestreitet. Zum Herstellungsanspruch i.S.d. § 249 Satz 1 BGB gehört (entsprechend der Klarstel- 61 lung in § 252 BGB) auch der Ersatz entgangenen Gewinns. Soweit der Schadensersatzberechtigte Gewinne aus Geschäften mit den fraglichen Wertpapieren geltend macht, die er aufgrund der Annahme des Angebots unterlassen haben will, kommt ein solcher Anspruch regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betreffende nachweist, die Möglichkeit gehabt zu haben, die fraglichen Wertpapiere nach Annahme des Angebots zu einem höheren Preis als der hierfür erlangten Gegenleistung zu verkaufen. Hat der Kurs der Papiere nach Annahme des Angebots die erlangte Gegenleistung nie übertroffen oder war kein Konkurrenzangebot mit einer höheren Gegenleistung abgegeben bzw. nachweisbar durch die fehlerhaften Angebotsangaben unterlassen worden, so kommt diesbezüglich nur der Nachweis der Chance zum unterlassenen Abschluss konkreter anderweitiger Geschäfte in Frage. Zum entgangenen Gewinn des Schadensersatzberechtigten gehören im Übrigen Dividenden, die der Bieter auf die ihm vom Geschädigten übertragenen Wertpapiere erlangt hat. Dagegen kann der Geschädigte nicht am Vertrag festhalten und zum Zwecke einer 62 Vertragsanpassung geltend machen, bei ordnungsgemäßer Erstellung der Angebotsunterlage hätte der Bieter einen höheren Preis zahlen müssen6, um so die Differenz 1 Vgl. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 193; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 146. In Bezug auf die Haftung für die Angebotsunterlage etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 132; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 77. 2 Siehe dazu etwa Kuckuk in Erman, 13. Aufl. 2011, § 249 BGB Rz. 94 f. 3 Assmann, AG 2002, 153, 159; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 15; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 77. 4 Zu den hierzu geltenden Grundsätzen siehe die Erläuterungen zu § 249 BGB in den einschlägigen Kommentaren, wie etwa: Kuckuk in Erman, 13. Aufl. 2011, § 249 BGB Rz. 97 f.; Oetker in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2012, § 249 Rz. 180 ff.; Heinrichs in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 249 BGB Rz. 20; Mertens in Soergel, 13. Aufl. 2002, § 249 BGB Rz. 59 ff.; Schiemann in Staudinger, 13. Aufl. 2005, § 249 BGB Rz. 231, § 251 BGB Rz. 114 ff. 5 Vgl. Herget in Zöller, 29. Aufl. 2012, § 91 ZPO Rz. 13 (Stichwort: Privatgutachten). 6 So aber wohl Hamann, ZIP 2001, 2249, 2256 („Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Geschädigte die Wertpapiere entweder gegen eine höhere Gegenleistung veräußert oder er hätte das Angebot nicht angenommen“).
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
zwischen hypothetischem und tatsächlich gezahltem Preis vereinnahmen zu können. Gegen eine solche Vertragsanpassung „nach oben“ im Wege des Schadensersatzanspruchs spricht schon, dass der Nachweis der Ursächlichkeit des Angebotsmangels auf den konkreten („zu niedrigen“) Angebotspreis regelmäßig nicht zu führen ist und eine (die hier betroffene haftungsausfüllende Kausalität begründende) Vermutung dergestalt, dass bei pflichtgemäßem Handeln der Angebotspreis ein höherer gewesen wäre oder hätte sein müssen, nicht anzuerkennen ist (siehe auch unten Rz. 63). Die Regel ist vielmehr die, dass der Adressat das Angebot bei „Kenntnis der wahren Sachlage“ (d.h. des Mangels der Angebotsunterlage) nicht angenommen hätte; allenfalls dies und nicht etwa „die Kenntnis der wahren Sachlage“ durch den Adressaten des Angebots könnte in einem solchen Fall zur Nachbesserung des Angebots geführt haben. Des Weiteren spricht gegen eine Erhöhung der Gegenleistung für die Annahme eines Angebots im Wege der schadensersatzrechtlichen Vertragsanpassung, dass sie nur dem Kläger, nicht aber den übrigen Wertpapierinhabern, die das Angebot angenommen haben, zugute käme, was mit dem in § 3 Abs. 1 enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz kollidieren würde. 63
Während die Ursächlichkeit der fehlerhaften Angebotsunterlage für die Annahmeentscheidung des Angebotsadressaten (d.h. die haftungsbegründende Kausalität) vermutet wird (siehe oben Rz. 45), besteht für die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. die Ursächlichkeit des Mangels der Angebotsunterlage bzw. der hierauf beruhenden Annahmeentscheidung für den geltend gemachten Schaden keine Vermutung1.
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Sei es mangels haftungsausfüllender Kausalität2 oder sei es aufgrund von Schutzbereichsüberlegungen3 ist ein dem Betroffenen entstandener Schaden, der auf anderen Umständen beruht als der Abweichung der Sachlage von den Angaben in der Angebotsunterlage (siehe Rz. 57) nicht zu ersetzen. Gleiches gilt für einen Schaden, der auch bei pflichtgemäßem Handeln im Hinblick auf die ordnungsgemäße Erstellung der Angebotsunterlage eingetreten wäre4.
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Bei der Ermittlung des ersatzfähigen Schadens ist nach ganz h.M. ein Mitverschulden (§ 254 BGB) in Bezug auf den Schadensumfang beachtlich und damit zugleich eine Schadensminderungspflicht des Angebotsadressaten und Anspruchstellers gegeben5. § 12 Abs. 3 Nr. 2 steht dem jedenfalls nicht entgegen, da sich diese Vorschrift auf ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens bezieht (siehe oben Rz. 54).
II. Verjährung (§ 12 Abs. 4) 66
Der Anspruch aus § 12 Abs. 1 verjährt nach § 12 Abs. 4 in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem derjenige, der das Angebot angenommen hat oder dessen Aktien dem 1 Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 145; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 90; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 76. 2 So eher Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38. 3 So eher Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 181 f.; Hamann in Schäfer, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rz. 147. 4 Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 177; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2. Aufl. 1994, §§ 45, 46 BörsG Rz. 38. Für die Haftung für die Angebotsunterlage etwa Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 90; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 57; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 76. 5 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 140; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 12 Rz. 12, 18; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 38; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 79.
356 Assmann
§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
Bieter nach § 39a übertragen worden sind1, von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Die Kenntnis muss sich auf die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage und nicht auf die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs aus § 12 Abs. 1 beziehen. Kenntnis meint auch hier tatsächliche (oder auch „positive“) Kenntnis, d.h. fahrlässige Unkenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage („kennen müssen“, § 122 Abs. 2 BGB) reicht nicht aus2. Wegen des der (namentlich börsengesetzlichen) Prospekthaftung vergleichbaren deliktischen Charakters der Haftung für die Angebotsunterlage nach § 12 wird man aber auf die Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. zurückgreifen können: Diese stellt es der Kenntnis eines Umstands gleich, wenn der Geschädigte „die Augen verschließt“, d.h. er sich die aufdrängende Kenntnis hätte in zumutbarer Weise ohne große Mühe verschaffen können3. Die Voraussetzungen der Verjährung, also auch die Kenntnis der Unrichtigkeit oder der Unvollständigkeit von Prospektangaben, sind von demjenigen zu beweisen, der sich auf die Verjährung beruft, d.h. vom Anspruchsgegner4. Für die Fristberechnung gelten §§ 187 ff. BGB über Fristen und Termine und §§ 203 ff. BGB über Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung.
III. Haftungsbeschränkung (§ 12 Abs. 5) Eine Vereinbarung, durch die ein Anspruch aus § 12 Abs. 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen wird, ist nach § 12 Abs. 5 unwirksam. Die Regelung entspricht § 47 Abs. 1 BörsG a.F., jetzt § 25 WpPG. Nach Entstehung des Anspruchs können Anspruchsberechtigte und Anspruchsverpflichtete über einen Anspruch nach § 12 Abs. 1 durch entsprechende Vereinbarungen, wie etwa einen Vergleich, disponieren5.
1 Die Einfügung des Satzteils „oder dessen Aktien dem Bieter nach § 39a übertragen worden sind“ aufgrund von Art. 1 Nr. 9 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 8.7.2006 (siehe oben Rz. 5a) ist eine Folgeänderung der Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten nach § 12 Abs. 1 um Personen, deren Aktien unter den Voraussetzungen des § 39a auf den Bieter übertragen worden sind. Siehe dazu oben Rz. 5a und 41. 2 Vgl. Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 113 m.w.N. Ebenso Hamann, ZIP 2001, 2249, 2257; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 64; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 20; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 51; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 80; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 14. 3 BGH v. 17.11.1998 – VI ZR 32/97, NJW 1999, 423, 425. Ferner BGH v. 8.10.2002 – VI ZR 182/01, ZIP 2002, 2318, 2319, für den Fall, dass der Geschädigte es verabsäumt hat, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen und deshalb die Berufung auf Unkenntnis als Förmelei erscheint, wohingegen es der nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. erforderlichen positiven Kenntnis regelmäßig nicht gleich stehen soll, wenn die Unkenntnis des Geschädigten über den Schadenshergang und die Person des Schädigers lediglich darauf beruht, dass er nicht aus eigener Initiative Erkundigungen eingezogen hat. Vgl. Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 13 VerkProspG Rz. 113. Für die Anwendung dieser Regeln im vorliegenden Zusammenhang auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 31; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 51. 4 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 31; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 64; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 51; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 8381 a.E.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 12 Rz. 31. 5 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 43. Vgl. auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 147; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 66; Sohbi in Heidel, § 12 WpÜG Rz. 21; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 83.
Assmann
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§ 12
Haftung für die Angebotsunterlage
IV. Konkurrenzen (§ 12 Abs. 6) 68
Nach § 12 Abs. 6 bleiben über den Anspruch aus § 12 Abs. 1 hinausgehende Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgrund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, unberührt. Die Vorschrift entspricht § 47 Abs. 2 BörsG a.F., jetzt § 25 Abs. 2 WpPG. Ansprüche aus rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnissen i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, Abs. 3 BGB, wie sie durch Aufnahme von Vertragsverhandlungen, durch die Anbahnung von Verträgen oder durch ähnliche rechtsgeschäftliche Kontakte sowie durch Inanspruchnahme von Vertrauen entstehen können, werden vom Gesetz als vertragliche behandelt und können deshalb neben § 12 Abs. 1 geltend gemacht werden. Alle anderen Ansprüche, namentlich solche aus bürgerlichrechtlicher Prospekthaftung, sind damit ausgeschlossen1. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der BGH die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung in „Weiterführung der Grundgedanken einer Vertrauenshaftung wie sie für die Grundfälle eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen entwickelt worden ist, in einem bestimmten, vom Gesetzgeber als regelungsbedürftig nicht vorhergesehenen, aber ausfüllungsbedürftigen Bereich“2 herausgebildet hat. Zum einen hat sie durch die Wechselwirkungen mit spezialgesetzlich geregelten, deliktischen Prospekthaftungstatbeständen deliktische Anspruchselemente aufgenommen und längst von ihrer Grundlage in den culpa in contrahendoGrundsätzen gelöst und zum anderen wird man sie auch nicht als einen im Vergleich mit § 12 Abs. 1 „weitergehenden Anspruch“ (i.S.d. § 12 Abs. 6), sondern als einen die Fehlerhaftigkeit von Kapitalanlageprospekten voraussetzenden Anspruch zu sehen haben, der durch einen speziellen gesetzlichen „Prospekt“haftungsanspruch, bei dem anstelle eines Prospekts die Angebotsunterlage tritt, verdrängt wird.
D. Gerichtsstand 69
Für Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche aus § 12 Abs. 1 wegen Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angebotsunterlage zum Gegenstand haben, sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig (§ 66 Abs. 1 Satz 1). Das ist auch dann der Fall, wenn mit dem Anspruch aus § 12 Abs. 1 konkurrierende Ansprüche i.S.v. § 12 Abs. 6 (siehe vorstehend zu Rz. 68) geltend gemacht werden und die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem WpÜG zu treffen ist (§ 66 Abs. 1 Satz 2). Für Klagen wegen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit von Angebotsunterlagen sowohl aus § 12 Abs. 1 als auch aus den nach § 12 Abs. 6 mit einem Anspruch aus § 12 Abs. 1 konkurrierenden Ansprüchen ist jedenfalls auch das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Zielgesellschaft ihren Sitz hat (§ 66 Abs. 1 Satz 3)3.
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. Vgl. auch Assmann, AG 2002, 153, 154; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 149; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 39; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 73; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 12 Rz. 22; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 361; Thoma in Baums/Thoma, § 12 Rz. 84. 2 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 341 = NJW 1981, 1449, 1450. Zur Entwicklung bzw. Ausgestaltung der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung siehe Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 1 ff., 25 ff. bzw. Rz. 129 ff., jeweils m.w.N. 3 Die Einrichtung dieses besonderen Gerichtsstands soll eine Entscheidung durch das Gericht ermöglichen, in dessen Nähe sich häufig relevante Beweismittel, insbesondere Urkunden und Zeugen befinden; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 69.
358 Assmann
§ 13
Finanzierung des Angebots
§ 13 Finanzierung des Angebots (1) Der Bieter hat vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen. Für den Fall, dass das Angebot als Gegenleistung die Zahlung einer Geldleistung vorsieht, ist durch ein vom Bieter unabhängiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen schriftlich zu bestätigen, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung zur Verfügung stehen. (2) Hat der Bieter die nach Absatz 1 Satz 2 notwendigen Maßnahmen nicht getroffen und stehen ihm zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung aus diesem Grunde die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung, so kann derjenige, der das Angebot angenommen hat, von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das die schriftliche Bestätigung erteilt hat, den Ersatz des ihm aus der nicht vollständigen Erfüllung entstandenen Schadens verlangen. (3) § 12 Abs. 2 bis 6 gilt entsprechend.
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
V. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
13
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geldleistung (Kaufangebot) . . . . . . . a) Eigenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . aa) Vorhandene Eigenmittel, Vermögensumschichtung . . . bb) Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . cc) Ausnutzung genehmigten Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fremdfinanzierung . . . . . . . . . . . . aa) Kreditvertrag . . . . . . . . . . . . . . (1) Abschluss eines Kreditvertrages . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachleistung (Tauschangebot) . . . . . a) Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnutzung genehmigten Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedingte Kapitalerhöhung . . . . . . d) Wertpapierleihe . . . . . . . . . . . . . . . e) Wertpapiere eines Dritten . . . . . . f) Liquide, zum Börsenhandel zugelassene Aktien . . . . . . . . . . . . 4. Qualifiziertes Nichtannahmeversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 39 40 40 42 48 50 51 52
B. Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit (§ 13 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . .
14
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
14
II. Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
1. Art der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der Gegenleistung. . . . . . . . a) Volle Annahmequote . . . . . . . . . . b) Nachträgliche Änderung der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kapitalmaßnahmen der Zielgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt des Zurverfügungstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 17 17
28
III. Sicherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1. Auslegung des Begriffs . . . . . . . . . . . a) „Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erforderliche Maßnahmen . . . . . . 2. Zeitpunkt der Sicherstellung . . . . . .
29 30 34 37
C. Finanzierungsbestätigung (§ 13 Abs. 1 Satz 2). . . . . . . . . . . . . . . 80
IV. Notwendige Maßnahmen . . . . . . . . .
38
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
21 27
Krause
52 54 62a 63 64 69 72 75 77 79 79a
359
§ 13
Finanzierung des Angebots
II. Geldleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
I. Verletzung von § 13 Abs. 1 Satz 1 . . 107
1. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderung des Angebots . . . . . . . . . .
84 86
II. Verletzung von § 13 Abs. 1 Satz 2 . . 109
III. Aussteller der Bestätigung . . . . . . . .
88
1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unabhängigkeit vom Bieter . . . . . . . a) Gesellschaftsrechtliche Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönliche Verflechtungen . . . . . c) Geschäftliche Verbindungen . . . .
92 96 98
IV. Form und Inhalt der Bestätigung . . .
99
89 91
1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Inhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
1. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . a) Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 b) Nachträgliche Veränderungen . . . 2. Haftungsausschluss . . . . . . . . . . . . . a) Exkulpationsmöglichkeit (§ 12 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berichtigung unzutreffender Angaben (§ 12 Abs. 3 Nr. 3) . . . . . c) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis zur Haftung des Bieters .
110 110 113 117 118 121 123 125 128 131
E. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 133
V. Verhältnis zu § 27a WpHG . . . . . . . 106a
I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 133
D. Rechtsfolgen (§ 13 Abs. 2 und 3) . . . 107
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Schrifttum: Aha, Rechtsschutz der Zielgesellschaft bei mangelhaften Übernahmeangeboten, AG 2002, 160; Assmann, Die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage, AG 2002, 153; Bayer, Materielle Schranken und Kontrollinstrumente beim Einsatz des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, ZHR 168 (2004), 132; Becker, Gesellschaftsrechtliche Probleme der Finanzierung von Leveraged Buy-Outs, DStR 1998, 1429; Berrar, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 WpÜG, ZBB 2002, 174; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Cascante/Tyrolt, 10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht, AG 2012, 97; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMF, NZG 2001, 420; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003; Decher, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Merger of Equals, in FS Lutter, 2000, S. 1209; Deckert, Inkompatibilitäten und Interessenkonflikte – Zur Pflichtenstellung des Aufsichtsratsmitglieds, DZWiR 1996, 406; Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, 1998; Fleischer, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs und Leveraged Buyout, AG 1996, 494; Fleischer, Mitteilungspflichten für Inhaber wesentlicher Beteiligungen (§ 27a WpHG), AG 2008, 873; Gei/Kiesewetter, Praxisrelevante Aspekte öffentlicher Übernahmen in Zeiten volatiler Märkte, AG 2012, 741; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Georgieff/Hauptmann, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 WpÜG: Rechtsfragen im Zusammenhang mit überwiegend fremdfinanzierten öffentlichen Barangeboten, AG 2005, 277; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG – ein praxisorientierter Überblick, ZIP 2001, 2249; Häuser, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG, in FS Hadding, 2004, S. 833; Heermann, Interessenkonflikte von Bankenvertretern in Aufsichtsräten bei (geplanten) Unternehmensübernahmen, WM 1997, 1689; Herkenroth, Bankenvertreter als Aufsichtsratsmitglieder von Zielgesellschaften: Zur beschränkten Leistungsfähigkeit des Rechts bei der Lösung von Interessenkonflikten anlässlich der Finanzierung von Übernahmen, AG 2001, 33; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz – Gemeinsamer Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie und Diskussionsentwurf des Übernahmegesetzes, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Kiesewetter/Kiefner, Praxisrelevante Aspekte der Finanzierungssicherstellung bei öffentlichen Übernahmen, CFL 2011, 284; Korff, Das Risikobegrenzungsgesetz und seine Auswirkungen auf das WpHG, AG 2008, 692; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Krause, Das deutsche Übernahmegesetz vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie, ZGR 2002, 500; Krause, Die Abwehr feindlicher Übernahmeangebote auf der Grundlage von Ermächtigungsbeschlüssen der Hauptversammlung, BB 2002,
360 Krause
§ 13
Finanzierung des Angebots
1053; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, NJW 2004, 3681; R. Krause, Die Gewährung von Aktien beim Unternehmenskauf, in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 301; Kühbacher, Darlehen an Konzernunternehmen: Besicherung und Vertragsanpassung, 1993; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Lenz/Linke, Die Handhabung des WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 420; Lutter, Bankenvertreter im Aufsichtsrat, ZHR 145 (1981), 224; Lutter/Wahlers, Der Buyout: Amerikanische Fälle und die Regeln des deutschen Rechts, AG 1989, 1; Marsch-Barner, Empfiehlt sich eine Neuregelung des aktienrechtlichen Anfechtungs- und Organhaftungsrechts, insbesondere der Klagemöglichkeiten von Aktionären?, Referat zum 63. Juristentag 2000, S. O 55; Mayer-Uellner, Die Finanzierung öffentlicher Übernahmen im Lichte des Vollangebotsgrundsatzes, AG 2012, 399; Meilicke, Kein Rechtsschutz gegen rechtswidrige Handelsregistereintragungen?, DB 2001, 1235; Meyer, Angebots- und Finanzierungssicherheit vs. Ausstiegsoptionalität, in Mülbert/Kiem/ Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 226; Möller/Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Der Regierungsentwurf vom 11. Juli 2001, ZIP 2001, 1256; Möllers, Verfahren, Pflichten und Haftung, insbesondere der Banken, bei Übernahmeangeboten, ZGR 2002, 664; Mülbert, Die Auswirkungen der Schuldrechtsmodernisierung im Recht des „bürgerlichen“ Darlehensvertrags, WM 2002, 465; Noack, Fragen der Finanzierungsbestätigung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, in FS Hadding, 2004, S. 991; Oechsler, Der RegE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden, NZG 2001, 817; Otto, Fremdfinanzierte Übernahmen – Gesellschafts- und steuerrechtliche Kriterien des Leveraged Buyout, DB 1989, 1389; Pfüller/Detweiler, Die Haftung der Banken bei öffentlichen Übernahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), BKR 2004, 383; Pluskat, „Investorenmitteilung nach § 27a WpHG – wie viel Beteiligungstransparenz geht noch?“, NZG 2009, 206; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht – Der Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen zu einem Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen und der Gemeinsame Standpunkt des Rates zur europäischen Übernahmerichtlinie, WM-Sonderbeil. 2/2000; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, Rechtsprobleme konkurrierender Übernahmeangebote nach dem WpÜG, AG 2007, 137; Querfurth, § 27a WpHG und die Folgen eines Verstoßes, WM 2008, 1957; Schiessl, Sicherstellung und Bestätigung der Finanzierung von Übernahmeangeboten, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107; Schlitt/Seiler, Einstweiliger Rechtsschutz im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaften, ZHR 166 (2002), 544; Schmid, Einstweiliger Rechtsschutz von Kapitalgesellschaften gegen die Blockade von Strukturentscheidungen durch Anfechtungsklagen, ZIP 1998, 1057; Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995; Schulz/Israel, Kein existenzvernichtender Eingriff durch typische Finanzierung bei Leveraged Buy-out, NZG 2005, 329; Schüppen, Übernahmegesetz ante portas! – Zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen“, WPg 2001, 958; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Singhof, Die Amtsniederlegung durch das Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft, AG 1998, 318; Singhof/Weber, Bestätigung der Finanzierungsmaßnahmen und Barabfindungsgewährleistung nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, WM 2002, 1158; vom Stein, Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen und Amtshaftungsprozess wegen angeblich rechtswidriger Handelsregistereintragung, DB 2002, 2421; Stephan, Prospektaktualisierung, AG 2002, 3; Stephan, Angebotsaktualisierung, AG 2003, 551; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Übernahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3; Strunk/Salomon/Holst, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1; Sustmann, Contingent Value Rights als alternative Gegenleistung im Rahmen von öffentlichen Angeboten nach dem WpÜG, CFL 2011, 381; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht (I), DZWiR 2002, 353; Tyrolt/Cascante, Pflichtangebotsbefreiung durch Übernahmeangebot und Mindestpreisregelungen, in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110; Ulmer, Aufsichtsratsmandat und Interessenkollision, NJW 1980, 1603; Verse, Zum zivilrechtlichen Rechtsschutz bei Verstößen gegen die Preisbestimmungen des WpÜG, ZIP 2004, 199; Vogel, Finanzierung von Übernahmeangeboten – Testat und Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nach § 13 WpÜG, ZIP 2002, 1421; Wittig/Wittig, Das neue Darlehensrecht im Überblick, WM 2002, 145; Zschocke, Europapolitische Mission: Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2002, 79.
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§ 13
Finanzierung des Angebots
A. Überblick I. Regelungsgegenstand 1
Die Fähigkeit des Bieters, den Erwerb der Wertpapiere der Zielgesellschaft zu finanzieren, ist für den Erfolg eines Angebots von entscheidender Bedeutung1. § 13 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet daher den Bieter, seine Erfüllungsfähigkeit durch entsprechende Maßnahmen vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage sicherzustellen. Diese Finanzierungsverantwortung besteht unabhängig davon, ob die Gegenleistung eine Geld- oder Sachleistung ist.
2
Sieht das Angebot eine Geldleistung vor, hat ein vom Bieter unabhängiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 schriftlich zu bestätigen, dass der Bieter die zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit notwendigen Maßnahmen getroffen hat. Diese Finanzierungsbestätigung ist der Angebotsunterlage beizufügen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4). Erfüllt der Bieter die ihm in Bezug auf die Geldleistung obliegenden Pflichten nicht, können alle diejenigen, die das Angebot angenommen haben, das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 13 Abs. 2 auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Dieser Anspruch tritt neben eventuell gemäß § 12 bestehende Ersatzansprüche gegen den Bieter und andere Personen, die für die Angebotsunterlage verantwortlich sind oder diese veranlasst haben.
II. Zweck 3
Der Zweck des § 13 besteht in der Verhinderung von unseriösen, wirtschaftlich nicht erfüllbaren, finanziell unüberlegten oder ohne ernstliche Erwerbsabsicht abgegebenen, kursmanipulativen Angeboten2. Die Verhinderung derartiger Angebote dient primär dem Schutz der Integrität des Kapitalmarkts3, kommt aber mittelbar auch den Interessen der Wertpapierinhaber, die das Angebot angenommen haben4, und den Interessen der Zielgesellschaft5 zugute: Den Wertpapierinhabern soll nicht zugemutet werden, über die Annahme eines Angebots entscheiden zu müssen, das keine solide finanzielle Grundlage besitzt6. Die Zielgesellschaft wird davor bewahrt, die von einem öffentlichen Angebot ausgehenden Beeinträchtigungen dulden zu müssen, wenn feststeht bzw. wahrscheinlich ist, dass der Bieter die versprochene Gegenleistung nicht erbringen kann; § 13 flankiert somit das Behinderungsverbot des § 3 Abs. 4 Satz 2. Außerdem bewirkt § 13 einen gewissen Schutz des Bieters und seiner Gesellschafter vor einem übereilten Vorgehen seines Geschäftsführungsorgans7.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 2 Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 54; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1159; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 1; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 1; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 3 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 1; weitergehend Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 1. 3 Ebenso Mayer-Uellner, AG 2012, 399. 4 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 2; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 1; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 1. 5 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 2; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 3; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 1; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 1. 6 Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 20; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 3. 7 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 87; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 1.
362 Krause
§ 13
Finanzierung des Angebots
Bei Angeboten gegen Geldleistung wird dieser Schutz verstärkt, indem ein Wert- 4 papierdienstleistungsunternehmen in das Verfahren eingebunden wird. Bei ihm wird die Sachkunde vorausgesetzt, die für eine verlässliche Aussage zu den Finanzierungsmaßnahmen des Bieters erforderlich ist. Weil diese Aussage öffentlich dokumentiert wird und die Sachkunde des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ein besonderes Vertrauen in die Richtigkeit der Finanzierungsbestätigung hervorruft, wird den Wertpapierinhabern mit dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein weiterer Schuldner zur Verfügung gestellt1. Insofern besteht eine Parallele zur Prospekthaftung der Emissionsbanken, denen eine gewisse Garantenstellung beigemessen wird, weil ihre Mitwirkung bei der Prospekterstellung nach außen in Erscheinung tritt und ihre Sachkunde ein besonderes Vertrauen in die Richtigkeit des Prospektinhalts hervorruft2. Die Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens auf das positive Interesse reicht allerdings weiter als eine bloße Vertrauenshaftung, die auf das negative Interesse beschränkt ist; hieran wird deutlich, dass die Haftung trotz der Änderungen im Gesetzgebungsverfahren eine gewisse Nähe zu einer Garantie der gegen den Bieter gerichteten Zahlungsansprüche behalten hat. Der Schutzzweck des § 13 wird im Wesentlichen durch Prävention erfüllt. Aus § 13 Abs. 1 Satz 1 ist unmittelbar abzuleiten, dass Angebote unter Finanzierungsvorbehalt unzulässig sind (siehe § 18 Rz. 67). Wenn eine Geldleistung vorgesehen ist und der Bieter daher eine Finanzierungsbestätigung eines unabhängigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens beibringen muss, sieht sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht zuletzt wegen der drohenden Haftung gemäß § 13 Abs. 2 regelmäßig veranlasst, die Finanzierung des Angebots gründlich zu prüfen3 und die Finanzierungsbestätigung nur dann auszustellen, wenn die Erfüllungsfähigkeit des Bieters sichergestellt ist.
5
Die vollumfängliche Absicherung der Wertpapierinhaber ist nicht Schutzzweck des 6 § 134. Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt, sollte das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gerade nicht als Garant für jedweden Finanzierungsmangel einstehen (hierzu sogleich in Rz. 10). Außerdem ist zweifelhaft, ob das Schutzbedürfnis der Wertpapierinhaber so weit über das normale Interesse eines Gläubigers an der Leistungsfähigkeit seines Schuldners hinausgeht, dass eine garantiegleiche Sicherung der Leistungsfähigkeit des Bieters erforderlich wäre5. Anders als etwa in den Fällen der Sicherheitsleistung gemäß § 327b Abs. 3 AktG oder § 22 UmwG können die Wertpapierinhaber nämlich grundsätzlich selbst entscheiden, ob sie das Angebot annehmen oder nicht (siehe unten Rz. 32).
III. Entstehung Die Vorschrift des § 13 folgt Vorbildern im Vereinigten Königreich (Rule 24.8 Take- 7 over Code) und in Österreich (§ 4 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 3 ÜbG)6. Gegenüber dem 1 In Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44, kommt dies nicht vollständig zum Ausdruck; im Ergebnis Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 1. 2 BGH v. 22.5.1980 – II ZR 209/79, BGHZ 77, 172, 176 f.; BGH v. 31.5.1990 – VII ZR 340/88, BGHZ 111, 314, 319 f.; BGH v. 1.12.1994 – III ZR 93/93, NJW 1995, 1025. 3 Hierzu Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162 ff. 4 Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258 („keine Garantiehaftung“); a.A. Oechsler, NZG 2001, 817, 826. 5 So offenbar Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 1. 6 Die Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44, zitiert demgegenüber Rule 2.5 City Code (zu dessen Regelungsgehalt siehe unten Rz. 133 f.) und § 4 Nr. 1 ÜbG.
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§ 13
Finanzierung des Angebots
Übernahmekodex bedeutet sie eine Verschärfung der an den Bieter gestellten Anforderungen1. 8
Die in § 13 normierten Verpflichtungen waren im Wesentlichen bereits im Diskussionsentwurf vorgesehen, wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aber deutlich entschärft. Nach dem Diskussionsentwurf (§ 15) hatte der Bieter bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots „sicherzustellen“ und eine Bestätigung eines unabhängigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens, eines aufgrund Rechtsverordnung gemäß § 53c KWG gleich- oder freigestellten Unternehmens aus einem Staat außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums oder eines Wirtschaftsprüfers darüber vorzulegen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des (Kauf- oder Tausch-)Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Ob die notwendigen Mittel schon bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage oder erst bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen müssen, war nicht geregelt. Bei Unrichtigkeit der Bestätigung sollte der Aussteller den Aktionären schadensersatzpflichtig sein, sich aber für leicht fahrlässige Unkenntnis exkulpieren können.
9
Im Referentenentwurf (§ 13) wurden diese relativ weitreichenden Pflichten dahin gehend abgemildert, dass der Bieter nur noch die „notwendigen Maßnahmen“ zu treffen hatte, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Der Zeitpunkt, zu dem die notwendigen Maßnahmen getroffen sein mussten, wurde auf den Moment der Veröffentlichung der Angebotsunterlage verschoben2. Vom Erfordernis, eine Finanzierungsbestätigung auch bei einer Sachleistung vorzulegen3, und der Möglichkeit, die Finanzierungsbestätigung durch einen Wirtschaftsprüfer oder ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen aus einem Drittstaat ausstellen zu lassen4, wurde Abstand genommen. Eine Exkulpationsmöglichkeit für leichte Fahrlässigkeit war nicht vorgesehen.
10
Auf die Kritik, dass es unbillig sei, dem Aussteller der Finanzierungsbestätigung eine Garantiehaftung für die Verfügbarkeit der Mittel aufzuerlegen und ihm damit das Insolvenzrisiko des Bieters aufzubürden5, wurde im Regierungsentwurf klargestellt, dass die Erfüllungsfähigkeit nicht schon bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage, sondern erst bei Fälligkeit der Gegenleistung bestehen muss. Außerdem wurde die Exkulpationsmöglichkeit wieder eingeführt. Aus der Genese der Vorschrift ergibt sich somit, dass eine Garantiehaftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nicht bestehen sollte6.
IV. Kritik 11
Vereinzelt wurde die Befürchtung geäußert, dass Angebote gegen Zahlung einer Geldleistung wegen der Kosten der Finanzierungsbestätigung unattraktiv werden 1 Art. 7 Nr. 13 Übernahmekodex versuchte, die Seriosität von Übernahmeangeboten lediglich durch § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 entsprechende Informationspflichten sicherzustellen. 2 Zu den Gründen Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 836 f. (m.w.N.). 3 Zu den Gründen Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 11; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 836; krit. Möllers, ZGR 2002, 664, 694. 4 Zu möglichen Gründen Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 4. 5 Z.B. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424; hierzu Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258. 6 Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258.
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Finanzierung des Angebots
könnten und es sinnvoller sei, die Annahme des Angebots durch die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft an die Bedingung der vollständigen Erfüllung zu knüpfen. Alternativ wurde erwogen, den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft bei nicht fristgerechter Leistung ein Rücktrittsrecht und – wie in § 325 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehen – zusätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz einzuräumen1. Diese Vorschläge können jedoch die Schutzzwecke des § 13 nicht erreichen: Würde die Annahme eines Angebots durch die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft an die Bedingung der vollständigen Erfüllung der Gegenleistung geknüpft, hätte es der Bieter in der Hand, sich von dem Angebot zu lösen, indem er davon absieht, die zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Verknüpfung von Rücktrittsrecht und Schadensersatzanspruch könnte den Schutzzweck des § 13 nicht erreichen, weil sich der Schadensersatzanspruch gegen den – nicht erfüllungsfähigen – Bieter richten würde2. Außerdem wurde kritisiert, dass die Haftung des Wertpapierdienstleistungsunter- 12 nehmens gemäß § 13 Abs. 2 – anders als bei anderen Fällen der Prospekt-3 und Expertenhaftung4 für unrichtige Testate – auf das positive Interesse gerichtet ist. Aus Gründen der Prävention gegen unseriöse Angebote allein sei dies nicht gerechtfertigt. Außerdem sei es dogmatisch inkonsequent, pflichtwidriges Verhalten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens mit der Haftung auf das Erfüllungsinteresse zu sanktionieren; pflichtgemäßes Verhalten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens hätte nämlich zur Verweigerung der Finanzierungsbestätigung und nicht zur Beschaffung der erforderlichen Geldmittel geführt5. Der Schadensersatzanspruch gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen erscheint auch im internationalen Vergleich durchaus weitgehend6.
V. EU-Übernahmerichtlinie Nach dem allgemeinen Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 lit. e) der Übernahmerichtlinie 13 hat der Bieter bereits vor der Ankündigung des Angebots sicherzustellen, dass er eine als Gegenleistung vorgesehene Geldleistung in vollem Umfang leisten kann. Außerdem hat er alle gebotenen Maßnahmen zu treffen, um die Erfüllung sonstiger Arten von Gegenleistungen zu garantieren. Eine Verpflichtung zur Vorlage einer Finanzierungsbestätigung eines Dritten und die Haftung des Dritten für die Richtigkeit der über die Finanzierung getroffenen Aussagen ist dagegen nicht vorgesehen. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 13 bei der Umsetzung der Übernahmerichtlinie nicht verändert.
1 Thaeter/Barth, NZG 2001, 545, 548. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 2. 3 BGH v. 16.11.1978 – II ZR 94/77, BGHZ 72, 382, 389; BGH v. 22.3.1979 – VII ZR 259/77, BGHZ 74, 103, 113; BGH v. 6.10.1980 – II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 346 f.; Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 7 Rz. 172; ebenso die Haftung gemäß § 44 Abs. 1 BörsG, § 127 Abs. 1 InvG. 4 BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 261; Hopt in Baumbach/Hopt, 31. Aufl. 2003, § 347 HGB Rz. 35. 5 Zutreffend Tröger, DZWiR 2002, 353, 359 f. 6 Weitere Hinweise bei Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 13 ff.; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 19 ff.
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§ 13
Finanzierung des Angebots
B. Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit (§ 13 Abs. 1 Satz 1) I. Anwendungsbereich 14
Die Vorschrift findet Anwendung bei allen Arten von Angeboten, d.h. bei „einfachen“ öffentlichen Erwerbsangeboten, Übernahmeangeboten (§ 34) und Pflichtangeboten (§ 39). Da ein Pflichtangebot gemäß §§ 32, 39 nicht als Teilangebot abgegeben werden kann, ist beim Überschreiten der Kontrollschwelle sicherzustellen, dass die zum Erwerb sämtlicher Aktien der Zielgesellschaft notwendigen Mittel bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen1.
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Einstweilen frei.
II. Gegenleistung 1. Art der Gegenleistung 16
Der Bieter hat die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen „Mittel“ zur Verfügung stehen. Der Begriff „Mittel“ ist im Gesetz nicht definiert. „Mittel“ können bei einer Geldleistung Geld und bei einer Sachleistung die entsprechenden Sachen sein2 – etwa bei Übernahme- und Pflichtangeboten liquide, börsenzugelassene Aktien (§ 31 Abs. 2 Satz 1) oder bei sonstigen öffentlichen Erwerbsangeboten andere Gegenstände (z.B. Schuldverschreibungen oder nicht börsenzugelassene Aktien). Letzteres ist auch bei Übernahme- und Pflichtangeboten möglich, solange die Adressaten des Angebots zwischen einer der gemäß § 31 erforderlichen Gegenleistungen (Geld oder liquide börsenzugelassene Aktien) und der anderen Gegenleistung wählen können (siehe § 31 Rz. 38, 61). Weil der Bieter sicherstellen muss, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, hat er seine Erfüllungsfähigkeit für jede angebotene Art der Gegenleistung sicherzustellen. 2. Umfang der Gegenleistung a) Volle Annahmequote
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Dem Bieter müssen bei Fälligkeit der Gegenleistung die zur „vollständigen Erfüllung“ notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Demnach ist die Hypothese zugrunde zu legen, dass sämtliche Adressaten das Angebot annehmen3. Nach der gefestigten Praxis der BaFin4 ist irrelevant, ob einzelne Wertpapierinhaber bindend erklärt haben, das Angebot nicht anzunehmen5. Nur in ausgewählten Einzelfällen hat die BaFin die von Tochterunternehmen des Bieters gehaltenen (und ihm daher gemäß 1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 7. So in Österreich ausdrücklich § 4 Nr. 1 und § 22 Abs. 5 ÜbG. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 10; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 72; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 3; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 16; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 284. 4 Anders noch beim Übernahmeangebot RAG Projektgesellschaft/Degussa vom 19.6.2002. 5 Wie die BaFin Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 7; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 10; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 74; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 102; kritisch Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 16; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 2; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1110.
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Finanzierung des Angebots
§ 30 Abs. 1 Nr. 1 zugerechneten) Wertpapiere unberücksichtigt gelassen, wenn entsprechende Nichtannahmeerklärungen vorlagen1 oder der Bieter sein Tochterunternehmen angewiesen hatte, weder das Angebot anzunehmen noch die gehaltenen Aktien vor Ablauf der (weiteren) Annahmefrist zu veräußern2. Die Praxis ist jedoch nicht einheitlich; in jüngerer Zeit hat die BaFin die Sicherstellung der Finanzierung auch für die dem Bieter gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 zugerechneten Aktien verlangt, obwohl Nichtannahmeerklärungen vorlagen3. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin gelten diese Erleichterungen jedoch nicht, wenn die Aktien von einem Dritten gehalten werden, der nicht Tochterunternehmen des Bieters ist, auch wenn die Stimmrechte aus den von diesem Dritten gehaltenen Aktien dem Bieter – etwa wegen abgestimmten Verhaltens (§ 30 Abs. 2)4 oder wegen einer erteilten Stimmrechtsvollmacht (§ 30 Abs. 1 Nr. 6)5 – zugerechnet werden6. Nach diesen Grundsätzen muss der Bieter auch die Verfügbarkeit der Mittel sicherstellen, die erforderlich wären, um die von der Zielgesellschaft gehaltenen eigenen Aktien und die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen der Zielgesellschaft gehörenden Aktien zu erwerben, selbst wenn sich die Zielgesellschaft bzw. das von der Zielgesellschaft abhängige oder im Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen verpflichtet hat, das Angebot nicht anzunehmen7. Nach dem Zweck des § 13 (und, soweit eigene Aktien der Zielgesellschaft in Rede stehen, auch im Hinblick auf § 35 Abs. 2 Satz 38) ist eine so strenge Handhabung nicht erforderlich. Vielmehr sollte eine entsprechend eingeschränkte Finanzierung genügen9.
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Geben mehrere Personen als Bietergemeinschaft ein gemeinsames Angebot i.S.d. § 2 17b Abs. 4 ab, muss sich das Angebot – und demzufolge auch der Umfang der Finanzierungsmaßnahmen und der Finanzierungsbestätigung – lediglich auf die Aktien der
1 Pflichtangebot ERGO Versicherungsgruppe AG/MEDICLIN AG vom 14.8.2008, S. 26; Pflichtangebot Porsche Automobil Holding SE/AUDI AG vom 25.9.2008, S. 28; Pflichtangebot msg systems AG/FJA AG vom 9.4.2009, S. 30 f. 2 Übernahmeangebot Mustaphar 5. Verwaltungs GmbH/Hamborner Aktiengesellschaft vom 5.4.2007, S. 18; Pflichtangebot Unifinter Administratiekantoor B.V./Deutsche Real Estate AG vom 16.6.2009, S. 32 f.; Pflichtangebot Florian Behnk/RWL Verwaltungs- und Beteiligungs AG vom 17.1.2011, S. 26 f.; Pflichtangebot Clariant Verwaltungsgesellschaft mbH/ Süd-Chemie AG vom 17.5.2011, S. 20, 39 ff.; zum Ganzen Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 285; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 405; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 108. 3 Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 285; vgl. Pflichtangebot Clariant Verwaltungsgesellschaft mbH/Süd-Chemie AG vom 17.5.2011, S. 20, 39 f. 4 Pflichtangebot Clariant Verwaltungsgesellschaft mbH/Süd-Chemie AG vom 17.5.2011, S. 20, 39 f.; Pflichtangebot FORUM European Smallcaps GmbH/Pulsion Medical Systems AG vom 5.3.2009, S. 23. 5 Übernahmeangebot Grohe Asia AG/Joyou AG vom 28.3.2011, S. 18, 64 f. 6 Krause, NJW 2004, 3681, 3683; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 405; a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 10. 7 Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 284; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 403. 8 Beim Pflichtangebot sind eigene Aktien der Zielgesellschaft und Aktien der Zielgesellschaft, die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen der Zielgesellschaft gehören, gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG vom Umfang der Gegenleistung ausgenommen; ebenso Aktien der Zielgesellschaft, die einem Dritten gehören, jedoch für Rechnung der Zielgesellschaft, eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens der Zielgesellschaft gehalten werden (vgl. § 35 Rz. 226). 9 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 72; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 2; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 16, 18; für analoge Anwendung des § 35 Abs. 2 Satz 3 auf Übernahmeangebote Favoccia (§ 32 Rz. 10); Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 17.
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Zielgesellschaft erstrecken, die von keinem der Bieter gehalten werden1. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin kann sogar der Umfang der Gegenleistung für ein Pflichtangebot reduziert werden, indem andere Aktionäre der Zielgesellschaft dem Angebot des verpflichteten Kontrollerwerbers beitreten („gemischtes“ Angebot; siehe hierzu § 35 Rz. 198a)2. 18
Der Bieter, der ein Kaufangebot abgegeben hat, ist nach dem Vorstehenden erfüllungsfähig, wenn die Summe der vorhandenen und der bis zur Abwicklung des Angebots zufließenden Mittel so bemessen ist, dass sie die bei vollständiger Annahme des Angebots geschuldete Gesamtgegenleistung mindestens erreicht. Bei Tauschangeboten ist der Bieter erfüllungsfähig, wenn das genehmigte Kapital bzw. der Kapitalerhöhungsbetrag (ggf. unter Berücksichtigung der vom Bieter gehaltenen eigenen Aktien) ausreicht, um allen Wertpapierinhabern die dem Umtauschverhältnis entsprechende Zahl von Aktien zur Verfügung zu stellen. Wenn die Gegenleistung in anderen Gegenständen besteht3, gilt dies entsprechend. Stellt der Bieter verschiedene Gegenleistungen zur Wahl, muss er – weil ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen müssen – für jede Alternative zugrunde zu legen, dass sie von sämtlichen Adressaten des Angebots angenommen wird4.
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Bei der Ermittlung der zur „vollständigen Erfüllung“ des Angebots notwendigen Mittel bezieht die BaFin die Transaktionskosten des Bieters in die vom Bieter zu finanzierenden Gesamtkosten des Angebots ein5. Soweit sich der Bieter in der Angebotsunterlage verpflichtet, bestimmte Transaktionskosten der Wertpapierinhaber zu übernehmen (etwa die Bankgebühren für die Übertragung der Wertpapiere), gehören auch diese Kosten zur vollständigen Erfüllung des Angebots. Folglich muss er auch insoweit seine Erfüllungsfähigkeit sicherstellen6.
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Nicht zu den zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mitteln gehören die Mittel, die zur Refinanzierung von Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft erforderlich sind7. Der Bieter muss diese Kosten zwar in seine Kalkulation einbeziehen und hierzu in der Angebotsunterlage ergänzende Angaben machen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1). Sie gehören jedoch nicht zu den „zur vollständigen Erfüllung des Angebots“ erforderlichen Mitteln. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 ist das „Angebot“ die an die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtete Kauf- oder Tauschofferte. 1 Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 107; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 403. 2 Vgl. gemeinsames Angebot derThüga Holding GmbH & Co. KGaA, Thüga Aktiengesellschaft, Stadtwerke Frankfurt a.M. Holding GmbH/Mainova AG vom 18.3.2010; gemeinsames Angebot Wolfgang Dinckelacker, Sedlmayr Grund und Immobilien KGaA/Dinkelacker AG vom 23.6.2010. 3 In Betracht kommen etwa Schuldverschreibungen oder auch Aktien Dritter (angelegt etwa in den kombinierten Angeboten der Allianz Beteiligungs GmbH und der DAD Transaktionsgesellschaft mbH an die Aktionäre der Dresdner Bank AG vom Mai 2001). 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 19. 5 Ablehnend Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 73; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 13 Rz. 2; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402. 6 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 17; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 73; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 24; Krause, NJW 2004, 3681, 3683; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 10; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 73; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1111; a.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 54; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 2 (bei Zusage der Übernahme der Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft); noch anders Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 278 f. (wegen Kontrollwechsels fällig werdende Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft seien in den Umfang der Finanzierungsvorsorge und -bestätigung einzubeziehen).
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Die „Erfüllung“ der hierunter entstehenden Verpflichtungen umfasst die vom Bieter festgesetzte Gegenleistung und gegebenenfalls zugesagten Ersatz von Transaktionskosten, nicht aber die Refinanzierung der Zielgesellschaft. b) Nachträgliche Änderung der Gegenleistung Sicherzustellen ist die in der Angebotsunterlage vorgesehene Gegenleistung. Der Bie- 21 ter ist nicht verpflichtet, mögliche Änderungen des Angebots, etwa die Erhöhung der Gegenleistung, zu antizipieren. Änderungen des Angebots können eine Erweiterung der Sicherstellungspflicht zur 22 Folge haben. Wenn etwa der Bieter die Gegenleistung erhöht (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) oder wahlweise eine andere Gegenleistung anbietet (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2), schuldet er die modifizierte Gegenleistung erst dann, wenn die Änderung des Angebots wirksam geworden ist. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 3 hat er vor der Veröffentlichung der Änderung sicherzustellen, dass er zur Erfüllung der erhöhten bzw. der anderen Gegenleistung in der Lage ist1. Auch bei Änderungen des Angebots, die der Bieter auf Grund einer gesetzlichen Ver- 23 pflichtung vornimmt, ist die Erfüllungsfähigkeit für das geänderte Angebot erst dann sicherzustellen, wenn die Änderung wirksam wird. Hat etwa der Bieter ein Tauschangebot abgegeben und erwirbt er (oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person oder ein Tochterunternehmen) im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots und dem Ende der Annahmefrist fünf Prozent oder mehr der Aktien der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung hinzu, muss er im Fall eines Übernahme- oder Pflichtangebots gemäß § 31 Abs. 3 eine Geldleistung in Euro anbieten, ist also zur Änderung seines Angebots gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 verpflichtet (siehe dazu § 31 Rz. 93). Um dieser Verpflichtung nachzukommen, muss der Bieter die Änderung des Angebots gemäß § 21 Abs. 2 unverzüglich veröffentlichen. Gemäß § 13 Abs. 1, § 21 Abs. 3 muss er auch in Bezug auf die geänderte Gegenleistung seine Erfüllungsfähigkeit sicherstellen und der Veröffentlichung der Änderung eine ergänzende Finanzierungsbestätigung beifügen2. Bei Änderungen des Angebots kraft Gesetzes – etwa nach Parallelerwerb gegen eine 24 höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung, die gemäß § 31 Abs. 4 die automatische Erhöhung der geschuldeten Gegenleistung bewirkt – ist dies anders. Dass der Bieter eine geänderte Angebotsunterlage erstellen und veröffentlichen muss, ist im Gesetz nicht vorgesehen3. Weil § 31 Abs. 4 (anders als § 21 Abs. 3) nicht auf § 13 verweist, ist die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit und die Vorlage einer Finanzierungsbestätigung in Höhe des Differenzbetrages entbehrlich4. Dies entspricht 1 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 11; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 20; ebenso zur Finanzierungsbestätigung Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 12. 2 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 21; ebenso zur Finanzierungsbestätigung Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 12; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1165; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 852. 3 Hamann, ZIP 2001, 2249, 2257; Oechsler, NZG 2001, 817, 826; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 13; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 108; a.A. Häger/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 16. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 13 (mit Verweis auf Oechsler, NZG 2001, 817, 826, der allerdings das Gegenteil vertritt); ebenso Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 108; Vogel, ZIP 2002, 1421, 1424; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 22; Strunk/Salomon/Host in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 19 f.; Schiessl
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auch der Verwaltungspraxis der BaFin1. Diese Auslegung des Gesetzes ist allerdings nicht unbestritten. Die Gegenansicht hält das Fehlen dieses Verweises für eine planwidrige Regelungslücke, die durch Analogiebildung zu den § 31 Abs. 3, § 21 Abs. 3, § 13 zu schließen sei2. In der Tat erscheint es als ein Wertungswiderspruch, dass bei einer vom Bieter freiwillig bzw. aufgrund gesetzlicher Verpflichtung vorgenommenen Erhöhung der Gegenleistung die Erfüllungsfähigkeit für den Erhöhungsbetrag sicherzustellen und bei Kaufangeboten eine Finanzierungsbestätigung vorzulegen ist, bei einer kraft Gesetzes eintretenden (ebenfalls vom Bieter ausgelösten) Erhöhung der Gegenleistung jedoch nicht. 25
Die besseren Gründe sprechen allerdings gegen die Analogie. Die Analogiebildung setzt allgemein voraus, dass der Tatbestand, der in die Regelungslücke fällt, mit dem Tatbestand, dessen Regelung analoge Anwendung finden soll, in der für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsicht übereinstimmt3. Ob dies vorliegend der Fall ist, ist zweifelhaft. In den Fällen des § 31 Abs. 3 wird infolge der Änderung des Angebots erstmalig eine Geldleistung angeboten. Dass insoweit eine Finanzierungsbestätigung erforderlich ist, um eine unseriöse Baralternative nicht an den Markt gelangen zu lassen, ist evident. In den Fällen des § 31 Abs. 4 dagegen ist das Kaufangebot bereits am Markt und ist, wenn man dies aus der bereits vorliegenden Finanzierungsbestätigung rückschließen will, seriös finanziert. Die Ausfüllung einer eventuellen „Bestätigungslücke“ ist aber zur Erfüllung des Präventionszwecks des § 13 nicht geboten4. Zudem bliebe im Dunkeln, wie die Veröffentlichung der Finanzierungsbestätigung praktisch zu handhaben wäre; beim Parallelerwerb gegen eine höhere Gegenleistung ist der Bieter nämlich nicht zur Veröffentlichung einer Angebotsunterlage, sondern gemäß § 23 Abs. 2 nur zur Veröffentlichung der Höhe des erworbenen Anteils und der gewährten Gegenleistung verpflichtet.
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Nach Übernahme- und Pflichtangeboten hat der außerbörsliche Nacherwerb gegen eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung zur Folge, dass Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, vom Bieter die Zahlung des Differenzbetrags verlangen können (§ 31 Abs. 5 Satz 1). Eine Verpflichtung des Bieters, die Erfüllung des Differenzbetrages sicherzustellen, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Weil die anspruchsberechtigten Aktionäre ihre Entscheidung zur Annahme des Angebots bereits ausgeübt haben und der Nachzahlungsanspruch sofort fällig ist, ist eine Sicherstellungspflicht auch nicht durch den Schutzzweck des § 13 Abs. 1 Satz 1 geboten5.
26a Erhöht sich hingegen das Übernahme- oder Pflichtangebot aufgrund einer Earn-out Regelung im Vorerwerb (siehe dazu § 4 WpÜG-AngVO Rz. 18a), muss der Bieter den möglichen Nachzahlungsanspruch nach der Verwaltungspraxis der BaFin bereits ex-
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in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1112; Seibt, CFL 2011, 213, 226; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 286. Strunk/Salomon/Host in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 19 f. Oechsler, NZG 2001, 817, 826; Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 853; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 283; noch anders Rothenfußer/FrieseDormann/Rieger, AG 2007, 137, 151 ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 381. Anders, wenn man den Schutzzweck des § 13 in der vollumfänglichen Absicherung der Wertpapierinhaber sieht; so etwa Oechsler, NZG 2001, 817, 826 (de lege lata gleichwohl zweifelnd). Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 14; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 22; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 854.
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ante sicherstellen1. Dabei ist der maximal mögliche Nachzahlungsbetrag zu unterstellen2. Da die maximale Höhe der Nachzahlung genau zu beziffern ist, sollte dies auch kein praktisches Problem darstellen3. c) Kapitalmaßnahmen der Zielgesellschaft Wenn man davon ausgeht, dass der Bieter das Angebot nicht auf die bei Veröffent- 27 lichung der Angebotsunterlage ausgegebenen Wertpapiere begrenzen kann (siehe hierzu § 1 Rz. 30, § 32 Rz. 15), gehören zu den zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mitteln grundsätzlich auch die Mittel zum Erwerb solcher Wertpapiere, die die Zielgesellschaft bis zum Ende der Annahmefrist – etwa zur Erfüllung von Verpflichtungen aus zuvor ausgegebenen Aktienoptionen oder Wandelschuldverschreibungen oder durch Ausnutzung genehmigten Kapitals – ausgibt. Weil der Bieter seine Erfüllungsfähigkeit bereits bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage sichergestellt haben muss, er aber zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehen kann, ob und in welchem Umfang die Zielgesellschaft neue Wertpapiere ausgibt, kann eine Verpflichtung zur Sicherstellung der Gegenleistung für eventuell neu ausgegebene Wertpapiere nur bestehen, soweit der Bieter mit ihrer Ausgabe durch die Zielgesellschaft rechnen muss4. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ausgegebene Aktienoptionen „im Geld“ sind und bis zum Ablauf der Annahmefrist ausgeübt werden können5 oder wenn die Zielgesellschaft eine Kapitalerhöhung nach Umfang und Zeitpunkt hinreichend bestimmt angekündigt hat6. Umgekehrt braucht der Bieter keine Finanzierungsvorsorge für ausgegebene Aktienoptionen zu treffen, deren Ausübungspreis über dem derzeitigen Börsenkurs bzw. über dem Angebotspreis liegt7. Im Übrigen können ein eventuell vorhandenes genehmigtes Kapital oder eine Ermächtigung zur Ausgabe von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen bei der Bestimmung des Umfangs der sicherzustellenden Gegenleistung außer Betracht bleiben, wenn der Bieter keine Anhaltspunkte dafür hat, dass die Zielgesellschaft während der (weiteren) Annahmefrist neue Wertpapiere ausgibt. Bei mit der Zielgesellschaft abgestimmten Angeboten ist es dem Bieter zuzumuten, bei der Zielgesellschaft nachzufragen8. Bei feindlichen Übernahmeangeboten genügt es, wenn sich der Bieter aus öffentlich zugänglichen Quellen unterrichtet9. Eine Verpflichtung, höchst vorsorglich auch die Gegenleistung für noch gar nicht existierende Wertpapiere sicherzustellen, besteht nicht. Zu der Frage, ob der Bieter das Ausbleiben einer Kapitalerhöhung zur Bedingung seines Angebots erheben kann, siehe § 18 Rz. 83 f.
1 Vgl. Pflichtangebot Mesago Holding GmbH/CNV Vermögensverwaltung AG vom 9.8.2004, S. 19 f.; Pflichtangebot Augur Financial Holding Zwei GmbH & Co. KG/Schnigge Wertpapierhandelsbank AG vom 5.2.2008, S. 28; dazu Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 742. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 7. 3 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 132 f. 4 Vgl. Übernahmeangebot ACS/Hochtief AG vom 1.12.2010, S. 21, 47; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 23; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 72; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 16; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 7; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1111; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402; im Ergebnis auch Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 846. 5 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 23; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 10; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1111; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402. 6 Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 286; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402. 7 Vgl. Übernahmeangebot SAG Beteiligungs GmbH/IDS Scheer AG vom 14.8.2009, S. 40. 8 Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 402. 9 Vgl. Übernahmeangebot Schaeffler KG/Continental AG vom 29.7.2008, S. 41.
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3. Zeitpunkt des Zurverfügungstehens 28
Dass der Bieter die zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit notwendigen Maßnahmen vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage getroffen haben muss, bedeutet nicht, dass er bereits bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage über den zur Erfüllung von Geldleistungspflichten erforderlichen Geldbetrag oder bei Sachleistungspflichten über die zu ihrer Erfüllung erforderlichen Sachen verfügen muss. Vielmehr müssen die zur Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel – wie im Regierungsentwurf klargestellt wurde (siehe oben Rz. 10) – erst im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen1. Der Zeitpunkt der Fälligkeit wird vom Bieter festgelegt; er muss gemäß § 2 Nr. 4 WpÜG-AngVO in der Angebotsunterlage angegeben werden. Im Normalfall wird der Anspruch auf die Gegenleistung mit der Abwicklung des Angebots nach Ablauf der Annahmefrist fällig. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin ist es allerdings seit kurzem bei bedingungsfreien Angeboten möglich, eine frühzeitige Abwicklung des Angebots vorzunehmen (sog. early bird settlement)2. Aktien der Zielgesellschaft, für die das Angebot angenommen wurde, können somit bereits während der Annahmefrist gegen Zahlung des Angebotspreises übertragen werden3. In einem solchen Fall müssen die zur Erfüllung erforderlichen Mittel konsequenterweise schon ab Beginn der Annahmefrist zur Verfügung stehen.
III. Sicherstellung 1. Auslegung des Begriffs 29
Der Bieter hat die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um seine Erfüllungsfähigkeit „sicherzustellen“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist der Schlüsselbegriff des § 134, denn nur wenn Klarheit darüber besteht, was „sicherzustellen“ bedeutet, lassen sich die zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit „notwendigen Maßnahmen“ bestimmen. a) „Sicherheit“
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Der Wortlaut „sicherzustellen“ scheint nahezulegen, dass die Finanzierung „sicher“ sein muss5, es also keine Umstände geben darf, unter denen die Finanzierung scheitern kann. Dies wäre gleichbedeutend mit einer Sicherheitsleistung. Die Wortwahl entspricht aber nicht dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zur Bezeichnung einer Sicherheitsleistung gemäß §§ 232 ff. BGB6; nur vereinzelt ist die Sicherstellung ein Synonym für die Sicherheitsleistung7 oder, in § 651k BGB sogar explizit angesprochen, die Übernahme des Insolvenzrisikos des Schuldners durch einen Dritten8. We1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 15; Möllers in KölnKomm. WpÜG, 13 Rz. 60; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 71; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 3; Pfüller/Detweiler, BKR 2004, 383, 386; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 286. 2 Vgl. Übernahmeangebot Vue Beteiligungs AG/CinemaxX Aktiengesellschaft vom 6.8.2012, S. 39 f. 3 Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 746. 4 A.A. Vogel, ZIP 2002, 1421, 1427 („keine eigenständige Bedeutung“). 5 Hamann, ZIP 2001, 2249, 2254. 6 Zutreffend Vogel, ZIP 2002, 1421, 1426. 7 Z.B. § 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 12a Abs. 2 DepotG, §§ 1031, 1036 ZPO, § 153a ZVG. 8 Vgl. Sprau in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 651k BGB Rz. 1a; Eckert in Staudinger, Neubearbeitung 2011, § 651k BGB Rz. 5.
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gen der abweichenden Schutzzwecke dieser Vorschriften können hieraus aber keine Rückschlüsse für die Auslegung des § 13 gezogen werden. Der Wille des Gesetzgebers lässt sich weniger aus der Begründung des Regierungs- 31 entwurfs1, sondern eher aus der Entstehung der Vorschrift herleiten. Der Referentenentwurf ermöglichte noch die Deutung, dass die zur vollständigen Erfüllung erforderliche Mittel bereits bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage zur Verfügung stehen müssen (siehe oben Rz. 9). Weil außerdem ein Verweis auf die Exkulpationsmöglichkeit des § 12 Abs. 2 fehlte, konnte die Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gemäß § 13 Abs. 2 als Garantiehaftung aufgefasst und hieraus auf die Pflichtenstellung des Bieters gemäß § 13 Abs. 1 zurückgeschlossen werden. Dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Insolvenzrisiko des Bieters tragen sollte, wurde im Gesetzgebungsverfahren jedoch als unbillig angesehen; der Wortlaut des § 13 wurde auf entsprechende Kritik2 geändert (siehe oben Rz. 10). Zudem verdeutlicht der Vergleich mit dem zeitgleich eingeführten § 327b Abs. 3 AktG, dass der Gesetzgeber, der eine Garantiehaftung hätte begründen wollen, eine dem § 327b Abs. 3 AktG entsprechende Regelung hätte treffen können (und müssen). Auch der Schutzzweck des § 13 fordert nicht, dass die Erfüllungsfähigkeit des Bieters durch eine Sicherheitsleistung i.S.d. §§ 232 ff. BGB gewährleistet werden muss. Zum Schutz der Integrität des Kapitalmarkts, der Wertpapierinhaber und der Zielgesellschaft vor unseriösen, wirtschaftlich nicht erfüllbaren Angeboten ist dies nicht erforderlich. Ein Vergleich mit § 327b Abs. 3 AktG oder § 22 UmwG verbietet sich, weil die Wertpapierinhaber grundsätzlich selbst entscheiden können, ob sie das Angebot annehmen oder nicht3.
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Hiernach ist das Merkmal „sicherzustellen“ nicht mit der Herstellung einhundertprozentiger Sicherheit gleichzusetzen. Die Eliminierung aller erdenklichen Risiken, die der Erfüllung entgegenstehen könnten, ist nicht erforderlich4.
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b) Erforderliche Maßnahmen Welche Maßnahmen der Bieter zu treffen hat, um seiner Verpflichtung zu genügen, ist im Gesetz nicht geregelt. Die in der Literatur vorgeschlagene Formel, die Finanzierung sei sichergestellt, wenn bei objektiver ex ante-Betrachtung „davon ausgegangen werden kann, dass die zum Zeitpunkt der Angebotsveröffentlichung getroffenen Finanzierungsmaßnahmen bei einem zu erwartenden Geschehensablauf unter sachgerechter Berücksichtigung der noch bestehenden Unsicherheiten zur Bereitstellung der erforderlichen Mittel bei Fälligkeit der Gegenleistung führen werden“5, weist in die richtige Richtung, bleibt aber ausfüllungsbedürftig.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 2 Vgl. etwa DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424; Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258. 3 Zutreffend Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 76. 4 Berrar, ZBB 2002, 174, 177; Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 79; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1161; a.A. Hamann, ZIP 2001, 2249, 2254; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 54; Oechsler, NZG 2001, 817, 826. 5 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 5; ähnlich Berrar, ZBB 2002, 174, 177, 179; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1163 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 11; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 3; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 232.
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Wenn die Begründung des Regierungsentwurfs ausführt, der Bieter müsse „alle Schritte“ unternommen haben, um seine Pflichten bei Fälligkeit erfüllen zu können, ohne damit einhundertprozentige Sicherheit zu meinen, ist dies zunächst so zu verstehen, dass der Bieter bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage die Maßnahmen ergriffen haben muss, die bei ungestörtem Geschehensverlauf in die Bereitstellung der Gegenleistung bei Fälligkeit münden1. Folglich muss ein Bieter, der Fremdmittel benötigt, einen Kreditvertrag (oder eine andere Vereinbarung) abgeschlossen haben, die ihm bei Fälligkeit der Gegenleistung einen Auszahlungsanspruch in der erforderlichen Höhe einräumt (siehe unten Rz. 52). Bei einem Tauschangebot muss, soweit nicht genehmigtes Kapital zur Verfügung steht, regelmäßig ein Kapitalerhöhungsbeschluss in der erforderlichen Höhe gefasst worden sein (siehe unten Rz. 67).
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Inwieweit das Kriterium des Gesetzgebers („alle Schritte“) bedeutet, dass der Bieter bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage Vorsorge gegen Risiken getroffen haben muss, die den Geschehensablauf stören können, ist ungeklärt. Weil die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit nicht mit einhundertprozentiger Sicherheit gleichzusetzen ist, braucht er gegen unvorhersehbare Risiken keine Vorsorge zu treffen. Dagegen muss er vorhersehbare Risiken eliminieren, soweit ihm dies möglich und unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 13 und der für das gewählte Finanzierungsinstrument einschlägigen gesetzlichen Wertungen zumutbar ist2. 2. Zeitpunkt der Sicherstellung
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Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 muss der Bieter die Maßnahmen zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit „vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage“, d.h. vor Beginn der Annahmefrist getroffen haben. Bei Kaufangeboten wird es der Bieter nicht vermeiden können, die notwendigen Maßnahmen bereits vor der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin zu treffen, denn die BaFin fordert, dass die Angebotsunterlage zusammen mit einem unterschriebenen und auf den Tag der Einreichung datierten Original der Finanzierungsbestätigung eingereicht wird. Der Gesetzgeber hat zutreffend davon Abstand genommen, die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots zu verlangen (so noch § 15 Abs. 1 Satz 1 DiskE). Zur Verhinderung unseriöser Angebote ist eine solche Vorverlagerung der Sicherstellungspflicht nicht erforderlich.
IV. Notwendige Maßnahmen 1. Allgemeines 38
Welches die „notwendigen Maßnahmen“ sind, die der Bieter vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu treffen hat, um sicherzustellen, dass ihm die Mittel zur vollständigen Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Angebot zur Verfügung stehen, hängt von der Art der angebotenen Gegenleistung und der Art ihrer Finanzierung ab3. Mit Rücksicht auf die vielfältigen Finanzierungsmöglichkeiten, die im Ein-
1 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 5; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 78; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 401. 2 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 237; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 401; ähnlich Berrar, ZBB 2002, 174, 179. 3 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 237.
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zelfall relevanten Gegebenheiten ausländischer Rechtsordnungen1 und mögliche Änderungen der Marktpraxis hat der Gesetzgeber zu Recht darauf verzichtet, bestimmte Anforderungen aufzustellen. 2. Geldleistung (Kaufangebot) Ist als Gegenleistung eine Geldleistung vorgesehen, können die erforderlichen Geldmittel durch Maßnahmen der Eigen- oder Fremdfinanzierung oder eine Kombination dieser Maßnahmen aufgenommen werden.
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a) Eigenfinanzierung aa) Vorhandene Eigenmittel, Vermögensumschichtung Soweit der Bieter die Gegenleistung aus vorhandenen Eigenmitteln (Bankguthaben) 40 aufbringt, wird das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das die Finanzierungsbestätigung ausstellt, im eigenen Interesse darauf bestehen, dass diese Mittel vor Ablauf der Annahmefrist nicht für andere Zwecke verwendet werden. Zu diesem Zweck kann das Guthaben auf ein Sperrkonto übertragen werden2. Durch eine Verpfändung zugunsten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens kann das Guthaben vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Dritter geschützt werden (§ 50 Abs. 1 InsO)3. Soweit erforderliche Eigenmittel aus dem Verkauf von Vermögensgegenständen gewonnen werden sollen, hat der Bieter sicherzustellen, dass die Veräußerung vor dem Ablauf der Annahmefrist vollzogen wird und den erforderlichen Erlös erbringt. Bei Vermögensgegenständen, die jederzeit veräußert werden können (wie etwa börsennotierten Wertpapieren), wird es regelmäßig genügen, eine anderweitige Veräußerung zu verhindern und einen angemessenen Sicherheitsabschlag auf den Marktpreis einzuplanen4. Risiken, die sich aus dem Kursverlauf von börsennotierten Wertpapieren oder einer Marktenge ergeben können, können über Put-Optionen, Platzierungsgarantien einer Emissionsbank5 oder andere Derivate abgesichert werden6. Sollen weniger liquide Vermögensgegenstände (etwa Grundstücke) veräußert werden, muss die rechtzeitige Veräußerung durch eine Put-Option oder wenigstens einen bindenden Vorvertrag sichergestellt sein. Außerdem hat sich der Bieter der finanziellen Leistungsfähigkeit des Erwerbers zu vergewissern7. Wenn der Bieter beabsichtigt, das Angebot ganz oder teilweise aus Mittelzuflüssen aus dem Verkauf einer Unterneh1 Z.B. beim Kaufangebot, wenn der Kreditvertrag nach ausländischem Recht dokumentiert wird, oder beim Tauschangebot eines ausländischen Bieters, weil nach seinem Gesellschaftsstatut dessen „Heimatrecht“ für die Sachkapitalerhöhung maßgeblich ist; zum Gesellschaftsstatut des Bieters siehe auch § 1 Rz. 34. 2 Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 287. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 21; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 27; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 65; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.141; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 287; Meyer in Mülbert/Kiem/ Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 237; kritisch Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1119, der allerdings auf die Gefahr von Drittpfändungen nicht eingeht. 4 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 238. 5 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 238. 6 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1119. 7 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1163; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 28; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 847; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 238.
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mensbeteiligung zu finanzieren, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass die eingeplanten Mittel dem Bieter hinreichend sicher und rechtzeitig vor der Fälligkeit der Gegenleistung unter dem Angebot zufließen werden. Ein Letter of Intent, Memorandum of Understanding oder anderes rechtlich nicht bindendes Instrument vermittelt keine hinreichende Transaktionssicherheit1. Wenn der Verkauf von behördlichen Genehmigungen abhängt (etwa gemäß §§ 35 ff. GWB, §§ 52 f. AWV etc.), sollte für das Angebot ein realistisch kurzes Verfahren mit früher Fälligkeit der Gegenleistung und für die Veräußerung der Unternehmensbeteiligung die längstmögliche Dauer innerhalb eines realistischen Zeitrahmens unterstellt werden2. bb) Kapitalerhöhung 42
Plant der Bieter, für die Finanzierung des Angebots erforderliche Eigenmittel durch eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen aufzunehmen, hat er sicherzustellen, dass ihm bei Fälligkeit der Gegenleistung ein ausreichender Erlös zugeflossen sein wird.
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Praktische Probleme bestehen vor allem dann, wenn eine börsennotierte AG, SE oder KGaA als Bieter auftritt. In diesem Fall stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage getroffen sein müssen. Fraglich ist vor allem, welche Vorsorge gegen verschiedene mit der Kapitalerhöhung verbundene Risiken erforderlich ist, die weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat des Bieters beherrschen können.
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Das Beschlussfassungsrisiko – d.h. das Risiko, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss von der Hauptversammlung nicht gefasst wird – muss bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage regelmäßig eliminiert sein3. Der Bieter kann dieses Risiko vorhersehen und im Regelfall vermeiden. Wenn die BaFin dem Bieter die Inanspruchnahme der verlängerten Übermittlungsfrist des § 14 Abs. 1 Satz 3 gestattet, kann der zeitliche Ablauf grundsätzlich wie folgt gestaltet werden: Der Bieter kann zeitgleich sowohl die Entscheidung zur Abgabe des Angebots veröffentlichen (§ 10) als auch die Einladung zur Hauptversammlung übermitteln (§ 121 AktG). Folglich kann die Hauptversammlung, wenn keine organisatorischen Engpässe bestehen, ab der 7. Woche nach der Veröffentlichung gemäß § 10 (gegebenenfalls auch noch während der Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin) stattfinden.
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Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das Angebot unter die Bedingung eines Gesellschafterbeschlusses gestellt und dieser gemäß § 25 bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist gefasst werden darf. Im Wortlaut des § 25 ist nur ein Gesellschafterbeschluss in Bezug auf das Angebot, nicht aber in Bezug auf die Finanzierung angesprochen. Auch in der Begründung des Regierungsentwurfs ist lediglich von der „Zustimmung der Gesellschafterversammlung des Bieters zu dem Angebot“4 (Hervorhebung des Verfassers) die Rede. Systematisch steht § 25 im Zusam1 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1118. 2 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1118. 3 Ähnlich Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 283 f.; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 54; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 5; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 6; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 51; Thoma/Stöcker in Baums/Thoma, § 18 Rz. 98; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 848; noch weiter gehend Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 29; a.A. Oechsler, NZG 2001, 817, 821; Busch, AG 2002, 145, 148; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 112; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 3, § 18 Rz. 10; differenzierend Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 68. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51.
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menhang mit § 10 Abs. 1 Satz 2, der den zur Abgabe eines Angebots entschlossenen Bieter grundsätzlich zur unverzüglichen Veröffentlichung seiner Entscheidung verpflichtet, auch wenn ein etwa erforderlicher Gesellschafterbeschluss zu dem Angebot noch aussteht. Nicht zuletzt hieraus ergibt sich, dass der Zweck des § 25 darin besteht, dem Bieter die Möglichkeit zur Wahrung der internen Kompetenzordnung zu geben, wenn dies nicht auf anderem Wege geschehen kann. Diese Wertung lässt sich auf Maßnahmen, die der Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit dienen, nicht ohne weiteres übertragen. Weil bei einer erforderlichen Kapitalerhöhung eine Verlängerung der Übermittlungsfrist möglich ist (§ 14 Abs. 1 Satz 3)1 und bei Ausnutzung der maximal möglichen Annahmefrist die Beschlussfassung der Hauptversammlung vor dem Ende der Annahmefrist erfolgen kann, besteht für eine Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung innerhalb der Frist des § 25 kein Bedürfnis. Daher kann der Beschluss der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung auch nicht mit Verweis auf § 25 „nachgereicht“ und das Angebot von einer entsprechenden Bedingung abhängig gemacht werden2. Wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss ausnahmsweise nicht vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gefasst werden kann, hat sich der Bieter mit seinen wichtigsten Aktionären abzustimmen und darauf hinzuwirken, dass der Beschluss zustande kommt3. Ist der Bieter eine Publikumsgesellschaft, braucht er das Anfechtungsrisiko – d.h. das 46 Risiko, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss von einzelnen Aktionären angefochten wird – nicht zu eliminieren4. Es ist zwar vorhersehbar, aber in einer Publikumsgesellschaft praktisch nicht vermeidbar. Theoretisch kann die Hauptversammlung bei Ausschöpfung sämtlicher Übermittlungs- und Prüfungsfristen des WpÜG zwar so terminiert werden, dass die Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) vor dem Beginn der Annahmefrist abläuft5 und daher vor dem Beginn der Annahmefrist Klarheit darüber herrschen könnte, ob eine Anfechtungsklage erhoben worden ist oder nicht. In der Praxis bestehen jedoch nicht selten organisatorische Engpässe, die einer Terminierung der Hauptversammlung, durch die auch das Anfechtungsrisiko vermieden wird, entgegenstehen. Außerdem vermittelt der Ablauf der Anfechtungsfrist nur eine Schein-Sicherheit6. Hieraus ist allerdings nicht zu folgern, dass den Anforderungen des § 13 nur dann genügt ist, wenn kein Widerspruch zu Protokoll der über die Kapitalerhöhung beschließenden Hauptversammlung (§ 245 Nr. 1 AktG) erklärt worden7 oder gar die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG ohne Klageerhebung verstrichen
1 Entgegen der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestags, BT-Drucks. 14/7477, S. 52 ist die Möglichkeit der Fristverlängerung nicht darauf beschränkt, dass Wertpapiere als Gegenleistung angeboten werden. 2 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 238 f.; Diekmann in Baums/ Thoma, § 25 Rz. 11. 3 Zustimmend Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239. 4 Ebenso Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239; implizit Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 5; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 86 und diejenigen, die die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung während der Annahmefrist zulassen; strenger Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 29, 38; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.144. 5 Vgl. Erwerbsangebot media[netCom] AG/Internolix AG vom 2.7.2002 (Hauptversammlung am 28.5.2002). 6 Vgl. die Umstände des going private der Friedrich Grohe AG: OLG Hamm v. 27.11.2000 – 15 W 347/00, ZIP 2001, 569; BVerfG v. 13.10.2004 – 1 BvR 2303/00, WM 2004, 2354; Meilicke, DB 2001, 1235; vom Stein, DB 2002, 2421. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 29, 38; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 280.
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ist1. Gegen diese strenge Position spricht die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 3. Hiernach kann die Frist für die Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin auf maximal acht Wochen verlängert werden. Dann hat der Bieter zwar genügend Zeit, um vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Hauptversammlung einzuberufen und abzuhalten. Wenn Anfechtungsklage erhoben wird, wird dieser Zeitrahmen jedoch nicht ausreichen, um die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses zu erwirken, geschweige denn ein Freigabeverfahren zum Abschluss zu bringen2. Schon dies spricht dafür, keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen. Es kommt hinzu, dass ein Angebot wegen der Erhebung einer Anfechtungsklage nicht derartig „unseriös“ wird, dass der Kapitalmarkt, die Zielgesellschaft und die Wertpapierinhaber vor ihm geschützt werden müssten. Somit sollte mit der ratio legis des § 13 im Einklang stehen, wenn der Bieter etwaigen Verzögerungen bei der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister dadurch begegnet, dass das Angebot unter die aufschiebende Bedingung der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses bis zum Ablauf der Annahmefrist gestellt wird (siehe hierzu § 18 Rz. 72)3. Die Verwaltungspraxis der BaFin steht mit diesen Überlegungen im Einklang4. Wollte man dies anders sehen, müsste man zumindest die deutschen Publikumsgesellschaften auf die Ausnutzung genehmigten Kapitals verweisen. Wegen der grundsätzlichen Gleichberechtigung der Maßnahmen der Kapitalbeschaffung5, wegen der Volumengrenzen des § 202 Abs. 3 Satz 1 AktG und wegen der nicht auszuschließenden Gefahr, dass einzelne Aktionäre Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung ergreifen6, ist dies aber keine zufriedenstellende Lösung. Auch aus rechtspolitischer Sicht erscheint es wenig sachgerecht, die Eliminierung des Anfechtungsrisikos zu fordern, wenn deutsche Publikumsgesellschaften gegenüber ausländischen Gesellschaften nicht benachteiligt werden sollen. Bei begrenztem Gesellschafterkreis wäre es dagegen grundsätzlich möglich und zumutbar, Erklärungen über den Verzicht auf das Anfechtungsrecht beizubringen. 47
Das Platzierungsrisiko – d.h. das Risiko, dass die neuen Aktien nicht bzw. nicht zu dem geplanten Ausgabebetrag im Markt platziert werden können – muss bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage grundsätzlich eliminiert sein7. Das bedeutet allerdings nicht, dass die neuen Aktien bereits gezeichnet sein müssen8. Vielmehr genügt es, wenn der Bieter dieses Risiko auf das Emissionskonsortium abwälzt. Demnach muss vor Beginn der Annahmefrist entweder der Übernahmevertrag zwischen dem
1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.144. 2 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239. 3 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 289. 4 Vgl. Übernahmeangebot UniCredito Italiano S.p.A./Bayerische Hypo-Vereinsbank AG vom 26.8.2005, S. 31 f.; Übernahmeangebot ACS/Hochtief AG vom 1.12.2010, S. 45 f. (ausführlich unten Rz. 68). 5 OLG Karlsruhe v. 28.8.2002 – 7 U 137/01 – MLP, NZG 2002, 959 = AG 2003, 444, 445; R. Krause in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 301, 307 ff.; strenger Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 163 ff. 6 Hierzu eingehend Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544. 7 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117 f.; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239 f. 8 So aber Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 280; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 5.
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Bieter und den Konsortialbanken abgeschlossen1 oder jedenfalls bindende Übernahmeerklärungen (Festbezugserklärung bzw. commitment letters) unterzeichnet und Einigkeit über die wesentlichen Regelungen des Übernahmevertrags erzielt oder in sonstiger Weise eine Absatzgarantie der Konsortialbanken vereinbart worden sein2. Bei einer Bezugsrechtsemission reicht es aus, wenn ein Dritter eine „backstop“-Platzierungsgarantie abgibt3. Bei bezugsrechtsfreien Emissionen steht die Verpflichtung der Konsortialbanken zur Zahlung des Platzierungserlöses an die Emittentin üblicherweise unter dem Vorbehalt4, dass bestimmte, im Übernahmevertrag als force majeure definierte Ereignisse nicht eintreten5. Die Aufnahme eines solchen marktüblichen Vorbehalts ist unschädlich6. Welche Ereignisse zur force majeure erhoben werden, ist grundsätzlich Verhandlungssache, so dass die Parteien des Übernahmevertrags berücksichtigen können, inwieweit die als force majeure zu definierenden Ereignisse als material adverse change-Bedingung in die Angebotsunterlage übernommen werden können7. cc) Ausnutzung genehmigten Kapitals Zur Aufnahme der für ein Angebot erforderlichen Eigenmittel ist die Ausnutzung ge- 48 nehmigten Kapitals in ganz besonderer Weise geeignet. Diese Finanzierungsform ist schnell und flexibel zu handhaben, weil die zeit- und kostenintensive Vorbereitung und Abhaltung einer Hauptversammlung im unmittelbaren Vorfeld des Übernahmeangebots entbehrlich ist. Sie ist jedoch dadurch begrenzt, dass das genehmigte Kapital höchstens die Hälfte des im Zeitpunkt der Ermächtigung vorhandenen Grundkapitals betragen kann (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG), von der Hauptversammlung des Bieters in der Vergangenheit in der entsprechenden Höhe bereitgestellt worden sein muss und vom Vorstand noch nicht ausgenutzt worden sein darf. Der Bieter, der die für die Finanzierung des Angebots erforderlichen Eigenmittel 49 durch die Ausnutzung genehmigten Kapitals aufnehmen will, hat sicherzustellen, dass ihm bei Fälligkeit der Gegenleistung ein ausreichender Erlös zugeflossen sein wird. Dies setzt voraus, dass genehmigtes Kapital in ausreichender Höhe zur Verfügung steht. Beschlussfassungs- oder Anfechtungsrisiken bestehen nicht. Allerdings lässt sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass einzelne Aktionäre die Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister mit Mitteln
1 Zum Übernahmevertrag bei Aktienemissionen vgl. Groß in Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, 2000, Rz. 10/308 ff. 2 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 239 f.; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117 f.; Kiesewetter/ Kiefner, CFL 2011, 284, 288. Zu den Formen der Verteilung des Platzierungsrisikos vgl. Bosch in Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, 2000, Rz. 10/76 ff. 3 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117. 4 Schuldrechtlich werden regelmäßig aufschiebende Bedingungen oder Rücktrittsrechte der Konsortialbanken vereinbart. 5 Für bestimmte Ereignisse ist dies Marktstandard, etwa für wesentliche nachteilige Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Emittentin und/oder der allgemeinen Marktverhältnisse oder für den Eintritt von Krisen. Zu force majeure-Klauseln Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. II, 4. Aufl. 2011, § 112 Rz. 68; Vertragsmuster bei Groß in Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, 2000, Rz. 10/324 Ziff. XII.1.d) und Rz. 10/326 Ziff. XI.1.d); weitere übliche Klauseln bei Busch, WM 2001, 1277, 1278. 6 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 30; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 240. 7 Ebenso Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 240.
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des einstweiligen Rechtsschutzes angreifen1. Das Platzierungsrisiko muss, wie bei der regulären Kapitalerhöhung, vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage grundsätzlich eliminiert sein (siehe oben Rz. 47). dd) Sonstiges 50
Werden die erforderlichen Eigenmittel von den Gesellschaftern des Bieters als Einzahlung in die Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) zur Verfügung gestellt, setzt die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit des Bieters entsprechende Verpflichtungserklärungen der Gesellschaften gegenüber dem Bieter voraus. Für den Inhalt der Verpflichtungserklärung gelten die gleichen Anforderungen, die auch an eine Fremdfinanzierung zu stellen sind (siehe unten Rz. 54 ff.). Außerdem muss die finanzielle Leistungsfähigkeit der verpflichteten Gesellschafter gewährleistet sein. Handelt es sich bei dem Bieter etwa um ein Akquisitionsvehikel, in dem die Mittel verschiedener Private Equity-Fonds gebündelt werden, hat sich der Bieter davon zu überzeugen, dass das Volumen dieser Fonds die Eigenkapitalkomponente der vorgesehenen Gegenleistung abdeckt. b) Fremdfinanzierung
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Wenn der Bieter Fremdkapital bei Kreditinstituten aufnimmt, um die Gegenleistung zu finanzieren, sind verschiedene Gestaltungen denkbar2. Der Bieter ist regelmäßig daran interessiert, diese Finanzierung rasch und bis zur Veröffentlichung über die Entscheidung des Angebots vertraulich sicherzustellen. Daher werden Akquisitionsfinanzierungskredite im Regelfall zunächst nur von einer oder zwei Banken übernommen und erst zu einem späteren Zeitpunkt (etwa vor der Abwicklung des Angebots) an weitere Banken syndiziert. Bankaufsichtsrechtliche Gründe, insbesondere die Beanspruchung des Eigenkapitals (Grundsatz I) und die Großkreditgrenzen gemäß §§ 13 ff. KWG bzw. ihre Äquivalente nach dem Recht anderer EU-Mitgliedstaaten können die Bildung eines Bankenkonsortiums bereits vor der Veröffentlichung des Angebots erforderlich werden lassen. aa) Kreditvertrag (1) Abschluss eines Kreditvertrages
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Der Bieter, der das Angebot fremdfinanziert, ist erfüllungsfähig, wenn er den erforderlichen Kredit bei Fälligkeit der nach dem Angebot geschuldeten Geldleistung in Anspruch nehmen kann. Zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit muss im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage grundsätzlich der Kreditvertrag geschlossen sein oder eine verbindliche Kreditzusage vorliegen3. Ob bereits die Unterzeichnung des term sheets zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit des Bieters genügt, ist eine Frage des Einzelfalls. Das term sheet – eine Zusammenfassung der
1 Hierzu allgemein Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 564 ff. In der Praxis dürfte dies insbesondere bei der Ausgabe der neuen Aktien gegen Sacheinlage unter Ausschluss des Bezugsrechts problematisch werden; siehe unten Rz. 71. 2 Hierzu eingehend Baums/Vogel in Lutter/Scheffler/U.H. Schneider, Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 9.25 ff.; Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, 1998, S. 103 ff.; Heemann in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 16 Rz. 24 ff. 3 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 84 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 33; ähnlich Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1163 f.; Berrar, ZBB 2002, 174, 177 in Fn. 26; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 18.
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wesentlichen Bedingungen des auszureichenden Darlehens1 – wird üblicherweise vor der Ausarbeitung des Kreditvertrages ausgehandelt und ist im Normalfall nur eingeschränkt verbindlich2. Zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit wird dies in der Regel nicht ausreichen3. Die Parteien sind jedoch nicht daran gehindert zu vereinbaren, dass das term sheet rechtsverbindlich und der Bieter zu Ziehungen unter den vorgesehenen Fazilitäten berechtigt sein soll, mit der Folge, dass der Bieter seine Erfüllungsfähigkeit sichergestellt hätte4. Die Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen setzt voraus, dass diese nicht gegen zwingendes Recht verstoßen5. Teilweise wird vertreten, die Übernahme könne nicht im Wege eines leveraged buy-out (LBO) – d.h. gestützt auf den cash flow der Zielgesellschaft – finanziert werden, weil die Zulässigkeit dieser Finanzierungsform nicht hinreichend geklärt sei6. Zutreffend erscheint demgegenüber, im Einzelfall zu prüfen, ob Rechtsverstöße vorliegen: Wenn etwa der für die Finanzierung der Gegenleistung erforderliche Kredit mit Vermögensgegenständen der Zielgesellschaft besichert werden sollte, läge hierin ein Verstoß gegen das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs (§ 71a Abs. 1 Satz 1 AktG) und, soweit keine angemessene Gegenleistung vereinbart ist, gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 AktG)7. Dagegen ist es zulässig, mit der Bestellung der Kreditsicherheiten solange zu warten, bis die Zielgesellschaft in eine GmbH umgewandelt oder mit dem Akquisitionsvehikel verschmolzen worden ist8. Ob die Bestellung von Sicherheiten nach dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages zulässig ist, ist nicht gesichert: Gemäß § 291 Abs. 3 AktG gelten Leistungen aufgrund eines Beherrschungsvertrages nicht als Verstoß gegen § 57 AktG; ob die Vorschrift jedoch auch von § 71a AktG dispensiert, ist nicht unumstritten9.
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(2) Inhaltliche Anforderungen Zu den inhaltlichen Anforderungen der Kreditvertrag hat sich eine gewisse Marktpraxis herausgebildet. Konsens besteht insoweit, als dass die Erfüllungsfähigkeit nicht sichergestellt ist, wenn die Banken vor der vollständigen Abwicklung des Angebots zur ordentlichen Kündigung des Kreditvertrages berechtigt sind bzw. eine Kre1 Heemann in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 15 Rz. 32 ff.; Singhof/ Weber, WM 2002, 1158, 1164. 2 Heemann in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 15 Rz. 33, 35. 3 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 33; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 281; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1115; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 290; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 241. 4 Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1115; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 290; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 241. 5 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 36. 6 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 6; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 5. 7 Zum Ganzen Otto, DB 1989, 1389; Fleischer, AG 1996, 494, 505 ff.; Becker, DStR 1998, 1429; Lutter/Wahlers, AG 1989, 1; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 18 f.; Schulz/Israel, NZG 2005, 329, 332; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.154; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 241. 8 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 36; weitergehend Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 46, 48a; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 48 f. 9 Dafür Otto, DB 1989, 1389, 1395, 1399; Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995, S. 284 ff.; Fleischer, AG 1996, 494, 506; wohl auch Marsch-Barner in Baums/ Thoma, § 13 Rz. 36; dagegen Lutter/Wahlers, AG 1989, 1, 9; Kühbacher, Darlehen an Konzernunternehmen, 1993, S. 133 f.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 13.
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ditlinie unter Widerrufsvorbehalt („bis auf weiteres“) eingeräumt worden ist1. Daher muss das ordentliche Kündigungsrecht, das sich bei deutschem Recht unterliegenden Darlehensverträgen aus § 488 Abs. 3 Satz 1 BGB ergibt, bis zur Zahlung der Gegenleistung an die Aktionäre ausgeschlossen sein2. Weil die Kreditverträge auch die Rechtsverhältnisse nach der Abwicklung des Angebots regeln und unter Umständen auch noch weitere Ziehungen zulassen, wird der Zeitraum bis zur vollständigen Abwicklung häufig als „certain funds period“ definiert, während der die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist und nur einige der bei Akquisitionsfinanzierungen üblichen Ziehungsverbote (drawstops) Anwendung finden. 55
Für die Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Ziehungsverboten gibt es keine allgemeingültige Formel. Insoweit erscheint es sachgerecht, auf die Natur der von den Ziehungsverboten reflektierten Risiken abzustellen und danach zu fragen, ob dem Bieter eine anderweitige Risikovorsorge möglich und unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 13 und der für das gewählte Finanzierungsinstrument einschlägigen gesetzlichen Wertungen zumutbar ist (siehe oben Rz. 36). Insoweit kann die Kontrollüberlegung helfen, ob sich der Darlehensgeber von seinen Pflichten – etwa gemäß §§ 314, 490 Abs. 3 BGB3 oder aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB – auch dann lösen könnte, wenn im Kreditvertrag keine Regelung vorgesehen wäre. Auch der Blick in die englische Kautelarpraxis, die dem certain funds-Konzept des Takeover Code Rechnung zu tragen hat, kann Orientierung vermitteln.
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Üblicherweise wird ein Ziehungsverbot für den Fall vereinbart, dass ein event of default eingetreten ist, der die Banken zur Kündigung des Kreditvertrages aus wichtigem Grund berechtigt4. Ob und inwieweit dies mit § 13 zu vereinbaren ist, richtet sich danach, ob es dem Bieter möglich und unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 13 und der Wertungen des gewählten Finanzierungsinstruments zumutbar ist, die Risiken, die sich unter der Geltung dieser Vereinbarung realisieren können, zu eliminieren (siehe oben Rz. 36). Hiernach erscheint die Auffassung, der Kreditvertrag dürfe nicht außerordentlich kündbar (oder, falls außerordentlich kündbar, durch die Zahlungsgarantie eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens unterlegt) sein, um die Anforderungen des § 13 zu erfüllen5, unzutreffend. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund ist in seinem Kern zwingendes Recht und kann auch durch Individualvereinbarung nur beschränkt, nicht aber völlig ausgeschlossen werden6. Eine stärkere Bindung als zivilrechtlich möglich kann für Zwecke des § 13 nicht gefordert werden (Einheit der Rechtsordnung). Wollte man dies anders sehen, müsste man die Finanzierung von WpÜG-Angeboten auf der Grundlage anderer Rechtsordnungen durchführen (etwa englischem Recht oder dem Recht von New York). Für einen derartigen Willen des Gesetzgebers gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt.
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Abdingbar ist hingegen das Recht zur außerordentlichen Kündigung wegen der wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers (§ 490
1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 85; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 33; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 241. 2 Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 241. 3 Hierzu Mülbert, WM 2002, 465, 473 ff.; Wittig/Wittig, WM 2002, 145, 148 f. 4 Hierzu etwa Heemann in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 15 Rz. 63. 5 So noch Süßmann in Geibel/Süßmann, 1. Aufl. 2002, § 13 Rz. 17 ff. 6 Grüneberg in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 314 BGB Rz. 3.
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BGB)1. Gleichwohl wird man kaum fordern können, dass die Banken auf das Kündigungsrecht wegen der wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Bieters oder der Werthaltigkeit einer gestellten Sicherheit vollständig verzichten müssen, damit die Fremdfinanzierung den Anforderungen des § 13 genügt2. Die Vereinbarung eines außerordentlichen Kündigungsrechts für den Fall des Eintritts eines Insolvenzgrundes (§§ 17 ff. InsO) beim Bieter oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen entspricht langjähriger Bankpraxis. Diese Praxis war dem Gesetzgeber bekannt. Außerdem lässt sich aus der Entstehung des § 13 Abs. 1 Satz 2 ersehen, dass der Aussteller der Finanzierungsbestätigung nicht das Insolvenzrisiko des Bieters tragen sollte (siehe oben Rz. 10). Die insoweit wortgleichen § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 können aber nicht in Satz 1 die Übernahme des Insolvenzrisikos und in Satz 2 den Ausschluss des Insolvenzrisikos meinen. Daher trifft es auch nicht zu, dass die Finanzierungsbestätigung Auffangfunktion für etwaige Kündigungsmöglichkeiten des Bieters haben und deswegen als Zahlungsgarantie ausgestaltet sein muss3. Aus diesen Gründen sollte ein außerordentliches Kündigungsrecht beim Vorliegen eines Insolvenzgrundes beim Bieter grundsätzlich unbedenklich sein (bidder insolvency)4. Etwas anderes gilt nur, sofern es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine solche Verschlechterung vor der Erfüllung des Angebots eintreten könnte5. Nach zutreffender, überwiegender Ansicht muss die Kündigung aus wichtigem Grund auch beim Eintritt anderer wesentlicher Verschlechterungen der Vermögensverhältnisse des Bieters (bidder MAC) möglich sein6. In der englischen Übernahmepraxis wird dies anders gesehen: Dort wird ein bidder MAC, der lediglich mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse arbeitet, nicht akzeptiert (eine Präzisierung anhand von Finanzkennzahlen erscheint denkbar, ist aber in der Praxis unüblich).
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Die Zulässigkeit eines Ziehungsverbots für den Fall der Insolvenz oder einer anderen 59 wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Zielgesellschaft (target insolvency, target MAC) ist dagegen eher zweifelhaft. Sie könnte jedenfalls nicht auf die Wertung des § 490 BGB gestützt werden, weil die Zielgesellschaft nicht Kreditnehmer des Akquisitionskredits ist. In der Praxis lässt sich die Auszahlung bei Erwerbs- und Übernahmeangeboten allerdings vermeiden, wenn der Bieter in der Angebotsunterlage einen target MAC vorsieht (siehe § 18 Rz. 91) und im Kreditvertrag die Verpflichtung eingeht, nicht ohne die vorherige Zustimmung der Banken auf eine Bedingung des Angebots zu verzichten (zur Zulässigkeit dieser Verpflichtung siehe unten Rz. 61). Häufig besteht ein Bedürfnis dafür, die Auszahlung daran zu binden, dass bestimmte 60 Bedingungen eingetreten sind, etwa bestimmte Kreditsicherheiten bestellt oder die 1 Weidenkaff in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 490 BGB Rz. 4. 2 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 34; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 85; Möllers in KölnKomm. WpÜG, 13 Rz. 66; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1115; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 242; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 6; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 17; a.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 5; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 281. 3 So aber Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 55. 4 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164. 5 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 6; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 85; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 243. 6 Berrar, ZBB 2002, 174, 177; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 66; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 850; a.A. Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 281; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 5 i.V.m. Fn. 15.
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Bedingungen des Angebots eingetreten sind. Oft wird gefordert, dass bestimmte, vom Bieter gegebene Zusicherungen eingehalten worden sind, etwa dass sein Vermögen frei von Sicherungsrechten Dritter ist (Negativerklärung), dass die erforderliche Zustimmung eines Dritten vorliegt oder dass kein Rechtsstreit anhängig ist. Nicht alle derartigen Vereinbarungen sind unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit unschädlich1. Gegen das Risiko, dass der Bieter bestimmte Kreditsicherheiten nicht bestellt, können sich die Banken durch den rechtzeitigen Abschluss der erforderlichen Verträge bzw. Vorverträge und die Verpflichtung des Bieters zu den erforderlichen Mitwirkungshandlungen schützen; es erscheint zumutbar, dies vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu erledigen. Wenn die Auszahlung an die Zustimmungserklärung eines Dritten geknüpft ist, liegt es in der Hand dieses Dritten, ob dem Bieter die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stehen oder nicht; auch in diesem Fall dürfte es in der Regel zumutbar sein, die Zustimmung vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage einzuholen2. 61
Auszahlungsverbote können auch an ein bestimmtes Verhalten des Bieters anknüpfen. Für den Bieter, der sein eigenes Verhalten kontrollieren kann, ist dies weniger ein Problem als für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit zu bescheinigen hat und sich insoweit in den Händen des Bieters befindet. Üblicherweise wird ein Ziehungsverbot etwa daran angeknüpft, dass der Bieter das Angebot ohne die vorherige Zustimmung der Banken ändert – etwa die Gegenleistung erhöht oder auf Bedingungen verzichtet. Dies ist gerechtfertigt, weil das konkrete Angebot Geschäftsgrundlage der vereinbarten Finanzierung ist. Auszahlungsverbote können auch an bestimmte Geschäfte anknüpfen, etwa Veräußerung von Vermögensgegenständen (disposal of assets) oder die Bestellung von Sicherheiten für Dritte unter Verstoß gegen eine entsprechende Unterlassungsverpflichtung (negative pledge). Die Beurteilung derartiger Auszahlungsverbote ist schon schwieriger; auch in der englischen Finanzierungspraxis werden sie uneinheitlich beurteilt. Jedenfalls dann, wenn diese Geschäfte eine wesentliche Beeinträchtigung der finanzierenden Banken zur Folge haben, erscheinen hieran anknüpfende Auszahlungsverbote gerechtfertigt. Schließlich kann auch die Vorlage bestimmter Unterlagen (z.B. Jahresabschlüsse) zur Auszahlungsvoraussetzung erhoben werden. Ob dies mit § 13 vereinbar ist, erscheint zweifelhaft; diese Verpflichtung sollte sich im Regelfall vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage erfüllen lassen.
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Um falschen Erwartungen der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft vorzubeugen, sollten die relevanten Auszahlungsverbote in der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Alt. 1) beschrieben werden3. bb) Anleihe
62a Zur Finanzierung der Gegenleistung kann der Bieter grundsätzlich auch eine Anleihe (d.h. Schuldverschreibungen, die in Serie zu identischen Bedingungen massenweise ausgegeben werden) emittieren. Für die Anforderungen an die Sicherstellung der Finanzierung durch Begebung einer Anleihe gelten dieselben Grundsätze wie für die Sicherstellung der Finanzierung durch eine Kapitalerhöhung (siehe oben Rz. 44 ff.) oder einen Kreditvertrag (siehe oben Rz. 52 ff.). Hiernach ist die Finanzierung des Angebots sichergestellt, wenn die mit der Emission beauftragten Banken die Platzierung 1 Großzügiger Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 35. 2 So auch Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 243. 3 Berrar, ZBB 2002, 174, 177, 179; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 34.
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im Rahmen eines firm underwriting garantieren1. Ein bloßes best effort underwriting genügt den Anforderungen des § 13 Abs. 1 hingegen nicht2. Weil Emissionsbanken das Platzierungsrisiko typischerweise nur für wesentlich kürzere Zeiträume als den Zeitraum von der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin bis zum Ende der (weiteren) Annahmefrist zu tragen bereit sind, erscheint die Finanzierung eines Angebots durch Begebung einer Anleihe in der Praxis nur möglich, wenn die Emission der Anleihe gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gemäß § 10 Abs. 1 oder der Erlangung der Kontrolle gemäß § 35 Abs. 1 bekanntgegeben wird und die einzelnen Schuldverschreibungen vor Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin platziert sind. Soweit ersichtlich, hat es auf dem deutschen Markt noch kein öffentliches Angebot gegeben, das ohne Inanspruchnahme eines Überbrückungskredits („bridge-to-bond“) direkt durch die Begebung einer Anleihe finanziert worden wäre. 3. Sachleistung (Tauschangebot) Bei Tauschangeboten ist die Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit unproblematisch, wenn der Bieter eine ausreichende Zahl eigener Aktien hält oder von Dritten kurzfristig erwerben kann. Weil eigene Aktien – jedenfalls von Bietern mit Sitz in der Europäischen Union – nur bis zur Höhe von 10 % des Grundkapitals als Akquisitionswährung eingesetzt werden können (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG), muss der Bieter zur Erfüllung umfangreicherer Angebote regelmäßig eine Sachkapitalerhöhung vornehmen, um eine hinreichende Zahl junger Aktien zu schaffen. Außerdem hat er sicherzustellen, dass die Altaktionäre auf die neuen Aktien kein Bezugsrecht haben. Die als Gegenleistung angebotenen Aktien müssen jedoch nicht notwendig Aktien des Bieters selbst sein (siehe unten Rz. 77).
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a) Kapitalerhöhung Plant der Bieter, die als Gegenleistung benötigten Aktien durch eine reguläre Kapital- 64 erhöhung zur Entstehung bringen, hat er seine Erfüllungsfähigkeit sichergestellt, wenn der Kapitalerhöhungsbetrag ausreichend bemessen ist und der Bieter die bei ungestörtem Geschehensablauf in die Bereitstellung der Aktien mündenden Schritte unternommen sowie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren (hierzu siehe oben Rz. 36) Vorsorge gegen vorhersehbare Risiken getroffen hat. Im Rahmen der Sicherstellungspflicht des § 13 Abs. 1 Satz 1 besteht das Problem, dass der Bieter erst am Ende der Annahmefrist wissen kann, wie viele Aktien er zur Erfüllung der zustande gekommenen Tauschverträge benötigt, er seine Lieferfähigkeit aber schon vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage sichergestellt haben muss. Weil die Durchführung der Kapitalerhöhung nur dann in das Handelsregister eingetragen wird, wenn sich das Zeichnungsergebnis mit dem im Beschluss genannten Betrag deckt3, wird im Kapitalerhöhungsbeschluss zweckmäßigerweise ein Mindest- und ein Höchstbetrag festgesetzt4. Der endgültige Kapitalerhöhungsbetrag ergibt sich dann aus dem Umfang der Annahme des Angebots. 1 Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 280; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1117; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 240. 2 Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 280. 3 RG v. 30.8.1903 – I 21/03, RGZ 55, 65, 67 f.; Hüffer, § 182 AktG Rz. 12. 4 Zur Zulässigkeit der „bis zu“-Kapitalerhöhung RG v. 26.6.1914 – II 109/14, RGZ 85, 205, 207 (zur GmbH); LG Hamburg v. 2.12.1993 – 405 O 162/93, AG 1995, 92, 93; LG Hamburg v. 25.2.1999 – 415 O 2/99, AG 1999, 239 f.; Peifer in MünchKomm. AktG, § 182 Rz. 36;
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Die gesetzliche Vorgabe, die Sacheinleger im Kapitalerhöhungsbeschluss zu bezeichnen (§ 183 Abs. 1 Satz 1 AktG), obwohl der Bieter im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch gar nicht wissen kann, welche Wertpapierinhaber das Angebot annehmen werden, macht die Einschaltung eines Treuhänders erforderlich, der die neuen Aktien des Bieters zeichnet, die dem Bieter angedienten Wertpapiere der Zielgesellschaft in einem einheitlichen Einbringungsvertrag an den Bieter übereignet und die neuen Aktien des Bieters nach ihrer Entstehung an die ehemaligen Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft überträgt. Dieser Einbringungsvertrag gehört nicht zu den zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit erforderlichen Maßnahmen, weil er erst geschlossen wird, wenn die Zahl der einzubringenden Aktien feststeht – d.h. nach Ablauf der Annahmefrist bzw. der weiteren Annahmefrist.
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Zur Sicherstellung der Erfüllungsfähigkeit des Bieters muss grundsätzlich der Kapitalerhöhungsbeschluss bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage gefasst worden sein1, weil der Bieter dieses Risiko zumutbarerweise eliminieren kann. Insoweit gelten die oben in Rz. 44 f. zur Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen angestellten Erwägungen entsprechend. Der Höchstbetrag der Kapitalerhöhung muss so bemessen sein, dass das Angebot auch bei Annahme durch alle Wertpapierinhaber erfüllt werden kann. Die Hauptversammlung muss außerdem das Bezugsrecht der Aktionäre des Bieters ausschließen (§ 186 Abs. 3 AktG).
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Ist der Bieter eine Publikumsgesellschaft, braucht er das Anfechtungsrisiko nicht zu eliminieren2. Wie bei der Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen (siehe oben Rz. 46) ist maßgeblich, dass die Ausschaltung dieses Risikos zwar theoretisch möglich ist, das Angebot jedoch wegen der Erhebung einer Anfechtungsklage nicht derartig „unseriös“ wird, dass der Kapitalmarkt, die Zielgesellschaft und die Wertpapierinhaber vor ihm geschützt werden müssten. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtungsklagen – anders als bei der Barkapitalerhöhung zur Finanzierung eines Kaufangebots – auch darauf gestützt werden können, dass der Bezugsrechtsausschluss sachlich nicht gerechtfertigt oder der Ausgabebetrag der neuen Aktien (etwa wegen der Überbewertung der einzulegenden Wertpapiere gemäß § 255 Abs. 2, § 243 Abs. 1 AktG) unangemessen niedrig ist. Der Bieter muss daher die – grundsätzlich zulässige (siehe § 18 Rz. 72) – Bedingung vorsehen, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss bis zum Ablauf der Annahmefrist in das Handelsregister eingetragen worden ist, um eine mögliche Verletzung seiner Lieferpflichten zu verhindern. Die BaFin hat einen Bedingungseintritt nach Ablauf der Annahmefrist ausnahmsweise unter der Voraussetzung zugelassen, dass die angedienten Aktien für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr nach dem Ende der Annahmefrist unter eigener ISIN handelbar bleiben oder der Bieter jedem Aktionär, der das Angebot angenommen hat, das Recht einräumt, während des genannten Zeitraums von seiner Annahme zurückzutreten3. Dieser Praxis ist die BaFin auch im Fall des Übernahmeangebots ACS/Hochtief gefolgt. Wegen angekündigter Anfechtungsklagen gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss des Bieters forderte sie zusätzliche Vollzugsbedingungen – darunter die BeHüffer, § 182 AktG Rz. 12; Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 23; Lutter in KölnKomm. AktG, § 182 Rz. 17; so auch Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 37; Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 227, 244. 1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 5; noch weiter gehend Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 87; a.A. Busch, AG 2002, 145, 148; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405. 2 A.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 38; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 82; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.144. 3 Vgl. Übernahmeangebot UniCredito Italiano S.p.A./Bayerische Hypo-Vereinsbank AG vom 26.8.2005, S. 31 f.; dazu BaFin-Jahresbericht 2005, S. 174 f.
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dingung, dass bis zum Ablauf der weiteren Annahmefrist und bis zum Eintritt der letzten Vollzugsbedingung kein spanisches Gericht die Unwirksamkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses festgestellt oder die Durchführung der Kapitalerhöhung untersagt hat1. Bei begrenztem Gesellschafterkreis wäre der Bieter dagegen grundsätzlich in der Lage, Erklärungen über den Verzicht auf das Anfechtungsrecht beizubringen. b) Ausnutzung genehmigten Kapitals Bieter in der Rechtsform der AG können die zur Bedienung des Tauschangebots er- 69 forderlichen neuen Aktien auch aus genehmigtem Kapital ausgeben, soweit die Hauptversammlung eine taugliche Ermächtigung erteilt hat und diese noch nicht ausgeschöpft worden ist. Auch bei Sacheinlagen ist die Ausnutzung genehmigten Kapitals schneller und flexibler als die ordentliche Kapitalerhöhung. Das Volumen des genehmigten Kapitals kann jedoch nicht mehr als die Hälfte des im Zeitpunkt der Ermächtigung vorhandenen Grundkapitals betragen (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG). Der Bieter, der die als Gegenleistung geschuldeten neuen Aktien aus genehmigtem 70 Kapital generiert, hat seine Erfüllungsfähigkeit sichergestellt, wenn das von der Hauptversammlung zur Verfügung gestellte und noch nicht ausgenutzte genehmigte Kapital ausreichend bemessen ist, eine Sacheinlage zugelassen und das Bezugsrecht entweder von der Hauptversammlung ausgeschlossen oder der Vorstand hierzu ermächtigt worden ist; letzteres kann im Voraus in allgemeiner Form beschlossen und begründet werden2. Weil der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung bereits gefasst und in das Handelsregister eingetragen sein muss, besteht weder ein Beschlussfassungs- noch ein Anfechtungsrisiko. Inwieweit der Ausnutzung der Ermächtigung und ihrer Eintragung im Handelsregis- 71 ter Hindernisse entgegenstehen dürfen, ist ungeklärt. Die Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats brauchen jedenfalls erst gefasst zu werden, wenn feststeht, wieviele Aktien ausgegeben werden müssen3. Allerdings besteht ein gewisses Risiko, dass einzelne Aktionäre die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung mit Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern suchen4 oder beim Registerrichter formlos anregen, das Eintragungsverfahren gemäß § 381 FamFG auszusetzen5. Da der Bieter jedoch bei der regulären Kapitalerhöhung das Anfechtungsrisiko eingehen darf (siehe oben Rz. 46), darf er bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals a maiore ad minus auch das Risiko von Angriffen mit Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes eingehen6.
1 Übernahmeangebot ACS/Hochtief AG vom 1.12.2010, S. 45 f.; dazu BaFin-Jahresbericht 2010, S. 222 f.; ausführlich Seibt, CFL 2011, 213, 230. 2 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465. 3 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 40. 4 LG Frankfurt a.M. v. 25.9.2000 – 3/1 O 129/00, WM 2000, 2159; OLG Frankfurt a.M. v. 12.12.2000 – 5 U 146/00, WM 2001, 206 = AG 2001, 268; aus der Literatur statt aller Schlitt/ Seiler, ZHR 166 (2002), 544. 5 Zur vorherigen Regelung im FGG: Marsch-Barner, Referat 63. Juristentag 2000, S. O 55, O 61; Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 565; Schmid, ZIP 1998, 1057. 6 A.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 40.
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Finanzierung des Angebots
c) Bedingte Kapitalerhöhung 72
Die als Gegenleistung benötigten neuen Aktien können auch aus bedingtem Kapital geschaffen werden1. Die Zweckvorgabe der Vorbereitung eines Unternehmenszusammenschlusses (§ 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG) ist nämlich auch dann erfüllt, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen rechtlich selbständig bleiben bzw. nicht gesichert ist, ob der Zusammenschluss durchgeführt werden kann2. Ob der Begriff des Unternehmenszusammenschlusses im Sinne des § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG ein Angebot zum Erwerb sämtlicher Aktien der Zielgesellschaft voraussetzt (mit der Konsequenz, dass bedingtes Kapital für bestimmte Erwerbsangebote nicht eingesetzt werden könnte)3, ist nicht gesichert.
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Der Bieter hat seine Erfüllungsfähigkeit sichergestellt, wenn der Vorstand bei Fälligkeit der geschuldeten Gegenleistung Bezugsaktien in ausreichender Zahl ausgeben kann. Dies setzt voraus, dass der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung gefasst worden ist, das bedingte Kapital ausreichend bemessen ist und die Ausgabe der Bezugsaktien den im Hauptversammlungsbeschluss festgesetzten Zweck erfüllt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das bedingte Kapital auf höchstens die Hälfte des Grundkapitals begrenzt ist (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG).
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Gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG müssen die Zielgesellschaft und die Art des Zusammenschlusses bereits im Beschluss der Hauptversammlung über die bedingte Kapitalerhöhung benannt sein4. Demnach kann die Hauptversammlung erst dann einberufen werden, wenn die Entscheidung zur Abgabe des Angebots getroffen und gemäß § 10 veröffentlicht worden ist. Gegenüber einer regulären Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen ergibt sich somit kein zeitlicher Vorteil5. Wie bei der regulären Kapitalerhöhung bestehen das Beschlussfassungsrisiko und das Anfechtungsrisiko. Nach zutreffender Auffassung darf der Bieter das Anfechtungsrisiko eingehen und das Angebot unter eine entsprechende Bedingung stellen (siehe oben Rz. 46). d) Wertpapierleihe
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Der Bieter kann den Aktionären der Zielgesellschaft auch bereits existierende, börsenzugelassene Aktien anbieten, die ihm ein Großaktionär im Wege der Wertpapierleihe zur Verfügung gestellt hat. Weil der Wertpapierleihe kein Leihvertrag (§ 598 BGB), sondern ein Sachdarlehensvertrag (§ 607 BGB) zugrunde liegt, der Bieter die entliehenen Aktien also zu Eigentum erwirbt6, und weil der Bieter eigene Aktien nur in Höhe von bis zu 10 % des Grundkapitals halten darf (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG), müsste neben dem Bieter eine Zweckgesellschaft auftreten, die die Leihaktien zum Tausch in Aktien der Zielgesellschaft anbietet7. Die Zweckgesellschaft erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Bieters aber nur dann, wenn sie weder vom Bieter abhängig ist noch im Mehrheitsbesitz des Bieters steht und die Leihaktien nicht für Rechnung des Bieters erwirbt (vgl. § 71d Satz 1 und 2 AktG). 1 Vgl. Erwerbsangebot media[netCom] AG/Internolix AG vom 2.7.2002 (Hauptversammlung am 28.5.2002). 2 Krieger in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 5; Lutter in KölnKomm. AktG, § 192 Rz. 13 f. 3 So Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 30. 4 Hüffer, § 193 AktG Rz. 5; Lutter in KölnKomm. AktG, § 193 Rz. 8. 5 Zutr. Lutter in KölnKomm. AktG, § 192 Rz. 11; Frey in Großkomm. AktG, § 192 Rz. 86. 6 Schwintowski, Bankrecht 3. Aufl. 2011, § 13 Rz. 431; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 14.104. 7 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 8.
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Der Bieter ist erfüllungsfähig, wenn ihm bzw. der Zweckgesellschaft die erforderli- 76 che Zahl der Leihaktien bei Fälligkeit der Gegenleistung zur Verfügung steht. Die Erfüllungsfähigkeit ist sichergestellt, wenn bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage die Vereinbarung über die Wertpapierleihe geschlossen worden ist und der Entleiher so auf sie zugreifen kann, dass sie bei Fälligkeit der Gegenleistung in seinem Bestand sind. Die BaFin stellt an die Sicherheit dieses Zugriffs hohe Anforderungen. Sie sieht die Finanzierung des Angebots nicht als sichergestellt an, wenn die Leihaktien nicht bereits bei Veröffentlichung des Angebots bereitstehen. Im Fall des Übernahmeangebots ACS/Hochtief hielt sie die angekündigte, aber noch nicht erfolgte Beschaffung der als Gegenleistung vorgesehenen ACS-Aktien durch ein Wertpapierdarlehen für nicht ausreichend, weil die Beschaffung der Aktien die Mitwirkung privater Dritter erforderte und – anders als bei der Schaffung der Tauschaktien durch Kapitalerhöhung, bei der das Entstehen der Tauschaktien nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss nur noch von Maßnahmen des Bieters und der Eintragung ins Handelsregister abhängt – keine vergleichbare Sicherheit bot1. e) Wertpapiere eines Dritten Auch Wertpapiere eines Dritten können als Gegenleistung angeboten werden. Fun- 77 giert eine Zweckgesellschaft als Bieter, kommen Aktien der Muttergesellschaft in Betracht. Auch Aktien einer unabhängigen Zweckgesellschaft sind als Gegenleistung denkbar. Diese Gestaltung kann bei einer größeren Übernahme zum Einsatz kommen, wenn die erforderlichen neuen Aktien nur durch eine reguläre Sachkapitalerhöhung generiert werden können. Dem damit verbundenen Anfechtungsrisiko kann der Bieter ausweichen, indem die Zweckgesellschaft absprachegemäß zwei parallele Tauschangebote abgibt – eines für die Aktionäre der Zielgesellschaft und eines für die Aktionäre des Bieters. In einem zweiten Schritt werden der Bieter und die Zielgesellschaft auf die Zweckgesellschaft verschmolzen2. Werden bereits bestehende Aktien als Gegenleistung angeboten, muss der Bieter die 78 erforderlichen Vereinbarungen getroffen haben, um bei Fälligkeit auf diese Aktien zugreifen zu können (siehe oben Rz. 76). Müssen die Aktien erst durch eine Kapitalerhöhung geschaffen werden, müssen die Maßnahmen ergriffen worden sein, die bei ungestörtem Geschehensablauf in die Bereitstellung der Aktien bei Fälligkeit münden; außerdem müssen die vorhersehbaren Risiken, soweit möglich und zumutbar, eliminiert sein. Folglich muss das Beschlussfassungsrisiko bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage eliminiert sein; die Eliminierung des Anfechtungsrisikos ist hingegen nicht erforderlich (siehe oben Rz. 46). f) Liquide, zum Börsenhandel zugelassene Aktien Bei Übernahme- und Pflichtangeboten müssen die als Gegenleistung angebotenen 79 Aktien liquide und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sein (§ 31 Abs. 2). Die Verpflichtung des Bieters zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit erstreckt sich auch auf diese Merkmale der Gegenleistung3; die Aktien müssen allerdings erst im Zeitpunkt ihrer Übereignung an die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft liquide und zum Börsenhandel zugelassen sein (siehe § 31 Rz. 50 und 54). 1 BaFin-Jahresbericht 2010, S. 222. 2 Siehe hierzu Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209, 1217 f.; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 30 ff. 3 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 43.
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Wenn die Gattung der als Gegenleistung angebotenen Aktien bei Beginn der Annahmefrist nicht liquide ist (etwa Aktien einer Zweckgesellschaft), kann die Liquidität der Gattung bei Abwicklung durch eine entsprechende Akzeptanzschwelle sichergestellt werden – vorausgesetzt, dass in den Aktien der Zielgesellschaft ein nicht ganz unerheblicher Börsenhandel stattgefunden hat1. Wenn die als Gegenleistung angebotenen Aktien bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage noch nicht zum Börsenhandel zugelassen sind, dürfen der rechtzeitigen Zulassung keine Hindernisse entgegenstehen. Bei Aktien, die noch nicht zur Entstehung gelangt sind, ist dies etwa dann der Fall, wenn die Zulassungsstelle in Aussicht gestellt hat, dass die Aktien mit ihrer Entstehung zugelassen werden können2. 4. Qualifiziertes Nichtannahmeversprechen 79a Die BaFin hat in ihrer neueren Verwaltungspraxis qualifizierte Nichtannahmeversprechen (Non Tender Agreements) zwischen dem Bieter und einzelnen Aktionären der Zielgesellschaft als Finanzierungsmaßnahme angesehen, die die Anforderungen des § 13 Abs. 1 an die Sicherstellung der Finanzierung des Angebots erfüllt3. Hierzu muss die Nichtannahmevereinbarung ein Vertragsstrafeversprechen des Aktionärs für den Fall enthalten, dass der sich über sein Nichtannahmeversprechen hinwegsetzt. Die Vertragsstrafe je Aktie muss der Höhe der im Angebot vorgesehenen Gegenleistung entsprechen. Außerdem muss dem Bieter das Recht eingeräumt sein, mit dem Anspruch auf Vertragsstrafe gegen den Anspruch des Aktionärs auf Zahlung der Gegenleistung aufzurechnen, sobald die Gegenleistung für die eingereichten Aktien fällig wird4. Zwar ist die Aufrechnung nicht möglich, wenn der betreffende Aktionär seine Aktien vertragswidrig an einen Dritten veräußert und dieser die Aktien in das Angebot einreicht5. Dieser Situation wird aber dadurch begegnet, dass die Vertragsstrafe auch bei Veräußerung der Aktien an einen Dritten fällig wird. Zusätzlich wird die Bank, die die Finanzierungsbestätigung ausstellt, darauf drängen, dass der Bieter, der betreffende Aktionär und seine Depotbank eine Depotsperrvereinbarung mit ihr abschließen, um sicherzustellen, dass die Aktien ohne ihre Zustimmung nicht in das Angebot des Bieters eingeliefert oder an einen Dritten veräußert werden6. Eine reine Depotsperrvereinbarung ohne Vertragsstrafeversprechen und Aufrechnungsvereinbarung dürfte für die Sicherstellung der Finanzierung des Angebots nicht ausreichen.
1 Krause, NJW 2002, 705, 710; Krause, ZGR 2002, 500, 515 f. 2 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 43. 3 Seibt, CFL 2011, 213, 230; Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 291; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 108; im Ergebnis auch Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 405; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 746. 4 Kiesewetter/Kiefner, CFL 2011, 284, 291; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 405; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 746. 5 Hierzu Cascante/Tyrolt, AG 2011, 97, 108; Mayer-Uellner, AG 2012, 399, 405; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 746. 6 Vgl. Übernahmeangebot Pelikan/Herlitz AG vom 11.1.2010, S. 31; Übernahmeangebot Neckarpri GmbH/EnBW Energie Baden-Württemberg AG vom 6.1.2011, S. 27 f.; Übernahmeangebot CROSS Informatik GmbH/All for One Midmarket AG vom 16.3.2011, S. 38; Übernahmeangebot Asklepios Kliniken GmbH/MEDICLIN AG vom 23.3.2011, S. 38; Pflichtangebot Clariant Verwaltungsgesellschaft mbH/Süd-Chemie AG vom 16.5.2011, S. 40 f.; Übernahmeangebot Lenovo Germany Holding GmbH/Medion AG vom 27.6.2011, S. 40 f.; Übernahmeangebot Victorian Fibre Holding GmbH/Versatel AG vom 27.6.2011, S. 32.
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C. Finanzierungsbestätigung (§ 13 Abs. 1 Satz 2) I. Allgemeines Sieht das Angebot als Gegenleistung eine Geldleistung vor, hat ein vom Bieter un- 80 abhängiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen schriftlich zu bestätigen, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung zur Verfügung stehen. Diese Finanzierungsbestätigung ist der Angebotsunterlage als Anlage beizufügen (zu Einzelheiten siehe unten Rz. 99 f.). Die Finanzierungsbestätigung dient primär dem Schutz der Integrität des Kapital- 81 marktes. Sie soll die bestmögliche Gewähr dafür bieten, dass nur seriöse Angebote an den Markt gelangen. Die Ordnungsmäßigkeit der Finanzierung ist hierfür ein entscheidender Parameter1. Davon, dass unseriöse Angebote vom Markt ferngehalten werden, profitieren die Zielgesellschaft und vor allem die Wertpapierinhaber, die mit dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen einen weiteren Schuldner erhalten. Die Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens auf das positive Interesse erscheint zur Verwirklichung des Präventionszwecks durchaus weitreichend (siehe oben Rz. 12). Eine Finanzierungsbestätigung, die den gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Wort- 82 laut verwendet, ist keine Garantie2, sondern eine Wissenserklärung über Tatsachen – hier die vom Bieter getroffenen Finanzierungsmaßnahmen3. Für die Richtigkeit dieser Auskunft muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen unter den Voraussetzungen § 13 Abs. 2 und 3, § 12 Abs. 2 und 3 einstehen. Hiernach haftet es für das Bereitstehen der Gegenleistung bei Fälligkeit nur, wenn die Finanzierungsbestätigung im Zeitpunkt ihrer Ausstellung unrichtig war4 und dies auf ein Verschulden des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zurückzuführen ist. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 nicht ver- 83 pflichtet, eine Garantie für das Bereitstehen der erforderlichen Geldmittel oder ein abstraktes Schuldversprechen für die Erbringung der Gegenleistung abzugeben. Der Wortlaut der Vorschrift5, ihre Entstehung (insbesondere die Überlegung, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht das Insolvenzrisiko des Bieter tragen sollte, siehe oben Rz. 10) und die Systematik der §§ 12, 13 (insbesondere die Exkulpationsmöglichkeit gemäß § 12 Abs. 2) sprechen dagegen. Auch der Schutzzweck des 1 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1159. 2 So aber z.B. Oechsler, NZG 2001, 817, 826 („Garantieerklärung“); Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 7 („… übernimmt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Verantwortung dafür, dass die von dem Bieter getroffenen Maßnahmen tatsächlich dazu führen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung seines Angebots erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stehen“); a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 33 („keine Garantiehaftung“). 3 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1161; Berrar, ZBB 2002, 174, 180; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 59; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 854; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1113; ähnlich Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 64 (Kapitalmarktinformation); Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 103 (Kapitalmarktinformation mit Garantieelementen). 4 Ähnlich die (allerdings verschuldensunabhängige) Haftung für die Einzahlungsbestätigung gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 und 4 AktG. 5 Anders noch § 13 Abs. 1 RefE.
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§ 13 Abs. 1 erfordert keine Übernahme einer Garantiehaftung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen; der Grund seiner Haftung ist nicht, dass dem Bieter die erforderlichen Geldmittel nicht zur Verfügung stehen, sondern dass sie ihm wegen unzureichender Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen.
II. Geldleistung 1. Umfang 84
Die Finanzierungsbestätigung ist erforderlich „für den Fall, dass“ das Angebot die Zahlung einer Geldleistung vorsieht. Bei zutreffender, insbesondere auf die Entstehung der Vorschrift gestützter Auslegung ist diese Formulierung als „soweit“ zu lesen. Demnach ist bei Angeboten, die eine gemischte Gegenleistung vorsehen, eine Finanzierungsbestätigung nur in Höhe der angebotenen Geldleistung erforderlich1. Ob als Gegenleistung angebotene Contingent Value Rights, die bei entsprechender Wertentwicklung einen Anspruch auf eine Geldleistung vorsehen, von der Finanzierungsbestätigung umfasst sein müssen, ist offen2.
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Die Finanzierungsbestätigung ist nur für die zur Finanzierung der Gegenleistung erforderlichen Geldmittel beizubringen. Sie muss sich nicht auf Geldmittel beziehen, die der Bieter aus anderen Gründen benötigt, um zur Durchführung des Übernahmeangebots in der Lage zu sein (etwa Mittel zur Refinanzierung der Zielgesellschaft), denn diese gehören nicht zu den zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mitteln (siehe oben Rz. 20). 2. Änderung des Angebots
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Die Finanzierungsbestätigung bezieht sich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Ausstellung. Sie braucht mögliche Änderungen des Angebots, insbesondere die mögliche Erhöhung der Gegenleistung, nicht zu berücksichtigen. Wenn der Bieter das Angebot ändert, ist eine (weitere) Finanzierungsbestätigung erforderlich; sie ist zusammen mit der Änderung des Angebots zu veröffentlichen. Die weitere Finanzierungsbestätigung kann den Differenzbetrag zum bisher geschuldeten Geldbetrag abdecken und neben eine bereits bestehende Finanzierungsbestätigung treten; sie kann aber auch den Gesamtbetrag der geschuldeten Geldleistung umfassen und eine bereits ausgestellte Finanzierungsbestätigung ablösen.
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Erhöht sich die Gegenleistung eines Übernahme- oder Pflichtangebots kraft Gesetzes (§ 31 Abs. 4), ist eine Finanzierungsbestätigung über den Differenzbetrag nach zutreffender Ansicht nicht erforderlich (näher oben in Rz. 24 f.).
87a Sieht das Angebot aufgrund einer Earn-out-Regelung im Vorerwerb eine Preisanpassung nach oben vor (siehe hierzu Rz. 26a und § 4 WpÜG-AngVO Rz. 18a), muss die maximale Höhe des möglichen Nachzahlungsanspruchs nach der Verwaltungspraxis der BaFin von der Finanzierungsbestätigung gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 umfasst sein3. 1 Zutreffend Berrar, ZBB 2002, 174, 176; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 7; MarschBarner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 44; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 841 f. 2 Dafür Sustmann, CFL 2011, 381, 393 (§ 13 Abs. 1 Satz 2 analog); dagegen Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 742 f. 3 Vgl. Pflichtangebot Mesago Holding GmbH/CNV Vermögensverwaltung AG vom 9.8.2004, S. 19 f.; Pflichtangebot Augur Financial Holding Zwei GmbH & Co. KG/Schnigge Wertpapierhandelsbank AG vom 5.2.2008, S. 28; dazu Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 742.
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III. Aussteller der Bestätigung Die Finanzierungsbestätigung ist von einem vom Bieter unabhängigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen abzugeben. Bei einem fremdfinanzierten Angebot kann dies das Kreditinstitut sein, das die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt. Dass die Finanzierungsbestätigung von einem an der Finanzierung nicht beteiligten Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausgestellt wird, ist ebenfalls möglich1.
88
1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen Der Begriff des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ist im WpÜG nicht definiert. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist auf die Legaldefinition des § 2 Abs. 4 WpHG zurückzugreifen2. Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind hiernach Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute mit Sitz im Inland (§ 1 Abs. 1 und 1a KWG) und entsprechende Institute mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, die berechtigt sind, ohne erneute Zulassung im Inland durch Zweigniederlassungen oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs tätig zu sein (§ 53b KWG)3. Es muss hinzukommen, dass die Wertpapierdienstleistungen gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, erbracht werden.
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US-amerikanische oder schweizerische Banken scheinen demnach zur Abgabe einer 90 Finanzierungsbestätigung nicht berechtigt zu sein4. Richtigerweise ist zu unterscheiden: § 2 Abs. 4 WpHG definiert als Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch nach § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG tätige Unternehmen, die Wertpapierdienstleistungen erbringen. Dies sind Institute mit Sitz in Drittstaaten, die in einer inländischen Zweigstelle Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen5. Eine derartige Zweigstelle gilt als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut (§ 53 Abs. 1 Satz 1 KWG) und unterliegt der Aufsicht der BaFin (§ 53 Abs. 2 KWG). Der vom Gesetzgeber angestrebte möglichst hohe Überwachungsstandard über den Aussteller der Finanzierungsbestätigung6 wäre jedenfalls dann gewährleistet, wenn die Finanzierungsbestätigung von einer inländischen Zweigstelle des ausländischen Instituts, d.h. unter der Verantwortung der im Inland ansässigen, als Geschäftsleiter geltenden Personen, erteilt wird7. 2. Unabhängigkeit vom Bieter Das Merkmal der Unabhängigkeit soll die Prüfung der Erfüllungsfähigkeit durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verobjektivieren und insbesondere die Ge-
1 So etwa beim Übernahmeangebot RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG vom 19.6.2002. Dies entspricht der Praxis im Vereinigten Königreich. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 4 So Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 71 f.; krit. Berrar, ZBB 2002, 174, 176; Singhof/ Weber, WM 2002, 1158, 1160. 5 Ähnlich noch § 15 DiskE („… oder ein aufgrund einer Rechtsverordnung gemäß § 53c KWG gleich- oder freigestelltes Unternehmen …“). 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 7 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 72; MarschBarner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 45; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 843; zu eng Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 95; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 25.
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fahr der Ausstellung von Gefälligkeitsbestätigungen verhindern1. Der Gesetzgeber hielt diese Gefahr beim Bestehen einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen Bieter und Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder einer faktischen Einflussnahme des Bieters auf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen für gegeben2. Das Merkmal der Unabhängigkeit hat also eine sachliche und eine persönliche Komponente3. a) Gesellschaftsrechtliche Verbindung 92
Welche Art der gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen dem Bieter und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Folge hat, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht mehr „unabhängig“ ist, ist ungeklärt. Dass dies bereits bei jeder gesellschaftsrechtlichen Verbindung (also auch dem Halten einer einzigen Aktie4) der Fall ist5, erscheint zu weitgehend, da Gefälligkeitsbestätigungen wegen einer unbedeutenden Beteiligung nicht zu befürchten sind. Wenn dagegen die abstrakte Gefahr der Erteilung einer Gefälligkeitsbestätigung besteht, sollte das Wertpapierdienstleistungsunternehmen von der Ausstellung der Bescheinigung ausgeschlossen sein.
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Hiernach ist eine Tochtergesellschaft des Bieters an der Abgabe der Finanzierungsbestätigung gehindert6. Weil der Bieter beherrschenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft ausüben kann, ist die Gefahr einer Gefälligkeitsbestätigung nicht auszuschließen.
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Ob die Muttergesellschaft des Bieters die Finanzierungsbestätigung abgeben kann, ist umstritten. Teilweise wird dies für zulässig gehalten, weil nur i.S.d. § 17 AktG abhängige Unternehmen an der Abgabe einer Finanzierungsbestätigung gehindert seien7. Diese Begründung ist jedoch wenig überzeugend. Sie unterstellt, dass die Unabhängigkeit i.S.d. § 13 und die Abhängigkeit gemäß § 17 AktG ein Gegensatzpaar bilden – dies ist aber keinesfalls zwingend. Außerdem lässt sie außer acht, dass der Aussteller der Finanzierungsbestätigung ein nicht ganz unwesentliches Eigeninteresse am Erfolg des Angebots hat, wenn er am Bieter erheblich beteiligt ist8. Je stärker dieses Eigeninteresse ist, desto eher kann es das Haftungsrisiko aus der Finanzierungsbestätigung aufwiegen und die Abgabe einer Gefälligkeitsbestätigung zur Folge haben9. Schließlich wäre durch die Abgabe einer Finanzierungsbestätigung für eine
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Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. Zschocke, DB 2002, 79, 80. So in der Tat § 319 Abs. 2 Nr. 1 HGB für die Auswahl des Abschlussprüfers. Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 282; im Ansatz auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 6. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 28; Berrar, ZBB, 2002, 174, 176; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 76; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 6; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 46; im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 21. Berrar, ZBB 2002, 174, 176; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 76; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 46. So auch Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 845; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 282. Ebenso Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 282; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 9; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 28 (auf die erweiterte Definition der gemeinsam handelnden Personen (§ 2 Abs. 5 Satz 3) abstellend).
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§ 13
Finanzierung des Angebots
Tochtergesellschaft eine Umgehung der in § 13 Abs. 1 Satz 2 statuierten Verpflichtung möglich1. Hiernach sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Muttergesellschaft des Bieters die Finanzierungsbestätigung nicht abgeben kann2. Ab welcher Beteiligung das Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Muttergesellschaft des Bieters gilt, ist nicht geklärt. Wenn es dem Gesetzgeber darauf ankam, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Erfüllungsfähigkeit des Bieters wie ein fremder Dritter prüft, erscheint dies jedenfalls dann nicht gewährleistet, wenn der Bieter und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verbundene Unternehmen i.S.d. § 15 AktG sind. Folglich wäre ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen an der Ausstellung einer Finanzierungsbestätigung gehindert, wenn es am Bieter mehrheitlich beteiligt ist (§ 16 AktG), auf den Bieter unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 17 AktG) oder in sonstiger Weise mit dem Bieter i.S.d. § 15 AktG verbunden ist3. Ob eine Schwestergesellschaft des Bieters die Finanzierungsbestätigung abgeben 95 kann, ist nach den gleichen Grundsätzen zu bestimmen. Ist sie ein mit dem Bieter i.S.d. § 15 AktG verbundenes Unternehmen, etwa weil der Bieter auf sie beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 17 AktG) oder mit ihr unter der einheitlichen Leitung eines weiteren Unternehmens zusammengefasst ist (§ 18 AktG), ist die Schwestergesellschaft an der Ausstellung der Finanzierungsbestätigung gehindert4. b) Persönliche Verflechtungen Die Unabhängigkeit des Finanzdienstleistungsinstituts vom Bieter kann auch wegen 96 persönlicher Verflechtungen in Frage stehen. Wenn der Vorstand des Bieters und der Vorstand des Finanzdienstleistungsunternehmens personenidentisch sind, leuchtet dies unmittelbar ein. Dass ein Vorstandsmitglied oder leitender Angestellter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gleichzeitig Mitglied des Aufsichtsrats des Bieters ist, stellt die Unabhängigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens jedoch nicht in Frage, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten5. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass ein Mitglied des Vorstands oder leitender Angestellter des Bieters Mitglied des Aufsichtsrats des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ist6. Der Abgabe einer Finanzierungsbestätigung für den Bieter steht ebenfalls nicht entgegen, dass ein Organmitglied oder leitender Angestellter des Wertpapierdienst-
1 Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das ein Übernahmeangebot abgeben will, könnte die Finanzierungsbestätigung für sich selbst nicht ausstellen. Es wäre nach dieser Auffassung aber nicht dran gehindert, eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft als Bieter auftreten zu lassen und für diese die Finanzierungsbestätigung auszustellen. 2 Im Ergebnis Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160. 3 Insoweit zutreffend Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 99. 4 Ähnlich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 6. Stets unzulässig: Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 29; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 76; Vogel, ZIP 2002, 1421, 1425; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 844. Stets zulässig: Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 14; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 46. Differenzierend Berrar, ZBB 2002, 174, 176 (Einzelfallprüfung, ob zwischen den Schwestergesellschaften mittelbare Abhängigkeit besteht). 5 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 30; MarschBarner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 48; ebenso Oechsler, NZG 2001, 817, 824 (aber mit rechtspolitischer Kritik); a.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 78. 6 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160.
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leistungsunternehmens dem Aufsichtsrat der Zielgesellschaft angehört1. Auch wenn man dies kritisieren mag2, ist dies keine Frage des § 13 Abs. 1 Satz 2. Das Merkmal der Unabhängigkeit soll unzulässige Gefälligkeiten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gegenüber dem Bieter verhindern. Pflichtenkollisionen infolge der Mitwirkung bzw. Organzugehörigkeit auf Seiten des Bieters einerseits und der Zielgesellschaft andererseits sind nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen3 zu lösen. c) Geschäftliche Verbindungen 98
Nach der Begründung des Regierungsentwurfs ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht schon deswegen von der Ausstellung der Finanzierungsbestätigung ausgeschlossen, weil es den Bieter bei der Vorbereitung und Durchführung des Angebots berät4. Dies ist sachgerecht, weil das Wertpapierdienstleistungsunternehmen schon wegen der Haftung gemäß § 13 Abs. 3, § 12 Abs. 2 kaum zur Erteilung einer Gefälligkeitsbestätigung bereit sein wird. Für Unternehmen, die mit dem Bieter in Geschäftsverbindung stehen (etwa seine Hausbank) oder allein oder zusammen mit anderen Kreditinstituten das Übernahmeangebot finanzieren, gelten dieselben Erwägungen5.
IV. Form und Inhalt der Bestätigung 1. Form 99
Die Finanzierungsbestätigung muss gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 schriftlich abgegeben werden. Die Schriftform erfordert die Unterzeichnung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Im Übrigen gilt § 126 BGB.
100 Üblicherweise ist die Finanzierungsbestätigung ein vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen an den Bieter adressiertes Schreiben. In der Praxis wird sie nicht, wie § 11 Abs. 2 Satz 1 und 3 Nr. 4 zu fordern scheint, im Text der Angebotsunterlage abgedruckt, sondern der Angebotsunterlage als Anlage beigefügt6. Durch die optische Trennung der Dokumente, die die Haftung des Bieters (§ 12) bzw. des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (§ 13) begründen können, werden die Verständlichkeit und die Auswertung der Angebotsunterlage erleichtert (§ 11 Abs. 1 Satz 3). 2. Inhalt 101 In der Finanzierungsbestätigung sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 Firma, Sitz und Rechtsform des ausstellenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens anzugeben. 1 Hopt, ZGR 2002, 333, 365 ff.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 48; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 845. 2 Oechsler, NZG 2001, 817, 824. 3 Ulmer, NJW 1980, 1603, 1607; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 246; Deckert, DZWiR 1996, 406, 409 f.; Heermann, WM 1997, 1689, 1693; Singhof, AG 1998, 318, 324 f.; Herkenroth, AG 2001, 33, 36; Hopt, ZGR 2002, 333, 371 f. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 5 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 47; wohl a.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 79; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 6. 6 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364. Allerdings wird der Inhalt der Finanzierungsbestätigung im Text der Angebotsunterlage üblicherweise nach der Darstellung der vom Bieter ergriffenen Finanzierungsmaßnahmen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Alt. 1.) referiert.
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Die materielle Aussage der Finanzierungsbestätigung hat dem Wortlaut des § 13 102 Abs. 1 Satz 2 zu entsprechen. Demnach ist der Wortlaut „Hiermit bestätigen wir, dass (Name des Bieters, Sitz) die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots in der Fassung vom (Datum) notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung zur Verfügung stehen“ notwendig, aber auch hinreichend1. Weitere Angaben, etwa die Erläuterung der Finanzierungsstruktur und der vom Bieter im Einzelnen getroffenen Maßnahmen, sind nicht erforderlich. Diese Angaben hat der Bieter schon gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Alt. 1 in der Angebotsunterlage zu machen. In der Finanzierungsbestätigung sind derartige weitere Angaben unschädlich, solange sie keine Vorbehalte oder Einschränkungen enthalten (hierzu sogleich in Rz. 103) und die Verständlichkeit der Finanzierungsbestätigung nicht beeinträchtigen (§ 11 Abs. 1 Satz 3). Dass die Finanzierungsbestätigung die vom Bieter getroffenen Finanzierungsmaßnahmen mitteilt, hält die BaFin für missverständlich. Demgemäß hat sich bislang keine Finanzierungsbestätigung darüber verhalten, welche „notwendigen Maßnahmen“ der Bieter getroffen hatte. Die Finanzierungsbestätigung darf keine Vorbehalte, Bedingungen oder Einschränkungen enthalten2. Eine entsprechende Klarstellung in der Begründung des Referentenentwurfs3 fand sich zwar in der Begründung des Regierungsentwurfs nicht mehr wieder4; dies sollte jedoch nicht überinterpretiert werden. Vereinzelt wird angenommen, dass Vorbehalte, die zulässige Bedingungen i.S.d. § 18 Abs. 1 darstellen und im Angebot selbst enthalten sind, auch in der Finanzierungsbestätigung zulässig seien5. Diese Verdoppelung der Bedingungen ist jedoch nicht erforderlich: Wenn die Bedingung eintritt, wird schon der Erfüllungsanspruch gegen den Bieter niemals fällig. Folglich droht auch kein Schadensersatzanspruch gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen aus § 13 Abs. 26.
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Klarstellende Zusätze sind demgegenüber zulässig, etwa die Aussage, das Wertpa- 104 pierdienstleistungsunternehmen sei mit der Aufnahme der Finanzierungsbestätigung in die Angebotsunterlage einverstanden. Den klarstellenden Zusatz, dass der Bieter oder Dritte (d.h. insbesondere die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft) aus der Finanzierungsbestätigung keine vertraglichen Ansprüche gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen herleiten können, während gesetzliche Ansprüche (insbesondere Ansprüche gemäß § 13 Abs. 2) unberührt bleiben, hält die BaFin (durchaus fragwürdig) für verwirrend und daher für unzulässig. Als Wissenserklärung über Tatsachen kann sich die Finanzierungsbestätigung nur 105 auf solche Tatsachen beziehen, die dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zum Zeitpunkt der Ausstellung bekannt sind7. Eine „Blankettbestätigung“, die auch in 1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 102; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 51; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1161. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 17; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 104; Berrar, ZBB 2002, 174, 178; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 52; Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 282 f.; a.A. Aha, AG 2002, 160, 165 Fn. 51 („unklar“). 3 So noch ausdrücklich Begr. RefE, S. 107 – „Zusätze, die den Charakter einer Einschränkung der Bestätigung haben (z.B. Vorbehaltszusätze), sind unzulässig“. 4 Kritisch daher DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1004. 5 Busch, AG 2002, 145, 147. 6 Zutreffend Berrar, ZBB 2002, 174, 178. So auch Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 52; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 104. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 55; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 105.
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Bezug auf die mögliche nachträgliche Erhöhung der Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1) oder etwaige Nachbesserungsansprüche (§ 31 Abs. 4) bestätigt, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit getroffen hat, ist nicht erforderlich. Die Finanzierungsbestätigung sollte daher entsprechend sorgfältig formuliert werden. 106 Die Finanzierungsbestätigung ist zu datieren. Häufig ist das Ausstellungsdatum mit dem Datum der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin identisch. Eine Verpflichtung, die Finanzierungsbestätigung bei Beginn der Annahmefrist noch einmal neu abzugeben und entsprechend zu datieren, besteht nicht.
V. Verhältnis zu § 27a WpHG 106a
Durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 12.8.20081 wurden die Mitteilungspflichten für Inhaber wesentlicher Beteiligungen erweitert. Unter anderem wurde die Vorschrift des § 27a WpHG eingeführt. Gemäß § 27a Abs. 1 Satz 4 WpHG muss ein Aktionär, der die Schwelle von 10 % der Stimmrechte aus Aktien oder eine höhere Schwelle an einer börsennotierten Gesellschaft überschreitet, angeben, ob er den Beteiligungserwerb mit Eigen- oder Fremdmitteln finanziert2. Allerdings stellt § § 27a Abs. 1 Satz 4 WpHG klar, dass eine Mitteilungspflicht nicht gegeben ist, wenn der Schwellenwert auf Grund eines öffentlichen Angebots i.S.d. § 2 Abs. 1 erreicht oder überschritten wird. Somit wird eine Doppelung öffentlicher Wissenserklärung über dieselben Tatsachen vermieden.
D. Rechtsfolgen (§ 13 Abs. 2 und 3) I. Verletzung von § 13 Abs. 1 Satz 1 107 Die Rechtsfolgen der Verletzung des § 13 Abs. 1 Satz 1 sind in § 13 nicht geregelt. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 hat die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu untersagen, wenn es offensichtlich ist, dass die vom Bieter getroffenen und gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 in der Angebotsunterlage angegebenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erfüllungsfähigkeit des Bieters bei Fälligkeit der Gegenleistung sicherzustellen. 108 Stehen dem Bieter die erforderlichen Mittel bei Fälligkeit der Gegenleistung nicht zur Verfügung, können die Wertpapierinhaber vom Bieter aus den zustande gekommenen Kauf- bzw. Tauschverträgen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen (§ 280 BGB). Wenn die Angebotsunterlage unrichtig ist, weil die dort aufgeführten Maßnahmen gar nicht getroffen worden sind oder die getroffenen Maßnahmen die Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 nicht erfüllen, kommen Schadensersatzansprüche gegen den Bieter (und andere Beteiligte) gemäß § 12 Abs. 1 in Betracht3. Zum Verhältnis dieser Ansprüche zu Ansprüchen gemäß § 13 Abs. 2 siehe unten Rz. 131.
1 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz), BGBl. I 2008, 1666. 2 Hierzu Fleischer, AG 2008, 873, 876 ff.; Korff, AG 2008, 692, 696 ff.; Pluskat, NZG 2009, 206, 207 ff.; Querfurth, WM 2008, 1957, 1957 ff. 3 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 14; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 66.
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II. Verletzung von § 13 Abs. 1 Satz 2 Wer das Angebot des Bieters angenommen hat, kann gemäß § 13 Abs. 2 von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen Schadensersatz verlangen, wenn der Bieter die gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 notwendigen Maßnahmen nicht getroffen hat und ihm aus diesem Grunde bei Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stehen.
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1. Haftungsvoraussetzungen a) Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Der Schadensersatzanspruch setzt zunächst voraus, dass der Bieter die gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 notwendigen Maßnahmen nicht getroffen hat. Mit der Bezugnahme auf Satz 2 (statt auf Satz 1) sind offensichtlich die zur Sicherstellung einer Geldleistung notwendigen Maßnahmen gemeint.
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Weiterhin setzt der Anspruch voraus, dass dem Bieter bei Fälligkeit des Anspruchs 111 auf die Geldleistung die hierfür notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stehen. Anders als bei Ansprüchen gemäß § 12 wird nicht auf die Fehlerhaftigkeit der Finanzierungsbestätigung, sondern auf das Scheitern der Finanzierung abgestellt. Weil die Fehlerhaftigkeit der Finanzierungsbestätigung damit nur eine indirekte Haftungsvoraussetzung ist, spielt es keine Rolle, ob der Anspruchsteller die Finanzierungsbestätigung kannte oder nicht1. Schließlich ist erforderlich, dass zwischen diesen beiden Voraussetzungen eine kausale Verknüpfung besteht („aus diesem Grunde“). Dieses Erfordernis wurde in den Regierungsentwurf eingefügt, weil eine Garantiehaftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens für das Bereitstehen der Gegenleistung nicht beabsichtigt war (siehe oben Rz. 10). Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen haftet daher nicht allein deswegen, weil dem Bieter bei Fälligkeit der Gegenleistung die erforderlichen Mittel fehlen. Vielmehr ist erforderlich, dass das Fehlen der Mittel darauf zurückzuführen ist, dass der Bieter die zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit notwendigen Maßnahmen nicht getroffen hat2. Die Kausalität zwischen der Nichtvornahme der erforderlichen Maßnahmen und der Erfüllungsunfähigkeit ist Teil des haftungsbegründenden Tatbestands und somit vom Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen3. Die Beweislastumkehr des § 12 Abs. 3 findet insoweit keine Anwendung.
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b) Nachträgliche Veränderungen Wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bescheinigt hat, dass der Bieter die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, später jedoch die Voraussetzungen entfallen, stellt sich die Frage, ob eine Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens begründet ist. Insoweit ist zu beachten, dass die Finanzierungsbestätigung 1 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 87 f.; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 856 f. 2 Schüppen, WPg 2001, 958, 963; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1165; Berrar, ZBB 2002, 174, 181; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 91; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 60; Oechsler, NZG 2001, 817, 826; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 34; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 18; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 114 f. 3 Berrar, ZBB 2002, 174, 181; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 60.
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stichtagsbezogen ist, d.h. auf die Verhältnisse am Tag ihrer Ausstellung abstellt1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist nicht verpflichtet, die finanziellen Verhältnisse des Bieters über den Tag der Ausstellung hinaus zu überprüfen oder gar – wie etwa in § 16 WpPG für den Wertpapierprospekt während der Dauer des öffentlichen Angebots vorgesehen2 – die Finanzierungsbestätigung an Veränderungen der finanzierungsrelevanten Umstände anzupassen3. 114 Eine Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens kommt daher nur in Betracht, wenn die Finanzierungsbestätigung von Anfang an unrichtig war4. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine ausgereichte Finanzierungszusage von den finanzierenden Banken wirksam ordentlich gekündigt wird, denn mit einer Kreditzusage, die die ordentliche Kündigung nicht ausschließt, war die Finanzierung von Anfang an nicht sichergestellt (siehe oben Rz. 54). Gleiches gilt, wenn die Kreditzusage ein nach den oben Rz. 55 ff. dargestellten Grundsätzen unzulässiges Auszahlungsverbot vorsieht. 115 Dagegen haben die folgenden nachträglichen Veränderungen keine Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zur Folge: wenn der Bieter ein finanzierungsrelevantes Merkmal des Angebots (etwa die Höhe der Gegenleistung je Aktie) ändert oder er mit den finanzierenden Banken eine Aufhebung oder wesentliche Änderung des Kreditvertrags vereinbart, sofern die Finanzierungsbestätigung bei ihrer Ausstellung zutreffend war; wenn sich der Umfang der erforderlichen Mittel erhöht, weil der Bieter unabgesprochenen Parallelerwerb zu höheren Preisen tätigt5; wenn Risiken eintreten, die der Bieter eingehen durfte (etwa das Anfechtungsrisiko bei einer Barkapitalerhöhung); wenn der Bieter die Voraussetzungen eines Auszahlungsverbots, das er ausschließlich selbst herbeiführen kann (etwa durch die Veräußerung von Vermögensgegenständen, die als Kreditsicherheit vorgesehen sind), vorsätzlich herbeiführt; oder wenn die Finanzierungszusage aus wichtigem Grund gekündigt wurde und der Kündigungsgrund nach den oben Rz. 56 ff. dargestellten Grundsätzen vorgesehen werden durfte (etwa wenn beim Bieter ein Insolvenzgrund eintritt)6. 116 Erkennt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dagegen, dass die Grundlagen der Finanzierungsbestätigung von Anfang an nicht gegeben waren, muss es für den zutage getretenen Mangel an Sorgfalt einstehen, sofern ihm nicht die Exkulpation gemäß § 12 Abs. 2 gelingt. Anderenfalls bleibt nur die Korrektur der Finanzierungsbestätigung gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 3, § 13 Abs. 3 (hierzu siehe unten Rz. 121 f.). Wenn der Bieter daraufhin nicht unverzüglich eine andere Finanzierungsbestätigung vorlegt, hat die BaFin das Angebot zu untersagen (§ 4 Abs. 1 Satz 3)7.
1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 55; a.A. Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162; Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 995 (Veröffentlichung der Angebotsunterlage). 2 Zur Abgrenzung zwischen Prospektaktualisierung und -berichtigung Stephan, AG 2002, 3. 3 Assmann, AG 2002, 153, 156 f.; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1165; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 55 f.; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 851; a.A. Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 998 f. 4 Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1165; wohl a.A. Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 999. 5 Verse, ZIP 2004, 199, 205 f. 6 Offenbar a.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 93; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 56. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 57.
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2. Haftungsausschluss Gemäß § 13 Abs. 3 finden die Vorschriften des § 12 Abs. 2 bis 6 auf den Schadens- 117 ersatzanspruch gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen entsprechende Anwendung. a) Exkulpationsmöglichkeit (§ 12 Abs. 2) Anders als noch im Referentenentwurf vorgesehen1 verweist § 13 Abs. 3 auch auf 118 § 12 Abs. 2 und ermöglicht dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen damit den Entlastungsbeweis für den Fall, dass es die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben in der Angebotsunterlage über die vom Bieter getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit bzw. die Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der Finanzierungsbestätigung nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Für die Unkenntnis und das Fehlen grober Fahrlässigkeit trägt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Beweislast2. Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht 119 bewusst war, dass der Bieter die behaupteten Maßnahmen zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit nicht getroffen hat. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht gelassen hat3. Dies ist individuell unter Beachtung der Möglichkeiten und den Grenzen des Zumutbaren zu bestimmen4, die dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Vermeidung der Unrichtigkeit der Finanzierungsbestätigung zumutbar zur Verfügung gestanden hätten5. Regelmäßig hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch dann, wenn es an der Finanzierung nicht beteiligt ist, die Möglichkeit, sich durch eine (begrenzte) Due Diligence darüber zu informieren, ob der Bieter die zur Sicherstellung seiner Erfüllungsfähigkeit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat6. Dies setzt einerseits die Ermittlung des Finanzierungsbedarfs und andererseits die Information über die Deckung dieses Bedarfs voraus. Hierzu muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen alle maßgeblichen Vereinbarungen und Vorkehrungen kennen. Zur Bonitätsprüfung der zur Bereitstellung der Gegenleistung verpflichteten Eigen- und Fremdkapitalgeber ist es dagegen nicht verpflichtet7. Die Einzahlung der erforderlichen Mittel auf ein Sperrkonto ist nicht erforderlich. Im Einzelfall wird das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit dem Bieter eine Vereinbarung abschließen, um die Bedingungen zu definieren, die vor der Ausstellung der Finanzierungsbestätigung erfüllt sein müssen, und um weitere Verpflichtungen des Bieters festzulegen.
1 § 13 Abs. 3 RefE; hierzu krit. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424. 2 Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1258. 3 Heinrichs in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 277 BGB Rz. 5. 4 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 21; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 100. 5 Assmann, AG 2002, 153, 159 m.w.N. 6 Hierzu ausführlich Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162 ff.; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 858; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1114; eine Kontroll- und Nachforschungspflicht bejahen auch Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 21 und Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 100. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 53; Schiessl in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1107, 1114.
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120 Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen wird zu Beweiszwecken an der Dokumentation der Ergebnisse der Due Diligence interessiert sein1. Diese Dokumentation kann etwa – wie in der englischen Praxis üblich – ein Schreiben des Bieters umfassen, in dem dieser versichert, alle zur Finanzierung des Angebots erforderlichen Maßnahmen getroffen zu haben. Dies kann sich empfehlen2, ist aber nicht zwingend erforderlich3. b) Berichtigung unzutreffender Angaben (§ 12 Abs. 3 Nr. 3) 121 Ansprüche gemäß § 12 Abs. 1 bestehen nicht, wenn vor der Annahme des Angebots im Inland in einer Ad hoc-Mitteilung oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben veröffentlicht wird (§ 12 Abs. 3 Nr. 3). Für Ansprüche gemäß § 13 Abs. 2 gilt diese Vorschrift entsprechend (§ 13 Abs. 3). Dies bedeutet, dass statt „Angebotsunterlage“ „Finanzierungsbestätigung“ zu lesen ist4. Folglich kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine unzutreffende Finanzierungsbestätigung durch eine Ad hocMitteilung oder eine vergleichbare Bekanntmachung mit Wirkung ex nunc korrigieren und damit den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die Wertpapierinhaber begrenzen, die das Angebot bei Veröffentlichung der Bekanntmachung bereits angenommen haben5. Auf die Kenntnis der Wertpapierinhaber von der Korrektur kommt es nicht an6. Nach der Korrekturveröffentlichung fehlt allerdings die für die weitere Abwicklung des Angebots die erforderliche Finanzierungsbestätigung. Legt der Bieter nicht unverzüglich eine andere Finanzierungsbestätigung vor, hat die BaFin das Angebot zu untersagen (§ 4 Abs. 1 Satz 3)7. 122 Weil die Finanzierungsbestätigung stichtagsbezogen ist, besteht die Notwendigkeit der Ad hoc-Korrektur grundsätzlich nur dann, wenn die Bestätigung von vornherein unrichtig war. War die Finanzierungsbestätigung dagegen von Anfang an zutreffend, ist eine Korrekturveröffentlichung auch dann nicht erforderlich, wenn sich die finanzierungsrelevanten Umstände nach der Ausstellung der Finanzierungsbestätigung ändern8. c) Sonstiges 123 Die Schadensersatzpflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 1, § 13 Abs. 3 besteht nicht, wenn die Annahme des Angebots nicht aufgrund der Finanzierungsbestätigung erfolgt ist. Hierfür trägt der Anspruchsgegner, d.h. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Beweislast9. Ferner haftet das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht, wenn der Wertpapierinhaber der Ziel1 2 3 4 5 6 7 8 9
Berrar, ZBB 2002, 174, 181; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166. Berrar, ZBB 2002, 174, 181; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 21. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 53. Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1001. Singhof/Weber, WM 2002, 1158; 1165; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 13 WpÜG Rz. 23; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 56. Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 995. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 56. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1165; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 859; a.A. Stephan, AG 2003, 551 (für Korrektur analog § 11 VerkProspG). Assmann, AG 2002, 153, 158 m.w.N. (zu § 12 Abs. 3 Nr. 1); Berrar, ZBB 2002, 174, 181 (zu § 13).
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§ 13
Finanzierung des Angebots
gesellschaft, der das Angebot angenommen hat, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der finanzierungsbezogenen Angaben in der Angebotsunterlage bzw. der Finanzierungsbestätigung bei Abgabe der Annahmeerklärung kannte (§ 12 Abs. 3 Nr. 2, § 13 Abs. 3). Auch hierfür trägt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Beweislast. Der Anspruch gegen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verjährt in einem 124 Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem derjenige, der das Angebot angenommen hat, Kenntnis von der Unrichtigkeit der Finanzierungsbestätigung erlangt hat, spätestens jedoch drei Jahre nach der Veröffentlichung der Finanzierungsbestätigung (§ 12 Abs. 4, § 13 Abs. 3). Eine Ermäßigung oder ein Erlass der Haftung im voraus ist nicht möglich (§ 12 Abs. 5, § 13 Abs. 3). 3. Haftungsumfang Gemäß § 13 Abs. 2 kann der Wertpapierinhaber, der das Angebot angenommen hat, 125 von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Ersatz des ihm aus der Nichterfüllung oder der nicht vollständigen Erfüllung entstandenen Schadens verlangen. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat ihn folglich so zu stellen, als hätte der Bieter ordnungsgemäß erfüllt1, haftet also auf das positive Interesse2. Diese Ersatzpflicht reicht weiter als eine bloße Vertrauenshaftung, die auf das negative Interesse beschränkt ist. Hieran wird deutlich, dass die Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens trotz der Änderungen im Gesetzgebungsverfahren gewisse Ähnlichkeiten mit einer Garantie der gegen den Bieter gerichteten Zahlungsansprüche behalten hat3. Der zu ersetzende Schaden ist nach allgemeinen Grundsätzen, d.h. der Differenz- 126 hypothese zu ermitteln (§§ 249 ff. BGB). Weil der Erwerb der Wertpapiere nicht zustande kommt, der Wertpapierinhaber aber auch keine Gegenleistung erhält, liegt es nahe, den Unterschiedsbetrag zwischen dem Preis des Angebots und dem (niedrigeren) Kurswert der Wertpapiere nach dem Scheitern des Angebots als Schaden anzusehen. Ob auf den Börsenkurs unmittelbar nach dem Scheitern des Angebots oder auf einen Durchschnittskurs abzustellen ist4 und ob bestimmte Sondereffekte (Überreaktionen des Marktes, werterhöhende Aspekte etc.) zu berücksichtigen sind5, ist offen. Sollte sich der Börsenkurs nach dem Scheitern des Angebots nach oben bewegen, besteht grundsätzlich kein Schadensersatzanspruch6. Die (wirtschaftlich kaum ins Gewicht fallenden) Nebenkosten der Annahme des Angebots und die notwendigen Aufwendungen zur Durchsetzung des Anspruchs, die der Wertpapierinhaber bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Angebots hätte tragen müssen, sind nicht ersatzfähig; sie gehören zum negativen Interesse, das gemäß § 13 Abs. 2 nicht zu ersetzen ist7. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 2 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 24; Zschocke, DB 2002, 79, 81; Berrar, ZBB 2002, 174, 182. 3 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 63. 4 Für Anlehnung an § 5 WpÜG-AngVO Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1003; allgemein zur Schadensberechnung beim Wertverlust von Aktien BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – Linotype, BGHZ 129, 136, 164 = AG 1995, 368 sowie OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 222/93 – Girmes, WM 1996, 1366, 1370 = AG 1997, 469. 5 Hierzu Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166. 6 Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1003. 7 Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1003; a.A. Assmann, AG 2002, 153, 158; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 63.
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127 Offen ist dagegen, ob „kleiner“ oder „großer“ Schadensersatz geschuldet ist1 und wem gegebenenfalls das Wahlrecht zusteht2. Auf der Grundlage der für das gesamte Leistungsstörungsrecht anerkannten Differenztheorie ist grundsätzlich der Differenzbetrag zwischen dem Wert der ausgebliebenen Leistung und dem Wert der ersparten Gegenleistung geschuldet. Ausnahmsweise – nämlich wenn der Gläubiger des Schadensersatzanspruches ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse an der Erbringung der seinerseits geschuldeten Leistung hat – soll er die Wahl haben, die seinerseits geschuldete Leistung zu erbringen und die Gegenleistung in Empfang zu nehmen3. Ein solches schutzwürdiges Interesse vorausgesetzt wären die Wertpapierinhaber berechtigt, ihre Wertpapiere an den Bieter zu übereignen; das Recht, sie an einen Dritten (das Wertpapierdienstleistungsunternehmen) zu übertragen, folgt hieraus aber noch nicht4. Eine Schadensabwicklung nach der Surrogationsmethode kann von den Aktionären auch deshalb nicht verlangt werden, weil gesellschaftsrechtliche, kartellrechtliche oder sonstige regulatorische Gründe dem Aktienerwerb des Wertpapierdienstleistungsunternehmens entgegenstehen können5. Ebenso wenig besteht eine Rechtsgrundlage für ein Recht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, in die Verträge zwischen dem Bieter und den Wertpapierinhabern einzutreten6. 4. Konkurrenzen 128 Eine Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Finanzierungsbestätigung gemäß § 12 Abs. 1 erscheint auf den ersten Blick nicht von vornherein ausgeschlossen, weil die Finanzierungsbestätigung Bestandteil der Angebotsunterlage ist (§ 11 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4). Im Ergebnis besteht jedoch keine solche Haftung, weil § 13 Abs. 2 insoweit lex specialis ist7. 129 Im Übrigen ist § 12 Abs. 6, § 13 Abs. 3 zu entnehmen, dass neben Ansprüchen aus § 13 nur bürgerlich-rechtliche Ansprüche aus Vertrag oder vorsätzlichem Delikt geltend gemacht werden können; andere Ansprüche sind ausgeschlossen. Vertragliche 1 Für „großen“ Schadensersatz: Thaeter/Barth, NZG 2001, 545, 548; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 111, 120; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 96; Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 9; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 860. Ausschließlich für „kleinen“ Schadensersatz: Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 37; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 64; Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1003 f. 2 Für Wahlrecht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 35; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 120; für Wahlrecht der Wertpapierinhaber Berrar, ZBB 2002, 174, 183; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 9; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 860 f.; für Tauschangebote auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 97; a.A. Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 284; noch anders Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 385 ff. 3 BGH v. 9.6.1956 – V ZR 95/55, BGHZ 20, 338, 343; BGH v. 25.3.1983 – V ZR 168/81, BGHZ 87, 156, 158; Westermann in Erman, 13. Aufl. 2011, § 281 BGB Rz. 25; Ernst in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2012, § 325 Rz. 14; Otto/Schwarze in Staudinger, Neubearbeitung 2009, § 325 BGB Rz. 46 ff. 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 64; Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1004; im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 13 Rz. 37; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 13 Rz. 25; dies verkennend Berrar, ZBB 2002, 174, 183; Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 13 Rz. 9. 5 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 120. 6 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 64; Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1003 f. 7 Berrar, ZBB 2002, 174, 185; Renner in FrankfKomm. WpÜG, § 12 Rz. 19; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 65; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 12 Rz. 25.
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Beziehungen zwischen den Wertpapierinhabern und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestehen regelmäßig nicht. Daher können vertragliche Ansprüche der Wertpapierinhaber nur dann bestehen, wenn das Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Bieter Schutzwirkung für die Wertpapierinhaber entfaltet. Weil aber die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft mit den Leistungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nicht bestimmungsgemäß in Kontakt gelangen und der Bieter an der Erstreckung der Schutzwirkung auf die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft kein besonderes Interesse hat, fehlt es an der erforderlichen Gläubigernähe1. Daneben können Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen, etwa aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz oder § 826 BGB, bestehen. Dagegen sind Ansprüche auf der Grundlage der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung gemäß § 12 Abs. 6, § 13 Abs. 3 ausgeschlossen2.
130
5. Verhältnis zur Haftung des Bieters Nach dem Willen des Gesetzgebers tritt der Schadensersatzanspruch aus § 13 Abs. 2 131 neben die Schadensersatzansprüche gegen den Bieter. Er erweitert somit den Kreis der Haftenden3. Soweit der Bieter den Wertpapierinhabern wegen der Verletzung seiner Sicherstellungspflicht Schadensersatz wegen Nichterfüllung gemäß § 280 BGB schuldet, haben der Bieter und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen den gleichen Schaden zu ersetzen. Weil die Wertpapierinhaber den Ersatz dieses Schadens aber nur einmal verlangen können, haften der Bieter und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB)4. Kann sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 3 exkulpieren, wirkt dies nur zu seinen Gunsten (§ 425 BGB). Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen haftet nicht gesamtschuldnerisch für Ansprüche gegen den Bieter und die anderen in § 12 Abs. 1 genannten Personen wegen unrichtiger Angaben in der Angebotsunterlage. Diese Ansprüche sind auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet, für das das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht ersatzpflichtig ist5. Im Innenverhältnis ist der Bieter für das Bereitstehen der Gegenleistung allein ver- 132 antwortlich. Folglich kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom Bieter die Freistellung von Ansprüchen gemäß § 13 Abs. 2 oder, soweit es von den Wertpapierinhabern bereits in Anspruch genommen worden ist, Ersatz verlangen (§ 426 Abs. 1 BGB). Nach allgemeinen Grundsätzen ist der Schaden im Innenverhältnis primär nach dem Ausmaß der Verursachung und sekundär nach dem Ausmaß des jeweiligen Verschuldens aufzuteilen6. Dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Bieter steht es frei, derartige Freistellungs- und Regressansprüche individu1 Berrar, ZBB 2002, 174, 185; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 65; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 861; a.A. für das österreichische Recht Hausmaninger/Herbst, Übernahmegesetz, 1999, § 9 Rz. 17. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44; Assmann, AG 2002, 153, 160; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 861 f. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44; der Verweis auf den „möglichen Anspruch nach § 13 Abs. 1“ wegen fehlerhafter Angebotsunterlage ist offensichtlich ein Redaktionsversehen. 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 66; Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1004 f.; im Ergebnis auch Berrar, ZBB 2002, 174, 184; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166. 5 Noack in FS Hadding, 2004, S. 991, 1005; a.A. Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 66; unklar Berrar, ZBB 2002, 174, 184. 6 Heinrichs in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 426 BGB Rz. 14.
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ell zu vereinbaren1 und, soweit möglich, zur Sicherung des Regressanspruchs geeignete Sicherheiten zu bestellen2.
E. Blick über die Grenze I. Vereinigtes Königreich 133 Nach dem Takeover Code soll die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots nur dann erfolgen, wenn der Bieter sichergestellt hat, dass er eine als Gegenleistung gebotene Geldleistung in vollem Umfang erbringen kann und er alle gebotenen Maßnahmen ergriffen hat, um die Erbringung sonstiger Gegeleistungen sicherzustellen3. Die Veröffentlichung des Kontrollerwerbs (mit der Ankündigung eines Pflichtangebots, dessen Gegenleistung die Zahlung einer Geldleistung vorsehen muss4) muss die Bestätigung der Investmentbank (financial adviser) des Bieters oder eines anderen geeigneten Dritten enthalten, dass dem Bieter die Mittel zur Verfügung stehen („are available“), um seine Verpflichtungen aus dem Angebot vollständig zu erfüllen5. Schließlich muss die Angebotsunterlage eines jeden Angebots, das als Gegenleistung eine Geldleistung vorsieht, die Bestätigung eines geeigneten Dritten enthalten, dass dem Bieter die Mittel zur Verfügung stehen, um seine Verpflichtungen aus dem Angebot vollständig zu erfüllen (der sog. certain funds letter)6. 134 Der financial adviser, der den certain funds letter ausstellt, gehört üblicherweise nicht zum Kreis der Banken, die das Angebot finanzieren. Er ist nicht verpflichtet, die erforderlichen Geldmittel aufzubringen, wenn er bei Abgabe der Finanzierungsbestätigung „verantwortlich“ (responsibly) gehandelt und alle vernünftigen Schritte unternommen hatte, um sich zu vergewissern, dass dem Bieter die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stehen7. Zusätzlich zu den eigenen Prüfungshandlungen holt der financial adviser üblicherweise ein Schreiben des Bieters ein, in dem dieser die vorgenommenen Finanzierungsmaßnahmen bestätigt. Der financial adviser haftet nicht unmittelbar gegenüber den Adressaten des Angebots8, sondern muss dem Bieter die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellen, damit dieser seine Verpflichtungen aus dem Angebot erfüllen kann9. 135 Wenn das Angebot fremdfinanziert wird, stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit der financial adviser bei der Ausstellung des certain funds letter verantwortlich handeln und gleichzeitig Auszahlungsverbote im Kreditvertrag akzeptieren kann. In der Praxis werden folgende Auszahlungsverbote regelmäßig für zulässig gehalten: Insolvenz des Bieters, Rechtswidrigkeit der Kreditvergabe (illegality to lend), Nichtzahlung der vor Auszahlung fälligen Gebühren, Verletzung wesentlicher Verpflichtungen (z.B. Erhöhung der Gegenleistung des Angebots oder Herabsetzung der Akzeptanz1 2 3 4 5 6 7 8 9
Hamann, ZIP 2001, 2249, 2254; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1166. Berrar, ZBB 2002, 174, 184; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 53. Takeover Code, General Principle 5, Rule 2.7(d). Takeover Code, Rule 9.5(a). Takeover Code, Rule 2.7(d); hierzu Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–2016. Takeover Code, Rule 24.8. Takeover Code, Rules 2.7(d), 24.8. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 13 Rz. 15. So die Einschätzung der Praxis; unklar Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–5023 f.
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§ 13
Finanzierung des Angebots
schwelle ohne die vereinbarungsgemäß erforderliche Zustimmung der Kreditgeber). Zu den Auszahlungsverboten, die regelmäßig nicht akzeptiert werden, zählen etwa die Insolvenz der Zielgesellschaft, sonstige wesentliche Verschlechterungen der Vermögensverhältnisse des Bieters oder der Zielgesellschaft (gemeint sind Vereinbarungen, die den unbestimmten Rechtsbegriff des material adverse change benutzen; betragsmäßig definierte Schwellenwerte sind nicht gebräuchlich) oder die Verletzung von financial covenants des Kreditvertrages. Ob der financial adviser Auszahlungsverbote akzeptiert, die durch die vorsätzliche Verletzung einer allein vom Bieter kontrollierten Verpflichtung ausgelöst werden (z.B. negative pledge, disposal of assets), ist Verhandlungssache.
II. Österreich Nach dem österreichischen Übernahmegesetz (ÜbG) darf der Bieter ein Über- 136 nahmeangebot nur dann abgeben, wenn er nach sorgfältiger Prüfung überzeugt ist, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung notwendigen Mittel rechtzeitig zur Verfügung stehen werden1. Der Bieter ist verpflichtet, einen unabhängigen Sachverständigen2 zu bestellen, der die Vollständigkeit und Gesetzmäßigkeit der Angebotsunterlage insbesondere hinsichtlich der angebotenen Gegenleistung zu prüfen, hierüber einen schriftlichen Bericht zu erstellen und das Ergebnis seiner Prüfung in einer abschließenden Bestätigung zusammenzufassen hat3. In diesem muss er auch eine Erklärung darüber abgeben, dass dem Bieter die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Als Sachverständige sind beeidete Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie bestimmte Kredit- und Finanzinstitute geeignet4. Die Angebotsunterlage ist zusammen mit dem Bericht und der Bestätigung des Sachverständigen bei der Übernahmekommission einzureichen5; fehlen sie, kann die Übernahmekommission die Veröffentlichung der Angebotsunterlage und die Durchführung des Angebots untersagen6. Eine Haftung des Sachverständigen gegenüber den Aktionären der Zielgesellschaft besteht nicht, da er bloß Erfüllungsgehilfe des Bieters ist. Bei unvollständiger oder unrichtiger Bestätigung müssen die Aktionäre den Bieter in Anspruch nehmen, der sich beim Sachverständigen schadlos halten kann, sofern diesen ein Verschulden trifft7. Der Erwerb, der ein Pflichtangebot auslösen würde, ist unzulässig, wenn der Erwer- 137 ber bei sorgfältiger Prüfung nicht überzeugt ist, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung seiner Verpflichtung notwendigen Mittel rechtzeitig zur Verfügung stehen8. Eine Verletzung dieser Verpflichtung hat das Ruhen der Stimmrechte zur Folge9. 1 § 4 Ziff. 1 ÜbG. 2 Nach Auffassung der Kommentarliteratur ist ein Sachverständiger nicht unabhängig, wenn er Anteile am Bieter, an einem mit dem Bieter verbundenen Unternehmen oder einem zu mindestens 20 % am Bieter beteiligten Gesellschafter hält, wobei für reine Finanzbeteiligungen oder geringe Beteiligungen keine Ausnahmen vorgesehen sind. Ebenso ist die Bestellung eines Sachverständigen unzulässig, wenn er beim Bieter eine Organposition innehatte oder 15 % oder mehr seines Umsatzes der letzten fünf Jahre mit dem Bieter erwirtschaftet hat; Huber/Alscher in Huber, Übernahmegesetz, § 9 Rz. 13. 3 § 9 Abs. 1 ÜbG. 4 § 9 Abs. 2 ÜbG. 5 § 10 Abs. 1 Satz 1 ÜbG. 6 § 10 Abs. 3 ÜbG. 7 Huber/Alscher in Huber, Übernahmegesetz, § 9 Rz. 25. 8 § 22 Abs. 5 ÜbG; hierzu Edtbauer in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. I, S. 68 f. 9 § 34 Abs. 1 Ziff. 1 ÜbG.
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407
§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
138 Die erforderlichen Mittel müssen dem Erwerber zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung für das Pflichtangebot zur Verfügung stehen1. Die Rechtsnatur der Erklärung des Sachverständigen ist nach dem Wortlaut der Bestimmung unklar. In der Literatur wird angenommen, dass der Sachverständige keine Bürgschaft, sondern eine Wissenserklärung nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erstattung des Prüfungsberichts abgeben soll. Bei tatsächlicher Unzulänglichkeit der Mittel des Bieters trifft den Sachverständigen somit keine Erfolgshaftung2.
§ 14 Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage (1) Der Bieter hat die Angebotsunterlage innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots der Bundesanstalt zu übermitteln. Die Bundesanstalt bestätigt dem Bieter den Tag des Eingangs der Angebotsunterlage. Die Bundesanstalt kann die Frist nach Satz 1 auf Antrag um bis zu vier Wochen verlängern, wenn dem Bieter die Einhaltung der Frist nach Satz 1 auf Grund eines grenzüberschreitenden Angebots oder erforderlicher Kapitalmaßnahmen nicht möglich ist. (2) Die Angebotsunterlage ist gemäß Absatz 3 Satz 1 unverzüglich zu veröffentlichen, wenn die Bundesanstalt die Veröffentlichung gestattet hat oder wenn seit dem Eingang der Angebotsunterlage zehn Werktage verstrichen sind, ohne dass die Bundesanstalt das Angebot untersagt hat. Vor der Veröffentlichung nach Satz 1 darf die Angebotsunterlage nicht bekannt gegeben werden. Die Bundesanstalt kann vor einer Untersagung des Angebots die Frist nach Satz 1 um bis zu fünf Werktage verlängern, wenn die Angebotsunterlage nicht vollständig ist oder sonst den Vorschriften dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung nicht entspricht. (3) Die Angebotsunterlage ist zu veröffentlichen durch 1. Bekanntgabe im Internet und 2. Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland; im letzteren Fall ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach Nummer 1 erfolgt ist. Der Bieter hat der Bundesanstalt die Veröffentlichung nach Satz 1 Nr. 2 unverzüglich mitzuteilen. (4) Der Bieter hat die Angebotsunterlage dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 zu übermitteln. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Angebotsunterlage unverzüglich dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zu übermitteln. Der Bieter hat die Angebotsunterlage ebenso seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach Absatz 3 Satz 1 zu übermitteln. 1 Huber/Alscher in Huber, Übernahmegesetz, § 9 Rz. 35; Inetas in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. I, S. 142. 2 Huber/Alschber in Huber, Übernahmegesetz, § 9 Rz. 37; Inetas in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. I, S. 142.
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage Inhaltsübersicht A. Überblick, Anwendungsbereich und Gesetzesentwicklung . . . . . . . .
1
B. Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin (§ 14 Abs. 1) . . . . . . .
4
I. Pflicht (§ 14 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . .
4
II. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1. Regelmäßige Übermittlungsfrist (§ 14 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristverlängerung (§ 14 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 9
3. Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder Schalterpublizität (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Bekanntgabe im Bundesanzeiger und Mitteilungspflicht . . . . . . . . . 38 b) Schalterpublizität . . . . . . . . . . . . . 40 D. Übermittlungspflichten des Bieters und des Vorstands der Zielgesellschaft nach § 14 Abs. 4 . . . . . . . . . . . 43 I. Übermittlung an den Vorstand der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 1)
44
II. Weiterleitung an Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 2). . . . . . . . . . . . . . . 49
III. Form und Inhalt (§ 14 Abs. 1 Satz 1)
14
IV. Eingangsbestätigung (§ 14 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
C. Prüfung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage. . . . . . . . . . . . . . .
18
I. Prüfung der Angebotsunterlage . . . .
18
II. Veröffentlichungspflicht und -frist (§ 14 Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . .
E. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
22
I. Untersagung des Angebots . . . . . . . . 50
III. Fristverlängerung vor Untersagung des Angebots (§ 14 Abs. 2 Satz 3) . . .
25
II. Ordnungswidrigkeitsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen . . . . 51
IV. Verbot der Bekanntgabe vor Veröffentlichung (§ 14 Abs. 2 Satz 2) . .
28
V. Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 3) . . . . . . . . . . . .
31
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veröffentlichung im Internet (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . .
III. Übermittlung an Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer des Bieters (§ 14 Abs. 4 Satz 3). . . . . . . . . . . . . . 49a
III. Zivilrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . 54 1. Pflichtverletzungen des Bieters . . . . 54 2. Pflichtverletzungen des Vorstands der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 56
31 34
Schrifttum: Behnke, Erste praktische Erfahrungen mit dem Ausschluss ausländischer Anteilsinhaber nach § 24 WpÜG, WM 2002, 2229; Cahn, Verwaltungsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Übernahmerecht und Rechtsschutz Betroffener, ZHR 167 (2003), 262; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest, BKR 2003, 43; Lenz/Linke, Die Handhabung des WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361.
A. Überblick, Anwendungsbereich und Gesetzesentwicklung Die Vorschriften des WpÜG zur Regelung von freiwilligen Angebotsverfahren (Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangebote) knüpfen an die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots an. Ist eine solche Entscheidung getroffen worden, hat sie der Bieter gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 unverzüglich nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. Hierauf aufbauend regelt § 14 die nächste Phase des Angebotsverfahrens. Diese ist von der Pflicht des Bieters zur Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin und der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (nach entsprechender Gestattung oder Fristablauf) geprägt.
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§ 14 2
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
Im Einzelnen sieht § 14 – als Regel – folgenden Verfahrensablauf vor: – Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 3 (§ 14 Abs. 1 Satz 1). – Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin und Gestattung der Veröffentlichung derselben (§ 14 Abs. 2 Satz 1) oder Untersagung des Angebots (nach § 15). – Gestattet die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1) oder sind seit dem Eingang der Angebotsunterlage zehn Werktage verstrichen, ohne dass die Bundesanstalt das Angebot untersagt hat (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2), ist die Angebotsunterlage unverzüglich und ohne zuvor auf andere Weise bekannt gegeben werden zu dürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 2) nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. – Unverzüglich nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage hat der Bieter der BaFin die Veröffentlichung nach Satz 1 Nr. 2 mitzuteilen (§ 14 Abs. 3 Satz 2) und dem Vorstand der Zielgesellschaft die Angebotsunterlage zu übermitteln (§ 14 Abs. 4 Satz 1). – Nachdem der Bieter dem Vorstand der Zielgesellschaft die Angebotsunterlage weitergeleitet hat, muss dieser die Unterlage unverzüglich dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern übermitteln (§ 14 Abs. 4 Satz 2).
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§ 14 betrifft Wertpapiererwerbsangebote i.S.d. 3. Abschnitts des WpÜG (§§ 10–28), ist aber auf Grund von § 34 auch auf Übernahmeangebote (§§ 29–34) und gemäß § 39 – mit Ausnahme von § 14 Abs. 1 Satz 1 – auch auf Pflichtangebote1 (siehe §§ 35–39) anzuwenden. Die Nichtanwendbarkeit von § 14 Abs. 1 Satz 1 auf Pflichtangebote (§ 39) beruht auf dem Umstand, dass § 35 Abs. 2 im Hinblick auf das in § 14 Abs. 1 Satz 1 Geregelte eine den Besonderheiten von Pflichtangeboten entsprechende eigene Regelung enthält.
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Die Vorschrift hat durch das Gesetz vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz – ÜbernRLUG)2 zwei Änderungen erfahren: Zum einen wurde durch Änderung des § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 die bisherige Form der Veröffentlichung durch Abdruck in einem überregionalen Börsenpflichtblatt durch die Bekanntgabe im Bundesanzeiger ersetzt und um Folgepflichten für den Fall der Veröffentlichung der Angebotsunterlage durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland ergänzt. War die Veröffentlichung in einem überregionalen Börsenpflichtblatt der BaFin durch Übersendung eines Veröffentlichungsbelegs nachzuweisen, so verlangt § 14 Abs. 3 Satz 2 nunmehr, der Aufsichtsbehörde die im Bundesanzeiger nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 vorzunehmenden Veröffentlichungen (die Bekanntgabe der Angebotsunterlage bzw. die Hinweisbekanntmachungen) unverzüglich mitzuteilen. Und zum anderen wurde in § 14 Abs. 4 durch Hinzufügung eines Satzes 3 der Bieter verpflichtet, die Angebotsunterlage auch seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 zu übermitteln. Eine bloße Änderung der Nomenklatur brachte 1 Vgl. etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 2, 27; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 6 ff. 2 BGBl. I 2006, 1426.
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
das Gesetz vom 22.12.2011 zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung (BAnzDiG)1, indem in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, wie noch in verschiedenen anderen Vorschriften des WpÜG, das Wort „elektronischer Bundesanzeiger“ durch „Bundesanzeiger“ ersetzt wurde.
B. Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin (§ 14 Abs. 1) I. Pflicht (§ 14 Abs. 1 Satz 1) Mit der Pflicht zur Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin nach § 14 4 Abs. 1 Satz 1 verfolgt der Gesetzgeber einen doppelten Zweck2: Zum einen schafft sie die fraglos gewichtigste Voraussetzung dafür, dass die BaFin als für Angebotsverfahren zuständige Aufsichtsbehörde und zentraler Ansprechpartner für die in- und ausländische Zusammenarbeit mit anderen Aufsichtsbehörden und den Stellen, die ihr zugedachte Aufgabe einer „Evidenzzentrale“ erfüllen kann. Zum anderen ist sie die Voraussetzung für eine der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und Abgabe des Angebots im rechtsgeschäftlichen Sinne vorausgehende Überprüfung der Angebotsunterlage, die – obwohl nach Art und Umfang eingeschränkt (siehe unten Rz. 19 f.) und die Ex-post-Kontrolle durch die Marktteilnehmer nicht ersetzend – doch immerhin geeignet ist, präventiv zu wirken und den Markt vor Angeboten auf der Grundlage evident mangelhafter Angebotsunterlagen zu bewahren. Will der Bieter das mit der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines 5 Angebots (nach § 10 Abs. 1 und Abs. 3) initiierte Angebotsverfahren fortsetzen, ist er mithin gehalten, der BaFin innerhalb von vier Wochen nach dieser Veröffentlichung die (nach Maßgabe von § 11 i.V.m. mit den Vorschriften WpÜG-AngVO zu erstellende) Angebotsunterlage zu übermitteln. Hierbei kann er sich vertreten lassen3. Zur Frage, ob eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots mit dem Hinweis versehen werden darf, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung stehe noch aus, um bei verweigerter Zustimmung die Pflicht zur Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und die Sanktion des § 15 Abs. 1 Nr. 3 entfallen zu lassen, siehe § 10 Rz. 33a. Unterbleibt die Übermittlung der Angebotsunterlage in der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1, ohne dass diese nach § 14 Abs. 1 Satz 3 verlängert wurde, muss die BaFin das Angebot nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 untersagen, mit der Folge, dass der Bieter vor Ablauf eines Jahres kein erneutes Angebot unterbreiten kann (§ 26 Abs. 1 Satz 1)4. Zu weiteren Konsequenzen siehe die Erläuterungen zu § 15 Abs. 3. Darüber hinaus ist eine (vorsätzliche oder leichtfertige) Verletzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 eine Ordnungswidrigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a)) und mit einem Bußgeld bis zu 500 000 Euro (§ 60 Abs. 3) belegt, was nachdrücklich unterstreicht, dass es sich bei der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 um eine solche handelt, die eine (von der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 1 ausgelöste) Pflicht begründet und nicht nur eine formelle Verfahrensbestimmung enthält. 1 BGBl. I 2011, 3044. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 3 Vgl. etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 4; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 23; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 14. 4 Siehe schon oben § 10 Rz. 50. Vgl. ferner Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 17, 70; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 14 Rz. 30; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 16; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 26 f.
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
II. Frist 1. Regelmäßige Übermittlungsfrist (§ 14 Abs. 1 Satz 1) 6
Die ordnungsgemäße (siehe unten Rz. 14 ff.) Übermittlung der Angebotsunterlage muss innerhalb von vier Wochen nach der gemäß § 10 Abs. 3 vorzunehmenden Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 erfolgen. Die Berechnung der Frist hat nach § 31 VwVfG zu erfolgen, dessen Abs. 1 zufolge §§ 187–193 BGB entsprechend anzuwenden sind, soweit nicht durch § 31 Abs. 2–5 etwas anderes bestimmt ist. Die Wahrung der Frist setzt voraus, dass das unterzeichnete Original der Angebotsunterlage (siehe unten Rz. 14) innerhalb der Frist bei der BaFin eingeht1. Die Vorabübermittlung der Angebotsunterlage per Fax (oder mittels elektronischer Medien) reicht, auch wenn der im Original unterzeichnete Nachtrag unverzüglich nachgereicht wird, zur Wahrung der Frist nicht aus (dazu unten Rz. 15).
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Ausgangspunkt der Fristberechnung ist der Tag, an dem die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots erstmals gemäß § 10 Abs. 3 durch Bekanntgabe im Internet und über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem veröffentlicht wird. Erfolgt die Veröffentlichung zu unterschiedlichen Zeiten sowohl durch Bekanntgabe im Internet als auch über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem, so ist der Tag der ersten Veröffentlichung (das ist im letztgenannten Falle der Tag der Einstellung in das Informationsverbreitungssystem) maßgeblich2. Gemäß §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB läuft die Übermittlungsfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 an dem gleichen Wochentag ab, der vier Wochen auf den Veröffentlichungstag folgt (bspw. mit Ablauf des Montags, den 4.2.2013, wenn die Veröffentlichung am Montag, den 7.1.2013, erfolgte). Wurde die Veröffentlichung an einem Samstag („Sonnabend“) vorgenommen, so läuft die Frist gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht an dem vier Wochen auf den Veröffentlichungstag folgenden Samstag, sondern an dem auf diesen folgenden Montag ab. Ist der Wochentag, der vier Wochen auf den entsprechenden Wochentag der Veröffentlichung folgt ein bundesrechtlich oder am Sitz der BaFin in Frankfurt am Main, d.h. in Hessen, landesrechtlich anerkannter allgemeiner Feiertag, so endet die Frist mit dem Ablauf des auf diesen Feiertag folgenden Werktags. Wurde die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bspw. am Freitag, den 1.3.2013, veröffentlicht, so wäre die Übermittlungsfrist unter Zugrundelegung von §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB am Freitag, den 29.3.2013, abgelaufen; da dieser Tag jedoch ein gesetzlicher Feiertag (Karfreitag) war, endete die Frist gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG (wegen des als Werktag folgenden Sonnabends und des Ostermontags als gesetzlichem Feiertag) erst mit Ablauf des Dienstags, den 2.4.2013.
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Zu den Folgen der Fristversäumnis siehe oben Rz. 5 und speziell zum Abbruch des Angebotsverfahrens durch den Bieter nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots siehe § 10 Rz. 50 ff.
1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 3 f.; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 24; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 19. 2 Vgl. Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 14 Rz. 28 f.; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 24; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 7; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 17.
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
2. Fristverlängerung (§ 14 Abs. 1 Satz 3) § 14 Abs. 1 Satz 3 erlaubt der BaFin, die Frist nach § 14 Satz 1 auf Antrag des Bieters 9 um bis zu vier Wochen zu verlängern, wenn dem Bieter die Einhaltung der Vier-Wochen-Frist auf Grund eines grenzüberschreitenden Angebots oder erforderlicher Kapitalmaßnahmen nicht möglich ist. Die Vorschrift beruht auf Anregungen der Praxis1 und auf einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, in der es heißt2: „Die Frist von vier Wochen kann zum einen in den Fällen zu kurz sein, in denen es sich um ein grenzüberschreitendes Angebot handelt und der Bieter nach den ausländischen Regelungen andere Fristen als nach dem WpÜG zu beachten hat. Zum anderen kann der Bieter, sofern er Wertpapiere als Gegenleistung anbieten will, eine längere Frist benötigen, um den für die Ausgabe von Aktien notwendigen Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung herbeizuführen. In diesen begründeten Fällen kann das Bundesaufsichtsamt eine Fristverlängerung um bis zu vier Wochen gewähren.“ Die Fristverlängerung setzt einen schriftlichen Antrag voraus. Der Schriftform ist Genüge getan, wenn die Übermittlung des Antrags oder der Mitteilung per Telegramm, Telefax oder Computerfax vorgenommen wird (siehe § 45 Rz. 3).
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Dem Telos des § 14 Abs. 1 Satz 3 (1. Alt.) entsprechend und in Anlehnung an die Re- 11 gelung in § 24 ist als grenzüberschreitend i.S.d. Vorschrift jedes Angebot anzusehen, das dem Recht mehrerer Staaten unterliegt. Dies kann darauf beruhen, dass sich das Angebot auch an ausländische Anteilseigner richtet oder Anteilseigner im Ausland anspricht3, oder Wertpapiere betrifft, die auch in anderen Staaten zum Handel zugelassen sind, oder der Bieter eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland ist. In all diesen Fällen kommt indes eine Fristverlängerung jedoch nur dann in Betracht, wenn das vom Bieter zu beachtende ausländische Recht der Einhaltung der Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 entgegensteht4. Entsprechendes gilt für den in § 14 Abs. 1 Satz 3 (2. Alt.) angeführten Fall, dass dem 12 Bieter die Einhaltung der Vier-Wochen-Frist „auf Grund … erforderlicher Kapitalmaßnahmen“ nicht möglich ist. Ausweislich der Begründung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (siehe oben Rz. 9), die zur Aufnahme der Bestimmung in § 14 Abs. 1 geführt hat, sind darunter nur gesellschaftsrechtlich begründete Kapitalmaßnahmen zur Sicherstellung der Finanzierung des Angebots i.S.d. § 13 zu verstehen, denn nur in diesen Fällen können anderweitige gesetzliche Vorschriften (namentlich diejenige zur Einberufung der Hauptversammlung nach § 123 Abs. 1 AktG) zur Einhaltung von Fristen zwingen, die der Beachtung der Übermittlungsfrist aus § 14 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen. Die Formulierung des Finanzausschusses, der Bieter könne, „sofern er Wertpapiere als Gegenleistung anbieten will, eine längere Frist benötigen, um den für die Ausgabe von Aktien notwendigen Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung herbeizuführen“5, hat Zweifel darüber aufkommen lassen, ob damit für die Fristverlängerung wegen erforderlicher Kapitalmaß1 Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses e.V. vom April 2001, NZG 2001, 420, 424. 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drucks. 14/7477 v. 14.11.2001, S. 67. 3 Zu Letzterem etwa Behnke, WM 2002, 2229, 2232. 4 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 23; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 7; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 30; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 35. 5 Siehe oben Rz. 9 mit Fn. 2; Hervorhebung hinzugefügt.
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nahmen nur die in dieser Begründung angesprochene Sachkapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts (nach §§ 183, 186 AktG) in Betracht kommen soll. Da sich solches aus der Gesetzesformulierung nicht ergibt, die Begründung des Finanzausschusses nicht als abschließende Umschreibung des Anwendungsbereichs der Vorschrift über die Fristverlängerung bei Kapitalmaßnahmen, sondern als Beispiel zu betrachten ist, und sich Entscheidungen über die Abgabe eines Angebots sowie damit aufgeworfener Finanzierungsbedarf recht kurzfristig stellen können, gestattet § 14 Abs. 1 Satz 3 die Fristverlängerungsmöglichkeit auch im Falle der Barkapitalerhöhung (nach § 182 AktG) zur Aufbringung der für die Finanzierung des Angebots erforderlichen Mittel1. Entsprechend ist auch die Schaffung eines genehmigten Sachkapitals mit Bezugsrechtsausschluss (§§ 202 ff., 205 AktG) als eine die Fristverlängerung rechtfertigende Maßnahme anzusehen2. 13
Die Entscheidung über die Fristverlängerung steht im Ermessen der BaFin3. Gleiches gilt für den Umfang der Fristverlängerung im Rahmen der durch § 14 Abs. 1 Satz 3 gesetzten Höchstgrenze von vier Wochen. Für die Berechnung der verlängerten Frist unter Anwendung von § 31 VwVfG gilt das oben in Rz. 6 f. Ausgeführte entsprechend, wobei nach § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 190 BGB die neue Frist von dem Ablauf der vorigen Frist an berechnet wird. Im Falle der Verweigerung der Fristverlängerung kann der Bieter nach § 41 Verpflichtungswiderspruch erheben und, sofern diesem nicht stattgegeben wird, nach § 48 Abs. 3 Beschwerde einreichen.
III. Form und Inhalt (§ 14 Abs. 1 Satz 1) 14
§ 14 Abs. 1 Satz 1 selbst schreibt für die Übermittlung der Angebotsunterlage keine besondere Form vor. Da die zu übermittelnde Angebotsunterlage (welche nach § 11 Abs. 3 auch eine Richtigkeits- und Vollständigkeitserklärung umfasst und die Haftung des Bieters nach § 12 auslöst) jedoch nach § 11 Abs. 1 Satz 5 vom Bieter zu unterschreiben ist, kann die fristgemäße Übermittlung der Angebotsunterlage (abweichend von § 45, der für schriftliche Mitteilungen gemäß § 45 Satz 2 auch die Telefaxübertragung gestattet) nur in der Weise erfolgen, dass die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB gewahrt oder durch die elektronische Form nach § 126a Abs. 1 BGB ersetzt wird; die Übersendung der Angebotsunterlage mittels Fax ist mithin nicht ausreichend4.
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Während die BaFin es gemäß Ziffer VI. der Bekanntmachung vom 6.9.19995 zum Zwecke der fristgemäßen Erfüllung der Pflicht zur Übermittlung eines Nachtrags 1 I.E. ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 25; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 6; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 11; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 41. A.A. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 31, der eine Barkapitalerhöhung „kaum einmal“ als die Fristverlängerung rechtfertigend ansieht, weil diese Maßnahme in die vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu erfüllende Finanzierungsverantwortung des Bieters (§§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4, 13 Abs. 1) falle, dabei aber verkennt, dass die Fristverlängerung gerade die Möglichkeit eröffnen soll, eine – sich auf die Mittel aus einer noch durchzuführenden Barkapitalerhöhung erstreckende – Finanzierungsbestätigung vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage noch erlangen zu können. 2 Vgl. Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 38. 3 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 26; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 33; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 44. 4 I.E. ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 6; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 18; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 15, 21. 5 Bekanntmachung des BAWe zum Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (Verkaufsprospektgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9.9.1998 (BGBl. I 1998, 2701 ff.) und zur Ver-
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
nach dem seinerzeitigen § 10 VerkProspG (heute § 10 VermAnlG) genügen lässt, wenn ihr innerhalb der Übermittlungsfrist per Telefax ein unterschriebener Verkaufsprospekt zugeht und ein Verkaufsprospekt mit Originalunterschrift unverzüglich nachgereicht wird1, besteht dafür im Hinblick auf die Übermittlung der Angebotsunterlage, für deren Anfertigung mit der Vier-Wochen-Frist ausreichend Zeit und zudem – unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 – die Möglichkeit der Fristverlängerung besteht, kein Bedarf2. Auf jeden Fall kann sich der Bieter auf eine solche Praxis in Bezug auf die fristgemäße Übermittlung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 nicht verlassen, solange es hierfür an einer entsprechenden Bekanntmachung fehlt3. Zu übermitteln ist nur die unterschriebene Angebotsunterlage. Weitere Angaben, 16 wie sie die BaFin nach Ziffer VI. der Bekanntmachung vom 6.9.19994 auf der Grundlage des seinerzeitigen § 8c VerkProspG in Bezug auf die Übermittlung des Verkaufsprospekts nach dem seinerzeitigen § 8 VerkProspG (d.h. im sog. Hinterlegungsverfahren) verlangte5, sind hier nicht erforderlich.
IV. Eingangsbestätigung (§ 14 Abs. 1 Satz 2) Die BaFin hat dem Bieter den Tag des Eingangs der Angebotsunterlage zu bestätigen. 17 Die Eingangsbestätigung bedarf keiner speziellen Form und wird von der BaFin – der Praxis im Hinterlegungsverfahren nach dem seinerzeitigen VerkProspG6 und heutigen VermAnlG folgend – aus Zweckmäßigkeitsgründen per Telefax oder Schreiben versandt7. Die Bestätigung erlaubt dem Bieter, der gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 die Angebotsunterlage spätestens dann veröffentlichen muss, wenn seit dem Eingang der Angebotsunterlage bei der BaFin zehn Werktage verstrichen sind, ohne dass diese das Angebot untersagt hat, die genaue Berechnung der Frist, innerhalb derer er seiner Pflicht zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage nachzukommen hat8.
C. Prüfung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage I. Prüfung der Angebotsunterlage Nach der Übermittlung der Angebotsunterlage hat die BaFin die Angebotsunterlage zu prüfen. Da der Bieter die Angebotsunterlage zehn Werktage nach Eingang derselben bei der BaFin veröffentlichen muss (§ 14 Abs. 2 Satz 1; siehe oben Rz. 2), kann die Bundesanstalt die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nur verhindern, indem
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ordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte (Verkaufsprospekt-Verordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9.9.1998 (BGBl. I 1998, 2835 ff.) vom 6.9.1999, BAnz. Nr. 177 vom 21.9.1999, S. 16180. Siehe dazu Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 17. Ähnliche Bedenken auch bei Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 25, der allerdings grundsätzlich davon ausgeht, in der Sache sprächen alle Gründe dafür, ein entsprechendes Verfahren auch bei der Übermittlung der Angebotsunterlage als zulässig anzusehen. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 4. Auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 5; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 15. Siehe oben Rz. 15 Fn. 5. Siehe dazu Lenz in Assmann/Lenz/Ritz, 1. Aufl. 2001, § 8 VerkProspG Rz. 17 ff. Siehe Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 56. Vgl. Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 45. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44.
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sie innerhalb dieser Frist das Angebot untersagt, wobei § 15 Abs. 1 diejenigen Fälle bestimmt, in denen die BaFin das Angebot zu untersagen hat. Weist die Angebotsunterlage Mängel auf, welche die BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 dazu zwingen würden, das Angebot zu untersagen, so kann die Bundesanstalt dem Bieter die Möglichkeit zur Nachbesserung einräumen1, ist hinsichtlich ihrer Entscheidung aber an die Frist des § 14 Abs. 2 Satz 1 gebunden, welche sie indes gemäß § 14 Abs. 2 Satz 3 um bis zu fünf Werktage verlängern kann (siehe unten Rz. 25 ff.). 19
Die Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin ist im Wesentlichen eine formelle Vollständigkeitsprüfung2, d.h. eine solche, welche die Angebotsunterlage daraufhin kontrolliert, ob sie alle vom Gesetz (§ 11 Abs. 2) und der auf der Grundlage des Gesetzes (§ 11 Abs. 4) erlassenen WpÜG-AngVO verlangten Angaben (namentlich solche nach § 2 WpÜG-AngVO) enthält (§ 15 Abs. 1 Nr. 1)3, nicht aber, ob die Angaben der Wahrheit entsprechen und die Angebotsunterlage alle Angaben enthält, die notwendig sind, damit die Adressaten des Angebots in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden können (§§ 11 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 12 Abs. 1). Zwar verlangt § 15 Abs. 1 Nr. 2 von der BaFin eine darüber hinausgehende inhaltliche Prüfung der Angebotsunterlage, beschränkt diese jedoch sogleich darin, dass die BaFin das Angebot, wie es sich in der Angebotsunterlage darstellt, nur auf offensichtliche Verstöße gegen die Vorschriften des WpÜG und der WpÜG-AngVO zu kontrollieren hat und verlangt auch damit keine inhaltliche Richtigkeitskontrolle der Angaben des Bieters4. Weil § 15 nur diejenigen Fälle aufführt, bei deren Vorliegen die BaFin das Angebot – ohne insoweit über ein Ermessen zu verfügen – untersagen muss, darüber hinaus aber keine abschließende Regelung der Untersagungsgründe darstellt, kann auch ein in der Angebotsunterlage zum Ausdruck kommender, nicht auf einem Verstoß gegen eine bestimmte Vorschrift des WpÜG oder der WpÜG-AngVO beruhender Missstand (§ 4) die BaFin zur Untersagung des Angebots berechtigten, doch ist die BaFin weder gezwungen, die Angebotsunterlage auf solche Missstände hin zu durchforsten5 noch der Richtigkeit diesbezüglich relevanter Angaben nachzugehen. Zu Einzelheiten der Prüfung der Angebotsunterlage siehe die Erläuterungen zu § 15.
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In der Praxis6 geht die Vollständigkeitsprüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin über die vom Gesetz als Mindeststandard der Angebotsunterlagenprüfung verlangte (siehe Rz. 19) rein formelle Vollständigkeitsprüfung hinaus, indem auch „die Darstellung und der Aussagewert einzelner Angaben beurteilt“7 und so die formelle Vollständigkeitsprüfung um Elemente der materiellen Richtigkeitsprüfung ergänzt wird. So kontrolliert die BaFin die Angebotsunterlage insbesondere bei der Beschreibung der erwarteten Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Fi1 Zur entsprechenden Praxis bei der Prüfung von Verkaufsprospekten siehe Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 42. 2 Entsprechend § 8i des zwischenzeitlich aufgehobenen VerkProspG. Siehe dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45. Zu Konzept und Reichweite der formellen Inhaltskontrolle siehe Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 32 ff. Zur Erweiterung der formellen Inhaltskontrolle für die Prüfung von Verkaufsprospekten um eine Kohärenzund Verständlichkeitskontrolle für Wertpapier- und Verkaufsprospekte siehe Rz. 20. 3 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 31; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 9; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 37 f.; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 96 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 53. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45. 5 A.A. Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 14 Rz. 34, der unter Berufung auf § 4 Abs. 1 Satz 2 eine Plausibilitätskontrolle der Angebotsunterlage verlangt. 6 Dazu näher Lenz/Linke, AG 2002, 361, 362 f.; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43 f. 7 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 362.
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
nanz- und Ertragslage des Bieters nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 auf eine detaillierte und schlüssige Darstellung der mit konkreten Zahlenangaben zu belegenden wesentlichen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen1. Ein besonderes Augenmerk richtet die BaFin darüber hinaus auf die Zulässigkeit der Angaben, d.h. darauf, dass die Angebotsunterlage keine Angaben enthält, die (i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 als dem eigentlichen Einfallstor für eine stärker materiellrechtliche Richtigkeits- und Vollständigkeitsprüfung) offensichtlich gegen Vorschriften des WpÜG und der WpÜG-AngVO verstoßen2. Des Weiteren prüft die BaFin Angebotsunterlagen auch auf ihre Verbindung von Form und Inhalt und ist bereit, unverständlich abgefasste oder unübersichtlich gestaltete Angebotsunterlagen (im Hinblick auf ein Verbot ihrer Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2) zu beanstanden3. Schon vor der Erweiterung der formellen Inhaltskontrolle für Prospekte um eine Kohärenz- und Verständlichkeitskontrolle durch § 13 Abs. 1 Satz 2 WpPG einerseits und dem (an die Stelle von § 8i Abs. 2 des zwischenzeitlich aufgehobenen VerkProspG getretenen) § 8 Abs. 1 VermAnlG4 folgte die BaFin damit diesen nunmehr für die Prospektprüfung gesetzlich bestimmten Maßstäben. Schon wegen der Anforderungen, die das WpÜG an die Sicherstellung der Finanzierung des Angebots (§ 13) und entsprechende Angaben in der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1) stellt, ist bei einer Kohärenz- und Verständlichkeitsprüfung für die Prüfung der Bonität des Anbieters weder Bedarf noch Raum5. Vorprüfungen der Angebotsunterlage finden nicht statt, doch ist die BaFin im Inte- 21 resse der Gewährleistung eines zügigen Angebotsverfahrens zu Vorgesprächen im Hinblick auf Zweifelsfragen bei der Erstellung der Unterlage bereit6. Des Weiteren entspricht es der Praxis der BaFin, soweit auf Grund ihrer zeitlichen und personellen Kapazitäten tunlich, den Bieter über Mängel der Angebotsunterlage7, welche die Behörde bei der Prüfung derselben festgestellt hat, zu unterrichten und eine Erörterung der Mängel und der Möglichkeiten ihrer Beseitigung anzubieten, wobei einem solchen Gespräch, je nach der abgelaufenen Zeit, ein Verlängerungsbescheid nach § 14 Abs. 2 Satz 3 oder die Ankündigung eines solchen (im Zusammenhang mit der Unterrichtung des Bieters über die Mängel der Angebotsunterlage) vorausgehen kann8.
II. Veröffentlichungspflicht und -frist (§ 14 Abs. 2 Satz 1) Gestattet die BaFin innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 1 die Veröffentlichung 22 der Angebotsunterlage, so ist diese unverzüglich – d.h., entsprechend § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, ohne schuldhaftes Zögern (siehe auch die Erläuterungen zu § 10 Rz. 43 f.) – nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1). Unterbleibt die Veröffentlichung, muss die BaFin das Angebot untersagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 4), mit der Folge, dass der Bieter vor Ablauf eines Jahres kein erneutes Angebot unterbreiten kann (§ 26 Abs. 1 Satz 1); zu weiteren Konsequenzen siehe § 15 1 2 3 4 5 6 7 8
Lenz/Linke, AG 2002, 361, 362, 363. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363. Siehe auch Lenz/Behnke, BKR 2003, 43 f. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363. Zu § 13 WpPG siehe RegE BT-Drucks. 15/4999, S. 1, 34, und zu § 8 Abs. 1 VermAnlG siehe RegE BT-Drucks. 17/6051, S. 1, 33. So für die Prüfung des Wertpapierprospekts siehe RegE BT-Drucks. 15/4999, S. 1, 34. Entsprechendes gilt für den mit § 13 Abs. 1 weitgehend wortgleichen § 8 Abs. 1 VermAnlG; siehe RegE BT-Drucks. 17/6051, S. 1, 33. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 45. Zu typischen Mängeln der Angebotsunterlage siehe Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363 f.; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 46 f. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 45.
Assmann
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
Abs. 3. Zur ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktion von vorsätzlichen oder leichtfertigen Verstößen gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 siehe unten Rz. 51. 23
Unverzüglich und den Anforderungen aus § 14 Abs. 3 Satz 1 genügend ist die Angebotsunterlage auch dann zu veröffentlichen, wenn seit ihrem Eingang bei der BaFin zehn Werktage verstrichen sind, ohne dass die BaFin tätig wurde, indem sie die Veröffentlichung der Angebotsunterlage gestattete oder das Angebot untersagte (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2).
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Die Berechnung der Zehn-Tage-Frist erfolgt nach § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB. Sie beginnt mit dem auf den Eingang der Angebotsunterlage bei der BaFin folgenden Tag zu laufen (§ 187 Abs. 1 BGB) und endet mit dem Ablauf des letzten Tags der Frist. Gezählt werden ausschließlich Werktage (und nicht Kalendertage), wobei der Samstag als Werktag gilt1 und nur Sonntage und – so jedenfalls die Praxis der BaFin unter dem (aufgehobenen) VerkProspG2 – bundeseinheitlich festgelegte Feiertage nicht als Werktage zählen3. Betrachtet man die der BaFin in dem (§ 14 Abs. 1 Satz 1 vergleichbaren) seinerzeitigen § 8i Abs. 2 Satz 2 VerkProspG (der Vorschrift entspricht § 8 Abs. 2 und Abs. 3 VermAnlG und dieser wiederum § 13 Abs. 2 und Abs. 3 WpPG) gesetzte Frist als „uneigentliche Frist, die das Gesetz der Behörde als Verfahrensträgerin setzt“ und damit nicht, wie von § 31 VwVfG vorausgesetzt, als Handlungs- oder Erklärungsfrist für den Bürger angesehen werden kann4, muss Entsprechendes auch für § 14 Abs. 1 Satz 1 gelten: Dementsprechend findet § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG keine Anwendung, so dass das Ende der Frist auf einen Samstag („Sonnabend“) fallen kann; dagegen kann die Frist nicht an einem Sonnoder Feiertag enden5, weil diese keine Werktage sind.
III. Fristverlängerung vor Untersagung des Angebots (§ 14 Abs. 2 Satz 3) 25
Ist die Angebotsunterlage unvollständig oder verstößt sie auf andere Weise gegen die Vorschriften des WpÜG oder eine auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnung, kann die BaFin vor der Untersagung des Angebots, auch ohne dass ein diesbezüglicher Antrag vorliegen muss, die Frist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 um bis zu fünf Werktage verlängern. Dadurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass in der Angebotsunterlage „nicht selten sehr komplexe Sachverhalte … darzustellen sind“ und die BaFin, ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zustünde, das Angebot (mit der sich aus § 26 ergebenden Sperrwirkung sowie den aus § 15 Abs. 3 folgenden 1 Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 25; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 45. Vgl. auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 38; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 52; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 22; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 61. 2 Bekanntmachung (Fn. 5 Rz. 15), Ziff. VII. 1. Dazu auch Maas in Assmann/Schlitt/von KoppColomb, § 8i VerkProspG Rz. 25 f. 3 So auch für das WpÜG Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 45. In Bezug auf die Angebotsunterlage etwa Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 8; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 52; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 23; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 61. 4 Dazu näher Lenz in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 8i VerkProspG Rz. 25; Lenz/ Ritz, Die Bekanntmachung des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel zum Wertpapier-Verkaufsprospekt und zur Verordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte, WM 2000, 904, 907. 5 Bekanntmachung (Fn. 5 Rz. 15), Ziff. VII. 1.
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Konsequenzen) auch dann nach § 15 Abs. 1 untersagen müsste, wenn die Angebotsunterlage kurzfristig und unschwer zu beseitigende Mängel aufwiese1. Zur Fristverlängerung zwecks Schaffung des Zeitrahmens zur Erörterung von Mängeln der Angebotsunterlage und zu deren Beseitigung siehe schon oben Rz. 21. Nach der Gesetzesbegründung gestattet § 14 Abs. 2 Satz 3 eine „einmalige Nachfrist von höchstens fünf Werktagen“2, jedoch ist Sinn und Zweck der Bestimmung nicht zu entnehmen, dass eine mehrmalige Fristverlängerung nicht zulässig wäre, solange sie insgesamt zu keiner fünf Werktage übersteigenden Verlängerung der Frist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 führt3. Eine zunächst um zwei Tage verlängerte Frist kann danach ohne Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 3 noch einmal um höchstens drei Tage verlängert werden4. Außer Frage steht, dass die BaFin auch innerhalb der verlängerten Frist dem Bieter durch Hinweis auf verbliebene Mängel der Angebotsunterlage mehrfach die Möglichkeit der Nachbesserung geben kann.
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Die Entscheidung über die Fristverlängerung steht im Ermessen der BaFin5. Das gilt 27 auch im Hinblick auf den Umfang der Verlängerung im Rahmen der durch § 14 Abs. 2 Satz 3 gesetzten Höchstgrenze von fünf Werktagen. Die Berechnung der verlängerten Frist erfolgt nach Maßgabe von § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB6; das oben in Rz. 24 Ausgeführte gilt entsprechend.
IV. Verbot der Bekanntgabe vor Veröffentlichung (§ 14 Abs. 2 Satz 2) Vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 Satz 1 darf diese ge- 28 mäß § 14 Abs. 2 Satz 2 weder vom Bieter noch durch Dritte7 bekannt gegeben werden. Sinn und Zweck der Regelung ist es, der Öffentlichkeit erst in dem Zeitpunkt Kenntnis von der Angebotsunterlage zu geben, in dem die Prüfung derselben durch die BaFin (durch Gestattung der Veröffentlichung der Angebotsunterlage) abgeschlossen oder die in § 14 Abs. 2 Satz 1 angeführte und ggf. nach § 14 Abs. 2 Satz 3 verlängerte Frist abgelaufen ist. Darüber hinaus hat die Bestimmung den Effekt, dass die Veröffentlichung der Angebotsunterlage in einem geordneten, die informationelle Chancengleichheit des Publikums wahrenden und zugleich die diffuse Verbreitung von Insiderinformationen verhindernden Verfahren erfolgt. Da die Vorschrift aber vorrangig dem Schutz des Publikums vor Dispositionen auf der Grundlage einer noch nicht gebilligten Angebotsunterlage und vor Abgabe eines rechtsverbindlichen Angebots dient, kommt als Bekanntgabe auch nur eine Veröffentlichung der Angebotsunterlage, d.h. eine Bekanntgabe jedweder Art gegenüber einem unbestimmten Personenkreis8 in Frage. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45 (Hervorhebung hinzugefügt). 3 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 34; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 48; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 64. 4 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 34. 5 Vgl. etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 36; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 50: Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 66. 6 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 38; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 54; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 65. 7 Vgl. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 59; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 70. Wie hier jetzt auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 26, anders noch Steinmeyer/Häger, 1. Aufl. 2002, § 14 Rz. 24; a.A. noch Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 43. 8 Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 61 („Vielzahl von Dritten“); Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 71 („Vielzahl von Adressaten“).
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Spezielle insiderrechtliche Regelungsanliegen werden mit § 14 Abs. 2 Satz 2 nicht verfolgt. Deshalb ist die nicht in eine Bekanntgabe (siehe Rz. 28) mündende Weitergabe der noch nicht veröffentlichten Angebotsunterlage an einzelne Personen kein Anwendungsfall des § 14 Abs. 2 Satz 2, sondern des Insiderrechts (insbes. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) und nach diesem jedenfalls dann keinen Bedenken unterliegend, wenn sie befugt erfolgt. Als befugt wird man u.a. die Weiterleitung der noch unveröffentlichten Angebotsunterlage an den Vorstand der Zielgesellschaft ansehen können1, zumal wenn bereits im Vorfeld Gespräche zwischen diesem und dem Bieter stattgefunden haben und (im Hinblick auf die nach § 27 gebotene Stellungnahme des Vorstands der Zielgesellschaft) die Empfehlung des Vorstands zur Annahme des Angebots im Raume steht. Der Vorstand der Zielgesellschaft wird dadurch im Hinblick auf die in der Angebotsunterlage enthaltenen Insidertatsachen (§ 13 Abs. 1 WpHG) Insider und unterliegt damit den Insiderhandelsverboten aus § 14 Abs. 1 WpHG. Wegen der Pflicht des Vorstands zur unverzüglichen Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Zielgesellschaft nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG aus „sonstigen wichtigen Anlässen“ einerseits und des Umstands, dass auch der Aufsichtsrat nach § 27 eine Stellungnahme zum Angebot abzugeben hat, wird man auch die Weiterleitung der noch unveröffentlichten Angebotsunterlage sowohl direkt durch den Bieter als auch durch den Vorstand der Zielgesellschaft an den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft als befugt anzusehen haben2. Allerdings hat es der Bieter in der Hand, durch entsprechende (ggf. vertragsstrafebewehrte) vertragliche Vereinbarung mit dem Vorstand der Zielgesellschaft eine Weiterleitung der Angebotsunterlage vor deren Veröffentlichung an den Aufsichtsrat zu unterbinden. Eine Weiterleitung der unveröffentlichten Angebotsunterlage durch den Bieter oder den Vorstand der Zielgesellschaft an den Betriebsrat der Zielgesellschaft oder gar, falls ein solcher nicht besteht, an die Arbeitnehmer derselben ist dagegen nicht mehr als befugt anzusehen3: Im Falle der Information der Arbeitnehmer käme nur eine Form der Weitergabe in Betracht, die eine Bekanntgabe i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 darstellen würde; eine Weiterleitung der noch unveröffentlichten Angebotsunterlage an den Betriebsrat ist dagegen weder auf Grund gesellschaftsrechtlicher noch übernahmerechtlicher Erwägungen gerechtfertigt.
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Abgesehen davon, dass der vorsätzliche oder leichtfertige Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 ordnungswidrigkeitsrechtlich sanktioniert ist (siehe unten Rz. 51), kann die unbefugte Bekanntgabe der Angebotsunterlage gegenüber einem unbestimmten Personenkreis auch eine Insidertat in Gestalt der unbefugten Weitergabe einer Insidertatsache nach § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 1, 3 und 4 und § 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG darstellen. Darüber hinaus kommt ein Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation i.S.d. §§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1 f. WpHG in Betracht. Schließlich kann die BaFin zur Verhinderung der unbefugten Veröffentlichung der Angebotsunterlage bzw. zur Verhinderung weiterer Fälle unbefugter Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 vorgehen.
1 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 44; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 61; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 70. A.A. Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 232. 2 Auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 44; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 61; beide allerdings mit dem Vorbehalt „ggf.“ 3 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 66; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 71; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 73.
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V. Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 3) 1. Überblick § 14 Abs. 3 Satz 1 schreibt die Art und Weise der Veröffentlichung der Angebots- 31 unterlage vor. Durch eine formalisierte Veröffentlichungsprozedur wird in zeitlicher Hinsicht die informationelle Chancengleichheit des Publikums sichergestellt und in sachlicher Hinsicht einer effektiven Verbreitung der (namentlich die für die Adressaten des Angebots erforderlichen) Angebotsinformationen Rechnung getragen. Dem dient ein zwingend einzuhaltendes zweispuriges Veröffentlichungsverfahren, das sowohl die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Internet (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) als auch entweder die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Bundesanzeiger oder die Bereithaltung der Angebotsunterlage zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland (sog. Schalterpublizität). Im letzteren Falle ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgt ist (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2). Nimmt der Bieter die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht in der in § 14 Abs. 3 Satz 1 vorgeschriebenen Form vor, kann die BaFin das Angebot untersagen (§ 15 Abs. 2). Verstöße gegen § 14 Abs. 3 Satz 1 stellen zugleich Verstöße gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 dar; zu deren ordnungswidrigkeitsrechtlicher Sanktion siehe unten Rz. 51. § 14 Abs. 3 Satz 2 verpflichtet den Bieter, der Aufsichtsbehörde die im Bundesanzeiger nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 vorzunehmenden Veröffentlichungen, d.h. entweder die Bekanntgabe der Angebotsunterlage oder die Hinweisbekanntmachungen für den Fall der Schalterpublizität, unverzüglich mitzuteilen. Zur ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktion von vorsätzlichen oder leichtfertigen Verstößen gegen § 14 Abs. 3 Satz 2 siehe unten Rz. 51.
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Mit der Veröffentlichung nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 Satz 1 ist das Angebot des 33 Bieters im Rechtssinne als abgegeben anzusehen1. Die Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ist darüber hinaus Anknüpfungspunkt von Fristen, wie etwa der Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 oder der Verjährung der Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angebotsunterlage nach § 12 Abs. 4. Soweit das Gesetz (das ist, neben den vorstehend angeführten Vorschriften, in §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 31 Abs. 4 und § 4 WpÜG-AngVO der Fall) tatbestandlich auf die Veröffentlichung der Angebotsunterlage abstellt und die Veröffentlichung im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und diejenige im Bundesanzeiger bzw. durch Eröffnung der Schalterpublizität nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nicht zeitgleich erfolgen, ist – weil es sich diesbezüglich um kumulativ einzuhaltende Veröffentlichungsformen handelt und in der Sache der Regelung des § 10 Abs. 2 HGB betreffend die Bekanntmachung von Handelsregistereintragungen entsprechend – die zeitlich spätere Veröffentlichungsform maßgebend. 2. Veröffentlichung im Internet (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) Der technologischen Entwicklung Rechnung tragend und dem Publikum die Möglichkeit des schnellen und unmittelbaren Zugriffs auf die Angebotsunterlage eröffnend2, 1 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 47; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 2; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 62; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 75. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45.
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ermöglicht § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 nicht nur die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Internet, sondern schreibt eine solche – unter den bislang bekannten Formen zwingender Kapitalmarktkommunikation ein Novum – sogar vor. Dabei überlässt das Gesetz die Entscheidung, an welcher Stelle (Web-Site) die Bekanntgabe im Internet erfolgt, dem Bieter. Lediglich Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte1 sprechen dafür, dass dieser zur Bekanntgabe der Angebotsunterlage seine eigene Web-Site wählen wird. 35
Das Recht des Bieters, die Bekanntgabe der Angebotsunterlage an einer von ihm zu wählenden Web-Site vorzunehmen, steht dem vom Gesetzgeber angestrebten „schnellen und unmittelbaren Zugriff“ auf die Angebotsunterlage nicht entgegen, muss der Bieter doch bei der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 3 Satz 2 auch die Adresse angeben, unter der die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgen wird. Die Veröffentlichung an einer anderen Stelle als der in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 3 angegebenen läuft – indem sie den „schnellen und unmittelbaren Zugriff“ auf die Angebotsunterlage erschwert, wenn nicht gar vereitelt – dem Regelungsanliegen des Gesetzgebers zuwider. Sie kann deshalb nicht als ordnungsgemäße Veröffentlichung i.S.d. § 14 Abs. 3 angesehen werden2, stellt aber jedenfalls einen Missstand dar, der die BaFin zum Einschreiten nach § 4 Abs. 1 Satz 3 veranlassen muss3.
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Beschränkungen des Zugriffs auf die Web-Site, auf der die Bekanntgabe der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgt, wird man für den Fall zuzulassen haben, dass dem Bieter bei grenzüberschreitenden Angeboten nach § 24 gestattet wurde, bestimmte Inhaber von dem Angebot auszunehmen4. Zwar soll die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Internet gerade auch ausländischen oder im Ausland weilenden inländischen Interessenten und Angebotsadressaten den schnellen und komplikationslosen Zugriff auf die Angebotsunterlage ermöglichen, doch ist die Sperre des Zugangs zu der fraglichen Web-Site vom betroffenen Ausland her möglicherweise (anstelle einer bloßen Angebotsverwahrung gegenüber bestimmten Personen) die einzige effektive Maßnahme, um zu verhindern, dass der Bieter durch die Einstellung der Angebotsunterlage in das Internet den Regelungen fremder Jurisdiktionen unterfällt, von denen ihn die Ausnahmegenehmigung nach § 24 gerade freistellen soll. Das Gesetz enthält demgegenüber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Angebotsunterlage nur dann als veröffentlicht zu gelten habe, wenn sie ins Internet eingestellt sei und zumindest ausgedruckt werden könnte. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft die Möglichkeit zu eröffnen, sich über das Angebot sachgerecht informieren zu können5, zwingen nicht zu der Annahme, die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Wege ihrer Bekanntgabe im Internet sei erst erfolgt, wenn sich die Angebotsadressaten ein ausgedrucktes Exemplar derselben verschaffen könnten6 oder gar ein „Download“ der
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45. 2 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 48; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 63; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 80. So jetzt auch Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 14 Rz. 44. A.A. noch die 1. Aufl. 2005, § 14 Rz. 26. 3 Siehe § 4 Rz. 8, 23. Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 63 („kann“). 4 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 51. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45. 6 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 11. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 49; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 81; Ritz, AG 2002, 662, 666, in Bezug auf die ähnliche Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 VerkProspG a.F.
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Datei möglich sei1, zumal die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Internet die Veröffentlichung derselben in einer gedruckten Form nicht ersetzt (§ 14 Abs. 3 Satz 1; siehe unten Rz. 37). 3. Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder Schalterpublizität (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2) Zusätzlich zur Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Internet verlangt das Gesetz eine weitere Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Dabei kann der Bieter wählen, ob er die Angebotsunterlage im Bundesanzeiger bekanntgibt oder diese zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland bereithält. Im letzteren Falle entfällt zwar die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Bundesanzeiger, doch muss – dessen ungeachtet – im Bundesanzeiger bekannt gemacht werden, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgt ist. Diese Bekanntmachung ist der BaFin unverzüglich mitzuteilen (§ 14 Abs. 3 Satz 2).
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a) Bekanntgabe im Bundesanzeiger und Mitteilungspflicht Aufgrund der Änderung der Vorschrift durch das Übernahmerichtlinie – Umset- 38 zungsgesetz (Rz. 3a) ist an die Stelle der Möglichkeit, die Angebotsunterlage – statt durch Schalterpublizität und zusätzlich zur Bekanntgabe im Internet – in einem überregionalen Börsenpflichtblatt bekannt zu veröffentlichen, die Option getreten, die Angebotsunterlage im Bundesanzeiger bekannt zu geben. War ursprünglich vom „elektronischem“ Bundesanzeiger die Rede, so spricht die Bestimmung nach ihrer Änderung durch das Gesetz vom 22.12.2011 zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung (oben Rz. 3a), mit dem die gedruckte Ausgabe des Bundesanzeigers zum 1.4.2012 durch ein elektronisches Publikationsorgan mit der Bezeichnung Bundesanzeiger ersetzt wurde (siehe §§ 5, 12 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen), nur noch vom Bundesanzeiger. Veröffentlichungen im Bundesanzeiger können online veranlasst werden über www.publikations-plattform.de. Der Bieter hat die Bekanntgabe der Angebotsunterlage im Bundesanzeiger der BaFin 39 unverzüglich mitzuteilen (§ 14 Abs. 3 Satz 2). Die Mitteilung muss gemäß § 45 schriftlich erfolgen, kann aber im Wege der elektronischen Datenfernübertragung übermittelt werden, wenn der Absender hierbei zweifelsfrei zu erkennen ist. Zu den Anforderungen, die sich aus dem Umstand ergeben, dass die Mitteilung unverzüglich zu erfolgen hat, siehe die Erläuterungen zu § 10 Rz. 43 f. b) Schalterpublizität Die Regelung, der zufolge der Bieter alternativ zur Veröffentlichung der Angebots- 40 unterlage im Bundesanzeiger die Angebotsunterlage bei einer geeigneten Stelle im Inland zur kostenlosen2 Ausgabe bereithalten kann (sog. Schalterpublizität), lehnt sich an die entsprechenden Regelungen in § 9 Abs. 2 Satz 1 VerkProspG a.F. (der Vor-
1 So Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 64; Ritz, AG 2002, 662, 666. 2 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 12; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 68; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 87.
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schrift entspricht § 9 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG) und § 14 Abs. 2 Nr. 2 WpPG an1. Abweichend von diesen enthält § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 jedoch keine Vorgaben im Hinblick auf die für die Bereithaltung der Angebotsunterlage in Frage kommenden Stellen, sondern verlangt lediglich, dass es sich um inländische Stellen handelt, die für den fraglichen Zweck geeignet sind. Das setzt vor allem voraus, dass die Stelle postalisch oder telefonisch unter der angegebenen Adresse oder zu den üblichen Geschäftszeiten unter den angeführten Telefonnummern erreichbar und zur Vorhaltung und Abwicklung der kostenlosen Versendung der Angebotsunterlagen in der Lage ist2, nicht aber notwendigerweise auch die Möglichkeit des Zugangs zu Geschäftsräumen zwecks Abholung der Angebotsunterlage. Umgekehrt ist der Schalterpublizität nicht Genüge getan, wenn die Unterlage an der fraglichen Stelle abgeholt werden muss, eines Fax-Abrufs auf Kosten des Interessenten bedarf oder, was durch die Ergänzung der obligatorischen Internetveröffentlichung um die Schalterpublizität gerade vermieden werden soll3, der Interessent lediglich auf eine Internetadresse4 verwiesen wird. Außer Frage steht, dass die Vorhaltung der Angebotsunterlage auch auf die Weise erfolgen kann, dass die Angebotsunterlage bei Bedarf von der fraglichen Stelle aus dem Internet oder von einem anderen Speichermedium ausgedruckt wird5. 41
Wählt der Bieter die Schalterpublizität als die Internetbekanntmachung ergänzende Veröffentlichungsform, so muss er im Bundesanzeiger (Rz. 38) die in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (2. Halbsatz) vorgesehenen Hinweisbekanntmachungen vornehmen. Danach ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erfolgt ist. Das setzt zum Zwecke der Identifikation des Vorgangs, auf den sich die Hinweisbekanntmachung bezieht, zunächst die Benennung des Bieters und der betroffenen Wertpapiere voraus. Des Weiteren ist der Name und die Adresse und/oder Telefonnummer der Stelle, bei der die Angebotsunterlage bereitgehalten wird, anzugeben (die Nennung einer Fax-Nummer oder einer E-Mail-Adresse kann hinzukommen) und mit dem Hinweis zu versehen, dass die Angebotsunterlage bei der angeführten Stelle kostenlos angefordert werden kann.
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Nach § 14 Abs. 3 Satz 2 hat der Bieter der BaFin die Veröffentlichung der Hinweisbekanntmachungen nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (Rz. 41) unverzüglich mitzuteilen. Die Mitteilung hat schriftlich zu erfolgen, kann aber im Wege der elektronischen Datenfernübertragung übermittelt werden, wenn der Absender hierbei zweifelsfrei zu erkennen ist (siehe oben Rz. 39).
1 Zu Einzelheiten kann deshalb auf die Kommentierung der Vorschrift von Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, § 9 VerkProspG Rz. 11 ff. und Kunold in Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, § 14 WpPG Rz. 17 ff. verwiesen werden. 2 Es entspricht zumindest h.M., dass die Stelle in der Lage sein muss, den Versand der Angebotsunterlage organisatorisch zu bewältigen. Siehe Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 53; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 68; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 88 f. 3 Die Schalterpublizität hat hier erkennbar mehr als die Funktion einer bloßen Evidenzzentrale im Hinblick auf die Bekanntgabe der Internetadresse i.S.d. § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1. 4 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 55; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 68; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 91. 5 Im Anschluss an Ritz in Assmann/Lenz/Ritz, 1. Aufl. 2001, § 9 VerkProspG Rz. 13, ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 56; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 68; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 92.
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
D. Übermittlungspflichten des Bieters und des Vorstands der Zielgesellschaft nach § 14 Abs. 4 Die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 zieht gemäß 43 § 14 Abs. 4 Satz 1 zunächst die Pflicht des Bieters nach sich, dem Vorstand der Zielgesellschaft die Angebotsunterlage unverzüglich nach deren Veröffentlichung zu übermitteln. Der Vorstand der Zielgesellschaft ist dann seinerseits gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 verpflichtet, die ihm zugegangene Angebotsunterlage unverzüglich dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zu übermitteln. Verstöße gegen § 14 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 sind ordnungswidrigkeitsrechtlich sanktioniert, siehe unten Rz. 51. Handelt es sich bei dem Bieter um ein Unternehmen, so ist er aufgrund des mit dem ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetz vom 8.7.2006 (oben Rz. 3a) neu eingefügten § 14 Abs. 4 Satz 3 verpflichtet, die Angebotsunterlage auch seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 zu übermitteln. § 14 Abs. 4 entspricht den Pflichten des Bieters zur Weiterleitung der Veröffentlichung der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 5.
I. Übermittlung an den Vorstand der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 1) Der Umstand, dass dem Vorstand der Zielgesellschaft bereits vor Veröffentlichung 44 der Angebotsunterlage eine solche zugeleitet wurde (siehe oben Rz. 29), entbindet nicht von der Pflicht, ihm nach der Veröffentlichung derselben gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 neuerlich eine Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 4 Satz 1 zu übermitteln. Das ist schon deshalb geboten, um den Vorstand über den Umstand der Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu informieren und bei ihm keine Zweifel über den – möglicherweise (etwa auf Grund entsprechender Interventionen der BaFin im Zuge der Prüfung der Angebotsunterlage) von einer früheren Version abweichenden – veröffentlichten Inhalt der Angebotsunterlage aufkommen zu lassen1. § 14 Abs. 4 Satz 1 verlangt die Übermittlung der Angebotsunterlage an den Vorstand. 45 Dem ist in entsprechender Anwendung von § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG2 Genüge getan, wenn – im Falle eines mehrköpfigen Vorstands – die Angebotsunterlage einem Vorstandsmitglied zugeht3 (siehe § 10 Rz. 73). Im Übrigen entspricht die Regelung des § 14 Abs. 4 im Wesentlichen derjenigen des § 10 Abs. 5, mit dem Unterschied, dass an die Stelle der in § 10 Abs. 4 angeordneten Mitteilungspflichten über die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots jeweils die Pflicht zur Übermittlung der veröffentlichten Angebotsunterla1 Eine nochmalige Übermittlung wird teilweise nur dann für erforderlich gehalten, falls die veröffentlichte Angebotsunterlage von der dem Vorstand zuvor übermittelten abweicht, allerdings wird eine nochmalige Übermittlung empfohlen. So etwa Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 62; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 70; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 101. 2 Es entspricht h.M., dass § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, der sich unmittelbar nur auf gegenüber der Gesellschaft abzugebende Willenserklärungen bezieht, auf geschäftsähnliche Handlungen entsprechend anzuwenden ist. Vgl. etwa Habersack in Großkomm. AktG, § 78 Rz. 38; Hüffer, § 78 AktG Rz. 13; Spindler in MünchKomm. AktG, § 78 Rz. 84. 3 Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 61; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 102.
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§ 14
Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
ge tritt und für diese, anders als für die Mitteilung nach § 10 Abs. 5, keine Schriftform vorgesehen ist. Zu den sich aus § 14 Abs. 4 ergebenden Übermittlungspflichten kann deshalb weitgehend auf die Kommentierung zu § 10 Abs. 5 (§ 10 Rz. 70 ff.) verwiesen werden. Erläuterungswürdige Besonderheiten ergeben sich deshalb lediglich im Hinblick auf die Frist (siehe unten Rz. 47) und die Form der Übermittlung der Angebotsunterlage (siehe unten Rz. 48 f.) zunächst seitens des Bieters an den Vorstand der Zielgesellschaft und sodann seitens des Vorstands der Zielgesellschaft gegenüber dem Betriebsrat (und ggf. gegenüber den Arbeitnehmern) der Zielgesellschaft. 47
Die Übermittlung der Angebotsunterlage an den Vorstand der Zielgesellschaft muss nach § 14 Abs. 4 Satz 1 unverzüglich erfolgen. Während die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 3 alternativ in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder einem elektronisch betriebenen Informationssystem erfolgen kann, ist die Veröffentlichung der Angebotsunterlage erst erfolgt, wenn – kumulativ – die Angebotsunterlage im Internet bekannt gegeben und nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 veröffentlicht wurde. Deshalb ist im Hinblick auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Übersendung der Angebotsunterlage an den Vorstand der Zielgesellschaft nicht auf den ersten, sondern auf den letzten Akt des zweigliedrigen Veröffentlichungsvorgangs abzustellen1. So oder so hat es der Bieter in der Hand, durch die Einstellung der Angebotsunterlage ins Internet zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 hieraus resultierende Zweifelsfragen gar nicht erst aufkommen zu lassen.
48
Da § 14 Abs. 4 Satz 1 keine bestimmte Form der Übermittlung vorschreibt und sich ein Formerfordernis – anders als bei der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin nach § 14 Abs. 1 Satz 1 (siehe oben Rz. 14) – auch aus sonstigen Gründen nicht ergibt, kommt für die Übermittlung der Angebotsunterlage an den Vorstand der Zielgesellschaft auch die elektronische Übermittlung oder die Übersendung der Unterlage via Fax in Betracht2, obschon sich auch hier aus Gründen des Nachweises der Übermittlung in erster Linie noch immer postalische Übermittlungsformen anbieten. Wollte man die Mitteilung lediglich einer Internetadresse, auf der die Angebotsunterlage bekannt gegeben wird, als Übermittlung genügen lassen3, würde aus der „Bringschuld“ des Bieters eine „Holschuld“ des Vorstands der Zielgesellschaft und – will man dem Vorstand der Zielgesellschaft nicht vorenthalten, was dem Bieter gewährt wird – in der Folge auch des Betriebsrats (oder ggf. gar der Arbeitnehmer) der Zielgesellschaft.
II. Weiterleitung an Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 2) 49
Wie in Bezug auf die Übermittlung der Angebotsunterlage durch den Bieter an den Vorstand der Zielgesellschaft ist auch im Hinblick auf diejenige des Vorstands der 1 A.A. Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 100 f., der dieses Ergebnis unter Berufung auf den Zweck des § 14 Abs. 4 korrigieren will. Auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 14 WpÜG Rz. 23. 2 Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 244; Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 104. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 70. Dazu neigt Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 63; auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 14 Rz. 33. Sympathisierend, aber doch „eher“ der hier vertretenen Ansicht folgend, Thoma in Baums/Thoma, § 14 Rz. 104. Ablehnend wie hier Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 14 WpÜG Rz. 23; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 14; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 14 Rz. 36; Sohbi in Heidel, § 14 WpÜG Rz. 15.
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
Zielgesellschaft an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft nach § 14 Abs. 4 Satz 2 keine Form vorgeschrieben. Für die Übermittlung der Angebotsunterlage durch die Zielgesellschaft an den Betriebsrat, zu richten an den Vorsitzenden des jeweils zu unterrichtenden Gremiums (siehe § 10 Rz. 75), kommen deshalb die gleichen Übermittlungsformen wie bei der Übermittlung der Angebotsunterlage durch den Bieter an den Vorstand der Zielgesellschaft in Betracht (siehe Rz. 48). Hat der Vorstand der Zielgesellschaft die Angebotsunterlage, mangels Existenz eines Betriebsrats, „den Arbeitnehmern“ zu übermitteln, so ist damit nicht die individuelle Information jedes einzelnen Arbeitnehmers gemeint. Deshalb muss es auch hier (wie schon bei der Erfüllung der Unterrichtungspflicht nach § 10 Abs. 5 Satz 2) zur Erfüllung der Übermittlungspflicht ausreichen, wenn der Vorstand der Zielgesellschaft jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet, von der Angebotsunterlage Kenntnis zu nehmen. Das geschieht zweckmäßigerweise dadurch, dass die Angebotsunterlage an einer für die Arbeitnehmer unschwer zugänglichen Stelle zur Einsichtnahme ausgelegt und an den für Mitteilungen an die Arbeitnehmer vorgesehenen Orten ein Aushang angebracht wird, in dem auf die Abgabe des Angebots und die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Angebotsunterlage an der fraglichen Stelle hingewiesen wird.
III. Übermittlung an Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer des Bieters (§ 14 Abs. 4 Satz 3) Ist der Bieter ein der betrieblichen Mitbestimmung unterliegendes Unternehmen 49a oder beschäftigt er, falls ein Betriebsrat (aus welchem Grunde auch immer) nicht vorhanden ist, zumindest Arbeitnehmer, so ist er nach § 14 Abs. 4 Satz 3 verpflichtet, die Angebotsunterlage auch seinem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern unverzüglich nach der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 zu übermitteln. Die Vorschrift ist (wie der ihr entsprechende, die Übermittlung bzw. Weiterleitung der Veröffentlichung der Entscheidung über die Abgabe eines Angebots betreffende § 10 Abs. 5 Satz 3, siehe dazu § 10 Rz. 76a) durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.2006 (oben Rz. 3a) eingeführt worden. Die Änderung setzt Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 der Übernahmerichtlinie1 um, mit der Folge, dass nicht nur der Vorstand der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 2), sondern auch der Bieter selbst seinen Betriebsrat oder seine Arbeitnehmer von der Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu unterrichten hat. Der Regelung liegt die Überlegung zugrunde, sowohl die Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 5 Satz 3) als auch die veröffentlichte Angebotsunterlage (§ 10 Abs. 3 Satz 1) seien nicht nur für die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft, sondern auch für die des Bieters von Interesse und seien deshalb diesen bzw. ihren Vertretern unverzüglich zugänglich zu machen2. Wie in § 14 Abs. 3 Satz 2 schreibt das Gesetz auch hierfür keine Form vor. Es steht dem Bieter deshalb frei, wie er seiner Verpflichtung gerecht wird, seinen Arbeitnehmern bzw. ihre Vertretern unverzüglich die nach § 14 Abs. 3 Satz 1 veröffentlichte Angebotsunterlage zu übermitteln.
1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, 1, 18.
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
E. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen I. Untersagung des Angebots 50
Verstöße gegen § 14 Abs. 1 Satz 1 (Pflicht zur fristgemäßen Übermittlung der Angebotsunterlage) und § 14 Abs. 2 Satz 1 (Pflicht zur fristgemäßen Veröffentlichung der Angebotsunterlage) müssen, solche gegen § 14 Abs. 3 Satz 1 (Pflicht zur formgemäßen Veröffentlichung) können die Untersagung des Angebots durch die BaFin nach sich ziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4 bzw. § 15 Abs. 2), wobei eine Untersagung, neben den in § 15 Abs. 3 angeführten Konsequenzen, zur Folge hat, dass der Bieter vor Ablauf eines Jahres kein erneutes Angebot unterbreiten kann (§ 26 Abs. 1 Satz 1).
II. Ordnungswidrigkeitsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen 51
Der Bieter handelt ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig – entgegen § 14 Abs. 1 Satz 1 der BaFin die Angebotsunterlage nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. a); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 500 000 Euro, § 60 Abs. 3; siehe auch oben Rz. 5); – entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 (i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1) die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. a); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 die Angebotsunterlage vor ihrer Veröffentlichung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 bekannt gibt (§ 60 Abs. 1 Nr. 3; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro, § 60 Abs. 3; siehe auch oben Rz. 30); – entgegen § 14 Abs. 3 Satz 2 der BaFin einen Beleg über die Veröffentlichung nach Satz 1 Nr. 2 nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig übersendet (§ 60 Abs. 1 Nr. 5; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3); – als Bieter entgegen § 14 Abs. 4 dem Vorstand der Zielgesellschaft (§ 14 Abs. 4 Satz 1), seinem zuständigen Betriebsrat bzw. seinen Arbeitnehmern (§ 14 Abs. 4 Satz 3) oder als Vorstand der Zielgesellschaft unter Verstoß gegen § 14 Abs. 4 Satz 2 dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, den Arbeitnehmern die Angebotsunterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übermittelt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. b); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3).
51a Vorsatz bedeutet „Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale“ (siehe im Einzelnen § 60 Rz. 13). Leichtfertigkeit ist „qualifizierte Fahrlässigkeit“ (§ 60 Rz. 15), d.h. sie stellt einen „erhöhten Grad von Fahrlässigkeit“ dar, vergleichbar der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht1. Sie ist gegeben, wenn eine ungewöhnlich grobe Pflichtwidrigkeit vorliegt, etwa, weil ganz naheliegende Überlegungen verabsäumt werden oder unbeachtet gelassen wird, was jedem
1 Im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670. Siehe auch § 60 Rz. 15.
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Übermittlung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage
einleuchten muss1. So soll der Vorstand einer Aktiengesellschaft leichtfertig handeln, wenn er ohne Einholung von Rechtsrat ein öffentliches Kaufangebot für Aktien, deren Preisfeststellung von der Börse lediglich ausgesetzt wurde, unter Verletzung der Veröffentlichungs- und Gestattungspflichten nach § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 14 Abs. 2 Satz 2 bekannt gibt, weil er fälschlich davon ausgeht, bereits die Aussetzung des Börsenhandels führe zu einer Beendigung der Börsenzulassung2. Als Vorstand der Zielgesellschaft handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder 52 leichtfertig entgegen § 14 Abs. 4 Satz 2 dem zuständigen Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmern die Angebotsunterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übermittelt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. b); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3). Zu fahrlässigem Vorstandsverhalten siehe vorstehend Rz. 51a. Strafrechtliche Relevanz wird allenfalls eine Verletzung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 ent- 53 haltenen Verbots der unbefugten Bekanntgabe der Angebotsunterlage vor einer Veröffentlichung derselben nach § 14 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 erlangen können, wobei Verstöße gegen das Insiderhandelsverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 1, 3 und 4, § 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG) und das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 11 WpHG) in Betracht kommen (siehe dazu bereits oben Rz. 30). Zu den strafrechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, dass der Bieter mit der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 eine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots lediglich vortäuschte und dementsprechend auch seine aus § 10 Abs. 1 Satz 1 folgenden Pflichten nicht erfüllt, siehe § 10 Rz. 83.
III. Zivilrechtliche Rechtsfolgen 1. Pflichtverletzungen des Bieters Unterbleibt entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 die Veröffentlichung der Angebotsunterlage, 54 so fehlt es an der rechtswirksamen Abgabe eines Angebots. Anleger, die nach der Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 1, 3 im Vertrauen auf die spätere Abgabe des Angebots in Gestalt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Dispositionen getroffen haben, können daraus jedoch keine Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten (culpa in contrahendo, §§ 280, 311 Abs. 2 BGB) herleiten3: Ist die Veröffentlichung aus vom Bieter nicht zu vertretenden Umständen unterblieben, scheitert ein solcher Anspruch schon am fehlenden Verschulden (§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 276 BGB) des Bieters. Doch auch unabhängig davon begründet die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, welche allein dem marktordnungsbezogenen Zweck dient, „die Öffentlichkeit frühzeitig über marktrelevante Daten“ zu informieren, „um damit das Ausnutzen von Spezialwissen zu verhindern“4, noch kein vorvertragliches Pflichtenverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB, dessen Ziel es 1 Etwa BGH v. 13.4.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240; OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670, m.w.N. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09 (OWi), AG 2010, 296, 297 = ZIP 2010, 670. 3 Im Ergebnis ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 74; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 79 in Bezug auf das positive Interesse, aber anders Rz. 80 in Bezug auf das negative Interesse. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 39. Siehe auch § 10 Rz. 5.
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§ 15
Untersagung des Angebots
wäre, Schäden aus (in der Sache rein spekulativen) Transaktionen, die in Erwartung der tatsächlichen Abgabe eines Angebots vorgenommen werden, zu verhindern. Da auch die in den Bestimmungen des § 14 niedergelegten, einem fairen und geordneten Angebotsverfahren dienenden Pflichten des Bieters keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten einzelner Marktteilnehmer oder potentieller Angebotsadressaten darstellen1, lassen sich auch auf diese Vorschrift Schadensersatzansprüche düpierter Anleger nicht stützen. 55
Entsprach es dem Plan des Bieters, zwar eine Entscheidung zur Abgabe des Angebots (§ 10 Abs. 1 Satz 1), nicht aber das Angebot (in Gestalt der Angebotsunterlage, § 14 Abs. 2 Satz 1) selbst zu veröffentlichen, so kommt zugunsten geschädigter Anleger allenfalls ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht (siehe § 10 Rz. 51)2. Dagegen müsste ein solcher aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20a WpHG bereits wegen der nicht anerkannten Eigenschaft der letzteren Bestimmung, Schutzgesetz zugunsten der durch die Kurs- und Marktpreismanipulation geschädigten Anleger zu sein, scheitern (siehe § 10 Rz. 86). 2. Pflichtverletzungen des Vorstands der Zielgesellschaft
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Verletzt der Vorstand der Zielgesellschaft seine Pflicht aus § 14 Abs. 4 Satz 2 zur Übermittlung der Angebotsunterlage an den zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, die Arbeitnehmer, löst dies regelmäßig keine zivilrechtlichen Ansprüche aus. Siehe dazu im Einzelnen die Erläuterungen in § 10 Rz. 88 zu der § 14 Abs. 4 Satz 2 vergleichbaren Vorschrift des § 10 Abs. 5 Satz 2.
§ 15 Untersagung des Angebots (1) Die Bundesanstalt untersagt das Angebot, wenn 1. die Angebotsunterlage nicht die Angaben enthält, die nach § 11 Abs. 2 oder einer auf Grund des § 11 Abs. 4 erlassenen Rechtsverordnung erforderlich sind, 2. die in der Angebotsunterlage enthaltenen Angaben offensichtlich gegen Vorschriften dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung verstoßen, 3. der Bieter entgegen § 14 Abs. 1 Satz 1 der Bundesanstalt keine Angebotsunterlage übermittelt oder 4. der Bieter entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 die Angebotsunterlage nicht veröffentlicht hat. (2) Die Bundesanstalt kann das Angebot untersagen, wenn der Bieter die Veröffentlichung nicht in der in § 14 Abs. 3 Satz 1 vorgeschriebenen Form vornimmt. (3) Ist das Angebot nach Absatz 1 oder 2 untersagt worden, so ist die Veröffentlichung der Angebotsunterlage verboten. Ein Rechtsgeschäft auf Grund eines nach Absatz 1 oder 2 untersagten Angebots ist nichtig. 1 Im Ergebnis ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 74. 2 Ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 14 Rz. 76. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 14 Rz. 80, hält für diesen Fall auch einen Anspruch aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 Abs. 2 BGB) für möglich.
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§ 15
Untersagung des Angebots Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Gegenstand und Zweck der Norm .
2
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zur Generalklausel des § 4 Abs. 1 Satz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 3 4
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
5
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
B. Vorgeschriebene Untersagung (§ 15 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
I. Unvollständigkeit der Angebotsunterlage (§ 15 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . .
10
II. Offensichtlicher Verstoß gegen Rechtsvorschriften (§ 15 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Unterbliebene Übermittlung oder Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4) . 15 C. Möglichkeit der Untersagung bei nicht formgerechter Veröffentlichung (§ 15 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 18 D. Untersagung einer Angebotsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 E. Untersagungsverfahren. . . . . . . . . . . 22 F. Rechtsfolgen der Untersagung (§ 15 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Verbot der Veröffentlichung des Angebots (§ 15 Abs. 3 Satz 1) . . . . . . 25 II. Nichtigkeit von Rechtsgeschäften (§ 15 Abs. 3 Satz 2). . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Zuwiderhandlungen . . . . . . . . . . . . . 29 G. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
11
A. Grundlagen § 15 regelt die Folgen von Verstößen gegen die Vorschriften über den Inhalt, die 1 Übermittlung und die Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 11).
I. Gegenstand und Zweck der Norm 1. Überblick § 15 schreibt für bestimmte Fälle die Untersagung des Angebots vor. § 15 Abs. 2 gestattet die Untersagung im Fall einer nicht vorschriftsgemäßen Veröffentlichung. Ein untersagtes Angebot darf nicht veröffentlicht werden (§ 15 Abs. 3 Satz 1); Erwerbsgeschäfte auf Grund des untersagten Angebots sind nichtig (§ 15 Abs. 3 Satz 2).
2
2. Zweck § 14 Abs. 2 Satz 1 bringt implizit die Zuständigkeit der BaFin zur Prüfung des Ange- 3 bots zum Ausdruck. § 15 knüpft daran an. Der Bieter soll hierdurch angehalten werden, seinen Informationsverpflichtungen umfassend, sachlich korrekt und rechtzeitig nachzukommen1. Die Vorschrift dient dem Schutz der Zielgesellschaft und der Inhaber ihrer Wertpapiere2. 3. Verhältnis zur Generalklausel des § 4 Abs. 1 Satz 3 § 15 ist lex specialis zu § 4 Abs. 1 Satz 3, der allgemeinen Vorschrift zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen, die sich auf das Angebotsverfahren oder den 1 Begr. RegE, BR-Drucks. 574/01, S. 110. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 4 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 3.
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§ 15
Untersagung des Angebots
Wertpapiermarkt nachteilig auswirken könnten1. Eine Untersagungsverfügung kann also (jedenfalls grds. siehe unten Rz. 12) nur auf § 15, nicht auf § 4 Abs. 1 Satz 3 gestützt werden2.
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Übernahmerichtlinie 5
Das österreichische Übernahmegesetz gestattet eine Untersagung des Angebots oder seiner Durchführung nach dem Ermessen der Übernahmekommission (§ 10 Abs. 3 Halbsatz 2 ÜbG). Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Untersagung sind weniger bestimmt als im deutschen Recht. So steht es im Ermessen der Übernahmekommission, bereits bei bloßen Zweifeln über die Gesetzmäßigkeit des Angebots, das Angebot vorsorglich zu untersagen. Bei ihrer Entscheidung wird sie neben der Schwere des möglichen Gesetzesverstoßes u.a. die Art des Angebots und die Interessenlage der Beteiligten berücksichtigen. Ggf. wird sie, mildere Maßnahmen treffen, beispielsweise die Veröffentlichung einer Stellungnahme nach § 10 Abs. 3 ÜbG3. Wird die Untersagung nicht befolgt, kann die Übernahmekommission nach § 34 Abs. 3 Satz 1 ÜbG anordnen, dass die vom Bieter gehaltenen Stimmrechte ruhen. Das heißt im Umkehrschluss, dass – anders als nach § 15 Abs. 3 (siehe unten Rz. 26) – der Verstoß gegen die Untersagung die Wirksamkeit der aufgrund des Angebots zustande gekommenen Verträge unberührt lässt. Die Übernahmekommission hat lediglich die Befugnis, dem Bieter zu untersagen, seinen über die Stimmrechte vermittelten Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben. Die Vermögensrechte des Bieters aus den Aktien der Zielgesellschaft (also vor allem seine Dividendenansprüche) bleiben indes unberührt4. Die Übernahmekommission muss dabei nach § 34 Abs. 3 Satz 2 ÜbG ferner ausdrücklich ansprechen, unter welchen Bedingungen oder Auflagen das Ruhen des Stimmrechts aufgehoben wird. Sie ist nach näherer Maßgabe des § 34 Abs. 2 ÜbG zur Aufhebung verpflichtet, wenn die zur Aufhebung führenden Verstöße in einer die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft wahrenden Weise geheilt werden. Dementsprechend kann die Aufhebung des Ruhens der Stimmrechte etwa geknüpft werden an die Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Angebotsadressaten (und zwar unabhängig von der etwa zwischenzeitlich erfolgten Erfüllung des Angebots durch eine der Parteien)5, die Verlängerung der Angebotsfrist oder auch eine neuerliche Öffnung des Angebots, vgl. § 45 Abs. 5 ÜbG.
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Die schweizerische Regelung sieht keine ausdrückliche Untersagungskompetenz der Übernahmekommission vor. Sie kann indes ein Angebot nach allgemeinen Regeln gemäß § 33a Abs. 1 und Abs. 3 BEHG im Falle von schwerwiegenden Verstößen gegen das Übernahmerecht untersagen, sofern diese nicht durch eine entsprechende Korrektur des Angebotes behoben werden können6.
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Der britische City Code on Takeovers and Mergers dagegen enthält keine Regelung betreffend eine Untersagung des Angebots. Die Übernahmerichtlinie7 bestimmt in 1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 15 WpÜG Rz. 3. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 15; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 7. 3 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. AktG, Das österreichische Übernahmerecht Rz. 140. 4 Zollner in Huber, § 10 ÜbG Rz. 16. 5 Huber in Huber, § 34 ÜbG Rz. 53. 6 Gericke/Wiedmer, Art. 16 UEV Rz. 8. 7 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote vom 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S.1713.
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Art. 17 in allgemeiner Form, dass die Mitgliedstaaten für den Fall des Verstoßes gegen die einschlägigen Vorschriften wirksame Sanktionen vorzusehen haben. Mit Blick auf die schon vor Umsetzung der Übernahmerichtlinie im WpÜG enthaltenen Regelungen hat § 15 im Rahmen des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes keine Änderung erfahren.
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote Die Bestimmung des § 15 gilt auch für Übernahmeangebote (§ 34). Sie ist im Prinzip 8 auch bei Pflichtangeboten anwendbar (§ 39). Dabei kommt es bei § 15 Abs. 1 Nr. 3 anstelle der – nach § 39 bei Pflichtangeboten nicht einschlägigen – Übermittlung der Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 auf jene nach § 35 Abs. 2 Satz 1 an (dazu § 39 Rz. 13, 33)1. § 15 Abs. 1 Nr. 4 dürfte jedoch unanwendbar sein, denn bei Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots und seiner Veröffentlichung wäre eine Untersagung des Angebots wegen unterlassener Veröffentlichung nicht sinnvoll (§ 39 Rz. 33)2.
B. Vorgeschriebene Untersagung (§ 15 Abs. 1) In den Fällen des § 15 Abs. 1 ist die BaFin (grds.) zur Untersagung verpflichtet; ihr kommt insoweit kein Ermessen zu, so dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt3. Eine Ausnahme gilt jedoch insoweit, als zuvor in Fällen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Gelegenheit zur Nachbesserung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 3 gegeben werden kann (und im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.d.R. auch muss)4.
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I. Unvollständigkeit der Angebotsunterlage (§ 15 Abs. 1 Nr. 1) Die Bundesanstalt prüft die Angebotsunterlage nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 auf formelle Vollständigkeit. Wird zu allen nach § 11 Abs. 2 oder nach der WpÜG-AngVO erforderlichen5 Punkten eine Angabe gemacht, erweisen sich diese Angaben aber un-
1 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 45; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 5; wohl auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 6; dagegen will Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 13 auch eine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 bei Pflichtangeboten nicht zulassen. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber Pflichtangebote ohne Angebotsunterlage zulassen will. 2 Ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 3 ff.; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 30. 3 Begr. RegE, BR-Drucks. 574/01, S. 110; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 16, 44; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 8; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 15 Rz. 1, 9a; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 15 WpÜG Rz. 4. 4 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 45; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 15 Rz. 9a; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 17. 5 So wurde 2008 das angekündigte Übernahmeangebot der IC Green Energy Ltd. an die Aktionäre der Petrotec AG untersagt, weil der Bieter nicht alle mit ihm gemeinsam handelnden Personen nach § 2 Nr. 1 WpÜG-AngVO in der Angebotsunterlage angegeben hatte, dazu Jahresbericht der BaFin für 2008, S. 182.
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vollständig oder unrichtig, so ist dies kein Fall der Nr. 11, sondern allenfalls ein solcher der Nr. 2. Dieser liegt wiederum nur dann vor, wenn der Mangel offensichtlich ist. Dass § 15 Abs. 1 Nr. 1 hinsichtlich der Vollständigkeit nur auf § 11 Abs. 2 und die WpÜG-AngVO abstellt, ist ein weiteres Indiz für den grundsätzlich abschließenden Charakter dieser Bestimmungen (siehe oben § 11 Rz. 44 f.). Stellt die BaFin im Rahmen ihrer Prüfung die Unvollständigkeit einer Angebotsunterlage fest, wird sie aber grds. zunächst dem Bieter die Gelegenheit zur Nachbesserung nach § 14 Abs. 2 Satz 3 einräumen, die im Vergleich zur sofortigen Untersagung das mildere Mittel darstellt, so dass dies vor einer Untersagung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten erscheint (siehe Rz. 22). Nach erfolgter Gestattung der Veröffentlichung oder Ablauf der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 1, kann keine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 mehr erfolgen2. Dies schließt jedoch eine Anordnung nach § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 bzw. eine Rücknahme der Gestattung nach § 48 VwVfG nicht aus (dazu auch Rz. 14).
II. Offensichtlicher Verstoß gegen Rechtsvorschriften (§ 15 Abs. 1 Nr. 2) 11
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 hat die BaFin die Pflicht, eine beschränkte materielle Prüfung der Angebotsunterlage vorzunehmen, indem sie diese auf offensichtliche Rechtsverstöße zu untersuchen hat3. Zu diesem Zweck kann eine aktive Aufklärung des Sachverhalts durch die BaFin geboten sein, falls ihr konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß vorliegen4; diese können sich aus der Angebotsunterlage oder auch aus sonstigen Erkenntnissen der BaFin ergeben. Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn eine Angabe, sei es eine Bestimmung des Angebots oder eine ergänzende Information, inhaltlich mit dem WpÜG nicht vereinbar ist5. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Angabe offensichtlich sachlich unrichtig oder unvollständig ist6. Fehlt dagegen eine notwendige Angabe völlig, kann eine Untersagung grds. nur auf § 15 Abs. 1 Nr. 1 als der insoweit spezielleren Norm gestützt werden, es sei denn, es handelt sich um ausnahmsweise über die Kataloge des § 11 Abs. 2 und der WpÜG-AngVO hinausgehend aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles erforderliche Angaben (dazu siehe oben § 11 Rz. 45). Eine Angabe, die dem WpÜG inhaltlich widerspricht, wäre beispielsweise ein Verstoß gegen das Verbot einer Potestativbedingung (§ 18), ferner eine bloße invitatio ad offerendum (§ 17), ein auf einen Teil der Wertpapiere beschränktes Übernahmeangebot (§ 32), ein Angebot innerhalb der Sperrfrist nach § 26 oder die Festlegung einer nach § 16 unzulässige Annahmefrist7. In der Prüfungspraxis der BaFin
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 15; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 19; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 9; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 20; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 3. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 22; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 15 Rz. 10; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 41; a.A. offenbar Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 8 ff. 3 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 6; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 16; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 27; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 18. 4 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 29; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 20. 5 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 6, 24. 6 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 32. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45.
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hat sich zudem die Einhaltung der Mindestpreisvorschriften des § 31 i.V.m. §§ 3–7 WpÜG-AngVO als Prüfungsschwerpunkt herausgestellt1. Die vorzeitige Veröffentlichung der Angebotsunterlage entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 12 (vor Gestattung oder Fristablauf, vgl. dazu unten Rz. 16) soll nach einer im Schrifttum vertretenen Meinung ebenfalls unter § 15 Abs. 1 Nr. 2 fallen2; sie würde, wenn dies zuträfe, eine Pflicht der BaFin zur Untersagung des Angebots auslösen. Es wird geltend gemacht, der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 2 lasse dieses Verständnis zu. Tatsächlich setzt der Wortlaut aber voraus, dass die Angaben in der Angebotsunterlage gesetzeswidrig sind. Dies spricht dafür, dass die Unterlage inhaltlich einen Verstoß enthalten muss. Ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften dürfte nicht ausreichen, um ein Verbot nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 zu begründen3, auch wenn es sich hier um eine offensichtlich ungewollte Lücke im Sanktionssystem des WpÜG handelt. Freilich ließe sich argumentieren, dass diese Lücke dem Gesetzeszweck widerspricht. Somit erscheint ein Engreifen der BaFin (ggf. in Form der Untersagung des Angebots) im Wege der Missstandsaufsicht, gestützt auf die Generalermächtigung nach § 4 Abs. 1 Satz 3, in diesem Fall möglich, indem man für diesen Fall eine Ausnahme von dem Grundsatz der Spezialität des § 15 (siehe oben Rz. 4) im Hinblick auf dessen offensichtliche Lückenhaftigkeit zulässt4. Diese Sicht ließe sich auch auf eine richtlinienkonforme Auslegung stützen, denn nach Art. 4 Abs. 5 der Übernahmerichtlinie muss die BaFin als zuständige Aufsichtsstelle über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnisse verfügen. Dazu gehört insbesondere, im Rahmen ihrer Aufgaben dafür Sorge zu tragen, dass die Parteien des Angebots die gemäß der Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften einhalten5. Offensichtlich ist ein Verstoß nicht nur, wenn die Rechtswidrigkeit sich bereits auf 13 den ersten Blick oder bei kursorischer Prüfung aufdrängt, sondern auch, wenn zwar eine eingehende Prüfung erforderlich ist, aber im Lichte dieser Prüfung nach Überzeugung der BaFin oder – im Rechtsbehelfsverfahren – des Beschwerdegerichts die Rechtslage feststeht6. Wurde die Unrichtigkeit festgestellt, dürfte daher der Einwand, die Angebotsunterlage sei zwar unrichtig, die Unrichtigkeit aber nicht offensichtlich, nicht zulässig sein7. Maßgeblich für das Vorliegen einer offensichtlichen Unvollständigkeit oder Unrich- 14 tigkeit ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Untersagung oder aber auch die
1 Lenz/Linke, AG 2002, 361, 363; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 44; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 21. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 25, 39. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 15 Rz. 4; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 19. 4 Ähnlich Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 15: § 15 entfaltet in der Regel Sperrwirkung; die BaFin kann aber aufgrund von § 4 Abs. 1 Satz 3 diejenigen Anordnungen treffen, die für eine ordnungsgemäße Durchführung des Angebotsverfahrens erforderlich sind. 5 Für eine begrenzte Durchbrechung der Subsidiarität des § 4 Abs. 1 Satz 3 für den Fall, dass die spezielle Befugnis der BaFin nicht für eine erfolgreiche Bekämpfung eines Missstands ausreicht: Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 267. 6 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 33 ff. mit eingehender Begründung und Beispielen; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 7; a.A. Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 23, der bei ungeklärter Rechtslage eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ausschließen will, allerdings mit der unbefriedigenden Folge, dass die BaFin ein Angebot nicht untersagen könnte, wenn sie (erst) nach eingehender Prüfung zum Ergebnis kommt, dass das Angebot rechtswidrig sei. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 18; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 20.
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Gestattung der Veröffentlichung der Angebotsunterlage1. Sollte die Veröffentlichung bereits gestattet oder die Frist des § 14 Abs. 2 Satz 1 abgelaufen und die Veröffentlichung erfolgt sein, so kommt eine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 nicht mehr in Betracht. Stellt sich zu diesem Zeitpunkt heraus, dass Angaben in der Angebotsunterlage offensichtlich unrichtig sind oder einen sonstigen Rechtsverstoß enthalten, so kann jedoch nach § 4 Abs. 1 Satz 3 die Veröffentlichung einer Berichtigung angeordnet werden2. In Fällen gravierender Verstöße ist jedoch die Rücknahme einer erteilten Gestattung nach § 48 VwVfG (falls diese rechtswidrig erteilt wurde)3 oder deren Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG (falls die BaFin auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Veröffentlichung nicht zu gestatten und ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde)4, jeweils mit nachfolgender Untersagung des Angebots denkbar5. In Anbetracht des für die Richtigkeit der Angebotsunterlage maßgeblichen Zeitpunkts (siehe oben) dürften freilich die Voraussetzungen für einen Widerruf nur selten vorliegen.
III. Unterbliebene Übermittlung oder Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4) 15
Durch § 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4 soll der Bieter dazu angehalten werden, die Angebotsempfänger zügig und formell vorschriftsgemäß zu informieren. Übermittelt der Bieter die Angebotsunterlage also nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1, hat die BaFin das Angebot zu untersagen, und zwar auch, wenn sie kurz nach Verstreichen der Frist noch eingereicht wird6. Dabei ist eine etwa erfolgte Fristverlängerung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 zu berücksichtigen7. Eine solche Untersagung erfolgt insbesondere auch in den Fällen, in denen der Bieter nicht mehr an seinem zuvor nach § 10 angekündigten Angebot festhalten möchte und deshalb keine Angebotsunterlage einreicht8. Ähnliches soll gelten, wenn der Bieter eine einmal eingereichte Angebotsunterlage wieder zurückzieht, es sei denn der Bieter reicht innerhalb der (ursprünglichen) Einreichungsfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 erneut eine Angebotsunterlage ein9. So ergibt sich eine faktische Ausstiegsmöglichkeit aus einem Angebot nach der Ankündigung nach § 10, für die das Gesetz ansonsten kein Verfahren vorsieht10, allerdings mit der Folge der Sperrfrist nach § 26.
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Hat der Bieter die Angebotsunterlage ordnungsgemäß an die BaFin übermittelt und sie formell ordnungsgemäß, aber vorzeitig (nämlich vor Gestattung durch die BaFin 1 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 37; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 36. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 38; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 25; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 38; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 39. 4 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 37. 5 Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 25; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 17; eingehend Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 279 ff. 6 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 42; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 28; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 25. 7 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 26; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 8. 8 So etwa im Fall des angekündigten Angebots der Taylor Nelson Sofres plc an die Aktionäre der GfK AG, das wegen des zwischenzeitlich vorgelegten besseren Konkurrenzangebots der WPP Group plc unterblieb und mangels eingereichter Angebotsunterlage untersagt wurde, vgl. Jahresbericht der BaFin für 2008, S. 182. 9 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 23; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 26. 10 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 8; eingehend zu dieser Problematik Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 231 f.
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oder Ablauf der Zehntagefrist des § 14 Abs. 2 Satz 1) veröffentlicht, so kommt nach dem Wortlaut der Bestimmung keine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 in Betracht1. Auch § 15 Abs. 2 ist in einem solchen Fall nicht einschlägig2; erwogen werden könnte freilich, die Untersagung in diesem Fall ausnahmsweise auf die Missstandsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 zu stützen (siehe oben Rz. 12). Wird die Angebotsunterlage veröffentlicht, jedoch nicht in der in § 14 Abs. 3 Satz 1 vorgeschriebenen Form, so ist dies ein Fall des § 15 Abs. 2, nicht des § 15 Abs. 1 Nr. 4. Letztere Bestimmung betrifft nach ihrem Wortlaut („nicht veröffentlicht“) den Fall, dass überhaupt keine Veröffentlichung erfolgt ist3. Wird die Unterlage nicht unverzüglich und somit verspätet veröffentlicht, hat die BaFin dem Bieter zunächst im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine (kurze) Frist zu setzen, innerhalb derer die Veröffentlichung nachzuholen und nach § 14 Abs. 3 Satz 2 der BaFin mitzuteilen ist. Verstreicht die Frist, ohne dass eine Veröffentlichung erfolgt, ist nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 die Untersagung anzuordnen4. Nach erfolgter (wenn auch verspäteter) Veröffentlichung ist keine Untersagung mehr zulässig5.
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C. Möglichkeit der Untersagung bei nicht formgerechter Veröffentlichung (§ 15 Abs. 2) Nach § 15 Abs. 2 kann die BaFin das Angebot nach ihrem Ermessen im Fall einer 18 nicht formgerechten Veröffentlichung untersagen. § 14 Abs. 3 Satz 1 sieht als Form der Veröffentlichung die Bekanntgabe im Internet (Nr. 1) und im Bundesanzeiger oder durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland (Nr. 2) vor, wobei diese Stelle im Bundesanzeiger bekannt zu machen ist, ebenso wie die Adresse der Bekanntgabe im Internet nach Nr. 1 (dazu § 14 Rz. 41). Bei der Ermessensentscheidung über die Untersagung nach § 15 Abs. 2 ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Daher dürfte eine Untersagung nicht in Betracht kommen, wenn eine der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 gleichwertige Veröffentlichung erfolgte oder die formgerechte Veröffentlichung nachgeholt wurde6. Auch wird einer Untersagung gerade im Fall der bloß nicht formgerechten Veröffentlichung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die vorherige Aufforderung zur Nachholung der ordnungsgemäßen Veröffentlichung mit (kurzer) Fristsetzung voranzugehen haben7. Zur Frage einer vorzeitigen, aber im Übrigen ordnungsgemäßen Veröffentlichung siehe oben Rz. 16. 1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 28; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 25; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 25; für eine erweiterte Anwendung von § 15 Abs. 1 Nr. 4 jedoch Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 43. 2 A.A. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 25. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 31; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 41; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 26; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 49; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 9. 4 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 20; ähnlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 42; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 32, die beide im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Raum für eine Untersagung nur in eindeutigen (mithin schwerwiegenden) Fällen sehen; a.A. Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 33, 38. 5 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 43; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 33; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 24; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 9. 6 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 50; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 37; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 27. 7 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 54; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 44; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 15 WpÜG Rz. 11.
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D. Untersagung einer Angebotsänderung 19
Eine Änderung des Angebots kann ebenfalls untersagt werden, allerdings nur nach § 15 Abs. 1 Nr. 2, denn nur diese Vorschrift gilt nach § 21 Abs. 3 entsprechend bei Angebotsänderungen1. Nr. 3 kommt nicht zur Anwendung, weil § 21 Abs. 3 nicht auf § 14 verweist und somit eine Übermittlung an die BaFin nicht verlangt. Gleiches gilt für § 15 Abs. 1 Nr. 1, weil auch die Vorschriften des § 11 Abs. 2 und der WpÜGAngVO, um deren Verletzung es in § 15 Abs. 1 Nr. 1 geht, in § 21 Abs. 3 nicht für anwendbar erklärt werden.
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Schließlich ist eine Untersagung der Angebotsänderung weder nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 noch nach § 15 Abs. 2, d.h. wegen unterbliebener oder nicht ordnungsgemäßer Veröffentlichung, möglich. Sie ist auch nicht erforderlich, denn eine überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß – nach § 14 Abs. 3 Satz 1 – veröffentlichte Angebotsänderung ist nicht wirksam2. In diesem Fall bleibt es dann bei dem ursprünglichen Angebot, ebenso wie im Fall der Untersagung der Änderung3.
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Das Verbot der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach erfolgter Untersagung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 (dazu Rz. 25) bezieht sich auf jede, nicht nur die erstmalige Veröffentlichung. Es gilt also auch, wenn die erste Veröffentlichung – entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 – bereits vor Wirksamwerden der Untersagung erfolgt war4. § 15 Abs. 3 Satz 1 und § 26 sind so konzipiert, dass sowohl die Wiederholung des gleichen als auch die Abgabe eines neuen Angebots unzulässig sind. Auf die Frage, ob die eine oder die andere Vorschrift maßgeblich ist5, kommt es also nicht entscheidend an. Ebenso ist jede Art von Veröffentlichung verboten, nicht nur eine solche nach Maßgabe des § 14 Abs. 36.
E. Untersagungsverfahren 22
Nach § 40 Abs. 1 sind der BaFin auf Verlangen Auskünfte zu erteilen, die diese für ihre Prüfung benötigt. Für das Verfahren im Übrigen gelten die Vorschriften des Abschnitts 6 (§§ 40 bis 47) und des VwVfG. Vor einer Entscheidung kann die BaFin eine Nachfrist von bis zu fünf Werktagen zur Nachbesserung der Angebotsunterlage einräumen (§ 14 Abs. 2 Satz 3). Angesichts des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (dazu auch oben Rz. 9, 18) wird sie dem Bieter in der Regel zunächst auf diese Weise die Gelegenheit geben müssen, den Mangel zu beheben7.
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Diese Möglichkeit besteht in den Fällen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, nicht dagegen in denjenigen des § 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 38. 1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 47 ff.; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 51 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 WpÜG Rz. 38. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 53; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 23; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 46; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 61; zweifelnd Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 50 f. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 53 f. 4 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 55; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 67. 5 Dazu Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 66. 6 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 55 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 15 WpÜG Rz. 12; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 63; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 WpÜG Rz. 39. 7 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 37; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 19. 8 Zur sachlichen Rechtfertigung der Differenzierung vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 33.
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Untersagung des Angebots
Gleiches wie in den Fällen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 gilt im Ergebnis auch im Fall 24 des § 15 Abs. 21. Die Zulässigkeit einer Frist zur Nachbesserung folgt hier bereits daraus, dass die Entscheidung nach § 15 Abs. 2 eine Ermessensentscheidung ist (siehe oben Rz. 18).
F. Rechtsfolgen der Untersagung (§ 15 Abs. 3) I. Verbot der Veröffentlichung des Angebots (§ 15 Abs. 3 Satz 1) Die Untersagung führt nach § 15 Abs. 3 Satz 1 dazu, dass die Veröffentlichung der An- 25 gebotsunterlage verboten ist. Dies gilt nicht nur für die konkrete bei der BaFin eingereichte Angebotsunterlage, sondern für jede (andere) Angebotsunterlage, die ein Angebot des Bieters in Bezug auf die betreffenden Wertpapiere zum Gegenstand hat, das hinsichtlich seiner wesentlichen Bestandteile (essentialia negotii) dem untersagten entspricht, also in Bezug auf Bieter, Wertpapiere der Zielgesellschaft und Gegenleistung2. Anders gewendet: verboten ist das Angebot, wie es sich anhand der Angebotsunterlage konkretisieren lässt; dabei bedeuten geringfügige Abweichungen noch nicht, dass es sich um ein neues Angebot handelt. Fehlt es – im Fall des § 15 Abs. 1 Nr. 3 – an einer eingereichten Angebotsunterlage, erfolgt die Konkretisierung anhand der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 103. Wurde die Angebotsunterlage bereits veröffentlicht, liegen aber die Voraussetzungen für eine Untersagung vor, hindert dies die Anordnung der Untersagung der Veröffentlichung und des Angebots grds. nicht (so schon, für den Fall der vor Übermittelung an die BaFin veröffentlichten Angebotsunterlage, Rz. 16)4, es sei denn der Grund für die Untersagung hätte in der zunächst unterbliebenen und fehlerhaften Veröffentlichung gelegen und hat sich damit infolge der Veröffentlichung erledigt. Nach erfolgter Untersagung ist ein erneutes Angebot dann – sofern es sich nicht um ein Pflichtangebot handelt5 – innerhalb einer Sperrfrist von einem Jahr unzulässig (§ 26 Abs. 1).
II. Nichtigkeit von Rechtsgeschäften (§ 15 Abs. 3 Satz 2) Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 sind Rechtsgeschäfte nichtig, die auf Grund eines nach § 15 26 Abs. 1 oder 2 untersagten Angebotes vorgenommen wurden. Zweck dieser Regelung ist es, eine Umgehung der Vorschriften über das Angebotsverfahren zu vermeiden6. Die Nichtigkeitsfolge bezieht sich nicht nur auf das Verpflichtungs-, sondern auch auf das Erfüllungsgeschäft7. Beides gilt wohl auch dann, wenn diese Geschäfte ausländischem Recht unterliegen8; nach deutschem Recht ergibt sich ausweislich der Regierungsbegründung diese Rechtsfolge bereits aus § 134 BGB9.
1 2 3 4 5 6 7
Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 44 unter Hinweis auf § 4 Abs. 1 Satz 3. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 66; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 43, 51. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 47. Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 67. Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 58; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 Rz. 4. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 18; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 15 Rz. 66; Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 59; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 69; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 54; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 15 WpÜG Rz. 13; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 15 WpÜG Rz. 41. 8 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 68; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 54. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46.
Meyer
439
§ 15
Untersagung des Angebots
27
Das Geschäft ist auf Grund des untersagten Angebots geschlossen, wenn es durch die Annahme des Angebots zustande kam oder – als Erfüllungsgeschäft – auf dem durch diese Annahme zustande gekommenen Kauf- oder Tauschgeschäft beruhte. § 15 Abs. 3 Satz 1 findet auch dann Anwendung, wenn die Veröffentlichung der Angebotsunterlage und der Erwerb der Wertpapiere bereits vor der Untersagung erfolgt sind1.
28
Werden Wertpapiere erworben, nachdem gegen eine Untersagung Widerspruch oder Beschwerde eingelegt und deren aufschiebende Wirkung angeordnet wurde (§ 50 Abs. 3), so dürfte § 15 Abs. 3 Satz 1 nicht anwendbar sein, weil zu diesem Zeitpunkt das Verbot gerade nicht wirksam war2. Haben freilich Widerspruch bzw. Beschwerde keinen Erfolg und die Untersagung damit Bestand, so tritt dann die Nichtigkeit ggf. rückwirkend ein.
III. Zuwiderhandlungen 29
Die vorsätzliche oder leichtfertige Veröffentlichung der Angebotsunterlage trotz Untersagung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 60 Abs. 1 Nr. 6), die mit Geldbuße geahndet werden kann (§ 60 Abs. 3).
G. Rechtsschutz 30
Gegen die Untersagung ist der Widerspruch (§ 41 Abs. 1) statthaft. Über diesen entscheidet gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 der bei der BaFin gebildete Widerspruchsausschuss. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, kann Beschwerde (§ 48 Abs. 1) eingelegt werden. Beide Rechtsbehelfe haben keine aufschiebende Wirkung (§§ 42, 49); diese kann jedoch auf Antrag gemäß § 50 Abs. 3 durch das OLG Frankfurt am Main als Beschwerdegericht i.S.v. § 48 Abs. 4 angeordnet werden3. Widerspruch und Beschwerde stehen gemäß § 48 Abs. 2 dem Bieter als am Gestattungsverfahren vor der BaFin Beteiligten zu4. Dritte, also nicht unmittelbar am Gestattungsverfahren Beteiligte, wie etwa Aktionäre der Zielgesellschaft fehlt es mangels eigenen subjektiv-öffentlichen Rechts auf Gestattung der Veröffentlichung an der Widerspruchs- oder Beschwerdebefugnis5. Denn die BaFin wird nach § 4 Abs. 2 ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig. Daran hat sich auch durch die Umsetzung der Übernahmerichtlinie nichts geändert6.
1 Angerer in Geibel/Süßmann, § 15 Rz. 63; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 19; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 72; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 55. 2 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 73. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 15 Rz. 63; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1334. 4 Vgl. von Riegen, Der Konzern 2003, 583, 596 ff. m.w.N. 5 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 15 Rz. 23; Möller, ZHR 167 (2003), 301, 306 ff.; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 334 ff.; Seibt, ZIP 2003, 1865, 1871; Schnorbus, WM 2003, 616, 620 ff. sowie 657, 659 ff.; Uechtritz/Wirth, WM 2004, 410, 413 ff.; Thoma in Baums/Thoma, § 15 Rz. 65; in diesem Sinne auch OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 2/03 – Wella, ZIP 2003, 1251; a.A. wohl Nietsch, BB 2003, 2581, 2585; Berding, Der Konzern 2004, 771, 779 f. 6 OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2011 – WpÜG 1/11 – Postbank, GWR 2012, 134 = AG 2012, 335.
440 Meyer
§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
§ 16 Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung (1) Die Frist für die Annahme des Angebots (Annahmefrist) darf nicht weniger als vier Wochen und unbeschadet der Vorschriften des § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 nicht mehr als zehn Wochen betragen. Die Annahmefrist beginnt mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1. (2) Bei einem Übernahmeangebot können die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, das Angebot innerhalb von zwei Wochen nach der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Veröffentlichung (weitere Annahmefrist) annehmen. Satz 1 gilt nicht, wenn der Bieter das Angebot von dem Erwerb eines Mindestanteils der Aktien abhängig gemacht hat und dieser Mindestanteil nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde. (3) Wird im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Hauptversammlung der Zielgesellschaft einberufen, beträgt die Annahmefrist unbeschadet der Vorschriften des § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 zehn Wochen ab der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Einberufung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft unverzüglich dem Bieter und der Bundesanstalt mitzuteilen. Der Bieter hat die Mitteilung nach Satz 2 unter Angabe des Ablaufs der Annahmefrist unverzüglich im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Er hat der Bundesanstalt unverzüglich die Veröffentlichung mitzuteilen. (4) Die Hauptversammlung nach Absatz 3 ist mindestens 14 Tage vor der Versammlung einzuberufen. Der Tag der Einberufung ist nicht mitzurechnen. § 121 Abs. 7 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. Abweichend von § 121 Abs. 5 des Aktiengesetzes und etwaigen Bestimmungen der Satzung ist die Gesellschaft bei der Wahl des Versammlungsortes frei. Wird die Frist des § 123 Abs. 1 des Aktiengesetzes unterschritten, so müssen zwischen Anmeldung und Versammlung mindestens vier Tage liegen und sind Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes unverzüglich zu machen; § 121 Abs. 7, § 123 Abs. 2 Satz 4 und § 125 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes gelten entsprechend. Die Gesellschaft hat den Aktionären die Erteilung von Stimmrechtsvollmachten soweit nach Gesetz und Satzung möglich zu erleichtern. Mitteilungen an die Aktionäre, ein Bericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 des Aktiengesetzes und fristgerecht eingereichte Anträge von Aktionären sind allen Aktionären zugänglich und in Kurzfassung bekannt zu machen. Die Zusendung von Mitteilungen kann unterbleiben, wenn zur Überzeugung des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrats der rechtzeitige Eingang bei den Aktionären nicht wahrscheinlich ist.
Inhaltsübersicht I. Mindestfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
1
II. Höchstfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Vergleichbare Regelungen . . . . . . . .
4
III. Gesetzliche Fristverlängerungen (§ 16 Abs. 1 Satz 1). . . . . . . . . . . . . . . 13 IV. Fristverlängerung durch den Bieter . 14
IV. Geltung der Vorschrift für freiwillige Angebote, Übernahme- und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
B. Annahmefrist (§ 16 Abs. 1) . . . . . . . .
9
V. Fristbeginn (§ 16 Abs. 1 Satz 2) . . . . 19 VI. Fristberechnung und Fristende . . . . 22 VII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Seiler
441
§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
C. Weitere Annahmefrist (§ 16 Abs. 2)
27
I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II. Tatbestandsvoraussetzungen (§ 16 Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . .
32
1. Vorliegen eines Übernahmeangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolg des Übernahmeangebots . . . . 3. Unmaßgeblichkeit tatsächlicher Kontrollerlangung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktionärsstellung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollständige oder teilweise Nichtannahme des Übernahmeangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt des Aktienerwerbs . . . . .
32 34 36 37
1. Mitteilungspflichten des Vorstands (§ 16 Abs. 3 Satz 2). . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Veröffentlichungspflicht des Bieters (§ 16 Abs. 3 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Mitteilungspflicht des Bieters (§ 16 Abs. 3 Satz 4). . . . . . . . . . . . . . . 59 E. Frist- und Formerfordernisse für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung (§ 16 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
39 40
III. Beginn und Ende der weiteren Annahmefrist (§ 16 Abs. 2 Satz 1) . . . . .
41
IV. Nichtgeltung bei Fehlschlag des Übernahmeangebots (§ 16 Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
II. Sonder-Hauptversammlung im Sinne von § 16 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . 62 III. Erleichterung der Einberufung (§ 16 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) . . . . . . . . . 63 IV. Versammlungsort (§ 16 Abs. 4 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 V. Anmeldefrist, Mitteilungsfrist (§ 16 Abs. 4 Satz 5). . . . . . . . . . . . . . . 70
V. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . .
46
D. Verlängerte Annahmefrist im Fall der Einberufung einer Hauptversammlung (§ 16 Abs. 3). . . . . . . . . . .
47
I. Verlängerte Annahmefrist (§ 16 Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . .
47
VII. Mitteilungs- und Bekanntmachungspflichten (§ 16 Abs. 4 Sätze 7 und 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
48 53 54
1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Mitteilungen für die Aktionäre (§ 16 Abs. 4 Satz 7). . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Verzicht auf Zusendung von Mitteilungen (§ 16 Abs. 4 Satz 8). . . 74
1. Hauptversammlung im sachlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitlicher Zusammenhang. . . . . . . . 3. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten (§ 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Erteilung von Stimmrechtsvollmachten (§ 16 Abs. 4 Satz 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
VIII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 56
Schrifttum: Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote als Regelungsproblem zwischen gesellschaftsrechtlichen Normen und zivilrechtlichen Verhaltensgeboten, in Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1; Beckmann/Kersting/Mielke, Das neue Übernahmerecht, 2003; Brück/Schalast/Schanz, Das 1. Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz: Lex Hypo Real Estate oder doch mehr?, BB 2009, 1306; Cascante/Tyrolt, 10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht?, AG 2012, 97; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (I), DStR 2002, 724; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2001, 1707; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Mühle, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Schnittfeld zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht unter besonderer Berücksichtigung des ökonomischen Rahmenbezugs, 2002; Mülbert, Die Zielgesellschaft im Vorschlag einer TakeoverRichtlinie – zwei folgenreiche Eingriffe ins deutsche Aktienrecht, IStR 1999, 83; Neye, Der gemeinsame Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Übernahmerecht, AG 2000, 289; Oechsler, Der ReE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden!, NZG 2001,
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§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
817; Pennington, The City Code on Takeovers and Mergers, in FS Duden, 1977, S. 379; Riehmer/Schröder, Der Entwurf des Übernahmegesetzes im Lichte von Vodafone/Mannesmann, NZG 2000, 820; Riehmer/Schröder, Praktische Aspekte bei der Planung, Durchführung und Abwicklung eines Übernahmeangebots, BB-Beilage 5-2001, 1; Uwe H. Schneider, Die Zielgesellschaft nach Abgabe eines Übernahme- oder Pflichtangebots, AG 2002, 125; Schüppen, Übernahmegesetz ante portas! – Zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen“, WPg 2001, 958; Seiler/Wittgens, Sonderaktienrecht für den Finanzsektor – Kapitalerhöhungen nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, ZIP 2008, 2245; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht (I), DZWiR 2002, 353; Wegen/Fröhlich, Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), in Blättchen/Wegen, Übernahme börsennotierter Unternehmen, 2003; Witt, Regelmäßige „Wasserstandsmeldungen“ – unverzichtbarer Bestandteil eines künftigen Übernahmegesetzes, NZG 2000, 809; Zinser, Ein neuer Anlauf: Der jüngste Vorschlag einer Übernahmerichtlinie vom 2.10.2002, EuZW 2003, 10.
A. Grundlagen1 I. Entstehung der Norm § 16 hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens keine nennenswerten Änderungen 1 erfahren. Allerdings enthielt die Fassung des Diskussionsentwurfs vom 29.6.2000 noch eine Höchstfrist für die Angebotsdauer von (nur) sechs Wochen (§ 19 Abs. 1)2. Diese Frist wurde im Referentenentwurf in Anpassung an den Entwurf der EU-Übernahmerichtlinie auf zehn Wochen verlängert3. Die Friständerung wurde im Regierungsentwurf übernommen4. Art. 7 der EU-Übernahmerichtlinie vom 21.4.20045 sieht eine Frist für die Annahme 2 eines Angebots von nicht weniger als zwei Wochen und nicht mehr als zehn Wochen ab der Bekanntmachung der Angebotsunterlage vor. Sofern der allgemeine Grundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. f) der EU-Übernahmerichtlinie eingehalten ist, wonach eine Zielgesellschaft in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus durch ein Angebot für ihre Wertpapiere behindert werden darf, ist es den Mitgliedstaaten vorbehalten, die Frist von zehn Wochen zu verlängern, wenn der Bieter seine Absicht zur Schließung des Angebots mindestens zwei Wochen zuvor bekannt gibt. Diese Regelung ist vor allem auf britische Anregungen zurückzuführen, weil nach den dortigen Erfahrungen eine Frist von zehn Wochen häufig zu kurz ist6. Ferner soll es den Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 EU-Übernahmerichtlinie gestattet sein, in bestimmten Fällen Vorschriften zur Änderung der Fristen vorzusehen. Außerdem sollen Aufsichtsorgane ermächtigt werden, eine Abweichung von den Fristen zu gestatten, damit die Zielgesellschaft zur Prüfung des Angebots eine Hauptversammlung einberufen kann. Diese Regelung ist deutscher Initiative zu verdan1 Der Verfasser dankt Herrn Dipl.-Jur. Martin Heidemann, LL.M. (Nottingham) für seine verdienstvolle Unterstützung. 2 Vgl. DiskE zum RefE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237, 248; dazu Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 5. 3 Vgl. RefE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374, 383 f. 4 Vgl. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 13. Zustimmend zur Erweiterung der Höchstfrist Liebscher, ZIP 2001, 853, 865. 5 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, Text im Anhang S. 1713. 6 Vgl. Neye, AG 2000, 289, 294; Zinser, EuZW 2003, 10, 12.
Seiler
443
§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
ken1 und beruht auf der Notwendigkeit, der Zielgesellschaft eine im Zusammenhang mit dem Angebot stehende Hauptversammlung nicht durch die Wahl einer zu kurzen Frist unmöglich zu machen (vgl. dazu im Einzelnen unten Rz. 47 ff.). Seit Inkrafttreten des WpÜG erfolgten mehrere Änderungen des § 16. Neben begrifflichen und technischen Korrekturen2 sowie der Ersetzung des Veröffentlichungsortes „Börsenpflichtblatt“ in § 16 Abs. 3 durch den Bundesanzeiger3 bestehen diese insbesondere in der Anpassung von § 16 Abs. 4 an die durch das UMAG4 sowie das ARUG5 bewirkten Änderungen des Aktiengesetzes. Eine Sonderregelung für die Abgabe von Angeboten findet sich in § 12 Abs. 3 Nr. 1 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (FMStBG)6. Gibt der Bund oder der Finanzmarktstabilisierungsfonds im Zusammenhang mit einer Stabilisierungsmaßnahme nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz (FMStFG)7 ein Angebot zum Erwerb von Wertpapieren eines Unternehmens des Finanzsektors ab, so darf die Annahmefrist unter Abweichung von § 16 Abs. 1 nicht weniger als zwei Wochen betragen. Eine nach § 16 Abs. 2 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 1 mögliche Verlängerung der Annahmefrist ist nicht gestattet8. Die im FMStFG vorgesehenen Maßnahmen stehen nach der Reaktivierung des Finanzmarktstabilisierungsfonds durch das Zweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz9 noch bis zum 31.12.2012 zur Verfügung. Nach dem Dritten Finanzmarktstabilisierungsgesetz10 soll das bis Ende 2012 zur Verfügung stehende Instrumentarium weiterhin bis zum 31.12.2014 genutzt werden können11.
II. Normzweck 3
§ 16 ist die erste in einer Kette von Normen aus dem Vertragsrecht der öffentlichen Übernahmeangebote12 und regelt in Einschränkung der allgemeinen Vertragsfreiheit13 die Rahmenbedingungen für den zeitlichen Ablauf des Angebotsverfahrens. Dabei beschäftigen sich § 16 Abs. 1 und § 16 Abs. 2 allgemein mit der Mindest- und Höchstdauer der Annahmefrist. § 16 Abs. 3 sowie § 16 Abs. 4 enthalten zeitliche und verfahrensrechtliche Vorgaben für die Einberufung von Hauptversammlungen durch
1 Vgl. Neye, AG 2000, 289, 294. 2 Einfügung der Terminologie „Bundesanstalt“ durch Gesetz vom 29.4.2002, BGBl. I 2002, 1495 sowie Anpassung an die Änderung des § 123 AktG durch das TransparenzrichtlinieUmsetzungsgesetz (TUG) vom 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10. 3 Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.2006, BGBl. I 2006, 1426. 4 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 5 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 6 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ vom 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982. 7 Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds vom 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982, vgl. zu Kapitalerhöhungen nach dem FMStFG etwa Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245. 8 Siehe hierzu ausführlich Brück/Schalast/Schanz, BB 2009, 1306, 1311 f. 9 Zweites Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes vom 29.2.2012, BGBl. I 2012, 206. 10 Gesetz vom 20.12.2012, BGBl. I 2012, 2177. 11 Gesetz vom 20.12.2012, BGBl. I 2012, 2177. 12 Vgl. Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 90. 13 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 3.
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§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
Zielgesellschaften, die im Zusammenhang mit der Durchführung des Angebots stehen. Mit diesen Regelungen will der Gesetzgeber die Zielgesellschaft, deren Aktionäre sowie den Kapitalmarkt insgesamt vor einer störenden Ausgestaltung des Angebotsverfahrens durch den Bieter schützen1. Dabei soll dem Beschleunigungsgrundsatz (§ 3 Abs. 4) Geltung verschafft und eine zügige Durchführung des Angebotsverfahrens gesichert werden2. Gleichzeitig soll den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft aber ausreichend Zeit verbleiben, um von dem Angebot und seinen Konditionen Kenntnis zu nehmen und die Entscheidung über das Angebot ohne kollektiven Entscheidungsdruck vorzubereiten3. Insofern setzt die Norm auch den Grundsatz des § 3 Abs. 2 um4. Auch Konkurrenzangebote mit tendenziell positiven Auswirkungen auf die den Wertpapierinhabern angebotene Gegenleistung sollen nicht durch die Wahl einer unangemessen kurzen Angebotsfrist abgeschreckt werden5. Insgesamt soll § 16 damit einen flexiblen, aber geordneten und für den Kapitalmarkt vorhersehbaren Verfahrensablauf unter Gewährung ausreichenden Entscheidungsfreiraums für die Aktionäre der Zielgesellschaft sichern.
III. Vergleichbare Regelungen Der Übernahmekodex6 sah in Artikel 11 eine Annahmefrist von mindestens 28 und 4 von höchstens 60 Tagen vor. Auf dieser Regelung basieren auch die Fristen des § 16 Abs. 1. Die Verlängerung der Angebotsfrist für den Fall einer Änderung des Angebots war im Übernahmekodex nicht vorgesehen, konnte aber mit der Geschäftsstelle der Übernahmekommission im Einzelfall vereinbart werden7. § 16 Abs. 2 oder § 16 Abs. 3 vergleichbare Regelungen bestanden nicht8. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 des österreichischen Übernahmegesetzes muss die Annahme- 5 frist mindestens zwei Wochen und darf höchstens zehn Wochen betragen. Die Frist wird in diesem Rahmen vom Bieter festgelegt9. Die österreichische Übernahmekommission kann gemäß § 19 Abs. 1a des Übernahmegesetzes für das Angebot eine kürze-
1 Vgl. Schüppen, WPg 2001, 958, 964; Riehmer/Schröder, BB-Beilage 5–2001, 1, 6; Mühle, S. 244; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 1. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 1. Kritisch Schüppen, WPg 2001, 958, 964, der darauf hinweist, dass die tatsächliche Länge der Annahmefrist wegen möglicher konkurrierender Angebote ex ante kaum kalkulierbar ist. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 1; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 4; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 3; Tröger, DZWiR 2002, 353, 360; Mühle, S. 244. Vgl. zu den konfligierenden Interessen bereits Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 86 f. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 3; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, S. 94. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 4. 6 Vgl. Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 201, 204. 7 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 4; Riehmer/Schröder, BB-Beilage 5–2001, 1, 14; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 16 Rz. 3 mit Beispielen in Fn. 2. 8 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 4 mit dem zutreffenden Hinweis, dass bindende Regelungen über die Einberufung der Hauptversammlung wegen des nicht-gesetzlichen Charakters des Übernahmekodex nicht möglich gewesen wären. 9 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 148.
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re Annahmefrist festlegen, wenn die Zielgesellschaft eine Behinderung ihrer Geschäftstätigkeit glaubhaft macht1. Bis spätestens drei Börsentage vor Ablauf der Frist ist der Bieter berechtigt, sein ursprüngliches Angebot zu verlängern, sofern er dies nicht vorher ausgeschlossen hat (§ 19 Abs. 1b des Übernahmegesetzes). Die Übernahmekommission kann eine Annahmefrist von drei Wochen festgelegen, wenn der Vorstand oder der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft glaubhaft machen, dass bei einer Annahmefrist von weniger als drei Wochen eine angemessene Beurteilung des Angebots nach § 14 Abs. 1 des Übernahmegesetzes nicht rechtzeitig möglich ist. Die Annahmefrist im Falle eines konkurrierenden Angebots regelt § 19 Abs. 1c, 1d des Übernahmegesetzes. § 19 Abs. 3 des Übernahmegesetzes enthält eine § 16 Abs. 2 vergleichbare Bestimmung, die den zunächst unentschlossenen Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft bei einem erfolgreichen Angebot eine Nachfrist von zehn Tagen einräumt. 6
In der Schweiz gilt Art. 14 der Verordnung der Übernahmekommission vom 21.8.2008 über öffentliche Kaufangebote (Übernahmeverordnung). Danach beträgt die Annahmefrist mindestens 20 und höchstens 40 Börsentage. Die Annahmefrist kann auf zehn Börsentage verkürzt werden, wenn der Bieter vor der Veröffentlichung des Angebots die Mehrheit der Stimmrechte der Zielgesellschaft besitzt und der Bericht des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft in der Angebotsunterlage veröffentlicht wird. Außerdem kann das Angebot frühestens nach Ablauf einer Frist von zehn Börsentagen nach seiner Veröffentlichung angenommen werden. Die beiden letztgenannten Regelungen finden im WpÜG keine Parallele2. Dagegen existiert mit Art. 14 Abs. 5 der Übernahmeverordnung eine § 16 Abs. 2 vergleichbare Regelung zur Einräumung einer Nachfrist im Falle des Zustandekommens des Angebots.
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Für das Vereinigte Königreich wiederum sehen die Rules 31.1, 31.6, 31.7 und 31.9 des Takeover Code, den Regelungen des WpÜG ähnlich, eine Annahmefrist von mindestens 21 und höchstens 60 Tagen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage vor. Der Takeover Panel kann eine Fristverlängerung gewähren3. Diese kommt insbesondere bei konkurrierenden Angeboten sowie mit Zustimmung des Vorstands der Zielgesellschaft in Betracht4. Ferner kann es zu einer Fristverlängerung kommen, wenn die Zielgesellschaft nach dem 39. Tag nach Veröffentlichung des Angebots Mitteilungen zu Gewinn- und Verlusterwartungen, Dividendenzahlungen oder sonstigen wirtschaftlichen Kennzahlen veröffentlicht, die für die Bewertung des Angebots durch den Kapitalmarkt von Bedeutung sind. Auch der Takeover Code enthält mit Rule 31.4 eine § 16 Abs. 2 vergleichbare Bestimmung.
IV. Geltung der Vorschrift für freiwillige Angebote, Übernahmeund Pflichtangebote 8
§ 16 Abs. 1, § 16 Abs. 3 und § 16 Abs. 4 gelten für freiwillige ebenso wie für Übernahme- und Pflichtangebote5. Nur für (erfolgreiche) Übernahmeangebote enthält § 16 Abs. 2 eine Sonderregelung (vgl. zu dieser im Einzelnen unten Rz. 27 ff.). 1 Ausführlich zu den Anträgen nach § 19 Abs. 1a des Übernahmegesetzes Diregger/Kalss/ Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 150. 2 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 94. 3 Vgl. Pennington in FS Duden, S. 379, 389. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 11. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 2; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 2; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 5; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 2.
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B. Annahmefrist (§ 16 Abs. 1) I. Mindestfrist Die Frist für die Annahme des Angebots, legal als Annahmefrist definiert, darf ge- 9 mäß § 16 Abs. 1 Satz 1 nicht weniger als 4 Wochen betragen. Diese Mindestfrist ist zwingend. Sie kann im Hinblick auf den Regelungszweck auch nicht mit Zustimmung der BaFin oder der Zielgesellschaft verkürzt werden. Die zwingende Ausgestaltung einer Mindestfrist von vier Wochen wird in der überwiegenden Literatur begrüßt, weil sie den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft einen Überlegungszeitraum garantiert, der für eine sachgerechte Entscheidung über die Annahme des Angebots (mindestens) erforderlich ist1. Außerdem ermöglicht die Mindestfrist (noch) die Einberufung einer im Zusammenhang mit dem Angebot durchzuführenden Hauptversammlung der Zielgesellschaft. Bei einer kürzer belassenen Frist wäre die Zielgesellschaft nur schwer in der Lage, die komplizierten und zeitaufwändigen aktienrechtlichen Einberufungsmodalitäten einzuhalten und die zur Vorbereitung der Beschlussfassung erforderlichen Maßnahmen zu treffen2. Eine Mindestfrist von zwei Wochen etwa hätte demgegenüber zu großen Zeitdruck auf die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft ausgeübt und eine angemessene Reaktion der Gesellschaft einschließlich der Einberufung einer Hauptversammlung praktisch vereitelt3. Daneben würden tendenziell im Interesse der Schaffung einer Wettbewerbssituation zu begrüßende Konkurrenzangebote erschwert4. Von der Mindestfrist des § 16 Abs. 1 Satz 1 wurde bisher einmal nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 Nr. 1 FMStBG im Falle der Übernahme der Hypo Real Estate Holding AG durch die Bundesrepublik Deutschland abgewichen (dort betrug die Annahmefrist zwei Wochen)5. Allerdings sind selbst unter Berücksichtigung der in § 16 Abs. 4 vorgesehenen Er- 10 leichterungen (vgl. unten Rz. 63 ff.) Fälle denkbar, in denen die Zielgesellschaft nicht über ausreichend Zeit verfügt, um eine Hauptversammlung sachgemäß vorzubereiten. Dabei ist insbesondere an so genannte Holzmüller-Maßnahmen sowie an Kapitalmaßnahmen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu denken. In der Literatur wird hierzu für solche Fälle vereinzelt eine Reduktion der Berichtsintensität des Vorstands gefordert6. Der Meinungsstand hierzu ist aber ungesichert und praktische Erfahrungen liegen – soweit ersichtlich – noch nicht vor.
II. Höchstfrist Die Laufzeit des Angebots darf gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 nicht mehr als zehn Wochen 11 betragen. Ebenso wie eine Verkürzung ist auch eine Verlängerung, und sei es mit Zu1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 14; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 4. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 14; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 6. 3 Begr. RefE, S. 113. Vgl. auch Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses zum Referentenentwurf vom April 2001, NZG 2001, 420, 424. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 4. 5 Siehe Ziffer 5.1 der Angebotsunterlage betreffend das öffentliche Übernahmeangebot der Bundesrepublik Deutschland an die Aktionäre der Hypo Real Estate Holding AG vom 17.4.2009; vgl. dazu auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 16; Böckenförde, NJW 2009, 2484, 2485. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 15; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 114.
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stimmung der BaFin oder der Zielgesellschaft, nicht möglich. Es handelt sich damit – anders als unter dem Übernahmekodex – ebenfalls um eine zwingende Regelung1. Allerdings bleiben § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 unberührt, die unter Umständen zu einer Verlängerung der Annahmefrist über die Höchstfrist hinaus führen können (vgl. dazu § 21 Rz. 51 ff. sowie § 22 Rz. 30 ff.). 12
Dem Bieter steht die Wahl innerhalb des so gesteckten zeitlichen Rahmens zwischen Mindest- und Höchstfrist grundsätzlich frei2. Dies gilt sowohl bei freiwilligen Angeboten wie auch bei Übernahme- und Pflichtangeboten. Der Bieter hat Beginn und Ende der von ihm gewählten Annahmefrist in der Angebotsunterlage mitzuteilen, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6. In der Praxis hängt die Entscheidung des Bieters über die Länge der festgesetzten Annahmefrist wesentlich davon ab, mit welcher Reaktion durch die Zielgesellschaft und durch ihre Wertpapierinhaber nach Lage des Falles zu rechnen ist. Ist die Übernahme mit dem Vorstand der Zielgesellschaft nicht abgestimmt, besteht aus Sicht des Bieters grundsätzlich das Risiko, dass der Vorstand der Zielgesellschaft Abwehrmaßnahmen ergreifen will. Diesem Risiko kann durch die Wahl einer kurzen Annahmefrist in gewissem Umfang begegnet werden. Auch bei gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtangeboten, an deren Annahme durch die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft der Bieter kein besonderes Interesse hat, kann eine kurze Annahmefrist sinnvoll sein. Handelt es sich dagegen – wie im Regelfall – um ein mit dem Vorstand der Zielgesellschaft abgestimmtes Angebot, wird der Bieter oftmals eine großzügige Annahmefrist bis zur Zehn-Wochen-Grenze anstreben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Bieter an einer möglichst großen Zahl von Annahmen interessiert ist und im Anschluss an das Angebot einen Ausschluss von Minderheitsaktionären nach den §§ 39a ff. WpÜG bzw. den §§ 327a ff. AktG oder den Abschluss eines Beherrschungsvertrages nach den §§ 291 ff. AktG anstrebt3. Die bisherige Praxis hat indes gezeigt, dass die Bieter auch bei freundlichen Übernahmeangeboten zumeist eine Angebotsfrist von deutlich unter zehn Wochen wählen, weil sie sich die Zustimmung einer Mehrheit der Aktionäre bereits im Vorfeld etwa durch aufschiebend bedingte Kaufverträge oder irrevocables gesichert haben.
III. Gesetzliche Fristverlängerungen (§ 16 Abs. 1 Satz 1) 13
In vier Fällen sieht das Gesetz eine Verlängerung der Annahmefrist über die Höchstfrist von zehn Wochen hinaus vor. Erstens verlängert sich die Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 5 um zwei Wochen, wenn der Bieter sein Angebot ändert. Dies gilt allerdings nur, sofern die Veröffentlichung der Änderung innerhalb der letzten zwei Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt (§ 21 Abs. 5) (vgl. näher § 21 Rz. 51). Bei einem öffentlichen Übernahmeangebot gilt die weitere Annahmefrist des § 16 Abs. 2 (vgl. unten Rz. 27 ff.). Daneben verlängert sich die Annahmefrist, falls es im Zusammenhang mit dem Angebot zu einer Hauptversammlung der Zielgesellschaft kommt, § 16 Abs. 3 (vgl. Rz. 47 ff.). Schließlich verlängert sich die Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 2, wenn während der Annahmefrist eines Angebots ein konkurrierendes Angebot durch einen Dritten unterbreitet wird. Läuft in ei1 Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 16 Rz. 3; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 10. 2 Kalss in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 51 Rz. 54; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 6; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 12; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 16 Rz. 2; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 2 (kein Missbrauchseinwand im Einzelfall denkbar). 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 18.
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nem solchen Fall die Annahmefrist für das (erste) Angebot vor Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot ab, bestimmt sich der Ablauf der Annahmefrist für das (erste) Angebot nach dem Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot, § 22 Abs. 2 (vgl. näher § 22 Rz. 30 ff.). Eine danach mögliche Kombination dieser Fristen kann bei zwei konkurrierenden Angeboten bereits zu einer erheblichen Verlängerung der Öffnung des Angebots auf knapp unter 26 Wochen führen1.
IV. Fristverlängerung durch den Bieter Eine von gesetzlich angeordneten Fristverlängerungen zu sondernde Frage ist, ob der 14 Bieter innerhalb des von § 16 Abs. 1 Satz 1 vorgegebenen Rahmens berechtigt ist, die von ihm in der Angebotsunterlage zunächst genannte (kürzere) Annahmefrist bis zur vollständigen Ausschöpfung der zehnwöchigen Höchstfrist zu verlängern. In der Verwaltungspraxis der BaFin wird der Vorbehalt einer Verlängerungsmöglichkeit nicht toleriert2. Gleichwohl wird eine solche Möglichkeit in der Literatur kontrovers diskutiert. Richtigerweise wird man annehmen können, dass eine derartige Fristverlängerung jedenfalls dann zulässig ist, wenn sie sich der Bieter in der Angebotsunterlage ausdrücklich vorbehalten hat3. Die Unzulässigkeit einer bieterseitigen Fristverlängerung ergibt sich nämlich nicht bereits daraus, dass es sich dabei um eine grundsätzlich unter § 21 Abs. 1 fallende Änderung des Angebots handelt, die verboten ist, weil sie von § 21 nicht ausdrücklich erlaubt wird. Zwar hat § 21 nach richtiger Ansicht im Grundsatz abschließenden Charakter (näher § 21 Rz. 37 ff.). Eine Verlängerung der Annahmefrist in dem von § 16 Abs. 1 Satz 1 erlaubten Rahmen ist aber nach den insoweit von § 21 nicht ausgeschlossenen allgemeinen Regeln des Vertragsrechts (§§ 145 ff. BGB) zu beurteilen und deshalb als für die Wertpapierinhaber günstige Regelung grundsätzlich zulässig. Eine dem Gesetz fremde und praktisch nur schwer durchzuführende Unterscheidung zwischen „materiellen“ (von § 21 abschließend erfassten) und sonstigen „technischen“ Änderungen muss dafür nicht bemüht werden4. Zwar kann nach § 148 BGB die Annahme eines Antrags nur innerhalb der Frist erfolgen, die der Antragende für die Annahme des Antrags bestimmt hat. Nach ganz herrschender Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur erlaubt diese Norm dem Antragenden aber, die Annahmefrist jederzeit (auch stillschweigend) zu verlängern5. Eine einseitige, nachträgliche Verlängerung der Annahmefrist durch den Antragenden während des Fristlaufs ist demnach bereits auf der Grundlage allgemeiner Normen des Zivilrechts zulässig6. Auch andere Regelungen im WpÜG stehen dem so gefundenen Ergebnis nicht entgegen7. § 26 Abs. 1 Satz 2, der die Abgabe eines neuen Angebots für den Zeitraum ei1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 6 mit Beispielen. 2 Vgl. zu der Praxis der BaFin Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 26; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 16; siehe auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 11. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 24 ff. Im Ergebnis ebenso Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 14. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 11; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 60; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 4; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 7. 4 A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 22; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 14. 5 Vgl. nur Busche in MünchKomm. BGB, § 148 Rz. 7 m.w.N. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 24. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 11. 7 Vgl. aber Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 7 mit Hinweis auf § 18 Abs. 1 (Verbot der Potestativbedingung).
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nes Jahres untersagt, wenn der Bieter die Durchführung des Angebots vom Erwerb eines Mindestanteils der Aktien der Zielgesellschaft abhängig gemacht hat, dieser Mindestanteil aber nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde, bezweckt lediglich, im Interesse der Zielgesellschaft eine Aneinanderreihung mehrerer nicht erfolgreicher Angebote zu verhindern. Die Norm verbietet aber nicht, eine ursprünglich zu knapp bemessene Angebotsfrist nachträglich bis zur gesetzlichen Maximaldauer auszudehnen, um dem noch nicht erfolgreichen Angebot zum Erfolg zu verhelfen und damit die Abgabe eines zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden weiteren Angebots entbehrlich zu machen. Auch im Hinblick auf § 21 Abs. 6, der eine erneute Änderung des Angebots innerhalb der in § 21 Abs. 5 genannten Frist von zwei Wochen für unzulässig erklärt, gilt nichts anderes. § 21 Abs. 6 soll verhindern, dass die in § 21 Abs. 5 angeordnete Fristverlängerung vom Bieter als Mittel eingesetzt wird, um durch eine mehrfache Änderung des Angebots die Zielgesellschaft über einen längeren Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern. Auch diese Regelung beschäftigt sich nur mit der Frage, ob bzw. wann ein neues Angebot abgegeben werden darf, besagt aber nichts darüber, ob eine Verlängerung der Annahmefrist bis zu dem maximal möglichen Zeitraum von zehn Wochen möglich ist. 16
Für die Zulässigkeit bieterseitiger Fristverlängerung spricht schließlich eine rechtsvergleichende Betrachtung. So waren Verlängerungen nicht nur bereits nach dem Übernahmekodex zulässig und entsprachen gängiger Praxis1. Auch vergleichbare Normen des ausländischen Rechts erlauben eine Fristverlängerung zumindest dann, wenn sich der Bieter die Verlängerungsmöglichkeit in dem Angebot ausdrücklich vorbehalten hat (sog. Verlängerungsvorbehalt). So kann der Bieter nach österreichischem Recht etwa sein ursprüngliches Angebot ohne weiteres verlängern, soweit die Verlängerung spätestens 3 Börsentage vor Ablauf der ursprünglichen Annahmefrist zumindest in der gleichen Weise wie das ursprüngliche Angebot veröffentlicht wird (§ 19 Abs. 1b Übernahmegesetz)2. Zu einer Untersagung der Verlängerung ist die Übernahmekommission berechtigt, wenn die Zielgesellschaft glaubhaft macht, dass sie durch die verlängerte Frist in ihrer Geschäftstätigkeit ungebührlich behindert ist (§ 19 Abs. 1b Übernahmegesetz)3. Darüber hinaus ist eine Verlängerung nach § 19 Abs. 1b Übernahmegesetz unzulässig, wenn der Bieter in einer so genannten Verlängerungsausschlussklausel erklärt, das Angebot nicht verlängern zu wollen (no extension statement)4. Eine entsprechende Regelung enthält Art. 14 Abs. 4 Satz 2 der schweizerischen Übernahmeverordnung, wonach eine Verlängerung der Angebotsfrist auf die Maximaldauer von 40 Börsentagen zulässig ist, wenn der Anbieter sich dies im Angebot vorbehalten hat. Ähnliches gilt schließlich gemäß Rule 31.2 sowie Rule 31.5 des englischen Takeover Code.
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Lediglich in dem (umgekehrten) Fall, in dem der Bieter eine Verlängerung der Angebotsfrist in der Angebotsunterlage ausdrücklich ausgeschlossen hat (no extension statement), sollte in erneuter Anlehnung an Normen des ausländischen Rechts eine dennoch erfolgende Verlängerung in jedem Fall unzulässig sein5.
1 Vgl. zur damaligen Praxis Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 11. 2 Vgl. dazu Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 170. 3 Vgl. dazu Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 170. 4 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 170. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 16. Vgl. für die Verlängerungsmöglichkeiten in Österreich oben bei Rz. 16.
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Dem Bieter wäre demnach grundsätzlich zu empfehlen, sich die Verlängerungsmöglichkeit im Angebot ausdrücklich vorzubehalten1. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Abwicklung des Angebots in einer kürzeren Frist wäre spätestens dann nicht mehr erkennbar2. Wie erwähnt, scheitert ein solcher Vorbehalt indes bislang an der ablehnenden Verwaltungspraxis der BaFin. Auf Grundlage der vorherigen Ausführungen ergäbe sich für die Fristverlängerung die Maßgeblichkeit des § 148 BGB, wonach die Fristverlängerung der Form des ursprünglichen Antrags bzw. Angebots bedarf. Die Fristverlängerung müsste daher ebenso wie die Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 3) die Vorgaben des § 11 beachten, also insbesondere den Tag des Ablaufs der verlängerten Annahmefrist angeben (§ 11 Abs. 2 Nr. 6)3 und nach der Überprüfung durch die BaFin in der Form des § 14 veröffentlicht werden.
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V. Fristbeginn (§ 16 Abs. 1 Satz 2) Die Frist für die Annahme des Angebots beginnt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 mit der 19 Veröffentlichung der Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1. Diese Regelung ist ebenso wie die Festlegung der Mindest- sowie Höchstfrist zwingend und verbietet, eine Veröffentlichung der Angebotsunterlage mit dem Hinweis zu verbinden, dass die Annahmefrist erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen soll4. Das Angebot kann von den Aktionären der Zielgesellschaft daher ab dem Veröffentlichungstag angenommen werden5. Maßgebend für den Fristbeginn sind die Bekanntgabe im Internet sowie im Bundesanzeiger (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 Fall 1). Alternativ zu Letzterem ist es dem Bieter gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 gestattet, die Bekanntgabe im Internet mit der Bereithaltung der Angebotsunterlage zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland zu verbinden (vgl. § 14 Rz. 37). In diesem Fall ist der Bieter gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 verpflichtet, im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet nach Nummer 1 erfolgt ist (Hinweisbekanntmachung). Fraglich ist, ob für den Beginn der Annahmefrist die gesetzlich vorgeschriebenen Ver- 20 öffentlichungsvarianten des § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 kumulativ erfüllt sein müssen. Wenn dies der Fall wäre, käme es bei einem Auseinanderfallen für den Beginn der Annahmefrist auf die zuletzt erfolgende Veröffentlichung an. Kommt man dagegen zu einem anderen Ergebnis, würde bereits die erste Veröffentlichung den Lauf der Annahmefrist in Gang setzen. Das zwingend zweispurig ausgestaltete Veröffentlichungsverfahren spricht für erstere Auslegung6. Zweck des zweispurigen Ver1 So auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 26; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 16. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 26; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 15; zur Zulässigkeit eines solchen Vorbehalts vgl. bereits Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 87. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 27. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 13; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 18; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 12; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 340; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 7. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 8. 6 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 3; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 29; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 20; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 6; Wackerbarth
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öffentlichungsverfahrens ist es, für eine effektive Verbreitung der Angebotsinformationen zu sorgen (vgl. § 14 Rz. 31). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber der Veröffentlichung im Bundesanzeiger (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Fall 1) neben der Bekanntgabe im Internet lediglich Dokumentationsfunktion beimessen wollte. Der Zeitpunkt der jeweils letzten Veröffentlichung ist aber auch dann entscheidend, wenn der Bieter eine Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet mit dem Verfahren der Schalterpublizität gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 kombiniert. Fällt in einem solchen Fall der Tag der Veröffentlichung der Hinweisbekanntmachung und der Tag des erstmaligen Bereithaltens der Angebotsunterlage zur Ausgabe an die Wertpapierinhaber auseinander, kommt es für den Fristbeginn allein auf die Veröffentlichung der Bekanntmachung an1. Das vorherige Bereithalten der Angebotsunterlage ist insoweit nicht ausreichend, um den Lauf der Angebotsfrist in Gang zu setzen2. Genauso wenig wird der Beginn der Annahmefrist durch eine Verzögerung im Bereithalten der Angebotsunterlage hinausgezögert3. Zwar ist es dann denkbar, dass der Bieter den Lauf der Annahmefrist in Gang setzt, ohne den gesetzlichen Veröffentlichungspflichten in vollem Umfang nachgekommen zu sein. Die damit verbundenen Risiken haben sich in der Praxis bislang freilich als gering erwiesen. Sie sind weniger gewichtig als Risiken, die entstünden, wenn man für den Fristbeginn insoweit auf das erstmalige vollständige Bereithalten der Angebotsunterlage abstellen würde. Denn dann wäre der Fristbeginn von einem zeitlich kaum zu präzisierenden und vor allen Dingen schwer nachweisbaren Ereignis abhängig4. Die praktische Bedeutung des Problems sollte indes nicht überschätzt werden. In aller Regel wird der Bieter das zweispurige Veröffentlichungsverfahren taggleich durchführen. Dann kommt es auf diese Streitfrage ohnehin nicht an5. 21
Sonstige Veröffentlichungen oder Erläuterungen des Angebots durch den Bieter sind für den Beginn der Annahmefrist ohne Bedeutung. Dies betrifft Pressemitteilungen, Ad-hoc-Mitteilungen nach § 15 WpHG6 sowie Erklärungen, Veröffentlichungen und Bekanntmachungen des Angebots, die nach dem Recht anderer Staaten möglicherweise erforderlich sind. Dies gilt auch dann, wenn diese Mitteilung nach dem anwendbaren ausländischen Recht eine zwingende Voraussetzung für ein Angebot an die in der betreffenden Jurisdiktion ansässigen Wertpapierinhaber ist. Für den Fristbeginn nach WpÜG sind insoweit ausschließlich die von § 14 Abs. 3 festgelegten Veröffentlichungspflichten maßgebend7.
VI. Fristberechnung und Fristende 22
Zur Berechnung der Frist und zum Fristende enthält das WpÜG keine besonderen Bestimmungen. Es gelten damit die §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Aus diesen Normen
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in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 9. A.A. Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 340, der die erste Veröffentlichung als fristauslösend betrachtet. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 31. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 19. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 31; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 23. Zutreffend Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 31. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 15; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 31. Eine etwaige Mitteilungspflicht gemäß § 15 WpHG wird durch eine vorangegangene Mitteilung nach § 10 nicht ausgeschlossen. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 32; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 24.
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ergibt sich, dass der Tag der Veröffentlichung der Angebotsunterlage bei der Berechnung der Mindestannahmefrist entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 2 nicht mitzuzählen ist1. Das Angebot ist daher bis zum Ende des Tages offen, der 4 Wochen später durch seine Benennung dem Veröffentlichungstag entspricht (§ 188 Abs. 2 BGB). Bei der Berechnung der Höchstannahmefrist ist der Tag der Veröffentlichung der Angebotsunterlage dagegen nach zutreffender Ansicht mitzuzählen. Dies ergibt sich aus dem unterschiedlichen Gesetzeszweck. Während die 4-wöchige Mindestfrist die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft schützen soll, geht es bei der zehn-wöchigen Höchstfrist um die Interessen der Zielgesellschaft an einer nicht überlangen Verfahrensdauer. Deshalb sollte der Tag der Veröffentlichung der Angebotsunterlage in letzterem Fall mit einbezogen werden2. Fällt der letzte Tag der Annahmefrist auf einen Sonntag, einen staatlich anerkannten 23 allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so tritt gemäß § 193 BGB an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag3. Bei der Bestimmung eines staatlich anerkannten allgemeinen Feiertags ist fraglich, ob insoweit nur in ganz Deutschland geltende gesetzliche Feiertage einzubeziehen sind, wie dies zum Teil vertreten wird4. Ein Teil der Literatur will dagegen auch staatlich anerkannte lokale Feiertage an dem Ort einbeziehen, an dem voraussichtlich die meisten Annahmeerklärungen wirksam werden5. Beide Ansichten überzeugen nicht. Im Interesse der Rechtssicherheit erscheint es vorzugswürdig, sämtliche lokale Feiertage, und zwar sowohl am Sitz des Bieters als auch an den Börsenhandelsplätzen der Zielgesellschaft, einzubeziehen. Auf diese Weise wird eine Ungleichbehandlung der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft verhindert, die der erstgenannten Ansicht entgegengehalten werden kann6. Dies gilt jedenfalls, wenn – wie in der Regel – die Annahme gegenüber dem depotführenden Kreditinstitut zu erklären ist.
VII. Rechtsfolgen Grundsätzlich kann das Angebot von den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft nur innerhalb der Annahmefrist angenommen werden7. Dies ist im WpÜG zwar nicht ausdrücklich so bestimmt, ergibt sich aber aus § 148 BGB. Zwischen dem Bieter und den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft, die das Angebot rechtzeitig angenommen haben, kommen Aktienkauf- bzw. Aktientauschverträge zustande. Für die Frage der Rechtzeitigkeit der Annahme kommt es grundsätzlich auf den Zugang der Annahme bei der von dem Bieter in der Angebotsunterlage benannten Stelle an. Eine für die Wirksamkeit der Annahmeerklärung unschädliche Fristüberschreitung nach § 149 BGB, etwa in Folge einer verzögerten Weiterleitung der Annahmeerklä-
1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 21; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 11; Sohbi in Heidel, § 16 WpÜG Rz. 2; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 33; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 25; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 7. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 33. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 24; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 34; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 25; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 8. 4 So etwa von Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 35; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 25; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 8. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 24, der auf den Erklärungsort abstellt. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 10. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 37.
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rung durch das von dem Annehmenden hiermit beauftragte Kreditinstitut, kommt nach zutreffender Auffassung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht1. Die Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 ist auch für andere Vorschriften des WpÜG von Bedeutung, die den Ablauf des öffentlichen Angebots betreffen2. So ist eine Änderung des Angebots nach § 21 Abs. 1 Satz 1 nur bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist möglich (ausführlich § 21 Rz. 11 ff.). Im Rahmen der Änderung des Angebots bestimmen sich außerdem der Zeitraum des Rücktrittsrechts gemäß § 21 Abs. 4 (hierzu § 21 Rz. 45 ff.) und die gegebenenfalls erfolgende Verlängerung des Angebots gemäß § 21 Abs. 5 (siehe § 21 Rz. 51 ff.) nach der Annahmefrist des § 16 Abs. 1. Darüber hinaus nehmen die Bestimmungen über konkurrierende Angebote nach § 22 Abs. 1 (siehe § 22 Rz. 12 ff.) sowie die Regelungen der Annahmefrist nach § 22 Abs. 2 (vgl. § 22 Rz. 30 ff.) und des Rücktrittsrechts nach § 22 Abs. 3 (hierzu § 22 Rz. 47) bei solchen konkurrierenden Angeboten auf die Annahmefrist des § 16 Abs. 1 Bezug. Nach der Annahmefrist des § 16 Abs. 1 bestimmen sich auch die Zeitpunkte für die Veröffentlichungspflichten des Bieters nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 (vgl. § 23 Rz. 20 ff.). Im Rahmen von § 25 legt die Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 den spätesten Zeitpunkt für die Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses fest, sofern der Bieter das Angebot unter dieser Bedingung abgegeben hat (ausführlich § 25 Rz. 8 ff.). Schließlich bestimmt sich das Entstehen einer Sperrfrist bei dem Verfehlen des Erwerbs eines Mindestanteils als Bedingung des Bieters nach § 26 Abs. 1 Satz 2 nach dem Ablauf der Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 1 (siehe § 26 Rz. 5 ff.). 25
In den Angebotsunterlagen wird regelmäßig festgelegt, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft das Angebot nur gegenüber dem depotführenden Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitut (Depotbank) annehmen können. Die Annahme wird dann mit Umbuchung der zum Verkauf eingereichten Aktien bei der Clearstream Banking AG durch die Depotbank wirksam. In vielen Fällen erklärt die Angebotsunterlage die Annahme innerhalb der Annahmefrist gegenüber der Depotbank als fristgerecht, auch wenn die tatsächliche Umbuchung der Aktien erst einige Tage nach Ende der Annahmefrist erfolgt3. Eine solche Vereinbarung ist ohne weiteres rechtsgeschäftlich möglich4. Gleichzeitig mit der Annahme beauftragt der Aktionär dann die Depotbank, die Annahmeerklärung an den Bieter weiterzugeben und entbindet insoweit das depotführende Kreditinstitut von dessen Geheimhaltungspflicht5.
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Aktionäre, die verbriefte Aktienurkunden besitzen, die nicht bei der Clearstream Banking AG verwahrt werden, müssen für die Annahme häufig besondere Maßnahmen ergreifen. So haben sie etwa zusätzlich zu der schriftlichen Annahmeerklärung gegenüber einem depotführenden Kreditinstitut innerhalb der Annahmefrist die Aktienurkunden einzureichen und über ihr depotführendes Kreditinstitut zur Verfügung zu stellen. Wegen des Postlaufs und der üblichen Prüfungsmaßnahmen kann dies dazu führen, dass die Aktienurkunden bereits eine Woche vor Ablauf der Annah-
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 37; vgl. auch Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 27. 2 Siehe auch Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 4. 3 Vgl. exemplarisch Ziffer 11.2 der Angebotsunterlage betreffend das Pflichtangebot der Volkswagen AG an die Aktionäre der MAN SE vom 31.5.2011. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 26. 5 Vgl. exemplarisch Ziffer 11.3 (ii) der Angebotsunterlage betreffend das Pflichtangebot der Volkswagen AG an die Aktionäre der MAN SE vom 31.5.2011.
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mefrist eingereicht werden sollten1. Alternativ kommt in Betracht, dass die Aktionäre die effektiven Stücke über ein depotführendes Kreditinstitut in die Girosammelverwahrung bei der Clearstream Banking AG überführen oder in girosammelverwahrte Anteile umtauschen. Auch dies führt aber zu einem zeitlichen Vorlauf von einigen Tagen2.
C. Weitere Annahmefrist (§ 16 Abs. 2) § 16 Abs. 2 enthält eine Sonderregelung für Übernahmeangebote im Sinne des § 29.
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I. Normzweck Sofern ein Angebot den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft zum Gegen- 28 stand hat, können die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft nach § 16 Abs. 2 Satz 1 das Angebot auch innerhalb von zwei Wochen nach der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Veröffentlichung annehmen (weitere Annahmefrist)3. Diese obligatorische Nachfrist (sog. Zaunkönigregelung) begründet eine Abweichung von §§ 146, 148 BGB4. Sie soll sicherstellen, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft frei über das Übernahmeangebot entscheiden können, ohne befürchten zu müssen, bei einem Erfolg des Angebots Aktionär einer Gesellschaft geblieben zu sein, für deren Aktien es keinen (liquiden) Markt mehr gibt5. Der Gesetzgeber trägt insoweit vor allem der besonderen Situation der nicht organi- 29 sierten Kleinaktionäre einer Zielgesellschaft Rechnung. Für diese ist kennzeichnend, dass sie sich – anders als institutionelle Anleger oder sonstige Großaktionäre der Zielgesellschaft – mangels Organisation über ihre Reaktion auf ein Angebot untereinander kaum abstimmen können6. Außerdem fehlt ihnen häufig eine ausreichende Informationsgrundlage über die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens eines Kontrollwechsels und damit ein wichtiges Element für eine sachgerechte Entscheidung über die Annahme oder die Ablehnung des (Übernahme-)Angebots7. Verstärkt wird das Problem noch dadurch, dass sich institutionelle Anleger aus Gründen der Risikominimierung regelmäßig erst in den letzten Tagen der Annahmefrist für oder gegen die Annahme des Angebots entscheiden8, so dass auch die regelmäßigen sog. Wasserstandsmeldungen nach § 23 bis kurz vor Schluss des Angebots nur wenig aussagekräftig sind9. 1 Vgl. exemplarisch Ziffer 13.2.2 der Angebotsunterlage der NECKARPRI GmbH betreffend das freiwillige öffentliche Übernahmeangebot an die Aktionäre der EnBW Energie BadenWürttemberg AG vom 7.1.2011. 2 Vgl. exemplarisch Ziffer 8.1 der Angebotsunterlage der Interbrew Deutschland Holding GmbH an die Aktionäre der Gilde Brauerei Aktiengesellschaft vom 10.2.2003. 3 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 17 bezeichnet die weitere Annahmefrist nicht als Verlängerung der ersten Annahmefrist, sondern als erneute Öffnung des Angebots. 4 Vgl. Tröger, DZWiR 2002, 353, 360. 5 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 94; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 769. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 28; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 14. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 41. 8 Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 61 („Tendenz zum Attentismus“); Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 822; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 42. 9 Zur Bedeutung der sog. Wasserstandsmeldungen nach § 23 in diesem Zusammenhang Witt, NZG 2000, 809, 811.
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Damit entsteht für die Kleinanleger im Lauf des Übernahmeangebots das vielfach beschriebene sog. Gefangenendilemma, also eine Situation, in der das Verhalten des Einzelnen mangels einer nicht möglichen Koordination und Kooperation mit den anderen zu nachteiligen Ergebnissen führen kann1. Denn bei Nichtannahme besteht die Gefahr, als Aktionär in einer bei Erfolg des Angebots von dem Bieter kontrollierten Gesellschaft mit einer illiquiden Aktie zu verbleiben und später etwa zu einem möglicherweise ungünstigen Preis nach §§ 327a ff. AktG oder §§ 39a ff. zwangsweise aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden2. Auf der anderen Seite droht die Gefahr, dass Kleinaktionäre das von ihnen an sich abgelehnte Angebot aus Angst vor dem scheinbar bevorstehenden Kontrollwechsel annehmen, obwohl es dann mangels Akzeptanz durch Großaktionäre gar nicht zu einem Kontrollwechsel kommt3.
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Für den Regelfall eines Übernahmeangebots löst § 16 Abs. 2 Satz 1 dieses Gefangenendilemma auf. Die Regelung räumt den Aktionären der Zielgesellschaft eine weitere Entscheidungsmöglichkeit zu einem Zeitpunkt ein, in dem bereits Klarheit über den Erfolg oder Misserfolg der Übernahme besteht (vorbehaltlich möglicher weiterer Bedingungen wie z.B. der Kartellfreigabe). Die rechtspolitische Kritik an der Bestimmung ist daher nicht überzeugend4. Der Bieter kann sich vor der Notwendigkeit, wegen § 16 Abs. 2 Satz nach einem aus seiner Sicht erfolglosen Übernahmeversuch weitere Aktien hinzukaufen zu müssen, durch die Vereinbarung einer Mindestannahmeschwelle schützen (§ 16 Abs. 2 Satz 2), so dass auch dessen Interessen nicht über Gebühr beeinträchtigt sind (vgl. dazu näher und zur Möglichkeit einer teleologischen Reduktion der Norm unten Rz. 34 f.)5. Nicht vollständig beseitigt wird das Gefangenendilemma allerdings bei Übernahmeangeboten, die keine Mindestannahme vorsehen. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass insoweit auch die Großaktionäre der Zielgesellschaft das Angebot erst während der verlängerten Annahmefrist annehmen, so dass § 16 Abs. 2 keine Lösung bringt, sondern das Problem nur zeitlich verlagert (dazu ausführlich unten Rz. 34 f.). Die deutsche Regelung in § 16 Abs. 2 weicht von denen anderer Rechtsordnungen ab. In Österreich verlängert sich die Annahmefrist für diejenigen Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, um 3 Monate, wenn entweder ein Pflichtangebot abgegeben wurde oder der Bieter nach einem freiwilligen Übernahmeangebot mehr als 90 % des stimmberechtigten Grundkapital hält oder bei einem freiwilligen Übernahmeangebot die Bedingung des Erreichens einer Mindestzahl von Wertpapieren erfüllt wurde. In der Schweiz entsteht eine Nachfrist während 10 Börsentagen ab der Veröffentlichung des definitiven Zwischenergebnisses, wenn das Angebot zustande kommt.
II. Tatbestandsvoraussetzungen (§ 16 Abs. 2 Satz 1) 1. Vorliegen eines Übernahmeangebots 32
§ 16 Abs. 2 gilt nur bei einem Übernahmeangebot i.S.v. § 29 Abs. 1. Pflichtangebote und sonstige Angebote, die nicht auf einen Kontrollwechsel abzielen, sind vom Rege1 Vgl. näher dazu Witt, NZG 2000, 809, 811; Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 11 f.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 29. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 18. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 42; Mühle, S. 251. 4 Kritik bei Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 822 (Ungleichbehandlung der Aktionäre, schwerwiegender Eingriff in die marktbedingte Struktur des Annahmeprozesses). 5 Schüppen, WPg 2001, 958, 966.
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lungsbereich des § 16 Abs. 2 nicht erfasst1. Dies beruht darauf, dass der Gesetzgeber das hinter der Regelung des § 16 Abs. 2 stehende Gefangenendilemma vorwiegend in den Fällen verortet, in denen durch einen Kontrollwechsel erstmals eine Konzernierungssituation einzutreten droht (weitere Annahmefrist als Instrument der Konzerneingangskontrolle)2. In der Literatur wird zum Teil allerdings empfohlen, de lege ferenda auch freiwillige und Pflichtangebote in den Anwendungsbereich von § 16 Abs. 2 einzubeziehen, weil der die Norm tragende Entscheidungsdruck aus Sicht der Kleinanleger auch entstehen könne, wenn ein die Gesellschaft bereits i.S.v. § 29 Abs. 1 kontrollierender Aktionär eine qualitativ andere Stellung in der Gesellschaft erreichen will (etwa durch Ausbau seiner Beteiligung von angenommenen 35 % auf etwa 75 oder 95 %3). Einer solchen (teilweisen) Erweiterung des § 16 Abs. 2 auf freiwillige und Pflichtangebote dürften aber Schwierigkeiten bei der abstrakten Festlegung einer angestrebten „qualitativ anderen Stellung“ des Bieters entgegenstehen4. Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 erschließt sich schließlich, dass allein das 33 Vorliegen eines Übernahmeangebots für die Einräumung einer weiteren Annahmefrist ausreicht. § 16 Abs. 2 Satz 1 ist daher auch dann anwendbar, wenn der Bieter zwar ein Übernahmeangebot abgibt, der Kontrollwechsel sich aber schon bzw. erst durch einen außerhalb des Angebotsverfahrens vorgenommenen Paketerwerb vollzieht5. Gleiches gilt, wenn bereits während der regulären Annahmefrist feststeht, dass es zu einem Kontrollwechsel kommen wird6. 2. Erfolg des Übernahmeangebots § 16 Abs. 2 Satz 1 scheint nach seinem Wortlaut auch dann zu gelten, wenn zwar ein 34 Übernahmeangebot vorliegt, sich aber mit Ablauf der Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 herausstellt, dass es gar nicht zu einem Kontrollwechsel gekommen ist, das Übernahmeangebot also erfolglos war. Die Sachgerechtheit dieses Ergebnisses ist allerdings mit überzeugenden Gründen angezweifelt worden. Würde man dem Bieter nämlich auch bei (zunächst) erfolglosen Übernahmeversuchen eine weitere Annahmefrist einräumen, würden bei dem vom Gesetzgeber typisiert unterstellten Verhalten sämtliche Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft einschließlich der institutionellen Investoren ihre Entscheidung stets erst während der weiteren Annahmefrist treffen7. Die (Klein-)Aktionäre wären dann aus dem Gefangenendilemma nicht be1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 19; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 9; Kalss in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 51 Rz. 55; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 33; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43; Adolff/ Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 244. Schief daher Land, DB 2000, 1707, 1709, der § 16 Abs. 2 auch auf Pflichtangebote anwenden will. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 33. 3 Dafür – wenn auch unter Vorbehalten – Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43. 4 Im Ergebnis ablehnend auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 39 Rz. 22; Kalss in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 51 Rz. 55; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 39 Rz. 46 f. mit einer Gegenausnahme bei Pflichtangeboten für den Fall, dass der Stimmrechtsanteil ausnahmsweise während der Annahmefrist unter die Kontrollschwelle von 30 % absinkt und das Pflichtangebot zu einem erneuten Kontrollerwerb führt. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 45; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 36. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 45; im Ergebnis auch Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 38 ff.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 34, die allerdings für diesen Fall eine teleologische Reduktion für nicht ganz fernliegend halten. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 21.
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freit, obwohl doch gerade dies durch § 16 Abs. 2 Satz 1 erreicht werden sollte, weil sie über die Annahme des Angebots entscheiden müssten, ohne zu wissen, ob es zu einem Kontrollwechsel kommen wird1. Der auf den (Klein-)Aktionären lastende Entscheidungsdruck würde sogar noch durch den Umstand verschärft, dass der Bieter während der weiteren Annahmefrist von der Veröffentlichungen täglicher Wasserstandsmeldungen nach § 23 befreit ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3)2. Vor diesem Hintergrund ist § 16 Abs. 2 im Wege der teleologischen Auslegung auf die Fälle zu reduzieren, in denen das Übernahmeangebot zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 bereits erfolgreich war, es also zur Erlangung der Kontrolle nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 gekommen ist3. 35
Diesem Ergebnis können auch praktische Erwägungen nicht entgegengehalten werden. Denn zu dem Zeitpunkt, in dem der Lauf der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Gang gesetzt wird, steht das Ergebnis des Übernahmeangebots und damit dessen Erfolg oder Scheitern fest4. Der Hinweis, dass der Bieter dem Problem durch die Festlegung einer Mindestannahmequote entgegenwirken kann, ist als Argument gegen die Annahme einer teleologischen Reduktion nicht vollständig geeignet. Zwar würde das Verfehlen der Mindestannahmequote zum Scheitern des Angebots und gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 dazu führen, dass keine weitere Annahmefrist läuft5. (Groß-)Aktionäre, die dem Angebot positiv gegenüberstehen, würden dadurch motiviert, das Angebot schon während der ersten Annahmefrist anzunehmen und nicht auf die ungewisse weitere Annahmefrist zu vertrauen6. Es besteht für den Bieter aber nicht immer ein Grund, das für ihn tendenziell günstige Gefangenendilemma, in dem sich die Aktionäre wiederfinden, durch die freiwillige Festlegung einer Mindestannahmequote abzumildern, auf die er ohnehin wieder verzichten könnte (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4)7. Den Bieter deshalb zur Festlegung (und Beibehaltung) einer Mindestannahmequote zu zwingen, ist zwar eine denkbare weitere Lösung8. Dagegen spricht aber, dass diese Lösung tiefer in die Rechte des Bieters eingreift als die hier vertretene Auffassung einer teleologischen Reduktion9. Will der Bieter diese Situation vermeiden, hat er es immer noch in der Hand, durch die Festlegung einer (über der Grenze des § 29 Abs. 2 liegenden) entsprechenden Mindest-
1 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 769; Santelmann, AG 2002, 497, 499; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 42; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 17. 2 Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 21; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 42; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 61; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 39 Rz. 22; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 769; Santelmann, AG 2002, 497, 499. Zur Bedeutung der Wasserstandsmeldungen nach § 23 in diesem Zusammenhang Witt, NZG 2000, 809, 811. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 20; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 17; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 5; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 769 f. In diese Richtung auch Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 61; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 17; Liebscher, ZIP 2001, 853, 865. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 44; Hommelhoff/Witt in FrankfKomm. WpÜG, § 39 Rz. 15. 4 Zur Berücksichtigung von Fehlern bei der Berechnung vgl. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 16 Rz. 9. 5 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46. 6 Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 823; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 20; Liebscher, ZIP 2001, 853, 865. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 21 mit Fn. 27. 8 Dafür Santelmann, AG 2002, 497, 499; jetzt auch nicht mehr befürwortend Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 7. 9 Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 20 mit Fn. 17.
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annahmequote selbst darüber zu entscheiden, ab wann er ein (Übernahme-)Angebot für erfolgreich hält. 3. Unmaßgeblichkeit tatsächlicher Kontrollerlangung Keine Anwendung findet § 16 Abs. 2 Satz 1 in Fällen, in denen der Bieter bereits vor 36 Abgabe eines Angebots eine Beteiligung an der Zielgesellschaft von mehr als 30 % der Stimmrecht innehat, er aber noch keine faktische Kontrolle über das Unternehmen ausüben kann, weil etwa andere Aktionäre über gleich hohe oder höhere Beteiligungsquoten verfügen. Entschließt sich der Bieter in einer solchen Situation, seine Beteiligung über ein (freiwilliges) Angebot auf eine Schwelle auszubauen, die ihm erstmals die tatsächliche Ausübung von Kontrolle ermöglicht, bleibt § 16 Abs. 2 Satz 1 unanwendbar1. Obwohl sich die Kleinaktionäre der Zielgesellschaft dann in einer mit einem Übernahmeangebot vergleichbaren Situation befinden können, lässt der Wortlaut der Norm keine Erweiterung auf solche Fälle zu. Der Gesetzgeber verlangt in § 16 Abs. 2 ausdrücklich ein Übernahmeangebot und begreift dieses gemäß § 29 als den Erwerb von mindestens 30 % der Stimmrechte, ohne auf das (erstmalige) Vorliegen einer faktischen Kontrollsituation abzustellen2. Die dahinter stehende Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, Fälle, in denen der Bieter bereits vor Inkrafttreten des WpÜG über eine Beteiligung in Höhe von mindestens 30 % an der Zielgesellschaft verfügte, pauschal von dem Anwendungsbereich des Übernahmeangebots auszunehmen, ist auch insoweit zu akzeptieren3. Gegen eine Erweiterung der Norm spricht auch die praktische Schwierigkeit, den (gewollten) Erwerb tatsächlicher Kontrolle im Einzelfall festzustellen. 4. Aktionärsstellung Wie die Vergangenheit gezeigt hat, wird das Gefangenendilemma besonders bei Be- 37 legschaftsaktionären der Zielgesellschaft akut, die erfahrungsgemäß erst dann bereit sind, ihre Aktien an den Bieter zu veräußern, wenn der Erfolg der Übernahme feststeht. Sie sind denn auch in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 16 Abs. 2 besonders angesprochen. Aus der Gesetzesbegründung und der zustimmenden Literatur, die sich häufig jeweils nur auf Belegschafts- und sonstige Kleinaktionäre bezieht, kann freilich nicht der Schluss gezogen werden, dass nur diese durch die Zaunkönigregelung geschützt sein sollten. Richtig ist vielmehr, dass jeder Aktionär der Zielgesellschaft unabhängig von der Größe seiner Beteiligung, seinen (über die finanzielle Beteiligung hinausgehenden) Bindungen an die Zielgesellschaft, seiner Koordinationsfähigkeit und seines tatsächlichen Entscheidungsdrucks in den Genuss der weiteren Annahmefrist kommt4. Allerdings muss es sich bei dem Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft um einen Aktionär handeln. Damit sind insbesondere Inhaber von Wandel- und Optionsanlei1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 46; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 37. 2 Vgl. nur Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 35 Rz. 64. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 46. Ebenso im Ergebnis, allerdings sehr kritisch Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 38. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 39; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 47; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 46; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 18; Tröger, DZWiR 2002, 353, 360; Liebscher, ZIP 2001, 853, 865. Richtig ist allerdings, dass Koordinationsdefizite bei institutionellen Anlegern in weit geringerem Maße auftreten werden, Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 126 f.
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hen von der weiteren Annahmefrist ausgeschlossen, auch wenn sich das Übernahmeangebot auf diese Wertpapiere erstreckt1. 5. Vollständige oder teilweise Nichtannahme des Übernahmeangebots 39
In den Genuss der weiteren Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 Satz 1 kommen Aktionäre, solange sie noch Aktien der Zielgesellschaft besitzen, das Angebot also (möglicherweise schon zum Teil, aber jedenfalls) noch nicht vollständig angenommen haben2. Weder Wortlaut noch Regelungszweck des § 16 Abs. 2 Satz 1 erfordern es, nur bei einer vollständigen Nichtannahme des Angebots von einer weiteren Annahmefrist auszugehen. Eine abweichende Auslegung wäre kaum praktikabel. Denn bei den banküblichen Verfahren zur Abwicklung von Übernahmen ist nur sehr schwer festzustellen, ob ein Aktionär eine geteilte Annahmeerklärung, die sich nicht auf alle von ihm gehaltenen Aktien bezieht, abgegeben hat3. Im Übrigen dürfte die praktische Bedeutung dieser Frage ohnehin sehr gering sein, da in der Regel Aktionäre einheitlich über die Abgabe ihrer Aktien entscheiden. 6. Zeitpunkt des Aktienerwerbs
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Schließlich lässt sich § 16 Abs. 2 Satz 1 auch nicht entnehmen, dass nur solche Aktionäre in den Genuss der weiteren Annahmefrist kommen sollten, die die Aktien vor dem Übernahmeangebot oder in Unkenntnis desselben erworben haben. Deshalb können sich auch Aktionäre, die das Übernahmeangebot gekannt und sich damit bewusst in die oben angesprochene Entscheidungssituation begeben haben, trotz der an sich fehlenden Schutzbedürftigkeit auf § 16 Abs. 2 Satz 1 berufen. Auch hier wäre ein anderes Ergebnis mangels Kontrollmöglichkeit kaum praktikabel. Der Konflikt zwischen individueller Schutzbedürftigkeit und Gewährleistung eines funktionierenden, weitgehend anonymen Abwicklungsprozesses ist zu Gunsten des Letzteren aufzulösen4.
III. Beginn und Ende der weiteren Annahmefrist (§ 16 Abs. 2 Satz 1) 41
Die weitere Annahmefrist beginnt mit der Veröffentlichung des vorläufigen Ergebnisses des Übernahmeangebots (§ 16 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Sie endet zwingend zwei Wochen später und kann nicht, beispielsweise durch die Einberufung einer Hauptversammlung, verlängert werden5. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187 ff. BGB (vgl. oben Rz. 22)6. Nicht geregelt ist, was für den Fall gilt, dass Aktionäre das Angebot in dem Zeitraum zwischen dem Ablauf der Annahmefrist und dem Beginn der weiteren Annahmefrist annehmen. Dieser Zeitraum beträgt je nach Dauer der Auswertung einige Tage. Im Hinblick auf den Gesetzeszweck sind aber auch 1 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 46; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 18. Eine solche Erstreckung ist rechtlich nicht erforderlich, vgl. Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 267; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 771. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 29. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 48; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 46; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 18. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 40; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 48. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 41. 5 Siehe auch Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 15. 6 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 47.
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§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
Annahmeerklärungen in diesem Zeitraum als fristgemäß zu berücksichtigen1. Ein anderes Ergebnis wäre Förmelei und würde die Aktionäre zur erneuten Annahme zwingen.
IV. Nichtgeltung bei Fehlschlag des Übernahmeangebots (§ 16 Abs. 2 Satz 2) Eine weitere Annahmefrist ist nach § 16 Abs. 2 Satz 2 nicht vorgesehen, wenn der 42 Bieter die Wirksamkeit des Angebots vom Erwerb eines Mindestanteils der Aktien abhängig gemacht hat und dieser Mindestanteil nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass auch die Großaktionäre der Zielgesellschaft das Angebot erst während der weiteren Annahmefrist annehmen und damit der gesetzgeberische Zweck verfehlt wird, den Kleinaktionären eine Entscheidung einzuräumen, wenn bereits Klarheit über das Zustandekommen der Übernahme besteht (vgl. dazu aber oben Rz. 31)2. Für die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 Satz 2 kommt es nicht darauf an, ob der Bieter 43 nach Ablauf der Annahmefrist (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) bereits sachenrechtliches Eigentum an den betreffenden Wertpapieren erworben hat3. Entscheidend für das Erreichen des Mindestanteils ist insoweit der Zugang von Annahmeerklärungen in der Zahl, wie sie vom Bieter in der Angebotsunterlage festgelegt worden sind4. Eine durch das Abwicklungsverfahren oder eine ausstehende Kartellfreigabe bedingte Verzögerung des Eigentumserwerbs schadet nicht. Die Norm differenziert nicht danach, zu welchem Zeitpunkt der Bieter von dem Ergebnis des Angebots Kenntnis erlangt5. Ebenso wenig ist von Bedeutung, auf welche Weise der Bieter die von ihm festgesetzte Mindesterwerbsquote erreicht hat. Dies kann also im Rahmen des Angebotsverfahrens, aber auch außerhalb dessen durch börsliche oder außerbörsliche Aktienkäufe des Bieters verwirklicht worden sein. Eine Beschränkung auf die im Wege des Angebotsverfahrens erworbenen Aktien ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen und wäre auch mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar6. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung soll § 16 Abs. 2 Satz 2 entsprechende Anwendung finden, wenn die Annahme des Angebots durch bestimmte (Paket-)Aktionäre oder Aktionärsgruppen zur Bedingung für die Durchführung des Angebots gemacht wurde, diese Aktionäre das Angebot aber nicht fristgerecht angenommen haben7. Begründet wird dies mit der Gefahr, dass die betreffenden Aktionä1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 51; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 19. Im Ergebnis ebenso Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 48. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 52; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 11. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 28; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 45; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 53; im Ergebnis ebenso Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 55. A.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 20. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 28; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 53. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 55. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 55; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 20. Ebenso im Ergebnis Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 46. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 28; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 56.
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re bei einer anderen Auslegung die Bedingungen des Bieters umgehen und sich erst während der weiteren Annahmefrist für oder gegen die Annahme des Angebots entscheiden könnten1. Dies mag zwar im Einzelfall so sein, rechtfertigt aber keine Auslegung der Norm über den klaren Wortlaut hinaus. § 16 Abs. 2 Satz 2 verlangt, dass ein bestimmter Mindestanteil der Aktien nicht erreicht wurde, enthält aber keine weitere Ausnahme für die Nichtannahme des Angebots durch bestimmte Aktionäre. 45
§ 16 Abs. 2 Satz 2 gilt ferner dann nicht, wenn zwar die ursprünglich festgesetzte Mindestannahmequote nicht erreicht wird, der Bieter diese aber nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 verringert oder gänzlich auf Bedingungen verzichtet hat (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) (vgl. dazu unten § 21 Rz. 29 ff.)2. Wenn der Bieter allerdings innerhalb der letzten zwei Wochen der Annahmefrist die Mindestannahmequote verringert oder darauf verzichtet, so verlängert sich die Annahmefrist nach § 21 Abs. 5 um zwei Wochen3.
V. Formelle Voraussetzungen 46
Bei Übernahmeangeboten hat die Angebotsunterlage nach § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO stets einen Hinweis auf die weitere Annahmefrist zu enthalten. Eine Veröffentlichung des Beginns und des Endes der weiteren Annahmefrist ist dagegen nicht erforderlich4. Es ist allerdings zweckmäßig, in der Veröffentlichung des vorläufigen Ergebnisses gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auch auf den Beginn und das Ende der weiteren Annahmefrist hinzuweisen5. Dies wird in der Praxis zumeist auch entsprechend gehandhabt6. Zusätzlich wird in der ursprünglichen Angebotsunterlage häufig bereits auf eine mögliche weitere Annahmefrist und deren voraussichtlichen Beginn hingewiesen7. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist außerdem unverzüglich nach Ablauf der weiteren Annahmefrist das Endergebnis des Angebots zu veröffentlichen. Zur Frage der analogen Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auf die weitere Annahmefrist des § 16 Abs. 2 vgl. § 23 Rz. 20.
D. Verlängerte Annahmefrist im Fall der Einberufung einer Hauptversammlung (§ 16 Abs. 3) I. Verlängerte Annahmefrist (§ 16 Abs. 3 Satz 1) 47
Wird im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Hauptversammlung der Zielgesellschaft einberufen, verlängert sich 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 56; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 12. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 50. 3 Siehe auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 50. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 57; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 49. 5 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 49. 6 Vgl. etwa die Veröffentlichung der Alliance Healthcare Deutschland Holdings 1 GmbH zum öffentlichen Übernahmeangebot an die Aktionäre der Andrae-Noris Zahn AG gemäß § 23 Abs. 1 vom 12.1.2011 mit Hinweis auf den durch die Veröffentlichung ausgelösten Beginn und das Ende der weiteren Annahmefrist. 7 Vgl. etwa in der Angebotsunterlage der Alliance Healthcare Deutschland Holdings 1 GmbH betreffend das öffentliche Übernahmeangebot an die Aktionäre der Andrae-Noris Zahn AG vom 29.11.2010, Ziffer 4.3.
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gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 die Annahmefrist auf zehn Wochen ab der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Die durch die Norm angeordnete Fristverlängerung soll es dem Vorstand der Zielgesellschaft ermöglichen, noch innerhalb einer von dem Bieter möglicherweise zunächst bewusst knapp gestalteten Annahmefrist (etwa von vier Wochen) eine Hauptversammlung der Zielgesellschaft einzuberufen, auf der die Aktionäre ihre Meinungsbildung koordinieren können, und einen etwaigen Hauptversammlungsbeschluss noch vor Ablauf der Annahmefrist durchzuführen1. 1. Hauptversammlung im sachlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot Die Vorschrift wird insbesondere in den bislang seltenen Fällen bedeutsam, in denen 48 das Angebot zum Erwerb der Wertpapiere der Zielgesellschaft nicht mit dem Vorstand der Zielgesellschaft abgestimmt ist. § 16 Abs. 3 beruht auf der ursprünglichen Konzeption des Regierungsentwurfs, der Abwehrmaßnahmen gegen solche feindlichen Übernahmen nahezu ausschließlich von einer Zustimmung der Hauptversammlung abhängig machen wollte2. Obgleich im jetzigen § 33 Abs. 1 eine Ad-hocHauptversammlung gar nicht erwähnt wird und § 33 Abs. 2 lediglich Bestimmungen zu Vorratsbeschlüssen enthält, wird man davon ausgehen müssen, dass solche erst durch das konkrete Angebot ausgelöste Hauptversammlungsbeschlüsse nach wie vor (erst recht) zulässig sind (vgl. § 33 Rz. 188)3. Im Hinblick auf mögliche Abwehrmaßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 sowie Vorratsbeschlüsse nach § 33 Abs. 2 ist die Bedeutung von § 16 Abs. 3 aber erheblich gesunken4. Praktisch wird § 16 Abs. 3 (nur noch) eingreifen, wenn der Vorstand der Zielgesellschaft die Hauptversammlung adhoc um die Zustimmung zu Kapitalmaßnahmen außerhalb des genehmigten Kapitals oder zu sog. Holzmüller-Fällen sowie aufgrund Verlangens (§ 119 Abs. 2 AktG) ersucht, die nicht von der allgemeinen Ermächtigung des § 33 Abs. 1 erfasst sind (vgl. näher § 33 Rz. 188 ff.)5. Daran kann der Vorstand im Einzelfall wegen der haftungsausschließenden Wirkung des Hauptversammlungsbeschlusses (§ 93 Abs. 4 Satz 1 AktG) ein Interesse haben6. Wegen der insoweit erforderlichen Beschlussmehrheiten werden solche Maßnahmen allerdings eher die Ausnahme bleiben. Denn in vielen Fällen wird der Vorstand der Zielgesellschaft nicht mehr damit rechnen können, dass eine ausreichende Zahl von Aktionären einer entsprechende Maßnahme zustimmen wird7. Sind solche Maßnahmen gleichwohl geplant, sind sie im Hinblick auf die Vorbereitungszeit und die Einberufungsfristen nur durchführbar, wenn sich die Annahmefrist angemessen verlängert8. Insoweit ist § 16 Abs. 3 sinnvoll. § 16 Abs. 3 Satz 1 ist nur dann anwendbar, wenn die Hauptversammlung der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot des Bieters einberufen wird. Angebot 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 23; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 52; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 59; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 8. Für Verfassungswidrigkeit der Norm wegen Verstoßes gegen die Privatautonomie Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 38 ff. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 59. 3 Zutreffend Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 13, der von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers ausgeht. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 13; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 59. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 59; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 53; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 19. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 13. 7 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 132; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 59; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 59. 8 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46; Mülbert, IStR 1999, 83, 92.
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im Sinne der Norm ist dabei nicht nur ein Übernahmeangebot, sondern auch ein freiwilliges Angebot sowie ein Pflichtangebot. § 16 Abs. 3 gilt anders als § 33 auch bei solchen Angeboten, die nicht auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind1. Der Vorstand ist demnach aufgrund von § 16 Abs. 3 auch berechtigt, den Erfolg eines Angebots, das zwar nicht zum Erwerb der Kontrolle, aber etwa zu einem gewichtigen Einfluss führen würde, mit Hilfe eines Hauptversammlungsbeschlusses zu verhindern2. Dies gilt auch, wenn eine solche Hauptversammlung nicht auf Initiative des Vorstands, sondern auf Verlangen einer Aktionärsminderheit einberufen wird3. Eine Reduktion der Norm auf die Fälle, in denen der Bieter in der Zielgesellschaft einen gewichtigen Einfluss, also etwa eine Beteiligungsquote, die in der Hauptversammlung eine faktische Sperrminorität gewährt, erwerben will, ist allerdings mit dem klaren Wortlaut nicht vereinbar und scheitert auch an der schwierigen praktischen Grenzziehung4. 50
Die Qualität des geforderten Zusammenhangs zwischen dem Angebot und der Hauptversammlung ist durch § 16 Abs. 3 Satz 1 nicht näher vorgegeben. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hierbei in erster Linie an Hauptversammlungen dachte, deren Beschlussgegenstände sich auf eine Abwehr des Angebots richten, oder hierzu zumindest geeignet sind (vgl. auch § 33 Rz. 191)5. Wortlaut und Gesetzesbegründung lassen aber nicht hinreichend deutlich erkennen, dass § 16 Abs. 3 nicht anwendbar sein soll, wenn auf der Hauptversammlung nur Beschlussgegenstände abgehandelt werden, die zwar in sachlichem Zusammenhang mit dem Angebot stehen, aber keinen Abwehrcharakter haben6. Gleiches gilt für solche Beschlussgegenstände, die nur bei Gelegenheit einer Abwehrhauptversammlung in die Tagesordnung mit aufgenommen werden (wie etwa sonstige Satzungsänderungen). Sofern für die Hauptversammlung Beschlussgegenstände vorgesehen sind, reicht es daher für die Anwendbarkeit von § 16 Abs. 3 aus, wenn zumindest zwischen einzelnen Beschlussgegenständen der Hauptversammlung und dem Angebot ein inhaltlicher Zusammenhang besteht7. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, das § 16 Abs. 3 auch dann eingreift, wenn die Beschlüsse der Hauptversammlung der Umsetzung einer gemeinsamen Strategie von Bieter und Zielgesellschaft dienen, also etwa eine
1 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 32; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 60; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 62 f.; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 21. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 14; Oechsler, NZG 2001, 817, 824. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 46; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 53. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 54. 4 Auf Übernahmeangebote beschränkend Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 14; jetzt auch ablehnend Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 13. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 34; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 55; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 61; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 64. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 34; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 62; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 64 ff. A.A. Geibel in Geibel/ Süßmann, § 16 Rz. 55, der die objektive Eignung zur Abwehr für erforderlich hält. 7 Ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 62. Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 34, der im Zweifel den Willen des Vorstands der Zielgesellschaft bzw. der die Einberufung nach § 122 Abs. 1 AktG verlangenden Minderheit über das Bestehen des Zusammenhangs entscheiden lassen will. Vgl. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 15, der einen Zusammenhang annimmt, wenn die Erörterung des Angebots zum Gegenstand der Tagesordnung nach § 124 AktG gemacht wird. Vgl. auch Geibel in Geibel/ Süßmann, § 16 Rz. 57, der die Anwendbarkeit von § 16 Abs. 3 Satz 1 annimmt, sofern einzelne Beschlussgegenstände objektive Eignung zur Abwehr haben.
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Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
aus kartellrechtlichen oder sonstigen behördlichen Gründen notwendige Veräußerung von Vermögensgegenständen der Zielgesellschaft oder sonstige Strukturierungsmaßnahmen betreffen1. Außerdem steht auch eine sog. beschlusslose Hauptversammlung, also eine Hauptversammlung, die ausschließlich der Kommunikation der Aktionäre untereinander dient, im Zusammenhang mit dem Angebot i.S.v. § 16 Abs. 32. Dies ergibt sich bereits aus dem Zweck des § 16 Abs. 3, der die Koordinierung der Meinungsbildung der Aktionäre untereinander sicherstellt3. Auch ist nach Ziff. 3.7 Abs. 3 DCGK die Einberufung einer Hauptversammlung für die Beratung der Aktionäre über das Übernahmeangebot empfohlen, in deren Rahmen lediglich gegebenenfalls gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beschlossen werden können. Insofern setzt auch die Konzeption von Ziff. 3.7 Abs. 3 DCGK die Möglichkeit der Einberufung einer beschlusslosen Hauptversammlung zur Beratung der Aktionäre untereinander voraus4. § 16 Abs. 3 gilt nicht für eine ordentliche Hauptversammlung, die (nur) rein zufällig in dem Zeitraum liegt, in dem das Angebot noch offen ist, soweit sich diese nur mit den routinemäßigen Beschlussgegenständen beschäftigt5. Denn eine solche Hauptversammlung ist nicht im Zusammenhang mit dem Angebot des Bieters einberufen worden.
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Eine weitere inhaltliche Unterscheidung zwischen solchen Beschlussgegenständen, 52 die zur Abwehr eines konkreten Angebots geeignet sind, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, ist nicht erforderlich und wäre in der Praxis kaum durchsetzbar. Richtigerweise muss der Kapitalmarkt darauf vertrauen können, dass eine während der Annahmefrist erfolgte Einberufung einer Hauptversammlung der Zielgesellschaft zu der im Gesetz vorgesehenen Fristverlängerung auf zehn Wochen führt6. Dass es dann dazu kommen kann, dass den Aktionären der Zielgesellschaft für Beschlussgegenstände, die keinen eigentlichen Abwehrcharakter haben, wegen der Verkürzung der Einberufungsfrist für die Hauptversammlung nach § 16 Abs. 4 eine geringere Vorbereitungs- und Überlegungsfrist zur Verfügung steht, ist hinzunehmen. Insoweit gehen die kapitalmarktrechtlichen Regelungszwecke dem allgemeinen Aktienrecht vor7. 2. Zeitlicher Zusammenhang § 16 Abs. 3 ist nur anwendbar, wenn die Hauptversammlung der Zielgesellschaft nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage folgt. Eine Einberufung im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 62; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 65. 2 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 71; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 17; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 64. 3 Ähnlich Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 64. 4 So auch Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 71. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 15. Zur möglichen Ausnahme bei Beschlussfassung über eine außerordentliche Dividende Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 58. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 63. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 62 f.; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 65. A.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 23; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 76; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 16.
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nach § 10 Abs. 2 und der Veröffentlichung der Angebotsunterlage reicht insoweit nicht aus1. Der Vorstand der Zielgesellschaft soll sich erst mit dem genauen Inhalt des Angebots auseinandersetzen2. Darüber hinaus müssen die Einberufung der Hauptversammlung und die Hauptversammlung selbst noch innerhalb der Annahmefrist liegen. Ansonsten besteht für die Fristverlängerung kein Bedürfnis mehr3. 3. Rechtsfolgen 54
Die Einberufung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft führt nach § 16 Abs. 3 Satz 1 zu einer Verlängerung der von dem Bieter festgesetzten Annahmefrist auf zehn Wochen. Dies gilt unbeschadet der Vorschriften des § 21 Abs. 5 und § 22 Abs. 2. Die dort vorgesehenen Fristverlängerungen für den Fall einer Änderung des Angebots bzw. für den Fall eines konkurrierenden Angebots bleiben damit ohne weiteres möglich4. Die Fristverlängerung des § 16 Abs. 3 wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Vorstand der Zielgesellschaft die Hauptversammlung wieder absagt, etwa weil es zwischenzeitlich zu einer Einigung mit dem Bieter gekommen ist. Anderenfalls wäre die Dauer der Annahmefrist für die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft kaum noch vorhersehbar5. § 16 Abs. 3 gilt im Übrigen auch, wenn der Bieter die Annahmefrist von vorneherein auf die gesetzlich maximal zulässige Dauer von zehn Wochen festgelegt hat. Obgleich es hier gar nicht zu einer weiteren Fristverlängerung kommt, bleibt § 16 Abs. 3 vor allem wegen der in den Sätzen 2–4 geregelten Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten (dazu unten Rz. 56 ff.) sowie dem kapitalmarktrechtlichen Transparenzerfordernis von Bedeutung. Ferner werden so Unsicherheiten über die Dauer der Annahmefrist vermieden. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 16 Abs. 3 kommt insoweit nicht in Betracht6.
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Ein Rücktrittsrecht für die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, die das Angebot bereits angenommen haben, ist mit der Einberufung der Hauptversammlung nicht verbunden7.
1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 60; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 65; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 15; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 67; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 22. Im Ergebnis ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 36, der dies nicht als zeitlichen Zusammenhang, sondern als zeitliche Grenze bezeichnet. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 15; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 67. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 59; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 65; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 68. A.A. in Bezug auf das Stattfinden der Hauptversammlung Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 37, da die Hauptversammlung z.B. noch der Kartellfreigabe dienen kann. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 61; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 66. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 63; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 66; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 76; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 24. 6 Ebenso im Ergebnis Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 67; Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 18; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 77. 7 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 62.
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II. Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten (§ 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4) 1. Mitteilungspflichten des Vorstands (§ 16 Abs. 3 Satz 2) Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 hat der Vorstand der Zielgesellschaft die Einberufung der 56 Hauptversammlung der Zielgesellschaft (nicht schon die Absicht)1 unverzüglich dem Bieter und der BaFin mitzuteilen. Die Mitteilung erfolgt idealerweise durch Übersendung eines Belegexemplars oder einer Kopie der Veröffentlichung in den Gesellschaftsblättern2. Es sollte aber auch ausreichen, wenn der Vorstand schriftlich den Tag und den Ort der Hauptversammlung mitteilt3 sowie Angaben über die Fundstelle macht, in der die Tagesordnung veröffentlicht ist. Die Tagesordnung ist allerdings in der Regel erforderlich, damit der Bieter und die BaFin überprüfen können, ob die Hauptversammlung tatsächlich im Zusammenhang mit dem Angebot des Bieters steht4. Unterbleibt die Mitteilung nach § 16 Abs. 3 Satz 2, verlängert sich die Annahmefrist gleichwohl nach § 16 Abs. 3 Satz 1. Die Mitteilung hat insoweit nur deklaratorischen Charakter5. Allerdings kann die BaFin die Vornahme der Mitteilung im Wege des Verwaltungszwangs durchsetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 3, § 46 WpÜG i.V.m. VwVfG)6.
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2. Veröffentlichungspflicht des Bieters (§ 16 Abs. 3 Satz 3) Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3 hat der Bieter die Mitteilung des Vorstands der Zielgesellschaft nach § 16 Abs. 3 Satz 2 unter Angabe des Ablaufs der Annahmefrist unverzüglich im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Daneben ist eine ergänzende Bekanntgabe im Internet oder über sonstige Kommunikationsmittel nicht verboten und zumindest zweckmäßig, wenn auch gesetzlich nicht zwingend erforderlich7. Die Veröffentlichungspflicht dient der Information der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft über den neuen Ablauf der Annahmefrist8. Dennoch besteht sie nur, wenn 1 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 80; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 64. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 18, der zur Verhinderung von Insidergeschäften im Zeitraum zwischen Entschluss und Einberufung der Hauptversammlung bereits den Entschluss des Vorstands, eine Hauptversammlung durchzuführen, für mitteilungspflichtig hält. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 68. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 65. A.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 25 sowie Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43 jeweils mit Hinweis auf die Bekanntmachungspflichten des § 121 Abs. 3, Abs. 4 AktG. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 68; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 18. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 65; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43, der den Willen des Vorstands für maßgebend erachtet und einen Anruf beim Bieter für ausreichend hält. 5 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 79. 6 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 67; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 69. Zur Frage weiterer (theoretischer) Rechtsfolgen Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 43. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 44, hält die Veröffentlichung im Internet vor allem im Interesse der Kleinanleger für geboten. Ferner bejahen die Zweckmäßigkeit Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 72; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 26; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 70; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 85. Kritisch Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 28. 8 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 69. Einschränkend Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 27, der nur den Hinweis auf die verlängerte Annahmefrist für sinnvoll
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der Bieter aufgrund einer Mitteilung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Kenntnis von der Einberufung der Hauptversammlung erlangt, nicht hingegen in Fällen sonstiger Kenntniserlangung1. Außer im Fall offensichtlicher Unrichtigkeiten ist es dem Bieter nicht gestattet, die Mitteilung des Vorstands zu verändern, weil es sich insoweit um eine bloße Wiedergabe handelt2. 3. Mitteilungspflicht des Bieters (§ 16 Abs. 3 Satz 4) 59
Schließlich ist der Bieter nach § 16 Abs. 3 Satz 4 verpflichtet, der BaFin unverzüglich die Veröffentlichung nach § 16 Abs. 3 Satz 3 mitzuteilen. Die Mitteilung hat nach § 45 schriftlich oder im Wege der elektronischen Datenfernübertragung zu erfolgen3. Die in § 16 Abs. 3 Satz 4 a.F. geregelte Pflicht zur Übersendung eines Belegs der Veröffentlichung ist aufgrund der Änderungen durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz entfallen.
E. Frist- und Formerfordernisse für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung (§ 16 Abs. 4) I. Normzweck 60
§ 16 Abs. 4 ist eine gesellschaftsrechtliche Vorschrift, die sowohl bei Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren, bei Übernahmeangeboten als auch bei Pflichtangeboten zur Anwendung kommt. Sie ist in gleicher Weise für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland anwendbar. Modifiziert werden die Fristen und die Formalien zur zügigen Vorbereitung und Durchführung einer Hauptversammlung; denn die Zielgesellschaft und die freien Aktionäre sollen die Möglichkeit erhalten, insbesondere im Falle eines Kontrollwechsels, in einer SonderHauptversammlung die Folgen des Angebots abzuwägen und sich zu entscheiden4. Die zeitnahe Durchführung der Hauptversammlung nach einem Angebot stößt aber nicht nur auf tatsächliche, sondern vor allem auch bei Anwendung der Regelvorschriften auf rechtliche Grenzen; denn das Aktiengesetz enthält eine Vielzahl von zwingenden Einberufungs-, Anmelde-, Hinterlegungs- und Mitteilungsfristen. § 16 Abs. 4 modifiziert die zu beachtenden Fristen und Formalien, um eine SonderHauptversammlung in angemessener Frist zu ermöglichen.
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Das WpÜG lässt aber die Frage völlig offen, welche Beschlüsse die Aktionäre in der Hauptversammlung treffen können, sei es, um das Angebot des Bieters zu fördern oder es abzuwehren (siehe dazu Rz. 62).
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hält, im Übrigen aber von einer unnötigen Verdopplung der Information ausgeht, da die Aktionäre der Zielgesellschaft durch die aktienrechtlichen Vorschriften über die Abhaltung einer Hauptversammlung ohnehin schon informiert sind. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 69; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 70; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 87. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 70; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 87; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 70. Einschränkend Oechsler in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 16 Rz. 19 für Zulässigkeit von Ausnahmen nach § 242 BGB. Vgl. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 75; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 88. Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 276: „Versammlung der Adressaten“.
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Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
II. Sonder-Hauptversammlung im Sinne von § 16 Abs. 3 Die Verkürzung der Fristen und die Vereinfachung der Formvorschriften gilt nur für 62 eine Sonder-Hauptversammlung i.S.v. § 16 Abs. 3, also für eine Hauptversammlung „im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage“. § 16 Abs. 4 ist daher nicht anwendbar für eine Hauptversammlung nach Veröffentlichung der Kontrollerlangung nach § 35 Abs. 1 aber vor Abgabe des Angebots. Jedoch ist § 16 Abs. 4 anwendbar für sonstige Beschlussgegenstände, die mit der Abgabe des Angebots nicht im Zusammenhang stehen, solange zumindest zwischen einzelnen Beschlussgegenständen der Hauptversammlung und dem Angebot ein inhaltlicher Zusammenhang besteht1. Insoweit ist, ebenso wie bereits im Rahmen von § 16 Abs. 3 (siehe Rz. 52), das Vertrauen des Kapitalmarkts in eine Verkürzung der Fristen und eine Vereinfachung der Formvorschriften aufgrund der Einberufung einer Sonder-Hauptversammlung zu schützen. Auch eine sog. beschlusslose Hauptversammlung wird als Sonder-Hauptversammlung i.S.d. § 16 Abs. 3 von § 16 Abs. 4 erfasst (vgl. dazu auch Rz. 50)2.
III. Erleichterung der Einberufung (§ 16 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) § 123 Abs. 1 AktG verlangt für die Einberufung einer Hauptversammlung eine Ein- 63 berufungsfrist von mindestens 30 Tagen vor dem Tag der Versammlung. Diese Frist wird für die Sonder-Hauptversammlung durch § 16 Abs. 4 Satz 1 auf mindestens 14 Tage verkürzt. Dabei steht es nicht nur im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands, ob er die Hauptversammlung einberuft, sondern auch, ob er von dieser Möglichkeit der Fristverkürzung Gebrauch macht. In der Satzung kann eine längere Einberufungsfrist vorgesehen sein. Dies soll dazu 64 führen, dass dann § 16 Abs. 4 Satz 1 keine Anwendung findet, es sei denn, die Satzung wiederholt lediglich den Gesetzeswortlaut des § 123 Abs. 1 AktG3. Dem ist nicht zuzustimmen, weil durch § 16 die besondere Bedeutung dieser Hauptversammlung anerkannt wird und damit auch Satzungsregelungen eingeschränkt werden, immer vorausgesetzt, dass die Satzung nicht ausdrücklich auch für eine Hauptversammlung „nach § 16 Abs. 3 WpÜG“ eine Verlängerung der Einberufungsfristen vorsieht („negativer Bestimmtheitsgrundsatz“)4. Die Sätze 2 und 3 des § 16 Abs. 4 wurden mit dem ARUG eingeführt. Sie stellen klar, 65 dass bei der Berechnung der Einberufungsfrist der Tag der Einberufung und der Tag der Hauptversammlung nicht mitzuzählen sind. Die Frist beginnt zum Zeitpunkt des Erscheinungsdatums der Gesellschaftsblätter, in denen die Bekanntmachung erfolgt. Das Erscheinungsdatum des letzten Gesellschaftsblattes ist maßgebend. Die Fristberechnung erfolgt, indem rückwärts gezählt wird. Soll die Hauptversammlung
1 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 65; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 62 f. A.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 23; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 76; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 16. 2 Siehe Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 66; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 64. 3 So Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 78; generell gegen satzungsdurchbrechenden Charakter von § 16 Abs. 4 Satz 1 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 30 mit Fn. 41. 4 Wie hier: Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 73; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 91; abweichend Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 31; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 47: stets Fristverkürzung.
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Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
am 25. Mai, stattfinden, so ist die Frist vom 24. Mai rückwärts zu rechnen. Die Einberufung muss demnach 14 Tage vor dem 24. Mai, folglich bis zum 10. Mai 24:00 Uhr, erfolgen1. 66
Schreibt die Satzung die Anmeldung der Aktionäre gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG vor, verlängert sich gemäß § 123 Abs. 2 Satz 5 AktG die Mindestfrist von 30 Tagen für die Einberufung der Hauptversammlung um die Tage der Anmeldefrist. Eine entsprechende Regelung fehlt in § 16 Abs. 4. Von einer Regelungslücke kann dennoch nicht ausgegangen werden, da § 16 Abs. 4 im Übrigen explizite Verweise auf das Aktienrecht enthält. Eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 2 Satz 5 AktG2, wie sie noch vor Inkrafttreten des ARUG vertreten wurde, kommt demnach nicht in Betracht3. Insofern bleibt es bei einer Frist von 14 Tagen, auch wenn die Satzung ein Anmeldeerfordernis enthält4. Dies entspricht auch dem Zweck, eine Hauptversammlung in angemessener Frist zu ermöglichen.
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Die Bedeutung einer kurzfristig anberaumten Hauptversammlung rechtfertigt eine Einberufung auf einen Samstag und entgegen anderer Ansicht auch auf einen Sonntag5. Infolge der Änderungen des ARUG sind jetzt auch allgemein bei Publikumsgesellschaften Hauptversammlungen an Sonn- und Feiertagen zulässig6. Angesichts des hohen Termindrucks und des Umstands, dass gerade an Sonn- und Feiertagen die arbeitenden Aktionäre an der Hauptversammlung teilnehmen können, ist dies insbesondere bei einer Sonder-Hauptversammlung i.S.v. § 16 Abs. 3 sinnvoll.
IV. Versammlungsort (§ 16 Abs. 4 Satz 4) 68
Nach § 121 Abs. 5 AktG soll die Hauptversammlung am Sitz der Gesellschaft stattfinden, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt. Das Auffinden eines geeigneten Versammlungsortes kann aber in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen, und zwar selbst, wenn die Einberufungsfrist nicht verkürzt wird. Um insbesondere bei den Publikumsgesellschaften gleichwohl eine geeignete Stelle zu finden, wo die Hauptversammlung stattfinden kann, ist die Gesellschaft nach § 16 Abs. 4 Satz 4 bei der Wahl des Versammlungsortes frei. § 16 Abs. 4 Satz 4 befreit sowohl von den gesetzlichen als auch den satzungsmäßigen Vorgaben7. Die Grenze bildet die Zumutbarkeit für die Aktionäre. Daher soll sogar ein nichtüberdachter Ort, wenn die Witterung dies erlaubt, z.B. ein Sportstadion oder ein Festzelt, in Betracht kommen8.
1 Vgl. zur Rechnung Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 80. 2 Ebenso Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 99; Noack/Zetzsche in Schwark/ Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 32. 3 So noch aufgrund von § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F., der für die Fristberechnung auf den Anmeldestichtag statt auf den Tag der Versammlung abstellte; vgl. dazu Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 82; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 29. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 99; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 32. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 76. 5 Ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 75. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 85. 6 Hüffer, § 121 AktG Rz. 25: aus wichtigem Grund; kritisch Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 79. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47.
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§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
Auch ein Versammlungsort im Ausland ist aufgrund von § 16 Abs. 4 Satz 4 zulässig, 69 selbst wenn dies in der Satzung nicht vorgesehen ist1. Er muss aber nicht nur zumutbar, also etwa verkehrstechnisch erreichbar sein (z.B. Basel oder Straßburg). Voraussetzung ist auch, dass die notarielle Niederschrift nach § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG in zulässiger Weise gesichert ist. Für die Niederschrift gilt nicht die Ortsform, sondern die Geschäftsform2. Bei Auslandsbeurkundungen ist die Geschäftsform jedoch gewahrt, wenn die Niederschrift durch den ausländischen Notar gleichwertig ist. Die Belehrung durch den ausländischen Notar ist nicht erforderlich. Aufgrund der Unsicherheiten erlangen Versammlungsorte im Ausland in der Praxis bislang keine Bedeutung3.
V. Anmeldefrist, Mitteilungsfrist (§ 16 Abs. 4 Satz 5) Wird die in § 123 Abs. 1 Satz 1 AktG vorgegebene Einberufungsfrist von mindestens 70 30 Tagen durch die Einberufung einer Hauptversammlung innerhalb einer Einberufungsfrist von mindestens 14 Tagen nach § 16 Abs. 4 Satz 1 unterschritten, so ordnet § 16 Abs. 4 Satz 5 eine Verkürzung der Anmeldefrist nach § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG sowie der Mitteilungsfrist nach § 125 Abs. 1 Satz 1 AktG an. Die Frist zwischen Anmeldung und Versammlung beträgt dann mindestens vier statt sechs Tage. Mitteilungen über die Einberufung der Hauptversammlung an Kreditinstitute und Aktionärsvereinigungen haben unverzüglich statt mindestens 21 Tage vor der Versammlung zu erfolgen. Damit ist die Einberufung der Hauptversammlung den Kreditinstituten und den Aktionärsvereinigungen zeitgleich mit dem Bieter und der BaFin nach § 16 Abs. 3 Satz 2 mitzuteilen4. Bei der Berechnung der Fristen finden die §§ 121 Abs. 7, 123 Abs. 2 Satz 4 sowie § 125 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Anwendung.
VI. Erteilung von Stimmrechtsvollmachten (§ 16 Abs. 4 Satz 6) Nach § 16 Abs. 4 Satz 6 hat die Gesellschaft den Aktionären die Erteilung von 71 Stimmrechtsvollmachten, soweit nach Gesetz und Satzung zulässig, zu erleichtern. Voraussetzung ist, dass die Einberufungsfrist unter 30 Tagen liegt, also von der Verkürzung der Einberufungsfrist nach § 16 Abs. 4 Satz 1 Gebrauch gemacht wird5. Nach § 134 Abs. 3 Satz 3 AktG bedarf eine Stimmrechtsvollmacht der Textform i.S.d. § 126b BGB, sofern die Satzung nicht eine Erleichterung bestimmt. § 16 Abs. 4 Satz 6 begründet die Pflicht, satzungsmäßige Erleichterungen zuzulassen, etwa bei elektronischer Stimmrechtsvollmachtserteilung6, und entsprechende technische Vorkehrungen zu treffen, wobei Identifikations- und Dokumentationserfordernisse beachtet werden müssen, so dass mündliche Vollmachtserteilungen ausgeschlossen 1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 86 f. Für die Zulässigkeit in Ausnahmefällen Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 78; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 96; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 16 Rz. 35. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 87; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 75; Hüffer, § 121 AktG Rz. 16. Vgl. bei Rechtsprechung zur GmbH OLG Hamm v. 1.2.1974 – 15 Wx 6/74, NJW 1974, 1057; OLG Karlsruhe v. 10.4.1979 – 11 W 104/78, RIW 1979, 567, 568 und a.A. OLG Düsseldorf v. 25.1.1989 – 3 Wx 21/89, NJW 1989, 2200. 3 Vgl. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 33; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 79. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 100. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 93. 6 Allgemein zur elektronischen Stimmrechtsvollmacht: Habersack, ZHR 165 (2001), 172, 184.
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sind1. Insofern ist § 16 Abs. 4 Satz 6 nur von Bedeutung, wenn die Satzung der Gesellschaft eine Entscheidung über die Form der Vollmachtserteilung zulässt2. Von der Vollmachtserteilung zu unterscheiden ist der Nachweis der Stimmrechtsvollmacht, der gemäß § 134 Abs. 3 Satz 4 AktG auch immer mindestens durch eine elektronische Kommunikationsform erbracht werden kann3. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass § 16 Abs. 4 Satz 6 weiterhin die Gesellschaft entgegen Ziff. 2.3.3 DCGK verpflichtet, Stimmrechtsvertreter zu benennen, die von den Aktionären zur Stimmabgabe bevollmächtigt werden können4. Eine solche Verpflichtung zur Benennung eines Stimmrechtsvertreters entsteht nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 4 Satz 6 jedoch nur, wenn die Satzung der Zielgesellschaft eine entsprechende Ermächtigung enthält5.
VII. Mitteilungs- und Bekanntmachungspflichten (§ 16 Abs. 4 Sätze 7 und 8) 1. Normzweck 72
Wird die Einberufungsfrist von mindestens 30 Tagen, die § 123 Abs. 1 AktG vorsieht, nach § 16 Abs. 4 Satz 1 verkürzt, so modifizieren § 16 Abs. 4 Sätze 7 und 8 die Mitteilungs- und Bekanntmachungspflichten gegenüber den Aktionären, Aktionärsvereinigungen und Kreditinstituten. Die Modifizierung dient der Vereinfachung, da bei einer kürzeren Einberufungspflicht das übliche Verfahren oftmals zu zeitaufwendig ist6. 2. Mitteilungen für die Aktionäre (§ 16 Abs. 4 Satz 7)
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Mitteilungen an die Aktionäre nach § 125 AktG, ein Bericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG und fristgerecht eingereichte Anträge von Aktionären nach § 126 Abs. 1 AktG sind allen Aktionären zugänglich und in Kurzform bekannt zu machen. Zugänglich gemacht werden die ungekürzten Mitteilungen, wenn sie bei der Gesellschaft ausgelegt und auf der Homepage der Gesellschaft eingestellt werden7. In der Regel ist zwar eine Bekanntmachung in Kurzfassung nicht ausreichend8, auch ein Hinweis auf Gesellschaftsblätter oder die Homepage genügt dann nicht. § 16 Abs. 4 Satz 7 erlaubt demgegenüber ausnahmsweise eine Bekanntmachung in Kurzform. Die Kurzfassung kann sehr knapp gefasst sein, vorausgesetzt, sie enthält einen Hinweis auf die Fundstelle des Langtextes auf der Website9. Um den Regelungszweck der Infor1 Vgl. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 102 ff.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 85 f. 2 So Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 38; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 33. Kritisch bzgl. der Bedeutung Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 48; Rieckers in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 74. 3 Siehe hierzu Rieckers in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 77. 4 Dafür Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 48; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 104; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 96. 5 Ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 87. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 88. 7 So auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 90. Analog § 126 Abs. 1 Satz 3 AktG lediglich Einstellen auf Homepage für erforderlich haltend Noack/Zetzsche in Schwark/ Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 43; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 107. Ablehnend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 50. 8 Stellvertretend Hüffer, § 125 AktG Rz. 3. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47.
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§ 16
Annahmefristen; Einberufung der Hauptversammlung
mation der Aktionäre nach § 16 Abs. 4 sicherzustellen, ist allerdings erforderlich, dass der wesentliche Inhalt der Mitteilungen aus der Kurzfassung selbst ersichtlich wird1. Die Kurzfassung ist als freiwillige Bekanntmachung i.S.v. § 23 Abs. 4 AktG in der von der Satzung bestimmten Form zu veröffentlichen2. § 16 Abs. 4 Satz 7 modifiziert auch die aktienrechtlichen Regelungen zur Bekanntmachung von Minderheits- und Gegenanträgen. Minderheitsanträge i.S.v. § 122 Abs. 2 AktG müssen, entgegen § 124 Abs. 1 AktG, zusätzlich zu der Bekanntmachung in Kurzform auch zugänglich gemacht werden3. Gegenanträge i.S.v. § 126 AktG sind, entgegen § 126 Abs. 1 AktG, allen Aktionären durch Auslegung bei der Gesellschaft und Einstellung auf der Homepage zugänglich4 und in Kurzfassung bekannt zu machen5. Die entsprechenden aktienrechtlichen Fristen für die Einreichung der Anträge werden durch § 16 Abs. 4 Satz dahingehend abgeändert, dass die Anträge spätestens 7 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung einzureichen sind, um fristgerecht zu sein6. Über die Pflicht zur Zugänglichmachung und Bekanntmachung des Berichts nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG in Kurzform hinaus ist nach dem Wortlaut § 16 Abs. 4 Satz 7 nicht auf sonstige Berichte, beispielsweise im Zusammenhang mit Unternehmens- oder Verschmelzungsverträgen, anwendbar7. 3. Verzicht auf Zusendung von Mitteilungen (§ 16 Abs. 4 Satz 8) Wenn nach Einschätzung des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrats nicht 74 wahrscheinlich ist, dass die Unterlagen bei den Aktionären rechtzeitig eingehen, kann nach § 16 Abs. 4 Satz 8 auf die Zusendung verzichtet werden. Der Vorstand hat diesbezüglich einen Einschätzungsspielraum und muss beurteilen, ob der Zugang der Unterlagen bei einem nicht unerheblichen Teil der Aktionäre nicht wahrscheinlich ist8. In Übereinstimmung mit der Bestimmung der qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 1, 2 AktG ist für die Beurteilung des nicht unerheblichen Teils der Aktionäre auf eine Anzahl von Aktionären, die 5 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft halten, abzustellen9. Der Begriff der Zusendung umfasst postalische Versendung und Übermittlung in elektronischer Form10. Abgesehen werden kann im Zweifelsfall vor allem von der Übersendung schriftlicher Dokumente, insbesondere, 1 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 44; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 91. 2 So auch Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 108. Für zusätzliche Veröffentlichung im Bundesanzeiger Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 93. Für Veröffentlichung wie Zugänglichmachung Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 44. 3 Vgl. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 109. 4 Für die Form der Zugänglichmachung nach § 126 Abs. 1 Satz 3 AktG Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 94. 5 Einschränkend für sinnvolle und mehrwertbringende Kurzfassungen Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 110; ablehnend Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 94. 6 Ebenfalls für eine Reduzierung der Fristen Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 42; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 111. 7 Kritisch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 95; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 16 Rz. 113. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 106. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 96; Hüffer, § 125 AktG Rz. 1b. A.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 110; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 45, die auf 25 % der Anzahl der Aktionäre abstellen. 10 Siehe Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 116.
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Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten
wenn sie über Informationsmittler, z.B. Depotbanken, weitergeleitet werden müssen oder ins Ausland gehen sollen1. Ein Verzicht auf die Übermittlung von Unterlagen in elektronischer Form ist dagegen nur schwer vorstellbar2. Die Regelung in § 16 Abs. 4 Satz 8 erfasst nicht mehr ausdrücklich die Zusendung von Gegenanträgen sowie Mitteilungen durch Kreditinstitute, da diese den Aktionären nunmehr aufgrund aktienrechtlicher Regelungen von der Gesellschaft (§ 126 AktG) bzw. von dem Kreditinstitut (§ 135 Abs. 2 Satz 1 AktG) zugänglich gemacht werden müssen3.
VIII. Rechtsschutz 75
Nach § 66 sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz, also auch aus § 16 Abs. 4 ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Die Rechtsstreitigkeiten sind Handelssachen i.S.d. §§ 93 bis 114 GVG.
§ 17 Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten Eine öffentliche auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft gerichtete Aufforderung des Bieters zur Abgabe von Angeboten durch die Inhaber der Wertpapiere ist unzulässig.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
B. Inhalt der Norm und Rechtsfolgen .
6
A. Grundlagen 1
Nach § 17 ist es dem Bieter nicht gestattet, in einer für ihn rechtlich unverbindlichen Weise (d.h. im Sinne einer invitatio ad offerendum) die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft öffentlich aufzufordern, ihm ihre Wertpapiere zum Erwerb anzubieten.
I. Normzweck 2
Die Begründung des Regierungsentwurfs4 erklärt das Verbot des § 17 vor allem mit den in der Regel gravierenden Folgen, die ein Erwerbsangebot für die Zielgesellschaft, 1 2 3 4
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47. So auch Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 116. Ausführlich hierzu Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 117 f. BT-Drucks. 14/7034, S. 47; BR-Drucks. 574/01, S. 114.
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ihren Vorstand und Aufsichtsrat sowie die betroffenen Wertpapierinhaber habe. Sie verweist insbesondere auf die besonderen Anforderungen und Beschränkungen nach §§ 27 und 33, d.h. die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat zur Abgabe einer begründeten Stellungnahme und die Einschränkung der Handlungsfreiheit des Vorstands in Bezug auf Maßnahmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Insoweit liege § 17 der Gedanke eines angemessenen Interessenausgleichs zu Grunde: Die Zielgesellschaft dürfe – dem in § 3 Abs. 4 Satz 2 zum Ausdruck kommenden Gebot der Vermeidung einer Behinderung der Zielgesellschaft (§ 3 Rz. 54) entsprechend – nicht durch Angebote belastet und behindert werden, an die der Bieter nicht gebunden sei. Ergänzend wird ausgeführt, Angebote würden ohnehin mehrheitlich als rechtlich bindend ausgestaltet; dies habe die Erfahrung der letzten Jahre vor Inkrafttreten des WpÜG gezeigt1. Dass der deutsche Gesetzgeber – anders als etwa die EU-Übernahmerichtlinie, die 3 Regelungen in Österreich, Großbritannien oder der Schweiz (dazu Rz. 4) – die öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Angeboten ausdrücklich verbietet, erklärt sich möglicherweise dadurch, dass der zuvor geltende Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission2 die Veröffentlichung einer unverbindlichen Aufforderung, dem Bieter Wertpapiere der Zielgesellschaft anzudienen, in seinem Art. 7 Nr. 7 ausdrücklich zuließ. Allerdings waren Potestativbedingungen nach Art. 9 des Übernahmekodex ausgeschlossen. Die Regelung war insofern inkonsequent, als der Vorbehalt, ein Angebot nach freiem Ermessen annehmen oder ablehnen zu können, die allgemeinste und weitestgehende Form der Potestativbedingung ist. In den beiden Bestimmungen lag folglich ein Wertungswiderspruch. Zuletzt stand die Übernahmekommission rechtlich unverbindlichen Aufforderungen zur Angebotsangabe kritisch gegenüber. Überlegungen, die Regelung zu revidieren, sind durch das Inkrafttreten des WpÜG dann gegenstandslos geworden3.
II. Vergleichbare Regelungen und EU-Richtlinie Der britische City Code on Takeover and Mergers, das österreichische Übernahme- 4 gesetz (ÜbG), die schweizerische Übernahmeverordnung (UEV) vom 21.8.2008 und die Übernahmerichtlinie4 enthalten keine mit § 17 vergleichbare Bestimmung. Der Grund dafür wird darin gesehen, dass unverbindliche Aufforderungen zur Angebotsabgabe im Ausland kaum verbreitet seien. Daher bestehe insoweit kein Bedarf einer konkreten (gemeint wohl: einer ausdrücklichen) Regelung5. Der Sache nach – und dies ist der wichtigere Aspekt – sind „Angebote“ in der Form einer bloßen invitatio ad offerendum auch nach den genannten nationalen Regelungen und der EU-Richtlinie nicht zulässig6. Dies ergibt sich implizit aus Bestimmungen, wonach die Angebotsempfänger durch Annahme des Angebots den Erwerbsvertrag zustande bringen können, ferner daraus, dass Bedingungen sowie Rücktrittsvorbehalte nur unter engen 1 Vgl. auch Bericht der Übernahmekommission, Drei Jahre Übernahmekodex, 1999, S. 33; Ausnahmefälle aus der Zeit der Geltung des Übernahmekodex werden aufgeführt bei Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 9; Sperlich/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law – A Commentary, § 17 Rz. 2 Fn. 3. 2 Abgedruckt in AG 1998, 133. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 4. 4 Näheres zu diesen nationalen Regelungen und der EU-Richtlinie siehe oben § 11 Rz. 10–14. Die EU-Richtlinie führt in Erwägungsgrund 22 immerhin aus, dass die Mitgliedstaaten die Unwiderruflichkeit des Angebotes festschreiben sollten. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 5. 6 Dazu im Einzelnen Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 11–13.
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Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten
Voraussetzungen gestattet sind. Vor allem aus einem Verbot von Potestativbedingungen1 wird man im Allgemeinen, d.h. bei Fehlen einer gegenteiligen Regelung, auch ein Verbot der unverbindlichen invitatio ad offerendum ableiten können, da diese die allgemeinste und extremste Form der Potestativbedingung ist (siehe oben Rz. 2).
III. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote 5
§ 17 gilt für einfache Erwerbsangebote ebenso wie für Übernahme- und Pflichtangebote (§§ 34, 39).
B. Inhalt der Norm und Rechtsfolgen 6
§ 17 bringt, zusammen mit § 18, den Grundsatz zum Ausdruck, dass ein öffentliches Erwerbsangebot grundsätzlich ein rechtlich bindender Vertragsantrag i.S.v. § 145 Halbsatz 1 BGB sein muss, der durch Annahme seitens des Angebotsadressaten innerhalb der Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 oder der weiteren Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 Satz 1 zum Vertragsschluss führt (siehe oben § 11 Rz. 18 ff.). Daher ist auch ein freibleibendes Angebot i.S.v. § 145 Halbsatz 2 BGB unzulässig2. Bedingungen lässt das Gesetz nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 18 zu (zu den Einzelheiten siehe § 11 Rz. 81 ff. sowie die Kommentierung zu § 18).
7
Die Regelung ist, soweit sie sich nicht nur auf Übernahme- und Pflichtangebote, sondern auch auf einfache Erwerbsangebote bezieht, während des Gesetzgebungsverfahrens und Teilen des Schrifttums als nicht erforderlich und unverhältnismäßig kritisiert worden3. Begründet wurde dies vor allem damit, dass ein solches Angebot keine wesentliche Behinderung in der Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft verursache, weil § 33 nicht anwendbar sei. Andererseits findet im Gegensatz dazu § 27 mit der sich daraus ergebenden erheblichen Belastung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft auch bei einfachen Erwerbsangeboten Anwendung4. Für die Regelung des § 17 spricht auch, dass sie nicht ernst gemeinten und missbräuchlichen Angeboten entgegensteht, die z.B. nur den „Markt testen“ wollen. Dadurch würde sonst ohne Risiko oder wesentlichen Aufwand für den scheinbaren Bieter im Markt Unruhe und Preisvolatilität verursacht5 und möglicherweise der Zielgesellschaft geschadet.
1 So etwa in § 8 des österreichischen ÜbG, dazu Gall in Huber (Hrsg.), 2007, § 8 ÜbG Rz. 8; Rule 13 des britischen City Code on Takeovers and Mergers; zum im Ergebnis gleichen Verständnis im schweizerischen Übernahmerecht Gericke/Wiedmer, 2011, Art. 9 UEV Rz. 27; dies unterstellen auch Tschäni/Iffland/Diem, Öffentliche Kaufangebote, 2. Aufl. 2010, Rz. 460 im Zusammenhang mit dem Verbot von Potestativbedingungen. 2 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 16; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 17 Rz. 5; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 17 Rz. 1; Geibel in Geibel/Süßmann, § 17 Rz. 8; im Ergebnis ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 17 Rz. 11. 3 Riehmer in Haarmann/Riehmer/Schüppen, § 17 Rz. 15 ff. (= 1. Aufl. des FrankfKomm. WpÜG); DAV-Stellungnahmen vom April und September 2001; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 17 WpÜG Rz. 1; a.A. Sperlich/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law – A Commentary, § 17 Rz. 1; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 17 Rz. 7. 4 In diesem Sinne auch Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 17 Rz. 11. 5 Sperlich/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law – A Commentary, § 17 Rz. 1; Geibel in Geibel/Süßmann, § 17 Rz. 6.
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Unzulässigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Abgabe von Angeboten
Handelt es sich bei der öffentlichen Erwerbsankündigung um eine bloße invitatio ad offerendum, so muss diese von der BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 wegen offensichtlichen Verstoßes gegen eine Vorschrift des Gesetzes untersagt werden1.
8
Dagegen ist es im Hinblick auf § 17 nicht zu beanstanden, wenn der Bieter im Vorfeld seiner Ankündigung der Angebotsabsicht nach § 10 einzelne Aktionäre der Zielgesellschaft anspricht, um sich nach deren Bereitschaft zu erkundigen, ihre Aktien zu verkaufen oder ein etwaiges Erwerbs- oder Übernahmeangebot anzunehmen2. Denn in diesen Fällen fehlt es schon am Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Aufforderung. Vielmehr hilft ein (privater) Beteiligungsaufbau vor der Durchführung des eigentlichen Angebots (sog. Stake Building) oder auch die Klärung der Veräußerungsbereitschaft von Paketaktionären der Zielgesellschaft dem Bieter, die Erfolgsaussichten des möglichen Angebotes besser beurteilen zu können. Weiß der Bieter, dass die Inhaber größerer Aktienpakete nicht veräußerungsbereit sind, dann erspart ihm diese Erkenntnis die Durchführung eines letztlich scheiternden Angebots. Dies ist auch im Interesse der Zielgesellschaft sowie ihrer Aktionäre und Mitarbeiter, die vor der Störung durch ein nicht erfolgversprechendes Angebot verschont bleibt3.
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Schwieriger abzugrenzen sind allgemeine öffentliche Interessensbekundungen. Diese 10 dürften jedenfalls dann nicht zu beanstanden sein, wenn klar ist, dass der Interessent (noch) keine konkreten Erwerbsabsichten hat oder gar angediente Aktien erwerben will. Im Zweifel wird man hier aber einen Verstoß gegen § 17 annehmen müssen4. Ebenfalls abzulehnen ist die Zulässigkeit der sog. holländischen Versteigerung (sog. 11 Dutch auction)5. Hier fordert der Bieter die Aktionäre der Zielgesellschaft auf, ihm Aktien innerhalb einer bestimmten Preisspanne anzubieten. Diese Angebote werden dann beginnend mit dem für den Bieter günstigsten (d.h. niedrigsten) Gebot angenommen, bis ein vom Bieter angegebenes Kontingent erschöpft ist, Diese Ausgestaltung verstößt gleich gegen eine ganze Reihe von Bestimmungen des WpÜG. So liegt zum einen ein Verstoß gegen das Verbot der invitatio ad offerendum nach § 17 vor, da ein Vertrag erst mit der Annahme durch den Bieter mit allen erforderlichen Bestandteilen (essentialia negotii) zustande kommt, zu denen insbesondere der Preis gehört6. Auch ist fraglich, ob die Erfordernisse an die Bestimmtheit der Angabe der Gegenleistung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 eingehalten sind, da diese aus der ursprünglichen Erklärung des Bieters weder bestimmt noch bestimmbar ist (vgl. § 11 Rz. 79)7. Schließlich läge in der Annahme von angedienten Aktien zu unterschiedlichen Preisen im Rahmen des Angebots ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 45; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 17 Rz. 7; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 27; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, § 17 Rz. 12. 2 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 17 Rz. 7; Geibel in Geibel/Süßmann, § 17 Rz. 7. 3 Dazu sowie zu weiteren Fragestellungen im Rahmen des Stakebuilding: von Riegen, ZHR 167 (2003), 702; Meyer/Kiesewetter, WM 2009, 340; Cascante/Topf, AG 2009, 53; zu der seither eingetretenen Verschärfung der Stimmrechtsmeldepflichten Krause, AG 2011, 469; Merkner/Sustmann, NZG 2010, 681; Cascante/Bingel, NZG 2011, 1086. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 6. 5 Ausführlich Leuering, AG 2007, 433, 438 ff., wenngleich für den Sonderfall des Aktienrückkaufs; dieser unterliegt jedoch seit Umsetzung der Übernahmerichtlinie auch nach Auffassung der BaFin nicht (mehr) dem WpÜG, vgl. Verlautbarung der BaFin „Rückerwerb eigener Aktien nach dem WpÜG“ vom 9.8.2006, Jahresbericht der BaFin für 2006, S. 182. 6 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 25; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 17 Rz. 4; Leuering, AG 2007, 433, 438 (insbes. 440); zu den Mindestbestandteilen eines Vertrages (essentialia negotii) Ellenberger in Palandt, 71. Aufl. 2012, vor § 145 BGB Rz. 3. 7 Geibel in Geibel/Süßmann, § 17 Rz. 10.
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§ 3 Abs. 1; dieser Grundgedanke zeigt sich bei Übernahme- und Pflichtangeboten auch anhand der dann geltenden Nachbesserungsregelung für Parallelerwerbe während der Annahmefrist gemäß § 31 Abs. 4 (dazu § 31 Rz. 99)1. Sollte das Verfahren bei einfachen Erwerbsangeboten zum Zuge kommen, würde außerdem das Gebot der verhältnismäßigen Zuteilung bei einer das Angebotsvolumen überschießenden Annahmequote nach § 19 entgegenstehen2. 12
Entsprechendes gilt für ein Angebot im Wege eines umgekehrten Bookbuilding-Verfahrens. Denn hier werden die Aktionäre der Zielgesellschaft aufgefordert, ihrerseits ein Angebot abzugeben mit der Angabe eines (Mindest-)Preises, zu dem sie bereit sind, ihre Aktien zu veräußern. Dies verstößt zunächst gegen die Vorschriften zur Angabe der Gegenleistung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, weil die Gegenleistung weder bestimmt noch bestimmbar ist (vgl. § 11 Rz. 79). Zudem läge in dem „Angebot“ im Rahmen eines umgekehrten Bookbuildings eben kein bindender Antrag i.S.d. § 145 BGB, sondern – ähnlich wie schon eben bei der holländischen Versteigerung – nur eine nach § 17 verbotene invitatio ad offerendum3.
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs (1) Ein Angebot darf vorbehaltlich § 25 nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden, deren Eintritt der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen oder im Zusammenhang mit dem Angebot für diese Personen oder Unternehmen tätige Berater ausschließlich selbst herbeiführen können. (2) Ein Angebot, das unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder des Rücktritts abgegeben wird, ist unzulässig.
Inhaltsübersicht A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
III. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
4
IV. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
B. Verbot bieterkontrollierter Bedingungen (§ 18 Abs. 1). . . . . . . . .
13
I. Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
II. Kontrolle durch den Bieter . . . . . . . .
14
1. Kontrolle über die Bedingung . . . . . 2. Relevanter Personenkreis. . . . . . . . . a) Bieter, gemeinsam handelnde Personen, Tochterunternehmen . b) Organe des Bieters . . . . . . . . . . . . c) Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschließliche Herbeiführung des Bedingungseintritts . . . . . . . . . . a) Mitwirkung Dritter . . . . . . . . . . . b) Zusammenwirken mehrerer in § 18 Abs. 1 genannter Personen . 4. Ausschließliche Verhinderung des Bedingungseintritts . . . . . . . . . . . . . .
14 15 16 17 20 24 25 27 28
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 7; zu § 31 Abs. 4: RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 56; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 61. 2 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 17 Rz. 5. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 17 Rz. 8; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 26; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 17 Rz. 2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 17 Rz. 6.
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Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs III. Sonstige Anforderungen . . . . . . . . . .
31
IV. Einzelne Bedingungen. . . . . . . . . . . .
34
1. Akzeptanzschwelle . . . . . . . . . . . . . . 2. Kartellvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kartellrechtliche Rahmenbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit des Kartellvorbehalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgestaltung des Kartellvorbehalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige behördliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschafterbeschlüsse des Bieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anfechtungsrisiko. . . . . . . . . . . . . b) Rechtlich nicht erforderlicher Gesellschafterbeschluss . . . . . . . . c) Einschaltung eines Angebotsvehikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesellschafterbeschlüsse der Muttergesellschaft des Bieters. . . 5. Verfügbarkeit der Gegenleistung . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kaufangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tauschangebote . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generierung der Wertpapiere bb) Börsenzulassung . . . . . . . . . . . cc) Veränderungen des Börsenkurses . . . . . . . . . . . . . . 6. Positive Stellungnahme der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Unterbleiben von Abwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . c) Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . 8. Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien . . . . . . .
34 39 40 43 47 51 58 59
§ 18
9. Wesentliche Verschlechterungen (material adverse change) . . . . . . . . 10. Insolvenz der Zielgesellschaft . . . . . 11. Compliance-Verletzung der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Erkenntnisse aus einer durchzuführenden Due Diligence . . . . . . . 13. Change of control-Fälle . . . . . . . . . . 14. Wirksamwerden anderer Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Hauptversammlungsbeschlüsse der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 16. Konkurrierende Angebote . . . . . . . .
88 94 97a 98 101 104 105 106
V. Zeitpunkt des Bedingungseintritts oder -ausfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
60
VI. Veröffentlichung des Bedingungseintritts oder -ausfalls . . . . . . . . . . . . 112
61
VII. Änderung von Bedingungen . . . . . . . 113
66 67 67 68 70 71 73
VIII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
75
III Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
77 81 81 83 85
C. Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalt (§ 18 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . 117 D. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 122 I. Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . . 122 II. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 123 IV. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 V. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 E. Übersicht der Bedingungen in Erwerbsangeboten und freiwilligen Übernahmeangeboten seit 2002 . . . 127
86
Schrifttum: Badura, MAC-Klauseln in Angeboten nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2010; Berger/Filgut, Material-Adverse-Change-Klauseln in Wertpapiererwerbsund Übernahmeangeboten, WM 2005, 253; Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 3. Aufl. 2008; von Bülow, 10 Jahre WpÜG – eine kritische Bestandsaufnahme, in Mülbert/ Kiem/Wittig, 10 Jahre Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), 2011, S. 9; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006; Bungert, Festschreibung der ungeschriebenen „Holzmüller“Hauptversammlungszuständigkeiten bei der Aktiengesellschaft, BB 2004, 1345; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Busch, Die Frist für den Bedingungsverzicht gemäß § 21 Abs. 1 WpÜG – Wie lange ist ein Werktag?, ZIP 2003, 102; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Finanz Betrieb 2002, 277; Cascante/Tyrolt, 10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht?, AG 2012, 97; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMF, NZG 2001, 420; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003; Decher, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Merger of Equals, in FS Lutter, 2000, S. 1209; Drygala, Die neue deutsche Übernahmeskepsis und ihre Auswirkungen auf die Vorstandspflichten des § 33
Krause/Favoccia
479
§ 18
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
WpÜG, ZIP 2001, 1861; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Teil I), DStR 2002, 724; Fleischer, Schnittmengen des WpÜG mit benachbarten Rechtsgebieten – eine Problemskizze, NZG 2002, 545; Fuhrmann, „Gelatine“ und die Holzmüller-Doktrin – Ende einer juristischen Irrfahrt?, AG 2004, 339; Gei/Kiesewetter, Praxisrelevante Aspekte öffentlicher Übernahmen in Zeiten volatiler Märkte, AG 2012, 741; Götze, „Gelatine“ statt „Holzmüller“: Zur Reichweite ungeschriebener Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung, NZG 2004, 585; Groß, Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Erwerb und Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, AG 1994, 266; Hamann, Die Angebotsunterlage nach dem WpÜG – ein praxisorientierter Überblick, ZIP 2001, 2249; Hasselbach/Wirtz, Die Verwendung von MAC-Klauseln in Angeboten nach dem WpÜG, BB 2005, 842; Henssler, Material Adverse Change-Klauseln in deutschen Unternehmenskaufverträgen – (r)eine Modeerscheinung?, in FS Huber, 2006, S. 739; Hirschmann, Anteilseignerkontrolle im Versicherungs- und Kreditwirtschaftsrecht, 2000; Holzborn/Israel, Einflüsse wettbewerbsrechtlicher Regelungen auf das Übernahmerecht, BKR 2002, 982; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hopt, MACKlauseln im Finanz- und Übernahmerecht, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 681; Hornuf/Zanconato, MAC-Klauseln in deutschen Übernahmeangeboten: Eine rechtstatsächliche Untersuchung, ZBB/JBB 2011, 412; Jander/McDermott, Neue Methoden bei Unternehmenskäufen in den USA, RIW 1990, 957; Käpplinger, Die Bindung des Bieters an das Angebotsverfahren. 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Aufl. 2005; Riehmer/Schröder, Praktische Aspekte bei der Planung, Durchführung und Abwicklung eines Übernahmeangebots, BB-Beil. 5/2001; Roschmann/Frey, Geheimhaltungsverpflichtungen der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften bei Unternehmenskäufen, AG 1996, 449; Santelmann, Notwendige Mindesterwerbsschwellen bei Übernahmeangeboten – Wann ist ein Übernahmeangebot ein Übernahmeangebot?, AG 2002, 497; Schlößer, Material Adverse Change-Klauseln in US-amerikanischen Unternehmenskaufverträgen, RIW 2006, 889; Schmid, Öffentliche Übernahmeangebote in Italien, AG 1999, 402; Seibt, Übernahmerecht: Update 2010/2011, CFL 2011, 213; Seibt/Wollenschläger, Unternehmenstransaktionen mit Auslandsbezug nach der Reform des Außenwirtschaftsrechts, ZIP 2009, 833; Stöcker, Widerruf oder Rücktritt von Angebotsankündigungen, NZG 2003, 993; Stoffels, Grenzen der Informationsweitergabe durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft im Rahmen einer „Due Diligence“, ZHR 165 (2001), 362; Strunk/Behnke, Die Aufsichtstätigkeit der BaFin nach dem WpÜG im Jahr 2003, in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, 2004, S. 81; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Übernahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3; Thoma, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Überblick, NZG 2002, 105; Timm, Anmerkung zu
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§ 18
OLG Köln v. 24.11.1992 – 22 U 72/92, ZIP 1993, 114; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht (I) – Die Regelungen des WpÜG für öffentliche Angebote, DZWiR 2002, 353; J. Vetter, Öffentliche Umtauschangebote und ordentliche Kapitalerhöhung, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371; Wollburg/Gehling, Umgestaltung des Konzerns – Wer entscheidet über die Veräußerung von Beteiligungen einer Aktiengesellschaft?, in FS Lieberknecht, 1997, S. 133; Ziemons, Die Weitergabe von Unternehmensinterna an Dritte durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft, AG 1999, 492; Zinser, Der britische City Code on Takeovers and Mergers in der Fassung vom 9.3.2001, RIW 2001, 481.
A. Allgemeines I. Regelungsgegenstand § 18 beschränkt die Privatautonomie des Bieters in Bezug auf den Inhalt des Angebots. Gemäß § 18 Abs. 1 darf das Angebot keine Bedingungen enthalten, deren Eintritt der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen bzw. für diese tätige Berater ausschließlich selbst herbeiführen können. Gemäß § 18 Abs. 2 sind Angebote unter Widerrufs- oder Rücktrittsvorbehalt unzulässig.
1
II. Zweck § 18 soll die grundsätzliche Bindung des Bieters an sein Angebot gewährleisten; der 2 Bieter soll sich vom Angebot nicht durch eigene Willensentscheidung lösen können1. § 18 flankiert damit die Vorschriften des § 17 (Verbot der invitatio ad offerendum) und des § 21 (nur „Lockerung“ von Anforderungen im Rahmen von Änderungen des Angebots). Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Bieter durch eigene Willensentscheidung nicht von dem Angebot abrücken kann, es ihm jedoch unbenommen bleibt, sich einem noch nicht bindend gewordenen Angebot durch eigene Willensentscheidung (durch Verzicht auf eine Bedingung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) zu unterwerfen. § 18 gewährleistet die ordnungsgemäße Abwicklung von Angeboten und schützt da- 3 mit die Integrität des Kapitalmarkts (Funktionenschutz) sowie im Sinne eines Rechtsreflexes auch die Interessen der Zielgesellschaft und der Adressaten des Angebots. Der Schutz der Integrität des Kapitalmarkts wird verwirklicht, indem die Vorschrift Marktverzerrungen verhindert, die dadurch entstehen können, dass interessierte Parteien zunächst ein Angebot veröffentlichen, später jedoch wieder davon abrücken, weil sie von vorneherein nicht die Absicht hatten, Wertpapiere der Zielgesellschaft zu erwerben. Für die Zielgesellschaft ist das Angebot regelmäßig eine Beeinträchtigung, weil der Vorstand seine Aufmerksamkeit nicht vollständig dem Tagesgeschäft widmen kann und Vorstand und Aufsichtsrat gemäß §§ 27, 33 besonderen Pflichten unterliegen. Diese Beeinträchtigung erscheint nur zumutbar, wenn sich der Bieter nicht willkürlich von dem Angebot lösen kann. Soweit die Interessen der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft berührt sind, sollen sie sich bei ihren Dispositionen darauf verlassen können, dass das Angebot – jedenfalls nach Eintritt der vom Bieter formulierten Bedingungen – durchgeführt wird.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47.
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III. Anwendungsbereich 4
§ 18 Abs. 1 findet Anwendung bei allen freiwilligen Angeboten. Die Geltung bei Erwerbsangeboten ergibt sich aus dem Wortlaut und der Stellung der Vorschrift im Dritten Abschnitt. Die Geltung bei Übernahmeangeboten folgt aus § 34. Soweit gefordert wird, § 18 Abs. 1 bei einfachen Erwerbsangeboten nicht anzuwenden, weil einfache Erwerbsangebote generell bedingungsfreundlich seien1, ist dies de lege lata eindeutig anders geregelt.
5
Pflichtangebote sind ihrer Natur nach bedingungsfeindlich. Wäre dies anders, könnte sich der Bieter der Pflicht zum Erwerb der ihm von den Minderheitsaktionären angedienten Aktien allzu leicht entziehen. Dies ist in § 39 zum Ausdruck gekommen und wird von der ganz herrschenden Meinung ebenso gesehen und ist vom Gesetzgeber gewollt, auch wenn die Formulierung missverstanden werden kann (siehe § 39 Rz. 17). Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen der Bieter in einen unauflösbaren Konflikt mit anderen zwingenden gesetzlichen Vorschriften geraten kann. In derartigen Ausnahmefällen muss es zulässig sein, das Pflichtangebot unter einer Bedingung abzugeben.
6
Zu diesen Ausnahmefällen zählen zunächst die öffentlich-rechtlichen Genehmigungs-, Zustimmungs- und Untersagungsvorbehalte wie etwa die einschlägigen fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbote (hierzu eingehend § 39 Rz. 18 ff.)2. Ein weiterer Ausnahmefall ist gegeben, wenn die Gegenleistung des Pflichtangebots in börsenzugelassenen liquiden Aktien besteht. Die als Gegenleistung zu gewährenden neuen Aktien müssen zu Beginn der Annahmefrist noch nicht entstanden und zum Börsenhandel zugelassen sein, müssen aber bis zur Abwicklung des Angebots zur Entstehung gebracht und zum Börsenhandel zugelassen werden (siehe § 31 Rz. 50, 54). Der Bieter, der die Verletzung des § 31 Abs. 2 vermeiden will, muss die Entstehung der neuen Aktien und ihre Börsenzulassung zur Bedingung erheben (siehe unten Rz. 71 f., 73 f.). Wenn in der Angebotsunterlage vorgesehen wird, dass diese Bedingungen bis zu einem überschaubaren Zeitraum3 nach dem Ablauf der Annahmefrist eingetreten sein müssen und der Bieter beim Ausfall einer oder beider dieser Bedingungen eine Geldleistung schuldet, wird der Zweck des Pflichtangebots nicht unterlaufen4.
7
Ob das auf vinkulierte Namensaktien gerichtete Pflichtangebot einen Ausnahmefall darstellt5, ist zweifelhaft. Zutreffend ist, dass der Bieter die Zustimmung der Zielgesellschaft zu der Übertragung der Aktien benötigt, da anderenfalls auch ohne sie das Verpflichtungsgeschäft wirksam wäre (siehe unten Rz. 86). Diese Zustimmung kann der Bieter jedoch regelmäßig vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage einholen, denn die Zielgesellschaft ist zur Erteilung dieser Zustimmung verpflichtet, wenn sie dem Vorerwerb des Bieters zugestimmt hat (§ 53a AktG).
1 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 74; vgl. auch DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424, sowie zum RegE, NZG 2001, 1003, 1004 f. 2 Ständige Praxis der BaFin, vgl. dazu BaFin Jahresbericht 2004, S. 205; Pflichtangebot Volkswagen AG/MAN SE vom 31.5.2011, Ziff. 12, S. 45 ff.; Pflichtangebot Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG/Volkswagen AG vom 30.4.2007, Ziff. 13, S. 40; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 5. 3 Beim Pflichtangebot sollte wie beim Übernahmeangebot ein Zeitraum von bis zu 6 Monaten zulässig sein. 4 A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 4. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 61.
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Das Verbot von Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalten gemäß § 18 Abs. 2 findet Anwendung bei allen Angeboten, d.h. gemäß § 39 auch bei Pflichtangeboten.
8
§ 18 regelt seinem Wortlaut nach nur die Zulässigkeit von Bedingungen für das An- 8a gebot selbst, also für die Wirksamkeit des Angebots oder dessen Vollzug. Nicht geregelt ist hingegen die Frage, ob die bei freiwilligen Angeboten dem Angebot vorgelagerte Veröffentlichung der Entscheidung zur Angebotsabgabe i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 unter Bedingungen gestellt werden kann. Dafür kann durchaus ein Bedürfnis bestehen1. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist es daher zulässig, die Entscheidung zur Angebotsabgabe i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 unter Bedingungen zu stellen2. Hiergegen spricht, dass die Veröffentlichung der Entscheidung keine Willenserklärung und daher bedingungsfeindlich ist und es jedenfalls de lege lata an einer abweichenden übernahmerechtlichen Regelung, die eine solche Bedingung explizit für zulässig erklärt, fehlt3. Die Verwaltungspraxis sieht solche Bedingungen daher zu Recht als unzulässig an4. Umstritten ist, ob § 18 auch auf Angebote zum Erwerb einer inländischen Zielgesell- 8b schaft mit ausschließlicher Handelszulassung der Aktien an einem organisierten Markt im EU-Ausland (vgl. § 1 Abs. 2) anzuwenden ist. § 1 Nr. 9 WpÜG-AnwendbarkeitsVO erklärt insoweit § 34 für anwendbar, der wiederum auf die Vorschriften des Abschnitts 3 und damit auch auf § 18 verweist. § 1 Nr. 9 WpÜG-AnwendbarkeitsVO ist jedoch insoweit einschränkend auszulegen, als er ausschließlich Vorschriften erfasst, die gesellschaftsrechtliche Fragen regeln5. Daher findet § 18 keine Anwendung auf Angebote i.S.d. § 1 Abs. 26.
IV. Entstehung Das Verbot bieterkontrollierter Bedingungen folgt Vorbildern im britischen City Code (Rule 13), im österreichischen Recht (§ 8 ÜbG) und im Übernahmekodex (Art. 9). Die Übernahmerichtlinie enthält nur eine Rahmenvorschrift, die den Mit-
1 Damit ließe sich z.B. die Gegenleistung frühzeitig fixieren, bevor der Aktienkurs spekulativ beeinflusst wird; ferner müsste dann das Angebot nicht mehr durchgeführt werden bzw. eine Untersagungsverfügung riskiert werden, wenn vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage feststeht, dass das Angebot nicht mehr wirksam werden kann. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 30 f.; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 115 f.; Hager, Die wertpapierangebotsrechtliche Vorankündigung, 2004, S. 155 f.; daneben gibt es Stimmen, die dem Bieter ein Recht zum Rücktritt oder Widerruf der Ankündigung einräumen, vgl. etwa Stöcker, NZG 2003, 993 (§ 18 Abs. 2 analog); Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 154 (§ 313 BGB). Auch wurde vorgeschlagen, unter Inkaufnahme einer Ordnungswidrigkeit keine oder nur eine unvollständige Angebotsunterlage bei der BaFin einzureichen, Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 56. 3 Im Ergebnis ebenso Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 19; Santelmann/Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 10 Rz. 47; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 58; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 207; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 102 ff., mit Vorschlägen für eine Neuregelung, die dem Bieter die Möglichkeit der „Rücknahme“ des Angebots gestattet. 4 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 29. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 53; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 7; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 7 (Nichtigkeit der überschießenden Reichweite von § 1 Nr. 9 WpÜG-AnwendbarkeitsVO). 6 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 7; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 7; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 16.
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gliedstaaten aufgibt, die Fragen der Unwiderruflichkeit und zulässiger Bedingungen zu regeln (Art. 13 lit. e)). 10
Im Diskussionsentwurf, der nur Übernahme- und Pflichtangebote regelte, war die Unzulässigkeit bieterkontrollierter Bedingungen (§ 21 Abs. 1 DiskE)1 sowie von Rücktrittsvorbehalten (§ 21 Abs. 2 DiskE) vorgesehen. Mit dem Referentenentwurf wurde der Anwendungsbereich der Regelung auf einfache Erwerbsangebote erweitert; außerdem wurden Widerrufsvorbehalte für unzulässig erklärt. Danach erfuhr die Vorschrift keine Änderungen.
V. Kritik 11
Die Geltung des § 18 Abs. 1 bei einfachen Erwerbsangeboten ist als unverhältnismäßige Einschränkung der Privatautonomie des Bieters kritisiert worden. Bei Übernahmeangeboten sei dies gerechtfertigt, weil die Zielgesellschaft wegen der Pflichtenbindung des Vorstands gemäß § 33 in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt werde; vor Beeinträchtigungen durch rechtlich nicht verbindliche Angebote, die zur Schädigung der in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkten Zielgesellschaft eingesetzt werden, müsse sie geschützt werden. Bei Erwerbsangeboten fehle es an dieser Beeinträchtigung, weil § 33 nur bei Übernahmeangeboten gelte2. Dieser Unterschied ist zweifellos bedeutsam. Weil jedoch auch einfache Erwerbsangebote die Aufmerksamkeit des Vorstands binden, ihn gemäß § 27 zur Stellungnahme verpflichten und insoweit vom Tagesgeschäft fernhalten, und weil subjektive Bedingungen eine unerwünschte Unsicherheit am Kapitalmarkt zur Folge haben können, ist die Anwendung des § 18 Abs. 1 auch bei einfachen Erwerbsangeboten sachgerecht3.
12
Auch die Unzulässigkeit von Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalten ist auf Kritik gestoßen. Sie entzündet sich daran, dass es dem Bieter wegen des Verbots bieterkontrollierter Bedingungen nicht möglich sei, auf Abwehrmaßnahmen der Zielgesellschaft oder auf konkurrierende Angebote angemessen zu reagieren. Insoweit habe der Gesetzgeber den Spielraum, der sich während der weitgehend parallel verlaufenden Gesetzgebungsverfahren auf deutscher und EU-Ebene4 abzeichnete, nicht genutzt5. Daher wird nach dem Vorbild des österreichischen Rechts (§ 8 ÜbG) eine Öffnungsklausel gefordert, die dem Bieter bei Vorliegen eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes ermöglichen soll, sich von dem Angebot zu lösen6. Das Ausbleiben bestimmter Abwehrmaßnahmen kann allerdings zur Bedingung erhoben werden (siehe unten Rz. 81).
1 Ausnahme: Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters (§ 21 Abs. 1 Satz 2 DiskE). 2 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 424, sowie zum RegE, NZG 2001, 1003, 1004 f. 3 Wie hier Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 6; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 15. 4 Hierzu etwa Krause, ZGR 2002, 500 ff.; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 13 ff. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 5. Ähnlich Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 729, die auf das Verhalten der Angebotsempfänger bzw. der Zielgesellschaft abstellende Potestativbedingungen de lege lata (unzutreffend) für zulässig halten. 6 Gall in Huber, § 8 ÜbG Rz. 7 ff. (hiernach sollen eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Zielgesellschaft oder auch Verteidigungsmaßnahmen der Zielgesellschaft sachliche Gründe sein, die den Bieter zum Rücktritt berechtigen).
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Weiterhin wird von der Praxis zu Recht verstärkt gefordert, dass entgegen zivilrechtlicher Grundsätze ein Verzicht auf bereits ausgefallene Angebotsbedingungen möglich sein muss (siehe unten Rz. 113a). Zwar hält die BaFin auf der Grundlage des geltenden Gesetzeswortlauts einen Verzicht auf eine Bedingung nur vor deren Eintritt bzw. deren Ausfall zulässig. Es entspricht allerdings nicht nur den Interessen des Bieters, sondern auch denjenigen der verkaufswilligen Aktionäre, dass auf eine Bedingung auch dann verzichtet werden kann, wenn eine aufschiebende Bedingung ausgeblieben bzw. eine auflösende Bedingung eingetreten ist1. Um diese Problematik zu lösen, ist die Praxis mittlerweile dazu übergegangen, Angebotsbedingungen als Vollzugsbedingungen auszugestalten2. Besser wäre es, den Verzicht ausdrücklich zuzulassen.
12a
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage des Zeitpunkts des Eintritts bzw. des Ausfalls 12b einer Bedingung. Während grundsätzlich bis zum Ablauf der Annahmefrist Klarheit darüber bestehen muss, hatte die BaFin zunächst nur in Bezug auf eine noch ausstehende kartellrechtliche Freigabe, dann aber auch für weitere regulatorische Verfahren (z.B. außenwirtschaftsrechtlich, medienaufsichtsrechtlich) Ausnahmen zugelassen (siehe unten Rz. 108 ff.). Dies ist konsequent, da die Interessenlage ungeachtet der konkreten behördlichen Genehmigung nicht anders zu beurteilen ist3. Darüber hinaus ist es zu begrüßen, dass die BaFin diese Verwaltungspraxis auch auf von der Hauptversammlung beschlossene Kapitalmaßnahmen, z.B. im Rahmen einer Angebotskapitalerhöhung, überträgt (siehe unten Rz. 72). Ferner wird zu Recht kritisiert, dass MAC-Bedingungen nur bis zum Ende der Annahmefrist zugelassen werden, auch wenn das Angebot darüber hinaus wegen einer behördlichen Genehmigung noch in der Schwebe ist (siehe unten Rz. 93 und 111). Eine gesetzgeberische Klarstellung bzw. Erweiterung wäre in all diesen Fällen wünschenswert.
B. Verbot bieterkontrollierter Bedingungen (§ 18 Abs. 1) I. Bedingungen § 18 Abs. 1 beschränkt den Bieter in seiner Freiheit, das Angebot von Bedingungen 13 abhängig zu machen. Das Tatbestandsmerkmal „Bedingungen“ ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es umfasst zunächst Bedingungen i.S.d. § 158 BGB, d.h. durch den Parteiwillen in das Rechtsgeschäft eingefügte Bestimmungen, die die Rechtswirkungen des Geschäfts von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig machen4. Eine bereits vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage ausgefallene Bedingung ist daher unzulässig; aus Sicht der Aktionäre liegt das Ereignis nicht mehr in der Zukunft. Der Sache nach könnte sich der Bieter so wieder von seiner Verpflichtung zur Übermittlung und Veröffentlichung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1) der Angebotsunterlage lösen5.
1 Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 101; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 262 f. 2 Hierzu Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 27 f. 3 A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 251. 4 Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 1; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 2. 5 Siehe Untersagungsbescheid der BaFin vom 5.4.2012 zu Lasten der Andrem Power S.C.A., Ziff. 2b. Die BaFin verweist dabei zu Recht darauf hin, dass die Angebotsunterlage zudem unwahr wäre, weil von Anfang an klar ist, dass das Angebot nicht angenommen werden kann.
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13a Erfasst sind sowohl aufschiebende (§ 158 Abs. 1 BGB) als auch auflösende (§ 158 Abs. 2 BGB) Bedingungen. Darüber hinaus erfasst § 18 Abs. 1 grundsätzlich auch Rechtsbedingungen, d.h. die gesetzlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts1. Hierzu zählt etwa die Genehmigung durch Behörden oder durch Dritte, die im Regelfall nicht ausschließlich vom Bieter herbeigeführt werden können. § 18 Abs. 1 erfasst dagegen nicht Vertrags- oder Geschäftsbedingungen, d.h. Bestimmungen, die den Inhalt des Angebots und damit die beiderseitigen Rechte und Pflichten festlegen2. Diese Bedingungen sind keine Umstände, von denen die Wirksamkeit des Angebots abhängt. Demgemäß wäre es mit § 18 Abs. 1 vereinbar, neben einer den Anforderungen des § 31 genügenden Gegenleistung nach Wahl der Adressaten eine andere Gegenleistung anzubieten, deren Verfügbarkeit von Ereignissen abhängt, deren Eintritt der Bieter ausschließlich selbst herbeiführen kann, solange die Wirksamkeit des Angebots und die Verfügbarkeit der den Anforderungen des § 31 entsprechenden Gegenleistung nicht vom Eintritt dieser Bedingung abhängen3.
II. Kontrolle durch den Bieter 1. Kontrolle über die Bedingung 14
§ 18 Abs. 1 verbietet Bedingungen, deren Eintritt der Bieter und bestimmte, mit ihm gemeinsam handelnde Personen ausschließlich selbst herbeiführen können. Hiermit sind die so genannten Potestativbedingungen angesprochen, durch die ein willensbestimmtes Tun oder Unterlassen eines Vertragspartners zum Bedingungsfall erhoben wird4. Rechtstheoretisch lassen sich hiervon die sogenannten Wollensbedingungen unterscheiden, die den Einritt der Rechtswirkungen des Geschäfts allein vom Willen einer Partei abhängig machen5. Eine Wollensbedingung wäre etwa die im Ermessen einer Partei liegende Feststellung des Eintritts oder Nichteintritts einer Bedingung oder überhaupt die Erklärung einer Partei, das Geschäft gegen sich gelten zu lassen. Sowohl Wollensbedingungen als auch Potestativbedingungen sind gemäß § 18 Abs. 1 unzulässige Bedingungen, weil der Bieter ihren Eintritt ausschließlich selbst herbeiführen kann6. 2. Relevanter Personenkreis
15
Zu dem Personenkreis, der gemäß § 18 Abs. 1 keine Kontrolle über die Bedingungen haben darf, zählen der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen, deren Toch-
1 Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 5; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 7 ff.; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 8. 2 Bei einem Teilangebot etwa die Höchstzahl der Wertpapiere, die der Bieter zu erwerben beabsichtigt; zum Begriff der Vertrags- bzw. der Geschäftsbedingung etwa Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 3; Armbrüster in Erman, Vor § 158 BGB Rz. 4. 3 Ähnlich Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 12 f.; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 18. 4 Armbrüster in Erman, Vor § 158 BGB Rz. 12; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 23 f. 5 Armbrüster in Erman, 13. Aufl. 2011, Vor § 158 BGB Rz. 12; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 25 ff. Die Terminologie schwankt; nicht immer wird zwischen Potestativ- und Wollensbedingungen unterschieden, vgl. etwa Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 10. 6 Busch, AG 2002, 145, 150; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 33.
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terunternehmen und im Zusammenhang mit dem Angebot für diese Personen oder Unternehmen tätige Berater. a) Bieter, gemeinsam handelnde Personen, Tochterunternehmen Die Begriffe „Bieter“, „gemeinsam handelnde Personen“ und „Tochterunternehmen“ sind in § 2 Abs. 4 bis 6 legaldefiniert.
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b) Organe des Bieters Tritt eine juristische Person als Bieter auf, stellt sich die Frage, welches ihrer Organe 17 den Bieter für Zwecke des § 18 Abs. 1 repräsentiert. Das Geschäftsführungsorgan (Vorstand) und die ihm nachgeordneten Personen, die zur Vertretung des Bieters berechtigt sind, zählen in jedem Fall zum Kreis derjenigen, deren Willensbetätigung dem Bieter zuzurechnen ist1. Das Überwachungsorgan (Aufsichtsrat) zählt ebenfalls dazu, und zwar unabhängig davon, ob die Bedingung auf ein Ereignis abstellt, das nach der internen Zuständigkeitsordnung des Bieters die Mitwirkung des Überwachungsorgans erfordert, oder ob das Überwachungsorgan den Eintritt der Bedingung aus anderen Gründen verhindern kann2. Der Bieter wird grundsätzlich auch durch seine Gesellschafterversammlung (Haupt- 18 versammlung) repräsentiert. Die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung wäre daher grundsätzlich als Potestativbedingung unzulässig3. Gleichwohl ist sie zulässig, denn das Verbot gemäß § 18 Abs. 1 gilt „vorbehaltlich § 25“. Diese Ausnahmevorschrift zu § 18 Abs. 14 verpflichtet den Bieter, die Zustimmung seiner Gesellschafterversammlung unverzüglich, spätestens jedoch bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist, herbeizuführen, setzt also voraus, dass der Bieter das Angebot unter die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung stellen darf. Sie steht in Zusammenhang mit der Reglung in § 10 Abs. 1 Satz 2, die dem Bieter aufgibt, die von seinem Geschäftsführungsorgan getroffene Entscheidung zur Abgabe eines Angebots auch dann zu veröffentlichen, wenn ein im Innenverhältnis erforderlicher Beschluss der Gesellschafterversammlung erforderlich ist5. Im Einzelfall kann die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung 19 des Bieters gleichwohl unzulässig sein, etwa wenn derjenige, der wirtschaftlich hinter dem Angebot steht, nicht selbst als Bieter fungiert, sondern eine Tochtergesellschaft als Angebotsvehikel einschaltet. In derartigen Fällen kann aber die Bedingung der Zustimmung der Muttergesellschaft des Bieters in Betracht kommen (siehe unten Rz. 66).
1 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 33; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 92. 2 Ähnlich Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 15; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 89; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 4; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 33, 85. 3 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1005; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 73, § 25 Rz. 3. 4 Zutr. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1005. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2253; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 728.
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c) Berater 20
Gemäß § 18 Abs. 1 sind Bedingungen unzulässig, deren Eintritt Berater des Bieters, der mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen nicht ausschließlich selbst herbeiführen können. Die Einbeziehung von Beratern in den relevanten Personenkreis soll verhindern, dass das Verbot von Potestativbedingungen umgangen wird, indem die Entscheidung über die Wirksamkeit des Angebots auf Personen übertragen wird, die im Interesse des Bieters bzw. des ihm zuzuordnenden Personenkreises tätig werden1.
21
Der Begriff des Beraters ist gesetzlich nicht definiert. Der Zweck der Vorschrift (Umgehungsschutz) gebietet grundsätzlich eine weite Auslegung, d.h. Einbeziehung aller Personen, die aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarungen für den Bieter bzw. dem ihm zuzuordnenden Personenkreis Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Angebot erbringen2. Dies sind regelmäßig Rechtsberater, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Investmentbanken, Umweltgutachter, Unternehmensberater und sonstige Berater. Unzulässig wäre daher etwa die Bedingung, dass ein vom Bieter mandatierter Berater nach Durchführung einer entsprechenden Due Diligence bestätigt, dass in dem untersuchten Bereich bei der Zielgesellschaft keine schwerwiegenden Risiken bestehen3. Zulässig ist es hingegen, einem vom Bieter beauftragten unabhängigen Sachverständigen die Feststellung des Eintritts z.B. einer MAC-Klausel zu überlassen (siehe unten Rz. 91)4.
22
Kreditinstitute, die allein mit der technischen Abwicklung des Angebots betraut sind (z.B. Umtauschtreuhänder), wären demnach nur einbezogen, wenn sie den Bieter in Bezug auf die abwicklungsbezogenen Angaben in der Angebotsunterlage oder in sonstiger Weise beraten5. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die die Finanzierungsbestätigung gemäß § 13 ausstellen, werden allein durch die Ausstellung dieser Bescheinigung noch nicht zum Berater6. Etwas anderes gilt, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Bieter im Zusammenhang mit dieser Bestätigung, bei der Finanzierung des Angebots oder in anderer Hinsicht beraten hat7.
23
Ein Berater ist in den Personenkreis des § 18 Abs. 1 nur dann einbezogen, wenn er „im Zusammenhang mit dem Angebot“ beraten hat. Ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang der Beratungsleistung mit dem konkret abgegebenen Angebot ist erforderlich, aber auch hinreichend. Von § 18 Abs. 1 nicht erfasst sind Berater, die dem Bieter oder ihm zuzuordnenden Personen lediglich allgemein im Zusammenhang mit Angeboten gemäß WpÜG Informationen gegeben oder ausschließlich im Vorfeld des Angebots, aber ohne Bezug hierzu, beraten haben8.
1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 16; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 38. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 39; weiter Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 179 (auch ohne vertragliche Vereinbarung). 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 41; Apfelbacher/Brems in Apfelbacher u.a., § 18 Rz. 7. 4 A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 10. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 39. 6 Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 96. 7 Busch, AG 2002, 145, 147 (Fn. 14); Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 39. 8 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 18; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 40; a.A. Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 181.
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3. Ausschließliche Herbeiführung des Bedingungseintritts § 18 Abs. 1 verbietet Bedingungen, deren Eintritt der Bieter oder eine Person des in 24 der Vorschrift bezeichneten Personenkreises „ausschließlich selbst herbeiführen“ kann. a) Mitwirkung Dritter Das Merkmal „ausschließlich“ ist wörtlich zu verstehen1. Bedingungen, deren Eintritt das Zusammenwirken einer in § 18 Abs. 1 bezeichneten Person und eines Dritten erfordert, sind Bedingungen, deren Eintritt der in der Vorschrift bezeichnete Personenkreis nicht ausschließlich selbst herbeiführen kann; sie sind grundsätzlich zulässig. Eine erweiternde Auslegung, der zufolge auch solche Bedingungen unzulässig sind, deren Eintritt von einem Dritten herbeigeführt werden kann, deren Tätigkeit der Bieter nach allgemeiner Lebenserfahrung vollständig kontrolliert, erscheint zu weitgehend2. Nach dieser Auslegung könnte eine Behörde, die auf Antrag des Bieters und bei Vorliegen der übrigen Entscheidungsvoraussetzungen zu einer bestimmten Entscheidung verpflichtet ist, ein vom Bieter kontrollierter Dritter sein3. Hierunter fiele etwa auch die zuständige Kartellbehörde – ein unhaltbares Ergebnis, nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers, der von der Zulässigkeit des Kartellvorbehalts ausging4.
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Eventueller Missbrauch durch Unterlassung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen – etwa wenn vom Bieter im Rahmen des kartellrechtlichen Fusionskontrollverfahrens Auskunft verlangt wird und er diese nicht oder nur unvollständig erteilt – ist mit den hierfür vorgesehen Instrumenten zu bekämpfen. Zwar ist zu bezweifeln, dass die BaFin den Bieter zwingen kann, derartige erforderliche Mitwirkungshandlungen vorzunehmen5. Jedoch ist der Bieter nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen6 grundsätzlich verpflichtet, das Erforderliche zu tun, um die Genehmigung zu erwirken7. Verletzt er diese Förderungspflicht, kann er sich gegenüber den Adressaten des Angebots gemäß § 280 Abs. 1, § 283 BGB schadensersatzpflichtig machen8. Soweit erforderlich, wird dabei die Wirksamkeit der den Schadensersatzansprüchen zu Grunde liegenden schuldrechtlichen Verträge zwischen dem Bieter und den Aktionären über den Erwerb der Aktien, deren Erfüllung rechtlich unmöglich wird, nach § 162 Abs. 1 BGB fingiert9. Für Zwecke der hier in Frage stehenden Sekundäransprüche ist dies auch bei der Erwirkung behördlicher Genehmigungen möglich, fingiert wird insoweit allerdings nicht das Vorliegen der behördlichen Ge-
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1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 19 f.; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 30. 2 So aber Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 19 f. 3 So in der Tat Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 19. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 20. 6 Statt aller Grüneberg in Palandt, § 242 BGB Rz. 33 m.w.N. 7 Für entsprechende Förderungspflichten Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 93; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 20; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 110; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 185; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 45; ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 82 für das Börsenzulassungsverfahren. 8 Im Ergebnis ebenso Busch, AG 2002, 145, 146; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 20; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 39 Rz. 69; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 35 Rz. 217 Fn. 420; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 185. 9 Busch, AG 2002, 145, 146.
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nehmigung, sondern die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Geschäfts, das dann Grundlage für die Sekundaransprüche ist1. b) Zusammenwirken mehrerer in § 18 Abs. 1 genannter Personen 27
Ob Bedingungen, deren Eintritt der Bieter und eine andere in § 18 Abs. 1 bezeichnete Person ausschließlich gemeinsam herbeiführen können, unzulässig ist, geht aus dem Wortlaut der Vorschrift („oder“) nicht eindeutig hervor. Hiernach könnte man die gesetzliche Anordnung so verstehen, dass nur solche Bedingungen unzulässig sind, die entweder ausschließlich vom Bieter oder ausschließlich von mit ihm gemeinsam handelnden Personen einschließlich Tochtergesellschaften oder ausschließlich von im Zusammenhang mit dem Angebot tätigen Beratern herbeigeführt werden können. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift müssen aber auch solche Bedingungen unzulässig sein, die die genannten Personen ausschließlich gemeinsam herbeiführen können2. 4. Ausschließliche Verhinderung des Bedingungseintritts
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Gemäß § 18 Abs. 1 unzulässig sind solche Bedingungen, deren Eintritt der Bieter oder eine Person des in der Vorschrift bezeichneten Personenkreises ausschließlich selbst herbeiführen kann. Teilweise wird vorgeschlagen, die Vorschrift analog anzuwenden, wenn der Bieter bzw. der in § 18 Abs. 1 genannte Personenkreis den Eintritt der Bedingung ausschließlich selbst verhindern kann3.
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Hierfür wäre eine planwidrige Regelungslücke erforderlich. Insoweit ist zu differenzieren: Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs wollte der Gesetzgeber Bedingungen zulassen, die die Wirksamkeit des Angebots von noch ausstehenden kartellrechtlichen oder sonstigen behördlichen Entscheidungen abhängig machen4. Weil dem Gesetzgeber diese Fälle vor Augen standen, ist eine planwidrige Regelungslücke insoweit zu verneinen. Dies muss auch für andere behördliche Verfahren – etwa die Eintragung einer Kapitalerhöhung im Handelsregister oder die Börsenzulassung neuer Aktien – gelten. Insoweit ist die Analogiebildung nicht möglich5. Der Bieter ist allerdings verpflichtet, die erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen (siehe oben Rz. 26).
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Ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, wird auch für andere Fälle diskutiert. Wenn etwa ein Bieter das Angebot davon abhängig machen will, dass ein bestimmter Vertrag mit einem Dritten (etwa über den Kauf eines Aktienpakets) zustande kommt, könnte er das Angebot entweder unter die aufschiebende Bedingung des Zustandekommens oder die auflösende Bedingung des Nichtzustandekommens dieses Vertrages stellen. Die auflösende Bedingung wäre gemäß § 18 Abs. 1 unzulässig, weil der Bieter das Nichtzustandekommen ausschließlich selbst herbeiführen kann. Dagegen wäre die aufschiebende Bedingung nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 zulässig, 1 Busch, AG 2002, 145, 146; im Ergebnis ebenso Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 184; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 45. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 19; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 7; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 31. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 43 f.; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 6; für direkte Anwendung Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 12. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47. 5 Adolff/Meister/Randell/Stephan, S. 154 f.; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 44 f.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 25.
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weil der Bieter den Vertragsschluss nicht ausschließlich selbst herbeiführen kann. Hier wäre der Bedingungseintritt unter den Voraussetzungen des § 162 BGB zu fingieren. Die Wertpapierinhaber müssten jedoch einen Zivilprozess gegen den Bieter anstrengen, wären für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 162 BGB beweispflichtig und stünden somit schlechter als bei analoger Anwendung des § 18 Abs. 1. Außerdem wäre während der Schwebezeit unsicher, wie sich der Aktionärskreis der Zielgesellschaft zusammensetzt. Dies wird daher zu Recht als planwidrige Regelungslücke angesehen1. Eine planwidrige Lücke soll auch dann vorliegen, wenn der Bieter den Bedingungseintritt zwar formal nicht ausschließlich selbst herbeiführen kann, ihn aber nach allgemeiner Lebenserfahrung oder üblicher Geschäftspraxis vollständig kontrolliert2. In den genannten Konstellationen erscheint die analoge Anwendung des § 18 Abs. 1 jedoch eher bedenklich3. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten des Nachweises ist eine Abgrenzung zu „normalen“, nicht vollständig vom Bieter kontrollierten Entscheidungen im Vorhinein bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Bedingung kaum sinnvoll möglich und dürfte zu eher zufälligen Ergebnissen führen.
III. Sonstige Anforderungen Der Vorschrift des § 18 Abs. 1 ist der Gedanke zu entnehmen, dass sich der Bieter 31 nur dann von seinem Angebot lösen dürfen soll, wenn die Voraussetzungen eines präzise formulierten, insbesondere für die Aktionäre der Zielgesellschaft objektiv nachvollziehbaren Tatbestands eingetreten sind (Bestimmtheitsgebot)4. Problematisch sind insbesondere solche Bedingungen, die dem Bieter in Bezug auf die Frage, ob die Bedingung eingetreten oder ausgefallen ist, einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum einräumen. Wenn der Bieter in derartigen Fällen selbst entscheiden kann, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht, bzw. nur der Verzicht auf die Bedingung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Sicherheit in Bezug auf den Bedingungseintritt verschaffen kann, steht die Bedingung mit § 18 Abs. 1 nicht im Einklang5. Auch Bedingungen, die generalklauselartig formuliert sind bzw. in ihrem Kern auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, sind nicht unproblematisch. Daher darf der Bieter dem Aktionär der Zielgesellschaft etwa nicht die Prüfung auferlegen, ob ein Umstand „wesentlich“ oder „vernünftigerweise“ zu erwarten ist, auch wenn der Bieter gerade im Rahmen von komplexen Sachverhalten ein nachvollziehbares Interesse an der Verwendung unbestimmter Begriffe hat6. Weil die BaFin – anders als der Takeover Panel – keine Befugnis zur Feststellung des Eintritts oder Nichteintritts einer Bedingung besitzt, müssten die Wertpapierinhaber im Zweifel ihre Erfüllungsansprüche vor den Zivilgerichten geltend machen7. Die Darlegungs- und Beweislast für den Bedingungseintritt trägt diejenige Partei, die Rechte aus dem Rechtgeschäft 1 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 42 f.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 22 ff.; im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 13; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 6; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 19 f. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 19. 3 Anders noch die 1. Aufl. Siehe auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 20, der vor allem behördliche Fälle vor Augen hat. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 23; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 46; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 23; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 2; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 46; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26. 6 Siehe BaFin Jahresbericht 2011, S. 224. 7 Busch, AG 2002, 145, 152.
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herleiten will1. Ob die Unsicherheit über den Vollzug des Angebots, die – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – auch in zeitlicher Hinsicht durchaus erhebliche Dimensionen erreichen kann, mit dem Schutzzweck des § 18 Abs. 1 zu vereinbaren ist, ist daher im Einzelfall sorgfältig zu prüfen2. 32
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 hat der Bieter die Angebotsunterlage in einer Form abzufassen, die ihr Verständnis und ihre Auswertung erleichtert (Klarheitsgebot). Im Einzelfall kann das Verständnis des Angebots durch eine Vielzahl von Bedingungen beeinträchtigt werden3. Wenn ein durchschnittlicher Wertpapierinhaber ohne Spezialkenntnisse die Angebotsunterlage nicht verstehen kann, soll ein Verstoß gegen das in § 11 Abs. 1 Satz 4 verankerte Klarheitsgebot vorliegen4. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Klarheitsgebot nicht eine Frage des „Ob“, sondern eine Frage des „Wie“ regelt. Wenn die vom Bieter vorgefundene Realität und demzufolge die von ihm aufgestellten Bedingungen komplex sind, kann das Klarheitsgebot nicht die Unzulässigkeit derartiger Bedingungen stützen, sondern nur die verständliche Darstellung dieser Bedingungen fordern. Insoweit darf von einem durchschnittlichen Wertpapierinhaber erwartet werden, dass er anschaulichen Erklärungen etwa von Finanzkennzahlen (wie etwa EBITDA oder Nettofinanzverbindlichkeiten5) folgen kann.
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Schließlich dürfen die vom Bieter gewählten Bedingungen nicht dem Grundsatz widersprechen, dass gemäß § 3 Abs. 4 das Angebotsverfahren rasch durchzuführen ist und die Zielgesellschaft in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus behindert werden darf (Beschleunigungsgrundsatz). Dies bedeutet nicht, dass Bedingungen, die erst nach Ablauf der Annahmefrist eintreten können, per se unzulässig sind (siehe unten Rz. 108 ff.)6. Wenn allerdings schon bei Abgabe des Angebots feststeht, dass eine aufschiebende Bedingung innerhalb des vom Bieter definierten Zeitraums praktisch nicht eintreten kann, ist die Belastung der Zielgesellschaft mit einem derartigen Angebot nicht gerechtfertigt und die Bedingung unzulässig7.
33a Ob Angebotsbedingungen der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen, ist umstritten. Nach der überwiegenden Meinung handelt es sich bei den in der Angebotsunterlage enthaltenen Klauseln um allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. §§ 305 ff. BGB8. Da der Erwerb von Wertpapieren nicht als Vertrag auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zu qualifizieren ist, steht § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB dem nicht
1 Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 14; Rövekamp in Bamberger/Roth, 2. Aufl. 2007, § 158 BGB Rz. 42. 2 Restriktiver (zu MAC-Klauseln) Berger/Filgut, WM 2005, 253, 255. 3 Liebscher, ZIP 2001, 853, 862. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 47. 5 Vgl. Übernahmeangebot BCP Crystal Acquisition GmbH & Co. KG/Celanese AG vom 2.2.2004, Ziff. 4 lit. (a) (iv) und (vii), S. 48 f. und 50 f. 6 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 48. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 4; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 48. 8 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 23; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 29; Geibel in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 3; Käpplinger, Die Bindung des Bieters an das Angebotsverfahren, 2008, S. 4 ff.; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 141 ff.; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 83; a.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11 WpÜG Rz. 31; differenzierend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 11 Rz. 8.
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entgegen1. Gegen die Anwendung der §§ 305 ff. BGB wird vorgebracht, dass die Angebotsvorschriften des WpÜG den Gestaltungsspielraum des Bieters abschließend regeln und damit ein Rückgriff auf die allgemeine zivilrechtliche Inhaltskontrolle ausgeschlossen sei2. Weiterhin ist fraglich, ob die §§ 305 ff. BGB Klauseln erfassen, die nicht den Inhalt des Vertrages, sondern die Voraussetzungen für dessen Abschluss regeln3. Ohnehin regelt das WpÜG das Rechtsinstitut der Bedingung umfassend, so dass die praktische Bedeutung der Frage eher gering ist4.
IV. Einzelne Bedingungen 1. Akzeptanzschwelle Die Festlegung einer Akzeptanzschwelle, d.h. einer Mindestbeteiligung, einer Min- 34 destzahl der Wertpapiere oder eines Mindestanteils der Stimmrechte, von deren Erreichen die Wirksamkeit des Angebots abhängt, ist – wie sich aus § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ergibt – grundsätzlich zulässig5. Diese Bedingung ist in der Praxis weit verbreitet, weil der Bieter damit sicherstellt, das Angebot nur durchführen zu müssen, wenn er den Schwellenwert erreicht, der ihm das Erreichen seiner Ziele ermöglicht. Übliche Schwellenwerte wären etwa: der Erwerb der einfachen Mehrheit der Stimmrechte, wenn es dem Bieter auf die Sicherstellung der unternehmerischen Kontrolle ankommt6, 75 % der Stimmrechte, wenn der Bieter einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag oder umwandlungsrechtliche Maßnahmen implementieren möchte, oder 90 bzw. 95 % des Grundkapitals, wenn er am Squeeze-Out der Minderheitsaktionäre interessiert ist7. Der Wert einer Mindestannahmeschwelle kann sich entweder ausschließlich auf die im Rahmen des Angebots gelieferten Aktien beziehen oder etwaige Vorbesitze des Bieters mitberücksichtigen8.
1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 11 Rz. 6; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 86; Oechsler, NZG 2001, 817, 821. 2 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 11 WpÜG Rz. 31. 3 Dafür Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 84; dagegen Käpplinger, Die Bindung des Bieters an das Angebotsverfahren, 2008, S. 7 ff.; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 89. 4 Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 143 ff.; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 84. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 30; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 26; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 114. 6 Zur vorzeitigen Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats nach einem Übernahmeangebot vgl. etwa Krause, AG 2002, 133, 141. 7 Die 95 %-Schwelle ist beim aktien- und übernahmerechtlichen Squeeze-out maßgeblich, die 90 %-Schwelle beim neu eingeführten verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out nach § 62 Abs. 5 UmwG. In der Anfangszeit nach Inkrafttreten des WpÜG lagen die Schwellenwerte tendenziell höher und es gab nur wenige Fälle, in denen später auf diese hohen Schwellenwerte (zwischen 70–95 %) verzichtet wurde. In 2010 gab es demgegenüber nur ein Angebot mit einem Schwellenwert (Übernahmeangebot der Pelikan International Corporation Berhad/Herlitz AG vom 11.1.2010: 75 %), auf diese Bedingung wurde dann nachträglich auch noch verzichtet. 8 Seibt, CFL 2011, 213, 231 unter Hinweis darauf, dass der Bieter dann gegebenenfalls Aktien aus dem Vorbesitz veräußern kann, ohne sich dem Vorwurf der Vereitelung des Bedingungseintritts auszusetzen.
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Wenn der Streubesitz in der Zielgesellschaft gering ist, kann eine Akzeptanzschwelle zur Folge haben, dass der Vollzug des Angebots vom Annahmeverhalten eines oder mehrerer Großaktionäre abhängt. Dies ist grundsätzlich zulässig. Das Angebot kann auch unter die Bedingung der Zustimmung namentlich genannter Aktionäre gestellt werden; hierin liegt nicht zwingend ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 3 Abs. 11. Wenn allerdings der Bieter die Akzeptanzschwelle nur durch den Erwerb eines von einem Großaktionär gehaltenen Aktienpakets erreichen kann und der Abschluss des hierauf gerichteten Vertrages vom Bieter kontrolliert wird, kann diese Bedingung unzulässig sein2. In allen Fällen, in denen das öffentliche Angebot unmittelbar3 oder mittelbar (über die definierte Mindestannahmequote4) von der Durchführung eines Paketerwerbs abhängig gemacht wird, müssen nicht nur die Bedingungen des öffentlichen Angebots, sondern auch die Bedingungen für den Paketerwerb nach § 18 zulässig sein und in der Angebotsunterlage offengelegt werden. Alternativ kann der Bieter – was allerdings wegen des fehlenden Gleichlaufs für den Bieter Gefahren birgt – in der Angebotsunterlage klarstellen, dass das Angebot nicht vom Vollzug des Paketvertrags abhängt, wenn dieser an bestimmten Bedingungen scheitert, die nicht im Einklang mit § 18 sind. Ohne eine dieser beiden Vorgehensweisen könnte § 18 über den Umweg des Paketerwerbs leicht ausgehebelt werden5.
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Ob ein höherer Schwellenwert als 95 % des Grundkapitals als Bedingung zulässig ist, ist problematisch6. Das Überschreiten etwa von 99 % des Grundkapitals wäre zwar keine gemäß § 18 Abs. 1 unzulässige Potestativbedingung. Im Regelfall – insbesondere bei hohem Streubesitz oder einem feindlichen Übernahmeangebot – wird das Überschreiten dieses Schwellenwertes jedoch extrem unwahrscheinlich sein, so dass das „Angebot“ einer gemäß § 17 unzulässigen invitatio ad offerendum gleichkäme. Da der Bieter grundsätzlich nach freiem Belieben entscheiden kann, die Akzeptanzschwelle herabzusetzen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) oder ganz auf sie zu verzichten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4), hätte er es wie bei einer invitatio ad offerendum in der Hand, das Angebot durch einen frei bestimmten Willensakt wirksam werden zu lassen. Eine solche Lockerung der Bindung an das Angebot wäre mit dem Zweck der §§ 17, 18 nicht vereinbar7. Weil die Beteiligung von mehr als 95 % gegenüber einer Beteiligung von exakt 95 % keinen zusätzlichen Nutzen mit sich bringt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob diese Akzeptanzschwelle im Einzelfall von sachlichen Gründen ge1 Vgl. z.B. Übernahmeangebot NTT DATA EUROPE GmbH/itelligence AG vom 13.11.2007, Ziff. 3.5 (3), S. 11: (teilweise) Annahme durch Vorstandsvorsitzenden der Zielgesellschaft und dessen Ehefrau; siehe auch Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 96; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 11; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 110; a.A. auch noch die 1. Aufl. 2 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 34, 95. 3 Übernahmeangebot Shield Bidco Limited/Utimaco Safeware AG vom 10.6.2010, Ziff. 13.1.1, S. 32. 4 Übernahmeangebot der SAG Beteiligungs GmbH/IDS Scheer AG vom 17.8.2009, Ziff. 6.4 u. 12.1.1, S. 16, 32. 5 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 27; Hasselbach/ Wirtz, BB 2005, 842, 845; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 120. 6 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425; Busch, AG 2002, 145, 146 f.; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 111; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 28, 90; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 195, 284; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 99; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 30. Vgl. auch Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26 zur Praxis der BaFin, Annahmeschwellen von 99 % als unzulässig zu betrachten. Dementsprechend findet sich auch in keinem der bisher veröffentlichten Übernahmeangebote oder freiwilligen Erwerbsangebote ein höherer Schwellenwert. 7 Busch, AG 2002, 145, 147.
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stützt oder zur Umgehung des § 18 eingesetzt wird1. Gegebenenfalls wäre die Veröffentlichung der Angebotsunterlage gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 oder jedenfalls die Bedingung2 zu untersagen3. Entsprechendes dürfte auch bei einem an sich zulässigen Schwellenwert von 95 % des Grundkapitals gelten, wenn der Bieter nur wenige Aktien im Vorbesitz hält und sich keine weiteren Aktienpakete gesichert hat. Bei Übernahmeangeboten kann es aus taktischen Gründen empfehlenswert sein, 37 eine Akzeptanzschwelle vorzusehen4. Ohne Akzeptanzschwelle hätten die Wertpapierinhaber (jedenfalls bei wortlautgemäßer Auslegung des § 16 Abs. 2 – siehe hierzu § 16 Rz. 31) keinen Anreiz, das Angebot während der Annahmefrist anzunehmen, denn sie könnten dies während der weiteren Annahmefrist des § 16 Abs. 2 immer noch tun. Dies ist anders, wenn der Bieter eine Akzeptanzschwelle gesetzt hat: Wenn er sie verfehlt (und nicht zulässigerweise5 auf sie verzichtet6), gibt es keine weitere Annahmefrist. Folglich stehen die Aktionäre unter einem gewissen Druck, das Angebot anzunehmen7. Theoretisch denkbar erscheint auch eine Höchstannahmequote, bei deren Über- 38 schreiten das Angebot unwirksam wird. Im Hinblick auf den Zweck des Gesetzes, den Bieter an seinem Angebot festzuhalten, wird die Höchstannahmequote nicht zu Unrecht als problematisch angesehen8. In der Sache handelt es sich hierbei um ein Teilangebot nach § 199, das somit allenfalls bei einem einfachen Erwerbsangebot in Betracht kommt (vgl. §§ 19, 32), und für das dann dessen Regeln gelten müssen, d.h. der Bieter kann sich nicht nach § 18 Abs. 1 von dem Angebot lösen, sondern hat die eingereichten Aktien verhältnismäßig zu berücksichtigen10. 2. Kartellvorbehalt Der Erwerb von Aktien aufgrund eines öffentlichen Angebots kann einen kartellrechtlichen Zusammenschlusstatbestand verwirklichen und daher der Freigabe durch die zuständige Kartellbehörden bedürfen. 1 Busch, AG 2002, 145, 147; a.A. Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 111 (unzulässig); für eine Beweislastumkehr: Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 99; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-AdverseChange-Klauseln, 2006, S. 158. 2 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 99. 3 A.A. Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 284 (keine Untersagung möglich). 4 Eine Verpflichtung hierzu lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. 5 Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 283; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 54, 98; a.A. Santelmann, AG 2002, 497, 499. 6 Dafür kann es wiederum taktische Gründe geben. Vgl. z.B. Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.1.1, S. 45 und Änderungen des Angebots am 17.5.2011 (Absenkung der Mindestannahmeschwelle von 50 % auf 30 % verbunden mit einer Aufstockung des Angebots). 7 Eingehend Busch, AG 2002, 145, 147; ebenso Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 20 und § 18 Rz. 31; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 194; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 97. 8 Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 111; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 100; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 31; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 100; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 124. 9 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 12; Noack/Holzborn in Schwarz/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 11. 10 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 20; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 100.
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a) Kartellrechtliche Rahmenbedingungen 40
Nach deutschem Kartellrecht erfüllt der Erwerb einer Kontroll- bzw. Mehrheitsbeteiligung die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 GWB. Das dingliche Geschäft unterliegt dem Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB, sofern der Zusammenschluss nicht durch das Bundeskartellamt freigegeben worden ist (§ 40 Abs. 2 Satz 1 GWB) oder als freigegeben gilt (§ 40 Abs. 2 Satz 2 GWB); der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft, der gegen das Vollzugsverbot verstößt, ist gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 GWB schwebend unwirksam1. Der Regierungsentwurf für die 8. GWB-Novelle sieht eine Angleichung der deutschen Fusionskontrolle an die FKVO unter anderem auch im Hinblick auf eine Ausnahme vom Vollzugsverbot für öffentliche Übernahmeangebote vor (§ 41 Abs. 1a GWB RegE), der im Wesentlichen mit Art. 7 Abs. 2 FKVO inhaltsgleich ist2). Bis zum Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle3 unterliegt der Erwerb der zum Kauf oder Tausch eingereichten Wertpapiere der Zielgesellschaft also einer Rechtsbedingung. Das Vollzugsverbot erstreckt sich nicht auf das schuldrechtliche Geschäft. Folglich ist der Bieter derzeit noch daran interessiert, auch die Wirksamkeit der zwischen ihm und den annehmenden Wertpapierinhabern zustande kommenden Kauf- bzw. Tauschverträge von der Freigabe des Zusammenschlusses abhängig zu machen4.
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Die EG-Fusionskontrollverordnung (FKVO)5 unterwirft Unternehmenszusammenschlüsse ebenfalls einem Vollzugsverbot, ordnet für öffentliche Übernahmeangebote jedoch lediglich ein Stimmverbot an: Gemäß Art. 7 Abs. 2 FKVO steht das Vollzugsverbot der Durchführung eines Angebots nämlich nicht entgegen, wenn der Bieter die mit den Wertpapieren verbundenen Stimmrechte nicht (oder nur mit Zustimmung der Kommission zur Erhaltung des Wertes seiner Investition) ausübt6. Folglich kann der Bieter die ihm angedienten Aktien bereits vor der Freigabe des Zusammenschlusses erwerben. Wird der Zusammenschluss nach Vollzug des Angebots untersagt, dauert das Stimmverbot fort; im Fall einer Entflechtungsentscheidung muss das Angebot rückabgewickelt bzw. anderweitig desinvestiert werden. Folglich kann der Bieter auch bei Anwendbarkeit der FKVO ein Interesse daran haben, die Wirksamkeit der zustande kommenden Kauf- bzw. Tauschverträge und die Wirksamkeit der dinglichen Übertragungsgeschäfte von der Freigabe des Zusammenschlusses abhängig zu machen7.
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Weil US-amerikanisches Kartellrecht (extraterritoriale) Anwendung findet, wenn das relevante Verhalten eine erhebliche und vorhersehbare Auswirkung auf den ame1 Die Befreiungsmöglichkeit gemäß § 41 Abs. 2 GWB kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht; hierzu Busch, AG 2002, 145, 146. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.5.2012, BT-Drucks. 17/9852, S. 12 (Art. 1 Ziff. 24b). 3 Das Gesetz wurde am 18.10.2012 vom Bundestag beschlossen und sollte zum 1.1.2013 in Kraft treten. Allerdings hat der Bundesrat am 23.11.2012 den Vermittlungsausschuss angerufen (BR-Drucks. 641/12). In dessen Sitzung vom 12.12.2012 konnte keine Einigung erzielt werden und die Beratungen wurden auf Januar 2013 vertagt. Der ursprünglich vorgesehene Termin kann damit nicht mehr eingehalten werden. 4 Näher Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 985. 5 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („FKVO“), ABl. EU Nr. L 24 v. 29.1.2004, S. 1. 6 Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 985; Bosch/Kobbelt in Thaeter/Brandi, Teil 4 Rz. 92. 7 Näher Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 984; Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.77. Je nach Lage der Dinge kann es im Interesse des Bieters liegen, auf eine derartige Bedingung zu verzichten und das Angebot schon vor der Freigabe zu vollziehen. Die VodafoneAirtouch plc hatte dieses Risiko beim Übernahmeangebot an die Aktionäre der Mannesmann AG übernommen; vgl. Angebotsunterlage vom 23.12.1999, S. 31.
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rikanischen Handel hat1, kann die Übernahme einer deutschen Zielgesellschaft auch den Anzeige- und Wartepflichten des Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act (HSR Act)2 unterliegen, wenn die Zielgesellschaft auf dem US-amerikanischen Markt präsent ist und die Schwellenwerte des HSR Act hinsichtlich Umsatz und Transaktionswert erfüllt sind3. Anders als das europäische und das künftige deutsche Recht sieht der HSR Act keine Ausnahme vom Vollzugsverbot im Zusammenhang mit öffentlichen Übernahmeangeboten vor. Abhängig vom Tätigkeitsgebiet der Zielgesellschaft können die Fusionskontrollvorschriften weiterer Länder zu beachten sein. Auch insoweit wird der Bieter ein Interesse daran haben, das Angebot erst dann zu vollziehen, wenn dies ohne Verletzung dieser Vorschriften möglich ist. b) Zulässigkeit des Kartellvorbehalts Die Bedingung der Freigabe des Zusammenschlussvorhabens durch die zuständigen 43 Kartellbehörden (bzw. des Ablaufs der einschlägigen Wartezeiten) ist zulässig4, denn weder der Bieter noch die ihm zurechnenden Personen können den Eintritt dieser Bedingung ausschließlich selbst herbeiführen. Dass der Bieter auf die Erteilung der Freigabe Einfluss nehmen kann (etwa indem er einen erforderlichen Antrag nicht stellt oder von der Behörde verlangte Auskünfte nicht erteilt), spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Insoweit unterliegt der Bieter einer Förderungspflicht: Er hat alles Erforderliche zu tun, damit das Freigabeverfahren ordnungsgemäß und ohne unnötige Verzögerungen durchgeführt werden kann5. Mit Blick auf die ratio legis des § 18 Abs. 1 wird – für den Regelfall nicht zu Unrecht 44 – vertreten, dass der Kartellvorbehalt grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn die Fusionskontrollanmeldung bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage bei der zuständigen Kartellbehörde eingereicht worden ist6. Dies würde voraussetzen, dass das Zusammenschlussvorhaben zu diesem Zeitpunkt anmeldefähig ist. Dies ist unter folgenden Voraussetzungen der Fall: Nach deutschem Kartellrecht kann das Zusammenschlussvorhaben angemeldet werden, sobald der Zusammenschluss hinreichend klar vorgezeichnet ist und eine konkrete Vollzugsabsicht besteht; das Bundeskartellamt ist nicht verpflichtet, allein auf „Planspielen“ beruhende, prophylaktische Anmeldungen zu prüfen7. In objektiver Hinsicht muss das Vorhaben soweit konkretisiert sein, dass die gemäß § 39 Abs. 3 GWB erforderlichen Angaben gemacht werden können8. In subjektiver Hinsicht 1 United States v. ALCOA, 148 F.2d 416 (2nd Cir. 1945); Hartford Fire Insurance Co. v. California, 509 U.S. 764 (1993). 2 15 U.S.C. § 18a as amended. 3 Näher Elsing/van Alstine, US-amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, Rz. 901 ff.; im Übernahmekontext Jander/McDermott, RIW 1990, 957, 960 f. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47; Busch, AG 2002, 145, 146; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 33; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 39; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 33. 5 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 93; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 20; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 110; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 63. 6 Beispiele mit konkreten Daten bei Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.93. 7 Ruppelt in Langen/Bunte, 11. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3; Bechtold in Bechtold, 6. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 6. 8 Ruppelt in Langen/Bunte, 11. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3; Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl. 2007, § 39 GWB Rz. 7.
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muss die konkrete Zusammenschlussabsicht wenigstens eines beteiligten Unternehmens bestehen1; eine Einigung oder ein Vertrag zwischen den Parteien des Zusammenschlusses ist nicht erforderlich, weil bestimmte Zusammenschlussformen – etwa öffentliche, insbesondere „feindliche“ Übernahmeangebote – sogar gegen den Willen einer Partei vollzogen werden können2. Vielmehr genügt es, dass der Bieter intern seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots getroffen hat3; die Zustimmung aller Organe ist nicht erforderlich4. Die Streitfrage, ob der Vollzug des Zusammenschlusses absehbar bevorstehen muss (d.h. innerhalb des Prognosezeitraums von regelmäßig drei bis fünf Jahren)5, spielt bei Angeboten nach dem WpÜG in der Praxis keine Rolle. Somit ist festzuhalten, dass die Anmeldefähigkeit spätestens mit der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 eingetreten ist6. 46
Nach der FKVO ist die Anmeldung möglich, sobald „die beteiligten Unternehmen der Kommission gegenüber glaubhaft gemacht haben, dass sie gewillt sind, einen Vertrag zu schließen, oder im Fall eines Übernahmeangebots öffentlich ihre Absicht zur Abgabe eines solchen Angebots bekundet haben“ (Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 FKVO). Der Begriff „die beteiligten Unternehmen“ bezieht sich auf beide Tatbestandsalternativen; im Fall eines feindlichen Übernahmeangebots liegt es in der Natur der Sache, dass allein der Bieter gemeint sein kann (die Vertragsschlüsse mit den veräußernden Wertpapierinhabern können erst nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage erfolgen). Folglich ist die geplante Übernahme als Zusammenschlussvorhaben anmeldefähig, sobald der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 veröffentlicht hat7. c) Ausgestaltung des Kartellvorbehalts
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Der Kartellvorbehalt kann unterschiedlich ausgestaltet werden. Statt lediglich auf die Freigabe abzustellen, kann der Bieter beispielsweise die uneingeschränkte Freigabe (d.h. die Freigabe ohne Bedingungen oder Auflagen gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 GWB bzw. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 FKVO) zur Bedingung erheben8. Dies ist auch dann zulässig, wenn bei Veröffentlichung des Angebots absehbar ist, dass der Zusammenschluss nicht ohne Auflagen freigegeben wird. Wollte man dies anders sehen, müsste der Bieter Inhalt und Umfang der Auflage bei Veröffentlichung des Angebots vorhersehen können, was kaum möglich erscheint9.
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An die Bedingung der uneingeschränkten Freigabe knüpft sich das Problem, wie der Bieter verfahren kann, wenn die kartellrechtliche Freigabe unter einer für ihn akzeptablen Auflage erteilt wird und er das Angebot gleichwohl gegen sich gelten lassen will. Nach zivilrechtlichen Grundsätzen wäre die Bedingung ausgefallen und das An-
1 Bechtold in Bechtold, 6. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3. 2 So ausdrücklich Ruppelt in Langen/Bunte, 11. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3; ähnlich MeyerLindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.95; wohl a.A. Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl. 2007, § 39 GWB Rz. 7 (Einigung erforderlich). 3 Paschke in FrankfKomm. Kartellrecht, § 39 GWB Rz. 5; Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.95. 4 Ruppelt in Langen/Bunte, 11 Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3. 5 Dafür KG v. 21.7.1995 – Kart 19/94, WuW/E OLG 5494; Ruppelt in Langen/Bunte, 11. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 3; dagegen Bechtold in Bechtold, 6. Aufl. 2010, § 39 GWB Rz. 7. 6 Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.95. 7 Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung Rz. 4.53. 8 Zu weiteren Gestaltungen Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 36. 9 Busch, AG 2002, 145, 146.
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gebot endgültig unwirksam1; durch den nachträglichen Verzicht auf die Bedingung könnte das Angebot nicht wieder „aufleben“. Interessengerecht ist dieses Ergebnis nicht: Wenn der Bieter an seinem Vorhaben festhalten will, müsste er ein zweites Angebot abgeben2; dies liefe dem Beschleunigungsgebot des § 3 Abs. 4 Satz 1 zuwider3. Daher spricht einiges dafür, für übernahmerechtliche Zwecke davon auszugehen, dass der Bieter auch noch nach der Freigabe unter Auflagen analog § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 auf die Bedingung verzichten und das Angebot wirksam werden lassen kann (siehe auch unten Rz. 113a)4. Dieser „nachträgliche Bedingungsverzicht“ steht dem Bieter aber nur zur Verfügung, wenn die Freigabe unter Auflagen während der Annahmefrist erteilt wird, denn analog § 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ist der Verzicht auf eine Bedingung bis spätestens einen Werktag vor Ablauf der Annahmefrist zu veröffentlichen5. Ein Bedingungsverzicht nach Ablauf der Annahmefrist scheidet aus6, wenn man nicht bereit ist, die weitere Annahmefrist erst nach dem Eintritt sämtlicher Bedingungen anlaufen zu lassen (siehe unten Rz. 111). Gegen die „Wiedereröffnung“ des Angebots spräche wohl weniger das Beschleunigungsgebot7 als der Aspekt der Rechtssicherheit. Folglich müsste der Bieter, der an seinem Übernahmevorhaben festhalten will, ein weiteres Angebot abgeben. Weil die fusionskontrollrechtliche Prüfungsfrist gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 GWB 49 grundsätzlich vier Monate (bei Eintritt in das Hauptprüfverfahren) bzw. gemäß Art. 10 Abs. 3 FKVO grundsätzlich bis zu 90 Arbeitstage (falls die Kommission in eine vertiefte Untersuchung eintritt) beträgt, kann die Freigabe im Einzelfall erst nach dem Ablauf der Annahmefrist vorliegen. Die BaFin hat folgerichtig8 Abweichungen 1 Vgl. Ellenberger in Palandt, § 158 BGB Rz. 3. 2 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 13. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 26, 74. Der Bieter könnte den Eintritt des geschilderten Problems vermeiden, indem er das Angebot nicht unter die Bedingung der uneingeschränkten Freigabe, sondern lediglich allgemein unter die Bedingung der Freigabe stellt. Dann aber müsste er das Angebot auch gegen sich gelten lassen, wenn die Auflage nicht akzeptabel ist; dies ist nicht interessengerecht. 4 Eingehend Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 72; im Ergebnis ebenso Busch, AG 2002, 145, 146; Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 985; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 27; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 37; a.A. Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 22; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 13; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 286 (aber a.A. in Rz. 198); differenzierend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 32, der einen nachträglichen Verzicht für zulässig hält, sofern die Angebotsunterlage diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht. Die jüngere Praxis versucht das Problem dadurch zu lösen, dass anstelle von Angebotsbedingungen bloße Vollzugbedingungen im Sinne einer Fälligkeitsbestimmung verwendet werden, vgl. etwa Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13, S. 45 ff.; siehe dazu Seibt, CFL 2011, 213, 233; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 9, 17 f.; kritisch dazu Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 27 f. 5 Auch die übrigen Rechtsfolgen des § 21 – Rücktrittsrecht (Abs. 4) und Verlängerung der Annahmefrist (Abs. 5) – finden analoge Anwendung; im Ergebnis ebenso Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 986. 6 Im Ergebnis ebenso Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 985 f.; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 74. 7 Wenn man mit der zutreffenden Ansicht annimmt, dass das Angebot unter der Bedingung der kartellrechtlichen Freigabe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Ablauf der Annahmefrist stehen darf (siehe hierzu Rz. 49), erschiene es widersprüchlich, die Unzulässigkeit des nachträglichen Bedingungsverzichts auf das Beschleunigungsgebot zu stützen. 8 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 62; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 117; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 91; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 49, 69.
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vom Regelfall zugelassen, dass die Bedingung spätestens bis zum Ablauf der Annahmefrist eingetreten sein muss (siehe hierzu Rz. 108 ff.)1. Bis zu welchem Zeitpunkt die Bedingung eingetreten sein muss, ist durch Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu bestimmen (siehe unten Rz. 110). Bezieht sich die Bedingung auf eine für den Bieter extrem wichtige Freigabeentscheidung, kann der Eintritt der Bedingung mehrere Monate nach Ablauf der Annahmefrist immer noch zulässig sein2. 50
Zulässig ist auch die Bedingung, dass ein anderer als der mit dem Angebot verfolgte Zusammenschluss von der zuständigen Kartellbehörde freigegeben worden ist3. Hierfür besteht ein Bedürfnis, wenn die beiden Zusammenschlussvorhaben in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Das andere Zusammenschlussvorhaben muss bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage angemeldet sein, und der Bieter und die ihm zuzurechnenden Personen haben das Erforderliche zu tun, damit dieses andere Fusionskontrollverfahren ordnungsgemäß und ohne unnötige Verzögerung durchgeführt werden kann (siehe hierzu allgemein Rz. 43)4. 3. Sonstige behördliche Entscheidungen
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Die für den Kartellvorbehalt angestellten Erwägungen gelten entsprechend, wenn der Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft aus anderen Gründen von einer behördlichen Entscheidung im In- oder Ausland5 abhängt.
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Ist die Zielgesellschaft ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, hat der Bieter zu berücksichtigen, dass die BaFin den Erwerb bzw. die Erhöhung einer bedeutenden Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 9 KWG6 innerhalb von 60 Arbeitstagen nach Eingang der entsprechenden Absichtsanzeige untersagen kann (§ 2c Abs. 1a Satz 1 i.V.m. Abs. 1b Satz 1 KWG). Die Untersagung kommt insbesondere in Betracht, wenn der Erwerber nicht hinreichend zuverlässig ist oder aus anderen Gründen nicht den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Instituts zu stellenden Ansprüchen ge1 Beispiele bei Meyer-Lindemann in Baums/Thoma, Einleitung 4.112; Extremfall Übernahmeangebot RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG v 26.6.2002, Ziff. 11, S. 24 f. (über sechs Monate wegen absehbar erforderlicher Ministererlaubnis); Übernahmeangebot Lenovo Germany Holding GmbH/Medion AG vom 28.6.2011, Ziff. 13.1.1, S. 35 (über 3 Monate); Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.3 lit. (a), S. 49 (fast 6 Monate); Übernahmeangebot Grohe Asia AG/Joyou AG vom 28.3.2011, Ziff. 12.1.2, S. 49 (über 5 Monate). 2 Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 988; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 118 (drei bis vier Monate); Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 30. 3 So etwa im Fall des Übernahmeangebots RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG vom 19.6.2002, Ziff. 11, S. 24; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 68; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 38. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 68. 5 Beispielsweise bedarf der Erwerb von mehr als 5 % der Aktien einer Gesellschaft, die bestimmte Finanzdienstleistungen in den USA erbringt, der Genehmigung durch die Federal Reserve Bank of New York, vgl. Section 163 des Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act (Pub.L. 111-203). 6 Eine bedeutende Beteiligung an einem Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitut besteht gemäß § 1 Abs. 9 KWG dann, wenn unmittelbar oder mittelbar über ein oder mehrere Tochterunternehmen (§ 1 Abs. 7 KWG) oder ein gleichartiges Verhältnis oder im Zusammenwirken mit anderen Personen oder Unternehmen mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte des Instituts im Eigen- oder Fremdinteresse gehalten werden oder wenn auf die Geschäftsführung des Instituts ein maßgeblicher Einfluss (i.S.d. § 311 HGB) ausgeübt werden kann.
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nügt (§ 2c Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 KWG) oder – insbesondere für ausländische Bieter relevant1 – wenn die wirksame Aufsicht über das Institut durch die Verbindung mit dem Erwerber beeinträchtigt wird (§ 2c Abs. 1b Satz 1 Nrn. 2 und 3 KWG). Die BaFin kann u.a. dem Erwerber die Ausübung der Stimmrechte untersagen, die Verfügung über die Anteile an dem Institut an ihre Zustimmung binden, die Ausübung der Stimmrechte auf einen Treuhänder übertragen und beim zuständigen Gericht die Bestellung eines Veräußerungstreuhänders beantragen (§ 2c Abs. 2 Satz 1 bis 4 KWG). Wenn ein Versicherungsunternehmen an dem Übernahmevorhaben beteiligt ist, sind 53 verschiedene versicherungsaufsichtsrechtliche Beschränkungen zu beachten. Ist die Zielgesellschaft ein Erstversicherungsunternehmen, kann die BaFin – ähnlich wie bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten – den Erwerb bzw. die Erhöhung einer bedeutenden Beteiligung i.S.d. § 7a Abs. 2 Satz 3 VAG2 innerhalb von 60 Arbeitstagen nach Eingang der entsprechenden Absichtsanzeige untersagen (§ 104 Abs. 1a Satz 1 i.V.m. Abs. 1b Satz 1 und 2 VAG). Die Untersagung kommt insbesondere in Betracht, wenn der Erwerber nicht hinreichend zuverlässig ist oder aus anderen Gründen nicht den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Versicherungsunternehmens zu stellenden Ansprüchen genügt (§ 104 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 VAG) oder wenn die wirksame Aufsicht über das Versicherungsunternehmen durch die Verbindung mit dem Erwerber beeinträchtigt wird (§ 104 Abs. 1b Satz 1 Nrn. 2 und 3 VAG)3. Die BaFin kann dem Erwerber u.a. die Ausübung der Stimmrechte untersagen, die Verfügung über die Anteile an dem Versicherungsunternehmen an ihre Zustimmung binden, die Ausübung der Stimmrechte auf einen Treuhänder übertragen und beim zuständigen Gericht die Bestellung eines Veräußerungstreuhänders beantragen (§ 104 Abs. 2 Satz 2 bis 6 VAG). Vorstehendes gilt seit dem 21.12.2004 auch für Rückversicherungsunternehmen (§ 121a Abs. 1 Satz 1 VAG). Ist der Bieter ein Erstversicherungsunternehmen, kann die BaFin die Beteiligung an einem Nicht-Versicherungsunternehmen untersagen (§ 82 VAG). Ein Beteiligungserwerb eines Erstversicherers im Rahmen der Anlage des gebundenen Vermögens gemäß § 54 Abs. 1 VAG, der die auf das gebundene Vermögen bezogenen Grenzen des § 3 Abs. 3 der Anlageverordnung (AnlV)4 überschreitet, bedarf gemäß § 2 Abs. 2 AnlV der Genehmigung durch die BaFin; ein Beteiligungserwerb, der 10 % des Nennkapitals der erworbenen Gesellschaft übersteigt, ist der BaFin gemäß § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VAG anzuzeigen. In den Fällen des § 2c KWG und der § 104 VAG und § 82 VAG kann der Bieter – anders als im Rahmen der kartellrechtlichen Fusionskontrolle – die Wirksamkeit des Angebots nicht von einer Freigabeentscheidung abhängig machen. Will er die vorste1 Vgl. v. Schenck in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 18 Rz. 15 ff.; Hirschmann, Anteilseignerkontrolle im Versicherungs- und Kreditwirtschaftsrecht, 2000, S. 122 ff. 2 Eine bedeutende Beteiligung an einer Versicherungsaktiengesellschaft besteht gemäß § 7a Abs. 2 Satz 3 VAG dann, wenn, ob im Eigen- oder im Fremdinteresse, unmittelbar oder mittelbar über ein oder mehrere Tochterunternehmen (§ 7a Abs. 3 Satz 6 VAG) oder ein gleichartiges Verhältnis oder durch Zusammenwirken mit anderen Personen oder Unternehmen mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte der Gesellschaft gehalten werden oder wenn auf die Geschäftsführung der Gesellschaft maßgeblicher Einfluss (i.S.d. § 311 HGB) ausgeübt werden kann. 3 Vgl. Kollhosser in Prölss, 12. Aufl. 2005, § 104 VAG Rz. 12 ff.; Hirschmann, Anteilseignerkontrolle im Versicherungs- und Kreditwirtschaftsrecht, 2000, S. 122 ff.; Weber-Rey in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 19 Rz. 17 ff. 4 Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens von Versicherungsunternehmen (Anlageverordnung – AnlV) vom 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3913, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.2.2011, BGBl. I 2011, 250.
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hend geschilderten Risiken nicht eingehen, muss er das Angebot unter die Bedingung stellen, dass die BaFin den beabsichtigten Beteiligungserwerb nicht untersagt. Weil die Bedingung grundsätzlich während der Annahmefrist eintreten muss (siehe unten Rz. 108 ff.), muss er seine internen Entscheidungsprozesse, die Abgabe der Absichtsanzeige gemäß § 2c Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 6 KWG oder § 104 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 6 VAG und das Angebotsverfahren so miteinander koordinieren, dass die Untersagungsfrist gemäß § 2c Abs. 1a Satz 1 KWG bzw. § 104 Abs. 1a Satz 1 VAG1 vor dem Ende der Annahmefrist abläuft. Die Absichtsanzeige setzt die Beschlussfassung der Geschäftsleitung und, soweit erforderlich, des Aufsichtsrats voraus2; folglich müssen die Absichtsanzeige und die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 in engem zeitlichen Zusammenhang erfolgen3. Die Untersagungsfrist beträgt 60 Arbeitstage ab Eingang der vollständigen Absichtsanzeige. Wenn der Bieter die Übermittlungsfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 ausschöpft (vier Wochen), man für die Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin die Regel-Prüfungsfrist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 veranschlagt (zehn Werktage, d.h. knapp zwei Wochen) und der Bieter die längste gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 mögliche Annahmefrist wählt (zehn Wochen), liegen zwischen der Absichtsanzeige und dem Ablauf der Annahmefrist ca. sechzehn Wochen, d.h. knapp vier Monate. 55
Demnach kann der Bieter das Angebotsverfahren in den Fällen des § 2c KWG bzw. § 104 VAG so strukturieren, dass vor Ablauf der Annahmefrist feststeht, ob die BaFin den Beteiligungserwerb untersagt oder nicht. In der Regel erfolgt ohnehin eine informelle Vorabsprache.
55a Bis zum Jahr 2009 beschränkte sich die außenwirtschaftliche Erwerbs- und Beteiligungskontrolle auf besonders sicherheitsrelevante Industrien4. Im Zuge der Reform durch das 13. Gesetz zur Änderung des AWG und des AWV5 wurden die Befugnisse zur Kontrolle ausländischer Investitionen erheblich ausgedehnt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) kann nunmehr gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 6 AWG i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 4 AWV einen Erwerb oder eine Beteiligung an einem Unternehmen von mindestens 25 % durch einen außereuropäischen Investor untersagen, wenn infolge dessen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist. Vom Anwendungsbereich sind auch mittelbare Erwerbe erfasst, d.h. Anteilserwerbe an einem gebietsansässigen Unternehmen, das seinerseits Anteile an einem gebietsansässigen Unternehmen hält6. Dadurch soll eine Umgehung der Kontrollbefugnisse durch die Zwischenschaltung eines Akquisitionsvehikels verhindert werden7. 55b Das BMWi kann gemäß § 53 AWV innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt des Abschlusses des Erwerbsgeschäfts (bei öffentlichen Angeboten ab Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots oder der Veröffentlichung der Kontrollerlangung) entscheiden, ob es den Erwerb prüfen will. Zwar obliegt weder dem Erwerber noch der Zielgesellschaft eine Anzeige- oder Meldepflicht8, allerdings übermittelt die BaFin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 die erforderlichen Informationen 1 2 3 4 5 6 7 8
Im Fall des § 82 VAG ist eine Untersagungsfrist nicht vorgesehen. Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 2c KWG Rz. 5. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 80. Vgl. dazu Krause, BB 2009, 1082. BGBl. I 2009, 770 v. 23.4.2009. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/10730 v. 30.10.2008, S. 13. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 76; Krause, BB 2009, 1082, 1086. Kiem, CFL 2011, 179, 183; Marquardt/Pluskat, DStR 2009, 1314, 1318.
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an das BMWi. Schließlich kann der Erwerb innerhalb weiterer zwei Monate untersagt werden (§ 53 Abs. 2 Satz 4 AWV). Während des Prüfverfahrens besteht kein Vollzugsverbot1. Gemäß § 31 Abs. 3 AWG steht jedoch der schuldrechtliche Vertrag für die Dauer des Verfahrens unter der auflösenden Bedingung der Untersagung. Es besteht damit die Gefahr, dass im Falle einer Untersagungsverfügung das bereits durchgeführte Angebot nach den §§ 812 ff. BGB rückabgewickelt werden muss2. Eine erhebliche Verkürzung des Verfahrens bewirkt die Möglichkeit der Erteilung ei- 55c ner Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 53 Abs. 3 AWV. Erforderlich ist ein schriftlicher Antrag, der den geplanten Erwerb, den Erwerber und dessen Geschäftsfeld in den Grundzügen darstellt; er kann bereits im Vorfeld der Transaktion gestellt werden3. Stehen dem Erwerb keine Bedenken im Hinblick auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entgegen, besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung4. Die Bescheinigung gilt als erteilt, wenn das BMWi nicht innerhalb eines Monats ein Prüfverfahren einleitet (§ 53 Abs. 3 Satz 2 AWV). Im Ergebnis besteht gegen eine Bedingung, die das Angebot von einer unterbliebenen Untersagung durch das BMWi oder der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung abhängig macht, keine Bedenken5.
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Je nach Lage der Dinge können weitere Genehmigungsvorbehalte nach sonstigen 56 Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts6 oder nach haushaltsrechtlichen Vorschriften7 bestehen. Auch in diesen Fällen kann der Bieter sein Angebot unter die Bedingung stellen, dass die erforderliche Freigabe bzw. Unbedenklichkeitsbestätigung erteilt oder der Beteiligungserwerb innerhalb der Annahmefrist nicht untersagt wird. Dem Bieter ist es nicht verwehrt, die Wirksamkeit seines Angebots von der Erteilung einer bestimmten verbindlichen Auskunft der Finanzbehörden zu einschlägigen steuerlichen Fragen abhängig zu machen8. In der Praxis werden diese Fragen jedoch regelmäßig vor der Entscheidung des Bieters zur Abgabe des Angebots geklärt.
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4. Gesellschafterbeschlüsse des Bieters Der Wortlaut des § 18 Abs. 1 („vorbehaltlich § 25“) lässt es zu, dass der Bieter die 58 Wirksamkeit seines Angebots von der Zustimmung der eigenen Gesellschafterver1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 43; Krause, BB 2009, 1082, 1085. 2 Kiem, CFL 2011, 179, 182; Marquardt/Pluskat, DStR 2009, 1314, 1319; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2009, 833, 841; vgl. dazu auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/10730 v. 30.10.2008, S. 15. 3 Vgl. etwa Übernahmeangebot OEP Technologie B.V./SMARTRAC N.V. vom 11.10.2010, Ziff. 12.4, S. 26; Übernahmeangebot Pelikan International Corporation Berhad/Herlitz AG vom 11.1.2010, Ziff. 14.2, S. 48. Die Bearbeitung seitens des BMWi erfolgt in aller Regel kurzfristig, vgl. Kiem, CFL 2011, 179, 183 (je nach Sachverhalt bereits innerhalb von 10 Tagen). 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 44; Krause, BB 2009, 1082, 1085. 5 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 77; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 43; vgl. auch Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.1.3. lit. (a), S. 46; Übernahmeangebot Shield Bitco Limited/Utimaco Safeware AG vom 10.6.2010, Ziff. 13.1.2, S. 31. 6 Hierzu eingehend Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 50 ff. 7 Etwa § 65 Abs. 3 BHO; vgl. DB Sechste Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH/Stinnes AG vom 6.8.2002, Ziff. 11.1. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 54.
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sammlung abhängig macht1. Diese Ausnahme ist erforderlich, weil der Bieter gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 (vorbehaltlich einer Befreiung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3) verpflichtet ist, seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zu veröffentlichen, auch wenn ein hierfür erforderlicher Beschluss seiner Gesellschafterversammlung noch nicht gefasst ist2. Gemäß § 25 muss dieser Beschluss spätestens fünf Werktage vor Ablauf der Annahmefrist herbeigeführt werden3. Das gilt allerdings nicht für einen im Zusammenhang mit dem Angebot stehenden Kapitalerhöhungsbeschluss des Bieters. Dieser muss vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorliegen (siehe unten Rz. 71). Dass die Wirksamkeit des Angebots von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung des Bieters abhängig sein kann, birgt verschiedene Risiken. a) Anfechtungsrisiko 59
Deutsche Publikumsgesellschaften, die als Bieter agieren und die Wirksamkeit des Angebots von der Zustimmung der eigenen Hauptversammlung abhängig machen, laufen regelmäßig Gefahr, dass der Hauptversammlungsbeschluss von einzelnen Aktionären mit Anfechtungsklagen angegriffen wird. Die Rechtswirkungen des Hauptversammlungsbeschlusses entfallen ex tunc mit Rechtskraft des der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils4. Der Regelung des § 25, die die Beschlussfassung bis spätestens fünf Tage vor Ablauf der Annahmefrist genügen lässt, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber das Anfechtungsrisiko für akzeptabel gehalten hat. Demnach ist es zulässig, die Zustimmung der Hauptversammlung ohne weitere Sicherungsmaßnahmen wie Anfechtungsverzichte etc. zur Bedingung zu erheben. Dem Bieter steht es frei, dieses Risiko einzugehen oder vorzusehen, dass das Angebot nur wirksam wird, wenn während der Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) keine Anfechtungsklage erhoben wird5. Entscheidet sich der Bieter für Letzteres, muss er die Beschlussfassung seiner Hauptversammlung grundsätzlich so terminieren, dass die Anfechtungsfrist vor dem Ablauf der Annahmefrist endet, denn grundsätzlich muss bis zum Ablauf der Annahmefrist Klarheit darüber herrschen, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht (siehe unten Rz. 108). Aus der Sicht des Bieters erscheint es interessengerecht, in Bezug auf Gesellschafterbeschlüsse gemäß § 25 eine Ausnahme von diesem Grundsatz zuzulassen, denn die Bestandskraft eines erforderlichen Beschlusses ist für die Durchführbarkeit des Angebots von zentraler Bedeutung6. b) Rechtlich nicht erforderlicher Gesellschafterbeschluss
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Verbreitet wird es als missbräuchlich angesehen, dass das Geschäftsführungsorgan des Bieters das Angebot unter die Bedingung einer rechtlich nicht erforderlichen Zustimmung der Gesellschafterversammlung stellt; damit werde die vom Gesetz bezweckte rechtliche Bindung an das Angebot unterlaufen. Daher soll die Bedingung nur zulässig sein, wenn die Zustimmung der Gesellschafterversammlung nach den Binnenregeln der Bietergesellschaft oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen
1 Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/7477, S. 52; so auch schon Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48. 2 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Krause, NJW 2002, 705, 709. 3 Kritisch hierzu Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 217. 4 Hüffer, § 248 AktG Rz. 4 ff. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 79; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 13 Fn. 35; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 87. 6 Mielke, DB 2012, 1969, 1971; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 13.
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erforderlich ist1. Dem wäre zuzustimmen, wenn sich die Erforderlichkeit bis zum Ablauf der Prüfungsfrist des § 14 Abs. 2 rechtssicher feststellen ließe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Seit der „Holzmüller“-Entscheidung des BGH2 war in der Literatur umstritten, ob der Erwerb von Unternehmen und Beteiligungen einen Hauptversammlungsbeschluss erfordert3. Daher wurde, wenn das Angebot Teil einer komplexeren Gesamttransaktion war, aus Gründen der Vorsicht regelmäßig die Hauptversammlung befragt4. Nachdem die „Gelatine“-Entscheidungen des BGH vom 26.4.20045 in Bezug auf den Beteiligungserwerb keine abschließende Klarheit geschaffen haben6, kann sich ein gewissenhafter und vorsichtiger Vorstand nach wie vor veranlasst sehen, die Hauptversammlung vorsorglich zu befragen. Hierzu ist er gemäß § 119 Abs. 2 AktG auch berechtigt. Es erscheint nicht sachgerecht, dieses Recht aus Gründen der übernahmerechtlichen Missbrauchsprävention auszuhöhlen7. Ein Missbrauch sollte, wenn überhaupt, nur dann angenommen werden, wenn die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zweifelsfrei nicht erforderlich ist8. c) Einschaltung eines Angebotsvehikels In der Mehrzahl der bisher durchgeführten Angebotsverfahren fungierte als Bieter ei- 61 ne Zweckgesellschaft (special purpose vehicle), die von dem wirtschaftlich hinter dem Angebot stehenden Investor für die Abgabe des Angebots gegründet worden war. Wenn der Investor Alleingesellschafter des Angebotsvehikels ist und das Vehikel die Zustimmung seiner Gesellschafterversammlung zur Bedingung des Angebots erhebt, wird dies allgemein als missbräuchlich angesehen: Die Bedingung würde nämlich re-
1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 25; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 11. 2 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158. 3 Dafür etwa Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 850 ff.; Baums/Vogel in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 9.27; Bouchon/Müller-Michaels in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2010, Teil XI Rz. 69 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 42; dagegen etwa Groß, AG 1994, 266, 271 ff.; Timm, ZIP 1993, 114, 117; Wollburg/Gehling in FS Lieberknecht, 1997, S. 133, 152; Busch, AG 2002, 145, 148. 4 So etwa in den Fällen Daimler/Chrysler, Hoechst/Rhône-Poulenc und den nicht zur Durchführung gelangten Vorhaben VIAG/Algroup, Deutsche Telekom/Telecom Italia; zum Ganzen Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209, 1223, 1225. Siehe auch das freiwillige Erwerbsangebot der Nordag AG/B.U.S. Berzelius Umwelt-Service AG vom 12.7.2002, Ziff. 5, S. 8 f. (Holzmüller-Beschluss der Hauptversammlung des Bieters als Bedingung). 5 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575; hierzu Bungert, BB 2004, 1345; Fuhrmann, AG 2004, 339; Götze, NZG 2004, 58. 6 Götze, NZG 2004, 585, 588 (kein Beschluss erforderlich); zweifelnd Bungert, BB 2004, 1345, 1350. 7 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405 (noch vor „Gelatine“) und Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 693 (nach „Gelatine“). 8 Ähnlich Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 75; Thoma, NZG 2002, 105, 107; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 86; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 227, 246 f.; a.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 25; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 11 (Zulässigkeit nur, wenn Zustimmung der Hauptversammlung rechtlich zwingend); noch anders Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 12; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 189 ff. (Erforderlichkeit des Gesellschafterbeschlusses irrelevant).
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gelmäßig nicht der Einhaltung der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung dienen, sondern – als reine Formsache – dem Investor ein verdecktes Rücktrittsrecht einräumen1. 62
Wie dieses Problem zu lösen ist, ist umstritten: Eine Auffassung will § 162 BGB anwenden2. Demnach wäre es zulässig, das Angebot mit der Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu veröffentlichen. Wenn die Zustimmung nicht erteilt wird, müssten die Wertpapierinhaber, die das Angebot angenommen haben, den Bieter auf Erfüllung in Anspruch nehmen. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 162 BGB wären sie beweispflichtig. Wegen der möglichen Beweisschwierigkeiten und wegen der Unsicherheit über die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises der Zielgesellschaft bis zur Beendigung des Rechtsstreits ist diese Lösung mit den Schutzzwecken des WpÜG jedoch nur bedingt vereinbar.
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Vielmehr wäre es interessengerecht, die Zulässigkeit der Bedingung im Gestattungsverfahren zu klären. In diesem Rahmen wäre der in § 18 Abs. 1 zugunsten der Gesellschafterversammlung gemachte Vorbehalt entsprechend dem Willen des Gesetzgebers3, dem Charakter des § 25 als Ausnahmevorschrift und dem Schutzzweck des § 18 Abs. 1 restriktiv auszulegen. Außerdem wäre zu berücksichtigen, dass die Einschaltung eines Vehikels nicht den vom Gesetzgeber vorausgesetzten Regelfall darstellt. Daher wird erwogen, den hinter dem Angebotsvehikel stehenden Investor entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 4 als „Bieter“ anzusehen4. Vorzugswürdig erscheint es demgegenüber, den Investor, der die Aktien der Zielgesellschaft jedenfalls mittelbar erwirbt, als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person i.S.d. § 2 Abs. 5 zu qualifizieren5. Weil die Entscheidung über die Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung des Angebotsvehikels auf der Ebene des Investors regelmäßig eine Geschäftsführungsangelegenheit ist, unterläge das Angebot einer Bedingung, die von einer mit dem Bieter gemeinsam handelnden Person ausschließlich herbeigeführt werden kann. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 ergäbe sich zwanglos, dass eine solche Bedingung unzulässig wäre6.
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Der Fall, dass das als Bieter fungierende Angebotsvehikel ein joint venture mehrerer an dem Angebot wirtschaftlich interessierter Personen ist, ist nach den gleichen Grundsätzen zu lösen. Wenn sämtliche Gesellschafter des Vehikels als gemeinsam handelnde Personen i.S.d. § 2 Abs. 5 zu qualifizieren sind, wäre die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung des Vehikels gemäß § 18 Abs. 1 unzulässig (zum Zusammenwirken mehrerer Personen siehe oben Rz. 27).
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Wenn die als Bieter fungierende Gesellschaft Minderheitsgesellschafter hat, die nicht als gemeinsam handelnde Personen i.S.d. § 2 Abs. 5 qualifiziert werden können, liegt der in § 25 vorausgesetzte Regelfall vor. Hier dient die Befassung der Gesellschafter1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; ferner DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425; Land/Hasselbach, DB 2000, 1747, 1751; Liebscher, ZIP 2001, 853, 862; Oechsler, NZG 2001, 817, 821; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 23; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 14. 2 Oechsler, NZG 2001, 817, 821; Busch, AG 2002, 145, 146; Tröger, DZWiR 2002, 353, 360. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48. 4 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 44. 5 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 14. 6 Im Ergebnis ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 23; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 30; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 89; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 44; nicht ganz eindeutig Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 74, § 25 Rz. 13.
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versammlung des Bieters regelmäßig der Wahrung der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung und dem Schutz der Minderheitenrechte. Folglich wäre die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung in diesem Fall grundsätzlich zulässig. Gleichwohl kann der Zustimmungsvorbehalt missbräuchlich sein, etwa wenn die Verwaltung des Bieters im Einvernehmen mit dem Mehrheitsgesellschafter handelt und eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung des Bieters vor der Entscheidung zur Abgabe des Angebots unter Wahrung der Vertraulichkeit und Suspendierung von der Veröffentlichungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 möglich gewesen wäre1. Im Einzelfall können die Dinge auch so liegen, dass die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft die Bedingung de facto ausschließlich selbst herbeiführen kann2. Die oben in Rz. 63 dargelegten Überlegungen sprechen dafür, derartige Fälle nicht über § 162 BGB zu lösen, sondern bereits im Gestattungsverfahren zu prüfen, ob eine missbräuchliche Umgehung des § 18 Abs. 1 vorliegt. Wenn die Angebotsunterlage mit der fraglichen Bedingung veröffentlicht wird, weil ein Missbrauch zunächst verneint wird, sich der Missbrauch aber später herausstellt, ist immer noch Raum für die Anwendung des § 162 BGB. d) Gesellschafterbeschlüsse der Muttergesellschaft des Bieters Macht der Bieter sein Angebot von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung 66 seiner Muttergesellschaft abhängig, ist dies grundsätzlich eine unzulässige Potestativbedingung, weil eine mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person (siehe oben Rz. 63) den Eintritt der Bedingung ausschließlich selbst herbeiführen kann3. Die Legalausnahme des § 25 greift nicht ein, weil sie nur für Gesellschafterbeschlüsse des Bieters gilt. Wenn allerdings ein eigens für die Abgabe des Angebots gegründetes Angebotsvehikel als Bieter im Sinne des Gesetzes fungiert und die Muttergesellschaft wirtschaftlich gesehen der Bieter ist, kann die Verpflichtung des Vehikels zur Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 unter Umständen mit der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft in Konflikt geraten. Bei teleologischer Betrachtung sind die § 18 Abs. 1, § 25 weit auszulegen, so dass es zulässig wäre, in derartigen Fällen auf die Beschlussfassung bei der Muttergesellschaft abzustellen4. Dies muss auch gelten, falls das Angebot von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung einer gemeinsam handelnden Person i.S.d. § 2 Abs. 5 Satz 1 abhängig gemacht wird5. 5. Verfügbarkeit der Gegenleistung a) Allgemeines Die Bedingung, dass dem Bieter die für die Erfüllung der zustande kommenden Kauf- 67 bzw. Tauschverträge erforderlichen Mittel bei Ablauf der Annahmefrist zur Verfügung stehen oder dass dem Bieter gegebene Kreditzusagen bis zur vollständigen Abwicklung des Angebots aufrecht erhalten und nicht eingeschränkt werden (Finan1 2 3 4
BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 74. Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 23. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 83. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 77, 89, § 25 Rz. 13; im Ergebnis auch Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 109; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 99 f. 5 Vgl. Übernahmeangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Ziff. 6.7, S. 32 und Ziff. 14.1 lit. (c), S. 90 (Zustimmung der NYSE Euronext Aktionäre).
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zierungsvorbehalt), wird teilweise als Verstoß gegen § 18 Abs. 1 angesehen1. Ein Verstoß gegen § 18 Abs. 1 läge allerdings nur vor, wenn der Bieter die Gegenleistung aus eigenen Mitteln aufbringt oder die kreditgebenden Banken – ausnahmsweise2 – als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen oder als Berater zu qualifizieren wären. Finanzierungsvorbehalte sind jedoch nicht nur an § 18 Abs. 1, sondern auch an § 13 Abs. 1 Satz 1 zu messen. Nach dieser Vorschrift trägt der Bieter die Finanzierungsverantwortung für sein Angebot; dies gilt für Kauf- und Tauschangebote gleichermaßen (siehe § 13 Rz. 1). Hiernach wäre jedenfalls ein unbeschränkter Finanzierungsvorbehalt unzulässig3. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob einzelne Umstände, die zu den Voraussetzungen der Verfügbarkeit der Gegenleistung gehören, zur Bedingung erhoben werden können. b) Kaufangebote 68
Bei fremdfinanzierten Angeboten ist fraglich, ob und inwieweit der Bieter das Angebot davon abhängig machen darf, dass die Kreditzusage wegen des Eintritts einer in der Kreditzusage als material adverse change („MAC“) definierten wesentlichen Verschlechterung widerrufen wird4. Für die Beantwortung der Frage ist auf die Umstände abzustellen, auf die sich die fragliche MAC-Klausel bezieht. Zunächst sind solche Bedingungen auszuscheiden, deren Eintritt der Bieter oder eine mit ihm zusammenwirkende Person oder deren Tochterunternehmen allein herbeiführen kann; die Übernahme derartiger MAC-Klauseln in das Angebot verstieße gegen § 18 Abs. 15. Weiterhin ist zu prüfen, ob die als MAC definierten Umstände von der Finanzierungsverantwortung des Bieters umfasst sind; die Übernahme derartiger MAC-Klauseln verstieße gegen § 13 Abs. 1 Satz 1. Insoweit ist zu unterscheiden: Die wesentliche Verschlechterung von Umständen in der Sphäre der Zielgesellschaft (target MAC) und die wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (economy MAC) haben mit der Finanzierungsverantwortung des Bieters regelmäßig nichts zu tun; sie können – in den durch das Bestimmtheitsgebot gesteckten Grenzen – in die Angebotsunterlage übernommen werden (näher hierzu in Rz. 91 f.). Inwieweit der Widerruf der Kreditzusage wegen der wesentlichen Verschlechterung von Umständen in der Sphäre des Bieters (bidder MAC) zur (auflösenden) Bedingung erhoben werden darf, ist streitig6. Wenn man zutreffend davon ausgeht, dass der Bieter im Verhältnis zu seinen Kreditgebern nicht verpflichtet ist, die Geltung des § 490 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 84; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 34 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 22. 2 Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 2 Rz. 122. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 138; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 142 f.; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 172 f.; Busch, AG 2002, 145, 147; Liebscher, ZIP 2001, 853, 862. Siehe zum Spannungsfeld Angebots- und Finanzierungssicherheit vs. Ausstiegsoptionalität A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226 ff. 4 Die Finanzierungsbestätigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 darf keine derartigen Vorbehalte enthalten; siehe § 13 Rz. 103. 5 Busch, AG 2002, 145, 147. A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 253 f., der aus der Sphäre des Bieters stammende Umstände, die zur Kündigung eines zur Finanzierung des Angebots aufgenommenen Kredits berechtigen, jedenfalls dann als Angebotsbedingung zulässig erachtet, wenn sie außerplanmäßig sind und ihr Eintritt objektiv feststellbar ist. 6 Dafür Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 205; dagegen Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 85; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 142. Vermittelnd A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 226, 253 f.
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BGB abzubedingen (siehe hierzu § 13 Rz. 57 f.), wäre es grundsätzlich zulässig, den Widerruf der Kreditzusage wegen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bieters in einem den Anforderungen des § 490 BGB genügenden Ausmaß zur Bedingung zu erheben1. Soweit der Bieter die erforderlichen Geldmittel durch eine Kapitalerhöhung auf- 69 nimmt und nicht durch einen Überbrückungskredit zwischenfinanziert, gelten die sogleich in Rz. 70 ff. dargestellten Grundsätze entsprechend. c) Tauschangebote Besteht die Gegenleistung in Wertpapieren, erscheinen aus der Sicht des Bieters verschiedene Bedingungen empfehlenswert – insbesondere dann, wenn die Gegenleistung den Anforderungen des § 31 Abs. 2 genügen muss. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich wie folgt:
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aa) Generierung der Wertpapiere Gemäß § 31 Abs. 2 ist nicht erforderlich, dass die als Gegenleistung zu gewährenden 71 Aktien bereits bei Beginn der Annahmefrist existieren (siehe § 31 Rz. 50). Der Bieter kann also neue Aktien ausgeben, deren Entstehung die Leistung der Sacheinlage – d.h. die Übereignung der Aktien der Zielgesellschaft an den Bieter – und die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister voraussetzt. Mit Rücksicht auf die Finanzierungsverantwortung des Bieters gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 ist vom Bieter jedenfalls zu verlangen, dass er die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgen wird. Das Angebot darf daher nicht unter die Bedingung gestellt werden, dass ein entsprechender Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst wird. Dieser muss vielmehr bereits bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorliegen (siehe hierzu § 13 Rz. 64 ff.)2. Ob der Bieter sein Angebot auch von der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlus- 72 ses oder der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung abhängig machen darf, ist streitig. Nach einer Auffassung soll der Vorbehalt der Schaffung neuer Aktien in Tauschangeboten generell unzulässig sein3. Die Gegenauffassung tritt dafür ein, dass auch die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses4 oder auch die Eintra-
1 Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 205; Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 688 f.; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 85; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 112; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 50. Die bislang veröffentlichten Angebotsunterlagen sehen alle keinen bidder MAC vor. 2 Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 284; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 13 Rz. 5; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 56; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 22; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 14; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 13 Rz. 57; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 29; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 144; A. Meyer in Mülbert/Wittig/Kiem, 10 Jahre WpÜG, S. 227, 238 f., 247, 255; J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1385 ff. Das entspricht der Verwaltungspraxis der BaFin, siehe Ausführungen im Jahresbericht der BaFin für 2010, S. 222 zum Übernahmeangebot der ACS S.A. an die Aktionäre der Hochtief AG; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 87. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 37; wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 3. 4 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 112; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 22; J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1388; un-
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gung der Durchführung der Kapitalerhöhung1 zur Bedingung des Angebots erhoben werden kann. Dieser Auffassung ist zu folgen. Wenn der Bieter die Möglichkeit der Verlängerung der Übermittlungsfrist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 in Anspruch nimmt, kann er die zeitlichen Abläufe so strukturieren, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss noch vor der Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin gefasst wird. Hiermit würde er seiner Finanzierungsverantwortung genügen. Die Bedingung der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses schützt ihn im Wesentlichen vor dem Risiko, neue Aktien liefern zu müssen, obwohl der Kapitalerhöhungsbeschluss Gegenstand von Anfechtungsklagen geworden ist. Zur Übernahme des Anfechtungsrisikos ist er jedoch nicht verpflichtet (siehe zum Ganzen § 13 Rz. 46, 68). Die weitergehende Bedingung der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung schützt den Bieter davor, dass ein Aktionär nach Eintragung der Kapitalerhöhung versucht, die Durchführung noch zu verhindern2. Die Frage, bis wann eine Bedingung spätestens eingetreten bzw. ausgefallen sein muss (siehe im Einzelnen unten Rz. 108 ff.), spielt bei der Angebotskapitalerhöhung eine besonders große Rolle, da Anfechtungsklagen den Prozess in die Länge ziehen können und die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung erst erfolgen kann, nachdem die Sacheinlage erbracht ist (§§ 188 Abs. 2 Satz 1, 36a Abs. 2, 36 Abs. 1 AktG). Hier ist es ausnahmsweise zulässig, dass die Frist für den Eintritt der Bedingung erst nach Ablauf der Annahmefrist endet3. bb) Börsenzulassung 73
Gemäß § 31 Abs. 2 ist nicht erforderlich, dass die als Gegenleistung gewährten Aktien schon zu Beginn der Annahmefrist zum Handel an einem organisierten Markt gemäß § 2 Abs. 7 zugelassen sind (siehe § 31 Rz. 54). Vielmehr genügt es, wenn die Zulassung vor der Übereignung an die Adressaten des Angebots bewirkt worden ist4. Soweit die als Gegenleistung vorgesehenen neuen Aktien an einer deutschen Wert-
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klar Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 56; Sohbi in Heidel, § 18 WpÜG Rz. 3 Fn. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 14 Fn. 26. Busch, AG 2002, 145, 147; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 112; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 87; A. Meyer in Mülbert/Wittig/ Kiem, 10 Jahre WpÜG, S. 227, 255; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 9; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 22; J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1390. Das entspricht der Verwaltungspraxis der BaFin, s. dazu das Übernahmeangebot ACS S.A./Hochtief AG vom 1.12.2010, Ziff. 13.1.6, S. 45 f. und das Übernahmeangebot Delta Beteilungen AG/Beta Systems Software AG vom 22.2.2006, Ziff. 5.7 lit. (b) und (c), S. 13. J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1390, der zu Recht darauf hinweist, dass die zusätzliche Bedingung der Wertprüfung durch einen unabhängigen Prüfer (§ 183 Abs. 3 AktG) nicht mehr nötig ist. Vgl. Krause, ZGR 2002, 500, 515; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 145; J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1389, 1393 (6 Monate); siehe dazu das Übernahmeangebot Delta Beteiligungen AG/Beta Systems Software AG vom 22.2.2006, das als aufschiebende Bedingung unter anderem vorsah, dass der Sachkapitalerhöhungsbeschluss und die Durchführung dieser Sachkapitalerhöhung bis zum 15.9.2006 in das Handelsregister eingetragen wird, Ziff. 5.7 lit. (b) und (c), S. 13 (knapp 6 Monate nach dem Ende der Annahmefrist am 22.3.2006). Siehe auch Übernahmeangebot ACS S.A./Hochtief AG vom 1.12.2010, Ziff. 13.1.6, S. 45 f. (keine Untersagung der Durchführung der Angebotskapitalerhöhung beim Eintritt der letzten unerfüllten Vollzugsbedingung, die bis spätestens 30.6.2011 erfüllt sein mussten) und Ziff. 13.4, S. 46 (auflösende Bedingung für den Fall, dass die Angebotskapitalerhöhung nicht binnen eines Monats nach Zurverfügungstellung der eingereichten Aktien eingetragen ist). BT-Drucks. 14/7034, S. 55.
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papierbörse zugelassen werden sollen, wäre ihre Zulassung vor dem Ablauf der Annahmefrist gar nicht möglich, weil die deutschen Wertpapierbörsen nur Aktien zulassen, die bereits zur Entstehung gelangt sind1, die neuen Aktien aber erst mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister – d.h. nach dem Ablauf der Annahmefrist – entstehen. Da der Bieter – vom Fall des § 32 Abs. 4 BörsG abgesehen – beim Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 3 BörsG zwar einen einklagbaren Anspruch auf Zulassung hat2, diese aber nicht garantieren kann, sollte im Interesse des Bieters, der gemäß § 31 Abs. 2 an einem regulierten Markt zugelassene Aktien liefern muss, und im Interesse der Aktionäre auch die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel eine zulässige Bedingung sein3. Weil der Bieter die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel nicht garantieren kann, er aber gemäß § 31 Abs. 2 nur börsenzugelassene Wertpapiere an die Aktionäre der Zielgesellschaft übereignen darf, hat er kaum eine andere Wahl, als die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel als Bedingung vorzusehen4. Mit Rücksicht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 ist der Bieter allerdings gehalten, alles Erforderliche zu tun, um das Zulassungsverfahren ordnungsgemäß und zügig durchzuführen (siehe hierzu § 13 Rz. 79).
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cc) Veränderungen des Börsenkurses Bei Tauschangeboten könnte sich die Bedingung empfehlen, dass der Kurs der Aktie des Bieters während der Annahmefrist einen bestimmten Wert nicht überschreitet. Mit dieser Bestimmung kann sich der Bieter davor schützen, die als Gegenleistung vorgesehenen neuen Aktien unter Verstoß gegen § 255 Abs. 2 AktG „zu billig“ auszugeben, bzw. ganz allgemein verhindern, die Beteiligung seiner Altaktionäre über ein bestimmtes Niveau hinaus zu verwässern (näher § 7 WpÜG-AngVO Rz. 9 ff., 13 ff.).
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Gegen die Zulässigkeit einer Bedingung, die das Angebot hinfällig werden lässt, wenn der Kurs der Aktie des Bieters während der Annahmefrist einen bestimmten Wert übersteigt, bestehen nach zutreffender Auffassung keine Bedenken5. Teilweise
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1 Hierzu etwa Busch, AG 2002, 145, 148; Krause, NJW 2002, 705, 710; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 9 Rz. 23; ein Börsenzulassungsprospekt ist – anders als früher – wegen der Ausnahmebestimmungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 WpPG hingegen unabhängig vom Volumen der Kapitalerhöhung nicht mehr erforderlich. 2 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 9 Rz. 73. 3 Busch, AG 2002, 145, 148; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 57; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 82; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 6; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 113; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 152; Sohbi in Heidel, § 18 WpÜG Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 22; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 112; J. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1371, 1390 f., der darauf hinweist, dass eine Praxis der BaFin hierzu allerdings noch nicht veröffentlicht ist. 4 BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 5 Busch, AG 2002, 145, 151; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 153; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 113; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 19; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 260 f. Die veröffentlichten Angebotsunterlagen sehen aber regelmäßig keine Bedingungen in Bezug auf den Börsenkurs des Bieters oder der Zielgesellschaft vor. Eine Ausnahme ist das Tauschangebot der E.ON Energie AG/E.ON Bayer AG vom 21.5.2003, das in Ziff. 10, S. 30 für eine Sonderkonstellation (Squeeze-Out Barabfindung sollte den Aktionären über den Lauf der Angebotsfrist zugutekommen) eine solche Bedingung enthält (Unterschreiten des Stichtagskurses der Bieteraktie).
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wird allerdings danach differenziert, ob die Bedingung auf die aktienrechtliche Unzulässigkeit der Ausgabe der neuen Aktien abhebt; andere börsenkursbezogene Bedingungen sollen unzulässig sein1. Dem ist nicht zu folgen. Die hierfür angeführte Begründung – für eine solche Bedingung sei kein Bedürfnis ersichtlich, so dass sie objektiv willkürlich sei – hat keinen erkennbaren gesetzlichen Anknüpfungspunkt. Das Argument, der Vorstand des Bieters könne durch den Rückkauf eigener Aktien auf den Börsenkurs der Aktienkurs Einfluss nehmen, findet im Gesetz ebenfalls keine Stütze2. Unzulässig sind solche Bedingungen, deren Eintritt der Bieter bzw. die anderen in § 18 Abs. 1 genannten Personen ausschließlich selbst herbeiführen können. Weil der Börsenkurs der Aktie des Bieters während des Übernahmeverfahrens wesentlich durch die Bewertung des Tauschangebots und seiner Erfolgsaussichten durch den Kapitalmarkt geprägt sein wird, wird man kaum davon ausgehen (geschweige denn beweisen) können, dass der Bieter bzw. sein Vorstand einen Kursanstieg allein herbeiführen kann. 6. Positive Stellungnahme der Zielgesellschaft 77
Für viele Bieter (insbesondere Finanzinvestoren) kommt eine feindliche Übernahme nicht in Frage. Diese Bieter versuchen regelmäßig, mit den Organen der Zielgesellschaft noch in der Vorbereitungsphase Einvernehmen über das geplante Angebot und seine Unterstützung zu erzielen. Inhalt und Umfang derartiger Vorfeldvereinbarungen sind Verhandlungssache, weswegen Bieter ihre Idealvorstellungen nicht immer durchsetzen können. Dies geht nicht selten darauf zurück, dass sich die Verwaltung der Zielgesellschaft durch die Zusage weitreichender Unterstützung selbst bei Kenntnis des Entwurfs der Angebotsunterlage in das Dilemma manövriert, bei einer Änderung der Umstände (etwa bei Abgabe eines konkurrierenden Angebots mit höherer Gegenleistung durch einen Dritten) nur entweder die vereinbarte Stellungnahme abgeben oder ihre aktien- und übernahmerechtlichen Pflichten erfüllen zu können. Die Verwaltung wird sich daher regelmäßig vorbehalten, unter bestimmten – mit dem Bieter ausgehandelten – Umständen von ihrer Unterstützungspflicht Abstand nehmen zu dürfen (siehe § 22 Rz. 72a). Vor diesem Hintergrund haben Bieter regelmäßig ein objektiv nachvollziehbares Interesse daran, die Wirksamkeit ihres Angebots von einer (uneingeschränkt) positiven Stellungnahme der Verwaltung abhängig zu machen3.
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Mit § 18 Abs. 1 ist die Bedingung der positiven Stellungnahme des Vorstands grundsätzlich vereinbar, weil im Regelfall weder der Bieter noch mit ihm zusammenwirkende Personen oder deren Tochtergesellschaften die positive Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft ausschließlich selbst herbeiführen können4. Lediglich bei einem Management Buy-out wäre die Bedingung unzulässig, weil der Vorstand als mit dem Bieter zusammenwirkende Person den Bedingungseintritt ausschließlich selbst herbeiführen kann5.
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 64. 2 Hierzu zutreffend Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 134; ähnlich Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 186. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 71; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 111; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 29. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 71; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 29 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 44. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 8; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 113.
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Gleichwohl ist es nach Auffassung der BaFin unzulässig, das Angebot unter die Bedingung zu stellen, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft das Angebot positiv bewerten oder sogar seine Annahme empfehlen. Weil diese Bedingung dem Vorstand der Zielgesellschaft erheblichen Einfluss auf den Erfolg des Angebots verschafft, sei sie mit der Konzeption des Gesetzes, die Entscheidung über den Erfolg des Angebots in die Hände der Aktionäre zu legen, nicht vereinbar1. Dem wird entgegengehalten, dass das Interesse des Bieters an dieser Bedingung die Bedenken gegenüber dem erhöhten Einfluss des Vorstands überwiege2 und dass den Aktionären eine Geschäftschance entginge, wenn der Bieter, der die Unterstützung durch die Verwaltung der Zielgesellschaft nicht zur Bedingung erheben kann, von vornherein von der Abgabe eines Angebots absähe3. Im Übrigen sei es der Bieter selbst, der dem Vorstand diese Rechtsmacht einräume4.
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Die besseren Argumente sprechen indes für die Auffassung der BaFin. Nicht nur der 80 vom Bieter herbeigeführte, direkte Einfluss des Vorstands auf den Erfolg des Angebots ist mit der Konzeption des Gesetzes nicht vereinbar5. Auch das Dilemma des mit der Bedingung konfrontierten Vorstands, mit der Abgabe einer – gemäß § 27 grundsätzlich zulässigen – negativen Stellungnahme eine Handlung vorzunehmen, durch die der Erfolg im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 unmittelbar verhindert wird, steht mit der Konzeption des Gesetzes nicht im Einklang: Einerseits könnte der Vorstand die negative Stellungnahme abgeben und damit § 33 Abs. 1 Satz 1 verletzen. Andererseits könnte er gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 3. Alt. die Zustimmung des Aufsichtsrats einholen. Damit würde die Stellungnahme des Vorstands unter einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats gestellt. Dies aber ist mit § 27 nicht zu vereinbaren, weil Vorstand und Aufsichtsrat jeweils eigenverantwortlich zu dem Angebot Stellung zu nehmen haben. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass es dem Bieter freisteht, sein Angebot von der fraglichen Bedingung abhängig zu machen oder nicht, so dass die negative Stellungnahme des Vorstands nicht als unzulässige Abwehrmaßnahme im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 qualifiziert werden kann. Das Verhinderungsverbot des § 33 ist nämlich keine Schutzvorschrift zugunsten des Bieters, sondern schützt die Entscheidungsfreiheit der Aktionäre (siehe hierzu § 33 Rz. 5). Schließlich spricht für die Unzulässigkeit der Bedingung, dass sich der Bieter bereits in der Vorbereitungsphase hinreichender Unterstützung des Vorstands der Zielgesellschaft versichern kann, was in der Praxis auch geschieht. Durch die zu diesem Zweck geschlossenen Vereinbarungen kann der Bieter zwar das Risiko des Scheiterns nicht vollständig ausschließen. Jedoch ist dies ein Risiko, das seiner Sphäre entspringt und daher auch von ihm getragen werden muss.
1 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 29. Siehe aber Übernahmeangebot AMS Acquisition B.V./Teleplan International N.V. vom 10.1.2011, Ziff. 12.1. lit. (f), S. 40. Hier lag ausnahmsweise bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine öffentlich bekanntgemachte Empfehlung vor. Dass sich der Bieter darauf einstellen darf, leuchtet sein. Das Angebot sah dementsprechend als Bedingung vor, dass weder Teleplan, der Vorstand noch der Aufsichtsrat ihre Empfehlung zurückziehen. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 71. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 113 (eine Bedingung der „uneingeschränkt unterstützenden Stellungnahme“ der Verwaltung der Zielgesellschaft wird jedoch für unzulässig gehalten); Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 30. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 44. 5 Ähnlich Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 694, der eine entsprechende Bedingung allerdings dann für zulässig erachtet, wenn sie an die positive Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat anknüpft und darin auch keinen Verstoß gegen § 27 sieht.
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7. Unterbleiben von Abwehrmaßnahmen a) Allgemeines 81
Bedingungen, die die Wirksamkeit des Angebots davon abhängig machen, dass die Verwaltung der Zielgesellschaft während des Angebotsverfahrens keine Abwehrmaßnahmen ergreift, sind grundsätzlich zulässig1. Allerdings sind die einzelnen Maßnahmen präzise zu definieren, damit der Bedingungseintritt objektiv und rechtssicher festgestellt werden kann2 (zu einzelnen Abwehrmaßnahmen siehe § 33 Rz. 88 ff.).
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Das Angebot kann auflösend bedingt durch die Vornahme oder aufschiebend bedingt durch die Nicht-Vornahme der zu definierenden Abwehrmaßnahmen abgegeben werden. Die Beweislast für den Bedingungseintritt trägt bei der auflösenden Bedingung derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts beruft3; dies wäre, wenn Adressaten des Angebots auf Abnahme ihrer Wertpapiere klagen, der Bieter. Bei der aufschiebenden Bedingung hingegen trägt derjenige die Beweislast, der aus dem vollwirksamen Rechtsgeschäft Rechte herleitet4; dies wäre der Aktionär, der den Bieter auf Erfüllung in Anspruch nimmt. Folglich dürfte sich für den Bieter in der Regel die aufschiebende Bedingung empfehlen5. In Ausnahmefällen kommt auch die aufschiebende Bedingung der Vornahme einer bestimmten Maßnahme in Betracht, etwa die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien an den Bieter (siehe hierzu Rz. 86 f.) oder die Beseitigung anderer Strukturen oder Mechanismen, die dem Aktienerwerb oder der Ausübung der Kontrolle nach vollendetem Erwerb entgegenstehen und im Interesse des Bieters vor dem Ablauf der Annahmefrist beseitigt werden sollen6. b) Kapitalmaßnahmen
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Die Bedingung, dass die Zielgesellschaft während des Angebots keine Kapitalmaßnahmen vornimmt, ist zulässig7 und weit verbreitet. Die Bedingung wird sich empfehlen, wenn der Bieter befürchten muss, dass die Zielgesellschaft ihr Kapital (etwa durch Ausnutzung genehmigten Kapitals) erhöht. Anderenfalls würde sich die zu zahlende Gesamtgegenleistung erheblich erhöhen, weil die Gegenleistung regelmäßig in einem bestimmten Geldbetrag (bzw. einer bestimmten Zahl von Wertpapieren) je Aktie der Zielgesellschaft bemessen ist und der Bieter sein Angebot nach zutreffender, aber nicht
1 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 47 f.; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2253; Busch, AG 2002, 145, 149; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 40 ff.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 46 ff.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 66; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 8. 2 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 29; Riehmer/ Schröder, BB-Beil. 5/2001, S. 6; Hamann, ZIP 2001, 2249, 2253 (Fn. 61); Busch, AG 2002, 145, 149 f.; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 103; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 67 (anders noch die Vorauflage). 3 Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 14; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 42. 4 Ellenberger in Palandt, Einf. v. § 158 BGB Rz. 14; Wolf in Soergel, 13. Aufl. 1999, Vor § 158 BGB Rz. 41. 5 Zum Ganzen Busch, AG 2002, 145, 149. 6 Vgl. etwa das Übernahmeangebot Olivetti/Telecom Italia in Bezug auf die Zustimmung des Inhabers der „Goldenen Aktie“; vgl. Schmid, AG 1999, 402, 405. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 69; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 40.
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unbestrittener Auffassung1 nicht auf die bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage ausgegebenen Aktien beschränken kann (siehe hierzu § 1 Rz. 30, § 32 Rz. 11). Bei der Formulierung der Bedingung besitzt der Bieter vielfältige Gestaltungsmög- 84 lichkeiten. Dass das Angebot schon dann hinfällig wird, wenn die Zielgesellschaft eine Hauptversammlung gemäß § 16 Abs. 3 zur Beschlussfassung über eine Kapitalmaßnahme einberuft, erscheint nicht zweckmäßig. Eher wäre auf die Kapitalerhöhung selbst abzustellen. Die Bedingung könnte etwa lauten, dass das Grundkapital der Zielgesellschaft während der Annahmefrist um nicht mehr als einen bestimmten Betrag oder einen bestimmten Prozentsatz erhöht wird2 oder umgekehrt ließe sich ein Mindestvolumen festsetzen, um zu vermeiden, dass bereits eine kleine Kapitalerhöhung das Angebot zu Fall bringen kann3. Denkbar wäre aber auch, allein auf die Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals abzustellen und die Ausgabe neuer Aktien aus bedingtem Kapital (etwa durch Ausübung von Aktienoptionen) zu akzeptieren. Ebenfalls möglich wäre eine (auflösende) Bedingung, die die Unwirksamkeit des Angebots bei jeder, d.h. auch bei einer geringfügigen, Kapitalerhöhung zur Folge hat, auf die der Bieter gegebenenfalls gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 verzichtet, wenn sich ergibt, dass er die Erhöhung der Gesamtgegenleistung finanzieren kann (zur Zulässigkeit des nachträglichen Bedingungsverzichts siehe unten Rz. 113)4. Weil der Verzicht eine Änderung des Angebots darstellt und das Angebot nach Veröffentlichung dieser Änderung noch mindestens zwei Wochen zur Annahme offen stehen muss (§ 21 Abs. 5), läuft der Bieter in diesem Fall allerdings Gefahr, dass die Zielgesellschaft bis zum Ablauf der verlängerten Annahmefrist eine Kapitalmaßnahme durchführt (insbesondere genehmigtes Kapital ausnutzt). Wenn diese Kapitalerhöhung vor Ablauf der Annahmefrist wirksam wird und die Erwerber der neuen Aktien noch rechtzeitig die Annahme des Angebots erklären, müsste der Bieter, wenn § 32 Anwendung findet, auch die neuen Aktien erwerben5. c) Sonstige Maßnahmen Bedingungen, die die Wirksamkeit des Angebots daran knüpfen, dass die Zielgesellschaft keine Strukturveränderungen vornimmt, sind zulässig6. Dies gilt insbesondere für die Veräußerung von wichtigen Vermögensgegenständen oder Unternehmensteilen (crown jewels)7, Satzungsänderungen8, Dividendenausschüttungen9, Maßnah-
1 Wie hier Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 20; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 68, § 32 Rz. 6; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 106 (anders noch die Vorauflage); a.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 44; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 66 f.; differenzierend Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 32 Rz. 14 f. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 41; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 69; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 107. 3 A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226; 256. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 41; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 107. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 41. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 47 f. 7 Vgl. Übernahmeangebot ACS S.A./HOCHTIEF AG vom 1.12.2010, Ziff. 13.1.4 lit. (a), S. 44 (Verkauf von Vermögensgegenständen von mehr als 3,5 Mrd. Euro). 8 Vgl. Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.5, S. 51 (keine Änderung von Mehrheitsverhältnissen). 9 Vgl. Übernahmeangebot Engine Holding GmbH//Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.1.4. lit. (b), S. 47 (keine Dividendenausschüttung über einen bestimmten Betrag).
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men nach dem Umwandlungsgesetz1 oder sonstige Maßnahmen wie etwa der Abschluss neuer Kreditverträge2 oder Veränderungen im Vorstand oder Aufsichtsrat3, die die Zielgesellschaft für den Bieter unattraktiv machen. 8. Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien 86
Erstreckt sich das Angebot auf vinkulierte Namensaktien, ist die dingliche Übertragung der Aktien aufschiebend bedingt durch die Zustimmung der Gesellschaft (§ 68 Abs. 2 AktG). Der Bieter wird regelmäßig daran interessiert sein, die Wirksamkeit seines Angebots von der Zustimmung der Gesellschaft zur Übertragung der Aktien abhängig zu machen, weil das Verpflichtungsgeschäft anderenfalls auch ohne Zustimmung der Gesellschaft wirksam wäre4 und die Zielgesellschaft zur Erteilung der Zustimmung nicht verpflichtet ist. Wenn die Satzung keine abweichende Regelung trifft, liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung beim Vorstand. Er hat gemäß den Vorgaben der Satzung und ansonsten nach pflichtgemäßem, die Gesellschaftsinteressen und die Interessen der übertragungswilligen Aktionäre abwägendem und durch das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG) gebundenem Ermessen zu entscheiden5.
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Eine Bedingung, die die Wirksamkeit des Angebots von der Zustimmung der Zielgesellschaft gemäß § 68 Abs. 2 AktG abhängig macht, ist grundsätzlich zulässig6, weil die Zustimmung regelmäßig nicht vom Bieter oder den anderen, in § 18 Abs. 1 angesprochenen Personen ausschließlich selbst herbeigeführt werden kann7. Lediglich bei einem Management Buy-out wäre die Bedingung unzulässig, weil der Vorstand als mit dem Bieter zusammenwirkende Person den Bedingungseintritt ausschließlich selbst herbeiführen kann8. Die Bedingung ist auch mit der grundsätzlichen Konzeption des Gesetzes, die Entscheidungsfreiheit der Aktionäre zu sichern, vereinbar, obwohl sie die Entscheidung über das Zustandekommen des schuldrechtlichen Geschäfts in die Hände des Vorstands der Zielgesellschaft legt (zu diesem Argument siehe bereits Rz. 79 f.). Der Einfluss des Vorstands auf den Erfolg der Gesamttransaktion geht nämlich auf die Vinkulierung der Aktien, d.h. eine Maßnahme der Zielgesellschaft zurück. Dass sich der Bieter auf diese Besonderheit einstellt, ist nicht zu beanstanden. 9. Wesentliche Verschlechterungen (material adverse change)
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Material adverse change-Klauseln sind Bestimmungen, die die Wirksamkeit des Angebots vom Ausbleiben bestimmter wesentlicher Verschlechterungen während der Annahmefrist (bzw. vor Vollzug des Angebots) abhängig machen. Ihre Aufnahme in 1 Vgl. Übernahmeangebot Lenovo Germany Holding GmbH/Medion AG vom 28.6.2011, Ziff. 13.1.5., S. 38 (keine Liquidations-, Umwandlungs- und/oder Beschlüsse zum Abschluss von Unternehmensverträgen). 2 Vgl. Übernahmeangebot AMS Acquisition B.V./Teleplan International N.V. vom 10.1.2011, Ziff. 12.1.2(v), S. 43 (kein Abschluss eines neuen Kreditvertrages). 3 Vgl. Übernahmeangebot der Pelikan International Corporation Berhad/Herlitz AG vom 11.1.2010, Ziff. 15.1 lit. (g), S. 52 (später verzichtet). 4 Hüffer, § 68 AktG Rz. 16. 5 BGH v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019, 1020; LG Aachen v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 411 ff.; Hüffer, § 68 AktG Rz. 15 m.w.N. 6 Vgl. Übernahmeangebot Allianz AZL Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG/Allianz Lebensversicherungs-AG vom 28.2.2007, Ziff. 6.2, S. 16. 7 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 54; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 55; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 90. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 81; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 54.
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die Angebotsunterlage ist vor dem Hintergrund sinnvoll, dass bei öffentlichen Erwerbsangeboten eine Due Diligence nur in Grenzen möglich ist und eher selten durchgeführt wird1, oft nur in der Form von Gesprächen mit dem Top-Management. Diese, in der Praxis auch als „MAC“ bezeichneten Klauseln können ganz verschiedene Verschlechterungen zum Gegenstand haben. Sie können – wie im Vereinigten Königreich und in den USA bei Übernahmeangeboten seit langem üblich – auf wesentliche Verschlechterungen bei der Zielgesellschaft bzw. in ihrem Konzern abstellen (target MAC oder company MAC)2. Nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 finden aber auch Klauseln, die Turbulenzen auf den Kapitalmärkten oder andere, gesamtwirtschaftliche Verschlechterungen zum Gegenstand haben (economy MAC oder market MAC), über ihr bisheriges Anwendungsgebiet hinaus bei anderen Kapitalmarkttransaktionen3 und beim Unternehmenskauf4 Interesse. Wesentliche Verschlechterungen bei den Zielgesellschaften waren in den Leitsätzen für Übernahmeangebote der Börsensachverständigenkommission von 19795 angesprochen6. Bei Angeboten gemäß Übernahmekodex waren MAC-Klauseln selten7. Die BaFin hat zunächst nur die Veröffentlichung von Angebotsunterlagen ohne derartige Klauseln gestattet8, seit Mitte 20039 jedoch company und market MAC-Bedingungen unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen (zum bidder MAC siehe Rz. 68). Heute sind sie in zahlreichen Übernahmeangeboten enthalten10. MAC-Bedingungen sind grundsätzlich zu Recht zulässig11. Wegen § 18 Abs. 1 darf die Feststellung der wesentlichen Verschlechterung allerdings nicht im Ermessen des Bieters oder mit ihm zusammenwirkender Personen oder deren Tochtergesellschaften stehen12. Darüber hinaus muss die Verschlechterung eine gewisse Erheblichkeit besitzen, d.h. nicht nur geringen Gewichts oder von kurzer Dauer sein13, denn mit den Wertungen der §§ 17, 18 wäre es nicht vereinbar, wenn der Bieter bereits bei rela1 Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 843; Henssler in FS Huber, 2006, S. 739, 752; Hornuf/ Zanconato, ZBB/JBB 2011, 412. 2 Vgl. das Übernahmeangebot WPP Group plc/Tempus Group plc vom 20.8.2001 mit der Bedingung, dass „since 31 December 2000 and save as disclosed … no material adverse change or deterioration having occurred in the business, assets, financial or trading position or profits or prospects of any member of the wider Tempus Group“; hierzu Busch, AG 2002, 145, 150. 3 Busch, WM 2001, 1277; Groß in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, 2000, Rz. 10/324 sub XII.1.d); allg. zu MAC-Klauseln im Finanz- und Übernahmerecht Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681. 4 Picot/Duggal, DB 2003, 2635. Kritisch zu MAC-Klauseln in deutschen Unternehmensverträgen Henssler in FS Huber, 2006, S. 739. 5 Abdruck in Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl. 1989, Anhang 18. 6 Busch, AG 2002, 147, 150 m.w.N. 7 Etwa im Angebot VodafoneAirtouch plc/Mannesmann AG, dessen Definition der „Behindernden Maßnahmen“ auch einige Umstände enthielt, die außerhalb der Einflusssphäre der Zielgesellschaft lagen und eher eine wesentliche Verschlechterung darstellten. 8 Krause, NJW 2004, 3681, 3683. 9 Erstmals im Übernahmeangebot Robert Bosch GmbH/Buderus AG vom 8.5.2003, Ziff. 9 lit. (c), S. 15. 10 Siehe Übersicht zur Auswertung der Angebotsbedingungen [Rz. 127] und Hornuf/Zanconato, ZBB/JBB 2011, 412. 11 Busch, AG 2002, 145, 150; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Berger/Filgut, WM 2005, 253, 254 ff.; Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 691; allgemein zur Unbedenklichkeit derartiger Bedingungen Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 93 (Fn. 487). 12 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 58; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 119; Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 692 f. 13 Busch, AG 2002, 145, 150; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 117.
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tiv unbedeutenden Verschlechterungen von der Durchführung des Übernahmeangebots absehen könnte1. Dass der Bieter die Wirksamkeit nur vom Ausbleiben schwerster, der Geschäftsgrundlage nahe kommender Verschlechterungen abhängig machen darf2, lässt sich aus den §§ 17, 18 jedoch nicht herleiten3. 90
MAC-Bedingungen müssen so formuliert werden, dass sich der Bedingungseintritt, d.h. der Eintritt der wesentlichen Verschlechterung, objektiv und rechtssicher feststellen lässt (Bestimmtheitsgebot – hierzu allgemein Rz. 31). Dies folgt zunächst daraus, dass wegen § 18 Abs. 1 nicht an eine Erklärung des Bieters über den Bedingungseintritt angeknüpft werden kann, wenn dem Bieter bei der Entscheidung über die Abgabe dieser Erklärung noch ein gewisser Beurteilungsspielraum verbleibt4. Anders als nach der Praxis im Vereinigten Königreich kann auch nicht an die Erklärung eines verfahrensnahen Überwachungsorgans angeknüpft werden, weil die BaFin – anders als der Takeover Panel – keine Befugnis zur Feststellung des Eintritts einer MAC-Bedingung besitzt. Im Zweifel müssten die Wertpapierinhaber ihre Erfüllungsansprüche vor den Zivilgerichten durchsetzen. Die bis zur rechtskräftigen Entscheidung andauernde Unsicherheit über den Vollzug des Angebots ist mit dem Schutzzweck des § 18 Abs. 1 nicht ohne weiteres zu vereinbaren5. Die Notwendigkeit präzise formulierter MAC-Bedingungen folgt außerdem aus dem Klarheitsgebot des § 11 Abs. 1 Satz 4. Allerdings sind das Ob und das Wie sorgfältig voneinander zu trennen: Ob der Bieter eine bestimmte MAC-Bedingung in das Angebot aufnehmen will, ist eine Frage seiner Privatautonomie. Diese findet ihre Schranken in den Wertungen der §§ 17, 18. Wie der Bieter die Klausel formuliert, liegt ebenfalls in seiner Privatautonomie. Insoweit unterliegt er dem Klarheitsgebot. Hierauf lässt sich aber nur ein Verbot unklarer Begrifflichkeiten und Formulierungen, nicht aber eine materielle Inhaltskontrolle von MAC-Bedingungen stützen6.
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Mit Rücksicht auf das Bestimmtheits- und das Klarheitsgebot fordert die BaFin, dass eine target MAC-Bedingung entweder an konkrete Kennzahlen (etwa aus der Bilanzanalyse) oder andere gesetzlich definierte oder eindeutig feststellbare Umstände anknüpft. Beispielsweise hat sie das Netto-Eigenkapital laut konsolidierter Bilanz der Zielgesellschaft7, das Konzernergebnis vor Steuern8, das Betriebsergebnis (EBIT)9, das EBITDA10 oder den „Netto-Konzernumsatz“11 als geeignete Kennzahlen zugelassen. Auch die Anknüpfung an die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Zielge-
1 Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere MaterialAdverse-Change-Klauseln, 2006, S. 215 ff. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 62; Oechsler, NZG 2001, 817, 822. 3 Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 695; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 258. 4 Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 843; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 211. 5 Restriktiver Berger/Filgut, WM 2005, 253, 255. 6 Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 689, 696. Siehe auch Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26. 7 Übernahmeangebot ITT Industries German Holding GmbH/WEDECO AG Water Technology vom 9.12.2003, Ziff. 3.2.3, S. 8 f. 8 Übernahmeangebot Robert Bosch GmbH/Buderus AG vom 8.5.2003, Ziff. 9 lit. (c), S. 15. 9 Übernahmeangebot ITT Industries German Holding GmbH/WEDECO AG Water Technology vom 9.12.2003, Ziff. 3.2.3, S. 8 f. 10 Übernahmeangebot BCP Crystal Acquisition GmbH & Co. KG/Celanese AG vom 2.2.2004, Ziff. 4 lit. (a) (iv), S. 48 f. 11 Übernahmeangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Ziff. 14.1 (i), S. 94.
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sellschaft1, an den Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals2, an die Zerstörung von Produktionsstätten der Zielgesellschaft infolge höherer Gewalt3 oder an den Verlust von Vermögensgegenständen im Sinne der Buchwertminderung4 war gestattungsfähig. Die BaFin verlangt zudem, dass die Konkretisierung des wesentlich nachteiligen Ereignisses nicht durch eine zu große Anzahl an Indikatoren erfolgt5. Um die Feststellung des Bedingungseintritts zweifelsfrei zu ermöglichen, fordert die BaFin, dass die Veröffentlichung des Bedingungseintritts per Ad hoc-Mitteilung als Voraussetzung der Hinfälligkeit des Angebots in die Angebotsunterlage aufgenommen wird6. In einem Fall, in dem der Vorstand der Zielgesellschaft ein größeres Aktienpaket hielt und ein Konflikt zwischen seinem Verkaufsinteresse und seiner Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Ad hoc-Mitteilung befürchtet wurde, gestattete die BaFin dem Bieter, die Hinfälligkeit des Angebots davon abhängig zu machen, dass ein Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter über den Eintritt der Bedingung befinden und seine Entscheidung kurz vor Ablauf der Annahmefrist veröffentlichen sollte7. Die Praxis ist dazu übergegangen, für die Feststellung, ob ein target MAC vorliegt, alternativ die tatsächliche Veröffentlichung einer Ad hoc-Mitteilung oder die Bestätigung durch einen unabhängigen Gutachter, dass eine Pflicht hierzu bestand, zuzulassen8, teilweise wird sogar nur auf die Bestätigung durch den Gutachter abgestellt, unabhängig von einer Ad hoc-Pflicht9. Der eingeschaltete Dritte darf nicht aus der Einflusssphäre des Bieters stammen10. Dadurch wird gewährleistet, dass dem Bieter kein Beurteilungsspielraum verbleibt und sich die Aktionäre zuverlässig Kenntnis vom Eintritt der Bedingung verschaffen können11. Um zu vermeiden, dass ein Angebot in Unkenntnis einer bereits ausgefallenen Bedingung vollzogen wird und der Bieter infolgedessen dem Risiko einer Rückabwicklung ausgesetzt ist, sollte in der Angebotsunterlage festgelegt werden, dass die Bedingungen als eingetreten gelten, falls der externe Gutachter nicht vor oder an dem Tag der Veröffentlichung nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 den Ausfall der Bedingung bestätigt12. Zu beachten ist allerdings, dass die Zielgesellschaft nicht verpflichtet ist, dem Sachverständigen die zur Gutachtenerstellung notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen13. 1 Übernahmeangebot Carlsberg Deutschland GmbH/Holsten Brauerei AG vom 12.2.2004, Ziff. 10. lit. (d), S. 20. 2 Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.6, S. 51. 3 Übernahmeangebot Carlsberg Deutschland GmbH/Holsten Brauerei AG vom 12.2.2004, Ziff. 10 lit. (d) (i) und (iii), S. 20 f. 4 Übernahmeangebot Grohe Asia AG/Joyou AG vom 28.3.2011, Ziff. 12.1.3, S. 49. 5 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 121; Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 844. 6 Übernahmeangebot Robert Bosch GmbH/Buderus AG vom 8.5.2003, Ziff. 9 lit. (c), S. 15. 7 Übernahmeangebot ITT Industries German Holding GmbH/WEDECO AG Water Technology vom 9.12.2003, Ziff. 3.2.3, S. 9. Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 28. 8 Übernahmeangebot Lenovo Germany Holding GmbH/Medion AG vom 28.6.2011, Ziff. 13.1.4, S. 36 ff.; Übernahmeangebot MBT Systems AG/Roth & Rau AG vom 5.5.2011, Ziff. 13.1.2 lit. (a) S. 49 f. 9 Übernahmeangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Ziff. 14.1 lit. (h) und (i), S. 94. 10 Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 697 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 25. 11 Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 845; vgl. auch Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 97, der daran zweifelt, dass in der Praxis eine (mittelbare) Einflussnahme des Bieters auf den Gutachter stets ausgeschlossen werden kann. 12 Siehe etwa Übernahmeangebot TKH Technologie Deutschland AG/Augusta Technologie AG vom 11.5.2012, Ziff. 12.1.3, S. 32 ff. 13 von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 9, 17.
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Economy MAC-Bedingungen werfen in Bezug auf das Bestimmtheits- und Klarheitsgebot weniger Probleme auf. Die BaFin hat das Ausbleiben der behördlich angeordneten Schließung von Banken und Börsen für den Kundenverkehr durch die Bundesregierung gemäß § 47 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 KWG oder vergleichbare ausländische Exekutivorgane, die Einstellung des Devisenhandels in Deutschland oder den USA, die Einführung von Währungs- und Devisenkontrollgesetzen in Deutschland oder den USA und das Absinken eines bestimmten Börsenindex um eine bestimmte Zahl von Punkten als Bedingungen zugelassen1. In der Praxis spielen derartige externe Maßstäbe eine deutlich geringere Rolle als Faktoren, die sich auf Umstände der Zielgesellschaft beziehen2.
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Nach der mittlerweile gefestigten Verwaltungspraxis der BaFin muss die MAC-Bedingung bis zum Ende der Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 1 eingetreten sein, auch wenn das Angebot – etwa wegen eines Kartellvorbehalts oder einer anderen, an ein behördliches Vollzugsverbot anknüpfenden Bedingung – möglicherweise erst erhebliche Zeit nach dem Ablauf der Annahmefrist abgewickelt wird3. Demgegenüber fordert die Literatur, dass die Wirksamkeit des Angebots vom Ausbleiben wesentlicher Verschlechterungen bis zum Eintritt der fusionskontrollrechtlichen Freigabe (oder einer vergleichbaren anderen Bedingung) abhängig gemacht werden kann4. Dies ist interessengerecht und sollte auch in die Praxis Eingang finden (näher Rz. 111). 10. Insolvenz der Zielgesellschaft
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Ein Unterfall wesentlicher Verschlechterungen, bei dem das Interesse des Bieters, sich vom Angebot zu lösen, offensichtlich ist, ist die Insolvenz der Zielgesellschaft. Schon mit dem Eintritt der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit ist der Vorstand grundsätzlich einem Zahlungsverbot unterworfen (§ 92 Abs. 2 AktG). Kann die Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt werden, hat der Vorstand spätestens nach drei Wochen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (§ 15a Abs. 1 InsO). Außerdem besteht das Risiko, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einem Gläubiger beantragt wird (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 InsO). Nach der Stellung des Insolvenzantrags kann das Insolvenzgericht anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam werden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO). Es kann dem Schuldner sogar ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO), so dass die Verfügungsmacht über das Vermögen der Zielgesellschaft auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 InsO). Schließlich geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsmacht über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO).
1 Übernahmeangebot BCP Crystal Acquisition GmbH & Co. KG/Celanese AG vom 2.2.2004, Ziff. 4 lit. (a) (viii), S. 51 f. Neben dem Abstellen auf Börsenindizes wie etwa DAX 30, MDAX oder Dow Jones Euro Stoxx 50 sollte auch der Verweis auf andere Indizes (z.B. Credit-Default Indizes wie den iTraxx Europe Crossover, der die Lage auf den Kreditmärkten abbildet) zulässig sein. 2 Hornuf/Zanconato, ZBB/JBB 2011, 412, 416. 3 Strunk/Behnke in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, 2004, S. 81, 84; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 29 f.; zustimmend Berger/Filgut, WM 2005, 253, 257 ff.; Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 846; anders noch Übernahmeangebot Robert Bosch GmbH/Buderus AG vom 8.5.2003, Ziff. 9 lit. (c), S. 15 (Zulässigkeit des Eintritts der MAC-Bedingung bis zum Ende der weiteren Annahmefrist). 4 Busch, AG 2002, 145, 151; a.A. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 124.
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Ob der Bieter vorsehen darf, dass das Angebot bei Beantragung oder Eröffnung des 95 Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Zielgesellschaft hinfällig wird, wurde in ersten Stellungnahmen als nicht gesichert angesehen1. An der grundsätzlichen Zulässigkeit derartiger Bedingungen kann jedoch kein ernstlicher Zweifel bestehen2. Dass der Bieter das Insolvenzrisiko der Zielgesellschaft tragen muss, lässt sich weder aus § 18 Abs. 1 noch aus anderen Vorschriften des Gesetzes herleiten. Auch die Annahme, die Bedingung sei nur dann zulässig, wenn sich die Zielgesellschaft in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet und ihre Sanierung beabsichtigt ist3, findet im Gesetz keine Stütze (wenngleich dies den Hauptanwendungsfall darstellen dürfte). Im Hinblick auf § 18 Abs. 1 erscheint es unproblematisch, den Eintritt eines In- 96 solvenzgrundes zur Bedingung des Angebots zu erheben (siehe bereits oben Rz. 91). Soweit die Bedingung auf die Stellung des Insolvenzantrags abstellt, müssen Anträge des Bieters und der anderen in § 18 Abs. 1 genannten Personen – die, wenn sie Gläubiger der Zielgesellschaft sind, zur Antragstellung berechtigt wären (§ 13 InsO) – aus der Bedingung ausgenommen sein4. Die Forderung, dass die Bedingung zusätzlich das Vorliegen eines Insolvenzgrundes enthalten muss, findet in § 18 Abs. 1 keine Stütze5. Die Bedingung, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der 97 Zielgesellschaft unterbleibt, begegnet ebenfalls keinen grundsätzlichen Bedenken6. Teilweise wird sie nur für zulässig gehalten, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage noch nicht absehbar war7. Dies erscheint zutreffend, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens während der Annahmefrist praktisch sicher ist und die Bedingung daher als ein gegen die Wertungen der §§ 17, 18 verstoßender versteckter Rücktrittsvorbehalt zu qualifizieren wäre. Weiterhin wird gefordert, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann zur Bedingung des Angebots erhoben werden darf, wenn sie nicht auf einen vom Bieter (oder einer anderen in § 18 Abs. 1 genannten Person) nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gestellten Antrag zurückgeht8. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 ist
1 Apfelbacher in Apfelbacher u.a., § 18 Rz. 18; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 51. 2 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 28; siehe auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 61; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 46; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 126 f.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 51. Die von Oechsler, NZG 2001, 817, 822, vertretenen Einschränkungen betreffen die Abwicklung bei Störung der Geschäftsgrundlage, nicht die Zulässigkeit einer Bedingung. 3 So Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 59; a.A. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 127. 4 Ähnlich Geibel in Geibel/Süßmann, Rz. 51; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 61. Die BaFin hat aber auch Übernahmeangebote, die diese Einschränkung nicht enthielten, zugelassen; siehe etwa Übernahmeangebot Lavena Holding 4 GmbH/Pro Sieben Sat. 1 Media AG vom 30.1.2007, Ziff. 6.3.3 (b), S. 25 f. Die neueren Angebotsunterlagen stellen demgegenüber auf die Antragstellung durch die Zielgesellschaft oder eine Gruppengesellschaft ab, siehe zuletzt Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.6, S. 51. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 61. 6 Geibel in Geibel/Süßmann, Rz. 51; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 61; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 127; wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 18 Rz. 7. 7 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 127 (aber ohne Begründung). 8 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 127; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 61; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 51.
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dies nicht herzuleiten, denn diese Personen können die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausschließlich selbst herbeiführen. Hierin einen versteckten Rücktrittsvorbehalt zu sehen, erscheint eher fernliegend, wenn man bedenkt, dass die Arbeiten, die bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Verfahrenseröffnung zu erledigen sind, bei einer Publikumsgesellschaft kaum bis zum Ende der Annahmefrist abgeschlossen sein können. 11. Compliance-Verletzung der Zielgesellschaft 97a In der jüngeren Zeit hat die BaFin – wenn auch nicht erstmals1 – so doch wiederholt Bedingungen zugelassen, wonach bis zum Ablauf der Annahmefrist keine „Compliance-Verletzung“ eingetreten ist, die entweder von der Zielgesellschaft in rechtlich zulässiger Weise gemäß § 15 WpHG veröffentlich wurde oder im Falle der Nichtveröffentlichung eine Insiderinformation gemäß § 13 WpHG darstellt2. Gegen die Zulässigkeit derartiger Bedingungen bestehen keine Bedenken3. Sie sind eine Reaktion auf spektakuläre Korruptionsfälle, die in der jüngeren Vergangenheit durch die Presse gingen und hohe Geldbußen und das Risiko der Rückabwicklung von Transaktionen nach sich zogen. Da der Begriff Compliance allerdings nicht legal definiert ist und die Verletzung (nur) ethisch moralischer Vorschriften ebenso davon erfasst wird wie der Verstoß gegen rechtlich sanktionierte Verbote, kommt dem Bestimmtheitsgebot (siehe oben Rz. 31) besondere Bedeutung zu4. Der Tatbestand der „Compliance-Verletzung“, d.h. die maßgeblichen Rechtsvorschriften5, muss hinreichend genau umschrieben sein, so dass ihr Eintritt oder die Feststellung ihres Eintritts nicht im Ermessen des Bieters steht6. Wie auch bei einer MAC-Bedingung bietet es sich an, für den Eintritt der Bedingung auf die Feststellung durch einen unabhängigen Gutachter7 oder eine Ad hoc-Veröffentlichung abzustellen8.
1 Siehe das Übernahmeangebot 2016090 Ontario Inc./Gauss Interprise AG vom 22.9.2003, Ziff. 9.(b) (dd) (9), S. 17. Die Bedingung enthielt zwar nicht den Begriff Compliance, stellte aber der Sache nach auf einen Compliance-Verstoß ab (keine nach § 15 WpHG relevanten Verstöße des Vorstands der Zielgesellschaften gegen Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder sonstige Rechtsvorschriften für die Zielgesellschaft oder ihre Tochtergesellschaften). 2 Vgl. Übernahmeangebote Engine Holding GbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.1.6, S. 57 f.; Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.8, S. 51 f.; Übernahmeangebot Siemens Industry Automation Holding AG/IBS AG excellence, collaboration, manufacturing vom 29.2.2012, Ziff. 7.1.6, S. 22 f; Übernahmeangebot TKH Technologie Deutschland AG/Augusta Technologie AG vom 11.5.2012, Ziff. 12.1.5, S. 34. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 129. 4 Vgl. dazu BaFin Jahresbericht 2011, S. 228. 5 Vgl. etwa Übernahmeangebot Siemens Industry Automation Holding AG/IBS AG excellence, collaboration, manufacturing vom 29.2.2012, Ziff. 7.1.6, S. 22: Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der strafrechtlichen Nebenbestimmungen sowie alle sonstigen anwendbaren supranationalen und nationalen Rechtsvorschriften oder Regelungen bezüglich Korruption, Bestechung, Bestechlichkeit, Schmiergeldzahlung, Vorteilsannahme bzw. -gewährung oder Geldwäsche. 6 Seibt, CFL 2011, 213, 232. 7 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 129; vgl. BaFin Jahresbericht 2011, S. 2. 8 Vgl. etwa Übernahmeangebot Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG vom 19.5.2011, Ziff. 13.1.8, S. 51 f.
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12. Erkenntnisse aus einer durchzuführenden Due Diligence Wenn der Bieter keine Gelegenheit gehabt hat, vor der Veröffentlichung seiner Ent- 98 scheidung zur Abgabe des Angebots eine Due Diligence bei der Zielgesellschaft durchzuführen, stellt sich die Frage, ob er die Wirksamkeit seines Angebots davon abhängig machen kann, dass ihm die Verwaltung der Zielgesellschaft bis zum Ablauf der Annahmefrist Gelegenheit zur Durchführung einer Due Diligence einräumt1 und in ihrem Rahmen keine Umstände bekannt werden, die seine Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Zielgesellschaft wesentlich nachteilig verändern. Das Bedürfnis nach einer solchen Bedingung kann bei unter hohem Zeitdruck abgegebenen Angeboten praktisch werden. Bei derartigen Due-Diligence-Vorbehalten stellt sich das Problem, dass der Vorstand 99 der Zielgesellschaft durch diese Bedingung direkten Einfluss auf den Erfolg des Angebots erhält. Bei der insoweit vergleichbaren Bedingung der positiven Stellungnahme des Vorstands vertritt die BaFin zutreffend die Auffassung, dass die Einräumung dieses Einflusses gegen die Konzeption des Gesetzes, die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des Angebots in die Hände der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft zu legen, verstößt (siehe oben Rz. 79 f.). Anders als in jener Konstellation befindet sich der Vorstand jedoch nicht in dem Dilemma, die gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 für die Verweigerung der Due Diligence erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats nicht einholen zu können (zum Ganzen siehe oben Rz. 80). Ob dies die Zulässigkeit der Bedingung rechtfertigen kann2, ist nicht frei von Zweifeln. Wenn man die Bedingung für zulässig hält, gelten in Bezug auf die Bestimmbarkeit des Bedingungseintritts und die Erheblichkeit der in Erfahrung gebrachten negativen Umstände die gleichen Anforderungen wie für MAC-Bedingungen (siehe oben Rz. 90 ff.)3. Außerdem ist die Bedingung unzulässig, wenn die Verwaltung der Zielgesellschaft dem Bieter eindeutig mitgeteilt hat, dass sie die Durchführung einer Due Diligence auf keinen Fall gestatten werde. In diesem Fall wäre die Bedingung als versteckter Rücktrittsvorbehalt anzusehen, der den Wertungen der §§ 17, 18 widerspricht4. Praktisch geworden ist all das bislang nicht. Die Praxis behilft sich unmittelbar mit MAC-Bedingungen.
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13. Change of control-Fälle Der Bieter wird regelmäßig daran interessiert sein, dass für den Geschäftsbetrieb der 101 Zielgesellschaft bedeutsame Vertragsbeziehungen nach der Durchführung des Angebots bestehen bleiben und nicht – wie dies auf der Grundlage von change of controlKlauseln möglich wäre – automatisch wegfallen bzw. gekündigt werden können. Grundsätzlich bestehen gegen eine (auflösende) Bedingung, die das Angebot bei 102 Kündigung wesentlicher Verträge hinfällig werden lässt, keine Bedenken5. Um die 1 Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit und den Schranken einer Due Diligence vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 158; Hölters, § 93 AktG Rz. 183; Hemeling, ZUR 169 (2005), 274, 278 ff. 2 So im Ergebnis Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 65; a.A. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 135. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 65. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 131. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 57; Holzborn in Bad Homburger Hdb., C 116; siehe etwa Übernahmeangebot der Aurelius Development Invest GmbH/Hanse Yachts AG vom 9.9.2011, Ziff. 13.1, S. 32.
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rechtssichere Feststellung des Bedingungseintritts zu ermöglichen, muss die Bedingung genau angeben, welche Vertragsbeziehungen nach der Durchführung des Angebots fortbestehen müssen bzw. nicht beendet werden dürfen1. 103 Demgegenüber wäre eine Bedingung, die auf die automatische Beendigung wesentlicher Verträge abstellt, unzulässig, wenn die in diesen Verträgen enthaltenen change of control-Klauseln bei Erfolg des Angebots die Beendigung des Vertragsverhältnisses notwendig zur Folge haben und dies dem Bieter (etwa infolge einer vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage durchgeführten Due Diligence) bekannt ist2. Mit dem Zweck der §§ 17, 18, den Bieter an seinem Angebot festzuhalten, stünde dies nicht in Einklang. 14. Wirksamwerden anderer Transaktionen 104 In bestimmten Situationen kann es im Interesse des Bieters liegen, die Wirksamkeit des Angebots vom Wirksamwerden bzw. vom Vollzug einer anderen Transaktion abhängig zu machen. Das relevante Ereignis kann etwa die kartellrechtliche Freigabe der anderen Transaktion3 oder die Eintragung eines umwandlungsrechtlichen Vorgangs im Handelsregister4 sein. Derartige Bedingungen sind grundsätzlich zulässig, solange nicht die Wirksamkeit bzw. der Vollzug der anderen Transaktion ausschließlich vom Bieter und dem in § 18 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis herbeigeführt werden kann und solange eine angemessene zeitliche Grenze gesetzt wird, nach deren Überschreiten das Angebot hinfällig wird. Folglich müssen auch etwaige aufschiebende Bedingungen in diesem Vertrag so formuliert sein, dass ihr Eintritt oder die Feststellung ihres Eintritts nicht in das Ermessen des Bieters oder einem anderen Angehörigen des in § 18 Abs. 1 bezeichneten Personenkreises gestellt ist (siehe bereits oben Rz. 35 zu Paketerwerben). 15. Hauptversammlungsbeschlüsse der Zielgesellschaft 105 Der Bieter kann ein Interesse daran haben, dass die Hauptversammlung der Zielgesellschaft bestimmte Beschlüsse fasst, etwa über die Abberufung und Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, über die Änderung der Satzung oder – wenn dies für die Erwirkung der fusionskontrollrechtlichen Freigabe erforderlich ist – über die nach den Grundsätzen der „Holzmüller“ und „Gelatine“-Rechtsprechung erforderliche Zustimmung zur Veräußerung wesentlicher Unternehmensteile oder Beteiligungen. Gegen die Zulässigkeit derartiger Bedingungen bestehen keine Bedenken5.
1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 7; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 132. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 57. 3 So etwa das Übernahmeangebot RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG vom 24.6.2002, das aufschiebend bedingt war auf den Vollzug des Verkaufs der von der RAG an der Ruhrgas AG gehaltenen Beteiligung an die E.ON AG; vgl. Ziff. 11 (c). Dieser Vertrag unterlag wiederum bestimmten aufschiebenden Bedingungen; vgl. Ziff. 11 (i)-(iv). 4 Apfelbacher/Brems in Apfelbacher u.a., § 18 Rz. 17 m.w.N. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 80; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 109.
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16. Konkurrierende Angebote Die Bedingung, dass bis zum Ablauf der Annahmefrist kein konkurrierendes Ange- 106 bot eines Dritten abgegeben (bzw. nach § 10 angekündigt) wird, ist zulässig1. Ohne eine derartige Bedingung liefe der Bieter Gefahr, Wertpapiere von den Adressaten, die sein Angebot angenommen und von ihrem Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 keinen Gebrauch gemacht haben, erwerben zu müssen, auch wenn er an der Verfolgung seines Angebots nach dem Auftreten des konkurrierenden Angebots kein Interesse mehr hat2. Stellt der Bieter das Angebot unter die aufschiebende Bedingung des Nicht-Auftretens konkurrierender Angebote, kann er durch Verzicht auf diese Bedingung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) und gleichzeitige Erhöhung der Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) auf das Konkurrenzangebot reagieren – wegen § 21 Abs. 1 allerdings nur bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist3 (zur Zulässigkeit des nachträglichen Bedingungsverzichts siehe unten Rz. 113 und 113a). Alternativ kann sich der Bieter auch dadurch schützen, dass er die Wirksamkeit seines Angebots von einer zureichenden Mindestannahmequote (etwa 50 % des Grundkapitals) abhängig macht4. In der deutschen Übernahmepraxis war die Bedingung des Ausbleibens konkurrierender Angebote anfänglich unüblich, ist aber mittlerweile öfter anzutreffen5. Die anfänglichen Bedenken, dass eine derartige Bedingung am Kapitalmarkt nicht vermittelbar wäre, haben sich als nicht zutreffend erwiesen6.
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V. Zeitpunkt des Bedingungseintritts oder -ausfalls Nach allgemeiner Auffassung muss eine aufschiebende Bedingung grundsätzlich bis zum Ablauf der Annahmefrist eingetreten (bzw. eine auflösende Bedingung ausgefallen) sein7. Im Gesetz ist dies – außer für die Mindestannahmeschwelle (§ 16 Abs. 2 Satz 2) und Gesellschafterbeschlüsse des Bieters (§ 25) – nicht geregelt; auch in den Begründungen der verschiedenen Gesetzentwürfe ist diese Frage nicht angesprochen. Jedoch lässt sich aus der systematischen Auslegung der § 16 Abs. 2, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 25 sowie § 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2, dem Schutzzweck der Regelung über die weitere Annahmefrist (§ 16 Abs. 2) sowie dem Beschleunigungsgrundsatz (§ 3 Abs. 4 Satz 1) und dem Behinderungsverbot (§ 3 Abs. 4 Satz 2) 1 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 55; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 52; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 72; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 108. 2 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 108; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 53; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 55; Oechsler, NZG 2001, 817, 822. 3 A.A. offenbar Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 55. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 108. 5 Vgl. etwa Übernahmeangebot Bandai GmbH/Zapf Creation AG vom 28.6.2006; Ziff. 3.4.6, S. 12; Übernahmeangebot SolarWorld AG/Solarparc AG vom 31.12.2010, Ziff. 11.1, S. 34; Übernahmeangebot Deutsche Bank AG/Deutsche Postbank AG vom 7.10.2010, Ziff. 11.1.1, S. 37, und zuletzt Übernahmeangebot Siemens Industry Automation Holding AG/IBS AG vom 29.2.2012, Ziff. 7.1.7, S. 23. 6 So aber noch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 72. 7 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 29 unter Hinweis darauf, dass die Praxis der BaFin bei dem Übernahmeangebot der Robert Bosch GmbH für die Buderus AG noch großzügiger war; Liebscher, ZIP 2001, 853, 862; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 62; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 91; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 49; Mielke, DB 2012, 1969, 1970; im Ergebnis ähnlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 16 ff.
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entnehmen, dass der Gesetzgeber offensichtlich davon ausging, dass der Eintritt oder Ausfall einer Bedingung bis zum Ende der Annahmefrist feststehen muss1. 109 Von diesem Grundsatz sind Ausnahmen zu machen, wenn der Bedingungseintritt bis zum Ende der Annahmefrist nicht möglich oder nicht hinreichend sicher ist2. Nachdem die BaFin eine Ausnahme zunächst nur für Verfahren vor den zuständigen Kartellbehörden zugelassen hatte3, gestattet sie eine Ausnahme mittlerweile auch für andere behördliche Genehmigungsverfahren, die bis zum Ablauf der Annahmefrist nicht abgeschlossen sein können4 sowie für Angebotskapitalerhöhungen (siehe oben Rz. 72), verlangt dann aber, dass den Aktionären, die das Angebot angenommen haben, ein Ausgleich für die damit verbundenen Nachteile in Form der Gewährung eines zusätzlichen Rücktrittsrechtes oder durch die Ermöglichung des Börsenhandels mit den eingereichten Aktien gewährt wird5. Ein Rücktrittsrecht für die gesamte Schwebezeit bis zum Bedingungseintritt ist für den Bieter problematisch, weil es ihm die Planungssicherheit nimmt. In der Praxis wird daher regelmäßig von der zweiten Variante Gebrauch gemacht6. 110 Weil das Angebot im Interesse aller Betroffenen nicht auf unbestimmte Zeit schwebend unwirksam sein darf7 und sich der Bedingungseintritt objektiv und rechtssicher feststellen lassen muss, hat der Bieter für den Bedingungseintritt eine angemessene Frist zu bestimmen. Die Frist ist angemessen, wenn sie den Besonderheiten der Bedingung Rechnung trägt und die Interessen des Bieters am Aufschub des Vollzugs und die Interessen der Zielgesellschaft und der Wertpapierinhaber an der raschen Durchführung des Verfahrens adäquat zum Ausgleich bringt8. Hiernach kann es etwa eine Rolle spielen, welche Bedeutung das Vorhaben für den Bieter hat, ob das Angebot mit der Zielgesellschaft abgestimmt ist, ob die Aktionäre die Möglichkeit haben, in der Schwebezeit nach Ablauf der Annahmefrist bis zu dem definierten
1 Eingehend Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 29 f.; Mielke, DB 2012, 1969, 1971. 2 Busch, AG 2002, 145, 146; Fleischer, NZG 2002, 545, 550; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 62; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 91; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 49; Mielke, DB 2012, 1969, 1971 f.; zum Bedingungseintritt bei Pflichtangeboten auch von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 39 Rz. 55, 57; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 35 Rz. 219 f.; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 35 Rz. 238. 3 BaFin Jahresberichte 2003, S. 205; 2004, S. 205; näher Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 30 f. 4 Vgl. etwa das Übernahmeangebot Axel Springer AG/ProSiebenSat.1 Media AG vom 16.9.2005; Ziff. 6.3, S. 28 (Eintritt der Bedingungen im Hinblick auf die kartell- und medienaufsichtsrechtlichen Verfahren bis zum 26.7.2006, ca. 9,5 Monate nach dem Ende der Annahmefrist); siehe auch das Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.3, S. 50 (Eintritt der Bedingungen in Bezug auf die kartell- bzw. außenwirtschaftsrechtlichen Verfahren bis zum 31.12.2011, ca. 5,5 Monate nach dem Ende der Annahmefrist) und das Übernahmeangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 2.5.2011, Ziff. 14.1(f), S. 91 ff. (Eintritt bankaufsichtsrechtlicher Genehmigungen bis 31.3.2012, ca. 8,5 Monate nach dem Ende der Annahmefrist). 5 Siehe BaFin Jahresbericht 2005, S. 175; Untersagungsbescheid der BaFin vom 5.4.2012 zu Lasten der Andrem Power S.C.A., Ziff. 2c. 6 Beispiele siehe Fn. 4. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 91; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 51.
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Zeitpunkt in den dem Bieter angedienten Aktien zu handeln1 oder ob der Bieter ihnen nach Ablauf einer angemessenen Zeit ein Rücktrittsrecht einräumt2. Im gewählten Beispiel der behördlichen Genehmigung wäre daher auf die im Verwaltungsverfahren vorgeschriebenen bzw. üblichen Fristen abstellen3. Eine starre zeitliche Obergrenze4 verbietet sich5. Solange das Angebot wegen einer ausstehenden behördlichen Genehmigung nach Ab- 111 lauf der Annahmefrist noch in der Schwebe ist, läuft der Bieter Gefahr, dass bis zum Vollzug des Angebots wesentliche Verschlechterungen (material adverse changes) eintreten oder eine bei Ablauf der Annahmefrist erreichte Akzeptanzschwelle aufgrund von Rücktrittserklärungen wieder unterschritten wird. Er hat daher ein berechtigtes Interesse daran, sich bis zum Vollzug des Angebots auf derartige Bedingungen berufen zu können6. Die BaFin hat dies bisher jedoch nicht zugelassen7. Für die Akzeptanzschwelle sei in § 16 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich normiert, dass sie bis zum Ablauf der Annahmefrist erreicht sein müsse. Im Übrigen könne die weitere Annahmefrist des § 16 Abs. 2 ihre Schutzfunktion nur erfüllen, wenn die Wertpapierinhaber, die über die Wahrnehmung dieser „letzten Annahmemöglichkeit“ zu entscheiden haben, im Zeitpunkt ihrer Entscheidung wissen, ob das Angebot vollzogen wird oder nicht. Im Fall des Kartellvorbehalts müssten diese Interessen jedoch u.a. wegen der
1 Relevant wurde dies erstmals im Übernahmeverfahren UniCredit/HVB. UniCredit verpflichtete sich, einen Dritten als Designated Sponsor zu benennen, um einen liquiden Handel der eingereichten Aktien an der Börse zu gewährleisten. Den angedienten Aktien wird dann eine separate Kennnummer (ISIN) zugeteilt. Siehe Übernahmeangebot UniCredito Italiano S.p.A./Bayerische Hypo- und Vereinsbank Aktiengesellschaft vom 10.10.2005, Ziff. 10.8, S. 24; Übernahmeangebot der Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Ziff. 12.8, S. 73. 2 Siehe BaFin Jahresbericht 2010, S. 223 und Übernahmeangebot der ACS S.A./Hochtief AG vom 1.12.2010, Ziff. 16.1, S. 55. Die BaFin forderte von ACS, den annehmenden Aktionären ein voraussetzungsloses Rücktrittsrecht nach Veröffentlichung der Annahmequote aus der weiteren Annahmefrist einzuräumen. Das Rücktrittsrecht wurde bis zum 7. Bankarbeitstag nach der Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 eingeräumt. 3 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 30; Mielke, DB 2012, 1969, 1971; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 21. 4 Hierfür Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 66 (drei Wochen nach Ablauf der Annahmefrist); ähnlich Liebscher, ZIP 2001, 853, 862 (zeitnah nach Ablauf der Annahmefrist); kritisch dazu Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 988. 5 Mielke, DB 2012, 1969, 1971 f. 6 Busch, AG 2002, 145, 151; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2008, S. 184 f.; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 262; Mielke, DB 2012, 1969, 1972; a.A. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 52. 7 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26; zustimmend Berger/Filgut, WM 2005, 253, 258 f.; vgl. aber das Übernahmeangebot Dritte BV GmbH (100-prozentige Tochtergesellschaft der Bayer AG)/Schering AG vom 13.4.2006: Nach USamerikanischem Recht war das Angebot bis zur Genehmigung der deutschen Kartellbehörden offen, so dass Bayer den US-amerikanischen Aktionären für diese Zeit ein unbedingtes Rücktrittsrecht hätte einräumen müssen. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes hätte allen Schering-Aktionären der Rücktritt ermöglicht werden müssen, was jedoch möglicherweise zu einem Absinken der Beteiligung unter die Mindestannahmeschwelle von 75 % nach Ablauf der Annahmefrist geführt hätte. Hierauf hätte sich Bayer aber nicht mehr berufen können, so dass aufgrund dessen die SEC in Abstimmung mit der BaFin Bayer davon befreite, den Aktionären wegen der noch ausstehenden kartellrechtlichen Genehmigung ein Rücktrittsrecht einzuräumen, vgl. BaFin Jahresbericht 2006, S. 183; Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 1, 10 f.
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Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Kosten der Rückabwicklung zurückstehen1. Dies ist nachvollziehbar, kann aber rechtspolitisch nicht befriedigen. Im Übrigen wäre den Interessen der Wertpapierinhaber noch besser Rechnung getragen, wenn man die weitere Annahmefrist entgegen § 16 Abs. 2 Satz 1 erst nach Erteilung der behördlichen Genehmigung anlaufen ließe: Weil nach der Erteilung dieser Genehmigung feststeht, dass das Angebot vollzogen wird, könnten die betroffenen Wertpapierinhaber in vollständiger Kenntnis der Sachlage über die Wahrnehmung der „letzten Annahmemöglichkeit“ entscheiden. Bezieht man in diese Betrachtung ein, dass der Gesetzgeber offensichtlich davon ausging, dass der Eintritt einer Bedingung bis zum Ende der Annahmefrist feststehen muss (siehe oben Rz. 108), wird deutlich, dass § 16 Abs. 2 Satz 1 planwidrig zu weit reicht. Die Geltung der Vorschrift könnte also teleologisch reduziert werden. Die dadurch aufgeworfenen Verfahrensfragen sollten sich lösen lassen, insbesondere wenn der Bieter bereit ist, die Wertpapierinhaber über ihre Depotbanken über den Beginn der weiteren Annahmefrist zu unterrichten2.
VI. Veröffentlichung des Bedingungseintritts oder -ausfalls 112 Eine Verpflichtung des Bieters, den Eintritt bzw. Ausfall von Bedingungen zu veröffentlichen, ist im WpÜG nicht ausdrücklich vorgesehen. Weil diese Information für die Wertpapierinhaber jedoch von erheblicher Bedeutung ist und die Wertpapierinhaber gemäß § 3 Abs. 2 ein Recht darauf haben, in Kenntnis der Sachlage entscheiden zu können, wird zutreffend eine planwidrige Regelungslücke angenommen, die durch Analogie zu den sonstigen Informations- und Veröffentlichungspflichten des Gesetzes auszufüllen ist. Folglich ist der Bedingungseintritt bzw. -ausfall in der Form des § 14 Abs. 3 Satz 1 unverzüglich zu veröffentlichen3.
VII. Änderung von Bedingungen 113 Die nachträgliche Änderung von Bedingungen ist nur in den Grenzen des § 21 möglich. Hiernach kann der Bieter die von ihm aufgestellte Mindestakzeptanzschwelle verringern (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) oder auf Bedingungen insgesamt verzichten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4). Derartige Änderungen sind spätestens bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist zu veröffentlichen (§ 21 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1)4. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Feiertage auch von den einzelnen Bundesländern individu-
1 Zu den Gründen Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 31. 2 Auf der Grundlage dieses Regelungskonzepts könnte auch daran gedacht werden, den Bedingungsverzicht nach Ablauf der Annahmefrist zuzulassen (zum nachträglichen Bedingungsverzicht siehe unten Rz. 113). 3 Im Ergebnis ebenso Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 66; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 94; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 14; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 53. Siehe auch Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 27, die aus Sicht der BaFin darauf hinweisen, dass das Erreichen bzw. Verfehlen der Mindestannahmequote sobald als möglich veröffentlicht werden soll, um Marktverzerrungen und -spekulationen zu vermeiden, die andernfalls entstehen können, weil nach § 16 Abs. 2 Satz 2 die weitere Annahmefrist nicht besteht, wenn die Mindestannahmequote verfehlt wird und daher ein Bedürfnis besteht, bald zu erfahren, ob das Angebot erfolgreich war oder nicht. 4 Zur Fristberechnung siehe Busch, ZIP 2003, 102.
528 Krause/Favoccia
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
ell festgelegt werden können. Um die Gleichbehandlung aller Wertpapierinhaber zu gewährleisten und dem Erfordernis des Kapitalmarkts einer einheitlichen Fristenregelung Rechnung zu tragen, gelten als Werktage nur solche Tage, die im gesamten Bundesgebiet Werktage sind1. Der Bieter kann auch dann noch auf eine Bedingung verzichten, wenn sie bereits ausgefallen ist und das Angebot nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen endgültig unwirksam wäre. Hiergegen wird zwar vorgebracht, dass dem Bieter dadurch ein faktisches Rücktrittsrecht eingeräumt werden, wenn er vorsorglich Bedingungen einbaue und im Nachhinein dann immer noch entscheiden könne, ob er nicht doch an dem Angebot festhalten wolle. Das widerspreche den Wertungen von § 18 Abs. 22. Im Übernahmeverfahren ist die Konsequenz der endgültigen Hinfälligkeit des Angebots allerdings nicht interessengerecht3. Der Bieter will sich gerade an dem Angebot festhalten lassen. Ihn darauf zu verweisen, ein neues Angebot vorzulegen, ist weder in seinem Interesse, noch im Interesse der Zielgesellschaft, die in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt wird, noch im Interesse der Aktionäre, die ihre Aktien nicht einreichen könnten. Stattdessen ist analog § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 von der Zulässigkeit des „nachträglichen Bedingungsverzichts“ auszugehen (siehe hierzu auch Rz. 48)4. Die Praxis ist zunehmend dazu übergegangen, Bedingungen als Vollzugsbedingung 113a im Sinne von Fälligkeitsbestimmungen zu regeln5, auf die im Laufe des Angebotsverfahrens jederzeit verzichtet werden kann6. Die schuldrechtlichen Kaufverträge kommen damit wirksam zustande, während das dingliche Rechtsgeschäft bedingt ist. Um dies aufzulösen, enthalten die entsprechenden Angebote regelmäßig den Zusatz, dass das Angebot erlösche, falls die Vollzugsbedingungen nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten seien und der Bieter nicht auf sie verzichtet habe7. Dadurch stehen die Kaufverträge de facto unter der auflösenden Bedingung des Eintritts der Vollzugsbedingungen8. Hierdurch wird deutlich, dass die Möglichkeit eines 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 23; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 20; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 37; anders Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 35 (Werktag am Sitz der Zielgesellschaft). 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 22; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 24; im Ergebnis auch Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 151 f. 3 So auch Stephan, AG 2011, 307; zu den praktischen Schwierigkeiten des Verbots des nachträglichen Bedingungsverzichts Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 99 ff. mit Vorschlägen für eine Neuregelung. 4 Eingehend Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 72; im Ergebnis ebenso Busch, AG 2002, 145, 146; Holzborn/Israel, BKR 2002, 982, 985; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 27; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 37; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 262; a.A. Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 22; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 13; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 286 (aber a.A. in Rz. 198); differenzierend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 32, der einen nachträglichen Verzicht für zulässig hält, sofern die Angebotsunterlage diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht. 5 Vgl. etwa Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13, S. 45 ff.; Übernahmeangebot ACS S.A./HOCHTIEF AG vom 1.12.2010, Ziff. 13, S. 44 ff.; siehe dazu Seibt, CFL 2011, 213, 233; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 9, 17 f.; kritisch dazu Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 27 f. 6 Seibt, CFL 2011, 213, 233; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 9, 17 f.; A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 269. 7 Vgl. Übernahmeangebot Engine Holding GmbH/Tognum AG vom 6.4.2011, Ziff. 13.3, S. 50; Übernahmeangebot ACS S.A./HOCHTIEF AG vom 1.12.2010, Ziff. 13.3, S. 46. 8 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 27.
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nachträglichen Bedingungsverzichts allein eine Frage der Formulierung der Bedingung1 und unabhängig davon zulässig sein sollte2.
VIII. Rechtsfolgen 114 Ob sich die vom Bieter in der Angebotsunterlage vorgesehenen Bedingungen in den Grenzen des rechtlich Zulässigen halten, unterliegt der Prüfung durch die BaFin (§ 14 Abs. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 2). Ist die Bedingung offensichtlich rechtswidrig (§ 15 Abs. 1 Nr. 2), hat die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu untersagen (siehe hierzu § 15 Rz. 11 ff.). In der Praxis werden die Bedingungen daher regelmäßig vor der Übermittlung der Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 1 mit der BaFin abgestimmt. 115 Auch nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage kann die Rechtmäßigkeit einer Bedingung in Frage stehen, etwa wenn eine auflösende Bedingung eingetreten ist und ein Wertpapierinhaber, der das Angebot angenommen hat, die Bedingung für unzulässig hält. Nachdem die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage gestattet hat, kommt eine Untersagung des Angebots oder der Bedingung aus diesem Grund nicht mehr in Betracht. Die Untersagungsbefugnisse des § 15 bilden diesen Fall nicht ab. Der Rückgriff auf § 4 Abs. 1 Satz 3 ist gesperrt, weil der Bieter und die Wertpapierinhaber nach der Gestattungsentscheidung darauf vertrauen dürfen, dass die im Rahmen der Gestattungsentscheidung geprüften Gesichtspunkte nicht erneut aufgegriffen und zur Grundlage der Untersagung des Angebots gemacht werden3. Hält ein Wertpapierinhaber eine eingetretene auflösende Bedingung für rechtswidrig, muss er den Bieter vor einem zuständigen Zivilgericht auf Erfüllung in Anspruch nehmen4. Die Gestattungsentscheidung der BaFin hat für die rechtliche Beurteilung der Bedingung keine Präjudizwirkung5. Weiterhin hat das Gericht durch Auslegung zu ermitteln, ob nur die Bedingung oder das Angebot insgesamt nichtig ist. Im Zweifel ist das Angebot insgesamt nichtig (§ 139 BGB)6. Der Bieter kann diese Konsequenz abwenden, indem er (rechtzeitig) auf die Bedingung verzichtet. 116 Nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage kann auch der Eintritt einer Bedingung in Streit stehen. Eine Befugnis der BaFin, diese Tatfrage allgemeinverbindlich festzustellen, ist im Gesetz nicht enthalten. Wenn sich jedoch der Bieter auf den Nichteintritt einer aufschiebenden Bedingung beruft und dies angesichts des zugrunde liegenden Sachverhalts einen Missstand darstellt, kann die BaFin die unzutreffende Berufung auf den Nichteintritt der Bedingung nicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 untersagen und den Bieter auch nicht zur Durchführung des Angebots zwingen7. Die BaFin hat – anders als etwa das Takeover Panel8 – gerade keine Befugnis zur Feststel1 Stephan, AG 2011, 307. 2 Zutreffend Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 28. 3 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 164; a.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 18 Rz. 12. 4 Busch, AG 2002, 145, 152. 5 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 164; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 86; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 12. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 12; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 136; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 95 (grundsätzlich nur Nichtigkeit der Bedingung); differenzierend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 57. 7 Anders noch die 1. Aufl.; siehe auch Busch, AG 2002, 145, 152; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 164; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 86. 8 Rule 13.5 of the Takeover Code.
530 Krause/Favoccia
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
lung des Eintritts einer Bedingung. Den Wertpapierinhabern bleibt es selbstverständlich unbenommen, den Bieter auf Erfüllung in Anspruch zu nehmen und die Frage von einem zuständigen Zivilgericht (§ 66) klären zu lassen.
C. Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalt (§ 18 Abs. 2) Das Verbot von Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalten gemäß § 18 Abs. 2 hat nach zu- 117 treffender Auffassung zwei Normzwecke: Einerseits soll es dem Bieter die Möglichkeit nehmen, sich durch die Ausübung eines selbst eingeräumten Gestaltungsrechts von dem abgegebenen Angebot wieder zu lösen. Andererseits soll es verhindern, dass eine gemäß § 18 Abs. 1 unzulässige Bedingung als Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalt ausgestaltet wird und somit die Anforderungen des § 18 Abs. 1 umgangen werden1. Nach der Gegenauffassung soll der Normzweck des § 18 Abs. 2 allein im Schutz vor der Umgehung des § 18 Abs. 1 bestehen2. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift und die Begründung des Regierungsentwurfs erscheint dies jedoch als eine unzulässige Verkürzung. Diesen Normzwecken entsprechend sind Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalte stets 118 unzulässig. Auch Umstände, die gemäß § 18 Abs. 1 zu einer Bedingung erhoben werden könnten, können nicht zum Gegenstand eines Widerrufs- oder Rücktrittsvorbehalts gemacht werden. Eine einschränkende Auslegung oder teleologische Reduktion dergestalt, dass sich das Verbot auf solche Vorbehalte beschränkt, bei denen der Bieter, mit ihm zusammenwirkende Personen oder deren Tochterunternehmen den Eintritt des Widerrufs- bzw. Rücktrittsgrunds ausschließlich selbst herbeiführen können3 oder die ohne Bindung an bestimmte Umstände ohne weiteres durch eine Willenserklärung ausgeübt werden können4, kommt nicht in Betracht5. Der Grund hierfür liegt in der Rechtsnatur des Widerrufs- bzw. Rücktrittsvorbehalts: Er ist ein Gestaltungsrecht des Bieters und kann daher, anders als eine Bedingung, das Übernahmeverfahren immer nur aufgrund einer – für die Wertpapierinhaber und die Zielgesellschaft nicht vorhersehbaren – Entscheidung des Bieters beenden. Vereinzelt wird diese Regelung nicht für konsequent gehalten, weil auch der Verzicht auf eine zulässige Bedingung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) für die Wertpapierinhaber und die Zielgesellschaft nicht vorhersehbar sei6. Diese Kritik erscheint jedoch unberechtigt, weil der Bedingungsverzicht die Verlängerung der Annahmefrist (§ 21 Abs. 5) und die Rücktrittsmöglichkeit für die Wertpapierinhaber, die das Angebot schon angenommen haben (§ 21 Abs. 4), zur Folge hat7.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 54; wohl auch Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 77; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 97; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 18 WpÜG Rz. 23. 2 Busch, AG 2002, 145 (Fn. 2); Stöcker, NZG 2003, 993, 994; Merkner/Sustmann in Baums/ Thoma, § 18 Rz. 159. 3 Busch, AG 2002, 145 (Fn. 2); Stöcker, NZG 2003, 993, 994. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 18 Rz. 13. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 5, 69 ff.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 77; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 97; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 54; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 161; Sohbi in Heidel, § 18 WpÜG Rz. 3. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 97. 7 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 54 (Fn. 99).
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§ 18
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
119 § 18 Abs. 2 ist analog anzuwenden, wenn das Angebot eine praktisch unerfüllbare aufschiebende Bedingung enthält. In diesem Fall könnte der Bieter nämlich allein durch den Verzicht auf die Bedingung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4), d.h. allein aufgrund eigener Willensbetätigung, über die Durchführung des Angebots entscheiden1. Weiterhin ist § 18 Abs. 2 auf solche auflösenden Bedingungen analog anzuwenden, die auch noch nach der Abwicklung des Angebots eintreten und dessen Rückabwicklung zur Folge haben können2. Auflösende Bedingungen sind demnach nur zulässig, wenn sie vorsehen, dass der Bedingungseintritt bzw. -ausfall spätestens bis zur Abwicklung des Angebots eingetreten sein muss3. 120 Die Rechtsfolgen eines Angebots, das einen unzulässigen Widerrufs- oder Rücktrittsvorbehalt enthält, unterscheiden sich nicht von den Rechtsfolgen eines Angebots mit einer gemäß § 18 Abs. 1 unzulässigen Bedingung. Regelmäßig wird der unzulässige Vorbehalt bei der Prüfung der Angebotsunterlage auffallen und, wenn der Bieter nicht entsprechend nachbessert, das Angebot wegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen die gesetzlichen Vorschriften untersagt werden (§ 15 Abs. 1 Nr. 2). 121 Im Schrifttum wird diskutiert, ob neben § 18 das allgemeine zivilrechtliche Institut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Anwendung findet. Die überwiegende Meinung hält eine Berufung des Bieters hierauf für grundsätzlich zulässig4. Als denkbare Fallkonstellationen kommen Abwehrmaßnahmen der Zielgesellschaft, konkurrierende Angebote sowie schwerwiegende Äquivalenzstörungen in Betracht5. Entgegen ihres Ausnahmecharakters erhielte die Vorschrift somit einen weiten Anwendungsbereich. Hiergegen spricht der Zweck des Angebotsverfahrens, den Bieter so weit wie möglich an sein Angebot zu binden und ihm eine Loslösung nur in den von ihm ausdrücklich und von Anfang an vorgesehenen Konstellationen zuzugestehen6. Ein Rückgriff auf § 313 BGB erübrigt sich daher regelmäßig und ist allenfalls auf extreme Ausnahmefälle zu beschränken7. Ein Bedürfnis hierfür ist etwa in Situationen vorstellbar, in denen nach Ablauf der Annahmefrist aber vor Ablauf der eingeräumten Frist für die Erteilung der erforderlichen behördlichen Genehmigungen, in einer Zeit also, in der sich der Bieter nicht mehr auf einen market MAC berufen kann, eine nicht vorhersehbare erhebliche Marktstörung eintritt8. Als Rechtsfolge einer Störung der Geschäftsgrundlage ist vorrangig der Vertrag anzupassen. Dem Bieter tritt bei einem Übernahmeangebot jedoch keinem konkreten Vertragspartner, son-
1 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 77; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 98; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 162. So auch die BaFin für eine bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage bereits ausgefallene aufschiebende Bedingung (siehe Untersagungsbescheid vom 5.4.2012 zu Lasten der Andrem Power S.C.A., Ziff. 2b). 2 Sohbi in Heidel, § 18 WpÜG Rz. 4; a.A. Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 162. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 56. 4 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 125; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 35; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 74; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 79; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln, 2006, S. 117 f.; Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 692; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 215; Berger/Filgut, WM 2005, 253, 256. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 77 ff.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 18 Rz. 74. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 99 f. 7 Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 18 Rz. 125; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 100; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 35. 8 A. Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 263 f.
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§ 18
dern einer Vielzahl an Angebotsadressaten gegenüber, so dass einzig der Rücktritt (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB) als zulässige Rechtsfolge in Frage kommt1.
D. Blick über die Grenze I. Übernahmerichtlinie Art. 6 Abs. 3 lit. h) der Übernahmerichtlinie bestimmt, dass alle Bedingungen, an 122 welche das Angebot geknüpft ist, in der Angebotsunterlage enthalten sein müssen. Darüber hinaus enthält die Übernahmerichtlinie jedoch keine konkreten Vorgaben dazu, welche Bedingungen, Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalte zulässig sind, sondern überlässt dies der Regelung durch die (Art. 13 lit. e) der Übernahmerichtlinie)2.
II. Vereinigtes Königreich Nach dem Takeover Code3 des Vereinigten Königreichs muss jedes Übernahmeangebot unter der Bedingung stehen, dass der Bieter nach Durchführung des Angebots 50 % des Grundkapitals hält4. Dies gilt auch für Pflichtangebote5. Außerdem muss das Angebot, wenn es der Freigabe der zuständigen Kartellbehörde bedarf, einen Kartellvorbehalt enthalten6. Auch dies gilt für Pflichtangebote7. Darüber hinaus sind solche Bedingungen zulässig, deren Eintritt nicht vom Ermessen oder der Kontrolle des Leitungsorgans des Bieters abhängt. Das Takeover Panel kann im Einzelfall von dieser Beschränkung befreien8. Widerrufs- und Rücktrittsvorbehalte sind nur ausnahmsweise zulässig im Hinblick auf Umstände, deren Eintreten oder Nichteintreten für den Bieter von zentraler Bedeutung für sein Angebot sind9. Das Takeover Panel kann im Einzelfall Ausnahmen zulassen, insbesondere bei Konkurrenzangeboten anderer Bieter oder bei Verteidigungsmaßnahmen der Zielgesellschaft10.
123
III. Österreich Das österreichische Übernahmegesetz11 erlaubt in § 8 öÜbG nur solche Bedingungen 124 und Rücktrittsvorbehalte, die sachlich gerechtfertigt sind. Dies ist insbesondere der
1 Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 216; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 74; Berger/ Filgut, WM 2005, 253, 256; Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 692; wohl auch Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-AdverseChange-Klauseln, 2006, S. 120, 241 ff.; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 35. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 3; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 18 Rz. 2. 3 Fassung vom 19.9.2011; abrufbar unter www.thetakeoverpanel.org.uk. 4 Rule 10; hierzu Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–4012 ff.; kurzer Überblick bei Zinser, RIW 2001, 481, 483. 5 Rule 9.3 (a); Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–8033 ff. 6 Rule 12.1; hierzu Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–4022 f. 7 Rule 9.4; Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–8038 ff. 8 Rule 13.1 und Note 1 zu Rule 13; Rabinowitz in Weinberg/Blank on Takeovers and Mergers, Rz. 4–4020 f. 9 Rule 13.5 (a). 10 Zinser, RIW 2001, 481, 486. 11 Fassung vom 13.1.2010; abrufbar unter www.takeover.at.
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§ 18
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Fall, wenn die Bedingung oder der Rücktrittsvorbehalt auf Rechtspflichten des Bieters beruht oder der Eintritt der Bedingung oder die Geltendmachung das Rücktrittsrecht nicht ausschließlich vom Ermessen des Bieters abhängt. Pflichtangebote sind gemäß § 25b Abs. 3 öÜbG bedingungsfeindlich, sofern nicht die Bedingung gesetzlich geboten ist.
IV. Schweiz 125 Die Übernahmeverordnung der Schweizer Übernahmekommission1 lässt Bedingungen in freiwilligen Übernahmeangeboten zu, soweit der Bieter hieran ein begründetes Interesse hat, Art. 13 Abs. 1 UEV. Zulässig sind gemäß Art. 13 Abs. 2 UEV jedoch nur solche Bedingungen, deren Eintritt der Bieter selbst nicht maßgeblich beeinflussen kann. Art. 13 Abs. 3 UEV bestimmt ferner eine Förderungspflicht des Bieters, alle ihm zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintritt von Bedingungen herbeizuführen, die von seiner Mitwirkung abhängen. Pflichtangebote sind nach der Börsenverordnung2 grundsätzlich bedingungsfeindlich, es sei denn, Bedingungen sind durch wichtige Gründe gerechtfertigt. Wichtige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Erwerb eine behördliche Genehmigung voraussetzt, Art. 36 Abs. 2 lit. a) BEHV-FINMA.
V. Frankreich 126 Im französischen Übernahmerecht ist das öffentliche Angebot grundsätzlich unwiderruflich und bedingungsfeindlich. Jedoch ist es dem Bieter erlaubt, sich für den Fall, dass eine vorher festgesetzte Mindestbeteiligung an der Zielgesellschaft nicht erreicht wird, eine Rücknahme des Angebots vorzubehalten. Ferner darf der Bieter mit Zustimmung der AMF (Autorité des Marchés Financiers) von seinem Angebot zurücktreten; die Zustimmung wird insbesondere erteilt, wenn die Zielgesellschaft während der Angebotsperiode Handlungen vornimmt, die eine wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage, auf der das Angebot beruht, nach sich zieht. Ein gesetzliches Widerrufsrecht, über dessen Ausübung die AMF lediglich benachrichtigt werden muss, entsteht im Falle eines konkurrierenden Übernahmeangebots.
E. Übersicht der Bedingungen in Erwerbsangeboten und freiwilligen Übernahmeangeboten seit 2002 127 Die nachfolgende Übersicht zeigt, welche Bedingungen seit Inkrafttreten des WpÜG im Jahr 2002 in einfachen Erwerbsangeboten und freiwilligen Übernahmeangeboten verwendet wurden. Soweit auf die Bedingungen verzichtet wurde, ist dies ebenfalls vermerkt. Pflichtangebote sind nicht erfasst, da sie grundsätzlich bedingungsfeindlich sind (siehe oben Rz. 5). Die Übersicht zeigt anschaulich, dass Bedingungen als Reaktion auf das jeweilige Marktumfeld eingesetzt werden.
1 Verordnung der Schweizer Übernahmekommission vom 21.8.2008 über öffentliche Kaufangebote (UEV); Fassung vom 1.6.2010; abrufbar unter www.takeover.ch. 2 Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht vom 25.10.2008 über die Börsen und den Effektenhandel (BEHV-FINMA); Fassung vom 1.6.2012; abrufbar unter www.take over.ch.
534 Krause/Favoccia
NTT Data Europe GmbH & Co KG/ intelligence AG
Beauty Holding Three AG/Douglas Holding AG
Vienna GmbH/ vwd Vereinigte Wirtschaftsdienste Aktiengesellschaft
Informatica Deutschland AG/Heiler Software AG
31.10.2012
25.10.2012
22.10.2012
Bieter-/ZielGesellschaft
16.11.2012
Datum
Kartellfreigabe –
–
–
–
Mindestannahmequote
86,805 %
75 %
90 %
67,50 %
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – konsolidiertes Eigenkapital – kein Insolvenzverfahren – keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – keine Einstellung von Zahlungen/Geschäftstätigkeit
Market MAC – MDAX
Target MAC – Konzern-EBITDA – kein Insolvenzantrag – kein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals
–
MAC
–
Sonstige Bedingungen
– keine compli– Kapitalmaßnahmen ance-Verletzung – Dividendenausschütder Zielgeselltung schaft – Auflösung von Rücklagen – Vermögensübertragung – Unternehmensverträge – Aktienoptionsprogramme – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien – Fremdkapitalaufnahme
– Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Satzungsänderungen – Liquidationsbeschlüsse – Umwandlungsbeschlüsse – Unternehmensverträge – Vermögensübertragungen
–
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen in Erwerbsangeboten und freiwillige Übernahmeangeboten seit 2002 [Stand 27.11.2012]
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
535
Redline Capital Management S.A./ artnet AG
ATON Engineering AG/Rücker AG
Deutsche Balaton AG/ Allerthal-Werke AG
Finedining Capital GmbH/WMF Württembergische Metallwarenfabrik AG
TRM Beteiligungsgesellschaft mbH/ FORTEC Elektronik AG
Vue Beteiligungs AG/ CinemaxX
Scherzer & Co. AG/ Allerthal-Werke AG
Allgeier SE/EASY SOFTWARE AG
23.08.2012
23.08.2012
16.8.2012
9.8.2012
7.8.2012
26.7.2012
24.7.2012
Bieter-/ZielGesellschaft
31.08.2012
Datum
536 Krause/Favoccia +
+
–
–
75 %
– –
–
–
–
25 %2
–
+
–
56 %
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
+
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – Konzernumsatz3 – kein Insolvenzverfahren
–
–
–
–
–
Target MAC – kein Insolvenzantrag
Market MAC – DAX
Target MAC – kein Insolvenzverfahren – Grundkapital
MAC
– Satzungsänderungen – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen
–
–
–
–
– Dividendenausschüttung
– Satzungsänderungen – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung
– Satzungsänderungen
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
–
–
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
PAR Investment Partners, L.P./Advanced Inflight Alliance AG
Andritz Beteiligungsgesellschaft IV GmbH/ Schuler AG
AIG Century GmbH & Co. KGaA/AIRE GmbH & Co. KGaA
FPS Beteiligungs AG/ RHÖN-KLINIKUM AG
TKH Technologie Deutschland AG/ Augusta Technologie AG
2.7.2012
12.6.2012
18.5.2012
11.5.2012
Bieter-/ZielGesellschaft
11.7.2012
Datum
+
–
–
75 %2
+
–
+
–
–
90 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBITDA3 – konsolidiertes Eigenkapital3 – kein Insolvenzverfahren3 – keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung3 – Grundkapital3 – keine Einstellung von Zahlungen/Geschäftstätigkeit3
–
–
–
–
MAC
– Kapitalmaßnahmen3 – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen – Unternehmensverträge3 – Vermögensübertragung3 – Aktienoptionsprogramme3 – Pensionsverpflichtungen3
– Dividendenausschüttung
–
– Kapitalmaßnahmen
–
– Unternehmensverträge – Maßnahmen nach UmwG – Vermögensübertragung – Aktienoptionsprogramme
Keine Abwehrmaßnahmen
– keine Compliance-Verletzung der Zielgesellschaft3
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
537
AMG Invest GmbH/ Graphit Kropfmühl AG
Siemens Industry Automation Holding AG/ IBS AG excellence, collaboration, manufacturing
LDK Solar Germany Holding GmbH/sunways AG
Herr Klaus Wecken/ WESTGRUND AG
Pon Holding Germany GmbH/Derby Cycle AG
29.2.2012
13.2.2012
19.12.2011
21.10.2011
Bieter-/ZielGesellschaft
14.3.2012
Datum
538 Krause/Favoccia –
–
50 %
–
+
75 %
–
–
1,84 %1
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
Target MAC – Netto-Umsatzerlös3 – Grundkapital – kein Insolvenzverfahren – keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen – keine Einstellung von Zahlungen/Geschäftsbetrieb – Zahlungsverzug – keine vorzeitige Fälligstellung von Verbindlichkeiten
–
Market MAC – DAX1
MAC
–
–
–
–
–
– keine Compliance-Verletzung der Zielgesellschaft3 – kein konkurrierendes Angebot
– Satzungsänderungen – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen – Maßnahmen nach UmwG – Unternehmensverträge – Vermögensübertragung – Aktienoptionsprogramme – Pensionsverpflichtungen –
–
Sonstige Bedingungen
–
– Gewährung von Darlehen3 – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien3
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Terex Industrial Holding AG/Demag Cranes AG
19.5.2011
VictorianFibre Holding GmbH/Versatel AG
28.6.2011
QSC AG/INFO Gesellschaft für Informationssysteme AG
Lenovo Germany Holding GmbH/Medion AG
28.6.2011
9.6.2011
Deutsche Balaton AG/ W.E.T. Automotive Systems AG
20.7.2011
SMS GmbH/elexis AG
Erwin Hymer Vermögensverwaltungs AG/HYMER AG
9.9.2011
15.6.2011
Aurelius Development Invest GmbH/HanseYachts AG
Bieter-/ZielGesellschaft
9.9.2011
Datum
+ –
+
50 % –
51 %
+
+
51 %
–
–
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
Target MAC – Grundkapital – kein Insolvenzantrag
Target MAC – Umsatz3 – EBIT3
–
–
Target MAC – Bestätigung bestimmter Banken: kein Berufen auf bekannte Verletzung aus Kreditverträgen sowie keine Kündigkung von Kreditverträgen aufgrund von Change of control-Klauseln
MAC
– Sazungsänderungen – Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung3
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Maßnahmen nach UmwG – Unternehmensverträge – Liquidation
–
– keine Compliance-Verletzung der Zielgesellschaft3
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
539
Deutsche Balaton AG/ MISTRAL Media AG
MBT Systems GmbH/ Roth & Rau AG
Alpha Beta Netherlands Holding N.V./ Deutsche Börse AG
5.5.2011
4.5.2011
Bieter-/ZielGesellschaft
5.5.2011
Datum
540 Krause/Favoccia –
+
75 %
–
Kartellfreigabe
+
–
Mindestannahmequote
– Wirksamkeit des Registration Statements – finanzmarktaufsichtsrechtlich – IRS Ruling/Rulings bzgl. Zielgesellschaft und NYSE Euronext1
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Market MAC – keine Einstellung des Devisenhandels oder Fremdkapitalmarktes
Target MAC – Nettokonzernumsatz (gilt auch in in Bezug auf NYSE Euronext)3
Market MAC – DAX 30
Target MAC – Konzern-EBITDA3 – Grundkapital – kein Insolvenzantrag
Target MAC – Grundkapital – Eigenkapital – kein vorläufiger Insolvenzverwalter – kein Insolvenzantrag
Market MAC – DAX 30
MAC
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung3 – Dividendenausschüttung
–
Keine Abwehrmaßnahmen
– Zustimmung der Hauptversammlung der NYSE Euronext – keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
–
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Grohe Asia AG/Joyou AG
Asklepios Kliniken GmbH/MEDICLIN AG
CROSS Informatik GmbH/All for One Midmarket AG
FH Finanzholding AG/ Ehlebracht AG
AMS Acquisition B.V./ Teleplan International N.V.
24.3.2011
17.3.2011
14.2.2011
10.1.2011
Engine Holding GmbH/Tognum AG
6.4.2011
28.3.2011
Amerigon Europe GmbH/W.E.T. Automotive Systems AG
Bieter-/ZielGesellschaft
11.4.2011
Datum
– +
75 %
–
–
–
–
–
+2
50 %2
+
+
71,8 %
9,87 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
– außenwirtschaftsrechtlich2
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBITDA3 – keine Handelsaussetzung der Aktien der Zielgesellschaft
–
–
–
Market MAC – SSE Composite Index – Banken-/Börsenschließung in VR China
Target MAC – Verlust von Vermögensgegenständen3 – kein Insolvenzantrag – Ausscheiden von Vorstandsmitglied
Market MAC – MDAX
–
MAC
–
Sonstige Bedingungen
– Kapitalmaßnahmen – Maßnahmen nach dem UmwG – Dividendenausschüttung
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen
– keine Kündigung des Merger Protokolls – kein konkurrierendes Angebot
–
–
–
– keine behördlichen oder gerichtlichen Anordnungen, die Erwerb untersagen
– Beschluss über Verwen- – keine Compliance-Verletzung dung des Bilanzgeder Zielgesellwinns schaft3 – Dividendenausschüttung
–
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
541
542 Krause/Favoccia
NECKARPRI GmbH/ EnBW Energie BadenWürttemberg AG
SolarWorld AG/Solarparc AG
Brambles Investment Limited/IFCO Systems N.V.
TAG Immobilien AG/ Colonia Real Estate AG
ACS, Actividades de Construcción y Servicios, S.A./HOCHTIEF AG
31.12.2010
23.12.2010
20.12.2010
1.12.2010
Bieter-/ZielGesellschaft
7.1.2011
Datum
–
+
–
+
–
–
–
+
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
Market MAC – DAX 30
Target MAC – EBITDA3 – Eigenkapital3
–
–
MAC
– finanzMarket MAC aufsichts- – DAX 30 rechtlich
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
– Vermögensübertragung3
– Kapitalmaßnahmen
– Kapitalmaßnahmen
–
– keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde in Bezug auf bestimmte Tochtergesellschaft der Zielgesellschaft – keine nachteiligen Verfügungen oder Anord-
– kein konkurrierendes Angebot
–
– kein konkurrierendes Angebot
–
– keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
– Auflösung von Rücklagen – Vermögensübertragung – Kreditvereinbarungen – Garantien/Bürgschaften – Rücknahme der Empfehlung des Angebots –
Sonstige Bedingungen
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Bieter-/ZielGesellschaft
Alliance Healthcare Deutschland Holdings 1 GmbH/Andreae-Noris Zahn Aktiengesellschaft
OPE Technologie B.V./ SMARTRAC N.V.
Deutsche Bank AG/ Deutsche Postbank AG
IDUNA Vereinigte Lebensversicherungen aG für Handwerk, Handel und Gewerbe
Herr Wolfgang Dinkelacker, Sedlmayr Grund und Immobilien KgaA/ Dinkelacker AG
Shield Bidco Limited/ Utimaco Safeware AG
Herr Günther Leibinger/AdCapital AG
Datum
29.10.2010
11.10.2010
7.10.2010
14.7.2010
23.6.2010
10.6.2010
22.5.2010
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
+
+
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
– außenwirtschaftsrechtlich
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
–
Market MAC – EURO STOXX Banks-Index
–
–
MAC
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
– kein konkurrierendes Angebot
–
–
nungen eines Gerichts oder einer Behörde, die Angebotskapitalerhöhung untersagen
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
543
Argon GmbH & Co. KG/P&I Personal & Informatik AG
Thüga Holding GmbH & Co. KgaA, Thüga AG, Stadtwerke Frankfurt am Main Holding GmbH/Mainova AG
Pelikan International Corporation Berhad/ Herlitz AG
SKion GmbH/ALTANA AG
18.3.2010
11.1.2010
9.11.2009
Bieter-/ZielGesellschaft
22.3.2010
Datum
544 Krause/Favoccia –
+
–
75 %1
–
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
Target MAC – kein Involvenzantrag1
–
–
MAC
–
–
Sonstige Bedingungen
–
–
– Ausübung von Aktien- – Freigabe beoptionen1 stimmter Sicherheiten durch – Satzungsänderung1 Bankenkonsorti– Kapitalmaßnahmen1 um1 – Wandel-/Optionsanlei1 he – kein Rücktritt von Vorerwerben – Auflösung von Rück– Löschungsbewillagen1 ligung Buch– Maßnahmen nach grundschuld UmwG1 – Unternehmensverträge1 – Veränderung in AR1 – Restrukturierung1 – Vermögensübertragung1 – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien1 – Inanspruchnahme von Bankkrediten1 – Unterstützung eines konkurrierenden Angebots1
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
SAG Beteiligungs GmbH/IDS Scheer AG
Giesecke & Devrient GmbH/secunet Security Networks AG
17.8.2009
17.8.2009
NTT Communications Deutschland GmbH/Integralis AG
Robert Bosch GmbH/ aleo solar AG
31.8.2009
30.7.2009
MHG Media Holdings GmbH/PROCON MultiMedia AG
Bieter-/ZielGesellschaft
4.11.2009
Datum
–
+
–
75 %2
+
75 %1
+
+
80 %
47,68 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBITDA3 – Konzern-Nettoeigenkapital3 – kein Insolvenzverfahren
–
–
Target MAC – EBIT3 – keine Bestellung eines vorläufigen Insovenzverwalters
Target MAC – Zerstörung von Vermögenswerten3 – Tod von Vorstandsmitgliedern3 – kein Involvenzverfahren
MAC
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung3 – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien – Dividendenausschüttung – Unterstützung eines konkurrierenden Angebots
–
– Kapitalmaßnahmen
Kapitalmaßnahmen Vermögensübertragung Vertragsabschlüsse Eingehung von Verbindlichkeiten
–
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen3 – Aktienoptionen3 – Dividendenausschüttung3 – Vermögensübertragung3 – Eingehung von Verbindlichkeiten3 – Verzicht auf Ansprüche3 – Änderung von Anstellungsvertägen der Vorstandsmitglieder3 – – – –
Sonstige Bedingungen
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
545
Bieter-/ZielGesellschaft
Vestcorp AG/Ehlebracht AG
FMI – Film-, Medienund Internetbeteiligungen GmbH/Odeon Film AG
Finanzmarktstabilisierungsfond (SoFFin)/ Hypo Real Estate Holding AG
Analytik Jena AG/CyBio AG
White Beteiligungsgesellschaft mbH/nextevolution AG
KYOCERA MITA Corporation/TA TriumpfAdler AG
„PERUNI“ Holding GmbH/PC-Ware Information Technologies AG
Skion GmbH/ALTANA AG
Azkoyen, S.A./Primion Technology AG
Augur Financial Holding Vier GmbH & Co. KG
Datum
25.6.2009
8.6.2009
17.4.2009
2.4.2009
546 Krause/Favoccia
9.2.2009
16.12.2008
28.11.2008
21.11.2008
20.11.2008
15.10.2008
–
–
– –
– –
–
+
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
–
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
Market MAC – Dow Jones Euro Stoxx 50
Target MAC – Unternehmenswert3 – kein Insolvenzverfahren
–
–
–
–
–
–
MAC
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung3
–
–
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Schaeffler KG/Continental AG
Robert Bosch GmbH/ ersol Solar Energy AG
30.7.2008
4.7.2008
EM.Sport Media AG/ Constantin Film AG
Shire Deutschland Investments GmbH/Jerini AG
13.8.2008
25.6.2008
Sophos Holdings GmbH/Utimaco Safeware AG
21.8.2008
CSS Computer Security Solutions Erwerbs GmbH/COMPUTERLINKS AG
TDK Germany GmbH/EPCOS AG
25.8.2008
4.7.2008
AURELIUS Opportunity Development GmbH/BerentzenGruppe AG
Bieter-/ZielGesellschaft
8.9.2008
Datum
+2
–
–
56 %1
50,5 %
–
–
75 %2
–
–
+
+
+
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
– außenwirtschaftsrechtlich
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung – Abschluss bestimmter Lieferverträge – Übernahme von Garantien etc.
– Kapitalmaßnahmen2
–
– Kapitalmaßnahmen – Dividenausschüttung – Vermögensübertragung3
Target MAC – kein Insolvenzverfahren –
– Kapitalmaßmaßnahmen1 – Dividendenausschüttung1
–
Keine Abwehrmaßnahmen
Target MAC – Netto-Eigenkapital1, 3 – EBIT1, 3 – kein Insolvenzverfahren1
–
MAC
–
–
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
547
ING Direct N.V./Interhyp AG
STRABAG SE/STRABAG AG
Eczacibasi Yapi Gerrecleri San. Ce Tic A.S., Eczacibasi Holding A.S./burgbad AG
Herr Dr. Philipp Daniel Merckle/Graphit Kropfmühl AG
HRE Investment Holdings L.P./Hypo Real Estate AG
Pyramus S.á.r.l./D+S europe AG
AMG Invest GmbH/ Graphit Kropfmühl AG
MPC Münchmeyer Petersen Capital AG/ HCI Capital AG
17.6.2008
9.6.2008
28.5.2008
23.5.2008
15.5.2008
28.4.2008
12.3.2008
Bieter-/ZielGesellschaft
20.6.2008
Datum
548 Krause/Favoccia –
–
–
+
–
+
–
–
–
+
–
20 %
–
–
Kartellfreigabe
–
–
Mindestannahmequote
–
Target MAC – kein Insolvenzverfahren
– finanzmarktaufsichtsrechtlich
–
–
–
–
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen
–
–
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
– Kapitalmaßnahmen1 – Maßnahmen nach UmwG1 – Dividendenausschüttung1 – Unternehmensbeteiligungen1 –
–
–
Sonstige Bedingungen
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
MAC
Target MAC – finanz– Unternehmenswert3 marktaufsichtsrechtlich
–
–
–
– bankaufsichtsrechtlich
Sonstige behördliche Erlaubnisse
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Computershare Beteiligungs GmbH & Co. KG/VEM Aktienbank AG
19.12.2007
Norddeutsche Landesbank – Girozentrale/ Deutsche Hypothekenbank AG
Swiss Life Beteiligungs GmbH/AWD Holding
14.1.2008
5.12.2007
Grainger FRM GmbH/ Francono Rhein-Main AG
Bieter-/ZielGesellschaft
3.3.2008
Datum
+
+
–
75 %
+
Kartellfreigabe
–
70 %
Mindestannahmequote
–
– bankaufsichtsrechtlich
– finanzmarktaufsichtsrechtlich
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – kein Insolvenzverfahren – kein Bankenmoratorium oder Einstellung des Bank- und Börsenverkehrs gem. § 47 KWG
Target MAC – keine Überschuldung/ Zahlungsunfähigkeit – kein Widerruf der Teilbanklizenz – keine Maßnahmen nach §§ 46 oder 46a KWG
–
Market MAC – EPRA Germany Index – keine Einstellung des Devisenhandels – keine Währungs-/Devisenkontrollbeschränkungen
Target MAC – Konzern.-EBITDA1 – Konzerneigenkapital1 – Nettobuchwert1 – kein Insolvenzverfahren
MAC
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Satzungsänderung – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
Keine Abwehrmaßnahmen
–
– keine Veränderungen im VO – Vollzug von Vorerwerb
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
549
FLUXX AG/SPORTWETTEN.DE AG
SBW Schweizer-Beteiligungs-Werte AG/ FHR Finanzhaus AG
NTT DATA Europe GmbH & Co. KG/itelligence AG
MEIF II Energie Beteiligungen & Co. KG/ Techem AG
Boursorama SA/OnVista AG
RCM Beteiligungs AG/SM Wirtschaftsberatungs AG
Udai Vermögensverwaltung GmbH/Röder Zeltsysteme und Service AG
Alcon, Inc./WaveLight AG
13.11.2007
13.11.2007
5.11.2007
31.10.2007
16.10.2007
15.10.2007
13.8.2007
Bieter-/ZielGesellschaft
23.11.2007
Datum
550 Krause/Favoccia +
+
54,7 %
–
–
–
+2
75 %
–
75 %1
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
–
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
– bankaufsichtsrechtlich
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBIT3 – kein Insolvenzverfahren
–
Market MAC – DAX 30
–
–
– Satzungsänderung – Kapitalmßnahme – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Veräußerung eigener Aktien – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung3 – Unternehmensverträge – Joint-Venture-Vertäge
–
–
Target MAC – Konzernumsatz3 – EBITDA3 – kein Insolvenzverfahren
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
MAC
–
–
–
–
–
– Annahme durch VO-Vorsitzenden und Ehefrau – Nichteinberufung Hauptversammlung
–
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Omega I S.à.r.l./PrimaCom AG
Red & Black Lux S.à.r.l./Hugo Boss AG
E/LHS Acquisition GmbH/LHS AG
26.7.2007
12.7.2007
9.7.2007
Summit Real-Estate Lambda GmbH/Deutsche Real Estate AG
Erwerbsgesellschaft der S-Finanzgruppe mbH & Co. KG/Landesbank Berlin Holding AG
1.8.2007
27.6.2007
Holtzbrinck Networks GmbH/Abacho AG
Bieter-/ZielGesellschaft
9.8.2007
Datum
–
–
–
–
+
+
–
95 %1
50,1 %
–
Kartellfreigabe
–
Mindestannahmequote
–
–
–
– bankaufsichtsrechtlich
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
Target MAC – Konzernumsatz1, 3
Target MAC – Unternehmenswert1, 3 – kein Insolvenzverfahren
–
MAC
–
–
–
– Kapitalmßanhmen – Vermögensübertragung1
–
– Kündigung des Business Combination Agreement
Keine Abwehrmaßnahmen
– Vollzug von Vorerwerb – Zustimmung einer Bank zur Abtretung eines Darlehens
– keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
– Vollzug von Vorerwerb
– kein konkurrierendes Angebot
– Nicht-Befreiung von Angebotspflicht im Hinblick auf Vorerwerb – Nichtannahme des Angebots durch das Land Berlin
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
551
552 Krause/Favoccia
QXL GmbH/ricardo.de AG
Sapardis S.A./Puma AG Rudolf Dassler Sport
Salzgitter Mannesmann GmbH/Klöckner-Werke AG
Siemens AG/IBS Aktiengesellschaft excellence, collaboration, manufacturing
14.5.2007
30.4.2007
23.4.2007
Bieter-/ZielGesellschaft
27.6.2007
Datum
+
+
75 %
+
–
–
–
Kartellfreigabe
–
Mindestannahmequote
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – Netto-Umsatzerlös3 – kein Insolvenzverfahren
–
–
–
MAC
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen – Maßnahmen nach UmwG
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
– kein konkurrierendes Angebot
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
– Beitritt des Bieters zu einem Darlehenskaufvertrag – Umstrukturierung Zielgesellschaft – Amtniederlegung in AR – Amtsniederlung in GF1 – Angebot führt bei Zielgesellschaft nicht zu einer Steuerbelastung von mehr als EUR 3 Mio.1, 3
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Suzlon Windenergie GmbH/Repower Systems AG
28.2.2007
Allianz AZL Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG/Allianz-Lebensversicherungs AG
ALL3MEDIA Deutschland AG/MME Moviement AG
29.3.2007
28.2.2007
TS Metropolis S.à.r.l./ a.a.a. aktiengesellschaft allgemeine anlageverwaltung
Bieter-/ZielGesellschaft
5.4.2007
Datum
–
–
–
+
–
–
–
75 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
Target MAC – Netto-Eigenkapital3 – EBIT3 – kein Insolvenzverfahren
Target MAC – Eigenkapital3 – EBITDA3 – kein Insolvenzverfahren
–
MAC
–
– Kapitalmaßnahmen
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung
–
– Unternehmensverträge – Vermögensübertragung – Aktienoptionsprogramme – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien – Pensionsverpflichtungen – Bonusprogramme
Keine Abwehrmaßnahmen
– Zustimmung der Zielgesellschaft zur Übertragung der Aktien im Rahmen des Vollzug des Angebots
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
553
Reverse Logistics GmbH/CCR Logistic Systems AG
AREVA/Repower Systems AG
ACM Projektentwicklung GmbH/Leica Camera AG
Lavena Holding 4 GmbH/ProSiebenSat. 1 Media AG
Mustaphar 5. Verwaltungs GmbH/Hamborner AG
Beko Holding AG/ Triplan AG
5.2.2007
2.2.2007
30.1.2007
25.1.2007
11.1.2007
Bieter-/ZielGesellschaft
20.2.2007
Datum
554 Krause/Favoccia +
–
–
50 %1
–
–
–
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
Market MAC – DAX 30
Target MAC – kein Insolvenzverfahren
Market MAC – DAX 30 – keine Währungs-/Devisenkontrollbeschränkungen
Target MAC – EBITDA3 – Konzerneigenkapital3 – kein Insolvenzverfahren
–
Target MAC – Jahresergebnis vor Steuern3
MAC
–
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
–
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen2 – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
– Kapitalmaßnahmen
Keine Abwehrmaßnahmen
–
– kein konkurrierendes Angebot – keine Verlängerung der Annahmefrist
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
– keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Bieter-/ZielGesellschaft
GBH Acquisition GmbH/Grundstücksund Baugesellschaft AG
Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG
Buzzi Unicem S.p.A./ Dyckerhoff AG
Pixelpark AG/ Elephant Seven AG
Küchen Holding GmbH/ALNO AG
Blitz F05-417 GmbH/ Kampa AG
MEIF II Energie Beteiligungen GmbH & Co. KG
UCB SA, UCB SB GmbH/Schwarz Pharma AG
Datum
16.12.2006
14.12.2006
7.12.2006
2.12.2006
27.11.2006
18.11.2006
16.11.2006
10.11.2006
–
75 %2
+
+
70,5 %
–
–
–
+
–
95 %1
–
+
–
–
50,1 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – Ergebnis vor Ertragssteuern3
Market MAC – DAX 301
Target MAC – kein Insolvenzverfahren
–
–
–
–
Market MAC – DAX 30
Target MAC – Umsatz3
–
MAC
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung3 – Dividendenausschüttung
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Vermögensübertragung
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung
–
Keine Abwehrmaßnahmen
– Annahme durch Familienaktionäre
– kein konkurrierendes Angebot – keine Verlängerung der Annahmefrist
–
–
– Aktien erreichen den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Umtauschaktien
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
555
Eurofins Genomics B.V./MWG Biotech AG
Optco Acquisitions GmbH/LINOS AG
DH-Capital GmbH & Co. KG, OH Beteiligungen GmbH & Co. KG/LION bioscience AG
QSC AG/Broadnet AG
Crystal Capital GmbH/WMF Württembergische Metallwarenfabrik AG
Bandai GmbH/ Zapf Creation AG
24.8.2006
15.8.2006
22.7.2006
13.7.2006
28.6.2006
Bieter-/ZielGesellschaft
16.9.2006
Datum
556 Krause/Favoccia
75 %
+
– +
–
–
30 %1
–
+
–
–
75 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Market MAC – Dow Jones Euro Stoxx 50 – DAX 30
Target MAC – kein Insolvenzverfahrung
–
–
–
–
MAC
–
– kein konkurrierendes Angebot – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen – Maßnahmen nach UmwG – Unternehmensverträge – Änderungen im AR – Vermögensübertragung – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien
–
–
– keine nachteiligen Gesetze bzw. Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
–
Sonstige Bedingungen
–
–
–
– Kapitalmaßahmen
–
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Dritte BV GmbH/ Schering AG
13.4.2006
Generali Beteiligungs AG/AMB Generali Holding AG
DRB Beteiligungs GmbH & Co. KG/ Dolerit-Basalt Grundwert- und Beteiligungs i.L.
18.5.2006
25.3.2006
GFP Vermögensverwaltungs GmbH & Co. Beteiligungs KG/ Odeon Film AG
Bieter-/ZielGesellschaft
24.5.2006
Datum
–
–
–
–
+
–
–
75 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Market MAC – DAX 30 – 10-Jahres-Euro-Swapsatz
Market MAC – keine Einstellung des Devisenhandels oder der Fremdkapitalmärkte – DAX 30
Target MAC – Jahresergebnis vor Steuern3
–
–
MAC
– keine nachteiligen Gesetze bzw. Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung
–
–
– Aktienoptionsprogramme – Pensionsverpflichtungen – Bonusprogramme – Unternehmensbeteiligungen – Verteidigungsmaßnahmen i.S.v. § 33 WpÜG
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
557
Delta Beteiligungen AG/Beta Systems Software AG
Adecco Germany Holding GmbH/DIS Deutscher Industrie Service AG
Emerson Electric Nederland B.V./Knürr AG
RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG
AXA/AXA Konzern AG
Isabell Finance Vermögensverwaltung GmbH/INTERSEROH AG
Sumida Holding Germany GmbH/VOGT electronic AG
Etex Holding GmbH/ Creaton AG
6.2.2006
2.2.2006
27.1.2006
9.1.2006
5.1.2006
22.12.2005
20.12.2005
Bieter-/ZielGesellschaft
22.2.2006
Datum
558 Krause/Favoccia –
–
–
–
75 %1
–
–
95 %
–
95 %
+
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
– behördliche Genehmigungen
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBITDA3 –
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Market MAC – Dow Jones Euro Stoxx 50 – DAX 30
–
–
–
–
–
–
– Eintragung von Beschluss und Durchführung der Sachkapitalerhöhung
–
–
Sonstige Bedingungen
Keine Abwehrmaßnahmen
–
Target MAC – Netto-Eigenkapital3 – EBIT3 – kein Insolvenzverfahren
Target MAC – Grundkapital – keine Insolvenzanmeldung
MAC
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Herr Kurt Krieger/ Möbel Walther AG
SAP AG/SAP Systems Integration AG
17.11.2005
15.11.2005
Aktieninvestor.com AG und Herr Dr. Michael Briem/TV-Loonland
ELK Fertighaus AG/ Bien-Zenker AG
26.11.2005
25.10.2005
HSW GmbH/SENATOR Entertainment AG
29.11.2005
DKM Asset Management AG/DKM Wertpapierhandelsbank AG
Singulus Technologies AG/STEAG Hama Tech AG
16.12.2005
9.11.2005
Bieter-/ZielGesellschaft
Datum
–
–
–
–
–
–
–
95 %1
–
–
–
+
–
75 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
–
–
–
Target MAC3 – Unternehmenswert3
MAC
–
–
–
–
–
–
–
–
–
– Satzungsänderungen1 – Kapitalmaßnahmen1 – Dividendenausschüttung1 – Auflösung von Rücklagen1 – Maßnahmen nach UmwG1 – Unternehmensverträge1 – Vermögensübertragung1 – Belastung mit Sicherheiten1 –
– Vollzug von Vorerwerb
Sonstige Bedingungen
–
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
559
NDO Services B.V./ arxes Network Communication Consulting AG
Stationery Products S.à.r.l./Herlitz AG
Axel Springer AG/ ProSiebenSat. 1 Media AG
Deutsche Balaton AG/ ihre Aktionäre
23.9.2005
16.9.2005
8.9.2005
Bieter-/ZielGesellschaft
8.10.2005
Datum
560 Krause/Favoccia –
–
–
+
–
60 %2
60 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
– medienaufsichtsrechtlich
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
Target MAC – kein Insolvenzverfahren
–
MAC
–
–
–
– Eintritt der Vollzugsbedingungen des neuem Bankdarlehens der Zielgesellschaft
– Satzungsänderung – Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung – Auflösung von Rücklagen – Maßnahmen nach UmwG – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien – Unternehmensverträge – Änderungen im AR – Vermögensübertragung – Inanspruchnahme von Bankdarlehen – Eingehung von Verbindlichkeiten – Unternehmensbeteiligungen – Empfehlung zur Annahme eines konkurrierenden Angebots – keine Ausübung von Optionsrechten –
–
Sonstige Bedingungen
–
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
NDO Services B.V./ arxes Network Communication Consulting AG
UniCredito Italiano S.p.A./Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG
Nachtwache Acquisition GmbH/G. Kromschröder AG
Solvay Organics GmbH/Girindus AG
SC Beteiligungsgesellschaft mbH/Süd-Chemie AG
Deutsche Beteiligungs AG/ihre Aktionäre
Spohn Cement AG/ HeidelbergCement AG
26.8.2005
4.8.2005
22.7.2005
19.7.2005
30.6.2005
28.6.2005
Bieter-/ZielGesellschaft
1.9.2005
Datum
–
+
–
+1
50 %1
–
+
–
–
51 %
– aufsichtsrechtlich1
+2
65 %
–
–
–
–
–
–
–
75 %
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
Target MAC – Konzernergebnis3 – keine vorzeitige Fälligstellung von Bankkrediten
Target MAC – konsolidiertes Eigenkapital3 – keine Zahlungsunfähigkeit3
–
–
–
MAC
–
–
– Kapitalmaßnahmen
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
– Gebrauchmachen von genehmigtem Kapital und Ausgabe an Bieter – keine nachteiligen Verfügungen oder Anordnungen eines Gerichts oder einer Behörde
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
561
Stotmeister Erwerbs GmbH & Co. KG/Sto AG
E.ON Energie AG/ Contigas DeutscheEnergie AG
cellent AG/tiscon AG Infosystems
OJSC Konzern „KALINA“/Dr. Scheller Cosmetics AG
Grundstücks- und Baugesellschaft AG/ eigene Aktionäre
HeidelbergCementAG/Teutonia Zementwerk AG
BorgWarner/Beru AG
Deutsche Telekom AG/T-Online International AG
edding AG/eigene Aktionäre
Körber AG/Winkler + Dünnebier AG
11.5.2005
24.3.2005
4.2.2005
20.1.2005
19.1.2005
8.12.2004
26.11.2004
17.11.2004
7.10.2004
Bieter-/ZielGesellschaft
31.5.2005
Datum
562 Krause/Favoccia –
–
75 %
–
–
–
–
–
+
–
–
–
–
21 %2
–
–
–
–
32,01 %
95 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
Target MAC – kein Insolvenzverfahren
Target MAC – EBITDA3
–
–
–
–
–
–
MAC
– kein konkurrierendes Angebot –
–
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
–
–
–
–
–
–
– Kapitalmaßnahmen
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
IPCar Beteiligungs GmbH/P&I Personal Informatik AG
Telco Holding S.à.r.l./ debitel AG
1.6.2004
Viacom Holdings Germany LLC/VIVA Media AG
Bieter-/ZielGesellschaft
27.7.2004
24.8.2004
Datum
–
–
–
+
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
MAC
–
–
Target MAC – konsolidiertes Eigenkapital3 – konsolidierter EBITDA3
–
Market MAC – kein Bankenmoratorium – keine Aussetzung der Währungsmärkte
Target MAC – medienaufsichts- – konsolidiertes Eigenkapital3 rechtlich – kein Insolvenzverfahren
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Sonstige Bedingungen
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
– Vollzug von Vorerwerb
– keine nachtei– Kapitalmaßnahmen ligen Verfügun– Dividendenausschütgen oder Anordtung nungen eines – Maßnahmen nach Gerichts oder eiUmwG ner Behörde – Verschlechterung von Vermögensgegenstände – keine Änderung rundfunkrechtli– Vermögensübertragung cher Vorschriften – Eingehung von Ver– Erhalt der Rundbindlichkeiten funklizenzen – Unternehmensbeteiligungen – Anstieg des Personalaufwands – Tarifverträge/Betriebsvereinbarungen – Aktienoptionsplan – Unterstützung eines konkurrierenden Angebots – Programmerwerbsvertäge – Satellitenleasingverträge – Mietrverträge – Programmcharakter
Keine Abwehrmaßnahmen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
563
Continental AG/Phoenix AG
RB Brauholding GmbH/Brau und Brunnen AG
Giesecke & Devrient/ secunet Security Networks AG
Carslberg Deutschland GmbH/Holsten-Brauerei AG
BCP Crystal Acquisition GmbH/Celanese AG
24.3.2004
10.3.2004
12.2.2004
2.2.2004
Bieter-/ZielGesellschaft
26.4.2004
Datum
564 Krause/Favoccia +
85 %
+
–
+
+
–
75 %
+
Kartellfreigabe
75 %
Mindestannahmequote
Market MAC – keine Zerstörung von Betriebsstätten – Zahlungsunfähigkeit/ Überschuldung
–
–
Market MAC – DAX 30 – kein Bankenmoratorium oder Börsenschließung
Target MAC – keine Zerstörung von Betriebsstätten – kein Insolvenzverfahren
MAC
– versiche- Target MAC – EBITDA3 rungsaufsichtsMarket MAC rechtlich – kein Bankenmoratorium oder Schließung von Kreditinstituren – keine Einstellung des Devisenhandels bzw. keine Beschränkungen – Dow Jones Index
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
– Kapitalmaßnahmen – Maßnahmen nach UmwG – Erwerb/Veräußerung eigener Aktien – Vermögensübertragung – Eingehung von Verbindlichkeiten – Unternehmensbeteiligungen – Forderungsvericht/-abtretung
– Kapitalmaßnahmen
–
–
– Kapitalmaßnahmen – Dividendenausschüttung
Keine Abwehrmaßnahmen
– keine nachteiligen Vorschriften, behördliche oder gerichtliche Anordnungen
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
2016091 Ontario Inc./ IXOS Software AG
1.12.2003
Spütz AG/eigene Aktionäre
ITT Industries German Holding GmbH/ WEDECO AG Water Technology
9.12.2003
18.11.2003
Agilisys B.V./infor business solutions AG
9.12.2003
BorgWarner Europe Inc./Aktiengesellschaft Kühnle, Kopp & Kausch
Beiersdorf AG/eigene Aktionäre
23.12.2003
29.11.2003
Laontae Beteiligungs GmbH/Felten & Guilleaume
Bieter-/ZielGesellschaft
16.1.2004
Datum
–
–
–
–
–
+
95 %
67 %
+
75 %
–
–
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – Aktiva3
–
–
Target MAC – Netto-Eigenkapital3 – EBIT3
Target MAC – Aktiva3 – keine Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
–
–
MAC
–
–
– Kapitalmaßnahmen
–
– Kapitalmaßnahmen
–
–
– Empfehlung zur Annahme eines konkurrierenden Angebots
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
– Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft des Bieters zur Ausgabe von Umtauschaktien
–
–
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
565
Systems Union Group plc./MIS AG
Isosolar Nordic Holding AG/Autania AG
GFKL Financial Services AG/ABIT AG
Axel Springer/eigene Aktionäre
2016090 Ontario Inc./ Gauss Interprise AG
23.10.2003
10.10.2003
10.10.2003
22.9.2003
Bieter-/ZielGesellschaft
1.11.2003
Datum
566 Krause/Favoccia
75 %
–
–
85 %
–
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
Target MAC – EBITDA – keine Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
–
–
–
–
MAC
– – keine nach § 15 WpHG relevanter Verstoß gegen Rechtsvorschriften durch den Vorstand der Zielgesellschaft – keine Einleitung gerichtlicher oder schiedsgerichtlicher Streitigkeiten oder Verwaltungsverfahren
– Kapitalmaßnahmen – Vermögensübertragung – Eingehung von Verbindlichkeiten – Erwerb eigener Aktien – Unternehmensbeteiligung
– Zustimmung der Hauptversammlung der Zielgesellschaft zu Verschmelzungsvertrag mit Tochtergesellschaft des Bieters
–
–
Sonstige Bedingungen
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Buzzi Unicem S.p.A./ Dyckerhoff AG
GlobalWare AG/GAP AG
Scholz & Friends Holding GmbH/Scholz & Friends
Ruhrgas Industries GmbH/G. Kromschröder AG
2026140 Ontario Inc./ W.E.T. Automotive Systems AG
Brain Force Software AG/NSE Software AG
Coherent Holding GmbH/Lambda Physik AG
Rheinmetall Berlin Verwaltungsgesellschaft mbH/Kolbenschmidt Pierburg AG
E.ON Energie AG/ E.ON Bayern AG
1.8.2003
18.7.2003
26.6.2003
26.6.2003
6.6.2003
4.6.2003
23.5.2003
21.5.2003
Bieter-/ZielGesellschaft
20.8.2003
Datum
–
–
–
–
95 %
–
–
+
–
–
–
–
Kartellfreigabe
–
95 %
–
–
50 %
50 %
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
– Aktienkurs der Bietergesellschaft
–
–
–
Target MAC – Operatives Konzernergebnis
–
–
–
–
MAC
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
–
–
– Vollzug von Vorerwerb verstößt nicht gegen geänderte Rechtslage
–
–
–
– Bestätigung des Einbringungswerts der Kapitalerhöhung des Bieters3
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
567
Siemens AG/Cycos AG
Robert Bosch GmbH/ Buderus AG
AS Deutschland GmbH/Jado AG
Procter/Gamble Germany Management GmbH/Wella AG
TFG Venture Capital AG & Co. KgaA/i:FAO AG
Eurofins Scientific S.A./GeneScan Europe AG
BestmeatCompany B.V./A. Moksel AG
EdCar Beteiligungs GmbH & Co. KG/Edscha AG
Dr. Johann Inselkammer/INKA Aktiengesellschaft für Beteiligungen
Sommer S.A./Tarkett Sommer AG
Thiel Logistik AG/Microlog Logistics AG
8.5.2003
7.5.2003
28.4.2003
12.4.2003
1.4.2003
23.1.2003
7.12.2002
29.11.2002
28.11.2002
1.11.2002
Bieter-/ZielGesellschaft
8.5.2003
Datum
568 Krause/Favoccia
95 %
–
–
–
–
–
+
75 %
–
–
+
–
50 %
–
–
–
+
+
Kartellfreigabe
–
95 %
50 %
95 %
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Target MAC – Konzernergebnis
–
MAC
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
– Vollzug von Vorerwerb
–
–
–
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Nordag AG/B.U.S. Berzelius Umwelt-Service AG
VTG Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH/VTGLehnkering AG
KWL Kraftwerk Laufenburg
12.7.2002
5.7.2002
2.7.2002
NewMedia Spark-Holding GmbH/Spütz AG
Bilfinger Berger AG/ Rheinhold & Mahla AG
12.7.2002
1.7.2002
DB Sechste Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH/Stinnes AG
7.8.2002
Media[netCom] AG/ Internolix AG
Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG/HVB Real Estate Bank AG
19.9.2002
2.7.2002
Sandvik Holding GmbH/Walter AG
Bieter-/ZielGesellschaft
29.10.2002
Datum
+
+
–
–
–
–
–
95 %
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Kartellfreigabe
13,3 %
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
– haushaltsrechtlich
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
–
–
MAC
–
– Eintragung der Kapitalerhöhungsbeschlüsse des Bieters
–
–
– Zustimmung der Hauptversammlung des Bieters
–
–
–
–
Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
§ 18
Krause/Favoccia
569
RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG
BNP Paribas/Consors Discount Broker AG
AWD Holding AG/tecis Holding AG
Finba Bakery Europe AG/Kamps AG
Texas Instruments Incorporated/Condat AG
A. Racke GmbH + Co/ C.A. kupferberg & Cie. KGaA
Deutsche Balaton AG/ Beta Systems Software AG
United United Internet AG/Adlink Internet Media AG
Adecco S.A./jobpilot AG
12.6.2002
6.6.2002
25.5.2002
3.4.2002
23.3.2002
20.3.2002
19.3.2002
19.3.2002
Bieter-/ZielGesellschaft
24.6.2002
Datum
570 Krause/Favoccia +
–
–
75 %
–
–
–
95 %
–
–
–
–
–
–
+
–
–
–
– Zustimmung BRD und NRW
Sonstige behördliche Erlaubnisse
–
23,12 %
50 % (muss auch bei Angebotsvollzug vorliegen)
75 %
–
+
–
–
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
– keine Abwehrmaßnahmen i.S.d. § 33 Abs. 1 und 2 WpÜG)
–
–
–
–
–
Keine Abwehrmaßnahmen
MAC
–
–
–
–
– Mindestannahmequote von Vorerwerb ist erfüllt
–
–
–
– Vollzug einer anderen Transaktion
Sonstige Bedingungen
§ 18 Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
OgilvyOne worldwide GmbH & Co. KG/ Concept AG!
DePfa Holding plc/ DePfa Deutsche Pfandbriefbank AG
23.2.2002
19.1.2002
–
75 %
–
–
–
90 %
Kartellfreigabe
Mindestannahmequote
–
–
–
Sonstige behördliche Erlaubnisse
1 Verzicht auf Bedingungen 2 teilweiser Verzicht auf Bedingung 3 Bedingungseintritt durch unabhängige WP-Gesellschaft festzustellen
Legende
CLC AG/CAMELOT Tele.Communication.Online. AG
Bieter-/ZielGesellschaft
18.3.2002
Datum
–
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Keine Abwehrmaßnahmen
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Sonstige Bedingungen
Bedingungen; Unzulässigkeit des Vorbehalts des Rücktritts und des Widerrufs
Krause/Favoccia
§ 18
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
§ 19 Zuteilung bei einem Teilangebot Ist bei einem Angebot, das auf den Erwerb nur eines bestimmten Anteils oder einer bestimmten Anzahl der Wertpapiere gerichtet ist, der Anteil oder die Anzahl der Wertpapiere, die der Bieter erwerben kann, höher als der Anteil oder die Anzahl der Wertpapiere, die der Bieter zu erwerben sich verpflichtet hat, so sind die Annahmeerklärungen grundsätzlich verhältnismäßig zu berücksichtigen.
Inhaltsübersicht A. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
VI. Transparenz des Verfahrens . . . . . . . 18
B. Anwendungsbereich der Norm . . . .
2
VII. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . 19
C. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
E. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 20
D. Das Zuteilungsverfahren . . . . . . . . .
9
I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 20
I. Grundsatz der pro rata-Zuteilung . .
9
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
II. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
III. Behandlung der das Angebot übersteigenden Annahmeerklärungen . .
15
IV. Folgen bei Angebotsunterzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
V. Änderung der Zuteilungsregeln . . . .
17
IV. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 V. USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 F. Übersicht der Teilangebote seit 2002. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
A. Regelungsgegenstand 1
§ 19 regelt die Sachverhalte, in denen der Bieter sein Angebot auf einen bestimmten Teil des Grundkapitals oder eine bestimmte Anzahl der Wertpapiere begrenzt hat und eine darüber hinausgehende Anzahl von Wertpapierinhabern ihre Wertpapiere dem Bieter veräußern möchte. In diesen Fällen sind verkaufsbereite Wertpapierinhaber grundsätzlich anteilmäßig zu berücksichtigen. Die Regelung ist Ausfluss des in § 3 Abs. 1 verankerten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes und verhindert, dass bei das Angebot übersteigenden Annahmeerklärungen eine Zuteilung nach anderen Kriterien, beispielsweise nach dem Prioritätsprinzip, erfolgt1 oder das Angebot von vornherein nur gegenüber bestimmten Aktionären abgegeben wird2. In der Praxis kommen Teilangebote eher selten vor3.
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 3; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 5; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 3; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 1 ff.; a.A. Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 4, wonach ein Verfahren nach dem Prinzip „first come first serve“ mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sei. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 2. 3 Von den von der BaFin veröffentlichten Angeboten der Jahre 2009 und 2010 wurde nur jeweils eines als Teilangebot abgegeben, in 2011 und 2012 nur jeweils zwei Teilangebote, siehe die Übersicht der Teilangebote in Rz. 20; vgl. auch Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 9.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
B. Anwendungsbereich der Norm Die Vorschrift findet nur Anwendung auf öffentliche Erwerbsangebote, d.h. auf frei- 2 willige Angebote, die entweder zum Erwerb einer Beteiligung dienen, die unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Beteiligung unterhalb der Kontrollschwelle des § 29 bleibt, oder, sofern schon eine Kontrollbeteiligung besteht, auf die Aufstockung dieser Beteiligung zielen1. Dabei bestimmt § 19 nicht die Zulässigkeit von Teilangeboten, sondern unterstellt deren Zulässigkeit. Die Zulässigkeit von Teilangeboten bei Erwerbsangeboten ergibt sich wiederum im Umkehrschluss aus § 32. Danach sind Übernahmeangebote, die sich nur auf einen Teil der Aktien der Zielgesellschaft erstrecken, unzulässig, und zwar auch dann, wenn sich das Übernahmeangebot ausschließlich auf nicht an einem organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 notierte Wertpapiere der Zielgesellschaft bezieht (siehe hierzu § 32 Rz. 11). Unzulässig sind Teilangebote ferner bei Pflichtangeboten; die Geltung von § 19 ist für Pflichtangebote durch die Regelung in § 39 ausgeschlossen. Bei Übernahme- und Pflichtangeboten ist der Bieter mithin grundsätzlich2 verpflichtet, alle von der Zielgesellschaft emittierten Aktien in sein Angebot einzubeziehen3. Ebenfalls nicht anwendbar ist § 19 für den Fall, dass sich das Angebot ausschließlich auf nicht zugelassene Wertpapiere beschränkt (vgl. § 1 Rz. 29)4. § 19 erfasst auch Angebote für Wertpapiere, die keine Stimmrechte beinhalten, z.B. 3 Wandelschuldverschreibungen oder Optionsscheine5; dies gilt selbst dann, wenn sie auf den Erwerb von über 30 % dieser Wertpapiere gerichtet sind6. Hingegen findet § 19 keine Anwendung auf den Erwerb eigener Aktien durch die Zielgesellschaft, da insoweit § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 bis 5 AktG i.V.m. § 53a AktG lex specialis ist7. § 19 findet auch keine Anwendung bei Angeboten nach § 1 Abs. 2 (Zielgesellschaft mit Sitz im Inland und ausschließlicher Auslandszulassung), da diese Regelung ein Übernahme- oder Pflichtangebot voraussetzt. Mangels Verweis in § 1 Abs. 4 i.V.m.
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 3. Zu den Auswirkungen einer sog. Creeping-inRegelung auf den Anwendungsbereich von § 19 vgl. Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 7. 2 Ausnahmemöglichkeiten bestehen lediglich unter den Voraussetzungen des § 24 und wenn der Bieter von der Verpflichtung, ein Übernahmeangebot abzugeben, nach § 37 befreit wurde, siehe Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 37 Rz. 97; Hecker in Baums/Thoma, § 37 Rz. 188. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 13; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 3; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 4; Noack/ Holzborn in Schwarz/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 1; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 2; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 7 f.; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 7, der es contra legem für zulässig hält, freiwillige Übernahmeangebote als Teilangebote abzugeben, zumindest dann, wenn die BaFin vom Pflichtangebot gemäß § 37 i.V.m. § 9 Satz 2 WpÜG-AngVO befreien müsse. 4 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 1 Rz. 27; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 1 Rz. 41. 5 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 2; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 7; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 2; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 1. 6 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 7; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 2. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 14; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 5; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 14; a.A. Paefgen, ZIP 2002, 1509, 1517 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 5; vgl. hierzu die geänderte Verwaltungspraxis der BaFin seit Schreiben vom 9.8.2006, wonach das WpÜG bei einem öffentlichen Angebot zum Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung (mehr) findet.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
§ 2 WpÜG-AnwendbarkeitsVO gilt dies auch für Angebote i.S.d. § 1 Abs. 3 (Zielgesellschaft im Ausland und Zulassung im Inland und/oder Drittstaaten). 4
Eine Beschränkung des Angebots bei öffentlichen Erwerbsangeboten ist lediglich im Hinblick auf den Anteil am Grundkapital oder die Zahl der Wertpapiere möglich. Unzulässig ist insbesondere die Beschränkung auf einzelne namentlich benannte Aktionäre oder auf bestimmte Aktionärstypen, z.B. Arbeitnehmer oder Aktionäre mit Mindestaktienzahl1. Der Bieter kann darüber hinaus sein Angebot auch auf bestimmte Wertpapiergattungen beschränken2. Erfasst das Angebot etwa ausschließlich stimmrechtslose Vorzugsaktien, handelt es sich um ein zulässiges Teilangebot, da die Kontrollschwelle nicht erreicht werden kann3. Dagegen kann ein auf den Erwerb aller Stammaktien gerichtetes Angebot wegen § 32 nur als Vollangebot abgegeben werden4. Darüber hinaus ist eine Beschränkung auf Wertpapiere, die bis zur Veröffentlichung eines Angebots ausgegeben werden, unzulässig. Zwar führt dies dazu, dass der Bieter bei Abgabe des Angebots nicht den genauen Umfang seiner Verpflichtung kennt. Allerdings gebietet es der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß § 3 Abs. 1, sämtlichen Aktionären die Möglichkeit der Veräußerung ihrer Aktien zu eröffnen. Folglich werden auch aufgrund einer Kapitalerhöhung ausgegebene junge Aktien im Falle der Überzeichnung des Angebots pro rata berücksichtigt.
5
Berücksichtigt werden nur Aktien, die innerhalb der Annahmefrist eingereicht werden; die weitere Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 gilt nur für Übernahmeangebote5.
6
Im Gesetz ist nicht ausdrücklich geregelt, ob Inhaber von Wertpapieren, deren Aktien dem Bieter zugerechnet werden oder die sich gegenüber dem Bieter zur Nichtannahme des Angebots verpflichtet haben, Adressaten des Teilangebots sind. Auswirkungen hat das vor allem bei der Frage der Zuteilung im Falle einer Überzeichnung. Die Erstreckung des Angebots auf diese Personen wird jedenfalls für die gemeinsam handelnden Personen zum Teil verneint, weil es der Bieter hier in der Hand hätte, die Zahl der effektiv hinzuzuerwerbenden Aktien zu reduzieren, wenn auch die Aktien der gemeinsam handelnden Personen eingereicht werden könnten und mit einzuberechnen wären6. Es spricht einiges dafür, dass gemeinsam handelnde Personen nach § 2 Abs. 5 und 6 nicht Angebotsadressaten sein können, auch wenn die Gefahr des Missbrauchs bei Teilangeboten eher gering sein dürfte. Die bisherigen Teilangebote sehen jedoch keine Einschränkung vor, sondern verweisen auf die theoretische Möglichkeit der Überzeichnung in diesem Fall und ordnen die Anwendung der Zuteilungsregelung an7, was dafür spricht, dass nach Auffassung der BaFin nur die vom Bieter selbst gehaltenen Aktien vom Teilangebot ausgeschlossen sind. Dies entspricht der Praxis der BaFin zum Umfang der Finanzierungsbestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2, die auch die Gegenleistung für Aktien gemeinsam handelnder Personen und Aktien, die einer Nichtannahmevereinbarung unterliegen, erfassen muss.
1 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 9. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 12, 21; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 11; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 9. 3 Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 6; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 23. 4 Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 23. 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 8. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 16 ff.; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 3. 7 Vgl. Angebot Erwin Hymer Vermögensverwaltungs AG/Hymer AG vom 9.9.2011, Ziff. 11.6 a.E., S. 25; Angebot Strabag SE/Strabag AG vom 17.6.2008, Ziff. 14.3, S. 33.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
C. Historie Der Wortlaut von § 19 ist im Gesetzgebungsverfahren unverändert geblieben. Der Diskussionsentwurf des BMF vom 29.6.2000 bezog sich noch ausschließlich auf Übernahmeangebote und enthielt in diesem Rahmen ein Verbot von Teilangeboten (§ 22 DiskE-WpÜG). Der Übernahmekodex regelte in Art. 10 Satz 1 die verhältnismäßige Zuteilung für den Fall, dass die Annahmeerklärungen das Angebot überstiegen. Dabei war die Möglichkeit zur Abgabe eines Teilangebots nicht auf freiwillige Angebote beschränkt1.
7
Die europäische Übernahmerichtlinie regelt Teilangebote nicht ausdrücklich, unter- 8 stellt jedoch außerhalb von Pflichtangeboten, bei denen sich das Angebot an alle Wertpapierinhaber zu richten hat (Art. 5 Abs. 1 Satz 2), deren Zulässigkeit. So bezieht die Definition des „Übernahmeangebots“ in Art. 2 Abs. 1 lit. a) ausdrücklich auch Angebote mit ein, die auf den Erwerb eines Teils der Wertpapiere der Zielgesellschaft gerichtet sind. Darüber hinaus hat der Bieter nach Art. 6 Abs. 3 lit. f) in der Angebotsunterlage den Mindest- und Höchstanteil oder die Mindest- und Höchstzahl der Wertpapiere anzugeben, zu deren Erwerb er sich verpflichtet.
D. Das Zuteilungsverfahren I. Grundsatz der pro rata-Zuteilung Kommt es zu einer Überzeichnung2 des Angebots, so ordnet § 19 die verhältnismäßi- 9 ge Zuteilung der Wertpapiere an diejenigen Wertpapierinhaber an, die die Annahme erklärt haben. Umstritten ist, ob durch die Regelung des § 19 jede Annahmeerklärung bei einem Teilangebot unter der gesetzlichen Bedingung der Nicht-Überzeichnung steht und für den Fall der Überzeichnung kraft Gesetzes modifiziert wird3 oder aber die Annahmeerklärung bereits nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt so auszulegen ist, dass der Erklärende im Fall der Überzeichnung auch mit einer pro rataZuteilung einverstanden ist4. Letzterer Ansicht ist im Hinblick auf die Verpflichtung des Bieters zur Information der Wertpapierinhaber in der Angebotsunterlage zuzustimmen. Nach § 11 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 6 WpÜG-AngVO hat der Bieter bei einem Teilangebot nicht nur Angaben über die Limitierung seines Angebots zu machen,
1 Vgl. dazu Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 12 f. 2 In der Praxis sind Überzeichnungen bei Teilangeboten oftmals nur theoretisch möglich, wenn und weil mit gemeinsamen handelnden Personen, ohne deren Annahme keine Überzeichnung eintreten kann, Nichtannahmevereinbarungen getroffen wurden (siehe oben Rz. 2a und unten Rz. 14), vgl. Angebot Erwin Hymer Vermögensverwaltungs AG/HYMER AG vom 9.9.2011, Ziff. 11.6 a.E., S. 25; Angebot STRABAG SE/STRABAG AG vom 17.6.2008, Ziff. 14.3, S. 33. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 15 f.; Huber/Trenkwalder in Huber, § 20 ÜbG Rz. 9 für das österreichische Übernahmegesetz; ähnlich Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 7 (nachträgliche Änderung des Schuldverhältnisses kraft Gesetzes); demgegenüber spricht sich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 2, für ein einseitiges Rechtsgeschäft eigener Art aus, das nach seinem Verpflichtungsgegenstand dem eines Vorvertrages vergleichbar sei. Danach verpflichte sich der Bieter, eingehende Anträge der Aktionäre der Zielgesellschaft grundsätzlich nach Maßgabe des Gleichbehandlungsgrundsatzes anzunehmen. 4 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 14 ff.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 26; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 7.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
sondern auch über die verhältnismäßige Zuteilung nach § 19. Damit erklärt sich der annehmende Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft auch mit der pro rata-Zuteilung einverstanden, sofern die Annahmeerklärungen das Angebot des Bieters übersteigen1. Für den Fall, dass dies nicht vom Willen des Annehmenden umfasst ist, müsste und könnte er dies ausdrücklich erklären2. Dafür kann bei Aktionären, die ein größeres Paket halten, durchaus ein Bedürfnis bestehen, etwa dann, wenn der Aktionär wegen des Unterschreitens bestimmter Schwellenwerte damit verbundene Minderheitenrechte verlieren würde, was zwar bei einem vollständigen Verkauf akzeptabel für ihn wäre, nicht aber bei einem Teilrückzug. 10
Bei der verhältnismäßigen Zuteilung sind die gemäß dem Angebot zu erwerbenden Wertpapiere zu den erwerbbaren Wertpapieren zueinander ins Verhältnis zu setzen. Hat der Bieter beispielsweise sich verpflichtet, 250 000 Stammaktien zu erwerben und ihm sind 1 Mio. Aktien angedient worden, so beträgt das Verhältnis zwischen dem Angebot des Bieters und den auf Grund der Annahmeerklärung zu erwerbenden Aktien 1/4. Die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft sind damit in Höhe von 1/4 anteilsmäßig bei der Zuteilung zu berücksichtigen. Bei Angeboten, die sich auf mehrere Wertpapiergattungen erstrecken, hat die Zuteilung getrennt nach jeder Gattung zu erfolgen3.
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Umstritten ist der Fall, dass ein Wertpapierinhaber die Annahme für mehr Wertpapiere erklärt als er im Zeitpunkt der Annahme des Angebots tatsächlich hält (sog. tendering short). Hierbei ist nicht auf die tatsächlich vorhandene Menge beim Annehmenden abzustellen4, sondern auf die in der Annahmeerklärung angegebene Anzahl an Wertpapieren5. Den Bieter trifft auch keine Pflicht zur effektiven Überprüfung des konkreten Leistungsvermögens der einzelnen Aktionäre6. Kann der Wertpapierinhaber seine Pflichten zur Übertragung der Wertpapiere nicht vollständig erfüllen, verletzt er seine schuldrechtlichen Lieferpflichten7. Gegebenenfalls muss er also weitere Wertpapiere zukaufen8 oder Schadensersatz leisten. Ob hingegen der Bieter in diesem Fall eine Nachzuteilung vornehmen kann, scheint fraglich. Eine 1 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 15; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 7; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 36 f.; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 15, der selbst bei ausdrücklichem Hinweis auf § 19 in der Angebotsunterlage an der Vereinbarkeit mit dem tatsächlichen Erklärungswillen des durchschnittlichen Wertpapierinhabers zweifelt. 2 Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 7, der dies allerdings für einen eher theoretischen Fall hält. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 18, der den Wertpapierinhaber für den Fall der Überzeichnung nicht zum Rücktritt berechtigt hält. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 21; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 24; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 6; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 4; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 40; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 8; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 28. 4 So aber Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 33. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 20; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 23; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 9, der darauf hinweist, dass der Aktionär auf diese Weise sicherstellen kann, dass er bei Überzeichnung sämtliche ihm gehörenden Aktien veräußern kann; siehe auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 5 (ermöglicht Spekulation auf zukünftige Kursentwicklung); unklar Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 8 Fn. 14. 6 So aber Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 5. 7 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 9. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 20.
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Zuteilung bei einem Teilangebot
Pflicht hierzu dürfte jedenfalls nicht bestehen, weil es um eine Leistungsstörung in einem konkreten Vertragsverhältnis geht und es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt, daraus einen Anspruch der anderen Aktionäre abzuleiten. Angesichts der technischen Abwicklung bei öffentlichen Angeboten ist ein short tendering allerdings wohl nur theoretisch denkbar.
II. Ausnahmen Die gesetzliche Vorgabe der verhältnismäßigen Berücksichtigung im Fall der Über- 12 zeichnung gilt lediglich grundsätzlich. Abweichungen können demnach vorgenommen werden, sofern dies unter Beachtung der Interessen der Wertpapierinhaber sachlich gerechtfertigt ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Bieter pauschal die vollständige Berücksichtigung kleinerer Wertpapierbestände in der Angebotsunterlage vorsieht, um die andernfalls entstehenden Splitterbeteiligungen zu vermeiden1. Zwar führt dies zu einer Benachteiligung von Großaktionären2, jedoch hat der Bieter mit Blick auf das Verhältnis von Beteiligungswert und entsprechenden Transaktionskosten ein schützenswertes Interesse an der Vermeidung von Kleinstbeständen3. Umgekehrt fehlt es an der praktischen Notwendigkeit, Splitterbeteiligungen vollständig unberücksichtigt zu lassen4, so dass eine solche Regelung unzulässig wäre5. Ferner würde eine Zuteilung, die auf den Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärungen abstellt (sog. Windhundverfahren) oder nur bestimmte Aktionärstypen berücksichtigt, gegen das Gleichbehandlungsgebot (§ 3 Abs. 1) verstoßen (siehe oben Rz. 1). Dieses Verfahren würde ohnehin nicht in Einklang mit § 3 Abs. 2 stehen, da die Aktionäre bei ihrer Entscheidung unter Druck gesetzt würden, das Angebot möglichst früh anzunehmen6. Auch die Zuteilung nach einem Losverfahren ist jedenfalls dann unzulässig, wenn eine verhältnismäßige Zuteilung noch möglich ist7.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 30, Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 24; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 15; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 13; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 7; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 42; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 31; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 13. Gleichwohl wurde dieses Verfahren in der Praxis teilweise ausdrücklich ausgeschlossen, vgl. Angebot Deutsche Balaton AG/eigene Aktionäre vom 8.9.2005, Ziff. 6.3, S. 15 f.; Angebot edding AG/eigene Aktionäre vom 17.11.2004, Ziff. 6.3, S. 12; Angebot Spütz AG/eigene Aktionäre v. 14.11.2003; Ziff. 6.3, S. 11 f. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 42. 3 Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 13; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 24; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 42. 4 Vgl. Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 26, wonach die Streitfrage keine praktische Bedeutung habe. 5 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 15; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 13; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 25; der dies bei eindeutiger und klarer Bezeichnung in der Angebotsunterlage für zulässig hält. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 3, 27; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 2; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 6, Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 3 f. 7 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 31; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 31; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 14, der jedoch in extrem gelagerten Ausnahmefällen das Losverfahren für zulässig hält, so etwa, wenn die vom Bieter vorgegebene Höchstmenge durch die Berücksichtigung von Klein- und Kleinstbeständen (nahezu) ausgeschöpft wurde und den übrigen Aktionären nur geringe Stückzahlen abgenommen werden könnten.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
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Entstehen durch die Zuteilung Bruchteile von Aktien (im obigen Beispiel: Kleinaktionär hat die Annahme für 30 Aktien erklärt, so dass er 7,5 Aktien übertragen müsste), muss dem Bieter abweichend von der pro rata-Zuteilung eine Rundung der Anzahl der Aktien möglich sein1. Er kann hierzu in der Angebotsunterlage festlegen, dass in diesen Fällen die Bruchteile einheitlich auf- bzw. abgerundet werden2. Zudem wird diskutiert, ob der Bieter darüber hinaus auch befugt ist, erst nach Ablauf der Annahmefrist für jeden Wertpapierinhaber individuell über die jeweilige Rundung zu entscheiden. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung der Inhaber gleicher Wertpapiergattungen ist sachlich gerechtfertigt, da es dem Bieter nur so möglich ist, von seinem gesetzlich eingeräumten Recht zum Erwerb eines bestimmten Anteils oder eine bestimmte Anzahl von Wertpapieren Gebrauch zu machen und nicht mehr oder weniger Aktien erwerben zu müssen, als beabsichtigt3. Im Übrigen hält sich die Ungleichbehandlung – es geht jeweils um den Erwerb bzw. Nichterwerb eines einzigen Wertpapiers – in Grenzen4. Allerdings sollte der Bieter sich dieses Recht schon in der Angebotsunterlage vorbehalten. In der Annahme des Angebots liegt dann zugleich der Verzicht auf völlige Gleichbehandlung5.
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Im Fall eines Tauschangebots gelten die vorgenannten Grundsätze entsprechend. Zudem hat der Bieter die Möglichkeit, für die verbleibenden Wertpapierbruchteile einen Spitzenausgleich in bar anzubieten6. Individualvereinbarungen mit einzelnen Aktionären außerhalb des Angebotsverfahrens verstoßen weder gegen § 19 noch gegen den übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 Abs. 17.
III. Behandlung der das Angebot übersteigenden Annahmeerklärungen 15
Übersteigen die Annahmeerklärungen und damit die Anzahl der angebotenen Wertpapiere die vom Bieter nachgefragte Menge, stellt sich die Frage, ob der Bieter diesen über das Angebot hinausgehenden Teil ebenfalls zu den Bedingungen des Angebots
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 19; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 10 f.; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 26 ff.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 11; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 30; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 41. 2 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 26 f.; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 30. In der Praxis wurden bisher ausschließlich Regelungen getroffen, die ein Abrunden vorsehen, vgl. Angebot Erwin Hymer Vermögensverwaltungs AG/HYMER AG vom 9.9.2011, Ziff. 11.6, S. 25; Angebot Deutsche Balaton AG/W.E.T. Automotive Systems vom 20.7.2011, Ziff. 5.7, S. 15; Angebot HRE Investments Holdings L.P./Hypo Real Estate Holding AG vom 23.5.2008, Ziff. 10.5, S. 33. 3 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 27; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 30; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 12. Einschränkend Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 11, der dies jedenfalls für unzulässig hält, wenn die einzelnen Wertpapiere einen „erheblichen Wert“ haben; kritisch dazu Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 19. 4 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 27; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 12. 5 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 28 f. 6 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 13. 7 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 33; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 16; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 27.
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§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
erwerben kann1 oder ob es hierzu der Unterbreitung eines neuen Angebots bedarf2. Richtigerweise wird man den Bieter zu der Abgabe eines neuen Angebots verpflichten müssen: Ist der Bieter bereit, mehr Wertpapiere zu erwerben, als er dies in seinem ursprünglichen Angebot erklärt hat, handelt es sich um eine Änderung des Angebots. Eine solche ist jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 21 möglich. Die dort genannten Voraussetzungen liegen jedoch bei der Berücksichtigung der in der Angebotsunterlage festgesetzten Zahl von Annahmeerklärungen nicht vor3. Darüber hinaus verlangt das Gesetz, dass der Bieter mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage ein verbindliches Angebot abgibt (vgl. § 17, Verbot sog. Invitatio-ad-offerendum-Angebote). Bei einem Teilangebot hat der Bieter sein verbindliches Angebot gerade auf eine bestimmte Beteiligungsquote bzw. auf eine bestimmte Zahl von Wertpapieren beschränkt; darüber hinaus reicht seine verbindliche Erklärung im Rahmen des Angebots nicht. Für eine rechtstechnische Einordnung der über das Angebot hinausgehenden Annahmeerklärungen als neue Angebote der Wertpapierinhaber, deren Annahme durch den Bieter es nicht mehr bedarf4, fehlt damit der gesetzliche Anknüpfungspunkt5.
IV. Folgen bei Angebotsunterzeichnung Kommt es zu einer Unterzeichnung des Angebots, erreicht der Bieter also nicht die von ihm angestrebte Beteiligungshöhe, ist fraglich, ob der Bieter die angebotenen Aktien annehmen kann bzw. muss. Fehlt eine ausdrückliche Regelung in der Angebotsunterlage, ist der Angebotsinhalt nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen vom Empfängerhorizont aus zu ermitteln6. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Bieter alle ihm angebotenen Aktien erwerben will7. Um Unklarheiten seitens der Aktionäre zu vermeiden, sollte bei Teilangeboten in der Angebotsunterlage eine entsprechende Regelung dieses Falles enthalten sein8. Strebt der Bieter den exakten Erwerb einer bestimmten Anteils oder einer bestimmten Anzahl an Wertpapieren an, empfiehlt es sich, das Teilangebot von der aufschiebenden Bedingung des Erreichens dieser Beteiligungshöhe abhängig zu machen9. 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 28 ff. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 8; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 4, 35 ff.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 17; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 35 (anders nur, wenn der Mehrerwerb zum Ausgleich von Bruchteilen dient); Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 39; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 9. 3 So auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 19 Rz. 8; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 35; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 48, der nur eine Verminderung der Höchstmenge für unzulässig erachtet, die Erhöhung der Höchstmenge aber mit Rücksicht auf das Rücktrittsrecht nach § 21 Abs. 4 und die Möglichkeit, mehr Aktien an den Bieter verkaufen zu können, für zulässig hält. 4 So Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 28. 5 Im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 39, wonach die Annahme eines unbedingten Neuangebots eine „reine Fiktion“ darstelle. 6 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 13; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 10. 7 Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 10; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 24; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 13. 8 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 24; Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 10. 9 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 3, 13. Siehe etwa das Teilangebot der HRE Investments Holdings L.P./Hypo Real Estate AG vom 23.5.2008, das auf 24,9 % beschränkt war und eine Mindestannahmequote von 20 % des ausgegebenen Grundkapitals der HRE vorsah (Ziff. 4.1 und 12.1 lit. d), S. 13, 38).
Favoccia
579
16
§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
V. Änderung der Zuteilungsregeln 17
Umstritten ist, ob der Bieter die Zuteilungsregeln nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage modifizieren kann. Richtig ist, dass dies eine nicht von § 21 Abs. 1 Satz 1 gedeckte Änderung des Angebots darstellen würde und daher unzulässig ist1. Dem Bieter muss es jedoch möglich sein, unter Umständen auf besondere Entwicklungen des Angebots zu reagieren. Voraussetzung dafür ist, dass entsprechende Regeln bereits in der Angebotsunterlage so festgelegt sind, dass klar erkennbar ist, in welchen Konstellationen welche Regeln Anwendung finden und dem Bieter insofern kein wesentlicher Entscheidungsspielraum zukommt2.
VI. Transparenz des Verfahrens 18
Zentrales Anliegen des WpÜG ist die Sicherstellung einer ausreichenden Transparenz des Angebotsverfahrens3. Dementsprechend hat der Bieter bei Teilangeboten gemäß § 11 Abs. 4 i.V.m. § 2 Nr. 6 WpÜG-AngVO Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft in der Angebotsunterlage über den prozentualen Höchstanteil oder die Höchstzahl der Wertpapiere zu informieren, zu deren Erwerb er sich verpflichtet. Zusammen mit den Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Abs. 4 i.V.m. § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO zu den bei Angebotsabgabe bereits gehaltenen bzw. zuzurechnenden Wertpapieren lässt sich so anhand der Angebotsunterlage feststellen, wie viele Anteile der Bieter nach Durchführung des Angebots maximal hält. Darüber hinaus hat er nach § 11 Abs. 4 i.V.m. § 2 Nr. 5 Halbsatz 2 WpÜG-AngVO Auskunft über die konkrete Zuteilungsregelung (d.h. pro-rata und/oder Ausnahmen) zu geben4. Im Hinblick auf eine mögliche Untersagung des Angebots nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 auf Grund fehlender oder unrichtiger Angaben ist es angezeigt, sich über die beabsichtigte Regelung vor Übermittlung der Angebotsunterlagen mit der Bundesanstalt in Verbindung zu setzen5.
VII. Rechtsfolgen bei Verstößen 19
Sind die Zuteilungsregeln zulässig, hält sich der Bieter jedoch nicht an sie, können die übergangenen Wertpapierinhaber von ihm Abnahme und Bezahlung der angedienten Wertpapiere in dem Umfang verlangen, in dem sie bei Einhaltung der Zuteilungsregeln berücksichtigt worden wären6. Für den Fall des Annahmeverzugs des 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 33; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 9; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 20; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 36; a.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 20. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 33; siehe auch Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 29; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 19 Rz. 47, der die Zulässigkeit eines Änderungsvorbehalts ablehnt. Weitergehend demgegenüber Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 20, der in besonderen Ausnahmefällen eine nachträgliche Änderung bei Veröffentlichung analog § 14 Abs. 3 Satz 1 bis zum Ende der Annahmefrist für zulässig erachtet. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 1, 28 f. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 36; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 42; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 18; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 36; siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 79 (insbes. bei Ausnahme vom Grundsatz der verhältnismäßigen Zuteilung). 5 Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 19; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 19 Rz. 16. 6 Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 46; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 21; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 34; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 10.
580 Favoccia
§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
Bieters (§§ 293 ff. BGB) können sie darüber hinaus Schadensersatz sowie Verzugszinsen verlangen1. Hat der Bieter einen Dritten unzulässigerweise bevorzugt, ergibt sich hieraus kein Anspruch, mit dem Dritten gleichgestellt zu werden. Eine Gleichbehandlung im Unrecht gibt es nicht2. Gegebenenfalls macht sich der Vorstand des Bieters aber gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig. Maßnahmen der BaFin gemäß § 4 dürften wegen des fehlenden Drittschutzes der Norm dagegen eher nicht in Betracht kommen. Sind die Zuteilungsregeln unzulässig oder bezieht sich das Teilangebot auf Pflicht- oder Übernahmeangebote, ist das Angebot von der BaFin nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 zu untersagen3. Auch aus diesem Grund empfiehlt es sich, die Zuteilungsregeln mit der BaFin vorab zu besprechen4.
E. Blick über die Grenze I. Vereinigtes Königreich Nach dem Takeover Code5 sind Teilangebote zulässig, wenn das Takeover Panel sei- 20 ne Zustimmung erteilt hat (Rule 36.1). Bei Teilangeboten, die nicht dazu führen können, dass der Bieter mehr als 30 % der Stimmrechte des Unternehmens erwirbt (und damit die Kontrollschwelle überschreitet), wird das Panel gemäß Rule 36.1 Satz 2 seine Zustimmung regelmäßig erteilen. Teilangebote, die sich auf mehr als 30 % der Stimmrechte beziehen, sind dagegen grundsätzlich nur eingeschränkt möglich. Je nach Höhe der angestrebten Beteiligung setzen diese Teilangebote voraus, dass weitere formelle und inhaltliche Voraussetzungen6 insbesondere zum Schutz der Minderheitsaktionäre7 erfüllt sind (Rule 36.2 bis 36.6). Die Gleichbehandlung aller Aktionäre ist einer der zentralen Grundsätze bei der Ausgestaltung von Teilangeboten nach dem City Code on Takeovers and Mergers8. So sind Teilangebote allen Aktionären der jeweiligen Aktiengattung zu unterbreiten (Rule 36.7 Satz 1). Bei mehreren Aktiengattungen ist der Bieter verpflichtet, für jede Aktiengattung ein vergleichbares Angebot abzugeben, wenn der Bieter darauf abzielt, mehr als 30 % der Stimmrechte des Unternehmens zu erwerben (Rule 36.8). Soweit
1 Glade in Heidel, § 19 WpÜG Rz. 17; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 34; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 46; Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 21. 2 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 19 WpÜG Rz. 10; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 46; wohl auch Geibel in Geibel/Süßmann, § 19 Rz. 21. 3 So handelte es sich etwa bei dem Übernahmeangebot der MAXX International Inc. (MAXX) an die Aktionäre der Travel24.com AG um ein verbotenes Teilangebot, siehe BaFin Jahresbericht 2008, S. 183. 4 So auch Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 44. 5 Fassung vom 19.9.2011; abrufbar unter www.thetakeoverpanel.org.uk. 6 So wird das Panel seine Zustimmung bei einem Angebot über mehr als 30 % der Stimmrechte eines Unternehmens regelmäßig nicht erteilen, wenn der Bieter in den letzten zwölf Monaten vor dem Antrag auf Zustimmung oder in einem Zeitraum, in dem das Teilangebot bereits ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, eine wesentliche Anzahl von Aktien an der Gesellschaft erworben hat (Rule 36.2). Weitere inhaltliche und formelle Bedingungen sind in Rule 36.3 bis 36.6 beschrieben, vgl. dazu auch Button, A Practitioner’s Guide To The City Code On Takeovers And Mergers, 2006/2007 ed., Sec. 5.3. 7 Button, A Practitioner’s Guide To The City Code On Takeovers And Mergers, 2006/2007 ed., Sec. 5.3; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 50; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 7; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 17. 8 Button, A Practitioner’s Guide To The City Code On Takeovers And Mergers, 2006/2007 ed., Sec. 5.3.
Favoccia
581
§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
die Anzahl der angedienten Aktien die Höhe des Teilangebots überschreitet, ist der Bieter ferner verpflichtet, die andienenden Aktionäre anteilig zu berücksichtigen (Rule 36.7 Satz 2).
II. Österreich 21
Freiwillige Erwerbsangebote, die sich lediglich auf einen Teil der Aktien der Zielgesellschaft beziehen, sind auch in Österreich grundsätzlich zulässig und gesetzlich vorgesehen (§ 1 Nr. 1 öÜbG). Pflichtangebote im Falle eines Kontrollerwerbs im Sinne des § 22 öÜbG müssen sich jedoch stets auf alle Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft beziehen und können somit nicht als Teilangebote ausgestaltet werden1. Ebenso wie im deutschen Übernahmerecht wird die Kontrollschwelle in Österreich bei einem Erwerb von mehr als 30 % der Stimmrechte des Zielunternehmens überschritten (§ 22 Abs. 2 und 3 öÜbG). Ähnlich wie § 19 sieht auch das ÜbG zur Sicherung der Aktionärsgleichbehandlung2 bei einem Teilangebot eine verhältnismäßige Berücksichtigung von Annahmeerklärungen vor, wenn die Menge der Beteiligungspapiere, hinsichtlich derer Annahmeerklärungen abgegeben werden, größer ist als die Menge der Beteiligungspapiere, die der Bieter erwerben wollte (§ 20 Satz 1 ÜbG). Berücksichtigt wird die Annahmeerklärung jedes Beteiligungspapierinhabers dabei in dem Verhältnis, in dem das Teilangebot zur Gesamtheit der zugegangenen Annahmeerklärungen steht (§ 20 Satz 2 ÜbG). Dem Bieter steht es frei, in der Angebotsunterlage Ausnahmen zur Vermeidung unrunder Aktienbestände festzulegen (§ 7 Nr. 5 i.V.m. § 20 Satz 3 ÜbG).
III. Schweiz 22
Für die Schweiz setzt die Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (UEV)3 die Zulässigkeit der Abgabe von Teilangeboten in Art. 21 Abs. 1 Halbsatz 2 voraus4. Ausgeschlossen sind Teilangebote dann, wenn sie sich auf den Erwerb von insgesamt mehr als 33 1/3 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft beziehen. In diesem Fall muss sich das Angebot auf alle börsennotierten Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft erstrecken (Art. 32 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel, BEHG). Der Grenzwert kann in der Satzung der Zielgesellschaft bis auf 49 % der Stimmrechte angehoben werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist in Art. 9 UEV und Art. 24 Abs. 2 BEHG beschrieben. Kann der Anbieter bei einem Teilangebot nicht alle Annahmeerklärungen erfüllen, muss er diese anteilsmäßig berücksichtigen (Art. 9 Abs. 5 Satz 3 UEV).
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 9; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 15; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 48. 2 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. AktG, Österreichisches Übernahmerecht, Rz. 75; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 47. 3 Abrufbar über die Internetseite der Übernahmekommission unter www.takeover.ch. 4 Vgl. dazu auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 10; Thoma in Baums/Thoma, § 19 Rz. 49; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 19 Rz. 16.
582 Favoccia
§ 19
Zuteilung bei einem Teilangebot
IV. Frankreich Im französischen Übernahmerecht ist der Bieter grundsätzlich verpflichtet, sein An- 23 gebot auf sämtliche außenstehenden Aktien der Zielgesellschaft zu beziehen. Lediglich im Falle eines vereinfachten Angebots (offre publique simplifiée) kann der Bieter den Erwerb auf einen bestimmten Anteil der Stimmrechte des Zielunternehmens beschränken (Article 233-1-3 Règlement Général de l’Autorité des Marchés Financiers, RGAMF1). Ein vereinfachtes Angebot bedarf der Zustimmung der AMF (Autorité des Marchés Financiers), die nur erteilt werden kann, wenn sich das Angebot (zusammen mit den bereits vom Bieter direkt oder mittelbar gehaltenen Aktien) insgesamt auf nicht mehr als 10 % der Stimmrechte des Zielunternehmens bezieht.
V. USA Nach dem Securities Exchange Act aus dem Jahre 1934 (SEA) darf der Bieter auch zum Zwecke eines Kontrollerwerbs2 Teilangebote aussprechen. Im Falle eines überzeichneten Teilangebotes ist der Bieter verpflichtet, die angedienten Aktien pro-rata anzunehmen (Sec. 14d (6) SEA).
24
F. Übersicht der Teilangebote seit 2002 Die nachfolgende Übersicht enthält die seit Inkrafttreten des WpÜG im Jahr 2002 ver- 25 öffentlichten Teilangebote. Daraus wird ersichtlich, dass es sich bei den Teilangeboten in den Anfangsjahren nahezu ausschließlich um öffentliche Angebote zum Rückerwerb eigener Aktien handelte. Mit Schreiben vom 9.8.2006 hat die BaFin ihre Verwaltungspraxis dahingehend geändert, dass das WpÜG bei einem öffentlichen Angebot zum Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung (mehr) findet. Bei den danach veröffentlichten Teilangeboten handelt es sich überwiegend um Aufstockungsangebote, bei denen eine Überzeichnung wegen des vom Bieter bzw. der mit ihm gemeinsam handelnden Personen gehaltenen Vorbesitzes und entsprechender Abreden, das Angebot nicht anzunehmen, theoretisch zwar denkbar, aber praktisch nicht relevant war. Dementsprechend sind die Zuteilungsregeln auch knapp gehalten und beschränken sich auf die Anordnung der verhältnismäßigen Berücksichtigung und der generellen Abrundung bei Bruchteilen. Eine Ausnahme stellt das auf den Erwerb von mind. 20 % und max. 29,9 % gerichtete Teilangebot des US-Finanzinvestors JC Flowers für die Hypo Real Estate dar. Der Vorbesitz belief sich auf 0 Aktien3. Bei den bisherigen Teilangeboten handelte es sich ausschließlich um Barangebote.
1 Arrêté du 12 novembre 2004 portant homologation des livres II à VI du règlement général de l’Autorité des marchés financiers (RGAMF); abrufbar unter www.legifrance.gouv.fr. 2 Traugott/Schaefer, NZG 2004, 158, 160. 3 Angebot der HRE Investments Holdings L.P./Hypo Real Estate AG vom 23.5.2008. Siehe dazu Börsen-Zeitung vom 17.4.2008 (rechtliches Neuland mit öffentlichem Teilangebot.).
Favoccia
583
Deutsche Balaton AG/Allerthal Werke AG
Scherzer & Co. AG/ Allerthal-Werke AG
Erwin Hymer Vermögensverwaltungs AG/HYMER AG
Deutsche Balaton AG/ W.E.T. Automotive Systems AG
Herr Günther Leibinger/ AdCapital AG
FMI – Film-, Medien- und Internetbeteiligungen GmbH/Odeon AG
STRABAG SE/STRABAG AG
HRE Investments Holdings L.P./ Hypo Real Estate Holding AG
Allianz AZL Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG/ Allianz Lebensversicherungs-AG
Buzzi Unicem S.p.A./Dyckerhoff AG
Generali-Beteiligungs-BmbH/ AMB Generali Holding AG
26.7.2012
9.9.2011
20.7.2011
20.5.2010
8.6.2009
17.6.2008
23.5.2008
28.2.2007
17.12.2006
25.3.2006
Bieter-/Zielgesellschaft
23.8.2012
Datum
584 Favoccia 29,12 %
5,1 %
8,97 %
24,9 %
33,4 %
12,46 %
4,64 %
1,5625 %
20,19 %
24,9 %
29,18 %
Angebotshöhe
70,88 %
94,9 %
91,03 %
0%
66,6 %
71 %
48,13 %
10,98 %
79,81 %
0%
0%
Vorbesitz (inkl. ghP)
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stamnmaktien (Vollangebot bzgl. Vorzugsaktien)
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
Aktiengattung
Übersicht der Teilangebote seit 2002 [Stand 3.9.2012]
– generelle Abrundung
–
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
–
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung
Zuteilungsregeln bei Überzeichnung
§ 19 Zuteilung bei einem Teilangebot
Bieter-/Zielgesellschaft
RAG Projektgesellschaft mbH/ Degussa AG
Deutsche Balaton AG/ eigene Aktionäre*
Deutsche Beteiligungs AG/ eigene Aktionäre*
Grundstücks- und Baugesellschaft AG/eigene Aktionäre*
edding AG/eigene Aktionäre*
Beiersdorf AG/eigene Aktionäre*
Spütz AG/eigene Aktionäre*
Datum
27.1.2006
8.9.2005
30.6.2005
20.1.2005
17.11.2004
23.12.2003
18.11.2003
7,33 %
10 %
8,11 %
9,44 %
10 %
5%
7,04 %
Angebotshöhe
2,67 %
0%
1,89 %
0%
0%
4,88 %
92,96 %
Vorbesitz (inkl. ghP)
auf den Namen lautende Namensstückaktien
auf den Inhaber lautende Vorzugsstückaktien
auf den Inhaber lautende Vorzugsstückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
auf den Inhaber lautende Nennbetragsaktien
auf den Inhaber lautende Stückaktien
Aktiengattung
– generelle Abrundung – keine bevorrechtigte Berücksichtigung von Kleinstbeständen (50 Aktien) trotz Ermächtigung durch Hauptversammlung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung – keine bevorrechtigte Berücksichtigung von Kleinstbeständen (50 Aktien) trotz Ermächtigung durch Hauptversammlung
– generelle Abrundung – keine bevorrechtigte Berücksichtigung von Kleinstbeständen (50 Aktien) trotz Ermächtigung durch Hauptversammlung
– generelle Abrundung
– generelle Abrundung – keine bevorrechtigte Berücksichtigung von Kleinstbeständen (100 Aktien) trotz Ermächtigung durch Hauptversammlung
– generelle Abrundung
Zuteilungsregeln bei Überzeichnung
Zuteilung bei einem Teilangebot
§ 19
Favoccia
585
586 Favoccia
Axel Springer AG/eigene Aktionäre*
Nordag AG/B.U.S. Berzelius Umwelt-Service AG
United Internet AG/ Adlink Internet Media AG
10.10.2003
12.7.2002
19.3.2002
37,13 % des jeweils gehaltenen Aktienbestandes
34,24 % der Stammaktien; 86,62 % der Vorzugsaktien
10 %
Angebotshöhe
62,27 %
65,77 % der Stammaktien; 13,38 % der Vorzugsaktien
0%
Vorbesitz (inkl. ghP) – generelle Abrundung
Zuteilungsregeln bei Überzeichnung
auf den Namen lautende Stückaktien
–
Stamm- und Vorzugsaktien – generelle Abrundung
auf den Namen lautende Stückaktien
Aktiengattung
* Mit Schreiben vom 9.8.2006 hat die BaFin ihre Verwaltungspraxis dahingehend geändert, dass das WpÜG bei einem öffentlichen Angebot zum Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung findet.
Bieter-/Zielgesellschaft
Datum
§ 19 Zuteilung bei einem Teilangebot
§ 20
Handelsbestand
§ 20 Handelsbestand (1) Die Bundesanstalt lässt auf schriftlichen Antrag des Bieters zu, dass Wertpapiere der Zielgesellschaft bei den ergänzenden Angaben nach § 11 Abs. 4 Nr. 2, den Veröffentlichungspflichten nach § 23, der Berechnung des Stimmrechtsanteils nach § 29 Abs. 2 und der Bestimmung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 1, 3 und 4 und der Geldleistung nach § 31 Abs. 5 unberücksichtigt bleiben. (2) Ein Befreiungsantrag nach Absatz 1 kann gestellt werden, wenn der Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen 1. die betreffenden Wertpapiere halten oder zu halten beabsichtigen, um bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen dem Erwerbspreis und dem Veräußerungspreis kurzfristig zu nutzen und 2. darlegen, dass mit dem Erwerb der Wertpapiere, soweit es sich um stimmberechtigte Aktien handelt, nicht beabsichtigt ist, auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. (3) Stimmrechte aus Aktien, die auf Grund einer Befreiung nach Absatz 1 unberücksichtigt bleiben, können nicht ausgeübt werden, wenn im Falle ihrer Berücksichtigung ein Angebot als Übernahmeangebot abzugeben wäre oder eine Verpflichtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 bestünde. (4) Beabsichtigt der Bieter Wertpapiere, für die eine Befreiung nach Absatz 1 erteilt worden ist, nicht mehr zu den in Absatz 1 Nr. 1 genannten Zwecken zu halten oder auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, ist dies der Bundesanstalt unverzüglich mitzuteilen. Die Bundesanstalt kann die Befreiung nach Absatz 1 außer nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes widerrufen, wenn die Verpflichtung nach Satz 1 nicht erfüllt worden ist.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
1
II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Vergleichbare Regelungen . . . . . . . .
8
B. Voraussetzungen für eine Befreiung (§ 20 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
I. Reichweite des Befreiungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
II. Halten der Wertpapiere im Handelsbestand (§ 20 Abs. 2 Nr. 1) . . . . .
15
III. Halten der Wertpapiere im Spekulationsbestand (§ 20 Abs. 2 Nr. 1) . . . .
24
IV. Fehlende Absicht der Einflussnahme (§ 20 Abs. 2 Nr. 2) . . . . . . . . . 29 C. Verfahrensfragen (§ 20 Abs. 1, 3 und 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . 38 III. Inhalt des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Entscheidung der Bundesanstalt . . . 42 V. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 VI. Beendigung der Befreiung . . . . . . . . . 54
Schrifttum: Cahn, Probleme der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem WpHG bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils an börsennotierten Gesellschaften, AG 1997, 502; Hirte, Der „Handelsbestand“ – Bindeglied zwischen Kapitalmarkt- und Konzernrecht, in FS Wiedemann, 2002, S. 955; Holzborn/Blank, Die Nichtzurechnung nach §§ 20, 36 WpÜG und die Befreiung vom Pflichtangebot nach § 37 WpÜG, §§ 8 ff. WpÜG-AngVO, NZG
Seiler
587
§ 20
Handelsbestand
2002, 948; Holzborn/Friedhoff, Die gebundenen Ausnahmen der Zurechnung nach dem WpÜG – Die Tücken des Handelsbestandes nach § 20 WpÜG, WM 2002, 948; Meyer, Änderungen im WpÜG durch die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, WM 2006, 1135; Vogel, Der Handelsbestand im Übernahmerecht – Offene Fragen des § 20 WpÜG, NZG 2005, 537; Wagner, Das neue Wertpapiererwerbs- und -übernahmegesetz (WpÜG), Die Bank 2002, 66.
A. Grundlagen I. Entstehung der Norm 1
Der Regierungsentwurf des WpÜG sah in § 20 Abs. 2 Nr. 1 zunächst vor, dass nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die an einem organisierten Markt zugelassen sind, berechtigt sein sollten, einen Antrag auf Nichtberücksichtigung von im Handelsbestand gehaltenen Wertpapieren zu stellen1. Diese Beschränkung wurde erst in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Finanzausschusses aufgehoben und die Regelung auch auf andere Unternehmen erstreckt2. Der Finanzausschuss sah ein Bedürfnis für die Erweiterung, weil auch Unternehmen, die nicht Wertpapierdienstleister sind, im Rahmen der Verwaltung ihres Vermögens in Wertpapiere investieren, ohne dass damit notwendigerweise eine (für die Zwecke des WpÜG relevante) unternehmerische Beteiligung verbunden sein muss (vgl. dazu Rz. 13)3. Auf Empfehlung des Finanzausschusses wurde deshalb auch die ursprüngliche Formulierung der Befreiungsvoraussetzung, die (entsprechend § 23 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) auf Wertpapiere im Handelsbestand (von Wertpapierdienstleistungsunternehmen) Bezug nahm, durch die jetzige Formulierung in § 20 Abs. 2 Nr. 1 ersetzt. Entsprechend wurde auch § 20 Abs. 4 Satz 1 angepasst, der für die Beendigung der Befreiung ebenfalls nicht mehr auf das Halten der Wertpapiere im „Handelsbestand“ abstellt (vgl. unten Rz. 54).
2
Im Diskussionsentwurf war die jetzt in § 20 enthaltene Befreiungsmöglichkeit noch allein auf die Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots beschränkt4.
3
Die Übernahmerichtlinie5 sieht keine § 20 vergleichbare Regelung vor. Art. 5 Abs. 3 überlässt es den Mitgliedstaaten, Methoden zur Feststellung des kontrollbegründenden Stimmrechtsanteils festzulegen. Entsprechend beschäftigt sich auch die derzeit stattfindende Überprüfung der Anwendung der Übernahmerichtlinie nicht mit Regelungen zur Einordnung des Handelsbestandes6.
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 13. In § 33 Abs. 3 Nr. 5 des Referentenentwurfs war noch ausdrücklich geregelt, dass der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft durch diese mit dem Ziel, diese einem genehmigten Handelsbestand zuzuführen, als mit dem Neutralitätsgebot des § 33 Abs. 1 vereinbar gelten sollte. Diese ausdrückliche Regelung ist mit der Entschärfung des Verhinderungsverbots entbehrlich geworden. Der Erwerb von Wertpapieren zum Handelsbestand bildet jetzt in diesen Grenzen einen Sonderfall von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2; vgl. RefE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374, 389. 2 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 20. 3 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 52. 4 Vgl. § 35 Abs. 2 DiskE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237, 254. 5 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, Text im Anhang S. 1713. 6 Bericht der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote vom 28.6.2012, COM(2012) 347 final.
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§ 20
Handelsbestand
§ 20 ist – bis auf begriffliche Anpassungen nach Errichtung der BaFin – seit seiner Einführung unverändert geblieben.
II. Normzweck Die Vorschriften des WpÜG über das Halten und die Zurechnung von Stimmrechten 4 gelten im Grundsatz für alle Wertpapiere, die von einem Bieter, mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen gehalten werden. Dies ist aber nicht immer sachgerecht, insbesondere dann nicht, wenn die Wertpapiere nicht zum Zwecke einer unternehmerischen Beteiligung gehalten werden, sondern lediglich der Vermögensanlage dienen. § 20 greift dieses Problem auf. Die Bestimmung ermöglicht vor allem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, aber auch anderen Unternehmen, die mit Wertpapieren handeln oder spekulieren, diese Tätigkeit auch dann fortzuführen, wenn sie selbst als Bieter, gemeinsam handelnde Personen eines anderen Bieters oder als deren Tochterunternehmen Beteiligte eines öffentlichen Angebots sind1. Erfasst werden damit etwa die Kommissionsgeschäfte der Wertpapierdienstleistungsunternehmen für Anleger (§§ 18 ff. DepotG) sowie OTC-Geschäfte von sog. Market-Makern, die auch außerhalb der Börsenöffnungszeiten Kurse stellen und eine ausreichende Liquidität in den Aktien zur Verfügung stellen müssen2. Gleiches gilt für Market-Maker, die über die Deutsche Terminbörse Geschäfte anbieten und sich zur eigenen Absicherung ihrer Position bereits vor Fälligkeit einer Option auf Aktien mit diesen eindecken können müssen3. Schließlich zielt § 20 auch auf Versicherungsunternehmen, institutionelle Anleger oder Industrieunternehmen ab, die zur Gewinnoptimierung Eigengeschäfte in Aktien durchführen4. Diesen (und anderen Fällen) ist gemeinsam, dass der Erwerb der Wertpapiere durch das jeweilige Unternehmen Durchgangscharakter hat, der Weiterveräußerung dient und nicht auf eine dauernde Inhaberschaft und eine damit verbundene Kontrolle der Zielgesellschaft abzielt (vgl. dazu näher unten Rz. 14)5. Eine Befreiung nach § 20 bewirkt, dass die betreffenden Stimmrechte in der Person 5 des Aktionärs, mit dem die Stimmrechte verbunden sind, nicht berücksichtigt werden. Besonders wichtig wird die Vorschrift, wenn ohne eine Befreiung des zu solchen Zwecken gehaltenen Wertpapierbestands ein Pflichtangebot (§ 35) abzugeben wäre6. Für freiwillige Angebote gilt die Regelung ebenfalls, entfaltet aber nur beschränkte Bedeutung7. Die Befreiungsvorschrift soll einen ungestörten Wertpapierhandel gewährleisten8. Sie soll damit nach der Vorstellung des Gesetzgebers Marktirritationen vermeiden und dazu dienen, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sicherzustellen9.
1 2 3 4 5 6 7
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 1. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 1. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 1. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 1. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 1; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 2. Zutreffend Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 5, 11. Vgl. dagegen Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 6, der die Auffassung vertritt, die Norm hätte systematisch bei den Pflichtangeboten geregelt werden müssen. 8 Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 1. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 3; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 2. Kritisch insoweit Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 3.
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§ 20
Handelsbestand
6
§ 20 orientierte sich ursprünglich an der für den Bereich der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Veränderungen wesentlicher Beteiligungen (§§ 21 ff. WpHG) geltenden Sondernorm des § 23 WpHG a.F.1. Nachdem § 23 WpHG an die Vorgaben der Transparenzrichtlinie2 angepasst wurde3, ist ein Gleichlauf der Vorschriften heute allerdings kaum noch erkennbar4. Die zu § 23 WpHG entwickelten Überlegungen können daher nur mit Bedacht auf § 20 übertragen werden5. Im Übrigen stehen § 20 WpÜG und § 23 WpHG nebeneinander; eine Befreiung nach § 23 WpHG wirkt nicht automatisch auch als Befreiung nach § 206. Vgl. zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Einzelnen unten Rz. 14.
7
Die praktische Bedeutung der Norm ist bisher gering geblieben. Die Jahresberichte der BaFin für die Jahre 2011 und 2009 weisen ausschließlich Befreiungsanträge nach §§ 36, 37 aus7. Der Jahresbericht 2010 erwähnt 78 Befreiungsanträge, von denen 74 Anträge nach §§ 36, 37 waren. Auf die verbleibenden fünf Anträge geht die BaFin nicht gesondert ein8.
III. Vergleichbare Regelungen 8
Der Übernahmekodex beschränkte die Regelung ebenso wie noch der Diskussionsentwurf auf Pflichtangebote. Nach Art. 16 Abs. 3 des Übernahmekodex blieben Stimmrechte für die Berechnung der zum Pflichtangebot führenden Kontrollschwelle unberücksichtigt, wenn sie zum Handelsbestand gehörten und nach § 23 Abs. 2 WpHG für sie eine Befreiung durch das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel erteilt worden war9.
9
Nach § 24 Abs. 2 a.F. des österreichischen Übernahmegesetzes konnte die Übernahmekommission durch Verordnung für die Tätigkeit von Kreditinstituten im Rahmen ihrer Wertpapiergeschäfte Ausnahmen von der Angebotspflicht vorsehen, soweit dies die Vermögensinteressen der Aktionäre nicht beeinträchtigte und für die ordnungsgemäße Führung der Bankgeschäfte notwendig oder zweckmäßig war. Die entsprechenden Ausnahmen regelte § 11 der Ersten Verordnung der Übernahmekommission
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48. 2 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EG Nr. L 390 v. 31.12.2004, S. 38. 3 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG), BGBl. I 2007, 10. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 2. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 5 f. Kritisch zur Übertragung des Regelungskonzepts des § 23 WpHG auf § 20 Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 3 f. 6 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 1; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 1 mit Fn. 1. 7 Jahresbericht der BaFin 2009, S. 205; Jahresbericht der BaFin 2011, S. 228. 8 Jahresbericht der BaFin 2010, S. 227. 9 Vgl. Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 201, 206.
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§ 20
Handelsbestand
zum Übernahmegesetz vom 9.3.19991. Der Österreichische Verfassungsgerichtshof stellte jedoch am 6.10.2006 fest, dass die Einräumung der Verordnungsermächtigung an die Übernahmekommission verfassungswidrig war2. § 24 Abs. 2 a.F. des österreichischen Übernahmegesetzes wurde daraufhin aufgehoben. Ob im Handelsbestand gehaltene Wertpapiere unberücksichtigt bleiben können, beurteilt sich daher heute allgemein nach § 24 Abs. 1 des österreichischen Übernahmegesetzes. Maßgeblich ist danach, ob die Beteiligung einen beherrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft vermitteln kann3. Auch in der Schweiz gibt es keine Regelung, die im Handelsbestand oder im Spe- 10 kulationsbestand gehaltene Wertpapiere privilegiert. Allerdings sieht Art. 32 Abs. 2 BEHG, insbesondere für den Fall nur vorübergehender Überschreitung des Grenzwertes, eine Befreiungsmöglichkeit von der Angebotspflicht bei Kontrollerwerb sowie in sonstigen berechtigten Fällen vor. Der britische Takeover Code sieht keine § 20 vergleichbare Befreiungsmöglichkeit für einen Handels- oder Spekulationsbestand vor. Nach seinem Regelungskonzept besteht Kontrolle grundsätzlich unabhängig davon, ob diese tatsächlich ausgeübt werden soll.
11
B. Voraussetzungen für eine Befreiung (§ 20 Abs. 2) Voraussetzung für die Stellung eines Befreiungsantrags nach § 20 Abs. 1 ist, dass der 12 Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnde Person oder deren Tochterunternehmen die betreffenden Wertpapiere hält oder zu halten beabsichtigt, um bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen dem Erwerbspreis und dem Veräußerungspreis kurzfristig zu nutzen (§ 20 Abs. 2 Nr. 1; dazu Rz. 15 ff.). Ferner muss der Bieter darlegen, dass mit dem Erwerb der Wertpapiere nicht beabsichtigt ist, auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen (§ 20 Abs. 2 Nr. 2; dazu Rz. 29 ff.). § 20 gilt nicht (mehr) nur für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, sondern für jeden potentiellen Bieter (vgl. oben Rz. 1).
I. Reichweite des Befreiungstatbestands Eine Befreiung nach § 20 Abs. 1 setzt voraus, dass die Wertpapiere gehalten werden 13 (sollen), um bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen dem Erwerbspreis und dem Veräußerungspreis kurzfristig zu nutzen (§ 20 Abs. 2 Nr. 1). Diese Formulierung ist während des Gesetzgebungsverfahrens an die Stelle der ursprünglichen Wendung „Halten im Handelsbestand“ getreten, da ein Handelsbestand nur von einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen gehalten werden kann4, die Beschränkung auf Wertpapierdienstleistungsunternehmen aber gerade fallen gelassen werden sollte (oben Rz. 1).
1 Vgl. zur alten Rechtslage Diregger/Kalss/Winner, Das Österreichische Übernahmerecht, Rz. 158. 2 Entscheidung G 151-153/05-17, V 115-117/05-17 vom 6.10.2006, abrufbar unter ,http:// www.uebkom.at/takeover_new/download/uebernahmegesetz_g151-05.pdf.. 3 Vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 12. 4 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 7; Nicht-Wertpapierdienstleistungsunternehmen erbringen keine Wertpapierdienstleistungen i.S.v. § 2 Abs. 3 WpHG und können daher für solche Geschäfte auch keinen besonderen Bestand beanspruchen.
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591
§ 20 14
Handelsbestand
Die jetzige Formulierung führt allerdings zu Unklarheiten, weil sie den Eindruck erweckt, als sei entgegen der Überschrift nur (noch) der Spekulationsbestand, nicht aber (auch) der Handelsbestand gemeint1. Die Unklarheiten werden dadurch verstärkt, dass die ursprüngliche Parallelnorm § 23 WpHG a.F. ausdrücklich zwischen dem Handelsbestand (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) und dem Spekulationsbestand (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 WpHG) unterschied2 und die in § 20 verwendete Formulierung genau dem Begriff des Spekulationsbestandes nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a.F. entspricht. Die besseren Gründe sprechen indes gleichwohl gegen eine Übertragung der Begriffsbildung des § 23 WpHG a.F. auf § 20 und für eine Einbeziehung auch des Handelsbestands. Denn der Gesetzgeber wollte mit der durch den Finanzausschuss geänderten Formulierung in § 20 den Kreis der privilegierten nichtunternehmerischen Beteiligung erweitern und nicht einschränken3. Bei einem nur an der wortgleichen Formulierung in § 23 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a.F. orientierten Verständnis würde dagegen den Wertpapierdienstleistungsunternehmen entgegen der gesetzlichen Intention auch die Berücksichtigung von Handelsbeständen verwehrt, die keine Spekulationsbestände sind. Das beträfe etwa Wertpapiere, die zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen wie der Wertpapierleihe (vgl. unten Rz. 17) dienen, aber nicht gehalten werden, um auf kurzfristige Kursschwankungen reagieren zu können4. Ein solch enges Verständnis der Norm würde die Tätigkeit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen erheblich einschränken5. Im Übrigen ist das Wortlautargument der Gegenauffassung nicht zwingend. Denn für das hier vertretene Ergebnis kann auch auf die im Gesetzgebungsverfahren nicht geänderte Überschrift der Norm verwiesen werden, die ausdrücklich vom Handelsbestand spricht. § 20 Abs. 2 Nr. 1 umfasst daher (entsprechend § 23 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 WpHG a.F.) sowohl den Spekulationsbestand als auch den Handelsbestand6.
II. Halten der Wertpapiere im Handelsbestand (§ 20 Abs. 2 Nr. 1) 15
Wie oben gesagt, ist eine Befreiung nach § 20 Abs. 1 entgegen dem missverständlichen Wortlaut von § 20 Abs. 2 Nr. 1 (nur) für ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 4 WpHG auch dann möglich, wenn die Wertpapiere als Teil des Handelsbestandes gehalten werden (sollen).
1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 7; Vogel, NZG 2005, 537, 538; Wagner, Die Bank 2002, 66, 69. 2 Zur Begriffsverwirrung auch aus dem Blickwinkel von § 23 WpHG a.F. vgl. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 2a. Zur Kritik an dem Begriff „Spekulationsbestand“ Claussen, AG 1996, 286, 288 mit dem Vorschlag, den Begriff „Handels- oder Spekulationsbestand“ zu nutzen. Dieser Vorschlag hat sich bisher nicht durchgesetzt; Hirte in KölnKomm. WpHG, § 23 Rz. 14. 3 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 7; Wagner, Die Bank 2002, 66, 69; Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 959; ausführlich zu dieser Thematik auch Vogel, NZG 2005, 537, 538 f. 4 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 7. 5 Für Personen, die keine Wertpapierdienstleistungen erbringen, bleibt es dagegen bei der wörtlichen Auslegung der Norm, weil diese keinen Handelsbestand in diesem Sinne halten können (vgl. oben Rz. 13 mit Fn. 4). 6 So im Ergebnis Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 62; Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 959; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 7; Wagner, Die Bank 2002, 66, 69. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 11 sowie Rz. 40; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 9 f.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 25 f.; unklar Holzborn/Blank, NZG 2002, 948, 949; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 2; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 15.
592 Seiler
§ 20
Handelsbestand
Wertpapiere im Handelsbestand sind zunächst nur solche Wertpapiere, die das Wert- 16 papierdienstleistungsunternehmen im Eigenbestand hält und über die es frei und uneingeschränkt verfügen (handeln) kann1. Hierunter können unter Umständen auch Wertpapiere fallen, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen für Dritte erworben hat2. Dies dürfte insbesondere für Fälle gelten, in denen zwar bei wirtschaftlicher Betrachtung dem Dritten die Rechte aus den Wertpapieren zustehen, das Wertpapierdienstleistungsunternehmen aber Eigentümer der Wertpapiere ist und frei über diese verfügen kann (sog. rights of use). Eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, wie sie typischerweise angenommen wird, wenn Wertpapiere für Rechnung Dritter erworben oder gehalten werden3, ist dann gerade nicht gegeben. Dies rechtfertigt es, die entsprechenden Wertpapiere dem Handelsbestand zuzurechnen. Nicht dem Handelsbestand zugehörig sind Wertpapiere, die dem Anlagebestand sowie einer etwaigen Liquiditätsreserve (Vorsorgewertpapierbestand) zuzuordnen sind4. Dabei kann zur Abgrenzung auf das Verständnis zurückgegriffen werden, dass sich insoweit im Bankbilanzrecht (§§ 340e Abs. 1 Satz 2, 341f HGB), bei den Ausnahmen vom Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 AktG), in § 12 Abs. 2 Satz 3 KWG und in Art. 2 Nr. 6a der Kapitaladäquanzrichtlinie entwickelt hat5. Zwar kann sich die Auslegung der Begriffe mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck im Einzelfall unterscheiden6. In aller Regel dürfte die Abgrenzung aber weitgehend deckungsgleich sein7. Dem Handelsbestand zuzurechnen sind demnach Wertpapiere, die das Wertpapier- 17 dienstleistungsunternehmen im Zusammenhang mit dem Angebot von Wertpapierdienstleistungen i.S.v. § 2 Abs. 3 WpHG erwirbt oder veräußert. Dies schließt den Erwerb oder die Veräußerung von Wertpapieren unmittelbar im Kundenauftrag ein, und zwar im Grundsatz sowohl im Wege offener als auch bei mittelbarer Stellvertretung (vgl. oben Rz. 16)8. Ferner sind dem Handelsbestand Bestände zuzurechnen, die zur Erfüllung von Darlehensverträgen9 dienen, die nach deren Hereinnahme zum anschließenden Verleih bestimmt sind (Wertpapierleihe)10 sowie solche, die zu befristeten Maßnahmen wie dem Market-Making oder der Stabilisierung dienen sollen11.
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 67; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 7. 2 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 32. A.A. zu § 23 WpHG: Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 7; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 6. 3 Vgl. Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 6. 4 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 7; zur Liquiditätsreserve bei Kreditinstituten Hopt in Baumbach/Hopt, § 340e HGB Rz. 3 f. 5 Richtlinie 93/6/EWG des Rates vom 15.4.1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, ABl. EG L 141 v. 11.6.1993, S. 1 ff. 6 Vgl. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 8; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 6. 7 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 8; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4; Butzke, WM 1995, 1389, 1391; Rixen, Die Bank 1990, 638, 640. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 67. 9 Dazu Begr. RegE zu § 71 Abs. 1 Nr. 7 AktG, BT-Drucks. 12/6679, S. 84; siehe auch Art. 1 Nr. 1 i.V.m. Abschnitt A Nr. 1 Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie; Vogel, NZG 2005, S. 38. 10 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 7; Uwe H. Schneider in Assmann/ Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 11; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 23 WpHG Rz. 4; Vogel, NZG 2005, 38. 11 Schnorbus, AG 2004, 113, 121; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 773.
Seiler
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§ 20
Handelsbestand
Schließlich können hierzu die Wertpapiere zählen, die eine Bank als Depositary Bank im Rahmen eines ADR-Programms hält1. 18
Im Grundsatz können auch Wertpapiere, die ein Kreditinstitut im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion erwirbt, um sie dann am Kapitalmarkt zu platzieren, dem Handelsbestand zuzurechnen sein2. Gleichwohl wird ein Mitglied des Emissionskonsortiums in aller Regel bereits aus anderen Gründen nicht auf die Möglichkeit einer Befreiung nach § 20 zurückgreifen müssen, um ein sonst drohendes Pflichtangebot zu vermeiden3. Zum einen sprechen gute Gründe dafür, das Tatbestandsmerkmal „Halten“ in § 29 Abs. 2 teleologisch zu reduzieren und Banken, die eine Aktionärsstellung nur treuhänderisch zum Zwecke der Weiterveräußerung übernehmen, insoweit zu privilegieren4. Zum anderen wird in der Regel keines der Kreditinstitute im Konsortium allein auf eine Beteiligung von mindestens 30 % der Stimmrechte kommen. Eine Zurechnung der Anteile der anderen Konsorten scheidet nach § 30 Abs. 2 mangels abgestimmten Verhaltens typischerweise ebenfalls aus5.
19
Wertpapiere des Anlagebestandes sind dagegen solche, die dazu bestimmt sind, auf Dauer dem Geschäftsbetrieb zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB), also dem Anlage-, und nicht dem Umlaufvermögen zugewiesen sind (dauerhaftes Halten)6. Ferner gehören Wertpapiere nicht mehr zum Handelsbestand, sondern zum Anlagebestand, wenn mit deren Hilfe eine Paketbeteiligung aufgebaut werden soll7. Anderes gilt wiederum dann, wenn das Paket zeitnah weiterveräußert oder über die Börse gestreut werden soll8.
20
Fraglich ist, ob auch der Handelsbestand nur dann für die Zwecke des § 20 privilegiert ist, wenn er kurzfristig gehalten wird. Dagegen spricht, dass auch die Parallelnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. kein Kurzfrist-Erfordernis normierte9. Auf der anderen Seite ist der geringe zeitliche Abstand zwischen An- und Verkauf für die Charakterisierung als bloßer Handelsbestand typisch. Deshalb wird bei (beabsichtigtem) längerfristigem Halten das Vorliegen eines Handelsbestandes eher zu verneinen sein. Der (beabsichtigten) Länge des Haltens kommt also zumindest indizielle Bedeutung zu10. 1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 67. 2 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 773; Schnorbus, AG 2004, 113, 126. 3 Wegen der Beschränkung der Befreiung nach § 20 auf einen Einzelfall kritisch Schnorbus, AG 2004, 113, 126. 4 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 773; Schnorbus, AG 2004, 113, 126. 5 Insbesondere werden die im Übernahmevertrag getroffenen Abreden nicht im Sinne von § 30 Abs. 2 „in Bezug auf die Zielgesellschaft“, sondern lediglich anlässlich und bezüglich der Kapitalmaßnahme getroffen. Im Übrigen liegt zwischen der Eintragung einer etwaigen Kapitalerhöhung und der Platzierung der Aktien in der Regel nur ein kurzer Zeitraum. 6 Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 950; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 10; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4; Opitz in Schäfer/ Hamann, § 23 WpHG Rz. 6. 7 Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 23 WpHG Rz. 5. 8 Im Ergebnis zutreffend Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4. A.A. wohl Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 67; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 9; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 12; ohne klare Stellungnahme Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 23 WpHG Rz. 5. 9 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 68. A.A. wohl Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 11, der auch für den Handelsbestand auf die Kurzfristigkeit des Haltens abstellt. 10 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 68.
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§ 20
Handelsbestand
Ungeachtet der oben beschriebenen Unterscheidungsmerkmale lässt sich der Handelsbestand nicht allein objektiv vom Anlagebestand abgrenzen1. Für die Abgrenzung sind auch subjektive Merkmale (mit-)entscheidend2. Die im Bankbilanzrecht entwickelten Grundsätze sind insoweit entsprechend heranzuziehen3. Erforderlich ist demnach, dass die Geschäftsführung des Antragstellers über die entsprechende Zuordnung zum Handelsbestand beschlossen hat4. Der Beschluss ist zu dokumentieren (aktenkundig zu machen)5. Schließlich ist der Handelsbestand auf entsprechenden gesonderten Konten zu führen. Diese sind vom übrigen Wertpapierbestand zu trennen6.
21
Bei der Frage, in welchem Umfang ein Unternehmen einen Handelsbestand aus- 22 weist, hat die Geschäftsführung zwar einen unternehmerischen Ermessensspielraum7. Allerdings ist der Zuschnitt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens nicht gänzlich unbedeutend8. So steigt die Begründungslast im Rahmen des Antrags auf Erlaubnis, wenn der Handelsbestand eines Papiers im Verhältnis zu dem darin getätigten oder erfahrungsgemäß zu erwartenden Umsatz besonders hoch ist9. Auf den Handelsbestandskonten muss sodann ein Umsatz stattfinden, der die Zuord- 23 nung der betreffenden Wertpapiere zum Handelsbestand rechtfertigt10. Erfolgt über längere Zeit kein Umsatz in den dem Handelsbestand zugewiesenen Aktien, ist eine weitere Zuordnung der Konten insgesamt bzw. der behaupteten Anzahl der Wertpapiere (substantiiert) zu begründen und ggf. zu revidieren11. Zur fehlenden Absicht der Einflussnahme (§ 20 Abs. 2 Nr. 2) vgl. Rz. 29 ff.
1 Ebenso im Ergebnis Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 70; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 13; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 7. Noch weitergehend Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949, die ausschließlich auf subjektive Kriterien abstellen wollen. 2 Dafür spricht auch der Wortlaut der Bestimmung („Halten“ oder „zu halten beabsichtigt“). 3 Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949; vgl. dazu auch Krumnow/Sprißler/Bellavite-Hövermann/Kemmer/Steinbrücker, Rechnungslegung der Kreditinstitute, 1994, § 340e HGB Rz. 34, 36; Prahl/Neumann, WPg 1991, 729, 732. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 70. Vgl. ferner Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 15; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 7; siehe auch Begr. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz (zu § 340e HGB), BT-Drucks. 11/6275, S. 22. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 70; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 16; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949; Krumnow/Sprißler/Bellavite-Hövermann/Kemmer/Steinbrücker, Rechnungslegung der Kreditinstitute, 1994, § 340e Rz. 34. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 70; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 23; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4. – Zur Frage, ob die tatsächliche Einrichtung solcher Konten auch das Dokumentationserfordernis erfüllt, vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 70; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 15; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 7 (reicht aus) sowie Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949 (reicht nicht aus). Die Praxis sollte sich aus Vorsichtsgründen nach der letzteren Ansicht richten. 7 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 15; insoweit übereinstimmend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 71. 8 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 15; tendenziell großzügiger Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 71. 9 Ähnlich Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 15; vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 71. 10 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 32; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 71. 11 Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 4.
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§ 20
Handelsbestand
III. Halten der Wertpapiere im Spekulationsbestand (§ 20 Abs. 2 Nr. 1) 24
Daneben ist nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 eine Befreiung für Wertpapiere möglich, die als Teil des Spekulationsbestandes gehalten werden (sollen). Insofern gelten im Hinblick auf die Abgrenzung zu anderen Wertpapierbeständen des Unternehmens zunächst die Überlegungen zum Handelsbestand entsprechend (oben Rz. 16).
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Die Wertpapiere müssen gehalten werden, um kurzfristig auf Kursschwankungen reagieren zu können. Das Merkmal der Kurzfristigkeit bezieht sich dabei auf das Halten der Wertpapiere und nicht auf die Schnelligkeit der Reaktion auf Kursschwankungen1. Erforderlich ist mithin die Absicht, die betreffenden Wertpapiere nur kurzfristig zu halten.
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Welcher Zeitraum in diesem Sinne als kurzfristig angesehen werden kann, ist in der Rechtslehre umstritten. Nach einer (strengen) Auffassung ist der in §§ 4 f. WpÜGAngVO festgelegte 3-Monats-Zeitraum zugrunde zu legen2. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass ein Zeitraum von 3 Monaten, der im Sinne des WpÜG bzw. der WpÜG-AngVO die untere Grenze für eine Dauerhaftigkeit darstelle, nicht mehr kurzfristig im Sinne von § 20 sein könne3. Allerdings ist zweifelhaft, ob dem für §§ 4 f. WpÜG-AngVO maßgebenden Zeitraum eine auch für § 20 gültige Aussage entnommen werden kann. Die besseren Gründe sprechen dafür, statt auf drei Monate grundsätzlich auf den Zeitraum von bis zu einem Jahr abzustellen4. Zwar kann dafür nicht mehr auf die entsprechende Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG a.F. zur Versteuerung von Veräußerungserlösen verwiesen werden5. Allerdings gilt nach wie vor, dass eine Ausübung von Stimmrechten, die nach § 20 Abs. 3 unter Umständen untersagt wird, ohnehin grundsätzlich nur einmal im Jahr auf der ordentlichen Hauptversammlung möglich ist6.
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Haben sich in dem 12-Monats-Zeitraum keine Kursunterschiede ergeben, aufgrund derer Veräußerungsgewinne hätten erzielt werden können, dürfen die Wertpapiere allerdings auch über diesen Zeitraum hinaus gehalten werden (kein Zwang zur Verlustrealisierung)7. Voraussetzung dafür ist, dass der Erwerber nach wie vor die Absicht hat, die Wertpapiere zu Spekulationszwecken zu halten und keine Umwidmung in 1 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 27; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 10; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 75; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 4. 2 So etwa Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 950; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 15, der mit der „gefährlichen Reichweite“ des Ausnahmetatbestands argumentiert; im Ergebnis auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 2. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 2. 4 So etwa Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 10; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 20; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 27; Apfelbacher/Barthelmess/ Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 12; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 75. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 27 zur alten Rechtslage. Vgl. aber auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 75, der in Anlehnung an § 23 Abs. 1 lit. b) EStG a.F. für eine grundsätzliche 6-Monats-Frist eintritt. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 27. 7 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 28; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 12. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 23 WpHG Rz. 30; vgl. auch Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 23 WpHG Rz. 10, der wegen der Abhängigkeit von der Kursentwicklung die zeitliche Komponente generell für zweitrangig hält.
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§ 20
Handelsbestand
den Dauerbestand vornimmt1. Im Grundsatz ist es auch nicht zu beanstanden, wenn der Erwerber bei größeren Beständen im Hinblick auf handelsrechtliche Bewertungsvorschriften einen bestimmen Anteil (Bodensatz) an Werten längerfristig hält2. Im Übrigen gelten die gleichen Kriterien wie bei der Zuordnung des Handelsbe- 28 standes (oben Rz. 16). Eine Offenlegung der Anlagestrategie des Bieters ist nicht erforderlich. Genauso wenig hat der Bieter besondere Vorstellungen in Bezug auf die erwarteten Unterschiede zwischen An- und Verkaufspreis darzulegen3. Auch für den Umfang des Bestandes gibt es keine starre Obergrenze4.
IV. Fehlende Absicht der Einflussnahme (§ 20 Abs. 2 Nr. 2) Der Bieter hat schließlich darzulegen, dass er nicht die Absicht hat, mit den (stimmberechtigten)5 Wertpapieren auf die Geschäftsführung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen (Zölibatserklärung)6.
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Die Regelung in § 20 Abs. 2 Nr. 2 überrascht auf den ersten Blick, weil die Geschäfts- 30 führung, also der Vorstand der Zielgesellschaft7, rechtlich (außerhalb von § 308 AktG) ohnehin nicht unmittelbar zu beeinflussen ist (§§ 119 Abs. 2, 76 Abs. 1 AktG). Gleichwohl hat die Bestimmung bei näherem Zusehen ihre Berechtigung, weil sie auch die faktische oder mittelbare Beeinflussung des Vorstands verhindern will8. Dabei lässt sie das Stimmrecht des Bieters – im Normalfall – unberührt. Doch stellt es eine schädliche (mittelbare) Einflussnahme i.S.v. § 20 Abs. 2 Nr. 2 dar, wenn der Bieter durch sein Stimmrecht etwa an der Bestellung der (von den Anteilseignern gestellten) Aufsichtsratsmitglieder mitwirkt (§ 101 AktG), weil damit über § 84 Abs. 1 AktG ein mittelbarer Einfluss auf den Vorstand begründet wird9. Die Mitwirkung an Beschlüssen zur Änderung der Satzung, etwa im Rahmen von Kapitalmaßnahmen, ist ebenfalls eine unzulässige mittelbare Beeinflussung (§ 83 Abs. 2 AktG)10. Daneben sind anderen For1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 10; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 28. 2 Näher Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 75; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 23; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 12; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 17. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 76. A.A. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 17. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 76. Vgl. aber auch Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 12. 5 Zu anderen Wertpapieren vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 77. 6 Vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 78, sowie Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 960, der die Auffassung vertritt, diese auf Art. 9 Abs. 1 der Transparenz-Richtlinie zurückgehende Anforderung diene nur der verfahrensmäßigen Kontrolle der Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 2, weil die Hereinnahme in den Handels- oder Spekulationsbestand nach deutschem Verständnis bereits das Fehlen der Absicht der Einflussnahme (mit-)enthalte. Sie stelle insofern eine unnötige Verdopplung dar. Dafür spricht einiges, doch ergeben sich daraus in praktischer Hinsicht keine Unterschiede, so dass die Frage an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden muss. 7 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 12. 8 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 12; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 36. 9 Cahn, AG 1997, 502, 508. Darauf will Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 3 den Anwendungsbereich der Norm beschränken. 10 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 79; Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 961; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 17 mit Fn. 31, der nur Veranlassungen i.S.v. §§ 311 ff. AktG als Einflussnahme auf die Geschäftsführung, die sonstigen Fälle aber als zulässige Wahrnehmung von Aktionärsrechten begreift. Dem steht entgegen, dass
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§ 20
Handelsbestand
men der tatsächlichen Einflussnahme wie Ratschläge, Anregungen an die Geschäftsleitung oder ihr gegenüber geäußerte Erwartungen erfasst (vgl. auch §§ 311 ff. AktG)1. Auch die Erhebung einer Anfechtungsklage kann schädlich sein, weil damit Einfluss auf die Umsetzung der Entscheidung der (übrigen) Aktionäre genommen wird2. Bestehen personelle Verflechtungen zwischen der Zielgesellschaft und dem Bieter, z.B. durch Aufsichtsratsmitglieder, die dem Bieter zugeordnet sind, sollten organisatorische Vorkehrungen geschaffen werden, die einer faktischen Einflussnahme auf den Vorstand entgegenwirken3. Keinen schädlichen Einfluss begründet dagegen der Bezug von Dividenden und die Ausübung des Fragerechts auf der Hauptversammlung. 31
Soweit es um die Ausübung des Stimmrechts geht, muss sich die Zölibatsabsicht nur auf die Aktien beziehen, für die die Befreiung beantragt wird. In Bezug auf andere Aktien außerhalb des Handels- oder Spekulationsbestandes bleibt die Geltendmachung von Einfluss im Wege des Stimmrechtes dagegen zulässig4. Bei allen übrigen faktischen Einflussnahmen ist eine Differenzierung danach, ob diese nur auf dem (insoweit unbeachtlichen) Anlagebestand oder auch auf dem Handels- bzw. Spekulationsbestand beruhen, nur schwierig möglich. Dies gilt vor allem dann, wenn die Gesellschaft die (tatsächliche) höhere Beteiligung des Bieters im Zeitpunkt der Einflussnahme kennt5. Insoweit sollte sich der Bieter im Zweifel insgesamt der tatsächlichen Einflussnahme enthalten6.
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Aus § 20 Abs. 2 Nr. 2 ergibt sich keine (selbstständig durchsetzbare) Pflicht des Bieters, entsprechend der dargelegten Absicht zu handeln, also von etwaigen Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsleitung keinen Gebrauch zu machen7. Eine entsprechende Selbstbindung kann dem Wortlaut der Norm nicht entnommen werden. Richtig ist allerdings, dass die Voraussetzungen der Befreiung entfallen, wenn der Bieter tatsächlich unternehmerischen Einfluss ausübt (dazu oben Rz. 30)8.
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Eine Befreiung nach § 20 kann sowohl für den gegenwärtigen als auch für den zukünftigen Wertpapierbestand beantragt werden9. Wird der Antrag auf Befreiung für Aktien gestellt, die der Bieter bereits erworben hat, muss die Zölibatserklärung im Zeitpunkt der Antragstellung (nicht schon zum Zeitpunkt des Erwerbs) bestehen10.
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auch durch die Wahrnehmung von Aktionärsrechten auf die Geschäftsführung Einfluss genommen werden kann. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 79. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 79. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 36. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 23; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 80; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 12. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 18. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 4, 24. Vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 80; Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 962. So wohl auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 80 sowie Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 20 i.V.m. Rz. 18 mit Fn. 32; vgl. ferner Cahn, AG 1997, 502, 509. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 35; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 24. Zutreffend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 17; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 11. A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 79; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 951; Cahn, AG 1997, 502, 509. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 17. Vgl. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 21; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 15. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 37; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 82; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 15, 23.
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§ 20
Handelsbestand
Werden die Wertpapiere erst nach der Antragstellung erworben, muss die Absicht fehlender Einflussnahme sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt des Erwerbs bestehen1. Das Gesetz erklärt sich nicht zu der Frage, wie die fehlende Absicht der Einflussnahme auf die Geschäftsführung dargelegt werden soll. Richtigerweise sollte nicht mehr verlangt werden als eine entsprechende Erklärung der Geschäftsführung des Antragstellers2.
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Die Zölibatserklärung bezieht sich im Übrigen nur auf den Antragsteller selbst. Welche Absichten ein Dritter verfolgt, für den der Antragsteller Wertpapiere erworben und seinem Handels- oder Spekulationsbestand zugeordnet hat, ist unerheblich, soweit diese dem Dritten nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 zugerechnet werden3.
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C. Verfahrensfragen (§ 20 Abs. 1, 3 und 4) Die Befreiungsentscheidung nach § 20 Abs. 1 (Erlaubnis) durch die BaFin geschieht auf der Grundlage eines begünstigenden Verwaltungsakts i.S.v. §§ 35 ff. VwVfG des Bundes4.
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I. Antrag Die Erlaubnis wird nur auf Antrag erteilt, der der Schriftform genügen muss (siehe dazu § 45 und die Kommentierung zu § 45). Der Antrag ist durch die gesetzlich oder rechtsgeschäftlich zur Vertretung ermächtigten Personen in deutscher Sprache zu stellen5. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung, kann aber bereits vor dem Erwerb der Wertpapiere gestellt werden (§ 20 Abs. 2 Nr. 1). Im Übrigen kann die BaFin auch bis zur endgültigen Entscheidung eine vorläufige Befreiung erteilen6.
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II. Antragsberechtigung Antragsberechtigt ist der Bieter (§ 2 Abs. 4)7. Dies schließt insbesondere auch den zum Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 verpflichteten Bieter ein.
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Der Bieter hat auch für die ihm nach § 30 zuzurechnenden Wertpapierbestände (z.B. einen Handels- oder Spekulationsbestand einer Tochtergesellschaft) selbst einen An-
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1 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 37. 2 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 31; etwas großzügiger Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 82 (Erklärung der vertretungsberechtigten Organe des Antragstellers); vgl. auch Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 24. Strenger demgegenüber Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 24, die ein Mehr an Glaubhaftmachung verlangen. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 81; vgl. auch Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 30; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 24. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 17. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 18 mit weiteren Einzelheiten; Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 20 Rz. 7; ebenso Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 47. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 28; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 2; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 31. 7 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 19 ff. mit weiteren Einzelheiten.
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§ 20
Handelsbestand
trag stellen, weil nur ihn die Rechtsfolgen einer Befreiung treffen1. Im Unterschied zu § 23 WpHG spielt die Tatsache, ob die Wertpapiere in einen dort vorhandenen Handels- und Spekulationsbestand einzurechnen sind, keine Rolle2. Entsprechendes gilt bei den anderen Zurechnungsgründen des § 30. Durch die Befreiung beeinträchtigte Rechte des Dritten werden in dem Befreiungsverfahren nach § 28 VwVfG des Bundes gewahrt. Einer eigenen Antragsberechtigung des Dritten bedarf es insoweit nicht3.
III. Inhalt des Antrags 40
Zum Umfang der erforderlichen Angaben gilt im Grundsatz § 26 Abs. 2 VwVfG des Bundes4. Aus dem Antrag müssen die Wertpapiere, für die eine Befreiung beantragt wird, hervorgehen5. Dabei dürfte es genügen, wenn der Antrag im Voraus für ein bestimmtes Bestandsvolumen gestellt wird6. Eine Einschränkung der Antrags auf einzelne Freistellungen ist nicht möglich, da die Wertpapiere entweder insgesamt dem strategischen Bestand des Bieters zuzurechnen sind oder nicht7. Im Antrag sind die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 20 Abs. 2 glaubhaft zu machen. Wird der Antrag für bereits gehaltene Wertpapiere gestellt, ist der Nachweis gesonderter Kontenführung des Handels- bzw. Spekulationsbestandes zu führen8. Einer weitergehenden Darlegung der Gründe, warum die Wertpapiere im Handels- oder Spekulationsbestand gehalten werden (sollen) bedarf es nicht9. Zur Zölibatserklärung vgl. oben Rz. 29 ff. Eine ausdrückliche Erklärung, dass mit der Inanspruchnahme der Erlaubnis keine Irreführung des Publikums verbunden ist, dürfte ebenfalls nicht erforderlich sein, weil sie bereits konkludent im Antrag enthalten ist10.
41
Der Antrag kann nur für einen bestimmten Einzelfall mit Blick auf eine bestimmte Zielgesellschaft erteilt werden11. Eine Pauschalbefreiung bestimmter Aktienbestände ist anders als früher bei § 23 WpHG a.F.12 nicht möglich, weil § 20 nicht auf die dauerhafte Überwachung eines Handelsbestands, sondern auf ein konkretes Angebotsverfahren angelegt ist13. 1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 4; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 25; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 6. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 39 mit weiteren Einzelheiten; ebenso für § 23 WpHG a.F. Cahn, AG 1997, 502, 511. A.A. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 7. 3 A.A. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 7 (Antrag sei gemeinsam vom Bieter und dem Dritten zu stellen). 4 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 41. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 42; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 23. Für eine Auslegung im Sinne eines im Zweifel alle Möglichkeiten umfassenden Antrags Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 7. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 4. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 23; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 4. A.A. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 28; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 42. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 26. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 23; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 19; vgl. auch Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 43 (zumindest empfehlenswert). 9 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 43. 10 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 24; weitergehend Uwe H. Schneider in Assmann/ Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 45, 65. 11 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 28; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 951. 12 Begr. RegE zu § 23 Abs. 1 WpHG a.F., BT-Drucks. 12/6679, S. 54; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 42, 46. 13 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 25.
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§ 20
Handelsbestand
IV. Entscheidung der Bundesanstalt Liegen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 vor, hat die BaFin dem Antrag zu entsprechen. Es handelt sich um einen gebundenen Verwaltungsakt1. Die BaFin hat insoweit kein Ermessen.
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Die Beweis- und Feststellungslast dafür, dass die Wertpapiere, für die die Befreiung 43 beantragt wird, zum Handels- bzw. Spekulationsbestand gehören (sollen), obliegt dem Antragsteller2. Bleiben unaufklärbare Zweifel an der Zugehörigkeit zum Handels- oder Spekulationsbestand, ist der Antrag abzuweisen3. Da auf die Befreiung ein Anspruch besteht, kann sie nur unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 VwVfG des Bundes mit Nebenbestimmungen (etwa einer Befristung) versehen werden. Eine automatische Befristung der Befreiung auf höchstens ein Jahr ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und daher abzulehnen4. Widerruf und Rücknahme der Befreiung sind grundsätzlich nach §§ 48 und 49 VwVfG des Bundes möglich5. Zusätzlich enthält § 20 Abs. 4 Satz 2 eine spezielle Widerrufsermächtigung (dazu unten Rz. 55). Zu Rechtsmitteln gegen eine (teilweise) Versagung bzw. gegen Rücknahme oder Widerruf vgl. §§ 41, 48 ff. Einstweiliger Rechtsschutz steht analog § 123 Abs. 1 VwGO zur Verfügung (einstweilige Anordnung)6.
V. Rechtsfolgen Soweit die Erlaubnis erteilt wird, bleiben die Wertpapiere der Zielgesellschaft bei 44 sämtlichen der in § 20 Abs. 1 genannten Pflichten unberücksichtigt (vgl. oben Rz. 5). Sie müssen in der Angebotsunterlage bei den ergänzenden Angaben nach § 11 Abs. 4 Nr. 27, und bei den Veröffentlichungspflichten nach § 238, vor allem aber bei der Berechnung des ein Pflichtangebot auslösenden Stimmrechtsanteils nach § 29 Abs. 2 und bei der Bestimmung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 1, 3 und 4 und der Geldleistung nach § 31 Abs. 5 nicht einbezogen werden9. Aus der Befreiung folgt nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht des Antragstellers, seine Stimmrechte – und zwar insgesamt – nicht zu berücksichtigen10. Der Gegenansicht, die dem Antragsteller insoweit ein Wahlrecht einräumen will, kann
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 48; Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 45; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 27; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 5; Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948, 949. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 41; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 26. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 46; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 26. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 6. 5 Vgl. dazu Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 60 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 30, 31. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 64; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 35. 7 Vgl. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 9; einschränkend Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 10. 8 Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 5. 9 Näher Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 51; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 34; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 11; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 20 Rz. 8 f. 10 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 52; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 37. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 31; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 75.
Seiler
601
45
§ 20
Handelsbestand
nicht gefolgt werden. Gegen diese spricht bereits der Wortlaut des § 20 Abs. 1, der nicht auf eine Ermessensentscheidung des Bieters hindeutet. Vor allem geht der Kapitalmarkt davon aus, dass Marktteilnehmer von einer Befreiungsmöglichkeit nach § 20 auch Gebrauch machen1. Will der Begünstigte die Befreiung nicht ausnutzen, hat er dies der BaFin mitzuteilen. Diese Mitteilung ist dann je nach Verfahrensstand als Rücknahme des Zulassungsantrags oder als Verzicht zu werten. 46
Die Befreiung kann sich sowohl auf bestimmte (individualisierte) Wertpapiere als auch auf einen Wertpapierbestand beziehen, der mittels entsprechender Kontoführung oder durch einen genannten Höchstbetrag definiert ist (vgl. auch oben Rz. 33)2. Innerhalb des Rahmens der erteilten Befreiung bleiben Veränderung des Bestandes möglich, ohne dass damit die Befreiungswirkungen verloren gingen3.
47
Eine Befreiungsentscheidung nach § 20 Abs. 1 lässt ein Stimmrecht grundsätzlich unberührt (vgl. oben Rz. 30). Von diesem Grundsatz enthält § 20 Abs. 3 eine wichtige Ausnahme (nur) für stimmberechtigte Aktien4 dann, wenn bei deren Berücksichtigung ein Angebot als Übernahmeangebot abzugeben wäre oder eine Verpflichtung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 zur Abgabe eines Pflichtangebots bestünde. Eine Befreiung nach § 20 Abs. 1 entlastet den Antragssteller in solchen Fällen von der Qualifikation eines Angebots als Übernahmeangebot (§ 29 Abs. 2) oder der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots (§ 35 Abs. 1 und 2). Die Folge des Stimmrechtsverlustes, die § 59 für die Verletzung eben dieser Pflicht vorsieht, bleibt aber bestehen5.
48
Die Norm stellt eine hypothetische Betrachtung an: Die Qualifikation eines Angebotes als Übernahmeangebot (§ 29 Abs. 2) darf nur deshalb nicht vorzunehmen bzw. die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebotes (§ 35 Abs. 1 und 2) nur deshalb nicht entstanden sein, weil Stimmrechte nach § 20 Abs. 1 freigestellt sind6.
49
Das Stimmverbot gilt entgegen einer zum Teil vertretenen Auffassung auch dann, wenn dem Bieter Wertpapiere nach § 30 zuzurechnen sind, die von ihm aber praktisch nicht geltend gemacht werden können7. Die Erstreckung des Ruhens von Mitgliedschaftsrechten auf Aktien Dritter ist auch ansonsten geltendes Recht (§ 71d Satz 4 i.V.m. § 71b AktG)8. Auch der Wortlaut von § 20 Abs. 3 steht nicht entgegen; dieser spricht ausdrücklich nicht von Stimmrechten (nur) des Bieters9.
50
Nach § 20 Abs. 3 bleiben nur die Stimmrechte unberücksichtigt, die gerade für das Erreichen oder Überschreiten der entsprechenden Stimmrechtsschwellen ursächlich
1 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 52; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 37. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 6; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 10. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 42. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 11; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 44. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 12. A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 45 mit Hinweis auf Cahn, AG 1997, 502, 512 und Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 12. 8 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 12. 9 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 12.
602 Seiler
§ 20
Handelsbestand
sind (sog. kleine Lösung)1. Die (wohl überwiegende) Gegenauffassung, nach der alle von der Erlaubnis nach § 20 Abs. 1 erfassten Stimmrechte unberücksichtigt zu bleiben (sog. große Lösung)2, überzeugt letztlich nicht. Für die kleine Lösung spricht die Begründung zum Regierungsentwurf, nach der 51 Stimmrechte aus Aktien, für die eine Befreiung nach § 20 Abs. 1 erteilt wurde, (nur) „insoweit“ einer Ausübungssperre unterliegen, als im Falle eines Angebotes die Vorschriften über das Übernahmeangebot anzuwenden wären oder ein Pflichtangebot abzugeben wäre3. Auch der Gesetzeszweck spricht für die kleine Lösung: Die Norm dient dem Umgehungsschutz. Sie soll verhindern, dass der Bieter aufgrund einer Befreiung nach § 20 Abs. 1 die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt und danach die ihm zustehenden Stimmrechte nutzt, um entgegen seiner Zölibatserklärung Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben. Dem Gesetzeszweck ist Genüge getan, wenn (nur) dies verhindert wird, d.h. gerade die Stimmrechte gesperrt werden, die zur Überschreitung der Schwellenwerte führen. Der kleinen Lösung stehen auch praktische Erwägungen nicht entgegen: Soweit dem Bieter Wertpapiere Dritter nach § 30 zuzurechnen sind, kann kein Problem darin liegen, dass das Gesetz keine Anhaltspunkte dafür enthält, welche Bestände zu berücksichtigen sind und welche nicht4. Zur Berechnung ist eine konsolidierte Betrachtung vorzunehmen, bei der sämtliche dem Bieter zuzurechnenden Stimmrechte einschließlich derer, die nach § 20 Abs. 1 befreit sind, aufaddiert werden5. Allerdings gilt ein sich daraus ergebendes Stimmverbot für die Stimmrechte, die die Schwelle von 30 % abzüglich einer Stimme überschreiten, nur für die Stimmrechte aus nach § 20 Abs. 1 befreiten Aktien6.
52
Die Rechtsfolgen bei Ausübung des Stimmrechts entgegen einem Verbot nach § 20 53 Abs. 3 richten sich nach § 597. Kommt es dennoch zur Stimmrechtsausübung, ist der Hauptversammlungsbeschluss nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar8. Auch kann die Ausübung des Stimmrechts zum Widerruf der Befreiung führen9. 1 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 55; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 14; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 11; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 26. Ebenso im Rahmen von § 23 WpHG a.F. Holzborn/Friedhoff, WM 2002, 948; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 23 WpHG Rz. 101; Cahn, AG 1997, 502, 508 f. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 46 ff.; Hirte in FS Wiedemann, 2002, S. 955, 963 ff.; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 20 Rz. 24; Schwark in Schwark/Zimmer, § 23 WpHG Rz. 23; Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 58]. 2 Vgl. Nachweise in vorheriger Fn. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49. 4 So aber Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38. Ein Missbrauchsrisiko wegen fehlender Unterscheidbarkeit der Wertpapiere sieht Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 20 Rz. 12. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 56; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 12. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 56; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 20 Rz. 38; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 20 Rz. 12. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 49. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 49; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 20 Rz. 41; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 16; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 20 Rz. 27. 9 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 49. Ebenso für die Parallelfrage im WpHG Opitz in Schäfer/Hamann, § 23 WpHG Rz. 31.
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603
§ 21
Änderung des Angebots
VI. Beendigung der Befreiung 54
Nach § 20 Abs. 4 ist der Bieter zur Mitteilung an die BaFin verpflichtet, wenn er die Wertpapiere der Zielgesellschaft, für die eine Befreiung erteilt worden ist, umwidmet, um sie als strategisches Investment im Anlagebestand zu halten und/oder Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben. Die Mitteilung hat unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) und in der von § 45 verlangten Form zu geschehen. Für das Entstehen der Mitteilungspflicht kommt es auf die Absicht, nicht erst auf deren Umsetzung an1.
55
Nach § 20 Abs. 4 Satz 2 kann die BaFin die Befreiung widerrufen, wenn der Bieter seine Mitteilungspflicht verletzt. Die Widerrufsmöglichkeit tritt neben eine solche nach §§ 48, 49 VwVfG2. Auch inhaltliche Verstöße gegen die Vorgaben des § 20 Abs. 2 berechtigen zum Widerruf der Befreiung nach § 20 Abs. 4 Satz 23. Ein Verstoß gegen die Norm ist nicht bußgeldbewehrt (keine Erwähnung in § 60)4.
§ 21 Änderung des Angebots (1) Der Bieter kann bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist 1. die Gegenleistung erhöhen, 2. wahlweise eine andere Gegenleistung anbieten, 3. den Mindestanteil oder die Mindestzahl der Wertpapiere oder den Mindestanteil der Stimmrechte, von dessen Erwerb der Bieter die Wirksamkeit seines Angebots abhängig gemacht hat, verringern oder 4. auf Bedingungen verzichten. Für die Wahrung der Frist nach Satz 1 ist auf die Veröffentlichung der Änderung nach Absatz 2 abzustellen. (2) Der Bieter hat die Änderung des Angebots unter Hinweis auf das Rücktrittsrecht nach Absatz 4 unverzüglich gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. § 14 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 gilt entsprechend. (3) § 11 Abs. 1 Satz 2 bis 5, Abs. 3, §§ 12, 13 und 15 Abs. 1 Nr. 2 gelten entsprechend. (4) Im Falle einer Änderung des Angebots können die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die das Angebot vor Veröffentlichung der Änderung nach Absatz 2 angenommen haben, von dem Vertrag bis zum Ablauf der Annahmefrist zurücktreten. (5) Im Falle einer Änderung des Angebots verlängert sich die Annahmefrist um zwei Wochen, sofern die Veröffentlichung der Änderung innerhalb der letzten zwei Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt. Dies gilt auch, falls das geänderte Angebot gegen Rechtsvorschriften verstößt. (6) Eine erneute Änderung des Angebots innerhalb der in Absatz 5 genannten Frist von zwei Wochen ist unzulässig. 1 2 3 4
Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 17. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 20 WpÜG Rz. 18. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 20 Rz. 54. Diekmann in Baums/Thoma, § 20 Rz. 58.
604 Seiler
§ 21
Änderung des Angebots Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
1
4. Bedingungsverzicht (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Berichtigungen oder Aktualisierungen der Angebotsunterlage . . . . . . . . 6. Weitere Änderungen . . . . . . . . . . . . . 7. Individuelle Vereinbarungen mit einzelnen Veräußerern . . . . . . . . . . .
32
II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Vergleichbare Regelungen . . . . . . . .
5
IV. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
B. Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Veröffentlichungspflichten (§ 21 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
10
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
10
II. Zeitrahmen für eine Angebotsänderung nach § 21 . . . . . . . . . . . . . .
D. Entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Angebotsunterlage (§ 21 Abs. 3). . . . . . . . . . . . 43
11
E. Rücktrittsrecht (§ 21 Abs. 4) . . . . . . 45
III. Zur Frage der Erweiterung auf Veröffentlichungen nach § 10 WpÜG . .
16
II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
IV. Alternativ-Angebote . . . . . . . . . . . . .
17
V. Rechtswirkungen einer Änderung des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
VI. Erlaubte Änderungsmöglichkeiten .
22
1. Rechtsfolgen bei Nichtausübung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . 49 2. Rechtsfolgen bei Ausübung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 50
22
F. Verlängerung der Annahmefrist (§ 21 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
26
G. Unzulässigkeit einer erneuten Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 6) . . 56
1. Erhöhung der Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . 2. Angebot einer anderen Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) . . . . . 3. Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 37 39
I. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . 46
29
Schrifttum: Aha, Rechtsschutz der Zielgesellschaft bei mangelhaften Übernahmeangeboten, AG 2002, 160; Assmann, Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote aus Sicht der Bietergesellschaft, AG 2002, 114; Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote als Regelungsproblem zwischen gesellschaftsrechtlichen Normen und zivilrechtlichen Verhaltensgeboten, in Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1; Berrar, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 WpÜG, ZBB 2002, 174; Böckmann/Kießling, Möglichkeiten der BaFin zur Beendigung von Übernahmeschlachten nach dem WpÜG, DB 2007, 1796; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Busch, Die Frist für den Bedingungsverzicht gem. § 21 Abs. 1 WpÜG – Wie lange ist ein Werktag?, ZIP 2003, 102; Cascante/Tyrolt, 10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht?, AG 2012, 97; Deutscher Anwaltverein e.V., Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen für ein Gesetz zu Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WÜG) (April 2001), NZG 2001, 420; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (I), DStR 2002, 724; Klemm/Reinhardt, Verbesserungspotenziale im deutschen Übernahmerecht, NZG 2007, 281; Land/Hasselbach, Das neue deutsche Übernahmegesetz, DB 2000, 1747; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Oechsler, Rechtsgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Oechsler, Der Regierungsentwurf zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden!, NZG 2001, 817; Oechsler, Rechtsgeschäftliche Anwendungsprobleme bei öffentlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2003, 1330; Peltzer, Übernahmeangebote nach künftigem EU-Recht und dessen Umsetzung in deutsches Recht, in Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 179; Pennington, The City Code on Takeovers and Mergers, in FS Duden, 1977, S. 379; von Riegen, Rechtsverbindliche Zusagen zur
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605
§ 21
Änderung des Angebots
Annahme von Übernahmeangeboten (sog. „irrevocable undertaktings“), ZHR 167 (2003), 702; Riehmer/Schröder, Der Entwurf des Übernahmegesetzes im Lichte von Vodafone/Mannesmann, NZG 2000, 820; Riehmer/Schröder, Praktische Aspekte bei der Planung, Durchführung und Abwicklung eines Übernahmeangebots, BB-Beilage 5-2001, 1; Roth/Zinser, Österreichisches Übernahmegesetz vom 1.1.1999: Musterregelung für das deutsche Recht?, EWS 2000, 233; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, Rechtsprobleme konkurrierender Übernahmeangebote nach dem WpÜG, AG 2007, 137; Schüppen, Übernahmegesetz ante portas! – Zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen“, WPg 2001, 958; Singhof/Weber, Bestätigung der Finanzierungsmaßnahmen und Barabfindungsgewährleistung nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, WM 2002, 1158; Stephan, Angebotsaktualisierung, AG 2003, 551; Stöcker, Widerruf oder Rücktritt von Angebotsankündigungen, NZG 2003, 993; Tröger, Unternehmensübernahmen im deutschen Recht (I), DZWiR 2002, 353; Wegen/Fröhlich, Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), in Blättchen/Wegen, Übernahme börsennotierter Unternehmen, 2003; Zinser, Der britische City Code on Takeovers and Mergers in der Fassung vom 9.3.2001, RIW 2001, 481.
A. Grundlagen I. Entstehung der Norm 1
§ 21 ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens – abgesehen von der Einfügung eines Verweises in § 21 Abs. 3 auf die Vorschriften über den Inhalt der Angebotsunterlage im Referentenentwurf – unverändert geblieben1. Kritik an der Regelung ist während des Gesetzgebungsverfahrens nicht geäußert worden2. Seit dem Inkrafttreten des WpÜG blieb § 21 unverändert.
2
Auf europäischer Ebene gibt es zu dem von § 21 erfassten Regelungskomplex keine vergleichbar detaillierten Bestimmungen. Art. 13 lit. b) der Übernahmerichtlinie der Europäischen Union vom 21.4.20043 enthält lediglich einen Auftrag an die Mitgliedstaaten, in der nationalen Gesetzgebung Regelungen zur Änderung des Angebots vorzusehen. Den Mitgliedstaaten ist damit bei der inhaltlichen Ausgestaltung ein Entscheidungsspielraum eröffnet, soweit die allgemeinen Grundsätze der Richtlinie nicht verletzt werden4.
II. Normzweck 3
§ 21 ist eine Norm aus dem Vertragsrecht der öffentlichen Übernahmeangebote. Die Bestimmung ermöglicht es dem Bieter, sein Angebot in einigen Punkten einseitig
1 Vgl. RefE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374, 385. In § 36 Abs. 1 des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion vom Juli 1997, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 209, 215, war dagegen noch vorgesehen, dass Änderungen des Angebots nur bis zu Beginn der letzten Woche der Annahmefrist zulässig sein sollten. 2 Vgl. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 2; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 3. 3 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, Text im Anhang S. 1713. 4 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 8, der die sich daraus ergebenden nationalen Unterschiede für akzeptabel hält.
606 Seiler
§ 21
Änderung des Angebots
(unter Umständen auch mehrfach1) zu ändern, um damit die Attraktivität und Erfolgsaussichten des Angebots (auch angesichts möglicherweise veränderter Umstände) zu erhöhen2, ohne dann das gesamte Verfahren erneut von Anfang an durchlaufen zu müssen3. Allerdings schränkt § 21 die rechtsgeschäftliche Freiheit des Bieters bei der Aus- bzw. Umgestaltung des Angebotsverfahrens zum Schutz der Zielgesellschaft und der Aktionäre ein und erlaubt nur gewisse Änderungen4. Nach zutreffendem Verständnis der Norm bewirkt diese schließlich eine Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, weil die geänderten Bedingungen auch dann gelten, wenn die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft das ursprüngliche Angebot bereits angenommen haben (vgl. dazu unten Rz. 19 ff.). § 21 Abs. 1 der Norm beruht auf dem Rechtsgedanken, dass die besondere Belastung 4 der Zielgesellschaft durch ein öffentliches Angebot nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Bieter rechtsgeschäftlich fest an die Angebotsbedingungen gebunden wird5. Die Norm verbietet nachträgliche Änderungen eines bereits abgegebenen Angebots deshalb zwar nicht generell, beschränkt die Zulässigkeit von Änderungen aber auf solche, die zugunsten der Aktionäre der Zielgesellschaft wirken, weil sie das Angebot verbessern6. § 21 Abs. 2 regelt Veröffentlichungs- und Hinweispflichten des Bieters im Falle einer Änderung des Angebots. § 21 Abs. 3 erklärt hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Anforderungen an die Änderung des Angebots Regelungen über das ursprüngliche Angebot betreffend die Veröffentlichung (§ 11 Abs. 1 Satz 2 bis 5, Abs. 3), die Haftung (§ 12), die Finanzierung (§ 13) sowie die Untersagung des Angebots durch die BaFin (§ 15 Abs. 1 Nr. 2) für entsprechend anwendbar. Das Rücktrittsrecht gemäß § 21 Abs. 4 gewährleistet, dass den Aktionären der Zielgesellschaft Änderungen nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden können7. Die Verlängerung der Annahmefrist nach § 21 Abs. 5 soll verhindern, dass Aktionäre ohne ausreichende Überlegungsfrist zu einer Entscheidung über das geänderte Angebot gezwungen werden8. § 21 Abs. 6 beschränkt die Zahl hintereinander geschalteter Änderungsmöglichkeiten während der Verlängerung der Annahmefrist zur Begrenzung der mit dem Angebot verbundenen Behinderung der Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft9.
1 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 41; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 12; Assmann, AG 2002, 114, 123. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 21 Abs. 6 (zu Abs. 6 vgl. unten Rz. 56 f. im Text). Zu den Grenzen mehrerer dicht aufeinander folgender Änderungen im Hinblick auf das Verbot der Marktverzerrung (§ 3 Abs. 5) vgl. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 12. 2 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 2; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 1; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 1. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49. 4 Vgl. Tröger, DZWiR 2002, 353, 360; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 90; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 1; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 1. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1; Tröger, DZWiR 2002, 353, 360. 6 Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 8; Tröger, DZWiR 2002, 353, 360; Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 154, 178; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 1. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 52. 8 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 50; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 4; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1.
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III. Vergleichbare Regelungen 5
Art. 14 des Übernahmekodex1 enthielt keine mit § 21 vergleichbare Regelung. Stattdessen war im Übernahmekodex vorgesehen, dass der Bieter anstelle einer Änderung des ursprünglichen Angebots ein parallel zu dem ursprünglichen Angebot zu veröffentlichendes Alternativ-Angebot vorlegen sollte. Die Abgabe eines solchen Alternativ-Angebots war nach Art. 14 Satz 1 des Übernahmekodex insbesondere dann möglich, wenn nach Veröffentlichung des ursprünglichen Angebots bessere konkurrierende Angebote durch Dritte abgegeben wurden. In einem solchen Fall gestattete Art. 14 Satz 2 des Übernahmekodex insbesondere eine mit der Übernahmekommission abzustimmende Verlängerung der ursprünglichen Angebotsfrist. Wertpapierinhaber, die das ursprüngliche Angebot bereits angenommen hatten, konnten nach Art. 14 Satz 4 des Übernahmekodex von dem ursprünglichen Angebot zurücktreten und das bessere Angebot annehmen.
6
Das österreichische Übernahmegesetz erlaubt es dem Bieter ebenfalls, die in seinem Angebot vorgesehene Gegenleistung während der Laufzeit des Angebot zu verbessern und das Angebot zugunsten der Beteiligungsinhaber auch sonst zu ändern (§ 15 Übernahmegesetz)2. Für die Veröffentlichung des geänderten Angebots gelten die Bestimmungen über die Veröffentlichung des ursprünglichen Angebots entsprechend. Der Bieter hat das verbesserte oder sonst geänderte Angebot frühestens am vierten und spätestens am siebten Börsentag nach Eingang der Anzeige bei der Übernahmekommission zu veröffentlichen. Nach § 15 Abs. 3 Übernahmegesetz nehmen an verbesserten Gegenleistungen auch die zu diesem Zeitpunkt bereits erklärten Annahmen teil. Dies gilt ebenfalls für sonstige Änderungen zugunsten des Aktionärs, es sei denn, das dieser widerspricht3.
7
Art. 15 Abs. 1 der schweizerischen Übernahmeverordnung gestattet Änderungen eines veröffentlichten Angebots nur für den Fall, dass die Änderung insgesamt gesehen zugunsten der Empfänger wirken4. Dies erlaubt auch einzelne nachteilige Veränderungen, soweit im Ergebnis von einer Verbesserung des Angebots auszugehen ist. Gemäß Art. 15 Abs. 3 der Übernahmeverordnung kann die Änderung bis zum Ablauf des letzten Börsentags der Angebotsfrist erfolgen. Sie ist in der gleichen Form wie das ursprüngliche Angebot zu veröffentlichen (Art. 15 Abs. 2 Übernahmeverordnung). Wird eine Änderung jedoch weniger als 10 Börsentage vor Ablauf des Angebots veröffentlicht, ist die Angebotsfrist nach Anzeige der Änderung um weitere zehn Börsentage zu verlängern5. Beide Fristen werden auf fünf Börsentage verkürzt, wenn der Bericht der Zielgesellschaft zusammen mit der Änderung veröffentlicht wird (Art. 15 Abs. 4 Übernahmeverordnung).
8
Der britische Takeover Code enthält Regelungen zur Änderung des Angebots in den Rules 32 und 33. Dabei unterscheidet der Takeover Code zwischen Änderungen des ursprünglichen Angebots (revision) und der Abgabe eines neuen Angebots, das neben 1 Vgl. Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 201, 205. 2 Vgl. Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 169; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 6. 3 Vgl. dazu Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 171; Roth/Zinser, EWS 2000, 233, 237. 4 Vgl. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 4. 5 Vgl. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 4; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 7.
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§ 21
Änderung des Angebots
das bisherige Angebot tritt (alternative offer). Auch in Großbritannien ist eine Änderung des ursprünglichen Angebots grundsätzlich nur zugunsten der Aktionäre der Zielgesellschaft zulässig1. Allerdings kommt in Ausnahmefällen auch eine Änderung des Angebots zum Nachteil der Aktionäre der Zielgesellschaft in Betracht. Wird das Angebot geändert, hat die verbleibende Annahmefrist für das geänderte Angebot mindestens 14 Tage zu betragen (Rule 32.1 lit. c) Takeover Code)2. Dies bedeutet, dass die Änderung des Angebots mindestens 14 Tage vor Ablauf der Annahmefrist veröffentlicht werden muss. Zu einer Verlängerung der Annahmefrist kommt es nicht. Rule 32.2 Takeover Code bestimmt, dass Änderungen dann nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig sind, wenn das ursprüngliche Angebot von dem Bieter als endgültig bezeichnet worden ist (no increase statement). Dies gilt unabhängig davon, ob durch die Änderung eine Erhöhung oder eine Verminderung der angebotenen Gegenleistung herbeigeführt werden soll3. Aktionäre der Zielgesellschaft, die das ursprüngliche Angebot bereits angenommen haben, sind nach Rule 32.3 Takeover Code im Fall einer Änderung berechtigt, die in dem geänderten Angebot offerierte Gegenleistung zu erhalten4. Im Grundsatz finden diese Regelungen auch auf den Fall eines neben das ursprüngliche Angebot tretenden Alternativ-Angebots Anwendung (Rule 33.1 Takeover Code)5.
IV. Geltung der Vorschrift für Übernahmeangebote und Pflichtangebote § 21 gilt für freiwillige ebenso wie für Übernahme- und Pflichtangebote (zu Ausnah- 9 men siehe unter Rz. 29 und Rz. 35)6. Zu Alternativ-Angeboten vgl. unten Rz. 17 f.
B. Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 1) I. Anwendungsbereich Sobald die Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 3 veröffentlicht ist, sind Änderungen des Angebots nach § 21 zu beurteilen. Vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage sind Änderungen der Angebotsunterlage dagegen grundsätzlich uneingeschränkt möglich7. So ist insbesondere denkbar, dass der Bieter sein Angebot noch während des Laufs des Prüfungsverfahrens durch die BaFin nach § 14 Abs. 1 modifiziert. Dies führt dann freilich dazu, dass die geänderte Angebotsunterlage der BaFin erneut zur Gestattung vorgelegt werden muss8. Nach der Gestattung der Veröffentlichung des 1 Vgl. Zinser, RIW 2001, 481, 486. 2 Vgl. Zinser, RIW 2001, 481, 486; Pennington in FS Duden, S. 379, 389; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 5. 3 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 5. 4 Vgl. Pennington in FS Duden, S. 379, 389; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 5. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 5. 6 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 1; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 2; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 9; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 3; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Referentenentwurf vom April 2001, NZG 2001, 420, 425. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 1 mit Fn. 1. 8 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 10.
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Angebots gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 sind Änderungen des Angebots theoretisch (immer noch) ohne Beachtung des § 21 denkbar. Da die Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 2 nach der Gestattung durch die BaFin vom Bieter aber unverzüglich zu veröffentlichen ist, handelt es sich hierbei nur um einen zeitlich sehr begrenzen Zeitraum. Außerdem geht die BaFin bei ihrer Gestattung davon aus, dass die von ihr gestattete Unterlage mit der zu veröffentlichenden Unterlage übereinstimmt. Eigenmächtige, von der BaFin nicht mehr kontrollierte Änderungen in diesem Zeitraum sind daher mit der Gefahr eine Untersagungsverfügung gemäß § 15 Abs. 1 und 2 verbunden1.
II. Zeitrahmen für eine Angebotsänderung nach § 21 11
Nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage ist eine Änderung des Angebots nur bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist möglich (§ 21 Abs. 1 Satz 1)2. Die Bestimmung der Frist hat in der Praxis Schwierigkeiten hervorgerufen. Nach richtiger Auffassung müssen zwischen dem Ende der in der Angebotsunterlage bestimmten Annahmefrist und der Veröffentlichung der Angebotsänderung mindestens 24 Stunden liegen. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass zwischen der Veröffentlichung und dem Ende der Annahmefrist ein Werktag frei bleibt3. Endet die Annahmefrist also etwa an einem Mittwoch um 24:00 Uhr, so hat die Veröffentlichung der Änderung bis Dienstag 24:00 Uhr zu erfolgen4. Da die Änderung des Angebots aber gemäß § 14 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 im Bundesanzeiger bekanntzumachen ist, sind die Vorlaufzeiten für die Veröffentlichung mit einzubeziehen, so dass die Frist nicht voll ausgeschöpft werden kann5. Die bestehenden Regelungen für den Zeitrahmen bei der Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle bzw. den Verzicht auf eine Mindestannahmeschwelle nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind kritisch zu sehen und weisen Reformbedarf auf6. Insbesondere institutionelle Anleger erhalten sich ein höchstmögliches Maß an Flexibilität, indem sie ihre Aktien oftmals erst am letzten Tag der Annahmefrist in das Angebot liefern7. An diesem Tag kann der Bieter de lege lata jedoch nicht mehr die Herabsetzung oder den Verzicht erklären. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 muss dies bis zu einem Werktag vor Ablauf der Annahmefrist geschehen, wobei nach § 21 Abs. 1 Satz 2 für die Wahrung der Frist auf die Veröffentlichung nach § 21 Abs. 2 abzustellen ist. Der Bieter muss deshalb die Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle bzw. den Ver-
1 Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331. 2 Vgl. zum Normzweck Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, Rz. B 164. Zur Koordinierung bei weltweit ausgelegten Angeboten vgl. Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 823. 3 Busch, ZIP 2003, 102, 104; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 20; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 393. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 34; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 4 sowie im Rahmen der vergleichbaren Fristenregelung in § 9 VerkProspG a.F. die BaFin, vgl. etwa Bekanntmachung des BAWe vom 6.9.1999, BAnz. vom 21.9.1999, S. 16180, § 9 Abs. 1. 4 Ausführlich Busch, ZIP 2003, 102, 103; ferner Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 33. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 140. 6 So schon Klemm/Reinhardt, NZG 2007, 281, 285; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 99 ff. 7 Vgl. Klemm/Reinhardt, NZG 2007, 281, 282; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 26 f.
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zicht hierauf zu einem Zeitpunkt erklären, zu dem er nicht einschätzen kann, ob die Mindestannahmeschwelle letztlich erreicht werden wird oder nicht1. Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, einem Vorschlag zur Gesetzesänderung zu folgen, wonach der Bieter nachträglich auf die Mindestannahmeschwelle verzichten oder diese herabsetzen können soll, wenn den Aktionären dann ebenfalls eine verlängerte Annahmefrist i.S.v. § 21 Abs. 5 und ein Rücktrittsrecht nach § 21 Abs. 4 eingeräumt wird2. Eine andere Fristberechnung gilt, wenn – wie in der Praxis überwiegend – die Annah- 12 mefrist des Angebots zu einer bestimmten Uhrzeit an einem Tag (zumeist 12:00 Uhr mittags) endet3. Hier ist § 187 Abs. 1 BGB maßgebend, wonach der letzte Tag der Annahmefrist bei der Fristberechnung nicht mitzuzählen ist4. Dies führt dazu, dass in dem Beispielsfall eine Änderung des Angebots nur bis einschließlich Montags zulässig ist5. Feiertage sind nach Maßgabe des § 193 BGB zu berücksichtigen. An die Stelle eines staatlich anerkannten allgemeinen Feiertags tritt der nächste Werktag. Dabei ist auf sämtliche lokalen Feiertage am Sitz des Bieters und den Börsenhandelsplätzen der Zielgesellschaft abzustellen6. Endet die Annahmefrist an einem Montag um 24:00 Uhr, ist die Veröffentlichung am Samstag, bei dem es sich um einen Werktag handelt (§ 193 BGB), dagegen ausreichend7. Anders ist es wiederum, wenn die Annahmefrist montags um 12:00 Uhr endet. In diesem Fall ist die Änderung spätestens an dem vorangehenden Donnerstag zu veröffentlichen, weil den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft für die Annahme regelmäßig weder der Samstag noch der Sonntag zur Verfügung steht (es sei denn Annahmeerklärungen gegenüber dem depotführenden Kreditinstitut sind ausnahmsweise auch an einem Samstag möglich)8.
13
Folgt die Veröffentlichung der Änderung verspätet, so ist sie unzulässig. Sie bleibt 14 dann gegenüber den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft ohne Rechtswirkungen9. Bei einem verspäteten Verzicht auf das Erreichen einer Mindestannahmeschwelle könnten sich die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft also darauf berufen, das Angebot sei wegen Nichterreichens der Schwelle gescheitert und die Rückbuchung ihrer Aktien in die alte Wertpapier-Kenn-Nummer fordern10. Aller-
1 Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 100; Klemm/Reinhardt, NZG 2007, 281, 282. 2 Ausführlich Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 102. 3 Diese Praxis beruht auf dem Bedürfnis, noch am selben Werktag die Umbuchung der eingereichten Aktien in die ihnen zugewiesene Wertpapier-Kenn-Nummer durch die Depotbanken sicher zu stellen und so die unter dieser WKN eingebuchten Stückzahlen bei der Clearstream Banking AG abfragen zu können. Auf diese Weise kann die vorletzte Meldung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 zeitnah veröffentlicht werden; vgl. Busch, ZIP 2003, 102, 103. 4 Busch, ZIP 2003, 102, 103; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13 für Nichtanwendbarkeit der §§ 187 ff. BGB. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 34; Busch, ZIP 2003, 102, 103. 6 So auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39 mit Fn. 62. Nur bundeseinheitliche Feiertage Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 20. Nur Feiertage am Sitz der Zielgesellschaft Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 35. 7 Busch, ZIP 2003, 102, 103; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 6; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13. 8 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39. 9 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 9; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 14; Busch, ZIP 2003, 102, 103 mit Fn. 15. 10 Busch, ZIP 2003, 102, 103.
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dings kommt es gleichwohl zu einer Verlängerung der Annahmefrist um zwei Wochen (§ 21 Abs. 5 Satz 2), da die verspätete Veröffentlichung nur einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S.v. § 21 Abs. 5 Satz 2 darstellt1. 15
Etwas anderes gilt wiederum dann, wenn die Veröffentlichung der Änderung erst nach Ablauf der Annahmefrist erfolgt. Dann greift auch § 21 Abs. 5 Satz 2 nicht mehr ein und die Änderung bleibt gänzlich wirkungslos. Die gilt auch etwa für den Fall, dass die zur Bedingung gemachte vollständige Kartellfreigabe erst nach Ablauf der Annahmefrist unter Auflagen erteilt wird. Dem Bieter ist es dann nicht mehr möglich, einen aus seiner Sicht möglicherweise sinnvollen Bedingungsverzicht zu erklären. Dies erschließt sich bereits rein begrifflich daraus, dass ein bereits abgeschlossenes Angebot nicht mehr geändert werden kann. Außerdem würden anderenfalls die Interessen der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft verletzt, die sich bei ihrer Entscheidung darauf verlassen haben, dass das Angebot am Nichteintritt der aufschiebenden Bedingung scheitern wird2. Nach Abschluss der Annahmefrist können sich die Wertpapierinhaber auch redlicherweise nicht mehr auf eine durch die verspätete Veröffentlichung einer Angebotsänderung hervorgerufenen Irritation berufen3. Dem Bieter bleibt nur die Abgabe eines neuen Angebots, dass allerdings gegebenenfalls den Grenzen des § 26 unterliegen kann.
III. Zur Frage der Erweiterung auf Veröffentlichungen nach § 10 WpÜG 16
Fraglich ist, ob § 21 auf Veröffentlichungen nach § 10 über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots entsprechend anwendbar ist4. Dies kann Bedeutung erlangen, wenn der Bieter in seiner Vorankündigung nach § 10 (freiwillig) Angebotsbedingungen in Aussicht stellt, die über den gesetzlichen Mindestumfang einer solchen Mitteilung hinausgehen, weil sie z.B. bereits Angaben über die Höhe der anzubietenden Gegenleistung enthalten. In einem solchen Fall sollten sich die Kapitalmarktteilnehmer zwar im Grundsatz auf die Veröffentlichungen nach § 10 verlassen können, zumal sich die Preisbildung der Wertpapiere der Zielgesellschaft nach der Mitteilung wesentlich an den in der Veröffentlichung nach § 10 enthaltenen Informationen orientieren wird5. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Bieter von den in der Ankündigung gemachten Angaben auch außerhalb der in § 21 Abs. 1 Satz 1 genannten Fälle wieder abrücken kann6. Zum einen gibt der Wortlaut des § 21 für eine solche erweiternde Auslegung nichts her. Zum anderen ist erst in der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 die Abgabe eines verpflichtenden Angebots i.S.v. § 145 BGB zu erblicken7. Deshalb ist es nicht zwangsläufig geboten, dass die in der Veröffentlichung nach § 10 gemachten Angaben mit den Angaben in der späteren Angebotsunterlage (vorbehaltlich § 21) identisch sind. Dafür spricht weiter, dass nur 1 Die verspätete Angebotsänderung kann außerdem als Ordnungswidrigkeit gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 1b geahndet werden, vgl. dazu auch Busch, ZIP 2003, 102, 103. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 29. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 14. 4 Dafür etwa Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 11; dagegen etwa Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 5; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333. Zur Frage des Widerrufs oder Rücktritts von Angebotsankündigungen Stöcker, NZG 2003, 993. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 11; a.A. Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 3. 6 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1a; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 3; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333. 7 Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333; Stöcker, NZG 2003, 993.
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die Angebotsunterlage, nicht aber die Veröffentlichung nach § 10 der (materiellen) Untersuchung durch die BaFin unterliegt (§ 14), die gegebenenfalls zu Änderungen der Aussagen des Bieters führen kann1. Letztlich streitet gegen eine analoge Anwendung, dass dem Bieter ansonsten die Möglichkeit genommen würde, noch auf die Reaktionen des Marktes einzugehen2. Der Schutz des Kapitalmarkts vor Irreführung bei Abweichung von dem nach § 10 Vorangekündigten kann auf anderem Wege, etwa durch eine Ad hoc-Meldung des Bieters nach § 15 WpHG gewährleistet werden3.
IV. Alternativ-Angebote Änderungen des Angebots nach § 21 sind von einem Alternativ-Angebot (oder Neuangebot), also einem während des Laufs der Annahmefrist von dem ursprünglichen Bieter abgegebenen, neben das weiterlaufende ursprüngliche Angebot tretenden neuen Angebot zu unterscheiden4. Auch wenn ein Alternativ-Angebot im WpÜG nicht ausdrücklich geregelt ist, bestehen an der Zulässigkeit im Grundsatz keine Zweifel. Da den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft bei einem Alternativ-Angebot immer die Möglichkeit verbleibt, das ursprüngliche Angebot anzunehmen, sind Alternativ-Angebote grundsätzlich nicht an § 21 Abs. 1 und den dort enthaltenen Einschränkungen zu messen5. Für eine analoge Anwendung der § 22 Abs. 2 und Abs. 3 auf Alternativ-Angebote ist mangels Vergleichbarkeit mit einem konkurrierenden Angebot durch einen Dritten entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung kein Raum6. Nicht unter den Begriff des Alternativ-Angebots fallen dagegen Regelungen in dem ursprünglichen Angebot, die alternative Gegenleistungen vorsehen, zwischen denen der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft wählen kann.
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Ebenfalls nicht durch § 21 beschränkt sind zeitlich dicht aufeinander folgende öffent- 18 liche Angebote, bei denen der Bieter erst einen niedrigen Preis offeriert und einen Teil der Aktien erwirbt, bevor er in einem zweiten öffentlichen Angebot einen höheren Preis bietet und den Markt „leerfegt“ (sog. Staffelangebote oder street sweep)7. Dabei ist allerdings die Mindestpreisregel des § 31 Abs. 5 zu beachten (vgl. dazu § 31 Rz. 130 ff.)8. Praktisch geworden ist diese Handlungsoption bislang nicht.
V. Rechtswirkungen einer Änderung des Angebots Abgesehen von der Regelung in § 21 Abs. 4 (dazu sogleich unten Rz. 45 ff.) sind die 19 Rechtswirkungen einer Änderung des Angebots in § 21 nicht ausdrücklich geregelt. 1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1a; Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1333. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1a. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 1a. Vgl. auch Stöcker, NZG 2003, 993, der unter gewissen Umständen einen Widerrufsvorbehalt in der Ankündigung nach § 10 für zulässig hält und bei einem danach erfolgenden Widerruf des Angebots insgesamt als actus contrarius eine Erklärung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 (analog) verlangt. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 15; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 5. Gegen die Zulässigkeit Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 141. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 9. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 5. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 5. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 16; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 9. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 14; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 13. 8 Riehmer/Schröder, BB-Beilage 5-2001, 1, 12 f.
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Änderung des Angebots
Insbesondere fragt sich, wie sich Änderungen des Angebots auf die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft auswirken, die das Angebot bereits vor der Veröffentlichung der Änderung angenommen haben. Die Gesetzesbegründung legt den Schluss nahe, dass in diesem Fall die Annahmen wirksam bleiben sollen, den Wertpapierinhabern aber ein Rücktrittsrecht nach § 21 Abs. 4 zusteht1. 20
Dieses Ergebnis wäre aber nicht sachgerecht und ergibt sich auch nicht zwingend aus dem Wortlaut der Norm. Vielmehr spricht der Gesetzeszweck und das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (§ 3 Abs. 1), in Anlehnung an § 15 Abs. 3 des österreichischen Übernahmegesetzes2 für die Annahme, dass das geänderte Angebot kraft Gesetzes für und gegen alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft wirkt, und zwar unabhängig davon, ob sie das Angebot bereits angenommen haben oder nicht3. Aus § 21 Abs. 4 ergibt sich danach für die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, die das ursprüngliche Angebot bereits angenommen haben, kein Zwang, vor der Annahme des geänderten Angebots zunächst den Rücktritt von dem durch die vorherige Annahme bereits zustande gekommenen Aktienkauf- bzw. Tauschvertrag zu erklären, bevor sie das geänderte Angebot annehmen können4. Dieser Weg wäre unnötig umständlich und würde voraussetzen, dass die Wertpapierinhaber, die das Angebot bereits angenommen haben, ständig auf nachträgliche Veröffentlichungen des Bieters achten, um eine mögliche Schlechterstellung zu vermeiden5. Da die nach § 21 Abs. 1 möglichen Änderungen die Rechtsstellung der Wertpapierinhaber ausschließlich verbessern, ist vielmehr gemäß §§ 133, 157 BGB anzunehmen, dass die Wertpapierinhaber diesem Änderungsantrag jeweils nach § 151 BGB stillschweigend zustimmen, sofern sie nicht von ihrem Rücktrittsrecht nach § 21 Abs. 4 Gebrauch machen6. § 21 Abs. 4 ist insoweit mit § 333 BGB vergleichbar. Die Wertpapierinhaber müssen sich die vermeintlich vorteilhafte Änderung nicht gegen ihren Willen aufdrängen lassen, müssen andererseits aber nicht aktiv werden, wenn sie mit dem verbesserten Angebot einverstanden sind7.
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49. Deutlicher noch der Gesetzentwurf der SPDFraktion vom Juli 1997, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 209, 215 („im Falle einer Änderung […] erlischt das Angebot“). 2 Vgl. dazu Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Österr. Übernahmerecht Rz. 171; Roth/Zinser, EWS 2000, 233, 237. 3 Stephan, AG 2003, 551, 560; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 18; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 46; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 17; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 51; wohl auch von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 714; vgl. auch Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 92; nur für den Fall der Erhöhung der Gegenleistung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 17. A.A. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 30; Riehmer/Schröder, BB-Beilage 5-2001, 1, 13; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 394; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 21 und wohl auch Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 179; Tröger, DZWiR 2002, 353, 361; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 729; Schüppen, WPg 2001, 958, 964. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 18; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 54. 5 Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 46. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 18; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 18. Vgl. auch Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 36 ff., der die Aufnahme einer Klausel über beredtes Schweigen in die Angebotsunterlage fordert. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 18; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 45 f.; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 9 f.
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§ 21
Änderung des Angebots
Die Vergabe einer gesonderten Wertpapier-Kenn-Nummer bzw. ISIN für die Wert- 21 papiere, hinsichtlich derer das Angebot bereits angenommen wurde, steht einer Änderung des Angebots in aller Regel nicht entgegen. Die zum Verkauf eingereichten Aktien tragen insoweit die Berechtigung des Bieters, im gesetzlich zulässigen Umfang Änderungen des Angebots vorzunehmen, mit sich. Dies wirkt auch gegenüber einem eventuellen Dritterwerber der Aktien1.
VI. Erlaubte Änderungsmöglichkeiten 1. Erhöhung der Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ist der Bieter berechtigt, den Aktionären der Zielgesell- 22 schaft in dem geänderten Angebot eine erhöhte Gegenleistung anzubieten. So kann der Bieter bei einem Barangebot den pro Aktie gebotenen Geldbetrag und bei einem Tauschangebot die pro Aktie gebotene Aktienzahl erhöhen2. Ebenfalls kann er bei von Anfang an wahlweise versprochenen Gegenleistungen nur jeweils eine der Gegenleistungen erhöhen3. Gleichfalls unproblematisch ist der Fall, dass der Bieter bei einem Barangebot (erstmals) zusätzlich eine in Aktien bestehende Gegenleistung oder bei einem Tauschangebot eine ergänzende Barkomponente anbietet oder die Zahl der zusätzlich angebotenen Gegenleistung erhöht (vgl. näher zu gemischten Angeboten § 31 Rz. 63 ff.)4. Bei der erhöhten Gegenleistung kann es sich aber immer nur um eine Geldleistung in Euro oder liquide, zum Handel an einem organisierten Markt im Sinne von § 2 Abs. 7 zugelassene Aktien handeln. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erlaubt damit die im amerikanischen Rechtskreis bekannten Methoden des sog. Low Ball Offer und der sog. Planned Revision, bei denen das zunächst niedrige angesetzte Angebot je nach Marktakzeptanz sukzessive erhöht wird5. Dagegen findet § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auf Parallelerwerbe i.S.v. § 31 Abs. 4 keine Anwendung (vgl. ausführlich Rz. 39)6. In aller Regel unzulässig ist es dagegen, wenn der Bieter statt einer ursprünglich angebotenen Geldleistung nunmehr ausschließlich Aktien oder aber einen reduzierten Geldbetrag und zusätzlich Aktien anbietet, weil anderenfalls § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 leerliefe7. Dies gilt auch, wenn deren Gegenwert in der Summe über die ursprünglich angebotene Gegenleistung hinausgehen (soll). Denn es ist nicht gesichert, dass im Zeitpunkt des Eingangs der Gegenleistung bei den Wertpapierinhabern der Zielge1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 19. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 22; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 9; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 367; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 15; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 6. Vgl. dazu bereits Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 91. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 27. 4 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 22; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 15. Kritisch zu zusätzlichen Zusagen von liquiden Aktien dagegen Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 23 ff.; Apfelbacher/ Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 4. 5 Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 12; Liebscher, ZIP 2001, 853, 865; Diekmann in Baums/ Thoma, § 21 Rz. 13. Vgl. dazu bereits Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 91. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 23; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 16. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 17; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 24 (jedenfalls für den Regelfall).
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§ 21
Änderung des Angebots
sellschaft nach Abschluss des Angebotsverfahrens tatsächlich noch eine Erhöhung der ursprünglichen Gegenleistung vorliegt. Ist der Kurswert der angebotenen Aktien in der Zwischenzeit gesunken, kann sich die Gegenleistung im Ergebnis sogar reduziert haben. Im Übrigen können mit der Bewertung der als Gegenleistung angebotenen Aktien Bewertungsschwierigkeiten verbunden sein, die der Gesetzgeber an dieser Stelle verhindern wollte1. Plant der Bieter einen solchen vollständigen oder teilweisen Wechsel in die Aktie, kann er dies nur über den Weg eines Alternativ-Angebots umsetzen. Ebenfalls nicht von § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gedeckt und damit unzulässig ist ein Verzicht des Bieters auf die bisher den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft in Rechnung gestellten Kosten für die Annahme des Angebots2. 24
Eine Erhöhung der Gegenleistung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bleibt auch möglich, wenn der Bieter dies in der Angebotsunterlage durch ein sog. No Increase-Statement eigentlich ausdrücklich ausgeschlossen hat3. Denn die Erhöhung der Gegenleistung bleibt auch in diesem Fall für Wertpapierinhaber vorteilhaft. Den damit verbundenen Unsicherheiten am Kapitalmarkt4 ist durch § 21 Abs. 4 begegnet, der den Wertpapierinhabern ein Rücktrittsrecht (siehe dazu Rz. 45 ff.) einräumt. Auch die Bedenken, dass sich die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft bei ihrer Entscheidung über die Annahme des Angebots von der vorzeitigen Festlegung endgültiger Konditionen haben (mit-)beeinflussen lassen, müssen vor diesem Hintergrund zurückstehen, zumal sie – wenn sie nicht zurücktreten – an den verbesserten Konditionen automatisch teilhaben (vgl. dazu oben Rz. 19 ff.)5. Dem Argument, dass Anleger, die das ursprüngliche Angebot nicht angenommen haben, sich auf die Erklärung des Bieters verlassen dürfen müssen6, ist entgegenzuhalten, dass diese Anleger durch die Veröffentlichungspflicht nach § 21 Abs. 2 geschützt werden7. Entgegen der englischen Praxis (Rule 32.2 des Takeover Code), ist daher eine Abweichung von No Increase-Statements zulässig.
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Eine variable Ausgestaltung der Gegenleistung bereits in der Angebotsunterlage (etwa Festlegung eines endgültigen Umtauschverhältnisses in Abhängigkeit von der Entwicklung des Börsenkurses der Aktie des Bieters während der Annahmefrist) ist zulässig und nicht an § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu messen (vgl. § 31 Rz. 32)8. Gleiches gilt für Regelungen in der Angebotsunterlage, die eine Rücksichtnahme auf Sondereffekte bei der Zielgesellschaft wie beispielsweise einen Aktiensplit, eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder ähnliches berücksichtigen und die Gegenleistung entsprechend anpassen. Solche Anpassungsmechanismen sorgen gerade dafür, dass die Gegenleistung materiell unverändert bleibt9. 1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2; vgl. auch Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 279. 2 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 28. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 29. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 25; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 30 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 5. 4 Vgl. dazu Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 31; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 5. 5 Im Ergebnis ebenso Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 79. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 36. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 36. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 25; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 11; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 18. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 25; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 18.
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§ 21
Änderung des Angebots
2. Angebot einer anderen Gegenleistung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist es zulässig, dass der Bieter den Wertpapierinhabern 26 der Zielgesellschaft ein nachträgliches Wahlrecht zwischen verschiedenen Gegenleistungen anbietet. In der Praxis handelt es sich dabei vor allem um das zusätzliche Angebot einer Barzahlung, wenn die zunächst angebotenen Aktien nicht auf hinreichende Akzeptanz treffen1. Der Bieter hat dabei beide Gegenleistungen über die gesamte Angebotsdauer sicherzustellen2. Kennzeichnend für die Norm ist, dass es sich immer um ein zusätzliches Angebot zugunsten der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft handeln muss3. Dem Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft steht es daher in Fällen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nach wie vor frei, die ursprünglich angebotene Gegenleistung anzunehmen4. Aus dem Erfordernis, die andere Gegenleistung wahlweise zu der ursprünglichen anzubieten und dem allgemeinen Gebot, Aktionäre der Zielgesellschaft nicht ungebührlich unter Zeitdruck zu setzen, ergibt sich, dass sich die Wahl des Aktionärs über die ganze Laufzeit des ursprünglichen Angebots, einschließlich der Frist nach § 16 Abs. 2 erstrecken muss. Die Befristung einer besonders günstigen Leistungsalternative ist daher nicht gestattet5. Wenn der Bieter ursprünglich nur eine Tauschleistung angeboten hat, ist er bei Vorerwerben gegen Geldleistung i.S.v. § 31 Abs. 3 dazu verpflichtet, zusätzlich wahlweise eine Geldleistung anzubieten und eine Angebotsänderung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 durchzuführen6. Die neu offerierte Gegenleistung muss qualitativ nicht höherwertiger sein als der 27 Gegenstand des ersten Angebots. Zum einen will § 21 Abs. 1 Auseinandersetzungen um die Bewertung von Bar- gegenüber Tauschangeboten vermeiden (vgl. bereits oben Rz. 23). Zum anderen bleibt es den Aktionären überlassen, die alte Gegenleistung abzufordern7. In Fall eines Übernahmeangebots verlangt auch § 31 nichts anderes8. Denn selbst wenn die wahlweise angebotene Gegenleistung die von § 31 geforderte Art oder Höhe unterschreitet, bleibt den Wertpapierinhabern immer noch das erste, den Anforderungen des § 31 genügende Angebot9. Eine rein quantitative Veränderung der Gegenleistung in dem Alternativ-Angebot gegenüber dem ursprünglichen Angebot kommt dem gegenüber nicht in Betracht. Eine 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 26; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 7. 2 Vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29; siehe zur Finanzierungsbestätigung Berrar, ZBB 2002, 174, 176. 3 Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 13; Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 281; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 70. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 14; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 7. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 6; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 14; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 26. 6 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 8; Rothenfußer/Friese-Dormann/ Rieger, AG 2007, 137, 150. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 4; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 371. 8 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 15; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29. 9 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 371. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 21; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 26; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 7, die die wahlweise Gegenleistung nur unter den Voraussetzungen der § 31 Abs. 2 i.V.m. §§ 4–6 WpÜG-AngVO zulassen.
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Änderung des Angebots
Erhöhung der Gegenleistung unter Berufung auf § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 könnte für den Bieter zwar insbesondere dann Sinn machen, wenn er das Angebot einer höheren Gegenleistung unter besondere (etwa) zeitliche Beschränkungen stellen will1. Solche Prämien für rasche Entscheidung sind jedoch im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „wahlweise“ und den Zweck der Norm abzulehnen2. Außerdem sollten nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 quantitative Erhöhungen der Gegenleistung unbedingt erfolgen3. Aus einem Gegenschluss zu § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ergibt sich auch, dass eine Herabsetzung der Gegenleistung im Alternativ-Angebot nicht in Betracht kommt, weil § 21 Abs. 1 Nr. 1 nur Erhöhungen der Gegenleistung erlaubt4. 3. Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) 29
Diese Bestimmung ist für die Praxis in den Fällen einfacher öffentlicher Erwerbsangebote und Übernahmeangebote besonders relevant. Sie stellt einen Sonderfall des Bedingungsverzichts nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 dar5. Eine (spätere) Verringerung der Mindestannahmeschwelle i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 Nr. 3 erfordert zunächst, dass diese wirksam zur Bedingung des Angebots gemacht wurde (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 18 Abs. 1)6. Damit scheidet die Norm bei Pflichtangeboten aus, da diese bedingungsfeindlich sind (vgl. § 39 Rz. 17)7. Ist eine Annahmeschwelle wirksam vereinbart worden, enthält § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 für den Umfang der späteren Absenkung keine Vorgaben8. Deshalb ist auch im Fall eines anfänglich auf den Erwerb der Kontrolle gerichteten Übernahmeangebots eine Absenkung auf einen Schwellenwert von unter 30 % der Stimmrechte zulässig9. Gleichfalls ist es nicht erforderlich, dass die Mindestannahmeschwelle so weit herabgesetzt wird, dass diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Änderung bereits erreicht wurde10. Der Bieter muss sich die Veränderung der Mindestannahmeschwelle auch nicht bereits in den Angebotsunterlagen vorbehalten haben11. Bedeutung erlangt die Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zudem im Zusammenhang mit der Sperrfrist nach § 26 Abs. 1 Satz 2, da so die Möglichkeit zur Abgabe eines neuen Angebots unter Umständen gewahrt werden kann.
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 27; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 3. 2 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 3. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 3. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 3. 5 Ähnlich Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 9; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 20; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 28. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 22; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 7; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 372. 7 Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 372; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 22; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 12; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 8. 8 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 10; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 18; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29; Diekmann in Baums/ Thoma, § 21 Rz. 23; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 373; Kalss in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 51 Rz. 51. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 29; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 10. 10 Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 17; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 25. 11 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 32. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 33.
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Änderung des Angebots
§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 darf nicht dazu benutzt werden, dem Bieter ein konkludentes 30 Rücktrittsrecht von dem Angebot einzuräumen, in dem z.B. die Mindestannahmeschwelle von Anfang an so hoch gesetzt wird, dass das Angebot nur nach einer Absenkung der Schwelle erfolgreich durchgeführt werden kann1. Bei der Annahme eines versteckten Rücktrittsrechts durch Festsetzung eines (zu) hohen Schwellenwerts ist allerdings Zurückhaltung geboten (vgl. § 18 Rz. 36). Die Herabsetzung üblicher Schwellenwerte von etwa 75 % der Stimmrechte oder 95 % des Grundkapitals wird in aller Regel zulässig sein2. (Nur) die quantitative Herabsetzung der Mindestzahl der Wertpapiere bzw. der 31 Stimmrechte der Zielgesellschaft, von dessen Erwerb der Bieter die Wirksamkeit seines Angebots ursprünglich abhängig gemacht hat, ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zulässig, nicht dagegen eine inhaltliche Veränderung bei der Gestaltung der Beteiligungsquote. So ist ein unzulässiger Übergang auf eine andere Berechnungsart anzunehmen, wenn der Bieter nicht mehr auf eine bestimmte Zahl der zu erreichenden Stimmrechte, sondern auf eine Mindestzahl der (bloßen) Wertpapiere abstellen will. Dies ist jedenfalls dann unzulässig, wenn dadurch das Erreichen der Schwelle für ein erfolgreiches Angebot erschwert wird3. Unklarheiten im Hinblick auf die Herabsetzung der Schwelle können von der BaFin mit einer Untersagung der Veröffentlichung der Änderung gemäß § 21 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 sanktioniert werden4. 4. Bedingungsverzicht (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) Nach dieser für die Praxis ebenfalls besonders relevanten Bestimmung5 ist der Bieter berechtigt, auf Bedingungen, die gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 18 Abs. 1 wirksam festgesetzt wurden, bis zum Ende der Änderungsfrist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 zu verzichten. Dabei wird vor allem der gänzliche Verzicht auf Mindestannahmeschwellen oder MAC-Klauseln sowie auf die Nichtvornahme von Abwehrhandlungen der Zielgesellschaft in Betracht kommen, weniger dagegen der Verzicht auf (häufig ohnehin indispensable) Rechtsbedingungen wie etwa die Kartellfreigabe oder 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 30; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 23; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 8; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Referentenentwurf vom April 2001, NZG 2001, 420, 425. Kritisch Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 18. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 30; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 24. Insgesamt kritisch jedoch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 33 (für Streichung der Norm de lege ferenda); vgl. auch Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Referentenentwurf vom April 2001, NZG 2001, 420, 425, in der die Offenlegung der Voraussetzungen für eine Absenkung der Schwellenwerte in der Angebotsunterlage gefordert wird. Vgl. als Beispiel die Bekanntmachung der Ontario Inc. gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 betreffend das Übernahmeangebot an alle Aktionäre der W.E.T. Automotive Systems Aktiengesellschaft vom 5.8.2003, mit der der Bieter die aufschiebende Bedingung des Erreichens einer Annahmequote von 95 % auf 75 % des Grundkapitals herabgesenkt hat. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 7; für absolute Unzulässigkeit Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 31. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 7. 5 Vgl. als Beispiele aus der Praxis die Pflichtveröffentlichung der Robert Bosch GmbH gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 betreffend das freiwillige Erwerbsangebot an alle Aktionäre der aleo Solar AG vom 25.9.2009, in der der Bieter auf die Mindestannahmeschwelle von 75 % der Stimmrechte verzichtet hat. Ebenso erfolgte ein Verzicht auf die zunächst festgelegte Mindestannahmeschwelle z.B. in den Übernahmeverfahren der TDK Germany GmbH zum Erwerb der Aktien der Epcos AG vom 22.9.2008.
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behördliche Genehmigungen1. Ein Verzicht auf solche Bedingungen liegt im Interesse der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, da auf diese Weise der durch die ursprünglich vereinbarte Bedingung ausgelöste Schwebezustand beseitigt wird2. Der Begriff der Bedingungen entspricht dabei § 158 BGB, der Begriff des Verzichtes ist im Sinne von § 397 Abs. 1 BGB zu verstehen3. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 steht im Einklang mit diesen zivilrechtlichen Normen, die einen einseitigen Verzicht auf Bedingungen in Verfügungsgeschäften ermöglichen, solange die Bedingung ausschließlich der verzichtenden Partei nützt4. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln ein Verzicht auf Bedingungen in einem Verpflichtungsgeschäft grundsätzlich eines Änderungsvertrags bedarf5. Denn die Annahme des Angebots durch die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft enthält in der Praxis der Angebotsgestaltung bereits die dingliche Einigung über die Übertragung der zum Verkauf angemeldeten Aktien der Zielgesellschaft, die dann nur noch unter dem Vorbehalt des Eintritts bzw. des Verzichts auf die aufschiebenden Bedingungen steht6. 33
Auch der nach § 397 BGB zulässige Teilverzicht ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 erlaubt7. Denn wie in § 397 Abs. 1 BGB impliziert die Rechtsmacht zum vollständigen Erlass stets auch die Rechtsmacht zum teilweisen. Auch § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, der einen Sonderfall des Teilverzichts auf eine Bedingung (nämlich eine Herabsetzung der Annahmequote) vorsieht, steht daher nicht entgegen. Es gelangt den Aktionären der Zielgesellschaft nur zum Vorteil, wenn der Bieter ihnen durch einen teilweisen Bedingungsverzicht auf halbem Weg entgegenkommt8.
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Der Verzicht auf Bedingungen muss allerdings eindeutig sein und darf nicht seinerseits mit neuen Bedingungen verknüpft werden9. Der Verzicht kann auch noch nach dem Eintritt einer auflösenden bzw. dem Ausfall einer aufschiebenden Bedingung erfolgen10. Hat der Bieter also das Angebot zum Beispiel davon abhängig gemacht,
1 Busch, ZIP 2003, 102; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 13. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 374; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 28. Insgesamt kritisch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 33 (für Streichung der Norm de lege ferenda). 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 8. 4 Vgl. dazu nur Soergel/Wolf, § 158 BGB Rz. 33 m.w.N. 5 Vgl. Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 374 (allerdings mit anderer Begründung); Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 19. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 32 und Busch, ZIP 2003, 102 mit Fn. 11, der deshalb dem Bieter aus Vorsichtsgründen rät, sich einen Verzicht in der Angebotsunterlage vorzubehalten. Vgl. zu der Frage des Verzichts auf eine Bedingung in einem Verpflichtungsgeschäft nur Soergel/Wolf, § 158 BGB Rz. 33. Einen solchen Verzichtsvorbehalt enthält etwa Ziffer 13.2 der Angebotsunterlage der lenovo Germany Holding GmbH betreffend das öffentliche Übernahmeangebot an die Aktionäre der Medion AG vom 28.6.2011. 6 Vgl. exemplarisch Ziffer 12.2.2c) der Angebotsunterlage der Alliance Healthcare Deutschland Holdings 1 GmbH betreffend das öffentliche Übernahmeangebot an die Aktionäre der Andreae-Noris Zahn Aktiengesellschaft vom 29.11.2010 sowie Ziffer 13.2.3c) der Angebotsunterlage der NECKARPRI GmbH an die Aktionäre der EnBW Energie Baden-Württemberg AG vom 7.1.2011. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 8. A.A. Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 20; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 137. 8 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 8. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 33. 10 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 33; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 28. A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 13; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 22; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 32 (es sei denn, der Bieter habe sich den Verzicht in der Angebotsunterlage ausdrücklich vorbehalten).
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Änderung des Angebots
dass bestimmte wirtschaftliche Ereignisse bei der Zielgesellschaft nicht eintreten, und kommt es dennoch zu der adressierten wirtschaftlichen Veränderung, so wird das Angebot abweichend von allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht automatisch hinfällig, solange die Frist des § 21 Abs. 1 noch nicht abgelaufen ist1. Wegen der Bedingungsfeindlichkeit von Pflichtangeboten findet § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 auf Pflichtangebote keine Anwendung (vgl. § 39 Rz. 17)2. Weitere Folge eines wirksamen Verzichts auf eine Mindestannahmeschwelle nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ist, dass keine Sperrfrist nach § 26 Abs. 1 Satz 2 entsteht3.
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5. Berichtigungen oder Aktualisierungen der Angebotsunterlage § 21 gilt nicht für Berichtigungen (§ 12 Abs. 3 Nr. 3) bzw. Aktualisierungen der Ange- 36 botsunterlage (vgl. näher dazu § 12 Rz. 30 ff.), weil diese nicht die Konditionen des Angebots ändern4. Einer analogen Anwendung von § 21 Abs. 4 und damit der Einräumung eines Rücktrittsrechts bedarf es nicht. § 21 Abs. 4 beruht auf der (fehlerhaften, vgl. Rz. 19 f.) Vorstellung, zur Annahme eines verbesserten Angebots bedürfe es zunächst des Rücktritts von der bereits erklärten Annahme, zielt aber nicht auf den Schutz der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft im Fall einer Verschlechterung des Angebots ab5. Es spricht aber nichts dagegen, Aktualisierungen der Angebotsunterlage zusammen mit einer Angebotsänderung nach § 21 zu veröffentlichen6. 6. Weitere Änderungen Weitere Änderungen des Angebots außerhalb der in § 21 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten 37 Fällen sind nicht zulässig, auch wenn sie sich (vorgeblich) ebenfalls zu Gunsten der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft auswirken würden7. Das Gesetz enthält kei1 Vgl. in diesem Zusammenhang Berger/Filgut, WM 2005, 253, 257. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 27; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 374; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 9; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Referentenentwurf vom April 2001, NZG 2001, 420, 425. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 26 Rz. 10; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 25. 4 Ebenso gegen die Anwendbarkeit von § 21 etwa Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 11; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 32, Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 17; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 378; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 2. 5 Zutreffend Stephan, AG 2003, 551, 560; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 65. A.A. Aha, AG 2002, 160, 166; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 35. 6 Vgl. als Beispiel die Bekanntmachung der Ontario Inc. gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 betreffend das Übernahmeangebot an alle Aktionäre der W.E.T. Automotive Systems Aktiengesellschaft vom 5.8.2003, die gleichzeitig eine Aktualisierung der Angebotsunterlage enthält. Zutreffend wird dort das Rücktrittsrecht nach § 21 Abs. 4 nicht auch auf die Aktualisierung erstreckt. 7 Assmann, AG 2002, 114, 123; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 28; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 9; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 375; Adolff/Meister/Randell/ Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 179; Mielke in Beckmann/Kersting/ Mielke, Das neue Übernahmerecht, Rz. B 166; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 2; ebenso im Ergebnis Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 14. Grundsätzlich ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 20 mit Ausnahmen in Rz. 34 ff. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13 f. mit dem Argument, ein Verbot weiterer als der in § 21 genannten Änderungen hätte wegen des Grundsatzes der Privatautonomie im Gesetz deutlich zum Ausdruck kommen müssen.
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nen Auffangtatbestand, aus dem man die Zulässigkeit sonstiger Änderungen herleiten könnte1. Ein anderes Ergebnis würde zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen, die der Gesetzgeber durch die Katalogbestimmung gerade verhindern wollte. Außerdem fehlt das Korrektiv einer Vorabprüfung der Zulässigkeit einer Änderung durch die BaFin (vgl. unten Rz. 44). Dies gilt etwa im Grundsatz für eine Verlängerung der Annahmefrist (vgl. aber § 16 Rz. 14 betreffend die Zulässigkeit einer bieterseitigen Verlängerung der Annahmefrist bei entsprechendem Vorbehalt)2, aber auch für die nachträgliche Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft3 oder eine Erhöhung der Zahl der von dem Bieter zu erwerbenden Wertpapiere der Zielgesellschaft im Fall eines Teilangebots4. Allerdings steht es dem Bieter bei einem Teilangebot frei, faktisch mehr Wertpapiere zu erwerben als von ihm angeboten oder ein neues Angebot abzugeben. Außerdem dürfte es zulässig sein, in das ursprüngliche Teilangebot eine auflösende Bedingung für den Fall des Überschreitens einer bestimmten Annahmeschwelle aufzunehmen5. 38
Bewegt sich der Bieter innerhalb der durch § 21 Abs. 1 Satz 1 gesetzten Grenzen, findet § 315 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Es verbleibt die allgemeine Missbrauchsaufsicht der BaFin (§ 4 Abs. 1 Satz 2 und 3). 7. Individuelle Vereinbarungen mit einzelnen Veräußerern
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Dem Bieter ist es durch § 21 nicht untersagt, mit einzelnen Wertpapierinhabern individualvertraglich Änderungen des (ihnen gemachten) Angebots herbeizuführen, die über § 21 Abs. 1 hinausgehen. Denn ein Erwerb der Wertpapiere der Zielgesellschaft durch den Bieter bleibt auch außerhalb des öffentlichen Angebots zulässig (vgl. § 31 Abs. 4 und dazu § 31 Rz. 99 ff.). Allerdings muss es sich bei diesen Absprachen um Individualvereinbarungen handeln. Die massenhafte Ansprache von Wertpapierinhabern mit dem Ziel, mit diesen jeweils „individuell“ Änderungsvereinbarungen abzuschließen, dürfte als Umgehung des § 21 Abs. 1 unzulässig sein6. Soweit dies nicht rechtsgeschäftlich vereinbart ist, nehmen die außerhalb des Angebots gefundenen Vertragspartner umgekehrt an Verbesserungen des Angebots im Rahmen von § 21 Abs. 1 nicht teil7. Werden in der Zeit zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und dem Ergebnis zum Ablauf der Annahmefrist Wertpapiere der Zielge-
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 20. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13 f. 2 Für ein generelles Verbot der Verlängerung der Annahmefrist Santelmann in Steinmeyer/ Häger, § 21 Rz. 5; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 27; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 9. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 34; Diekmann in Baums/ Thoma, § 21 Rz. 11; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 2. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 10; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 376. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 20. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 34. 5 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 15; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 20. 6 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oehsler, § 21 Rz. 10; vgl. auch von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 710. 7 Vgl. als Beispiel die Bekanntmachung der Ontario Inc. gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 betreffend das Übernahmeangebot an alle Aktionäre der W.E.T. Automotive Systems Aktiengesellschaft vom 5.8.2003. Dort wird zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Herabsetzung der Annahmeschwelle im Angebot nicht automatisch auch zugunsten eines Aktionärs wirkt, mit dem der Bieter außerhalb des Angebots einen Paket-Kaufvertrag abgeschlossen hatte.
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sellschaft außerhalb des öffentlichen Angebots erworben, können die Regelungen des § 21 vermieden werden. Vielmehr hat dann der Bieter nach § 31 Abs. 4 allen Aktionären den (regelmäßig) höheren Marktpreis zu gewähren1. Da die Rechtsfolge des § 31 Abs. 4 von Gesetzes wegen eintritt, stellt dieser Vorgang keine Angebotsänderung i.S.v. § 21 dar2. In der Folge wird weder nach § 21 die Annahmefrist verlängert oder den Aktionären ein Rücktrittsrecht eingeräumt, wenn sie das ursprüngliche Angebot angenommen haben, noch hat der Bieter nach § 13 eine neue Finanzierungsbestätigung abzugeben oder die Formalitäten nach § 11 Abs. 1 einzuhalten3. Im Ergebnis kann der Bieter so die Gegenleistung außerhalb des Rahmens von § 21 erhöhen4. In der Praxis ist dieses Vorgehen verbreitet5.
C. Veröffentlichungspflichten (§ 21 Abs. 2) Die Änderung des Angebots wird erst mit dessen Veröffentlichung nach § 21 Abs. 2 40 wirksam6. Gegenstand der Veröffentlichungspflicht gemäß § 21 Abs. 2 ist die Änderung als solche sowie ein Hinweis auf das nach § 21 Abs. 4 bestehende Rücktrittsrecht. Die Veröffentlichung erfolgt in der Form der zweispurigen Publikation nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2. Im Fall einer Veröffentlichung der Änderung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 2. Fall durch Hinweisbekanntmachung und Bereithaltung der Änderungsmitteilung zur kostenlosen Ausgabe ist es nicht erforderlich, dass der Hinweis auf das Rücktrittsrecht auch in der Hinweisbekanntmachung enthalten ist. Eine Veröffentlichung in der Änderungsmitteilung selbst ist ausreichend. Dabei ist gemäß § 21 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 und § 2 Nr. 4 WpÜG-AngVO auch anzugeben, welche Maßnahmen zur Ausübung des Rücktrittsrechts und zur Annahme des geänderten Angebots ergriffen werden müssen. Bei der Veröffentlichung des geänderten Angebots ist erneut auf das Rücktrittsrecht 41 nach § 21 Abs. 4 hinzuweisen, ohne dass dieser Hinweis drucktechnisch besonders hervorgehoben sein müsste7. Auch ein vollständiger Neuabdruck des gesamten An-
1 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 206; Diekmann in Baums/ Thoma, § 21 Rz. 14. 2 Siehe im Zusammenhang mit dem Bieterkampf um REpower Systems AG BaFin, Jahresbericht 2007, S. 192. Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 16; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13. A.A. Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 153. 3 Siehe Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 23. Kritisch Oechsler, NZG 2001, 817, 826. 4 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 206. 5 So im Bieterkampf um REpower Systems AG, vgl. die Änderung des freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots der AREVA an die Aktionäre der REpower Systems AG vom 5.11.2007, und im Bieterkampf um Techem AG, vgl. die Änderung des freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots der MEIF II Energie Beteiligungs GmbH & Co. KG an die Aktionäre der Techem AG vom 11.1.2007, S. 3. Siehe dazu auch Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 1, 20; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 206. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 41; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 380. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39. Vgl. als Beispiel die Bekanntmachung der Terex Industrial Holding AG gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 betreffend das Übernahmeangebot an alle Aktionäre der Demag Cranes AG vom 16.6.2011 mit Hinweis auf das Rücktrittsrecht.
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gebots ist nicht geboten1. Ausreichend ist, die Angebotsänderung zu beschreiben bzw. die geänderte Textpassage mit einer Bezugnahme auf das ursprüngliche Angebot zu veröffentlichen2. Angaben, die Bestandteil der ursprünglichen Angebotsunterlage hätten werden müssen, wenn diese bereits in Form der Änderung erfolgt wäre, sind allerdings ebenfalls zu veröffentlichen. Dies ergibt sich aus dem in § 21 Abs. 3 enthaltenen Verweis auf § 11 Abs. 1 Satz 23. Wenn also erstmalig Wertpapiere als Gegenleistung angeboten werden, sind die Angaben nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 sowie nach § 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO i.V.m. § 7 WpPG in die Änderungsmitteilung aufzunehmen4. Wird die Gegenleistung erhöht, ist auch die geänderte Finanzierungsbestätigung mit der Änderungsmitteilung zu veröffentlichen5. Ein gesonderter Hinweis auf eine eventuelle Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 21 Abs. 5 wird vom Gesetzgeber nicht verlangt, ist aber aus Transparenzgesichtspunkten sinnvoll6. Im Übrigen ist auf die verlängerte Annahmefrist im Fall einer Änderung des Angebots bereits in der Angebotsunterlage hinzuweisen (§ 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO). 42
Die Veröffentlichung ist der BaFin unverzüglich mitzuteilen (§ 14 Abs. 3 Satz 2) und die Angebotsunterlage ist dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich nach der Veröffentlichung zu übermitteln (§ 14 Abs. 4)7. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind dann gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 verpflichtet, ihre Stellungnahme zu dem geänderten Angebot abzugeben, wobei sich die erneute Stellungnahme auf die geänderten Teile beschränken kann8. Unter Umständen kann auch eine zusätzliche Veröffentlichung einer Ad -hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG durch den Bieter und/oder durch die Zielgesellschaft über die Änderung des Angebots geboten sein9.
1 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 24; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 41; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 33; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 40; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 29. A.A. Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 6, der eine Pflicht zur vollständigen Neuveröffentlichung in Ausnahmefällen auf dem Transparenzgebot ableiten will. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 40. 4 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 26; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 40; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 27; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 383; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 36. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 45; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 40; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 37; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 30; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 34; Adolff/Meister/Randell/ Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 179; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/ von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 19; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 7. 6 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 42. 7 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 26; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 41. 8 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 27. Beispielhaft die Gemeinsame Ergänzende Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats der Demag Cranes AG zur Änderung des freiwilligen öffentlichen Kaufangebots der Terex Industrial Holding AG gemäß § 27 WpÜG vom 22.6.2011. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 42; vgl. auch Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 388; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 25 sowie Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 44.
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D. Entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Angebotsunterlage (§ 21 Abs. 3) Auf die Angebotsänderung finden gemäß § 21 Abs. 3 die für das ursprüngliche Ange- 43 bot geltenden § 11 Abs. 1 Satz 2 bis 5 und Abs. 3 betreffend den Inhalt, § 12 betreffend die Haftung, § 13 zur Finanzierung und § 15 Abs. 1 Nr. 2 zur Untersagung des (geänderten) Angebots entsprechende Anwendung. Zu den sich daraus ergebenden Anforderungen im Einzelnen kann auf die Kommentierung zu den jeweiligen Vorschriften verwiesen werden. § 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind dagegen in § 21 Abs. 3 nicht in Bezug genommen. Es be- 44 steht also keine Verpflichtung des Bieters, die Änderungsbekanntmachung der BaFin zu einer Vorabprüfung vorzulegen oder diese innerhalb einer gesetzlich bestimmten Frist zu veröffentlichen1. § 15 Abs. 1 Nr. 1 ist dagegen trotz des fehlenden Verweises auf diese Norm in § 21 Abs. 3 entsprechend anwendbar, wenn die nach § 11 Abs. 2 und der WpÜG-AngVO vorgeschriebenen Angaben, die in besonders gelagerten Ausnahmefällen auch bei der Angebotsänderung erforderlich sind, fehlen2.
E. Rücktrittsrecht (§ 21 Abs. 4) Im Falle einer Änderung des Angebots können die Inhaber von Wertpapieren der 45 Zielgesellschaft, die das Angebot vor Veröffentlichung der Änderung nach § 21 Abs. 2 angenommen haben, nach § 21 Abs. 4 von dem Vertrag zurücktreten, solange die Annahmefrist noch nicht abgelaufen ist. Der Rücktritt ist gegenüber dem Bieter oder der von diesem in der Angebotsunterlage bzw. der Änderungsbekanntmachung genannten Stelle (insbesondere der depotführenden Bank) als Rücktrittsgegner i.S.v. § 349 BGB zu erklären3. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Rücktrittsrecht es ermöglichen, von der bereits erklärten Annahme des Angebots wieder Abstand zu nehmen, wenn sie mit der Änderung nicht einverstanden sind. Da nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ohnehin nur eine Änderung des Angebots zugunsten der Aktionäre zulässig ist, ist die praktische Bedeutung des Rücktrittrechts begrenzt (vgl. zur automatischen Nachbesserung bereits oben Rz. 19 ff.)
I. Tatbestandsvoraussetzungen Das Rücktrittsrecht besteht, wenn eine Änderung des Angebots i.S.v. § 21 vorliegt. 46 Dabei muss es sich regelmäßig um eine nach § 21 Abs. 1 Satz 1 zulässige Änderung handeln, weil nur diese rechtsgeschäftlich wirksam zustande kommt4. Das Rücktrittsrecht ist nicht an Sachgründe gebunden. Der Aktionär kann daher die Änderungen nach § 21 Abs. 4 zur Abstandnahme nutzen, obwohl eine Annahme des veränderten Angebots nach objektiver Betrachtung seine Stellung gegenüber dem frü-
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 45; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 50; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 46; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, Rz. B 168. 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 45; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 45. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 48. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 60; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 41. 4 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 47; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 19. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 54.
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heren Stand nur verbessern würde1. Jede Abänderung des öffentlichen Angebots wird damit für den Bieter zu einem riskanten Geschäft, weil er bereits sicher gebunden geglaubte Aktionäre wieder verlieren kann. Dies kann Anreiz sein, das Angebot bereits von Anfang an so auszugestalten, dass eine Änderung nicht mehr erforderlich ist, und ist der rechtspolitischen Kritik, die in der Bestimmung wie etwa der des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 eine (unerwünschte) Ermutigung der Bieters zu knapper Kalkulation des öffentlichen Angebots sieht, entgegenzuhalten2. 47
Zum Rückritt berechtigt sind Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die das Angebot bereits angenommen haben. Der Berechtigte muss also die vom Bieter nach § 2 Nr. 4 WpÜG-AngVO festgelegten Maßnahmen ergriffen haben3. Das Rücktrittsrecht kann auch noch dann ausgeübt werden, wenn die Wertpapiere bereits dinglich auf den Bieter übertragen wurden4. Die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft können dabei ihr Rücktrittsrecht nicht nur insgesamt, sondern auch nur für einen Teil der betroffenen Wertpapiere ausüben5. Die Ausübung des Rücktrittsrechts ist nicht davon abhängig, dass der zurücktretende Wertpapierinhaber im Anschluss hieran das geänderte Angebot annimmt. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs kann der Ausübung des Rücktrittsrechts insoweit nicht entgegenstehen6.
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Das Rücktrittsrecht besteht auch dann, wenn der Bieter hierauf entgegen § 11 Abs. 4 Nr. 1 und § 21 Abs. 2 nicht hingewiesen hat7. Das Rücktrittsrecht kann jederzeit vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Änderung bis zum Ablauf der Annahmefrist ausgeübt werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Zugang der Rücktrittserklärung bei dem Bieter bzw. bei der von dem Bieter in der Angebotsunterlage und der Änderungsbekanntmachung benannten Stelle (in der Regel depotführende Bank) maßgebend8. § 21 Abs. 4 findet darüber hinaus auf Aktualisierungen und Berichtigungen der Angebotsunterlage keine analoge Anwendung (vgl. bereits Rz. 36)9.
II. Rechtsfolgen 1. Rechtsfolgen bei Nichtausübung des Rücktrittsrechts 49
Wird das Rücktrittsrecht nicht oder verspätet ausgeübt, bleiben die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, die das Angebot bereits angenommen haben, an das geänderte Angebot zu den geänderten Konditionen gebunden. Aktionäre, der Zielgesell1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 20; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 47. 2 Vgl. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 2 und 20. Zur rechtspolitischen Kritik siehe Peltzer in Assmann u.a., ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 179, 231. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 21. 4 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 57; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 43. 5 Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 64; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 53. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 47; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 42. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 48; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 398; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, Rz. B 170; so jetzt auch Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 56 ff. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 49. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 50. A.A. für Abgabe Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 38; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 43. 9 So auch Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 54; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 32. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 35.
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Änderung des Angebots
schaft, die ihre Aktien bereits zur Annahme des Angebots eingereicht hatten und auch das geänderte Angebot weiterhin annehmen wollen, brauchen also nichts zu veranlassen (vgl. dazu bereits oben Rz. 19 ff.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Annahmeerklärung vor oder nach der Veröffentlichung der Änderung abgegeben wurde. 2. Rechtsfolgen bei Ausübung des Rücktrittsrechts Nach Ausübung des Rücktrittsrechts können die Wertpapierinhaber der Zielgesell- 50 schaft die von ihnen bereits eingereichten Wertpapiere wieder zurückverlangen. Andererseits bleiben sie aber nach wie vor berechtigt, das geänderte Angebot etwa nach dem Ablauf einer gewissen Überlegungsfrist doch noch anzunehmen. Die Rücktrittsfolgen beurteilen sich grundsätzlich nach den §§ 346 ff. BGB1. Bereits empfangene Leistungen wie z.B. das Eigentum an den Aktien haben die Parteien nach § 346 Abs. 1 BGB zurückzugewähren2. Ist dies nicht mehr möglich, haften sie nach § 346 Abs. 2 BGB auf Wertersatz3. Um Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung zu vermeiden, kann es sich für den Bieter empfehlen, die Einzelheiten der Rückabwicklung bereits in der Angebotsunterlage zu regeln4. Das Bedürfnis für eine ausdrückliche Regelung besteht jedoch nicht, wenn – wie zumeist – in dem Angebot vorgesehen ist, dass die Übertragung des Eigentums an den eingereichten Aktien erst nach Ablauf der Annahmefrist und dem Eintritt etwaiger aufschiebender Bedingungen vollzogen wird. In diesem Fall bedarf es keiner besonderen Rückabwicklung5. Der Rücktritt führt dann lediglich zum Erlöschen des schuldrechtlichen Vertragsverhältnisses. Sind die eingereichten Wertpapiere bereits in einer gesonderten Wertpapier-KennNummer eingebucht, ist der Bieter verpflichtet, die Rückbuchung der Wertpapiere in die ursprüngliche WKN/ISIN zu veranlassen.
F. Verlängerung der Annahmefrist (§ 21 Abs. 5) Wenn (und nur wenn)6 die Veröffentlichung der Änderung des Angebots innerhalb 51 der letzen zwei Wochen vor Ablauf der Annahmefrist erfolgt, verlängert sich die Annahmefrist für die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gemäß § 21 Abs. 5 um zwei Wochen. Damit trägt § 21 Abs. 5 dem Anliegen des Gesetzgebers Rechnung, den zeitlichen Entscheidungsdruck auf die Aktionäre der Zielgesellschaft zu vermindern (§ 3 Abs. 2)7. Der Bieter soll nicht durch eine rasche Veränderung der Bedingungen eine ebenso rasche wie unüberlegte Entscheidung der Aktionäre der Zielgesellschaft provozieren können8. Den Aktionären der Zielgesellschaft soll immer eine Frist von
1 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 31; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 47; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 60; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 41. 2 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 43; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 31. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 23; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 31. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 54; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 41. 5 Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 399; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 53. 6 Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, § 21 Rz. 1; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 47. 7 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 24; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 66. 8 Vgl. dazu bereits Assmann/Bozenhardt, ZGR-Sonderheft 9, 1990, S. 1, 87 f.
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§ 21
Änderung des Angebots
mindestens zwei Wochen zur Verfügung stehen, in der sie sich das Angebot überlegen können1. 52
Die Fristverlängerung greift nach § 21 Abs. 5 Satz 2 auch dann ein, wenn das Angebot gegen Rechtsvorschriften (auch solche außerhalb des WpÜG) verstößt und das Angebot daher möglicherweise untersagt wird. Damit soll vermieden werden, dass ein Streit über die Zulässigkeit eines geänderten Angebots Unklarheiten am Markt über die Angebotsfrist auslöst2.
53
Eine Verlängerung der Annahmefrist nach § 21 Abs. 5 kommt aber nur in Betracht, solange eine Änderung des Angebots noch möglich ist, also die reguläre Frist des § 16 Abs. 1 Satz 1 einschließlich einer möglichen gesetzlichen Verlängerung nach §§ 16 Abs. 3, 22 Abs. 2 Satz 1 noch nicht abgelaufen ist3. Die weitere Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 ist insoweit ausgenommen, weil zu diesem Zeitpunkt aus Sicht des Bieters das Angebot bereits beendet ist4. Während der weiteren Annahmefrist ist also eine Änderung des Angebots nicht mehr möglich5.
54
Die verlängerte Annahmefrist beginnt erst unmittelbar mit dem Ablauf der im Zeitpunkt der Änderung des Angebots laufenden Annahmefrist und nicht bereits mit der ordnungsgemäßen Veröffentlichung des geänderten Angebots oder im Zeitpunkt der Mitteilung an die BaFin (§ 14 Abs. 3 i.V.m. § 21 Abs. 2)6. Eine gesonderte Veröffentlichung über den Zeitpunkt des Beginns der gemäß § 21 Abs. 5 verlängerten Annahmefrist ist gesetzlich nicht erforderlich, kann sich aber empfehlen7.
55
Sowohl in der ursprünglichen Angebotsunterlage als auch bei der Veröffentlichung der Änderung des Angebots ist auf die Fristverlängerung nach § 21 Abs. 5 hinzuweisen (§ 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO i.V.m. §§ 21 Abs. 3, 11 Abs. 4 Nr. 1). Dieser Hinweis muss drucktechnisch (etwa durch Fettdruck) nicht besonders hervorgehoben sein8. Dennoch geschieht dies in der Praxis häufig.
G. Unzulässigkeit einer erneuten Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 6) 56
Innerhalb der Verlängerungsfrist des § 21 Abs. 5 sind erneute Änderungen des Angebots grundsätzlich unzulässig. Dies bestimmt § 21 Abs. 6, der damit die Vorstellungen des Gesetzgebers zum Schutz der Zielgesellschaft vor zeitlich unbegrenzter Lähmung ihrer Geschäftsführung durch eine Abfolge von Änderungen umsetzt9. Die 1 Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 179; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 59; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 49 f.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 24; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 56; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 69; Thun in Geibel/Süßmann, § 21 Rz. 61; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 52; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 39. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 25. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 25. 5 Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 180; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 15. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 55; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 67. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 55; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 40. 8 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 57. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 26; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 49.
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§ 21
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Regelung ist auch eine Konkretisierung von § 3 Abs. 4. Zugleich stellt die Norm sicher, dass den Aktionären der Zielgesellschaft in jedem Fall für ihre Entscheidung über das Angebot zwei Wochen nach der letzten Änderung durch den Bieter verbleiben1. Die Unzulässigkeit einer erneuten Änderung nach § 21 Abs. 6 erstreckt sich auch auf den Zeitraum der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 22. Ein allgemeines Verbot der mehrfachen Änderung des Angebots ist der Bestimmung über ihren direkten Anwendungsbereich hinaus nicht zu entnehmen3. Außerhalb der in § 21 Abs. 6 genannten Frist sind daher auch mehrfach hintereinander stattfindende Änderungen möglich. § 21 Abs. 6 findet auch dann keine Anwendung, wenn es während der Verlängerungsfrist zu einer weiteren Verlängerung kommt, die nicht durch ein Verhalten des Bieters hervorgerufen wird. Insbesondere konkurrierende Angebote während der Verlängerungsfrist, die nach § 22 Abs. 2 zu einer nochmaligen Verlängerung der Annahmefrist führen, können den Bieter daher zu einer erneuten Änderung seines Angebots berechtigen, ohne dass dem § 21 Abs. 6 entgegenstünde4. Die sich dadurch möglicherweise ergebende Auktionssituation eines raschen gegenseitigen Überbietens wird vom Zweck des § 22 gerade gedeckt5. In der Literatur wird diese Möglichkeit der Angebotsänderung ganz abgelehnt6 oder zumindest stark eingeschränkt7, um so die Handlungsfähigkeit der Zielgesellschaft zu erhalten. Teilweise wird auch die Einführung eines formalisierten und zeitlich begrenzten Bieterwettstreits vorgeschlagen8. Mit Blick auf den Wortlaut von § 21 Abs. 6, der nur das Angebot desjenigen Bieters erfasst, der die Änderung innerhalb der letzten zwei Wochen veröffentlicht, ist bei einem konkurrierenden Angebot der Ausschluss oder die Einschränkung der Möglichkeit des Bieters zu einer erneuten Änderung seines Angebots jedoch abzulehnen9. Im Übrigen stellt das Tatbestandsmerkmal „Änderungen“ klar, dass ein neues öffentliches Angebot durch den Bieter auch innerhalb der in § 21 Abs. 5 genannten Frist nicht verboten ist10.
1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 26; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 49. 2 Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 130; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 21 Rz. 40. 3 Assmann, AG 2002, 114, 123; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 27; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 71; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 51; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 41; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, German Takeover Law, 2002, § 21 Rz. 1; Sohbi in Heidel, § 21 WpÜG Rz. 11. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 59; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 25. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 26. Kritisch Bachmann in Mülbert/Kiem/ Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 208; Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 21. 6 Bereits für Unzulässigkeit des konkurrierenden Angebots Rothenfußer/Friese-Dormann/ Rieger, AG 2007, 137, 146 ff.; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 209. 7 Für einmalige Änderung durch konkurrierenden Bieter Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 54; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 74. 8 Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1800 f.; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 148. 9 Im Ergebnis ebenso Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 59; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 25. 10 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 21 Rz. 27.
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§ 22
Konkurrierende Angebote
§ 22 Konkurrierende Angebote (1) Konkurrierende Angebote sind Angebote, die während der Annahmefrist eines Angebots von einem Dritten abgegeben werden. (2) Läuft im Falle konkurrierender Angebote die Annahmefrist für das Angebot vor Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot ab, bestimmt sich der Ablauf der Annahmefrist für das Angebot nach dem Ablauf der Annahmefrist für das konkurrierende Angebot. Dies gilt auch, falls das konkurrierende Angebot geändert oder untersagt wird oder gegen Rechtsvorschriften verstößt. (3) Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die das Angebot angenommen haben, können bis zum Ablauf der Annahmefrist vom Vertrag zurücktreten, sofern der Vertragsschluss vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden Angebots erfolgte.
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
IV. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
9
V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
B. Begriff des konkurrierenden Angebots (§ 22 Abs. 1) . . . . . . . . . . . .
12
I. Angebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
II. Eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
1. Verbundene Unternehmen und gemeinsam handelnde Personen . . . . . 2. Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 23
III. Abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
IV. Während der Annahmefrist . . . . . . .
27
C. Synchronisierung der Annahmefristen (§ 22 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . .
30
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
II. Änderungen der Angebote . . . . . . . .
34
1. Verlängerung der Annahmefristen . 34 a) Änderung des konkurrierenden Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Änderung des ursprünglichen Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Mehrfachänderungen . . . . . . . . . . . . 38 3. Parallel- und Nacherwerb . . . . . . . . 40a III. Untersagung oder Verstoß gegen Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . .
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41
IV. Mitteilungspflicht gemäß § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO. . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 D. Rücktrittsrecht (§ 22 Abs. 3) . . . . . . 47 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Rücktrittsrecht bei Änderungen . . . 52 III. Ausübung des Rücktrittsrechts . . . . 55 IV. Rechtsfolgen der Ausübung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V. Mitteilungspflicht gemäß § 2 Nr. 11 WpÜG-AngVO. . . . . . . . . . . . 64 E. Weitere Aspekte konkurrierender Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Vorbeugung gegen konkurrierende Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Vereinbarungen mit der Zielgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Break fees. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarungen mit Aktionären (irrevocables) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 68 74 89
II. Due Diligence bei konkurrierenden Angeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 F. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 101 I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 101 II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
§ 22
Konkurrierende Angebote
Schrifttum: Bachmann, Vorstandspflichten bei freundlichen Übernahmeangeboten, in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), 2011, S. 191; Bachmann, Konkurrierende Angebote, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109; Banerjea, Der Schutz von Übernahme- und Fusionsplänen – Überlegungen zur Zulässigkeit und Gestaltung sog. Deal-Protection-Abreden, DB 2003, 1489; Banerjea, Due Diligence beim Erwerb von Aktien über die Börse, ZIP 2003, 1730; Bebchuk, The Case for Facilitating Competing Tender Offers, 95 Harv. L. Rev. 1028 (1982); Bebchuk, The Case for Facilitating Competing Tender Offers, A Reply and Extension, 35 Stan. L. Rev. 23 (1982); Becker, Verhaltenspflichten des Vorstands bei feindlichen Übernahmen, ZHR 163 (2001), 280; Birkner (Hrsg.), Handbuch Übernahmerecht, Bd. 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Konkurrierende Angebote
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A. Überblick I. Regelungsgegenstand 1
Die Vorschrift regelt die Auswirkungen eines konkurrierenden Angebots auf ein bereits laufendes Angebot. Einerseits bewirkt das konkurrierende Angebot eine Verlängerung der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots in der Weise, dass der Fristenlauf beider Angebote synchronisiert wird. Andererseits löst das konkurrierende Angebot ein gesetzliches Rücktrittsrecht der Wertpapierinhaber aus, die das ursprüngliche Angebot bei Veröffentlichung des konkurrierenden Angebots bereits angenommen haben.
2
Das konkurrierende Angebot selbst wird durch § 22 nicht geregelt. Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Vorschriften.
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Konkurrierende Angebote
II. Zweck Die Ermöglichung konkurrierender Angebote gehört zu den Kernzielen des vom Ge- 3 setzgeber gewählten ökonomischen Konzepts der Regulierung von Übernahmeangeboten. Nur wenn Erwerbsinteressenten miteinander in Wettbewerb treten können, kann die auktionsartige Situation entstehen, die den Wertpapierinhabern grundsätzlich die Wahl des besseren (teureren) Angebots und damit die Allokation der in der Zielgesellschaft gebundenen unternehmerischen Ressourcen an den besten Nutzer ermöglicht. Dies erfordert einerseits die Senkung der Eintrittsbarrieren für konkurrierende Angebote und andererseits Verfahrensvorschriften, die sicherstellen, dass das ursprüngliche und das konkurrierende Angebot im Wettbewerb um die Annahme durch die Wertpapierinhaber gleiche Chancen haben1. Die Synchronisierung der Annahmefristen gemäß § 22 Abs. 2 bezweckt die Schaf- 4 fung gleicher verfahrensmäßiger Rahmenbedingungen für das ursprüngliche und das konkurrierende Angebot2. Ohne diese Vorschrift würde die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots regelmäßig erst nach dem Ende der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots ablaufen. Hiermit käme der konkurrierende Bieter in den Genuss eines nicht gerechtfertigten taktischen Vorteils, denn er könnte ankündigen, die Gegenleistung nach Ablauf der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots zu erhöhen. Wenn dies möglich wäre, erschiene es nicht fernliegend, dass die Wertpapierinhaber hierauf spekulieren und die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots verstreichen lassen. Insoweit kommt § 22 Abs. 2 auch den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft zugute, denn sie können sich frei von taktischen Zwängen für das aus ihrer Sicht bessere Angebot entscheiden. Das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 dient der Senkung der Eintrittsbarrieren für 5 konkurrierende Angebote. Die Vorschrift versetzt den konkurrierenden Bieter in die Lage, auch die Wertpapiere zu erwerben, deren Inhaber sich bereits an den ersten Bieter gebunden haben. Beide Bieter können somit denselben Adressatenkreis erreichen. Auch dies kommt den Wertpapierinhabern, die das ursprüngliche Angebot bereits angenommen haben und ein aus ihrer Sicht besseres konkurrierendes Angebot annehmen wollen, zugute. Konkurrierende Angebote sind ein wichtiges Instrument für die Abwehr feindlicher 6 Übernahmeangebote3. Die Suche nach derartigen Angeboten gehört gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 zu den Handlungen, die der Vorstand der Zielgesellschaft ohne Ermächtigung der Hauptversammlung vornehmen darf, um den Erfolg eines feindlichen Angebots zu verhindern. Durch die Senkung der Eintrittsbarrieren wird diese Abwehrstrategie ermöglicht; durch die Synchronisierung der Annahmefristen ist sichergestellt, dass weder das „feindliche“ erste Angebot noch das konkurrierende Angebot in regulatorischer Hinsicht bevorzugt wird.
1 Bebchuk, 95 Harv. L. Rev. 1028 (1982); Gilson, 35 Stan. L. Rev. 51 (1982); aus der Debatte um das WpÜG vgl. etwa Fleischer, ZIP 2002, 651, 653; Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 712; Oechsler, NZG 2001, 817, 825. 2 So auch Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 195. 3 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 1; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 2.
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III. Entstehung 7
Im Übernahmekodex hatten § 22 Abs. 2 überhaupt keinen und § 22 Abs. 3 nur einen entfernt ähnlichen Vorläufer. Gemäß Art. 14 Sätze 1 und 2 Übernahmekodex war der Bieter bei Abgabe „besserer Angebote seitens Dritter“ berechtigt, innerhalb der ursprünglichen Annahmefrist ein für die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft „besseres Angebot“ vorzulegen und die ursprüngliche Angebotsfrist in Abstimmung mit der Übernahmekommission zu verlängern. Die automatische Verlängerung der Annahmefrist (oder eine Verpflichtung hierzu) war dagegen nicht vorgesehen. Gemäß Art. 14 Satz 3 Übernahmekodex hatte der Bieter für die Gleichbehandlung der Aktionäre zu sorgen, die sein Angebot bereits angenommen hatten. Gemäß Art. 14 Satz 4 Übernahmekodex konnten Wertpapierinhaber von dem bereits angenommenen Angebot zurücktreten, um „das bessere Angebot“ anzunehmen. Folglich konnte der Bieter durch Eintritt in die Konditionen des konkurrierenden Angebots verhindern, dass dieses Rücktrittsrecht zur Entstehung gelangte. Das Merkmal des „besseren“ Angebotes als Voraussetzung des Rücktrittsrechts bedeutete ein durchaus fragwürdiges Wertungselement.
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Die Regelungen des § 22 waren im Wesentlichen bereits im Diskussionsentwurf enthalten (§ 24 DiskE). Im Referentenentwurf wurde lediglich die Terminologie an den erweiterten Anwendungsbereich des Gesetzes angepasst („Angebot“ statt „Übernahmeangebot“, „Wertpapiere“ statt „Aktien“).
IV. EU-Übernahmerichtlinie 9
§ 22 entspricht den Vorgaben der Übernahmerichtlinie: Nach deren Art. 13 lit. c) müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Vorschriften zur Regelung konkurrierender Angebote in Kraft sind.
V. Kritik 10
Die Förderung von Auktionen durch § 22 begegnet Kritik aus ökonomischer Sicht, soweit man den Lehrmeinungen der neoliberalen Chicago School of Law and Economics folgt. Hiernach sind auktionsfördernde Regeln den Interessen der Aktionäre abträglich, weil sie die Häufigkeit von Übernahmeangeboten verringern: Sie treiben den für die Übernahme zu zahlenden Preis in die Höhe, verringern damit den Gewinn des obsiegenden Bieters, bringen ggf. den ersten Bieter um die Früchte seiner Suche nach einer geeigneten Zielgesellschaft und verringern somit die Anreize für eine solche Suche. Weniger Übernahmeangebote haben nach dieser Auffassung eine Schwächung des Marktes für Unternehmenskontrolle und dessen management-disziplinierenden Wirkungen zur Folge, was letzten Endes zu Lasten der Aktionäre gehe1. Die Gegenauffassung bezweifelt, dass auktionsfördernde Regeln die Häufigkeit von Übernahmeangeboten verringern. Sie hält die Kosten der Suche nach potentiellen Zielgesellschaften für niedrig; außerdem könne der ursprüngliche Bieter Aktien, die er im Vorfeld seines Angebots günstig erworben hat, dem konkurrierenden Bieter im Zuge seines Angebots teuer verkaufen2. Weiterhin seien Auktionsverfahren allokationseffizient, weil sie die Ressourcen der Zielgesellschaft dem besten Verwender 1 Easterbrook/Fischel, 94 Harv. L. Rev. 1161 (1981); Schwartz, 2 J.L. Econ. & Org. 229 (1986). 2 Bebchuk, 35 Stan. L. Rev. 23 (1982); Gilson, 35 Stan. L. Rev. 51 (1982).
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zuführen1. Schließlich seien auktionsfördernde Regeln auch ex ante geeignet, die Aktionärsrendite zu maximieren, weil sie den ersten Bieter dazu veranlassen, von vornherein eine attraktive Gegenleistung anzubieten, um andere Interessenten von der Abgabe konkurrierender Angebot abzuhalten2. Aus juristischer Sicht wurde für problematisch gehalten, dass die Annahmefrist des 11 ursprünglichen Angebots durch mehrere hintereinander geschaltete konkurrierende Angebote theoretisch bis ins Unendliche verlängert werden könnte3. Um dieses Problems Herr zu werden, wird gefordert, dass der Gesetzgeber eine Höchstgrenze für die Verlängerung aller Angebote bestimmen oder die BaFin unter Berücksichtigung der Belange der Zielgesellschaft und nach Maßgabe des Einzelfalls zur Bestimmung des endgültigen Fristablaufs für alle Angebote ermächtigen soll4. Eine solche „Guillotine“-Regelung könnte in Anlehnung an das österreichische Recht (§ 19 Abs. 1d ÜbG), an das Schweizer Recht (Art. 48 Abs. 5 ÜbVO) oder nach dem Vorbild des britischen Takeover Code gestaltet werden5. Auch wäre ein von der BaFin gestaltetes nicht-öffentliches Auktionsverfahren denkbar6. Dies sind wichtige Überlegungen. Allerdings ist zu bedenken, dass das beschriebene Problem in Deutschland noch nicht aufgetreten und selbst in der internationalen Praxis extrem selten ist. Seit Inkrafttreten des WpÜG gab es in Deutschland lediglich zwei konkurrierende Angebote7. Dass konkurrierende Angebot in Deutschland so selten sind, dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, dass Kontrollaktionäre nach wie vor eine wichtige Rolle spielen8. Im Übrigen könnte die BaFin im Rahmen ihrer allgemeinen Missstandsaufsicht einschreiten und die im Einzelfall erforderlichen Anordnungen treffen (§ 4 Abs. 1 Satz 3). Dies gilt nicht nur dann, wenn eine Vielzahl konkurrierender Angebote vorliegt oder wenn die konkurrierenden Angebote von mit dem Bieter verbundenen Unternehmen abgegeben werden9, sondern auch dann, wenn der Bieterkampf sich so extrem in die Länge zieht, dass die Gebote, Übernahmeverfahren rasch durchzuführen (§ 3 Abs. 4 Satz 1) und die Zielgesellschaft nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern (§ 3 Abs. 4 Satz 2), nicht mehr eingehalten werden (eingehend hierzu Rz. 39 f.). Es ist zwar richtig, dass § 22 einen Bieterwettstreit duldet10. Exzesse finden jedoch an den Grundsätzen des § 3 Abs. 4 ihre Schranken.
1 Bebchuk, 95 Harv. L. Rev. 1028 (1982); Gilson, 35 Stan. L. Rev. 51 (1982). 2 Überblick über die verschiedenen Strömungen bei Romano in Hopt/Wymeersch, European Takeovers, 1992, S. 29 ff. 3 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 1; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 16; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 2, 12. 4 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 2, Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1801; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 210. 5 Zum österreichischen Recht Huber in Huber, § 19 ÜbG Rz. 34; zum englischen Modell Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1797 f. 6 Dafür Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 148; Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1800; wohl auch Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 210. 7 Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG vom 14.12.2006 und Suzlon Windenergie GmbH/ REpower Sytems AG vom 28.2.2007; das Angebot Bayer/Schering vom 13.4.2006 war kein konkurrierendes Angebot, denn das zuvor angekündigte Angebot der Merck KGaA wurde vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage untersagt. 8 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 192 f.; Seibt, CFL 2011, 213, 218. 9 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 10; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 12. 10 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 211.
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11a Vereinzelt wird gefordert, konkurrierende Angebote „Angebote oder Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots“ zu definieren, damit die Rechtsfolgen des § 22 Abs. 2 und 3 nicht erst mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (siehe Rz. 25), sondern bereits mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Konkurrenten zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 Abs. 1 ausgelöst werden1. Dies wird damit begründet, dass Aktionäre von der Annahme eines veröffentlichten Angebots schon dann abgehalten werden können, wenn während der Annahmefrist ein weiteres Angebot (ggf. mit höherer Gegenleistung) angekündigt wird. Nach geltender Rechtslage würde sich die Annahmefrist des ersten Angebots nicht verlängern, so dass der erste Bieter auf das angekündigte Angebot nur noch eingeschränkt reagieren könnte (etwa mit Parallelerwerb während der weiteren Annahmefrist seines Angebots), während der zweite Bieter ungleich längere Zeit hätte, sein Angebot zu verbessern2. Wenn man jedoch die Rechtsfolgen des § 22 bereits an die Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 1 anknüpfte, hätte der erste Bieter Chancengleichheit. Dies sind wichtige Überlegungen. Problematisch ist jedoch, dass auf die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gemäß § 10 nicht zwingend ein Angebot nachfolgt3. Daher wäre stattdessen zu erwägen, dem Erstbieter das Recht einzuräumen, die Annahmefrist seines Angebots bis zur Abgabe des anderen Angebots zu verlängern und, wenn dieses Angebot abgegeben wird, die Rechtsfolgen des § 22 Abs. 2 und 3 eintreten zu lassen4.
B. Begriff des konkurrierenden Angebots (§ 22 Abs. 1) 12
§ 22 Abs. 1 enthält die Legaldefinition des Begriffs der konkurrierenden Angebote. Konkurrierende Angebote sind Angebote, die während der Annahmefrist eines Angebots von einem Dritten abgegeben werden.
I. Angebot 13
Nur ein „Angebot“ kann ein konkurrierendes Angebot sein. Angebote sind freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung gemäß WpÜG erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft (§ 2 Abs. 1). Folglich kommen einfache Erwerbsangebote, Übernahmeangebote und Pflichtangebote als konkurrierende Angebote in Frage. Der Paketerwerb und der Erwerb über die Börse sind kein „Angebot“ i.S.d. § 225.
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Um ein konkurrierendes Angebot sein zu können, muss sich das Angebot auf dieselbe Gattung von Wertpapieren wie das ursprüngliche Angebot beziehen6. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, ergibt sich aber aus der (amtlichen) Überschrift des § 22, dem Willen des Gesetzgebers und dem Schutzzweck der Vorschrift. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das konkurrierende Angebot den Wertpapier1 Klemm/Reinhardt, NZG 2007, 281, 285; ähnlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 14. 2 v. Werder/Braun/Fromholzer in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, Kapitel II Rz. 81; Hasselbach in Köln Komm. WpÜG, § 22 Rz. 14; noch anders Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 14 (BaFin könne de lege lata eine solche Veröffentlichung gemäß § 4 verbieten oder Auflagen erteilen). 3 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 200. 4 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 201 f. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 3. 6 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 16; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 11; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 19.
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inhabern der Zielgesellschaft neben der Annahme oder Ablehnung des ursprünglichen Angebots eine weitere Entscheidungsmöglichkeit eröffnet1. Auch der Schutzzweck des § 22 (Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen durch Verlängerung der Annahmefrist, Senkung der Eintrittsbarrieren durch das Rücktrittsrecht) setzt voraus, dass sich das konkurrierende Angebot jedenfalls auch auf die Wertpapiere erstreckt, die vom ursprünglichen Angebot erfasst waren. Der Umfang der Angebote muss nicht identisch sein; jedoch muss es mindestens einen Wertpapierinhaber geben, der zwischen den beiden Angeboten wählen kann2. Folglich können auch zwei Teilangebote verschiedener Bieter (etwa eines für 10 % und eines für 20 %) konkurrierende Angebote sein3. Der Begriff des konkurrierenden Angebots setzt nicht voraus, dass die Gegenleistung 15 des konkurrierenden Angebots die Gegenleistung des ursprünglichen Angebots übersteigt. Ein „besseres“ Angebot ist nicht erforderlich4. Ob das konkurrierende Angebot dem ursprünglichen Angebot vorzuziehen ist, haben allein die Aktionäre zu entscheiden. Im Übrigen gelten für das konkurrierende Angebot die allgemeinen Vorschriften. Ins- 16 besondere hat der konkurrierende Bieter eine Angebotsunterlage zu erstellen, sie der BaFin zur Gestattung der Veröffentlichung vorzulegen und sie nach dieser Gestattung unverzüglich zu veröffentlichen. Zu den Mitteilungspflichten gemäß § 2 Nrn. 9 und 11 WpÜG-AngVO siehe unten Rz. 44 ff. und 64 ff.
II. Eines Dritten Konkurrierende Angebote sind „von einem Dritten“ abgegebene Angebote. Wer „Dritter“ ist, ist nach zutreffender Auffassung allein anhand formaler Kriterien zu bestimmen. „Dritter“ ist demnach jede vom Bieter verschiedene natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personenvereinigung.
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1. Verbundene Unternehmen und gemeinsam handelnde Personen Nach dem vorstehend Gesagten kann „Dritter“ i.S.d. § 22 Abs. 1 auch ein mit dem Bieter verbundenes Unternehmen oder eine mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person sein5. 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50. 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 17; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 11; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 5; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 19 f. 3 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 5; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 7. 4 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 4; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 16; ebenso Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 107; Riehmer/Schröder, BB-Beilage 5/2001, S. 13. Anders noch Art. 14 Übernahmekodex sowie die Regelung in Frankreich (Art. 232-7 Règlement Général AMF); zur (insoweit identischen) Vorgängerregelung Klein/Stucki, RIW 2001, 488. 5 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 5; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 15 ff.; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 142; a.A. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 5 f.; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 17; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 5; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 303; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 8.
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Bei erstem Besehen erscheint dieses Ergebnis wenig sachgerecht. Wenn man lediglich formal abgrenzt, könnte der Bieter, der eine Tochtergesellschaft zur Abgabe eines weiteren Angebots veranlasst, sein eigenes Angebot über die Grenzen des § 21 hinaus ändern und zur Annahme offen halten. Es kommt hinzu, dass dem Bieter die von seinen Tochterunternehmen gehaltenen Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft gemäß § 30 zugerechnet werden1. Dies mögen valide Argumente sein, soweit in Frage steht, ob die BaFin die Veröffentlichung derartiger Angebote gestatten darf. Wie das folgende Beispiel belegt, kann es für Zwecke des § 22 hierauf jedoch nicht ankommen.
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Unterstellt man, es lägen das Angebot des Bieters und ein konkurrierendes Angebot eines fremden Dritten vor, der ursprüngliche Bieter habe daraufhin eine seiner Tochtergesellschaften zur Abgabe eines dritten Angebots veranlasst und die BaFin habe die Veröffentlichung dieses Angebots gestattet, würde die Auffassung, die das Angebot der Tochtergesellschaft nicht als Angebot eines „Dritten“ ansieht, zu dem Ergebnis gelangen, dass das Angebot der Tochtergesellschaft kein konkurrierendes Angebot i.S.d. § 22 Abs. 1 ist. Folglich würde die Synchronisierung der Annahmefristen der beiden ersten Angebote mit diesem dritten Angebot unterbleiben. Wenn also die Tochtergesellschaft für ihr Angebot eine Annahmefrist bestimmt, die nach dem Ablauf der Annahmefristen der beiden ersten Angebote endet, hätte sich der ursprüngliche Bieter – über seine Tochtergesellschaft – genau den taktischen Vorteil gesichert, den der Gesetzgeber mit der Synchronisierung der Annahmefristen unterbinden wollte. Wie sich aus diesem Beispiel ergibt, stünde die Einbeziehung verbundener Unternehmen und gemeinsam handelnder Personen mit dem Schutzzweck des § 22, den Wertpapierinhabern die freie Wahl zwischen den verschiedenen Angeboten zu eröffnen, nicht in Einklang.
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Es kommt hinzu, dass bei nicht offensichtlichem Näheverhältnis zwischen dem ursprünglichen Bieter und dem Dritten Unsicherheit darüber eintreten könnte, ob das Angebot ein konkurrierendes ist oder nicht. Eine Ermächtigung der BaFin, dies für und gegen alle verbindlich festzustellen, besteht nicht. Schließlich hätte die Erwähnung verbundener Unternehmen und gemeinsam handelnder Personen in § 22 Abs. 1 nahe gelegen, wenn der Gesetzgeber diese Personen nicht als Dritte angesehen hätte2.
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Folglich bleibt es bei der formalen Abgrenzung. In Missbrauchsfällen – etwa wenn die Bestimmungen über die Höchstdauer der Annahmefrist (§ 16 Abs. 1 Satz 1) oder die Beschränkung auf eine einmalige Änderung des Angebots während der letzten zwei Wochen der Annahmefrist (§ 21 Abs. 6) durch das Angebot einer mit dem Bieter gemeinsam handelnden Person umgangen werden sollen – hätte die BaFin das Angebot der mit dem Bieter gemeinsam handelnden Person zu untersagen3. 2. Zielgesellschaft
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Die Zielgesellschaft kann nach zutreffender Auffassung „Dritter“ i.S.d. § 22 sein4. Solange die BaFin Angebote zum Rückerwerb eigener Aktien als Anwendungsfall des 1 So im Ergebnis DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 8; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 17; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 303. 2 Zutreffend Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 17 f. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 18. 4 Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 5; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 15 ff.; im Ansatz auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 17; Oechsler in Ehricke/Ek-
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WpÜG behandelte (siehe hierzu § 2 Rz. 38 ff.), konnte ein während der Annahmefrist eines anderen Angebots veröffentlichtes Rückerwerbsangebot der Zielgesellschaft ein konkurrierendes Angebot i.S.d. § 22 sein1. Nachdem die BaFin diese Praxis aufgegeben hat und Angebote zum Rückerwerb eigener Aktien nicht länger als Angebote i.S.d. § 2 Abs. 1 behandelt (siehe hierzu § 2 Rz. 41), können solche Rückerwerbsangebote auch keine konkurrierenden Angebote i.S.d. § 22 Abs. 1 sein2. Das Gegenangebot der Zielgesellschaft auf Aktien des Bieters (pac man defense – 24 hierzu § 33 Rz. 110 f.) wird gemeinhin nicht als konkurrierendes Angebot angesehen3. Teilweise wird dies – unzutreffend – damit begründet, dass die Zielgesellschaft nicht „Dritter“ sein könne4. Entscheidend ist jedoch, dass das ursprüngliche und das konkurrierende Angebote zumindest teilkongruent sein müssen, sich also zumindest teilweise auf den Erwerb derselben Gattung von Wertpapieren richten müssen, da ansonsten der Schutzzweck des § 22 nicht eingreift (siehe oben Rz. 3 ff.)5. Gleichwohl wäre es sachgerecht, die Annahmefristen des ursprünglichen Angebots und des Gegenangebots (gegebenenfalls analog § 22 Abs. 2 oder im Wege einer Gesamtanalogie) zu synchronisieren6, um „Waffengleichheit“ zwischen dem Bieter und der Zielgesellschaft herzustellen7.
III. Abgabe Das konkurrierende Angebot muss abgegeben sein, um die Rechtsfolgen gemäß § 22 Abs. 2 und 3 auszulösen. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Angebotsunterlage gemäß § 14 Abs. 3 veröffentlicht ist8. Die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 Abs. 3 oder die Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin genügen nicht9.
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Das Merkmal der Abgabe ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das konkurrierende Angebot gemäß § 15 untersagt wird. Erfolgt die Untersagung vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage, fehlt es an der Abgabe – die Annahmefrist des ur-
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kenga/Oechsler, § 22 Rz. 5; ebenso für das österreichische Recht Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 6; a.A. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 13; Sohbi in Heidel, § 22 WpÜG Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 5; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 6 (Zielgesellschaft sei „Zweiter“). Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 3; a.A. Wackerbarth in Münch Komm. WpÜG, § 22 Rz. 6. Wackerbarth in Münch Komm. WpÜG, § 2 Rz. 40. So auch Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 200. Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 13; Sohbi in Heidel, § 22 WpÜG Rz. 4; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 5. So auch Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 17. A.A. Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 200. In Frankreich wurde dies im Zuge des Gegenangebots der Elf Aquitaine S.A. an die Aktionäre der TotalFina S.A. diskutiert; vgl. Viandier, OPA-OPE, Ziff. 2087 (keine automatische Synchronisierung gemäß Art. 5-2-7 des damals geltenden Règlement Général du Conseil des Marchés Financiers (CMF), aber Ermessen des CMF gemäß Art. 5-1-13 Règlement Général CMF). Begr. RegE zu § 22 Abs. 3, BT-Drucks. 14/7034, S. 50. Dort wird inzident festgestellt, dass erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden Angebots beide Angebote vorliegen. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 4; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 11; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 14; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 200; kritisch: Klemm/Reinhardt, NZG 2007, 281, 282 und 285.
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sprünglichen Angebots bleibt unbeeinflusst. Erfolgt die Untersagung dagegen nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage, ist das Angebot abgegeben und löst die Rechtsfolgen der § 22 Abs. 2 und 3 aus. Auch § 22 Abs. 2 Satz 2 ist erst anwendbar, nachdem das konkurrierende Angebot abgegeben worden ist1.
IV. Während der Annahmefrist 27
Um ein konkurrierendes Angebot sein zu können, muss das Angebot während der „Annahmefrist“ des ursprünglichen Angebotes abgegeben werden. Diese Frist beginnt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage des ursprünglichen Angebots und endet grundsätzlich an dem vom Bieter festgelegten Termin. Verlängert sich die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots, etwa weil der Bieter das Angebot ändert (§ 21 Abs. 5), ist das Ende der derartig verlängerten Annahmefrist maßgeblich2.
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Die zweiwöchige „weitere Annahmefrist“ gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 ist nicht Teil der in § 22 Abs. 1 angesprochenen Annahmefrist. Während der weiteren Annahmefrist abgegebene Angebote lösen daher weder die Synchronisierung der Annahmefristen gemäß § 22 Abs. 2 noch das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 aus. Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes: Das Gesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen der „Annahmefrist“ gemäß § 16 Abs. 1 und der „weiteren Annahmefrist“ gemäß § 16 Abs. 2 und hält diese Unterscheidung auch an anderer Stelle durch3. Außerdem spricht der Schutzzweck des § 16 Abs. 2 dagegen, die weitere Annahmefrist für Zwecke des § 22 zu berücksichtigen: Die weitere Annahmefrist soll den Wertpapierinhabern, die das ursprüngliche Angebot während der Annahmefrist nicht angenommen haben, die nachträgliche Annahme des Angebots ermöglichen (siehe hierzu § 16 Rz. 28 ff.). Ihr Zweck besteht nicht darin, den Wertpapierinhabern, die das ursprüngliche Angebot schon angenommen haben, eine Rücktrittsmöglichkeit einzuräumen oder Dritte in die Lage zu versetzen, das ursprüngliche Angebot nach Ablauf seiner Annahmefrist noch zum Scheitern zu bringen4. Demnach muss ein weiterer Bieter, der von den Rechtsfolgen des § 22 profitieren will, seine Angebotsunterlage spätestens am letzten Tag der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots veröffentlichen5.
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Am gleichen Tag abgegebene Angebote können ebenfalls konkurrierende Angebote i.S.d. § 22 Abs. 1 sein. Selbst wenn im Einzelfall nicht mehr festzustellen ist, welches Angebot zuerst abgegeben worden ist, steht fest, dass jedenfalls eines der Angebote während der Annahmefrist des anderen Angebots veröffentlicht worden ist6 (zur Bestimmung der Annahmefrist siehe unten Rz. 32). 1 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 15. 2 Oechsler, NZG 2001, 817, 825; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 24 ff.; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 12; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 12. 3 Vgl. etwa § 23 Abs. 1 Nrn. 2 und 3. 4 Oechsler, NZG 2001, 817, 824 f.; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 13; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 6; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 12; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 4; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 25 f. 5 Oechsler, NZG 2001, 817, 824 f.; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 12. 6 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 15; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 15; Sohbi in Heidel, § 22 WpÜG Rz. 3; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 4; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 3; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 28; im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 10.
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Konkurrierende Angebote
C. Synchronisierung der Annahmefristen (§ 22 Abs. 2) I. Allgemeines Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 hat die Abgabe eines konkurrierenden Angebots die Ver- 30 längerung der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots zur Folge, wenn die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots zu einem späteren Zeitpunkt endet, als dies für das ursprüngliche Angebot vorgesehen war. In diesem Fall – der in der Praxis den Regelfall darstellen dürfte – werden die Annahmefristen des ursprünglichen und des konkurrierenden Angebots miteinander synchronisiert. Die Synchronisierung erfolgt kraft Gesetzes mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden Angebots; eine Veröffentlichung des ursprünglichen Bieters über die Verlängerung der Annahmefrist seines Angebots wäre rein deklaratorisch1. In § 22 nicht geregelt ist der Fall, dass die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots 31 vor dem Ablauf der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots endet. In diesem Fall kommt eine Synchronisierung der Annahmefristen grundsätzlich nicht in Betracht2. Im Regelfall hat es der konkurrierende Bieter nämlich in der Hand, die Annahmefrist seines Angebots so zu wählen, dass dem ursprünglichen Bieter kein taktischer Vorteil entsteht. Da § 22 Abs. 2 nicht den Schutz des konkurrierenden Bieters vor sich selbst, sondern die Beseitigung eines möglichen taktischen Nachteils des ursprünglichen Bieters bezweckt, wäre die Synchronisierung der Annahmefristen in diesem Fall nicht erforderlich3. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Wertpapierinhaber nach dem Schutzzweck des § 22 Abs. 2 bis zum Ablauf der jeweils längeren Annahmefrist zur Annahme aller abgegebenen Angebot in der Lage sein sollen4. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Bestimmung nämlich trotz einschlägiger Hinweise und Formulierungsvorschläge5 nicht entsprechend geändert6. Ausnahmsweise kommt eine Synchronisierung in Betracht, wenn mehrere Angebote am gleichen Tag abgegeben werden. Für die Bestimmung des Fristenlaufs beider Angebote wäre grundsätzlich die Feststellung erforderlich, welches das ursprüngliche
1 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 20. 2 Im Ergebnis auch Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 19; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 24; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 18; Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 411; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 311; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 34; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 12; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 142 f.; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 579; a.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 8; wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 7; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 197 f. 3 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425 f.; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 18; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 24; Diekmann in Baums/ Thoma, § 22 Rz. 34; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 12; Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 143; Thaeter/Abbas in Bundesrecht (Loseblatt) – WpÜG, § 22 Rz. 1; a.A. Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 198. 4 So etwa DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425 f. (Rechtsfolge aber wohl nur de lege ferenda); wohl auch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 7; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 12 f. 5 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425 f.; Oechsler, NZG 2001, 817, 825. 6 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 18; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 24.
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Konkurrierende Angebote
und welches das konkurrierende Angebot ist1. Anders als in der vorstehend behandelten Konstellation kann sich in diesem Fall keiner der Bieter auf die Annahmefrist des anderen Bieters einstellen. Außerdem kann im Einzelfall nur unter Schwierigkeiten festzustellen sein, welches das erste Angebot ist; selbst der Fall nachweislich gleichzeitig veröffentlichter Angebote ist denkbar. Hier würde der Schutzzweck des § 22 nahe legen, nicht die Zufälligkeit der Veröffentlichungsreihenfolge über den Fristenlauf entscheiden zu lassen, sondern das Angebot mit der längeren Annahmefrist als das konkurrierende Angebot zu behandeln und die Annahmefrist des anderen Angebots entsprechend anzugleichen2. 33
Werden während eines laufenden Angebots mehrere konkurrierende Angebote abgegeben, verlängern sich die Annahmefristen der bereits laufenden Angebote gemäß dem oben Rz. 30 dargestellten Grundsatz, sofern die Annahmefrist des zuletzt veröffentlichten Angebots nach dem Ende der Annahmefristen der bisher vorliegenden Angebote abläuft. Insoweit können mehrmalige Verlängerungen der Annahmefrist gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 eintreten.
II. Änderungen der Angebote 1. Verlängerung der Annahmefristen 34
Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 verlängert sich die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots auch dann, wenn das konkurrierende Angebot geändert wird. a) Änderung des konkurrierenden Angebots
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Aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 2 ergibt sich unmittelbar, dass sich die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots verlängert, wenn das konkurrierende Angebot geändert wird und infolgedessen gemäß § 21 Abs. 5 eine Verlängerung der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots eintritt. Die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots verlängert sich auch dann, wenn die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots zunächst vor dem Ende der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots abgelaufen und damit zunächst keine Synchronisierung der Angebotsfristen eingetreten wäre (siehe oben Rz. 31), jedoch sich die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots gemäß § 21 Abs. 5 verlängert, was zur Folge hätte, dass die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots nach dem Ablauf der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots enden würde3. b) Änderung des ursprünglichen Angebots
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In § 22 Abs. 2 Satz 2 nicht geregelt ist dagegen der Fall, dass das ursprüngliche Angebot geändert wird. Dass dieser Fall gleich im Zusammenhang mit dem ersten konkurrierenden Angebot praktisch wurde4, war vorherzusehen, denn die Verbesserung 1 Für das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 ist dies unerheblich, da es bei taggleicher Veröffentlichung kaum zur Annahme eines der Angebote durch Wertpapierinhaber gekommen sein kann; vgl. Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 21. 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 21; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 15, 25; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 4, 7; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 19; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 37. 3 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 23; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 19. 4 Geändertes Angebot MEIF II Energie Beteiligungen GmbH & Co. KG/Techem AG vom 11.1.2007.
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des Angebots (etwa durch die Erhöhung der Gegenleistung oder den Verzicht auf Bedingungen) ist eine nahe liegende Reaktion des ursprünglichen Bieters auf das konkurrierende Angebot. Erfolgt diese Änderung in den letzten zwei Wochen der (synchronisierten) Annahmefrist, verlängert sich gemäß § 21 Abs. 5 die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots. Diese Verlängerung bliebe aber nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 ohne Auswirkung auf die Laufzeit des konkurrierenden Angebots – weder die Voraussetzungen seines Satzes 1 noch die seines Satzes 2 sind erfüllt, weil die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots nicht vor Ablauf der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots endet. Da der Gesetzgeber den Vorschlag, dass sich die Annahmefristen bei konkurrierenden Angeboten stets nach der längsten Annahmefrist richten sollten1, nicht gefolgt ist, wird teilweise vertreten, dass die Verlängerung der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots für das konkurrierende Angebot keine Folgen habe2. Diese Ansicht ist abzulehnen. Auf ihrer Grundlage fiele dem ursprünglichen Bieter 37 ein erheblicher taktischer Vorteil zu: Er könnte sein Angebot im letztmöglichen Zeitpunkt der synchronisierten Annahmefrist noch ändern, ohne dass dem konkurrierenden Bieter noch die Zeit bliebe, hierauf angemessen zu reagieren. Es ist evident, dass dieses Ergebnis dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 2 und der Absicht des Gesetzgebers widerspricht. Gleiche Rahmenbedingungen für beide Angebote lassen sich nur erreichen, wenn auch die Verlängerung der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots über das Ende der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots hinaus zur Synchronisierung der Annahmefristen führt. Hiernach ist davon auszugehen, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die durch Analogie zu § 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 zu schließen ist3. Die BaFin hat daher im Bieterkampf um die Techem AG zutreffend entschieden, dass die gemäß § 21 Abs. 5 eintretende Verlängerung der Annahmefrist des ersten Angebots eine entsprechende Verlängerung der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots nach sich zieht4. 2. Mehrfachänderungen Ebenfalls nicht geregelt ist die Frage, ob nach der Änderung eines Angebots und der 38 hierdurch bewirkten Verlängerung beider Annahmefristen wiederum die Möglichkeit besteht, das Angebot zu ändern und damit gemäß § 21 Abs. 5 wiederum eine Verlängerung der (synchronisierten) Annahmefristen zu bewirken. Insofern ist zu unterscheiden: Der Bieter, der sein Angebot zuletzt geändert und hiermit die Verlängerung der synchronisierten Annahmefristen verursacht hat, ist wegen § 21 Abs. 6 an der erneuten Änderung seines Angebots gehindert. Der Bieter, der sein Angebot zuletzt nicht geändert hat, ist dagegen nicht gemäß § 21 Abs. 6 gesperrt: Zunächst verwirklicht er 1 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 425 f. 2 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 18; widersprüchlich Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 316, 318. 3 So im Ergebnis auch Oechsler, NZG 2001, 817, 825; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 7; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 26 f.; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 8; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 16; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 36; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 27 (anders noch in der Vorauflage); Bachmann in Mülbert/ Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 197; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 579. 4 BaFin Jahresbericht 2007, S. 191 f.
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nicht die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6, weil er sich nicht „innerhalb der in (§ 21) Absatz 5 genannten Frist“, sondern innerhalb der gemäß bzw. analog § 22 Abs. 2 verlängerten Frist befindet. Außerdem soll er nach Sinn und Zweck des § 22 Abs. 2 gerade in der Lage sein, auf das verbesserte Angebot des anderen Bieters mit einer Verbesserung des eigenen Angebots zu reagieren. Die Bieter können sich also abwechselnd überbieten1. Nach anderer Ansicht soll der Bieter, dessen Änderung die Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 21 Abs. 5 ausgelöst hat, an weiteren Änderungen seines Angebots gemäß § 21 Abs. 6 gehindert sein; der andere Bieter soll berechtigt sein, sein Angebot zu ändern, aber entsprechend dem Rechtsgedanken des § 21 Abs. 6 nur noch einmal2. Diese Ansicht erscheint wenig überzeugend, weil sie den Bieter, der sein Angebot zuerst ändert und dadurch die Verlängerung der Annahmefrist auslöst, ohne sachlichen Grund benachteiligt – er kann nicht mehr reagieren, wenn der andere Bieter sein Angebot noch ändert3. Zudem sperrt sie den Bieter, der sein Angebot zuerst ändert, gegen den Wortlaut des § 21 Abs. 6 auch noch nach Ablauf der durch ihn ausgelösten Zweiwochenfrist, wenn der andere Bieter sein Angebot ändert und sich deswegen die Annahmefrist des Angebots des zuerst ändernden Bieters gemäß § 22 Abs. 2 (analog) verlängert. Nach noch anderer Ansicht soll die von einem Bieter ausgelöste Änderungssperre gemäß § 21 Abs. 6 für beide Angebote gelten – mit der Folge, dass keiner der Bieter sein Angebot ändern kann, wenn die gemäß § 21 Abs. 5 verlängerte Annahmefrist angelaufen ist4. Auch diese Ansicht erscheint wenig überzeugend, weil sie den Bieter, der sein Angebot zuerst ändert, ohne sachlich gerechtfertigten Grund bevorzugt – er hätte das „letzte Wort“ und könnte seinen Konkurrenten überbieten, ohne dass dieser ihn noch übertrumpfen könnte5. Zudem widerspricht sie dem Wortlaut des § 21 Abs. 6: Die Vorschrift nimmt die Änderung „des Angebots“ in Bezug und meint damit das Angebot, das die Fristverlängerung gemäß § 21 Abs. 5 ausgelöst hat, nicht aber das Angebot eines Konkurrenten6. Demnach ist mit dem Wortlaut des § 21 Abs. 6 und dem Sinn und Zweck des § 22 (hierzu Rz. 3 ff.) nur die Lösung vereinbar, die es den konkurrierenden Bietern ermöglicht, sich abwechselnd zu überbieten. 40
Auch wenn die Erfahrungen aus den USA belegen, dass der Prozess des gegenseitigen Überbietens in aller Regel spätestens nach jeweils einer Angebotsverbesserung zum Stillstand kommt7, wäre es theoretisch möglich, dass dieses gegenseitige Überbieten unbegrenzt fortdauert und die Zielgesellschaft somit auf unbestimmte Zeit „belagert“ und ihre Verwaltung gemäß § 27 zu Stellungnahmen zu jeder Änderung der An1 So auch Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 30 f.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 59 u. § 22 Rz. 28; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 24; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 43; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 7; Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1797, 1801; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 581. 2 Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 21; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 54; Diekmann in Baums/Thoma, § 21 Rz. 74 (aber a.A. § 22 Rz. 43); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 17 (aber a.A. in Rz. 30); konjunktivisch auch Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 32 (aber a.A. in Rz. 30). 3 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 209. 4 Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 146; Bachmann in Mülbert/Kiem/ Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 209 f. 5 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 18. 6 Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1797. 7 Soweit ersichtlich, blieben Bietergefechte wie der Kampf der Viacom Inc. und der QVC Networks Inc. um die Paramount Communications Inc. aus dem Jahr 1993, in dessen Verlauf Viacom ihr Angebot zweimal und QVC einmal erhöhten, eine seltene Ausnahme; zu dieser „Übernahmeschlacht“ vgl. Bungert, AG 1994, 297, 298.
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Konkurrierende Angebote
gebote gezwungen wird. Dieser Konflikt zwischen dem Interesse der Zielgesellschaft (an einer raschen Durchführung des Angebotsverfahrens) einerseits und den Interessen der Bieter (an gleichen Ausgangsbedingungen) und der Wertpapierinhaber (an einer Verbesserung der Gegenleistung) andererseits lässt sich mit folgendem Zweistufenmodell interessengerecht auflösen: Auf der ersten Stufe wird den Interessen der Bieter und der Wertpapierinhaber Vorrang gegeben. Nur wenn sich die jeweiligen Bieter gegenseitig überbieten können, ist der Erfolg des materiell besten Angebots gewährleistet. Der Erfolg des materiell besten Angebots ist aus Gründen der optimalen Ressourcenallokation, wegen der Interessen der Wertpapierinhaber an der Veräußerung zu den besten Bedingungen und wegen der Interessen der Bieter, allein aufgrund des materiell besten Angebots obsiegen zu können, sachgerecht. Weil die miteinander konkurrierenden Bieter in der Praxis nicht über unbegrenzte Mittel verfügen und daher nur begrenzte Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Angebote besitzen werden, ist zu erwarten, dass das Hin und Her wechselseitiger fristverlängernder Änderungen irgendwann zum Stillstand kommt. Daher erscheint es auch vor dem Hintergrund des Beschleunigungsinteresses der Zielgesellschaft vertretbar, dass die Interessen der Bieter und der Wertpapierinhaber auf der ersten Stufe Vorrang haben. Die zweite Stufe wird ausgelöst, wenn sich der Bieterkampf so extrem in die Länge zieht, dass die Gebote, Übernahmeverfahren rasch durchzuführen (§ 3 Abs. 4 Satz 1) und die Zielgesellschaft nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern (§ 3 Abs. 4 Satz 2), nicht mehr eingehalten werden. Dies ist ein Missstand, gegen den die BaFin mit geeigneten Anordnungen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 bzw. § 15 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 21 Abs. 3 einschreiten kann1. Wann die Schwelle zum Exzess überschritten ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Weil es seit Inkrafttreten des WpÜG nur zwei konkurrierende Angebote gegeben und in deren Rahmen ein exzessives Wettbieten nicht stattgefunden hat, konnte die BaFin noch keine Verwaltungspraxis zu dieser Thematik entwickeln2. 3. Parallel- und Nacherwerb Die Gegenleistung kann sich nicht nur durch privatautonome Änderung des Ange- 40a bots gemäß § 21 Abs. 1, sondern auch durch Parallelerwerb zu einer höheren als der in der Angebotsunterlage versprochenen Gegenleistung und der hieran anknüpfenden gesetzlichen Anordnung des § 31 Abs. 4 erhöhen. Bieter bevorzugen diesen Weg, weil sie nach der Verwaltungspraxis der BaFin3 dann keine Änderung des Angebots veröffentlichen und keine Finanzierungsbestätigung über den Erhöhungsbetrag vorlegen müssen. Diese Praxis konnte auch schon im Rahmen konkurrierender Angebo1 Eingehend Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1800; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 45 f.; in diese Richtung auch Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 16; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 10; a.A. Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 211. 2 Strunk/Salomon/Host in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 21; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 581. Weiterführende Überlegungen bei Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1798 ff. 3 BaFin Jahresbericht 2007, S. 192 (betreffend den Bieterkampf um die REpower Systems AG); Strunk/Salomon/Host in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 19 f.; ebenso die h.M.: Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 53 f.; Diekmann in Baums/ Thoma, § 21 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 23; Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 21 Rz. 50; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 16; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 21 Rz. 13; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 150; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 580; dezidiert a.A. Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 151 ff.
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te beobachtet werden1. Diese Art der Erhöhung der Gegenleistung löst weder ein Rücktrittsrecht gemäß § 21 Abs. 4 noch eine Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 21 Abs. 5 und auch keine Änderungssperre gemäß § 21 Abs. 6 aus; die Zielgesellschaft ist nicht verpflichtet, zu derartigen Erhöhungen der Gegenleistung gemäß § 27 Stellung zu nehmen2. Weil die Erhöhung der Gegenleistung durch Parallelerwerb kein Rücktrittsrecht gemäß § 21 Abs. 4 auslöst, sind Aktionäre, die das Angebot des Bieterkonkurrenten angenommen haben, an ihre Annahmeerklärungen gebunden und können das durch Parallelerwerb erhöhte Angebot nicht annehmen3. Der Weg zur höheren Gegenleistung wird ihnen nur eröffnet, wenn der obsiegende und der unterlegene Bieter beschließen, in einer Art und Weise zu kooperieren, durch die sie zu gemeinsam handelnden Personen i.S.d. § 2 Abs. 5 werden4. 40b Der Nacherwerb zu einer höheren als der in der Angebotsunterlage versprochenen Gegenleistung – etwa während der weiteren Annahmefrist – hat im Ergebnis dieselben Folgen. Die den Aktionären geschuldete Geldleistung setzt sich dann aus der gemäß Angebot geschuldeten Gegenleistung und dem gemäß § 31 Abs. 5 geschuldeten Erhöhungsbetrag zusammen.
III. Untersagung oder Verstoß gegen Rechtsvorschriften 41
Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 erfolgt die Synchronisierung der Annahmefristen auch dann, wenn das konkurrierende Angebot untersagt wird oder gegen Rechtsvorschriften verstößt. Die – im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens kritisierte5 – Vorschrift dient der Rechtssicherheit: Sie will vermeiden, dass Zweifel über die Zulässigkeit eines konkurrierenden Angebots zu Unsicherheiten bei der Bestimmung des Ablaufs der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots führen6.
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Die Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 setzt allerdings ein konkurrierendes Angebot voraus; hierfür wiederum ist Voraussetzung, dass eine entsprechende Angebotsunterlage veröffentlicht wurde. Eine Synchronisierung der Annahmefristen gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 kommt also nur in Betracht, wenn die Untersagung durch die BaFin nach der Abgabe des konkurrierenden Angebots (d.h. nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage) erfolgt7.
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Wird ein konkurrierendes Angebot ohne Gestattung der BaFin veröffentlicht, dürfte ein Missstand gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 vorliegen. In einem solchen Fall wird man die BaFin für ermächtigt halten müssen, nicht nur die Untersagung des Angebots (§ 15), sondern auch die Nichtverlängerung der Annahmefrist mit Wirkung für und gegen alle verfügen zu können8.
1 Die Bieterkonkurrenten AREVA und Suzlon Energy erhöhten ihre Angebote jeweils einmal durch Parallelerwerb. 2 Vgl. BaFin Jahresbericht 2007, S. 192; dezidiert a.A. Rothenfußer/Friese-Dormann/Rieger, AG 2007, 137, 153. 3 BaFin Jahresbericht 2007, S. 192. 4 BaFin Jahresbericht 2007, S. 192. 5 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 426; Schüppen, WPg 2001, 958, 964 f. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50. 7 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 33; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 19; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 32; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 42. 8 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 14.
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IV. Mitteilungspflicht gemäß § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO Gemäß § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO ist jeder Bieter verpflichtet, in der Angebotsunterlage auf die mögliche Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 22 Abs. 2 hinzuweisen. Der ursprüngliche Bieter kann diesen Hinweis nur abstrakt geben, da bei Veröffentlichung seines Angebots nicht abzusehen ist, ob während der Annahmefrist ein konkurrierendes Angebot abgegeben wird und wann dessen Annahmefrist abläuft.
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Ob der konkurrierende Bieter den Wertpapierinhabern in seiner Angebotsunterlage 45 mitteilen muss, dass sich die Annahmefrist des ursprünglichen Angebots gemäß § 22 Abs. 2 verlängert, ist umstritten. Nach zutreffender Auffassung lässt sich indes eine derartige Verpflichtung aus § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO nicht herleiten, da die Vorschrift dem Bieter nur einen abstrakten Hinweis auf die Verlängerung der Annahmefrist seines eigenen Angebots abverlangt1. Selbstverständlich bleibt es dem Bieter unbenommen, auf diese Folgen konkret hinzuweisen2. Wenn man davon ausgeht, dass der Bieter zur Aktualisierung wesentlicher Angaben 46 in der Angebotsunterlage verpflichtet ist, soweit diese Angaben nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage unrichtig geworden sind (siehe hierzu § 11 Rz. 50), erscheint es konsequent anzunehmen, dass der Bieter in einer Veröffentlichung auf die Verlängerung der Annahmefrist seines Angebots durch das konkurrierende Angebot hinweisen muss3. Diese Veröffentlichung ist jedoch nur deklaratorischer Natur; die Fristverlängerung tritt auch ohne die Veröffentlichung ein.
D. Rücktrittsrecht (§ 22 Abs. 3) § 22 Abs. 3 gewährt den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft, die das ursprüng- 47 liche Angebot angenommen haben, ein gesetzliches Rücktrittsrecht, wenn ein konkurrierendes Angebot abgegeben wird. Diese Regelung bildet die Grundlage dafür, dass sich die Wertpapierinhaber zwischen verschiedenen Angeboten frei entscheiden und anstelle des ursprünglichen Angebots das konkurrierende, möglicherweise „bessere“ Angebot annehmen können4.
I. Voraussetzungen Rücktrittsberechtigt sind die „Inhaber von Wertpapieren“, die das ursprüngliche An- 48 gebot angenommen haben. Bei streng am Wortlaut orientierter Auslegung würde dies bedeuten, dass die Rücktrittsberechtigung entfällt, sobald der Bieter das Eigentum an den angedienten Wertpapieren erworben hat; dann nämlich wären die Zurücktretenden bei Ausübung des Rücktrittsrechts nicht mehr Inhaber der Wertpapiere. Nach
1 Ähnlich Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 20; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 33; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 39; a.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 2 (für Hinweis auf die das ursprüngliche Angebot treffenden Rechtsfolgen). 2 Vgl. Angebotsunterlage Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG vom 14.12.2006 (S. 7); Angebotsunterlage Suzlon Windenergie GmbH/REpower Systems AG vom 28.2.2007 (S. 7). 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 40. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 34; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 11; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 21; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des WpÜG bereits Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 106 ff.
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dem Schutzzweck des § 22 kann es hierauf jedoch nicht ankommen1. Das Ergebnis einer streng am Wortlaut orientierten Auslegung erscheint auch für den Fall korrekturbedürftig, dass der Wertpapierinhaber, der das Angebot angenommen hat, seine Aktien an der Börse weiterveräußert2. Hier muss das Rücktrittsrecht auf den Erwerber übergehen, auch wenn er nicht der Inhaber von Wertpapieren ist, der das ursprüngliche Angebot angenommen hat. 49
Das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 setzt voraus, dass der Vertragsschluss – d.h. die Annahme des ursprünglichen Angebots – vor Veröffentlichung des konkurrierenden Angebots erfolgte3. Auf die Kenntnis des annehmenden Wertpapierinhabers von dem konkurrierenden Angebot kommt es nicht an4. Erfolgt der Vertragsschluss nach der Veröffentlichung des konkurrierenden Angebots, besteht für dieses Rücktrittsrecht kein Bedürfnis, weil sich die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, wenn beide Angebote vorliegen, in Kenntnis aller Umstände für eines der beiden Angebote entscheiden können5.
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Der „Vertragsschluss“ setzt nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen den Zugang der Annahmeerklärung des Wertpapierinhabers beim Bieter bzw. seinen Bevollmächtigten voraus. Der Schutzzweck des § 22 Abs. 3 gebietet allerdings, insoweit nicht auf den Zugang der Annahmeerklärung beim Bieter, sondern auf die Abgabe der Annahmeerklärung durch den Wertpapierinhaber abzustellen6: Weil der Wertpapierinhaber seine Annahmeerklärung regelmäßig an seine Depotbank übermittelt und diese mit der Weiterleitung der Annahmeerklärung an den Bieter bzw. dessen Empfangsbevollmächtigte beauftragt, der Zugang beim Empfangsbevollmächtigten des Bieters aber regelmäßig erst einige Tage nach Abgabe der Annahmeerklärung erfolgt, würde ein Wertpapierinhaber, wenn das konkurrierende Angebot zwischen Abgabe und Zugang seiner Annahmeerklärung veröffentlicht wird, an dem Vertragsschluss mit dem ursprünglichen Bieter festgehalten, ohne dass er sich bei Abgabe seiner Annahmeerklärung in Kenntnis aller Umstände für eines der beiden Angebote hätte entscheiden können. Dies spricht dafür, auf die Abgabe der Annahmeerklärung abzustellen. Selbst wenn der Wertpapierinhaber positive Kenntnis davon hätte, dass die Abgabe eines konkurrierenden Angebots bevorsteht (etwa weil der konkurrierende Bieter seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots gemäß § 10 Abs. 3 veröffentlicht hat), wäre er für Zwecke des § 22 Abs. 3 schutzwürdig: Weil nämlich der konkurrierende Bieter die Konditionen seines Angebots in der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 noch nicht offen legen muss (siehe § 10 Rz. 47), wird der Wertpapierinha1 Zutreffend Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 16; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 17; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 48. 2 Bieter treffen für diesen Fall regelmäßig Vorsorge, indem sie für die angedienten Aktien eine separate Wertpapierkennnummer (ISIN) beantragen und die angedienten Aktien entsprechend umbuchen lassen; bis zur Abwicklung des Angebots werden dann wertpapiertechnisch zwei Gattungen der Wertpapiere der Zielgesellschaft gehandelt („angediente“ und „nicht angediente“). 3 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 35; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 21; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 35. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 35. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 14; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 21. 6 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 36; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 35; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 11; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 323; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 50 ff.; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 23.
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ber die vollständige Kenntnis der Sachlage regelmäßig erst mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden Angebots erwerben können1. Das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 wird auch dadurch abgelöst, dass innerhalb 51 der (gegebenenfalls gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 verlängerten) Annahmefrist des ersten Angebots ein drittes Angebot abgegeben wird2. Von diesem Rücktrittsrecht können auch die Wertpapierinhaber Gebrauch machen, die das erste Angebot nach der Abgabe des zweiten Angebots angenommen haben. Wenn der Rücktritt wirksam geworden ist, können sie auch das zweite Angebot annehmen, da es ihnen dann freisteht, welches Angebot sie annehmen wollen.
II. Rücktrittsrecht bei Änderungen § 22 Abs. 3 regelt den Rücktritt vom ursprünglichen Angebot, wenn ein konkurrierendes Angebot abgegeben worden ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob auch ein Rücktritt vom konkurrierenden Angebot möglich ist. Insoweit sind verschiedene Konstellationen denkbar:
52
Der Fall, dass zunächst ein Wertpapierinhaber das konkurrierende Angebot ange- 53 nommen hat, danach der ursprüngliche Bieter das konkurrierende Angebot überbietet und der Wertpapierinhaber vom konkurrierenden Angebot zurücktreten will, ist in § 22 Abs. 3 nicht geregelt; die Vorschrift regelt nur den Rücktritt vom ursprünglichen Angebot. Auch § 21 Abs. 4 ist nicht anwendbar, weil diese Vorschrift nur den Rücktritt von dem geänderten Angebot ermöglicht. Der Wertpapierinhaber könnte demnach das bessere Angebot des ursprünglichen Bieters nicht annehmen – ein Ergebnis, das dem gesetzgeberischen Willen kaum entsprechen dürfte. Wenn gleiche Ausgangsbedingungen für die konkurrierenden Angebote herrschen und sich die Wertpapierinhaber in Kenntnis aller Umstände endgültig für eines der beiden Angebote entscheiden können sollen3, wäre den Wertpapierinhabern der Rücktritt vom konkurrierenden Angebot analog § 22 Abs. 3 zu ermöglichen4. Dieses Ergebnis entspricht der Verwaltungspraxis der BaFin, die in der beschriebenen Konstellation den Wertpapierinhabern, die das konkurrierende Angebot angenommen haben, ein Rücktrittsrecht einräumt5. Der Fall, dass zunächst der Wertpapierinhaber in Kenntnis beider Angebote das ursprüngliche Angebot angenommen hat und danach der konkurrierende Bieter sein Angebot ändert, ist in § 22 Abs. 3 ebenfalls nicht geregelt; § 22 Abs. 3 ermöglicht den Rücktritt vom ursprünglichen Angebot nur dann, wenn die Annahme des ursprünglichen Angebots vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage des konkurrierenden 1 2 3 4
A.A. Tröger, DZWiR 2002, 353, 361 (Fn. 90). Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 36. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50. Oechsler, NZG 2001, 817, 825; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 51; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 17; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 19; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 20; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 59 ff.; Strunk/Salomon/Host in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 18; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 198 f.; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 579; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 40 (keine Analogie, da Wertpapierinhaber mit der Annahme bis zum letzten Tag der Annahmefrist warten können sowie oftmals entsprechende Rücktrittsrechte freiwillig eingeräumt werden). 5 BaFin Jahresbericht 2007, S. 192 (betreffend den Bieterkampf um die Techem AG).
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Angebots erfolgte. § 21 Abs. 4 ermöglicht nur den Rücktritt vom geänderten, nicht aber vom jeweils anderen Angebot. Folglich hätte der Wertpapierinhaber auch in dieser Konstellation kein Rücktrittsrecht, wenn man sich am Wortlaut des Gesetzes festhielte. Um das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, müsste dem Wertpapierinhaber auch in dieser Konstellation analog § 22 Abs. 3 der Rücktritt ermöglicht werden1. Dieses Ergebnis entspricht ebenfalls der Verwaltungspraxis der BaFin2. 54a Der Fall, dass der Wertpapierinhaber ein Angebot angenommen hat und der Bieter des anderen Angebots die Gegenleistung seines Angebots durch Parallelerwerb zu einer höheren als der in seiner Angebotsunterlage versprochenen Gegenleistung erhöht (§ 31 Abs. 4), ist nach der Verwaltungspraxis der BaFin und der h.M. kein Anwendungsfall des § 21 und daher keine Änderung des Angebots (siehe oben Rz. 40a). Demnach löst derartiger Parallelerwerb auch kein Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 aus. Für den Nacherwerb gilt dies entsprechend.
III. Ausübung des Rücktrittsrechts 55
Die Ausübung des Rücktrittsrechts erfolgt durch Rücktrittserklärung. Dies ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung3; die Rücktrittserklärung muss dem Bieter also zugehen, um wirksam zu werden.
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Ob der Rücktritt in Bezug auf alle von der Annahmeerklärung umfassten Wertpapiere erklärt werden muss oder auch ein Teilrücktritt möglich ist, ist im Gesetz nicht geregelt. Da der Wertpapierinhaber frei entscheiden kann, mit wie vielen seiner Wertpapiere er das Angebot annimmt, sollte er auch frei entscheiden können, in welchem Umfang er sein Rücktrittsrecht ausübt4. Der Wortlaut („vom Vertrag zurücktreten“) steht dem nicht entgegen; dass die Grundsätze des § 3 oder Sinn und Zweck des § 22 dem Teilrücktritt entgegenstehen, ist nicht erkennbar. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnte der Wertpapierinhaber das Ergebnis eines Teilrücktritts erreichen, indem er zunächst vollständig zurücktritt und dem Bieter sodann eine geringere Zahl von Wertpapieren andient.
57
Gleichermaßen ist nicht ersichtlich, weswegen es dem Bieter nicht freistehen soll, in der Angebotsunterlage zu regeln, dass der Rücktritt nur für alle von der Annahmeerklärung umfassten Wertpapiere erklärt werden kann. Ob man hierin (im Ergebnis unzutreffend) eine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB sehen will, kann dahinstehen, denn bei der Angebotsunterlage handelt es sich nach zutreffender Ansicht nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen (näher § 11 Rz. 27 ff.)
58
§ 22 Abs. 3 bestimmt keinen Empfänger der Rücktrittserklärung. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen würde dies bedeuten, dass die Rücktrittserklärung dem Bieter bzw. einem seiner Bevollmächtigten zugehen muss. Der Bieter darf nach erweiternder Auslegung des § 2 Nr. 11 WpÜG-AngVO (nach anderer Auffassung nach § 2 Nr. 4 analog) den Empfänger der Rücktrittserklärung in der Angebotsunterlage
1 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 51; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 22 WpÜG Rz. 20; Schiessl in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 569, 579 f.; a.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 40. 2 BaFin Jahresbericht 2007, S. 192 (betreffend den Bieterkampf um die Techem AG). 3 Heinrichs in Palandt, § 349 BGB Rz. 1. 4 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 53 und § 21 Rz. 64; Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 45 (a.A. Voraufl.).
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bezeichnen, sofern dies das Rücktrittsrecht der Wertpapierinhaber nicht unangemessen beeinträchtigt1. Das Rücktrittsrecht muss bis zum Ablauf der (gegebenenfalls gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 verlängerten) Annahmefrist des ursprünglichen Angebots ausgeübt werden. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bedeutet dies, dass die Rücktrittserklärung dem Bieter bzw. seinem Bevollmächtigten bis zum Ende der Annahmefrist zugegangen sein muss2.
59
Eine besondere Form der Rücktrittserklärung ist nicht vorgeschrieben. Solange in der 60 Angebotsunterlage keine Regelungen getroffen werden, gelten die allgemeinen Regeln, d.h. der Rücktritt kann gegenüber dem Bieter ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder mündlich erklärt werden. Zur organisatorischen Vereinfachung wird es sich regelmäßig empfehlen, die näheren Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts in der Angebotsunterlage zu regeln. Wenn man die Angebotsunterlage – entgegen der hier vertretenen Auffassung (siehe § 11 Rz. 27 ff.) – als Allgemeine Geschäftsbedingungen ansähe3, dürfte die Erklärung des Rücktritts gegenüber der Erklärung der Annahme nicht derartig erschwert werden, dass das Rücktrittsrecht der Wertpapierinhaber unangemessen beeinträchtigt wird4. In der Praxis wird regelmäßig der Adressat für die Entgegennahme der Rücktrittserklärung bestimmt und die Rücktrittserklärung an die Schrift- oder Textform gebunden5. Als zusätzliche Alternative kann der Bieter auch die elektronische Form bzw. E-Mail zulassen6; als ausschließliche Form dürfte dies jedoch – bei unterstellter Anwendung der §§ 305 ff. BGB – gegen § 309 Nr. 13 BGB verstoßen7. In der Praxis wird für die Annahme des Angebots häufig auf die Umbuchung der be- 61 troffenen Wertpapiere in eine gesonderte Wertpapier-Identifikationsnummer (ISIN8) abgestellt. Gleichermaßen wird für die Wirksamkeit des Rücktritts häufig auf die Rückbuchung der Wertpapiere in die ursprüngliche Wertpapier-Identifikationsnummer abgehoben. Auch wenn man (unzutreffend) die Angebotsunterlage als Allgemeine Geschäftsbedingungen ansähe, würde ein gemäß § 309 Nr. 13 BGB unzulässiges besonderes Zugangserfordernis hierdurch nicht begründet. Vor dem Hintergrund der praktischen Notwendigkeiten der Durchführung und Abwicklung von öffentlichen Angeboten ist diese Vorschrift einschränkend dahin auszulegen, dass die Bindung der Rücktrittserklärung an eine strengere Form als die Schriftform und an besondere Zugangserfordernisse zulässig ist, wenn die Annahmeerklärung denselben Erfordernissen unterworfen ist9.
1 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 44; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 38. 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 39 f.; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 37; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 324; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 57. 3 Geibel/Süßmann in Geibel/Süßmann, § 11 Rz. 3; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 22 Rz. 23. 4 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 43; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 38; Wackerbarth in Münch Komm. WpÜG, § 22 Rz. 25. 5 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 42; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 38; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 55. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 55. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 38. 8 Näher zur ISIN Heidelbach in Schwark/Zimmer, § 32 BörsG Rz. 27. 9 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 56.
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IV. Rechtsfolgen der Ausübung des Rücktrittsrechts 62
Mit der Ausübung des Rücktrittsrechts verwandelt sich der zwischen dem Bieter und dem Wertpapierinhaber geschlossene Kauf- bzw. Tauschvertrag gemäß § 346 BGB in ein Abwicklungsverhältnis. Solange der Leistungsaustausch noch nicht stattgefunden hat, hat es mit der Aufhebung der vertraglichen Verpflichtungen sein Bewenden. Sollten die Wertpapiere ausnahmsweise bereits an den Bieter übereignet worden sein, hätte dieser sie zusammen mit zwischenzeitlich empfangenen Dividenden (§§ 100, 99 Abs. 2 BGB) unverzüglich Zug um Zug gegen Rückgewähr der vom Wertpapierinhaber etwa schon empfangenen Gegenleistung zurückzuübertragen. Der Bieter kann sich in der Angebotsunterlage vorbehalten, dass der zurücktretende Wertpapierinhaber die dem Bieter durch den Rücktritt entstandenen Aufwendungen zu ersetzen hat1. Weitergehende Zahlungen darf der Bieter nicht verlangen, da hierdurch die Ausübung des Rücktrittsrechts unzulässig erschwert und der Schutzzweck des § 22 unterlaufen werden könnte.
63
Soweit in der Angebotsunterlage nichts Abweichendes geregelt ist, trägt die mit dem Rücktritt verbundenen Transaktionskosten (Bankspesen, Portokosten etc.) der zurücktretende Wertpapierinhaber. Dies gilt auch dann, wenn sich der Bieter in der Angebotsunterlage verpflichtet hat, die den Wertpapierinhabern durch die Annahme des Angebots entstehenden Transaktionskosten zu ersetzen. Gesetzlich geboten ist lediglich, dass der Bieter den Wertpapierinhabern den Rücktritt nicht unangemessen erschweren darf, weil anderenfalls der Schutzzweck des § 22 unterlaufen werden könnte. Dagegen ist der Bieter nicht verpflichtet, den Wertpapierinhabern den Rücktritt zu erleichtern2.
V. Mitteilungspflicht gemäß § 2 Nr. 11 WpÜG-AngVO 64
Gemäß § 2 Nr. 9 WpÜG-AngVO ist jeder Bieter verpflichtet, in der Angebotsunterlage auf das Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 hinzuweisen. Der ursprüngliche Bieter kann diesen Hinweis nur abstrakt geben, da bei Veröffentlichung seines Angebots nicht abzusehen ist, ob während der Annahmefrist ein konkurrierendes Angebot abgegeben wird.
65
Ob der konkurrierende Bieter den Wertpapierinhabern in seiner Angebotsunterlage mitteilen muss, dass sie berechtigt sind, gemäß § 22 Abs. 3 vom ursprünglichen Angebot zurückzutreten, ist umstritten. Nach zutreffender Auffassung lässt sich indes eine derartige Verpflichtung aus § 2 Nr. 11 WpÜG-AngVO nicht herleiten, da die Vorschrift dem Bieter nur einen abstrakten Hinweis auf das Recht zum Rücktritt von der Annahme seines eigenen Angebots abverlangt3. In der Praxis wird der konkurrierende Bieter diesen Hinweis schon im eigenen Interesse in die Angebotsunterlage aufnehmen.
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Auch wenn man davon ausgeht, dass der Bieter zur Aktualisierung wesentlicher Angaben in der Angebotsunterlage verpflichtet ist, soweit diese Angaben nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage unrichtig geworden sind (siehe hierzu § 11 Rz. 50), besteht nach der Veröffentlichung des konkurrierenden Angebots keine Verpflichtung des ursprünglichen Bieters, in einer Veröffentlichung auf das nunmehr 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 39; Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 67. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 22 Rz. 39. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 63; a.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 22 Rz. 2.
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konkret entstandene Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 hinzuweisen. Der Grund besteht darin, dass die Entstehung des konkreten Rücktrittsrechts, anders als die Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 22 Abs. 2, nicht die Unrichtigkeit von Angaben in der Angebotsunterlage zur Folge hat1. Eine – dem Bieter freistehende freiwillige – Veröffentlichung2 wäre, wie im Fall des Hinweises auf die Verlängerung der Annahmefrist gemäß § 22 Abs. 2, nur deklaratorischer Natur3.
E. Weitere Aspekte konkurrierender Angebote I. Vorbeugung gegen konkurrierende Angebote Jeder Bieter hat typischerweise ein Interesse daran, dass konkurrierende Angebote ausbleiben. Daher liegt es nahe, Maßnahmen zu treffen, die die Verhinderung konkurrierender Angebote (bzw. zumindest die Verbesserung der Ausgangsbedingungen gegenüber möglichen konkurrierenden Angeboten) zum Ziel haben. Hierfür kommen Vereinbarungen mit einzelnen Aktionären oder – bei „freundlichen“ Angeboten – mit dem Vorstand der Zielgesellschaft in Betracht. Zulässigkeit und Grenzen derartiger Vereinbarungen sind in § 22 nicht geregelt.
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1. Vereinbarungen mit der Zielgesellschaft a) Exklusivität Exklusivitätsvereinbarungen zwischen dem Bieter und der Zielgesellschaft können 68 verschiedene Gestalten annehmen: In ihrer strengsten Ausprägung kann die Exklusivitätsvereinbarung jede Form von Verhandlungen mit möglichen konkurrierenden Bietern und die Weitergabe von Informationen an dieselben untersagen (no talk provision). Weniger strenge Varianten untersagen lediglich die aktive Suche nach einem konkurrierenden Bieter (no shop provision, window shop provision) oder lassen die aktive Suche nach einem konkurrierenden Angebot innerhalb eines engen Zeitrahmens zu (market test provision). Die Terminologie ist nicht einheitlich4. Daher ist stets zu prüfen, was sich hinter der fraglichen Bestimmung verbirgt5. Nachstehend geht es allein um Exklusivitätsvereinbarungen zwischen dem Bieter und der Zielgesellschaft. Für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen ist nach 69 dem Zeitpunkt ihres Abschlusses zu unterscheiden: Vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots (§ 10) abgeschlossene Vereinbarungen beurteilen sich grundsätzlich allein nach aktienrechtlichen Grundsätzen6, weil der zeitliche Anwendungsbereich des WpÜG zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung 1 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 64. 2 Vgl. Angebotsunterlage Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG vom 14.12.2006 (S. 7 f.); Angebotsunterlage Suzlon Windenergie GmbH/REpower Systems AG vom 28.2.2007 (S. 7). 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 22 Rz. 65. 4 Vgl. Fleischer, ZIP 2002, 651, 655; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 556; Banerjea, DB 2003, 1489, 1494; Rieckers, RIW 2003, 668 f. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 13, prüft etwa in der Angebotsunterlage enthaltene no shop- und break-fee-Klauseln. 6 Drygala, WM 2004, 1457, 1459; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 202; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 561; a.A. Ströhmann, S. 224 ff., 309 ff. (gesellschafts- und schuldrechtliche Maßstäbe).
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noch nicht eröffnet ist1. Soweit sich der Vorstand jedoch zu Förderungshandlungen nach der Veröffentlichung gemäß § 10 (etwa einer positiven Stellungnahme gemäß § 27) verpflichtet, strahlen die maßgeblichen übernahmerechtlichen Vorschriften auf das Vorfeld des Angebots aus2. Nach der Veröffentlichung gemäß § 10 abgeschlossene Vereinbarungen sind an den einschlägigen aktienrechtlichen und übernahmerechtlichen Grundsätzen zu messen3. 70
In aktienrechtlicher Hinsicht können Exklusivitätsvereinbarungen unter den Gesichtspunkten des Verbots der Vorwegbindung, der Wahrung des Gesellschaftsinteresses und der Gleichbehandlung der Aktionäre problematisch sein. Das Verbot der Vorwegbindung ergibt sich aus § 76 Abs. 1 AktG und besagt, dass sich der Vorstand in Bezug auf die künftige Ausübung seines Leitungsermessens nicht binden darf4. Die Verpflichtung des Vorstands, im Interesse der Gesellschaft zu handeln, folgt aus § 76 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG5. Hiernach muss der Vorstand, der über den Abschluss einer Exklusivitätsvereinbarung entscheidet, nicht nur berücksichtigen, ob das vom Bieter vorgeschlagene unternehmerische Konzept im Interesse der Gesellschaft liegt, sondern auch ob der Bieter nach Einschätzung des Vorstands den Übernahmeplan auch ohne Exklusivitätsabrede weiterverfolgen wird, welche Gegenleistung der Bieter anzubieten plant und unter welche Bedingungen das Angebot gestellt werden soll. Die Höhe der Gegenleistung und die Bedingungen sind nicht nur deswegen relevant, weil die Aktionäre an einer möglichst hohen Gegenleistung interessiert sind und der Vorstand dieses Interesse grundsätzlich fördern darf (siehe § 3 Rz. 31 ff.), sondern auch deswegen, weil sie hinreichende Gewähr dafür bieten sollte, dass das Angebot, wenn sich die Gesellschaft erst einmal „in play“ befindet, auch Erfolg hat6. Die Verpflichtung des Vorstands zur Gleichbehandlung der Aktionäre folgt aus § 53a AktG. Eine Verpflichtung zur Gleichbehandlung verschiedener (aktueller und potentieller) Bieter lässt sich aus dieser Vorschrift jedoch nicht herleiten7. Allerdings darf der Vorstand nicht einseitig zu seinen Gunsten oder zugunsten eines anderen Aktionärs Partei nehmen, wenn hierfür kein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt8.
70a Die übernahmerechtlichen Schranken von Exklusivitätsvereinbarungen bestehen darin, dass der Vorstand sich nicht verpflichten kann, nach der Veröffentlichung gemäß § 10 gegen übernahmerechtliche Vorschriften zu verstoßen. Insoweit strahlen insbesondere die §§ 3, 27 und 33 auf das Angebotsvorfeld aus. Eine übernahmerechtliche Pflicht zur Gleichbehandlung verschiedener Bieter gibt es nach zutreffender Ansicht nicht (eingehend Rz. 95 ff.). 70b Nach diesen aktienrechtlichen und übernahmerechtlichen Grundsätzen bestehen gegen eine no shop provision keine Bedenken, wenn der Vorstand nach sorgfältiger Abwägung der dafür und dagegen sprechenden Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass die Durchführung des geplanten Angebots im Interesse der Gesellschaft liegt. Vor1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 10; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 44; Banerjea, DB 2002, 1489, 1496; Drygala, WM 2004, 1457, 1458. 2 Hopt, ZGR 2002, 333, 363; Fleischer, ZIP 2002, 651, 654, 656. 3 Drygala, WM 2004, 1457, 1462. 4 Fleischer in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 1 Rz. 60; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 49 f. 5 Hüffer, § 76 AktG Rz. 12 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, § 76 AktG Rz. 24 ff.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 64 ff. 6 Ebenso Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 561 f.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 203. 7 Drygala, WM 2004, 1457, 1459; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 567. 8 BGH v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, AG 2008, 164, 164 f.; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93, 95 f.
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feldwirkungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 stehen der no shop provision nicht entgegen; nach dieser Vorschrift ist der Vorstand zur Suche nach einem konkurrierenden Bieter zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet1. Demnach handelt der Vorstand nicht pflichtwidrig, wenn er sich verpflichtet, nur noch in einem engen Zeitrahmen bzw. überhaupt nicht aktiv nach einem konkurrierenden Bieter zu suchen2. Wenn die Abwägung dies trägt, kann auch die Verpflichtung, keine Informationen an Dritte zu geben (insbesondere keine Due Diligence eines Dritten zu gestatten), zulässig sein3. Demgegenüber ist die Vereinbarung einer no talk provision, d.h. der Verpflichtung, mit weiteren potentiellen Bietern nicht in Verhandlungen einzutreten, problematisch. Von einer solchen Klausel gebunden müsste der Vorstand jeden Kontakt ablehnen, wenn sich ein konkurrierender Bieterinteressent bei ihm meldet4. Der Vorstand hätte dann keine Möglichkeit, die Informationen zu gewinnen, die er benötigt, um auf einen dem zunächst geförderten Übernahmeplan eindeutig überlegenen Konkurrenzvorschlag angemessen zu reagieren. Im Regelfall dürfte daher eine derartige Exklusivitätsbindung nur unter besonderen Umständen und nur für einen eng begrenzten Zeitraum zulässig sein5. Weil aber derartige Verpflichtungen stets das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses sind, verbieten sich verabsolutierende Wertungen.
71
Wenn die Exklusivitätsvereinbarung eine board recommendation provision vorsieht, 72 die den Vorstand zur Abgabe einer unterstützenden Stellungnahme gemäß § 27 verpflichtet, verstößt er regelmäßig gegen das Verbot der Vorwegbindung6. Von dieser Klausel gebunden läuft der Vorstand Gefahr, sich in eine Pflichtenkollision hineinzumanövrieren: Wenn ein konkurrierendes Angebot abgegeben wird, das dem ursprünglichen Angebot objektiv überlegen ist, befindet sich der Vorstand in dem Dilemma, zu diesem Angebot gemäß § 27 in Kenntnis aller dann relevanten Umstände objektiv und allein unter Orientierung am Gesellschaftsinteresse Stellung nehmen zu müssen7 (siehe hierzu § 27 Rz. 33) und, wenn er diese Verpflichtung erfüllt, die Vereinbarung mit dem ursprünglichen Bieter zu verletzen. Umgekehrt würde er, wenn er die Exklusivitätsvereinbarung erfüllt, gegen seine übernahmerechtlichen (und, wenn das konkurrierende Angebot das Gesellschaftsinteresse wesentlich besser fördert als das ursprüngliche Angebot, auch seine aktienrechtlichen) Pflichten verstoßen8. Ob derartige Exklusivitätsvereinbarungen, die Vereinbarung vergleichbarer Unterstützungspflichten bzw. der Verpflichtung zu einem entsprechenden Bemühen un1 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 214. 2 Banerjea, DB 2003, 1498, 1494; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 560 ff.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 203; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 214; wohl auch Drygala, WM 2004, 1457, 1459. Zur Verweigerung der Due Diligence siehe unten Rz. 94 ff. 3 Ähnlich Drygala, WM 2004, 1457, 1459. 4 Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 562. 5 Ähnlich Banerjea, DB 2003, 1489, 1495; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 562 f.; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 214; a.A. Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 34 (gänzlich unzulässig). 6 Banerjea, DB 2003, 1489, 1494; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 558; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 202; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 214. 7 Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109, 122; Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 214, weist darauf hin, dass solche „Board Recommendation“-Abreden dann unzulässig sind, wenn sie den Vorstand in der Freiheit behindern, die gesetzlich vorgeschrieben Stellungnahme unbefangen abzugeben. 8 Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 256; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 558 f.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 202.
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§ 22
Konkurrierende Angebote
wirksam sind1, ist zweifelhaft. Auf ein allgemeines Prinzip der Bietergleichbehandlung2 lässt sich dies jedenfalls nicht stützen, weil ein solches Prinzip aus § 22 nicht abzuleiten ist (siehe unten Rz. 84). Vielmehr muss sich der Vorstand selbst schützen, etwa indem er sich in der Exklusivitätsvereinbarung das Recht vorbehält, sich unter den dort näher definierten Umständen (etwa bei entgegenstehenden Rechtspflichten) von seiner Unterstützungspflicht loszusagen (fiduciary out)3. 73
Wird die Exklusivitätsvereinbarung nach der Veröffentlichung des Bieters gemäß § 10 abgeschlossen (etwa mit einem „weißen Ritter“), ist sie zusätzlich an § 3 Abs. 3 und § 33 zu messen. Die Vorschriften gewähren dem Vorstand keine Handlungsspielräume jenseits des Aktienrechts (siehe § 33 Rz. 128 ff.), so dass über die Bindungen des Aktienrechts (und des § 3 Abs. 3) hinaus lediglich ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 in Frage stehen kann. Wie sich aus § 33 Abs. 1 Satz 2 ergibt, kann der Vorstand auch in der Übernahmephase einen Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen als dem Bieter anbahnen. Hieraus wird hergeleitet, dass das Übernahmerecht der Exklusivitätsvereinbarung mit dem „weißen Ritter“ nicht entgegensteht4. Wenn man dem folgt, sollte der Vorstand allerdings im eigenen Interesse geeignete Befreiungstatbestände von der Unterstützungspflicht aushandeln, weil er sich nicht von den Pflichten gemäß §§ 27, 3 Abs. 3 befreien kann (siehe oben Rz. 72). Wegen der aktien- und übernahmerechtlichen Pflichtenbindungen muss er darlegen können, dass den Interessen der Gesellschaft durch den Zusammenschluss mit dem „weißen Ritter“ besser gedient ist als mit dem ersten Bieter5. b) Break fees
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In Großbritannien und in den USA hat sich die Praxis herausgebildet, „freundliche“ Übernahmeangebote durch Vereinbarungen zu flankieren, die die Zielgesellschaft für den Fall, dass sie das Scheitern des Angebots zu vertreten hat, zur Zahlung einer Geldleistung (break fee, break-up fee, termination fee, drop dead fee oder auch inducement fee)6 an den Bieter verpflichten7. Soweit öffentlich bekannt, betragen diese break fees in den USA regelmäßig 2 bis 5 %; im Vereinigten Königreich betrugen sie – solange sie zulässig waren (siehe Rz. 104) – regelmäßig 0,5 bis 1 % des Transaktionsvolumens (ermittelt auf der Grundlage der vom Bieter angebotenen Gegenleistung)8. Dieses Konzept dringt nach Deutschland vor. In der Transaktionspraxis haben
1 So wohl Drygala, WM 2004, 1457, 1462; zutreffend dagegen Banerjea, DB 2003, 1489, 1492. 2 Fleischer, ZIP 2002, 651, 654, 656. 3 Zum „fiduciary out“ in der US-amerikanischen Rechtspraxis vgl. Drygala, WM 2004, 1413, 1415 f.; Banerjea, DB 2003, 1489, 1495; zur deutschen Praxis Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 559; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 202. 4 Banerjea, DB 2003, 1489, 1495 f.; Drygala, WM 2004, 1457, 1462. 5 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1383 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 48; Drygala, WM 2004, 1457, 1462. 6 Die Terminologie ist uneinheitlich; vgl. Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 557; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1554 ff. 7 Paul/Horan, European Lawyer, July/August 2002, S. 5; Saywell/Gamble, PLC 12/1999, 31 ff. 8 Zu den USA vgl. Drygala, WM 2004, 1413, 1414; Fleischer, AG 2009, 345, 347 f.; zum Vereinigten Königreich vgl. Saywell/Gamble, PLC 12/1999, 31, 32; Fleischer, AG 2009, 345, 348. Zwischenzeitlich waren derartige Zahlungen auf maximal 1 % des Transaktionswerts begrenzt (note 1(a) on Rule 21.2 Takeover Code); seit dem 20.9.2011 sind von der Zielgesellschaft versprochene break fees generell unzulässig (siehe unten Rz. 104).
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§ 22
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sich solche Klauseln u.a. in den Fällen Hoechst/Rhône Poulenc1, Techem/BC Partners2 sowie Deutsche Börse/NYSE Euronext3 Verwendung gefunden oder waren zumindest Gegenstand von Verhandlungen4. Soweit die Literatur über break fees berichtet5, wird allerdings nicht immer deutlich, ob die break fee-Vereinbarung nur von einer Seite angestrebt oder tatsächlich abgeschlossen wurde, ob die Zahlung nur von den Gesellschaftern oder auch von der betroffenen Zielgesellschaft versprochen wurde6 und welche Rechtsform die betroffene Gesellschaft hatte. Der Zweck derartiger Vereinbarungen besteht regelmäßig darin, dass der Bieter, der 75 für die Planung und Durchführung des Angebots erhebliche finanzielle Ressourcen aufwendet, auf der Grundlage einer einfach zu handhabenden, pauschalierenden Regelung Kostenersatz erhalten soll, wenn sein Angebot scheitert7. Ihr Zweck kann aber auch darin bestehen, die Zielgesellschaft zur Durchführung der Transaktion anzuhalten (bzw. sie für Vertragsbrüchigkeit zu bestrafen)8. Je nachdem, wie diese „Strafe“ bemessen ist, kann sie eine so empfindliche finanzielle Belastung darstellen, dass ein potentieller konkurrierender Bieter, der nicht nur die Übernahme der Zielgesellschaft, sondern indirekt auch die Zahlung der break fees an den ursprünglichen Bieter zu finanzieren hätte, von der Abgabe eines konkurrierenden Angebots absieht9. Als Auslöser für die Fälligkeit der break fees kommen verschiedene Ereignisse in Betracht, etwa eine Stellungnahme des Vorstands, die den Aktionären nicht die Annahme des Angebots empfiehlt, eine bereits gegebene Annahmeempfehlung zurücknimmt oder in wesentlicher Hinsicht zum Nachteil des Bieters ändert oder ein konkurrierendes Angebot unterstützt10. Auch ein „weißer Ritter“, der auf Veranlassung des Vorstands der Zielgesellschaft ein konkurrierendes Angebot abgeben soll (siehe hierzu § 33 Rz. 163 ff.), könnte zur Abgeltung seines Aufwands an der Zahlung von break fees interessiert sein, wenn sein Angebot scheitert11.
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Bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit von break fee-Vereinbarungen ist, wie bei Exklusivitätsvereinbarungen allgemein, nach dem Zeitpunkt des Abschlus-
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1 Dazu Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 626. 2 Angebotsunterlage Heat Beteiligungs III GmbH/Techem AG vom 14.12.2006, S. 22. 3 Angebotsunterlage Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Anlage 2, S. A-136. 4 Übernahme Bayer/Schering, Börsen-Zeitung vom 14.4.2006, S. 11. 5 Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209, 1211 ff.; Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625; Schlitt in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 6 Rz. 82 f. 6 Zahlungspflicht nur der Gesellschafter in LG Paderborn v. 24.8.2000 – 2 O 132/00, NZG 2000, 899, 900; ebenso die Business Combination Agreements für die Zusammenschlüsse Daimler/Chrysler und Hoechst/Rhône-Poulenc; vgl. Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209, 1211 ff.; Hopt, ZGR 2002, 333, 362. 7 So etwa Ziff. 8.8 des Vertrags über den Zusammenschluss zwischen der Hoechst AG und der Rhône-Poulenc S.A. zur Aventis S.A. aus dem Jahr 1999; abgedr. bei Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 626; vgl. weiter Hilgard, BB 2008, 286, 287; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 30; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 172; Fleischer, AG 2009, 345, 346; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1556. 8 Hilgard, BB 2008, 286, 287; Fleischer, AG 2009, 345, 346. 9 Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers, S. 182. 10 Hilgard, BB 2008, 286, 286; Fleischer, AG 2009, 345, 346; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1556. 11 Banerjea, DB 2003, 1489, 1490; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 30; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1556.
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§ 22
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ses zu unterscheiden (siehe hierzu oben Rz. 69). Wird eine break fee-Vereinbarung vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10) abgeschlossen, beurteilt sich die Zulässigkeit nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Da die vereinbarte break fee auch nach Ankündigung eines Übernahmeangebots fällig werden kann, entfalten die übernahmerechtlichen Vorschriften Ausstrahlungswirkung auf das Vorfeld des Angebots. Werden break fee-Vereinbarungen hingegen nach der Veröffentlichung gemäß § 10 abgeschlossen, ist die Zulässigkeit an den aktienrechtlichen und übernahmerechtlichen Vorschriften zu beurteilen. 77a In aktienrechtlicher Hinsicht können break fee-Vereinbarungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten1 im Hinblick auf das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs, das Verbot der Einlagenrückgewähr und die Verpflichtung des Vorstands auf das Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse (problematisch sein. Bei besonders hohen break fees kann auch das Verbot der Vorwegbindung relevant sein. Das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs gemäß § 71a Abs. 1 AktG untersagt dem Vorstand, Finanzierungs- und Hilfsgeschäfte abzuschließen, mit denen die Gesellschaft es Dritten ermöglicht, Aktien der Gesellschaft zu erwerben2. Das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 57 Abs. 1 AktG verbietet der Gesellschaft, die geleisteten Einlagen an ihre Aktionäre zurückgewähren und über den Bilanzgewinn hinausgehendes Vermögen an die Aktionäre zu verteilen3. Die Verpflichtung des Vorstands, im Gesellschaftsinteresse zu handeln, ergibt sich aus § 76 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG4. Bei der Entscheidungsfindung über den Abschluss einer break fee-Vereinbarung hat der Vorstand die Vorteile und die Nachteile sorgfältig gegeneinander abzuwägen, wobei u.a. verhandlungstaktische Vorteile (z.B. Aushandlung einer höheren Gegenleistung und besserer Angebotsbedingungen) und strategische Vorteile (z.B. erwartete Synergieeffekte) in Betracht kommen5. Das Verbot der Vorwegbindung besagt, dass sich der Vorstand in Bezug auf die künftige Ausübung seines Leitungsermessens nicht binden darf6. 78
Ein Verstoß gegen das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs (§ 71a Abs. 1 AktG) scheint auf den ersten Blick nicht vorzuliegen, weil die Zahlung gerade für den Fall versprochen ist, dass das Angebot fehlschlägt, d.h. ein Erwerb der Aktien unterbleibt7. Allerdings erfasst § 71a AktG nach seinem Sinn und Zweck nicht nur die Gewährung von Vorschüssen, Darlehen und Sicherheiten, sondern auch sonstige Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen, die mit dem Erwerb von Aktien der Gesellschaft in einem funktionalen Zusammenhang stehen8. Im englischen Recht, dem Vorbild der Regelung des § 71a AktG, ist für die Anwendbarkeit des Verbots der financial assistance maßgeblich, ob im Zeitpunkt des Abschlusses 1 Zu anderen Konstellationen Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 627 ff.; Drygala, WM 2004, 1457, 1458 ff. 2 Hüffer, § 71a AktG Rz. 1. 3 Hüffer, § 57a AktG Rz. 1; Henze in Großkomm. AktG, § 57 Rz. 39 ff.; Lutter in KölnKomm. AktG, § 57 Rz. 8. 4 Hüffer, § 76 AktG Rz. 12 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, § 76 AktG Rz. 24 ff.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 64 ff. 5 Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 32 f. 6 Fleischer in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 1 Rz. 60; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 49 f. 7 Banerjea, DB 2003, 1489, 1493; Guinomet, Break Fee-Vereinbarungen, 2003, S. 267; Drygala, WM 2004, 1457, 1461, 1466 f. 8 Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1994, S. 186 f.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 19; ähnlich Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 9.
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der break fee-Vereinbarung eine finanzielle Absicherung des geplanten Aktienerwerbs durch die Gesellschaft beabsichtigt war1. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass bereits die Übernahme des Kostenrisikos durch die Zielgesellschaft, die über die Voraussetzungen der Haftung aus culpa in contrahendo wegen schuldhaften Abbruchs der Vertragsverhandlungen hinausgeht, eine Unterstützungshandlung sei, weil sie das Risiko des Bieters mildere und daher bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Sicherheit darstelle2. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 71a AktG zwar das mit der Bestellung einer Sicher- 79 heit einhergehende Risiko der Inanspruchnahme sanktioniert, diese Sanktion aber voraussetzt, dass der Erwerbsinteressent Aktionär wird. Bei der break fee-Vereinbarung sind hingegen sowohl die Inanspruchnahme als auch der Erwerb der Aktien bedingt – und zwar typischerweise so, dass sie sich gegenseitig ausschließen3. Hiernach kommt ein Verstoß gegen § 71a AktG nicht in Betracht. Wenn man diesem Argument nicht folgen will, ist zu berücksichtigen, dass das break fee-Versprechen die Qualität einer wirtschaftlichen Sicherheit – wenn überhaupt – erst dann gewinnen kann, wenn es dazu dient, die mit dem Angebot verbundenen finanziellen Risiken des Bieters auf die Zielgesellschaft abzuwälzen4 oder wenn der Versuch des Aktienerwerbs wegen der mangelnden Finanzkraft des Bieters ohne das break fee-Versprechen ausgeschlossen bzw. wesentlich erschwert gewesen wäre5. Dagegen wäre pauschalierter Kostenersatz eine Zielsetzung, die mit dem Kapitalerhaltungszweck des § 71a AktG vereinbar wäre, solange die finanziellen Risiken des Angebots im Wesentlichen vom Bieter getragen werden. Jedenfalls dann, wenn die Höhe der break fees 1 % des Transaktionswertes nicht übersteigt und folglich 99 % der mit dem Angebot verbundenen finanziellen Risiken beim Bieter verbleiben, wäre das break feeVersprechen regelmäßig mit § 71a Abs. 1 AktG vereinbar6. Weil aber auch diese Prozentzahlen im Einzelfall zu hoch (overinclusive) oder zu niedrig (underinclusive) angesetzt sein können7, wird man die Angemessenheit jeder break fee unter Abwägung aller Umstände sorgfältig prüfen müssen8. Anderes muss gelten, wenn das break fee-Versprechen darauf abzielt, dass der po- 80 tentielle Bieter während der Vorbereitungsphase Aktien erwirbt, die er nach dem Scheitern der Übernahme behalten darf. Wenn die break fees aus dem Vermögen der Gesellschaft abfließen, ist in der Tat die Frage aufgeworfen, ob nicht die Zielgesellschaft den Erwerb dieser Aktien im Vorgriff auf das in den Blick genommene öffent-
1 Saywell/Gamble, PLC 12/1999, 31, 34 f. 2 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 29; Hilgard, BB 2008, 286, 293; in der Tendenz auch Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 629 im Anschluss an die Literatur zum englischen Recht (etwa Saywell/Gamble, PLC 12/1999, 31, 34 f.); ähnlich Hüffer, § 71a AktG Rz. 2; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 7, 13 (Übernahme eines Risikos könne Unterstützung darstellen). 3 Drygala, WM 2004, 1457, 1467; Hilgard, BB 2008, 286, 293 f.; Fleischer, AG 2009, 345, 353. 4 Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers, S. 183. 5 Dazu LG Paderborn v. 28.4.2000 – 2 O 132/00, NZG 2000, 899; Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 629; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 34; Fleischer, AG 2009, 345, 353. 6 Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 628; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 35; Hilgard, BB 2008, 286, 292; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 178; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1556. 7 Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 564; Fleischer, AG 2009, 345, 351. 8 Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1556.
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liche Angebot finanziert hat1. Ein Verstoß gegen § 71a AktG scheidet jedoch aus, wenn eine solche gemeinsame Zielsetzung fehlt. Insbesondere bei abredewidrigem Aktienerwerb fehlt es an dem in § 71a AktG vorausgesetzten funktionalen Zusammenhang zwischen der Unterstützung und dem Erwerb2. 81
Das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 AktG) untersagt nicht nur die offene, sondern auch die durch andere Rechtsgeschäfte verdeckte Rückgewähr von Gesellschaftsvermögen an die Aktionäre3. Es ist nicht nur auf Leistungen an gegenwärtige Aktionäre anwendbar, sondern auch auf Leistungen an künftige Aktionäre, sofern die Leistung der Gesellschaft im Hinblick auf den geplanten Aktienerwerb erbracht wird4. Insofern gilt allerdings das Gleiche wie bei § 71a Abs. 1 AktG: Wenn sich die Zahlung der break fees und der Erwerb der in Frage stehenden Aktien gegenseitig ausschließen, kommt ein Verstoß gegen § 57 AktG nicht in Betracht – die Zahlungsverpflichtung entsteht ja nur dann, wenn das Übernahmeangebot scheitert5. Das break fee-Versprechen kann selbst dann mit § 57 AktG im Einklang stehen, wenn der Bieter bereits Aktionär ist; dies setzt aber voraus, dass die Zahlung an den Aktionär nicht wegen seiner Mitgliedschaft erfolgt6.
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Wenn man dagegen bereits die Übernahme des Kostenrisikos grundsätzlich für bedenklich hält, beurteilt sich die Zulässigkeit des break fee-Versprechens anhand der Höhe der versprochenen Zahlung, denn Umsatzgeschäfte zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären, bei denen der Leistung der Gesellschaft eine angemessene Gegenleistung des Aktionärs gegenübersteht, so dass sie auch zwischen fremden Dritten hätten abgeschlossen sein können, sind mit § 57 Abs. 1 AktG vereinbar7. Demnach wäre eine break fee-Vereinbarung, die einem vom Vorstand mit nachvollziehbaren Gründen für wirtschaftlich sinnvoll gehaltenen Zweck dient und der Höhe nach angemessen ist, regelmäßig mit § 57 Abs. 1 AktG vereinbar8.
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Ferner ist der Vorstand auf das Interesse der Gesellschaft verpflichtet und unterliegt dem Verbot der Vorwegbindung. Vor dem Hintergrund, dass eine Aktiengesellschaft grundsätzlich kein Interesse daran hat, wer ihre Aktionäre sind9, dürfte die Zulässigkeit des break fee-Versprechens voraussetzen, dass die geplante Transaktion für die Zielgesellschaft Vorteile birgt, die über die bloße Änderung der Zusammensetzung
1 Drygala, WM 2004, 1457, 1461, 1467; Fleischer; ZHR 172 (2008), 538, 566. 2 Drygala, WM 2004, 1457, 1461 (Fn. 145); allgemein zum Erfordernis des übereinstimmenden Parteiwillens Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 29. 3 Henze in Großkomm. AktG, § 57 Rz. 39 ff.; Drygala in KölnKomm. AktG, § 57 Rz. 37. 4 OLG München v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, NZG 2008, 106, 106; Henze in Großkomm. AktG, § 57 Rz. 80; Hüffer, § 57 AktG Rz. 14; Drygala in KölnKomm. AktG, § 57 Rz. 82; Bayer in MünchKomm. AktG, § 57 Rz. 57; Wiesner in MünchHdb. AG, § 16 Rz. 49. 5 Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L. II.2, Anm. 19, S. 1558. 6 Banerjea, DB 2003, 1489, 1493; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 175; auf ein neutrales Drittgeschäft abstellend Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 33; auf das Gesellschaftsinteresse abstellend Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 565. 7 Henze in Großkomm. AktG, § 57 Rz. 35; Drygala in KölnKomm. AktG, § 57 Rz. 115. 8 Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 629; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1558; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 33. 9 Lutter in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 74; Lutter, ZIP 1997, 613, 616 ff.; Hopt, ZGR 1993, 534, 545 ff.; Hopt, ZGR 2002, 333, 363; Roschmann/Frey, AG 1996, 449 ff.; Schroeder, DB 1997, 2161 ff.; Ziemons, AG 1999, 492, 495; offener Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 259; Banerjea, DB 2003, 1489, 1490 f.; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 563.
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des Aktionärskreises hinausgehen1. In Betracht kommen etwa die Ersparnis von Kosten aufgrund von Skaleneffekten, Synergien aus dem Zusammenschluss mit einem strategischen Investor2 oder der Zugang zu den finanziellen Ressourcen und Kontakten eines Finanzinvestors3. Unter diesen Umständen dürften gegen break fee-Versprechen, die nach Art, Umfang und Betrag der Zusage darauf beschränkt sind, die dem Bieter entstanden Kosten zu ersetzen, keine Bedenken bestehen4. Dagegen überschreitet der Vorstand seine Geschäftsführungsbefugnis, wenn die versprochenen break fees ein solches Gewicht besitzen, dass seine künftigen Ermessensentscheidungen und insbesondere seine Stellungnahme gemäß § 27 nur noch zugunsten des Empfängers der break fees ausfallen können, auch wenn sich neue Alternativen ergeben, die im Hinblick auf die Interessen der Gesellschaft der Transaktion mit dem Empfänger der break fees klar überlegen sind5. Bei derartig hohen break fees verstößt der Vorstand gegen das Verbot der Vorwegbindung6. Im Übrigen gelten dieselben Maßstäbe wie für andere Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe (siehe hierzu § 33 Rz. 243 ff.). In übernahmerechtlicher Hinsicht können break fee-Vereinbarungen unter den Ge- 84 sichtspunkten des Verhinderungsverbots gemäß § 33 Abs. 1 und der Verpflichtung des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft auf das Interesse der Zielgesellschaft gemäß § 3 Abs. 3 problematisch sein. Ein Verstoß gegen eine vermeintliche Verpflichtung der Zielgesellschaft zur Gleichbehandlung verschiedener Bieter kommt nicht in Betracht, weil eine solche Verpflichtung nach zutreffender Auffassung nicht existiert7. Für eine derartige Gleichbehandlungspflicht lässt sich zwar das Argument anführen, dass die Vereinbarung einer break fee potentielle weitere Bieter von der Abgabe konkurrierender Angebote abhalten und so den Wettbewerb auf dem Markt für Unternehmenskontrolle verzerren könnte8. Die besseren Argumente sprechen jedoch gegen eine Pflicht zur Bietergleichbehandlung: Die Verpflichtung, einem Bieter versprochene break fees auch anderen Bietern versprechen zu müssen, käme einem kapitalmarktrechtlichen Kontrahierungszwang gleich. Wirtschaftlich gesehen würde dies darauf hinauslaufen, dass die Zielgesellschaft konkurrierende Angebote subventionieren müsste9. Dies könnte „Trittbrettfahrer“ dazu animieren, ein nicht ernstgemeintes Angebot abzugeben, um im Fall des (gewünschten) Scheiterns die
1 Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 628; Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 182; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 563; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 33. 2 Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1557; Ziegler/Stancke, M&A Review 2008, 28, 33. 3 Adolff/Meister/Randell/Stephan, Public Company Takeovers in Germany, S. 182; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 563. 4 Hopt, ZGR 2002, 333, 363; Guinomet, Break fee-Vereinbarungen, 2003, S. 245 ff.; Ziegler/ Stancke, M&A Review 2008, 28, 32 f.; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1557; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 174; wohl auch Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 628; großzügiger Banerjea, DB 1489, 1490 f.; Drygala, WM 2004, 1457, 1459 f. 5 Ähnlich Hopt, ZGR 2002, 333, 363. 6 Fleischer in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 1 Rz. 60; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 49 f. 7 Drygala, WM 2004, 1457, 1458; Hilgard, BB 2008, 286, 292; Fleischer, ZHR 172 (2008), 538, 563; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 171; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59; im Ansatz auch Fleischer, ZIP 2002, 651, 656 (im Ergebnis aber wie hier). 8 Fleischer, AG 2009, 345, 349. 9 Fleischer, AG 2009, 345, 349.
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break fee zu kassieren. Diese Situation wäre mit dem Prinzip, dass die Zielgesellschaft nicht über einen angemessenen Zeitraum in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden darf (§ 3 Abs. 4), nicht zu vereinbaren. 84a Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 ist erst nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots anwendbar (siehe § 33 Rz. 62 ff.), gilt also nur für break fee-Vereinbarungen, die eine Abwehrfusion oder ein Konkurrenzangebot flankieren1. Der Abschluss der break fee-Vereinbarung durch den Vorstand der Zielgesellschaft kann im Einzelfall eine Handlung sein, durch die der Erfolg des ursprünglichen Angebots verhindert werden könnte2. Dies setzt aber voraus, dass die vereinbarten break fees so massiv in die Vermögenssubstanz der Gesellschaft eingreifen, dass den Aktionären keine andere Wahl bleibt, als für die Abwehrfusion zu stimmen bzw. das von den break fees flankierte konkurrierende Angebot anzunehmen3. 85
Wenn die break fee-Vereinbarung verhindernde Wirkung besitzt, stellt sich die Frage, ob sie durch einen der Ausnahmetatbestände des § 33 legitimiert sein kann. Aus § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 lässt sich diese Legitimation nicht herleiten, denn die Vorschrift privilegiert nur die Suche nach einem konkurrierenden Bieter, nicht aber die Flankierung seines Angebots durch break fees4. Eine Legitimation gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 wird sich regelmäßig verbieten, weil der Vorstand durch die Vereinbarung einer break fee in der hier fraglichen Höhe die Grenzen seiner Geschäftsführungsbefugnis überschreiten dürfte5. Eine Rechtfertigung auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 wäre grundsätzlich möglich, kann aber – weil § 33 Abs. 1 Satz 2 keine Handlungsspielräume jenseits des Aktienrechts eröffnet – nur solche Abreden legitimieren, die aktienrechtlich zulässig sind. Flankieren die break fees eine geplante Abwehrfusion, überschreitet der Vorstand seine Geschäftsführungsbefugnis, wenn die Hauptversammlung wegen des break fee-Versprechens faktisch keine andere Wahl hat, als der Abwehrfusion zuzustimmen6. Unterstützen die break fees dagegen ein konkurrierendes Angebot, ist es eine Frage des Einzelfalls, ob der Aufsichtsrat den Vorstand gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 vom Verhinderungsverbot befreien kann oder aus aktienrechtlichen Gründen hieran gehindert ist7.
85a Auch nach dem übernahmerechtlichen Grundsatz gemäß § 3 Abs. 3 ist der Vorstand der Zielgesellschaft zur Wahrung des Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresses verpflichtet. Er verletzt diese Pflicht, wenn die vereinbarte break fee nach Art und Höhe so schwerwiegend wäre, dass sich der Vorstand in der Stellungnahme gemäß § 27 nur noch zugunsten des Gläubigers der break fee aussprechen könnte.
1 Banerjea, DB 2003, 1489, 1495 f.; wohl auch Drygala, WM 2004, 1457, 1458, 1462; a.A. Hopt, ZGR 2002, 333, 363, der § 33 allerdings nicht für anwendbar, sondern für „tangiert“ hält, weil die zugesagten Unterstützungshandlungen während der Annahmefrist vorgenommen werden sollen und sich der Vorstand insoweit nicht präjudizieren dürfe. 2 Für das Vereinigte Königreich vgl. Panel Statement 1999/10 (16.7.1999). 3 Banerjea, DB 2003, 1489, 1496; Drygala, WM 2004, 1457, 1465; Hilgard, BB 2008, 286, 292; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl. 2011, L.II.2, S. 1558. 4 Krieger in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 314; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 5; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 79; Drygala, WM 2004, 1457, 1465. 5 Guinomet, Break fee-Vereinbarungen, 2003, S. 192 ff.; Drygala, WM 2004, 1457, 1465. 6 Drygala, WM 2004, 1457, 1460 f. 7 Beispiele bei Drygala, WM 2004, 1457, 1466; Thoma in Baums/Thoma, § 11 Rz. 25; Seibt in Formularhandbuch M&A, 2. Aufl 2011, L.II.2, S. 1559.
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Ein break fee-Versprechen, das gegen das Verbot der finanziellen Unterstützung des 85b Aktienerwerbs verstößt (§ 71a Abs. 1 AktG), ist nichtig1. Verstößt die break fee-Vereinbarung gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 AktG), ist bei offener wie verdeckter Leistung zumindest das Verpflichtungsgeschäft nichtig2. Handlungen des Vorstands, die dem Interesse der Gesellschaft zuwiderlaufen, sind im Außenverhältnis grundsätzlich wirksam3. Allerdings können die Vorstandsmitglieder gemäß § 93 Abs. 2 AktG persönlich haftbar sein4. Im Übrigen kann die BaFin für vorsätzliche oder leichtfertige Verstöße gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Geldbußen gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 8 verhängen (siehe hierzu und zu zivilrechtlichen Ansprüchen § 33 Rz. 299 ff.). Ob der Bieter oder die Zielgesellschaft zur Offenlegung der break fee-Vereinbarung 86 verpflichtet sind, ist im Gesetz nicht angesprochen. In den Katalogtatbeständen für den Inhalt der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 i.V.m. § 2 WpÜG-AngVO) und der begründeten Stellungnahme (§ 27 Abs. 1 Satz 2) sind break fee-Vereinbarungen nicht erwähnt. Weil die Angebotsunterlage die Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um den Wertpapierinhabern eine Entscheidung „in Kenntnis der Sachlage“ (§ 11 Abs. 1 Satz 2) zu ermöglichen, und weil diese Angaben „richtig und vollständig“ sein müssen (§ 11 Abs. 1 Satz 3), wird – nicht zu Unrecht – vertreten, dass die break fee-Vereinbarung in der Angebotsunterlage offen zu legen ist5. Noch wichtiger erscheint die Offenlegung in der Stellungnahme des Vorstands gemäß § 27, denn die Tatsache, dass sich der Vorstand an einen bestimmten Bieter gebunden und dies mit einer break fee-Vereinbarung flankiert hat, gehört zu den Umständen, die der Aktionär kennen muss, um die Stellungnahme zutreffend beurteilen zu können (siehe hierzu § 27 Rz. 57). Ob der Abschluss der break fee-Vereinbarung Publizitätspflichten des Bieters oder 87 der Zielgesellschaft auslöst, ist zweifelhaft. Für die Publizitätspflicht des Bieters gemäß § 10 Abs. 1 käme es darauf an, ob sich im Abschluss der break fee-Vereinbarung die Entscheidung zur Durchführung der Transaktion manifestiert. Dies ist eine Frage des Einzelfalls6; die Annahme, die break fee-Vereinbarung verkörpere stets die Entscheidung zur Abgabe des Angebots7, erscheint zu weitgehend. Wenn der Bieter eine börsennotierte Gesellschaft ist, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob der Abschluss der break fee-Vereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 WpHG ad hoc-publizitätspflichtig ist. Das gegebenenfalls kursrelevante und daher offen zu legende Ereignis i.S.d. § 13 WpHG ist im Regelfall nicht der Abschluss der break fee-Vereinbarung, sondern die Entscheidung zur Abgabe des Angebots. Weil gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG auch solche Umstände als Insiderinformation gelten, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten wer1 Hilgard, BB 2008, 286, 294; zur Nichtigkeit des Kausalgeschäftes: Hüffer, § 71a AktG Rz. 4; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 50, Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 40; a.A. Cahn in Spindler/Stilz, § 71a AktG Rz. 50 (Nichtigkeit auch des Erfüllungsgeschäfts). 2 Hüffer, § 57 AktG Rz. 23; Drygala in KölnKomm. AktG, § 57 Rz. 132; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 57 Rz. 157; Henze in Großkomm. AktG, § 57 Rz. 201 ff.; Cahn in Spindler/ Stilz, § 71a AktG Rz. 73. 3 Hüffer, § 82 AktG Rz. 3, 14; Spindler in MünchKomm. AktG, § 82 Rz. 27, 45; Fleischer in Spindler/Stilz, § 82 AktG Rz. 37. 4 Hüffer, § 93 AktG Rz. 11 ff.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 20 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 176 ff. 5 Hopt, ZGR 2002, 333, 363. 6 Hopt, ZGR 2002, 333, 342 (Fn. 26). 7 So Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 630; zurückhaltender Banerjea, DB 2003, 1489, 1497.
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den, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Entscheidung zur Abgabe des Angebots beim Abschluss der break fee-Vereinbarung hinreichend wahrscheinlich bevorsteht. Ist dies zu bejahen, besteht grundsätzlich eine Ad hoc-Publizitätspflicht; § 10 Abs. 6 entfaltet insoweit keine Sperrwirkung1, liefert aber einen klaren Anhaltspunkt dafür, dass der Aufschub der Ad hoc-Mitteilung gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG zum Schutz der berechtigten Interessen des Bieters erforderlich ist. Demnach bräuchte der Bieter bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG unmittelbar nach dem Abschluss der break fee-Vereinbarung keine Ad hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. 88
Wenn man mit der nach dem Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes vom 28.10.20042 herrschenden Auffassung3 davon ausgeht, dass die Ad hoc-Publizitätspflicht der Zielgesellschaft durch § 10 Abs. 6 nicht gesperrt wird, stellt sich die Frage, ob der Abschluss der break fee-Vereinbarung eine Insiderinformation ist, die sie gemäß § 15 Abs. 1 WpHG veröffentlichen muss. Das kursrelevante und daher offen zu legende Ereignis i.S.d. § 13 WpHG ist im Regelfall nicht der Abschluss der break fee-Vereinbarung, sondern die endgültige Entscheidung der Parteien, die „freundliche“ Übernahme der Zielgesellschaft durchzuführen4. Jedoch gelten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG auch solche Umstände als Insiderinformation, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob im Zeitpunkt des Abschlusses der break fee-Vereinbarung die Entscheidung zur Durchführung der Transaktion hinreichend wahrscheinlich ist. Auch dies ist eine Frage des Einzelfalls5. Sollte der Abschluss der break fee-Vereinbarung die Qualität der Insiderinformation besitzen, wäre die Zielgesellschaft, weil sie als Partei der break fee-Vereinbarung von der Insiderinformation unmittelbar betroffen ist, grundsätzlich gemäß § 15 Abs. 1 WpHG veröffentlichungspflichtig6. Weil die Entscheidung zur Durchführung des Angebots nicht getroffen, sondern nur hinreichend wahrscheinlich sein muss, kann die Veröffentlichungspflicht der Zielgesellschaft im Einzelfall eintreten, bevor der Bieter die Entscheidung zur Abgabe des Angebots veröffentlichen muss. Weil es nicht im Interesse der Zielgesellschaft liegt, sich der Öffentlichkeit als Übernahmekandidatin zu präsentieren, bevor der Bieter sich endgültig zur Abgabe seines Angebots entschieden hat, ist die Zielgesellschaft bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG berechtigt, von der Veröffentlichung abzusehen. Dass die Ad hoc-Mitteilung der Zielgesellschaft die Tatsache der Vereinbarung einer break fee, deren Auslöser und deren Höhe enthalten muss7, erscheint nicht zutreffend. Mitzuteilen ist das kursrelevante Ereignis. Dies ist im Regelfall nur die Tatsache, dass das Angebot hinreichend wahrscheinlich bevorsteht.
1 Wohl auch Brandi/Süßmann, AG 2004, 642, 651, 652. 2 BGBl. I 2004, 2630. 3 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des AnSVG vgl. Hopt, ZGR 2002, 333, 344 f.; Schäfer in Schäfer/Dreyling, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität, 2002, Rz. 468; von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 729 f.; zur Rechtslage nach Inkrafttreten des AnSVG Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 10 Rz. 103; Thoma in Baums/Thoma, § 10 Rz. 118. 4 Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 630; Hopt, ZGR 2002, 333, 342 f.; Banerjea, DB 2003, 1489, 1497 f. 5 Hopt, ZGR 2002, 333, 342 (Fn. 26). 6 So schon zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des AnSVG Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 153 (Fn. 75); Fürhoff/Wölk, WM 1997, 449, 452. 7 Dafür Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 630.
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2. Vereinbarungen mit Aktionären (irrevocables) Nicht nur zur Verbesserung der Ausgangsbedingungen gegenüber möglichen konkur- 89 rierenden Angeboten, sondern auch ganz allgemein zur Sicherstellung einer hohen Annahmequote wird ein Bieter typischerweise daran interessiert sein, sich schon vor der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe des Angebots möglichst viele Wertpapiere der Zielgesellschaft sichern. Soweit dem Bieter die Aktionärsstruktur der Zielgesellschaft bekannt ist, wird es in seinem Interesse liegen, jedenfalls mit den Inhabern der größten Aktienpakete Vereinbarungen über die Veräußerung der Aktien an ihn zu treffen. Wenn es sich um eine begrenzte Zahl von Aktionären handelt und diese als Verkäufer objektiv in Frage kommen, liegt hierin kein Verstoß gegen das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG1. Dem Inhalt von Vereinbarungen mit Aktionären der Zielgesellschaft sind nur wenige 90 Grenzen gesetzt2. Soweit der sofortige Erwerb der Wertpapiere vorgesehen ist, werden bei Überschreiten der relevanten Schwellenwerte die Mitteilungspflichten gemäß § 21 Abs. 1 WpHG und bei Erreichen bzw. Überschreiten von 30 % der Stimmrechte die Veröffentlichungspflicht gemäß § 35 Abs. 1 und die Pflicht zur Abgabe eines öffentlichen Angebots gemäß § 35 Abs. 2 ausgelöst. Die Einräumung einer dinglichen Call-Option hätte wegen der Zurechnungstatbestände in § 22 Abs. 1 Nr. 5 WpHG und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 die gleichen Rechtsfolgen (siehe hierzu § 30 Rz. 111 ff.). Wenn der Bieter am frühzeitigen Beteiligungserwerb (und ggf. an der Abgabe eines Pflichtangebots) nicht interessiert ist, kommt der Abschluss schuldrechtlicher Vereinbarungen in Betracht, die den Wertpapierinhaber verpflichten, seine Wertpapiere an den Bieter zu veräußern – also Kaufverträge, schuldrechtliche CallOptionen oder unwiderrufliche Zusagen von Wertpapierinhabern, ihre Aktien dem Bieter im Zuge des öffentlichen Angebots anzudienen (irrevocables)3. Diese Vereinbarungen sind unter den Voraussetzungen der §§ 25, 25a WpHG offen zu legen4. Im Übrigen sind insbesondere § 10 Abs. 1 Satz 1 und § 31 Abs. 6 i.V.m. § 31 Abs. 2–4 und § 4 WpÜG-AngVO zu beachten: § 10 Abs. 1 Satz 1 zwingt den Erwerber – wenn sich in der Vereinbarung eine endgültige Entscheidung zur Abgabe eines Angebots manifestiert – zur unverzüglichen Veröffentlichung dieser Entscheidung; § 31 Abs. 6 regelt i.V.m. § 31 Abs. 2–4 und § 4 WpÜG-AngVO die Relevanz der vereinbarten Gegenleistung für die im öffentlichen Angebot vorzusehende Gegenleistung. Im Zusammenhang mit konkurrierenden Angeboten stellt sich die Frage, ob die 91 Wertpapierinhaber, die mit dem ursprünglichen Bieter eine Vereinbarung über die Veräußerung ihrer Wertpapiere geschlossen haben, analog § 22 Abs. 3 zum Rücktritt von ihren Zusagen berechtigt sind5. Dies ist zu verneinen, weil die Wertpapierinhaber, die derartige Vereinbarungen abschließen, nicht schutzbedürftig sind. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das Rücktrittsrecht nicht nur dem Interes1 Hopt, ZGR 2002, 333, 339 f.; von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 727 f. 2 Zu verschiedenen Gestaltungen vgl. von Riegen, ZHR 167 (2003), 702, 711 ff., 717 ff. 3 Zu irrevocables eingehend von Riegen, ZHR 167 (2003), 702; zur englischen Praxis Paul/ Horan, European Lawyer, July/August 2002, S. 5, 6; Stern in Takeovers and Mergers in the European Union, 3. Aufl. 2001, S. 525, 544 (Ziff. 16. 7. 8). 4 Krause, AG 2011, 469, 479; Cascante/Bingel, NZG 2011, 1086, 1094 f.; zu irrevocables BaFin, FAQ (23.1.2012), http://www.bafin.de/SharedDocs/FAQs/DE/WA_Meldepflichten_ wphg25/faq_wphg25a_06_irrevocables.html (Abruf 7.11.2012). 5 In Frankreich und Italien sind die mit dem ursprünglichen Bieter geschlossenen Vereinbarungen mit Veröffentlichung des konkurrierenden Angebots gegenstandslos; vgl. Art. 232-10 Abs. 2 Règlement Général AMF; siehe auch Paul/Horan, European Lawyer, July/August 2002, S. 5, 6.
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se einzelner Aktionäre diene, sondern auch dem Interesse der konkurrierenden Bieter und der „freien“ Aktionäre1, über deren Schutz gebundene Aktionäre nicht zu verfügen berechtigt sind2. Würde man das Rücktrittsrecht auch auf irrevocables ausdehnen, bestünde die Gefahr, dass Bieter, die sich nicht auf Vorfeldzusagen verlassen können, ihre Angebotsvorhaben angesichts der finanziellen Risiken nicht realisieren. Dies würde dem Markt für Unternehmenskontrolle schaden3. Zudem wäre selbst bei Anerkennung eines Rücktrittsrechts des Wertpapierinhabers fraglich, ob konkurrierenden Bietern damit gedient wäre: Es ist nämlich nicht gewährleistet, dass die Gebundenen auch von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen4. Weil Wertpapierinhaber zum Abschluss von irrevocables nicht gezwungen sind, können sie die aus ihrer Sicht erforderlichen Bedingungen und Rücktrittsrechte mit dem Bieter frei aushandeln5. Denkbar wäre daher etwa die Vereinbarung eines zeitlich begrenzten Rücktrittsrechts für den Fall, dass ein konkurrierendes Angebot mit einer signifikant höheren (betragsmäßig definierten) Gegenleistung abgegeben wird. Soweit die Wertpapierinhaber ihre Aktien in das öffentliche Angebot „hineinverkauft“ haben, können sie von den so zustande gekommenen Kaufverträgen selbstverständlich gemäß § 22 Abs. 3 zurücktreten; sie verletzen damit aber ihre Pflichten nach dem irrevocable, wenn nicht die Voraussetzungen vorliegen, unter denen sie sich den Rücktritt vorbehalten haben. 92
Anlässlich der Umsetzung der Übernahmerichtlinie stellt sich die Frage, ob Kaufverträge und irrevocables von der Durchgriffsregel (§ 33b Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3) (hierzu § 33b Rz. 22 ff.) erfasst werden. Gemäß § 33b Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 gelten „zwischen Aktionären vereinbarte Übertragungsbeschränkungen von Aktien“, während der Annahmefrist nicht gegenüber dem Bieter. Wenn der Bieter bereits Wertpapiere der Zielgesellschaft erworben hat und somit Wertpapierinhaber im Sinne der Richtlinie ist, ließe sich argumentieren, dass der Abschluss eines Kaufvertrags bzw. die Vereinbarung eines irrevocable den anderen Wertpapierinhaber daran hindert, seine Wertpapiere an einen konkurrierenden Bieter zu veräußern. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Kaufverträge und irrevocables auf die Veräußerung der Aktien abzielen und somit Übernahmen fördern, während nach der ratio legis des § 33b nur solche Vereinbarungen dem Durchgriff unterliegen sollen, die generell auf die Verhinderung von Übernahmen abzielen6.
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Der ursprüngliche Bieter wird daran interessiert sein, eventuell erworbene Wertpapiere an den konkurrierenden Bieter zu veräußern, wenn abzusehen ist, dass das konkurrierende Angebot erfolgreich sein wird. Dem steht nichts entgegen: Soweit ihm Aktien der Zielgesellschaft gehören, kann er das Angebot des konkurrierenden Bieters annehmen. Soweit ihm Aktien angedient werden und er, weil er sich nicht durch eine Akzeptanzschwelle geschützt hat, nach Ablauf der Annahmefrist Eigen1 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 13. 2 Thun in Geibel/Süßmann, § 22 Rz. 46; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 26 ff., spricht sich für eine Unwirksamkeit jeglicher Formen von außerhalb des öffentlichen Angebots gemachten Absprachen (u.a. irrevocables mit Vertragsstrafen) aus, die geeignet sind, die gesetzlichen Vorgaben für Pflichtangebote zu umgehen; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 22 Rz. 13 (aber unklar, ob Rücktrittsausschluss nur für Angebotsunterlage oder darüber hinaus gelten soll). 3 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 215. 4 Bachmann in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 191, 216; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 22 Rz. 27. 5 Krause, AG 2011, 469, 479; so auch die Praxis in Großbritannien; vgl. Paul/Horan, European Lawyer, July/August 2002, S. 5, 6. 6 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 18.
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tum an diesen Aktien erwirbt, wird die Gelegenheit zum „Durchhandeln“ regelmäßig während der weiteren Annahmefrist des konkurrierenden Angebots bestehen.
II. Due Diligence bei konkurrierenden Angeboten Bieter sind typischerweise daran interessiert, vor der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots eine Due Diligence bei der Zielgesellschaft durchzuführen. Bei der Zielgesellschaft fällt die Entscheidung über die Zulassung der Due Diligence nach herrschender Auffassung in die Zuständigkeit des Vorstands1, der hierüber nach eigenem Ermessen grundsätzlich einstimmig2 zu entscheiden hat (zu Einzelheiten siehe § 35 Rz. 241). Die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und, soweit Zugang zu Insiderinformationen gewährt wird, das Weitergabeverbot gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG stehen der Zulassung der Due Diligence nicht per se entgegen3, bilden aber einen bedeutsamen Gesichtspunkt im Rahmen der vom Vorstand zu treffenden Gesamtabwägung4. Ermessensleitender Orientierungspunkt im Rahmen der Abwägung ist das Gesellschaftsinteresse5.
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Wie sich der Vorstand der Zielgesellschaft zu verhalten hat, wenn ein „freundlicher“ 95 Bieter eine Due Diligence durchgeführt hat und sodann ein konkurrierender feindlicher Bieter die Durchführung einer Due Diligence verlangt6 oder wenn ein „feindliches“ Angebot angekündigt worden ist und der vom Vorstand angesprochene potentielle „weiße Ritter“ vor der Ankündigung seines konkurrierenden Angebots eine Due Diligence durchführen will, ist im WpÜG nicht angesprochen. Ob sich die Zielgesellschaft gegenüber einem Bieter verpflichten kann, konkurrierenden Bietern die Durchführung einer Due Diligence zu verweigern, ist im WpÜG nicht geregelt. Diese Fragen erscheinen durchaus regelungswürdig7. Im Takeover Code8, im französischen9 und im
1 Roschmann/Frey, AG 1996, 449, 451 f.; K. Mertens, AG 1997, 541 ff.; K.J. Müller, NJW 2000, 3452 ff.; Linker/Zinger, NZG 2002, 497; a.A. Ziemons, AG 1999, 492, 495, 500. 2 K.J. Müller, NJW 2000, 3452, 3453 f.; Ziemons, AG 1999, 492, 500; Linker/Zinger, NZG 2002, 497, 498; a.A. Schroeder, DB 1997, 2161, 2162. 3 So aber Lutter, ZIP 1997, 613, 617; ähnlich Ziemons, AG 1999, 492, 495. 4 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 213; K. Mertens, AG 1997, 541, 544 ff.; K.J. Müller, NJW 2000, 3452, 3453 f.; Stoffels, ZHR 165 (2001), 362, 371 ff. 5 Hüffer, § 93 AktG Rz. 8; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 99. Insoweit können auch die Interessen einzelner verkaufswilliger Aktionäre an der Offenlegung der im Rahmen der Due Diligence zu erhebenden Informationen berücksichtigt werden, ebenso eventuelle Geheimhaltungsinteressen einzelner Aktionäre, nicht aber persönliche Interessen der Vorstandsmitglieder (etwa am Fortbestand ihrer Organzugehörigkeit); vgl. Fleischer, ZIP 2002, 651, 652; Stoffels, ZHR 165 (2001), 362, 374. 6 Zu dieser Konstellation vgl. etwa die Empfehlung der schweizerischen Übernahmekommission in der Sache Stancroft Trust Limited/Intersport Holding PSC AG vom 11.8.2000, www.takeover.ch; hierzu Wey/Huber, SZW 2001, 144, 146; Panel Statement in der Sache HSBC Holdings plc/Lloyds Bank plc/Midland Bank plc vom 12.5.1992. 7 Wenn man eine Verpflichtung der Zielgesellschaft zur Gleichbehandlung konkurrierender Bieter gesetzlich verankern wollte, wäre in diesem Rahmen zu regeln, in welchem Umfang der „feindliche“ Bieter einen Anspruch auf Zugang zu den Interna der Zielgesellschaft hat. Die Notwendigkeit der raschen Durchführung des Übernahmeverfahrens und das Interesse der Zielgesellschaft am Schutz vor der Ausforschung durch den „feindlichen“ Bieter legen nahe, das Informationsrecht des „feindlichen“ Bieters nach dem Vorbild der Rule 20.2 des Takeover Code zu begrenzen. 8 Takeover Code, Rule 20.2. 9 Commission des Opérations de Bourse, Recommandation no. 2003–01, abgedr. in Bulletin Mensuel COB, Octobre 2003, no. 383, S. 2, 4 (Sub II–1).
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§ 22
Konkurrierende Angebote
schweizerischen Recht1 ist vorgesehen, dass die Zielgesellschaft den ursprünglichen und den konkurrierenden Bieter in Bezug auf die Offenlegung gesellschaftsinterner Informationen grundsätzlich gleichbehandeln muss2. Auch der Übernahmekodex hatte vorgesehen, dass der Vorstand der Zielgesellschaft nach pflichtgemäßem Ermessen und im Interesse der Wertpapierinhaber verpflichtet ist, anderen Personen als dem ursprünglichen Bieter, die ihrerseits ein ernsthaftes Interesse an der Übernahme der Zielgesellschaft glaubhaft gemacht haben, die gleichen Informationen wie dem ursprünglichen Bieter zur Verfügung zu stellen3. In Österreich4 wurde über diese Form der Gleichbehandlung konkurrierender Bieter diskutiert. In anderen Ländern gibt es dagegen, soweit ersichtlich, kein Recht des konkurrierenden Bieters auf Durchführung einer Due Diligence. 96
Unter Berufung insbesondere auf den Takeover Code wird auch in Deutschland angenommen, dass die Zielgesellschaft generell5 oder unter bestimmten Umständen6 zur informationellen Gleichbehandlung konkurrierender Bieter verpflichtet sei. Allerdings ist zweifelhaft, ob das Schweigen des WpÜG eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes darstellt, die der Ausfüllung durch Analogie oder Rechtsfortbildung zugänglich ist.
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Ob eine Unvollständigkeit des Gesetzes planwidrig ist, ist durch historische und teleologische Auslegung des Gesetzes zu ermitteln7. In den verschiedenen Gesetzentwürfen und ihren Begründungen ist die Thematik der Durchführung einer Due Diligence bei konkurrierenden Angeboten mit keinem Wort erwähnt. Allerdings müssen dem Gesetzgeber die Regelung im Übernahmekodex8 sowie im Takeover Code und im schweizerischen Recht bekannt gewesen sein, denn es ist bekannt, dass die zuständigen Referenten im Bundesministerium der Finanzen ausführliche rechtsvergleichende Erhebungen durchgeführt haben9, damit das WpÜG eines seiner wesentlichen Ziele – Orientierung an international üblichen Standards10 – erreichen konnte11. Dies scheint auf ein beredtes Schweigen hinzudeuten. Außerdem war den Referenten bekannt, dass über die Zulässigkeit der Due Diligence bei Aktiengesellschaften und die zu ihrer Durchführung rechtlich erforderlichen Rahmenbedingungen streitig diskutiert wurde (siehe oben Rz. 94). Ganz offensichtlich wollten die Referenten der (noch nicht zum Ende gekommenen) aktienrechtlichen Diskussion und den dort vorgeschlagenen differenzierenden Lösungen nicht vorgreifen.
1 Art. 49 Abs. 1 UEV-UEK. 2 Näher Fleischer, ZIP 2002, 651, 652 f. Zu beachten ist allerdings, dass der „feindliche“ Bieter gemäß Note 1 on Rule 20.2 Takeover Code gerade nicht die Herausgabe der dem „freundlichen“ Bieter zugänglich gemachten Informationen verlangen kann, sondern spezifische Fragen stellen muss. 3 Art. 2 Abs. 2 Übernahmekodex; hierzu Kallmeyer, ZHR 161 (1997), 435, 446 f.; Zinser, Übernahmeangebote, S. 186 f. 4 Die h.M. nimmt dort trotz des Fehlens einer gesetzlichen Regelung ein Informationsrecht des konkurrierenden Bieters an; vgl. Fleischer, ZIP 2002, 651, 653 m.w.N. 5 Hirte, ZGR 2002, 623, 640; Hopt, ZGR 2002, 333, 358; Fleischer, ZIP 2002, 651, 653 f. 6 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 14. 7 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 373. 8 Vgl. die Erwähnung des Übernahmekodex in Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 27. 9 Niederschlag etwa in Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 17, 24, 29. 10 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 11 Deutlich Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 388, mit der Forderung, dass daher die unter dem City Code (und anderen europäischen Übernahmeregeln) gemachten Erfahrungen bei der Auslegung und Kommentierung des WpÜG über das herkömmliche Postulat der Einbeziehung rechtsvergleichender Erfahrungen hinaus zu berücksichtigen seien.
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§ 22
Konkurrierende Angebote
Ob die Schutzzwecke des Gesetzes verdeutlichen, dass die Frage der informationel- 98 len Gleichbehandlung konkurrierender Bieter planwidrig ungeregelt geblieben ist, ist unsicher. Zu den vom Gesetzgeber formulierten Zielen1 bzw. den in § 3 niedergelegten allgemeinen Prinzipien gehört die Gleichbehandlung konkurrierender Bieter jedenfalls nicht2: Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 verpflichtet zur Gleichbehandlung der „Inhaber der Wertpapiere“, nicht zur Gleichbehandlung mehrerer Bieter3. Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 zu einer aktiven Gleichbehandlungspflicht auszubauen4, erscheint nicht angängig: Der Schutzzweck des § 33 Abs. 1 besteht darin, den Aktionären die freie Entscheidung über die Annahme eines Angebots bzw. bei Vorliegen mehrerer Angebote die Wahl zwischen den Angeboten zu ermöglichen. Ein Diskriminierungsverbot lässt sich hieraus nicht herleiten5. Aus der Mindestannahmefrist (§ 16 Abs. 1), den in der Angebotsunterlage zu veröffentlichenden Angaben (§ 11 Abs. 2) und dem Rücktrittsrecht gemäß § 22 Abs. 3 eine konkurrenzfördernde Grundhaltung des Gesetzes herzuleiten6, erscheint sehr weitgehend7. Die Vorschriften der § 16 Abs. 1, § 11 Abs. 2 dienen in erster Linie der Gewährleistung eines fairen und geordneten Angebotsverfahrens und der Transparenz für die Wertpapierinhaber; die vierwöchige Mindestannahmefrist mag konkurrierende Angebote ermöglichen – eine Förderung derselben ist nicht erkennbar. Allenfalls § 22 Abs. 3 ist eine konkurrenzfördernde Grundhaltung zu entnehmen. Dass diese verfahrensrechtliche Regelung ihren Zweck verfehlt, wenn ihr nicht eine Regel über den gleichen Informationszugang zur Seite gestellt wird8, lässt sich jedenfalls aus praktischer Sicht nicht bestätigen9. Es kommt hinzu, dass der Vorstand der Zielgesellschaft – anders als nach englischem Recht10 oder dem Recht von Delaware11 – gemäß § 3 Abs. 3 auf das Interesse der Gesellschaft verpflichtet ist und in diesem Rahmen zwar die Interessen der Aktionäre an der Wahrnehmung einer attraktiven Veräußerungsmöglichkeit fördern darf, jedoch auch andere in der Gesellschaft zusammenfließende Interessen (etwa von Ar1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28 (Leitlinien für ein faires und geordnetes Angebotsverfahren, Transparenz für Wertpapierinhaber und Arbeitnehmer, Stärkung der Stellung der Minderheitsaktionäre, Orientierung an internationalen Standards – Hervorhebungen vom Verf.). 2 Die informationelle Gleichbehandlung käme den Wertpapierinhabern allerdings indirekt zugute, denn der konkurrierende Bieter könnte nach einer zufriedenstellend verlaufenden Due Diligence wahrscheinlich eine höhere Gegenleistung anbieten, als ihm dies ohne eine Due Diligence möglich wäre; Cramton/Schwartz, 7 J.L. Econ & Org. 27, 35 (1991); Romano in Hopt/Wymeersch, European Takeovers, 1992, S. 3, 36. Gleichwohl erscheint die Auslegung überzogen, dass die ratio legis des § 22 auch einen derartigen indirekten Schutz der Wertpapierinhaber umfasse. 3 Drygala, WM 2004, 1457, 1463; Fleischer, ZIP 2002, 651, 654; Drinkuth in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 171. 4 So aber Hirte, ZGR 2002, 623, 640; weitere Nachweise bei Fleischer, ZIP 2002, 651, 653. 5 Zutr. Fleischer, ZIP 2002, 651, 654. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, müsste die Diskriminierung unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 zulässig sein. 6 So Fleischer, ZIP 2002, 651, 653 f. 7 Zutreffend Drygala, WM 2004, 1457, 1463. 8 In diesem Sinne Fleischer, ZIP 2002, 651, 654. 9 Den Übernahmekampf um die französische Paribas S.A. im Jahr 1999 konnte die „feindliche“ Banque Nationale de Paris S.A. gegen die „freundliche“ Société Générale S.A. ohne Durchführung einer Due Diligence für sich entscheiden. 10 Vgl. Fleischer, ZIP 2002, 651, 652 f. m.w.N.; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93, 102. 11 Vgl. Rieckers, RIW 2003, 668, 669; Drygala, WM 2004, 1457, 1463 (jeweils m.w.N.); von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 101.
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Konkurrierende Angebote
beitnehmern, Gläubigern etc.) berücksichtigen muss (zu Einzelheiten siehe § 3 Rz. 31 ff.)1. Außerdem befreit das WpÜG den Vorstand nicht von seiner aktienrechtlichen Verpflichtung, die Gestattung der Due Diligence vom Ergebnis der Abwägung der Chancen und Risiken für das Unternehmen abhängig zu machen (siehe oben Rz. 94). Im Rahmen dieser Abwägung hat er zu berücksichtigen, ob es sich bei dem Bieter um einen Wettbewerber oder einen „neutralen“ Finanzinvestor handelt. Wenn gute Gründe des Gesellschaftsinteresses dafür sprechen, darf er dem Finanzinvestor die Due Diligence gestatten und sie dem Wettbewerber verweigern2. Wäre er zur Gleichbehandlung der Bieter verpflichtet, könnte er nur einheitlich entscheiden. Wenn also in der Person nur eines Bieters Gründe für die Versagung liegen, dürfte der Vorstand überhaupt keine Due Diligence zulassen. Folglich könnte ein Wettbewerber, nachdem der Vorstand einem Finanzinvestor die Durchführung einer Due Diligence gestattet hat, an den Vorstand herantreten und unter dem Vorbringen, die Abgabe eines konkurrierenden Angebots zu erwägen, gleiche Behandlung verlangen3. Weil der Vorstand niemals sicher sein kann, ob sich nicht zu einem späteren Zeitpunkt ein Wettbewerber meldet, der die Gesellschaft „ausspähen“ könnte, dürfte er als vorsichtiger Geschäftsleiter niemandem eine Due Diligence zu gestatten – vor dem Hintergrund der positiven ökonomischen Effekte einer Due Diligence4 ein untragbares Ergebnis. 100 Da hiernach die Historie und die Schutzzwecke des WpÜG gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sprechen, verbietet sich eine Analogie. Auch wenn man dies rechtspolitisch als wenig befriedigend empfinden mag, muss es jedenfalls de lege lata dabei bleiben, dass der Vorstand der Zielgesellschaft nach eigenem, pflichtgemäßen Ermessen über die Gestattung der Due Diligence des „feindlichen“ Bieters entscheidet5.
F. Blick über die Grenze I. Vereinigtes Königreich 101 Das Regime konkurrierender Angebote unter dem Takeover Code erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Seine Rule 33.1 (Timing and Revision) verweist in Bezug auf die Annahmefrist auf Rule 31 und in Bezug auf Änderungen des konkurrierenden Angebots auf Rule 32. Gemäß Rule 31.6(a)(i) gewährt der Takeover Panel beim Auftreten eines konkurrierenden Angebots regelmäßig eine Ausnahme von der Regel, dass ein Übernahmeangebot spätestens am 60. Tag nach seiner Abgabe unconditional as to acceptances geworden sein muss6, d.h. der Bieter unter Berücksichtigung 1 Entgegen Drygala, WM 2004, 1457, 1463 f., ist die Stellung des Vorstands aber nicht mit der Stellung des Managements einer Pennsylvania Corporation vergleichbar, weil ersterer den Beschränkungen des § 33 Abs. 1 unterliegt, während letzterer zu weitreichenden Abwehrmaßnahmen berechtigt ist. 2 Maier-Reimer, ZHR 163 (2001), 258, 264 f.; Fleischer, ZIP 2002, 651, 654 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Drygala, WM 2004, 1457, 1464; Hasselbach, NZG 2004, 1087, 1094; Seibt, CFL 2011, 213, 220; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 171. 3 Hopt, ZGR 2002, 333, 358; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77. 4 Hierzu eingehend Banerjea, ZIP 2003, 1730, 1731 f., 1734 ff. 5 So auch von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, S. 127; Drygala, WM 2004, 1457, 1464 f.; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 106. 6 Takeover Code, Rule 31.6 Satz 1.
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Konkurrierende Angebote
der ihm angedienten Aktien mehr als 50 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft erworben haben muss1. Die Synchronisierung der Annahmefristen derart, dass der Fristenlauf des konkurrierenden Angebots für beide Angebote maßgeblich ist, ergibt sich erst aus den Anmerkungen zu Rule 31.62. Die Problematik, dass zwei Bieter, die sich fortlaufend überbieten, die Zielgesell- 102 schaft theoretisch unendlich lange „belagern“ können, stellt sich nicht, weil Änderungen eines Angebots nach dem 46. Tag der Annahmefrist nicht mehr zulässig sind3. Maßgeblich ist insofern für beide Bieter der 46. Tag der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots. Der Takeover Panel muss eine Frist setzen, innerhalb derer die Bieter auf eine Änderung des Angebots des jeweils anderen Bieters, die am 46. Tag erfolgt, noch reagieren können4. Im Übrigen genießt der Takeover Panel relativ weites Ermessen, dieses Auktionsverfahren auszugestalten5; insbesondere kann er eine Frist für die letztmalige Änderung der Angebote setzen6. Ein solches Auktionsverfahren wurde vom Takeover Panel im Bieterwettstreit zwischen der Tata Steel UK Ltd. und der Companhia Siderúrgica National Acquisitions Ltd. um die Corus Group plc durchgeführt7. Die Aktionäre, die das ursprüngliche Angebot angenommen haben, sind erst ab dem 103 21. Tag nach dem ersten closing zum Rücktritt berechtigt, sofern nicht das ursprüngliche Angebot bis dahin unconditional as to acceptances geworden ist, der Bieter sich bis dahin also schon mehr als 50 % der Stimmrechte gesichert hat8. Weil das erste closing frühestens mit Ablauf des 21. Tages nach dem Versand der Angebotsunterlage stattfinden darf9, besteht das Rücktrittsrecht frühestens ab dem 42. Tag der Annahmefrist. Break fee-Vereinbarungen waren bis zum 19.9.2011 generell zulässig, sofern die von der Zielgesellschaft versprochenen break fees 1 % des Transaktionswerts nicht überstiegen und der board der Zielgesellschaft und ihr financial adviser gegenüber dem Takeover Panel bestätigten, dass die break fee nach ihrer Überzeugung im besten Interesse der Aktionäre lag10. Seit dem 20.9.2011 sind von der Zielgesellschaft versprochene break fees bzw. inducement fees generell untersagt11. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn Zielgesellschaft eine break fee-Vereinbarung mit einem einzigen konkurrierenden Bieter zu einem Zeitpunkt abschließt, zu dem ein feindliches Angebot eines anderen Bieters vorliegt und der konkurrierende Bieter seinen festen Willen zum Ausdruck gebracht hat, ein konkurrierendes Angebot abgeben zu wollen12. Weitere Voraussetzungen sind, dass die versprochene break fee 1 % des Trans1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
12
Takeover Code, Rule 10. Notes on Rule 31.6, note 4. Takeover Code, Rule 32.5 Satz 2. Takeover Code, Rule 32.5 Satz 2. Takeover Code, Rule 32.5 Sätze 1 und 4. Notes on Rule 32.5, note 2 („ Guillotine)“. http://www.thetakeoverpanel.org.uk/wp-content/uploads/2008/12/2007-03.pdf; dazu ausführlich: Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796, 1797 f. Takeover Code, Rule 34. Takeover Code, Rule 31.1. Takeover Code, Rule 21.2 Abs. 1 Satz 2 a.F. Takeover Code, Rule 21.2 (a); zu den Gründen vgl. Code Committee – Public Consultation Paper 2011/11 (Review on certain aspects of the regulation of takeover bids; proposed amendments to the Takeover Code) vom 21.3.2011, abrufbar unter: http://www.thetakeo verpanel.org.uk/wp-content/uploads/2008/11/PCP201101.pdf (Abruf 7.11.2012). Notes on Rule 21.2, note 1 („Competing offerors“).
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§ 22
Konkurrierende Angebote
aktionswerts nicht übersteigt, und nur dann fällig wird, sofern eines der miteinander konkurrierenden Angebote für bedingungslos gültig erklärt wird1. Durch diese Privilegierung der Suche nach einem Konkurrenzangebot (white knight) sollte die Position der Zielgesellschaft gestärkt werden, nachdem erkannt worden war, dass break fee-Vereinbarungen potentielle weitere Bieter von der Abgabe konkurrierender Angebote abgehalten hatten oder ihre Konkurrenzangebote einen entsprechenden Abschlag enthielten2. 105 Informationen, die ein Bieter im Zuge einer Due Diligence bei der Zielgesellschaft erhalten hat, muss die Zielgesellschaft einem konkurrierenden Bieter auf dessen Verlangen unverzüglich zur Verfügung stellen, auch wenn dieser konkurrierende Bieter weniger willkommen ist als der ursprüngliche Bieter3. Der konkurrierende, weniger willkommene Bieter ist aber nicht berechtigt, mit einer allgemein gehaltenen Anfrage alle Informationen zu erhalten, die dem ursprünglichen Bieter zugänglich gemacht wurden; vielmehr muss er spezifische Fragen stellen, um die gewünschten Informationen zu erheben4. In diesen Grenzen ist die Diskriminierung des weniger willkommenen Bieters zulässig5.
II. Österreich 106 Im Zuge des ÜbRÄG wurden im Jahr 2006 die Regelungen der wesentlichen Aspekte konkurrierender Angebote, die bis dahin in der 1. Übernahmeverordnung (1. ÜbV) enthalten waren, in das Übernahmegesetz (ÜbG)6 integriert7. Die bis dahin geltende Regelung des § 16 Abs. 3 der 1. ÜbV, wonach konkurrierende Angebote, deren Gegenleistung hinter der des ursprünglichen Angebots zurückbleibt, unzulässig sind, wurde gestrichen8. 106a
Eine Legaldefinition des Begriffs Konkurrenzangebot fehlt im ÜbG. Nach allgemeiner Ansicht sind unter Konkurrenzangeboten Angebote Dritter zu verstehen, die während der Annahmefrist eines Angebots abgegeben werden. Allerdings sind nur solche Angebote als konkurrierend zu betrachten, die jedenfalls zum Teil auf den Erwerb von Wertpapieren derselben Gattung gerichtet sind, auf die sich auch das ursprüngliche Angebot richtet9. Der Bieter des Konkurrenzangebots darf nicht identisch mit dem ursprünglichen Bieter oder mit einem mit diesem gemeinsam handelnden Rechtsträger sein10. § 17 ÜbG kennt keine qualitative Beschränkung.
1 Notes on Rule 21.2, note 1 (a) & (b). 2 Code Committee – Public Consultation Paper 2011/11 (Review on certain aspects of the regulation of takeover bids; proposed amendments to the Takeover Code) vom 21.3.2011, Section B: 3.2 (a) & (b), S. 37 f. 3 Takeover Code, Rule 20.2 Satz 1. 4 Notes on Rule 20.2, note 1. 5 Vgl. Fleischer, ZIP 2002, 651, 652 m.w.N. 6 Österr. BGBl. I Nr. 127/1998; i.d.F. öBGBl. I Nr. 98/2001; öBGBl. I Nr. 92/2003; öBGBl. I Nr. 75/2006; öBGBl. I Nr. 72/2007; öBGBl. I Nr. 71/2009. 7 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 3. 8 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 3; zur Kritik an der alten Regelung siehe Vorauflage: Löber in Huber, 1999, § 17 ÜbG Rz. 3. 9 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 6; Thaler in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 15.2, S. 161. 10 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 6; Thaler in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 15.2, S. 161.
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§ 22
Konkurrierende Angebote
Werden mehrere Konkurrenzangebote abgegeben, so löst jedes der Konkurrenzangebote für sich die Rechtsfolgen des § 17 ÜbG aus1. Die Annahmefristen bereits vorliegender Angebote verlängern sich durch die Abgabe 107 eines konkurrierenden Angebots bis zum Ende der Annahmefrist des konkurrierenden Angebots2. Das ÜbG macht darüber hinaus eine Reihe weiterer Vorgaben, die über die Regelungen des § 22 hinausgehen. Hiernach müssen die Annahmefristen aller Angebote spätestens 10 Wochen nach Beginn der Annahmefrist des ersten Angebots enden3. Die Übernahmekommission kann diese Frist bei Vorliegen konkurrierender oder verbesserter Angebote angemessen verlängern, soweit dadurch die Zielgesellschaft in ihrer Tätigkeit nicht ungebührlich behindert wird4. Die Annahmefrist des konkurrierenden Angebots darf zwei Wochen nicht unterschreiten und nicht vor Ablauf der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots enden5. Die automatische Fristverlängerung tritt allerdings dann nicht ein, wenn der Bieter sich vorbehalten hatte, von seinem Angebot zurückzutreten, wenn ein günstigeres Angebot abgegeben wird, und er diesen Rücktritt erklärt6, oder wenn er sein Angebot auf die Abgabe eines Konkurrenzangebots auflösend bedingt hat und ihm keine Möglichkeit zum Verzicht auf diese Bedingung zustand7. Das Rücktrittsrecht vom ursprünglichen Angebot ist in § 17 Satz 1 ÜbG geregelt. 108 Hiernach sind Aktionäre berechtigt, ihre Annahme des ursprünglichen Angebots zu widerrufen, sofern das konkurrierende Angebot vor Ablauf der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots veröffentlicht wird. Die Ausübung des Rücktrittsrechts begründet für den Aktionär keine Verpflichtungen, insbesondere braucht er das Konkurrenzangebot nicht anzunehmen8. Liegen mehrere Angebote vor und wird eines von ihnen verbessert, können die Aktionäre von vorangegangenen Annahmeerklärungen zurücktreten9. Das Rücktrittsrecht muss bis spätestens vier Börsetage vor Ablauf der ursprünglichen (nicht der gemäß § 19 Abs. 1 ÜbG synchronisierten) Annahmefrist ausgeübt werden10.
III. Schweiz Das schweizerische BEHG regelt in Art. 30 Abs. 1 nur das Grundprinzip, dass die 109 Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft zwischen konkurrierenden Angeboten die freie Wahl haben müssen. Im Übrigen sind konkurrierende Angebote in der aufgrund Art. 30 Abs. 2 BEHG von der Schweizer Übernahmekommission erlassenen Übernahmeverordnung vom 21.8.2008 (UEV-UEK) geregelt11. 1 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 8; Thaler in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 15.5, S. 163. 2 § 19 Abs. 1c Satz 2 ÜbG. 3 § 19 Abs. 1d Satz 1 ÜbG. 4 § 19 Abs. 1d Satz 2 ÜbG. 5 § 19 Abs. 1c Satz 1 ÜbG. 6 § 19 Abs. 1c Satz 1 a.E. ÜbG. 7 Gall in Huber, § 19 ÜbG Rz. 33. 8 Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 11; Thaler in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 15.5, S. 164. 9 § 17 Satz 2 ÜbG. 10 § 17 Satz 1 ÜbG; § 17 verweist ausdrücklich auf die ursprüngliche Annahmefrist nach § 19 Abs. 1; siehe dazu Zollner in Huber, § 17 ÜbG Rz. 11. 11 Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote vom 21.8.2008; im Internet abrufbar unter http://www.admin.ch/ch/d/sr/9/954.195.1.de.pdf [18.4.2011].
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§ 22
Konkurrierende Angebote
110 Ein konkurrierendes Angebot darf spätestens am letzten Börsentag vor Ablauf des ursprünglichen Angebots mit der Voranmeldung oder dem Angebotsprospekt veröffentlicht werden1. Bei einem konkurrierenden Angebot, das mittels Voranmeldung angekündigt wird, ist spätestens nach fünf Börsentagen der Angebotsprospekt zu veröffentlichen2. Das konkurrierende Angebot dauert gleich lang wie das ursprüngliche Angebot, mindestens jedoch zehn Börsentage3. Läuft das konkurrierende Angebot nach dem ursprünglichen Angebot ab, verlängert sich der Ablauf des ursprünglichen Angebots automatisch bis zum Ablauf des konkurrierenden Angebots4. Das ursprüngliche Angebot kann spätestens am fünften Börsentag vor dem Ablauf seiner (synchronisierten) Annahmefrist geändert werden5. Es muss grundsätzlich zehn Börsentage zur Annahme offen stehen6. Um zu verhindern, dass sich die Gesamtdauer des Verfahrens übermäßig hinauszieht, kann die Übernahmekommission insbesondere die Maximaldauer der verschiedenen Angebote festsetzen und die Fristen für die Änderung von Angeboten verkürzen7. 111 Die Wertpapierinhaber sind bei Veröffentlichung eines konkurrierenden Angebots bis zum Ablauf der Annahmefrist zum Widerruf ihrer Annahmeerklärungen in Bezug auf das ursprüngliche Angebot berechtigt8. 112 Die Zielgesellschaft hat den Grundsatz der Gleichbehandlung gegenüber allen Bietern zu wahren; insbesondere hat sie allen Bietern die gleichen Informationen zur Verfügung zu stellen9. Folglich darf der konkurrierende Bieter eine Due Diligence bei der Zielgesellschaft durchführen, wenn auch der ursprüngliche Bieter eine solche Due Diligence durchgeführt hat10. Der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter ist materieller Natur; demnach sind dem konkurrierenden Bieter nicht nur die Informationen offen zu legen, die der ursprüngliche Bieter im Zuge seiner Due Diligence erhalten hat, sondern auch die Informationen, die ihm auf anderem Wege bekannt geworden sind (etwa wegen der Mitgliedschaft von Vertretern des ursprünglichen Bieters im Verwaltungsrat der Zielgesellschaft)11. Ferner hat ein Bieter, der sein Angebot vorangemeldet bzw. veröffentlicht hat, nicht nur gegenüber anderen Bietern einen Anspruch auf Gleichbehandlung, sondern auch gegenüber einem potentiellen Bieter (z.B. white knight), der noch kein Angebot angekündigt oder veröffentlicht hat (d.h. weder durch Voranmeldung noch durch Publizität des Angebotsprospekts) und der unter Umständen kein Angebot abgeben wird12. Demzufolge muss die Zielgesellschaft einem Bieter, der sein Angebot abgegeben hat, die Due Diligence gewähren,
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Art. 50 Abs. 1 UEV-UEK. Art. 50 Abs. 2 UEV-UEK. Art. 50 Abs. 3 UEV-UEK. Art. 51 Abs. 1 UEV-UEK. Art. 52 Abs. 1 UEV-UEK. Art. 52 Abs. 3 UEV-UEK. Art. 48 Abs. 5 UEV-UEK. Art. 51 Abs. 2 UEV-UEK. Art. 49 Abs. 1 UEV-UEK. Empfehlung der Übernahmekommission in der Sache Stancroft Trust Limited/Intersport Holding PSC AG vom 7.8.2000 (www.takeover.ch). 11 Empfehlung der Übernahmekommission in der Sache Stancroft Trust Limited/Intersport Holding PSC AG vom 11.8.2000, bestätigt durch Verfügung der Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission vom 19.9.2000; hierzu Wey/Huber, SZW 2001, 144, 146; Fleischer, ZIP 2002, 651, 653; Gericke/Wiedmer, Art. 49 UEV Rz. 11. 12 Vgl. Empfehlung I. i.S. SIG Holding AG vom 26.10.2006, Erw. 5.2.2.3; Empfehlung I i.S. Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 15.7.2005, Erw. 2.11.3.
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§ 22
Konkurrierende Angebote
wenn sie bereits einen potentiellen Bieter zur Due Diligence zugelassen hat1. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht2. Denn ein potentieller Bieter kann von der Zielgesellschaft nicht verlangen, dass ihm dieselbe Due Diligence eingeräumt wird, wie dem Bieter, der sein Angebot schon veröffentlicht hat. Begründet wird dies unter anderem damit, dass der zeitliche Anwendungsbereich des Übernahmerechts noch nicht eröffnet ist, solange der potentielle Bieter sein Angebot noch nicht angekündigt bzw. veröffentlicht hat3.
IV. Frankreich Konkurrierende Angebote sind im Règlement Général der Autorité des Marchés Fi- 113 nanciers („AMF“)4 geregelt. Danach sind konkurrierende Angebote nur zulässig, wenn sie inhaltlich „besser“ sind als das ursprüngliche Angebot. Dies wäre nach dem Règlement etwa der Fall, wenn entweder (i) im Falle eines Kaufangebots die Gegenleistung des konkurrierenden Angebots die Gegenleistung des ursprünglichen Angebots um mindestens 2 % übersteigt, (ii) im Falle eines Tauschangebotes das konkurrierende Angebot eine bedeutende Verbesserung gegenüber den Konditionen des ursprünglichen Angebots enthält oder (iii) die Bedingungen des konkurrierenden Angebots zwar denen des ursprünglichen Angebots entsprechen, aber der konkurrierende Bieter – anders als der ursprüngliche Bieter – keine Mindestannahmeschwelle festsetzt5. Ein geplantes konkurrierendes Angebot kann ab dem Beginn der Annahmefrist des 114 ursprünglichen Angebots und spätestens fünf Börsentage vor dessen Ablauf an die AMF übermittelt werden6. Sobald das konkurrierende Angebot veröffentlicht ist, synchronisiert die AMF die Annahmefristen dergestalt, dass der jeweils späteste der von den Bietern festgesetzten Ablauftermine für den Ablauf der Annahmefristen aller Angebote maßgeblich ist7. Die AMF kann die Annahmefristen darüber hinaus verlängern8. Sobald ein konkurrierendes Angebot veröffentlicht ist, sind alle bis dahin abgegebenen Erklärungen über die Annahme des ursprünglichen Angebots automatisch unwirksam9.
115
Der ursprüngliche Bieter kann sein Angebot und das konkurrierende Angebot bis spätestens fünf Handelstage vor dem Ende der Annahmefrist seines Angebots überbieten10. Hierfür gelten dieselben Voraussetzungen wie für den ursprünglichen Bie-
116
1 Gericke/Wiedmer, Art. 49 UEV Rz. 11; Höhn/Lang/Roelli, Öffentliche Übernahmen, E. 5.4.3.1 Rz. 49. 2 Leitentscheid des Bundesgericht BGE 133 II 232, Erw. 3.3.3; dazu von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, S. 93, 103. 3 Höhn/Lang/Roelli, Öffentliche Übernahmen, E. 5.4.3.1 Rz. 49. 4 In der Fassung vom 1.2.2012; abrufbar unter http://www.amf-france.org/documents/gene ral/8004_1.pdf (Abruf 7.11.2012). 5 Art. 232-7 Règlement Général; zur Vorgängerregelung vgl. etwa Klein/Stucki, RIW 2001, 488, 490. 6 Art. 232-5 Règlement Général. 7 Art. 232-10 Abs. 1 Règlement Général. 8 Art. 231-34 Règlement Général. 9 Art. 232-10 Abs. 2 Règlement Général. 10 Art. 232-6 Règlement Général.
Krause
675
§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
ter: Die Verbesserung des Angebots ist nur zulässig, wenn entweder (i) bei einem Kaufangebot die Gegenleistung des letzten geänderten Angebots um mindestens 2 % überboten wird, (ii) bei einem Tauschangebot eine wesentliche Verbesserung der Konditionen erfolgt oder (iii) der Bieter auf eine Mindestannahmeschwelle verzichtet1. Wenn die AMF die Veröffentlichung eines derartig verbesserten Angebots zulässt, entscheidet sie gleichzeitig darüber, ob die Annahmefristen verlängert und die bisher abgegebenen Annahmeerklärungen für unwirksam erklärt werden2. Nach Ablauf von mehr als zehn Wochen seit Beginn der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots kann die AMF eine Ausschlussfrist für die Übermittlung der verbesserten Angebote festsetzen3.
§ 23 Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots (1) Der Bieter ist verpflichtet, die Anzahl sämtlicher ihm, den mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft einschließlich der Höhe der jeweiligen Anteile und der ihm zustehenden und nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechtsanteile und die Höhe der nach den §§ 25 und 25a des Wertpapierhandelsgesetzes mitzuteilenden Stimmrechtsanteile sowie die sich aus den ihm zugegangenen Annahmeerklärungen ergebende Anzahl der Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind, einschließlich der Höhe der Wertpapier- und Stimmrechtsanteile 1. nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage wöchentlich sowie in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist täglich, 2. unverzüglich nach Ablauf der Annahmefrist, 3. unverzüglich nach Ablauf der weiteren Annahmefrist und 4. unverzüglich nach Erreichen der für einen Ausschluss nach § 39a Abs. 1 und 2 erforderlichen Beteiligungshöhe gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen und der Bundesanstalt mitzuteilen. § 14 Abs. 3 Satz 2 und § 31 Abs. 6 gelten entsprechend. (2) Erwerben bei Übernahmeangeboten, bei denen der Bieter die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat, und bei Pflichtangeboten der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor Ablauf eines Jahres nach der Veröffentlichung gemäß Absatz 1 Nr. 2 außerhalb des Angebotsverfahrens Aktien der Zielgesellschaft, so hat der Bieter die Höhe der erworbenen Aktien- und Stimmrechtsanteile unter Angabe der Art und Höhe der für jeden Anteil gewährten Gegenleistung unverzüglich gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen und der Bundesanstalt mitzuteilen. § 31 Abs. 6 gilt entsprechend.
1 Art. 232-7 Règlement Général. 2 Art. 232-8 Règlement Général. 3 Art. 232-12 Règlement Général.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots Inhaltsübersicht A. Gegenstand und Entwicklung der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
I. Erforderliche Angaben . . . . . . . . . . .
4
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben über den aktuellen tatsächlichen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand . . . . . . . . . . . . . a) Anzahl der Wertpapiere . . . . . . . . b) Anteil am Grundkapital . . . . . . . . c) Stimmrechtsanteile . . . . . . . . . . . 3. Angaben über dem Bieter zugegangene Annahmeerklärungen . . . . . . .
4
II. Veröffentlichungs-, Mitteilungsund Übersendungspflichten . . . . . . . 1. Veröffentlichungspflichten. . . . . . . . a) Art der Veröffentlichung . . . . . . . b) Zeitpunkte der Veröffentlichung. aa) Veröffentlichungen im Laufe der Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . bb) Ergebnisbekanntmachung nach Ablauf der ersten Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Ergebnisbekanntmachung nach Ablauf der weiteren Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). . . . . . . . . . . . . . . 27 dd) Erreichen der für ein „Squeeze-out“ erforderlichen Beteiligungshöhe (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) . . . 27a 2. Mitteilungs- und Übersendungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten auslösende Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 III. Veröffentlichungspflicht. . . . . . . . . . 41 1. Zu veröffentlichende Angaben . . . . 41 2. Zeitpunkt und Art der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . 47 D. Rechtsfolgen von Verstößen . . . . . . 48
24
E. Verhältnis zu anderweitigen Publizitätsvorschriften . . . . . . . . . . . 51
Schrifttum: Bartelt, § 23 – Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots, 2003; Burgard, Kapitalmarktrechtliche Lehren aus der Übernahme Vodafone-Mannesmann, WM 2000, 611; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52; Neumann/Ogorek, Reichweite und verfassungsrechtliche Grenzen der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des § 23 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 WpÜG bei fehlendem Kontrollerwerb, BB 2010, 1297; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM 2000, Beil. 2, S. 22; Witt, Regelmäßige „Wasserstandsmeldungen“ – unverzichtbarer Bestandteil eines künftigen Übernahmegesetzes, NZG 2000, 809. Siehe im Übrigen das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Gegenstand und Entwicklung der Vorschrift Die Vorschrift legt dem Bieter angebots- und angebotsverfahrensspezifische Ver- 1 öffentlichungspflichten und diesen entsprechende Mitteilungspflichten gegenüber der BaFin auf (zum Verhältnis zu anderen Publizitätsvorschriften außerhalb des WpÜG siehe unten Rz. 51). Die aus § 23 Abs. 1 folgenden Veröffentlichungspflichten sollen „während des Ver- 2 fahrens am Markt Transparenz über die Beteiligung des Bieters, der mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochtergesellschaften an der Zielgesellschaft sowie über die Akzeptanz des Angebots schaffen“1. Sie stellen damit eine Ausprägung des in § 3 Abs. 2 niedergelegten Transparenzgrundsatzes dar, nach dem Inhaber 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
von Wertpapieren der Zielgesellschaft u.a. über ausreichende Informationen verfügen müssen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. Um die Adressaten eines Angebots im Rahmen der Annahmefrist über die Entwicklung der Beteiligungsverhältnisse und die Akzeptanz des Angebots auf dem Laufenden zu halten, ist der Bieter zur wiederholten Veröffentlichung aktualisierter Angaben über den Wertpapier- und Stimmrechtsbestand der Bieterseite (das sind, neben dem Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen) verpflichtet (sog. Wasserstandsmeldungen). Die sich aus § 23 Abs. 2 ergebenden Veröffentlichungspflichten des Bieters sind dagegen in erster Linie darauf gerichtet, Anleger, die das (im Rahmen eines erfolgreichen Übernahmeangebots oder eines Pflichtangebots unterbreitete) Angebot des Bieters angenommen haben, über außerhalb des Angebotsverfahrens vorgenommene Geschäfte zu informieren, um ihnen so die Durchsetzung von Nachbesserungsansprüchen nach § 31 Abs. 4 und 5 in Bezug auf die ihnen versprochene oder gewährte Gegenleistung zu ermöglichen1. 3
Seit ihrem Erlass hat die Vorschrift zwei Änderungen erfahren: Mit der ersten, auf Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz – ÜbernRLUG)2 zurückgehenden Änderung wurde § 23 Abs. 1 Satz 1 der Bestimmung die Regelung des Nr. 4 hinzugefügt, welche dem Bieter eine Veröffentlichungspflicht für den Fall auferlegt, dass er in der Lage ist, einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre (Squeeze-out) nach § 39a durchzuführen. Es handelt sich insoweit um eine Folgeänderung der sich aus § 23 ergebenden Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten, die auf die Einfügung des neuen Abschnitts 5a („Ausschluss, Andienungsrecht“) in das WpÜG durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 8.7.2006 zurückgeht. Eine zweite, durch Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz) vom 5.4.20113 veranlasste Änderung betrifft die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 zu veröffentlichenden und der BaFin mitzuteilenden Stimmrechtsanteile und erweitert die bis dahin zu veröffentlichenden bzw. mitzuteilenden Stimmrechtsanteile um solche, die nach §§ 25, 25a WpHG – zum Zwecke der Vermeidung des „Anschleichens“ an eine Zielgesellschaft – dem Emittenten und der BaFin mitzuteilen sind. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß, namentlich verstößt sie nicht gegen das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht des Bieters auf informationelle Selbstbestimmung4.
B. Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 1 I. Erforderliche Angaben 1. Überblick 4
Im Hinblick auf die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 von einem Bieter zu veröffentlichenden und der BaFin mitzuteilenden Informationen sind zwei Klassen von Angaben zu unterscheiden: Zum einen Angaben über den im jeweiligen Veröffentlichungszeitpunkt erreichten Wertpapierbestand des Bieters, der mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen sowie über den Stimmrechtsbestand des 1 2 3 4
Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. BGBl. I 2006, 1426. BGBl. I 2011, 538. Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 6; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 10.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Bieters im Hinblick auf sämtliche Wertpapiere der Zielgesellschaft, d.h. auch solche, die nicht Gegenstand des Angebots sind (näher unten Rz. 8 ff.), und zum anderen Angaben über den im jeweiligen Veröffentlichungszeitpunkt aktuellen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand des Bieters aus den ihm zugegangenen Annahmeerklärungen in Bezug auf die Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind (näher unten Rz. 17 ff.). Die nach § 23 Abs. 1 in der ersten Klasse von Angaben erforderlichen Informationen 5 über den jeweils aktuellen tatsächlichen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand sind denen vergleichbar, die nach § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO in der nach § 14 Abs. 3 zu veröffentlichenden Angebotsunterlage anzuführen sind, doch gehen sie teils über diese hinaus, teils bleiben sie hinter diesen zurück. Das ist im Interesse eines integrierten und effizienten Publizitätssystems weder hilfreich noch sachlich geboten. Korrekturbedarf besteht auch bei der sprachlichen Gestaltung von § 23 Abs. 1, die missglückt ist und bereits zu erheblichen Verwirrungen bei ihrer Auslegung geführt hat1. Das ist umso bedenklicher als (vorsätzliche oder leichtfertige) Verstöße gegen § 23 Abs. 1 bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten darstellen (siehe unten Rz. 48). Im Überblick stellen sich die vom Bieter nach § 23 Abs. 1 Satz 1 (jeweils zu den in Nr. 1 bis Nr. 4 angegebenen Zeitpunkten) zu veröffentlichenden und mitzuteilenden Angaben wie folgt dar: – Angaben über den aktuellen tatsächlichen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand. Anzugeben sind: – Die Anzahl sämtlicher der dem Bieter zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft und der damit verbundene Anteil am Grundkapital der Gesellschaft. – Die Anzahl sämtlicher der den mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft und der damit verbundene Anteil am Grundkapital der Gesellschaft. – Die Anzahl sämtlicher den Tochterunternehmen der mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft und der damit verbundene Anteil am Grundkapital der Gesellschaft. – Der Stimmrechtsanteil aus den dem Bieter zustehenden Wertpapieren. – Der Stimmrechtsanteil auf Grund der dem Bieter nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechte, ohne Aufschlüsselung nach Zurechnungstatbeständen. – Die Höhe der nach §§ 25 und 25a WpHG mitzuteilenden Stimmrechtsanteile. – Angaben über den aktuellen, sich aus zugegangenen Annahmeerklärungen ergebenden Wertpapier- und Stimmrechtsbestand des Bieters. Anzugeben sind: – Die Anzahl der Wertpapiere aus den dem Bieter zugegangenen Annahmeerklärungen. – Der Anteil der Wertpapiere aus den dem Bieter zugegangenen Annahmeerklärungen am Grundkapital der Zielgesellschaft. – Der Anteil der Stimmrechte aus den dem Bieter zugegangenen Annahmeerklärungen an allen Stimmrechten der Zielgesellschaft. 1 Siehe dazu die Hinweise in den nachfolgenden Erläuterungen der einzelnen Angaben, die § 23 Abs. 1 Satz 1 vom Bieter verlangt. Deshalb wird teils empfohlen, bis zu einer autoritativen Auslegung dem weitesten Verständnis des § 23 Abs. 1 zu folgen (etwa Mann/Apfelbacher in Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander, § 23 Rz. 7, S. 216), was allerdings eine beträchtliche Ausweitung der tatsächlich erforderlichen Angaben zur Folge hätte.
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§ 23 7
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Keine Veröffentlichungspflichten bestehen in Bezug auf solche Wertpapiere der Zielgesellschaft, die nach § 20 Abs. 1 von der BaFin auf Antrag des Bieters von den Veröffentlichungspflichten des § 23 ausgenommen wurden. 2. Angaben über den aktuellen tatsächlichen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand a) Anzahl der Wertpapiere
8
Der Bieter hat nach § 23 Abs. 1 Satz 1 zunächst, jeweils getrennt1, die Anzahl sämtlicher der ihm, der mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft anzugeben. Wer als mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person anzusehen ist, ergibt sich aus der entsprechenden Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 5, wobei Tochterunternehmen des Bieters als mit diesem gemeinsam handelnde Personen gelten (§ 2 Abs. 5 Satz 2). Der Begriff des Tochterunternehmens ist in § 2 Abs. 6 definiert.
9
Die Verpflichtung zur Angabe der Anzahl sämtlicher der dem Bieter, der mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen jeweils zustehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft soll deutlich machen, dass sich die diesbezüglichen Angaben nicht auf diejenigen Wertpapiere der Zielgesellschaft beschränken sollen und dürfen, die Gegenstand des Angebots sind, sondern sich auf alle der von der Zielgesellschaft ausgegeben Wertpapiere (i.S.d. § 2 Abs. 2) beziehen müssen.
10
Dem Bieter, den mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen zustehende Wertpapiere sind diejenigen, an denen die fraglichen Personen bzw. Unternehmen (im Folgenden auch: Betroffene) ein dingliches, gegen jedermann wirkendes Recht haben2, als dessen stärkstes das Eigentum anzusehen ist, wohingegen der bloße Besitz kein solches Recht darstellt. Deshalb sind auch Wertpapiere einzubeziehen, die ein Betroffener auf Grund eines echten Pensionsgeschäfts oder einer Wertpapierleihe (welche rechtlich i.d.R. ein Wertpapier-Darlehensgeschäft nach § 607 BGB ist) zu Eigentum erwirbt, wobei hier unerheblich ist, ob der Betroffene aus den geliehenen Wertpapieren ein Stimmrecht hat. Nicht dem Betroffenen zustehend sind dagegen solche Wertpapiere, die i.S.v. § 69 AktG nicht allein dem Betroffenen, sondern mehreren Berechtigten in Rechtsgemeinschaft zustehen.
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Auf Grund des nach § 23 Abs. 1 Satz 2 entsprechend anwendbaren § 31 Abs. 6 stehen den Wertpapieren, die einem Betroffenen zustehen, solche Wertpapiere gleich, die Gegenstand von Vereinbarungen sind, denen zufolge die Übereignung von Wertpapieren der Zielgesellschaft verlangt werden kann.
12
Eine Aufschlüsselung der Wertpapiere nach Wertpapiergattungen ist nicht erforderlich3. Das Gesetz gibt dazu keinerlei Anhaltspunkte, insbesondere gibt der Begriff 1 Ebenso etwa Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 7; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 15, 21; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 11; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 9. A.A. Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 15; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 3. 2 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 30 („dinglich zustehen“); Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 51 („dinglich zustehen“); Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 12 WpÜG Rz. 6 („dingliche Inhaberschaft“); Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 16 („dinglich zuzurechnen sind“); Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 4; Thun in Geibel/ Süßmann, § 23 Rz. 11. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 7 f. 3 Ebenso jetzt etwa Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 9. A.A. offenbar Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 9, 14.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
„sämtliche“, dem eine anderweitige Bedeutung zukommt (siehe oben Rz. 4, 9), für eine solche Auslegung der Vorschrift nichts her. b) Anteil am Grundkapital Des Weiteren muss der Bieter die Höhe der jeweiligen Anteile angeben. Gemeint ist damit der Anteil der gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 ihrer Anzahl nach benannten Wertpapiere (des Bieters sowie der mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen) am Grundkapital der Zielgesellschaft1.
13
Das wird im Schrifttum zum Teil anders gesehen2, jedoch zu Unrecht: Wenn § 23 14 Abs. 1 Satz 1 von der „Höhe der jeweiligen Anteile“ spricht, ist damit der jeweilige Anteil derjenigen Personen gemeint, welche die Vorschrift, diesem Satzteil vorausgehend, anführt. Des Weiteren besteht kein Anhaltspunkt, dass sich der Begriff Anteil, anders als im aktienrechtlichen Sprach- und Regelungsgebrauch üblich und soweit nicht ausdrücklich vom Stimmrechtsanteil die Rede ist, auf etwas anderes als den Anteil am Grundkapital bezieht. Dafür spricht auch, dass es dem Gesetz mit den Angaben über den Wertpapierbestand der in § 23 Abs. 1 benannten Personen darum geht, den Angebotsempfängern ein Bild über die Beteiligungsverhältnisse an der Zielgesellschaft zu verschaffen, wozu neben den Stimmrechtsanteilen vor allem – nicht zuletzt, weil das AktG im Hinblick auf besondere Aktionärsrechte vielfach an diese Größe anknüpft – die Beteiligung am Grundkapital gehört. Da der Bieter nach § 23 Abs. 1 Satz 1 nur die jeweilige Anzahl der ihm und den an dieser Stelle genannten Dritten zustehenden Wertpapiere zu benennen hat, besteht auch hier kein Anlass, eine Aufspaltung nach Aktiengattungen in Erwägung zu ziehen oder eine solche durch die Verwendung des Begriffs des Anteils als indiziert anzusehen. c) Stimmrechtsanteile Des Weiteren ist der Bieter verpflichtet, Angaben über seinen aktuellen Stimmrechts- 15 bestand zu machen. Das Gesetz verlangt diesbezüglich Angaben einerseits über dem Bieter zustehende und dem Bieter nach § 30 zuzurechnende Stimmrechtsanteile und andererseits über die Höhe der nach den §§ 25, 25a WpHG dem Emittenten und der BaFin mitzuteilenden Stimmrechtsanteile. Angaben über die Stimmrechtsanteile der mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen und der Tochterunternehmen derselben sind nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht erforderlich. Angabepflichtig sind die dem Bieter zustehenden oder ihm zuzurechnenden Stimmrechtsanteile und nicht die Anzahl der Stimmrechte3. Die dem Bieter zustehenden und ihm nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechtsanteile 16 sind getrennt auszuweisen und nicht zu einem Wert zu addieren. Hätte der Gesetzgeber die kumulierte Ausweisung dieser Werte in einem Wert gewollt, hätte er ohne weiteres auf die Nennung des § 30 in Abs. 1 Satz 1 verzichten und (wie im Hinblick auf § 31 Abs. 6 geschehen) die entsprechende Anwendung der Vorschrift in § 23 Abs. 2 anordnen können. Ebenso eindeutig ist eine nach den einzelnen Zurechnungs1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 10; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 23 Rz. 4; Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 4; auch Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 23. 2 Etwa von Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 14, der hier vom Anteil an der jeweiligen Aktiengattung ausgeht. 3 Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 46; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 67. A.A. Witt, NZG 2000, 809, 817, zu § 25 des Diskussionsentwurfs eines Übernahmegesetzes.
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Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
tatbeständen des § 30 getrennte Ausweisung der dem Bieter zuzurechnenden Stimmrechte nicht erforderlich1, denn in den Fällen, in denen solches gewollt ist, wird dies – wie etwa in § 35 Abs. 1 Satz 3 und in § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO2 – ausdrücklich angeordnet. Der Wortlaut der an den „Bieter“ anknüpfenden Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 verlangt nur Angaben über die „ihm“ – dem Bieter – nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechte. Während der Bieter verpflichtet ist, sowohl die Anzahl der ihm zustehenden Wertpapiere (einschließlich der Höhe der jeweiligen Anteile) als auch die Anzahl der den mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochtergesellschaften zustehenden Wertpapiere (nebst der Höhe der jeweiligen Anteile) zu veröffentlichen und mitzuteilen, verlangt § 23 Abs. 1 Satz 1 keine Angaben über die Stimmrechtsanteile, die den mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochtergesellschaften entsprechend § 30 zuzurechnen sind. Das verwundert insoweit als § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO solche Angaben für die Angebotsunterlage verlangt und die Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 insoweit als die Fortschreibung der diesbezüglichen Angaben für den Verlauf des Angebotsverfahrens zu den in dieser Vorschrift angeführten Zeitpunkten zu verstehen ist. Deshalb ist erwogen worden, im Wege der teleologischen Ausweitung die von § 23 Abs. 1 Satz 1 verlangten Angaben zu den Stimmrechtsanteilen nach Art und Umfang denjenigen anzupassen, wie sie § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO für die Angebotsunterlage verlangt3. Abgesehen davon, dass ein Verstoß gegen die solchermaßen erweiterte Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 wegen des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Analogieverbots schwerlich der bußgeldrechtlichen Bewehrung nach § 60 Abs. Nr. 1 lit. b) unterworfen werden kann, ergibt sich eine Kettenzurechnung nach dem Muster des § 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO schon aus der Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 und Abs. 2 Satz 34: Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 stehen dem Bieter Tochterunternehmen in der Weise gleich, dass auch auf sie die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 6 angeführten Zurechnungstatbestände Anwendung finden und die Stimmrechte des Tochterunternehmens dem Bieter in voller Höhe zugerechnet werden. Entsprechendes gilt für Dritte, mit denen der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft (i.S.v. § 30 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2) abstimmt, indem nach § 30 Abs. 2 Satz 3 für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten die Zurechnungstatbestände des § 30 Abs. 1 Anwendung finden. 16a Des Weiteren sind Angaben über die Stimmrechtsanteile zu machen, die der Bieter nach § 25 und § 25a WpHG dem Emittenten und der BaFin mitzuteilen hat. Die Mitteilungspflichten nach §§ 25, 25a WpHG hat der Gesetzgeber mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.2011 (siehe oben Rz. 3a) eingeführt, um das unbemerkte „Anschleichen“ von Unternehmen an einen Emittenten (i.S.d. § 2 Abs. 6 WpHG) zu verhindern5. Ein solches war bislang möglich, weil die wertpapierhandelsrechtlichen Vorschriften zur Beteiligungstransparenz – neben dem Halten von Stimmrechten – unter den Finanzinstrumenten, die ihrem Inhaber das 1 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 32 f., 46; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 69; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 23 Rz. 3; Steinhardt in Steinmeyer/ Häger, § 23 Rz. 15; i.E. auch Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 16; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 12. 2 Außerhalb des Übernahmerechts etwa in § 22 Abs. 4 WpHG. 3 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 21. Entsprechenden Korrekturbedarf mahnt schon Witt, NZG 2000, 809, 817, zu dem § 23 entsprechenden § 25 des Diskussionsentwurfs eines Übernahmegesetzes an. 4 I.E. wie hier auch Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 35; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 58. 5 Vgl. RegE BT-Drucks. 17/3628, S. 1, 2.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Recht verleihen, mit Stimmrechten verbundene Aktien zu erwerben, bislang nur solche Instrumente erfassten, die Finanzinstrumente i.S.d. § 2 Abs. 2b WpHG sind, so dass verschiedene andere Gestaltungsmöglichkeiten zur Erlangung von Stimmrechten an einem Emittenten von einer Mitteilungspflicht ausgeschlossen blieben. Generalklauselartig1 erweitert § 25a WpHG die Mitteilungspflichten des WpHG auf alle Finanzinstrumente und sonstigen Instrumente, die nicht bereits vom neu gefassten § 25 WpHG und seinem Begriff der „sonstigen Instrumente“ erfasst sind und es ihrem Inhaber faktisch oder wirtschaftlich ermöglichen, mit Stimmrechten verbundene und bereits ausgegebene Aktien eines Emittenten zu erwerben2. Die Anknüpfung an die Mitteilungspflichten nach §§ 25, 25a WpHG in § 23 Abs. 1 „dient der Verbesserung der Transparenz im Rahmen von Übernahmeverfahren nach dem WpÜG … Dieser Offenlegungspflicht in den sog. Wasserstandsmeldungen“ wird vor allem für den Fall besondere Bedeutung zugemessen, in dem „der Kapitalmarkt unsicher ist, ob eine vom Bieter vorgesehene Mindestannahmeschwelle zum Ablauf der Annahmefrist erreicht werden wird“3. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein erheblicher Positionsaufbau in Finanzinstrumenten und sonstigen Instrumenten „ein deutliches Zeichen für eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit des Angebotes“ wäre4. Zu den Stimmrechten, die nach §§ 25, 25a WpHG mitteilungspflichtig sind, ist auf die Erläuterung der Bestimmungen in der Kommentarliteratur zu verweisen5. Nach ausdrücklicher Bestimmung in §§ 25 Abs. 2a, 25a Abs. 1 Satz 5 WpHG scheidet eine Mitteilungspflicht nach diesen Bestimmungen aus, soweit die Zahl der Stimmrechte aus Aktien, für die ein Angebot zum Erwerb auf Grund eines Angebots nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz angenommen wurde, gemäß § 23 Abs. 1 offenzulegen ist, d.h., es besteht ein Vorrang der übernahmerechtlichen Offenlegungspflicht vor der wertpapierhandelsrechtlichen. 3. Angaben über dem Bieter zugegangene Annahmeerklärungen Über die Angaben zum tatsächlichen Wertpapier- und Stimmrechtsbestand des Bie- 17 ters sowie zum Wertpapierbestand der mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen hinaus muss der Bieter zu den verschiedenen der in § 23 Abs. 1 Satz 1 angeordneten Veröffentlichungszeitpunkten jeweils aktuelle Angaben zu der sich aus den ihm zugegangenen Annahmeerklärungen ergebenden Anzahl der Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind, sowie der Höhe des mit diesen Wertpapieren verbundenen Wertpapieranteils (d.h. den Anteil am Grundkapital der Zielgesellschaft, siehe oben Rz. 13) machen. Diese Angaben sollen die Adressaten des Angebots über dessen Akzeptanz im jeweiligen Veröffentlichungszeitpunkt informieren. Im Hinblick auf den Zugang der Annahmeerklärung gelten die Regeln des BGB über den Zugang von Willenserklärungen6. In die Abwicklung des Angebots eingeschaltete Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind Empfangsboten7. Darüber hinaus sind vor allem die diesbezüglichen Angebotsbedingungen zu berücksichtigen. Mangels auch nur des geringsten Anhaltspunkts im Gesetzeswortlaut sind 1 2 3 4 5
Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 25a WpHG Rz. 13 m.w.N. Vgl. RegE BT-Drucks. 17/3628, S. 1, 19. Vgl. RegE BT-Drucks. 17/3628, S. 1, 25. Vgl. RegE BT-Drucks. 17/3628, S. 1, 25/26. Zu den neuen Vorschriften bislang nur Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 25 WpHG Rz. 8 ff., § 25a WpHG Rz. 14 ff. 6 Siehe die Erläuterung in den einschlägigen Kommentaren zum BGB zu § 130 BGB. Zum vorliegenden Zusammenhang etwa Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 37. 7 A.A. („Empfangsvertreter“) Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 39 f.; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 60; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 14.
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Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Rücktrittserklärungen eines Angebotsadressaten, der das Angebot angenommen hatte, auch wenn sie vorgesehen und rechtlich zulässig sind, nicht zu veröffentlichen und mitzuteilen, sondern nur bei den im nächsten Veröffentlichungs- und Mitteilungszeitpunkt vorzunehmenden Angaben zu berücksichtigen1.
II. Veröffentlichungs-, Mitteilungs- und Übersendungspflichten 18
Die in § 23 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten Angaben sind zu den in dieser Bestimmung angeführten Zeitpunkten gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 2 muss der Bieter der BaFin einen Beleg über die jeweilige Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 übersenden. 1. Veröffentlichungspflichten a) Art der Veröffentlichung
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Die Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 sind, wie die Angebotsunterlage, durch Bekanntgabe im Internet und, darüber hinaus, durch Bekanntgabe im Bundesanzeiger oder, alternativ dazu, durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland (sog. Schalterpublizität) zu veröffentlichen. Wird alternativ zur Bekanntgabe im Bundesanzeiger die Schalterpublizität gewählt, ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen, bei welcher Stelle die Angebotsunterlage bereit gehalten wird und unter welcher Adresse die nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 gebotene Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet erfolgt ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1). Zu Einzelheiten siehe die Erläuterungen zu § 14 Abs. 3 Satz 1 in § 14 Rz. 31 ff. b) Zeitpunkte der Veröffentlichung aa) Veröffentlichungen im Laufe der Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)
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Nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 (mit der die Annahmefrist zu laufen beginnt, § 16 Abs. 1 Satz 2) und bis zum Ablauf der (ggf. nach § 21 Abs. 5 oder § 22 Abs. 2 verlängerten) ersten Annahmefrist (i.S.v. § 16 Abs. 1) sind die Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 wöchentlich zu veröffentlichen, in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist jedoch täglich. Eine Erweiterung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auf die weitere Annahmefrist für den Fall eines Übernahmeangebots hätte der Gesetzgeber, wäre dies gewollt gewesen, ohne weiteres vornehmen können. Zudem beginnt eine weitere Annahmefrist nach ganz herrschender Ansicht nur zu laufen, wenn der Bieter die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat2, so dass ein diesbezügliches Informationsinteresse der Angebotsadressaten nicht zu erkennen ist. Dies zusammengenom1 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 39 f.; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 18; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 14. A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 6. 2 Seiler oben § 16 Rz. 34. Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 11; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 770; Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 37; Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 61; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, § 16 Rz. 43; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 16 WpÜG Rz. 17; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 16 Rz. 17; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 16 Rz. 20. A.A. Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 16 Rz. 44; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 15.
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men ist eine planwidrige Regelungslücke, welche die analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auf die weitere Annahmefrist1 rechtfertigen würde, nicht zu erkennen2. Im Interesse der Adressaten des Angebots (an der Verringerung von Suchkosten) soll- 21 te die wöchentliche Veröffentlichung an dem Tag der auf die Veröffentlichung der Angebotsunterlage folgenden Woche, zu dem auch die Angebotsunterlage veröffentlicht wurde, erfolgen und, soweit nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erforderlich, in diesem Turnus fortgesetzt werden. Zwingend angeordnet in dem Sinne, dass mit Veröffentlichung der Angebotsunterlage eine Frist i.S.d. § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt, ist dies jedoch in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht3. Das gilt sowohl für die erstmalige Veröffentlichung nach Nr. 1 als auch für den hierauf folgenden Veröffentlichungsturnus. Andererseits ist eine gleichmäßige Information der Adressaten des Angebots bezweckt, weshalb größere oder wiederholte Abweichungen von dem vorstehend bezeichneten Beginn und Turnus der Veröffentlichungen durchaus einen Missstand i.S.d. § 4 Abs. 1 darstellen und die BaFin zum Eingreifen im Zuge der Missbrauchsaufsicht veranlassen können. Entsprechendes gilt für die aus § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 folgende Pflicht zur täglichen 22 Veröffentlichung in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist, mit der dem Umstand Rechnung getragen werden soll, dass ein Großteil der Wertpapierinhaber, insbesondere die institutionellen Investoren, regelmäßig erst sehr kurz vor Ablauf der Frist eine Entscheidung über die Annahme des Angebots treffen4. Die Pflicht zur täglichen Veröffentlichung beginnt regelmäßig sieben Tage vor Ablauf der Annahmefrist (bspw. am Freitag der Vorwoche, wenn die Annahmefrist mit dem Ablauf des Donnerstags in der Folgewoche endet). Die verbreitet vertretene Einschränkung der kalendertäglichen Veröffentlichungspflicht5 auf Börsentage6 ist nicht einsichtig und kann, zumal jede Veröffentlichung von Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 retrospektiv in dem Sinne ist, dass sie sich günstigstenfalls auf die Verhältnisse des Vortags bezieht, sicher nicht damit begründet werden, dass außerhalb der Börsentage keine Annahmeerklärungen oder Wertpapiertransaktionen möglich seien. Wäre die „börsen“-tägliche Veröffentlichung gewollt, hätte der Gesetzgeber diesen Zusatz unschwer anbringen können. § 23 Abs. 1 Satz 1 regelt den Inhalt und den Zeitpunkt von Veröffentlichungspflichten über die dem Bieter zugegangenen Annahmeerklärungen, lässt aber offen, auf welchen Stichtag sich die jeweiligen Informationen beziehen müssen. Angesichts des Umstands, dass die Annahmeerklärungen in der Regel nicht an den Bieter zu 1 Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 82 ff. 2 So i.E. auch Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 55 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 18; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 6; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 31; Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 7; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 23; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 25; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 18. 3 Ebenso i.E. Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 21. A.A. wohl Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 5, der den Wochenzyklus unter Anwendung von § 188 BGB und § 193 BGB analog bestimmen will; auch Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 76. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 50. 5 Ebenso Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 20; Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 6 (werktäglich). 6 So etwa Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 53; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 16; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 26; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 22; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 16.
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übermitteln sind und ihre Weiterleitung an denselben Zeit in Anspruch nimmt, kann der Bieter nur zu einer den technischen Möglichkeiten entsprechenden zeitnahen und den maßgeblichen Stichtag der Angaben bezeichnenden Veröffentlichung verpflichtet sein. Das kann schon deshalb hingenommen werden, weil der Bieter regelmäßig ein Interesse hat, mit den Veröffentlichungen die Akzeptanz seines Angebots zu illustrieren und deshalb die neuesten Daten zu veröffentlichen. bb) Ergebnisbekanntmachung nach Ablauf der ersten Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) 24
Des Weiteren sind die Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach Ablauf der (ggf. nach § 21 Abs. 5 oder § 22 Abs. 2 verlängerten) ersten Annahmefrist (i.S.d. § 16 Abs. 1) zu veröffentlichen (sog. Ergebnisbekanntmachung). Dadurch soll der Markt über den endgültigen Ausgang des Angebotsverfahrens informiert werden.
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Handelt es sich bei dem Angebot um ein Übernahmeangebot, beginnt – für den Fall der Kontrollerlangung des Bieters (siehe oben Rz. 20) – mit der Veröffentlichung der Ergebnisbekanntmachung darüber hinaus die sog. weitere Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 zu laufen, d.h. die zweiwöchige Frist, innerhalb deren die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, dieses nachholen können („Zaunkönigregelung“).
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Nach Art. 7 Nr. 15 des Übernahmekodex (Einl. Rz. 19) war in der Angebotsunterlage der Zeitpunkt anzugeben, „zu dem das Ergebnis des Angebots veröffentlicht wird“, wobei die Übernahmekommission – im Hinblick auf den mit einer Ergebnisfeststellung regelmäßig verbundenen Zeitaufwand – davon ausging, dass eine Veröffentlichung bis spätestens fünf Arbeitstage nach Ende der Angebotsfrist zu erfolgen habe. § 23 enthält keine vergleichbare Regelung, sondern verlangt, dass die Ergebnisbekanntmachung unverzüglich nach dem Ablauf der Angebotsfrist vorzunehmen ist. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Zusammenführung aller Annahmeerklärungen und die Ergebnisfeststellung auch bei sorgfältiger Vorbereitung derselben einige Zeit in Anspruch nimmt. Das Erfordernis unverzüglicher Ergebnisveröffentlichung kann deshalb nur bedeuten, dass diese „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach der Ermittlung des Ergebnisses vorzunehmen ist. Dabei ist der Bieter allerdings – nicht zuletzt auf Grund des allgemeinen Grundsatzes der raschen Verfahrensdurchführung nach § 3 Abs. 4 – verpflichtet, zumutbare organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um zu einer schnellstmöglichen Ergebnisfeststellung zu gelangen. Das sollte in Maßnahmen münden, die es jedenfalls erlauben, die Veröffentlichung der Ergebnisfeststellung – wie seinerzeit von der Übernahmekommission vertreten – innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Ablauf der Annahmefrist vorzunehmen1. cc) Ergebnisbekanntmachung nach Ablauf der weiteren Annahmefrist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3)
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Handelt es sich bei dem Angebot um ein Übernahmeangebot, beginnt – sofern nicht der Bieter das Angebot von dem Erwerb eines Mindestanteils der Aktien der Zielge1 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 17. Das Schrifttum ist aber uneinheitlich. Fünf Börsentage, ggf. auf ein anschließendes Wochenende zu erstrecken: Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 57; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 80. Sieben Kalendertage: Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 29. Lediglich zwei Werktage: Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 19.
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sellschaft abhängig gemacht hat und dieses Ziel verfehlt wurde (§ 16 Abs. 2 Satz 2) – mit der Veröffentlichung der Ergebnisbekanntmachung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die sog. weitere Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 Satz 1 zu laufen (siehe oben Rz. 25). In diesem Falle ist es angezeigt, der ersten Ergebnisbekanntmachung eine zweite folgen zu lassen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist der Bieter deshalb verpflichtet, unverzüglich (das dazu oben Rz. 26 Ausgeführte gilt hier entsprechend) nach Ablauf der weiteren Annahmefrist die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Angaben zu veröffentlichen. Während der Laufzeit einer weiteren Annahmefrist sind keine laufenden Mitteilungen i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erforderlich (siehe oben Rz. 20). dd) Erreichen der für ein „Squeeze-out“ erforderlichen Beteiligungshöhe (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) Unverzüglich zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 27a Nr. 41 auch das Erreichen der für einen Ausschluss nach § 39a Abs. 1 und 2 – dem übernahmerechtlichen „Squeeze-out“ – erforderlichen Beteiligung in Höhe von 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals (§ 39a Abs. 1 Satz 1). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, „dass in der Zielgesellschaft verbliebene Aktionäre die notwendigen Informationen erhalten, um ihr Andienungsrecht nach § 39c (Sell out) auszuüben“2. Die aufgrund des Gesetzes vom 8.7.2006 (Rz. 3) neu in das Gesetz gelangte Regelung stellt mithin eine Folgeänderung zur Einfügung des neuen Abschnitts 5a („Ausschluss, Andienungsrecht“) in das WpÜG durch dasselbe Gesetz dar (dazu Rz. 3). Für die Feststellung der Beteiligungshöhe sind gemäß dem in Nr. 4 in Bezug genommenen § 39a Abs. 2 die Bestimmung des § 16 Abs. 2 und Abs. 4 AktG entsprechend anwendbar. Siehe dazu im Einzelnen die Erläuterungen zu § 39a Rz. 42 f., 72 f., 125, 128. Auch wenn das Andienungsrecht des § 39c nur den Aktionären zusteht, die nach einem Übernahmeangebot in der Zielgesellschaft verblieben sind, sollen sie doch schon während des Angebotsverfahrens darüber informiert werden, ob die Voraussetzungen eingetreten sind, unter denen der Bieter die übrigen Aktionäre nach § 39a Abs. 1 aus der Zielgesellschaft ausschließen kann, und die Aktionäre, die das Angebot nicht annehmen, über ihr damit verbundenes Andienungsrecht nach § 39c Satz 1 auch nach Ablauf der Annahmefrist aus der Zielgesellschaft ausscheiden können. 2. Mitteilungs- und Übersendungspflichten Den Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 1 Satz 1 korrespondieren entspre- 28 chende Mitteilungspflichten gegenüber der BaFin, d.h., die Angaben, die der Bieter nach § 23 Abs. 1 Satz 1 in den in Nr. 1–3 angeführten Zeitpunkten zu veröffentlichen hat, sind zugleich solche, die er der BaFin – jeweils zu denselben Zeitpunkten, in denen die Veröffentlichung vorzunehmen ist – mitteilen muss. Für die Form dieser Mitteilung gilt § 45. Danach müssen die Mitteilungen in schriftlicher Form erfolgen, doch ist eine Übermittlung im Wege der elektronischen Datenfernübertragung zulässig, wenn der Absender zweifelsfrei zu erkennen ist. Darüber hinaus hat der Bieter (nach § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. dem gemäß dieser 29 Bestimmung entsprechend anwendbaren § 14 Abs. 3 Satz 2) der BaFin die im Bundesanzeiger nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 vorzunehmenden Veröffentlichungen, d.h. entweder die Bekanntgabe der Angebotsunterlage oder die Hinweis1 Nr. 4 wurde der Vorschrift durch das Gesetz vom 8.7.2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (BGBl. I 2006, 1426) hinzugefügt; siehe Rz. 3. 2 RegE BT-Drucks. 16/1003, S. 19.
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bekanntmachungen für den Fall der Schalterpublizität, unverzüglich in der sich aus § 45 ergebenden Form (siehe Rz. 28) mitzuteilen (siehe dazu § 14 Rz. 39).
C. Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 2 I. Regelungsgehalt 30
§ 23 Abs. 2 verpflichtet den Bieter, Angaben zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen, die für die von einem Übernahmeangebot oder einem Pflichtangebot betroffenen Aktionäre im Hinblick auf die ihnen nach Maßgabe von § 31 Abs. 4 und 5 (bei Pflichtangeboten i.V.m. § 39) zustehenden Ansprüche auf Nachbesserung der Gegenleistung für die Annahme des Angebots von Bedeutung sind.
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Auslöser der Pflicht zur Veröffentlichung der in § 23 Abs. 2 Satz 1 angeführten Angaben ist der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft (bzw. der Abschluss von Vereinbarungen i.S.v. § 23 Abs. 2 Satz 2) außerhalb des Angebotsverfahrens in dem Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 und dem Ablauf eines Jahres nach der Veröffentlichung der Ergebnisbekanntmachung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, im Falle von Übernahmeangeboten allerdings nur dann, wenn der Bieter auf Grund des Angebots die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat1. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass diejenigen Aktionäre, die ein auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft i.S.d. § 29 gerichtetes Angebot angenommen haben, keinen Anspruch auf Nachbesserung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 4 und 5 geltend machen können, wenn das Angebot – was auf Grund seiner entsprechenden Ausgestaltung denkbar ist – wirksam wurde, obwohl die Kontrolle über die Zielgesellschaft tatsächlich nicht erreicht werden konnte.
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Diesbezüglich mag man einwenden, es sei „systematisch verfehlt“, dass diese Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 31 Abs. 4 und 5 bei Übernahmeangeboten erst aus der Regelung des § 23 Abs. 2 deutlich werde2. Soweit die Kritik darüber hinaus geht, beruht sie auf der Annahme, Ansprüche aus § 31 Abs. 4 und 5 seien auch dann begründet, wenn ein Übernahmeangebot nicht zur Kontrollerlangung des Bieters geführt habe, aber gleichwohl wirksam sei3. Da diese Prämisse nicht zu teilen ist, kann zwischen § 23 Abs. 2 und § 31 Abs. 4 und 5 auch kein auf einem redaktionellen Versehen beruhender Widerspruch bestehen, der durch „Auslegung“ des § 23 Abs. 2 zu korrigieren wäre4. Zunächst macht bereits die Begründung des RegE WpÜG5 zu § 23 Abs. 2 deutlich, dass die Beschränkung von Nachbesserungsansprüchen bei Übernahmeangeboten nach§ 31 Abs. 4 und 5 auf den Fall der Kontrollerlangung beabsichtigt ist und dem Gesetzgeber bei der sprachlichen Fassung von § 23 1 Ebenso Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 8; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 32; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 31. Auch Neumann/Ogorek, BB 2012, 1298 ff. mit Ablehnung einer erweiternden Auslegung der Vorschrift (S. 1298) und ausführlichen Überlegungen zu ihrer (befürworteten) analogen Anwendung auf den Fall, dass der Bieter die Kontrollmehrheit nicht erlangt hat (S. 1299 ff.). 2 So wohl Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 35. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 31. 3 Neumann/Ogorek, BB 2012, 1298; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 21; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 36 ff., § 31 Rz. 58 f. 4 So aber Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 89; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 21; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 36 f., § 31 Rz. 59. Auch Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 59; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 89. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51.
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Abs. 2 kein Versehen unterstellt werden darf. Sodann ist zwar zu konzedieren, dass weder die Gesetzesbegründung zu § 23 Abs. 2 noch diejenige zu § 31 Abs. 4 und 5 eine besondere Rechtfertigung für die in § 23 Abs. 2 zu Grunde gelegte Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 31 Abs. 4 und 5 anführt, doch bedeutet dies nicht, dass eine solche in der Sache nicht bestünde: Die Vorschriften des § 31 Abs. 4 und 5 sind nicht nur, wie in der Begründung zum RegE WpÜG1 betont, Ausprägungen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes2, sondern auch Ausfluss des Gedankens, dass alle Aktionäre gleichmäßig an der im Zusammenhang mit der Kontrollerlangung gezahlten Kontrollprämie beteiligt werden müssten. Wenn eine Kontrolle nicht erlangt wurde, gibt es diesbezüglich auch nichts zu verteilen. Hinzu kommt, dass die den klaren Wortlaut der Vorschrift missachtende Annahme, § 23 Abs. 2 gelte auch für den Fall, dass der Bieter keine Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt habe, angesichts der bußgeldrechtlichen Bewehrung der Vorschrift nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) und des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden3, aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots nicht aufrechtzuerhalten ist4.
II. Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten auslösende Vorgänge Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des Bieters nach § 23 Abs. 2 ergeben sich unter der Voraussetzung, dass
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– der Bieter auf Grund eines Übernahmeangebots die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt oder ein Pflichtangebot abgegeben hat – und – der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen – in dem Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 und dem Ablauf eines Jahres nach der Veröffentlichung der Ergebnisbekanntmachung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 – außerhalb des Angebotsverfahrens – Aktien der Zielgesellschaft erworben haben. Bei Pflichtangeboten ist § 23 Abs. 2 stets anwendbar, bei Übernahmeangeboten i.S.d. 34 § 29 Abs. 1 nur dann, wenn sie dem Bieter die Kontrolle (§ 29 Abs. 2) über die Zielgesellschaft verschafft haben. Deshalb sind die sich aus § 23 Abs. 2 ergebenden Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten im Falle von Pflichtangeboten auch stets unverzüglich nach der Vornahme der in § 23 Abs. 2 bezeichneten Geschäfte, im Falle von Übernahmeangeboten dagegen erst dann unverzüglich vorzunehmen, wenn der Erfolg des Angebots i.S.d. Kontrollerlangung feststeht. Mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen sind natürliche oder juristische Personen, die ihr Verhalten im Hinblick auf ihren Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder ihre Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft mit dem Bieter aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen (§ 2 1 2 3 4
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. BVerfG v. 29.11.1989 – 2 BvR 1491/87, BVerfGE 81, 132, 135 m.w.N. A.A. Neumann/Ogorek, BB 2012, 1301 f. um den akzeptierten Preis eines gespaltenen Normverständnisses.
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Abs. 5 Satz 1). Tochterunternehmen des Bieters – d.h. Unternehmen, die als Tochterunternehmen i.S.d. § 290 HGB gelten oder auf die der Bieter einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt (§ 2 Abs. 6) – gelten als mit diesem gemeinsam handelnde Personen (§ 2 Abs. 5 Satz 3). 36
Wie § 31 Abs. 4 und 5, auf dessen Umsetzung sich die nach § 23 Abs. 2 erforderlichen Angaben beziehen, ist Gegenstand der nach § 23 Abs. 2 erforderlichen Angaben allein der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft, worunter der dingliche Rechtserwerb zu verstehen ist. Nach dem auf Grund von § 23 Abs. 2 Satz 2 entsprechend anwendbaren § 31 Abs. 6 stehen dem Erwerb jedoch Vereinbarungen gleich, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann (§ 31 Abs. 6 Satz 1)1. Die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts auf Grund einer Erhöhung des Grundkapitals der Zielgesellschaft gilt dagegen nicht als Erwerb (§ 31 Abs. 6 Satz 2). Das hat u.a. zur Folge, dass (im Übrigen die Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 erfüllende) Geschäfte über Aktien der Zielgesellschaft auch dann Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach § 23 Abs. 2 auslösen, wenn lediglich das Verpflichtungsgeschäft in dem von § 23 Abs. 2 festgelegten Zeitraum (siehe unten Rz. 39) erfolgte. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung ist allerdings zwischen (eigentlichen) Erwerbsgeschäften i.S.d. § 23 Abs. 2 Satz 1 und den nach § 23 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 6 Erwerbsgeschäften gleichstehenden Geschäften zu unterscheiden (siehe unten Rz. 44).
37
Für die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht aus § 23 Abs. 2 ist es dem Wortlaut der Vorschrift nach unerheblich, ob der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft börslich oder außerbörslich erfolgt. Dabei wurde offensichtlich übersehen, dass § 31 Abs. 5 RegE WpÜG auf Grund eines entsprechenden Vorschlags des Finanzausschusses2 dahingehend abgeändert wurde, dass Nachbesserungsansprüche nach § 31 Abs. 5 nur auf der Grundlage des Erwerbs von Aktien der Zielgesellschaft „außerhalb der Börse“ entstehen können. Da die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach § 23 Abs. 2 jedoch keine weitergehenden Publizitätspflichten begründen sollen, als sie im Hinblick auf die Entstehung und die Höhe von Nachbesserungsansprüchen nach § 31 Abs. 4 und 5 erforderlich sind, erscheint eine (an § 31 Abs. 5 angepasste) teleologische Reduktion des § 23 Abs. 2 in der Weise gerechtfertigt, dass der Bieter von den nach der Veröffentlichung (der sog. Ergebnisbekanntmachung) gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 vorgenommenen und im Übrigen von § 23 Abs. 2 erfassten Erwerbsvorgängen nur diejenigen zu veröffentlichen und mitzuteilen hat, die außerhalb der Börse erfolgten3.
38
Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten lösen solche Erwerbsgeschäfte und erwerbsgleiche Vorgänge jedoch nur aus, wenn sie außerhalb des Angebotsverfahrens erfolgen. Das ist dann anzunehmen, wenn sie nicht auf Annahmeerklärungen der Adressaten des Angebots beruhen4. Ganz sicher ist dies dann der Fall, wenn sie nach
1 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 62; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 37; Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 9. 2 Siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477 v. 14.11.2001, S. 68. 3 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 61; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 24; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 40, vor allem auf die entsprechende BaFin-Praxis hinweisend. A.A. Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 33; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 31. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. Auch Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 60; Pötzsch/Möller, WM 2000, Beil. 2, S. 22; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 36.
690 Assmann
§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Beendigung des Angebotsverfahrens erfolgen, d.h. (sofern nicht eine Fristverlängerung nach § 21 Abs. 5 oder § 22 Abs. 2 in Betracht kommt) im Falle von Pflichtangeboten nach Ablauf der Annahmefrist nach §§ 39, 16 Abs. 1 und im Falle von Übernahmeangeboten nach Ablauf der weiteren Annahmefrist nach §§ 34, 16 Abs. 2. Von § 23 Abs. 2 werden darüber hinaus Erwerbsvorgänge (Rz. 44), die innerhalb eines 39 bestimmten Zeitraums erfolgen, nämlich solche, die nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 und vor Ablauf eines Jahres nach der Veröffentlichung der sog. Ergebnisbekanntmachung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 vorgenommen werden. Ausreichend ist, dass das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, auf Grund dessen die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, in diesem Zeitraum abgeschlossen wurde (§ 23 Abs. 2 Satz 2, § 31 Abs. 6 Satz 2). Die Berechnung der Jahresfrist erfolgt nach Maßgabe von §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht nach § 23 Abs. 2 entfällt nicht etwa dadurch, dass die mitzuteilenden Angaben (siehe unten Rz. 41 f.) nicht zu einer Nachbesserung der Gegenleistung nach § 31 Abs. 4 und 5 führen1.
40
III. Veröffentlichungspflicht 1. Zu veröffentlichende Angaben Im Hinblick auf die nach § 23 Abs. 2 Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten 41 auslösenden Erwerbsvorgänge (siehe oben Rz. 33 ff.) hat der Bieter die Höhe der erworbenen Aktien- und Stimmrechtsanteile unter Angabe der Art und Höhe der für jeden Anteil gewährten Gegenleistung anzugeben. Dem Wortlaut des Gesetzes widersprechend, verlangt ein Teil des Schrifttums auch die Veröffentlichung der Anzahl der erworbenen Wertpapiere2. In Bezug auf die Art der gewährten Gegenleistung ist insbesondere anzugeben, ob diese in Geld oder Wertpapieren erfolgte. Im letzteren Falle sind die Wertpapiere, auch im Hinblick auf die erforderlichen Angaben zur Höhe der Gegenleistung, näher zu bezeichnen. In Bezug auf die Höhe der Gegenleistung sind (nicht zuletzt wegen der Gleichbehandlung von Erwerbsgeschäften mit erwerbsgleichen Verpflichtungsgeschäften nach § 23 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 6) unter „gewährten“ Gegenleistungen auch rechtwirksam versprochene anzusehen3.
42
2. Zeitpunkt und Art der Veröffentlichung Die Veröffentlichung der nach § 23 Abs. 2 vorgeschriebenen Angaben ist unverzüglich nach dem Erwerb der Aktien oder der Vornahme der diesem gemäß § 23 Abs. 2
1 Ebenso Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 28; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 45. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 65 (redaktionelles Versehen); Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 40 (redaktionelles Versehen); Sohbi in Heidel, § 23 WpÜG Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 27 (Wortlaut „spielt … keine Rolle“). Wie hier Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 29; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 41. 3 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 66; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 94; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 23 Rz. 40; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 30; Thun in Geibel/Süßmann, § 23 Rz. 41, 44; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 23 Rz. 28.
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691
43
§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 6 gleichgestellten Vereinbarungen nach Maßgabe von § 14 Abs. 3 vorzunehmen. 44
Auslöser der Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung der nach § 23 Abs. 2 vorgeschriebenen Angaben ist regelmäßig der Erwerb von Aktien im Sinne des dinglichen Erwerbs. Nur ausnahmsweise ist dagegen – entsprechend dem Zweck des von § 23 Abs. 2 Satz 2 für entsprechend anwendbar erklärten § 31 Abs. 6, Umgehungen u.a. der Nachbesserungsregelungen in § 31 Abs. 4 und 5 zu vermeiden1 – auf den Abschluss des auf den Erwerb von Aktien gerichteten Verpflichtungsgeschäfts (als Vereinbarung i.S.d. § 31 Abs. 6) abzustellen, nämlich dann, wenn der Zeitpunkt der Erfüllung in der Weise hinausgeschoben ist, dass er allein vom Erwerber bestimmt werden kann oder außerhalb der von § 23 Abs. 2 gesetzten Frist (von einem Jahr nach der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) liegt.
45
Auf ein Übernahmeangebot ist § 23 Abs. 2 nur dann anwendbar, wenn der Bieter durch dieses die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat (siehe oben Rz. 34 ff.). Deshalb kann die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung nach § 23 Abs. 2 in diesem Fall auch erst in dem Zeitpunkt eintreten, in dem diese Voraussetzung gegeben ist. Erlangt hat der Bieter die Kontrolle auf Grund der ihm zugehenden Annahmeerklärungen jedoch erst mit dem Ablauf der ersten Annahmefrist nach § 16 Abs. 1. Erst von diesem Zeitpunkt an ist der Bieter deshalb zur unverzüglichen Veröffentlichung der nach § 23 Abs. 2 erforderlichen Angaben in Bezug auf alle seit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage vorgenommenen und im Übrigen von der Vorschrift erfassten Geschäfte verpflichtet.
46
Zu den sich aus § 14 Abs. 3 ergebenden Anforderungen an die Veröffentlichung siehe neben den Erläuterungen zu dieser Bestimmung auch die Hinweise oben Rz. 19.
IV. Mitteilungspflichten 47
Die nach § 23 Abs. 2 zu veröffentlichenden Angaben sind zugleich solche, die der Bieter unverzüglich der BaFin mitzuteilen hat (§ 23 Abs. 2 Satz 1). Für die Form dieser Mitteilung gilt § 45. Da § 23 Abs. 2 hinsichtlich der Veröffentlichungspflicht nur auf § 14 Abs. 3 Satz 1 (nicht aber auch auf § 14 Abs. 3 Satz 2) verweist, ist der Bieter nicht verpflichtet, der BaFin die Veröffentlichung nach § 23 Abs. 2 mitzuteilen.
D. Rechtsfolgen von Verstößen 48
Der Bieter handelt ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig – entgegen § 23 Abs. 1 Satz 1 oder § 23 Abs. 2 Satz 1 die Veröffentlichung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vornimmt (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b); Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 500 000 Euro, § 60 Abs. 3); – entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 2 einen Beleg nicht, nicht richtig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übersendet (§ 60 Abs. 1 Nr. 5; Bußgeldrahmen: Geldbuße bis zu 200 000 Euro, § 60 Abs. 3).
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57.
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§ 23
Veröffentlichungspflichten des Bieters nach Abgabe des Angebots
Die nach § 23 zu veröffentlichenden Angaben sind keine solchen, die in einer nach § 14 zu veröffentlichenden Angebotsunterlage zu aktualisieren wären1. Deshalb haftet der Bieter für unzutreffende Angaben auch nicht nach § 122.
49
§ 23 Abs. 1 ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB3: Die Bestimmung dient in 50 erster Linie der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit eines Angebotsverfahrens als einer Transaktionsform, indem sie Transparenz über die Beteiligung des Bieters, der mit ihm gemeinsam handelnden Personen und deren Tochtergesellschaften an der Zielgesellschaft sowie über die Akzeptanz des Angebots zu gewährleisten versucht. Sie dient dementsprechend dem Schutz einer Vielzahl von Beteiligten und Marktteilnehmern, wie etwa der Information der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, der Zielgesellschaft, potentiellen konkurrierenden Bietern sowie des Publikums und den Wettbewerbern der Ziel- und Bietergesellschaft. Darüber hinaus ist – zumal angesichts des durch § 16 Abs. 2 Satz 1 gewährten Schutzes der Angebotsadressaten – nicht erkennbar, dass die Bestimmung gerade (auch) dem schadensrechtlichen Schutz jedes einzelnen Adressaten dienen soll. Dagegen lässt sich § 23 Abs. 2 als Schutzgesetz betrachten4, weil die Vorschrift vorrangig der Durchsetzung der gesetzlichen Nachbesserungsansprüche von Anlegern nach § 31 Abs. 4 und 5 in Bezug auf die ihnen versprochene oder gewährte Gegenleistung dienen soll und die sich aus § 23 Abs. 2 ergebenden Pflichten nicht als vertragliche zu verstehen sind.
E. Verhältnis zu anderweitigen Publizitätsvorschriften Bei den Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 1 und 2 handelt es sich um ange- 51 bots- und angebotsverfahrensspezifische Publizitätspflichten. Deshalb bleiben Veröffentlichungspflichten des Bieters, die – wie etwa diejenigen aus § 15 WpHG, §§ 21 ff. WpHG, §§ 20 f. AktG – anderen Zwecken dienen, von den Veröffentlichungspflichten nach § 23 Abs. 1 und 2 unberührt. Nach ausdrücklicher Bestimmung in §§ 25 Abs. 2a, 25a Abs. 1 Satz 5 WpHG besteht jedoch ein Vorrang der übernahmerechtlichen Offenlegungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 vor der wertpapierhandelsrechtlichen (siehe oben Rz. 16).
1 A.A. in Bezug auf die Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 für den Zeitraum des Laufs der Annahmefrist Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 75 f., doch handelt es bei den nach § 23 Abs. 1 Satz Nr. 1 verlangten Angaben nicht um solche der Angebotsunterlage, die der Pflicht zur Aktualisierung derselben unterliegen. 2 Ebenso Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 14 Rz. 14, wobei nach Oechsler, ZIP 2003, 1330, 1331, eine Haftung aus cic in Betracht kommen soll; Steinhardt in Steinmeyer/ Häger, § 23 Rz. 42. A.A. Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 99 ff., demzufolge § 12 teils (bei Verstößen gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2) direkt, teils (im Übrigen) analog anwendbar sein soll. Diesem zumindest in Bezug auf Angaben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 folgend: Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 75 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 30 f. 3 Ablehnend auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 32; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 40. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 77; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 106. 4 Insoweit wie Diekmann in Baums/Thoma, § 23 Rz. 77; Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 23 Rz. 106. A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 23 WpÜG Rz. 32; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, § 23 Rz. 41.
Assmann
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§ 24
Grenzüberschreitende Angebote
§ 24 Grenzüberschreitende Angebote Hat der Bieter bei grenzüberschreitenden Angeboten zugleich die Vorschriften eines anderen Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums einzuhalten und ist dem Bieter deshalb ein Angebot an alle Inhaber von Wertpapieren unzumutbar, kann die Bundesanstalt dem Bieter auf Antrag gestatten, bestimmte Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in dem Staat von dem Angebot auszunehmen.
Inhaltsübersicht A. Das Regelungsproblem . . . . . . . . . . .
1
B. Regelungsgegenstand und Regelungszweck: Ausschluss ausländischer Aktionäre. . . . . . . . . . . . .
4
C. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . .
6
aa) Bieterpflichten . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten . b) Andere Staaten . . . . . . . . . . . . . . . 3. Andere Erschwerungen für den Bieter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
D. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
7
F. Das Erlaubnisverfahren . . . . . . . . . . 36
E. Die Tatbestandsvoraussetzungen . .
8
I. Grenzüberschreitendes Angebot . . .
8
I. Darlegung der Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
27 33 34
II. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . 39
II. Pflicht zur Beachtung von Rechtsvorschriften eines Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
G. Rechtsfolge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1. Anwendung ausländischen Rechts . 2. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 13 14 17 18 19 20
I. Ausschluss bestimmter ausländischer Wertpapierinhaber von dem Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
III. Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
21
1. Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 23 23
III. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
II. Ermessen der BaFin und Ermessensreduzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Genehmigungsfiktion. . . . . . . . . . . . 46 IV. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 H. Die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Die Praxis der Bafin. . . . . . . . . . . . . . 50 II. Versendungsbeschränkungen („Distributionsbeschränkungen“) . . 52
Schrifttum: Aha, Die Cross-Border Rules der SEC und ihre Bedeutung für das deutsche Kapitalmarktrecht, AG 2002, 313; Baum/Breidenbach, Die wachsende internationale Verflechtung der Wertpapiermärkte und die Regelungspolitik der U.S. Securities and Exchange Commission, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 6; Behnke, Erste praktische Erfahrungen mit dem Ausschluss ausländischer Anteilsinhaber nach § 24 WpÜG, WM 2002, 2228; Brügger/Dubs, Zum internationalen Anwendungsbereich der börsenrechtlichen Übernahmeordnung bei freiwilligen Übernahmeangeboten, SZW 2000, 69; Büscher, Zur Verfassungswidrigkeit der Anwendung des WpÜG auf den öffentlichen Erwerb eigener Aktien, ZBB 2006, 107; Cascante/ Tyrolt, 10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht?, AG 2012, 97; Deutscher Anwaltverein e.V., Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), NZG 2001, 1003; Dürig, Kollisionsrechtliche Anknüpfung bei öffentlichen Übernahmeangeboten, RIW
694 Uwe H. Schneider/Rosengarten
§ 24
Grenzüberschreitende Angebote
1999, 746; Habermeier, Neue Wege zum Wirtschaftskollisionsrecht, 1997; von Hein, Grundfragen des europäischen Übernahmekollisionsrechts, AG 2001, 213; von Hein, Europäische Harmonisierung des Gesellschaftsrechts im kapitalmarktrechtlichen Kontext, in Nobel (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht einschließlich internationales Kapitalmarktrecht, Bern 2002, S. 37; von Hein, Zur Kodifikation des europäischen Übernahmekollisionsrechts, ZGR 2005, 528; Helmis, USA – Regulierung von Unternehmensübernahmen, RIW 2001, 825; Holzborn, Ausschluss ausländischer Aktionäre nach § 24 WpÜG, BKR 2002, 67; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Kronke, Capital Markets and Conflict of Law, Recueil des cours, 286 (2000), 249; Lenz, Das WpÜG in der Praxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, NJW 2003, 2073; Lenz/Linke, Das WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361; Letzel, Das Pflichtangebot nach dem WpÜG, BKR 2002, 293; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie – Inhalt und Umsetzung in nationales Recht, AG 2004, 221 (Teil I), 306 (Teil II); Meier-Schatz/Gasser, Zum räumlichen Anwendungsbereich der Übernahmeregeln, SZW 2000, 121; Meier-Schatz/Gasser, Analyse der Praxis der Übernahmekommission, in Weber (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Kapitalmarktrecht, Zürich 2000; Merkt, Empfiehlt es sich, im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Gutachten G für den 64. Deutschen Juristentag, Börsenrechtliches Teilgutachten, 2002, S. G 127; Möller/Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Der Regierungsentwurf vom 11.7.2001, ZIP 2001, 1256; Mülbert, Übernahmerecht zwischen Kapitalmarktrecht und Aktien(konzern)recht – die konzeptionelle Schwachstelle des RegE WpÜG, ZIP 2001, 1221; Nobel, Überblick über die Entwicklung im Internationalen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, in Nobel (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht einschließlich internationales Kapitalmarktrecht, Bern 2002, S. 9; Pohlmann, Rechtsschutz der Aktionäre der Zielgesellschaft im Wertpapiererwerbs- und Übernahmeverfahren, ZGR 2007, 1; Ryngaert, Cross-Border Takeover Regulation: a Transatlantic Perspective, ECFR 2007, 434; Uwe H. Schneider, Internationales Kapitalmarktrecht, AG 2001, 269; Schnyder, Takeovers and Conflicts of Law, in Ferrarini/Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets in the Age of the Euro, The Hague, London, New York 2002, S. 427; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, 1996; Seibt, Reform der EU-Übernahmerichtlinie und des deutschen Übernahmerechts, ZIP 2012, 1; Süßmann, Anwendungsprobleme des WpÜG, WM 2003, 1453; Unger/Witzel, § 24 WpÜG – Ausschluss australischer Aktionäre? Australischer Lösungsansatz für das WpÜG?, RIW 2005, 429; Veranneman/Gärtner, Grenzüberschreitende Tauschangebote nach dem WpÜG, AG 2009, 648; Zimmer, Aufsicht bei grenzüberschreitenden Übernahmen, ZGR 2002, 731.
A. Das Regelungsproblem Das Übernahmerecht ist ein Querschnittsrecht aus kapitalmarktrechtlichen (bzw. 1 aufsichtsrechtlichen) und zivilrechtlichen, insbesondere gesellschaftsrechtlichen Normen1. Abhängig von der Qualifikation als Gesellschafts-, Kapitalmarkt- oder Verbraucherschutzrecht können sich unterschiedliche kollisionsrechtliche Folgen ergeben2. Soweit das Übernahmerecht als Gesellschaftsrecht anzusehen ist, bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Sitz- bzw. dem Gründungsstaat der Zielgesell-
1 Ebenso für die Schweiz: Brügger/Dubs, SZW 2000, 69; a.A. Meier-Schatz/Gasser, SZW 2000, 121, 122: „Konzeptionell wird die Unternehmensübernahme damit als wirtschaftlich einheitlicher Sachverhalt erfasst und im Börsengesetz folgerichtig einer (zumindest) aus aktien- und börsenrechtlicher Sicht integralen Regulierung unterzogen.“ 2 A.A. für die Schweiz: Meier-Schatz/Gasser, SZW 2000, 121, 122: Einheitlicher räumlicher Geltungsbereich für den gesamten 5. Abschnitt BEHG (Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel): „Dass eine Aufsplitterung des Normenkomplexes in eigene Rechtsfragebereiche (z.B. gesellschaftsrechtliche Themen; kapitalmarktaufsichtsrechtliche Elemente) vom Gesetzgeber auch nur implizit beabsichtigt wurde, muss aufgrund des klaren Legaltextes verneint werden.“
Uwe H. Schneider/Rosengarten
695
§ 24
Grenzüberschreitende Angebote
schaft1. Bei einer Klassifikation als Kapitalmarktrecht (bzw. Aufsichtsrecht) würde hingegen der Territorialitätsgrundsatz gelten; bei Betonung des verbraucherschützenden Aspekts kommt eine Anknüpfung an die Nationalität oder den Wohnsitz der Aktionäre der Zielgesellschaft in Betracht. Ausgehend vom Verständnis des jeweiligen Gesetzgebers können nationale Regelungen daher unterschiedliche Anknüpfungsgrundlagen vorsehen. 2
Das WpÜG knüpft seine Anwendung an den Inlandssitz einer deutschen AG oder KGaA und die Zulassung ihrer Aktien zum Handel an einen organisierten Markt (welcher als geregelter Markt i.S.v. Art. 1 Nr. 13 der Richtlinie 93/22/EWG, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27, definiert ist, vgl. § 2 Abs. 7) im europäischen Wirtschaftsraum2. Ausländische Übernahmerechte knüpfen demgegenüber ihre Anwendung vielfach an andere Sachverhalte, z.B. an den Wohnsitz oder Sitz der Aktionäre, an den Ort der Leitung und/oder den Ort der Kotierung3. Ein allseitiges, d.h. Verweisungen auf ausländisches Übernahmerecht enthaltendes Übernahmekollisionsrecht fehlt dagegen bislang. Ein solches entsteht auch nicht schon durch eine Ausdehnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung4. Ein allgemeines Wirtschaftskollisionsrecht, welches die konfligierenden Regelungsansprüche im Einzelfall in Einklang zu bringen geeignet sein könnte, zeichnet sich nur in Grundlinien ab5. Eine Anerkennung in der Staatenpraxis lässt sich zumindest derzeit jedoch noch nicht nachweisen. Daher kann bei grenzüberschreitenden Sachverhalten neben dem deutschen Übernahmerecht zugleich das Übernahmerecht von zwei oder mehr ausländischen Staaten Geltung beanspruchen. Das ist Folge des „Effekts der kumulativen Anwendung des öffentlichen Kapitalmarktrechts“6, hier also des „Effekts der kumulativen Anwendung des öffentlichen Übernahmerechts“. Maßgebend ist im Einzelfall der jeweilige nationale Anknüpfungssachverhalt für das Übernahmerecht7.
3
Ist aber bei grenzüberschreitenden Angeboten neben dem deutschen Übernahmerecht auch ausländisches Übernahmerecht anwendbar, so sind die Folgen dieser Normenhäufung problematisch8. Die Pflichten des Bieters, die Anforderungen an die Angebotsunterlage, die Veröffentlichungspflichten und Veröffentlichungsfristen usw. können in den einzelnen Rechtsordnungen ganz unterschiedlich ausgeprägt sein9. Das kann zu Pflichtenkollisionen führen, einen unvertretbaren Zeit-, Finanz- und Personalaufwand verursachen und dadurch das Angebot insgesamt in Frage stellen10. 1 Ryngaert, ECFR 2007, 434, 435 ff. 2 Letzel, BKR 2002, 293, 298. 3 Siehe dazu etwa den Entscheid der Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission vom 30.9.1999 in der Sache Übernahmeangebot LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton, Paris, für die TAG Heuer International SA, Luxemburg, zit. nach Brügger/Dubs, SZW 2000, 69; sowie dazu näher unten Rz. 19. 4 A.A. von Hein, AG 2001, 219 ff. 5 Dazu Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990; Schnyder in FS Buxbaum, 2000, S. 516 ff. 6 Allgemein: Uwe H. Schneider, AG 2001, 273. 7 A.A. wohl Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 24 Rz. 3, der zwar einerseits das aus der kumulativen Rechtsanwendung folgende Konfliktproblem anerkennt, dies aber für das WpÜG verneint. 8 Siehe dazu von Hein, ZGR 2005, 528, 533. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51; Holzborn, BKR 2002, 74; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 11 f. 10 Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsauschusses zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), NZG 2001, 1005.
696 Uwe H. Schneider/Rosengarten
§ 24
Grenzüberschreitende Angebote
In der übernahmerechtlichen Praxis wird die aus der Anwendung unterschiedlicher nationaler Vorschriften resultierende Konfliktlage z.T. als wesentlicher Grund dafür angesehen, dass es in Deutschland bis dato nur wenige grenzüberschreitende Aktientauschangebote gegeben hat1.
B. Regelungsgegenstand und Regelungszweck: Ausschluss ausländischer Aktionäre Die übernahmerechtliche Praxis versuchte schon frühzeitig, dem Problem der kumu- 4 lativen Anwendung inländischen und ausländischen Übernahmerechts Rechnung zu tragen, indem der Angebotsunterlage sog. „Disclaimer“ („Ausschlusserklärung“) beigefügt werden. Damit sollen Aktionäre der Zielgesellschaft einer bestimmten Nationalität oder mit Wohnsitz oder Sitz in einem bestimmten Staat ausgeschlossen werden2. Die (bloß materiellrechtlich wirkende)3 Befreiungsvorschrift des § 24 stellt die Zuläs- 5 sigkeit einer Ausschlusserklärung unter den Genehmigungsvorbehalt der BaFin und damit auf eine gesetzliche Grundlage. Zugleich wird sie gegenüber der früheren Rechtslage erheblich weiterreichenden Voraussetzungen unterworfen. Grund hierfür ist die mit dem Ausschluss bestimmter Aktionäre von dem Erwerbsangebot einhergehende Einschränkung des übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebots (vgl. § 3 Abs. 1)4. Rechtfertigung sind die aus kollisionsrechtlichen Gegebenheiten folgenden Unzuträglichkeiten für den Bieter (siehe oben Rz. 2 f.), welche im Einzelfall ein mit allen eingriffswilligen Rechtsordnungen konformes Übernahmeangebot ausschließen können.
C. Entstehungsgeschichte § 24 war in seiner jetzigen Form zunächst weder im Diskussionsentwurf noch im Referentenentwurf enthalten. Beide Vorschläge sahen in § 26 vielmehr sogar ergänzende Veröffentlichungspflichten gegenüber ausländischen Aktionären vor. Allerdings galt dies nur für Zielgesellschaften, deren Aktien an einem organisierten Markt innerhalb des EWR zugelassen sind. § 24 wurde erstmals im Regierungsentwurf eingefügt. Die Vorschrift blieb im weiteren Gesetzgebungsverfahren unverändert. 1 So das Ergebnis einer im Hinblick auf die Diskussion über eine Reform der EU-Übernahmerichtlinie und des deutschen Übernahmerechts durchgeführten Experten-Umfrage: Seibt, ZIP 2012, 1, 6. 2 Beispiele bei Rahlf in Bad Homburger Hdb., S. 105 Fn. 333. Die frühere Praxis der Geschäftsstelle der vormaligen Übernahmekommission (vor Inkrafttreten des WpÜG) ging dahin, Disclaimer für Aktionäre mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland nach ausführlicher Begründung des Ausschlusses durch den Bieter i.d.R. für zulässig zu erklären; Holzborn, BKR 2002, 67. 3 Gegen eine Einordnung als Kollisionsnorm ausdrücklich: von Hein, ZGR 2005, 528, 543; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 3. 4 Zu den dogmatischen Grundlagen im Kapitalmarktrecht Dimke/Heiser, NZG 2001, 253; Peltzer in Assmann u.a., ZGR Sonderheft 9/1990, Übernahmeangebote, S. 187 ff.; Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991, S. 134 ff.; krit. Assmann, AG 1995, 566. Im Hinblick auf den öffentlichen Aktienrückkauf wird § 24 mit Verweis auf die bei einer Unzumutbarkeit der Einbeziehung im Ausland ansässiger Aktionäre durch § 53a AktG ipso iure erfolgende Befreiung von der Gleichbehandlungspflicht teilweise als nicht erforderlich und deshalb verfassungswidrig angesehen: Büscher, ZBB 2006, 107, 114.
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§ 24
Grenzüberschreitende Angebote
D. EU-Übernahmerichtlinie 7
Auch die europäische Übernahmerichtlinie1 enthält ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1a). Eine besondere Ausnahmeregelung für grenzüberschreitende Angebote ist – ebenso wie in den Vorentwürfen – zwar nicht vorgesehen. Allerdings sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 5 befugt, abweichende Regelungen zu erlassen und/oder ihre Aufsichtsbehörden zu Ausnahmen zu ermächtigen, um die in dieser Vorschrift unter Ziffer i) genannten „oder andere besondere Fälle“ zu berücksichtigen2. Darin liegt gegenüber dem gescheiterten Richtlinienvorschlag von 20013, wonach „bei bestimmten Arten von Fällen und auf der Grundlage einer mit Gründen versehenen Entscheidung in Einzelfällen, in denen dies angemessen erscheint“, Ausnahmen bewilligt werden konnten, eine Konkretisierung. Auch die in der Übernahmerichtlinie gewählte Fassung dürfte den Mitgliedstaaten für eine durch Normhäufung veranlasste Ausschlussregelung aber ausreichenden Spielraum lassen4. § 24 ist daher ungeachtet der Frage, ob außereuropäische Kapitalanleger überhaupt in den Schutzbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Übernahmerichtlinie einzubeziehen sind, als eine nach Art. 4 Abs. 5 zulässige, mithin unionsrechtskonforme Ausnahmevorschrift anzusehen5. Anlässlich des Inkrafttretens der Übernahmerichtlinie bestand somit kein Bedarf zur Änderung von § 24.
E. Die Tatbestandsvoraussetzungen I. Grenzüberschreitendes Angebot 8
Der Ausschluss von bestimmten Aktionären setzt voraus, dass es sich um ein „grenzüberschreitendes Angebot“ handelt. In Betracht kommen ein Erwerbsangebot, ein Übernahmeangebot und ein Pflichtangebot6, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Bar- oder ein Tauschangebot handelt7. Das Angebot ist „grenzüberschreitend“, wenn Aktionäre der Zielgesellschaft ihren Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht am Sitz der Gesellschaft, also im Inland, sondern im Ausland haben8. Maßgebend ist, dass das Angebot aus diesem Grund9 seine Wirkung im Ausland entfaltet10. 1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 2 Dazu Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 229. 3 ABl. EG Nr. C 21 v. 24.1.2001, S. 1. 4 So auch Behnke, WM 2002, 2229; ebenso wohl Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 8; zum gescheiterten Richtlinienentwurf schon von Hein, AG 2001, 232. 5 von Hein, ZGR 2005, 528, 560; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 8; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 4; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 7; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 1. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 24 WpÜG Rz. 2. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 10. 8 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51; Behnke, WM 2002, 2232; kritisch: Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 24 Rz. 6. 9 Hingegen soll für das Erfordernis der Eignung des Ausschlusses von im Ausland ansässigen Aktionären zur Vermeidung der Pflichtenkollision eine Mitursächlichkeit für die Nichtanwendung ausländischer Normen genügen: Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 18 ff.; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 28. 10 Aha, AG 2002, 323; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 3; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 148; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 9; Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 1; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 24 Rz. 11: grenzüberschreitende Wirkung nur bei ausländischer Börsenzulassung.
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Dagegen kommt es nicht darauf an, ob das Angebot im Ausland veröffentlicht wird und die Aktionäre im Ausland ausdrücklich etwa durch Werbung über die Grenze angesprochen werden. Ein grenzüberschreitendes Angebot stellt somit die Regel dar, weil es in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie keine börsennotierte Aktiengesellschaft mit ausschließlich Aktionären gibt, die ihren Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Einstweilen frei.
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II. Pflicht zur Beachtung von Rechtsvorschriften eines Staates außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums 1. Anwendung ausländischen Rechts Ob der Bieter zusätzlich zu den Vorschriften des WpÜG auch solche eines anderen 10 Staates zu beachten hat, richtet sich danach, ob das Angebot von dem räumlichen Anwendungsbereich dessen Übernahmerechts erfasst wird. An dieser Stelle muss ermittelt werden, unter welchen Voraussetzungen die ausländische Jurisdiktion die Anwendung ihrer Übernahmeregelungen an den Sachverhalt anknüpft1. Allerdings kommen für § 24 von vornherein ausschließlich die Rechtsordnungen sol- 11 cher Staaten, die nicht zu den Vertragsstaaten über den Europäischen Wirtschaftsraum gehören, in Betracht. Der Grund für diese Einschränkung ist darin zu sehen, dass die übernahmerechtlichen Bestimmungen innerhalb des Vertragsgebiets als ausreichend harmonisiert und die Gefahr von Pflichtenkollisionen bzw. unzumutbaren Erschwernissen für den Bieter als nicht gegeben angesehen werden2 – eine Einschätzung, die sich auch nach dem Inkrafttreten der EU-Übernahmerichtlinie wegen der Vielzahl der darin vorgesehenen Optionsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und Unternehmen als zweifelhaft erweist3. Der Dispens nach § 24 hängt entgegen dem im Indikativ gefassten Gesetzeswortlaut 12 nicht davon ab, dass der Bieter die Pflicht zur Einhaltung der ausländischen Rechtsordnung tatsächlich hat4. Dies zu vermeiden ist gerade der Sinn der Vorschrift. Es kommt vielmehr lediglich darauf an, dass dies der Fall wäre, wenn die betreffenden ausländischen Aktionäre nicht ausgeschlossen würden. Gemeint und ausreichend ist daher die bloße Hypothese der Fremdrechtsanwendung. In der bestehenden Fassung ist der Wortlaut als Konditionalsatz zu verstehen und gedanklich wie folgt zu ergänzen: Falls der Bieter bei einem grenzüberschreitenden Angebot die Vorschriften (…) zu beachten hätte, kann die BaFin (…).
1 Vgl. dazu Uwe H. Schneider, AG 2001, 276; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 557 ff.; zum europäischen Übernahmekollisionsrecht Dürig, RIW 1999, 748 ff.; von Hein, AG 2001, 214 ff.; Zimmer, ZGR 2002, 742. 2 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 16; aufgrund einer dahingehenden Einschätzung des Gesetzgebers auch ausdrücklich gegen eine entsprechende Anwendung des § 24 im Verhältnis zu EWR-Staaten Lenz/Linke, AG 2002, 365; kritisch hierzu von Hein, ZGR 2005, 528, 534; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 398. 3 Vgl. dazu Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 310 ff. 4 So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 9.
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2. Einzelfälle 13
Die nach dem gesetzlichen Ausschluss von EWR-Staaten praktisch bedeutsamsten und für § 24 verbleibenden Rechtsordnungen sind die der Vereinigten Staaten, Australien, Kanada, Schweiz und Japan1. Sie knüpfen die extraterritoriale Anwendung ihres Übernahmerechts in unterschiedlicher Art und Weise an2. a) USA
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Nach US-amerikanischem Übernahmerecht unterliegen Übernahmeangebote an Aktionäre mit Sitz oder Wohnsitz in den USA dem amerikanischen Kapitalmarktrecht, und zwar auch dann, wenn die Zielgesellschaft ihren Sitz im Ausland hat oder an einer ausländischen Börse gelistet ist3. Rechtsgrundlage ist Sec. 14 (d) Securities Exchange Act 1934 und die hierzu von der SEC erlassene Regulation 14 D4. Anknüpfungsmoment ist danach zwar der Gebrauch von „means of interstate commerce“ im Rahmen des Übernahmeangebots. Ein solcher wird jedoch bereits dann angenommen, wenn der Bieter vernünftigerweise vorhersehen kann, dass ein amerikanischer Anleger seine Anteile auf das Angebot hin in den amerikanischen Markt verkauft5. Systematisch handelt es sich dabei um die – von einem sehr weitgehenden Anlegerschutzverständnis getragene – Anknüpfung an eine mögliche Auswirkung auf den inländischen Markt (effects test). Zu den bundesgesetzlichen Regelungen des Securities Exchange Act beanspruchen u.U. noch einzelstaatliche Regelungen Geltung6.
15
Die Folge dieser Rechtslage war, dass amerikanische Aktionäre in der Vergangenheit von Übernahmeangeboten ausgeschlossen wurden7.
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Weil sich auf diese Weise sowohl der Anlegerschutz als auch die Markteffizienz in ihr Gegenteil verkehrten, erließ die Securities and Exchange Commission eine Reihe von Ausnahmetatbeständen (Exemptive Rules for Cross-Border Offers)8, die mit Wirkung zum 8.12.2008 noch erweitert wurden. Ihnen kommt für § 24 WpÜG insoweit maßgeblich Bedeutung zu, als sie bei der Feststellung, ob dem Bieter die Einhaltung US-amerikanischen Rechts unzumutbar ist, relevant sind (dazu unten Rz. 23). b) Kanada
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Die Anwendung des in Ontario geltenden Securities Act und der in den übrigen kanadischen Provinzen in der inhaltsgleichen Regulation 62-104 geregelten Übernah-
1 Holzborn, BKR 2002, 68 und 72 ff.; Lenz/Linke, AG 2002, 365. 2 Vgl. dazu auch Süßmann in Geibel/Süßmann, § 24 Rz. 17. 3 Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 151; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 24 Rz. 17; Einzelheiten bei: Aha, AG 2002, 314 ff.; ferner: von Hein, AG 2001, 224; Uwe H. Schneider, AG 2001, 276; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 574 ff.; für das Marktortprinzip de lege ferenda auch: Merkt, Gutachten G für den 64. Deutschen Juristentag, 2002, S. G 128. 4 US-Kapitalmarktnormen sind zu finden unter: www.sec.gov (Stand: November 2012). 5 Vgl. die Nachweise bei Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 574, Fn. 750 u. 759; Ryngaert, ECFR 2007, 434, 450. 6 Behnke, WM 2002, 2234; dazu auch Helmis, RIW 2001, 830 ff. 7 Securities Act Release Nr. 7759: Von 31 Übernahmeangeboten im Jahr 1997 in Großbritannien waren in 30 Fällen die US-Aktionäre ausdrücklich ausgenommen worden; siehe dazu schon Baum/Breidenbach, WM Sonderbeilage 6/1990, S. 7; ferner von Hein, AG 2001, 224; Uwe H. Schneider, AG 2001, 276; Ryngaert, ECFR 2007, 434, 441. 8 SEC, Release No. 33–7759, 34–42054; 39–2378; International Series No. 1208.
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mevorschriften knüpft daran an, ob es in dem jeweiligen Gebiet ansässige Aktionäre gibt. Eine Anwendbarkeit des kanadischen Übernahmerechts scheidet immer dann aus, wenn innerhalb der jeweiligen Provinz weniger als 50 Aktionäre ansässig sind und diese weniger als 2 % der Aktien der Zielgesellschaft halten (sog. „de minimis exemption“ nach Sec. 101.5 Ontario Securities Act bzw. Sec. 4.5 der Regulation 62-104)1. Wegen dieser niedrigen Schwellenwerte wird der Bieter daher häufig die Anwendung kanadischen Übernahmerechts auch bei solchen Zielgesellschaften zu gewärtigen haben, die keine spezifischen Bezüge zu diesem Staat aufweisen2. c) Australien Das australische Übernahmerecht ist auf Zielgesellschaften, die außerhalb Aust- 18 raliens inkorporiert wurden, nicht anwendbar3. Auch eine exterritoriale Ausstrahlungswirkung der australischen Übernahmevorschriften bei einem mittelbaren Stimmrechtserwerb an einer in Australien inkorporierten Untergesellschaft der Zielgesellschaft scheidet wegen der im Jahre 2000 für derartige „mittelbare“ Akquisitionen geschaffenen Freistellung in Sec. 611 no. 14 CA 2001 aus4. Unerheblich ist schließlich auch, ob es sich um ein Bar- oder Tauschangebot handelt5. Im Falle eines Tauschangebots sind allerdings die australischen „Fundraising Provisions“ in Chapter 6D des CA 2001 zu beachten, wonach der Bieter ein diesen Bestimmungen entsprechendes Prospekt veröffentlichen muss (zur Frage, ob daraus eine Unzumutbarkeit im Sinne von § 24 resultieren kann, Rz. 33a). d) Schweiz Nach Art. 22 Abs. 1 des schweizer Bundesgesetzes über die Börsen und den Effekten- 19 handel (Börsengesetz-BEHG) kommen die nationalen Übernahmevorschriften zur Anwendung, wenn das Ziel eine schweizer Gesellschaft ist, deren Aktien ganz oder teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass schweizer Übernahmerecht neben dem WpÜG Anwendung beansprucht6. Zum einen folgt das schweizerische IPR anders als das deutsche der Gründungstheorie7. „Schweizerische Gesellschaft“ kann also auch eine Gesellschaft sein, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und damit dem WpÜG unterfällt (§ 1 WpÜG). Zum anderen hat die Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission mit Entscheid vom 30.9.1999 in Sachen LVMH Moët Hennesy Louis Vuitton, Paris und TAG Heuer International SA, einer Gesellschaft mit Sitz in Lu1 Behnke, WM 2002, 2229, 2234 zur insoweit gleichlautenden früheren Fassung des Ontario Securities Act; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 61a. 2 Die von Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 60 angeführte Ausnahmeregelung der „Foreign issuer bid exemption“ (Sec. 101.4 des Ontario Securities Act und Sec. 4.4 der Regulation 62-104) mit vorteilhafteren Schwellenwerten für den Bieter dürfte an diesem Ergebnis in der Regel nichts ändern, da sie sich nur auf Zielgesellschaften bezieht, die Namensaktien ausgegeben haben. 3 Das australische Übernahmerecht in Chapter 6 des australischen Corporations Act 2001 [CA 2001] ist nämlich nur auf Gesellschaften anwendbar, die die Definition der „company“ in Sec. 9 CA 2001 oder der „listed bodies“ in Sec. 603 CA 2001 erfüllen. Beide setzen aber die Gründung der Gesellschaft in Australien voraus. 4 Unger/Witzel, RIW 2005, 429, 430. 5 Unger/Witzel, RIW 2005, 429, 430 f.; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 62; a.A. im Hinblick auf Tauschangebote: Holzborn, BKR 2002, 67, 75 f.; Behnke, WM 2002, 2229, 2235. 6 A.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 24 Rz. 27 f. 7 von Hein, AG 2001, 217.
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xemburg1 die Aufsicht an sich gezogen und verfügt, dass das Übernahmeangebot dem schweizerischen Börsengesetz unterliege, obwohl die Zielgesellschaft eine Gesellschaft nach luxemburger Recht war. Zwar handele es sich weder um eine nach schweizer Recht gegründete Gesellschaft noch habe diese ihren Sitz in der Schweiz. Die Mehrheit der Anteile liege jedoch in der Schweiz und sie werde aus der Schweiz heraus geleitet. Die luxemburger Gesellschaft sei lediglich eine Verwaltungsholding, die ihren Sitz nur aus steuerlichen Gründen in Luxemburg genommen habe. Daran wird deutlich, dass der Bieter bei Bezügen der Zielgesellschaft zur Schweiz unabhängig vom Wortlaut des Art. 22 Abs. 1 BEHG die Einzelheiten der Leitungs- und Anteilseignerstruktur berücksichtigen muss, um zu ermitteln, ob er – auch – das schweizer Übernahmerecht zu beachten hat oder nicht. e) Japan 20
Sehr weitgehend in seiner extraterritorialen Rechtsanwendung ist auch das japanische Übernahmerecht2. Nach dem Securities and Exchange Law ist dieses vom Bieter auch dann zu beachten, wenn die Zielgesellschaft ihren Sitz im Ausland hat, aber ihre Anteile an einer Börse in Japan oder außerbörslich gehandelt werden, die Zielgesellschaft Anteile im Wege eines öffentlichen Angebots in Japan begeben hat oder die Zahl der dort ansässigen Aktionäre 500 oder mehr beträgt.
III. Unzumutbarkeit 21
Als zentrales Tatbestandsmerkmal für den Ausschluss muss das Angebot an alle Inhaber von Wertpapieren „unzumutbar“ sein, weil der Bieter die Vorschriften eines anderen Staates außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums einzuhalten hat. Dies kann rechtliche Gründe, etwa in Gestalt divergierender Bieterpflichten haben. Zweifelhaft ist dagegen, ob darüber hinaus auch rechtliche Unsicherheiten und zusätzliche Risiken oder gar unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastungen dazu führen können, dass die Einbeziehung bestimmter ausländischer Aktionäre „unzumutbar“ ist. 1. Pflichtenkollision
22
Eine Pflichtenkollision entsteht, wenn das ausländische Recht, welches der Bieter ohne Ausnahmeregelung einzuhalten hätte und das WpÜG einander widersprechende Anordnungen vorsehen3. In diesem Fall soll nach der Gesetzesbegründung ein Angebot an alle Aktionäre stets unzumutbar sein, weil es dem Bieter unmöglich sei, die rechtlichen Vorgaben einzuhalten („echte Pflichtenkollision“)4. In der Praxis dürften hierbei vor allem die Bieterpflichten in der Phase nach der Entscheidung für ein öffentliches Angebot bedeutsam werden, da die nach § 14 Abs. 1 mit vier bzw. maximal acht Wochen knapp bemessene Frist zur Erstellung der Angebotsunterlage zu Abstimmungen mit ausländischen Wertpapieraufsichtsbehörden kaum Raum lässt5 und zudem mit der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 kollidieren würde. Darüber hinaus können ferner die ausländischen Bestim1 Siehe dazu Brügger/Dubs, SZW 2000, 69 einerseits und Meier-Schatz/Gasser, SZW 2000, 121 andererseits jeweils m.w.N. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 24 Rz. 25. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. 4 Vgl. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 8. 5 Holzborn, BKR 2002, 74; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 398.
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mungen zu Annahme- und Prüfungsfristen, Anmeldungs-, Registrierungs- und Veröffentlichungspflichten denen des WpÜG widersprechen1. Hier kann dem Bieter weder eine Zuwiderhandlung gegen deutsches noch gegen ausländisches Recht zugemutet werden. Das folgt schon daraus, dass die Verletzung der entsprechenden Pflichten als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können (vgl. § 60) und aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügungen befürchten lässt. Zu den Anforderungen an die Darlegung der Pflichtenkollision siehe unten Rz. 36. 2. Einzelfälle a) USA aa) Bieterpflichten In Hinblick auf mögliche Pflichtenkollisionen mit den Übernahmevorschriften der 23 Vereinigten Staaten findet sich im Schrifttum die Feststellung, wonach der Bieter im Regelfall – also vorbehaltlich der sogleich näher zu betrachtenden Ausnahmetatbestände – (siehe dazu unten Rz. 27 ff.) „sämtlichen Veröffentlichungs-, Verhaltensund Registrierungspflichten“ nachzukommen und eine Angebotsunterlage in Zusammenarbeit mit der SEC zu erstellen habe2. Tatsächlich muss bei der Prüfung von Pflichtenkollisionen hier, wie auch bei anderen Staaten, eine differenzierende Betrachtung erfolgen: So hängt der Umfang der Bieterpflichten im vorliegenden Zusammenhang zum einen von der den Aktionären der Zielgesellschaft angebotenen Gegenleistung ab. Zum anderen kommt es darauf an, ob deren Aktien zum Zwecke der Zulassung an einer US-amerikanischen Wertpapierbörse registriert sind3. Bei einem Barangebot (sog. tender offer) zum Kauf von Anteilen einer nicht in den Vereinigten Staaten zugelassenen Zielgesellschaft (non-registered securities) treffen den ausländischen Bieter nach der maßgeblichen Regulation 14E zwar Sonderbestimmungen betreffend der Mindestannahmefrist, deren Verlängerung und der Änderung der Gegenleistung4. Diese – im Wesentlichen der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken dienenden Vorschriften – stehen jedoch nicht im Widerspruch zu denen des WpÜG. Insbesondere folgt hieraus keine Verzögerungsgefahren mit sich bringende Pflicht zur Erstellung einer Vorlage an die SEC5.
24
Anders verhält es sich, wenn es sich bei den Anteilen der Zielgesellschaft um zum 25 Zwecke der Zulassung registrierte Wertpapiere (registered securities) handelt, was bei einer Vielzahl deutscher Gesellschaften der Fall ist. Hier findet Sec. 14d) SEA einschließlich der dazu erlassenen Regulation 14D Anwendung. Es ergeben sich weitergehende Pflichten, namentlich die eines Tender Offer Statements6, sowie der Unterbreitung einer Angebotsunterlage und deren Verteilung an die Aktionäre7. Die Erfüllung dieser Vorschriften mag für den Bieter einen erheblichen Mehraufwand begründen. Offenkundige Pflichtenkollisionen mit dem WpÜG folgen daraus aber nicht, so dass der Anwendung der Sec. 14d) SEA ebenfalls keine Unzumutbarkeit i.S.d. § 24 zu entnehmen sein dürfte8. 1 2 3 4 5 6 7 8
Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 23. Holzborn, BKR 2002, 72; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 151 f. Vgl. Behnke, WM 2002, 2233; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 44 ff. Dazu näher Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 44. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 45. Rule 14d-3. Zu den weiteren Einzelheiten vgl. Rules 14d-2 bis 14d-11. So auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 48.
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§ 24 26
Grenzüberschreitende Angebote
Bei Aktientauschangeboten (exchange offers) kommt es darauf an, ob die als Gegenleistung gebotenen Wertpapiere in den Vereinigten Staaten registriert sind. In diesem Fall treten neben den Bestimmungen über Erwerbsangebote des SEA auch die der Sec. 5 des Securities Act von 1933. Daraus folgt die Notwendigkeit ein Zulassungsdokument (registration statement) zu erstellen, welches der SEC zur Prüfung vorzulegen ist. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen erfordert erfahrungsgemäß einen zeitlichen Aufwand, der mit den Beschleunigungsmaximen des WpÜG nicht zu vereinbaren wäre. Daher ist hier – vorbehaltlich sogleich zu behandelnder Ausnahmen (siehe unten Rz. 27 ff.) – mit dem wohl herrschenden Schrifttum generell von einer „Unzumutbarkeit“ der Einhaltung auszugehen1. Eine andere Beurteilung kann sich unter Würdigung der Anwendungspraxis der SEC ergeben, wenn auch der Bieter registriert ist und damit schon vor dem Übernahmeangebot zu den reporting issuers gehört. bb) Ausnahmen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
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Zeigt sich damit, dass die Anforderungen des US-amerikanischen Rechts die Annahme von unausweichlichen Pflichtenkollisionen mit dem WpÜG i.d.R. nur für Übernahmeangebote rechtfertigt, die im Wege des Tauschs mit nicht US-registrierten Wertpapieren durchgeführt werden sollen, so ist dieser Befund durch Ausnahmetatbestände für ausländische Bieter (sog. foreign private issuer; zur Definition Rule 3b-4) weiter einzuschränken.
28
Rechtsgrundlage der Ausnahmen ist die Final Rule Cross-Border Tender and Exchange Offers, Business Combinations and Rights Offerings2, die zuletzt durch die Final Rule vom 19.9.2008 mit Wirkung zum 8.12.2008 geändert wurde3.
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Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die Pflichten des Bieters an der Zahl der betroffenen Wertpapierinhaber in den Vereinigten Staaten zu orientieren hat. Bei einer Anteilseignerquote von höchstens 10 % erfolgt eine weitgehende Befreiung von den Bieterpflichten (sog. Tier I Exemption), und zwar unabhängig davon, ob die Gegenleistung als Barangebot oder als Tauschangebot erfolgt4. Die Beteiligungsquote ist zu einem vom Bieter frei wählbaren Zeitpunkt zwischen 60 Tagen vor und 30 Tagen nach Beginn des Angebots zu errechnen. Bei der Berechnung sind Paketbeteiligungen von mehr als 10 % – anders als vom Bieter gehaltene Aktien – nicht mehr herauszurechnen. Das Unterschreiten der Beteiligungsschwelle wird grundsätzlich vermutet. Anders verhält es sich bei besserem Wissen des Bieters, bei vorwerfbarer Unkenntnis oder wenn das Handelsvolumen in den USA über 10 % liegt5.
30
Auch wenn die Beteiligung amerikanischer Aktionäre die 10 %-Schwelle überschreitet, kommen bis zu einer Anteilseignerquote von 40 % Ausnahmen von den USÜbernahmeregelungen in Betracht (Tier II Exemption).
1 So wohl auch Aha, AG 2002, 324; Behnke, WM 2002, 2234; ausdrücklich: Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 152; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 49. 2 17 CFR Parts 200, 230, 239, 240, 249 und 260; Release Nr. 33–7759, 34–42054; 39–2378, vgl. Rule 14(d) 1(c) und (d) bzw. Rule 800, 801 und 802 zum Securities Act; dazu Brown/Ferrara/ Bird/Kubek/Regner, Takeovers, 3. Aufl., § 13.02. 3 Release Nr. 33-8957; 34-58597. 4 Vgl. zu den eingeschränkten Bieterpflichten Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 53 f. 5 Siehe Rule Instructions to Rule 14(d) 1(c) und (d), Ziff. 3.
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§ 24
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Die Tier I Exemption begünstigt den Bieter in umfangreicher Weise1: Zum einen ent- 31 fällt bei einer Gegenleistung in bisher nicht in den Vereinigten Staaten zugelassenen Wertpapieren die Notwendigkeit des Registration Statements. Ebenso wie wenn bereits registrierte Wertpapiere im Tausch angeboten werden, bedarf es hier der unter Verwendung des Formulars CB vorzunehmenden Unterbreitung der Dokumentation des Übernahmeangebots gegenüber der SEC. Zum anderen ist dem Bieter gestattet, die nach einzelstaatlichen Regelungen (Blue Sky Laws) bestehenden Registrierungserfordernisse durch Ausschluss der in dem betreffenden Bundesstaat ansässigen Aktionäre zu vermeiden2. Bestehen bleiben Regelungen, die den Bieter dazu verpflichten, US-Aktionäre gegenüber anderen Wertpapierinhabern, insbesondere hinsichtlich der Gegenleistung gleich zu behandeln3, und über die Konditionen des Angebots in englischer Sprache zu unterrichten4. Die hiernach bestehenden Pflichten begründen nach zustimmungswürdiger Auffassung des Schrifttums keine „Unzumutbarkeit“ nach § 245. Kernstück der Tier II Exemption ist die Erlaubnis, das Übernahmevorhaben in zwei 32 getrennte Angebote aufzuteilen, von denen das eine dem US-Recht, das andere dem für den Emittenten maßgeblichen Recht unterliegt6. Darüber hinaus befreit die Regelung den Bieter zwar auch von einzelnen Pflichten des US-Kapitalmarktrechts. Diese Möglichkeit besteht aber nur für Barangebote. Für Tauschangebote bleibt es bei den allgemeinen Vorschriften, so dass insbesondere das Erfordernis des Registrierungsverfahrens zur Annahme der „Unzumutbarkeit“ veranlasst7. Dieselbe Feststellung dürfte darüber hinaus aber auch für das Barangebot Richtigkeit beanspruchen8: Zum einen deshalb, weil das erforderliche formelle Antragsverfahren gemäß Schedule TO (Rule 14d–100) erfahrungsgemäß mit zeitlichen Unwägbarkeiten belastet ist, zum anderen, weil die vom US-Recht hingenommene rechtliche Aufspaltung des Übernahmeangebots vom WpÜG als Kollisionsregel nicht akzeptiert wird, den Bieter insoweit also nicht aus der Konfliktlage befreit. Darüber hinaus ist bei der von Tier II vorausgesetzten Zahl von US-Aktionären aber ohnehin nur eine geringe praktische Bedeutung des § 24 zu unterstellen: In diesem Fall wird der Bieter die ausländischen Aktionäre schon deshalb nicht ausschließen, weil er ihre Anteile zum Erreichen seiner Angebotsziele benötigt. b) Andere Staaten Auch die Beachtung anderer Rechtsordnungen, namentlich Kanadas und Japans können für den Bieter „unzumutbar“ sein9. Auch hier indiziert ein vom Bieter beabsich1 2 3 4 5
6 7
8 9
Vgl. die näheren Einzelheiten unter Rule 14(d) 1(c), Rule 802; dazu Aha, AG 2002, 317 ff. Rule 14(d) 1(c)(2)(ii). Rule 14(d) 1(c)(2). Rule 14(d) 1(c)(3). Behnke, WM 2002, 2233; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 51; Holzborn, BKR 2002, 75; Lenz/Linke, AG 2002, 365; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 158; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 53 f.; dagegen wohl Aha, AG 2002, 324, der meint eine Einbeziehung ausländischer Aktionäre sei generell nur gerechtfertigt, wenn die Zielgesellschaft bislang auf den betreffenden Kapitalmärkten aktiv geworden sei. Aha, AG 2002, 321. Ganz h.M., vgl. Aha, AG 2002, 324; Behnke, WM 2002, 2233; Holzborn, BKR 2002, 75; Veranneman/Gärtner, AG 2009, 648, 653; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 159; einschränkend auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 58; a.A. wohl Diekmann in Baums/ Thoma, § 24 Rz. 51. So auch Behnke, WM 2002, 2234. Dazu Behnke, WM 2002, 2234; Holzborn, BKR 2002, 75 f.; zu Befreiungsmöglichkeiten Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 160 ff.
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tigtes Tauschangebot mit in den betreffenden Staaten nicht zugelassenen Wertpapieren im Regelfall eine für § 24 beachtliche Pflichtenkollision. 33a Hingegen folgt im Falle von Australien aus den bei einem Tauschangebot zu beachtenden Prospektpflichten regelmäßig keine Pflichtenkollision, die dem Bieter eine Erstreckung des Angebots auf dort ansässige Wertpapierinhaber „unzumutbar“ machen würde1. Dies resultiert daraus, dass der Bieter regelmäßig von der Pflicht zur Einreichung eines förmlichen Prospekts befreit ist2 und stattdessen lediglich eine den Anforderungen der Sec. 710, 711 CA 2001 genügende Übersetzung der deutschen Angebotsunterlage einzureichen hat. Die nach australischem Recht erforderlichen Angaben sind dabei weitestgehend deckungsgleich mit den von § 2 Nr. 2 WpÜGAngVO i.V.m. der Prospektverordnung geforderten; ansonsten können zusätzliche Informationen der Angebotsunterlage als Anlage beigefügt werden. 3. Andere Erschwerungen für den Bieter 34
Nicht eindeutig ist, ob das Tatbestandsmerkmal der „Unzumutbarkeit“ auch durch rein tatsächliche erhebliche finanzielle oder organisatorische Erschwerungen des Erwerbs erfüllt sein kann. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass eine aus den grenzüberschreitenden Wirkungen resultierende finanzielle Mehrbelastung nicht bereits zur Unzumutbarkeit führe3. Erforderlich solle vielmehr sein, dass der Bieter in vorhersehbarer Weise auch bei Anwendung aller möglichen Sorgfalt nicht in der Lage sein wird, die rechtlichen Vorgaben einzuhalten. Daraus wird vielfach gefolgert, dass die Unzumutbarkeit lediglich durch Pflichtenkollisionen im oben genannten Sinne ausgelöst werden könne4.
35
Zwingend ist das nicht. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Begründung legen diese Folgerung nahe. Der Normtext stellt ausdrücklich auf die „Unzumutbarkeit“, nicht auf die Unmöglichkeit der Einhaltung fremden Rechts ab. Die „Unzumutbarkeit“ beschreibt darüber hinaus nach allgemeiner Terminologie ein subjektiv an sich mögliches, im Einzelfall vom Normadressaten billigerweise aber nicht zu erwartendes Verhalten. Wenn die Motive davon sprechen, dass wirtschaftliche Erschwernisse „nicht bereits“ zur Unzumutbarkeit führen, lässt das ebenfalls Raum, dass diese jedenfalls in einer Gesamtschau mit anderen Übernahmehindernissen bejaht werden könnte. Auch die grundlegende Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und dessen partielle Einschränkung durch § 24 rechtfertigt eine Beschränkung auf die objektive Pflichtenkollision nicht von vornherein5. Das gilt umso mehr als den Beson1 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 62; Unger/Witzel, RIW 2005, 429, 430 f.; a.A. Holzborn, BKR 2002, 67, 75. 2 Australian Securities and Investment Commission Class Order (CO) 92/716 sowie Policy Statements 72 und 151. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. 4 Behnke, WM 2002, 2232; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 4; Holzborn, BKR 2002, 68; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 398; Lenz/Linke, AG 2002, 364; wohl auch Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 6. 5 Für Unzumutbarkeit der Einhaltung ausländischer Übernahmeregelungen wegen rein tatsächlichem, insbesondere wirtschaftlichen Aufwand, der die Unterbreitung des Angebots insgesamt in Frage stellen und unter Berücksichtigung des Anteils der in bestimmten Territorien befindlichen Wertpapiere am Grundkapital sowie der Größe des Zielunternehmens außer Verhältnis stehen würde, auch Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e.V. zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), NZG 2001, 1005; zust. Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 21; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 15.
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derheiten des Einzelfalls durch das der BaFin eingeräumte Ermessen Rechnung getragen werden kann. Bei der Beantwortung der Frage, ob die grenzüberschreitenden Wirkungen eines An- 35a gebots im Rahmen einer Gesamtschau zur Unzumutbarkeit führen, sind insbesondere die folgenden Kriterien zu berücksichtigen: Das Erfordernis der Mitwirkung ausländischer Aufsichtsbehörden kann zu einer beträchtlichen Verzögerung führen1. Ebenso sind die Zahl der von einem Ausschluss betroffenen ausländischen Wertpapierinhaber, der mit ihrer Einbeziehung verbundene Aufwand im Verhältnis zum gesamten Volumen der Transaktion sowie die Leistungsfähigkeit des Bieters in die Betrachtung einzubeziehen2. Bedeutsam ist zudem, ob es sich um ein einfaches Erwerbsangebot oder um ein Übernahme- bzw. Pflichtangebot handelt, da die Möglichkeit der Abgabe eines Teilangebotes im Rahmen eines einfachen Erwerbsangebotes für den Ausschluss ausländischer Wertpapierinhaber unter erleichterten Bedingungen spricht3. Soweit allerdings eine alternative Gestaltung des Angebots möglich ist, welche die 35b Unzumutbarkeit entfallen ließe, ist der Bieter darauf zu verweisen4. Unter Vertrauensschutzaspekten kann eine vorangegangene Förderung des Anteilserwerbs durch im Ausland ansässige Personen seitens des Bieters dem Ausschluss dieser Wertpapierinhaber entgegenstehen5.
F. Das Erlaubnisverfahren I. Darlegung der Antragsvoraussetzungen Nach der Gesetzesbegründung hat der Bieter die Voraussetzungen für eine Entschei- 36 dung nach § 24 eingehend darzustellen und zu belegen6. Dieses Erfordernis ist zwar mit dem nach § 24 VwVfG geltenden Untersuchungsgrundsatz nicht zu vereinbaren7; aus praktischen Erwägungen ist der Bieter jedoch faktisch zur Darlegung der entscheidungserheblichen Umstände gezwungen, um das Risiko einer nachteiligen Entscheidung der BaFin zu verringern8. Zunächst bedarf es der Darlegung der konkreten rechtlichen Pflichtenkollision, die 37 entstehen würde, wenn der Bieter zu einem Angebot an die auszuschließenden aus1 Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 20; Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e.V. zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), NZG 2001, 1003, 1005. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 21; ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 25 f., wobei eine Unzumutbarkeit bei einem Anteil der betroffenen Wertpapierinhaber von deutlich über 10 % ausscheide; enger Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 6, der eine Unzumutbarkeit bereits bei Überschreiten der Grenze des § 327a AktG ablehnt. 3 Vgl. im Einzelnen Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 27; ebenso Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 25. 4 Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 26. 5 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 26; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 24 WpÜG Rz. 7; einschränkend Aha, AG 2002, 313, 323 Fn. 161. 6 Begr. RegE, BT-Drucks 14/7034, S. 51. 7 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 33; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 24 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 24 WpÜG Rz. 13. 8 Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 33.
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ländischen Aktionäre verpflichtet bliebe bzw. der tatsächlichen Erschwernisse, die ein Angebot an alle Aktionäre mit sich bringen würde. Dabei kann es bereits zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit erforderlich sein, Ausführungen zum Vorhandensein einer bestimmten Anzahl von im Ausland ansässigen Aktionären zu machen1. Überdies ist die Anzahl der Aktionäre auch für die Annahme einer Unzumutbarkeit aus anderen Gründen als einer „echten“ Pflichtenkollision (Rz. 35a) relevant. Außerdem stellt die Ansässigkeit einer bestimmten Zahl von Aktionären im Geltungsbereich des ausländischen Übernahmerechts häufig das Anknüpfungskriterium für dessen Anwendbarkeit dar (Rz. 1). In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass der Bieter u.U. den Wohnsitz bzw. Sitz der Aktionäre der Zielgesellschaft in der Regel nicht aus öffentlich zugänglichen Quellen in Erfahrung bringen kann. Die Praxis lässt hier Erleichterungen zu2. So genügt der BaFin als Nachweis die Notierung der Aktien der Zielgesellschaft an einer entsprechenden Börse3. Sind Namensaktien ausgegeben, so kann der Blick in das Aktienregister Aufschluss über die Anteilseignerstruktur geben4. Bei Inhaberaktien können Stimmrechtsmeldungen nach § 21 WpHG bzw. die auf entsprechende Daten spezialisierten Marktinformationsdienste befragt werden. Als Indiz kann auch das Vorliegen von Betriebsstätten im Ausland herangeführt werden5, denkbar etwa bei Mitarbeiterbeteiligungen der Zielgesellschaft. 38
Ob bei der Prüfung ausländischen Anteilsbesitzes die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Aufsichtsamt zweckmäßig und mit Rücksicht auf die zügige Durchführung des Verfahrens überhaupt möglich ist, muss im Einzelfall entschieden werden6.
II. Maßgeblicher Zeitpunkt 39
Das Gesetz schweigt zu der Frage, ab und bis zu welchem Zeitpunkt der Antrag nach § 24 spätestens gestellt werden darf bzw. muss. Teilweise wird die Ansicht vertreten, der Bieter habe sein Begehren spätestens bis zu dem Zeitpunkt einzureichen, der für die Übermittlung der Angebotsunterlage vorgesehen ist7. Danach wäre die vierwöchige Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 zu beachten, die im Regelfall auf acht Wochen verlängert werden dürfte. Zur Begründung wird auf die Verpflichtung des Bieters zur Einreichung einer vollständigen Angebotsunterlage, § 11 Abs. 1 Satz 3 hingewiesen. Ein späterer Ausschluss habe die Qualität einer Änderung der Angebotsbedingungen. Er gehe notwendig zu Lasten der Aktionäre und sei im Änderungskanon des § 21 nicht enthalten.
1 Vgl. bspw. zu den Schwellenwerten im US-amerikanischen Recht Rz. 29 ff. 2 Allerdings scheitern Anträge nach § 24 häufig an der fehlenden Glaubhaftmachung des Vorhandenseins ausländischer Aktionäre, vgl. Lenz, NJW 2003, 2073. 3 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 3; für die tatsächliche Vermutung ausländischen Anteilsbesitzes Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 15. 4 Behnke, WM 2002, 223; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 3; a.A. Riehmer/ Schröder, BB 2001, Beilage 5, S. 2 f. 5 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 24 Rz. 3. 6 A.A. Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 17, die von einer Verpflichtung des Aufsichtsamts zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ausgehen. 7 Behnke, WM 2002, 2230; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 35; Holzborn, BKR 2002, 68; Lenz/Linke, AG 2002, 361, 364; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 19.
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Zutreffend ist, dass von einem Bieter erwartet werden kann, dass er bereits bei der 40 Vorbereitung der Transaktion die Notwendigkeit eines Ausschlusses bestimmter ausländischer Aktionäre prüft. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass § 24 selbst zunächst keine Ausschlussfrist formuliert. Die Notwendigkeit zum Ausschluss und die die Unzumutbarkeit begründenden Umstände können zudem erst in der Folgezeit offenbar werden. Zu denken ist etwa an den Fall, dass eine ausländische Aufsichtsbehörde in nicht vorherzusehender Weise eine für den Bieter nachteilige Rechtsauffassung einnimmt. Weder dem Bieter noch den ausländischen Aktionären kann aber daran gelegen sein, dass von der Ausschlussmöglichkeit des § 24 umfassend Gebrauch gemacht werden muss, weil diese anderenfalls präkludiert wird. Der Umstand, dass § 24 nicht im Änderungskatalog des § 21 enthalten ist, steht ebenfalls nicht entgegen. Der Ausschluss von dem Angebot und die Vornahme von inhaltlichen Änderungen sind voneinander zu unterscheiden. Für die verbleibenden Aktionäre schlägt sich der Ausschluss bestimmter ausländischer Aktionäre auch nicht automatisch in einer nachteiligen Änderung der Angebotsbedingungen nieder. Der Ausschluss ist auch nicht Teil der Angebotsunterlage, sondern Gegenstand eines selbständigen Genehmigungsverfahrens1.
III. Beteiligte Die Beteiligung am Antragsverfahren richtet sich mangels einer eigenständigen Re- 41 gelung im WpÜG nach § 13 VwVfG2. Der Bieter ist als Antragsteller nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG am Verfahren beteiligt. Die von dem beantragten Ausschluss potentiell betroffenen Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des EWR haben dagegen keinen Anspruch darauf, am Verfahren beteiligt zu werden. Insbesondere sind sie nicht nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG notwendig hinzuzuziehen, denn der Ausgang des Verfahrens hat für sie keine rechtsgestaltende Wirkung. Weder kommen ihnen aus dem WpÜG subjektiv-öffentliche Rechte zu, noch betrifft die Entscheidung der BaFin private Rechte, da den Aktionären der Zielgesellschaft kein zivilrechtlicher Anspruch auf Abgabe eines Angebots zusteht3. Es steht allerdings im Ermessen der BaFin, sie wegen der Berührung ihrer Individualinteressen als einfache Beteiligte nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwVfG hinzuzuziehen4.
G. Rechtsfolge I. Ausschluss bestimmter ausländischer Wertpapierinhaber von dem Angebot Die BaFin kann den Ausschluss von bestimmten Inhabern von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem Staat außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums gestatten. Der durch § 3 Abs. 1 geschaffene umfassende Kontrahierungszwang für den Bieter wird insoweit aufgehoben. Die von dem Aus-
1 Dazu Behnke, WM 2002, 2230; so auch Lenz/Linke, AG 2002, 364. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 1/03, Der Konzern 2003, 617, 618 f.; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 344 f.; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 98; Pohlmann in KölnKomm. WpÜG, § 48 Rz. 31, 39; Pohlmann, ZGR 2007, 1, 22. 3 Pohlmann, ZGR 2007, 1, 23, 28. 4 Pohlmann, ZGR 2007, 1, 22.
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schluss betroffenen Aktionäre haben selbst dann keine Möglichkeit zur Annahme des Erwerbs-, Übernahme- oder Pflichtangebots, wenn sie auf andere Weise hiervon erfahren.
II. Ermessen der BaFin und Ermessensreduzierung 43
Die Gestattung des Ausschlusses steht im Ermessen der BaFin. Sie übt dieses Ermessen gemäß den allgemeinen Grundsätzen aus (vgl. § 40 VwVfG).
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Das der BaFin eingeräumte Ermessen reduziert sich zugunsten des Bieters, wenn die Unzumutbarkeit die Folge einer unvermeidbaren Pflichtenkollision ist. In dieser Lage hat die Gestattung des Ausschlusses als Regelfall zu erfolgen1.
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An eine Ermessensreduzierung zu Lasten des Bieters ist zu denken, wenn es sich um ein Übernahmeangebot nach §§ 29 ff. handelt. § 32 stellt zwar klar, dass ein Ausschluss von bestimmten Wertpapierinhabern auch im Rahmen des Übernahmeangebots zulässig ist. Hierbei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich bei dem Angebot an alle Aktionäre in der Übernahmesituation um die bedeutsamste Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes handelt. Bei Pflichtangeboten stellt die Sicherstellung der Ausstiegsmöglichkeit der freien Aktionäre aus der in die Konzernierung oder Zerschlagung laufenden Zielgesellschaft zu gleichen Bedingungen ein zentrales Anliegen jedes Übernahmerechts dar. Das individuelle Interesse der vom Ausschluss betroffenen Aktionäre ist insoweit besonders zu gewichten. Hier könnte man daran zweifeln, ob die Gestattung in anderen Fällen als der Pflichtenkollision gewährt werden darf.
III. Genehmigungsfiktion 46
Die Gestattung des Ausschlusses muss nicht ausdrücklich erfolgen. Ist der entsprechende Antrag des Bieters schon in der Angebotsunterlage enthalten, so erstreckt sich die in § 14 Abs. 2 Satz 1 enthaltene Genehmigungsfiktion auch auf den Ausschluss der betreffenden Anlegergruppe2.
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Wird der Antrag nicht in der Angebotsunterlage, sondern zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, so bedarf es allerdings einer ausdrücklichen Bekanntgabe der Gestattung nach den allgemeinen Vorschriften.
IV. Rechtsbehelfe 48
Gegen die Versagung der Gestattung kann der Bieter gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 bei dem nach § 6 Abs. 1 zuständigen Widerspruchsausschuss Widerspruch einlegen. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, ist die Verpflichtungsbeschwerde gemäß § 48 Abs. 3, gerichtet auf ermessensfehlerfreie Bescheidung bzw. im Falle einer Ermessensreduktion auf null unmittelbar auf Erlass des Gestattungsbescheides unter Aufhebung des
1 Noch weitergehend Klepsch in Steinmeyer/Häger, § 24 Rz. 15, der von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgeht; so wohl auch Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 30; a.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 30. 2 Behnke, WM 2002, 2230; Holzborn, BKR 2002, 68; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 19 a.E.
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ablehnenden Bescheides, statthaft1. Aus § 48 Abs. 4 folgt die ausschließliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Die von einer Gestattung des Ausschlusses betroffenen Wertpapierinhaber der Ziel- 49 gesellschaft sind mangels betroffener subjektiv-öffentlicher Rechte weder widerspruchs- noch beschwerdebefugt und können demzufolge nicht gegen die dem Antrag des Bieters entsprechende Entscheidung der BaFin vorgehen2.
H. Die Rechtspraxis I. Die Praxis der Bafin Die BaFin gestattete den Ausschluss von Wertpapierinhabern mit Wohnsitz, Sitz 50 oder gewöhnlichem Aufenthalt im außereuropäischen Ausland seit Inkrafttreten des WpÜG bei sechs der insgesamt 343 in diesem Zeitraum erfolgten Angebote3. Dabei handelt es sich um das am 27.6.2011 veröffentliche Angebot der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. an die Aktionäre der Deutsche Börse AG, das am 1.12.2010 veröffentliche Angebot der ACS, Actividades de Construcción y Servicios, S.A. an die Aktionäre der HOCHTIEF AG, das am 10.11.2006 veröffentlichte gemeinsame Angebot der UCB SA und der UCB SP GmbH an die Aktionäre der Schwarz Pharma AG, das am 26.8.2005 veröffentlichte Angebot der UniCredito Italiano S.p.A. an die Aktionäre der Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG, das am 20.8.2003 veröffentlichte Angebot der Buzzi Unicem S.p.A an die Aktionäre der Dyckerhoff AG sowie das am 19.1.2002 veröffentlichte Angebot der DePfa Holding plc an die Aktionäre der DePfa Deutsche Pfandbriefbank AG. Der Ausschluss bezog sich in fünf Fällen auf in Japan ansässige Anleger (Ausnahme: Angebot der Buzzi Unicem S.p.A.). Mit Ausnahme des Angebots der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. wurden zudem in den USA ansässige Wertpapierinhaber ausgeschlossen. Von dem gemeinsamen Angebot der UCB SA und der UCB SP GmbH, dem Angebot der UniCredito Italiano S.p.A. und dem Angebot der DePfa Holding plc waren außerdem Aktionäre mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Australien ausgeschlossen. Zusätzlich war das letztgenannte Angebot auch nicht an Aktionäre in Kanada gerichtet. Der Ausschluss erfasste dagegen grundsätzlich nicht in den betreffenden Staaten ansässige „institutionelle“ Anleger4. Die Gegenleistung bestand bei allen sechs Angeboten (zumindest teilweise) in Aktien des Bieters. Eine Aussage darüber, in wie vielen weiteren Fällen ein Ausschluss nach § 24 vom Bieter beantragt, aber von der BaFin verweigert wurde, lässt sich anhand der ver1 A.A. scheinbar Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 40; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 39, die eine Anfechtungsbeschwerde nach § 48 Abs. 1 als statthaftes Rechtsmittel ansehen. Eine Anfechtungsbeschwerde bzw. der zuvor einzulegende Anfechtungswiderspruch dürften jedoch dem Rechtsschutzziel des Bieters, der den Erlass der Gestattung bzw. zumindest eine ermessensfehlerfreie Bescheidung begehrt, nicht genügen. 2 Pohlmann, ZGR 2007, 1, 31 ff.; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 40; a.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 40; Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 108 f. 3 Abrufbar unter: www.bafin.de (Stand Dezember 2012). 4 Als Rückausnahme vom Angebotsausschluss waren in Japan qualifizierte institutionelle Investoren (tekikaku kikan toshika) im Sinne von Art. 2 Abs. 3 (i) des japanischen Wertpapier- und Börsengesetzes (Financial Instruments and Exchange Act, Gesetz Nr. 25 von 1948), in den USA Qualified Institutional Buyers im Sinne von Rule 144A Abschnitt (a) (1) des U.S. Securities Act (17 CFR 230.144A) und in Australien Sophisticated Investors und Professional Investors im Sinne von Section 708 Abs. 8 und 11 des Australian Corporations Act 2001 zum Angebot zugelassen.
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öffentlichten Angebotsunterlagen naturgemäß nicht treffen. Dennoch lässt sich aufgrund der geringen Anzahl von Gestattungen konstatieren, dass die Vorschrift des § 24 keine große Praxisrelevanz besitzt. Unabhängig davon, ob die geringe Anzahl der erfolgten Ausschlüsse nach § 24 auf eine restriktive Gestattungspraxis der BaFin oder eine Zurückhaltung der Bieter bei der Beantragung wegen der faktisch1 hohen Anforderungen an die Darlegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 zurückzuführen ist, bleibt festzuhalten, dass der Norm nicht die angesichts der Problematisierung im Schrifttum2 zu erwartende Bedeutung zukommt. Sofern man unterstellt, dass sich die dem Rechtsgedanken des § 24 zugrundeliegende Pflichtenkollision wegen der zumeist internationalen Aktionärsstruktur börsennotierter Gesellschaften häufig ergibt und Angebote nicht im Blick darauf oder wegen der Rechtsunsicherheit, ob die BaFin einen entsprechenden Ausschluss gestatten würde, vollständig unterblieben sind, muss die übernahmerechtliche Praxis eine andere, ebenso wirksame Lösung zur Abwendung dieses Konflikts entwickelt haben.
II. Versendungsbeschränkungen („Distributionsbeschränkungen“) 52
Tatsächlich behilft sich die Praxis, indem sie sog. Versendungs- oder Distributionsbeschränkungen in die Angebotsunterlagen aufnimmt, welche die Zusendung der Angebotsunterlage an Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Staaten außerhalb des EWR untersagen3. Damit soll die Anwendung ausländischen Übernahmerechts von Rechtsordnungen, die (auch) an die Zusendung von Angebotsunterlagen an Inhaber von Wertpapieren mit Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland anknüpfen, vermieden werden4.
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Eine derartige Versendungs- oder Distributionsbeschränkung ist mittlerweile in jedem veröffentlichten Angebot enthalten und vermag den Bieter in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle trotz vereinzelt geäußerter Zweifel5 hinreichend vor der Anwendbarkeit konfligierenden Drittstaatenrechts zu schützen. Im Blickpunkt des Schrifttums stand nach Inkrafttreten des WpÜG die Frage, ob derartige Versendungsbeschränkungen der Genehmigung nach § 24 bedürfen. Sie wurde frühzeitig unter Hinweis darauf verneint, die in den betroffenen Staaten ansässigen Aktionäre würden bei entsprechender Formulierung von der Möglichkeit zur Annahme des Angebots nicht ausgeschlossen6.
1 Obwohl die BaFin nach § 24 VwVfG den für ihre Entscheidung relevanten Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat (hierzu Rz. 36), ist der Bieter de facto gezwungen, alle relevanten Informationen bereits in seinem Antrag darzulegen, um das Risiko einer ablehnenden Entscheidung zu verringern (Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 33). 2 Vgl. nur Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 1 f.; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 1 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 24 WpÜG Rz. 1; Sohbi in Heidel, § 24 WpÜG Rz. 1. 3 Dazu Behnke, WM 2002, 2235; Holzborn, BKR 2002, 69 ff. 4 Bsp. bei Holzborn, BKR 2002, 67, 69; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 165. Veranneman/ Gärtner, AG 2009, 648, 652 f. bezweifeln, ob Distributionsbeschränkungen genügen, um das Risiko einer Pflichtenkollision auszuschließen; a.A. wohl Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 18. 5 Veranneman/Gärtner, AG 2009, 648, 652 f. 6 Bröcker/Weisner, Übernahmeangebote, Rz. 107; Holzborn, BKR 2002, 69; Diekmann in Baums/Thoma, § 24 Rz. 10; Rahlf in Bad Homburger Hdb., Rz. 164 ff.; so auch Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 24 Rz. 17; für eine Gestattungspflicht analog § 24 scheinbar Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 24 Rz. 64.
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Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters
§ 25
Nach dem Erlass der europäischen Übernahmerichtlinie sind Versendungsbeschränkungen innerhalb der EU unzulässig. Zugleich dürfte sich das praktische Bedürfnis für derartige Beschränkungen angesichts der in Art. 4 Abs. 1 enthaltenen kollisionsrechtlichen Harmonisierung in Bezug auf die EU-Mitgliedstaaten aber auch erledigt haben. Eine Anknüpfung an die Versendung der Angebotsunterlage ist hiernach nicht vorgesehen.
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§ 25 Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters Hat der Bieter das Angebot unter der Bedingung eines Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung abgegeben, hat er den Beschluss unverzüglich, spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist, herbeizuführen.
Inhaltsübersicht A. Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . .
1
D. Unverzüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 11
B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
3
E. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
C. Herbeiführung des Beschlusses der Gesellschafterversammlung . . . . . .
8
Schrifttum: Berger/Filgut, Material-Adverse-Change-Klauseln in Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangeboten, WM 2005, 253; Busch, Bedingungen in Übernahmeangeboten, AG 2002, 145; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG), Finanz Betrieb 2002, 277; Geßler, Einberufung und ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten, in FS Stimpel, 1985, S. 771; Groß, Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Erwerb und Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, AG 1994, 266; Hasselbach/Wirtz, Die Verwendung von MACKlauseln in Angeboten nach dem WpÜG, BB 2005, 842; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, NJW 2004, 3681; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz. Anmerkungen zum Regierungsentwurf, DB 2001, 1707; Matthes, Das bedingte öffentliche Erwerbsangebot, 2007; Stöcker, Widerruf und Rücktritt von Angebotsankündigungen, NZG 2003, 993.
A. Regelungszweck Die Bedeutung von § 25 erschließt sich aus einer Gesamtschau mit § 10 Abs. 1, § 11 1 Abs. 2 Nr. 5 sowie §§ 17 und 18. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 hat der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich zu veröffentlichen. Diese Verpflichtung besteht auch, wenn für die Entscheidung der Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters erforderlich und ein solcher Beschluss noch nicht erfolgt ist, § 10 Abs. 1 Satz 2. Bedingungen in Übernahmeangeboten, z.B. Veränderungen der Finanz-Kennzahlen, MAC-Klauseln, usw. sind zwar zulässig, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 51. Nach § 18 darf ein Angebot aber nicht von Bedingungen abhängig gemacht
1 Busch, AG 2002, 145; Krause, NJW 2004, 3683; Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842, 843 ff.; Berger/Filgut, WM 2005, 253, 254 ff.
Uwe H. Schneider/Rosengarten
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§ 25
Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters
werden, deren Eintritt der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen oder im Zusammenhang mit dem Angebot für diese Personen oder Unternehmen tätige Berater ausschließlich selbst herbeiführen können. § 25 macht von dieser Unzulässigkeit von Potestativbedingungen eine Ausnahme. Die Vorschrift erlaubt, dass der Bieter sein Angebot unter der Bedingung eines Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung abgeben kann. Er hat in diesem Fall den Beschluss unverzüglich, spätestens bis zum 5. Werktag vor Ablauf der Annahmefrist, herbeizuführen. Damit wird dem Interesse der Zielgesellschaft, dem Interesse der Wertpapierinhaber und dem Interesse des Bieters Rechnung getragen. Die Zielgesellschaft und deren Wertpapierinhaber sind an einer zügigen Durchführung des Verfahrens interessiert. Der Bieter hat die Möglichkeit, die notwendigen Beschlüsse, auch nach Abgabe des Angebots, herbeizuführen. 2
Zu verhindern gilt es Missbräuche; denn § 25 eröffnet die Möglichkeit, sich vom Angebot durch Gesellschafterbeschluss zu lösen. Jedoch kann diese Missbrauchsprävention nicht durch eine im Wege der Auslegung gewonnene Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter des Bieters erfolgen1. Weder der Wortlaut noch der Zweck des § 25 rechtfertigen einen derartigen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte und die organschaftliche Kompetenzordnung2. Stattdessen hat die BaFin einer missbräuchlichen Ausnutzung des § 25 im Rahmen der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 zu begegnen3.
B. Anwendungsbereich 3
Die Vorschrift ist nur für einfache Erwerbsangebote und Übernahmeangebote anzuwenden, nicht aber auch für Pflichtangebote4. Pflichtangebote sind gesetzlich angeordnet und gehen nicht auf eine Entscheidung der Bietergesellschaft zurück5. Also entfällt auch die Möglichkeit, das Angebot von einer Bedingung abhängig zu machen. Insoweit ist § 25 eine Ausnahmeregelung zu § 18 Abs. 1.
4
Auf Rechtsform und Sitz der Bietergesellschaft kommt es nicht an, so dass § 25 nicht nur für die AG, sondern auch für die GmbH, Personengesellschaften sowie Auslandsgesellschaften gilt.
5
Als Anwendungsfälle kommen insbesondere Konstellationen in Betracht, in denen die Durchführung des Angebots einen Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Änderung des Unternehmensgegenstandes des Bieters erfordert6. Kapitalmaßnahmen, die zur Finanzierung des Angebots erforderlich sind, unterfallen hingegen nicht
1 Anders nach 1. Aufl., § 25 Rz. 2 (Verweigerung nur aus sachlichen Gründen). 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 9; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 25 Rz. 1; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 25 Rz. 4; Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 4. 3 Schröder in FrankfKomm. WpÜG, § 25 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 20. 4 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 1; Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 8. 5 Begr. RegE., BT-Drucks. 14/7034, S. 62 (bei Pötzsch, S. 225). 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 3; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 2. Ob hingegen der Erwerb der Zielgesellschaft nach den „Holzmüller/Gelatine-Entscheidungen“ des BGH bzw. vergleichbaren Regeln für andere Gesellschaftsformen einen Gesellschafterbeschluss des Bieters erfordern kann (so Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 2), ist zweifelhaft (so auch Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 3).
714 Uwe H. Schneider/Rosengarten
Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters
§ 25
§ 25. Wie sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 3 ergibt, müssen die diesbezüglichen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung des Bieters bereits vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gefasst werden1. Außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Norm sind weitere Sach- 6 verhalte denkbar, bei denen eine Bedingung des Angebots durch eine Beschlussfassung in entsprechender Anwendung von § 25 in Betracht kommt: So ist zwar ein Beschluss durch die Gesellschafterversammlungen von Tochterunternehmen oder mit dem Bieter gemeinsam handelnder Personen in § 25 nicht ausdrücklich erwähnt. In Anwendung des Rechtsgedankens von § 18 Abs. 1 sollte aber auch ein dadurch bedingtes Angebot zulässig sein2. Bezüglich der Tochterunternehmen ist diese Möglichkeit aber auf solche Fälle einzuschränken, in denen die Geschäftsführungsorgane des Bieters nicht bereits selbst in ihrer Eigenschaft als Vertreter des Bieters in der Gesellschafterversammlung des Tochterunternehmens einen solchen Beschluss fassen können3. Eine analoge Anwendung ist ebenso für die Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung des herrschenden Unternehmens zu bejahen4. Jedenfalls bei einer Zwischenschaltung einer Zweckgesellschaft (sog. „Special Purpose Vehicle“ bzw. „SPV“), die nur als Transaktionsvehikel zur Abgabe des Angebots gegründet wurde und hinter der wirtschaftlich deren Muttergesellschaft als eigentlicher Bieter steht, wird man das Angebot zulässigerweise von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft abhängig machen dürfen5. Eine entsprechende Anwendung des § 25 auf die Angebotsankündigung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ist dagegen mit Blick auf den Zweck der Vorschrift abzulehnen6. Die Ausnahme vom generellen Verbot von Potestativbedingungen rechtfertigt sich schließlich gerade aus dem Zwang zur sofortigen Veröffentlichung der Angebotsankündigung in § 10 Abs. 1 Satz 1. Wäre bereits die Bedingung der Angebotsankündigung zulässig, hätte es der Vorschrift des § 25 nicht bedurft. Eine teleologische Reduktion des § 25 ist hingegen zu befürworten, wenn das Geschäftsführungsorgan des Bieters personenidentisch mit dem Mehrheitsgesellschafter des Bieters ist (bspw. ein Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH). Denn in diesem Fall ist die Ausnahme vom Verbot von Potestativbedingungen nicht durch die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung auf Seiten des Bieters gerechtfertigt; vielmehr würde ansonsten quasi ein „Rücktrittsrecht“ vom Angebot geschaffen.
1 Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 25 Rz. 2; Stöcker, NZG 2003, 993, 997 (ausdrücklich auch gegen eine analoge Anwendung von § 25 mangels Regelungslücke). 2 A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 2. Die BaFin scheint ebenfalls von der Zulässigkeit einer solchen Analogie auszugehen, da die Bedingung des Übernahmeangebots der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. an die Aktionäre der Deutsche Börse Aktiengesellschaft (abrufbar unter: www.bafin.de, Stand: November 2012) durch die Beschlussfassung der Aktionäre der NYSE Euronext – welche eine mit dem Bieter gemeinsam handelnde Person i.S.v. § 2 Abs. 5 Satz 1 darstellte – nicht beanstandet wurde. 3 Denkbar wäre bspw., dass der Bieter zwar aufgrund von Bestellungsrechten eine Mehrheit der Mitglieder des Leitungsorgans einer Gesellschaft ernennen kann (d.h., es würde sich um ein Tochterunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 6 i.V.m. § 290 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 HGB handeln), ihm aber trotz seiner Gesellschafterstellung nicht die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht. 4 A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 2. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 77, § 25 Rz. 13. 6 Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 9.
Uwe H. Schneider/Rosengarten
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§ 25
Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters
C. Herbeiführung des Beschlusses der Gesellschafterversammlung 8
Bei der Bedingung eines Angebots durch den Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters kommt es nicht darauf an, ob eine solche Zustimmung für das Angebot gesetzlich vorgesehen ist oder nicht1. Sofern sich der Bieter allerdings für die Aufnahme der Bedingung in die Angebotsunterlage entschieden hat, ist er verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur Herbeiführung einer fristgerechten Beschlussfassung zu ergreifen. Obwohl der Wortlaut des § 25 nahezulegen scheint, dass der Bieter zur Herbeiführung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu dem Beschluss verpflichtet wäre, kann eine derart weitreichende Rechtsfolge mit Blick auf die organschaftliche Kompetenzverteilung im Gesellschaftsrecht und die Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter des Bieters (Rz. 2) nicht angenommen werden2.
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In Abhängigkeit von der konkreten Situation kann die Pflicht des Bieters allerdings unterschiedlich ausgeprägt sein. Im Regelfall, in dem das Angebot durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters bedingt ist, hat der Bieter die Gesellschafterversammlung unverzüglich einzuberufen und den Gesellschaftern die zur Beschlussfassung erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Ist darüber hinaus eine weitere Mitwirkung von Organen des Bieters erforderlich (bspw. die Unterbreitung einer entsprechenden Beschlussvorlage durch den Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG), besteht insofern eine Mitwirkungspflicht. Darüber hinaus hat der Bieter im Rahmen seiner Möglichkeiten auf eine positive Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung hinzuwirken (Einwirkungspflicht)3. In den Fällen der analogen Anwendung des § 25 kann die Pflicht auch ein bestimmtes Stimmverhalten des Bieters beinhalten (bei der Bedingung durch den Beschluss der Gesellschafterversammlung eines Tochterunternehmens; Rz. 6).
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Der Gesellschafterbeschluss ist unverzüglich nach seinem Zustandekommen zu veröffentlichen4.
D. Unverzüglichkeit 11
Ist das Angebot von der nach § 25 zulässigen Bedingung abhängig gemacht, so besteht für den Bieter die aufsichtsrechtliche Pflicht den Beschluss, „unverzüglich“ i.S.v. § 121 BGB, spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist5, herbeizuführen. Bestehen bei dem Bieter gesetzliche Ladungsfristen usw., so rechtfertigt § 25 in der Regel keine Verkürzung. Zu den Pflichten des geschäftsführenden Organs des Bieters gehört es, dies bei Abgabe des Angebots zu bedenken.
1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 2. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 4 ff.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 25 Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 3; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 1, 3; auch schon Land, DB 2001, 1707; anders noch 1. Aufl., § 25 Rz. 5. 3 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 3; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 5. 4 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 9. 5 Zur Fristberechnung vgl. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 4 ff.
716 Uwe H. Schneider/Rosengarten
Beschluss der Gesellschafterversammlung des Bieters
§ 25
E. Rechtsfolgen Hat die Gesellschafterversammlung dem Angebot des Bieters zugestimmt, so bleibt 12 das Angebot wirksam und kann entsprechend angenommen werden. Stimmt die Gesellschafterversammlung dem Angebot nicht zu, so ist es unwirksam. Unerheblich ist dabei das Verhalten des Bieters. Selbst wenn er den Bedingungseintritt treuwidrig vereitelt haben sollte, führt dies aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zur Wirksamkeit des Angebotes – insbesondere nicht im Wege der Fiktion des Bedingungseintritts nach § 162 Abs. 1 BGB1. Ist der Gesellschafterbeschluss nicht fristgerecht, also spätestens bis zum 5. Werk- 13 tag vor Ablauf der Annahmefrist, zustande gekommen, so wird z.T. vertreten, dass der Bedingungseintritt gleichwohl noch herbeigeführt werden kann. Aus dem Umstand, dass der Bieter noch bis spätestens einen Werktag vor Ablauf der Annahmefrist auf die Bedingung insgesamt verzichten kann (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4), wird geschlossen, dass ein zustimmender Gesellschafterbeschluss ebenfalls noch nach Ablauf der 5-Tage-Frist aber vor Ablauf der Annahmefrist ergehen könne und die Bedingung somit eingetreten sei2. Rechtstechnisch kann das Ergebnis (Wirksamkeit des Angebots) jedoch nur wie folgt herbeigeführt werden: Da § 25 nicht nur eine Soll-Vorschrift ist, führt die Verletzung der Rechtspflicht zur Fristeinhaltung dazu, dass die Bedingung endgültig nicht eingetreten ist. Allerdings ist das Angebot dann zunächst nur bis zum Ende der Angebotsfrist „schwebend unwirksam“, da der Bieter in der Tat noch gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 auf die Bedingung der Zustimmung der Gesellschafterversammlung verzichten kann. Macht er von diesem Recht Gebrauch (weil die Gesellschafterversammlung zugestimmt hat), so ist das Angebot endgültig wirksam, doch verlängert sich gemäß § 21 Abs. 5 die Angebotsfrist um zwei Wochen. Hat die Gesellschafterversammlung des Bieters dem Angebot zugestimmt, ist der Be- 14 schluss aber wirksam angefochten oder nichtig, so hat dies keinen Einfluss auf das Angebot. Die Bestandskraft des Beschlusses ist für den Bedingungseintritt nach § 25 nicht erforderlich3. Das Angebot darf nicht mit Zweifeln an der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses belastet werden. Außerdem stünden einer Rückabwicklung praktisch kaum lösbare Schwierigkeiten entgegen. Deshalb ist der Anfechtungskläger allein auf Schadensersatzansprüche gegen Bieter bzw. dessen Organe zu verweisen4.
1 Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 12; Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 21; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 25 Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 7. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 22; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 19; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 25 Rz. 3; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 25 WpÜG Rz. 10; a.A. noch 1. Aufl., § 25 Rz. 10. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 21; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 12; Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 17. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 25 Rz. 23; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 25 Rz. 12; Diekmann in Baums/Thoma, § 25 Rz. 18 f.
Uwe H. Schneider/Rosengarten
717
§ 26
Sperrfrist
§ 26 Sperrfrist (1) Ist ein Angebot nach § 15 Abs. 1 oder 2 untersagt worden, ist ein erneutes Angebot des Bieters vor Ablauf eines Jahres unzulässig. Gleiches gilt, wenn der Bieter ein Angebot von dem Erwerb eines Mindestanteils der Wertpapiere abhängig gemacht hat und dieser Mindestanteil nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Bieter zur Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und zur Abgabe eines Angebots nach § 35 Abs. 2 Satz 1 verpflichtet ist. (2) Die Bundesanstalt kann den Bieter auf schriftlichen Antrag von dem Verbot des Absatzes 1 Satz 1 und 2 befreien, wenn die Zielgesellschaft der Befreiung zustimmt.
Inhaltsübersicht A. Inhalt und Zweck der Vorschrift . . .
1
B. Angebotssperre (§ 26 Abs. 1) . . . . . .
IV. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
4
V. Gegenstand der Sperre . . . . . . . . . . . 12
I. Anwendungsbereich (§ 26 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
C. Befreiung von der Angebotssperre (§ 26 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
II. Sperrgründe (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
III. Sperrfrist (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
D. Rechtsfolgen von Verstößen . . . . . . 20
Schrifttum: Siehe das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Inhalt und Zweck der Vorschrift 1
Der Regelungsgehalt der Vorschrift ist im Kern der Folgende: Hat die BaFin ein Wertpapiererwerbsangebot oder ein Übernahmeangebot gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 untersagt oder ist ein solches gescheitert, weil der Bieter nicht den zur Bedingung des Angebots gemachten Mindestanteil von Wertpapieren des Zielunternehmens erlangte, darf der Bieter vor Ablauf einer Sperrfrist von einem Jahr kein weiteres Wertpapiererwerbsangebot oder ein Übernahmeangebot abgeben (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2), es sei denn, die BaFin befreit ihn nach Maßgabe von § 26 Abs. 2 von diesem Verbot. Pflichtangebote sind von dieser Regelung nicht erfasst (§ 26 Abs. 1 Satz 3)1. Das hat u.a. zur Folge, dass der Bieter, der während des Laufs einer Angebotssperre die Kontrolle (§ 30 Abs. 2) über die Zielgesellschaft erlangt, ungeachtet der Sperre gleichwohl ein Pflichtangebot nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 abgeben muss.
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Zweck der einjährigen Sperrfrist ist es, die Zielgesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Erwerbs- oder Übernahmeangebots waren, davor zu schützen, schon kurz nach der Untersagung oder des Scheiterns eines Angebots zum Ziel eines neuerlichen Angebots desselben Bieters zu werden2. Dabei wird das Interesse der Zielgesellschaft an der ungestörten Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit höher bewertet als das Interesse des Bieters, jederzeit ein neues Wertpapiererwerbs- oder Übernahme1 Kritisch Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 4. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51.
718 Assmann
§ 26
Sperrfrist
angebot abgeben zu können. Das Interesse der Zielgesellschaft an der ungestörten Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit muss dagegen zurücktreten, wenn der Bieter im Laufe der Sperrfrist die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt: In diesem Falle ginge eine dem Bieter, der sich regelwidrig verhalten hat oder mit seinem Angebot erfolglos blieb, auferlegte Sperrfrist zu Lasten der Minderheitsaktionäre, die durch die Regeln über ein Pflichtangebot geschützt werden sollen1. Das darin zum Ausdruck kommende Regelungskonzept steht nicht nur in Einklang mit dem in § 3 Abs. 4 Satz 2 (im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgrundsatz) formulierten Grundsatz, die Zielgesellschaft dürfe nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden (Behinderungsverbot, siehe § 3 Rz. 54 ff.), sondern entspricht auch den Vorschriften in Art. 3 Abs. 1 lit. f), Abs. 2 lit. b) der Übernahmerichtlinie vom 21.4.20042. Weder die Anordnung der Angebotssperre noch die vom Gesetz angeordnete Sperr- 3 frist fallen international aus dem Rahmen: So finden sich nur wenige Länder, die (wie die Schweiz) ganz auf eine Angebotssperre verzichten oder (wie etwa Österreich, siehe § 21 ÜbG) im Hinblick auf die die Angebotssperren auslösenden Gründe strenger sind als die Regelung des WpÜG. Auch die Erstreckung der Sperrfrist auf Erwerbsangebote (d.h. auf Angebote, die nicht auf die Erlangung einer Kontrollmehrheit gerichtet sind)3, ist kein Spezifikum des WpÜG. Die Sperrfrist von einem Jahr ist in den Ländern, die eine § 26 Abs. 1 vergleichbare Angebotssperre kennen, der Standard.
B. Angebotssperre (§ 26 Abs. 1) I. Anwendungsbereich (§ 26 Abs. 1 Satz 3) Auf Grund der Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 3 erfasst die Vorschrift nur freiwillige 4 Angebote, d.h. Wertpapiererwerbs- und Übernahmeangebote; auf Pflichtangebote findet sie keine Anwendung. Untersagt die BaFin ein Pflichtangebot nach § 15 Abs. 1 oder 2, löst dies keine Angebotssperre aus. Darf der Bieter vor Ablauf einer Sperrfrist von einem Jahr kein weiteres Wertpapiererwerbsangebot oder ein Übernahmeangebot abgeben (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2), so schließt dies die Veröffentlichung einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots innerhalb der Sperrfrist zumindest für den Fall aus, dass die Veröffentlichung der Angebotsunterlage und damit die Abgabe des Angebots nach dem vom Gesetz vorgesehen Verfahrensablauf noch innerhalb der Sperrfrist erfolgen müsste (siehe unten Rz. 13). Abzustellen ist mithin auf den Zeitpunkt der Abgabe des rechtsverbindlichen Angebots und nicht auf Handlungen zur Anbahnung und Vorbereitung desselben. Siehe im Einzelnen unten Rz. 12 f.
II. Sperrgründe (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2) Die Vorschrift nennt zwei Fälle, welche die Angebotssperre auslösen: Zum einen die 5 Untersagung eines Wertpapiererwerbs- oder Übernahmeangebots durch die BaFin nach § 15 Abs. 1 oder 2 (§ 26 Abs. 1 Satz 1), und zum anderen das Scheitern eines solchen 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 3 Kritisch hierzu die Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses vom April 2001, NZG 2001, 420, 426 (Ziff. 2. zu § 26); Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 40.
Assmann
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§ 26
Sperrfrist
Angebots auf Grund des Umstands, dass der Bieter sein Angebot – als Bedingung i.S.d. § 18 Abs. 1 – von dem Erwerb eines Mindestanteils der Wertpapiere abhängig machte und dieser nach Ablauf der Annahmefrist nicht erreicht wurde (§ 26 Abs. 1 Satz 2). 6
Die Untersagung eines Wertpapiererwerbs- oder Übernahmeangebots löst eine Angebotssperre nur aus, wenn sie aufgrund der Bestimmungen des § 15 Abs. 1 oder 2 erfolgte1. Würde die BaFin ein Angebot, ohne dass ein Fall des § 15 Abs. 1 oder 2 vorläge, auf der Grundlage ihrer Aufgaben und Befugnisse zur Missstandsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 untersagen, was grundsätzlich denkbar, aber wenig wahrscheinlich ist, würde dies keine Angebotssperre nach § 26 Abs. 1 Satz 1 auslösen. Unerheblich ist, dass gegen die Untersagung Widerspruch (§§ 41 ff.) und nachfolgend Beschwerde (§§ 48 ff.) eingelegt wurden, da – außer im Falle einer anderweitigen Anordnung des Beschwerdegerichts nach § 50 Abs. 3 – weder Widerspruch (siehe § 42) noch Beschwerde (siehe § 49) in Bezug auf die Untersagungsverfügung aufschiebende Wirkung entfalten. Das heißt, dass es auf die Bestandskraft der Untersagungsverfügung nicht ankommt2. Andererseits ist, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ankäme, erforderlich, dass die Verfügung ordnungsgemäß bekanntgegeben – also wirksam i.S.d. § 43 Abs. 1 VwVfG – und nicht – i.S.d. § 44 VwVfG – nichtig ist3.
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Als weiterer Sperrgrund kommt nur der Nichteintritt der Bedingung des Erwerbs eines Mindestanteils der Wertpapiere, nicht aber eine Bedingung anderer Art in Betracht4. Der Sperrgrund des Nichterreichens eines Mindestanteils (§ 26 Abs. 1 Satz 2) setzt voraus, dass der Bieter den Erwerb eines Mindestanteils der Wertpapiere zur Bedingung (siehe oben Rz. 5) der Annahme seines Angebots machte. Angebote, die auf den Erwerb der Kontrollmehrheit gerichtet sind, d.h. solche, welche objektiv die Möglichkeit eines Kontrollerwerbs implizieren (Übernahmeangebote i.S.d. § 29 Abs. 1), sind nicht bereits deshalb bedingte Angebote, weil die Erlangung der Kontrolle nach § 29 Abs. 2 die Erlangung von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft voraussetzt5.
III. Sperrfrist (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2) 8
Für den Fall, dass die Angebotssperre wegen einer Untersagung des Angebots durch die BaFin nach § 15 Abs. 1 oder 2 eintritt, unterliegt der Bieter nach § 26 Abs. 1 Satz 1 1 Auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 7; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 15; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 3; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 17; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 4. 2 Ganz h.M. vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 25; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 15; Glade in Heidel, § 26 WpÜG Rz. 4; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 5; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 2; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 18; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 18; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 5. 3 Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 19 f., 30; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 5. I.E. auch Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 15, der zwar Vollziehbarkeit verlangt, aber insoweit auf den fehlenden Suspensiveffekt von Widerspruch und Beschwerde gegen die die Sperre auslösende Untersagungsverfügung der Aufsichtsbehörde hinweist. 4 Heute wohl unstreitig. Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 22 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 6; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 3; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 23; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 3. 5 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 20, § 29 Rz. 22; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 6; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 19; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 24; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 3.
720 Assmann
§ 26
Sperrfrist
einer einjährigen Sperre, die in dem Zeitpunkt beginnt, in dem die Untersagungsverfügung dem Bieter bekannt gegeben wird (§ 43 Abs. 1 VwVfG)1. Gegen die Verfügung eingelegte Rechtsmittel (Widerspruch nach § 41 und ggf. Beschwerde nach § 48) haben auf die Sperrfrist keine Auswirkung (vgl. oben Rz. 6). Eine einjährige Sperre gilt gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 auch dann, wenn das Angebot 9 scheiterte, weil der Bieter nicht den stipulierten Mindestanteil an Wertpapieren erlangte. In diesem Falle beginnt die Frist mit dem Ablauf der Annahmefrist nach § 162. Zu dem in der Sperrfrist unzulässigen Verhalten siehe unten Rz. 12 f.
10
IV. Adressaten Der Angebotssperre unterliegt nur der Bieter, dem i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 1 ein Angebot untersagt wurde oder der mit seinem Angebot i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 2 erfolglos blieb. Während auch diejenigen Bieter sind, die zu einer Bietergemeinschaft gehörten (§ 2 Abs. 4: Abgabe eines Angebots „gemeinsam mit anderen Personen“), sind diejenigen, die mit dem Bieter oder den Bietern i.S.v. § 2 Abs. 4 lediglich i.S.v. § 2 Abs. 5 gemeinsam handelten, keine Bieter, so dass sie nicht der Sperrfrist unterfallen3. Das gilt auch für Tochterunternehmen des Bieters, die gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 nur als mit dem Bieter „gemeinsam handelnde“ Personen zu betrachten sind4.
11
V. Gegenstand der Sperre Gegenstand der Sperre ist die Abgabe eines erneuten freiwilligen Erwerbs- oder Über- 12 nahmeangebots (§ 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2). Die Abgabe eines Angebots im Rechtssinne (siehe § 14 Rz. 33) erfolgt durch die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1. Allein sie darf nicht innerhalb der Sperrfrist von § 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2 erfolgen (siehe bereits oben Rz. 4)5. Dafür spricht schon der – wegen der buß1 Vgl. Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 17; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 32. 2 Vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 29; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 31; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 32; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 7. A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 4. 3 Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 33 f. (mit dem Vorbehalt „unbefriedigend“); Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 14, 36; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 9. Im Ausgangspunkt ebenso: Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 36, aber mit methodisch nicht vertretbaren Korrekturversuchen ebd. Rz. 37 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 8, mit dem Hinweis, „in extremen Konstellationen“ sei Umgehungsversuchen nach § 4 Abs. 1 Satz 3 im Wege der Missbrauchsaufsicht zu begegnen. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 26 Rz. 17 f. auf der Grundlage einer eigenwilligen Methodik. 4 Vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 33 f. („unbefriedigend“). Im Ausgangspunkt ebenso: Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 40, aber mit methodisch bedenklichem Korrekturversuch ebd. Rz. 42; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 8 (siehe auch die Anm. oben in voriger Fn.). A.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 9 (siehe auch die Anm. oben in voriger Fn.); Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 4 (Umgehungsschutz; redaktionelles Versehen; Normenspaltung ist hinzunehmen). 5 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 31 f.; Glade in Heidel, § 26 WpÜG Rz. 7; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 4; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 22; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 35. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 13, 32 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 9; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 6.
Assmann
721
§ 26
Sperrfrist
geldrechtlichen Bewehrung der Vorschrift und der Vermeidung einer mehrgleisigen (zivilrechtlichen, aufsichtsrechtlichen und bußgeldrechtlichen) Normanwendung – deutliche Wortlaut der Bestimmung1. Zudem ist der hier maßgebliche Zweck der (als Ausdruck des allgemeinen Behinderungsverbots des § 3 Abs. 4 anzusehenden) Sperrfrist, Neuanläufe eines gescheiterten Bieters im Interesse der Fortsetzung der der normalen Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft (siehe oben Rz. 2) über einen angemessenen Zeitraum zu unterbinden, auch damit – nicht zuletzt wegen der zwingenden zeitlichen Nähe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots und der Veröffentlichung des Angebots aufgrund der Regelungen in § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 – hinreichend gewahrt. 13
Untersagt das Gesetz in § 26 Abs. 1 lediglich die Abgabe eines erneuten Angebots innerhalb der in dieser Bestimmung genannten Sperrfrist, so schließt dies die Vornahme anderer Akte – etwa solcher zur Vorbereitung eines erneuten Angebots – nicht aus. Einer besonderen Behandlung bedarf insoweit nur die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots nach § 10 Abs. 1. Soll sie zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden, der es erlaubt, dass die Veröffentlichung der Angebotsunterlage, d.h. die Abgabe des neuerlichen Angebots, nach dem vom Gesetz vorgesehenen Verfahrensund Zeitablauf – die Angebotsunterlage ist nach § 14 Abs. 1 innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Entscheidung der BaFin zu übermitteln und muss dann mindestens zehn Tage nach Eingang der Übermittlung bei der BaFin veröffentlicht werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1) – außerhalb der Sperrfrist des § 26 Abs. 1 liegt, bestehen gegen die Veröffentlichung der Entscheidung in der Sperrfrist keine Bedenken2. Eine Irreführung des Publikums, die Behinderungen der Zielgesellschaft und Marktverzerrungen wären allein dann zu befürchten, wenn die Veröffentlichung der Entscheidung wegen § 26 Abs. 1 nicht zur Abgabe des Angebots in Gestalt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach Ablauf der Sperrfrist führen könnte; in diesem Falle wäre die Veröffentlichung auch nach § 4 Abs. 1 Satz 3 durch die BaFin zu untersagen (siehe unten Rz. 21)3. Wird innerhalb der Sperrfrist lediglich eine Entscheidung zur Abgabe eines erneuten Angebots nach Ablauf der Sperrfrist getroffen, so löst diese unter einer Zeitbestimmung stehende und wie eine bedingte Entscheidung (siehe dazu § 10 Rz. 12) zu behandelnde Entscheidung (vgl. §§ 163, 158 BGB) eine Veröffentlichungspflicht nach § 10 nur nach Maßgabe der Zeitbestimmung aus, d.h. regelmäßig erst für den Zeitpunkt des Ablaufs der Sperrfrist.
C. Befreiung von der Angebotssperre (§ 26 Abs. 2) 14
Die BaFin kann den Bieter vom Verbot des § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 befreien, wenn der Bieter schriftlich einen entsprechenden Antrag stellt und die Zielgesellschaft der Befreiung zustimmt (§ 26 Abs. 2). Die Sperrfrist nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 dient in erster Linie dem Schutz der Zielgesellschaft (siehe oben Rz. 2). Stimmt diese der 1 So, trotz anderweitiger sachlicher Bedenken, namentlich Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 35; auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 26 Rz. 14. 2 Wie hier Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 22; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 34 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 26 Rz. 14; auch Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 32, der allerdings eine Einschränkung der Befugnis zur Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots innerhalb der Sperrfrist, wie sie hier vertreten wird, nicht erkennen lässt. A.A., d.h. generell gegen die Zulässigkeit zur Veröffentlichung einer Entscheidung zur Abgabe eines erneuten Angebots innerhalb der Sperrfrist dagegen Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 13, 32 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 9; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 6. 3 So auch Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 34 f.
722 Assmann
§ 26
Sperrfrist
Befreiung zu, entfällt der Schutzzweck der Vorschrift. In diesem Fall ist die Einhaltung der Sperrfrist unangemessen, sofern der Zustimmung der Zielgesellschaft nicht sachfremde Erwägungen zu Grunde liegen (siehe auch unten Rz. 18). Die Befreiung kann nur auf Grund eines diesbezüglichen schriftlichen Antrags des Bieters erfolgen, für dessen Form § 45 gilt1. Die Zustimmung der Zielgesellschaft ist keine Antrags-, sondern eine Befreiungsvoraussetzung (siehe unten Rz. 16).
15
Weitere unverzichtbare Voraussetzung einer Befreiung nach § 26 Abs. 2 ist die Zu- 16 stimmung der Zielgesellschaft. Sie einzuholen ist, nachdem der Bieter seinen schriftlichen Befreiungsantrag gestellt hat, Sache der BaFin (§ 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG), es sei denn, der Bieter hat – wozu er nicht verpflichtet ist – seinem Antrag bereits eine rechtsverbindliche Zustimmungserklärung der Zielgesellschaft (siehe unten Rz. 17) beigefügt2. Für die Erteilung der Zustimmung ist regelmäßig der Vorstand der Gesellschaft zu- 17 ständig3. Sofern die Zustimmung nach § 26 Abs. 2 nicht ihrerseits kraft Satzung zu den Geschäften zählt, denen der Aufsichtsrat zustimmen muss, bedarf es dessen Zustimmung nicht4. Auch eine Zustimmung der Hauptversammlung ist, weil eine Zustimmung nach § 26 Abs. 2 nicht in den Katalog der nach § 119 Abs. 1 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung unterliegenden Vorgänge fällt, nicht erforderlich5. Auch wenn sie den Weg für eine Transaktion freigibt, die eine Änderung des Anteilsbesitzes nach sich ziehen kann, ist die Zustimmung des Vorstands nach § 26 Abs. 2 selbst keine strukturändernde Maßnahme, die der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfte. Eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung besteht selbst dann nicht, wenn der Vorstand der Zielgesellschaft den gesperrten Bieter unter Inaussichtstellung der Zustimmung nach § 26 Abs. 2 als „white knight“ zur Abgabe eines konkurrierenden Angebots auffordert, da dies keine der Zustimmung der Hauptversammlung unterliegende Abwehrmaßnahme darstellt (§ 33 Abs. 1 Satz 2, Alt. 2). Hat der Bieter den Antrag gestellt und die Zielgesellschaft ihre Zustimmung erteilt, liegt es im Ermessen der BaFin, ob sie dem Antrag stattgibt. Ihre Ermessensentscheidung (§ 40 VwVfG) hat die BaFin auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung vorzunehmen6. Für die Einräumung einer Ermessensentscheidung trotz 1 Vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 13; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 38; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 13; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 26 Rz. 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 10 mit Fn. 17. I.E. auch Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 44. 2 Vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 14; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 30; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 46; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 13. 3 Ganz h.M., etwa Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 41; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 31; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 48; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 11. 4 Ebenso Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 17; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 41; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 32; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 48; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 11. 5 Ganz h.M., etwa Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 17; Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 42; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 13; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 33; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 48; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 11. 6 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 45; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 28.
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18
§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Zustimmung der Zielgesellschaft und des darin zum Ausdruck kommenden Verzichts auf die ihrem Schutz dienende Angebotssperre (siehe Rz. 2) ist vor allem die Gefahr maßgeblich, dass die Zustimmung unter dem Einfluss sachfremder Erwägungen erteilt wurde1. So ist es denkbar, dass der Vorstand der Zielgesellschaft durch die „Inaussichtstellung einer lukrativen Position nach einer erfolgreichen Übernahme“2 oder durch das Versprechen anderer Vorteile zur Erteilung der Zustimmung veranlasst wurde. 19
Die Befreiungsentscheidung erfolgt kostenfrei, da sie in dem Katalog kostenpflichtiger Amtshandlungen (§ 47) nicht aufgeführt ist. Gegen eine dem Antrag des Bieters nicht stattgebende Entscheidung der BaFin kann der Bieter Widerspruch einlegen (§ 41 Abs. 1 Satz 1). Gegen die dem Widerspruch nicht abhelfende Entscheidung ist die Beschwerde statthaft (§§ 48 Abs. 1, 51 Abs. 1).
D. Rechtsfolgen von Verstößen 20
Der Bieter, der vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 26 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 ein Angebot abgibt, handelt ordnungswidrig (§ 60 Abs. 1 Nr. 7). Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 1 Mio. Euro geahndet werden (§ 60 Abs. 3).
21
Ein Angebot, das entgegen § 26 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 abgegeben werden soll oder abgegeben wurde, kann die BaFin zwar nicht nach § 15 Abs. 13, jedoch nach § 4 Abs. 1 Satz 3 untersagen4.
§ 27 Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft (1) Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner Änderungen abzugeben. Die Stellungnahme muss insbesondere eingehen auf 1. die Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung, 2. die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft, die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft, 3. die vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Ziele, 1 Für die Berücksichtigungsfähigkeit dieses Umstands auch Glade in Heidel, § 26 WpÜG Rz. 13; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 14; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 37. A.A. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 20; Diekmann in Baums/ Thoma, § 26 Rz. 45; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 54. 2 Beispiel nach Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 3 In Betracht kommt allein der Untersagungsgrund aus § 15 Abs. 1 Nr. 2, der aber seinem klaren Wortlaut nach von gesetzeswidrigen Angaben in der Angebotsunterlage und nicht von Verstößen gegen Verfahrensbestimmungen ausgeht. Vgl. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 39. A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 26 Rz. 48; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, § 26 WpÜG Rz. 10; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 26 Rz. 4; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 26 Rz. 15; Scholz in FrankfKomm. WpÜG, § 26 Rz. 43; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 26 Rz. 59 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 26 Rz. 23. 4 A.A. Angerer in Geibel/Süßmann, § 26 Rz. 39, der § 15 Abs. 3 Satz 2 als eine § 4 ausschließende Vorschrift (lex specialis) betrachtet.
724 Krause/Pötzsch
§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
4. die Absicht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft sind, das Angebot anzunehmen. (2) Übermitteln der zuständige Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft dem Vorstand eine Stellungnahme zu dem Angebot, hat der Vorstand unbeschadet seiner Verpflichtung nach Absatz 3 Satz 1 diese seiner Stellungnahme beizufügen. (3) Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben die Stellungnahme unverzüglich nach Übermittlung der Angebotsunterlage und deren Änderungen durch den Bieter gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 zu veröffentlichen. Sie haben die Stellungnahme gleichzeitig dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zu übermitteln. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben der Bundesanstalt unverzüglich die Veröffentlichung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 mitzuteilen.
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
b) Folgen des Angebots (Nr. 2) . . . . . aa) Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . bb) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . c) Vom Bieter verfolgte Ziele (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Annahme des Angebots durch Organmitglieder (Nr. 4) . . . . . . . . 4. Handlungsempfehlung . . . . . . . . . . .
74 77 79
II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Entstehung der Vorschrift. . . . . . . . .
7
1. Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . 2. Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 11
IV. Anwendungsbereich und Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . .
12
V. Kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . .
18
V. Konkurrierende Angebote . . . . . . . . 103
VI. Wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . .
20
82 83 90
III. Änderung des Angebots . . . . . . . . . . 93 IV. Aktualisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
VII. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
21
C. Stellungnahme des Betriebsrats oder der Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
VIII. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
B. Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats (§ 27 Abs. 1) . . . . . . . .
30
I. Pflicht zur begründeten Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
IV. Beifügungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 116
30 35 44
1. Grundsatz und Ausnahmen . . . . . . . 116 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Frist und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 122
1. 2. 3. 4.
II. Stellungnahme des Betriebsrats . . . 111
Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adressaten der Norm . . . . . . . . . . . . Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . Prüfungs- und Ermittlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 50
II. Inhalt der Stellungnahme . . . . . . . . .
53
1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 . 3. Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 . a) Art und Höhe der Gegenleistung (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art der Gegenleistung . . . . . . bb) Höhe der Gegenleistung . . . .
53 54 61 61 62 64
III. Stellungnahme der Arbeitnehmer . . 113
D. Verfahrensvorschriften (§ 27 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Veröffentlichung (§ 27 Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Übermittlung an Betriebsrat oder Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 3 Satz 2) . . 128 III. Mitteilung der Veröffentlichung an die BaFin (§ 27 Abs. 3 Satz 3) . . . . . . 132 E. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Anordnung der BaFin . . . . . . . . . . . . 134
Krause/Pötzsch
725
§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
II. Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . 135 III. Haftung für fehlerhafte Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Ansprüche gegen den Vorstand der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft. . . . . . . . . aa) Vertragliche Ansprüche . . . . . bb) Ansprüche aus vorvertraglichem Schuldverhältnis . . . . . cc) Ansprüche aus analoger Anwendung des § 12 . . . . . . . dd) Ansprüche aus allgemeiner zivilrechtlicher Prospekthaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ansprüche aus § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG (i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG) . . . . . . . . ff) Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Ansprüche aus § 826 BGB . . . b) Ansprüche der Zielgesellschaft . .
140 141 141 142 143 144 146
c) Ansprüche des Bieters . . . . . . . . . 2. Ansprüche gegen den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft . . . . . . . . b) Ansprüche der Zielgesellschaft . . c) Ansprüche des Bieters . . . . . . . . . 3. Ansprüche gegen die Zielgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ansprüche gegen den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft . . . . . . b) Ansprüche der Zielgesellschaft . . c) Ansprüche des Bieters . . . . . . . . . 5. Haftungsausschluss?. . . . . . . . . . . . .
156 159 159 160 161 162
163 163 164 165 166
IV. Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . 167
149
F. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 168
150 153 155
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 168 III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Schrifttum: Van Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, 1995; Baums, Empfiehlt sich eine Neuregelung des aktienrechtlichen Anfechtungs- und Organhaftungsrechts, insbesondere der Klagemöglichkeiten von Aktionären?, Gutachten F zum 63. Deutschen Juristentag, 2002; Baums/Stöcker, Rückerwerb eigener Aktien und WpÜG, in FS Wiedemann, 2002, S. 703; Becker, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, ZHR 165 (2001), 280; Berg/Stöcker, Anwendungs- und Haftungsfragen zum Deutschen Corporate Governance Kodex, WM 2002, 1569; Cahn, Grenzen des Markt- und Anlegerschutzes durch das WpHG, ZHR 162 (1998), 1; Cannivé/Suerbaum, Die Fairness Opinion bei Sachkapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften: Rechtliche Anforderungen und Ausgestaltung nach IDW S8, AG 2011, 317; Decher, Die Fairness Opinion in der aktien- und übernahmerechtlichen Praxis, in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99; Deutscher Anwaltverein – Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE des BMF für ein Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, NZG 2001, 420; Diekmann/Merkner, Die praktische Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, ZIP 2004, 836; Dreher, Change of Control-Klauseln bei Aktiengesellschaften, AG 2002, 214; Ebenroth/Daum, Die Kompetenzen des Vorstands einer Aktiengesellschaft bei der Durchführung und Abwehr unkoordinierter Übernahmen (Teil I), DB 1991, 1105; Ebke, Die zivilrechtliche Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat für fehlerhafte Stellungnahmen nach § 27 WpÜG, in FS Hommelhoff, 2012, S. 161; Edelmann, Haftung von Vorstandsmitgliedern für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen – Besprechung der Infomatec-Urteile des BGH, BB 2004, 2031; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Teil I), DStR 2002, 724; Fitting u.a., Betriebsverfassungsgesetz, 26. Aufl. 2012; Fleischer, Organpublizität im Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht, NZG 2006, 561; Fleischer, Die Fairness Opinion bei M&A-Transaktionen zwischen Markt und Recht, in FS Hopt, 2010, S. 2753; Fleischer, Zur rechtlichen Bedeutung der Fairness Opinion im deutschen Aktien- und Übernahmerecht, ZIP 2011, 201; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Fleischer/Schmolke, Zum Sondervotum einzelner Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder bei Stellungnahmen nach § 27 WpÜG, DB 2007, 95; Fortmann, Die Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten der Zielgesellschaft, 2010; Friedl, Die Haftung des Vorstands und Aufsichtsrats für eine fehlerhafte Stellungnahme gemäß § 27 I WpÜG, NZG 2004, 448;
726 Krause/Pötzsch
§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Graser/Klüwer/Nestler, Fairness Opinion nach IDW ES 8: Mehrwert durch Standardisierung?, BB 2010, 1587; Grobys, Arbeitsrechtliche Aspekte des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, NZA 2002, 1; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996; Harbarth, Die Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats zur Gegenleistung bei Übernahmeangeboten, ZIP 2004, 3; Herrmann, Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen gegen unfreundliche Übernahmeversuche in Deutschland und Großbritannien, 1993; Hess/Schlochauer/Worzella/Glock/Nicolai/Rose, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 8. Aufl. 2011; Hirte/Schander, Die Organpflichten bei Unternehmensübernahmen, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999, S. 341; Hopt, Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534; Hopt, Kapitalmarktrecht (mit Prospekthaftung) in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band II, 2000, S. 497; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen – Zur aktien- und übernahmerechtlichen Rechtslage in Deutschland und Europa, in FS Lutter, 2000, S. 1361; Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Übernahmegesetz – Gemeinsamer Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie und Diskussionsentwurf des Übernahmegesetzes, in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen in Übernahmeauseinandersetzungen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005; Immenga, Öffentliche Übernahmeangebote (Takeover bids), SAG 1975, 89; Kiem, Investorenvereinbarungen im Lichte des Aktien- und Übernahmerechts, AG 2009, 301; Kindler/Horstmann, Die EU-Übernahmerichtlinie – Ein „europäischer“ Kompromiss, DStR 2004, 866; Kort, Rechte und Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei Übernahmeversuchen, in FS Lutter, 2000, S. 1421; Kossmann, Bewertungspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 27 WpÜG unter Berücksichtigung von IDW ES 8, NZG 2011, 46; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, NJW 2004, 3681; Kubalek, Die Stellungnahme der Zielgesellschaft zu öffentlichen Angeboten nach dem WpÜG, 2006; Lappe/Stafflage, Fairness Opinion im Transaktionsgeschäft, CFL 2010, 312; Leyendecker/Kleinhenz, Keine Wertindikation im Rahmen der Stellungnahme nach § 27 WpÜG, BB 2011, 2952; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. 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Vetter, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei der Abgabe der Stellungnahme nach § 27 WpÜG, in FS Hopt, 2010, S. 2657; Weishaupt, Schadensersatzansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft im Falle einer fehlerhaften Stellungnahme nach § 27 WpÜG, 2007; Westhoff, Die Fairness Opinion, 2006; Wiesner, Die neue Übernahmerichtlinie und die Folgen, ZIP 2004, 343; Winner, Die Zielgesellschaft in der freundlichen Übernahme, 2002; Witte, Diskussionsentwurf zur Regelung von Unternehmensübernahmen: Abwehrmöglichkeiten des Vorstands der Zielgesellschaft, BB 2000, 2161; Zinser, Der Entwurf eines Übernahmegesetzes, ZRP 2001, 363; Zöllner, Die sogenannten Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftrecht, ZGR 1988, 392.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
A. Überblick I. Regelungsgegenstand 1
§ 27 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet den Vorstand und den Aufsichtsrat einer Zielgesellschaft, eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot sowie zu jeder seiner Änderungen abzugeben. Satz 2 konkretisiert diese Pflicht durch eine nicht abschließende Aufzählung von Gesichtspunkten, auf die die Stellungnahme eingehen muss. Danach muss sich die Stellungnahme insbesondere mit der Gegenleistung, den voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots und den vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Zielen auseinandersetzen. Außerdem ist mitzuteilen, ob Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats, soweit sie Wertpapiere der Zielgesellschaft halten, beabsichtigen, das Angebot anzunehmen.
2
Haben der zuständige Betriebsrat oder die Arbeitnehmer dem Vorstand eine Stellungnahme zu dem Angebot übermittelt, verpflichtet § 27 Abs. 2 den Vorstand, diese seiner eigenen Stellungnahme beizufügen.
3
§ 27 Abs. 3 enthält Verfahrensvorschriften zur Veröffentlichung der Stellungnahme (Satz 1), zu deren Übermittlung an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer (Satz 2) und zur Mitteilung der Veröffentlichung an die BaFin (Satz 3).
II. Normzweck 4
Nach dem in § 3 Abs. 2 verankerten Transparenzprinzip sollen alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft über ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können. Die in § 27 Abs. 1 verankerte Verpflichtung der Verwaltung der Zielgesellschaft zur Stellungnahme stellt eine Ausprägung dieses Grundsatzes dar1. Die Stellungnahme bildet das Gegenstück zur Angebotsunterlage des Bieters, wirkt damit einer einseitigen Informationspolitik des Bieters entgegen und schafft für die Angebotsadressaten durch Rede und Gegenrede eine ausgewogene Entscheidungsgrundlage2.
5
Die in § 27 Abs. 2 enthaltene Regelung bezweckt, dass die Angebotsadressaten nicht nur über die Haltung der Verwaltung, sondern auch der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft zu dem Angebot informiert werden3; sie verbreitert die Informationsbasis der Wertpapierinhaber daher um einen weiteren Aspekt.
6
Die Verfahrensregeln des § 27 Abs. 3 sichern die hinreichende Verbreitung der von der Zielgesellschaft ausgehenden Informationen unter Berücksichtigung des in § 3 Abs. 4 verankerten Beschleunigungsgrundsatzes und erleichtern der BaFin, die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 27 Abs. 1 und 2 zu überwachen.
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 2 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 95 f. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
III. Entstehung der Vorschrift 1. Gesetzgebungsverfahren Eine Verpflichtung zur Stellungnahme war bereits im DiskE des Bundesministeriums der Finanzen enthalten (§ 30)1, traf dort jedoch nur den Vorstand, nicht aber den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft. Auch der obligatorische Inhalt der Stellungnahme war weniger breit angelegt: Eine Verpflichtung, auf die Art und Höhe der Gegenleistung oder auf die künftigen Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft im Falle eines erfolgreichen Angebots einzugehen, war nicht vorgesehen. Darüber hinaus fehlte eine ausdrückliche Pflicht zur Beifügung der Stellungnahme der Arbeitnehmer; vielmehr war nur „die Position“ der Arbeitnehmer in die Stellungnahme aufzunehmen. Schließlich war auch eine Übermittlung der Stellungnahme des Vorstands an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer nicht vorgesehen.
7
Im RefE des Bundesministeriums der Finanzen (§ 27)2 wurde auf Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes in § 27 Abs. 2 eine ausdrückliche Pflicht des Vorstands, seiner Stellungnahme diejenige des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer beizufügen, aufgenommen.
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Gegenüber dem RefE wurde im RegE3 der obligatorische Inhalt der Stellungnahme präzisiert und ergänzt. In § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 wurde klargestellt, dass die Stellungnahme sich nur auf die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots beziehen muss, zugleich aber festgelegt, dass hier auch auf die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft einzugehen ist. Darüber hinaus wurde die Verpflichtung des Vorstands zur Übermittlung seiner Stellungnahme an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer aufgenommen (§ 27 Abs. 3 Satz 2).
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Im anschließenden parlamentarischen Verfahren wurde auf Grund der Beschlussemp- 10 fehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages4 neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat in die Verpflichtung zur Abgabe einer Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 Satz 1 einbezogen; entsprechende Folgeänderungen erfolgten in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Abs. 3. Durch die Einbeziehung des Aufsichtsrats, die während des Gesetzgebungsverfahrens von mehreren Seiten gefordert worden war5, sollte ausweislich der Begründung des Finanzausschusses die Gesamtverantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat betont und die Informationsbasis für die Angebotsbeteiligten verbreitert werden6. Zugleich wurden hiermit de facto die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter auf die Stellungnahme verstärkt7. Darüber hinaus wurde der obligatorische Inhalt der Stellungnahme erneut ergänzt, diesmal um die Verpflichtung, auch zur Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung Stellung zu nehmen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). In der Begründung des Finanzausschusses wird zutreffend darauf hingewiesen, dass diese von besonderer Bedeutung für die Entscheidungsfindung der Wertpapierinhaber ist.
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Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237, 252. Abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 374, 387. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 15. BT-Drucks. 14/7477, S. 22 f., 52 f. U.a. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 427. BT-Drucks. 14/7477, S. 52 f. Seibt, DB 2002, 529, 531.
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2. Änderungen 11
Als Folge des Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22.4.20021 wurde die in § 27 Abs. 3 Satz 3 ursprünglich enthaltene Bezeichnung „Bundesaufsichtsamt“ (für den Wertpapierhandel) mit Wirkung zum 1.5.2002 durch die Bezeichnung „Bundesanstalt“ (für Finanzdienstleistungsaufsicht) ersetzt2.
11a Durch Art. 1 Nr. 13 des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 8.7.20063 wurde die in § 27 Abs. 3 Satz 3 enthaltene Verpflichtung zur Übersendung eines Belegs über die Veröffentlichung der Stellungnahmen des Vorstands und Aufsichtsrats an die BaFin durch die Verpflichtung zur Mitteilung der Veröffentlichung ersetzt. Die Änderung ist eine Folge der Ersetzung der Zeitungspublizität durch die Bekanntgabe im Bundesanzeiger in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (siehe § 14 Rz. 3a).
IV. Anwendungsbereich und Verhältnis zu anderen Vorschriften 12
Auf Grund ihrer systematischen Stellung im Abschnitt 3 des WpÜG gilt die Verpflichtung zur Stellungnahme nach § 27 für sämtliche Angebote im Anwendungsbereich des WpÜG, d.h. für einfache Erwerbsangebote, Übernahme- und Pflichtangebote. Dem während des Gesetzgebungsverfahrens geäußerten Petitum, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Übernahmeangebote zu beschränken4, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt (näher unten Rz. 27).
12a Bei Angeboten i.S.d. § 1 Abs. 3 auf Zielgesellschaften mit Sitz im EU-Ausland, aber alleiniger oder vorrangiger Notierung der Aktien in Deutschland, sind die Vorschriften des deutschen WpÜG nur anzuwenden, soweit sie Fragen der Gegenleistung, des Inhalts der Angebotsunterlage und des Angebotsverfahrens betreffen. Daran könnte man bei § 27 nur dann zweifeln, wenn man die Norm – nach hiesiger Auffassung unzutreffend – als gesellschaftsrechtliche Pflicht verortet (zur kapitalmarkt- oder gesellschaftsrechtlichen Einordnung siehe unten Rz. 18 f.). Der Verordnungsgeber hat sich in Bezug auf diese Wertung zurückgehalten: Die WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung konkretisiert § 1 Abs. 2 und 3, ohne § 27 als eine der anwendbaren Vorschriften zu benennen. Die WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung enthält jedoch keine abschließende Aufzählung der anwendbaren deutschen Vorschriften5. Maßgeblich ist demnach allein das Gesetz. Die Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats gemäß § 27 ist Bestandteil des Angebotsverfahrens und weist unmittelbaren Bezug zum Inhalt der Angebotsunterlage auf. Die Pflicht aus § 27 ist auf die Vorgaben zur Angebotsunterlage zugeschnitten. Daher ist auch § 27 in Fällen des § 1 Abs. 3 anwendbar mit der Folge, dass Vorstand und Aufsichtsrat eine Stellungnahme nach Maßgabe des deutschen Übernahmerechts abzugeben haben. 13
Auf den Erwerb eigener Aktien des Bieters ist das WpÜG – und damit auch § 27 – nach Auffassung der BaFin6 nicht anwendbar (vgl. § 2 Rz. 42). Doch auch wenn man die Auf1 BGBl. I 2002, 1310. 2 Art. 1 Nr. 18 der Ersten Verordnung zur Anpassung von Bezeichnungen nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz vom 29.4.2002, BGBl. I 2002, 1495; siehe hierzu Einleitung Rz. 56. 3 BGBl. I 2006, 1426; siehe hierzu Einleitung Rz. 60 ff. 4 DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE, NZG 2001, 420, 426. 5 Santelmann in Steinmeier/Häger, § 1 Rz. 48. 6 BaFin-Schreiben vom 9.8.2006, abrufbar unter www.bafin.de, in Abkehr vom BaFin-Merkblatt vom 5.7.2005.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
fassung zugrunde legen würde, das WpÜG sei grundsätzlich auf den Erwerb eigener Aktien anzuwenden (zum Streitstand § 2 Rz. 38 ff.), wäre die Verpflichtung zur Stellungnahme gemäß § 27 nach ganz herrschender Meinung1 auf derartige Fälle nicht anwendbar. § 27 setzt ersichtlich eine Personenverschiedenheit von Bieter und Zielgesellschaft voraus; da eine Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft zu ihrem eigenen Angebot keinen Sinn ergibt, wäre § 27 hier jedenfalls teleologisch zu reduzieren. Zum Verhältnis von § 27 zu dem in § 3 Abs. 2 verankerten Transparenzprinzip siehe oben Rz. 4.
14
Im Hinblick auf den in § 27 geregelten obligatorischen Inhalt der Stellungnahme ist 15 die Vorschrift lex specialis zu § 28. Die BaFin kann daher eine Stellungnahme, die sich auf den gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 geforderten Mindestinhalt beschränkt, nicht als Werbung nach § 28 Abs. 1 untersagen. Werden diese Grenzen überschritten, ist § 28 dagegen anwendbar2. Die Pflicht zur Abgabe einer Stellungnahme nach § 27 besteht als eigenständige Ver- 16 pflichtung der Verwaltung der Zielgesellschaft neben dem in § 33 verankerten übernahmerechtlichen Verhinderungsverbot3. § 27 ist schon deshalb nicht lex specialis zu § 334, weil § 27 – anders als § 33 – auch für einfache Erwerbsangebote gilt und die Stellungnahme nicht dem Verhinderungsverbot unterfällt, da sie den Aktionären nicht das Letztentscheidungsrecht über die Annahme oder Ablehnung des Angebots des Bieters aus der Hand nimmt (siehe § 33 Rz. 84). Ziff. 3.7 des Deutschen Corporate Governance Kodex5 enthält ebenfalls eine Ver- 17 pflichtung des Vorstands und Aufsichtsrats einer Zielgesellschaft zur begründeten Stellungnahme. Die Regelung ist jedoch inhaltlich weniger konkret ausgestaltet als § 27 und zudem – im Gegensatz zu § 27, der auch einfache Erwerbsangebote und Pflichtangebote erfasst – auf Übernahmeangebote beschränkt. Kommt die Verwaltung einer Zielgesellschaft ihren Verpflichtungen gemäß § 27 nach, erfüllt sie zugleich die Vorgaben der Ziff. 3.7 Deutscher Corporate Governance Kodex; die letztgenannte Regelung hat daher keinen eigenständigen Anwendungsbereich.
V. Kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtliche Einordnung Die Pflicht des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zur Stellungnahme nach § 27 ist kapitalmarktrechtlicher Natur6. Sie ist funktional das Pendant zur an den 1 Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2593; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 14; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 6; ebenfalls Baums/Stöcker in FS Wiedemann, 2002, S. 703, 713, 749; Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836, 837 f., die sich generell gegen eine Anwendbarkeit des WpÜG auf den Rückerwerb eigener Aktien aussprechen. 2 Ebenso Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 7; ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 16; für generellen Vorrang des § 27 demgegenüber Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 27 Rz. 2; differenzierend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 18. 3 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1380; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 19. 4 So aber Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 2; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 12. 5 Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 15.5.2012, im Internet abrufbar unter www.corporate-governance-code.de. 6 Ebenso Mülbert, IStR 1999, 83, 88; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 248; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 421, 430; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 7 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 16; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 9; zur kapitalmarkt- und ge-
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Kapitalmarkt gerichteten Angebotsunterlage des Bieters1 und Ausfluss des Transparenzprinzips (siehe oben Rz. 4), einem der zentralen Grundsätze des Kapitalmarktrechts. Die Pflicht zur Stellungnahme dient der Information nicht nur der Aktionäre, sondern auch anderer Inhaber von Wertpapieren nach § 2 Abs. 2, damit diese ihre Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots „in Kenntnis der Sachlage“ treffen können (§ 3 Abs. 2). Die Stellungnahme ist zu veröffentlichen; sie wendet sich also nicht nur an die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, sondern darüber hinaus an den gesamten Kapitalmarkt2. Sie ist auch anders als das gesellschaftsrechtliche Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 AktG unabhängig von der Hauptversammlung3. Schließlich ist die Norm Gegenstand kapitalmarktrechtlicher Aufsicht4. 19
Schon vor Inkrafttreten des WpÜG wurde für den Vorstand – nicht aber für den Aufsichtsrat – einer Zielgesellschaft im Übernahmefall nach ganz h.M. eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Stellungnahme angenommen5, wobei diese aus der Interessenwahrungspflicht des Vorstands, auf die auch die Begründung des Regierungsentwurfs verweist6, der Verpflichtung des Vorstands zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 76 AktG oder einer aus § 93 AktG folgenden besonderen Treuepflicht gegenüber den Aktionären abgeleitet wurde. Die konkrete kapitalmarktorientierte Ausgestaltung des § 27 (siehe vorstehende Rz.) lässt sich hiermit jedoch nicht erklären. Für die grundsätzliche Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Stellungnahme fehlt zudem bis heute eine tragfähige gesellschaftsrechtliche Begründung; die teilweise7 herangezogene vollkommen anders ausgestaltete Berichts- und Rechenschaftspflicht des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung (vgl. § 171 Abs. 2 AktG) erscheint jedenfalls kaum überzeugend. Auch der Umstand, dass Normadressat nicht die Gesellschaft, sondern deren Organe sind, spricht nicht zwingend für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung8, da die Angaben nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 nur Sinn ergeben, wenn hier auf die Organmitglieder, nicht aber die Gesellschaft abgestellt wird. Vor diesem Hintergrund spricht mehr dafür, die Norm nicht (auch) im Gesellschafts-, sondern ausschließlich im Kapitalmarktrecht zu verorten9.
VI. Wirtschaftliche Bedeutung 20
In der Praxis kommt der Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft bei öffentlichen Angeboten, insbesondere bei Übernahmeangeboten, erhebliche Bedeutung
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sellschaftsrechtlichen Einordnung eingehend aus jüngerer Zeit Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 74 ff., 93 ff., 104 ff. Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 421. Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 246; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 430; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 97. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 8. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 1. Statt aller Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 129; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1380, jeweils m.w.N. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17; dem folgend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 16; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 9; Friedl, NZG 2004, 448, 449. So aber Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 1. Für kapitalmarkt- und verbandsrechtliche Doppelnatur dagegen Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 16; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 1; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 20 f.; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 105 f.
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zu1. Bei feindlichen Übernahmeangeboten steht dabei das Recht zur Stellungnahme im Vordergrund. Hier fungiert die Stellungnahme als wichtige Abwehrwaffe2 (die nicht dem Verhinderungsverbot des § 33 unterfällt, siehe oben Rz. 16), bei der die Verwaltung der Zielgesellschaft die Nachteile des Angebots des Bieters offen legen und versuchen wird, die Angebotsadressaten von der Überlegenheit ihres Unternehmenskonzeptes3 zu überzeugen. Bei freundlichen Angeboten tritt demgegenüber der Aspekt der Pflicht zur Stellungnahme in den Vordergrund, da hier die Verwaltung im allgemeinen kein Interesse hat, kritische Punkte des Angebots herauszustellen und so die Annahme des Angebots durch die Adressaten zu gefährden4.
VII. EU-Übernahmerichtlinie Art. 9 Abs. 5 Übernahmerichtlinie5 enthält ebenfalls eine Verpflichtung, zu dem An- 21 gebot des Bieters Stellung zu nehmen. Normadressat der Verpflichtung ist „das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan“ der Zielgesellschaft. Ob hierunter im dualistischen System neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat zu verstehen ist, ist in der Richtlinie nicht ausdrücklich festgelegt. Aus dem Hinweis in Art. 9 Abs. 6 Übernahmerichtlinie, nach dem „für die Zwecke von (Art. 9) Absatz 2“ der Begriff Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan im dualistischen System sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat umfasst, lässt sich weder ein „Erst recht“- noch ein Umkehrschluss ableiten, da durch die letztgenannte Regelung die Frage bewusst nur für die in Art. 9 Abs. 2 geregelten Abwehrmaßnahmen entschieden werden sollte6. Bei funktionaler Betrachtung spricht viel für eine alleinige Verpflichtung des Vorstands7; jedoch kann die Frage im Ergebnis offen bleiben, da § 27 sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat zur Stellungnahme verpflichtet. Europarechtlich ist dies zulässig, weil die Mitgliedstaaten über die Anordnungen der Richtlinie hinausgehende zusätzliche und strengere Bestimmungen vorsehen können (Art. 3 Abs. 2 lit. b) Übernahmerichtlinie). Art. 9 Abs. 5 Satz 1 Übernahmerichtlinie verlangt seitens der Zielgesellschaft eine 22 mit Gründen versehene Stellungnahme, die unter anderem auf die Auswirkungen des Angebots auf die Interessen der Gesellschaft, insbesondere der Beschäftigung, die strategische Planung des Bieters für die Zielgesellschaft und die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und Standorte entsprechend den in Art. 6 Abs. 3 lit. i) Übernahmerichtlinie für die Angebotsunterlage geforderten Angaben eingeht. Nach Art. 9 Abs. 5 Satz 2 Übernahmerichtlinie hat das Leitungs- bzw. Verwaltungs- 23 organ der Zielgesellschaft seine Stellungnahme gleichzeitig den Arbeitnehmervertretern oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern selbst zu übermitteln.
1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 2 Krause, NJW 2002, 705, 711. 3 Zu dem in der internationalen Übernahmepraxis üblichen Wettbewerb der Konzepte siehe Becker, ZHR 165 (2001), 280, 281. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 16; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 13. 5 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. Art. 9 Abs. 5 wird ergänzt durch die Erwägungsgründe 17 und 23 Satz 2. 6 Zutreffend Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 232; AG 2004, 306, 307. 7 So auch Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 307.
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Nach Art. 9 Abs. 5 Satz 3 Übernahmerichtlinie hat das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft seiner Stellungnahme eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter zu den Auswirkungen auf die Beschäftigung beizufügen, sofern diese Stellungnahme rechtzeitig bei ihm eingeht. Von einer Stellungnahme der Arbeitnehmer beim Fehlen einer Arbeitnehmervertretung ist nicht die Rede. Dies ist ein offensichtliches Redaktionsversehen, denn die Möglichkeit der Stellungnahme der Arbeitnehmer ist in Erwägungsgrund 23 Satz 2 ausdrücklich angesprochen.
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In Erwägungsgrund 23 Satz 2 Übernahmerichtlinie ist allerdings von den Arbeitnehmern „der betroffenen Gesellschaften“ die Rede. Wie sich aus Satz 1 ergibt, sind hiermit die Arbeitnehmer von Bieter- und Zielgesellschaft oder ihre Vertreter gemeint. Hieraus lässt sich allerdings nicht herleiten, dass die Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertreter des Bieters einen Anspruch darauf haben sollen, dass ihre Stellungnahme der Angebotsunterlage des Bieters bzw. der Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft beizufügen ist1. Dagegen spricht zunächst, dass nur die in der Richtlinie enthaltenen Artikel, nicht aber die Erwägungsgründe umzusetzen sind. Weiterhin spricht Art. 8 Abs. 2 Übernahmerichtlinie gegen einen Anspruch auf Veröffentlichung mit der Angebotsunterlage; diese Vorschrift ordnet an, dass die Angebotsunterlage bekanntzumachen und (sodann) den Arbeitnehmervertretern bzw. den Arbeitnehmern unverzüglich zur Verfügung zu stellen ist. Gegen einen Anspruch auf Veröffentlichung mit der Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft spricht außerdem, dass dies eine Veröffentlichungspflicht „auf der falschen Seite“ zur Folge hätte. Auch Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Übernahmerichtlinie lässt erkennen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung nur auf die eigene Arbeitnehmerschaft beschränkt sein soll. Zutreffend erscheint allerdings, dass nach Auffassung des Richtliniengebers die Arbeitnehmer(vertreter) des Bieters – deren Meinungsäußerungsfreiheit eine Selbstverständlichkeit ist – die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, vom Bieter Unterstützung bei der Veröffentlichung ihrer Stellungnahme verlangen zu können, etwa durch Veröffentlichung der Stellungnahme auf der Website des Bieters2.
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Umsetzungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber im Rahmen des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 8.7.20063 bestand nicht4. § 27 Abs. 1 verpflichtet sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat zur Abgabe einer Stellungnahme. Der von der Richtlinie geforderte Inhalt der Stellungnahme wird durch § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 erfasst5. Die gleichzeitige Übermittlung der Stellungnahme an die Arbeitnehmerschaft sieht bereits § 27 Abs. 3 Satz 2 vor; die Pflicht zur Beifügung der Stellungnahme der Arbeitnehmerschaft folgt aus § 27 Abs. 2. Die den Erwägungsgründen zu entnehmenden Vorstellungen des Richtliniengebers über eine Unterstützung der Arbeitnehmerschaft bei der Veröffentlichung ihrer Stellungnahme haben im Richtlinientext keinen Niederschlag gefunden, so dass hieraus ebenfalls kein Umsetzungsbedarf resultierte.
1 Für Ersteres aber Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 180 ff.; für Letzteres Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 872 f.; einen Änderungsbedarf auch bejahend Wiesner, ZIP 2004, 343, 349. 2 Siehe hierzu auch Wiesner, ZIP 2004, 343, 349. 3 BGBl. I 2006, 1426; siehe hierzu Einleitung Rz. 60 ff. 4 Die oben Rz. 11a dargestellte Änderung des § 27 Abs. 3 Satz 3 im Rahmen des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes war nicht durch zwingende Richtlinienvorgaben veranlasst. 5 Einschränkend („entspricht weitgehend der deutschen Rechtslage“) Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 307 (jedoch ohne nähere Erläuterung).
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
VIII. Kritik Rechtspolitisch wird die Verpflichtung der Verwaltung der Zielgesellschaft zur Stel- 27 lungnahme im Grundsatz fast1 einhellig begrüßt. Teilweise wird jedoch der Anwendungsbereich der Regelung, die für sämtliche Angebote gilt, als zu weitgehend kritisiert und gefordert, die Pflicht zur Stellungnahme auf Übernahmeangebote zu beschränken2. Dem ist zu widersprechen3. Auch mit einfachen Erwerbsangeboten können erhebliche Beteiligungen, etwa Sperrminoritäten, aufgebaut werden, die die Verhältnisse bei der Zielgesellschaft substanziell verändern4. Und auch bei Aufstockungsangeboten, d.h. Angeboten, mit denen eine bestehende Kontrollposition ausgebaut werden soll, ist es für die Adressaten des Angebots durchaus von Interesse, die Auffassung der Verwaltung – beispielsweise im Hinblick auf geplante Satzungsänderungen oder einen Squeeze out – zu erfahren5. Teilweise wird eine Ergänzung der gesetzlichen Vorgabe des obligatorischen Inhalts 28 der Stellungnahme befürwortet: So sollen etwa abweichende Auffassungen einzelner Mitglieder der Verwaltung zur Stellungnahme (split boards)6 sowie bestehende Interessenkonflikte7 offen zu legen sein. Zudem soll der sachverständige Rat eines unabhängigen Dritten zwingend eingeholt und den Aktionären in der Stellungnahme zugänglich gemacht werden8. Darüber hinaus wird kritisiert, dass im Gegensatz zur Angebotsunterlage des Bieters (§ 12) eine eigenständige Haftungsregelung für die Stellungnahme der Verwaltung der Zielgesellschaft fehlt9. Schließlich wird die in § 27 Abs. 2 enthaltene Pflicht zur Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer zum Teil als überzogen angesehen, da sie sich nicht auf Übernahmeangebote beschränke und zu überflüssigen Ablauferschwernissen führe10. Auch übertreffe der dort verankerte Arbeitnehmerschutz noch den des Umwandlungsrechts, obwohl der Schutzbedarf in Umwandlungsfällen höher sei11.
1 Kritisch zur Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Stellungnahme (aber wenig überzeugend) Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 367 ff. 2 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 426; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 18; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 2. 3 Ebenso Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 370 ff. 4 Zu Auswirkungen von Einstiegsangeboten siehe Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 65 f. 5 Zu Auswirkungen von Aufstockungsangeboten siehe Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 64 f., 112. 6 Hopt, ZGR 2002, 333, 354 f., der eine solche Verpflichtung im Wege teleologischer Interpretation schon aus der lex lata ableitet. 7 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 98 f.; Fleischer, NZG 2006, 561, 567; tendenziell auch Hopt, ZGR 2002, 333, 363 f. 8 Hopt, ZGR 2002, 333, 355; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 372 ff. 9 Hopt, ZGR 2002, 333, 355 f. 10 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 3; kritisch zum Umfang der Arbeitnehmerrechte im WpÜG auch Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 378 ff. 11 Seibt, DB 2002, 529, 530 f.; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 3.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
B. Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats (§ 27 Abs. 1) I. Pflicht zur begründeten Stellungnahme 1. Grundlagen 30
§ 27 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet den Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zur Stellungnahme zu dem Angebot und zu jeder seiner Änderungen. Bereits aus dem Wort „Stellungnahme“ ergibt sich, dass Vorstand und Aufsichtsrat Stellung zu beziehen haben, d.h. eine Beurteilung des Angebots vornehmen müssen. Eine reine Wiedergabe von Fakten oder Auflistung von Argumenten genügt nicht.
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Die Stellungnahme des Vorstands bzw. Aufsichtsrats hat grundsätzlich eine Handlungsempfehlung zu enthalten. Hierzu heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, dass die Stellungnahme sowohl zustimmenden als auch ablehnenden Charakter haben kann, im Einzelfall jedoch auch eine Stellungnahme denkbar ist, die sich einer konkreten Handlungsempfehlung an die Angebotsadressaten enthält1. Zu Einzelheiten siehe unten Rz. 90 ff.
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Aus dem der Vorschrift zu Grunde liegenden Transparenzgebot (siehe dazu Rz. 4) ergibt sich das Erfordernis der Klarheit und Eindeutigkeit der Stellungnahme. So muss unmissverständlich erkennbar sein, ob die Annahme oder Ablehnung angeraten wird oder ob eine Handlungsempfehlung unterbleibt. Ob dieser Hinweis bereits zu Beginn der Stellungnahme erfolgt2, ist eine Geschmacksfrage. Auch ist Wiedergabe von Fakten und deren Bewertung klar zu trennen3.
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Maßstab für die Beurteilung des Angebots durch den Vorstand und den Aufsichtsrat ist gemäß § 3 Abs. 3 das Gesellschaftsinteresse4. Hierzu gehören nach der Begründung des Regierungsentwurfs5 nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch diejenigen der Arbeitnehmer, der Gesellschaft insgesamt und des Gemeinwohls (zum Ganzen näher § 3 Rz. 33 ff.). Maßstab der Beurteilung ist aber auch das Interesse der Wertpapierinhaber am Erhalt einer angemessenen Gegenleistung (angesprochen insbesondere in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 4). Eigeninteressen der Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats bleiben unberücksichtigt6. Bei der Beurteilung stehen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat ein weiter Spielraum zu7.
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Eine ausdrückliche Regelung, in welcher Sprache die Stellungnahme abzugeben ist, fehlt. Da die Stellungnahme jedoch das funktionale Pendant zur Angebotsunterlage
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 2 Dafür Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 10. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 50; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 13; vor Inkrafttreten des WpÜG für die aus dem Aktienrecht abgeleitete Stellungnahmepflicht auch schon Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 130. 4 Ebenso Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 31; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 75. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35 (zu § 3 Abs. 3) und S. 52 (zu § 27 Abs. 1). 6 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 31. 7 OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-16 W 63/03, WM 2004, 728, 732 = AG 2004, 207; vgl. auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 7; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 74.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
darstellt (siehe oben Rz. 4), die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 in deutscher Sprache abzufassen ist, muss Gleiches auch für die Stellungnahme gelten1. 2. Adressaten der Norm Die Pflicht zur Stellungnahme trifft nach § 27 Abs. 1 Satz 1 den Vorstand und den 35 Aufsichtsrat, d.h. die Verwaltungsorgane der Gesellschaft, nicht die einzelnen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder2. Zu den Auskunftspflichten der einzelnen Mitglieder über deren Absicht, als Aktionäre das Angebot anzunehmen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4), siehe unten Rz. 86. Die für die jeweiligen Beschlüsse der Organe geltenden Mehrheitserfordernisse rich- 36 ten sich nach dem AktG. Danach hat der Vorstand die Stellungnahme einstimmig zu beschließen, es sei denn, Satzung oder Geschäftsordnung enthalten eine hiervon abweichende Regelung (§ 77 Abs. 1 AktG)3. Für den Aufsichtsrat gilt demgegenüber das Mehrheitsprinzip (§ 108 Abs. 1 AktG, § 29 MitbestG)4. Sind einzelne Organmitglieder auf Grund von Interessenkonflikten befangen, sind die- 37 se Konflikte in der Stellungnahme darzulegen (siehe unten Rz. 58). Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich diese befangenen Organmitglieder an der Beschlussfassung des Organs über die Stellungnahme beteiligen dürfen. Hiervon wird ersichtlich allgemein ausgegangen5. Ob sich die befangenen Organmitglieder bei der Beschlussfassung enthalten müssen oder dies dürfen, ist ungeklärt6. Jedenfalls ein Enthaltungsrecht ist zu bejahen7. Die BaFin hat in ihrer Verwaltungspraxis bislang die Enthaltung befangener Organmitglieder akzeptiert8. Konsequenz der Enthaltung wäre allerdings, dass dann, wenn die Zielgesellschaft für Entscheidungen des Vorstands9 nichts anderes geregelt hat, das Einstimmigkeitsprinzip gilt und somit kein Beschluss über die Stellungnahme (bzw. bei entsprechender Abschichtung kein Beschluss über die vom Interessenkonflikt betroffenen Teile, etwa die Handlungsempfehlung) zu Stande
1 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 81. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 22; missverständlich Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 8. 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 25; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 13. 4 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 17. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 11; dies problematisierend jedoch Hopt, ZGR 2002, 333, 371 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 31; für ein Mitwirkungsverbot bei schweren Interessenkonflikten, etwa einem Doppelmandat bei Bieter und Zielgesellschaft E. Vetter in FS Hopt, 2010, S. 2657, 2672 ff. 6 Tendenziell für Enthaltung Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 20; dagegen Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 13; rechtsvergleichend Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381 (in Fn. 84). 7 Im Ergebnis ebenso für Mitglieder des Aufsichtsrats Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 31. 8 Vgl. etwa Stellungnahme des Aufsichtsrats der MAN SE zum Pflichtangebot der Volkswagen Aktiengesellschaft vom 7.6.2011, S. 4. 9 Bei Entscheidungen des Aufsichtsrats dürfte dies kaum praktisch werden, weil börsennotierte Aktiengesellschaften regelmäßig dem Mehrheitsprinzip folgen.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
kommt1. Mit dem Verzicht auf eine Stellungnahme wäre eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b). Mit dem Verzicht auf eine konkrete Handlungsempfehlung wäre den Wertpapierinhabern wenig geholfen; ihnen wäre eher gedient (und die ratio legis des § 27 eher erfüllt), wenn die nicht befangenen Organmitglieder die Handlungsempfehlung des betroffenen Organs auch allein aussprechen könnten2. Die dogmatische Ableitung dieser interessengerechten Lösung ist jedoch schwierig. Eine vorsichtige Erweiterung des Rechtsgedankens des nach allgemeiner Meinung nur bei Rechtsstreit und Rechtsgeschäften mit der Gesellschaft analog angewandten § 34 BGB (Stimmverbot des befangenen Organmitglieds)3 erscheint ebenso denkbar wie eine auf dem Transparenzprinzip des § 3 Abs. 2 basierende Durchbrechung der binnenrechtlichen Beschlusserfordernisse. 38
Umstritten ist, ob und in welcher Detailtiefe die Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat darauf einzugehen haben, ob sie vom jeweiligen Organ einstimmig oder, wenn nach der jeweiligen Satzung oder Geschäftsordnung möglich, unter Gegenstimmen oder Enthaltungen verabschiedet worden sind (split boards). Hier streiten transparenzfreundliche kapitalmarktrechtliche Argumente gegen transparenzfeindliche gesellschaftsrechtliche Gegenargumente4. Teilweise wird eine Verpflichtung, über abweichendes Stimmverhalten zu informieren, unter Verweis auf die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten5, zu denen auch das Abstimmungsverhalten gehört6, grundsätzlich abgelehnt7. Überzeugender erscheint indes, im Wege praktischer Konkordanz sowohl das Transparenzgebot als auch die Vertraulichkeitsinteressen und -pflichten zur Geltung kommen zu lassen und den Zielkonflikt so aufzulösen, dass auf der Prinzipienebene das in § 27 konkretisierte Transparenzgebot des § 3 Abs. 2 den aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten vorgeht und die Vertraulichkeitsinteressen auf der nachgelagerten Ebene der Einzelausformung zur Entfaltung gelangen8. Für den Vorrang des Transparenzgebots auf der Prinzipienebene sprechen der grundsätzlich zwingende Charakter anlegerschützender Publizitätsvorschriften, die in § 27 angelegte Regelungstendenz zur Offenlegung unterschiedlicher Sichtweisen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 verlangt Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat, § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 die Offenlegung der Annahmeabsichten der einzelnen Organmitglieder) und die vergleichsweise geringe Eingriffsintensität einer Offenlegung abweichender Einschätzungen9. Bejaht man – wie hier – eine grundsätzliche Verpflichtung zur Offenlegung, stellt sich auf der nachgelagerten Ebene der Einzelausformung die Frage, wie weit diese 1 Vgl. auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 11. 2 Ähnlich Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 20; für den Aufsichtsrat auch Hopt, ZGR 2002, 333, 371. 3 Statt aller Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 77 Rz. 38 ff.; Hüffer, § 77 AktG Rz. 8 (jeweils m.w.N.). 4 Zum Ganzen Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 96 ff. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 6, 14, 17. 6 Statt aller Hüffer, § 93 AktG Rz. 7, § 116 AktG Rz. 6 m.w.N. 7 Seibt, DB 2002, 529, 534; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 9; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 14, 17; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 355. 8 Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 98; eine grundsätzliche Verpflichtung zur Offenlegung bejahen auch Hopt, ZGR 2002, 333, 354 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 419; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 25 f.; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rz. 672 ff.; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 160; tendenziell auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 11. 9 Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 98.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Transparenzpflicht reicht. Aus dem Transparenzprinzip ist abzuleiten, dass den Angebotsadressaten zumindest die Stimmverhältnisse im Vorstand und Aufsichtsrat mitgeteilt werden1, da diese Informationen für die Beurteilung der Aussagekraft der Stellungnahme von erheblicher Bedeutung sind. Darüber hinaus genießen die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten grundsätzlichen Vorrang. Demnach besteht regelmäßig keine Verpflichtung, die Namen der gegen die Mehrheit abstimmenden Organmitglieder oder die wesentlichen Streitpunkte mit ihren Argumenten offenzulegen, wenngleich eine freiwillige Veröffentlichung des Stimmverhaltens der „Meinungsführer“ und die Benennung der wesentlichen Meinungsunterschiede wünschenswert wäre2. Eine Rechtspflicht zur Veröffentlichung ausformulierter abweichender Sondervoten3 lässt sich aus dem kapitalmarktrechtlichen Transparenzprinzip ebenso wenig herleiten4 wie ein spiegelbildliches Recht eines dissentierenden Organmitglieds auf Veröffentlichung seines abweichendes Sondervotums; insoweit genießen die aktienrechtlichen Vertraulichkeitspflichten Vorrang, sofern nicht ein entsprechender Dispens erteilt wurde5. Wenn ein Sondervotum veröffentlicht wird, spricht das – auch in § 27 Abs. 2 zum Ausdruck kommende – Gebot konzentrierter Anlegerinformation dafür, abweichende Minderheitsvoten zusammen mit der Stellungnahme des jeweiligen Organs in einem Dokument zu veröffentlichen6, zumindest aber der Stellungnahme als Anlage beizufügen und als ein Dokument auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Publikationsweg zu veröffentlichen. Angesichts der im Vergleich zum Vorstand erheblich geringeren Sitzungsfrequenz des Aufsichtsrats7 wird die nächste ordentliche Aufsichtsratssitzung regelmäßig nicht unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung der Angebotsunterlage terminiert sein. In derartigen Fällen besteht eine Pflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Einberufung einer außerordentlichen Sitzung, damit der Aufsichtsrat seiner Stellungnahmepflicht innerhalb der Frist des § 27 Abs. 3 Satz 1 nachkommen kann8.
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Eine Übertragung der Aufgabe auf einen endgültig beschließenden Ausschuss nach 40 § 107 Abs. 3 AktG wird zu Recht als zulässig erachtet9 und ist, insbesondere sofern sich kurzfristige Einberufungen bei dem betreffenden Unternehmen als schwierig ge1 Vgl. etwa gemeinsame Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Deutsche Börse AG, S. 4. 2 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rz. 672 ff.; a.A. Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 99 (Verpflichtung zur Namhaftmachung der dissentierenden Organmitglieder und zur Benennung der maßgeblichen Streitpunkte). 3 In diese Richtung gehend Hopt, ZGR 2002, 333, 354 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 419; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 25 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 21; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 160. 4 Ebenso Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 98 ff.; ebenso und ausführlich auch Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 145 ff. 5 Im Ergebnis auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 22. 6 Für eine entsprechende Verpflichtung Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 99 f.; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 160. 7 Nach § 110 Abs. 3 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat bei börsennotierten Gesellschaften zwingend zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abzuhalten. 8 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 5; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 21; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 19; Beckmann in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, C 11; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 16; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 109 f. 9 Seibt, DB 2002, 529, 531; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 21; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 16; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 32; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 110 f.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
stalten, verstärkt in Betracht zu ziehen1. Die Übertragung auf einen Ausschuss hat sich auch als von der BaFin akzeptierter Weg herausgebildet, in einem Interessenkonflikt befangene Aufsichtsratsmitglieder von der Beratung und Beschlussfassung auszuschließen, um zu verhindern, dass sich die ihre Befangenheit begründenden Interessenkonflikte in der Stellungnahme des Aufsichtsrats inhaltlich niederschlagen2. 41
Die Stellungnahme des Aufsichtsrats erlangt vor allem in den Fällen eines Management Buy-out Bedeutung, da hier Vorstand und Bieter üblicherweise gleichgerichtete Interessen haben und der Vorstand daher im Regelfall zu einer unbefangenen Stellungnahme aus Sicht der Zielgesellschaft nicht in der Lage sein wird3.
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Vorstand und Aufsichtsrat sind nicht verpflichtet, ihre Stellungnahmen in einem Dokument gemeinsam abzugeben oder sogar eine gemeinsame Stellungnahme zu erarbeiten4. Auch eine Verpflichtung des Vorstands, seine Stellungnahme im Vorfeld mit dem Aufsichtsrat zu erörtern oder abzustimmen, besteht nicht5; der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, dass dies in der Praxis in aller Regel angezeigt ist6. Durch die Verpflichtung – und das Recht – des Aufsichtsrats zu einer eigenen Stellungnahme ist nämlich sichergestellt, dass die Angebotsadressaten von seiner ggf. abweichenden Auffassung Kenntnis erlangen. Aus demselben Grund dürfte auch ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unzulässig sein7. Kommen Vorstand und Aufsichtsrat zu einer übereinstimmenden Bewertung des Angebots, steht ihnen jedoch frei, eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben und hierdurch deren Gewicht zu erhöhen8.
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Handelt es sich bei der Zielgesellschaft um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, treten an die Stelle des Vorstands die Komplementäre der Gesellschaft9. 3. Begründungspflicht
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§ 27 Abs. 1 Satz 1 verlangt die Abgabe einer begründeten Stellungnahme. Inhaltsleere oder formelhafte Ausführungen oder Stellungnahmen, die eine lediglich pauschale Bewertung des Angebots vornehmen, genügen dem nicht10. Die Verpflichtung zur
1 Ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 21. 2 Seibt, CFL 2011, 213, 236; kritisch jedenfalls bei schweren Interessenkonflikten E. Vetter in FS Hopt, 2010, S. 2657, 2672 ff., der dem Ausschluss befangener Mitglieder wegen der kapitalmarktrechtlichen Besonderheiten der Stellungnahme nach § 27 Vorrang vor dem Erfordernis aktienrechtlicher Beschlussfähigkeit einräumt. 3 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 14; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 18; siehe ferner Schiessl, ZGR 2003, 814, 829. 4 In der Begr. des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 53, wird ausdrücklich die Möglichkeit zur Abgabe getrennter Stellungnahmen erwähnt. 5 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 18; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1382 (auf Basis des DiskE). 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 18; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 28; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 67 f.; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 113; a.A. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 427 (der RefE sah allerdings noch keine Stellungnahmepflicht des Aufsichtsrats vor). 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52; für Zulässigkeit einer gemeinsamen Stellungnahme die h.A., vgl. auch Seibt, CFL 2011, 213, 236 m.w.N. 9 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 29. 10 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 98; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 30; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 2.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Begründung soll sicherstellen, dass die Angebotsadressaten über ausreichende Informationen verfügen, um in Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können; sie ist zentral für die Verwirklichung des Transparenzgebots nach § 3 Abs. 2. In der Praxis ist zu beobachten, dass die Stellungnahmen in ihrer Struktur zunehmend standardisiert sind1. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass die Stellungnahme nach allgemeiner – auch hier vertretener – Ansicht auf alle relevanten Aspekte des Angebots einzugehen hat und demgemäß die Struktur der Angebotsunterlage in gewissem Umfang spiegeln muss. Trotz aller Hilfe, die die Standardisierung bieten kann, ist sorgfältig darauf zu achten, dass der Sinn und Zweck der Begründungspflicht nicht verfehlt wird. 4. Prüfungs- und Ermittlungspflichten Grundlage der Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats sind insbesondere die Angaben des Bieters in der Angebotsunterlage2. In welchem Umfang die dort enthaltenen Angaben zu überprüfen sind und ob eine Verpflichtung besteht, darüber hinaus Informationen, die für die Beurteilung des Angebots von Relevanz sein können, zu beschaffen, ist umstritten3.
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Richtigerweise ist davon auszugehen, dass für den Vorstand und Aufsichtsrat bei Er- 46 stellung der Stellungnahme unverändert die allgemeinen aktienrechtlichen Anforderungen gelten. Danach hat der Vorstand die Stellungnahme mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzufertigen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Somit wird man eine genaue Überprüfung der Angaben des Bieters in der Angebotsunterlage durch den Vorstand verlangen müssen, soweit dies in der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist. Angaben, die der Vorstand in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht genau überprüfen kann, hat er wenigstens auf Plausibilität zu untersuchen. Gleiches gilt für Angaben, die kraft ihrer Natur nur einer Plausibilitätsprüfung zugänglich sind, etwa zukunftsbezogene Aussagen (siehe auch unten Rz. 75). Im Einzelfall kann sich aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Verpflichtung des Vorstands 47 ergeben, nicht vorliegende Informationen zu beschaffen, sofern aus seiner Sicht eine fundierte Stellungnahme ohne diese Informationen nicht möglich ist. Die letztgenannte Verpflichtung beschränkt sich jedoch nur auf kurzfristig zu beschaffende Informationen, da die Stellungnahme gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 unverzüglich abzugeben ist4. Sind für die Angebotsadressaten wichtige Informationen nicht verfügbar, hat der Vorstand in seiner Stellungnahme hierauf hinzuweisen.
1 Ebenso Seibt, CFL 2011, 213, 236. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 3 Für eine sehr weitgehende Informationsbeschaffungspflicht Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1437 f.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 21; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17, 32; Schiessl, ZGR 2003, 814, 827; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 67 ff.; (teilweise sehr) restriktiv dagegen van Aubel, Vorstandspflichten, S. 64 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 10 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 27; Beckmann in Beckmann/Kersting/Mielke, Übernahmerecht, C 7; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 21 ff.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 12; zu Auswirkungen von Einstiegsangeboten siehe Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 123 ff., 126 f. 4 Sich dem anschließend Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 159 ff. Ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17, 32; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 12.
Krause/Pötzsch
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
48
Für den Aufsichtsrat gelten die für den Vorstand vorgeschriebenen Sorgfaltsmaßstäbe des § 93 Abs. 1 AktG nach § 116 AktG entsprechend. Weil der Aufsichtsrat nach der eindeutigen Gesetzesvorgabe eine eigene Stellungnahme abzugeben hat, darf sich seine Stellungnahme sich nicht auf eine bloße Kontrolle der Stellungnahme des Vorstands beschränken. Außerdem bildet die Stellungnahme des Aufsichtsrats ein wichtiges Korrektiv zur Stellungnahme des Vorstands: Obwohl der Vorstand eigene Interessen außer Betracht zu lassen hat, lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass seine Stellungnahme durch derartige Motive beeinflusst wird1. Daher trifft auch den Aufsichtsrat eine Prüfungs- und ggf. Ermittlungspflicht2. Wegen seiner (gegenüber dem Vorstand beschränkten) organisatorischen Möglichkeiten dürfen die Anforderungen hieran aber nicht überspannt werden. Daher wird man den Aufsichtsrat für berechtigt halten müssen, Zugang zu den vom Vorstand ermittelten Informationen zu erhalten3. Da die Stellungnahme des Aufsichtsrats als Korrektiv zur Stellungnahme des Vorstands gedacht ist, darf sich der Aufsichtsrat allerdings nicht blind auf die vom Vorstand zur Verfügung gestellten Informationen verlassen. Eigene Ermittlungspflichten des Aufsichtsrats sind wegen der im Vergleich zum Vorstand regelmäßig beschränkten organisatorischen Möglichkeiten und wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit jedoch nur anzunehmen, wenn die vom Vorstand beschafften Informationen offensichtlich unzutreffend oder unvollständig sind4.
49
Anders als der DiskE des Bundesministeriums der Finanzen5 sieht das WpÜG keine allgemeine Pflicht der Zielgesellschaft zur Beiziehung von Sachverständigen, beispielsweise eines Wirtschaftsprüfers, einer Investmentbank oder eines Rechtsanwalts, vor. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind daher grundsätzlich nicht verpflichtet, sich bei Abfassung ihrer Stellungnahmen externen Rats zu bedienen6. Im Hinblick auf das in § 3 Abs. 2 verankerte Transparenzgebot muss anderes jedoch gelten, wenn die Verwaltung ohne entsprechenden Rat nicht in der Lage ist, ihre Pflichten nach § 27 ordnungsgemäß zu erfüllen7. Dies gilt jedenfalls für die Stellungnahme zu einer so zentralen Frage wie der Angemessenheit der Gegenleistung. Könnte sich die Verwaltung mit dem Hinweis begnügen, dass sie dies mangels sachverständiger Beratung nicht beurteilen könne, würde das gesetzgeberische Ziel, mit der Stellungnahme gemäß § 27 ein Gegengewicht zur Angebotsunterlage und damit die für eine sachgerechte Entscheidung der Wertpapierinhaber erforderliche 1 Näher Schiessl, ZGR 2003, 814, 829. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17; Schiessl, ZGR 2003, 814, 829; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 110 f. 3 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 71. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 71; strenger Schiessl, ZGR 2003, 814, 829. 5 § 14 DiskE, abgedruckt bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 237, 246. 6 OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-16 W 63/03, WM 2004, 728, 732 = AG 2004, 207; Hopt, ZGR 2002, 333, 355; Möllers, ZGR 2002, 664, 685 ff.; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, S. 97; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 12; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 53; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 7; Schiessl, ZGR 2003, 814, 828; Harbarth, ZIP 2004, 3, 9; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 72; Seibt, CFL 2011, 213, 236; Fleischer, ZIP 2011, 201, 206; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99, 105, speziell zur Fairness Opinion S. 110; kritisch zur Streichung des § 14 DiskE in der Entstehungszeit des WpÜG Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 78 f. 7 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Harbarth, ZIP 2004, 3, 9; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 72; Kossmann, NZG 2011, 46, 51; Fleischer, ZIP 2011, 201, 206; ähnlich Schiessl, ZGR 2003, 814, 824; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 24; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Transparenz zu schaffen, vereitelt1. Ein bloßer Hinweis, dass eine Beurteilung der Angemessenheit mangels sachverständigen Rats nicht erfolgen kann, ist in derartigen Fällen nicht ausreichend2. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Vorstand bzw. Aufsichtsrat stets zur Beiziehung sachverständigen Rates (etwa durch Einholung einer fairness opinion3 oder einer inadequacy opinion (siehe unten Rz. 73)) verpflichtet wäre; wenn er die Angemessenheit der Gegenleistung auch ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilen kann, kann er auf dessen Beratung selbstverständlich verzichten. Werden Sachverständige hinzugezogen, folgt aus der Verpflichtung zur vollständigen Information (siehe unten Rz. 54), dass die wesentlichen Ergebnisse des sachverständigen Rates in der Stellungnahme mitzuteilen sind4. Demnach sind die Organe der Zielgesellschaft, die eine fairness opinion oder inadequacy opinion eingeholt haben, verpflichtet, das Ergebnis dieser opinion und deren wesentliche Grundlagen mitzuteilen. Eine Verpflichtung, den opinion letter5 des Sachverständigen als Anlage zur Stellungnahme zu veröffentlichen, besteht nicht6 – auch wenn dies in der Praxis häufig geschieht7. Erst recht besteht keine Verpflichtung8 zur Offenlegung des valuation memorandums9. Auch wenn eine Verpflichtung zur Einschaltung externen Sachverstandes nicht besteht, scheint sich die Hinzuziehung eines Sachverständigen im Zuge der allgemein erhöhten Neigung zur Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und der Dokumentation der gefundenen Ergebnisse bei Organentscheidungen seit der Kodifizierung der sog. Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zu intensivieren10. Die Fairness Opinion deckt allerdings nur einen Teil der Erwägungen ab, die Vorstand und
1 Zutreffend Harbarth, ZIP 2004, 3, 9; Fleischer, ZIP 2011, 201, 206; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 12 (unter Berufung auf die Streichung des § 14 DiskE – da § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 aber erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages in das Gesetz aufgenommen wurde, fehlt der von dieser Argumentation vorausgesetzte Konnex); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33. 2 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33. 3 Hierzu eingehend Schiessl, ZGR 2003, 814; Schwetzler/Aders/Salcher/Bornemann, FinanzBetrieb 2005, 106; Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99, 111; Fleischer, ZIP 2011, 201, 206; Cannivé/Suerbaum, AG 2011, 317. 4 Im Ergebnis ebenso Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 420 (im Anschluss an Rule 25.1 Takeover Code); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 13; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 37; vgl. auch Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33; Fleischer, ZIP 2011, 201, 210 f.; Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99, 111. 5 Verdichtete Darstellung der Transaktion, der bereitgestellten Informationen, der angewandten Bewertungsverfahren und der abschließenden Beurteilung; vgl. Schwetzler/ Aders/Salcher/Bornemann, Finanz Betrieb 2005, 106, 108. 6 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99, 111; a.A. Fleischer, ZIP 2011, 201, 210; Westhoff, Fairness Opinion, S. 264, 266; sowie die Best-Practice Empfehlungen des DVFA, C.1.2.1 sowie IDW S8, Rz. 62. 7 Aders/Schwetzler, CFB 2011, 208. 8 Decher in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 99, 111; a.A. Fleischer, ZIP 2011, 201, 210; Westhoff, Fairness Opinion, S. 264, 267. 9 Ausführliche Darstellung der Transaktion, der angewandten Bewertungsverfahren und der gefundenen Ergebnisse; vgl. Schwetzler/Aders/Salcher/Bornemann, Finanz-Betrieb 2005, 106, 108. 10 Statistischer Überblick bei Seibt, CFL 2011, 213, 237 sowie Fleischer in FS Hopt, 2010, S. 2753, 2755; nichtstaatliche Standardsetzer haben auf diese Zunahme mit der Veröffentlichung eigener Leitlinien reagiert, vgl. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Grundsätze für Fairness Opinions, Version 2.0 vom November 2008 sowie Institut der Wirtschaftsprüfer, Standard: Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8); zu letzterem Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 ff.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Aufsichtsrat nach § 27 anzustellen haben, und ist kein Ersatz für ihre eigenverantwortliche Würdigung der Angemessenheit der Gegenleistung1. 5. Grenzen 50
Die Begründung des Regierungsentwurfs weist zu Recht darauf hin, dass das Recht des Vorstands und seiner einzelnen Mitglieder, im Rahmen der Stellungnahme gemäß § 27 ihre Einschätzung des Angebots zu veröffentlichen, nur insoweit besteht, als sich aus allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen nichts anderes ergibt2. Hiernach stellt sich die Frage, ob und inwieweit Vorstand und Aufsichtsrat bei der Erfüllung ihrer Stellungnahmepflicht ihren weitreichenden Verschwiegenheitspflichten (§ 93 Abs. 1 Satz 2, § 116 AktG) unterliegen. Weil die Verletzung der Stellungnahmepflicht ordnungswidrig (§ 60 Abs. 1 Nr. 1) und die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht strafbar (§ 404 AktG; § 38 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG) ist, ist dies von erheblicher praktischer Bedeutung. Teile der Literatur haben die Verschwiegenheitspflicht als vorrangig angesehen, um das Geheimhaltungsinteresse der Zielgesellschaft zu schützen3. Nach der Gegenansicht muss es dem Stellung beziehenden Organ ausnahmsweise gestattet sein, preisrelevante Informationen im Interesse der Aktionäre zu veröffentlichen und sich insoweit über die Interessen der Gesellschaft hinwegzusetzen4. Demgegenüber erscheint es vorzugswürdig, analog § 293a AktG danach zu differenzieren, ob das Bekanntwerden der fraglichen Tatsachen geeignet ist, der Zielgesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen5. Allerdings ist das Stellung beziehende Organ nur insoweit von der Verschwiegenheitspflicht befreit, wie dies zur Befriedigung des Informationsbedarfs der Wertpapierinhaber erforderlich ist6 (zur Offenlegung abweichenden Stimmverhaltens in den Organen (split boards) siehe oben Rz. 38).
51
Soweit die Unterlassung von Angaben Lücken der Stellungnahme zur Folge hat, ist in der Stellungnahme darauf hinzuweisen und zu begründen, welche Gründe der Offenlegung entgegenstehen7. Die Begründung braucht allerdings nicht so präzise zu sein, dass sie den befürchteten Nachteil zur Folge hätte8.
52
Zusätzliche Grenzen ergeben sich ferner u.a. aus dem Verbot, Dritten auf der Grundlage der Kenntnis einer Insiderinformation die Veräußerung von Insiderpapieren zu empfehlen (§ 14 Abs. 1 Nr. 3, § 38 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 2 Nr. 4 WpHG), dem Verbot 1 Schiessl, ZGR 2003, 814, 825; Westhoff, Fairness Opinion, S. 109; Fleischer, ZIP 2011, 201, 209; Kossmann, NZG 2011, 46, 53. 2 BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 3 Ebenroth/Daum, DB 1991, 1157, 1159; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381, 1394; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 24. 4 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 105. 5 Hirte/Schander in von Rosen/Seifert, Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 341, 357; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 13; unklar Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 24; anders Herrmann, Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 91 (Analogie zu § 131 AktG). 6 Hierzu Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 24. 7 Ähnlich auch Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 76, der zwischen Stellungnahme- und Verschwiegenheitspflicht vermittelnd dafür plädiert, jedenfalls einen Hinweis auf die Existenz geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen sowie eine Erklärung über deren Auswirkungen auf das Angebot aufzunehmen. 8 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 76; für § 293a AktG vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 293a AktG Rz. 33; Hüffer, § 293a AktG Rz. 20.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
der Marktmanipulation (§§ 20a, 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG) und dem Verbot unrichtiger Darstellungen (§ 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG).
II. Inhalt der Stellungnahme 1. Grundlagen § 27 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zur Ab- 53 gabe einer Stellungnahme „zu dem Angebot“ sowie „zu jeder seiner Änderungen“. § 27 Abs. 1 Satz 2 führt eine Reihe von Gesichtspunkten an, auf die die Stellungnahme einzugehen hat. Wie der Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 2 („insbesondere“) sowie die Systematik und der Schutzzweck des § 27 Abs. 1 nahelegen, erschöpft sich der obligatorische Inhalt der Stellungnahme nicht in den Angaben, die gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 vorgeschrieben sind1. 2. Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Die Stellungnahme hat auf alle dem Vorstand bzw. Aufsichtsrat – nach Erfüllung 54 etwaiger Ermittlungs- und Prüfungspflichten (siehe oben Rz. 45 ff.) – bekannten Gesichtspunkte einzugehen, die aus der Perspektive der Wertpapierinhaber für die Beurteilung des Angebots, insbesondere der Angemessenheit der Gegenleistung, vernünftigerweise von Bedeutung sein können (Vollständigkeitsgebot)2. Folglich hat die Stellungnahme nicht nur auf die in der Angebotsunterlage angesprochenen Gesichtspunkte abzuheben, sondern auch die kritischen Aspekte des Angebots zu beleuchten – soweit der Vorstand und der Aufsichtsrat in der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit die Möglichkeit haben, diese zu erkennen3. Der wichtigste Anknüpfungspunkt der Stellungnahme ist die Angebotsunterlage. Sie 55 stellt das Angebot aus der Sicht des Bieters dar und muss die gemäß § 11 WpÜG sowie § 2 WpÜG-AngVO erforderlichen Angaben enthalten, die der Gesetzgeber als unentbehrliche Entscheidungsgrundlage der Wertpapierinhaber angesehen hat. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben zu prüfen, ob die Angebotsunterlage diese Angaben enthält und – soweit sie dies nach Erfüllung etwaiger Ermittlungspflichten ersehen können (hierzu siehe oben Rz. 45 ff.) – ob diese Angaben zutreffend und vollständig sind4. Soweit die Angebotsunterlage Informationen enthält, die über das gemäß § 11 WpÜG und § 2 WpÜG-AngVO Erforderliche hinausgehen, haben Vorstand und Aufsichtsrat – soweit nach Erfüllung ihrer Ermittlungspflichten möglich – auch diese Informationen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, denn auch diese Informationen können für die Entscheidung der Wertpapierinhaber von Bedeutung sein5.
1 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 33. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 32; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 11; ebenso bereits Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 105; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381. 3 Strenger offensichtlich Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 11. 4 Ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 35; Harbarth, ZIP 2004, 3, 4. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 35.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
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Sind die Angaben in der Angebotsunterlage nach Auffassung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zutreffend und vollständig, braucht dies in der Stellungnahme nicht ausdrücklich angesprochen zu werden. Die in jüngerer Zeit zu beobachtende wörtliche Wiedergabe ganzer Passagen aus der Angebotsunterlage stellt sich vor diesem Hintergrund als entbehrlich dar. Können Vorstand und Aufsichtsrat dagegen ersehen, dass die Angebotsunterlage unzutreffende bzw. unvollständige Angaben enthält, haben sie in ihrer Stellungnahme darauf hinzuweisen. Soweit es ihnen nach Erfüllung ihrer Ermittlungspflichten möglich ist, haben sie unzutreffende Angaben zu berichtigen1. Ob sie lückenhafte Angaben zu vervollständigen haben, ist zweifelhaft2. Soweit die Lückenhaftigkeit geeignet ist, die Wertpapierinhaber bei ihrer Entscheidung irrezuleiten, sind Vorstand und Aufsichtsrat verpflichtet, auf die Lücken jedenfalls hinzuweisen und, soweit sie dies innerhalb der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit leisten können, diese Lücken zu schließen. Aus § 27 lässt sich aber nicht herleiten, dass der Gesetzgeber den Organen der Zielgesellschaft generell die Funktion des „Lückenfüllers“ für eine unvollständige Angebotsunterlage des Bieters zugewiesen hat3.
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Auch wenn die Angaben in der Angebotsunterlage zutreffend und vollständig sind, kann es geboten sein, auf einzelne, für die Entscheidung der Wertpapierinhaber besonders bedeutsame Gesichtspunkte näher einzugehen. Insoweit kann, je nach den Umständen des Einzelfalls, eine Stellungnahme zu der Person des Bieters und den hinter ihm stehenden (sog. wirtschaftlicher Bieter) oder mit ihm gemeinsam handelnden Personen erforderlich sein4. Zu den gemäß Satz 1 offen zu legenden Umständen gehören auch sogenannte inducement fees oder break fees5, d.h. Abreden über eine Zahlungsverpflichtung der Zielgesellschaft an den Bieter für den Fall, dass das Angebot des Bieters fehlschlägt, etwa weil ein höheres konkurrierendes Angebot abgegeben wird und die Organe der Zielgesellschaft entscheiden, die Annahme dieses konkurrierenden Angebots zu empfehlen (näher hierzu § 22 Rz. 74 ff.). Diese Zahlungsversprechen fallen nicht unter § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, weil diese Vorschrift nur die Veröffentlichung der Folgen des erfolgreichen Angebots verlangt.
57a Das Gesetz verlangt jedoch nicht die in Stellungnahmen gemäß § 27 mitunter zu beobachtenden Erläuterungen, welche generellen Folgen die Annahme oder Ablehnung des Angebots des Bieters für die Aktionäre der Zielgesellschaft hat. Darlegungen, wonach, wer das Angebot annimmt, von späteren Wertsteigerungen der Zielgesellschaft nicht mehr profitiert, oder umgekehrt, dass, wer Aktionär der Zielgesellschaft bleibt, nicht zwangsläufig eine erneute Ausstiegschance zu den Bedingungen des WpÜG oder zu einem ebenso hohen Preis erhält, sind gemäß § 27 nicht erforderlich. 58
Darüber hinaus sind Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft verpflichtet, eigene Interessen und daraus resultierende Konflikte offen zu legen6. Dies umfasst von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern bereits empfangene Geldleistungen bzw.
1 2 3 4
Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 36. Dafür Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 36. Wohl a.A. Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 36. Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 36; ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 31, 44. 5 Hopt, ZGR 2002, 333, 363 f. 6 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 21; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 98; Fleischer, NZG 2006, 561, 565; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 34; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 36; eingehend Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 128 ff.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
geldwerte Vorteile, zu ihren Gunsten abgegebene Anreizversprechen1, Leistungszusagen für den Fall des Kontrollwechsels aufgrund einer Übernahme (change of control-Klauseln)2 sowie Vereinbarungen des Bieters mit der Zielgesellschaft bzw. einzelnen Organmitgliedern der Zielgesellschaft über die zukünftige Gestaltung ihrer Organaufgaben oder die Teilnahme an Managementbeteiligungsprogrammen3. Bei Mitgliedern des Aufsichtsrats können Interessenkonflikte außerdem dann bestehen, wenn sie von einem Großaktionär entsandt sind und dieser ein Erwerbsangebot abgibt4. Die Interessenkonflikte sind zu erläutern. Wenn sachverständiger Rat eingeholt wurde, sind die wesentlichen Grundzüge dieses Rates mitzuteilen (siehe oben Rz. 49). Zu der Frage, ob und inwieweit unterschiedliches Stimmverhalten der Organmitglieder offenzulegen ist, siehe oben Rz. 38. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind nicht verpflichtet, etwa geplante Abwehrmaßnahmen in der Stellungnahme mitzuteilen5. Dies würde die „Waffengleichheit“ zwischen Bieter und Zielgesellschaft gefährden.
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Anders als etwa nach dem Takeover Code ist auch der wesentliche Inhalt der laufenden Dienstverträge der Organmitglieder in der Stellungnahme gemäß § 27 nicht offenzulegen6. Auch eine Verpflichtung, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Beginn der Annahmefrist geschlossenen wichtigen Verträge unter Angabe ihres wesentlichen Inhalts in der Stellungnahme aufzuführen, besteht nicht7.
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3. Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 a) Art und Höhe der Gegenleistung (Nr. 1) Die Verpflichtung des Vorstands und Aufsichtsrats, zu Art und Höhe der Gegenleistung Stellung zu nehmen, ist der „Kern der Stellungnahme“8, denn die Beurteilung der Angemessenheit der Gegenleistung durch die Verwaltung der Zielgesellschaft ist
1 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 15 (aber unzutreffende Einordnung als Anwendungsfall des Satzes 2 Nr. 2); Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 37; wie hier wohl auch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 21; Fleischer, NZG 2006, 561, 565; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 181. 2 Dreher, AG 2002, 214, 220 f. (aber unzutreffende Einordnung als Anwendungsfall des Satzes 2 Nr. 2); Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 131. 3 Kiem, AG 2009, 301, 312; Seibt, CFL 2011, 213, 236; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 181. Angaben zur zukünftigen Übernahme von Tätigkeiten beim Bieter bzw. der Bietergruppe durch Organmitglieder der Zielgesellschaft: vgl. gemeinsame Stellungnahme Vorstand und Aufsichtsrat der Medion AG vom 4.7.2011, S. 3; gemeinsame Stellungnahme Vorstand und Aufsichtsrat der Roth & Rau AG vom 16.5.2011, S. 34; Angaben zu einer späteren Teilnahme von Organmitgliedern der Zielgesellschaft an Managementbeteiligungsprogrammen: vgl. gemeinsame Stellungnahme Vorstand und Aufsichtsrat der SMARTRAC N.V. vom 14.10.2010, S. 20; gemeinsame Stellungnahme Vorstand und Aufsichtsrat der Utimaco AG vom 14.6.2010, S. 28. 4 Schiessl, ZGR 2003, 814, 833 f. 5 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 47; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 38; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 32; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 8. 6 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 23; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 38; Fleischer, NZG 2006, 561, 565; alle Bezug nehmend auf Dienstverträge, die noch länger als ein Jahr laufen. Für Verträge mit einer kürzeren Laufzeit gilt dies erst recht. 7 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 21; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 23. 8 Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 262.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
für die Entscheidung der Wertpapierinhaber ein besonders bedeutsamer, wenn nicht sogar häufig der entscheidende Gesichtspunkt1. aa) Art der Gegenleistung 62
Eine Stellungnahme zur Art der Gegenleistung ist jedenfalls bei Tauschangeboten veranlasst. Insbesondere bei einfachen Erwerbsangeboten, deren Gegenleistung nicht in liquiden, börsenzugelassenen Aktien bestehen muss, haben die Adressaten des Angebots ein Interesse daran, von unabhängiger Seite zu erfahren, welche Rechte die als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere einräumen und ob diese Wertpapiere innerhalb eines vertretbaren Zeitraums zu angemessenen Bedingungen veräußert werden können. Bei Übernahme- und Pflichtangeboten haben Vorstand und Aufsichtsrat dazu Stellung zu nehmen, ob die angebotenen Aktien die gemäß § 31 Abs. 2 vorausgesetzte Liquidität2 und Börsenzulassung besitzen. Um den Wert des Angebots zu verdeutlichen, kann der Vergleich mit einer Geldleistung erforderlich sein3; hat der Bieter diesen Vergleich selbst vorgenommen, ist hierzu Stellung zu beziehen.
63
Besteht die Gegenleistung in einer Geldleistung, soll nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht auf eine Gegenleistung in Aktien einzugehen sein, wenn diese attraktiver sein kann4. Dies erscheint allerdings nur dann sachgerecht, wenn ganz ausnahmsweise konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine bestimmte – naheliegende – Gegenleistung in Aktien für den typischen Aktionär der Zielgesellschaft attraktiver wäre5. Allgemeine Erwägungen dergestalt, dass für bestimmte Wertpapierinhaber der Erhalt einer Geldleistung und für andere Wertpapierinhaber der Erhalt einer Gegenleistung in Aktien vorteilhaft sein kann, können eine Verpflichtung zum Vergleich der Geldleistung mit einer Gegenleistung in Aktien nicht begründen6. bb) Höhe der Gegenleistung
64
Die Stellungnahme zur Höhe der Gegenleistung erfordert Ausführungen und eine Aussage zu der Frage, ob Vorstand bzw. Aufsichtsrat die angebotene Gegenleistung für angemessen halten7. Vorstand und Aufsichtsrat können dies wegen ihrer Kenntnis der Geschäftsentwicklung und des Entwicklungspotenzials der Gesellschaft besonders sachkundig beurteilen. Als Wahrer fremder Interessen haben sie die Essenz ihrer Kenntnisse den Wertpapierinhabern zur Verfügung zu stellen. Spricht der Vorstand bzw. der Aufsichtsrat zugleich eine Handlungsempfehlung aus, liegt hierin keine gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG verbotene, auf die Kenntnis einer Insiderinfor1 Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/7477, S. 53; DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 426; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 96. 2 Eine Verpflichtung zur Stellungnahme insoweit bejahend Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 263; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 30; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 14; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Kossmann, NZG 2011, 46, 50; nur auf die Möglichkeit zur Stellungnahme verweisend Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 21. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 40. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 40. 5 In der Tendenz zutreffend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38; dem folgend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 19. 6 So aber offensichtlich Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 40. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39; Harbarth, ZIP 2004, 3 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 41; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14 (Bezeichnung als angemessen oder zu niedrig sei genügend).
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mation gestützte Verkaufsempfehlung, weil § 27 diese Empfehlung bei zutreffender Auslegung gerade fordert und somit der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG als lex specialis vorgeht. Vorstand und Aufsichtsrat können die Gegenleistung nicht bereits deswegen als an- 65 gemessen bezeichnen, weil sie dem höheren der beiden Mindestpreise der § 4 bzw. §§ 5, 6 WpÜG-AngVO entspricht1. Die Einschätzung des wirklichen Werts der Aktie durch die Verwaltung spielt nämlich regelmäßig eine wichtige Rolle für die Entscheidung vieler Wertpapierinhaber über die Annahme oder Ablehnung des Angebots. Die Veröffentlichung dieser Einschätzung versetzt die Wertpapierinhaber in die Lage, in Bezug auf ein wesentliches Element des Angebots „in Kenntnis der Sachlage“ (§ 3 Abs. 2) zu entscheiden. Ob die Wertpapierinhaber ihre Entscheidung maßgeblich auf das Verhältnis der angebotenen Gegenleistung zum wirklichen Wert der Wertpapiere stützen2 oder ihre Entscheidung auf weiteren Kriterien fußt3, kann dahinstehen. Da sich die angebotene Gegenleistung regelmäßig am aktuellen Börsenkurs der 66 Wertpapiere der Zielgesellschaft orientieren wird, haben Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft darauf einzugehen, ob der aktuelle Börsenkurs den Wert der Zielgesellschaft angemessen reflektiert4. Zum wirklichen Wert der Zielgesellschaft werden Vorstand und Aufsichtsrat regelmäßig eine Meinung haben. Um diese Meinung abzusichern, wäre grundsätzlich eine Unternehmensbewertung durchzuführen. Da diese jedoch nach allgemein anerkannten Methoden – etwa auf der Grundlage des Ertragswerts oder des discounted cash flow (DCF) gemäß IDW-Standard – innerhalb der kurzen Frist des § 27 Abs. 3 Satz 1 regelmäßig nicht zu leisten ist5, kann die Absicherung der Aussage über die Angemessenheit des Börsenkurses auch auf der Grundlage anderer praktikabler Bewertungsverfahren (etwa Multiplikatorverfahren) oder historischer Vorerwerbspreise erfolgen6. Zu der Frage, ob die Verwaltung zur Einschaltung sachverständiger Berater verpflichtet ist, siehe oben Rz. 49. Ob die Bewertung auf stand alone-Basis oder unter Berücksichtigung von Synergieeffekten durchzuführen ist, ist umstritten7. Rechtsprechung und herrschende Lehre zur Abfindung beim Unternehmensvertrag lehnen die Berücksichtigung von Synergieeffekten ab, weil der Normzweck der Regelung des § 305 AktG darin besteht, den Aktionären das Ausscheiden aus der Gesellschaft ohne wirtschaftliche Nachteile zu 1 Zutreffend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 41 f.; ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39. 2 So wohl Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 41 f. 3 Insoweit kann die Chance der Realisierbarkeit des wirklichen Wertes an der Börse oder durch ein anderes Angebot genauso eine Rolle spielen wie die Aussicht, Aktionär einer konzernierten Gesellschaft zu werden, wenn damit zu rechnen ist, dass die Mehrheit der Wertpapierinhaber, die keine Chance sieht, einen besseren Wert als die angebotene Gegenleistung zu realisieren, das Angebot annimmt; vgl. Krause, Übernahmeangebot, S. 108 ff. 4 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 37 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39. 5 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 97; Harbarth, ZIP 2004, 3, 6 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 43. 6 Hierzu Harbarth, ZIP 2004, 3, 7 f. 7 Für Berücksichtigung von Synergien, soweit der Vorstand hierzu aufgrund ihm zugänglicher Informationen über den Bieter in der Lage ist, Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 32; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 20; dagegen Harbarth, ZIP 2004, 3, 8; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 46; grundsätzlich für stand alone-Basis und nur ausnahmsweise Berücksichtigung von leicht erkennbaren Synergieeffekten auch Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 104 ff.
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ermöglichen1. Die Entscheidungssituation der Adressaten eines WpÜG-Angebots ist insofern anders gelagert, als die Abfindung nicht aus Anlass des Austritts aus der abhängigen Gesellschaft nach vollzogener Strukturänderung, sondern zur Ermöglichung des Kontrollwechsels (bei Übernahmeangeboten) bzw. der Aufstockung der bereits bestehenden Kontrollbeteiligung (bei Pflichtangeboten und Erwerbsangeboten jenseits der Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2) oder zum Aufbau einer Beteiligung unterhalb der Kontrollschwelle anzubieten ist und das Erreichen dieser Ziele vom kollektiven Annahmeverhalten der Aktionäre abhängig ist. Für diese Situation erscheint es nachvollziehbar, dass die Wertpapierinhaber ein Interesse daran haben, die Höhe der Synergieeffekte zu kennen, um sich so ein Bild davon zu verschaffen, ob der Bieter ein „faires“ Angebot vorgelegt hat. Eine Rechtspflicht des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Berücksichtigung der Synergieeffekte in ihrer Stellungnahme ist im Ergebnis jedoch nicht anzunehmen, weil sie als Organe der Zielgesellschaft regelmäßig nicht in der Lage sein werden, die nach dem unternehmerischen Konzept des Bieters zu erwarteten Synergieeffekte zu beurteilen. Ob dies anders ist, wenn Vorstand und Aufsichtsrat ausnahmsweise zur Beurteilung der Synergieeffekte imstande sind, ist offen2. Eine Verpflichtung des Bieters, den Organen der Zielgesellschaft diese Beurteilung zu ermöglichen, besteht grundsätzlich nicht. 68
Bei Tauschangeboten bestehen regelmäßig besondere Schwierigkeiten, weil die Verwaltung der Zielgesellschaft mangels Zeit und Zugang zur Unternehmensplanung des Bieters keine Ertragswert- bzw. DCF-Bewertung der als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere durchführen kann. Die Verwaltung darf daher – wie bei der Bewertung der Zielgesellschaft – auf andere, schneller durchführbare Verfahren (etwa Multiplikatorverfahren) zurückgreifen. Nach Möglichkeit sind die als Gegenleistung angebotenen Wertpapiere und die Wertpapiere der Zielgesellschaft nach den gleichen Methoden zu bewerten3.
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In der Stellungnahme können Vorstand und Aufsichtsrat die Gegenleistung für angemessen oder zu niedrig erklären4. Sie sind berechtigt, ihre Beurteilung auf eine vollumfängliche Prüfung der Angemessenheit der Gegenleistung zu stützen. Insbesondere sind sie nicht gezwungen, zwar vertretbaren, aber ihrer Auffassung nach unzutreffenden Einschätzungen des Bieters zu folgen, da anderenfalls die Verwaltung zur Einnahme einer Gegenposition nicht in der Lage und dies mit der Funktion der Stellungnahme als Gegenstück zur Angebotsunterlage (hierzu siehe oben Rz. 4) nicht vereinbar wäre5. Vorstand und Aufsichtsrat können also eine der Höhe nach vertretbare Gegenleistung für unangemessen erklären, wenn sich dies auf der Grundlage einer anderen, ebenfalls vertretbaren Bewertung rechtfertigen lässt.
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Die Gegenleistung ist für angemessen zu erklären, wenn sie dem Wert der Wertpapiere entspricht oder darüber hinausgeht. Der Wert der Wertpapiere ist grundsätzlich der im Rahmen der Unternehmensbewertung ermittelte Wert bzw. die ermittelte 1 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136, 140 = AG 1998, 286; Hüffer, § 305 AktG Rz. 17 ff. m.w.N. 2 Für Berücksichtigung Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 46. 3 Harbarth, ZIP 2004, 3, 8 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 47; eingehend zur Bewertung von Tauschangeboten Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 148 ff. Zum Parallelproblem bei der Verschmelzung BayObLG v. 18.12.2002 – 3 Z 116/00, AG 2003, 569, 570 ff.; Lutter/Drygala in Lutter, § 5 UmwG Rz. 21 f. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14. Theoretisch denkbar wäre auch der Fall, dass die Verwaltung die Gegenleistung für zu hoch hält; dies dürfte aber kaum jemals praktisch werden. 5 Harbarth, ZIP 2004, 3, 9.
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Bandbreite. Wurden verschiedene Bewertungsmethoden angewandt, sind alle Bewertungsergebnisse zu berücksichtigen1. Liegt der durch die Unternehmensbewertung ermittelte Wert erheblich über dem Börsenkurs, stellt sich die Frage, welchen dieser Werte die Verwaltung als Vergleichsmaßstab heranzuziehen hat, wenn die angebotene Gegenleistung genau zwischen diesen Werten liegt. Diese Frage gewinnt in zwei Fällen praktische Bedeutung: Wenn die Verwaltung ein „freundliches“ Angebot unterstützen und die Gegenleis- 71 tung für angemessen erklären möchte, hat sie sich zu fragen, ob sie an dem durch Unternehmensbewertung gefundenen Wert als Vergleichsmaßstab festhalten muss. Davon ausgehend, dass die Wertpapierinhaber ihre Entscheidung über die Annahme des Angebots vom Angemessenheitsvotum der Verwaltung abhängig machen, hat die Verwaltung bei ihrer Entscheidung das wohlverstandene Interesse der Wertpapierinhaber zu berücksichtigen. Würde sie die Angemessenheit der Gegenleistung wegen des Vergleichs mit dem Börsenkurs bejahen, würde sie die Wertpapierinhaber dazu veranlassen, ihre Titel zu veräußern und eine Prämie auf den Börsenkurs zu realisieren, damit aber auf die Chance, die Titel zu einem späteren Zeitpunkt zu einem höheren Preis zu veräußern, zu verzichten. Gleichwohl kann es im wohlverstandenen Interesse der Wertpapierinhaber liegen, die angebotene Prämie zu realisieren und die erhaltene Gegenleistung ggf. neu zu investieren, etwa wenn es aufgrund des Marktumfelds oder anderer Umstände auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist, dass sich der Börsenpreis dem durch Unternehmensbewertung ermittelten Wert annähern wird. Unter diesen Umständen wäre es nicht pflichtwidrig, wenn die Verwaltung die Gegenleistung am Börsenkurs messen und sie für angemessen erklären würde2. Demgegenüber steht die Verwaltung bei einem „feindlichen“ Angebot vor der Frage, 72 ob sie an dem durch Unternehmensbewertung gefundenen Wert als Vergleichsmaßstab festhalten darf. Da der Börsenkurs durch die Kräfte von Angebot und Nachfrage gebildet wird und die im Rahmen des Angebots angesprochenen Aktionäre ihre Beteiligung regelmäßig an der Börse erworben haben, wird man das Abrücken vom Börsenkurs als Vergleichsmaßstab nur auf der Grundlage einer sorgfältigen Begründung für zulässig halten können. Wenn etwa der Börsenkurs den durch Unternehmensbewertung gefundenen Wert seit mehreren Jahren nicht mehr erreicht hat oder in einer Baisse auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist, dass er sich dem Niveau des durch die Unternehmensbewertung gefundenen Wertes wieder annähern wird, sind besonders schwerwiegende Argumente erforderlich, um die Heranziehung des durch die Unternehmensbewertung ermittelten Wertes als Vergleichsmaßstab zu rechtfertigen3. In welchem Umfang die von der Verwaltung veranlassten Bewertungen zum Inhalt 73 der Stellungnahme gemacht werden müssen, hängt davon ab, ob das Stellung beziehende Organ die Gegenleistung für angemessen oder zu niedrig erklärt. Hält das Organ die Gegenleistung für angemessen, kann es mit einer kurzen Begründung sein Bewenden haben. Hält das Organ die Gegenleistung dagegen für zu niedrig, wird man es als verpflichtet ansehen müssen, entweder eine Anhaltsziffer für den durch die Unternehmensbewertung ermittelten Wert mitzuteilen4 oder die Unangemessenheit in anderer Art und Weise, etwa durch kritische und fundierte Auseinandersetzung mit der Höhe der Gegenleistung in der Stellungnahme und gegebenenfalls 1 2 3 4
Harbarth, ZIP 2004, 3, 9. Harbarth, ZIP 2004, 3, 10. Harbarth, ZIP 2004, 3, 9; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 48. Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 49.
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Unterfütterung der vertretenen Position durch die inadequacy opinion eines unabhängigen Sachverständigen zu belegen1. Eine Verpflichtung zur Offenlegung der Bewertungsgrundlagen besteht grundsätzlich nicht, weil das Stellung beziehende Organ durch die Offenlegung Gefahr liefe, seine Verschwiegenheitspflichten zu verletzen2. 73a Zunehmend sind Stellungnahmen zu beobachten, wohl nach dem Vorbild der Usancen in den Vereinigten Staaten, mit denen Vorstand und Aufsichtsrat das Angebot aus strategischer Sicht begrüßen, die angebotene Gegenleistung jedoch als zu niedrig ablehnen und als „Auktionator“ im Interesse der Aktionäre auf eine höhere Gegenleistung hinzuwirken versuchen3. Hier begegnet auch in Deutschland gelegentlich die aus den Vereinigten Staaten bekannte sog. inadequacy opinion, die die Gegenleistung als unangemessen („inadequate“) charakterisiert, wenn entweder der wahre Wert der Aktien der Zielgesellschaft höher ist als die vom Bieter angebotene Gegenleistung oder der Bieter bei Anlegung vernünftiger Maßstäbe in der Lage wäre, für die Aktien der Zielgesellschaft eine höhere als die angebotene Gegenleistung zu bezahlen (oder eine Transaktionsstruktur zu wählen, die für die Aktionäre höhere Transaktionssicherheit bietet, z.B. durch den Verzicht auf Bedingungen), oder ein hinreichend identifizierter Dritter bei Anlegung vernünftiger Maßstäbe für die Aktien der Zielgesellschaft eine höhere Gegenleistung zahlen könnte4. Hiernach kann – auf den ersten Blick paradox – eine vom Bieter angebotene Gegenleistung „fair“ im Sinne einer fairness opinion, aber dennoch unangemessen im Sinne einer inadequacy opinion sein. Vorstand und Aufsichtsrat haben bei der Entscheidung, ob sie eine fairness opinion oder eine inadequacy opinion in Auftrag geben, einen weiten Beurteilungsspielraum5. b) Folgen des Angebots (Nr. 2) 74
Einen der Schwerpunkte der Stellungnahme bilden – jedenfalls bei Übernahmeangeboten – regelmäßig die Ausführungen zu den voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft, die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft. Für Zwecke des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ist unter einem „erfolgreichen“ Angebot das Angebot zu verstehen, das vollzogen wird und somit dem Bieter die Möglichkeiten der Ausübung unternehmerischen Einflusses und der Durchführung von Strukturmaßnahmen einräumt, die mit der angestrebten (und ggf. durch eine Akzeptanzschwelle abgesicherten) Beteiligung zur Verfügung stehen6. Bei „feindlichen“ Angeboten wird die Verwaltung hier typischerweise die Aspekte anführen, die nach ihrer Auffassung gegen die Annahme des Angebots sprechen. Bei „freundlichen“ Angeboten birgt dieser Teil der Stellungnahme die Gefahr der Schönfärberei7 (zu den haftungsrechtlichen Folgen 1 Leyendecker/Kleinhenz, BB 2011, 2952, 2954 ff. 2 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 14; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 49; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 138 ff. 3 Seibt, CFL 2011, 213, 217 f. mit Hinweisen zur US-amerikanischen sog. Revlon Auctioneering Rule, basierend auf der Entscheidung in Sachen Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings, Inc. (506 A.2d 173 (Del. 1986). 4 Seibt, CFL 2011, 213, 237; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 183. 5 Seibt, CFL 2011, 213, 237; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 183. 6 Dies problematisierend Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 22 (aber im Ergebnis unklar). 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 40.
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siehe unten Rz. 140 ff., 159 ff.). Für die Wertpapierinhaber sind die Ausführungen der Verwaltung zu den Folgen des Angebots deswegen von Bedeutung, weil Hinweise auf negative Folgen eine Einschätzung der Risiken ermöglichen, die mit dem Verbleib in der vom Bieter übernommenen Zielgesellschaft verbunden wären bzw. Hinweise auf positive Folgen – etwa höhere Synergien als vom Bieter angegeben – mögliche Spielräume des Bieters zur Erhöhung seines Angebots erkennen lassen1. Die Stellungnahme gemäß Nr. 2 hat sich insbesondere auf die Angaben des Bieters in 75 der Angebotsunterlage über seine strategische Planung in Bezug auf die Zielgesellschaft zu stützen2. Die Anforderungen an die Angebotsunterlage gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 sind insoweit wesentlich konkreter als die Anforderungen an die Stellungnahme gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2; sie können daher grundsätzlich auch zur Konkretisierung des Inhalts der Stellungnahme gemäß § 27 herangezogen werden3. Weil die Verwaltung nur zu den „voraussichtlichen“ Folgen eines erfolgreichen Angebots Stellung nehmen muss, ist sie insofern nur zu einer Plausibilitätskontrolle der Angebotsunterlage verpflichtet4 (siehe hierzu auch oben Rz. 46). Fraglich ist, ob auch auf unveröffentlichte Zielvorstellungen des Bieters einzugehen 76 ist, die der Verwaltung der Zielgesellschaft – etwa im Rahmen von dem Angebot vorausgehenden Verhandlungen – bekannt geworden sind. Hierfür sprechen sowohl Wortlaut als auch ratio der Vorschrift. Angesichts des zwingenden Charakters der Regelung sind auch entgegenstehende Vertraulichkeitsvereinbarungen unbeachtlich. Allerdings ist der Verwaltung der Zielgesellschaft nur zuzumuten, zu hinreichend konkreten und im Streitfall auch nachweisbaren Zielen des Bieters Stellung zu nehmen5. Seit Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7.8.20066 sind 76a in die Angebotsunterlage gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 auch Angaben zur strategischen Planung im Bezug auf die Geschäftstätigkeit des Bieters aufzunehmen, soweit diese von dem Angebot betroffen ist (näher § 11 Rz. 111 ff.). Eine mit § 11 korrespondierende explizite Verpflichtung zur Stellungnahme zur strategischen Planung des Bieters ist in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 nicht vorgesehen (und war durch die Übernahmerichtlinie auch nicht veranlasst). Allerdings haben nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft auch zu den vom Bieter mit dem Angebot verfolgten Zielen Stellung zu nehmen, was regelmäßig auf die Geschäftstätigkeit des Bieters und seine strategische Planung abzielen dürfte (siehe auch unten Rz. 82). aa) Zielgesellschaft Im Rahmen der Stellungnahme zu den voraussichtlichen Folgen für die Zielgesellschaft haben Vorstand bzw. Aufsichtsrat darzulegen, weswegen der Erfolg des Angebots nach ihrer Einschätzung Vorteile oder Nachteile für die Zielgesellschaft und ihre Aktionäre mit sich bringen wird. Die Stellungnahme hat insoweit auf alle relevanten Gesichtspunkte einzugehen, die in der Angebotsunterlage angesprochen worden sind. Sie hat weitere Gesichtspunkte anzusprechen, wenn anderenfalls ein unzu1 2 3 4
Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 51. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 41. Seibt, DB 2002, 529, 534; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 25 (unter Bezugnahme auf die Angaben nach Nr. 3). 5 Zum Ganzen Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 16. 6 BGBl. I 2006, 1426; siehe hierzu Einl. Rz. 60 ff.
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treffendes Bild des Angebots vermittelt würde1. Insoweit kann es geboten sein, auf gesellschaftsrechtliche oder kartellrechtliche Schwierigkeiten, erforderlich werdende Änderungen der Kapitalstruktur (z.B. eine drohende hohe Verschuldung des Bieters als Folge der Übernahmefinanzierung) oder besondere Umstände oder Hindernisse im Marktumfeld hinzuweisen2. Wenn diese Auswirkungen nicht bei der Zielgesellschaft, sondern bei wichtigen Tochtergesellschaften eintreten, ist auch darauf einzugehen. Schließlich gehört zur Stellungnahme zu den Folgen des erfolgreichen Angebots auch eine Erklärung zu der Frage, ob die Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats beabsichtigen, ihre Ämter fortzuführen, wenn das Angebot erfolgreich ist3. 78
Hat der Bieter in der Angebotsunterlage geäußert, dass er einen Unternehmensvertrag abzuschließen, eine Umwandlungsmaßnahme durchzuführen, die Börsennotierung einzustellen oder den Squeeze-out der Minderheitsaktionäre durchzuführen beabsichtigt, müssen Vorstand und Aufsichtsrat hierzu Stellung nehmen4. Es steht ihnen frei, ob sie der Darstellung der Angebotsunterlage folgen oder eine eigene zusammenhängende Darstellung der von ihnen erwarteten bzw. bei erfolgreichem Angebot für notwendig gehaltenen Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Zielgesellschaft geben wollen. Eine Verpflichtung, über alle nur denkbaren Handlungsalternativen zu spekulieren, besteht jedoch nicht5. bb) Arbeitnehmer
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Die Verpflichtung, in der Stellungnahme auf die Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft einzugehen, soll die Verwaltung dazu anhalten, eine mögliche Beeinträchtigung der Arbeitnehmerinteressen nach Vollzug des Angebots zu erkennen und diese im Wege praktischer Konkordanz auszugleichen6. Da Vorstand und Aufsichtsrat auf das Gesellschaftsinteresse mit dem oben (Rz. 33) beschriebenen Inhalt verpflichtet sind, dürfen sie, auch wenn sie das Angebot ablehnen, nicht einseitig Partei für die Arbeitnehmer ergreifen, sondern müssen zumindest auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der vom Bieter geplanten Maßnahmen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und die Aktionäre berücksichtigen7.
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Folgen für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Zielgesellschaft können eintreten, wenn der Bieter den Verkauf einzelner Geschäftssparten, die Verlagerung einzelner Betriebe, die Aufgabe bestimmter Standorte oder Personalabbau angekündigt hat oder derartige Schritte zu erwarten sind. In diesen Fällen kann die Verwaltung der Zielgesellschaft verpflichtet sein, zum Fortbestand der betriebsverfassungsrechtlichen Organe und der unternehme-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42 f. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 17 Rz. 37 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 49. 3 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 728; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 53; a.A. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 19 (pflichtgemäßes Ermessen, ob hierzu Stellung genommen wird). 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 53. 5 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 53. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52; Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17. 7 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43.
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rischen Mitbestimmung nach Abschluss der Umstrukturierung1, zur Geltung von Tarifverträgen2, zu den Auswirkungen der geplanten Personalmaßnahmen3 oder den individualarbeitsrechtlichen Folgen für die Arbeitnehmer oder bestimmte Arbeitnehmergruppen4 Stellung zu beziehen. Anders als bei den umwandlungsrechtlichen Informationspflichten5 ist im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch auf die bloß mittelbaren Folgen des erfolgreichen Angebots für die Arbeitnehmer einzugehen – anderenfalls hätte die Vorschrift praktisch kaum einen Anwendungsbereich6. Die Stellungnahme des Vorstands bzw. Aufsichtsrats zu den voraussichtlichen Fol- 81 gen des Angebots entfaltet keine Bindungswirkung gegenüber den Arbeitnehmern oder dem Betriebsrat, da sie allein der Information der Wertpapierinhaber dient. Folglich können weder Arbeitnehmer noch Betriebsrat unter Verweis auf die Stellungnahme verhindern, dass von der Angebotsunterlage oder anderen Äußerungen der Verwaltung abweichende Maßnahmen getroffen werden7. c) Vom Bieter verfolgte Ziele (Nr. 3) Vorstand und Aufsichtsrat haben weiterhin zu den vom Bieter verfolgten Zielen Stel- 82 lung zu nehmen8. Diese Ziele sind eng verknüpft mit den Folgen des Angebots, zu denen bereits gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Stellung zu nehmen ist. Während jedoch mit den Folgen die Auswirkungen auf der Ebene der Zielgesellschaft gemeint sind, zielt die Stellungnahme zu den Zielen auf die Ebene des Bieters ab. An dieser Stelle ist also dazu Stellung zu nehmen, ob der Bieter das Angebot wie in der Angebotsunterlage dargestellt umsetzen kann, ob konzern- oder kartellrechtliche Hindernisse entgegenstehen und ob vom Bieter angestrebte Synergieeffekte realisierbar erscheinen. Ist der Bieter eine Zweckgesellschaft (special purpose vehicle), ist auf die Ziele der hinter diesem Vehikel stehenden Personen einzugehen9. d) Annahme des Angebots durch Organmitglieder (Nr. 4) Schließlich müssen die Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats, die Inhaber von 83 Wertpapieren der Zielgesellschaft sind, mitteilen, ob sie beabsichtigen, das Angebot anzunehmen. Für die Wertpapierinhaber ist dies eine wichtige Information, weil die Organmitglieder in der Regel einen Wissensvorsprung über die Verhältnisse der Zielgesellschaft genießen und die Wertpapierinhaber aus dem Transaktionsverhalten der
1 Seibt, DB 2002, 529, 530; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 27. 2 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 54. 3 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 27; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 54. 4 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39. 5 Seibt, DB 2002, 529, 533; zur – umstrittenen – Parallelproblematik bei Umwandlungen siehe Simon in Semler/Stengel, § 5 UmwG Rz. 64 ff. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43; siehe ferner Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 118 ff. zur Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Folgen. 7 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 55. 8 Entgegen Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 26, besteht diese Pflicht nicht nur bei feindlichen Übernahmen. 9 Zum Ganzen Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 44; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 56.
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Organmitglieder Rückschlüsse auf die Attraktivität des Angebots1 und die Glaubwürdigkeit der Stellungnahme2 ziehen können3. Unterschiedliche Absichten einzelner Organmitglieder können darauf schließen lassen, dass man das Angebot unterschiedlich bewerten kann4. Vor Inkrafttreten des WpÜG war eine Mitteilungspflicht über das beabsichtigte Annahmeverhalten auf der Grundlage des Aktienrechts verneint worden5. Der Verpflichtung zur Offenlegung des beabsichtigten Annahmeverhaltens liegen ähnliche Erwägungen zugrunde wie der Verpflichtung zur Offenlegung von directors’ dealings gemäß § 15a WpHG6. Vereinzelt angemeldete verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Beeinträchtigung der Privatsphäre der Organmitglieder erscheinen vor diesem Hintergrund nicht stichhaltig7, zumal auch das Geheimhaltungsinteresse der Organmitglieder börsennotierter Gesellschaften durch ihre herausgehobene Stellung relativiert wird8. 84
Die Mitteilungspflicht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 differenziert nicht nach der Größe der Beteiligung, erstreckt sich also auch auf Kleinstbeteiligungen9. Sind Organmitglieder an der Zielgesellschaft mittelbar beteiligt, ist eine Mitteilungspflicht dann anzunehmen, wenn das betroffene Organmitglied die zwischengeschaltete Vermögensverwaltungsgesellschaft kontrolliert und somit zur Annahme des Angebots veranlassen kann10. Für die Aussagekraft der Mitteilung spielt es nämlich keine Rolle, ob die Beteiligung unmittelbar oder mittelbar gehalten wird. Gleiches muss gelten, wenn das mittelbar beteiligte Organmitglied beabsichtigt, die Anteile der Vermögensverwaltungsgesellschaft an den Bieter zu veräußern. Auf diesem Weg kann zwar das Angebot nicht angenommen werden; jedoch kommt wegen der Aussagekraft dieses Annahmeverhaltens eine analoge Anwendung des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 in Betracht.
85
Soweit sich Organmitglieder gleich entscheiden, d.h. übereinstimmend Aktien der Zielgesellschaft halten und diese Aktien ganz oder zu einem übereinstimmenden Anteil abgeben wollen, kann die Mitteilung der Annahmeabsicht einheitlich erfolgen11. Wollen einige Organmitglieder das Angebot annehmen und andere nicht oder zu einem abweichendem prozentualen Anteil, ist dies in der Stellungnahme unter namentlicher Nennung mitzuteilen. Für die Wertpapierinhaber kann es von erheblichem Interesse sein zu wissen, welche Organmitglieder die Annahme und welche
1 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 19; Beckmann in Beckmann/Kersting/ Mielke, Übernahmerecht, Rz. C 9. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 45. 3 Die Regelung ausdrücklich begrüßend daher Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381 f.; kritisch dagegen Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 18. 4 Zinser, ZRP 2001, 363, 365 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 58; Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 96. Unterschiedliches Annahmeverhalten kann aber auch auf unterschiedliche Interessen der Organmitglieder zurückgehen. 5 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 130; Hopt, ZGR 1993, 534, 557; a.A. Immenga, SAG 1975, 89, 94. 6 Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15a WpHG Rz. 9 ff.; Zimmer/Osterloh in Schwark/Zimmer, § 15a WpHG Rz. 8 ff. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 45; Fleischer, NZG 2006, 561, 568; a.A. Witte, BB 2000, 2161, 2164; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1439. 8 Fleischer, NZG 2006, 561, 568. 9 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 59. 10 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 59; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 48. 11 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 46.
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die Ablehnung favorisieren1. An diesem Interesse ändert sich durch die zusätzlich bestehende Mitteilungspflicht der Organmitglieder gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 WpHG nichts, weil diese Mitteilung den Markt u.U. erst nach Abschluss des Angebots erreicht und damit keinen Anhaltspunkt für die Entscheidung über das Angebot bietet. Die Mitteilungspflicht erfasst allerdings nur die Annahmeabsicht, nicht die Zahl der von den jeweiligen Organmitgliedern gehaltenen Wertpapiere2. Beabsichtigen einzelne Organmitglieder, das Angebot nur teilweise anzunehmen, ist mitzuteilen, mit welchem prozentualen Anteil sie die Annahme und mit welchem die Ablehnung beabsichtigen3. Wäre nur mitzuteilen, dass das betroffene Organmitglied teilweise annehmen und teilweise ablehnen will, könnte die Aussagekraft der Mitteilung durch eine abweichende Entscheidung hinsichtlich weniger Wertpapiere verfälscht und der Zweck der Mitteilungspflicht unterlaufen werden4. Sind Organmitglieder bei Abgabe ihrer Stellungnahme noch unentschlossen, ob sie das Angebot annehmen sollen, ist dies in die Stellungnahme aufzunehmen5. Eine Verpflichtung, sich in die eine oder andere Richtung festzulegen bzw. sich ohne entsprechende Absicht in die eine oder andere Richtung zu erklären, lässt sich aus dem Gesetz nämlich nicht herleiten. Soweit Organmitglieder keine Wertpapiere der Zielgesellschaft besitzen, ist dies ebenfalls mitzuteilen, da anderenfalls die Aussagekraft einer Mitteilung über die Annahme- oder Ablehnungsabsicht anderer Organmitglieder beeinträchtigt sein könnte6. Die einzelnen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sind verpflichtet, ihre 86 jeweiligen Annahme- oder Ablehnungsabsichten der Gesellschaft mitzuteilen. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 setzt voraus, dass die Organmitglieder der Gesellschaft Mitwirkungspflichten in dem Umfang schulden, wie das Stellung beziehende Organ die fraglichen Informationen zur pflichtgemäßen Berichterstattung über die jeweiligen Annahme- oder Ablehnungsabsichten benötigt; anderenfalls liefe die Vorschrift leer7. Gegenstand der Mitteilung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 sind Absichten. Da sich 87 Absichten ändern können, erwächst aus ihrer Kundgabe in der Stellungnahme keine Verpflichtung, das Angebot entsprechend dieser Kundgabe anzunehmen oder abzulehnen8. Wenn allerdings ein Organmitglied seine Absicht ändert, ist dies auf dem in § 27 Abs. 3 vorgesehenen Weg zu veröffentlichen9 (zur Aktualisierungspflicht siehe unten Rz. 95 ff.). Der Grund liegt darin, dass das Wissen um das Annahmeverhalten 1 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 60; Fleischer, NZG 2006, 561, 565; so jetzt auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 46, ebenso Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42. 2 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 19; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 47; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 46; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 17. 3 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 61; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 46; ebenso Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 42. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 61. 5 Eingehend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 63. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 46; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 60. 7 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1382. 8 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 20; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 48; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 18; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 28; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 62. 9 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 62; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 210; jetzt auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 47 (Mitteilungspflicht nur wenn Änderung der Annahmeabsicht wesentlich); noch anders (keine Mitteilungspflicht) Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 18; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 353, 375 ff. (keine Mitteilungspflicht de lege lata, aber Gesetzesänderung wünschenswert); Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 132 (keine Mitteilungspflicht).
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der Verwaltungsmitglieder für die Wertpapierinhaber von erheblicher Bedeutung ist und sie daher zeitnah über den status quo informiert sein müssen. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn Vorstand und Aufsichtsrat bis zu einer Änderung des Angebots zuwarten dürften1. 88
Auch die Absichten von Organmitgliedern, die sich in einem Interessenkonflikt befinden, sind gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 zu veröffentlichen2. Gründe, die dagegen sprechen, sind nicht ersichtlich, da der Interessenkonflikt ohnehin offen zu legen und zu erläutern ist (siehe oben Rz. 58).
89
Im Einzelfall können die Stellung beziehenden Organe zur Erläuterung der Angaben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 verpflichtet sein. Dies kann etwa in Betracht kommen, wenn die betreffende Angabe erkennbar das Risiko birgt, dass die Wertpapierinhaber unzutreffende Schlüsse aus ihr ziehen. Offenlegungsbedürftig wäre etwa der Fall, dass ein Organmitglied das Angebot allein deswegen nicht annehmen will, weil er einer lock up-Verpflichtung unterliegt, er also aus rechtlichen Gründen an der Annahme gehindert ist3. 4. Handlungsempfehlung
90
Die Stellungnahme des Vorstands bzw. Aufsichtsrats hat grundsätzlich eine Handlungsempfehlung zu enthalten (siehe oben Rz. 31). Im Einzelfall ist jedoch auch eine Stellungnahme denkbar, die sich einer konkreten Handlungsempfehlung enthält4. Dies erscheint allerdings nur im Ausnahmefall zulässig, etwa bei einem argumentativen Patt5 oder bei Interessenkonflikten. Hier wird man von Vorstand und Aufsichtsrat gleichwohl verlangen müssen, dass sie (wie sogleich dargestellt) die Argumente für und gegen eine Annahme in der Stellungnahme darlegen. Ob sie darüber hinaus begründen müssen, warum sie sich zur Abgabe einer Empfehlung außerstande sehen6, ist zweifelhaft. Regelmäßig dürfte aus den übrigen Angaben in der Stellungnahme hinreichend deutlich werden, weswegen von einer Handlungsempfehlung abgesehen wird.
91
Um die Handlungsempfehlung herauszuarbeiten, haben Vorstand und Aufsichtsrat die Vor- und Nachteile des Angebots nach sachlicher Bedeutung zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. In der Stellungnahme sind die Gründe anzuführen, die den Vorstand bzw. den Aufsichtsrat zu seiner Empfehlung veranlasst haben7.
92
Da die Stellungnahme den Wertpapierinhabern eine Entscheidungshilfe liefern soll, stellt sich die Frage, ob sich Vorstand und Aufsichtsrat bei ihrer Handlungsempfehlung ausschließlich an den Interessen der Wertpapierinhaber orientieren dürfen oder ob – in Übereinstimmung mit § 3 Abs. 3 und allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen – auch insoweit die Interessen der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit zu berücksichtigen sind. Die Anordnung des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, dass die Stellung1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43 (aber ohne Begründung); jetzt auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 47; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 20. 2 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 65. 3 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 66. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 5 So treffend Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 99. 6 Dafür Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 99; Harbarth, ZIP 2004, 3, 10. 7 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 99; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 83.
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nahme auch auf die Folgen des Angebots für die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft eingehen muss, und die Begründung des Regierungsentwurfs1 legen nahe, dass sich die Handlungsempfehlung nicht allein an den Interessen der Wertpapierinhaber orientieren darf2. Aber auch eine ausschließliche Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer wäre unzulässig3. Um einer Irreführung der Wertpapierinhaber vorzubeugen, ist in der Stellungnahme herauszustellen, ob andere Interessen als die der Wertpapierinhaber für die Handlungsempfehlung ausschlaggebend waren4.
III. Änderung des Angebots Wird das Angebot geändert, haben sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat zu dem geänderten Angebot erneut Stellung zu nehmen. Die teilweise vertretene Auffassung, eine erneute Stellungnahme des Aufsichtsrats im Falle einer Änderung sei nur dann erforderlich, wenn einzelne seiner Mitglieder nach Kenntnis des Aufsichtsratsvorsitzenden ihre Absicht über Annahme oder Ablehnung des Angebots geändert haben oder wenn ein nicht unwesentlicher Teil der Mitglieder des Aufsichtsrats seine Beurteilung des Angebots geändert hat5, ist angesichts des Wortlauts und des Schutzzwecks des § 27 abzulehnen6. Vor dem Hintergrund der Möglichkeit, die Pflicht zur Stellungnahme auf einen Ausschuss zu delegieren (siehe oben Rz. 40), und angesichts der vorhandenen technischen Möglichkeiten einer kurzfristigen Abstimmung (Telefon- oder Videokonferenz, vgl. § 108 Abs. 4 AktG) besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis für ein Abweichen von der gesetzlichen Vorgabe7.
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Die Pflicht zur Stellungnahme beschränkt sich grundsätzlich auf die Änderungen des Angebots8. Sofern diese Änderungen Folgewirkungen auf andere Bereiche des Angebots entfalten oder zu einer anderen Gesamtbeurteilung des Angebots führen, ist hierauf in der Stellungnahme ebenfalls einzugehen9. Gleichermaßen hat die Stellungnahme auch solche Gesichtspunkte zu behandeln, die von der Änderung des Angebots nicht berührt sind, deren Beurteilung sich aber seit der letzten veröffentlichten Stellungnahme geändert hat10. Gleiches muss gelten, wenn sich der zu Grunde liegende Sachverhalt geändert hat.
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1 BT-Drucks. 14/7024, S. 52. 2 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 85; a.A. Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 38. 3 Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 17; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 85. 5 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 5; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 23. 6 Eingehend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 89; ablehnend auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 25; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 10; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 114. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 25; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 10; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 16, 21; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 89. 8 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 23; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 52; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 25; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 21; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 88. 9 A.A. wohl Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 52; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 21. 10 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 23; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 88; a.A. offenbar Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 52.
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IV. Aktualisierung 95
Vorstand und Aufsichtsrat sind zur Berichtigung ihrer Stellungnahme verpflichtet, wenn die in der Stellungnahme enthaltenen Angaben bei Abgabe der Stellungnahme unzutreffend oder unvollständig waren. Die vorsätzliche oder leichtfertige Veröffentlichung einer nicht richtigen oder nicht vollständigen Stellungnahme ist eine Ordnungswidrigkeit (siehe unten Rz. 135). Die Berichtigungspflicht folgt aus dem vorausgegangenen pflichtwidrigen Tun1.
96
Werden die in der Stellungnahmen enthaltenen, ursprünglich zutreffenden und vollständigen Angaben nachträglich (d.h. wegen einer Änderung des Sachverhalts nach Abgabe der Stellungnahme und vor Ablauf der Annahmefrist) unzutreffend oder unvollständig, ist umstritten, ob dies eine Pflicht zur unverzüglichen Aktualisierung der Stellungnahme auslöst2 oder ob eine Pflicht zur Aktualisierung erst dann entsteht, wenn der Bieter sein Angebot geändert hat und nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 1 erneut Stellung zu nehmen ist3. Ob Vorstand und Aufsichtsrat zur Aktualisierung ihrer Stellungnahme verpflichtet sind, ist im Gesetz nicht angesprochen. Dies ist allerdings nicht als bewusster gesetzgeberischer Wille anzusehen; auch die Pflicht zur Aktualisierung der Angebotsunterlage (hierzu § 12 Rz. 31 f.) ist nicht im Gesetz angesprochen. Die Ad hoc-Publizitätspflicht der Zielgesellschaft gemäß § 15 WpHG kann diese Lücke nicht schließen, da nicht alle Änderungen des Sachverhalts, die die Stellungnahme nachträglich fehlerhaft machen, geeignet sein werden, den Börsenkurs der Zielgesellschaft während der Annahmefrist erheblich zu beeinflussen.
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Auch wenn man die Haftung des Vorstands bzw. Aufsichtsrats für eine fehlerhafte Stellungnahme analog § 12 ablehnt (zur Haftung siehe unten Rz. 143), sprechen die besseren Gründe dafür, eine bis zum Ende der Annahmefrist bestehende Pflicht zur Aktualisierung der Stellungnahme im Hinblick auf die gemäß § 27 Abs. 1 aufzunehmenden Angaben anzunehmen, soweit diese von wesentlicher Bedeutung sind. Die ratio legis des § 27 besteht darin, den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft eine zutreffende und vollständige Stellungnahme der Organe der Zielgesellschaft zugänglich zu machen, um ihnen eine Entscheidung „in Kenntnis der Sachlage“ (§ 3 Abs. 2) zu ermöglichen. Diesen Zweck kann nur eine aktuelle, nicht durch veränderte Umstände überholte Stellungnahme erfüllen4. Außerdem bildet die Stellungnahme das Pendant zur Angebotsunterlage. Wenn der Bieter verpflichtet ist, die in der Angebotsunterlage enthaltenen Angaben von wesentlicher Bedeutung bis zum Ende der Annahmefrist zu aktualisieren (hierzu § 12 Rz. 31 f.), kann für die Stellungnahme der Verwaltung nichts anderes gelten: Wäre die Angebotsunterlage zu aktualisieren, die Stellungnahme hingegen nicht, liefen die Wertpapierinhaber Gefahr, ihre jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einseitiger Information und somit nicht „in Kenntnis der Sachlage“ (§ 3 Abs. 2) zu treffen5.
98
Dass Wertpapierinhaber, die das Angebot vor der Veröffentlichung der aktualisierten Stellungnahme angenommen haben, sich nicht auf die aktualisierte Stellungnahme 1 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 206; Möllers, ZGR 2002, 664, 674. 2 Dafür Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 69; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 90 ff.; so jetzt auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 56. 3 So Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 20, 23. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 91; zur Angebotsunterlage Möllers, ZGR 2002, 664, 675. 5 Zustimmend Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 210.
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hätten stützen können, spricht nicht gegen die Aktualisierungspflicht. Die ratio legis des § 27 besteht nämlich darin, dass die Wertpapierinhaber, die sich noch nicht entschieden haben, sich auf eine zutreffende und vollständige Stellungnahme stützen können1. Nicht ohne Grund entscheiden sich daher insbesondere die institutionellen Anleger erst kurz vor dem Ende der Annahmefrist, ob sie das Angebot annehmen oder nicht. Auch das Analogieverbot im Ordnungswidrigkeitenrecht steht der Aktualisierungspflicht nicht entgegen. Allerdings kann die Unterlassung der Aktualisierung mangels ausdrücklicher Regelung nicht ordnungswidrig sein; das Analogieverbot zwingt somit zu einer „gespaltenen Auslegung“ der Vorschrift (siehe auch Rz. 138). Zu einer Aktualisierung zwingen nur Änderungen der für die Entscheidung der Wert- 99 papierinhaber wesentlichen Umstände. Die Wesentlichkeit ist unproblematisch zu bejahen, wenn der Vorstand bzw. Aufsichtsrat seine Einschätzung der Angemessenheit der Gegenleistung ändert (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) oder eine andere Handlungsempfehlung ausspricht. Wegen der Signalwirkung für die Wertpapierinhaber ist auch die Änderung der Annahmeabsicht eines Organmitglieds zu den wesentlichen Änderungen zu rechnen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4). Ob eine Änderung des Sachverhalts hinsichtlich der Folgen des erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft und ihre Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) oder hinsichtlich der Ziele des Bieters (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) für die Entscheidung der Wertpapierinhaber von wesentlicher Bedeutung ist, ist eine Frage des Einzelfalls2. Zur Aktualisierung ist nur das Organ verpflichtet, dessen Stellungnahme unzutreffend bzw. unvollständig ist.
100
Die aktualisierte Stellungnahme ist gemäß § 27 Abs. 3 zu veröffentlichen. Die Ak- 101 tualisierung kann sich auf die wesentlichen Umstände beschränken, in Bezug auf die die ursprüngliche Stellungnahme nicht mehr zutreffend bzw. nicht mehr vollständig ist. Ob es zur Vermeidung der Irreführung der Wertpapierinhaber erforderlich ist, die ursprüngliche Stellungnahme vollständig durch eine aktualisierte Stellungnahme zu ersetzen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Vorstand und Aufsichtsrat sind auch dann zur Abgabe einer erneuten Stellungnahme 102 berechtigt, wenn die ursprüngliche Stellungnahme weder unzutreffend noch unvollständig ist. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn die in der ursprünglichen Stellungnahme enthaltenen Ausführungen ergänzt werden sollen. Denkbar ist aber auch, dass eine in der ursprünglichen Stellungnahme enthaltene vertretbare Einschätzung durch eine andere vertretbare Einschätzung ersetzt werden soll3. Bei einer Aktualisierung wegen Änderung des Angebots gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 ist 102a es zulässig, auf die ursprüngliche Stellungnahme Bezug zu nehmen und lediglich die Änderungen darzustellen, wenn dieses Verfahren die Lesbarkeit der Änderungsstellungnahme im konkreten Fall nicht über Gebühr beeinträchtigt. Ändert sich die Angebotsunterlage mehrfach, kann theoretisch eine Änderungsstellungnahme mehrere Änderungen der Angebotsunterlage abdecken. In der Praxis wird dabei jedoch zu berücksichtigen sein, dass Vorstand und Aufsichtsrat auf jede Änderung unverzüglich zu reagieren haben und die geänderte Stellungnahme, die auf mehrere Änderungen
1 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 93. 2 Ebenso Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 210 f. 3 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 95.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
reagiert, für die zeitlich erste Änderung der Angebotsunterlage meist nicht mehr unverzüglich sein dürfte.
V. Konkurrierende Angebote 103 Bei konkurrierenden Angeboten haben Vorstand und Aufsichtsrat nicht nur zu dem ursprünglichen, sondern auch zu dem konkurrierenden Angebot Stellung zu nehmen. Dabei ist in der Stellungnahme auch darauf einzugehen, welches der Angebote aus Sicht der Verwaltung vorzugswürdig ist1. Der Verwaltung steht es jedoch auch frei, sämtliche Angebote abzulehnen2. Zu weiteren Aspekten konkurrierender Angebote siehe § 22 Rz. 67 ff.
C. Stellungnahme des Betriebsrats oder der Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 2) I. Allgemeines 104 § 27 Abs. 2 verpflichtet den Vorstand, eine ihm vom zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, von den Arbeitnehmern übermittelte Stellungnahme zu dem Angebot seiner eigenen Stellungnahme beizufügen. Unberührt hiervon bleibt die Verpflichtung, seine eigene Stellungnahme unverzüglich nach Übermittlung der Angebotsunterlage bzw. deren Änderungen zu veröffentlichen. Eine Beifügungspflicht für den Aufsichtsrat besteht nicht. Die Regelung bezweckt, dass die Angebotsadressaten nicht nur über die Haltung der Verwaltung, sondern auch der Arbeitnehmerschaft informiert werden3; sie verbreitert daher deren Informationsbasis. Zugleich ermöglicht sie den Arbeitnehmern, an herausgehobener Stelle ihre Position zu dem Angebot, insbesondere zu ggf. geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen bei der Zielgesellschaft, zu veröffentlichen. 105 Aus § 27 folgt ein Recht, nicht aber eine Pflicht der Arbeitnehmerseite zur Stellungnahme4. Eine Frist zur Abgabe der Stellungnahme sieht das Gesetz ebenfalls nicht vor. Jedoch sollte die Stellungnahme schon im eigenen Interesse der Arbeitnehmerseite dem Vorstand rechtzeitig angekündigt und zügig übermittelt werden, um zu vermeiden, dass diese dem Vorstand erst nach Veröffentlichung seiner Stellungnahme zugeht, da der Kapitalmarkt diesem Dokument erhebliche Aufmerksamkeit beimisst. Näher zum Verfahren und zur Verpflichtung zu einer nachträglichen Veröffentlichung siehe unten Rz. 122 f. 106 Die Stellungnahme der Arbeitnehmerseite ist dem Vorstand so zu übermitteln, dass ihm ermöglicht wird, die Stellungnahme seiner eigenen beizufügen. Eine nur mündliche Erklärung wird dem nicht gerecht, zumal der Vorstand die Stellungnahme ohne eine inhaltliche Änderung beizufügen hat (siehe unten Rz. 116); die Stellungnahme 1 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1380; Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 15; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 26; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 15; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 96. 2 Zutreffend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 97. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 4 Für Pflicht zur Stellungnahme, sofern ein Betriebsrat besteht und die Mehrheit der Beschäftigten des Zielgesellschaft eine eindeutige Position zu dem Angebot bezieht, dagegen Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 131 ff.; im Gesetz findet diese Auffassung jedoch keine Stütze.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
hat daher schriftlich1, per E-Mail oder Telefax2 zu erfolgen. In jedem Fall muss der Absender der Stellungnahme zweifelsfrei zu erkennen sein3. Im Gegensatz zur Stellungnahme des Vorstands enthält das Gesetz keine Vorgaben 107 hinsichtlich des Inhalts der Stellungnahme der Arbeitnehmerseite. Aus der systematischen Stellung des § 27 Abs. 2 ergibt sich, dass die für den Vorstand geltenden Vorgaben des § 27 Abs. 1 auch nicht entsprechend anzuwenden sind4. Als Mindestvoraussetzung wird man allerdings zu fordern haben, dass die Stellungnahme sich mit dem konkreten Angebot des Bieters auseinandersetzt5. Wie die Stellungnahme der Verwaltung ist die Stellungnahme der Arbeitnehmerseite nicht auf die Beurteilung der vom Bieter in der Angebotsunterlage gemachten Angaben beschränkt, sondern kann auch auf nicht vom Bieter erwähnte Gesichtspunke eingehen (zu den inhaltlichen Grenzen der Stellungnahme siehe unten Rz. 117 f.). Die Stellungnahme kann sowohl zustimmenden als auch ablehnenden Charakter haben; da keine Pflicht zur Stellungnahme besteht, ist theoretisch auch eine Enthaltung denkbar6. Eine Verpflichtung zur Abstimmung mit den Stellungnahmen des Vorstands oder Aufsichtsrats besteht nicht. Wie die Verwaltung kann sich auch der Betriebsrat bei Abfassung seiner Stellungnahme von externen Sachverständigen beraten lassen7; Entsprechendes gilt für die Arbeitnehmer8. Ein Kostenerstattungsanspruch steht dem Betriebsrat dann zu, wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind9. Erforderlich ist danach eine vorherige Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Gesellschaft (§ 80 Abs. 3, § 40 Abs. 1 BetrVG) und die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit10. Für die Arbeitnehmer besteht mangels Anspruchsgrundlage kein Kostenerstattungsanspruch11.
108
Besteht zwischen Vorstand (sowie ggf. Aufsichtsrat) und Arbeitnehmerseite Einigkeit über die Bewertung des Angebots, ist auch die Abgabe einer gemeinsamen Stellungnahme zulässig12.
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1 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 26; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 54; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 30. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 54; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 30; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 109. 3 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 26; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 54. 4 Abw. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 57; wie hier dagegen Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 105. 5 Ebenso Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 27; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 33; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 105. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 7 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 29; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 58; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 33; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 107. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 61; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 108. 9 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 29; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 58; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 29; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 107; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 138 f. 10 BAG v. 26.2.1992 – 7 ABR 51/90, NZA 1993, 86, 88; zum Ganzen näher Grobys in Geibel/ Süßmann, § 27 Rz. 29. 11 Im Ergebnis ebenso (aber kritisch) Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 142 f. 12 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 42; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 24, 52; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 145.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
110 Fraglich ist, ob ein Recht der Arbeitnehmerseite zur (erneuten) Stellungnahme und eine hiermit korrespondierende Pflicht des Vorstands zur Beifügung auch bei Änderungen des Angebots besteht. Nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 ist dies nicht der Fall, da dort im Gegensatz zu § 27 Abs. 1 Satz 1 nur auf das Angebot, nicht jedoch auf Änderungen des Angebots Bezug genommen wird. Die ratio der Vorschrift, die für die Angebotsadressaten eine möglichst breite Informationsbasis schaffen will, spricht jedoch für eine analoge Anwendung der Vorschrift in derartigen Fällen, d.h. ein solches Recht der Arbeitnehmerseite und eine hiermit korrespondierende Verpflichtung des Vorstands1. Dass nach § 21 nur Änderungen zulässig sind, die aus Sicht der Angebotsadressaten zu einer Verbesserung des Angebots führen, steht dem nicht entgegen, da die Interessen der Angebotsadressaten und der Arbeitnehmerseite nicht zwingend identisch sein müssen – und dies häufig auch nicht sind.
II. Stellungnahme des Betriebsrats 111 Die Bestimmung des zuständigen Betriebsrats folgt den gleichen Grundsätzen, die für die Pflicht zur Unterrichtung über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 5 Satz 2) und die Übermittlung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 4 Satz 2) gelten2. Zuständig kann je nach Sachlage der Betriebsrat, der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat sein (näher § 10 Rz. 74 f.). 112 Erhält der Vorstand die Stellungnahme eines unzuständigen Betriebsrats, besteht nach der gesetzlichen Vorgabe keine Verpflichtung zur Beifügung3. Dies gilt auch dann, wenn der zuständige Betriebsrat keine Stellungnahme abgibt4. Ist die Stellungnahme ersichtlich auf ein Versehen bei der Bestimmung der Zuständigkeit zurückzuführen, sollte der Vorstand den betreffenden Betriebsrat über dessen Unzuständigkeit informieren.
III. Stellungnahme der Arbeitnehmer 113 Besteht bei der Zielgesellschaft kein Betriebsrat, haben die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft gemäß § 27 Abs. 2 unmittelbar ein Recht zur Stellungnahme. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass immer dann, wenn ein Betriebsrat besteht, der Vorstand nicht zur Beifügung von Stellungnahmen der Arbeitnehmer verpflichtet ist. Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsrat keine Stellungnahme abgegeben hat5. 114 Werden dem Vorstand nicht nur eine, sondern mehrere, ggf. zahlreiche Stellungnahmen der Arbeitnehmer bzw. einzelner Arbeitnehmergruppen übermittelt, stellt sich 1 Ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 115; tendenziell auch Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 145 f. (Recht zur Stellungnahme, sofern Änderungen Auswirkungen auf Arbeitnehmerbelange haben); a.A. grundsätzlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 55 (erneutes Stellungnahmerecht nur in Ausnahmefällen); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 31. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 40 (zu § 10), S. 45 (zu § 14) und S. 52 (zu § 27). 3 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 56; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 30; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 101; für den Fall der zusätzlichen Stellungnahme eines unzuständigen Betriebsrats auch Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 25; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 32. 4 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 56; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 101. 5 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 56; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 101.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
die Frage, ob der Vorstand sämtliche Stellungnahmen beifügen muss. Teilweise wird dies bejaht bzw. wird empfohlen, alle Stellungnahmen beizufügen – jedenfalls bis zu einer gerichtlichen Klärung der Frage1. Der Wortlaut des § 27 Abs. 2 („übermitteln … die Arbeitnehmer … eine Stellungnahme“) und der der Vorschrift zu Grunde liegende Transparenzgedanke sprechen jedoch gegen eine Verpflichtung des Vorstands, alle Stellungnahmen der Arbeitnehmer beizufügen: den Angebotsadressaten ist nämlich nicht damit geholfen, mit zahlreichen unabgestimmten Stellungnahmen einzelner Arbeitnehmer konfrontiert zu werden. Auch praktische Erwägungen sprechen gegen eine Pflicht zur Beifügung aller Stellungnahmen, da die einzelnen Stellungnahmen kaum gleichzeitig beim Vorstand eingehen werden. Es liegt daher nahe, von den Arbeitnehmern eine Koordination ihrer Stellungnahmen – etwa im Rahmen einer Betriebsversammlung2 – zu verlangen3. Gelingt dies nicht und gehen dem Vorstand mehrere (u.U. widersprechende) Stellungnahmen einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen zu, spricht viel dafür, dass der Vorstand keine dieser Stellungnahmen beizufügen hat4. Allerdings sollte der Vorstand, sofern die Anzahl der Stellungnahmen dies organisatorisch möglich macht, die jeweiligen Absender auf das Erfordernis einer Koordination ihrer Stellungnahmen hinweisen. Die Arbeitnehmer sind nicht berechtigt, ihre Stellungnahme während der Arbeitszeit 115 zu erstellen; ein (arbeits- oder übernahmerechtlicher) Anspruch auf Freistellung besteht nicht5.
IV. Beifügungspflicht 1. Grundsatz und Ausnahmen Im Gegensatz zum DiskE, der vom Vorstand nur die Aufnahme der „Position“ des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer in seine Stellungnahme verlangte (siehe oben Rz. 7), ist der Vorstand nach der Gesetz gewordenen Fassung verpflichtet, die betreffende Stellungnahme seiner eigenen Stellungnahme „beizufügen“. Hieraus – sowie aus dem Transparenzgebot – folgt, dass inhaltliche Veränderungen an der Stellungnahme wie z.B. Kürzungen, Ergänzungen oder Zusammenfassungen grundsätzlich unzulässig sind6. Auch eine Kommentierung der Stellungnahme ist, sofern deren Grenzen nicht überschritten werden, grundsätzlich unzulässig7. 1 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 30; Haouache in Heidel, § 27 WpÜG Rz. 7; für die Veröffentlichung grundsätzlich aller eingegangenen Stellungnahmen Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 25; differenzierend nach der Anzahl der Stellungnahmen Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 102. 2 So der Vorschlag von Seibt, DB 2002, 529, 535. 3 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 59 f.; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 35; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 31; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 139 ff. 4 Im Ergebnis ebenso Seibt, DB 2002, 529, 535; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 59; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 35; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 31; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 34. 5 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 32; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 61; Noack/ Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 25; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 108; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 143. 6 Grobys, NZA 2002, 1, 5 f.; Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 33; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 32; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 23; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 36; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 111. 7 Grobys, NZA 2002, 1, 6; Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 33; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 32; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 23.
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117 Über die Grenzen der Pflicht zur (unveränderten und unkommentierten) Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer besteht Streit. Teilweise wird angenommen, eine Pflicht zur Beifügung entfalle bereits dann, wenn die Stellungnahme in Bezug auf das Angebot bedeutungslos sei1. Dem ist zu widersprechen, da die Beurteilung der Relevanz der Stellungnahme – schon aus Rechtssicherheitsgründen2 – nicht dem Vorstand, sondern den Adressaten der Stellungnahme, d.h. den Wertpapierinhabern, überlassen bleiben sollte. Auch ein Heranziehen der Kriterien des § 126 Abs. 2 AktG3, bei deren Vorliegen Gegenanträge im Vorfeld einer Hauptversammlung den anderen Aktionären nicht zugänglich gemacht werden müssen, ist (mit Ausnahme der in der nachfolgenden Rz. dargestellten Fälle) abzulehnen, da der „Kampf der Argumente“ durch Stellungnahmen insbesondere bei Übernahmeangeboten nicht mit dem (relativ) sachlichen Rahmen einer Hauptversammlung vergleichbar ist4. 118 Generell wird man dem Vorstand nur in engen Grenzen ein Prüfungsrecht und eine Möglichkeit der Zurückweisung einräumen können, da die Verantwortung für die Stellungnahme auch bei einer Beifügung ausschließlich bei deren Erstellern, dem Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmern, verbleibt. So kommt eine Zurückweisung dann in Betracht, wenn die Stellungnahme sich überhaupt nicht mit dem konkreten Angebot auseinandersetzt (sondern beispielsweise ausschließlich allgemeinpolitische Äußerungen enthält), da § 27 Abs. 2 nur zur Weiterleitung einer „Stellungnahme zu dem Angebot“ verpflichtet; enthält die Stellungnahme dagegen auch nur teilweise sachliche Bezüge zu dem Angebot, ist sie in ihrer Gesamtheit zu veröffentlichen5. Keine Pflicht zur Beifügung besteht ferner dann, wenn der Vorstand sich durch die Beifügung selbst strafbar machen würde6. Unzumutbar wird die Beifügung schließlich sein, wenn die Stellungnahme selbst einen strafbaren Inhalt (z.B. Beleidigungen) aufweist7 oder etwa in der Stellungnahme Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft verraten werden8. Enthält die Stellungnahme des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer offensichtlich falsche Angaben, besteht zwar eine Pflicht zur Beifügung, jedoch wird man hier dem Vorstand ausnahmsweise zur Wahrnehmung der Interessen der Zielgesellschaft die Möglichkeit zur Richtigstellung – und damit zur Kommentierung – einräumen müssen9. 119 Im Falle einer gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand (ggf. Aufsichtsrat) und Betriebsrat bzw. Arbeitnehmern (hierzu oben Rz. 109) ist die Verpflichtung zur Beifügung mangels gesonderter Stellungnahme der Arbeitnehmerschaft gegenstandslos.
1 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 34; Seibt, DB 2002, 529, 534 („völlig unbedeutend“). 2 Ebenso Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 358. 3 Hierfür Grobys, NZA 2002, 1, 6; Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 34; Seibt, DB 2002, 529, 534; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 25. 4 Zutreffend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62; dem folgend Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 33 f.; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 150; ablehnend auch Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 357 f. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 111. 6 Seibt, DB 2002, 529, 534. 7 Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 34; Seibt, DB 2002, 529, 5534; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 73; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 34; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62. 8 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 34. 9 Ebenso Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 21, 33; für Korrekturpflicht Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 150; a.A. Seibt, DB 2002, 529, 534 (keine Pflicht zur Beifügung).
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2. Form Der Vorstand hat die Stellungnahme der Arbeitnehmerseite seiner eigenen Stellungnahme „beizufügen“. Dieser Verpflichtung kann der Vorstand nachkommen, indem er beide Stellungnahmen in einem Dokument zusammenfasst1; hierbei ist deutlich zu machen, dass es sich um zwei verschiedene Stellungnahmen handelt.
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Möglich ist jedoch auch, die Stellungnahme des Vorstands und die der Arbeitnehmer- 121 seite in zwei gesonderten Dokumenten niederzulegen2. In diesem Fall sind allerdings beide Dokumente gemeinsam gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 nach den in § 14 Abs. 3 Satz 1 genannten Vorgaben (Internetpublizität sowie Bundesanzeiger oder Schalterpublizität, näher § 14 Rz. 34 ff., 37 ff.) zu veröffentlichen. Eine Differenzierung bei den Veröffentlichungsformen (Bundesanzeiger hinsichtlich der Stellungnahme des Vorstands, Schalterpublizität bzgl. der Stellungnahme der Arbeitnehmerseite) ist danach nicht zulässig3. 3. Frist und Verfahren Nach § 27 Abs. 2 lässt die Verpflichtung zur Beifügung der Stellungnahme des Be- 122 triebsrats oder der Arbeitnehmer die Verpflichtung des Vorstands unberührt, seine eigene Stellungnahme gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 unverzüglich zu veröffentlichen. Eine Verpflichtung des Vorstands, mit der Abgabe seiner Stellungnahme bis zur Übermittlung der Stellungnahme der Arbeitnehmerseite zu warten, besteht daher nicht4. Eine andere Betrachtungsweise ist nur bei Umgehungssachverhalten angezeigt, bei denen die Übermittlung der Stellungnahme durch die Arbeitnehmerschaft bereits angekündigt wurde und kurzfristig bevorsteht5. In der Praxis wird es für den Vorstand der Zielgesellschaft regelmäßig angezeigt sein, bereits bei Übermittlung der Angebotsunterlage des Bieters nach § 14 Abs. 4 Satz 2 Kontakt mit dem zuständigen Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmern aufzunehmen, um zu klären, ob und wann eine Stellungnahme der Arbeitnehmerseite zu erwarten ist6. Geht dem Vorstand die Stellungnahme erst nach Veröffentlichung seiner eigenen 123 Stellungnahme zu, ist umstritten, ob der Vorstand jedenfalls bis zum Ablauf der Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 zu einer nachträglichen Veröffentlichung der Stellungnahme der Arbeitnehmerschaft verpflichtet ist7. Aus dem Wortlaut des § 27 1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62. 2 Ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 112; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 62. 3 Ebenso jetzt auch Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 36; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 71; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 36; differenzierend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 112, deren Argumentation, die auf den Umfang der Stellungnahme der Arbeitnehmeseite abstellt, nach der Umstellung des Bundesanzeigers auf das elektronische Format jedoch gegenstandslos geworden ist. 4 Seibt, DB 2002, 529, 534; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 64; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 113. 5 Ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 64. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 7 Bejahend Grobys, NZA 2002, 1, 6; Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 38 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 65; Thiel in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 54 Rz. 34; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 113; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 152 ff., 155 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 61; so jetzt auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 74; sowie Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 28; verneinend DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 427; Seibt, DB 2002, 529, 534 f.; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 359; Fortmann, Stel-
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Abs. 2 oder der Begründung des Regierungsentwurfs lässt sich eine Verpflichtung zur nachträglichen Veröffentlichung nicht entnehmen; die in der Vorschrift angeordnete Pflicht zur Beifügung setzt vielmehr begrifflich voraus, dass der Vorstand seine Stellungnahme noch nicht veröffentlicht hat. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass das der Norm zu Grunde liegende Transparenzgebot für eine nachträgliche Veröffentlichungspflicht spricht, sofern die Stellungnahme noch rechtzeitig vor Ablauf der Annahmefrist eingeht, da auf diese Weise eine möglichst breite Informationsbasis für die Angebotsadressaten geschaffen wird. Hierfür spricht zudem, dass anderenfalls das Recht auf Beifügung allzu sehr zur Disposition des Vorstands stünde. Im Ergebnis ist daher eine nachträgliche Veröffentlichungspflicht analog § 27 Abs. 2 zu bejahen, die auf dieselbe Weise zu erfolgen hat, auf die auch die Stellungnahme des Vorstands veröffentlicht wurde. Zu der hiermit verbundenen „gespaltenen Auslegung“ siehe unten Rz. 138.
D. Verfahrensvorschriften (§ 27 Abs. 3) I. Veröffentlichung (§ 27 Abs. 3 Satz 1) 124 § 27 Abs. 3 Satz 1 verpflichtet den Vorstand und den Aufsichtsrat zur unverzüglichen Veröffentlichung ihrer Stellungnahme zu dem Angebot und zu dessen Änderungen. Für den Vorstand beginnt die Frist mit der Übermittlung der Angebotsunterlage an ihn durch den Bieter gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1. Eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung zur Übermittlung an den Aufsichtsrat fehlt. Aus § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG, der eine unverzüglich zu erfüllende1 Berichtspflicht aus wichtigem Anlass vorsieht, lässt sich jedoch eine Übermittlungspflicht des Vorstands an den Aufsichtsratsvorsitzenden ableiten2, dem seinerseits die Übermittlung an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder obliegt. 125 Die Stellungnahmen des Vorstands und Aufsichtsrats sind „unverzüglich“, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), gerechnet ab Übermittlung der Angebotsunterlage durch den Bieter, zu veröffentlichen. Die allgemein angenommene Regelobergrenze von zwei Wochen3 erscheint hier angemessen4 und wird auch von der Rechtsprechung herangezogen5. In seltenen Fällen und bei Vorliegen ganz besonderer Umstände und Erschwernisse kann jedoch auch eine Stellungnahme nach Ablauf von zwei Wochen noch unverzüglich sein6. In Betracht kommen hier etwa besonders komple-
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lungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 126 ff.; widersprüchlich Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 36. Vgl. nur Hüffer, § 90 AktG Rz. 9; Spindler in MünchKomm. AktG, § 90 Rz. 28 f. Abw. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67, der eine Übermittlungspflicht aus einer erweiterten Auslegung des § 14 Abs. 4 Satz 2 herleitet. Vgl. Heinrichs in Palandt, § 121 BGB Rz. 3. Krause, NJW 2002, 705, 711; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 421; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 77; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67; Harbarth, ZIP 2004, 3, 6; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 121; Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 105; a.A. Seibt, DB 2002, 529, 534; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38 (Mindestfrist von zwei Wochen); Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 40 (Differenzierung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat). OLG Frankfurt a.M. v. 8.12.2005 – WpÜG-OWi 1/05, ZIP 2006, 428, 429 = AG 2006, 207 (im entschiedenen Fall Veröffentlichung nach 16 Tagen nicht mehr unverzüglich). OLG Frankfurt a.M. v. 8.12.2005 – WpÜG-OWi 1/05, ZIP 2006, 428, 429 = AG 2006, 207, 208; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 362, hält maximal eine Frist von drei Wochen für vertretbar.
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xe Sachverhalte oder die Notwendigkeit zur Einschaltung externen Sachverstands (hierzu oben Rz. 49)1. Umgekehrt kann das für das gesamte Übernahmeverfahren geltende Beschleunigungsgebot des § 3 Abs. 4 bei einfach gelagerten Sachverhalten auch dazu führen, dass nur die Veröffentlichung binnen einer kürzeren Zeitspanne noch unverzüglich ist, denn ausschlaggebend sind die Umstände des Einzelfalls2. In jedem Fall müssen die Stellungnahmen so rechtzeitig vor Ablauf der Annahmefrist veröffentlicht werden, dass die Angebotsadressaten diese noch in angemessener Zeit in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen können3. Insoweit besteht eine gewisse Wechselwirkung mit der Dauer der Annahmefrist4. Dabei gilt auch für den Aufsichtsrat, dass die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung der Stellungnahme mit der Übermittlung der Angebotsunterlage durch den Bieter an den Vorstand der Zielgesellschaft gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 beginnt. Auf die Weiterleitung durch den Vorstand an den Aufsichtsrat kommt es nicht an; eine zögerliche interne Weiterleitung vermag den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft nicht zu entlasten5, zumal hier Beweisschwierigkeiten zu befürchten sind. Auf die Grundlage der Übermittlungspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat im Aktien- (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AktG) oder Kapitalmarktrecht (§ 14 Abs. 4 Satz 2 analog) kommt es dabei spätestens seit der Umsetzung der Übernahmerichtlinie ins nationale Recht nicht mehr an. Denn § 10 sieht nun die Veröffentlichung der Angebotsunterlage im Internet vor. Sie kann und wird in der Praxis vom Bieter häufig elektronisch an die Zielgesellschaft übermittelt. Damit ist eine gleichtägige Weiterleitung durch den Vorstand an den Aufsichtsrat unproblematisch möglich. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs6 und der herrschenden Auffassung7 126 kann die Stellungnahme auch gleichzeitig mit der Angebotsunterlage veröffentlicht werden. Dies ist insbesondere bei freundlichen Übernahmen denkbar, wenn Verhandlungen zwischen dem Bieter und der Zielgesellschaft vorausgegangen sind. Eine Verkürzung des Rechts des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer auf Beifügung ihrer Stellungnahme nach § 27 Abs. 2 ist hiermit nicht verbunden, da den Vorstand in diesem Fall eine nachträgliche Veröffentlichungspflicht trifft (siehe oben Rz. 123). Allerdings ist nach der Praxis der BaFin und einer in der Literatur vertretenen Auffassung8 eine nicht nur zeitgleiche, sondern gemeinsame Veröffentlichung der Stellungnahme mit der Angebotsunterlage in einem Dokument unzulässig. Für diese Auffassung spricht, dass hier aus Sicht der Angebotsadressaten Bieter und Zielgesellschaft kaum mehr als unterschiedliche Beteiligte wahrgenommen werden und eine allzu starke Beeinflussung im Hinblick auf eine Annahme des Angebots die Folge sein kann.
1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 8.12.2005 – WpÜG-OWi 1/05, ZIP 2006, 428, 429 = AG 2006, 207, 208. 3 Grobys/Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 43; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67. 4 Vgl. Krause, NJW 2004, 3681, 3683. 5 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 67; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 121; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 77; differenzierend zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 27 Rz. 38, 40. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 7 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 62; Schwennicke/Grobys in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 44; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 27; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 122; Rasner, Pflichten der Zielgesellschaft, S. 363 f. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 24; Seydel in KölnKomm. WpÜG, § 11 Rz. 80; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 120.
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127 Die Form der Veröffentlichung der Stellungnahmen richtet sich nach den Vorgaben des § 14 Abs. 3 Satz 1 (Internetpublizität sowie Bundesanzeiger oder Schalterpublizität, näher § 14 Rz. 34 ff., 37 ff.); sie ist identisch mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage durch den Bieter. Im Gegensatz zur Angebotsunterlage (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2) ist allerdings nicht vor der Veröffentlichung mitzuteilen, unter welcher Internetadresse die Veröffentlichung erfolgt. Im Hinblick auf das Transparenzgebot des § 3 Abs. 2 spricht daher viel dafür, dass die Veröffentlichung grundsätzlich auf der Homepage der Zielgesellschaft zu erfolgen oder diese zumindest auf die Fundstelle zu verweisen hat1.
II. Übermittlung an Betriebsrat oder Arbeitnehmer (§ 27 Abs. 3 Satz 2) 128 § 27 Abs. 3 Satz 2 verpflichtet den Vorstand und den Aufsichtsrat, ihre Stellungnahmen gleichzeitig mit der Veröffentlichung dem zuständigen Betriebsrat oder, sofern ein solcher nicht besteht, unmittelbar den Arbeitnehmern zuzuleiten2. Vergleichbare Unterrichtungs- bzw. Übermittlungspflichten des Vorstands gegenüber der Arbeitnehmerschaft bestehen im Hinblick auf die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 5 Satz 2) und die Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 4 Satz 2); die dortigen Ausführungen gelten hier entsprechend (siehe § 10 Rz. 74 ff., § 14 Rz. 49). 129 Zu übermitteln ist jeweils die vollständige Stellungnahme, nicht nur der Teil, der Bezüge zur Arbeitnehmerschaft aufweist3. 130 Im Falle einer gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand bzw. Aufsichtsrat und Arbeitnehmerschaft entfällt eine Übermittlungspflicht, da hiermit für die Arbeitnehmerseite kein Informationsgewinn verbunden wäre4. 131 Gleichzeitig erfolgt eine Zuleitung dann, wenn sie durch zwei unmittelbar aufeinander folgende Geschäftshandlungen erfolgt; wann der Erfolg eintritt, ist unerheblich5.
III. Mitteilung der Veröffentlichung an die BaFin (§ 27 Abs. 3 Satz 3) 132 § 27 Abs. 3 Satz 3 verpflichtet den Vorstand und Aufsichtsrat, unverzüglich der BaFin die Veröffentlichung der Stellungnahmen gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (Bundesanzeiger oder Schalterpublizität) mitzuteilen; eine Mitteilungspflicht über die Veröffentlichung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (Internetpublizität) besteht nicht. Eine Mitteilung innerhalb von 3 Tagen nach Veröffentlichung ist noch rechtzeitig, eine Mitteilung eine Woche nach Veröffentlichung dagegen nicht6. 1 Vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 71; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 119. 2 Zum Verhältnis dieser Unterrichtungspflicht zu den betriebsverfassungsrechtlichen Unterrichtungspflichten siehe Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 127 ff. 3 Seibt, DB 2002, 529, 535; Grobys/Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 45; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 74; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 125. 4 Grobys/Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 46; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 74; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 128. 5 Grobys/Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 45; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 39. 6 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 22.4.2003 – WpÜG-OWi 3/02, ZIP 2003, 2117 und BaFin, Jahresbericht 2004, S. 204; beide zur früheren Fassung des § 27 Abs. 3 Satz 3, nach der ein Nachweis über die Veröffentlichung statt der Mitteilung der Veröffentlichung erforderlich war.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Die Mitteilungspflicht umfasst auch die beizufügende Stellungnahme des Betriebs- 133 rats oder der Arbeitnehmer. Bejaht man – wie hier (siehe oben Rz. 123) – eine Verpflichtung zur nachträglichen Veröffentlichung der Stellungnahme analog § 27 Abs. 2, erstreckt sich die Mitteilungspflicht analog § 27 Abs. 3 auch auf diese Veröffentlichung1.
E. Rechtsfolgen I. Anordnung der BaFin Verstoßen Vorstand oder Aufsichtsrat der Zielgesellschaft gegen § 27, kommen Anordnungen der BaFin zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 in Betracht.
134
II. Ordnungswidrigkeiten Verstöße gegen § 27 bilden in der Praxis der BaFin einen Schwerpunkt bei den Bußgeldverfahren. Nimmt der Vorstand oder Aufsichtsrat entgegen § 27 Abs. 3 Satz 1 vorsätzlich oder leichtfertig die Veröffentlichung der Stellungnahme nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vor, verwirklicht er eine Ordnungswidrigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), die mit Geldbuße bis zu 500 000 Euro geahndet werden kann (§ 60 Abs. 3)2. Hiervon müsste auch der Fall umfasst sein, dass der Vorstand die rechtzeitig eingegangene Stellungnahme der Arbeitnehmerseite der Veröffentlichung nicht beifügt, weil auch die nicht vollständige Veröffentlichung ordnungswidrig ist3.
135
Nimmt der Vorstand bzw. Aufsichtsrat entgegen § 27 Abs. 3 Satz 2 vorsätzlich oder leichtfertig die Übermittlung der Stellungnahme an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vor, handelt er ordnungswidrig (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. c)4; dies ist mit Geldbuße bis zu 200 000 Euro belegt (§ 60 Abs. 3).
136
Teilt der Vorstand bzw. Aufsichtsrat entgegen § 27 Abs. 3 Satz 3 vorsätzlich oder 137 leichtfertig der BaFin die Veröffentlichung der Stellungnahme nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig mit, ist dies eine Ordnungswidrigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 5), die mit Geldbuße bis zu 200 000 Euro geahndet werden kann. Verstöße gegen Pflichten, die aus der analogen Anwendung des § 27 hergeleitet wer- 138 den, können wegen des strafrechtlichen Analogieverbots nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dies gilt namentlich für die Pflicht zur Aktualisierung der Stellungnahme (siehe oben Rz. 95 ff.) und die Verpflichtung zur nachträglichen Ver-
1 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 78; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 129. 2 A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 44 (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Geldbuße bis 200 000 Euro). Wie hier Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 72; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 131. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 72; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 43; a.A. Seibt, DB 2002, 529, 535 f. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 76; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 27 Rz. 45.
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§ 27
Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
öffentlichung der Stellungnahme der Arbeitnehmerseite (siehe oben Rz. 123). Das Analogieverbot zwingt somit zu einer – aus dem WpHG bekannten, dort aber umstrittenen – „gespaltenen Auslegung“1 (siehe dazu bereits Rz. 98).
III. Haftung für fehlerhafte Stellungnahmen 139 Anders als in § 12 für die Angebotsunterlage ist in § 27 nicht geregelt, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Haftung für die Verletzung der Stellungnahmepflicht in Betracht kommt2. 1. Ansprüche gegen den Vorstand der Zielgesellschaft 140 Als Gläubiger von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand der Zielgesellschaft kommen die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft, die Zielgesellschaft selbst sowie der Bieter, nicht jedoch der Betriebsrat oder einzelne Arbeitnehmer in Frage, da letztere nicht Adressaten der Stellungnahme sind3. a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft aa) Vertragliche Ansprüche 141 Ansprüche der Wertpapierinhaber gegen Mitglieder des Vorstands nach vertragsrechtlichen Grundsätzen können nur dann bestehen, wenn Vorstandspflichten verletzt werden, die Schutzwirkung zugunsten der Aktionäre entfalten. Eine solche Schutzwirkung wird von der herrschenden Auffassung verneint4. bb) Ansprüche aus vorvertraglichem Schuldverhältnis 142 Schadensersatzansprüche aufgrund vorvertraglichen Schuldverhältnisses (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, 3 BGB) setzen die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens voraus5. Ein solcher Vertrauenstatbestand ist hier nicht gegeben, weil sich die Stellungnahme nicht an bestimmte Wertpapierinhaber, sondern an den Kapitalmarkt allgemein bzw. an die Wertpapierinhaber als Personengruppe richtet6. cc) Ansprüche aus analoger Anwendung des § 12 143 Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde im Schrifttum diskutiert, den Vorstand für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme nach den Grundsätzen der spezial-
1 Dafür Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 9 ff.; Wagner in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 823 Rz. 330 m.w.N.; dagegen Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, Einl. Rz. 55. 2 Für einen im WpÜG normierten Haftungstatbestand für fehlerhafte Stellungnahmen de lege ferenda: Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 183 ff. 3 So auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 430; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 133 (aber ohne Begründung). 4 Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 205; Zöllner, ZGR 1988, 392, 408 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 134; zur GmbH Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 213; a.A. Baums, 63. DJT, S. 232 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1080 (zur GmbH); Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 169 ff. 5 Müller in Bad Homburger Hdb., D 29; Friedl, NZG 2004, 448, 452. 6 Friedl, NZG 2004, 448, 452; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 173 ff. (der auch bezweifelt, dass die Organe mit der Stellungnahme überhaupt den Vertragsschluss beeinflussen).
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gesetzlichen Prospekthaftung haften zu lassen1. Die Haftung für die fehlerhafte Stellungnahme ist im Gesetz jedoch nicht ausdrücklich geregelt worden. Daher stellt sich die Frage, ob eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch analoge Anwendung des § 12 oder der Grundsätze der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gefüllt werden kann. Das Bestehen einer solchen Regelungslücke ist zu verneinen2. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der o.g. Diskussion einen Haftungstatbestand nur für die Fehlerhaftigkeit der Angebotsunterlage, nicht aber für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme eingeführt. dd) Ansprüche aus allgemeiner zivilrechtlicher Prospekthaftung In der Literatur wird die Haftung des Vorstands (bzw. Aufsichtsrats) nach den Grund- 144 sätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung erwogen3. Da die Literatur jede marktbezogene, an eine bestimmte Zahl von Personen gerichtete schriftliche Erklärung, die für die Beurteilung der fraglichen Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Eindruck eines solchen Inhalts erwecken soll, als Prospekt ansieht4, erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, die Grundsätze der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung zur Anwendung zu bringen. De lege lata sind Ansprüche, die sich auf die Grundsätze der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung stützen, allerdings abzulehnen. Anders als ein Prospekt, der über ein vom Prospektersteller (oder einer ihm zuzurechnenden Person) vertriebenes Produkt informieren und dessen Absatz fördern soll5, wird die Stellungnahme gemäß § 27 nicht von Personen abgegeben, die sich in einer Verkaufs- bzw. Werbesituation befinden6. Anders als der Prospekt ist die Stellungnahme auch nicht die einzige bzw. wichtigste Informationsquelle, die dem Anleger zur Beurteilung der Chancen und Risiken zur Verfügung steht. Mithin sind wesentliche, für die Herausbildung der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung entscheidende Gesichtspunkte7 nicht gegeben. Schließlich spricht gegen die Haftung aus allgemeiner zivilrechtlicher Prospekthaftung, dass der Gesetzgeber bewusst keine Haftung für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme vorgesehen hat und man diese gesetzgeberische Entscheidung
1 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1363, 1399; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 246 f.; Seibt, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 337, 360; siehe auch Becker, ZHR 165 (2001), 280, 284 f.; bereits lange zuvor Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 98 f. 2 Friedl, NZG 2004, 448, 452 f.; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 135; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 180 f.; so jetzt auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 34; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 167 f.; zweifelnd Hopt, ZGR 2002, 333, 355 f.; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 27; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 179. 3 Befürwortend Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 431; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 86; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 99; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 182 ff., 198 f.; Schwark in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 35. 4 Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 67; Siol in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 45 Rz. 47 ff.; siehe auch Hopt in Baumbach/Hopt, Anh. § 177a HGB Rz. 59; vgl. auch Schwark in Schwark/Zimmer, §§ 44, 45 BörsG Rz. 16. 5 Hopt in Festgabe 50 Jahre BGH, Bd. II, 2000, S. 497, 525, 527; Berg/Stöcker, WM 2002, 1569, 1581; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 139; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 78; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 172. 6 Friedl, NZG 2004, 448, 453; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 139; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 55; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 172. 7 Hierzu BGH v. 26.9.1991 – VII ZR 376/89, BGHZ 115, 213, 218; Assmann in Assmann/ Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 66 ff.
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durch die Bejahung eines Prospekthaftungsanspruchs konterkarieren würde1. Wenn man eine Verantwortlichkeit nach Prospekthaftungsgrundsätzen annehmen wollte, läge zudem ein Wertungswiderspruch darin, dass der Bieter gemäß § 12 für fehlerhafte Angaben nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haftet, die Organe der Zielgesellschaft nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung aber auch für leichte Fahrlässigkeit haften müssten. ee) Ansprüche aus § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG (i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG) 146 Mitglieder des Vorstands der Zielgesellschaft können den Aktionären unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein2. Diese Vorschrift will die Integrität des Verwaltungshandelns sichern und dadurch das Vermögen der Aktionäre schützen3. Ansprüche hieraus kommen etwa in Betracht, wenn der Bieter oder Mitglieder des Vorstands der Zielgesellschaft andere Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder zur Abgabe einer fehlerhaften Stellungnahme bestimmen. Die Ersatzpflicht kann auch dann bestehen, wenn die Stellungnahme überhaupt nicht bzw. verspätet abgegeben wird4. Die Haftung des bestimmenden Vorstandsmitglieds setzt Vorsatz voraus (§ 117 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die nicht bestimmenden Vorstandsmitglieder haften gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG dann, wenn sie unter Verletzung ihrer Pflichten gehandelt haben, also insbesondere auch dann, wenn sie fahrlässig dem bestimmenden Einfluss anderer Vorstandsmitglieder oder Dritter, die vorsätzlich handeln, nachgeben, deswegen eine fehlerhafte Stellungnahme des Vorstandes abgegeben wird und hierdurch die Aktionäre der Zielgesellschaft geschädigt werden5. 147 Beim Aktionär entstehende Schäden wegen der Wertminderung seiner Aktien („Reflexschäden“) sind nicht ersatzfähig; vielmehr muss der Aktionär einen Schaden in seiner eigenen Vermögenssphäre erlitten haben. Dies kommt etwa in Betracht, wenn er seine Aktien infolge einer fehlerhaften Stellungnahme verkauft6. Wenn er das Angebot infolge einer fehlerhaften Stellungnahme nicht annimmt und die Aktien später einer Wertminderung erfahren, liegt hierin ein nicht ersatzfähiger „Reflexschaden“7. 148 Die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 Satz 3 bzw. § 117 Abs. 5 AktG vorliegen und eine Schadensersatzpflicht ausgeschlossen ist, dürften in der Praxis selten sein. ff) Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB 149 Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung der Mitgliedschaft der Aktionäre der Zielgesellschaft sind abzulehnen. Nach herrschender Auffassung genießt die Mitgliedschaft zwar als absolutes Recht i.S.d. § 823
1 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 139; gegen eine Prospekthaftung auch Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 241 ff. 2 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 104 (Fn. 547); Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 52; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 93; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 152; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 196 ff. (für Aufstockungs- und Pflichtangebote). 3 Statt aller Hüffer, § 117 AktG Rz. 1. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 153; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 176. 5 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 152; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 176. 6 Friedl, NZG 2004, 448, 450; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 177. 7 Friedl, NZG 2004, 448, 450.
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Abs. 1 BGB deliktsrechtlichen Schutz1; wie weit dieser Schutz reicht, ist jedoch umstritten2. Wenngleich einzelne Stimmen erwägen, die durch eine fehlerhafte Stellungnahme verursachte Veräußerung der Aktien als Verletzung des Mitgliedschaftsrechts zu werten3, dürfte die Entscheidung des Gesetzgebers, für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme keine zivilrechtliche Haftung vorzusehen, Sperrwirkung gegenüber Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB entfalten4. gg) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz Die Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB setzt ein Schutzgesetz – d.h. ein Gesetz, das 150 nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht ausschließlich den Schutz der Allgemeinheit, sondern den Schutz eines Einzelnen oder eines bestimmten Personenkreises bezweckt – voraus5. Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 27 lässt einen gesetzgeberischen Willen, der auf einen Schutzgesetzcharakter hindeutet, nicht erkennen: Die Erläuterung, dass die Stellungnahme der Information der Wertpapierinhaber über die Beurteilung des Angebots durch den Vorstand diene6, verdeutlicht das Interesse der Allgemeinheit an der geordneten Abwicklung von Wertpapiererwerbsangeboten und hat damit den kapitalmarktrechtlichen Funktionenschutz im Visier7. Auch die Ausführung, der Vorstand komme durch die Stellungnahme zugleich seiner gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung zur sachgerechten Wahrnehmung der in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen nach, deren Träger neben den Aktionären die Arbeitnehmer und das Gemeinwohl seien8, war nicht als Hinweis auf einen möglichen Schutzgesetzcharakter des § 27 gedacht. Vom Schutz des Vermögens der Wertpapierinhaber ist nicht die Rede. Wenn man aber – entgegen der oben Rz. 19 vertretenen Auffassung – § 27 (auch) gesellschaftsrechtlich verortet, wäre die Berücksichtigung der Interessen der Wertpapierinhaber in der Stellungnahme in ihrem Kernbereich nichts anderes als die Konkretisierung von Pflichten, die der Vorstand auf aktienrechtlicher Grundlage schuldet9. Weil jedoch § 93 AktG nach allgemeiner Meinung kein Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre ist10, begründet die Verletzung dieser Pflichten auch nach dieser Auffassung keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB11. Aus der Bedeutung der Stellungnahme des Vorstands für die Entscheidungsfindung 151 der Wertpapierinhaber lässt sich die Schutzgesetzqualität des § 27 ebenfalls nicht ab-
1 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rz. 210 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 117 ff., 142 f., 144, 297 ff. m.w.N.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 470 m.w.N. 2 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 471 ff. 3 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 140 m.w.N.; a.A. Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 163 f. 4 Ebenso für den Fall der Fahrlässigkeit Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 140; zur Sperrwirkung allgemein Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 202 ff.; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 80; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 177 (keine Sperrwirkung). 5 Statt aller Spickhoff in Soergel, 13. Aufl. 2005, § 823 BGB Rz. 186 ff.; Wagner in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 823 Rz. 346 ff. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 7 Friedl, NZG 2004, 448, 450; so auch Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 143; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 179; a.A. Weishaupt, Schadensersatzansprüche der Wertpapierinhaber, S. 147. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 9 Hierzu Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122 ff. 10 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 469 m.w.N. 11 Zutreffend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 143.
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leiten1. Das Fehlen einer § 15 Abs. 6 WpHG a.F. entsprechenden Regelung kann den Schutzgesetzcharakter gemäß § 27 ebenfalls nicht begründen2, da § 15 WpHG nach dem Willen des Gesetzgebers nicht als drittschützende Vorschrift konzipiert war3. An dieser Konzeption des § 15 WpHG haben auch die durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz eingeführten spezialgesetzlichen Schadensersatzpflichten der §§ 37b, 37c WpHG nichts geändert4. Auf die Stellungnahme gemäß § 27 sind diese Vorschriften ohnehin nicht anwendbar5. Gegen den Schutzgesetzcharakter des § 27 spricht schließlich auch die Entscheidung des Gesetzgebers, für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme keine § 12 vergleichbare Haftungsvorschrift vorzusehen; würde man § 27 als Schutzgesetz begreifen, würde diese Entscheidung in ihr Gegenteil verkehrt6. 152 Hiernach kommen Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB wegen fehlerhafter Stellungnahme nur dann in Betracht, wenn andere Schutzgesetze verletzt worden sind7. Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG scheiden nach zutreffender Auffassung aus. Die Stellungnahme gemäß § 27 ist nämlich keine Darstellung i.S.d. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, da sie keinen umfassenden Bericht über den Vermögensstand der Gesellschaft zu geben hat8. Zu den möglichen Schutzgesetzen zählen auch §§ 263, 266 StGB. Sie sanktionieren aber nur vorsätzliches Verhalten. hh) Ansprüche aus § 826 BGB 153 Die fehlerhafte Stellungnahme kann Schadensersatzansprüche gemäß § 826 BGB auslösen, wenn der Vorstand den Wertpapierinhabern dadurch vorsätzlich und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zufügt. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Wertpapierinhaber durch eine bewusst unrichtige Stellungnahme getäuscht und zu einer unzutreffenden Beurteilung des Angebots veranlasst werden9. Nach der ratio legis steht einem Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB nicht entgegen, dass der Gesetzgeber von einer § 12 entsprechenden Haftungsvor-
1 Zutreffend Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 144. 2 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 145; a.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 92; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 169. 3 Stellungnahme des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum 2. Finanzmarktförderungsgesetz, BT-Drucks. 12/7918, S. 102. 4 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 15 WpHG Rz. 28; Edelmann, BB 2004, 2031. 5 Hopt, ZHR 266 (2002), 383, 431; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 145. 6 So auch Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 146; Fortmann, Stellungnahme von Vorständen und Aufsichtsräten, S. 227 ff.; im Ergebnis ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 51; Müller in Bad Homburger Hdb., D 29; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 177; Friedl, NZG 2004, 448, 450; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 178 ff.; a.A. Seibt in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 337, 359 f.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 27 WpÜG Rz. 34; Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 165 ff., 169; Weishaupt, Schadensersatzansprüche der Wertpapierinhaber, S. 140, 147, ausführlich zu einer Unterscheidung von der Haftung nach § 12 WpÜG S. 188 ff. 7 Näher Friedl, NZG 2004, 448, 451 f. 8 Friedl, NZG 2004, 448, 451 f. (anders aber auf S. 453); differenzierend Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 169 f. 9 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 53; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 148; eingehend zur Haftung aus § 826 BGB Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 171 ff. Zur Haftung für bewusst falsche Ad hoc-Mitteilungen gemäß § 826 BGB vgl. BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, NJW 2004, 2664; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 402/02, BB 2004, 1816.
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schrift für die Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme abgesehen hat1. Auch § 117 AktG entfaltet keine Sperrwirkung2. Schadensersatzansprüche gemäß § 826 BGB setzen die Unrichtigkeit oder die Un- 154 vollständigkeit der Stellungnahme3 in Bezug auf erhebliche Umstände4 voraus. Umstände sind dann erheblich, wenn ein verständiger Wertpapierinhaber sie bei seiner Entscheidung berücksichtigen würde5. Umstände, die die Angemessenheit der Gegenleistung betreffen, dürften regelmäßig erheblich sein6. Unvollständigkeit ist gegeben, wenn die Angaben fehlen, die für die Entscheidung eines durchschnittlichen Wertpapierinhabers über die Annahme oder Ablehnung des Angebots erheblich sind7. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Vorstand in der Stellungnahme die ihm vom Bieter im Hinblick auf die Empfehlung des Angebots gewährten Vorteile nicht offenlegt8, in der Stellungnahme enthaltene Prognosen zu günstig oder zu ungünstig sind9 oder Werturteile nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen10 oder kaufmännisch nicht vertretbar sind11. Der Schaden des Wertpapierinhabers kann darin bestehen, dass er seine Aktien auf Grund der fehlerhaften Stellungnahme unter Wert veräußert oder ein angemessenes Angebot nicht annimmt12. b) Ansprüche der Zielgesellschaft Ansprüche der Zielgesellschaft gegen den Vorstand, der seine Stellungnahmepflicht 155 gemäß § 27 verletzt, kommen unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG in Betracht. Insoweit ist allerdings nur ein eigener Schaden der Gesellschaft ersatzfähig, nicht jedoch der Schaden, der den Aktionären auf Grund der auf der fehlerhaften Stellungnahme beruhenden Annahme oder Ablehnung des Angebots entstanden ist13. Der Schaden der Gesellschaft kann etwa darin bestehen, dass Wertpapierinhaber erfolgreich Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft geltend machen oder, soweit dies nachzuweisen ist, Synergieeffekte auf Grund des Scheiterns der Übernahme ausbleiben.
1 Im Ergebnis ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 149. 2 Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 480; Friedl, NZG 2004, 448, 452; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 180 (Fn. 105). 3 Vgl. § 12 Abs. 1 WpÜG, § 21 Abs. 1 WpPG; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 53; Friedl, NZG 2004, 448; zur Prospekthaftung Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 81 ff., 135. 4 Vgl. § 12 Abs. 1 WpÜG, § 246a StGB; ähnlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 53; Friedl, NZG 2004, 448; zur Prospekthaftung Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 81 ff., 135. 5 Vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG; zur Prospekthaftung vgl. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 87; Schwark in Schwark/Zimmer, §§ 44, 45 BörsG Rz. 18. 6 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 150. 7 Zur Prospekthaftung vgl. Assmann in Assmann/Schütze, Kapitalanlagerecht, § 6 Rz. 88 ff. 8 Friedl, NZG 2004, 448; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 150. 9 Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 263; Friedl, NZG 2004, 448. 10 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1381; Ebke in FS Hommelhoff, 2012, S. 161, 180 f. 11 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 27 Rz. 68; Friedl, NZG 2004, 448 f. 12 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 104 (Fn. 547); Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 91; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 151. 13 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 83; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 182; Friedl, NZG 2004, 448, 449; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 154.
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c) Ansprüche des Bieters 156 Ansprüche des Bieters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz scheiden aus, weil weder § 271, § 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) WpÜG noch § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG2 oder – mangels Vermögensbetreuungspflicht des Vorstands gegenüber dem Bieter – § 266 StGB Schutzgesetze zu Gunsten des Bieters darstellen. Allenfalls § 263 StGB könnte als Schutzgesetz in Betracht kommen. 157 Ansprüche des Bieters können sich allerdings auf § 826 BGB stützen, wenn die Mitglieder des Vorstands dem Bieter vorsätzlich und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einen Schaden zufügen3. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Vorstand die Wertpapierinhaber durch eine bewusst unrichtige Stellungnahme in die Irre führt und sie so zu einer unzutreffenden Beurteilung des Angebots verleitet. 158 Der Bieter, dem deswegen ein Schaden entsteht, weil die Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft das Angebot auf Grund einer fehlerhaften Stellungnahme nicht annehmen, kann sich nicht deswegen auf die zu Gunsten der Aktionäre bestehenden Anspruchsgrundlagen stützten, weil er selbst Aktionär der Zielgesellschaft ist4. Der Schaden resultiert nämlich aus seiner Stellung als Bieter, nicht aus seiner Stellung als Aktionär. 2. Ansprüche gegen den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft 159 Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gegen den Aufsichtsrat können auf der Grundlage der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB oder § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, des § 826 BGB oder des § 117 Abs. 1 AktG bestehen5. Die Ausführungen zu den Ansprüchen gegen den Vorstand der Zielgesellschaft gelten entsprechend (siehe oben Rz. 141 ff.). b) Ansprüche der Zielgesellschaft 160 Ansprüche der Zielgesellschaft gegen Mitglieder des Aufsichtsrats kommen auf der Grundlage des § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG in Betracht, wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – die Stellungnahmepflicht als spezielle Ausprägung der aktienrechtlichen Berichts- und Rechenschaftspflicht des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) ansieht (hierzu oben Rz. 19). Im Übrigen kann auf die für den Vorstand herausgearbeiteten Grundsätze verwiesen werden (siehe oben Rz. 155).
1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 94 (jedenfalls die Schutzgesetzeigenschaft gegenüber dem Bieter verneinend); Friedl, NZG 2004, 448, 453; Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 155. 2 A.A. Friedl, NZG 2004, 448, 453. Die Stellungnahme gemäß § 27 ist jedoch keine Darstellung i.S.d. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG (siehe oben Rz. 152). 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 27 Rz. 94; Friedl, NZG 2004, 448, 453; Harbarth in Baums/ Thoma, § 27 Rz. 156. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 157. 5 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 158; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 58 (nur § 826 BGB); wiederum a.A. Weishaupt, Schadensersatzansprüche der Wertpapierinhaber, S. 166 (auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27).
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c) Ansprüche des Bieters Ansprüche des Bieters sind auf der Grundlage des § 826 BGB denkbar. Auch insoweit kann auf die Ausführungen zur Haftung des Vorstands verwiesen werden (siehe oben Rz. 156 ff.).
161
3. Ansprüche gegen die Zielgesellschaft Wenn deliktische Schadensersatzansprüche gegen Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmit- 162 glieder bestehen, stellt sich die Frage, ob die Zielgesellschaft hierfür analog § 31 BGB haftet. Gegen diese Haftung könnte sprechen, dass die Verpflichtung aus § 27 nicht die Zielgesellschaft, sondern deren Organe trifft. Weil jedoch die Stellungnahme des Vorstands bzw. Aufsichtsrats von den Wertpapierinhabern als Stellungnahme der Zielgesellschaft und Vorstand bzw. Aufsichtsrat als Organe der Zielgesellschaft wahrgenommen werden, ist eine Haftung der Zielgesellschaft analog § 31 BGB zu bejahen1. Soweit Ansprüche der Aktionäre in Rede stehen, ist problematisch, dass mit der Leistung von Schadensersatz an einzelne Gesellschafter gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 57 AktG verstoßen werden könnte. Ob und inwieweit Schadensersatzansprüche bestehen, hängt davon ab, ob und in welchem Umfang diese Schadensersatzansprüche Vorrang vor den Kapitalerhaltungsvorschriften genießen2. 4. Ansprüche gegen den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft a) Ansprüche der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft Ansprüche gegen den Betriebsrat sind nicht gegeben, weil er nur eine betriebsverfas- 163 sungsrechtliche Rechtsfähigkeit besitzt3. Jedoch können deliktische Schadensersatzansprüche gegen einzelne Betriebsratsmitglieder bestehen. Da der Betriebsrat – anders als der Vorstand und der Aufsichtsrat – nicht zur Stellungnahme verpflichtet ist, kommt eine Haftung wegen unterbliebener oder verspäteter Stellungnahme nicht in Betracht4. Gibt der Betriebsrat hingegen eine Stellungnahme ab, können Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz, gemäß § 826 BGB wegen der Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme oder gemäß § 117 AktG bestehen, weil auch die fehlerhafte Stellungnahme des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer einen Schaden der Wertpapierinhaber verursachen kann5. b) Ansprüche der Zielgesellschaft Ansprüche der Zielgesellschaft gegen Mitglieder des Betriebsrats bzw. Arbeitnehmer der Zielgesellschaft können gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem
1 Zur Anwendbarkeit des § 31 BGB bei Ansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder vgl. Hadding in Soergel, 13. Aufl. 1999, § 31 BGB Rz. 11; Weick in Staudinger, Neubearb. 2005, § 31 BGB Rz. 38. 2 Zu diesem Problem Möllers in KölnKomm. WpÜG, § 12 Rz. 94 ff.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169. 3 Fitting u.a., BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 1 Rz. 195 ff., 209 m.w.N.; Hess in Hess/Schlochauer/ Worzalla/Glock/Nicolai/Rose, BetrVG, 8. Aufl. 2011, Einl. Rz. 102. 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 162. 5 Wie hier Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 162; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 27 Rz. 57 (§ 826 BGB); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 27 Rz. 27 (Haftung analog § 12); wohl auch Horstmann, Arbeitsrechtliche Maßnahmen, S. 157 f.
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Schutzgesetz oder gemäß § 826 BGB bestehen1. Ein gesetzliches Schutzverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen Betriebsratsmitglied besteht nach zutreffender herrschender Auffassung nicht2. c) Ansprüche des Bieters 165 Ansprüche des Bieters gegen den Betriebsrat bzw. Arbeitnehmer der Zielgesellschaft können nur gemäß § 826 BGB bestehen. Insoweit kann auf die Ausführungen zu Ansprüchen gegen den Vorstand und Aufsichtsrat verwiesen werden (siehe oben Rz. 156 ff., 161). 5. Haftungsausschluss? 166 Soweit man einen Anspruch nach den vorstehend erörterten Anspruchsgrundlagen annimmt, stellt sich die Frage, ob die Haftung wegen fehlerhafter oder unvollständiger Stellungnahme ausgeschlossen werden kann. Mit der Rechtsnatur der Stellungnahmepflicht als gesetzlicher Verpflichtung ist dies nicht vereinbar3. Soweit man Ansprüche gemäß § 93 AktG, §§ 116, 93 AktG oder § 117 AktG annimmt, ergibt sich dies ebenfalls aus der zwingenden Natur dieser aktienrechtlichen Vorschriften4. Für Ansprüche, die vorsätzliches Handeln voraussetzen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz bzw. § 826 BGB) folgt dies außerdem aus § 276 Abs. 3 BGB. Die mitunter in Stellungnahmen anzutreffenden Haftungsfreizeichnungsklauseln verfehlen somit ihren Zweck. Hat ein Organmitglied einer unzutreffenden Stellungnahme des Vorstands bzw. Aufsichtsrats widersprochen und ein zutreffendes Minderheitsvotum abgegeben (zur Veröffentlichungspflicht derartiger split boards siehe oben Rz. 38), entfällt seine persönliche Haftung, da ein Organmitglied nicht für einen rechtswidrigen Beschluss haftet, gegen den es sich ausgesprochen hat5.
IV. Unterlassungsansprüche 167 Unterlassungsansprüche der Wertpapierinhaber gegen rechtswidrige Maßnahmen des Vorstands bzw. Aufsichtsrats könnten, wenn überhaupt, nur nach den Grundsätzen der „Holzmüller“- bzw. „Gelatine“-Entscheidungen des BGH6 in Betracht kommen. Dies würde voraussetzen, dass durch die Verletzung der Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung in die Rechtsstellung der Aktionäre eingegriffen worden ist, also der Vorstand bzw. Aufsichtsrat seine aktienrechtlichen Kompetenzen überschritten hat7. § 27 ist jedoch keine Kompetenzvorschrift8, sondern begründet eine
1 Fitting u.a., BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 1 Rz. 214 ff.; Hess in Hess/Schlochauer/Worzalla/ Glock/Nicolai/Rose, BetrVG, 8. Aufl. 2011, Einl. Rz. 109; vgl. auch Weishaupt, Schadensersatzansprüche der Wertpapierinhaber, S. 223 (Schutzgesetzeigenschaft des § 27 Abs. 2 WpÜG zugunsten der Aktionäre ablehnend). 2 Fitting u.a., BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 1 Rz. 220 m.w.N.; Hess in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose, BetrVG, 8. Aufl. 2011, Einl. Rz. 104. 3 A.A. Friedl, NZG 2004, 448, 453 f. (aber abwegig). 4 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 165. 5 Fleischer, BB 2004, 2645, 2648; Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 97. 6 BGH v. 25.2.1985 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122, 134; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 – Gelatine, NZG 2004, 575. 7 Ebenroth/Daum, DB 1991, 1105, 1108 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 2, 17. 8 Ebenso Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 202.
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Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
kapitalmarktrechtliche Pflicht des Vorstands und des Aufsichtsrats. Unterlassungsansprüche gegen den Vorstand bzw. Aufsichtsrat sind daher nicht gegeben1.
F. Blick über die Grenze I. Vereinigtes Königreich Die Pflicht zur Stellungnahme der Zielgesellschaft bzw. deren Organen gehört inter- 168 national zum kapitalmarktrechtlichen Standard. Besonders detaillierte Regelungen enthält der britische Takeover Code. Seine Rule 25.1 verpflichtet die Geschäftsleitung (board of directors) zur Stellungnahme zu Übernahme- und Pflichtangeboten2 gegenüber den Aktionären. Nach Rules 3.1, 25.1 hat die Geschäftsleitung sachverständige unabhängige Beratung (competent independent advice) einzuholen; die wesentlichen Ergebnisse der Beratung sind den Aktionären mitzuteilen. Die Geschäftsleitung hat zu den in der Angebotsunterlage enthaltenen Aussagen 169 über die vom Bieter mit der Zielgesellschaft und deren Arbeitnehmern verfolgten Absichten Stellung zu nehmen (Rule 25.1); es besteht jedoch keine Pflicht zur Beifügung einer Stellungnahme der Arbeitnehmerseite. Die Beteiligungsverhältnisse der Zielgesellschaft (unter Berücksichtigung u.a. von Tochtergesellschaften und Pensionsfonds) und der Mitglieder ihrer Geschäftsleitung am Bieter sowie an der Zielgesellschaft selbst sind umfassend darzulegen. Auch ist der seit Beginn der Annahmefrist erfolgte Handel der Zielgesellschaft und der Mitglieder ihrer Geschäftsleitung in Wertpapieren der Zielgesellschaft und des Bieters offenzulegen. Zudem haben die Mitglieder der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft Angaben darüber zu machen, ob sie beabsichtigen, das Angebot anzunehmen (Rule 25.3). Auch muss die Stellungnahme Einzelheiten zu allen Dienstleistungsverträgen der Zielgesellschaft mit Mitgliedern der Geschäftsführung enthalten (Rule 25.4). Hinzu treten Angaben zu Abreden der Zielgesellschaft mit Dritten über Aktien und andere Wertpapiere (Rule 25.5) sowie zu wesentlichen Verträgen, die die Zielgesellschaft oder deren Tochterunternehmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverlaufs (ordinary course of business) in den letzten zwei Jahren vor dem Angebot abgeschlossen haben (Rule 25.6). Treten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Geschäftsleitung über die Beurtei- 170 lung des Angebots auf (split boards), sind die Minderheitsvoten zu veröffentlichen (Note 2 on Rule 25.1). Bestehen Interessenkonflikte bei Mitgliedern der Geschäftsleitung, müssen diese offen gelegt werden; zugleich sollen die betroffenen Mitglieder sich grundsätzlich nicht an der Abfassung der Stellungnahme beteiligen (Note 3 on Rule 25.1). Nach Rule 30.2 ist die Stellungnahme sobald wie möglich, in der Regel innerhalb 171 von 14 Tagen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage, abzugeben.
1 Harbarth in Baums/Thoma, § 27 Rz. 166; im Ergebnis a.A. Kubalek, Stellungnahme der Zielgesellschaft, S. 203 f. (Anspruch gegen Zielgesellschaft sowie deren Vorstand und Aufsichtsrat analog § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs 2 BGB, § 27 WpÜG). 2 Andere öffentliche Angebote werden vom Anwendungsbereich des Takeover Code nicht erfasst, sondern unterfallen den Rules Governing Substantial Acquisitions of Shares (SARs), die keine Stellungnahmepflicht auf Seiten der Zielgesellschaft vorsehen.
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§ 27
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II. Österreich 172 § 14 Abs. 1 Satz 1 des österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG) verpflichtet den Vorstand und den Aufsichtsrat einer Zielgesellschaft, unverzüglich nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage sog. begründete Äußerungen zu dem Angebot zu verfassen. In Anlehnung an Rule 3.1 Takeover Code besteht eine Verpflichtung der Zielgesellschaft zur Beiziehung eines unabhängigen Sachverständigen (§ 13 ÜbG). Dieser hat das Angebot sowie die Äußerungen des Vorstands und des Aufsichtsrats schriftlich zu beurteilen (§ 14 Abs. 2 ÜbG). 173 Die Stellungnahmen haben insbesondere eine Beurteilung darüber zu enthalten, ob die angebotene Gegenleistung und der sonstige Inhalt des Angebots dem Interesse aller Aktionäre (sowie sonstiger Inhaber von Beteiligungspapieren i.S.d. § 1 Nr. 4 ÜbG) angemessen Rechnung tragen. Ferner ist zu beurteilen, welche Auswirkungen das Angebot auf die Zielgesellschaft, insbesondere die Arbeitnehmer, die Gläubiger und das öffentliche Interesse aufgrund der strategischen Planung des Bieters voraussichtlich haben wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 ÜbG). Sehen sich Vorstand oder Aufsichtsrat außerstande, eine abschließende Empfehlung abzugeben, was in der Praxis häufig der Fall ist1, sind zumindest die Argumente für und gegen eine Annahme darzustellen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 ÜbG). Eine obligatorische Stellungnahme der Arbeitnehmerseite ist nicht vorgesehen; wird diese freiwillig abgegeben, hat der Vorstand diese zusammen mit seiner Äußerung zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 ÜbG). 174 Gesetzliche Regelungen zur Veröffentlichung von Minderheitsmeinungen einzelner Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder (split boards) und zur Behandlung von Interessenkonflikten fehlen. In der österreichischen Literatur wird jedoch eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Minderheitsmeinungen aus dem auch im österreichischen Recht verankerten Transparenzgebot (§ 3 Nr. 2 ÜbG) abgeleitet2. Interessenkonflikte führen nach verbreiteter Meinung im Allgemeinen zu einem Stimmrechtsausschluss der betroffenen Organmitglieder3. 175 Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben ihre Äußerungen unverzüglich zu verfassen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 ÜbG). Der Vorstand hat die Äußerungen zusammen mit einer ggf. vorliegenden Äußerung des Betriebsrats und der Beurteilung des Sachverständigen innerhalb von 10 Börsetagen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage, spätestens aber 5 Börsetage vor Ablauf der Annahmefrist, zu veröffentlichen. Vor der Veröffentlichung sind die Stellungnahmen der Übernahmekommission anzuzeigen und gleichzeitig dem Betriebsrat zu übermitteln (§ 14 Abs. 3 ÜbG).
III. Schweiz 176 Art. 29 Abs. 1 Satz 1 des schweizerischen Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel (BEHG) verpflichtet den Verwaltungsrat einer Zielgesellschaft, den Inhabern von Beteiligungspapieren einen Bericht vorzulegen, in dem er zu dem Angebot Stellung nimmt. Eine gesetzliche Verpflichtung, hierbei einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen, besteht nicht.
1 Vgl. Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, ÜbG Rz. 116. 2 Winner, Zielgesellschaft, 2002, S. 166. 3 Vgl. Kalss in MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 190 (zum Aufsichtsrat gemäß § 92 öAktG) m.w.N.
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Werbung
Die in dem Bericht des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft enthaltenen Informationen müssen wahr und vollständig sein (Art. 29 Abs. 1 Satz 2 BEHG). Weitere Anforderungen im Hinblick auf den Inhalt des Berichts ergeben sich aus Art. 30 ff. der Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote (UEV-UEK), die auf Grund der Ermächtigung in Art. 29 Abs. 3 BEHG erlassen wurde. Danach muss der Bericht alle Informationen enthalten, die notwendig sind, damit die Empfänger des Angebots ihre Entscheidung in Kenntnis der Sachlage treffen können (Art. 30 Abs. 1 UEV-UEK). Insbesondere sind – soweit dem Verwaltungsrat bekannt – die Absichten aller Aktionäre darzulegen, die mehr als 3 % der Stimmrechte besitzen (Art. 31 Abs. 1 UEV-UEK). Darüber hinaus sind bereits beschlossene und geplante Abwehrmaßnahmen in den Bericht aufzunehmen (Art. 31 Abs. 2 UEV-UEK). Der Verwaltungsrat hat das Recht, nicht aber die Pflicht, eine konkrete Handlungsempfehlung zur Annahme oder Ablehnung des Angebots abzugeben; er kann sich auch darauf beschränken, die Vor- und Nachteile des Angebots darzulegen (Art. 30 Abs. 3 UEV-UEK). In jedem Fall ist jedoch eine klare Begründung sowie die Darlegung aller wesentlichen Elemente erforderlich, die die Stellungnahme beeinflusst haben (Art. 30 Abs. 4 UEV-UEK). Sofern offensichtlich überwiegende Gesellschaftsinteressen bestehen, können einzelne Informationen im Bericht weggelassen werden (Art. 31 Abs. 3 UEV-UEK). Eine Stellungnahme der Arbeitnehmerseite ist nicht vorgesehen.
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Vorgaben zur Veröffentlichung von Minderheitsmeinungen einzelner Verwaltungs- 178 ratsmitglieder (split boards) bestehen nicht. Ausdrücklich angeordnet ist jedoch die Verpflichtung, in dem Bericht auf Interessenkonflikte von Mitgliedern des Verwaltungsrats und der obersten Geschäftsleitung hinzuweisen. Dabei ist insbesondere offen zu legen, ob Verträge oder andere Verbindungen mit dem Bieter bestehen, die Mitglieder auf Antrag des Bieters gewählt wurden oder ob sie wiedergewählt werden sollen. Ferner ist Rechenschaft darüber zu geben, welche Maßnahmen zur Vermeidung von aus Interessenkonflikten resultierenden Nachteilen für die Angebotsempfänger getroffen wurden (Art. 32 UEV-UEK). Der Bericht des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft kann bereits im Angebotsprospekt des Bieters veröffentlicht werden. Wird der Bericht nicht im Angebotsprospekt veröffentlicht, muss er spätestens am 15. Börsentag nach Veröffentlichung des Angebots landesweit bekannt gemacht werden (Art. 33 Abs. 1, 2 UEV-UEK).
§ 28 Werbung (1) Um Missständen bei der Werbung im Zusammenhang mit Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren zu begegnen, kann die Bundesanstalt bestimmte Arten der Werbung untersagen. (2) Vor allgemeinen Maßnahmen nach Absatz 1 ist der Beirat zu hören.
Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Untersagung bestimmter Arten der Werbung (§ 28 Abs. 1) . . . . . . . . .
1
I. Werbung im Zusammenhang mit Angeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
6
Assmann
783
179
§ 28
Werbung
II. Missstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
1. Begriff und Maßstäbe . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 16
III. Unterbindung des Missstands . . . . .
20
C. Anhörung des Beirats bei beabsichtigten allgemeinen Maßnahmen (§ 28 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 D. Verhältnis zum UWG und Anwendbarkeit des UWG . . . . . . . . . . . 25
Schrifttum: Harrington, Werbung bei Übernahmeangeboten, 2003; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, in FS Lutter, 2000, S. 1361; Kort, Rechte und Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei Übernahmeversuchen, in FS Lutter, 2000, S. 1421; Krause, Zur „Pool- und Frontenbildung“ im Übernahmekampf und zur Organzuständigkeit für Abwehrmaßnahmen gegen „feindliche“ Übernahmeangebote, AG 2000, 217; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Riehmer/Schröder, Der Entwurf des Übernahmegesetzes im Lichte von Vodafone/Mannesmann, NZG 2000, 820; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten, ZIP 2002, 1; Witte, Diskussionsentwurf zur Regelung von Unternehmensübernahmen: Abwehrmöglichkeiten des Vorstands der Zielgesellschaft, BB 2000, 2161. Siehe im Übrigen das Allgemeine Schrifttumsverzeichnis.
A. Einleitung 1
Nicht nur die internationale Erfahrung, sondern auch das Übernahmeverfahren Vodafone/Mannesmann1, welches noch vor Erlass des WpÜG über die Bühne gegangen ist, haben gezeigt, dass öffentliche Angebote regelmäßig von intensiven Werbemaßnahmen sowohl des Bieters wie der Zielgesellschaft begleitet werden. Im Falle Vodafone/Mannesmann nahmen die Werbekampagnen des Bieters und der Zielgesellschaft solche Formen an, dass sich die Übernahmekommission veranlasst sah, die Parteien aufzufordern, auf korrekte Information zu achten. Sicher hätte die Kommission weitergehende Maßnahmen ergriffen, hätte der Übernahmekodex dies zugelassen2.
2
Auch das für die Gewährleistung lauterer Werbung im Geschäftsverkehr maßgebliche UWG vermag in dieser Situation nur beschränkte Hilfe zu bieten: Vor der Reform des UWG durch das Gesetz vom 3.7.20043 hing seine Aktivierung im Ergebnis doch allein von der Bereitschaft des jeweiligen Bieters und der jeweiligen Zielgesellschaft4 ab, Unterlassungsansprüche wegen sittenwidriger oder irreführender Werbung nach §§ 1 (i.V.m. § 2), 3 UWG a.F. und ggf. wegen Kreditschädigung oder Verleumdung auch nach §§ 14, 15 UWG a.F. geltend zu machen5. Hinzu kam, dass sich nach den vorgenannten, auf einen anderen Wettbewerb als den um die Annahmeentscheidung der Aktionäre der Zielgesellschaft zugeschnittenen Vorschriften nur 1 2 3 4
Vgl. Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820. Vgl. Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820. BGBl. I 2004, 1414. Auch das setzte im Hinblick auf die Anwendung von §§ 1 und 3 UWG a.F. voraus, dass man die Werbung des Bieters und der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten als eine solche „im geschäftlichen Verkehr“ und „zu Zwecken des Wettbewerbs“ zu betrachten bereit war. 5 Von den übrigen, zumindest im Hinblick auf die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen wegen Verstoßes gegen §§ 1, 3 UWG a.F. nach § 13 Abs. 2 UWG a.F. Klagebefugten, kamen allenfalls die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern in Betracht, was unter und neben anderem belegt, dass das Gesetz auf die Kontrolle von Werbekampagnen nicht zugeschnitten war.
784 Assmann
§ 28
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partielle Aspekte dessen erfassen ließen, was man als einen (ein funktionsfähiges Übernahmeverfahren gefährdenden) Missstand bei der Werbung im Rahmen von Angebotsverfahren ansehen könnte. Daran hat sich auch nach der Reform des UWG, die sich in erster Linie auf eine Flurbereinigung des materiellen Unlauterkeitsrechts beschränkt1, nichts Wesentliches geändert. Das gilt insbesondere für die in §§ 8–10 UWG (und namentlich in Bezug auf Zuwiderhandlungen gegen das generalklauselartige Verbot unlauteren Wettbewerbs nach § 3 UWG in § 8 Abs. 3 UWG) beantwortete Frage, wem im Falle des Verstoßes gegen die Verbotstatbestände der §§ 3–7 UWG welche Ansprüche zustehen. Danach ist die Durchsetzung der Regeln des unlauteren Wettbewerbs – sieht man von den strafbewehrten Vorschriften in §§ 16–19 UWG ab – im Kern auch weiterhin Wettbewerbern, Wettbewerbs- und Verbraucherverbänden sowie den Industrie- und Handelskammern und den Handelskammern (siehe § 8 Abs. 3 UWG) zugewiesen. Verbraucher bzw. Anleger gehören jedenfalls nicht und Anlegerschutzverbände nicht ohne weiteres zu den Anspruchsberechtigten. Zur Anwendbarkeit des UWG siehe näher unten Rz. 25 f. Angesichts dessen ist es im Hinblick auf den mit dem WpÜG verfolgten Zweck, ein faires und geordnetes, auf die Schaffung von Transparenz ausgerichtetes Angebotsverfahren zu gewährleisten, folgerichtig, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Aufsichtsbehörde mit § 28 eine spezielle Kompetenz zur Missstandsaufsicht über Werbung im Zusammenhang mit Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren zu geben. Dementsprechend ist die Bestimmung auch als besondere Ausprägung der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 zu betrachten. Das schließt nicht aus, sondern legt es sogar nahe, bei der Missbrauchsaufsicht über Werbung auf die Vorschriften des UWG und namentlich die zu deren Konkretisierung ergangene Rechtsprechung zurückzugreifen.
3
Vorbilder der Vorschrift sind § 23 KWG und § 36b WpHG. Eine funktionale Entsprechung findet sie in § 15 WpPG und § 16 VermAnlG (früher zunächst § 8e und dann, ab Juli 2005, § 8j des zwischenzeitlich aufgehobenen VerkProspG), doch sind die Eingriffsbefugnisse der BaFin in diesen Bestimmungen, welche nur auf die Untersagung irreführender Angaben über den Umfang der Prüfung eines Verkaufsprospekts nach § 13 WpPG gerichtet sind, erheblich eingeschränkt.
4
Rechtspolitisch wäre es erwägenswert (gewesen), Werbung im Zusammenhang mit 5 Wertpapiererwerbsangeboten grundsätzlich auszuschließen und die Beteiligten auf feste Informationsformen festzulegen. Eine solche Regelung findet sich bspw. in Rule 19.4 des City Code on Takeovers and Mergers2, welche bestimmt: „The publication of advertisements connected with an offer or potential offer is prohibited unless the advertisement falls within one of the categories listed below“. Zur Vermeidung von Überregulierung, von der Art. 19.4 des City Code mit seinen zahlreichen Rückausnahmen einen Geschmack zu geben vermag, ist der im WpÜG gewählte Weg jedenfalls vorzugswürdig. Auch hätten im Falle eines grundsätzlichen Werbeverbots verfassungsrechtliche Bedenken, namentlich unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, nicht lange auf sich warten lassen.
1 Vgl. etwa Janssen/Odörfer/Wiume, Das neue UWG, 2004. 2 Abgedruckt bei Hirte, WpÜG, S. 349, 446.
Assmann
785
§ 28
Werbung
B. Untersagung bestimmter Arten der Werbung (§ 28 Abs. 1) I. Werbung im Zusammenhang mit Angeboten 6
Die der BaFin durch die Vorschrift eingeräumte Untersagungskompetenz beschränkt sich auf eine solche gegen Werbung im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren. Um wessen Werbung es sich hierbei handelt, ist unerheblich, d.h. als Adressaten der Untersagung kommen nicht nur der Bieter, die mit ihm gemeinsam handelnden Personen, konkurrierende Bieter oder die Zielgesellschaft in Betracht, sondern auch jeder Dritte, der die zu beanstandende Werbung vornimmt1.
7
Der zur Bestimmung der Regelungsreichweite des § 28 Abs. 1 zu Grunde zu legende, der Abgrenzung zu anderen, von der Vorschrift nicht erfassten Kommunikationsformen dienende Werbebegriff kann sich nur beschränkt an den absatz- oder beschaffungsorientierten Definitionsversuchen orientieren, wie sie im Hinblick auf die werbungsbezogenen Regelungen des UWG entwickelt wurden2. Gleiches gilt für die Auslegung des Begriffs der Werbung, wie er in anderen (darunter auch kapitalmarktrechtlichen) Gesetzen (siehe oben Rz. 4) verwandt wird. Die Auslegung des Begriffs der Werbung in § 28 Abs. 1 ist vielmehr an dem durch das WpÜG geschaffenen Ordnungsrahmen von Angeboten und die aus diesem heraus erwachsenden Gesetzlichkeiten von Angeboten auszurichten (dazu im Folgenden, Rz. 8)3.
8
In diesem Sinne ist als Werbung im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren jeder freiwillige (siehe unten Rz. 10), planvolle Einsatz von Maßnahmen, namentlich von Kommunikationsmitteln, anzusehen, der die Angebotsadressaten zur Annahme oder Ablehnung eines Angebots bewegen soll4, sei es durch unmittelbare (allgemein oder direkt, etwa mittels adressierter Mail-Outs oder E-Mails, an die Angebotsadressaten gerichtete) oder sei es durch mittelbare über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung (Stimmung) oder der Meinung von Fachleuten (Analysten, Presse) herbeigeführte Ansprache der Angebotsadressaten5. Dabei ist es als unerheblich anzusehen, ob sich die als Werbung in Betracht kommende Maßnahme auf die Übermittlung von Informationen in Gestalt von Tatsachen, Meinungen oder Rechtsauffassungen beschränkt oder (auch) anpreisender oder suggestiver Mittel bedient6. Als Werbung kann deshalb bspw. auch eine Reihe oder gar Serie 1 Vgl. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 25, 55; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 18; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 14; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 13. A.A. Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 5, 9, insoweit, als diese Sympathiewerbung Dritter als nicht erfasst ansehen und ein geschäftliches oder kapitalmarktliches Interesse des Dritten verlangen. 2 Anders, sich an den wettbewerbsrechtlichen Werbungsbegriff anlehnend, Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 16 ff.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 5. 3 Zustimmend namentlich Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 8. Auch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 6. 4 Ebenso etwa Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 8. Ähnlich Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 16; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 1; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 4. Weiter Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 4 („Jedes Verhalten, das darauf abzielt oder geeignet ist, die Entscheidung der Aktionäre oder sonstiger Wertpapierinhaber … zu beeinflussen“), und ähnlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 6. 5 Ähnlich Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 1. Enger Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 16; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 5. 6 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 1.
786 Assmann
§ 28
Werbung
von Kommentaren oder Informationen zum Angebot angesehen werden1. Von reinen Meinungsäußerungen (insbesondere Dritter), die von § 28 Abs. 1 unberührt sind und bleiben müssen2, lässt sich Werbung am Besten nach dem Kriterium des planvollen Einsatzes abgrenzen, wie es Bestandteil der vorstehend ausgeführten Definition von Werbung ist; dazu weniger geeignet ist dagegen das Merkmal der Einwirkungsabsicht3, weil selbst reine und singuläre Meinungsäußerungen – ansonsten wären sie ohnehin schon unbeachtlich – regelmäßig mit der Absicht einhergehen, den Erfolg eines Angebots zu beeinflussen. Dadurch sind von vornherein Werbemaßnahmen (einschließlich Maßnahmen der 9 allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit) des Bieters oder der Zielgesellschaft, die inhaltlich – obschon zeitlich parallel zu einem solchen Angebot vorgenommen – keine konkrete Verbindung zum Angebot aufweisen oder unterschwellig herzustellen versuchen, vielmehr im Rahmen des allgemeinen Geschäftsbetriebs erfolgen, von einer Untersagung nach § 28 ausgeschlossen4. Andererseits werden von der Vorschrift aber auch vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 vorgenommene Werbemaßnahmen erfasst, wenn sie nur einen hinreichenden sachlichen und zeitlichen Bezug zu dem späteren Angebot aufweisen5. Das dürfte allerdings, nicht zuletzt wegen des straf- bzw. bußgeldbewehrten insiderrechtlichen (§§ 14, 38 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG) und übernahmerechtlichen Verbots der Bekanntgabe einer Entscheidung zur Abgabe eines Angebots in anderer als der in § 10 Abs. 1 und 3 bestimmten Weise (§§ 10 Abs. 3 Satz 3, 60 Abs. 1 Nr. 3), in der Praxis kaum vorkommen. Auszuscheiden sind dagegen alle nicht freiwilligen, an die Abgabe eines Angebots 10 und das dadurch eingeleitete Angebotsverfahren in seinem jeweiligen Stadium anknüpfenden gesetzlichen oder auf behördlichen Anordnungen beruhenden Handlungs-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten6. Sie sind nicht der Werbung zu dienen bestimmt. Auch wenn sie von den Betroffenen rechtswidrig mit Werbung befrachtet werden, ist es weder geboten noch angemessen, sie nach Maßgabe und nach den Maßstäben von § 28 einer Kontrolle zu unterwerfen7.
1 Ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 24. 2 Ebenso Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 6; Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 18; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 15; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 28 Rz. 2. 3 So aber Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 15. 4 Ebenso Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 14; Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 28 Rz. 10. 5 Vgl. Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 8; Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 26; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 17, 20. A.A. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 5. 6 So auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 2; im Ansatz auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 9; Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 6; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 10; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 28 Rz. 2. A.A. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 21, 24; auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 20 in Bezug auf Stellungnahmen nach § 27; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 7. 7 Ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 10. I.E. auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 2 namentlich zu Stellungnahmen von Vorstand, Aufsichtsrat und Arbeitnehmervertretung. A.A. für in gesetzlich verlangten Dokumenten (wie Stellungnahmen) „versteckte“ Werbung etwa Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 20; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 9.
Assmann
787
§ 28
Werbung
11
Erfasst werden demgegenüber auf das Angebot eingehende Analysten- und Pressekonferenzen, sog. Road-Shows und sonstige Präsentationen des Unternehmens, weil es nicht darauf ankommt, ob sich die Werbung an einen bestimmten Adressatenkreis oder das Publikum richtet1.
12
Die zu beanstandende Werbung muss im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren stehen, was voraussetzt, dass die Werbung der Beeinflussung des Angebots dienen soll (oben Rz. 8). Das ist bei einer im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs des Werbenden2 vorgenommenen Produktwerbung oder allgemeinen Public-Relations- oder Image-Werbung nicht anzunehmen3.
II. Missstand 1. Begriff und Maßstäbe 13
Die Frage, ob die Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren als Missstand anzusehen sind, ist nicht ausschließlich unter Rückgriff auf die an der Lauterkeit produkt- oder dienstleistungsbezogener Wettbewerbsmaßnahmen ausgerichteten Regeln des UWG zu beantworten. Um als Missstand i.S.d. § 28 Abs. 1 angesehen werden zu können, müssen die zu beurteilenden Werbemaßnahmen vielmehr – gleich ob sie einen Verstoß gegen Vorschriften des UWG darstellen oder nicht – im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Ordnung von Angebotsverfahren nach Maßgabe der Bestimmungen des WpÜG gewürdigt werden4. Dass eine Werbung gegen Vorschriften des UWG verstößt, kann als Aufgreiftatbestand oder Indiz gelten, rechtfertigt aber noch nicht per se die Annahme eines Missstands5. Umgekehrt setzt ein Missstand i.S.v. § 28 Abs. 1 nicht notwendigerweise einen Verstoß gegen das UWG (zu dessen Anwendbarkeit unten Rz. 25 f.)6 voraus. Das bedeutet, dass Werbemaßnahmen, die – wie bspw. die von der Geschäftsführung der Zielgesellschaft ausgehende und in Konflikt mit dem sog. Neutralitätsgebot des § 33 Abs. 1 Satz 1 gelangende exzessive Werbung der Zielgesellschaft (dazu näher unten Rz. 16) – nach dem UWG nicht als unlauter (§§ 3–7 UWG), insbesondere nicht als irreführend (§ 5 UWG), zu beanstanden sind, durchaus Missstände nach § 28 Abs. 1 darstellen können.
1 Ebenso Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 4; Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 20, 25, 35; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 3; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 8, 10; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 28 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 11. A.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 10; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22. 2 A.A. selbst für diesen Fall Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 23. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 19; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 4; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 11; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 6, 10; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 8. 4 Vgl. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 38. 5 Ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 38; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 7; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 13; eher wie hier auch Szagunn/Haug/Ergenzinger, § 23 KWG Rz. 3. Weiter gehend Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, § 36b WpHG Rz. 2: „Ganz allgemein gilt, dass ein Verhalten, das gegen gegen die §§ 1, 3 ff. UWG verstößt, einen Missstand darstellt“; diesem folgend Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 16. 6 Vgl. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 38, Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 7; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 15; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 12.
788 Assmann
§ 28
Werbung
In diesem Sinne und entsprechend der Auslegung des in § 4 Abs. 1 Satz 2 verwandten 14 Missstandsbegriffs (siehe § 4 Rz. 11) stellen Werbemaßnahmen einen Missstand dar, wenn sie (unter besonderer Berücksichtigung der in § 3 niedergelegten „allgemeinen Grundsätze“ sowie ihrer speziellen Ausprägungen im Gesetz) die ordnungsgemäße Durchführung von Angeboten erheblich1 beeinträchtigen oder im Zusammenhang mit der Durchführung von Angeboten, unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten und des Publikums, erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt mit sich bringen. Wie im Zusammenhang mit der Regelung der allgemeinen Missstandsaufsicht durch die BaFin in § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ist es auch im Hinblick auf die spezielle Missstandsaufsicht über Werbemaßnahmen nicht erforderlich, dass der Missstand bereits eingetreten ist; vielmehr ist die BaFin über die Beseitigung eines eingetretenen Misstands hinaus auch befugt, Missständen entgegenzuwirken und ihren Eintritt zu verhindern2. Sowohl durch das einen eingetretenen Missstand beseitigende als auch durch das einem Missstand vorbeugende Einschreiten „begegnet“ die Behörde Missständen3. Folgerichtig ist auch nicht zu verlangen, dass es sich bei dem als Missstand in Betracht kommenden Vorgang um einen dauerhaften, wiederholten oder der Gefahr der Wiederholung oder Nachahmung unterliegenden Regelverstoß handelt4.
15
2. Einzelfälle Dem Umfang nach exzessive Werbung der Zielgesellschaft, die in den Verantwor- 16 tungsbereich des Vorstands fällt, ist in erster Linie ein verbandsrechtliches Problem (der Zielgesellschaft)5 und kein solches des Angebotsverfahrens6, kann aber unter den Gesichtspunkten der Verletzung der Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft nach § 33 Abs. 1 Satz 1 und der Beeinträchtigung der freien und informierten Entscheidungsfindung der Adressaten des Angebots auch zu einem Missstand im angebotsrechtlichen Sinne werden7. Da bei der Beurteilung dieser Frage auch die Wer-
1 Für das Erfordernis einer erheblichen Beeinträchtigung etwa auch Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 34; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22 („gewisse Intensität“). 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. Siehe auch Reischauer/Kleinhans, § 23 KWG Rz. 25; Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 36; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 13; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 18; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 28 Rz. 3; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 12. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 4 Ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 35. A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22. 5 Wie hier auch Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 10 zu Fn. 12. Im Verbandsrecht wird diese Werbung allerdings dahingehend behandelt, dass Werbung der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten als Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands weder der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf noch im Wege der Aktionärsklage angegriffen werden kann. Siehe LG Düsseldorf v. 14.12.1999 – 10 O 495/99 Q – Mannesmann/Vodafone, AG 2000, 233; Krause, AG 2000, 217 ff.; Liebscher, ZIP 2001, 853, 867; Witte, BB 2000, 2161, 2163 f. A.A. Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1440 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17 f., unter Berufung auf § 33 Abs. 1 Satz 1 als Kompetenznorm. 6 In diesem Ausgangspunkt übereinstimmend etwa Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 47; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 10; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 15. 7 Ähnlich Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 17; Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 47.
Assmann
789
§ 28
Werbung
bemaßnahmen des Bieters – auf die zu reagieren dem Vorstand der Zielgesellschaft nicht generell untersagt ist – zu beachten sind, können auch diese zu einem Missstand werden, zumal dann, wenn sich Bieter- und Zielgesellschaft in ihren Werbekampagnen gegenseitig hochschaukeln. 17
Eine Werbung des Bieters, die geeignet ist, über den Umfang der Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin irrezuführen, kann (wie u.a. auch in § 15 Abs. 6 Satz 2 WpPG und § 16 VermAnlG – ehemals § 8e bzw. § 8j VerkProspG – zum Ausdruck kommt) einen Missstand darstellen. Gleiches gilt für Werbung unter Hinweis auf eine behördliche Beaufsichtigung des Verfahrens1.
18
Werbung der Zielgesellschaft, die auf die Nationalität des Bieters (oder Ansässigkeit der Bietergesellschaft im Ausland) oder die Gefährdung nationaler Interessen als Konsequenz eines erfolgreichen Angebots abstellt, ist nicht per se als Missstand zu betrachten, kann aber nach der Art und Intensität, in der solche Argumente vorgetragen werden, zu einem solchen werden2. Das gilt erst recht für den Fall, dass die diesbezüglichen (Meinungs-)Äußerungen schlechterdings jeglicher sachlicher Rechtfertigung entbehren. Hier ist allerdings ein (u.a. durch die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit geprägter) Bereich betroffen, in dem die BaFin Zurückhaltung zu üben hat.
19
Entsprechendes gilt für andere, negative Folgen einer erfolgreichen Übernahme ausmalende Aussagen in der Werbung der Zielgesellschaft, gegen die vorzugehen erst in dem Falle als gerechtfertigt erscheint, dass sie Ausmaße erreicht, welche sie als eine unlautere Werbung mit Angst oder mit Gefühlen3 in einer für geordnete Verfahren (siehe Rz. 14) nicht hinnehmbaren Form4 erscheinen lassen.
III. Unterbindung des Missstands 20
Missständen bei der Werbung vermag die BaFin nach § 28 Abs. 1 nur in der Weise zu begegnen, dass sie bestimmte Arten der Werbung untersagt. Die Untersagung liegt dagegen im Ermessen der Behörde. Adressat der Untersagungsverfügung ist derjenige, der auf die zu beanstandende Weise wirbt (siehe oben Rz. 6).
21
Die Untersagung kann sich sowohl gegen spezielle Werbemaßnahmen in einem konkreten Übernahmeverfahren als auch generell gegen bestimmte Werbemaßnahmen in Angebotsverfahren richten5. Das ergibt sich schon daraus, dass § 28 Abs. 2 von der BaFin verlangt, vor der Ergreifung einer „allgemeinen Maßnahme“ den Beirat anzuhören.
1 Für ähnliche Fälle unter dem KWG siehe Reischauer/Kleinhans, § 23 KWG Rz. 31. Vgl. auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22. 2 Vgl. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 44; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 16. 3 Ähnlich auch Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 44; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22. 4 Ebenso Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 8 („nur in extremen Ausnahmefällen“ ein Missstand). 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. Siehe auch Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 54; Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, § 36b WpHG Rz. 2; Reischauer/Kleinhans, § 23 KWG Rz. 26.
790 Assmann
§ 28
Werbung
Dadurch, dass die Bundesanstalt nur bestimmte Arten der Werbung untersagen 22 kann, ergeben sich praktisch keine Einschränkungen ihrer Untersagungsbefugnisse. Soweit sie gegen bestimmte Werbemethoden (Werbeformen), wie etwa die telefonische Ansprache von Angebotsadressaten im Wege des „cold calling“, vorgehen will, steht außer Frage, dass es sich bei einer hiergegen gerichteten Untersagungsverfügung um eine solche handeln würde, die eine bestimmte Art der Werbung verbietet. In gleicher Weise ist aber auch die Werbeaussage1 selbst, d.h. ihr Inhalt, eine Art der Werbung: Deshalb kann die Behörde nicht nur gegen bspw. Fehlvorstellungen hervorrufende, Ängste erzeugende und für die eigene Sache nützliche oder nationale Ressentiments aufbauende Slogans als spezifischen Arten sittenwidriger oder irreführender Werbung vorgehen, sondern auch gegen schlichte Falschangaben in Anzeigen, soweit sie einen Missstand darstellen, d.h. die ordnungsgemäße Durchführung von Angeboten wegen der Irreführung oder Täuschung namentlich der Angebotsadressaten erheblich beeinträchtigen. M.a.W. ist die Werbung mit Falschangaben in gleicher Weise eine Art der Werbung wie die unlautere, insbesondere irreführende. Gleiches gilt für den Umfang der Werbung. Wer vorsätzlich oder fahrlässig einer vollziehbaren Anordnung der BaFin nach § 28 Abs. 1 zuwiderhandelt, begeht nach § 60 Abs. 2 Nr. 1 eine Ordnungswidrigkeit.
23
C. Anhörung des Beirats bei beabsichtigten allgemeinen Maßnahmen (§ 28 Abs. 2) Bevor die BaFin generell bestimmte Werbeformen oder Werbeaussagen untersagt (sie- 24 he oben Rz. 21), ist nach § 28 Abs. 2 der Beirat zu hören. An den Rat oder einen Beschluss des Beirats ist die Behörde nicht gebunden2. Verfügungen („allgemeine Maßnahmen“, „Allgemeinverfügungen“) nach § 28 Abs. 1 sind, auch wenn sie – entgegen § 28 Abs. 2 – ohne vorherige Anhörung des Beirats ergingen, wirksam3 und von Dritten nicht anzugreifen.
D. Verhältnis zum UWG und Anwendbarkeit des UWG Die Vorschriften des UWG sind neben § 28 unbeschränkt anwendbar4.
25
Sowohl der Bieter und konkurrierende Bieter als auch potentielle Bieter, das Zielunternehmen oder der werbende Dritte können – unter sich und im Verhältnis zum
26
1 Ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 16. 2 Vgl. Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 65; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 31; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 28 WpÜG Rz. 15; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 21. 3 Ebenso Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 28 Rz. 18. A.A. Ekkenga/Schulz in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 28 Rz. 21 („rechtswidrig“); Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 67, der die Maßnahme unter dieser Voraussetzung für rechtswidrig und vom Adressaten – wer ist das? – nach § 48 für angreifbar erklärt; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 31, beschränkt sich auf das Urteil „rechtswidrig“; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 22, setzt den Vorbehalt hinzu: „soweit sie (d.h. die Maßnahme, d. Verf.) den Charakter eines Verwaltungsakts hat“; mit der gleichen Einschränkung Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 28 Rz. 19. 4 I.E. ebenso Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 37; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 35; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 29.
Assmann
791
§ 28
Werbung
Zielunternehmen1 – Mitbewerber i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG sein, sofern zwischen ihnen nur ein konkretes Wettbewerbsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG)2 besteht. Dabei ist nicht allein auf das Wettbewerbsverhältnis im Zusammenhang mit einem Angebotsverfahren abzustellen, sondern auch auf das der fraglichen Unternehmen in Bezug auf die Förderung des eigenen oder fremden Absatzes oder Bezugs von Waren oder den Bezug von Dienstleistungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Deshalb ist sowohl das Verhalten des Bieters als auch dasjenige des Zielunternehmens im Angebotsverfahren, obwohl nur mittelbar auf die Förderung des jeweils eigenen oder fremden Absatzes oder Bezugs von Waren oder den Bezug von Dienstleistungen bezogen, als eine Wettbewerbshandlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zu betrachten.
1 Ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Bieter und Zielunternehmen bejahen (noch nach dem UWG a.F.) auch Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 37; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 28 Rz. 35; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 29. 2 Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis liegt nach der Begründung zum RegE zum neuen UWG, BT-Drucks. 15/1487 v. 22.8.2003, S. 16, vor, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung besteht. Vgl. auch Harbarth in Baums/Thoma, § 28 Rz. 37; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 28 Rz. 29.
792 Assmann
Abschnitt 4 Übernahmeangebote § 29 Begriffsbestimmungen (1) Übernahmeangebote sind Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind. (2) Kontrolle ist das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft.
Inhaltsübersicht
I. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . .
2
II. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . .
7
C. Kontrolle (§ 29 Abs. 2). . . . . . . . . . . .
8
I. Begriff der Kontrollerlangung . . . . . .
8
Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . Mehrstimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . Stimmrechtseinschränkungen . . . . Halten der Stimmrechte . . . . . . . . . . Zurechnung von Stimmrechten . . . Mittelbarer Kontrollerwerb . . . . . . . Berechnung des Stimmrechtsanteils bei der KGaA . . . . . . . . . . . . .
II. Berechnung der Kontrollschwelle . .
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III. Befreiungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 26
1. Vorzugsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Übernahmeangebote (§ 29 Abs. 1) . .
2
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
19 20 21 22 23 24 25
Schrifttum: Assmann, Verhaltensregeln für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, AG 1995, 563; Assmann, Übernahmeangebote im Gefüge des Kapitalmarktrechts, insbesondere im Lichte des Insiderrechts, der Ad-hoc-Publizität und des Manipulationsverbots, ZGR 2002, 697; Benner-Heinacher, Mindeststandards für Übernahmeregelungen in Deutschland, DB 1997, 2521; Börsensachverständigenkommission, Standpunkte zur künftigen Regelung von Unternehmensübernahmen, 1999; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Harbarth, Kontrollerlangung und Pflichtangebot, ZIP 2002, 321; Houben, Die Gestaltung des Pflichtangebots unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes und der effizienten Allokation der Unternehmenskontrolle, WM 2000, 1873; Lenz/Behnke, Das WpÜG im Praxistest – Ein Jahr Angebotsverfahren unter der Regie des neuen Gesetzes, BKR 2003, 43; Liebscher, Das Übernahmeverfahren nach dem neuen Übernahmegesetz, ZIP 2001, 853; Pötzsch/Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM 2000, Sonderbeil. 2; Mülbert, Übernahmerecht zwischen Kapitalmarktrecht und Aktien(konzern)recht – die konzeptionelle Schwachstelle des RegE WpÜG, ZIP 2001, 1221; Santelmann, Notwendige Mindesterwerbsschwellen bei Übernahmeangeboten, AG 2002, 497; Scholz, Das Übernahme- und Pflichtangebot bei der KGaA, NZG 2006, 445; Schuster, Neue Regeln für Übernahmen, Die Bank 1995, 609; Strenger, Das deutsche Übernahmegesetz, WM 2000, 952.
A. Übersicht Das WpÜG regelt öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von einer 1 Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 1). Dabei unterscheidet es zwischen drei Arten von Angeboten: den so genannten einfachen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren (Abschnitt 3,
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§§ 10–28), den Übernahmeangeboten (Abschnitt 4, §§ 29–34) und den Pflichtangeboten (Abschnitt 5, §§ 35–39). Bei der materiellrechtlichen Regelung dieser Arten von Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren bedient sich der Gesetzgeber des Baukastenprinzips (vgl. Einl. Rz. 39, § 10 Rz. 1 f.): Die Vorschriften über einfacher Erwerbsangebote im 3. Abschnitt enthalten Bestimmungen, die grundsätzlich für alle öffentlichen Angebote zum Erwerb von Wertpapieren gelten; für Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle über eine Zielgesellschaft gerichtet sind, enthält der 4. Abschnitt zusätzliche spezielle Regeln; und auf Pflichtangebote schließlich finden die Vorschriften des 5. Abschnitts Anwendung, die wiederum auf den Bestimmungen des 3. und des 4. Abschnitts aufbauen und ihrerseits spezielle Regelungen für Angebote enthalten, die diejenige Person abzugeben hat, die unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt hat (§ 35 Abs. 1 Satz 1). Zwar definiert § 29 lediglich den Begriff des Übernahmeangebots (Abs. 1) und den hierfür maßgeblichen Begriff der Kontrolle (Abs. 2), um auf diese Weise den Anwendungsbereich der Vorschriften des Abschnitts 4 (§§ 29–34) zu bestimmen, doch dient sie damit mittelbar auch der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschriften über einfache Erwerbsangebote im 3. Abschnitt, dem keine Definition eines einfachen Erwerbsangebots vorausgestellt ist, so dass sich diese als öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren (i.S. von § 1) umschreiben lassen, die nicht auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft (i.S. von § 29) gerichtet sind. Darüber hinaus ist die Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft, wie sie in § 29 Abs. 2 definiert ist, eine der zentralen Voraussetzungen, unter denen nach § 35 Abs. 1 eine Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots entsteht.
B. Übernahmeangebote (§ 29 Abs. 1) I. Zweck der Norm 2
Die Bestimmung dient zum einen der Definition der Begriffe „Übernahmeangebote“ und „Kontrolle“ und trifft zum anderen eine Bestimmung über den Anwendungsbereich des Abschnitts 4 (Übernahmeangebote) insgesamt.
3
In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, warum der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, freiwillige Übernahmeangebote einem speziellen Regelungsregime zu unterwerfen und in zentralen Bereichen den Pflichtangeboten gleichzustellen (vgl. Rz. 7)1. Dies gilt sicherlich in besonderem Maße für die gesetzliche Anordnung, dass auch Übernahmeangebote der Mindestpreisregelung (§ 31) unterliegen. Der grundsätzlichen regulatorischen Gleichbehandlung von freiwilligen Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten liegt die Überlegung zugrunde, dass jemand, der eine Kontrollmehrheit aufgrund eines freiwilligen Übernahmeangebots erlangt hat, nicht verpflichtet sein soll, im Anschluss an dieses Übernahmeangebot nunmehr ein weiteres – diesmal als Pflichtangebot ausgestaltetes – Angebot abzugeben, da dies zu unnötigem Zeit- und Kostenaufwand führen würde. Eine solche „befreiende Wirkung“ des freiwilligen Angebots im Hinblick auf ein nachfolgendes Pflichtangebot ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn das freiwillige Übernahmeangebot bereits den Anforderungen unterliegt, die für ein Pflichtangebot gelten, da ansonsten die für ein Pflichtangebot geltenden Schutzmechanismen durch ein freiwilliges Übernahmeangebot unterlaufen werden könnten2.
1 Kritisch hierzu Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1223 ff., 1229. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28.
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II. Definition Aus dem Gesetz ergibt sich, dass es sich bei Übernahmeangeboten um freiwillige öf- 4 fentliche Angebote handelt, die auf den Erwerb der Kontrolle in Bezug auf die Zielgesellschaft des Angebots gerichtet sind. Übernahmeangebote können als Kauf- oder Tauschangebote (§ 31 Abs. 2 Satz 1), aber nur als Vollangebote und nicht als Teilangebote (§ 32) abgegeben werden. Die Frage, wann ein Angebot auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet ist, ist anhand eines objektiven Maßstabs zu beantworten, wohingegen die – subjektiven – Vorstellungen und mit dem Angebot verfolgten Absichten des Bieters unbeachtlich sind1. Es genügt, dass das Angebot nach seinen Bedingungen bei dessen vollständiger Annahme zum Erwerb der Kontrolle des Bieters führen würde2. Somit ist für das Vorliegen eines Übernahmeangebots nicht erforderlich, dass der Bieter nach Abschluss des Angebotsverfahrens auch tatsächlich über 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft verfügt3. Für den Beurteilungszeitpunkt ergibt sich hieraus das Erfordernis einer Ex-ante Betrachtung4. Maßgeblich ist somit, dass zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots – d.h. mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 35 – die Möglichkeit besteht, dass der Bieter die Kontrolle erlangt6. Dies wiederum ist zu ermitteln unter Berücksichtigung einerseits der Gesamtzahl der Stimmrechte in Bezug auf die Zielgesellschaft (siehe unten Rz. 17 ff.), andererseits der Zahl der vom Bieter (unter Abzug der – etwa nach § 20 und § 36 nicht zu berücksichtigenden oder ihm nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechte) gehaltenen Stimmrechte und seines daraus zu ermittelnden Stimmrechtsanteils sowie der maximal vom Bieter mittels des Angebots zu erlangenden Stimmrechte.
1 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 44 f.; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 20; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 4; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 29 Rz. 2; Sohbi in Heidel, § 29 WpÜG Rz. 2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 16. 2 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 39, 44; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 21; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6. 3 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 44; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 21; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 3; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 14. 4 Siehe von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 44, 47 ff.; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 30; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 5; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 21. 5 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 49, 59. Davon abweichend werden andere Zeitpunkte benannt. Beginn der Annahmefrist: Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 30 (Rz. 13 aber legt nahe: Abgabe des Angebots). Zeitpunkt der Entscheidungsveröffentlichung: so wohl die Praxis der Aufsichtsbehörde (vgl. den Hinweis bei von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 47); Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18. Unklar Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 6 f., der teils auf den Zeitpunkt der Entscheidungsveröffentlichung (Rz. 6), teils auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage abstellt (Rz. 7) und diesen mit dem (nicht notwendigerweise mit diesem Zeitpunkt zusammenfallenden) Beginn der Annahmefrist gleichsetzt. 6 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 39, 44 („Allein die theoretische Möglichkeit … ist ausreichend“).
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Auch die europäische Übernahmerichtlinie1 stellt bei der Definition des „Übernahmeangebots“ in der Form des freiwilligen Angebots darauf ab, dass das Angebot den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft zum Ziel hat (Art. 2 Abs. 1 lit. a). Im Interesse der Schutzbedürftigkeit der Anleger sind auch hier objektive Kriterien bei der näheren Bestimmung des Begriffs des Übernahmeangebots zugrunde zu legen; Bedarf für eine Anpassung des WpÜG auf Grund europäischen Rechts ergibt sich damit nicht.
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Durch das Erfordernis, dass Übernahmeangebote auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sein müssen, ergibt sich, dass Angebote, mit denen nur eine Beteiligung an einer Gesellschaft unterhalb der Kontrollschwelle angestrebt wird – so genannte Einstiegsangebote – keine Übernahmeangebote sind und damit nur dem allgemein für einfache öffentliche Erwerbsangebote geltenden 3. Abschnitt unterfallen. Wird bei einem Einstiegsangebot allerdings die Kontrollschwelle erreicht, ist der Bieter zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet. Der sicherste Weg, ein solches Pflichtangebot als Folge eines Einstiegsangebots zu vermeiden, besteht darin, es als Teilangebot i.S.d. § 19 abzugeben, d.h. es auf den Erwerb eines bestimmten Anteils oder einer bestimmten Anzahl von Wertpapieren der Zielgesellschaft zu beschränken. § 29 Abs. 1 unterfallen ebenfalls nicht solche öffentlichen Angebote, die aus einer bereits bestehenden Kontrollstellung heraus erfolgen und auf die Festigung dieser Position gerichtet sind – so genannte Aufstockungsangebote2. Diesen entsprechend ist der Fall zu behandeln, dass der Bieter, der ein Übernahmeangebot vorbereitet hat, bis zur Abgabe des Angebots, d.h. der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (siehe oben Rz. 4), die Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt hat. Das Angebot ist unter diesen Umständen objektiv nicht mehr auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet, sondern erfüllt die Voraussetzungen, unter denen ein Pflichtangebot nach § 35 zu erfolgen hat3. Eine anderweitige Verwaltungspraxis der BaFin4 scheint die Weiterverfolgung des als Übernahmeangebot vorbereiteten Angebots zu verlangen. Ist ein Übernahmeangebot abgegeben, so scheidet allerdings jede anderweitige Qualifikation desselben auch dann aus, wenn sich danach die Umstände so geändert haben, dass die Kontrollerlangung ausgeschlossen ist5.
III. Anwendbare Vorschriften 7
Für Übernahmeangebote finden neben den Vorschriften des 3. Abschnitts die Sonderregelungen des 4. Abschnitts Anwendung. Damit gelten für Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind, besondere Vorgaben im Hinblick auf die Art und Höhe der zu gewährenden Gegenleistung (§ 31 i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO), auf die
1 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 2 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 17; Harbarth, ZIP 2002, 321, 324; Liebscher, ZIP 2001, 853, 857; Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1225 mit Fn. 31; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 4, 6; Pötzsch/Möller, WM 2000, Sonderbeil. 2, S. 17; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 6. 3 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 21 f.; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 12 (Bieter ist „gehalten, sein Angebot gegenüber der Ankündigung abzuändern“). 4 Nach von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 21. 5 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 59 ff.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 8; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 10; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 21.
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Pflicht zum Vollangebot (§ 32) sowie auf die besonderen Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft (§ 33).
C. Kontrolle (§ 29 Abs. 2) I. Begriff der Kontrollerlangung Das Gesetz geht von der Kontrolle an einer Gesellschaft aus, wenn mindestens 30 % 8 der Stimmrechte an dem Zielunternehmen gehalten werden. Abzustellen ist ausschließlich auf den Stimmrechtsanteil des Bieters; sein Anteil am Kapital der Zielgesellschaft ist unerheblich1. Die Einführung einer Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechte war insbesondere im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens stark umstritten. Teilweise wurde gefordert, völlig auf eine prozentuale Festlegung im Gesetz zu verzichten2. Andere sprachen sich wiederum für eine niedrigere3 bzw. eine höhere4 Kontrollschwelle aus. Die europäische Übernahmerichtlinie (siehe oben Rz. 5) macht hinsichtlich des Kon- 9 trollbegriffs keine verbindlichen Vorgaben. Vielmehr bestimmt Art. 5 Abs. 3, dass der Stimmrechtsanteil, der eine Kontrolle im Sinne der Richtlinie begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, bestimmen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Grenze von 30 % an Regelungen in anderen europäischen Staaten orientiert. Gleiche bzw. vergleichbare Schwellenwerte (1/4 der Stimmrechte) haben neben Österreich und der Schweiz auch Frankreich und Großbritannien5. Darüber hinaus zeigen – ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs – die Präsenzen in den Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen, dass bei einer Beteiligung von 30 % in den meisten Fällen eine Hauptversammlungsmehrheit besteht6. Mit Blick auf die Planungssicherheit der beteiligten Unternehmen sowie die größere Rechtssicherheit sowohl für Bieter und Zielgesellschaft und deren Aktionäre einerseits als auch für die Aufsichtsbehörde andererseits war einem festen Prozentsatz der Vorzug zu geben; die für die Praxis notwendige Flexibilität kann durch die Befreiungstatbestände der §§ 36 und 37 Rechnung getragen werden7. Hinsichtlich der Höhe sind die Erfahrungen in der Zukunft abzuwarten, die u.U. auf Grund einer stärkeren Nutzung des Internets bei Hauptversammlungen und damit ggf. steigender Hauptversammlungspräsenzen eine gesetzliche Anpassung des Schwellenwertes angezeigt erscheinen lassen.
1 Unstreitig. Vgl. etwa von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 75; Diekmann in Baums/ Thoma, § 29 Rz. 39; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 Rz. 14; Steinmeyer in Steinmeyer/ Häger, § 29 Rz. 15. 2 Benner-Heinacher, DB 1997, 2521, 2522. 3 Strenger, WM 2000, 952. 4 Börsensachverständigenkommission, Standpunkte, 1999, S. 16; Assmann, AG 1995, 563, 571; Schuster, Die Bank 1995, 609, 611 f. 5 § 2 Abs. 2 österreichischen Übernahmeverordnung; § 32 Abs. 1 Schweizer Börsengesetz; Artikel 5-5-2 französische Generalverordnung der CMF vom 5.11.1989; Rule 9.1 City Code on Takeovers and Mergers. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. 7 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 111 f.
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Der (formelle) übernahmerechtliche Kontrollbegriff steht somit neben dem aktienrechtlichen (materiellen) Abhängigkeitsbegriff1. Die Abhängigkeit einer Gesellschaft nach § 17 Abs. 1 AktG kann demnach im Einzelfall zu bejahen sein, ohne dass die Kontrollschwelle erreicht wird2. Umgekehrt kann ein Gesellschafter die übernahmerechtliche Kontrollschwelle überschritten haben, obwohl die Gesellschaft von einem anderen Gesellschafter (etwa mit höherem Stimmrechtsanteil) i.S.d. § 17 Abs. 1 AktG abhängig ist3.
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Das Auseinanderfallen von aktienrechtlichem Abhängigkeitstatbestand und übernahmerechtlichem Kontrolltatbestand zieht die Frage nach möglichen Schutzlücken nach sich, die es ggf. zu schließen gilt. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich die an einer börsennotierten Gesellschaft bisher von mehreren Personen gemeinsam ausgeübte Kontrolle zu einer alleinigen – faktischen – Kontrolle eines Mehrheitsaktionärs wandelt4. Hierbei sind verschiedene Fragestellungen zu unterscheiden: (1) Besteht ein Schutzbedürfnis der Minderheitsaktionäre, wenn die bislang von mehreren Gesellschaftern gemeinsam ausgeübte Kontrolle zu einer alleinigen Kontrolle eines Aktionärs aus dem bisherigen Kreis der kontrollierenden Gesellschafter wird? (2) Bejaht man ein solches grundsätzliches Schutzbedürfnis, welche Anforderungen sind an einen derartigen Kontrollwechsel im Sinne des WpÜG zu stellen?
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Ein Schutzbedürfnis der Minderheitsaktionäre mit der Folge der Verpflichtung zur Unterbreitung eines Pflichtangebotes beim Wechsel von einer gemeinsamen zu einer alleinigen Kontrolle könnte mit dem Argument verneint werden, dass die kontrollierenden Mehrheitsgesellschafter zum Zeitpunkt der Beteiligung an dem Unternehmen den übrigen Aktionären bekannt waren und sie jederzeit damit rechnen mussten, dass sich die gemeinsame Kontrolle zu einer alleinigen Kontrolle eines der Mehrheitsgesellschafter wandeln kann. Diese Sichtweise würde indes verkennen, dass sich durch den Wechsel der Kontrolle auf einen Aktionär die Einflussmöglichkeiten auf das Unternehmen erheblich geändert haben. Der Alleinkontrolleur braucht bei der geschäftspolitischen Ausrichtung nunmehr keine Rücksicht mehr auf andere Gesellschafter und mögliche Absprachen mit diesen zu nehmen. Gerade bei Beteiligung von Wettbewerbern an einem dritten Unternehmen wird regelmäßig von einem „check and balance“ der Mitgesellschafter auszugehen sein. Dieses Gleichgewicht geht bei einem Wechsel von gemeinsamer Kontrolle zu alleiniger 1 BGH v. 15.12.2011 – I ZR 129/10, AG 2012, 594, 596: „Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 WpÜG enthält … eine eigenständige, an den spezifischen Zwecken des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes ausgerichtete Begriffsbestimmung, die die in anderen Gesetzen verwendeten Kontrollbegriffe unberührt lässt und umgekehrt auch nicht mit dem Begriff der konzernrechtlichen Abhängigkeit nach § 17 AktG gleichgesetzt werden kann“. Siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 37; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 73, 79 f.; Harbarth, ZIP 2002, 321, 323; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 22. 2 Für eine tatbestandliche Harmonisierung der Voraussetzungen der aktienrechtlichen Abhängigkeit und des Kontrollbegriffs des WpÜG Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1225 ff. 3 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 37. 4 Mit dieser Fragestellung musste sich die Bundesanstalt im Fall France Telekom S.A./MobilCom AG beschäftigen. Die Bundesanstalt hat im Ergebnis die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebotes durch France Telekom S.A. an die Aktionäre der MobilCom AG verneint, da ein Kontrollwechsel bei MobilCom AG nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2002 nicht stattgefunden habe. Vielmehr sei ein Pflichtangebot erst dann abzugeben, wenn France Telekom S.A. 30 % der Stimmrechte an der MobilCom AG unmittelbar hält und damit die alleinige Kontrolle erlangt, vgl. Pressemitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 1.8.2002.
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Kontrolle verloren. Ausfluss dieser veränderten Machtverhältnisse könnte beispielsweise sein, dass der Alleinkontrolleur beschließt, mit dem Ziel der Gewinnung von Synergien die Zielgesellschaft in die eigene Unternehmensorganisation einzubinden. Dies spricht insgesamt dafür, bei einem Wechsel von gemeinsamer Kontrolle zu alleiniger Kontrolle einen Kontrollwechsel zu bejahen und den Alleinkontrolleur zur Abgabe eines Angebots nach § 35 zu verpflichten. Hinsichtlich der Anforderungen an den Kontrollbegriff des WpÜG hat der Gesetz- 13 geber sich dafür entschieden, an einen bestimmten Stimmrechtsanteil anzuknüpfen. Dies bedeutet für den Fall des Ausscheidens eines Mehrheitsgesellschafters bei gleichzeitigem Erwerb dieser Anteile durch einen bisherigen Mitkontrolleur, dessen unmittelbar von ihm gehaltener Stimmrechtsanteil vor dem Erwerb unterhalb von 30 % lag, dass ein Kontrollwechsel stattgefunden hat. Dementsprechend stellt ein öffentliches Angebot, mit dem die Position des bisherigen Kontrollgesellschafters ausgetauscht werden soll, ein Angebot dar, das auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet ist1. Schwieriger ist dagegen die rechtliche Beurteilung, wenn es bei der bisherigen Zu- 14 sammensetzung der Mehrheitsgesellschafter mit der entsprechenden Stimmrechtsverteilung bleibt2, sich aber innerhalb dieses Kreises der Mehrheitsgesellschafter die Machtverhältnisse derart verschoben haben, dass aus der bisherigen gemeinsamen Kontrolle der Gesellschafter – faktisch – eine Alleinkontrolle eines Gesellschafters geworden ist. Diese kann beispielsweise daraus resultieren, dass einer der Gesellschafter seinen bisherigen Einfluss auf Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft an den anderen Mehrheitsgesellschafter verloren hat. Für die Frage der Kontrolle sind neben den vom Aktionär selbst gehaltenen Stimmrechtsanteilen die Stimmrechte maßgeblich, die ihm nach § 30 zugerechnet werden. Bei der gemeinsamen Kontrollausübung ist insbesondere der Tatbestand des § 30 Abs. 2 einschlägig. Danach erfolgt eine wechselseitige Zurechnung der Stimmrechte in voller Höhe, sofern der Bieter (oder sein Tochterunternehmen) mit einem Dritten sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft abstimmt. Eine Abstimmung ist immer dann zu bejahen, wenn zwischen den Parteien eine gegenseitige Verständigung (nicht notwendigerweise in Vertragsform) hinsichtlich des Verhaltens bei der Zielgesellschaft getroffen wurde (vgl. hierzu Ausführungen zu § 30 Rz. 176 ff.). Solange diese Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern besteht, erfolgt auch die wechselseitige Zurechnung. Haben sich die Machtverhältnisse in einem Unternehmen nunmehr gleichwohl derart verändert, dass maßgebliche Entscheidungen der Geschäftspolitik nur durch einen Mehrheitsaktionär bestimmt werden, besteht aus Sicht der Minderheitsaktionäre kein Unterschied zu dem Fall der Veräußerung der Anteile eines Mehrheitsaktionärs an den anderen. Demzufolge könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass der Inhaber der – faktischen – Alleinkontrolle verpflichtet ist, den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft ein Angebot zu unterbreiten. Dagegen sprechen jedoch der Wortlaut des § 29 Abs. 2 und die Intention des Gesetz- 15 gebers. § 29 Abs. 2 definiert die Kontrolle als das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen festen 1 Vgl. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 17; Harbarth, ZIP 2002, 321, 323; Lenz/ Behnke, BKR 2003, 43, 49; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 29 Rz. 8. 2 Zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bundesanstalt über ein mögliches Pflichtangebot von France Telekom S.A. an die Aktionäre der MobilCom AG hielt France Telekom 28,5 % und der frühere Vorstandschef und Unternehmensgründer von MobilCom, Gerhard Schmidt, knapp 50 %.
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Grenzwert entschieden, bei dessen Erreichen die Kontrolle vermutet wird. Ein Abweichen hiervon sieht das Gesetz nur nach „oben“ vor, d.h. in bestimmten Fällen wird die Kontrolle trotz des Erreichens der 30 %-Schwelle verneint (vgl. § 36 und § 37 i.V.m. §§ 8 ff. WpÜG-AngVO). Ausnahmeregelungen, nach denen die Kontrolle auch dann zu bejahen ist, wenn der Anteilsbesitz weniger als 30 % beträgt, enthält das Gesetz nicht. Hintergrund für das Fehlen derartiger Sonderregelungen sind die mit diesen einhergehenden Rechtsunsicherheiten, da diese „implizite“ Kontrollausübung häufig nur sehr schwer feststellbar sein wird1. Diese Rechtsunsicherheit wollte der Gesetzgeber aber gerade vermeiden2. 16
Gegen eine Ausweitung des Kontrollbegriffs auf Fälle der faktischen Kontrolle spricht auch das Problem der Abgrenzbarkeit. Auch außerhalb des Falls des Übergangs der faktischen Kontrolle von mehreren Gesellschaftern auf einen einzelnen sind Konstellationen denkbar, bei denen Beteiligungen unterhalb von 30 % erworben werden und mit diesem Stimmrechtsanteil in einem Unternehmen, beispielsweise auf Grund sehr geringer HV-Präsenzen, faktisch die Kontrolle ausgeübt wird. Auch in diesen Fällen ist zu konstatieren, dass sich der Gesetzgeber mit der Einführung einer festen Kontrollschwelle dafür entschieden hat, bei Beteiligungen unterhalb von 30 % das Instrumentarium des WpÜG für Pflichtangebote aus den zuvor genannten Gründen nicht zur Anwendung kommen zu lassen.
II. Berechnung der Kontrollschwelle 17
Bei der Berechnung der prozentualen Höhe der Stimmrechte und bei der Kontrollschwelle ist jeweils auf die Gesamtzahl der stimmberechtigten Aktien, nicht auf die Hautversammlungspräsenzen der jeweiligen Gesellschaft abzustellen. Vorteil dieser Betrachtungsweise ist, dass die gesetzlichen Vorgaben eindeutig und Beteiligungsverhältnisse leichter zu ermitteln sind. Die Gesamtzahl der stimmberechtigten Aktien ist wiederum ins Verhältnis zu den vom Bieter gehaltenen Stimmrechten zu setzen. Bei der Bestimmung der beiden Gruppen ergeben sich zahlreiche Einzelfragen. 1. Vorzugsaktien
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Bei der Berechnung der Kontrollschwelle bleiben stimmrechtslose Vorzugsaktien regelmäßig unberücksichtigt3. Eine Einbeziehung in den Stimmrechtsanteil erfolgt jedoch dann, wenn das Stimmrecht unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 AktG wieder auflebt4. In einem solchen Fall stehen Vorzugsaktionären die gleichen Stimmrechte zu wie den Stammaktionären und demzufolge die gleichen Einflussmöglichkeiten auf die weitere Entwicklung des Unternehmens; damit ist auch der sachliche Grund für eine unterschiedliche Bewertung im Rahmen der Berechnung des Stimmrechtsanteils entfallen.
1 Houben, WM 2000, 1873, 1878. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. 3 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 86; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 30; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 20. 4 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 87; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 20; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 25.
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Begriffsbestimmungen
2. Kapitalmaßnahmen Auf die Bestimmung des Stimmrechtsanteils und des Zeitpunkts, zu dem eine Kon- 19 trollposition erlangt wird, wirken sich auch Kapitalmaßnahmen der Zielgesellschaft aus. Dies ist jedoch erst zu dem Zeitpunkt der Fall, in dem die jeweilige Kapitalmaßnahme rechtswirksam eintritt; der bloße Beschluss einer Kapitalmaßnahme reicht dazu nicht aus1: Im Fall der Kapitalerhöhung verändert sich das Grundkapital mit der Eintragung der Durchführung der Erhöhung (§ 189 AktG). Handelt es sich um einen Fall der ordentlichen Kapitalherabsetzung, ist der Zeitpunkt der Eintragung des Beschlusses der Hauptversammlung über die Herabsetzung des Grundkapitals maßgeblich (§ 224 AktG). Werden die Aktien eingezogen, ist entweder auf den Zeitpunkt der Eintragung des HV-Beschlusses oder aber, sofern die Einziehung der Aktien nachfolgt, auf den Zeitpunkt der Einziehung abzustellen. Überschreitet ein Aktionär durch die Einziehung von Aktien die Kontrollschwelle, kann die Bundesanstalt auf Antrag gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 9 Satz 1 Nr. 5 WpÜG-AngVO von der Pflicht zur Abgabe eines Angebots nach § 35 Abs. 2 Satz 1 befreien. Bei bedingten Kapitalerhöhungen ist auf den Zeitpunkt der Ausgabe der neuen Aktien abzustellen, da diese Kapitalmaßnahme erst mit Ausgabe der Bezugsaktien wirksam wird (§ 200 AktG). 3. Mehrstimmrechte Hat die Zielgesellschaft von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Mehr- 20 stimmrechtsaktien beizubehalten (§ 5 Abs. 1 bis 6 EGAktG), sind diese mit der Anzahl der durch sie verkörperten Stimmen bei der Ermittlung des Stimmrechtsanteils zu berücksichtigen2. Eine kontrollierende Beteiligung ist auch dann gegeben, wenn die Mehrstimmrechte auf einzelne Beschlussgegenstände beschränkt werden und die Kontrollschwelle nur bei Beschlussgegenständen erreicht wird, die von untergeordneter Bedeutung sind3. In diesem Fall kommt jedoch eine Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots nach § 37 Abs. 1 in Betracht4. 4. Stimmrechtseinschränkungen Bestehende Hindernisse bei der Ausübung der Stimmrechte stehen der Berücksichti- 21 gung der betroffenen Aktien bei der Ermittlung der Gesamtzahl der Stimmrechte, anhand derer die Kontrollschwelle zu ermitteln ist, nicht entgegen5. Entsprechend der Regelung im WpHG zur Berechnung des meldepflichtigen Stimmrechtsanteils6 sind Aktien, bei denen gesetzlich ein Ruhen der Stimmrechte angeordnet ist (§ 28 WpHG, § 59), bei der Ermittlung der 30 %-Schwelle zu berücksichtigen7. Das Gleiche gilt bei
1 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 87; Harbarth, ZIP 2002, 321, 325. 2 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 89; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 26; vgl. zur Parallelproblematik in § 21 WpHG Opitz in Schäfer, § 21 WpHG Rz. 15; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 21 WpHG Rz. 42 ff. 3 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 89; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 35. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 49. 4 Harbarth, ZIP 2002, 321, 326. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. 6 Vgl. Opitz in Schäfer, § 21 WpHG Rz. 18; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 21 WpHG Rz. 61. 7 Ebenso Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 22, 27.
Assmann
801
§ 29
Begriffsbestimmungen
eigenen Aktien der Zielgesellschaft1 oder im Fall wechselseitiger Beteiligungen (§ 328 Abs. 1 Satz 1 AktG)2. Für die Berücksichtigung dieser Aktien spricht, dass ihr Inhaber über die Wertpapiere verfügen kann, nur an der Ausübung der Stimmrechte gehindert ist. 5. Halten der Stimmrechte 22
Die Kontrolle setzt das Halten der Stimmrechte voraus. Damit umschreibt das Gesetz zum einen, dass der Bieter Aktionär der Zielgesellschaft sein muss, da er nur als solcher befugt ist, das Stimmrecht auszuüben (vgl. § 12 Abs. 1, § 29 Abs. 2 AktG). Schon daraus folgt, dass derjenige, der nur Vertreter oder gar nur Stimmrechtsvertreter des Aktionärs ist, nicht derjenige ist, der das Stimmrecht aus den Aktien der Gesellschaft hält3. Das schließt es nicht aus, dass einem Bieter die Stimmrechte, die er als Vertreter für Dritte ausüben kann, nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 zugerechnet werden. Zum anderen setzt das Halten der Stimmrechte voraus, dass der Bieter für eine gewisse Dauer Aktionär der Zielgesellschaft ist4. Dies ist für die Frage der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebotes von Bedeutung. Dabei macht die Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 deutlich, dass nicht jede (sei es auch noch so kurzzeitige) Verfügungsbefugnis über Aktien die Pflicht zur Abgabe eines Angebots auslöst. Darüber hinaus muss der Bieter Kenntnis von seiner Beteiligung in Höhe der Kontrolle haben bzw. hätte nach den Umständen um seine Kontrollstellung wissen müssen5. In der Regel hält derjenige die Stimmrechte an der Zielgesellschaft, der Eigentümer der Wertpapiere ist, welche die Stimmrechte gewähren6. Dabei kommt es auf den Rechtsgrund der Eigentumserlangung nicht an. Deshalb ist auch derjenige Halter, dem im Zuge der Wertpapierleihe Wertpapiere darlehensweise übereignet wurden7. Seine Qualifikation als Halter von Stimmrechten verliert der Eigentümer der Wertpapiere erst im Falle des Eigentumsverlusts. Halter ist der Eigentümer von Aktien deshalb auch dann, wenn er zwar schuldrechtlich zur Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft verpflichtet ist, diese aber noch nicht übereignet wurden8. Ebenso verhält es sich selbst für den Fall, dass bereits ein dingliches Anwartschaftsrecht an 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 52. Ferner von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 141; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 59; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 38; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 33; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 26; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 30. A.A. Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2593 f.; Harbarth, ZIP 2002, 321, 326 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 56 (mit anderweitigem Vorschlag). 2 So auch Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 27; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 30. 3 Vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 40; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 21; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 18. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 18 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 46. 5 Für eine Unkenntnis genügt nicht, dass der Aktionär davon ausgeht, seine Anteile bereits wirksam auf Dritte übertragen zu haben, und sich später herausstellt, dass die Übertragung wegen Verstoßes gegen § 191 AktG nichtig war, vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 30.1.2005 – WpÜG Owi 1/04, NZG 2006, 792. 6 LG Frankfurt a.M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, AG 2009, 422, 423 unter 2.b). Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 94; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 40; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 20; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 21; Sohbi in Heidel, § 29 WpÜG Rz. 2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 18. 7 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 95. 8 OLG Frankfurt a.M. v. 30.11.2005 – WpÜG-Owi 1/04, AG 2006, 798, 799 unter 1.a) am Ende und in dieser Sache auch BGH v. 31.5.2006 – 2 ARs 78/06 2 AR 8/06, wistra 2006, 391; LG Frankfurt a.M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, AG 2009, 422, 423 unter 2.b). Siehe auch
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Begriffsbestimmungen
der Aktie begründet wurde1. Wurden die Wertpapiere dem Bieter zur Sicherheit übereignet, so hält er als Eigentümer der Wertpapiere – mangels anderweitiger Vereinbarungen über die Stimmrechtsausübung – die Stimmrechte aus den ihm übereigneten Papieren2. Entsprechendes gilt für die Sicherungsübereignung von Wertpapieren durch den Bieter an einen Dritten, doch sind dem Bieter in diesem Falle die Stimmrechte aus den zur Sicherheit übertragenen Aktien aufgrund der bieterspezifischen Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zuzurechnen, es sei denn, der Dritte ist zur Ausübung der Stimmrechte aus diesen Aktien befugt und bekundet die Absicht, die Stimmrechte unabhängig von den Wertungen des Bieters auszuüben. Sieht die Sicherungsübereignung im Hinblick auf die Stimmrechtsausübung eine anderweitige Regelung vor, so kommt eine Zurechnung der Stimmrechte aus den zur Sicherheit übertragenen Papieren nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Betracht. Entsprechendes gilt in Bezug auf die einer Bank übertragenen Wertpapiere, für die Depositary Receipts – bekanntestes Beispiel sind die American Depositary Receipts (ADR’s) – ausgegeben werden3. Im Übrigen sind bei der Ermittlung der Stimmrechte nach § 29 Abs. 2 die Zurechnungstatbestände des § 30 zu berücksichtigen (siehe Rz. 23). 6. Zurechnung von Stimmrechten Bei der Ermittlung der Stimmrechte sind die Zurechnungstatbestände des § 30 einzubeziehen. Unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 und 2 werden Stimmrechte aus Aktien, die nicht im Eigentum des Bieters stehen, diesem für die Berechnung des Stimmrechtsanteils zugerechnet. Von besonderer praktischer Bedeutung sind dabei die Zurechnungstatbestände des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Stimmrechte aus Aktien, die einem Tochterunternehmen gehören), des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Stimmrechte aus Aktien, die einem Dritten gehören und von diesem für Rechnung des Bieters gehalten werden) sowie des § 30 Abs. 2 (Stimmrechte aus Aktien, die einem Dritten gehören, und eine Bindung bei der Ausübung der Stimmrechte aufgrund einer „acting in concert“-Vereinbarung zwischen Bieter oder seinem Tochterunternehmen mit dem Dritten besteht). Zu den Einzelheiten und den weiteren Zurechnungstatbeständen siehe die Ausführungen zu § 30.
23
7. Mittelbarer Kontrollerwerb Ein Wertpapiererwerbsangebot, das nicht auf den Erwerb der Kontrolle der Zielgesell- 24 schaft des Angebots gerichtet ist – etwa weil es sich um ein Aufstockungsangebot aus einer bereits bestehenden Kontrollstellung heraus handelt (siehe oben Rz. 6) –, wird nicht etwa dadurch zu einem Übernahmeangebot, dass der Bieter mit dem Erwerb der Wertpapiere der Zielgesellschaft (und gegebenenfalls durch die Zurechnung von deren Wertpapierbesitz entsprechend § 30 sowie die Hinzurechnung seines eigenen Wertpapierbesitzes) auch die Kontrolle über eine Tochtergesellschaft der Zielgesellschaft oder über ein bislang nicht konzerneingebundenes drittes Unternehmen erlangt. Ebenso wenig wird ein Übernahmeangebot in Bezug auf Wertpapiere der Zielgesellschaft zu einem Übernahmeangebot auch in Bezug auf die Tochterunter-
von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 95; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 46 f.; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 24. 1 Siehe von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 95 mit dem Hinweis, hier komme eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 an den Erwerber in Betracht. 2 Vgl. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 18. 3 Vgl. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 18.
Assmann
803
§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
nehmen der Zielgesellschaft1. Vielmehr kann ein solcher mittelbarer Kontrollerwerb allenfalls zur Folge haben, dass der Bieter nach Kontrollerlangung über die Zielgesellschaft ein Pflichtangebot in Bezug auf die Wertpapiere des Tochterunternehmens nach § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 abzugeben hat. Entscheidend ist mithin, dass die Frage, ob ein Wertpapiererwerbsangebot auf die Erlangung der Kontrolle gerichtet ist, immer nur im Hinblick auf das Unternehmen (die Zielgesellschaft) zu beantworten ist, auf dessen Wertpapiere sich das Angebot beziehen soll2. 8. Berechnung des Stimmrechtsanteils bei der KGaA 25
Die Berechnung des Stimmrechtsanteils bei der KGaA erfolgt wie bei der AG nach dem Verhältnis der absoluten Zahl der Stimmrechte zu den vom Bieter gehaltenen oder ihm zuzurechnenden Stimmrechten. Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts ändert hieran auch nichts die Tatsache, dass einerseits die Aktien dem Bieter lediglich eine Stellung als Kommanditist verschaffen und andererseits aber die Beschlüsse der Hauptversammlung unter dem Zustimmungsvorbehalt des Komplementärs stehen3.
III. Befreiungsmöglichkeiten 26
Die Bundesanstalt kann von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 befreien. Die Befreiung nach § 37 Abs. 1 ist im Gegensatz zu § 36 eine Ermessensentscheidung. Gründe für eine Befreiung können sich u.a. auf Grund der Art des Erlangens der Kontrolle, der mit dem Erlangen der Kontrolle beabsichtigten Zielsetzung oder der tatsächlichen Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle ergeben. Eine Konkretisierung des gesetzlichen Tatbestandes erfolgt in § 9 WpÜG-AngVO (zu den Einzelheiten siehe Ausführungen zu § 37).
§ 30 Zurechnung von Stimmrechten (1) Stimmrechten des Bieters stehen Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft gleich, 1. die einem Tochterunternehmen des Bieters gehören, 2. die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Bieters gehalten werden, 1 Unklar die 1. Aufl. Wie jetzt hier ausgeführt auch von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 50 f.; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 28 f.; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 10; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 13. 2 Vgl. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 51; Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 29; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 18; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 7; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 10. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 29 Rz. 36 f. 3 Ganz h.M., vgl. Diekmann in Baums/Thoma, § 29 Rz. 39; Noack in Schwark/Zimmer, § 29 WpÜG Rz. 7, 15; Scholz, NZG 2006, 445; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 29 Rz. 24; jetzt auch Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 29 Rz. 17, der allerdings eine Befreiung nach § 37 Abs. 1 in Betracht zieht.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
3. die der Bieter einem Dritten als Sicherheit übertragen hat, es sei denn, der Dritte ist zur Ausübung der Stimmrechte aus diesen Aktien befugt und bekundet die Absicht, die Stimmrechte unabhängig von den Weisungen des Bieters auszuüben, 4. an denen zugunsten des Bieters ein Nießbrauch bestellt ist, 5. die der Bieter durch eine Willenserklärung erwerben kann, 6. die dem Bieter anvertraut sind oder aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann, sofern er die Stimmrechte aus diesen Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann, wenn keine besonderen Weisungen des Aktionärs vorliegen. Für die Zurechnung nach Satz 1 Nr. 2 bis 6 stehen dem Bieter Tochterunternehmen des Bieters gleich. Stimmrechte des Tochterunternehmens werden dem Bieter in voller Höhe zugerechnet. (2) Dem Bieter werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend. (3) Für die Zurechnung nach dieser Vorschrift gilt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinsichtlich der Beteiligungen, die von ihm im Rahmen einer Wertpapierdienstleistung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 des Wertpapierhandelsgesetzes verwaltet werden, unter den folgenden Voraussetzungen nicht als Tochterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6: 1. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf die Stimmrechte, die mit den betreffenden Aktien verbunden sind, nur aufgrund von in schriftlicher Form oder über elektronische Hilfsmittel erteilten Weisungen ausüben oder stellt durch geeignete Vorkehrungen sicher, dass die Finanzportfolioverwaltung unabhängig von anderen Dienstleistungen und unter Bedingungen, die denen der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmten Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABI. EG Nr. L 375 S. 3), die zuletzt durch Artikel 9 der Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2005 (ABI. EU Nr. L 79 S. 9) geändert worden ist, gleichwertig sind, erfolgt, 2. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen übt die Stimmrechte unabhängig vom Bieter aus, 3. der Bieter teilt der Bundesanstalt den Namen dieses Wertpapierdienstleistungsunternehmens und die für dessen Überwachung zuständige Behörde oder das Fehlen einer solchen mit und 4. der Bieter erklärt gegenüber der Bundesanstalt, dass die Voraussetzungen der Nummer 2 erfüllt sind. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gilt jedoch dann für die Zurechnung nach dieser Vorschrift als Tochterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6, wenn der Bieter oder ein anderes Tochterunternehmen des Bieters seinerseits Anteile an der vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwalteten Beteiligung hält und das
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Stimmrechte, die mit diesen Beteiligungen verbunden sind, nicht nach freiem Ermessen, sondern nur aufgrund unmittelbarer oder mittelbarer Weisungen ausüben kann, die ihm vom Bieter oder von einem anderen Tochterunternehmen des Bieters erteilt werden. (4) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Umstände erlassen, unter denen im Falle des Absatzes 3 eine Unabhängigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens vom Bieter gegeben ist.
Inhaltsübersicht A. Regelungsgegenstand und Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . .
8
C. Verhältnis zu § 22 WpHG. . . . . . . . .
12
D. Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
E. Der Grundsatz der mehrfachen Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
VIII. Ausnahme für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 30 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 J. Für Rechnung des Bieters gehalten (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . 55 I. Der Halter als Bieter . . . . . . . . . . . . . 55 II. Auslegung nach Sinn und Zweck . . 57 III. Einem Dritten gehören . . . . . . . . . . . 58
F. Der Grundsatz der Kettenzurechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
IV. „Für Rechnung“ gehalten . . . . . . . . 60
I. Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . .
16
II. Gesetzlich geregelte Kettenzurechnung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Wirtschaftliche Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
17
III. Gesetzlich nicht geregelte Kettenzurechnung . . . . . . . . . . . . . . .
V. Aufteilung des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
20
VI. Verwaltungstreuhand . . . . . . . . . . . . 68
G. Information und Auskunft . . . . . . . .
22
I. Informationseinholungspflicht des Bieters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII. Holding und Vermögensverwaltungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 79
22
II. Auskunftsrecht des Bieters . . . . . . .
24
III. Informationspflicht des Aktionärs gegenüber dem Bieter . . . . . . . . . . . .
28
H. Einem Tochterunternehmen gehören (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). . . . . . .
29
1. 2. 3. 4.
Holdingstrukturen . . . . . . . . . . . . . . Vorschaltgesellschaften . . . . . . . . . . Investmentgesellschaften. . . . . . . . . Wertpapierleihe/Aktiendarlehen. . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Darlehensnehmer als Bieter . c) Der Darlehensgeber als Bieter . . . d) Kettenleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Repo-Agreement und Sell-Buyback-Arrangement . . . . . . . . . . . . 5. Kommissionsgeschäft . . . . . . . . . . . .
80 82 86 87 87 91 94 96
I. Tochterunternehmen . . . . . . . . . . . .
29
II. Mutterunternehmen . . . . . . . . . . . . .
34
III. Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 HGB gelten (§ 30 Abs. 1 Satz 2) . . . .
36
IV. Unternehmen, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
K. Einem Dritten als Sicherheit übertragen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) . . . . 100
37
V. KG und GmbH & Co. KG . . . . . . . .
40
L. Zu Gunsten des Bieters einen Nießbrauch bestellt (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
VI. Mehrstufiger Konzern . . . . . . . . . . . .
43
VII. Mehrfache Abhängigkeit, gemeinsame Beherrschung (Gemeinschaftsunternehmen) . . . . . . . . . . . .
46
806 Uwe H. Schneider
97 99
M. Durch eine Willenserklärung erwerben kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . 110
§ 30
Zurechnung von Stimmrechten II. Auf Übereignung gerichtetes Angebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Schuldrechtliche Verträge . . . . . . . . 114 IV. Verkaufsoption und börsengängige Kaufoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 N. Dem Bieter anvertraut oder „aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann“ (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6) . . . . . . . . . . 140 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 140 II. Nach eigenem Ermessen . . . . . . . . . 148
2. Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (1. Fallgruppe) . . 3. Einfluss auf die Zielsetzung des Unternehmens (2. Fallgruppe) . . . . . a) Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . b) In sonstiger Weise . . . . . . . . . . . . . c) Änderung der unternehmerischen Ausrichtung . . . . . . . . . . . . 4. Abgestimmter Parallelerwerb . . . . . 5. Vereinbarungen in Einzelfällen . . . .
180 184 184 188 189 193 199
VI. Gegenseitige Zurechnung in voller Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
III. Vollmachtstreuhand . . . . . . . . . . . . . 149
VII. Beweislast und Beweisführung . . . 209a
IV. Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
VIII. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
O. Sein Verhalten mit dem Bieter abgestimmt (§ 30 Abs. 2) . . . . . . . . . 164
213 215 218 221 222
I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . 166 III. Beteiligte der Vereinbarung oder Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Mehrere Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Gemeinsamer Vertreter . . . . . . . . . . 172 IV. Vereinbarung und Abstimmung in sonstiger Weise . . . . . . . . . . . . . . . 175 V. Der Inhalt der Vereinbarung oder Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
1. Gemeinsame Beratung und Aktionärsforum . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern 3. Poolvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 4. Pool-in-Pool-Vereinbarungen . . . . . . 5. „Frühstücks-Pool“ . . . . . . . . . . . . . . 6. Nahe Verwandte und FamilienPools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gesellschaft und ihre geschäftsführenden Organmitglieder . . . . . . . 8. Berater, Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . 9. Konzerninterne Vereinbarung . . . . .
223 228 229 231
IX. Ermächtigung für Rechtsverordnung (§ 30 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . 232 P. Abschließender Katalog von Zurechnungstatbeständen? . . . . . . . 233
Schrifttum: Anders/Filgut, Abgestimmte Stimmrechtsausübung – Ist die Einzelfallausnahme systemwidrig?, ZIP 2010, 1115; Arnold, Die neue konzernweite Stimmrechtszurechnung gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG, AG 2006, 567; Bachmann, Rechtsfragen der Wertpapierleihe, ZHR 173 (2009), 596; Berding, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Grundsätze im Übernahmerecht, WM 2002, 1149; Berger/Filgut, „Acting in Concert“ nach § 30 Abs. 2 WpÜG, AG 2004, 592; Borges, Acting in Concert: Vom Schreckgespenst zur praxistauglichen Zurechnungsnorm, ZIP 2007, 357; Braun, Das einflusslose Mitglied im Stimmrechtspool, NZG 2008, 928; von Bülow, Acting in Concert: Anwendungsprobleme des neuen Zurechnungstatbestands, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 137; von Bülow/Bücker, Abgestimmtes Verhalten im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, ZGR 2004, 669; von Bülow/Petersen, Stimmrechtszurechnung zum Treuhänder?, NZG 2009, 1373; von Bülow/Stephanblome, Acting in Concert und neue Offenlegungspflichten nach dem Risikobegrenzungsgesetz, ZIP 2008, 1779; Cahn, Der Kontrollbegriff des WpÜG, in Mülbert/ Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 77; Cascante/Topf, „Auf leisen Sohlen?“ Stakebuilding bei der börsennotierten AG, AG 2009, 53; Casper, Acting in Concert, ZIP 2003, 1469; Casper, Acting in Concert – Grundlagen eines neuen kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestandes, ZIP 2003, 1469; Casper, Acting in Concert – Reformbedürftigkeit eines neuen kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestandes, in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005; Casper/Bracht, Abstimmung bei der Wahl des Aufsichtsrats: Ein Fall für ein Pflichtangebot?, NZG 2005, 839; Diekmann, Acting in Concert: Absprachen zur Besetzung des Aufsichtsrats, DStR 2007, 445; Diekmann/Merkner, Erhöhte Transparenzanforderungen
Uwe H. Schneider
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
im Aktien- und Kapitalmarktrecht – ein Überblick über den Regierungsentwurf zum Risikobegrenzungsgesetz, NZG 2007, 921; Drinkuth, Gegen den Gleichlauf des Acting in concert nach § 22 WpHG und § 30 WpÜG, ZIP 2008, 676; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Teil II), DStR 2002, 768; Fleischer, Finanzinvestoren im ordnungspolitischen Gesamtgefüge von Aktien-, Bankaufsichts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2008, 185; Fleischer/Bedkowski, Stimmrechtszurechnung zum Treuhänder gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG: Ein zivilgerichtlicher Fehlgriff und seine kapitalmarktrechtlichen Folgen, DStR 2010, 933; Franck, Die Stimmrechtszurechnung nach § 22 WpHG und § 30 WpÜG, BKR 2002, 709; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008; Gätsch/Schäfer, Abgestimmtes Verhalten nach § 22 II WpHG und § 30 II WpÜG in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes, NZG 2008, 846; Geibel/Süßmann, Erwerbsangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BKR 2002, 52, 62; Halász/Kloster, Abgestimmtes Verhalten im Sinne des § 30 Abs. 2 WpÜG im Zusammenhang mit einem Dept-Equity Swap, WM 2006, 2152; Halász/Kloster, Acting in Concert im Lichte der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, Der Konzern 2007, 344; Hamann, In concert or not in concert?, ZIP 2007, 1088; Harbarth, Kontrollerlangung und Pflichtangebot, ZIP 2002, 321; Holzborn/Friedhoff, Die gebundenen Ausnahmen der Zurechnung nach dem WpÜG, WM 2002, 948; Hopt, Die Änderung der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG durch das geplante Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hutter/Kaulamo/Plepelits, Die Verwendung von Total Return Equity Swaps bei feindlichen Übernahmen – Eine Analyse nach deutschem und US-amerikanischem Wertpapier- und Übernahmerecht, in Gedächtnisschrift Gruson, 2009, S. 213; Kocher, Die Einzelfallausnahme beim kapitalmarkrechtlichen Acting in concert, Der Konzern 2010, 162; Land, Das neue deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2001, 1707; Lange, Aktuelle Rechtsfragen der kapitalmarktrechtlichen Zurechnung, ZBB 2004, 22; Lange, Die Auswirkungen der Zurechnungsvorschriften des WpÜG auf Vorstandsmitglieder, Der Konzern 2003, 675; Lebherz, Publizitätspflichten bei der Übernahme börsennotierter Unternehmen, WM 2010, 154; Lenz/Linke, Das WpÜG in der aufsichtsrechtlichen Praxis, AG 2002, 361; Liebscher, Die Zurechnungstatbestände des WpHG und WpÜG, ZIP 2002, 1005; Markwardt, Diskussionsbericht zu den Referaten „Acting in Concert“ von Caspar und Pentz, ZIP 2003, 1492; Merkner/Sustmann, Vorbei mit dem unbemerkten Anschleichen an börsennotierte Unternehmen, NZG 2010, 681; Meyer/Bundschuh, Sicherungsübereignung börsennotierter Aktien, Pflichtangebot und Meldepflichten, WM 2003, 960; Meyer/Kiesewetter, Rechtliche Rahmenbedingungen des Beteiligungsaufbaus im Vorfeld von Unternehmensübernahmen, WM 2009, 340; Mülbert, Umsetzungsfragen der Übernahmerichtlinie – erheblicher Änderungsbedarf bei den heutigen Vorschriften des WpÜG, NZG 2004, 633; Mülbert, Übernahmerecht im Gefolge der EU-Übernahmerichtlinie, in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141; Nelle, Stimmrechtszurechnung und Pflichtangebot nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie, ZIP 2006, 2057; Pentz, Acting in Concert – ausgewählte Einzelprobleme zur Zurechnung und zu den Rechtsfolgen, ZIP 2003, 1478; Pluskat, Acting in Concert in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes – jetzt alles anders?, DB 2009, 383; Redeker, Kontrollerwerb an Krisengesellschaften: Chancen und Risiken des Debt-Equity-Swap, BB 2007, 673; Rulf, Die Zurechnungstatbestände des WpHG und WpÜG, 2010; Schiessl, Beteiligungsaufbau mittels Cash-settled Total Return Equity-Swaps – neue Modelle und Einführung von Meldepflichten, Der Konzern 2009, 291; Schmidt/Schlitt, Debt Equity Swap – Eine attraktive Form der Restrukturierung, Der Konzern 2009, 279; Schmidtbleicher, Das „neue“ acting in concert – ein Fall für den EuGH?, AG 2008, 73; Uwe H. Schneider, Acting in Concert – ein kapitalmarktrechtlicher Zurechnungstatbestand, WM 2006, 1321; Uwe H. Schneider/Anzinger, Institutionelle Stimmrechtsberatung und Stimmrechtsvertretung – „A quiet gurus enormous clout“, NZG 2007, 88; Schockenhoff/ Schumann, Acting in Concert – geklärte und ungeklärte Rechtsfragen, ZGR 2005, 568; Seibt, Grenzen des übernahmerechtlichen Zurechnungstatbestandes in § 30 Abs. 2 WpÜG (Acting in Concert), ZIP 2004, 1829; Seibt, Stimmrechtszurechnung nach § 30 WpÜG zum Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH?, ZIP 2005, 729; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; Sieger/Hasselbach, Wertpapierdarlehen – Zurechnungsfragen im Aktien-, Wertpapierhandels- und Übernahmerecht, WM 2004, 1370; Spindler, Acting in concert-Begrenzung von Risiken durch Finanzinvestoren, WM 2007, 2357; Stadler, Zurechnung von Stimmrechten und Pflichtangebote im Rahmen von Treuhandschaften an börsennotierten Aktien, insbesondere im Falle doppelnütziger Sanierungstreuhandschaften, NZI 2009, 878; Strunk/Linke, Erfahrungen mit dem Über-
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Zurechnung von Stimmrechten
nahmerecht aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3; Strunk/Salomon/Holst, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht, in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1; Teichmann/Epe, Neuer Regelungsansatz in der kapitalmarktrechtlichen Beteiligungstransparenz: Generalklausel statt Fallgruppen-Lösung, WM 2010, 1477; Veil, Stimmrechtszurechnungen aufgrund von Abstimmungsvereinbarungen gem. § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 654; Wackerbarth, Die Zurechnung nach § 30 WpÜG zum Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, ZIP 2005, 1217; Weiler/Meyer, „Abgestimmtes Verhalten“ gemäß § 30 WpÜG: Neue Ansätze der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht?, NZG 2003, 909; Wilsing/Goslar, Der Regierungsentwurf des Risikobegrenzungsgesetzes – ein Überblick, DB 2007, 2467.
A. Regelungsgegenstand und Regelungszweck Der 4. Abschnitt des WpÜG handelt von den Übernahmeangeboten. Der 5. Abschnitt regelt die Pflichtangebote.
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Sowohl „Übernahmeangebote“ nach § 29 als auch „Pflichtangebote“ nach § 35 2 knüpfen an die „Kontrolle“ i.S.v. § 29 Abs. 2 an. „Kontrolle“ ist nach § 29 Abs. 2 das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft. Von dieser Definition geht auch § 35 Abs. 1 Satz 1 aus. Stimmrechte hält der Aktionär. Darüber hinaus werden nach § 30 auch Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft, die einem Dritten gehören, unter den näher in § 30 bestimmten Umständen dem Bieter zugerechnet. Übernahmeangebote i.S.v. § 29 können daher auch Angebote sein, die nicht auf den Erwerb der Aktien gerichtet sind, sondern auf den Erwerb einer Rechtsposition i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–6 und Abs. 2. „Kontrolle“ erlangt haben kann i.S.v. § 35 auch, wer nicht Aktionär geworden ist, dem aber Stimmrechte zugerechnet werden. Zur Abgabe eines Pflichtangebots kann daher auch verpflichtet sein, wer selbst keine Aktien hält, dem aber Stimmrechte in entsprechender Höhe zugerechnet werden.
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Bezweckt ist durch § 30 die Ausweitung des Kontrollbegriffs1. Dem Bieter sollen all 4 diejenigen Stimmrechte zugerechnet werden, auf deren Ausübung er von Rechts wegen oder tatsächlich Einfluss nehmen kann oder Einfluss hat2. Eingefangen werden sollen auch Vermeidungsstrategien. Durch nachfolgende Änderungen der §§ 21 ff. WpHG sind das Offenlegungsrecht und das Übernahmerecht zumindest dem Wortlaut nach auseinander gelaufen:
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– Das Offenlegungsrecht ruht auf drei Säulen3. Durch die §§ 21 ff. WpHG soll eine Offenlegung des Haltens oder zugerechneter Stimmrechte erreicht werden. Offengelegt werden soll der Stimmrechtseinfluss (1. Säule). § 25 WpHG verlangt die Offenlegung des Zugriffsrechts auf mit Stimmrechten verbundenen Aktien (2. Säule). § 25a WpHG will bereits die Offenlegung der Zugriffsmöglichkeit auf mit Stimmrechten verbundenen Aktien (3. Säule).
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– Im Übernahmerecht sind § 25 und § 25a WpHG entsprechende Vorschriften nicht ins WpÜG aufgenommen worden. Damit stellt sich etwa die Frage, ob sich im
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1 Cahn in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 77, 84. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1304, 1312; Casper, ZIP 2003, 1469; Seibt, ZIP 2004, 1830. 3 Siehe bei Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 25a WpHG Rz. 12.
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Übernahmerecht nicht schon aus § 30 eine Zurechnung bei schuldrechtlichen Zugriffsrechten und Zugriffsmöglichkeiten ergibt oder ob die Regelungen im Offenlegungsrecht über die Regelungen im Übernahmerecht hinausgehen.
B. Entstehungsgeschichte 8
§ 30 wurde wiederholt geändert, zuletzt durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.2006 (BGBl. I 2006, 1426), durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 5.1.2007 (BGBl. I 2007, 10), durch das Investmentänderungsgesetz vom 21.12.2007 (BGBl. I 2007, 3089) und durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 12.8.2008 (BGBl. I 2008, 1666).
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Durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 5.1.2007 (BGBl. I 2007, 10) wurde § 30 Abs. 1 Nr. 6 geändert und eine Zurechnung bei Stimmrechtsbevollmächtigten vorgesehen. Zugleich wurde in § 30 Abs. 3 die Zurechnung bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Tochterunternehmen geordnet.
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Durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 12.8.2008 (BGBl. I 2008, 1666) sollten die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, „dass gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren erschwert oder möglicherweise sogar verhindert werden, ohne zugleich Finanz- und Unternehmenstransaktionen, die effizienzfördernd wirken, zu beinträchtigen“. Im Blick hierauf wurden die Vorschriften zum abgestimmten Verhalten in § 30 Abs. 2 neu definiert und erweitert. Erfasst wurde auch das abgestimmte Verhalten („acting in concert“) im Vorfeld von Hauptversammlungen.
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Das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.2011 (BGBl. I 2011, 538), das umfangreiche Änderungen im Melderegime des WpHG brachte, hat die hier einschlägigen Vorschriften, insbesondere § 30, nicht geändert.
C. Verhältnis zu § 22 WpHG 12
Der Wortlaut von § 30 und § 22 WpHG war mit den nötigen Abänderungen zunächst weitgehend identisch. Der Wortlaut ist dann auseinandergelaufen. Er wurde aber in der Folge wieder angeglichen1. Damit wird die enge Verknüpfung des WpÜG zu den Vorschriften des WpHG hergestellt2. Durch nahezu wortgleiche Zurechnungsvorschriften wollte der Gesetzgeber Irritationen am Kapitalmarkt vermeiden. Zugleich werden auf Grund dieses beabsichtigten Gleichlaufs die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für § 22 WpHG auch auf § 30 übertragen3.
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Die abgestimmte Anpassung des Wortlauts des § 22 WpHG erfolgte durch Art. 2 Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen. In der Begr. RegE zu § 30 heißt es dazu, veranlasst seien die Modifikationen des § 22 WpHG und des hieran anknüpfenden § 30 durch die mit der Anwendung des § 22 WpHG gewonnenen Erfahrungen. Die Anpassungen dienten zum einen der Klarstellung bestimmter Sachverhalte, deren Einordnung in der Praxis zu Zweifelsfragen Anlass gegeben hat. Zum anderen sollten bestehende 1 Amtl. Begr. zum TUG (BT-Drucks. 16/2498, S. 29); Risikobegrenzungsgesetz (BT-Drucks. 16/7438, S. 8, 11). 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53, 70. 3 Kritisch Mülbert, Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 150.
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Zurechnung von Stimmrechten
Lücken bei der Zurechnung geschlossen werden. Im Ergebnis ist dies aber nur zum Teil gelungen. Zweifelsfragen wurden nicht geklärt. Wesentliche Lücken wurden nicht geschlossen. Neue Lücken wurden aufgerissen.
D. Auslegung Die Auslegung von § 30 und § 22 WpHG sollte nach dem Willen des Gesetzgebers 14 identisch sein1. Dies ist weder zwingend noch überzeugend2. Die Auslegung von § 22 WpHG hat richtlinienkonform zu erfolgen, und zwar insbesondere im Blick auf Art. 7 und 8 der Transparenzrichtlinie vom 12.12.19883. Die EU-Richtlinie vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote4 enthält u.a. in Art. 2 eine Definition der „gemeinsam handelnden Personen“ und in Art. 5 Bestimmungen über die Zurechnung. Die „überschießende Rechtsangleichung“5 durch die Wortgleichheit der Vorschriften verlangt keine identische Auslegung6. Vielmehr kann der unterschiedliche Sinn und Zweck der Vorschriften, nämlich die Herstellung von größtmöglicher Transparenz einerseits und insbesondere die Abgabe eines Pflichtangebots andererseits, eine unterschiedliche Auslegung von § 22 WpHG und § 30 verlangen7. Im Zweifel ist offenzulegen. Das verlangt eine weite Auslegung. Dagegen ist ein Pflichtangebot nur gerechtfertigt, wenn die gute Ordnung im Kapitalmarkt und der Schutz der freien Aktionäre dies gebietet.
E. Der Grundsatz der mehrfachen Zurechnung Werden Stimmrechte einem Bieter zugerechnet, so sind die Stimmrechte bei dem 15 Aktionär, dessen Stimmrechte zugerechnet werden, nicht hinwegzurechnen. Eine „Absorption“ (Abzug) findet nicht statt. Bei den Mitteilungspflichten nach § 21 WpHG gilt daher der Grundsatz der doppelten Meldepflicht8. Der Grundsatz der
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53, 70; ebenso: Möller, AG 2002, 170, 174; Liebscher, ZIP 2002, 1009. Siehe auch European Securities Markets Export Group, Preliminary Views on the definition of „acting in concert“ vom 17.11.2008. 2 Ebenso OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 125, 129; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, Anh. § 22, §§ 21 ff. WpHG Rz. 19; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 2; Seibt, ZIP 2005, 732 f.; Franck, BKR 2002, 709; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 19; Mülbert in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 150; Borges, ZIP 2007, 357, 361; Gätsch/Schäfer, NZG 2008, 846, 848; von Bülow in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 141, 154; a.A. Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 88; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 410; Möller, AG 2002, 170, 174, Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 608; Schüppen/Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 88; differenzierend: Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 30 WpÜG Rz. 4. 3 ABl. EG Nr. L 348 v. 17.12.1988; Einzelheiten bei Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, Vor § 21 WpHG Rz. 33. 4 ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 5 Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien: Habersack/Mayer, JZ 1999, 913; Hommelhoff in FS 50 Jahre BGH, 2000, Band 2, S. 889, 913. 6 Franck, BKR 2002, 709; Holzborn in Bad Homburger Hdb., Rz. C 26. 7 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 13; Mülbert, Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 150; Fleischer, ZGR 2008, 185, 196; eingehend: Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1322. 8 Ebenso für die §§ 21 ff. WpHG: Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 21 WpHG Rz. 57 ff.; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 4; Opitz in Schäfer/Hamann, § 21 WpHG Rz. 36; Hüffer, Anh. § 22 AktG, § 22 WpHG Rz. 6; Hildner, Kapitalmarktrechtliche Beteiligungstransparenz verbundener Unternehmen, 2002, S. 100.
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mehrfachen Zurechnung gilt entsprechend für § 301. Daher können etwa hinsichtlich derselben Stimmrechtsanteile mehrere Personen verpflichtet sein, ein Pflichtangebot abzugeben. Exemplarisch ist dies beim Abstimmen des Verhaltens durch eine Vielzahl von Personen, § 30 Abs. 2. Alle Beteiligten können zur Offenlegung und entsprechend zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet sein. Gegebenenfalls besteht die Möglichkeit, einen Befreiungsantrag nach § 37 Abs. 1 zu stellen.
F. Der Grundsatz der Kettenzurechnung I. Regelungsproblem 16
Da § 30 einen Katalog von Zurechnungstatbeständen enthält, stellt sich die Frage, ob jeder Zurechnungstatbestand für sich abschließend zur Anwendung gelangt (Einzelzurechnung) oder ob dem Bieter auch die dem Dritten seinerseits zuzurechnenden Stimmrechte zuzurechnen sind (Kettenzurechnung)2. Beispiel: Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind den Stimmrechten des Bieters auch die Stimmrechte aus Aktien zuzurechnen, die einem Tochterunternehmen des Bieters gehören. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 gilt das Entsprechende für Stimmrechte aus Aktien, an den zu Gunsten des Bieters ein Nießbrauch bestellt ist. Hiernach sind dem Bieter auch Stimmrechte aus Aktien zuzurechnen, an denen zwar nicht zu Gunsten des Bieters, wohl aber zu Gunsten eines Tochterunternehmens des Bieters ein Nießbrauch bestellt ist.
II. Gesetzlich geregelte Kettenzurechnung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3) 17
Die Kettenzurechnung ist in zwei Fällen ausdrücklich gesetzlich geregelt. Zum einen erfolgt eine Kettenzurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 2, wenn einem „Tochterunternehmen“ seinerseits Stimmrechte nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2–6 zugerechnet werden. Unabhängig von der Höhe der Beteiligung ist die Zurechnung in voller Höhe vorzunehmen, § 30 Abs. 1 Satz 33. Dahinter steht der Gedanke, dass das Mutterunternehmen nicht nur die Stimmrechte aus Aktien, die dem Tochterunternehmen gehören, beeinflussen kann, sondern auch die Stimmrechte, die dem Tochterunternehmen seinerseits zugerechnet werden.
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Das Entsprechende gilt nach § 30 Abs. 2 Satz 3 bei einer Zurechnung aufgrund abgestimmten Verhaltens. Dem Bieter werden hiernach nicht nur die Stimmrechte des Dritten zugerechnet, mit dem er sein Verhalten abstimmt, sondern auch die Stimmrechte, die dem Dritten nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2–6 zugerechnet werden. Das folgt aus der Verweisung auf § 30 Abs. 1 Satz 2. Zugerechnet werden ferner die Stimmrechte der Tochterunternehmen des Dritten. Das kann im Ergebnis zu einer mehrgliedrigen Kettenzurechnung führen: Dem Bieter werden nach § 30 Abs. 2 Satz 3 nicht nur die Stimmrechte des Dritten und die Stimmrechte der Tochterunter1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 49; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 24. 2 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 26; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 30 Rz. 3; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 23; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 71; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 713; Burgard, BB 1995, 2069, 2077 spricht von „kumulierender Zurechnung“. 3 Differenzierend für § 22 WpHG: Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 36; Burgard, BB 1995, 2069, 2077; Witt, AG 2001, 233, 240; Hildner, Kapitalmarktrechtliche Beteiligungstransparenz verbundener Unternehmen, 2002, S. 100 ff.
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nehmen des Dritten, sondern auch die Stimmrechte zugerechnet, die dem Tochterunternehmen des Dritten zugerechnet werden. Werden aber Stimmrechte auf Grund mehrfacher Zurechnungstatbestände zugerechnet, so werden diese bei dem einzelnen Zurechnungssubjekt nicht mehrfach gezählt1.
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III. Gesetzlich nicht geregelte Kettenzurechnung Im Übrigen sprechen Sinn und Zweck für eine weitergehende Kettenzurechnung, 20 soweit der Bieter Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte hat. Dies ist für jede Fallgruppe getrennt zu prüfen2. Für § 22 WpHG, an den sich § 30 anlehnt, folgt dies mittelbar aus einer richtlinienkonformen Auslegung des Art. 7 Unterabs. 1 Anstr. 7 Transparenzrichtlinie (siehe Rz. 12). Danach kommt es nämlich nicht nur auf eine Erwerbsmöglichkeit seitens des Bieters oder eines von ihm kontrollierten Unternehmens, sondern auch auf eine Erwerbsmöglichkeit seitens „der anderen unter den vorstehenden Gedankenstrichen bezeichneten Personen“ an. Im Blick hierauf ist eine Kettenzurechnung geboten bei Stimmrechten, die einem Treuhänder in seiner Funktion als Treuhänder zugerechnet werden (Kettentreuhand)3. Dagegen verbietet sich eine Kettenzurechnung im Blick auf die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4, 5 und 6 genannten Dritten; denn der Meldepflichtige hat insoweit keinen Einfluss auf die Stimmrechte, die diesen Dritten zugerechnet werden.
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G. Information und Auskunft I. Informationseinholungspflicht des Bieters Angesichts der schwerwiegenden Folgen bei unterlassenem Pflichtangebot lassen sich die in § 30 enthaltenen Zurechnungstatbestände nur rechtfertigen, wenn erstens dem Bieter eine Informationseinholungspflicht (Informationsverschaffungspflicht) obliegt, wenn diese zweitens von einem abgestimmten System von Informationspflichten des Dritten und Auskunftsrechten des Bieters begleitet werden und wenn drittens dem Bieter über Bestand und Höhe ein entsprechender Auskunftsanspruch zusteht4.
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Der Bieter hat dafür zur sorgen, dass ihm die Sachverhalte bekannt werden, die zu ei- 23 ner Zurechnung von Stimmrechten führen. Dabei besteht das Problem, welchen Umfang diese Informationsverschaffungspflicht hat, ob regelmäßig abzufragen ist oder ob nur nach Ablauf gewisser Zeiträume eine Nachfrage geboten ist. Abzustellen ist auf den Einzelfall. Ist in einem Einzelfall eine Änderung zu erwarten, die aufgrund der Zurechnung zur Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots führen wird, so ist durch den Bieter nachzufragen. Muss der Bieter davon ausgehen, dass sich bei dem Dritten, dessen Stimmrechte ihm zugerechnet werden, in regelmäßigen Abstän1 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 28. 2 Siehe auch LG Köln v. 6.7.2005 – 82 O 150/04, AG 2005, 696, 699; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 22 WpHG Rz. 21. 3 A.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 99; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1010. 4 Uwe H. Schneider in FS Brandner, 1996, S. 565, 573; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 38, weil nicht ausdrücklich vorgesehen; siehe aber auch von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 46.
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den Änderungen im Bestand ergeben, so muss er für ein entsprechendes Informationssystem sorgen. So können insbesondere kontrollierte Unternehmen durch das Mutterunternehmen zu verpflichten sein, taggleich Bericht zu erstatten.
II. Auskunftsrecht des Bieters 24
Damit der Bieter seinen Pflichten nachkommen kann, bedarf es bei einzelnen Zurechnungstatbeständen eines entsprechenden Anspruchs auf Auskunft gegenüber dem Aktionär. Dieser folgt teilweise schon aus den besonderen gesetzlichen oder vertraglichen Beziehungen zwischen dem Aktionär und dem Bieter. Im Verhältnis zu den kontrollierten Unternehmen folgt dies aus einer entsprechenden Anwendung von § 294 Abs. 3 HGB1.
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Der Aktionär seinerseits ist zur Auskunft verpflichtet, ohne Rücksicht darauf, ob er seinen Sitz im Inland oder im Ausland hat. Damit werden nicht exterritoriale Pflichten begründet. Sie knüpfen vielmehr an die Mitgliedschaft im Inland an.
26
Problematisch ist die Lage allerdings bei einer Kettenzurechnung, wenn das zur Auskunft verpflichtete Unternehmen seinen Sitz im Ausland hat. Entgegenstehendes ausländisches Organisationsrecht oder Abwehrgesetze können hier dazu führen, dass das Auskunftsrecht nicht greift.
27
Zur Geltendmachung des Auskunftsanspruchs ist durch den Bieter vorzutragen, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er in Verbindung mit der Zurechnung nach § 30 die Kontrollschwelle erreicht hat.
III. Informationspflicht des Aktionärs gegenüber dem Bieter 28
Offen gelassen ist im Gesetz, ob der Aktionär einen Dritten, etwa das herrschende Unternehmen, dem die von ihm gehaltenen Aktien zugerechnet werden, über den Aktienbestand und Veränderungen hiervon unaufgefordert informieren muss. Unterlässt dies das kontrollierte Unternehmen, so ruhen die Stimmrechte des herrschenden Unternehmens aus eigenen Aktien, solange es nicht gemeldet hat (§ 59). Schwerer Schaden kann entstehen, wenn das herrschende Unternehmen gleichwohl die Stimmrechte ausübt. Vor diesem Hintergrund wird man im Interesse eines ausgewogenen Auskunfts- und Informationssystems zur Sicherung der übernahmerechtlichen Pflichten davon ausgehen können, dass der Aktionär zur Information Dritter verpflichtet ist, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass die Zurechnung bei einem Dritten zur Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots führt. Dies gilt auch dann, wenn der Aktionär selbst sein Stimmrecht nicht ausüben will.
H. Einem Tochterunternehmen gehören (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) I. Tochterunternehmen 29
Dem Bieter zuzurechnen sind Stimmrechte aus Aktien einer Gesellschaft, die einem Tochterunternehmen des Bieters gehören oder dem Tochterunternehmen seinerseits zugerechnet werden, § 30 Abs. 1 Satz 2 (siehe Rz. 36). Definiert ist der Begriff „Tochterunternehmen“ in § 2 Abs. 6 in Anknüpfung an § 1 Abs. 7 KWG und zugleich 1 Zurückhaltend: Windbichler in Großkomm. AktG, § 20 Rz. 51.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
unter Verweis auf § 290 HGB, und zwar in der Fassung durch das BilMoG1. Dabei braucht es sich nicht um Kapitalgesellschaften zu handeln, wie dies § 290 Abs. 1 Satz 1 HGB verlangt. „Tochterunternehmen“ kann auch eine OHG oder KG sein. Natürliche Personen können dagegen dagegen zwar Bieter aber nicht „Tochterunternehmen“ sein2. Nicht verlangt ist beim „Tochterunternehmen“ ein eigener Geschäftsbetrieb oder die Absicht der Gewinnerzielung. Aus dem Wortlaut der Vorschrift könnte man zwar ableiten, dass das Tochterunternehmen „unternehmerisch“ tätig sein muss3. Dagegen sprechen aber Sinn und Zweck der Zurechnungsvorschrift4. Denn es geht nicht um die Bewältigung von Interessenskonflikten, wie dies im Konzernrecht der Fall ist, sondern um die Möglichkeit der Einflussnahme. Und diese ist ganz unabhängig davon, ob eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird. Als „Tochterunternehmen“ kommt auch eine BGB-Gesellschaft in Betracht, die nur 30 Aktien hält oder die als Zwischenholding Einfluss vermittelt. Hat ein Bieter Aktien in eine BGB-Gesellschaft eingebracht, an der auch seine Ehefrau eine Minderheitsbeteiligung hält, so muss er sich die Stimmrechte aus den Aktien zurechnen lassen, auch wenn die Gesellschaft keine weiteren Geschäfte betreibt. Auch kann „Tochterunternehmen“ eine Stiftung5 sein. Die Stiftung hat zwar keine Mitglieder mit Stimmrechten. Sie kann aber faktisch beherrscht werden, wenn einer Person ein Bestellungs- oder Abberufungsrecht ansteht. Natürliche Personen können dagegen kein „Tochterunternehmen“ sein6; denn sie können nicht gesellschaftsrechtlich beherrscht sein. Tochterunternehmen können auch ausländische Gesellschaften sein. Entscheidend 31 ist, dass die Stimmrechte durch das ausländische Tochterunternehmen nach den Vorgaben des Mutterunternehmens ausgeübt werden. Auch das Mutterunternehmen kann ein ausländisches Unternehmen sein. Ist ein Trust, wie ihn etwa das angloamerikanische Recht kennt, rechtsfähig, so kann er „Tochterunternehmen“ sein. Der Trust ist daher seinerseits zur Meldung verpflichtet. Die Stimmrechte aus Aktien, die dem Trust gehören, werden aber auch des Trustees zugerechnet, wenn sie die Meinungsbildung des Trust durch Weisungsrechte oder faktisch durch Bestellungsund Abberufungsbefugnisse der Geschäftsleiter beherrschen7. Zuzurechnen sind die Stimmrechte aus Aktien, die dem Tochterunternehmen „gehören“. Das sind die Aktien im Eigentum des Tochterunternehmens, und zwar auch dann, wenn sie verpfändet sind. Und das sind die Aktien, die dem Tochterunternehmen zugerechnet werden.
32
Ob die Stimmrechte dem Mutterunternehmen auch zugerechnet werden, wenn sie ruhen, z.B. weil es sich um eigene Aktien des Tochterunternehmens handelt, ist
33
1 2 3 4
BGBl. I 2009, 1102. OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 125, 128. So Seibt, ZIP 2005, 729; für § 22 WpHG: Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 6. Siehe auch OLG Schleswig v. 8.12.2005 – 5 U 57/04, ZIP 2006, 421; OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, ZIP 2007, 864 = AG 2007, 592; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 21b; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 2 Rz. 193. 5 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.3. 6 OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, NZG 2005, 432 = AG 2005, 125. 7 Ähnlich: BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.4; a.A. wohl Kindler in FS Hopt, 2010, S. 2081.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
streitig. Dafür spricht, dass zeitweilige Ausübungshindernisse einer Zurechnung nicht entgegenstehen (abstrakte Betrachtungsweise)1.
II. Mutterunternehmen 34
§ 30 Abs. 3 WpHG bezeichnet den Bieter nicht als Mutterunternehmen. Der Begriff „Mutterunternehmen“ versteht sich nur im Zusammenhang mit § 290 HGB. Zu sprechen ist vielmehr vom „Bieter, dem zugerechnet wird“.
35
Der Bieter, dem zugerechnet wird, kann eine natürliche Person2 aber auch eine Gesellschaft jeder Rechtsform, eine Stiftung oder eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts sein. Dazu gehört eine Personengesellschaft, nämlich in der Form der OHG, der KG oder der BGB-Gesellschaft. Auch für den Bieter ist kein Geschäftsbetrieb erforderlich.
III. Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 HGB gelten (§ 30 Abs. 1 Satz 2) 36
§ 2 Abs. 6 unterscheidet zwei Fallgruppen. Zur ersten Fallgruppe gehören Unternehmen, die als Tochterunternehmen i.S.d. § 290 HGB gelten, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt. In diesen Fällen besteht „stets“ ein beherrschender Einfluss, auch dann, wenn er nicht ausgeübt wird3. Normiert ist damit eine unwiderlegliche Vermutung, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die Unternehmen Tochterunternehmen sind4. Die zweite Fallgruppe bilden Unternehmen, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann (siehe bei § 2 Abs. 6 sowie Rz. 37).
36a Beherrschender Einfluss besteht nach § 290 Abs. 2 HGB, wenn 1. dem Bieter bei einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht; 2. dem Bieter bei einem anderen Unternehmen das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen, und es gleichzeitig Gesellschafter ist; 3. dem Bieter das Recht zusteht, die Finanz- und Geschäftspolitik auf Grund eines mit einem anderen Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder auf Grund einer Bestimmung in der Satzung des anderen Unternehmens zu bestimmen, oder
1 So wohl die Praxis der BaFin, zit. nach Busch, AG 2009, 425, 427; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 56; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 366; Singhof in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 20 Rz. 33; dagegen aber Busch, AG 2009, 425. 2 OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, NZG 2005, 432, 435 = AG 2005, 125; OLG Stuttgart v. 15.10.2008 – 20 U 19/07, AG 2009, 124, 129; LG Köln v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336, 338. 3 BT-Drucks. 16/12407, S. 117; Cahn in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 77, 85. 4 Merkt in Baumbach/Hopt, § 290 HGB Rz. 8.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
4. der Bieter bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mehrheit der Risiken und Chancen eines Unternehmens trägt, das zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient (Zweckgesellschaft).
IV. Unternehmen, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann Tochterunternehmen i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 6 sind ferner Unternehmen, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann. Auch hierbei kommt es nicht auf die Rechtsform oder den Sitz des Tochterunternehmens an.
37
Beherrschender Einfluss besteht, wenn der Bieter die Geschäftspolitik des Tochter- 38 unternehmens, insbesondere aber die Finanzpolitik1 oder die Bestellung, Abberufung, Anstellung und Vergütung der geschäftsführenden Organmitglieder wesentlich bestimmen kann. Der Einfluss kann rechtlich oder tatsächlich abgesichert sein. Er ist rechtlich abgesichert, wenn der Bieter durch Wahrnehmung seiner Stimmrechte Weisungen, insbesondere zur Wahrnehmung der Stimmrechte erteilen kann. Er ist tatsächlich abgesichert, wenn der Meldepflichtige aufgrund seines Einflusses auf die Bestellung, Abberufung oder Anstellung faktisch seine Vorstellungen zur Geschäftspolitik und zur Wahrnehmung der Stimmrechte durchsetzen kann2. Die Möglichkeit der Einflussnahme etwa auf Grund der Identität der Organmitglieder genügt. Nicht verlangt ist, dass auch tatsächlich Einfluss genommen wird3. Entherrschungsverträge lassen die Abhängigkeit nicht entfallen4; denn der Ausschluss der Stimmrechtsausübung durch Vertrag hindert nicht die Ausübung des Stimmrechts, mag diese auch vertraglich unzulässig sein. Schuldrechtliche oder sonstige faktische Abhängigkeiten, etwa als Folge von Kredit- 39 oder Lieferverträgen, reichen nicht aus5. Dies gilt auch dann, wenn sie neben einer Beteiligung zur tatsächlichen Abhängigkeit führen6. Daher muss sich der Bieter die Stimmrechte aus Aktien seines Zulieferers oder seiner kreditgewährenden Bank nicht zurechnen lassen.
V. KG und GmbH & Co. KG Steht der GmbH als Komplementärin die Geschäftsführung der KG zu und kann sie daher entscheiden, wie die Stimmrechte, die der KG zustehen, ausgeübt werden, ist sie ein Mutterunternehmen i.S.v. § 290 Abs. 1 HGB. Nicht erforderlich ist, dass die GmbH auch anderweitige unternehmerische Interessen verfolgt7. Einer Zurechnung 1 Kosikowski/Kreher in Beck’scher Bilanz-Komm., 8. Aufl. 2012, § 290 HGB Rz. 25. 2 LG Köln v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336, 338; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 18. 3 BT-Drucks. 16/12407, S. 117. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2007 – 5 U 33/06, AG 2008, 87; a.A. Schwark in Schwark/Zimmer, § 22 WpHG Rz. 40. 5 Ähnlich Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 21. 6 So zur Auslegung des § 17 AktG: BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 395 = AG 1984, 181; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl. 2008, § 3 Rz. 21 ff.; Hüffer, § 17 AktG Rz. 8; Koppensteiner in FS Stimpel, 1985, S. 811. 7 Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 22a; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 76.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
steht nicht entgegen, dass die GmbH ihren Einfluss als geschäftsführendes Organ der KG ausüben kann. 41
Die KG ist Tochterunternehmen1. Der Komplementär-GmbH werden daher die Stimmrechte aus Aktien, die der KG gehören, zugerechnet. Die KomplementärGmbH kann auch ihrerseits Tochterunternehmen sein, was zur Kettenzurechnung führt.
42
Ist der GmbH die Geschäftsführungsbefugnis entzogen, entfällt die Zurechnung. Sind weitere Komplementäre bestellt, hängt die Zurechnung davon ab, ob die GmbH bestimmen kann, wie die Stimmrechte aus den Aktien, die der KG gehören, ausgeübt werden. Das Entsprechende gilt, wenn der Komplementär eine natürliche Person ist. Auch er muss sich die Stimmrechte der KG zurechnen lassen. Die KG gilt dann als Tochterunternehmen des Komplementärs2. Ist (Allein-)Gesellschafterin der GmbH die KG (Einheitsgesellschaft), soll die GmbH nicht Mutterunternehmen sein3. In diesem Fall entscheiden letztlich die Kommanditisten über die Ausübung der Stimmrechte. Ihnen werden sie zugerechnet.
VI. Mehrstufiger Konzern 43
Bei verschachtelten Beteiligungs- und Konzernstrukturen kommt es zu erheblichen Anwendungsproblemen. Hat der Bieter mehrere Tochterunternehmen, besteht ein mehrstufiges Mutter- und Tochterverhältnis, so werden dem Bieter die Stimmrechte aller Tochterunternehmen zugerechnet. Die Aktien müssen dem „Tochterunternehmen“ gehören. Es muss folglich Inhaber der Mitgliedschaft sein. Und die Stimmrechte des Tochterunternehmens werden allen Tochterunternehmen, die dasselbe Mutterunternehmen haben, zugerechnet4.
44
Dem Bieter werden die Stimmrechte der Tochterunternehmen nicht quotal abhängig von der Höhe der Beteiligungsquote, sondern in voller Höhe zugerechnet (§ 30 Abs. 1 Satz 3 WpHG); denn der Bieter kann auf sämtliche Stimmrechte der Tochterunternehmen Einfluss nehmen. Sein Einfluss begrenzt sich nicht auf seine Beteiligungsquote5.
45
Im mehrstufigen Konzern kann auch ein nachgeordnetes Unternehmen seinerseits Mutterunternehmen sein, dem die Stimmrechte der Enkel- und Urenkelgesellschaften zugerechnet werden. Hier entstehen Zurechnungspyramiden durch Kettenzurechnung.
1 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.2; a.A. Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 19; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 233. 2 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 5. 3 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.2. 4 Schreiben der BaFin vom 21.7.2006; abgedruckt bei Consbruch/Fischer, G 41.5.). 5 BT-Drucks. 14/7034, S. 53; Witt, AG 2001, 233, 237; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 25; Holzborn in Bad Homburger Hdb., Rz. C 26.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
VII. Mehrfache Abhängigkeit, gemeinsame Beherrschung (Gemeinschaftsunternehmen) Wirken mehrere Unternehmen derart zusammen, dass sie gemeinsam einen beherr- 46 schenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können, so gilt nach § 36 Abs. 2 Satz 2 GWB jedes von ihnen als herrschendes Unternehmen. In § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 fehlt eine ausdrückliche Bestimmung für den Fall mehrfacher Abhängigkeit1 und gemeinsamer Beherrschung. Es fehlt damit auch eine ausdrückliche Bestimmung für Gemeinschaftsunternehmen. Es gilt jedoch das Entsprechende wie nach § 36 Abs. 2 Satz 2 GWB: Ein Tochterunternehmen kann von mehreren Mutterunternehmen abhängig sein und von diesen gemeinsam beherrscht werden. Sowohl bei bestehender Abhängigkeit2 als auch bei einer Konzernlage (Gemeinschaftsunternehmen) können mehrere Unternehmen Mutterunternehmen desselben Tochterunternehmens sein3. Das rechtfertigt die Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 14. In der Praxis folgt daraus ein faktischer Einigungszwang auch darüber, wie Stimmrechte ausgeübt werden5. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 verlangt nicht, dass das Mutterunternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an dem Tochterunternehmen hält. Geht man hiervon aus und sieht in den in der Praxis üblichen Vermögensver- 47 waltungsgesellschaften eine Sonderform von einem Gemeinschaftsunternehmen, so sind deren Stimmrechte den Gesellschaftern des Gemeinschaftsunternehmens zuzurechnen. Problematisch ist es, ob die Zurechnung in vollem Umfang oder quotal vorzuneh- 48 men ist. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind Stimmrechte eines Tochterunternehmens dem Mutterunternehmen in voller Höhe zuzurechnen. Offen bleibt, ob dies auch gilt, wenn ein Tochterunternehmen mehrere Mutterunternehmen hat, oder ob es einer teleologischen Reduktion bedarf. Für eine volle Zurechnung spricht, dass jedes Mutterunternehmen herrschend ist und Einfluss ausüben kann oder an der Leitung beteiligt ist6. Dem steht nicht entgegen, dass die Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG nur quotal erfolgt.
VIII. Ausnahme für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 30 Abs. 3) Durch § 22 Abs. 3a WpHG wird Art. 12 Abs. 5 Satz 1 der Transparenzrichtlinie II vom 15.12.2004 umgesetzt. Die Vorschrift wird durch Art. 10 der Durchführungsrichtlinie vom 8.3.2007 (2007/14/EG)7 näher konkretisiert. Die EG-Durchführungs-
1 Siehe dazu LG Bielefeld v. 12.11.1999 – 13 O 37/99, DB 2000, 266. 2 BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72 – Seitz-Gruppe, BGHZ 62, 193, 199; OLG München v. 17.2.2005 – 23 W 2406/04, WM 2005, 1414 mit Anm. Sven H. Schneider, WuB I G G. § 22 WpHG 1.05; sowie dazu Geßler, ZGR 1974, 476. 3 Hüffer, § 18 AktG Rz. 16; Bayer in MünchKomm. AktG, § 18 Rz. 43; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rz. 28 ff. und § 18 AktG Rz. 18 m.w.N. 4 A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 22. 5 A.A. BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.1.5. 6 OLG München v. 17.2.2005 – 23 W 2406/04, AG 2005, 407. 7 ABl. EG Nr. L 69 v. 9.3.2007, S. 27.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
richtlinie ist ihrerseits durch die Transparenzrichtlinie-Durchführungsverordnung – TranspRLDVO vom 13.3.20081 ins deutsche Recht umgesetzt worden. Auf Grund des Gleichlaufs von § 22 WpHG mit § 30 WpÜG wurde auch § 30 Abs. 3 entsprechend angepasst2. 50
§ 30 Abs. 3 enthält in Satz 1 eine Ausnahme von der Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13. Die Ausnahme bezieht sich nur hinsichtlich der Beteiligungen von Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 4 WpHG, die die Finanzportfolioverwaltung i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 7 WpHG betreiben. Ein solches Wertpapierdienstleistungsunternehmen gilt nicht als Tochterunternehmen, wenn die weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen, die in Art. 10 der Durchführungsrichtlinie vom 8.3.2007 (2007/14/EG)4 und in § 2 TranspRLDVO definiert werden, vorliegen.
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a) Die Zurechnung erfolgt nur dann nicht, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Stimmrechte, die mit den betreffenden Aktien verbunden sind, aufgrund von in schriftlicher Form oder über elektronische Hilfsmittel erteilten Weisungen eines Dritten, der nicht zum Konzern gehört, ausübt (Grundsatz der weisungsabhängigen Stimmrechtsausübung) oder durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass die Finanzportfolioverwaltung unabhängig von anderen Dienstleistungen und unter Bedingungen, die denen der OGAW-Richtlinie vom 20.12.19855, geändert durch Art. 9 der Richtlinie 2005/1/EG6, gleichwertig sind, erfolgt (Grundsatz der Unabhängigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens).
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b) Die Zurechnung erfolgt nur dann nicht, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Stimmrechte unabhängig vom Bieter ausübt (Grundsatz der Unabhängigkeit der Stimmrechtsausübung). Die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Stimmrechtsausübung ergeben sich aus §§ 2 f. TranspRLDVO. § 2 TranspRLDVO Anforderungen an die Unabhängigkeit der Stimmrechtsausübung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens vom Meldepflichtigen (1) Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen übt die Stimmrechte im Sinne des § 22 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes unabhängig vom Meldepflichtigen aus, wenn 1. der Meldepflichtige oder ein anderes Tochterunternehmen des Meldepflichtigen nicht durch unmittelbare oder mittelbare Weisungen oder in anderer Weise auf die Ausübung der Stimmrechte aus den Aktien, die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwaltet werden, einwirken darf und 2. das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Stimmrechte aus den von ihm verwalteten Aktien frei und unabhängig von dem Meldepflichtigen und den anderen Tochterunternehmen des Meldepflichtigen ausübt. 1 Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission vom 8.3.2007 mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind (BGBl. I 2008, 408). 2 Siehe dazu Röh, CCZ 2008, 137. 3 Siehe auch Röh, CCZ 2008, 137 mit Handlungsanweisungen. 4 ABl. EG Nr. L 69 v. 9.3.2007, S. 27. 5 ABl. EG Nr. L 375 v. 31.12.1985, S. 3; neu gefasst durch die Richtlinie 2009/65/EG ABl. EG Nr. L 302 v. 17.11.2009, S. 32. 6 ABl. EU Nr. L 79 v. 24.3.2005, S. 9.
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Zurechnung von Stimmrechten
(2) Eine unmittelbare Weisung im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 ist jede auf einen bestimmten Fall bezogene Weisung zur Stimmrechtsausübung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Eine mittelbare Weisung im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 ist jede allgemeine oder besondere Weisung, durch die der Entscheidungsspielraum des Wertpapierdienstleistungsunternehmens in Bezug auf die Stimmrechtsausübung eingeschränkt wird, um bestimmten Geschäftsinteressen des Meldepflichtigen oder eines anderen Tochterunternehmens des Meldepflichtigen Rechnung zu tragen. Zwei weitere Voraussetzungen müssen nach § 22 Abs. 3a WpHG erfüllt sein, damit keine Zurechnung erfolgt. Erstens muss der Meldepflichtige der BaFin den Namen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und die, für dessen Überwachung zuständige Behörde oder das Fehlen einer solchen mitteilen. Zweitens hat der Meldepflichtige gegenüber der BaFin zu erklären, dass der Grundsatz der Unabhängigkeit der Stimmrechtsausübung erfüllt ist. Näher ausgeführt wird dies durch § 3 TranspRLDVO:
53
§ 3 TranspRLDVO Mitteilungspflichten des Meldepflichtigen gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (1) Der Meldepflichtige hat die Angaben nach § 22 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 des Wertpapierhandelsgesetzes fortlaufend zu aktualisieren. (2) Eine Erklärung nach § 22 Abs. 3a Satz 1 Nr. 4 des Wertpapierhandelsgesetzes ist hinsichtlich der von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen gehaltenen Finanzinstrumente im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes nicht erforderlich. (3) Der Meldepflichtige hat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) auf deren Verlangen nachzuweisen, dass 1. die Stimmrechte auf Grund seiner eigenen Organisationsstrukturen sowie derjenigen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens von ihm unabhängig ausgeübt werden und 2. die Personen, die über die Stimmrechtsausübung entscheiden, unabhängig handeln. Satz 1 Nr. 1 setzt voraus, dass der Meldepflichtige und das Wertpapierdienstleistungsunternehmen zumindest schriftliche Strategien und Verfahren festgelegt haben, die dazu bestimmt sind, den Informationsaustausch zwischen dem Meldepflichtigen und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Bezug auf die Stimmrechtsausübung zu verhindern. Ist der Meldepflichtige seinerseits Kunde des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder hält er Anteile an einer von diesem verwalteten Beteiligung, hat er der Bundesanstalt auf deren Verlangen auch nachzuweisen, dass ein klares schriftliches Mandat besteht, das eine unabhängige Kundenbeziehung zwischen ihm und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen vorsieht. Zusätzliche Anforderungen, um eine Zurechnung zu vermeiden, ergeben sich aus § 30 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4. Soll eine Zurechnung nicht erfolgen, ist nach § 30 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Voraussetzung, dass der Bieter der BaFin die Namen aller konzernierten Wertpapierdienstleistungsunternehmen mitteilt, deren Stimmrechte nicht zugerechnet werden sollen. Zugleich ist zu erklären, dass eine unabhängige Stimmrechtsausübung erfolgt.
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J. Für Rechnung des Bieters gehalten (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) I. Der Halter als Bieter 55
Werden Aktien für Rechnung eines Dritten gehalten, so steht das Stimmrecht dem zu, der die Aktien hält: – Bieter ist der „formal“ Berechtigte, weil ihm die Aktien gehören, obwohl er das Stimmrecht nach Weisung dessen ausüben muss, für den er die Aktien hält1. – Zugerechnet werden auch Stimmrechte, die für seine Rechnung gehalten werden.
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Eine Regelung entsprechend § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, nämlich die Anwendung des Grundsatzes der alternativen Zurechnung, fehlt bei § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Und damit gilt der allgemeine Grundsatz der doppelten Zurechnung2.
II. Auslegung nach Sinn und Zweck 57
Das Tatbestandsmerkmal „für Rechnung des Bieters gehalten“, findet sich in unterschiedlicher Ausformulierung an vielen Stellen im Gesetz, nicht nur in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, sondern auch in §§ 290 Abs. 3, 313 Abs. 2 und 383 HGB und in §§ 56 Abs. 3, 71a Abs. 2, 71d, 134 Abs. 1 Satz 3, 291 Abs. 1 AktG3. Es geht jeweils um das Auseinanderfallen von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung.
III. Einem Dritten gehören 58
Die Aktien „gehören“ einem Dritten, wenn dieser Inhaber der Mitgliedschaft, also Aktionär, ist („Außenverhältnis“). Einem wirtschaftlichen Eigentümer gehören die Aktien nicht; § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist nicht anwendbar. Unbeachtlich ist dagegen, ob zwischen dem Bieter und dem Dritten ein gesetzliches oder ein rechtsgeschäftliches Rechtsverhältnis besteht4.
59
Es macht auch keinen Unterschied, wie der Dritte die Aktien erlangt hat, ob der Treugeber die Aktien an den Treuhänder übereignet oder ob etwa ein Kreditinstitut treuhänderisch im Kundenauftrag die Aktien im Markt erworben hat5.
IV. „Für Rechnung“ gehalten 1. Wirtschaftliche Chancen und Risiken 60
Für Rechnung des Bieters ist gehalten, wenn der Bieter im Verhältnis zum Dritten („Innenverhältnis“) die wirtschaftlichen Chancen und die wirtschaftlichen Risiken6 1 Zum Problem des empty voting und des decoupling: Hu/Black, Pensylvania Law Review 156 (2008), 625, 640; Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35. 2 OLG München v. 9.9.2009 – 7 U 1997/09, ZIP 2009, 2095, 2096 = AG 2009, 793. 3 Einen guten Überblick gibt Vedder, Zum Begriff „für Rechnung“ im AktG und im WpHG, 1999. 4 A.A. Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 39. 5 Zu dieser zivilrechtlichen Vorfrage: BGH v. 25.11.1964 – V ZR 144/62, WM 1965, 173. 6 Ebenso OLG München v. 9.9.2009 – 7 U 1997/09, ZIP 2009, 2095 = AG 2009, 793; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 31; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 97; Habersack, AG 2008, 817; Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501, 1502; Fleischer/Bedkowski, DStR
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trägt. Es geht um die Fälle der Aufspaltung zwischen dem wirtschaftlichen Substrat einerseits und dem Stimmrecht andererseits (empty voting)1. Zu den Risiken der Aktie gehören das Bestandsrisiko sowie das Risiko, Abfindungs- oder Ausgleichzahlungen zu erhalten, das Marktrisiko (Kursrisiko), das Dividendenrisiko und das Bezugsrisiko. Trägt der Bieter die wirtschaftlichen Risiken, so obliegen dem Dritten in der Regel eine Interessenwahrungspflicht, die Pflicht zur Rechnungslegung und die Pflicht, den Gewinn an den Bieter abzuführen. Und dem Bieter steht das rechtliche oder tatsächliche2 Weisungsrecht zu, wie die Aktien zu verwalten sind, insbesondere wie das Stimmrecht auszuüben ist, ob Bezugsrechte wahrgenommen werden usw.3. 2. Treuhand Der Hauptanwendungsfall von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist die Treuhand (siehe 61 Rz. 68). Auf die Rechtsnatur der rechtlichen Beziehungen zwischen dem Bieter und dem Dritten kommt es nicht an. In Betracht kommen unterschiedliche Formen der Vermögensverwaltung, u.a. auf Grund Auftrag, Geschäftsbesorgung oder Kommission. Fallen die formale Mitgliedschaft und die Zuordnung der wirtschaftlichen Chancen und der wirtschaftlichen Risiken auseinander – und das ist der Leitgedanke der Zurechnung –, so wirkt sich dies auch auf die Ausübung des Stimmrechts aus. Der Bieter hat auf Grund des von ihm zu tragenden wirtschaftlichen Risikos typischerweise auch die rechtliche, zumindest aber die tatsächliche Möglichkeit, den formalen Rechtsinhaber anzuweisen, wie er die Stimmrechte auszuüben hat (abstrakte Betrachtungsweise)4. Für die Zurechnung ist insoweit nicht erforderlich, dass der Bieter auch vertraglich berechtigt ist, die Stimmrechte auszuüben oder auch tatsächlich Weisungen erteilt und der Aktionär damit zum bloßen Strohmann wird.
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Erfasst sind vielmehr alle Ausgestaltungsmöglichkeiten ganz unabhängig von dem Bestehen oder der Ausübung eines Weisungsrechts. Allerdings ist der bloße tatsächliche Einfluss nicht ausreichend5, wenn er nicht darauf beruht, dass der Bieter das wirtschaftliche Risiko trägt.
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Keine Zurechnung soll bei der eigennützigen Sicherungstreuhand erfolgen6; denn in 64 diesem Fall könne der Treugeber keinen Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte nehmen. Dagegen spricht, dass der Treuhänder auch die Interessen des Treugebers zu wahren hat.
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2010, 933; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 65; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 30. Seibt, ZGR 2010, 795, 797. A.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 98. Starke, Beteiligungstransparenz im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2002, S. 200. Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 32; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 98; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 30 Rz. 5; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 11; Sohbi in Heidel, § 30 WpÜG Rz. 4; für § 22 WpHG: BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.2; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 31; Veil in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1645, 1649; ebenso für § 20 AktG: BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, WM 1991, 1166; Koppensteiner in FS Rowedder, 1994, S. 215. Für § 20 AktG: LG Berlin v. 17.1.1990 – 98 AktE 10/89, WM 1990, 978; zur eigennützigen Sicherungstreuhand: Federlin in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 12.449. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 101; zur Sicherungsübereignung siehe Rz. 100.
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V. Aufteilung des wirtschaftlichen Risikos 65
Eine Zurechnung erfolgt auch, wenn der Bieter nur einen Teil der wirtschaftlichen Chancen und Risiken trägt. Der Übergang ist fließend1. Entscheidend ist, dass das von dem Bieter übernommene Risiko so wesentlich ist, dass der Bieter rechtlich aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlich die Möglichkeit zu wesentlichem Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte hat2. Die Zurechnung erfolgt somit auch, wenn der Treuhänder kein vertragliches Recht zur Ausübung des Stimmrecht hat3. Ein solches wesentliches Risiko trägt etwa, wer für bestimmte Aktien, die einem Kreditinstitut gehören, eine Kursgarantie oder eine Dividendengarantie übernimmt4; denn damit verbleiben die Gewinnchance, die Bezugschance und die Veräußerungschance beim Dritten. Demgemäß ist zuzurechnen.
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Die entsprechenden Überlegungen gelten für die personelle Aufteilung des wirtschaftlichen Risikos. Zuzurechnen ist auch, wenn der Dritte die Aktien zugleich auf eigene Rechnung oder auf Rechnung weiterer Personen hält, immer vorausgesetzt, dass der Bieter wenigstens ein „wesentliches Risiko“ trägt und deshalb auch wesentlichen Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte hat.
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Im Blick hierauf sind dem Bieter keine Stimmrechte aus Anteilen zuzurechnen, wenn der Dritte oder ein Tochterunternehmen die Aktien treuhänderisch nur für sonstige Personen hält.
VI. Verwaltungstreuhand 68
a) Treuhandverhältnisse an Aktien werden in der Regel rechtsgeschäftlich begründet, und zwar entweder durch Übertragung des Vollrechts an den Aktien (Treugut) auf den Treuhänder (fremdnützige Verwaltungstreuhand)5 oder durch Einräumung einer Vollmacht (Vollmachtstreuhand)6. Verbunden ist damit die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen. Diese Pflicht zur Interessenwahrung wird durch das schuldrechtliche Innenverhältnis begründet. Exemplarisch für die Treuhand ist die Vermögensverwaltung, die sowohl nach dem Verwaltungstreuhand-Modell als auch nach dem Vollmachtstreuhand-Modell organisiert sein kann7.
1 Zum Stand der Diskussion zu § 20 AktG: Koppensteiner in FS Rowedder, 1994, S. 213; sowie Meyer-Landrut, DZWIR 1992, 417; Marsch-Barner, WuB II A. § 20 AktG 1/92 und Dreher, EWiR § 20 AktG 1/92. 2 Ebenso Burgard, BB 1995, 2069, 2072; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 98. 3 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 98; für § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG: VG Frankfurt a.M. v. 18.5.2006 – 1 E 3049/05, BKR 2007, 40; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 30; a.A. Petersen/Wille, NZG 2009, 856, 858; siehe auch Habersack, AG 2008, 817, 818. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 7: … wird vermutet; offen gelassen für § 20 AktG: LG Hannover v. 29.3.1992 – 23 O 64 und 77/91, WM 1992, 1243. Marsch-Barner, WuB II A. § 20 AktG 1/92, vertritt die Ansicht, schon die Verpflichtung zur Freihaltung von allen Verlusten und Kosten genüge für eine Zurechnung. Zum Ganzen siehe Koppensteiner in FS Rowedder, 1994, S. 217 f. 5 Coing, AcP 167 (1967), 99 ff.; Mutter, AG 2006, 644; Pittroff, Die Zurechnung von Stimmrechten gem. § 30 WpÜG, 2004, S. 160. 6 Veil in K. Schmidt/Lutter, Anh. § 22 AktG, § 22 WpHG Rz. 16; Leverenz, ZBB 1995, 159, 161. 7 Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 111 Rz. 9 f., 16.
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b) Von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erfasst wird nur die Verwaltungstreuhand und damit 69 auch die Vermögensverwaltung, für die das Treuhand-Modell gewählt wurde. Dem Treugeber, der die Aktien treuhänderisch auf den Treuhänder übertragen hat, sind die Stimmrechte in vollem Umfang zuzurechnen, wenn er allein das gesamte oder das wesentliche wirtschaftliche Risiko trägt, denn er kann typischerweise den Treuhänder anweisen, wie die Stimmrechte auszuüben sind. Hat folglich ein Kunde mehrere Kreditinstitute eingeschaltet, die auf seine Rechnung Aktien erwerben sollen, so werden ihm als Treugeber die Stimmen aller Aktien, die die einzelnen Kreditinstitute bereits erworben haben, zugerechnet. Bieter kann aber auch das Kreditinstitut als Treuhänder in seiner Eigenschaft als Aktionär sein; denn es gilt der Grundsatz der doppelten Zurechnung1. Ist der Treugeber zugleich Beteiligter eines acting in concert, so muss sich der Treuhänder auch die Stimmrechte der Beteiligten aus dem acting in concert zurechnen lassen2. Bezweifelt wird zwar, dass der Treuhänder eine faktische Einwirkungsmöglichkeit auf die Ausübung der Stimmrechte durch die Acting-Beteiligten habe. Darauf kommt es bei der Kettenzurechnung aber gar nicht an. Entscheidend ist, dass der Stimmrechtseinfluss aller Beteiligten koordiniert wird.
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c) Besondere Bedeutung gewinnt die Treuhand bei der Anschaffung und Verwahrung von Aktien im Ausland. Der Wertpapierkunde erwirbt vielfach kein Eigentum an den im Ausland angeschafften und verwahrten Papieren. Der kommissionsrechtliche Lieferanspruch wird durch § 22 DepotG ausgesetzt. Stattdessen erhält der Erwerber den Anspruch auf Herausgabe der Aktien aus einem Treuhandverhältnis3. Die Stimmrechte werden freilich dem Erwerber nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet.
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d) § 21 Abs. 1 Satz 2 WpHG enthält eine besondere Regelung für Zertifikate, die Aktien vertreten. In den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen die American Depositary Receipts. Nicht der amerikanische Investor sondern eine Depositary Bank wird Aktionär. Der Depositary Bank stehen daher alle Rechte aus der Aktie zu. Das gilt auch für das Stimmrecht. Der Investor wird nur ADR-Holder. Er wird Inhaber eines Zertifikats, das Aktien vertritt. Die genannten Zertifikate sind Schuldverschreibungen, die die Rechte aus dem Deposit Agreement verbriefen. Das ermöglicht dem ADR-Holder als Bevollmächtigter die Stimmrechte, die der Depositary Bank als Aktionär zustehen, wahrzunehmen. § 21 Abs. 1 Satz 2 WpHG bestimmt nun, dass meldepflichtig nur der Inhaber der Zertifikate, nicht aber die Depotbank ist.
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Im Übernahmerecht fehlt eine § 21 Abs. 1 Satz 2 WpHG entsprechende Vorschrift. 73 Damit bleibt es bei der allgemeinen Regelung4. Die Stimmrechte werden von der Depositary Bank gehalten. Sie muss sich die Stimmrechte zurechnen lassen. Die Inhaber der Zertifikate tragen das wirtschaftliche Risiko und können durch Weisung die
1 Ebenso OLG München v. 9.9.2009 – 7 U 1997/09, ZIP 2009, 2095 = AG 2009, 793; a.A.Widder/Kocher, ZIP 2010, 457. 2 OLG München v. 9.9.2009 – 7 U 1997/09, ZIP 2009, 2095 = AG 2009, 793; a.A. Widder/Kocher, ZIP 2010, 457; von Bülow/Petersen, NZG 2009, 1373; Fleischer/Bedkowski, DStR 2010, 933. 3 BGH v. 1.2.1988 – II ZR 152/87, WM 1988, 403; Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 72 Rz. 139 ff. 4 A.A. Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 44.
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Ausübung der Stimmrechte bestimmen. Ihnen sind daher nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 die Stimmrechte zuzurechnen1. 74
e) Hat eine Gesellschaft treuhänderisch Aktien auf einen „Pensionsfonds“, organisiert etwa in Form eines Vereins, übertragen („Contractual Trust Arrangement“)2, so ist der Verein Bieter, weil er Aktionär ist. Der Gesellschaft, die ihre Pensionsverpflichtungen ausgelagert hat, sind die Stimmrechte zuzurechnen. Sie ist als Treugeberin Bieter.
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f) Bestehen im Blick auf dasselbe Aktienpaket Treuhandverhältnisse zu mehreren Vertragspartnern (mehrgliedriges Treuhandverhältnis), verwaltet der Dritte ein Paket für mehrere Unternehmen auf deren Rechnung, hat der Dritte die Interessen dieser Unternehmen wahrzunehmen und entsprechend Rechnung zu legen, so ist zu unterscheiden: Eine Zurechnung erfolgt in diesem Fall nur – und zwar quotal –, soweit sowohl das wirtschaftliche Risiko, das der Betreffende anteilmäßig trägt, als auch sein Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte wesentlich sind3.
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Nicht erforderlich ist es, dass das Treuhandverhältnis wirksam zustande gekommen ist4.
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g) Hat der Dritte seinerseits als Treugeber ein weiteres Treuhandverhältnis begründet (Kettentreuhand), so werden dem letzten Treugeber in der Kette die Stimmen aus Aktien nur zugerechnet, wenn ihm durch eine Kette von Treuhandverträgen letztlich die rechtliche oder faktische Stimmrechtsherrschaft zufällt5. Davon ist auszugehen, wenn ihm das wirtschaftliche Risiko aufgebürdet ist. Den zwischengeschalteten Treuhand-Vermittlern wird mangels Einfluss auf das Stimmrecht nicht zugerechnet6, es sei denn, dass ein zwischengeschalteter Treugeber über die Ausübung der Stimmrechte entscheidet7.
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Insolvenzverwaltung, Vormundschaft usw. führen nicht zu einer Verwaltungstreuhand8; denn sie erwerben nicht das Eigentum an den zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen.
VII. Holding und Vermögensverwaltungsgesellschaften 79
Wird eine Beteiligung durch eine Gesellschaft gehalten, so können damit ganz unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Die Gesellschaft und ihre Satzung, der Gesellschaftszweck, der Gegenstand des Unternehmens, der Umfang der Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter, ihr Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte, die mit den Aktien verbunden sind, die die Gesellschaft hält, usw. können in verschiedener 1 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 146; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 37; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 10. 2 Zur Ausgestaltung: Küppers/Louven, BB 2004, 337. 3 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 105; Pittroff, Die Zurechnung von Stimmrechten gem. § 30 WpÜG, 2004, S. 162. 4 Koppensteiner in FS Rowedder, 1994, S. 224; a.A. LG Berlin v. 17.1.1990 – 98 AktE 10/89, WM 1990, 978, 987. 5 A.A. Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 31; wie hier für § 30: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 99. 6 Ebenso Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 31. 7 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 105. 8 Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 34; für § 30: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 107.
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Weise ausgestaltet sein. Angesichts dieser Unterschiede lässt sich auch nicht einheitlich beantworten, ob eine Zurechnung gegenüber dem Gesellschafter nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erfolgt. Auf der einen Seite stehen Holdingstrukturen etwa im Industriekonzern. Auf der anderen Seite stehen die in der Praxis aus ganz unterschiedlichen Gründen, z.B. zur Ausnutzung des steuerlichen Schachtelprivilegs, zur Vermeidung kartellrechtlicher Folgen, zur Verhinderung von räuberischen Übernahmen, zur Risikostreuung oder zur Verschleierung der Beteiligungsverhältnisse usw., gebildeten Vermögensverwaltungsgesellschaften (Vorschaltgesellschaften). In all diesen Fällen kommt auch eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Betracht. 1. Holdingstrukturen Hält ein Unternehmen neben einer anderweiten unternehmerischen Tätigkeit Betei- 80 ligungen, so tragen zwar die Gesellschafter nicht nur das Risiko der ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit. Ihnen kommen auch die Chancen und Risiken der Beteiligung mittelbar zu. Damit sind die Beteiligungen aber nicht „für Rechnung des Bieters“ gehalten; denn die Beteiligungsverwaltung erfolgt im Interesse der Gesellschaft und nur mittelbar im Interesse der Gesellschafter1. Bei der typischen Industrieholding oder bei den Kreditinstituten mit Beteiligungsbesitz werden Stimmrechte aus Aktien, die der Holding gehören, dem Gesellschafter der Holding daher nur zugerechnet, wenn es sich um ein Mutter/Tochterverhältnis i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 handelt.
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2. Vorschaltgesellschaften Bei den Vermögensverwaltungsgesellschaften ist nach den unterschiedlichen Ge- 82 staltungen zu unterscheiden: Wenn die Vermögensverwaltungsgesellschaft die Beteiligungen aufgrund eines Treuhandvertrags mit einem oder mehreren Gesellschaftern auf deren Rechnung hält (Vermögensverwaltungsgesellschaft als Treuhänder) und demgemäß nach Weisung die Stimmrechte ausübt oder ausüben müsste, so sind die Stimmrechte aus diesen Aktien den Treugebern unter den oben genannten (Rz. 61) Voraussetzungen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zuzurechnen2. Zweifelhaft ist die Lage indessen bei den Gesellschaften, bei denen ein besonderer Treuhandvertrag der Gesellschaft mit den Gesellschaftern fehlt. – Verfolgt die Gesellschaft noch andere Zwecke, hält sie nicht nur die Beteiligung, sondern ist sie auch anderweit unternehmerisch tätig, so erfolgt keine Zurechnung; denn das Halten der Beteiligung erfolgt nicht für Rechnung des Bieters. – Anders ist die Lage bei solchen Gesellschaften, deren ausschließlicher Gesellschaftszweck darin besteht, eine oder mehrere Beteiligungen im Interesse der Gesellschafter zu verwalten. Indiz hierfür ist, dass die Gesellschaft keine anderweitige unternehmerische Tätigkeit entfaltet3.
1 Ebenso für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2: Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 23. 2 Bayer in MünchKomm. AktG, § 22 Anh., § 22 WpHG Rz. 18 f.; zu § 20 AktG: BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, AG 1991, 270 = WM 1991, 1166, 1168 getrenntes Halten durch individuell zugewiesene Bestände. 3 Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 44; Burgard, BB 1995, 2073; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 64.
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Im zuletzt genannten Fall ist nicht entscheidend, ob der treuhänderische Zweck ausdrücklich in die Satzung aufgenommen ist. Die Chancen und Risiken der Beteiligung werden den Gesellschaftern über die Mitgliedschaft an der Vermögensverwaltungsgesellschaft vermittelt. Die Gesellschafter bestimmen aufgrund einer solchen Gestaltung die Ausübung der Stimmrechte. Es kann demgemäß auch keinen Unterschied machen, ob das Halten „für fremde Rechnung“ auf schuldrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Grundlage geschieht1.
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Im Ergebnis bedeutet dies, dass erstens Vermögensverwaltungsgesellschaften Bieter sein können. Es bedeutet zweitens, dass auch die Stimmrechte der Aktien, die Vermögensverwaltungsgesellschaften gehören, den Gesellschaftern quotal2 zugerechnet werden, wenn der alleinige rechtliche oder faktische Zweck der Vermögensverwaltungsgesellschaft die Verwaltung einer oder mehrerer Beteiligungen für ihre Gesellschafter ist3. Zu denken ist hierbei vor allem an die vielfach gebildeten inländischen und ausländischen Vorschaltgesellschaften, und zwar ohne Rücksicht auf die Zahl der Gesellschafter. Voraussetzung ist aber, dass der einzelne Gesellschafter wesentlichen Einfluss auf das Stimmrechtsverhalten hat. Typischerweise gilt dies nicht nur bei einer Mehrheitsbeteiligung – insoweit ist auch § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 anwendbar –, sondern auch bei einer 50:50-Beteiligung und auch bei einer Minderheitsbeteiligung, wenn Entscheidungen durch Veto blockiert werden können oder wenn das Konsensprinzip vorgesehen oder faktisch praktiziert wird. Anzunehmen ist dies ferner, wenn die Art und Weise der Ausübung des Stimmrechts in vollem Umfang durch die Gesellschafter bestimmt wird, wenn sich die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung nicht einigen können, wie die Gesellschaft das Stimmrecht ausüben soll. 3. Investmentgesellschaften
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Siehe bei § 2. 4. Wertpapierleihe/Aktiendarlehen a) Ausgangslage
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Bei der „Wertpapierleihe“ im weiteren Sinne handelt es sich nicht um eine Leihe i.S. von §§ 598 ff. BGB, sondern um ein Wertpapierdarlehen gemäß § 607 BGB4, um ein Repo-Geschäft oder um ein Sell-Buyback-Arrangement.
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Beim Wertpapierdarlehen verpflichtet sich der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer das Eigentum an den Aktien zu verschaffen5. Der Darlehensnehmer verpflichtet sich, die Aktien abzunehmen, das vereinbarte Entgelt zu zahlen und zum Ende der 1 OLG Schleswig v. 8.12.2005 – 5 U 57/04, ZIP 2006, 421, 423 = AG 2006, 120; für § 30: Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 23; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 110. 2 Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. 22, § 22 WpHG Rz. 19; Veil in K. Schmidt/Lutter, Anh. § 22 AktG, § 22 WpHG Rz. 17; Lenz/Linke, AG 2002, 369. 3 Zweifelnd von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 109; wie hier: Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 43 f.; Burgard, BB 1995, 2069, 2073; Starke, Beteiligungstransparenz im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2002, S. 202. 4 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, ZIP 2009, 908, 909 = AG 2009, 441. 5 Siehe dazu den Rahmenvertrag des Bundesverbandes deutscher Banken abgedruckt in Clouth in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankgeschäfte, 3. Aufl. 2007, Bankgeschäfte Muster IV. T. 1.
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Laufzeit des Darlehens Aktien gleicher Art, Menge und Güte zurückzuliefern1. Wertpapierdarlehen dienen typischerweise dazu, dem Darlehensnehmer für einen gewissen Zeitraum Wertpapiere zur Verfügung zu stellen. Einer anderen Begriffsbildung folgt das Pensionsgeschäft i.S.v. § 340b Abs. 1 HGB. Es dient dazu, dem Pensionsgeber Liquidität zu verschaffen. Die Aktien werden als Sicherheit für den Anspruch des Pensionsnehmers auf Rückübertragung der Aktien gestellt2. Bei den Repurchase Agreements, die in der Sprache des Marktes auch als Repo-Geschäfte bezeichnet werden, schließen die Parteien einen Kaufvertrag unter gleichzeitiger Vereinbarung, dass die selben oder gleichartige Aktien zum selben oder einem anderen Preis zu einem späteren Zeitpunkt von dem Erstverkäufer zurückgekauft werden3. Solche Geschäfte haben unterschiedliche Zwecke. Sie dienen auch der Absicherung von Krediten, wobei der Käufer die Wertpapiere als Kreditsicherheit erhält. Bei dieser Vertragsgestaltung werden die Wertpapiere zum Marktpreis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verkauft, und zwar zuzüglich von „Zinsen“ im weiteren Sinne. Damit kommt zum Ausdruck, dass sich die Transaktion zum Zeitpunkt des Rückkaufs aus der Sicht der Vertragsparteien als eine Kreditgewährung darstellt. Dabei kommt ein Spekulationselement hinzu, wenn die Kursentwicklung berücksichtigt wird.
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Bei den Sell-Buyback-Arrangements schließen die Vertragsparteien zwei getrennte Kaufverträge. Beide Verträge werden zum selben Zeitpunkt abgeschlossen, freilich mit der Besonderheit, dass aufgrund des ersten Kaufvertrags die Aktien sofort auf den Käufer übertragen werden. Dagegen ist die Lieferung der Aktien aufgrund des zweiten Kaufvertrags, also durch den Käufer des ersten Kaufvertrags, gestundet. Auch solche Rechtsgeschäfte stellen wirtschaftlich die Gewährung eines Kredites dar. Dabei dienen die Aktien als Kreditsicherheit – im wirtschaftlichen Sinne. Die Gegenleistung für die Überlassung des gezahlten Kaufpreises als Kredit erfolgt durch einen erhöhten Kaufpreis, in dem die Zinsen eingerechnet sind, vereinbart im zweiten Kaufvertrag.
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b) Der Darlehensnehmer als Bieter Beim Aktiendarlehen wird der Darlehensnehmer während der Darlehensdauer zum Aktionär4. Er kann daher auch nach h.A.5 das Stimmrecht ausüben, vorausgesetzt, dass das zugrunde liegende Rechtsgeschäft nicht missbräuchlich war und er die Aktie nicht weiter übertragen hat. 1 Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 105 Rz. 34; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.102 ff.; Bachmann, ZHR 173 (2009), 596, 597; Dörge, Rechtliche Aspekte der Wertpapierleihe, 1993, S. 37 ff.; Gesell, Wertpapierleihe und Repurchase Agreement im deutschen Recht, 1995, S. 17 ff.; Cahn/Ostler, AG 2008, 221, 222. 2 Einzelheiten bei Cahn/Ostler, AG 2008, 221; Clouth in Hopt, Vertrags- und Formularbuch, 3. Aufl. 2007, Bankgeschäfte Muster IV. T. 4 Rz. 1. 3 Technical Committee of the International Organization of Securities Commissions (IOSCO), Committee on Payment and Settlement Systems (CPSS), S. 7, Securities Lending Transactions: Market Development and Implications, Juli 1999, S. 6 ff. 4 OLG München v. 23.11.2006 – 23 U 2306/06, ZIP 2006, 2370, 2373 = AG 2007, 173; Kort, WM 2006, 2149. 5 Str., OLG München v. 23.11.2006 – 23 U 2306/06, ZIP 2006, 2370, 2373 = AG 2007, 173; Sieger/Hasselbach, WM 2004, 1373; krit.: OLG München v. 10.11.2005 – 23 W 2384/05, WM 2006, 291; zum Stand der Diskussion: Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 105 Rz. 50; Kümpel/Peters, AG 1994, 525.
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An diese formale Rechtsstellung knüpft das Gesetz die übernahmerechtlichen Pflichten des Darlehensnehmers an, ohne weiter danach zu fragen, ob der Rechtsinhaber das Stimmrecht nur auf Weisung eines Dritten, nämlich des Darlehensgebers, ausüben kann. Der Darlehensnehmer ist daher zu Beginn der Laufzeit, und zwar zum Zeitpunkt der Übertragung der Aktien, gegebenenfalls schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrages, wenn ein gewisser Zeitraum zwischen dem Abschluss des Vertrages und der Übertragung der Aktien besteht, angebotspflichtig1. Es findet auch keine Absorption statt, wenn und weil die Stimmrechte zusätzlich dem Darlehensgeber zugerechnet werden. Endlich ist nicht entscheidend, wie lange der Darlehensnehmer die Aktien behält; denn § 29 kennt keine Mindestdauer, für die Aktien gehalten werden müssten2.
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Ist der Darlehensnehmer ein Kreditinstitut, so können die durch das Aktiendarlehen übertragenen Aktien nach § 20 zum befreiten Handelsbestand gehören, so dass das Stimmrecht aus den entsprechenden Aktien bei der Berechnung des Stimmrechtsanteils unberücksichtigt bleibt3. c) Der Darlehensgeber als Bieter
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Der Darlehensgeber hält nach der Übertragung der Aktien an den Darlehensnehmer keine Aktien mehr. Ihm stehen daher keine Stimmrechte mehr zu. In Betracht kommt nur eine Zurechnung. Dabei sind drei Fälle zu unterscheiden: Die Stimmrechte werden jedenfalls dem Darlehensgeber nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet, wenn ihm ein Weisungsrecht hinsichtlich der Ausübung der Stimmrechte überlassen ist4 (erste Fallgruppe). Fehlt es an einer solchen vertraglichen Zuweisung und trägt der Darlehensgeber das Kurs- und das Dividendenrisiko, was in der Praxis üblich ist, so spricht dies dafür, dass er auch die faktische Einwirkungsmöglichkeit hinsichtlich der Ausübung der Stimmrechte hat. Das spricht für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 25 (zweite Fallgruppe). Das gilt jedoch dann nicht, wenn das Ausübungsrecht ausdrücklich dem Darlehensnehmer zugewiesen ist, obgleich doch der Darlehensgeber die genannten Risiken trägt (dritte Fallgruppe); denn dann war den Beteiligten die Konfliktlage bewusst, dass die Stimmrechte einerseits und Chancen und Risiken einer Aktienanlage andererseits auseinanderfallen. Auch hier wird man freilich fragen müssen, ob die vertragliche Regelung auch wirklich der gelebten Ausübungspraxis entspricht.
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Liegen die Voraussetzungen für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nicht vor, ist weiter daran zu denken, dass dem Darlehensgeber ein schuldvertraglicher Rückübertragungsanspruch zusteht. Insoweit ist zu unterscheiden. Eine § 25 WpHG entsprechende Vorschrift, die auch schuldrechtliche Lieferansprüche zurechnet, fehlt 1 Ebenso BaFin, Jahresbericht 2004, S. 205; BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. I.2.5.2.2.; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 45 und 48; Schwark in Schwark/Zimmer, § 22 WpHG Rz. 5; Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 105 Rz. 64; Burgard, BB 1995, 2073; Gillor, Der Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte der Europäischen Bankenvereinigung, 2006, S. 196; Uwe H. Schneider, AG 1997, 84; zum Ganzen: Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1411. 2 Str.; wie hier: BaFin, Häufig gestellte Fragen zu den §§ 21 ff. WpHG, Stand: Februar 2008. 3 Siehe auch Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 105 Rz. 64. 4 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 120; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 WpÜG Rz. 46; Bachmann, ZHR 173 (2009), 596, 636. 5 Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1411, 1421; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 120.
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Zurechnung von Stimmrechten
im Übernahmerecht. In Betracht kommt aber eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5. Ob diese Vorschrift auch bei schuldrechtlichen Ansprüchen anwendbar ist, ist indessen streitig (siehe Rz. 114 ff.). d) Kettenleihe Veräußert der Darlehensnehmer die Aktien weiter, entsteht eine Kettenleihe. Die 96 Zurechnung beim Darlehensgeber nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 endet1, vorausgesetzt, dass der Darlehensgeber weder rechtlich noch tatsächlich Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte hat. Wenn allerdings die Aktien vor der nächsten Hauptversammlung zurückzugeben sind, so wird man auch bei einer Kettenleihe davon ausgehen müssen, dass der Darlehensgeber seinen Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte behält. e) Repo-Agreement und Sell-Buyback-Arrangement Beim Repurchase-Agreement (Repo-Geschäft), das auch als echtes Wertpapierpensi- 97 onsgeschäft bezeichnet wird2, verpflichtet sich der Verkäufer als Pensionsgeber, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Aktien zurückzukaufen, und zwar zu einem zuvor näher bestimmten Preis. Der Käufer als Pensionsnehmer wird Aktionär, was übernahmerechtliche Pflichten begründen kann. Streitig ist, unter welchen Voraussetzungen dem Pensionsgeber die Stimmrechte nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet werden. Der Pensionsgeber trägt typischerweise das Kursrisiko. Er kann daher auch aufgrund dieser Interessenlage über die Ausübung der Stimmrechte entscheiden, auch wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart ist3. Das rechtfertigt, auch wenn er von seinem Einfluss keinen Gebrauch macht, eine Zurechnung zum Pensionsgeber4. Beim unechten Wertpapierpensionsgeschäft hat der Käufer zwar das Recht, die Ak- 98 tien zu dem vereinbarten Preis zurückzugeben, der Verkäufer hat aber nicht das Recht die Aktien zurückzuverlangen5. Auch in diesem Fall trägt der Pensionsgeber das Kursrisiko, weshalb ihm die Stimmrechte nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet werden6. 5. Kommissionsgeschäft Erwirbt der Kommissionär auf Rechnung des Kommittenden, so wird er Aktionär. Er 99 muss sich die Stimmrechte zurechnen lassen. Mit dem Erwerb durch den Kommissionär kann auch der Kommittend nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 meldepflichtig sein7.
1 Abweichend für § 22 WpHG: BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.2.2: Meldung schon im Zeitpunkt der Übertragung der Aktien auf den Darlehensnehmer. 2 Zum Global Master Repurchase Agreement (GMRA) 2011 siehe icmagroup.org; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.102 ff. 3 Siehe auch Kümpel/Peters, AG 1994, 525, 529. 4 A.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 114; wie hier: Bieg/Waschbusch/Käufer, ZBB 2008, 63, 65. 5 Bieg/Waschbusch/Käufer, ZBB 2008, 63, 64. 6 A.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 35; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 12; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 115. 7 Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 45; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 112.
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Zurechnung von Stimmrechten
K. Einem Dritten als Sicherheit übertragen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) 100 Hat ein Aktionär seine Aktien verpfändet, so behält er seine mitgliedschaftliche Stellung und damit auch sein Stimmrecht1. Eine Zurechnung an den Pfandgläubiger erfolgt nicht. Er ist daher auch nicht Bieter. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist nicht anwendbar2. Anders soll dies sein, wenn der Inhaber der Aktie dem Pfandgläubiger überlassen hat, das Stimmrecht unabhängig von den Weisungen des Verpfänders auszuüben3. 101 Entsprechend ist die Lage bei der Sicherungsübereignung. Zwar werden die Aktien auf den Sicherungsnehmer übertragen. Ihm steht daher auch von Rechts wegen das Stimmrecht zu. Er müsste daher auch Bieter und meldepflichtig sein. Indessen ist zu unterscheiden: Die Bedeutung von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG liegt in Halbsatz 2; denn obwohl das Stimmrecht dem Sicherungsnehmer zusteht, folgt aus dem Wortlaut des Art. 7 Unterabs. 1 Anstr. 5 Transparenzrichtlinie I sowie aus der Begründung des RegE zu § 22 WpHG, dass es sich anders als bei den übrigen Tatbeständen des § 22 Abs. 1 WpHG um eine ausschließliche Zurechnung handelt. Es gilt an dieser Stelle der Grundsatz der alternativen Zurechnung4. Das heißt, im Blick auf § 21 WpHG werden die Stimmrechte entweder dem Sicherungsgeber – so der Grundsatz des ersten Halbsatzes – oder dem Sicherungsnehmer – unter der Voraussetzung des zweiten Halbsatzes –, niemals aber beiden, nämlich sowohl dem Sicherungsgeber als auch dem Sicherungsnehmer, zugerechnet5. 102 Demgegenüber verlangt § 30 keine richtlinienkonforme Auslegung. Deshalb gilt für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Grundsatz der eingeschränkten doppelten Zurechnung6. 103 Folglich ist zu unterscheiden: – In der Regel wird das Stimmrecht dem Sicherungsgeber zugerechnet. – Ausnahmsweise wird das Stimmrecht auch dem Sicherungsnehmer zugerechnet, wenn er nicht nur zur Ausübung der Stimmrechte befugt ist, sondern auch die Absicht bekundet, die Stimmrechte nach seinen Vorstellungen auszuüben7. 104 Begründet wird die Zurechnung an den Sicherungsgeber damit, dass die Aktien und die damit verbundenen Stimmrechte nach Erfüllung der Verbindlichkeit dem ursprünglichen Aktionär wieder zufallen8. Hinzu kommt, dass der Sicherungsnehmer in der Regel das Stimmrecht nach den Weisungen des Sicherungsgebers ausüben muss, soweit dem nicht seine Sicherungsinteressen widersprechen9. Vor allem wird aber auf die Vertraulichkeit der Kreditbeziehungen Rücksicht genommen. Würde nämlich der Rechtsübergang auf den Sicherungsnehmer offen gelegt, so wäre die Öf1 Ebenso Bayer in MünchKomm. AktG, § 22 Anh., § 22 WpHG Rz. 24. 2 A.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 30 Rz. 14; wie hier: Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 30 Rz. 18. 3 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 154. 4 Die Formulierung wurde durch die BaFin, Emittentenleitfaden, 2009 übernommen. Siehe dort Rz. VIII.2.5.3. 5 Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 50; Burgard, BB 1995, 2069, 2075; Meyer/Bundschuh, WM 2003, 961; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 103. 6 Str.: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 156; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 38; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 32. 7 Ebenso Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 29 Rz. 32. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6679, S. 53; BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.3.1. 9 Zöllner in KölnKomm. AktG, 1970, § 134 Rz. 10.
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fentlichkeit über die Darlehensaufnahme des Sicherungsgebers informiert. Hiervon sieht aber das Gesetz ab. Die Stimmrechte werden daher dem Sicherungsnehmer nur ausnahmsweise, und 105 zwar nur ihm zugerechnet, wenn er das Stimmrecht aus den ihm zur Sicherheit übereigneten Aktien selbst ausüben will und er hierbei befugt ist, nach eigenen Vorstellungen zu handeln. Darüber hinaus soll eine Zurechnung der Stimmrechte an den Sicherungsnehmer selbst dann erfolgen, wenn dieser wegen der zugrunde liegenden Sicherungsvereinbarung die Stimmrechte nicht im eigenen Interesse ausüben darf1. Dem steht entgegen, dass der Bieter keinen Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte hat.
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L. Zu Gunsten des Bieters einen Nießbrauch bestellt (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) Im Aktienrecht ist streitig, wem bei Bestellung eines Nießbrauchs an Aktien das Stimmrecht zusteht2. Folgt man der Ansicht, dass dem Nießbraucher das Stimmrecht zusteht, so bedarf es keiner Zurechnung, weil ihm die Stimmrechte schon nach § 29 angerechnet werden3. Geht man dagegen davon aus, dass das Stimmrecht beim Eigentümer verbleibt, so bedarf es einer besonderen Zurechnung4. Für das WpÜG ist durch § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 entschieden, dass das Stimmrecht dem Bieter, zu dessen Gunsten ein Nießbrauch bestellt ist, zugerechnet wird.
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Das macht auch guten Sinn; denn hierdurch wird die zivilrechtliche Vorfrage, wem das Stimmrecht bei Bestellung eines Nießbrauchs bei Aktien generell oder im Einzelfall zusteht, für die Stellung als Bieter bedeutungslos5. Aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 folgt zudem, dass das Gesetz davon ausgeht, dass sich der Eigentümer, der den Nießbrauch gewährt hat, weiterhin die Stimmrechte anrechnen lassen muss. Eine Absorption, also ein Wegfall der Anrechnung, erfolgt nicht.
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Teilweise wird die Ansicht vertreten, es bedürfe einer einschränkenden Auslegung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, wenn im Rahmen der Nießbrauchsbestellung vereinbart werde, dass der Berechtigte keinerlei Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte nehmen könne. Für diesen Fall sei eine Zurechnung der Stimmrechte zu dem Bieter nicht gerechtfertigt6. Angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift ist für eine solche teleologische Reduktion kein Raum.
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1 Franck, BKR 2002, 715. 2 Zum Streitstand: OLG Koblenz v. 16.1.1991 – 6 U 693/91, ZIP 1992, 844; Heider in MünchKomm. AktG, § 12 Rz. 7; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 12 AktG Rz. 6 einerseits und Hüffer, § 16 AktG Rz. 7; Bayer in MünchKomm. AktG, § 16 Rz. 28 andererseits. 3 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 159. 4 Ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 30 WpÜG Rz. 54. 5 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.4. 6 So Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 53; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 30 WpÜG Rz. 13; ähnlich von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 158.
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M. Durch eine Willenserklärung erwerben kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) I. Regelungszweck 110 § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 unterscheiden sich in ihrem vorrangigen Regelungszweck von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–4 und Nr. 6 WpHG sowie von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–4 und Nr. 6. Derjenige, der durch Willenserklärung erwerben kann, habe in der Regel keinen Einfluss auf die Ausübung des Stimmrechts, bis ihm die Aktien übertragen sind. Mit der Begründung, es bestehe bereits die Möglichkeit, das Stimmrecht und den Einfluss wahrzunehmen, lassen sich daher § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 nicht rechtfertigen. Der Meldepflichtige bzw. der Bieter haben jedoch bereits eine gesicherte Rechtsposition. Damit kommt der Normzweck zum Tragen, dass die sich anbahnende Änderung der Beteiligungsstruktur und des Einflusses frühzeitig offen gelegt werden und zu übernahmerechtliche Pflichten führen soll.
II. Auf Übereignung gerichtetes Angebot 111 Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 sind Stimmrechte aus Aktien, die der Meldepflichtige durch eine Willenserklärung erwerben kann, zuzurechnen. Streitig ist der Begriff des „Erwerbs“. Einigkeit besteht, dass hierzu jedenfalls auch die Erlangung des Eigentums an der Aktie durch entsprechende Willenserklärung gehört. Zuzurechnen ist daher, wenn der Bieter nur noch die Annahme der Übereignungserklärung erklären muss. 112 Das Recht auf Übereignung kann befristet sein, und zwar entweder durch ein festes Datum oder den Tod einer Person. Und die Übereignung kann aufschiebend bedingt sein. Entscheidend ist nicht, dass die Vollendung des Erwerbstatbestands nur noch vom Willen des Erwerbers, sondern dass sie nicht mehr vom Willen des Veräußerers abhängt1. Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Verwirklichung des dinglichen Erwerbstatbestands dürfe nur noch vom Willen des Erwerbers abhängig sein. Daher seien nur Potestativbedingungen geeignet, zur Zurechnung zu führen2. Dann wäre zweifelhaft, ob § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 erfüllt ist, wenn der Erwerb von einem ungewissen künftigen Ereignis, wie etwa die Zahlung durch den Käufer, abhängig ist. Im Ergebnis würde dies, wenn man das verneint, zu einer schwerwiegenden Regelungslücke führen. Das will § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 nicht. Folglich ist auch mit den übernahmerechtlichen Pflichten belegt, wenn die Übereignung bedingt erfolgt ist und der Eintritt der Bedingung durch den Veräußerer nicht verhindert werden kann. 113 Ist die Übereignung auflösend bedingt erfolgt, so ist der Erwerber Aktionär und damit auch Bieter geworden. Tritt die Bedingung ein, verliert der Erwerber seine Rechtsstellung.
1 A.A. Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 49; Steuer/Baur, WM 1996, 1477, 1480; für § 30: Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 55; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 168; wie hier: Burgard, BB 1995, 2069, 2076. 2 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 168; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 57.
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III. Schuldrechtliche Verträge a) Streitig war, ob bereits zuzurechnen ist,
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– wenn der Bieter auf Grund eines Kaufvertrags oder eines entsprechenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts die Übereignung zwar verlangen kann, diese aber noch nicht erfolgt ist; und – wenn der Bieter ein Erwerbsrecht, ein Umtauschrecht oder ein bindendes Angebot zum Abschluss eines entsprechenden schuldrechtlichen Vertrages erlangt1. b) Die entsprechende Diskussion wurde vor allem im kapitalmarktrechtlichen Mel- 115 derecht geführt. Es ging dabei um das Verhältnis von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG zu § 25 WpHG. Dazu wurde die Ansicht vertreten2, § 25 WpHG handle nur von der Offenlegung des Haltens von Finanzinstrumenten i.S.v. § 2 Abs. 2b WpHG. Die Legaldefinition des Finanzinstruments umfasse aber nicht alle schuldrechtlichen Ansprüche u.a. auch nicht den Lieferanspruch aus einem Kaufvertrag.
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§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG handele daher nicht nur von den auf Übereignung 117 gerichteten Angeboten, sondern sei zugleich der Auffangtatbestand für schuldrechtliche Erwerbsrechte, die von § 25 WpHG nicht eingefangen würden. Das hatte allerdings die merkwürdige Rechtsfolge, dass für schuldrechtliche Erwerbsrechte unterschiedliche Meldeschwellen galten; denn nach § 25 Abs. 1 Satz 1 WpHG beginnen die Meldeschwellen erst bei 5 %. Bei § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG i.V.m. § 21 WpHG beginnen die Meldeschwellen aber schon bei 3 %. Durch die Änderung des § 25 WpHG und die Einfügung des § 25a WpHG hat sich die 118 Lage im kapitalmarktrechtlichen Melderegime geändert. Die frühere Regelungslücke in § 25 WpHG ist weggefallen. Daher ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG nach den Änderungen durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz eng auszulegen. Die Meldepflichten aufgrund des Haltens von Finanzinstrumenten ist nur noch durch § 25 WpHG und 25a WpHG geregelt. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG begründet Meldepflichten nur noch aufgrund einer Zurechnung beim Erwerb von dinglichen Erwerbsrechten. Einstweilen frei.
119–128
c) Im Übernahmerecht ist die Lage anders. Eine § 25 und § 25a WpHG entsprechende Vorschrift fehlt im Übernahmerecht. Vor diesem Hintergrund ist weiterhin streitig, ob bereits zuzurechnen ist, wenn der Bieter auf Grund eines Kaufvertrags oder eines entsprechenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts die Übereignung zwar verlangen kann, diese aber noch nicht erfolgt ist. Und streitig ist, ob ein bindendes Angebot 1 Dagegen Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 59, 61; Veil in K. Schmidt/Lutter, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 18; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 112 f.; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 9; Steuer/Baur, WM 1996, 1477, 1480; Witt, AG 2001, 233, 237; dagegen für § 30: Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 57; Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 30 Rz. 22 a.E.; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 83; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 41; Pötzsch/Möller, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 2, S. 18 Fn. 124; Holzborn in Bad Homburger Hdb., Rz. C 26; Sieger/Hasselbach, WM 2004, 1377; für eine Zurechnung nach § 22 WpHG; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 27; Burgard, BB 1995, 2069, 2076; Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 88; Franck, BKR 2002, 712; Uwe H. Schneider, AG 1997, 81, 83. 2 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, 5. Aufl., § 22 WpHG Rz. 105 f.
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zum Abschluss eines entsprechenden schuldrechtlichen Vertrags bereits zur Zurechnung führt1. Trotz identischem Wortlaut zwischen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG a.F. und § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG n.F. sowie § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 wird behauptet, mit Einführung des WpÜG sei die bereits zu § 22 Abs. 1 Nr. 6 WpHG a.F. bestehende Diskussion erledigt2. Das ist jedoch nicht der Fall3: 130 In der Begründung des RegE4 heißt es, das WpHG verwende den Begriff des Erwerbs grundsätzlich im engeren Sinne, d.h. im Sinne der Erlangung des Eigentums an der Aktie. Eine solche einheitliche Begriffsbildung gibt es aber weder im WpHG noch im WpÜG. So ist beim Insiderhandelsverbot nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG nicht nur das Verbot des Erwerbs der dinglichen Rechtsstellung, sondern auch der Erwerb eines Anspruchs auf Übertragung der Aktie erfasst5. Auch § 15a Abs. 1 WpHG versteht unter „erwerben“ das schuldrechtliche Geschäft6. Entsprechend streitig war daher auch für § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG a.F., ob die Vorschrift auch schuldrechtlich bindende Angebote, Optionen usw. erfasst7. 131 Der vorgenannten Ansicht war für § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG vor Einführung der § 25 und § 25a WpHG nicht zu folgen. Und ihr ist auch nicht für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 zu folgen. 132 d) Sinn und Zweck der Zurechnung nach § 22 WpHG ist die Sicherung umfassender Transparenz. Sie wird nur erreicht, wenn man auch den schuldrechtlichen Erwerb und die schuldrechtliche Veräußerung erfasst und offenlegt. Das ist mit Einführung von § 25 und § 25a WpHG anerkannt. Damit werden zugleich wesentliche Vermeidungsstrategien eingefangen. Sinn und Zweck der Zurechnung nach § 30 ist die Zurechnung bei wirksamer Kontrolle der Zielgesellschaft, weil der Bieter von Rechts wegen oder tatsächlich Einfluss auf die Ausübung der Stimmrechte nehmen kann. Das ist bei Abschluss von schuldrechtlichen Verträgen noch nicht von Rechts wegen der Fall und dies könnte eine unterschiedliche Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 58 rechtfertigen. Das Entsprechende gilt aber 1 Dagegen LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 231; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 55; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 22; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 57; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 40; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 20 a.F.; Pötzsch/Möller, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 2, S. 18 Fn. 124; Witt, AG 2001, 233, 237; Holzborn in Bad Homburger Hdb., Rz. C 26; Sieger/Hasselbach, WM 2004, 1377; für eine Zurechnung nach § 22 WpHG a.F. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 22 WpHG Rz. 996; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 33; Burgard, BB 1995, 2069, 2076; Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 88; Uwe H. Schneider, AG 1997, 81, 83; zum Streitstand siehe Franck, BKR 2002, 709. 2 So etwa von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 83; Pötzsch/Möller, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 2 S. 18 Fn. 124. 3 Ebenso Franck, BKR 2002, 709, 712. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53 f. 5 Dreyling in Dreyling/Schäfer (Hrsg.), Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität, 2001, S. 33; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 12; Kümpel, Wertpapierhandelsgesetz, 1996, S. 69; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2011, Rz. 255; a.A. Schäfer in Schäfer, 1999, § 14 WpHG Rz. 5; wohl auch Assmann, AG 1997, 50, 58; Casper, WM 1999, 363, 364; unklar Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad hoc-Publizität, 1996, S. 25. 6 BaFin, Rundschreiben 17/2002 zu den Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten gemäß § 15a WpHG; Uwe H. Schneider, BB 2002, 1817, 1818 f.; a.A. Fleischer, ZIP 2002, 1226. 7 Happ, JZ 1994, 240, 244; vgl. auch LG Hannover v. 29.5.1992 – 23 O 64 und 77/91 – Continental, WM 1992, 1239, 1243, 1244 = AG 1993, 187; Hüffer, Anh. § 22 AktG, § 22 WpHG Rz. 8. 8 Franck, BKR 2002, 709, 714.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
auch für dingliche Erwerbsangebote. Tatsächlich kann schon Einfluss genommen und Kontrolle ausgeübt werden. e) Für eine weite Auslegung von § 30 spricht der Gleichlauf mit dem Melderegime nach Einführung von § 25 und § 25a WpHG. Eine entsprechende Auslegung von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 wäre kein „Fremdkörper“ mehr.
133
f) Auch überzeugt nicht, dass der Bieter bei schuldrechtlichen Verträgen und bei Optionen noch keine gesicherte Rechtsposition habe1; denn auch nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 werden die Stimmrechte zugerechnet, obwohl der Bieter keine „unangreifbare Rechtsposition“ sondern nur schuldrechtliche Ansprüche auf Rückgewähr hat. Insoweit bestehen keine Unterschiede zwischen den genannten Zurechnungstatbeständen.
134
g) Würden Stimmrechte aus Aktien, auf die ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung besteht, nicht zugerechnet, könnten Bieter die Erfüllung kapitalmarktrechtlicher Pflichten durch schlichte Befristung der Übereignung oder Wertpapierleihgeschäfte umgehen.
135
h) Eine weite Auslegung von § 30 WpÜG ergibt sich zudem aus einer richtlinienkon- 136 formen Auslegung2. Aus Art. 2 der Transparenzrichtlinie folgt, dass der Begriff „Erwerb einer Beteiligung“ weit auszulegen ist. Dort heißt es: „Erwerb einer Beteiligung … ist nicht nur der Kauf einer solchen Beteiligung, sondern auch jeder sonstige Erwerb einer Beteiligung ungeachtet seines Rechtsgrundes oder des angewandten Verfahrens …“. Und in der englischen Fassung des Art. 7 Satz 1 Anstrich 7 heißt es: „… is entitled to acquire, on his own initiative alone …“. Folgte man daher der Ansicht, dass die Meldepflicht nach § 21 WpHG ohnehin schon bei Abschluss eines Kaufvertrags ausgelöst wurde3, so verlangte eine richtlinienkonforme Auslegung, dass eine Zurechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG erfolgt. Und dies gilt entsprechend für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5.
IV. Verkaufsoption und börsengängige Kaufoption Ist der Bieter Stillhalter, so werden ihm die Stimmrechte erst zugerechnet, wenn der Inhaber die Option ausübt und damit der Kaufvertrag zustande kommt.
137
Zweifelhaft ist es, ob auch Rechte aus börsengängigen Kaufoptionen zu einer Zu- 138 rechnung führen. Dagegen wird vorgebracht, dies widerspreche Sinn und Zweck der Vorschrift4, ohne dass dies allerdings näher begründet wird. Dem wird ferner entgegengehalten, dass nur bei einem Bruchteil der Optionen der Basiswert herausverlangt werde. Es sei daher überzogen, auch in diesem Fall eine Zurechnung der Stimmrechte zu verlangen5. Berichtet wird zudem, dass die Vertreter der EU-Kommission im Rahmen der Verhandlungen über die Transparenzrichtlinie die Ansicht 1 So aber LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 231. 2 Siehe oben Rz. 12 sowie Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 22 WpHG Rz. 99; Burgard, BB 1995, 2069, 2076; ferner Schwark, ZBB 1996, 261, 264; a.A. Steuer/Baur, WM 1996, 1477, 1480; Cahn, AG 1997, 502, 507. 3 So Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 878. 4 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 92; für § 22 WpHG a.F. Falkenhagen, WM 1995, 1007; Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, 1996, S. 103. 5 So Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Leitfaden zu den Insider-Vorschriften …, abgedruckt in Schwebler u.a. (Hrsg.), Kapitalanlagepolitik im Versicherungsbinnenmarkt, 1994, S. 131, 168.
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vertreten hätten, börsengängige Optionen fielen nicht unter Art. 7 Unterabs. 1 Anstr. 7 Transparenzrichtlinie. 139 Dem ist nicht zu folgen. Zunächst sollte man sich die rechtliche Qualifikation der Wertpapieroptionen vor Augen führen. Nach Nr. 1 der Besonderen Bedingungen für Optionsgeschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen erwirbt der Käufer einer Kaufoption „das Recht, innerhalb der Laufzeit der Option jederzeit dem Verkäufer (Stillhalter in Aktien oder in festverzinslichen Wertpapieren) die Lieferung bestimmter, zum Optionsgeschäft zugelassener Aktien … zu dem vereinbarten Basispreis zu fordern“. Zweifelhaft ist insoweit zwar die rechtliche Qualifikation dieses Optionsrechts1. Sie wird teilweise als einseitige Dauerofferte, nach anderer Ansicht als Angebotsvertrag und teilweise als vertraglich eingeräumtes Gestaltungsrecht oder als bedingt geschlossener Hauptvertrag gesehen. Für § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 mag dies aber dahinstehen; denn auf die rechtliche Qualifikation kommt es nicht an. Nicht entscheidend ist auch, dass der Inhaber der Option vor deren Ausübung noch nicht auf die Wahrnehmung des Stimmrechts Einfluss nehmen kann. Zu bedenken ist vielmehr, dass durch die bloße Erklärung des Bieters die Verpflichtung zur Lieferung begründet werden kann. Zutreffend weist ferner Burgard2 darauf hin, ausschlaggebend seien der Anlegerschutz und die Transparenz. Würden börsengängige Optionen nicht erfasst, so könnten auf diesem Wege unbemerkt Pakete geschnürt werden, ohne dass ein Pflichtangebot abgegeben werden müsste. Die Gegenansicht übersieht, dass Vermeidungsstrategien auf solche Instrumente ausweichen würden, wenn gerade sie nicht erfasst würden3.
N. Dem Bieter anvertraut oder „aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann“ (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6) I. Anwendungsbereich 140 § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG, dem § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 entspricht, ersetzte und erweiterte die vormalige Zurechnungsvorschrift in § 22 Abs. 1 Nr. 7 WpHG a.F. Durch § 22 Abs. 1 Nr. 7 WpHG a.F. wurde Art. 7 Anstr. 8 Transparenzrichtlinie I ins deutsche Recht umgesetzt. Weggefallen ist die vormalige Formulierung, die Aktien müssten „zur Verwahrung“ anvertraut sein. Damit ist geklärt, dass das Bestehen eines Verwahrungsverhältnisses nicht Tatbestandsvoraussetzung ist4. Durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde eine zusätzliche Fallgruppe aufgenommen. Den Stimmrechten des Meldepflichtigen stehen Stimmrechte aus Aktien des Emittenten gleich, „aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann, sofern er die Stimmrechte aus diesen Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann …“. Das Entsprechende gilt im Übernahmerecht für den Bieter. 141 Demnach unterscheidet das Gesetz zwei Fallgruppen. 142 Fallgruppe 1: Die Aktien sind dem Meldepflichtigen bzw. dem Bieter „anvertraut“. „Anvertraut sein“ verlangt nicht, dass dem Meldepflichtigen bzw. Bieter eine Ver1 Zum Stand der Diskussion siehe anstelle vieler Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.45 f.; Hartung, Das Wertpapieroptionsgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 82 ff.; Häuser, DB 1985, 1169; Bundschuh, WM 1986, 725. 2 Burgard, BB 1995, 2069, 2076. 3 Siehe nur LG Hannover v. 29.5.1992 – 23 O 64 und 77/91, WM 1992, 1239, 1243. 4 von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 133.
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fügungsbefugnis über die Aktien zusteht. Entscheidend ist vielmehr, dass derjenige, dem zugerechnet wird, erstens nicht in abhängiger Stellung, sondern als selbständiger Vertreter handelt und zweitens die Vermögensinteressen des Aktionärs wahrzunehmen hat, dass er aber in den sich dadurch gezogenen Grenzen die Stimmrechte nach eigenem Ermessen ausüben kann. In Betracht kommen daher nicht nur vertragliche Rechtsverhältnisse, durch die anvertraut ist, sondern auch gesetzliche Pflichten zur Vermögensverwaltung, etwa aufgrund des elterlichen Sorgerechts1, einer Pflegschaft, einer Betreuung, einer Testamentsvollstreckung2. Die Stimmrechte minderjähriger Kinder sind daher beiden Elternteilen zuzurechnen3.
143
Hat der Bevollmächtigte seinerseits Untervollmacht erteilt, steht dies einem „Anvertrautsein“ nicht entgegen. Die Stimmrechte werden weiterhin dem Bevollmächtigten und ggf. auch dem Unterbevollmächtigten4 zugerechnet.
144
Fallgruppe 2: Durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde die Formulierung „oder aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann“ eingefügt. Damit wurde Art. 10 lit. h der EU-Transparenzrichtlinie II umgesetzt. Aufgegriffen wird der Fall, dass der Meldepflichtige bzw. Bieter zur Stimmrechtsausübung bevollmächtigt ist, ohne weisungsgebunden zu sein. Damit ist nicht notwendig ein „Anvertrautsein“ verbunden.
145
Der Meldepflichtige bzw. Bieter ist auch dann nicht weisungsgebunden, wenn er re- 146 gelmäßig Einzelweisungen erhält, aber die grundsätzliche Weisungsfreiheit fortbesteht. Anders wäre die Lage, wenn der Meldepflichtige bzw. Bieter nicht zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt wäre, wenn keine Weisung erfolgte5. Nicht ganz zweifelsfrei ist, ob auch Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, Komple- 147 mentäre, geschäftsführende Kommanditisten, Prokuristen und sonstige Bevollmächtigte zur Fallgruppe 2 zu zählen sind, wenn sie die Stimmrechte aus den Aktien, die ihrer Gesellschaft gehören, wahrzunehmen haben (siehe auch Rz. 228). Die Folge einer Zurechnung wäre, dass bei einer meldepflichtigen Gesellschaft zumindest zugleich die geschäftsführenden Organmitglieder meldepflichtig wären. Nicht nur die Gesellschaft sondern auch die geschäftsführenden Organmitglieder wären mit den übernahmerechtlichen Pflichten belegt. Bislang wurde daher die Ansicht vertreten, geschäftsführende Organmitglieder seien nicht meldepflichtig6. Das Entsprechende müsste für das Übernahmerecht gelten. Begründet wurde dies damit, die Aktien seien den geschäftsführenden Organen nicht anvertraut7. Organmitglieder fallen aber nach Änderung des Gesetzes auch nicht in die Fallgruppe 2; denn sie handeln als Wirkungseinheit („Organ“) für den Aktionär, dem die Stimmrechte zustehen. Eine 1 VG Frankfurt a.M. v. 1.10.2009 – 1 K 390/09 F (3), Beck RS 2010, 52576. 2 Für § 22 WpHG a.F.: Burgard, BB 1995, 2069, 2076; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 78; Lange, Der Konzern 2003, 678; Mutter, AG 2006, 644 (Testamentsvollstrecker); a.A. von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 135 (für Nachlass- und Insolvenzverwalter); für § 30: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 189. 3 VG Frankfurt a.M. v. 1.10.2009 – 1 K 390/09 F (3), Beck RS 2010, 52576; BaFin, Jahresbericht 2009, S. 194; a.A. von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 189; Diekmann in Baums/ Thoma, § 30 Rz. 61. 4 Ebenso von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 193. 5 Ebenso: BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.6. 6 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 189; a.A. Lange, Der Konzern 2003, 677. 7 von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 189.
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andere Frage ist es, ob § 22 Abs. 2 WpHG zur Anwendung kommt. Auch sonstigen Bevollmächtigten wird nicht zugerechnet, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis zum Aktionär stehen. Bevollmächtigte i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 müssen rechtlich selbständig sein, damit ihnen zugerechnet wird.
II. Nach eigenem Ermessen 148 Dem Bieter werden die Stimmrechte nur zugerechnet, wenn er die Stimmrechte aus den Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann. Ob der Dritte im Wege der offenen Stellvertretung oder im Wege der Stellvertretung für den, den es angeht, handelt, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist nicht das Außenverhältnis. Abgestellt ist vielmehr auf das Innenverhältnis, nämlich das Verhältnis zwischen dem Bieter und dem Aktionär. Dem Bieter muss hinsichtlich der Ausübung des Stimmrechts ein eigener Entscheidungsspielraum eingeräumt sein. Es darf also keine Weisung vorliegen1. Die Zurechnung wird aber nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Aktionär Weisungen erteilen könnte2. Ein eigener Ermessensspielraum fehlt, wenn der Betreffende verpflichtet ist, den Vorschlägen der Verwaltung der Gesellschaft zuzustimmen. Dagegen macht es keinen Unterschied, ob der Bieter berechtigt ist, eigennützig die Stimmrechte auszuüben oder verpflichtet ist, im Interesse des Aktionärs zu handeln3. Auch ist nicht maßgebend, ob der Bieter die Stimmrechte tatsächlich ausübt4.
III. Vollmachtstreuhand 149 a) Treuhandverhältnisse an Aktien können auch in der Weise begründet werden, dass die Aktien nicht auf den Treuhänder übertragen werden (siehe Rz. 68), sondern dass der Treugeber Aktionär bleibt5. Der Treuhänder ist aber im Rahmen der Vermögensverwaltung verpflichtet, das Vermögen im Interesse des Treugebers zu verwalten. Dazu gehören die Vornahme der Anlageentscheidungen und die Wahrnehmung der Rechte aus den Aktien als Vertreter des Aktionärs („Vertreter-Modell“). 150 Weil der Treugeber weiterhin Aktionär bleibt, kann er nach § 21 WpHG meldepflichtig sein und ihn treffen die übernahmerechtlichen Pflichten. Der Treuhänder fällt in den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 nur, wenn er auch die Stimmrechte aus diesen Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann. Der Treugeber mag zwar Weisungen geben können. Entscheidend ist jedoch nicht, ob ein solches Recht besteht, sondern ob der Treugeber auch tatsächlich von der Weisungsbefugnis Gebrauch macht. Auch hängt die Mitteilungspflicht nicht davon ab, ob der Treuhänder die Stimmrechte auch tatsächlich ausübt. Bieter sind vielmehr auch solche „Vollmacht-Vermögensverwalter“, die das Stimmrecht nicht ausüben. 151 b) Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass in den Anwendungsbereich von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 auch die ausländischen, vor allem US-amerikanischen Investment-Management-Gesellschaften fallen, die Aktien verwalten, die u.a. von 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2498, S. 34 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 45. 2 von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 138; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 78. 3 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 45. 4 von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 137. 5 BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, WM 1994, 896, 900; Hadding/Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 37 Rz. 4 und Kienle in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 111 Rz. 8.
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rechtlich selbständigen Fondsgesellschaften gehalten werden1. Gesellschafter dieser Fondsgesellschaften sind institutionelle Anleger, u.a. Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften, Pensionsfonds usw. Den Investment-Management-Gesellschaften obliegt aufgrund besonderen Verwaltungsvertrags vielfach neben der Verantwortung für entsprechende Anlageentscheidungen auch die Wahrnehmung der Rechte aus den Beteiligungen. Durch eine umfassende oder teilweise Identität der Organmitglieder wird die Umsetzung gewährleistet. Damit stellt sich nur die Frage, ob erstens die Stimmrechte der Fondsgesellschaften der Investment-Management-Gesellschaft zugerechnet werden, ob zweitens die Stimmrechte im Verhältnis der Fondsgesellschaften zueinander zugerechnet werden und ob drittens die Stimmrechte der Fondsgesellschaften den Gesellschaftern zuzurechnen sind. Eine Zurechnung zu der Investment-Management-Gesellschaft nach § 30 Abs. 1 152 Satz 1 Nr. 1 scheidet aus, weil es an einer Beteiligung fehlt. Die Fondsgesellschaften sind durch die Investment-Management-Gesellschaft nicht kontrolliert. Die Aktien sind aber der Investment-Management-Gesellschaft i.S.d. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 anvertraut2. Zuzurechnen ist daher nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, wenn die InvestmentManagement-Gesellschaft nach eigenem Ermessen die Stimmrechte ausüben kann. Hiervon ist nicht nur auszugehen, wenn dies der Verwaltungsvertrag vorsieht, sondern auch bei einer umfassenden oder teilweisen Organidentität, vorausgesetzt, dass die Gesellschafter regelmäßig keine Weisungen geben. § 32 Abs. 2 InvG ist nicht anwendbar. Eine Zurechnung im Verhältnis der Fondsgesellschaften zueinander findet nicht 153 statt. Eine Zurechnung zu den Gesellschaftern der Fondsgesellschaften erfolgt nur, wenn diese entweder ein Tochterunternehmen des Bieters ist (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) oder wenn die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 gegeben sind.
IV. Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 hätte größte praktische Bedeutung, wenn hierdurch auch das Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute3 erfasst würde.
154
a) Zweifelsfrei nicht nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 zuzurechnen ist, wenn der Aktionär dem Kreditinstitut ausdrücklich Weisung erteilt, vgl. § 128 Abs. 3, § 135 Abs. 1 Satz 2 AktG.
155
b) Von diesem Fall abgesehen, ist die Frage streitig4.
156
1 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.6. 2 A.A. Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, Jahresbericht 1997, S. 31 (zur alten Fassung der WpHG). 3 Siehe dazu etwa Körber, Die Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute, 1989; Michael Schmidt, Die Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute, 1994; Kohler in FS Döser, 1999, S. 225 jeweils m.w.N. zu dem umfänglichen Schrifttum; Götze, NZG 2010, 93. Zur Frage, ob das Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute die „Abhängigkeit“ i.S.v. § 17 AktG begründen kann: Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 17 Rz. 49 m.w.N. 4 Gegen Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 200; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 66; Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 64; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 48; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 28; Pittroff, Die Zurechnung von Stimmrechten gem. § 30 WpÜG, 2004, S. 246 ff.; Franck, BKR 2002, 715; für Zurechnung nach § 22 Abs. 1 Nr. 7 WpHG a.F.: Burgard, BB 1995, 2069, 2076; Burgard, Die Offenlegung von Beteiligungen, Abhängigkeits- und Konzernlagen bei der Aktiengesellschaft, 1990, S. 188; Junge in FS Semler, 1993, S. 473, 481; so-
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Schon in der Diskussion über die Transparenzrichtlinie I auf EG-Ebene bestand keine Einigkeit darüber, ob das Vollmachtstimmrecht erfasst werden sollte. Berichtet wird, dass die Mehrheit der Delegationen der Mitgliedstaaten dies nachhaltig befürwortete und nur bereit war, Art. 7, wie folgt, zu ergänzen: „Kann die betreffende Person Stimmrechte nach Unterabs. 1 letzter Gedankenstrich in einer Gesellschaft ausüben und erreichen oder überschreiten diese zusammen mit den anderen Stimmrechten, die diese Person in der Gesellschaft hält, eine der Schwellen nach Art. 4 Abs. 1, so können die Mitgliedstaaten abweichend von Art. 4 Abs. 1 vorschreiben, dass sie nur verpflichtet ist, die Gesellschaft mit einer Frist von einundzwanzig Kalendertagen vor deren Hauptversammlung zu unterrichten.“ 157 Damit sollten die praktischen Schwierigkeiten beseitigt werden, die sich einerseits daraus ergeben, dass sich der Bestand der aufbewahrten Aktien ständig ändert. Andererseits sollte berücksichtigt werden, dass erst zeitnah zur nächsten Hauptversammlung feststeht, ob Weisungen erteilt werden. Im Übrigen wurde die Ansicht vertreten, dass das Vollmachtstimmrecht „considerably increased the depository’s influence over the company when the former was itself the owner of shares in that company“. 158 Diese vorbereitenden Überlegungen im Rahmen der Diskussion zur Transparenzrichtlinie I haben indessen keinen Niederschlag in den Erwägungsgründen oder in einer sonstigen der Allgemeinheit zugänglichen Begründung gefunden, so dass sie zur Auslegung der Transparenzrichtlinie I und zur Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG und entsprechend nicht herangezogen werden könnten. Ein Problem der „Kollision der Motive“ auf EG-Ebene und auf nationaler Ebene stellt sich demgemäß nicht1. Die Überlegungen auf EG-Ebene beruhen zudem auf einem Missverständnis von der Ausgestaltung des Vollmachtstimmrechts in der deutschen Praxis. 159 Die Begr. des RegE und der Sinn und Zweck von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG auch in der Fassung durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 sprechen im Blick hierauf gegen die Ausdehnung dieser Vorschrift auch auf das Vollmachtstimmrecht, wie es durch § 135 AktG ausgestaltet ist2. Art. 7 der Transparenzrichtlinie I und damit eine richtlinienkonforme Auslegung stehen dem nicht entgegen. 160 Die Begr. RegE zu § 22 Abs. 1 Nr. 7 WpHG a.F. sah das Vollmachtstimmrecht nicht erfasst. Die Kreditinstitute dürften nach § 135 Abs. 5 AktG das Stimmrecht nicht „nach eigenem Ermessen“ ausüben, sondern seien in Abwesenheit von Weisungen grundsätzlich an ihre eigenen Vorschläge gebunden. Und bei diesen Vorschlägen dürfen eigene Interessen des Kreditinstituts nicht berücksichtigt werden. Unter ausschließlicher Wahrung der Interessen des Vollmachtgebers haben die Kreditinstitute vielmehr die Pflicht, Vorschläge zu unterbreiten. Diese sind sodann dem Aktionär mitzuteilen (§ 128 Abs. 2 AktG). Hat der Aktionär hierauf keine anderen Weisungen erteilt, so wird unterstellt, dass sich der Aktionär diese Vorschläge zu Eigen macht. Abweichen darf das Kreditinstitut hiervon nur, wenn es annehmen darf, dass der Akwie für § 92 Nr. 8 österr. BörseG: Kalss, ÖBA 1993, 615, 624; dagegen aber: von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 139; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 41; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 69 ff.; Schwark in Schwark/Zimmer, § 22 WpHG Rz. 15; Diekmann, DZWiR 1994, 13, 18; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 139; Falkenhagen, WM 1995, 1007; zweifelnd: Happ, JZ 1994, 240, 244; Weber, NJW 1994, 2489, 2586; für eine Zurechnung de lege ferenda: Uwe H. Schneider/Burgard, DB 1996, 1766. 1 Uwe H. Schneider, EuZW 1995, 653. 2 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.6.1.
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tionär bei Kenntnis der Sachlage die abweichende Ausübung des Stimmrechts billigen würde (§ 135 Abs. 5 AktG). Das Ermessen des Kreditinstituts erstreckt sich damit nur auf die Ausformulierung der Vorschläge, nicht aber auf die Ausübung der Stimmrechte1. Es liegt damit ein Fall der „Vollmacht mit gebundener Marschroute“2 vor. Die Möglichkeit eines Abweichens von der vorgegebenen „Marschroute“ (§ 135 Abs. 5 AktG) hält sich dabei an den üblichen Rahmen eines bindenden Auftrags, von dem der Beauftragte nach den Grundregeln des Auftragsrechts (§ 665 BGB) abweichen darf. Auch für den zuletzt genannten Fall erfolgt aber keine Zurechnung3. c) Gleichwohl sollte nicht verkannt werden, dass das Vollmachtstimmrecht eine 161 Quelle des Einflusses der Kreditinstitute ist. Unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle und Transparenz des Einflusses von Kreditinstituten auf Aktiengesellschaften ist es daher rechtspolitisch fragwürdig, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 das Vollmachtstimmrecht nicht erfasst4. d) Was für das Vollmachtstimmrecht der Kreditinstitute gilt, lässt sich auf das Voll- 162 machtstimmrecht der sonstigen institutionellen Stimmrechtsvertreter, etwa der Aktionärsvereinigungen oder sonstiger geschäftsmäßig handelnder Personen (§ 135 Abs. 9 AktG) sinngemäß übertragen. Hat der institutionelle Stimmrechtsvertreter den Aktionären keine Vorschläge unterbreitet, an die er mangels besonderer Weisung gebunden ist, kann der Stimmrechtsvertreter „nach eigenem Ermessen“ abstimmen, so sind ihm die Stimmrechte zuzurechnen5. e) Sind die Aktien einem ausländischen Kreditinstitut mit Sitz im Ausland zur Ver- 163 wahrung anvertraut, so bedarf es der genauen Analyse im Einzelfall, in welcher Weise das ausländische Recht die Stimmrechtsvollmacht ausgestaltet hat, insbesondere ob das Institut „nach eigenem Ermessen“ die Stimmrechte ausüben kann.
O. Sein Verhalten mit dem Bieter abgestimmt (§ 30 Abs. 2) Schrifttum: Anders/Filgut, Abgestimmte Stimmrechtsausübung – ist die Einzelfallausnahme systemwidrig?, ZIP 2010, 1115; Berger/Filgut, „acting in concert“ nach § 30 Abs. 2 WpÜG, AG 2004, 592; Borges, acting in concert – vom Schreckgespenst zur praxistauglichen Zurechnungsnorm, ZIP 2007, 357; von Bülow, acting in concert: Anwendungsprobleme des neuen Zurechnungstatbestands, in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 137; von Bülow, Angebotspflicht auf Grund acting in concert bei Aufsichtsratswahl?, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 141; von Bülow/Bücker, Abgestimmtes Verhalten im Kapitalmarktund Gesellschaftsrecht, ZGR 2004, 669; von Bülow/Stephanblome, Acting in concert und neue Offenlegungspflichten nach dem Risikobegrenzungsgesetz, ZIP 2008, 1797; Casper, Acting in concert – Grundlagen eines neuen kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestandes, ZIP 2003, 1469; Diekmann, Acting in concert: Absprachen zur Besetzung des Aufsichtsrats, DStR 2007, 445; Diekmann/Merkner, Erhöhte Transparenzanforderungen im Aktienund Kapitalmarktrecht – ein Überblick über den Regierungsentwurf zum Risikobegrenzungsgesetz, NZG 2007, 921; Drinkuth, Gegen den Gleichlauf des acting in concert nach § 22 1 So auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2498, S. 35 sowie Veil in K. Schmidt/Lutter, Anh. § 22, § 22 WpHG Rz. 26. 2 BGH v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 334; Schramm in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 164 Rz. 63. 3 So: Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, Jahresbericht 1999, S. 33; BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.6.1. 4 Siehe Uwe H. Schneider/Burgard, BB 1996, 1761, 1765 f., mit Vorschlägen für eine Novellierung der Vorschrift. 5 Für § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG: Uwe H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 93; zur unterschiedlichen Praxis der Stimmrechtsvertreter Andresen, Der Aufsichtsrat 2008, 74.
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WpHG und § 30 WpÜG, ZIP 2008, 676; Düchting, Acting in concert, 2010; Fiedler, Mitteilungen über Beteiligungen von Mutter- und Tochtergesellschaften, 2005; Fleischer, Finanzinvestoren im ordnungspolitischen Gesamtgefüge von Aktien-, Bankenaufsichts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2008, 185; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008; Gätsch/Schäfer, Abgestimmtes Verhalten nach § 22 II WpHG und § 30 WpÜG in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes, NZG 2008, 846; Gesell, Abstimmung bei der Besetzung des Aufsichtsrats – zulässige Einflussnahme oder acting in concert?, in FS Maier-Reimer, 2010, S. 123; Goette, Aktuelle Rechtsprechung des II. Zivilsenats zum Aktienrecht, DStR 2006, 2132; Goette in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 1; Habersack, Beteiligungstransparenz Adieu? – Lehren aus dem Fall Continental/ Schaeffler, AG 2008, 817; Halász/Kloster, Acting in concert im Lichte der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, Der Konzern 2007, 344; Hamann, In concert or not in concert?, ZIP 2007, 1088; Hammen, Analogieverbot beim acting in concert?, Der Konzern 2009, 18; Korff, Das Risikobegrenzungsgesetz und seine Auswirkungen auf das WpHG, AG 2008, 692; Krause, Die „kalte“ Übernahme, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669; Löhdefink, Acting in concert und Kontrolle im Übernahmerecht, 2007; Mülbert, Übernahmerecht im Gefolge der EU-Übernahmerichtlinie, in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141; Pentz, Acting in concert – Ausgewählte Einzelprobleme zur Zurechnung und zu den Rechtsfolgen, ZIP 2003, 1478; Psaroudakis, Acting in concert in börsennotierten Gesellschaften, 2009; Renz/Rippel, Die Informationspflichten gem. §§ 21 ff. WpHG und deren Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz, BKR 2008, 309; Saenger/Kessler, Abgestimmtes Verhalten i.S.d. § 30 Abs. 2 WpÜG bei der Aufsichtsratswahl, ZIP 2006, 837; K. Schmidt, Acting in concert, JbFfSt 2007/2008, 310; Schmidtbleicher, Das „neue“ acting in concert – ein Fall für den EuGH?, AG 2008, 73; Uwe H. Schneider, Acting in concert – ein kapitalmarktrechtlicher Zurechnungstatbestand, WM 2006, 1321; Uwe H. Schneider, Acting in concert: Vereinbarung oder Abstimmung über Ausübung von Stimmrechten?, ZGR 2007, 440; Schockenhoff/Schumann, Acting in concert – geklärte und ungeklärte Rechtsfragen, ZGR 2005, 568; Schockenhoff/Wagner, Zum Begriff „acting in concert“, NZG 2008, 361; Seibt, Grenzen des übernahmerechtlichen Zurechnungstatbestandes in § 30 Abs. 2 WpÜG (acting in concert), ZIP 2004, 1829; Spindler, Acting in concert – Begrenzung von Risiken durch Finanzinvestoren, WM 2007, 2357; Vaupel, Ansprüche von Aktiengesellschaften gegen Stimmrechtsempfehlungen institutioneller Stimmrechtsberater, AG 2011, 63; Veil, Stimmrechtszurechnungen aufgrund von Abstimmungsvereinbarungen gem. § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 645; Vogel, Der Handelsbestand im Übernahmerecht – Offene Fragen des § 20 WpÜG, NZG 2005, 537; Weiler/Meyer, „Abgestimmtes Verhalten“ gemäß § 30 WpÜG: Neue Ansätze der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht?, NZG 2003, 909; Weiss, Der wertpapierhandelsrechtliche und übernahmerechtliche Zurechnungstatbestand des acting in concert, 2007; Winner/Schulz, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht – M&A und die Krise, Österreichisches Bankarchiv 2010, 82.
I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck 164 § 30 Abs. 2 entspricht § 22 Abs. 2 WpHG. Beide Vorschriften sind durch das Risikobegrenzungsgesetz geändert worden. Im Gegensatz zu § 30 Abs. 2 WpÜG ist § 22 Abs. 2 WpHG aber im Interesse einer normativ bezweckten Transparenz weit auszulegen. Die Vorschriften wollen durch die Einbeziehung des „acting in concert“ Zurechnungslücken schließen. Sie wollen das im US-amerikanischen und britischen Offenlegungs- und Übernahmerecht entwickelte „voting group-concept“ bzw. das „acting in concert“ einfangen1. Allerdings werden im Ausland teilweise unter dem Begriff „acting in concert“ alle Zurechnungsvorschriften zusammengefasst. Interna1 Näher hierzu Sec. 13d–5(b)(1) Securities Exchange Act; Nobel in Druey/Böckli/Nobel, Rechtsfragen um die Aktionärbindungsverträge, Zürich 1998, S. 75; Choi/Pritchard, Securities Regulation, New York 2005, S. 734; Coffee, Cardozo Law Rev. 15 (1994), 837, 878; Coffee, Michigan Law Rev. 95 (1997), 1970, 1977; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 115.
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tional gibt es keinen einheitlich verstandenen Begriff des „acting in concert“1. So zählen etwa nach dem britischen Takeover Code 2011 Konzernsachverhalte (parent, subsidiaries and fellow subsidiaries) zum „acting in concert“. Diese sind jedoch im deutschen Übernahmerecht bereits in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 angesprochen. Im Takeover Code (Stand: Sept. 2011) wird „acting in concert“ wie folgt definiert: „Persons acting in concert comprise persons who, pursuant to an agreement or understanding (whether formal or informal), co-operate to obtain or consolidate control (as defined below) of a company or to frustrate the successful outcome of an offer for a company. A person and each of its affilated persons will be deemed to be acting in concert all with each other. Without prejudice to the general application of this definition, the following persons will be presumed to be persons acting in concert with other persons in the same category unless the contrary is established:– (1) a company, its parent, subsidiaries and fellow subsidiaries, and their associated companies, and companies of which such companies are associated companies, all with each other (for this purpose ownership or control of 20 % or more of the equity share capital of a company is regarded as the test of associated company status); (2) a company with any of its directors (together with their close relatives and related trusts); (3) a company with any of its pension funds; and the pension funds of any company covered in (1); (4) a fund manager (including an exempt fund manager) with any investment company, unit trust or other person whose investments such fund manager manages on a discretionary basis, in respect of the relevant investment accounts; (5) a connected adviser with its client and, if its client is acting in concert with an offeror or with the directors of the offeree company, with that offeror or with that offeree company respectively, in each case in respect of the interests in shares of that adviser and persons controlling, controlled by or under the same control as that adviser (except in the capacity of an exempt fund manager or an exempt principal trader); and (6) directors of a company which is subject to an offer or where the directors have reason to believe a bona fide offer for their company may be imminent.“
Diese Definition bezieht sich auf Übernahmeangebote und nicht auf die Melde- 165 pflicht bei wesentlichen Beteiligungen. Sie ist insoweit durch die Praxis geprägt. Die Definition ist wiederholt angepasst worden. So wird u.a. klar gestellt, dass auch Gesellschaften und ihre geschäftsführenden Organmitglieder (siehe Nr. 2 sowie Rz. 228), Gesellschaften mit allen ihren Pensionsfonds und ein „connected advisor“2 mit seinen Klienten als Beteiligte eines „acting in concert“ angesehen werden.
II. Entstehungsgeschichte Die Zurechnung von Stimmrechten aufgrund eines „acting in concert“ war in der Vergangenheit sowohl im Inland als auch im Ausland heftig umstritten3. Die Diskussion beruhte teilweise auf einem Missverständnis; denn es geht nicht um die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Abreden unter den Aktionären, sondern nur um die Zurechnung von Stimmrechten und die damit verbundenen melderechtlichen und übernahmerechtlichen Rechtsfolgen.
1 Siehe auch OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1312 = AG 2004, 617; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 670; Casper, ZIP 2003, 1470; Gesell in FS MaierReimer, 2010, S. 123, 126. 2 Siehe dazu die Definition in den Notes zu „acting in concert“. 3 Zur neuerlichen Reformdiskussion auf Grund des Vorschlags zur Revision der Transparenzrichtlinie vom 25.10.2011, KOM (2011), 683; Seibt/Wollenschläger, AG 2012, 305, 310.
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167 § 22 Abs. 2 WpHG und im Gefolge § 30 Abs. 2 geht auf Art. 10 lit. a) EU-Transparenzrichtlinie II zurück. Art. 10 lit. a) enthält eine besondere, etwas unglücklich formulierte Zurechnungsvorschrift. Hiernach sind auch Stimmrechte zu berücksichtigen, „die von einem Dritten gehalten werden, mit dem diese natürliche oder juristische Person eine Vereinbarung getroffen hat, die beide verpflichtet, langfristig eine gemeinsame Politik bezüglich der Geschäftsführung des betreffenden Emittenten zu verfolgen, indem sie die von ihnen gehaltenen Stimmrechte einvernehmlich ausüben“. 168 Im deutschen Recht war schon i.d.F. des § 30 Abs. 2 durch das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.2001, das zuvor in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG, dem Vorgänger von § 22 Abs. 2 WpHG, aufgenommene Merkmal der Verfolgung langfristig gemeinschaftlicher Ziele bezüglich der Geschäftsführung der börsennotierten Gesellschaft weggefallen. 169 Erhebliche Unsicherheit löste sodann die Entscheidung des II. Senats des BGH vom 18.9.20061 aus. Der Senat vertrat zu § 30 Abs. 1 Satz 1 die Ansicht, die Vorschrift erfasse nur solche Vereinbarungen, die sich auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft beziehen, also nur auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung. Dies nahm der Gesetzgeber nach intensiver Diskussion zum Anlass, durch das Risikobegrenzungsgesetz den Tatbestand neu zu fassen2.
III. Beteiligte der Vereinbarung oder Abstimmung 1. Mehrere Beteiligte 170 § 30 Abs. 2 verlangt eine Vereinbarung oder eine Abstimmung in sonstiger Weise also einen kommunikativen Vorgang3 zwischen dem Bieter und einem oder mehreren Dritten. Auf Seiten des Bieters kann die Vereinbarung oder Abstimmung auch durch ein Tochterunternehmen erfolgen, nicht aber durch sonstige Dritte, deren Stimmrechte dem Bieter zugerechnet werden. Auf Seiten des Dritten kann eine Person handeln, die entweder selbst Stimmrechte hält oder der Stimmrechte zugerechnet werden. So kann der Dritte ein Treugeber sein, dem seinerseits Stimmrechte nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet werden. Auch können in die Vereinbarung oder Abstimmung weitere Personen einbezogen sein, denen keine Stimmrechte zustehen4. Keiner der an der Vereinbarung oder Abstimmung Beteiligten muss ein „Unternehmen“ sein. Gleichfalls nicht erforderlich ist ein Wohnsitz oder eine Niederlassung der Beteiligten im Inland. 171 Es gibt weder eine Mindestzahl noch eine Höchstzahl von Personen, die sich abstimmen. Zwei Personen genügen. Ein organisiertes Abstimmen ist aber auch zwischen einer Vielzahl von Aktionären möglich.
1 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 = AG 2006, 883 mit abl. Anm. Uwe H. Schneider, ZGR 2007, 440; zustimmend: Halász/Kloster, Der Konzern 2007, 344, 347; Borges, ZIP 2007, 357, 361; siehe auch Goette in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 1, 20. 2 Zur Bilanz nach nahezu 2 Jahren: Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, 3. 3 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.8. 4 A.A. wohl Casper, ZIP 2003, 1469, 1475.
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2. Gemeinsamer Vertreter Nicht erforderlich ist, dass die Beteiligten in Person handeln und sich in jedem Einzelfall abstimmen. § 30 Abs. 2 ist erst recht verwirklicht, wenn die Personen, denen die Stimmrechte zustehen oder zugerechnet werden, einen gemeinsamen Vertreter bestellen, sich diesem unterordnen und dieser die Vereinbarung trifft oder die Abstimmung vornimmt1.
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Handelt jemand in Bezug auf die Gesellschaft zugleich im eigenen Namen sowie im 173 Auftrag und im Namen eines Dritten, so ist dies ein exemplarischer Fall der „Abstimmung“. Voraussetzung ist, dass der Betreffende einen gewissen Ermessensspielraum hat oder gar „eigenverantwortlich“ handelt. Hierher zählt das Handeln der geschäftsführenden Organmitglieder im Namen der Gesellschaft und im eigenen Namen, die Testamentsvollstreckung, die Vormundschaft, die Wahrnehmung von Stimmrechten durch Kreditinstitute und Aktionärsvereinigungen usw. Zum Problem des Beraters als Beteiligter siehe Rz. 229.
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IV. Vereinbarung und Abstimmung in sonstiger Weise Der Begriff „Vereinbarung“ umfasst alle Verträge der Zivilrechtsdogmatik, also 175 Stimmbindungsverträge, Interessenwahrungsverträge, Gesellschaftsverträge usw.2. Eine Vereinbarung liegt daher auch vor, wenn die Beteiligten die Koordinierung der Ausübung ihrer Stimmrechte in einem Verein oder in einer Gesellschaft, gleich welcher Rechtsform, zusammenfassen. Ist eine solche Vereinbarung getroffen, führt dies zur Zurechnung. Streitig war, ob darüber hinaus auch ein abgestimmtes Verhalten zur Zurechnung 176 führte3. Eine rechtliche Verpflichtung der Beteiligten ist zwar nicht erforderlich. Eine wechselseitige Information und Beratung genügt jedoch nicht, um eine Zurechnung zu begründen4. Ausreichend ist aber ein gentlemen’s agreement, also ein bewusst praktiziertes Zusammenwirken5. Weder brauchen klagbare Ansprüche noch müssen sonstige Rechte und Pflichten durch die Beteiligten begründet sein. Es genügt eine ausreichend sichere Grundlage für koordiniertes Vorgehen6. Verlangt ist eine ausreichende Intensität und eine ausreichende Finalität7. Ein abgestimmtes Verhalten liegt im Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2, wenn die Partner unter Berufung auf den 1 OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 125. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 79. 3 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, WM 2006, 2080, 2082; Becker in Bürgers/Körber, AktG, § 22 WpHG Rz. 9; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1323. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 25.8.2003 – WpÜG 5/03 und WpÜG 8/03, ZIP 2003, 1977, 1980; Casper, ZIP 2003, 1469, 1475; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1008; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 83; Schwark in Schwark/Zimmer, § 22 WpHG Rz. 20; von Bülow in Veil, Übernahmerecht in der Praxis, 2009, S. 137, 143; siehe auch Rz. 193. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1309, 1312 = AG 2004, 617; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 411; ebenso für § 22 Abs. 2 WpHG: Witt, AG 2001, 238. 6 Ebenso OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, AG 2007, 592; Vaupel, AG 2011, 63, 76. Zur vergleichbaren Lage bei § 17 AktG, BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193, 199; Geßler, ZGR 1974, 476; Lutter, NJW 1973, 113; Hüffer, § 17 AktG Rz. 16; siehe auch zum US-amerikanischen „voting-group-concept“: Coffee, Cardozo Law Rev. 15 (1994), 837, 879; Coffee, Michigan Law Review 95 (1997), 1970, 1977. 7 So die Formulierung durch das schweizerische Bundesgericht BGE 130 II 530 Übernahmerecht.
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kaufmännischen Anstand, die gemeinsamen Interessen als institutionelle Anleger, der Familie, die Interessen der Anbieter oder Nachfrager im Markt usw. Übereinstimmung erzielen, ihr Verhalten in Bezug auf die Gesellschaft abzustimmen1. Ausreichend sind damit abgestimmte Abreden in einem förmlichen Familienrat, im informellen Familienkreis oder in einer Arbeitsgemeinschaft kommunaler Aktionäre. Und ausreichend sind Abstimmungen institutioneller Anleger, unabhängig davon, ob diese sich ihrerseits organisiert haben, etwa in einem Council of Institutional Investors („Calpers-AG“) oder einem Verband, z.B. der Association of British Insurers oder der National Association of Pension Funds2. Ziel der Abstimmung muss es sein, dass die Beteiligten koordiniert ihre Interessen wahrnehmen. Die Stimmrechte sind im Verhältnis der institutionellen Anleger wechselseitig zuzurechnen. 177 Bei einem unbewussten gleichförmigen Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung fehlt es an einem Zusammenwirken3. Das Entsprechende gilt, wenn sich die Beteiligten nur beraten4, ohne auf ein bewusst praktiziertes Zusammenwirken abzuzielen5. Die Grenzen sind an dieser Stelle fließend. Entscheidend ist das gemeinsame Vorgehen. Gleichförmiges Abstimmungsverhalten begründet auch nicht die Vermutung eines abgestimmten Verhaltens (siehe Rz. 209a).
V. Der Inhalt der Vereinbarung oder Abstimmung 1. Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten 178 Nicht jedes vereinbarte oder abgestimmte Verhalten ist ein acting in concert. Hinzu kommen müssen qualifizierende Merkmale. Der Bieter und der Dritte müssen ihr Verhalten „in Bezug auf diesen Emittenten“ abstimmen, an der sie Stimmrechte halten oder deren Stimmrechte ihnen zugerechnet werden. Weiter konkretisiert ist dies im Gesetz nicht. Aus dem normativen Zusammenhang ergibt sich aber, dass es Ziel der Beteiligten sein muss, entweder Einfluss auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung des Emittenten (siehe Rz. 184) oder Einfluss auf den Markt zum Erwerb oder zur Veräußerung der Aktien des Emittenten zu nehmen (siehe Rz. 193). Geklärt ist heute, dass der Einfluss auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung des Emittenten nicht auf die Ausübung von Stimmrechten gerichtet sein muss (siehe Rz. 184). 179 Kein Bezug zur Gesellschaft besteht, wenn die Beteiligten sich über ihr Verhalten als Dritte, etwa als Vertragspartner der Gesellschaft z.B. als Darlehensgeber, als Lieferant oder Arbeitnehmer abstimmen.
1 Zustimmend: Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669, 689. 2 Siehe dazu Financial Times v. 25.5.2005, S. 13: „In the UK, the Association of British Insurers and the National Association of Pension Funds regularly act as forums to put accross such collective points of view“. 3 Ebenso für § 30: OLG Frankfurt a.M. v. 25.8.2003 – WpÜG 5/03, WpÜG 8/03, ZIP 2003, 1977. 4 OECD Principles of Corporate Governance 2004, Regel II. G.: „Shareholders, including institutional shareholders, should be allowed to consult with each other on issues concerning their basic shareholder rights …“; siehe auch Principle 5 UK Stewardship Code: „Institutional investors should be willing to act collectively with other investors where appropriate“. 5 Angerer in Geibel/Süßmann, § 2 Rz. 39; Schüppen/Walz in FrankfKomm. WpÜG, § 30 Rz. 67; Liebscher, ZIP 2002, 1007.
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2. Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (1. Fallgruppe) § 30 Abs. 2 Satz 1 bildet zwei Fallgruppen zur Konkretisierung des Inhalts der Ver- 180 einbarung oder Abstimmung des Verhaltens i.S.v. § 30 Abs. 2 Satz 1, nämlich die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (1. Fallgruppe) und die Verständigung mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten (2. Fallgruppe). Die 1. Fallgruppe sieht vor, dass sich die Vereinbarung oder Abstimmung auf die 181 Ausübung von Stimmrechten beziehen muss. Die Absicht genügt. Die übernahmerechtlichen Pflichten entstehen schon mit Abschluss der Vereinbarung oder zum Zeitpunkt der Abstimmung. Es kommt nicht darauf an, dass die Stimmrechte auch tatsächlich koordiniert ausgeübt werden1. Eine gegenseitige Information ist nicht ausreichend. Verlangt ist vielmehr, dass das Stimmverhalten koordiniert wird. Zu denken ist daher an Vereinbarungen oder Abstimmungen über das Stimmverhalten im Bezug auf alle oder einzelne Tagesordnungspunkte. Ausreichend ist daher die Abstimmung des Stimmverhaltens über alle künftigen Kapitalerhöhungen oder die Entlastung eines Organmitglied. Der Abstimmungsgegenstand muss keine Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit aufweisen2. Die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten ist kein Sonderfall im Ver- 182 hältnis zur 2. Fallgruppe3; denn im Gegensatz zur 2. Fallgruppe kommt es weder darauf an, welche Absichten die Beteiligten damit verfolgen, noch ob sie einen spürbaren und/oder nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmensleitung gewinnen oder ob die Beteiligten einzelne Maßnahmen, die die Zielsetzung des Unternehmens betreffen, durchsetzen wollen oder breitflächig und/oder nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen können4. Früher war das anders. § 30 Abs. 1 Nr. 3 a.F. verlangte, dass die Beteiligten sich verpflichteten, künftig die Stimmrechte einvernehmlich auszuüben, und zwar um „langfristig gemeinschaftliche Ziele bezüglich der Geschäftsführung der börsennotierten Gesellschaft zu verfolgen“. Dabei war jedoch zu bedenken, dass die Hauptversammlung nach deutschem Aktienrecht anders als etwa in einer Reihe von ausländischen Rechtsordnungen nicht über die Geschäftspolitik entscheidet. Die Anwendbarkeit der Norm wäre damit auf solche Fälle beschränkt, in denen ausnahmsweise durch HV-Beschluss unmittelbar auf die Geschäftspolitik Einfluss genommen werden soll.
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3. Einfluss auf die Zielsetzung des Unternehmens (2. Fallgruppe) a) Die Ausgangslage Spätestens mit Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes ist jetzt klargestellt, dass 184 sich die Vereinbarung oder Abstimmung nicht auf die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung beziehen muss, sondern auch die faktische Einflussnahme auf Aufsichtsrat und Vorstand z.B. durch Druck und Versprechungen zum Gegenstand haben kann. Dabei muss Ziel eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Willensbildung und Entscheidungsfindung sein. 1 2 3 4
Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.8. LG Hamburg v. 16.10.2006 – 412 O 102/04, ZIP 2007, 427. A.A. für § 30: Anders/Filgut, ZIP 2010, 1115, 1117. Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 85; Wilsing/Goslar, DB 2007, 2467, 2468.
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185 Unsicherheit war durch die Entscheidung des II. Senats des BGH vom 18.9.20061 entstanden. Der Senat vertrat die Ansicht, § 30 Abs. 2 Satz 1 erfasse nur solche Vereinbarungen, die sich auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft, also auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beziehen2. Würde die Vereinbarung oder Abstimmung sich nur auf die Vorgänge im Aufsichtsrat beziehen, reiche dies nicht aus3. 186 Mit dem Risikobegrenzungsgesetz ist indessen klargestellt: „Auch die Abstimmung im Vorfeld der Hauptversammlung kann somit künftig ein relevantes Zusammenwirken darstellen …“4. 187 Die Vereinbarung oder Abstimmung kann auch dazu dienen, an der Hauptversammlung vorbei faktischen Einfluss auf die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft zu gewinnen5. Auch hier genügt nicht die Absicht, den Vorstand zu einer einzelnen Maßnahme anzuhalten, z.B. ein spin-off vorzunehmen oder eine Maßnahme nicht vorzunehmen, z.B. ein Übernahmeangebot gegenüber den Aktionären einer Zielgesellschaft nicht abzugeben oder nicht weiter zu verfolgen. Die Abstimmung muss vielmehr, wie auch bei der vereinbarten oder abgestimmten Ausübung von Stimmrechten, auf eine dauerhafte und nicht lediglich auf eine Interessenkoordination im Einzelfall gerichtet sein6. b) In sonstiger Weise 188 Die 2. Fallgruppe ist die Reaktion auf die „restriktive Haltung des Bundesgerichtshofs“7, der eine Abstimmung über die Ausübung von Stimmrechten verlangte. Das ist für diese Fallgruppe nicht erforderlich. Ausreichend ist nach der Änderung des § 30 Abs. 2 eine Vereinbarung oder Abstimmung, wonach faktisch außerhalb der Hauptversammlung auf den Vorstand Einfluss genommen werden soll, etwa durch Drohung, auf seine Abberufung hinzuwirken, die Vorstandsmitglieder mit Schadensersatzansprüchen zu überziehen, den Vorstand in der Öffentlichkeit zu diffamieren oder in der Hauptversammlung einen Misstrauensantrag zu stellen8. Der Einfluss muss auf der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung beruhen. Ein expliziter oder mittelbarer Hinweis auf den Stimmrechtseinfluss ist nicht erforderlich9. Die Abhängigkeiten sind den Beteiligten bewusst. Auf der anderen Seite genügt eine tatsächliche
1 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 = AG 2006, 883 mit abl. Anm. Uwe H. Schneider, ZGR 2007, 440; siehe dazu auch Goette in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 1, 20; Noack, LMK 2006, 204721; Borges, ZIP 2007, 357, 362. 2 Zustimmend: Fleischer, ZGR 2008, 185, 199; Diekmann, DStR 2007, 445; Mülbert in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 157; Thaeter/Guski, AG 2007, 301, 303; Borges, ZIP 2007, 357, 363; Halász/Kloster, Der Konzern 2007, 344, 346; Spindler, WM 2007, 2357, 2358. 3 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 ff. = AG 2006, 883, Rz. 17; so noch Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 8; dagegen: Drinkuth, ZIP 2008, 676. 4 Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. 5 A.A. zum alten Recht für § 30: OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, AG 2004, 617 = ZIP 2004, 1309, 1312; wohl auch BaFin v. 19.10.2005 (Deutsche Börse) (www.bafin.de/presse). 6 Zum früheren Recht: Liebscher, ZIP 2002, 1008. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 6 f., 11; Düchting, Acting in concert, 2009, S. 110; siehe auch Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 23. 8 Zu den Methoden: Seifert/Voth, Invasion der Heuschrecken, 2006, S. 135 ff. 9 So aber Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669, 692.
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Abhängigkeit etwa von einem Kreditinstitut als Kreditgeber oder einem Hersteller als Lieferant nicht1. c) Änderung der unternehmerischen Ausrichtung Die 2. Fallgruppe verlangt darüber hinaus, dass sich die Beteiligten mit dem Ziel verständigen, eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten zu erreichen.
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Ziel muss es sein, diese Änderung durch den gegenwärtigen oder den künftigen Vorstand und Aufsichtsrat herbeizuführen. Die Regierungsbegründung nennt als Beispiele die Zerschlagung des Unternehmens und die die Gesellschaft lähmende Sonderdividende2. Als Beispiel werden ferner genannt die grundlegende Änderung des Geschäftsmodells und die Trennung von wesentlichen Geschäftsbereichen3. Zu eng ist die Ansicht, verlangt sei eine Abweichung vom bisher verfolgten Gesellschaftszweck oder vom satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand4; denn das würde eine Satzungsänderung verlangen. Geprägt wird die unternehmerische Ausrichtung vielmehr von der Unternehmenspolitik, also durch die langfristige Ausrichtung von Einkauf, Verkauf, Produktion, Vertrieb, Finanzierung etc.5. Keine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung wird beabsichtigt, wenn nur der gegenwärtige Zustand aufrechterhalten werden soll. Nicht ausreichend ist daher die Unterstützung des derzeitigen Vorstands, der die bisherige Unternehmenspolitik beibehalten will6.
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Das Drängen, einzelne oder alle Aufsichtsratsmitglieder oder Vorstandsmitglieder zu 191 ersetzen, reicht daher nicht aus. Personen können jedoch für eine Änderung der Geschäftspolitik stehen oder sind persönlich abhängig von einem Aktionär, der seinerseits auf eine Änderung der Unternehmenspolitik drängt. Kommt dies hinzu, liegt eine beabsichtigte Änderung der unternehmerischen Ausrichtung vor7. Maßgebend ist die gemeinsame Absicht der Beteiligten und nicht, ob ihnen ihr Vor- 192 haben auch gelingt8. Die Verabredung genügt. Der beabsichtigte Einfluss muss aber beides sein, nämlich dauerhaft und erheblich9. Nicht genügt ein dauerhafter Einfluss, der nicht erheblich ist und ein erheblicher Einfluss, der nicht dauerhaft ist10.
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Ebenso Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 694. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. So wohl von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798. OLG München v. 27.4.2005 – 7 U 2792/04, ZIP 2005, 856; so wohl auch die Verwaltungspraxis: Hoppe/Michel, BaFinJournal April 2010, S. 3. Zweifelnd: Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669; wie hier: Bericht des Finanzausschusses: BT-Drucks. 16/9821, S. 15; LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 232; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, § 30 WpÜG Rz. 43; Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, S. 3, 5. Begr. RegE BT-Drucks. 16/7438, S. 11; zur kalten Übernahme: Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669. Spindler, WM 2007, 2357, 2360; Wilsing/Goslar, DB 2007, 2467, 2468; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798; Korff, AG 2008, 692, 694; Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669, 695. LG Hamburg v. 16.10.2006 – 412 O 102/04, AG 2007, 177. A.A. OLG Frankfurt a.M. v. 25.8.2003 – WpÜG 5, 8/03, ZIP 2003, 1977 und OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6, 8/03, ZIP 2004, 1309; Vaupel, AG 2011, 63, 75; Paul in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 43, 49; Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft 2009, S. 1, 12.
Uwe H. Schneider
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
Der beabsichtigte Einfluss ist erheblich, wenn eine Gesamtschau der Änderungen ergibt, dass nicht eine einzelne Maßnahme verwirklicht werden soll z.B. kein Export von Waffen in ein bestimmtes Kriegsgebiet. 4. Abgestimmter Parallelerwerb 193 Die Vereinbarung oder die Abstimmung der Beteiligten muss sich nicht unmittelbar auf die Ausübung von Stimmrechten oder den Einfluss auf die Geschäftspolitik beziehen. Die Vereinbarung oder die Abstimmung können aber auch das koordinierte Erwerben (abgestimmter Parallelerwerb)1, das koordinierte Festhalten der jeweiligen Beteiligung oder das abgestimmte Veräußern der Aktien durch die Beteiligten zum Inhalt haben2. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich die Durchsetzung der übernahmerechtlichen Gebote und Verbote sicherzustellen. Streitig ist, ob die Beteiligten zusätzlich vereinbaren oder sich abstimmen müssen, auf die Ausübung der Stimmrechte oder die Zielsetzung des Unternehmens Einfluss zu nehmen3. Hierfür genügt die mittelbare Absicht. 194 Im Blick auf das gemeinschaftliche Erwerben sind drei Fälle zu unterscheiden: 195 Zum einen liegt ein gemeinschaftliches Verabreden vor, wenn die Beteiligten im Außenverhältnis gemeinschaftlich auftreten, ihr Interesse am Erwerb öffentlich bekunden und jeweils auf eigene Rechnung erwerben. 196 Zum anderen liegt ein gemeinschaftliches Verabreden zum Zwecke des Erwerbs vor, wenn die Beteiligten im Innenverhältnis verabreden, durch abgestimmten Parallelerwerb gemeinschaftlich ein Paket aufzubauen, unabhängig davon, ob dies dazu dient, bestimmte unternehmerische Entscheidungen durchzusetzen oder gar die Kontrolle
1 Wie hier: Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 15/7438, S. 11; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 256; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1325; Berger/Filgut, AG 2004, 592, 603; Korff, AG 2008, 692, 694; Renz/Rippel, BKR 2008, 309, 311; Mülbert, NZG 2004, 633, 637; Mülbert in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 159; a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 25.8.2003 – WpÜG 5/03, WpÜG 8/03, ZIP 2003, 1977; Diekmann in Baums/Thoma, § 30 Rz. 82; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 30 WpÜG Rz. 13; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 31; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 578; Seibt, ZIP 2004, 1828, 1833; Hamann, ZIP 2007, 1088, 1090; Schockenhoff/Wagner, NZG 2008, 361, 364; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 9 ff.; a.A. für § 22 WpHG Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks. 16/9821, S. 15; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 96; Berger, ZIP 2007, 357, 364; von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 162; Opitz in Schäfer/Hamann, § 22 WpHG Rz. 90; Gätsch/Schäfer, NZG 2008, 846, 848; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799. 2 Siehe auch Art. 10 Abs. 2 Eidgenössische Börsenverordnung – FINMA i.d.F. vom 25.10.2008: „Eine Abstimmung der Verhaltensweisen liegt namentlich vor bei Rechtsverhältnissen zum Erwerb oder der Veräußerung von Beteiligungspapieren“; ferner Jahresbericht der schweizerisch. Offenlegungsstelle 2009, S. 64. 3 Dagegen: Berger/Filgut, AG 2004, 592, 593; Borges, ZIP 2007, 357, 364; dafür: OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1309, 1313; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 219; Nelle, ZIP 2006, 2057, 2061; wohl auch: Spindler, WM 2007, 2357, 2360; siehe auch die Pressemitteilung der BaFin zur Beiersdorf AG: „Ein acting in concert liegt beim gemeinsamen Erwerb von Aktien nur dann vor, wenn ein über den Erwerb hinausgehendes, gemeinsames Interesse verfolgt wird.“; siehe dazu Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1324.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
künftig gemeinsam auszuüben1. Dasselbe gilt für den abgestimmten Parallelverkauf2. Und zum Dritten liegt ein gemeinschaftliches Verabreden zum Zwecke des Erwerbs 197 vor, wenn einer der Beteiligten einen anderen, etwa ein Kreditinstitut beauftragt, in seinem Interesse Aktien zu erwerben. Wenn daher ein Investor zahlreiche Kreditinstitute beauftragt, für ihn Aktien aufzukaufen, so muss er sich die von den Instituten bereits erworbenen Stimmrechte zurechnen lassen3. In allen drei Fällen soll nicht nur die Offenlegung die Marktöffentlichkeit frühzeitig 198 darüber informieren, dass ein Aktionär das Ziel verfolgt, ein Paket zu schnüren. Vielmehr sollen auch die übernahmerechtlichen Folgen ausgelöst werden. Daher sind die Stimmrechte der Beteiligten in einem früheren Zeitpunkt zusammenzurechnen, und zwar auch dann, wenn zunächst noch keine Stimmrechtskoordinierung erfolgt. Das gilt auch für die dritte Fallgruppe, wenn der Beauftragte über Aktien verfügt, die zunächst dem Auftraggeber nicht zugedacht sind; denn für die Offenlegung und die übernahmerechtlichen Gebote und Verbote ist nicht entscheidend, wer in einem zweiten Schritt Inhaber des Pakets werden soll. 5. Vereinbarungen in Einzelfällen Die vorgesehene Ausnahme erfasst dem Wortlaut nach nur „Vereinbarungen“. Mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist dies nicht zu vereinbaren. Die Lücke ist durch entsprechende Auslegung zu schließen. § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 gilt daher auch für sonstige Abstimmungen4.
199
Streitig ist, unter welchen Voraussetzungen sich die Vereinbarung oder Abstimmung auf einen Einzelfall bezieht. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass Abstimmungen zu einem einzelnen Tagesordnungspunkt oder eine einzelne unternehmerische Entscheidung ausnahmslos nicht zur Zurechnung führen (formale Betrachtung)5. Offen bleibt nach dieser Ansicht, ob § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 eine Auslegungsregel oder eine unwiderlegliche Vermutung enthält. Jedenfalls gelte das auch dann, wenn sich die Beteiligten jeweils vor einer Hauptversammlung, also von Fall zu Fall über einen Tagesordnungspunkt absprechen z.B. auf einen Kandidaten verständigen6. Eine solche starre formale Lösung brächte Rechtssicherheit. Nach anderer Ansicht, nämlich bei materieller Betrachtung handelt es sich um eine widerlegliche Vermutung. Bei einer Vereinbarung im Einzelfall sei zwar zu vermuten, dass kein acting in concert vorliege. Es könne aber eine Verhaltensabstimmung auch schon im Einzelfall zur Zurechnung führen, wenn dies zur einer entsprechenden Änderung der unterneh-
200
1 So ausdrücklich Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz zu § 22 Abs. 2 WpHG, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; siehe auch schon Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109; a.A. von Bülow/ Bücker, Börsen-Zeitung v. 14.9.2005, S. 2. 2 A.A. wohl Liebscher, ZIP 2002, 1008 zum alten Recht. 3 A.A. für § 30: Mülbert in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 159. 4 von Bülow in KölnKomm. WpHG, § 22 Rz. 169; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 98; Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; Pentz, ZIP 2003, 1478; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 587; Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669, 696. 5 So wohl h.M.: Lange, ZBB 2004, 22, 27; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 588; Kocher, BB 2006, 2436; Sänger/Kessler, ZIP 2006, 837, 840; für § 30: OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03, ZIP 2004, 1309, 1314; von Bülow in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 141, 145, 149. 6 von Bülow in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 141, 149; wohl auch allgemein Schockenhoff/ Wagner, NZG 2008, 361, 364: spontane Verhaltensabstimmung.
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Zurechnung von Stimmrechten
merischen Ausrichtung führen soll1. Das Risikobegrenzungsgesetz hat keine klare Lösung gebracht2. 201 Die zuletzt genannte materielle Betrachtung wird dem Sinn der Vorschrift gerecht. § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 enthält eine widerlegliche Vermutung, und zwar für beide Fallgruppen. Eine Abstimmung in einem einzelnen Fall schließt somit ein acting in concert nicht aus3. Es wird lediglich nicht vermutet, dass ein acting in concert vorliegt. Die Vermutung ist widerlegt, wenn nachhaltig und beständig auf die Zielgesellschaft eingewirkt werden soll. Dafür genügt die Abstimmung über die Verwendung des Ergebnisses in der Regel nicht. 202 Die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten verlangt daher im Blick auf die 1. Fallgruppe in der Regel eine Verständigung über mindestens zwei Hauptversammlungsperioden. Dies kann auch durch wiederholte Verabredungen geschehen. Liegt eine solche Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten vor, so führt dies unwiderleglich zur Zurechnung, also auch dann, wenn keine Absicht besteht, spürbaren Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen. Eine solche Verständigung ist offenzulegen. Bezieht sich die Verständigung auf einen Tagesordnungspunkt anlässlich einer Hauptversammlung, liegt kein acting in concert vor4. 203 Eine Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten kann ausnahmsweise auch schon dann, wenn sie sich nur auf einen Tagesordnungspunkt im Rahmen einer Hauptversammlung bezieht, für ein acting in concert genügen, wenn hierbei die Beteiligten die Absicht verfolgen, dauerhaft und erheblich Einfluss auf die Zielsetzung des Unternehmens zu nehmen. Die Vermutung ist widerlegt, wenn eine solche Absicht besteht. 204 Für die 2. Fallgruppe ist § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 von geringerer Bedeutung. Die 2. Fallgruppe zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass der Einfluss zwar durch die Beteiligung vermittelt wird, aber „auf andere Weise“ genommen werden soll. Ziel des Einflusses muss es vielmehr sein, eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten herbeizuführen. Entscheidend ist die dauerhafte und erhebliche Änderung der längerfristig angelegten Strategie5. Exemplarisch ist der Verkauf einer wesentlichen Beteiligung. Auch kann dies eine Kapitalerhöhung sein, wenn damit ein neuer Produktionsstandort finanziert werden soll. Daran fehlt es etwa, wenn nur eine einmalige Maßnahme, z.B. die Bestellung eines bestimmten Abschlussprüfers, veranlasst werden soll. Daran fehlt es auch, wenn eine Maßnahme veranlasst werden soll, die zwar längerfristige Bedeutung hat, wie etwa die Einstellung eines Mitarbeiters, dies aber nicht zur Änderung der Geschäftspolitik führt. Wenn folglich nur auf die Entscheidung über einzelne Maßnahme Einfluss genommen werden soll und dies auf die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten ohne Auswirkung ist, liegt kein acting in concert vor6.
1 Casper/Bracht, NZG 2005, 839; Borges, ZIP 2007, 357, 363; Wackerbarth, ZIP 2007, 2340, 2344; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 20; a.A. von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1800; Krause in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 669, 699. 2 Korff, AG 2008, 692; Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, S. 3, 4. 3 Anders/Filgut, ZIP 2010, 1115, 1117. 4 LG Düsseldorf v. 16.5.2007 – 36 O 99/06, ZIP 2007, 1859, 1861 = AG 2007, 797. 5 Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, S. 3, 4. 6 Bericht Finanzausschuss, BT-Drucks. 16/9821, S. 11; Anders/Filgut, ZIP 2010, 1115, 1117.
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Zurechnung von Stimmrechten
Zum gemeinschaftlichen Festhalten zählen die „Versteinerungs-Vereinbarungen“ („stand still-Vereinbarungen“), durch die die Beteiligten versuchen, sicher zu stellen, dass sich die Höhe ihrer Beteiligung an der Gesellschaft nicht verändert1. Das Ziel wird nur erreicht, wenn die Beteiligten auch ihr Abstimmungsverhalten bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen koordinieren.
205
Das abgestimmte Veräußern soll verhindern, dass unvermittelt größere Posten von Aktien auf den Markt gelangen und in Folge hiervon die Kurse einbrechen.
206
VI. Gegenseitige Zurechnung in voller Höhe § 30 Abs. 2 ergänzt nur die Zurechnungsvorschriften, enthält aber keine Sondervorschriften über die übernahmerechtlichen Pflichten2.
207
Die Stimmrechte des Partners eines acting in concert werden wechselseitig in voller Höhe zugerechnet3. Das bedeutet freilich, dass auch Absprachepartner mit sehr kleinen Beteiligungen meldepflichtig sein können. Diese wechselseitige Zurechnung, und zwar in voller Höhe, kann dazu führen, dass eine Vielzahl von Personen zum Pflichtangebot verpflichtet sind4. Die Zurechnung entfällt nicht deshalb, weil die zugerechneten Stimmrechte von einem Stimmverlust betroffen sind.
208
Eine einschränkende Auslegung mit der Folge, dass nur zugerechnet wird, wenn der 208a jeweilige Absprachepartner des acting in concert auch die Möglichkeit hat, auf die Ausübung der Stimmrechte Einfluss zu nehmen, ist nicht begründet5. Sie ist auch europarechtlich nicht zu vertreten6. Der Partner eines acting in concert muss selbst keine Stimmrechte halten. Er kann vielmehr mit den übernahmerechtlichen Pflichten auch belastet sein, wenn ihm Stimmrechte zugerechnet werden. Dem Bieter werden nicht nur die Stimmrechte des Absprachepartners, sondern auch die Stimmrechte aus Aktien zugerechnet, die einem Tochterunternehmen von ihm
1 Wackerbarth in MünchKomm. AktG, § 30 WpÜG Rz. 47; Holzborn in Bad Homburger Hdb., Rz. C 26; sowie für § 22 WpHG: Eidenmüller, DStR 2007, 2116, 2120; Mülbert in Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 152; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1325; a.A. LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 232; LG Hamburg v. 16.10.2006 – 412 O 102/04, ZIP 2007, 427 = AG 2007, 177; LG München v. 11.3.2004 – 5 HKO 16972/03, DB 2004, 1252; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 579; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 219; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 258. 2 Siehe auch Art. 10 Abs. 3 und 4 der Schweizerischen Börsenverordnung – FINMA i.d.F. vom 25.10.2008 lauten: Abs. 3: Wer in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe handelt, hat die gesamte Beteiligung, die Identität der Mitglieder, die Art der Absprache und die Vertretung zu melden. Abs. 4: Erwerb und Veräußerung unter verbundenen Personen, die ihre Gesamtbeteiligung gemeldet haben, sind von der Meldepflicht ausgenommen. 3 Für § 22 WpHG: Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 101; Schwark in Schwark/Zimmer, § 22 WpHG Rz. 18; Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; Braun, NZG 2008, 928, 930. 4 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.8. Für § 30: Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007; Braun, NZG 2008, 928, 930; Maul, NZG 2005, 156. 5 So aber von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 246. 6 Ebenso für § 30: Mülbert, NZG 2004, 633, 637; Seibt/Heiser, ZIP 2005, 214; a.A. Veil in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1645, 1659.
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oder des Partners gehören1. Mehrere Zurechnungstatbestände können zu einer Kettenzusammenrechnung führen (siehe Rz. 20).
VII. Beweislast und Beweisführung 209a
Sollen die Beteiligten mit einem Bußgeld belegt werden, weil sie ihren übernahmerechtlichen Pflichten nicht nachgekommen sind, so muss ihnen ein abgestimmtes Verhalten nachgewiesen werden2. Beweiserleichterungen, Vermutungsregeln etc. sind nicht anwendbar.
210 Sollen die Beteiligten an der Abstimmung in der Hauptversammlung nicht zugelassen, soll ihnen die Dividende nicht ausbezahlt werden oder wird die Dividende zurückgefordert, so muss ihnen auch in diesem Fall das abgestimmte Verhalten nachgewiesen werden3. Eine Beweislastumkehr ist in den §§ 29 f. nicht vorgesehen. 211 Der Nachweis eines abgestimmten Verhaltens wird der Gesellschaft oder den Mitaktionären aber schwer fallen, weil sich die Beteiligten ohne Zeugen hinter verschlossenen Türen u.U. im Ausland treffen und keiner bereit ist, die Vereinbarung oder Abstimmung zu offenbaren. Eine Dokumentation und Zeugen fehlen. In der Regel gibt es keine Briefe, aus denen hervor geht, dass das Verhalten „Wort für Wort“4 abgestimmt ist. Von ausdrücklichen gesetzlichen Vermutungen hat der Gesetzgeber abgesehen5. Daher hilft nur eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles (Indizienbeweis)6, z.B. gemeinsame Treffen, gemeinsames Büro, Austausch und anschließendes Löschen von e-mails, die Zahl der ausgewechselten Aufsichtsratsmitglieder7. In besonderen (typischen) Fällen kann auch auf die Regeln des Anscheinsbeweises zurückgegriffen werden8. Wer jede Form von Beweiserleichterungen ablehnt, beraubt die Vorschrift seiner Funktion9. Vergleichbare Fallgestaltungen sind aus dem Kartellrecht und dem Steuerrecht bekannt. Im Blick hierauf ist zu unterscheiden: 212 Unbewusstes gleichförmiges Abstimmungsverhalten rechtfertigt nicht die Vermutung eines abgestimmten Verhaltens10. Dagegen gibt es eine Reihe von Sachverhal1 A.A. LG Berlin v. 11.12.2008 – 93 O 22/08, ZIP 2010, 884. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5/03a, 6/03, 8/03a, NZG 2004, 865. 3 BaFin v. 19.10.2005 zu § 30 (Deutsche Börse) (www.bafin.de/presse); Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 597. 4 So freilich der Sachverhalt zu OLG München v. 27.4.2005 – 7 U 2792/04, AG 2005, 482 = ZIP 2005, 856, 858. 5 Siehe dazu Fleischer, ZGR 2008, 184, 202; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 287 ff.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 61. 6 LG Köln v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336, 338; siehe auch OLG München v. 17.2.2005 – 23 W 2406/04, WM 2005, 1414; Gaede, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 296. Zur entsprechenden Lage im europäischen Kartellrecht: EuG v. 6.4.1995 – Rs. T-149/89, Slg. 1995, II – 1127, Rz. 70; siehe auch EuG v. 24.10.1991 – Rs. T-1/89, Slg. 1991, II – 867, Rz. 66: Teilnahme an gemeinsamen Sitzungen. 7 Spindler, WM 2007, 2357, 2362. 8 A.A. Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1009; Hamann, ZIP 2007, 1088, 1095; zweifelnd: Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 600. 9 So aber in der Tendenz: Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 596 ff.; auch Seibt, ZIP 2004, 1829, 1834. 10 Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz zu § 22 Abs. 2 WpHG, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; sowie schon OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2004 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1309 = AG 2004, 617; OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 129; OLG München v.
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ten, die typischerweise auf ein abgestimmtes Verhalten hindeuten und die daher eine widerlegliche Vermutung begründen1. Dazu gehört ein bewusstes gleichgerichtetes Abstimmungsverhalten in mehreren Tagesordnungspunkten, die nur im Hinblick einer bestimmten Gesamtstrategie Sinn machen. Auch bei institutionalisierten Treffen, z.B. in einer Vereinigung von Kommunen, die einzeln an einer Gesellschaft beteiligt sind, spricht eine Lebenserfahrung für ein abgestimmtes Verhalten. Auch wird bei Ehegatten, minderjährigen Kindern und Lebenspartnern, mit dem der Bieter im selben Haushalt wohnt, nicht unwiderleglich vermutet, dass ein abgestimmtes Verhalten vorliegt2. Es fehlt eine zwingende Zurechnung, etwa entsprechend den Definitionsregeln des Abs. 2 Nr. 2 City Code on Takeovers and Mergers. Ein abgestimmtes Verhalten ist auch bei diesen zuletzt genannten Personen aber widerleglich zu vermuten3.
VIII. Einzelfälle 1. Gemeinsame Beratung und Aktionärsforum Die Beratung unter den Aktionären wird als Teil guter Corporate Governance angesehen. In Rule II G der OECD-Principles of Corporate Governance 2004 heißt es ausdrücklich: „Shareholders, including institutional shareholders, should be allowed to consult with each other on issues concerning their basic shareholder rights as defined in the Principles, subject to exceptions to prevent abuse.“ In einer solchen wechselseitigen Information und gemeinsamen Beratung liegt kein acting in concert; denn es fehlt schon an einer Vereinbarung oder Abstimmung über ein gemeinsames Stimmverhalten. Unbedenklich ist daher auch die Teilnahme an einem Aktionärsforum (§ 127a AktG.) „Es bleibt dem einzelnen Aktionär unbenommen, das öffentlich bekannte Stimmverhalten anderer Aktionäre in die Überlegungen über sein Stimmverhalten mit einzubeziehen, ohne damit das Risiko der Rechtsfolgen eines acting in concert einzugehen.“4
213
Anders ist die Lage, wenn sich die Aktionäre nicht auf eine gemeinsame Beratung beschränken, sondern auch ein gemeinsames Stimmverhalten verabreden oder faktisch herbeiführen. So erfüllt die Voraussetzungen eines acting in concert auch eine Koordinierung des Stimmverhaltens durch eine wechselseitige Information über das beabsichtigte Stimmverhalten oder durch eine gemeinsame „Beratung“ durch einen institutionellen Stimmrechtsberater bzw. Stimmrechtsvertreter, dem die Beteiligten blind oder in der Absicht folgen, auf diese Weise Einfluss auf das Management zu gewinnen5. Exemplarisch für eine solche gemeinsame „Beratung“ sind breitflächige Abstimmungsrichtlinien für institutionelle Anleger, z.B. über Kapitalmaßnahmen,
214
1 2 3 4 5
27.4.2005 – 7 U 2792/04, AG 2005, 482 = BB 2005, 1411 mit Anm. Louven; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1800; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, § 22 WpHG Rz. 92. A.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 61; Seibt, ZIP 2004, 1834. OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2007 – 5 U 33/06, AG 2008, 87; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 64. A.A. OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 129: offen gelassen für minderjährige Kinder; Liebscher, ZIP 2002, 1008; Casper, ZIP 2003, 1475; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 591; siehe auch Pentz, ZIP 2003, 1481. Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz zu § 22 Abs. 2, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; Gesell in FS Maier-Reimer, 2010, S. 123, 135. Ebenso Vaupel, AG 2011, 63, 75; Uwe H. Schneider, ZGR 2012, 518, 531; a.A. Kocher/Heydel, AG 2011, 543, 546; krit. Klöhn/Schwarz, AG 2012, 149, 156; Fleischer, AG 2012, 2, 11: faktische Standardsetzer.
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
die Entlastung von Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats, zu Corporate Governance Fragen, zur Vergütungspolitik etc.1. Ein solches Verhalten ist nicht unzulässig, muss aber offengelegt werden; denn hier wird versucht, durch abgestimmtes Verhalten erheblich und dauerhaft auf das Management Einfluss zu gewinnen. 2. Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern 215 Vereinbaren zwei oder mehr Personen die Wahl eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder für eine Bestellperiode, so reicht dies für eine Zurechnung nicht aus; denn es handelt sich um eine Vereinbarung in einem Einzelfall, § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 22. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Vorabstimmung eine gemeinsame unternehmerische Strategie zugrunde liegt3. Es besteht auch keine widerlegliche Vermutung für eine solche Abstimmung (anders § 1 Ziffer 6 Österr. ÜbernahmeG). Wenn sich daher Aktionäre im Rahmen eines Aktionärsforums abstimmen, verlangt dies in der Folge keine Zurechnung. Exemplarisch ist auch die Zusage eines Aufsichtsratsmandats an einen Minderheitsaktionär im Rahmen eines Beteiligungserwerbs. Der Einfluss des Aufsichtsratsmitglieds bleibt begrenzt; und das rechtfertigt, von einer Zurechnung abzusehen. 216 Ein abgestimmtes Verhalten mit dem Ziel, sich über das Stimmverhalten zu verständigen (1. Fallgruppe) liegt erst vor, wenn sich die Vereinbarung über mindestens zwei Hauptversammlungsperioden erstreckt (Abstimmung im Fortsetzungszusammenhang). Dies gilt auch dann, wenn keine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten beabsichtigt ist. Abgestimmtes Verhalten liegt auch vor (2. Fallgruppe), wenn mit der Wahl in Bezug auf die börsennotierte Gesellschaft weitergehende Ziele verfolgt werden (Gesamtplan)4. Dafür genügt auch schon die Abstimmung für einen Wahlvorgang. Entscheidend ist die Qualität und Quantität der Aufsichtsratsmandate und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats5. Die weitergehenden Ziele können in der Neuausrichtung der Geschäftspolitik, der Sanierung, der Zahlung einer Sonderdividende aber auch in der Zerschlagung des Unternehmens bzw. des Konzerns liegen. Ausreichend kann hierfür bereits der Austausch eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds sein. Sollen mehrere Aufsichtsratsmitglieder ausgetauscht werden, so spricht dies für eine Änderung der langfristigen Strategie6. Allerdings gilt dies nicht, wenn lediglich der Frauenanteil im Aufsichtsrat erhöht werden soll. Entscheidend ist, dass eine bestimmte unternehmerische Ausrichtung verfolgt wird – und dafür stehen Personen. An einer Abstimmung mit Fortsetzungszusammenhang fehlt es, wenn die Beteiligten sich vor jeder Neubestellung auf denselben Kandidaten einigen7.
1 Siehe etwa die 2012 International Proxy Voting Summary Guidelines von Institutional Shareholder Services Inc; Uwe H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88. 2 A.A. Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 20; wie hier: Süßmann in Geibel/Süßmann, § 30 Rz. 33. 3 OLG München v. 27.4.2005 – 7 U 2792/04, ZIP 2005, 856. 4 Wie hier BaFin, Jahresbericht 2003, S. 209; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 30 WpÜG Rz. 36; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 21; zu eng von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 272 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 30 Rz. 60; Korff, AG 2008, 692, 695. 5 BaFin, Jahresbericht 2005, S. 178. 6 BT-Drucks. 16/7438, S. 11; Spindler, WM 2007, 2357, 2360; Hammen, Der Konzern 2009, 18, 19; siehe auch § 1 Ziffer 6 Österr. ÜbernahmeG. 7 Ebenso Krause, NJW 2004, 3681, 3685.
858 Uwe H. Schneider
§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
Ein abgestimmtes Verhalten von Aufsichtsratsmitgliedern führt nicht zur Stimmrechtszurechnung1.
217
3. Poolvereinbarungen Typisch für ein abgestimmtes Verhalten in Bezug auf die Gesellschaft sind Stimmbindungs-/Poolvereinbarungen2. Dabei schließen sich zwei oder mehrere Aktionäre mit dem Ziel, die Stimmrechte koordiniert auszuüben oder die Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten herbeizuführen. Das gilt in gleicher Weise für den Druckpool, dessen Ziel es ist, die Änderung der unternehmerischen Ausrichtung herbeizuführen, wie für den Abwehrpool, nämlich eine Änderung zu verhindern3. Verknüpft sind diese Vereinbarungen mit Verabredungen über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, Vorkaufsrechte, usw. Derartige Poolvereinbarungen fallen ohne weiteres unter § 30 Abs. 2, und zwar nicht nur, wenn das Einstimmigkeitsprinzip gilt, sondern auch, wenn in der Poolvereinbarung das Mehrheitsprinzip vorgesehen ist4. Die Stimmrechte der Beteiligten werden wechselseitig zugerechnet. Hält ein Poolmitglied die Mehrheit der Stimmen, so sollen die Stimmrechte der Minderheits-Poolmitglieder nur dem Mehrheits-Poolmitglied zugerechnet werden5. Eine solche einschränkende Auslegung ist mit dem Normzweck nicht zu vereinbaren.
218
Hält ein Poolmitglied ein Aktienpaket, wird aber nur ein Teil der Aktien der Poolvereinbarung unterworfen, so werden nur die in die Poolvereinbarung einbezogenen Stimmrechte zugerechnet6. Eine Zurechnung erfolgt ferner unabhängig davon, ob abweichendes Stimmverhalten 219 trotz gemeinsamer Poolentscheidung rechtlich sanktioniert wird, ob sich die Poolmitglieder die Möglichkeit abweichenden Stimmverhaltens offen gehalten haben („Poolvertrag mit Öffnungsklausel“)7 und ob es einen Stimmführer gibt oder nicht. Selbst der ausdrückliche Ausschluss der gemeinsamen Verfolgung von Zielen bezüglich der Geschäftsführung in der Poolvereinbarung kann durch das tatsächliche Verhalten widerlegt sein8. Ist der Poolpartner eine Tochtergesellschaft, so werden die Stimmrechte aller Poolpartner auch dem herrschenden Unternehmen zugerechnet. Das folgt aus § 30 Abs. 2. Die Stimmrechte der Tochter werden der Mutter nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zugerechnet. Wird eine Poolvereinbarung aufgelöst, so entfällt die Zurechnung. Dies kann eine 220 Meldepflicht auslösen, wenn bei einem Poolmitglied eine Meldeschwelle unter-
1 von Bülow in Veil, Übernahmerecht in der Praxis, 2009, S. 158; a.A. noch Begr. RegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 25.6.2003 – WpÜG 5, 6 und 8/03, ZIP 2004, 1309 = AG 2004, 617; Lenz/Linke, AG 2002, 368; von Bülow in Veil, Übernahmerecht in der Praxis, 2009, S. 161; siehe auch Bericht Finanzausschuss RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/9821, S. 16. 3 A.A. von Bülow in Veil, Übernahmerecht in der Praxis, 2009, S. 161. 4 Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 20. 5 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 30 WpÜG Rz. 12; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 256; Pentz, ZIP 2003, 1478; Casper, ZIP 2003, 1474; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 707; Lange, ZBB 2004, 26; a.A. wie hier BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.8; Lenz/Linke, AG 2002, 368. 6 BaFin, Emittentenleitfaden, 2009, Rz. VIII.2.5.8; a.A. für § 30: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 255. 7 Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 95; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 257; a.A. Jäger, WM 1996, 1357. 8 Jäger, WM 1996, 1357.
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859
§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
schritten wird. Im Übernahmerecht hat dies keine Folgen. Dasselbe gilt beim Austritt eines Poolmitglieds. 4. Pool-in-Pool-Vereinbarungen 221 Eine wechselseitige Zurechnung erfolgt auch bei „Pool-in-Pool-Vereinbarungen“, nämlich wenn ein Gemeinschaftspool aus mehreren Einzelpools besteht. Die Stimmrechte der Aktionäre eines Einzelpools werden den Aktionären der anderen Einzelpools zugerechnet. Schon gar nicht ist erforderlich, dass der Beteiligte den Pool kontrolliert. Eine Zurechnung erfolgt ferner unabhängig davon, ob abweichendes Stimmverhalten trotz gemeinsamer Poolentscheidung rechtlich sanktioniert wird oder ob sich die Poolmitglieder die Möglichkeit abweichenden Stimmverhaltens offen gehalten haben („Poolvertrag mit Öffnungsklausel“)1. Selbst der ausdrückliche Ausschluss der gemeinsamen Verfolgung von Zielen bezüglich der Geschäftsführung in der Poolvereinbarung kann durch das tatsächliche Verhalten widerlegt sein2. 5. „Frühstücks-Pool“ 222 Unter § 30 Abs. 2 fallen ferner alle „Frühstücks-Pools“. Das sind solche Verabredungen, bei denen die Partner unter Berufung auf den kaufmännischen Anstand, die gemeinsamen Interessen als institutionelle Anleger, als Familie, als Zulieferer oder Abnehmer usw. eine Übereinstimmung erzielen, entweder gemeinschaftlich die Kontrolle zu erwerben oder ihre Beteiligungen gemeinschaftlich zu halten oder ihre Stimmrechte und den tatsächlichen Einfluss im Zusammenwirken einzusetzen. Wechselseitig zuzurechnen sein können daher auch die Stimmrechte der Mitglieder von Aktionärsvereinigungen oder die Teilnehmer eines Council of Institutional Investors, mag es auch bei der Abstimmung über ihr Stimmrechtsverhalten usw. an einer rechtsgeschäftlichen Grundlage fehlen. Weder brauchen klagbare Ansprüche noch müssen sonstige Rechte und Pflichten durch die „Vereinbarung“ begründet sein. Voraussetzung für eine Zurechnung ist eine gewisse Dauer des Zusammenwirkens3. Einmalige Treffen mit dem Ziel, in einer Einzelfrage zusammenzuwirken, reichen nicht. 6. Nahe Verwandte und Familien-Pools 223 Zwischen Mitglieder derselben Familie, Lebenspartnern usw. wird nicht zwingend zugerechnet. Das gilt auch für Ehegatten und minderjährige Kinder4. Die Stimmrechte minderjähriger Kinder werden aber nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 beiden Elternteilen zugerechnet5. Eine Regelung etwa entsprechend der Definitionen von Abs. 2 Nr. 2 Takeover Code fehlt. Verlangt ist vielmehr ein formales Verabreden, etwa in einem Familienbeirat, oder ein informelles Abstimmen. Ausreichend sind daher informelle Familientreffen, in denen eine entsprechende Abstimmung erfolgt.
1 Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 95; a.A. Jäger, WM 1996, 1357; eingehend: Pentz, ZIP 2003, 1478, 1481. 2 Jäger, WM 1996, 1357. 3 Ebenso Vaupel, AG 2011, 63, 76. 4 LG Köln v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336, 338; Pentz, ZIP 2003, 1485; Schockenkoff/Schumann, ZGR 2005, 591. 5 VG Frankfurt a.M. v. 1.10.2009 – 1 K 390/09, Beck RS 2010, 525 (76).
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§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
Haben die Mitglieder einer Familie die Stimmrechte aus Aktien an derselben Gesellschaft gepoolt, so kann dies eine Zurechnung begründen. Dabei ist aber jeder Fall gesondert zu betrachten; denn die Praxis kennt vielfältige Gestaltungen für solche Familien-Pools, angefangen bei der Poolung der Stimmrechte mit oder ohne gemeinsame Vertretung oder der Poolung der Aktien durch Vollrechtsübertragung, über einstufige und mehrstufige Familien-Pools, bis hin zu ganz unterschiedlichen Formen von Vereinbarungen über die Entscheidungsfindung zum Abstimmungsverhalten und zur Sanktionierung bei abweichendem Stimmverhalten1.
224
Haben die Familienmitglieder ihre Aktien in eine GmbH oder in eine Gesellschaft 225 bürgerlichen Rechts eingebracht und auf diese Weise ihre Stimmrechte gepoolt, so kann dies die Zurechnung begründen. Dem einzelnen Familienmitglied, das an der GmbH oder Gesellschaft bürgerlichen 226 Rechts beteiligt ist, wird nach § 30 Abs. 2 Satz 1 der von der Vorschaltgesellschaft (Vermögensverwaltungsgesellschaft) gehaltene Anteil zugerechnet, wenn der ausschließliche Gesellschaftszweck der vorgenannten Gesellschaft darin besteht, die Beteiligung im Interesse der Gesellschafter zu verwalten, und das einzelne Familienmitglied als Gesellschafter wesentlichen Einfluss auf die Stimmrechtsausübung der Gesellschaft hat (siehe oben Rz. 82). Stimmrechte aus Aktien, die die anderen Familienmitglieder halten, werden ihnen nicht zugerechnet, es sei denn, es besteht auch über die Stimmrechte dieser Aktien eine gesonderte Stimmrechtsvereinbarung. Die Folge der Zurechnung bei abgestimmten Verhalten kann dazu führen, dass ein Familienmitglied nicht nur zur Offenlegung der Beteiligung sondern auch nach § 33 WpÜG zu einem Pflichtangebot verpflichtet ist, obwohl es selbst keine oder nur wenige Aktien hält.
227
7. Gesellschaft und ihre geschäftsführenden Organmitglieder Ein abgestimmtes Verhalten besteht zwischen einer Gesellschaft und ihren ge- 228 schäftsführenden Organmitgliedern; denn die geschäftsführenden Organmitglieder entscheiden zugleich über das Verhalten der Gesellschaft, insbesondere die Ausübung der Stimmrechte in Bezug auf die Gesellschaft2. Nicht entscheidend ist es, ob der Geschäftsführer Alleingesellschafter oder Alleingeschäftsführer ist; es genügt, dass er auf Grund seiner Stimmrechte rechtlich oder faktisch Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft hat. Gegen eine Zurechnung spricht nicht, dass die geschäftsführenden Organmitglieder bei der Wahrnehmung der Stimmrechte der Gesellschaft die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen haben und nur bei der Wahrnehmung der eigenen Stimmrechte ihre eigenen Interessen verfolgen dürfen. Keine Zurechnung erfolgt demgegenüber bei Aufsichtsratsmitgliedern; denn diese haben keinen oder nur begrenzten Einfluss auf die Geschäftspolitik.
1 Siehe zur Verwaltungspraxis Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 95; Jäger, WM 1996, 1357. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 14.11.2006 – 5 U 158/05, AG 2007, 592, 594; OLG Frankfurt a.M. v. 22.5.2007 – 5 U 33/06, AG 2008, 87; ebenso Definitionsregel: acting in concert, Abs. 2 Nr. 2 Takeover Code 2011 (siehe Rz. 164); sowie Lange, Der Konzern 2003, 675, 680; Wackerbarth, ZIP 2005, 1217; a.A. von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 717; Seibt, ZIP 2005, 729.
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861
§ 30
Zurechnung von Stimmrechten
8. Berater, Rechtsanwälte 229 Keine Abstimmung erfolgt zwischen dem Berater (Vermögensberater, Anwalt, Steuerberater etc.) und dem Beratenen, wenn der Beratene eigenverantwortlich entscheidet, wie er sich im Verhältnis zur Gesellschaft verhält. Daher fehlt es in der Regel an einem abgestimmten Verhalten i.S.v. § 30 Abs. 2, wenn der Anwalt sich darauf beschränkt, den Beteiligten bei seinem Verhalten in Bezug auf die Gesellschaft anwaltlich zu beraten1. Etwas anderes gilt, wenn der Anwalt für seinen Klienten handelt. 230 Mit derselben Begründung erfolgt keine Zurechnung beim Anlageberater, wenn er sich auf die Beratung beschränkt und nicht etwa die Vermögensverwaltung übernommen hat. 9. Konzerninterne Vereinbarung 231 Verständigen sich eine Muttergesellschaft und ihre beherrschten Konzernunternehmen, so werden nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 die Stimmrechte der Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft zugerechnet, aber umgekehrt die Stimmrechte der Muttergesellschaft und der Schwestergesellschaft nicht den Tochtergesellschaften. § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 verdrängt indessen nicht § 30 Abs. 2. Wenn daher zwischen Konzernunternehmen eine entsprechende Verständigung erfolgt, führt dies zu einer wechselseitigen Zurechnung2.
IX. Ermächtigung für Rechtsverordnung (§ 30 Abs. 5) 232 Durch § 30 Abs. 5 wird eine Ermächtigungsgrundlage in das Gesetz aufgenommen. Die Ausnahmeregelung in § 30 Abs. 3 wird konkretisiert. Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung regeln, unter welchen Umständen die in § 30 Abs. 3 geforderte Unabhängigkeit eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens vom Bieter gegeben ist. Das ist Voraussetzung, damit die Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 2 Satz 1 greift.
P. Abschließender Katalog von Zurechnungstatbeständen? 233 Ob § 30 Abs. 1 einen abschließenden Katalog von Zurechnungstatbeständen enthält, ist streitig3. Eine Analogie ist ausgeschlossen, so weit die Verletzung der übernahmerechtlichen Pflichten mit Bußgeld belegt ist; denn im Recht der Ordnungswidrigkeiten wäre eine Analogie verfassungswidrig4. So weit aber die Verletzung der übernahmerechtlichen Pflichten gesellschaftsrechtliche oder deliktsrechtliche Folgen (siehe bei § 59) hat, ist eine Analogie und damit eine gespaltene Normanwendung zulässig5.
1 2 3 4
Diekmann in Baums/Thoma, § 30 WpÜG Rz. 81. Zurückhaltend: von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 266 f. Siehe dazu Cahn in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 77. BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98, 106 = AG 2006, 883; Widder/Kocher, ZIP 2010, 457, 569; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 30 Rz. 35, 226. 5 Wie hier: Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 7; Cahn, ZHR 168 (2004), 483; Wackerbarth, ZIP 2005, 1217, 1221; Hammen, Der Konzern 2009, 1820; a.A. Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, Vor § 21 WpHG Rz. 25; Fleischer/Bedkowski, DStR 2010, 933.
862 Uwe H. Schneider
§ 31
Gegenleistung
§ 31 Gegenleistung (1) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung sind grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen zu berücksichtigen. (2) Die Gegenleistung hat in einer Geldleistung in Euro oder in liquiden Aktien zu bestehen, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Werden Inhabern stimmberechtigter Aktien als Gegenleistung Aktien angeboten, müssen diese Aktien ebenfalls ein Stimmrecht gewähren. (3) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine Geldleistung in Euro anzubieten, wenn er, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 bis zum Ablauf der Annahmefrist insgesamt mindestens 5 Prozent der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben haben. (4) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, erhöht sich die den Angebotsempfängern der jeweiligen Aktiengattung geschuldete Gegenleistung wertmäßig um den Unterschiedsbetrag. (5) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 außerhalb der Börse Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, ist der Bieter gegenüber den Inhabern der Aktien, die das Angebot angenommen haben, zur Zahlung einer Geldleistung in Euro in Höhe des Unterschiedsbetrages verpflichtet. Satz 1 gilt nicht für den Erwerb von Aktien im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft und für den Erwerb des Vermögens oder von Teilen des Vermögens der Zielgesellschaft durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung. (6) Dem Erwerb im Sinne der Absätze 3 bis 5 gleichgestellt sind Vereinbarungen, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann. Als Erwerb gilt nicht die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts auf Grund einer Erhöhung des Grundkapitals der Zielgesellschaft. (7) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Angemessenheit der Gegenleistung nach Absatz 1, insbesondere die Berücksichtigung des durchschnittlichen Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft und der Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen und die hierbei maßgeblichen Zeiträume sowie über Ausnahmen von dem in Absatz 1 Satz 2 genannten Grundsatz und die Ermittlung des Unterschiedsbetrages nach Absätzen 4 und 5 erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen.
Krause
863
§ 31
Gegenleistung Inhaltsübersicht
A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
VI. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
1
II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
E. Erhöhung der Gegenleistung bei Parallelerwerb (§ 31 Abs. 4) . . . . . . . 99
III. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
V. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
17
B. Angemessenheit der Gegenleistung (§ 31 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
II. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1. Gegenseitigkeitsverhältnis. . . . . . . . 2. Zeitpunkt für die Prüfung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschiedene Aktiengattungen . . . . 4. Variable Gegenleistung . . . . . . . . . . . 5. Bindung an Angaben in Pflichtveröffentlichungen?. . . . . . . . . . . . . . 6. Abschließender Charakter der §§ 3 ff. WpÜG-AngVO . . . . . . . . . . .
27
I. Maßgeblicher Parallelerwerb . . . . . . 101 II. Referenzperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Höhere Gegenleistung . . . . . . . . . . . 108 1. Wertvergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hauptleistung und Nebenleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenleistung des Parallelgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 112 113 117
IV. Rechtsfolge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 28 29 32 33 34
V. Veröffentlichung und Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 F. Pflicht zur Nachzahlung des Differenzbetrags bei Nacherwerb (§ 31 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Maßgeblicher Nacherwerb . . . . . . . . 132 II. Referenzperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
C. Art der Gegenleistung (§ 31 Abs. 2) .
37
I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
II. Geldleistung in Euro (Pflichtgegenleistung) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III. Liquide börsenzugelassene Aktien (Pflichtgegenleistung) . . . . . . . . . . . .
41
V. Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
41 43 47
VI. Ausnahme für bestimmte Strukturänderungen (§ 31 Abs. 5 Satz 2) . 147
1. 2. 3. 4.
Aktien und depositary receipts . . . . Herkunft der Aktien . . . . . . . . . . . . . Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt. . . . . . . . . . . . . . 5. Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Höhere Gegenleistung . . . . . . . . . . . 139 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Bereinigung von Sondereffekten . . . 140 IV. Rechtsfolge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
52 56
G. Dem Erwerb gleichgestellte Vereinbarungen; Bezugsrechte (§ 31 Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Gleichgestellte Vereinbarungen (§ 31 Abs. 6 Satz 1). . . . . . . . . . . . . . . 151
IV. Sonstige Arten der Gegenleistung (Wahlgegenleistung) . . . . . . . . . . . . .
61
V. Kombinierte Gegenleistung . . . . . . .
63
II. Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts (§ 31 Abs. 6 Satz 2) . . . . . 158
65a
H. Verordnungsermächtigung (§ 31 Abs. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
66
J. Überprüfung durch die BaFin und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
K. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 170
II. Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 170
III. Referenzperiode . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
IV. Schwellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
V. Gegen Zahlung einer Geldleistung .
88
VI. Aktientausch nur für ausgewählte Aktionäre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Pflicht zur Geldleistung (§ 31 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
864 Krause
§ 31
Gegenleistung
Schrifttum: Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaften, 2007; Archner, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) aus Sicht der Investmentbranche, ZfgK 2001, 1002; Bayer, Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluß und Vermögensschutz der Aktionäre nach § 255 Abs. 2 AktG, ZHR 163 (1999), 505; Bayer, Zulässige und unzulässige Einschränkungen der europäischen Grundfreiheiten im Gesellschaftsrecht, BB 2002, 2289; Bayer, Materielle Schranken und Kontrollinstrumente beim Einsatz des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, ZHR 168 (2004), 132; Berrar, Die Finanzierungsbestätigung nach § 13 WpÜG, ZBB 2002, 174; Bicker/Parameswaran, Die Angemessenheit der Gegenleistung nach dem WpÜG im Falle negativer Abweichung des Unternehmenswerts vom Börsenkurs, ZIP 2007, 1787; Birkner (Hrsg.), Handbuch Übernahmerecht, Bd. 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Gegenleistung
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Gegenleistung
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Gegenleistung
A. Überblick I. Regelungsgegenstand 1
Die Vorschrift regelt zusammen mit §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO die Art und die Höhe der vom Bieter mindestens zu gewährenden Gegenleistung. Sie gilt für Übernahmeangebote (§ 29 Abs. 1) und – wegen des Verweises in § 39 – sinngemäß auch für Pflichtangebote. Sie gilt nicht für einfache Erwerbsangebote.
2
Die Art der Gegenleistung ist in § 31 eingehend geregelt: Sie hat in einer Geldleistung in Euro oder in liquiden, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen Aktien zu bestehen. In bestimmten Fällen des Vor- und Parallelerwerbs muss eine Geldleistung in Euro angeboten werden.
3
Für die Höhe der Gegenleistung konstituiert § 31 Abs. 1 den Grundsatz der Angemessenheit und zwei Berücksichtigungsgebote: Hiernach sind grundsätzlich einerseits der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und andererseits der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter zu berücksichtigen. Innerhalb dieses Rahmens wird der unbestimmte Rechtsbegriff der angemessenen Gegenleistung durch die §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO weiter konkretisiert. Die Relevanz des Parallel- und Nacherwerbs für die Höhe der Gegenleistung ist allerdings nicht in der WpÜG-Angebotsverordnung, sondern in § 31 Abs. 4 und 5 geregelt.
II. Zweck 4
Die Regulierung von Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten erreicht ihre Schutzzwecke – Funktionenschutz und, daraus folgend, Reflexschutz für die Aktionäre (siehe Einl. Rz. 14) – nur dann, wenn die Aktionäre der Zielgesellschaft einen angemessenen Ausgleich für die Veräußerung ihrer Aktien erhalten. Diesen angemessenen Ausgleich soll § 31 sicherstellen. § 31 konkretisiert außerdem den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre der Zielgesellschaft (§ 3 Abs. 1)1.
5
Wegen der engen zeitlichen Vorgaben bei Übernahmeverfahren und aus Gründen der Rechtssicherheit hat der Gesetzgeber – anders als bei den umwandlungsrechtlichen Regelungen über die Barabfindung (§ 29 Abs. 1 Satz 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG), die die Angemessenheit der Barabfindung fordern, aber keine Kriterien vorgeben – Eckpunkte für die Bestimmung der Angemessenheit festgelegt, auf deren Grundlage die Mindestgegenleistung schnell und zuverlässig bestimmt werden kann. Im Gesetz ist nur das Grundprinzip niedergelegt (§ 31 Abs. 1); die Details sind in §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO enthalten, damit sie vom Bundesministerium der Finanzen bzw. der BaFin bei Bedarf kurzfristig modifiziert und an die in der Praxis zutage getretenen Bedürfnisse angepasst werden können2.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55 f.; krit. Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1224. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55; krit. Schüppen, WPg 2001, 958, 976.
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III. Entstehung § 31 orientiert sich an Vorbildern im Takeover Code1 und im österreichischen2 und schweizerischen Recht3, enthält aber gegenüber jedem dieser Vorbilder bedeutsame Abweichungen4. Damit unterscheidet sich § 31 deutlich von den Regelungen des Übernahmekodex (Art. 17)5. Mit den Vorschriften der EU-Richtlinie in der Fassung vom 6.6.2001 stand § 31 im Einklang; mit der Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf Übernahmeangebote ging er sogar deutlich darüber hinaus (zu den Vorgaben der verabschiedeten Richtlinie vgl. Rz. 17 ff.).
6
Die wesentlichen Regelungen des § 31 sowie der §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO waren be- 7 reits im Diskussionsentwurf enthalten (§§ 16, 27 DiskE). Die Kriterien für die Ermittlung der Mindestgegenleistung – etwa die Referenzperioden für die Berücksichtigung des Vorerwerbs und des durchschnittlichen Börsenkurses – sollten im Gesetz selbst geregelt werden (§ 16 Abs. 3 DiskE). Den Empfehlungen der Börsensachverständigenkommission6 und der Expertenkommission Unternehmensübernahmen7 folgend, betrug die Referenzperiode für die Ermittlung des durchschnittlichen Börsenkurses und für die Berücksichtigung des Vorerwerbs sechs Monate (§ 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 und 3 DiskE). Außerdem war vorgesehen, dass die anzubietende Gegenleistung den Wert der höchsten für Vorerwerb gewährten Gegenleistung um höchstens 15 % unterschreiten durfte (§ 16 Abs. 3 Satz 3 DiskE). Demnach wäre ein Bieter in der Lage gewesen, einzelnen Aktionären einen (wenn auch der Höhe nach begrenzten) Paketzuschlag zu bezahlen. Diese Regelung war von der Vorstellung getragen, dass der Paketzuschlag Ausdruck einer besonderen ökonomischen Leistung sei und die – der damals gültigen Fassung des österreichischen Übernahmegesetzes8 entlehnte – Begrenzung des Abschlags auf maximal 15 % einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Großaktionäre einerseits und der Kleinaktionäre andererseits darstelle9. Im Referentenentwurf wurden die Regelungen über die Gegenleistung auf das Gesetz 8 und eine Rechtsverordnung verteilt: § 31 RefE enthielt nur noch den Grundsatz, dass die Gegenleistung angemessen sein muss, sowie ferner die Gebote, dass insoweit der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und der Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter und ihm zuzurechnende Personen zu berücksichtigen sind. Außerdem enthielt § 31 RefE die Regelungen, die durch den damaligen EU-Richtlinienvorschlag vorgegeben waren. Die weiteren Einzelheiten wurden in den §§ 3 bis 7 der geplanten Rechtsverordnung geregelt. Hierunter fiel et1 2 3 4
5 6 7 8 9
Rules 6.1, 6.2, 9.5, 11.1 Takeover Code. § 26 ÜbG. Art. 32 Abs. 4 BEHG. Der Takeover Code etwa stellt nicht auf einen durchschnittlichen Börsenkurs ab. In Österreich ist eine Gegenleistung in Geld sowohl bei Pflichtangeboten als auch bei freiwilligen Übernahmeangeboten zwingend (§ 25b Abs. 2 und § 26 ÜbG). Das schweizerische Recht erlaubt einen Abschlag auf den Vorerwerbspreis. Zu Einzelheiten vgl. Rz. 170 ff. Orientierung am höchsten Börsenpreis während der drei Monate vor Kontrollerwerb und – bei Wertpapiererwerb nach Erreichen der Kontrolle – am gewogenen Durchschnittspreis dieses Erwerbs. Börsensachverständigenkommission, Standpunkte, 1999, S. 16 f. Expertenkommission Unternehmensübernahmen, Eckpunkte eines künftigen Übernahmegesetzes, 17.5.2000, abgedr. bei Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 37 f. § 26 Abs. 1 ÜbG a.F. (vor dem Übernahmerechts-Änderungsgesetz 2006). Begr. DiskE zu § 16 Abs. 3, abgedr. bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 316 f.
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wa der 15 %ige Abschlag auf den relevanten Vorerwerb, der allerdings nur noch den außerbörslichen Vorerwerb umfasste (§ 4 Satz 1 RefE WpÜG-AngVO), weil beim Erwerb über die Börse regelmäßig kein Paketzuschlag gezahlt wird1. Im Übrigen wurden die Referenzperioden für den durchschnittlichen Börsenkurs und den relevanten Vorerwerb auf drei Monate verkürzt (§ 31 Abs. 3 Nr. 1 RefE, § 4 Satz 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 RefE WpÜG-AngVO)2. Für Tauschangebote wurden die Anforderungen insofern gelockert, als nur für stimmberechtigte Aktien der Zielgesellschaft stimmberechtigte Aktien als Gegenleistung anzubieten waren (§ 31 Abs. 2 Satz 2 RefE). 9
Die wesentliche Neuerung des Regierungsentwurfs bestand in der Streichung des 15 %igen Abschlags auf den relevanten Vorerwerb (§ 4 Satz 1 RegE WpÜG-AngVO). Hiermit wurde dem Bieter die Möglichkeit genommen, einzelnen Aktionären einen Paketzuschlag zu bezahlen, ohne diesen zugleich auch den übrigen Aktionären zu gewähren. In der Begründung des RegE hieß es hierzu, dass die Regelung Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes sei und den Adressaten des Angebots ermögliche, an Paketzuschlägen zu partizipieren3.
10
Auf die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses wurden zwei wesentliche Aspekte des § 31 geändert: Gemäß § 31 Abs. 3 Nr. 2 RefE und RegE hätte bereits der Parallelerwerb einer einzigen Aktie gegen Geldleistung die Verpflichtung ausgelöst, im Rahmen des öffentlichen Angebots eine Geldleistung in Euro anzubieten4. Zur Vermeidung unbilliger Härten wurde daher die de minimis-Schwelle von 1 % der Aktien oder Stimmrechte der Zielgesellschaft eingeführt5. Geändert wurde außerdem § 31 Abs. 5, der in der Fassung des RegE bei jedweder Form des Nacherwerbs zu einem höheren Preis als dem Preis des Angebots – d.h. auch beim Erwerb über die Börse – eine Nachbesserungspflicht ausgelöst hätte. Auf die Kritik, dass beim Erwerb über die Börse kein Aktionär benachteiligt werde6, wurde die Nachbesserungspflicht auf den außerbörslichen Nacherwerb beschränkt7.
10a Mit dem Inkrafttreten des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes am 14.7.2006 wurde § 31 Abs. 3 geändert8. Nunmehr ist der Bieter verpflichtet, den Angebotsempfängern eine Gegenleistung in Geld anzubieten, wenn er oder mit ihm gemeinsam handelnde Personen im Zeitraum beginnend sechs Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots und endend mit dem Ablauf der Annahmefrist mindestens 5 % der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben haben. Damit wurde zum einen der relevante Vorerwerbszeitraum von drei auf sechs Monate verlängert9. Damit hat sich der Ge1 Begr. RefE zu § 4 WpÜG-AngVO; zust. Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 299. 2 Nach Erhebungen des BVI soll die Verkürzung der Referenzperiode die Aktionäre durchschnittlich um 15 % schlechter stellen, Archner, ZfgK 2001, 1002. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 79 f.; Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1259. Krit. DAVHandelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006; Houben, WM 2000, 1873, 1882; Tröger, DZWiR 2002, 397, 400; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 6. 4 Kritisch daher etwa DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 297. 5 BT-Drucks. 14/7477, S. 53; der DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428, hatte für 2–5 % plädiert. 6 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 301. 7 BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 8 BGBl. I 2006, 1426 (Nr. 31). 9 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 309.
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setzgeber für die Umsetzung der Minimalvorgabe der Übernahmerichtlinie entschieden1. Zum anderen wurden die Tatbestände, die eine Geldleistungspflicht auslösen, gemäß der Vorgabe der Richtlinie vereinheitlicht, indem jetzt für Vor- und Parallelerwerbe eine einzige 5 %-Schwelle gilt. Gegenüber der früheren Regelung bedeuten diese Änderungen gleichermaßen eine Erleichterung und eine Verschärfung2.
IV. Kritik Gegen die Regelung der Gegenleistung bei Übernahmeangeboten wurden u.a. verfas- 11 sungsrechtliche3 und EU-rechtliche4 Bedenken erhoben. Aus rechtspolitischer Sicht wurde die Heranziehung des Börsenkurses als Mindestpreiskriterium, die Partizipation der Minderheitsaktionäre an einem gezahlten Paketzuschlag und das Fehlen eines gerichtlichen Verfahrens zur Anpassung der Gegenleistung an einen ggf. höheren „wahren“ Wert kritisiert. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wurden Bedenken dahin gehend erhoben, dass die 12 Regelung in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG) bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit des Bieters (Art. 2 Abs. 1 GG) eingreife, ohne dass dies zum Schutz der Interessen der Aktionäre erforderlich sei. Ihren Interessen sei durch die konzernrechtlichen Vorschriften des Aktiengesetzes hinreichend Rechnung getragen5. Diese Kritik verkennt allerdings, dass die Schutzwirkungen der §§ 291 ff. AktG einen Unternehmensvertrag voraussetzen, dessen Abschluss im freien Belieben des Bieters steht, und dass die §§ 311 ff. AktG nur die Rechtsposition des Aktionärs als Verbandsmitglied, nicht aber die Vermögensposition des Aktionärs in seiner Funktion als Kapitalanleger schützen6. Außerdem begegnete die Verlagerung grundrechtsrelevanter Regelungen in die WpÜG-Angebotsverordnung Bedenken im Hinblick auf die vom BVerfG zu Art. 80 Abs. 1 GG entwickelte Wesentlichkeitstheorie7. Weil aber sämtliche grundrechtsrelevante Regelungen der WpÜG-AngVO in § 31 Abs. 1 Satz 2 eine Stütze finden, wird man diese Bedenken – wenn überhaupt – nur insoweit teilen können, als § 31 Abs. 1 Satz 2 offen lässt, ob auf den Vorerwerbspreis ein Abschlag vorzunehmen ist oder nicht8. Die EU-rechtlichen Bedenken stützen sich darauf, dass die Regelung des § 31 die EGvertraglich verbürgten Grundfreiheiten der Niederlassung (Art. 49 ff. AEUV) und des Kapitalverkehrs (Art. 64 ff. AEUV)9 beschränkt, Beschränkungen der Grundfreiheiten aber nach der zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten und seit längerem auf die an1 Gemäß Art. 5 Abs. 4 Übernahmerichtlinie durften die Mitgliedstaaten einen Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten wählen, siehe dazu Rz. 21. 2 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 309; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 7. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 22. 4 Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1225. 5 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 22. 6 Zu den unterschiedlichen Schutzrichtungen vgl. Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 387 f.; Krause, Übernahmeangebot, S. 181 ff., 201; Krause, AG 1996, 209, 211 ff.; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 8. 7 Schüppen, WPg 2001, 958, 976. 8 Im schweizerischen Recht ist diese Frage im Gesetz geregelt; vgl. Art. 32 Abs. 4 BEHG. 9 Der Erwerb einer Kontrollbeteiligung unterfällt der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit; EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 = NJW 2002, 2305, Rz. 42 (Kommission/Frankreich); EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 = NJW 2002, 2303, Rz. 40 f. (Kommission/Belgien); EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 = NZG 2002, 632, Rz. 46 (Kommission/Portugal); hierzu Bayer, BB 2002, 2289 ff.; Grundmann/Möslein, BKR 2002, 758, 760 f.; Krause, NJW 2002, 2747, 2748.
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deren Grundfreiheiten übertragenen Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH nicht gerechtfertigt seien, wenn sich das Ziel der mitgliedstaatlichen Regelung durch gleich wirksame, aber weniger behindernde Maßnahmen erreichen lässt1. Diese Kritik wendet sich im Wesentlichen gegen die Mindestpreisregeln für – freiwillige – Übernahmeangebote, bei denen man davon ausgehen darf, dass der Bieter bereits genügend Anreizen unterliegt, einen angemessenen Preis zu bieten, wenn er erfolgreich sein will. Der Gesetzgeber begründet die Geltung des § 31 für Übernahmeangebote damit, dass die Privilegierung des Kontrollerwerbs durch Übernahmeangebot gemäß § 35 Abs. 3 nur dann gerechtfertigt sei, wenn bereits das Übernahmeangebot den für ein Pflichtangebot geltenden Vorschriften unterliegt, da anderenfalls die für ein Pflichtangebot geltenden Schutzmechanismen unterlaufen werden könnten2. Dieser Gedanke ist auch in Art. 5 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie verankert. Das von der Kritik vorgeschlagene Alternativkonzept, Übernahmeangebote kraft Gesetzes unter die aufschiebenden Bedingung der Annahme durch die Mehrheit der außenstehenden Aktionäre zu stellen3, dürfte zwar die Wahrscheinlichkeit adäquater Konditionen erhöhen4, würde aber keine befreiende Wirkung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 entfalten. Zudem ist unsicher, ob das Alternativkonzept die Ziele des Gesetzgebers verwirklichen kann5. Gegenüber einer Regelung, die dem Kontrollerwerb durch Übernahmeangebot ein Pflichtangebot nachfolgen und erst im Rahmen des Pflichtangebots eine Angemessenheitsprüfung stattfinden ließe, erscheint das Konzept der §§ 31, 35 Abs. 3 als die sachgerechtere Lösung6. Auch nach den Regelungen anderer EU-Mitgliedstaaten ist der Gleichlauf der Preisregeln vorgesehen, wenn das freiwillige Angebot auf den Erwerb der Kontrolle abzielt7. Allerdings knüpfen weder die Richtlinie8 noch der Takeover Code9 an den Börsenkurs an; diese Regelungen halten nur den Vorerwerb für maßgeblich. Vor diesem Hintergrund wäre jedenfalls de lege ferenda für die Aufgabe des Börsenpreiskriteriums bei Übernahmeangeboten zu plädieren10. Für Gesellschaften in bilanziellen oder finanziellen Schwierigkeiten, die an der Börse überbewertet sind, kann das Börsenpreiskriterium zur Folge haben, dass 1 EuGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78, Slg. 1979, 649; kritisch zur Übertragung der Cassis de Dijon-Rechtsprechung auf die Kapitalverkehrsfreiheit Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rz. 1721. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30 (unter ausdrücklicher Erwähnung der Regelungen über die Gegenleistung). 3 Mülbert, ZIP 2001, 1221, 1224 f. 4 Ohne diese Bedingung und ohne Vorschriften über die Angemessenheit der Gegenleistung bestünde für den Bieter ein starker Anreiz, eine unangemessene (zu niedrige) Gegenleistung anzubieten, Tröger, DZWiR 2002, 397, 398. 5 Praktisch handhabbar wäre diese Regel nur, wenn sie auf die Mehrheit des von den außen stehenden Aktionären gehaltenen Grundkapitals abstellte; ob eine „Mehrheit nach Köpfen“ das Angebot angenommen hat, lässt sich bei börsennotierten Gesellschaften regelmäßig nicht ermitteln. 6 Rodewald/Siems, ZIP 2002, 926, 928; Tröger, DZWiR 2002, 397, 398. 7 Takeover Code, Note 9 on Rule 9.1 (Vereinigtes Königreich), § 26 Abs. 1 ÜbG (Österreich), Art. 9 Abs. 6 UEV (Schweiz) – mit dem gesetzgebungstechnischen Unterschied, dass es sich um Preisregeln für das Pflichtangebot handelt, die bei Übernahmeangeboten entsprechende Anwendung finden; Rodewald/Siems, ZIP 2002, 926, 927, scheint dies entgangen zu sein. 8 Art. 5 Abs. 4. 9 Rules 6.1, 6.2, 9.5, 11.1 Takeover Code. 10 Habersack, ZHR 166 (2002), 619, 624; Krause, BB 2002, 2341, 2343; Krause, BB 2004, 113, 117; Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 458; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 9, 36; wohl auch Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2195; ähnlich bereits Houben, WM 2000, 1873, 1881; Krause, NZG 2000, 905, 908; für eine Aufgabe der Börsenpreisregel bei Pflicht- und Übernahmeangeboten im Fall signifikanter Vorerwerbe (mit entsprechendem Gesetzesvorschlag) von Falkenhausen, ZHR 174 (2010),
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sich kein Investor findet, der – neben dem Einschuss von Eigenkapital und dem damit einhergehenden Beteiligungserwerb – bereit wäre, den Aktionären ein öffentliches Angebot zum maßgeblichen durchschnittlichen Börsenkurs zu unterbreiten1. Diese Problematik ist indes de lege lata nur über eine Befreiung von Pflichtangebot gemäß § 37 zu lösen2. Vereinzelt wurde kritisiert, dass sich der Gesetzgeber mit dem Abstellen auf den Bör- 14 senkurs in § 31 Abs. 1 darauf festgelegt habe, dass die Kapitalmärkte informationseffizient seien und den „wahren Wert“ der Zielgesellschaft zutreffend widerspiegelten3. Eine derartige Festlegung ist nicht erkennbar. § 31 Abs. 1 will die Aktionäre der Zielgesellschaft, die ihre Aktien in aller Regel an der Börse und somit zu einem durch den Kapitalmarkt gebildeten Preis erworben haben, davor schützen, dass sie mit einem Angebot zur außerbörslichen Veräußerung ihrer Aktien konfrontiert werden, das hinter dem aktuellen, am Kapitalmarkt gebildeten Preis zurückbleibt. Ob die Kapitalmärkte „effizient“ sind (d.h. der Kurs einer Aktie alle relevanten Informationen widerspiegelt)4, ist für die Erfüllung dieses Schutzzweckes genauso unerheblich wie die Antwort auf die Frage, ob der Börsenkurs dem „wahren Wert“ gemäß den Vorgaben der DAT/Altana-Rechtsprechung für die Abfindung der Aktionäre bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und bei der Eingliederung entspricht5. Die DAT/Altana-Rechtsprechung ist auf übernahmerechtliche Sachverhalte nicht übertragbar, weil die Eingriffe, die ein Unternehmensvertrag oder die Eingliederung nach sich ziehen, deutlich schwerer wiegen als die Beeinträchtigungen durch einen Kontrollwechsel6. Aus den gleichen Gründen erscheint auch die Kritik am Fehlen eines gerichtlichen 15 Verfahrens zur Anpassung (Erhöhung) der angebotenen Gegenleistung an den „wahren Wert“7 nicht gerechtfertigt. Bei Übernahmeangeboten ist ein derartiges Verfahren entbehrlich, weil die Aktionäre das Angebot nur annehmen werden, wenn es attraktiv ausgestaltet ist; der Bieter, der die Zielgesellschaft übernehmen will, wird seinen eigenen Nutzen nur maximieren können, wenn er ein attraktives Angebot
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293, 310 f.; krit. Tröger, DZWiR 2002, 397, 398; a.A. Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 128; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 110. Bicker/Parameswaran, ZIP 2007, 1787, 1788 ff.; von Falkenhausen, ZHR 174 (2010), 293, 302 f.; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 9, 37. von Falkenhausen, ZHR 174 (2010), 293, 305; von Bülow in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 9, 37; a.A. Bicker/Parameswaran, ZIP 2007, 1787, 1792. Tröger, DZWiR 2002, 397, 399. Hierzu (und auch zu den verschiedenen Ausprägungen dieser Hypothese) instruktiv und kritisch Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991, S. 138 ff. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 – DAT/Altana, BVerfGE 100, 289, 309 f. = AG 1999, 566; BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417; aus der Literatur etwa Piltz, ZGR 2001, 185 ff.; Wiedemann/Hirte in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 337, 380 f.; Henze, in FS Lutter, 2001, S. 1101 ff.; Luttermann, ZIP 1999, 1149 ff. Zutreffend Krieger in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 298; Habersack, ZIP 2003, 1123, 1127; Mülbert/Uwe H. Schneider, WM 2003, 2301, 2315; Mülbert, NZG 2004, 633, 642; a.A. Zschocke/Rahlf, DB 2003, 1375, 1376 und DB 2003, 1785, sowie diejenigen, die auch freiwillige Angebote als einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG ansehen, etwa Tröger, DZWiR 2002, 397, 399 f. (Fn. 138); Nietsch, BB 2003, 2581, 2587; Oechsler in FS Hadding, 2004, S. 1027, 1031 f. Tröger, DZWiR 2002, 397, 399 f. m.w.N. aus dem älteren Schrifttum; ähnlich Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 133.
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vorlegt1. Es kommt hinzu, dass während des laufenden Angebots nicht genug Zeit zur Verfügung stünde, um ein derartiges Verfahren abzuschließen2. Die Preisanpassung könnte also wie im aktien- und umwandlungsrechtlichen Spruchverfahren allenfalls ex post vorgenommen werden. Für den Bieter würde dies bedeuten, dass er nicht sicher sein kann, ob er zusätzlich zu dem gemäß § 31 und §§ 3–7 WpÜG-AngVO festgelegten Preis (ggf. nach mehreren Jahren3) noch eine Nachzahlung leisten muss. Die Übernahme einer deutschen Gesellschaft wäre damit ein unkalkulierbares finanzielles Risiko4. Wenn eine Unternehmensbewertung zur Ermittlung des Mindestpreises erforderlich ist (§ 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO), würde sich ein Verfahren zur Anpassung der Gegenleistung wie ein Spruchverfahren entwickeln – mit jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen und den damit verbundenen Unsicherheiten5. Daher wäre ein Anpassungsverfahren auch mit dem Beschleunigungsgrundsatz (§ 3 Abs. 4) nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber hat daher mit Recht davon abgesehen, einen deutschen Sonderweg zu beschreiten. 16
Ferner wurde kritisiert, dass § 31 dazu zwingt, innerhalb des Vorerwerbszeitraums gezahlte Paketzuschläge mit den Kleinaktionären zu teilen, obwohl deren Aktien den einen Paketzuschlag rechtfertigenden Mehrwert nicht besitzen6. Diese Kritik lässt unberücksichtigt, dass die Partizipation am Paketzuschlag nur ein Teilaspekt der ganz grundsätzlichen Frage ist, ob Aktionäre im Rahmen von Kontrolltransaktionen gleich zu behandeln sind oder nicht. Unter den Autoren, die dies aus ökonomischer Sicht analysiert haben, ist dies umstritten; insbesondere die Vertreter der neoliberalen Chicago School of Law and Economics sind gegen die Gleichbehandlung7. Nach der Gegenauffassung ist die Gleichbehandlungspflicht dem Modell der Chicago School insbesondere in Bezug auf die optimale Allokation der unternehmensgebundenen Ressourcen überlegen8. Hiernach wäre die Regelung des § 31 konsequent. Im Übrigen entspricht die Teilhabe am Paketzuschlag dem in der EU vorherrschenden Standard9.
1 Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 101; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 91; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 112. 2 Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 389; Krause, Übernahmeangebot, S. 124; Krause, WM 1996, 893, 899. 3 Spruchverfahren haben in der Spitze bis zu 10 Jahre und länger gedauert; vgl. OLG Düsseldorf v. 11.1.1990 – 19 W 6/86, AG 1990, 397 (Verfahrensbeginn 1979); OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, AG 1984, 216 (Verfahrensbeginn 1974); auch nach der Verabschiedung des SpruchG dürften sie für übernahmerechtliche Zwecke zu lange dauern. 4 So auch Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 140; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 111. 5 Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 101; Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 112. 6 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006; Houben, WM 2000, 1873, 1882; Tröger, DZWIR 2002, 397, 400; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 13; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 6; a.A. Strenger, WM 2000, 952; zu Erwerbsmodellen ohne Weitergabe eines Paketzuschlags Traugott/Schaefer, NZG 2004, 158, 161 ff. 7 Die wichtigste Arbeit ist Easterbrook/Fischel, 91 Yale L.J. 698 (1982); aus dem deutschen Schrifttum etwa Houben, WM 2000, 1873, 1882; Überblick bei Romano in Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Takeovers, 1992, S. 3 ff.; siehe auch Krause, WM 1996, 893, 895 f. 8 Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991, S. 133 ff., 213 ff. (mit Modellrechnungen); weitere Nachweise bei Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 385, 389. 9 Vereinigtes Königreich: Rules 9.5, 11.1 Takeover Code; Frankreich: Art. 234-6 Abs. 1 Règlement Général AMF; Italien: Art. 106 Abs. 2 Testo Unico.
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Schließlich wird kritisiert, dass Vor-, Parallel- und Nacherwerbe von mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen zu berücksichtigen sind – hierunter fallen auch Personen, deren Verhalten der Bieter nicht kontrollieren kann1. Dieses Problem lässt sich allerdings nur de lege ferenda lösen.
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V. EU-Übernahmerichtlinie Nach der Übernahmerichtlinie muss nach dem Erwerb der Kontrolle über eine Zielgesellschaft ein Pflichtangebot zu einem „angemessenen Preis“ abgegeben werden (Art. 5 Abs. 1).
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Als angemessen gilt der höchste Preis, den der Bieter oder eine mit ihm zusammen- 18 wirkende Person während der sechs bis zwölf Monate vor dem Angebot für die Aktien der Zielgesellschaft gezahlt hat (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1). Die Mitgliedstaaten können ihre Aufsichtsorgane unter genau festzulegenden Voraussetzungen und nach eindeutig festzulegenden Kriterien zur Erhöhung oder Ermäßigung dieses Preises ermächtigen – etwa wenn die Preise manipuliert oder durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst waren, in Sanierungsfällen oder wenn Käufer und Verkäufer den Preis in einer Vereinbarung festgelegt hatten (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 2)2. Den Mitgliedstaaten ist freigestellt, Ersatzkriterien zu bestimmen, die sich etwa am Börsenpreis oder an objektiven, in der Finanzanalyse gebräuchlichen Werten orientieren können (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 3). Jede Preiskorrektur ist zu begründen und bekannt zu machen (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 3). Die Art der Gegenleistung kann in einer Geldleistung, liquiden Wertpapieren oder ei- 19 ner Kombination dieser Elemente bestehen. Wenn der Bieter innerhalb eines von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitraums (zwischen sechs und zwölf Monaten) vor der Bekanntmachung des Angebots bis zum Ende der Annahmefrist 5 % oder mehr der Stimmrechte gegen eine Geldleistung erworben hat, muss er alternativ eine Geldleistung anbieten (Art. 5 Abs. 5). Die Gegenleistung freiwilliger Angebote ist in der Übernahmerichtlinie nicht gere- 20 gelt. Insoweit vertraut die Richtlinie auf die Kräfte des Marktes3. Zu beachten ist allerdings, dass auch der Kontrollerwerb durch Übernahmeangebot ein Pflichtangebot auslöst, es sei denn, dass dieses Angebot „im Einklang mit dieser Richtlinie“ unterbreitet worden ist (Art. 5 Abs. 5). Anpassungsbedarf für das deutsche Recht bestand zunächst in Bezug auf die Refe- 21 renzperiode des Vorerwerbs. Die in § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO vorgesehene Dreimonatsperiode musste wegen Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie jedenfalls für Pflichtangebote auf wenigstens sechs Monate verlängert werden4. Dies gilt wegen Art. 5 Abs. 5 Unterabs. 3 auch für die Dreimonatsperiode des § 31 Abs. 3 Nr. 15. Da der Kontrollerwerb durch Übernahmeangebot weiterhin gemäß § 35 Abs. 3 privilegiert sein sollte, 1 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 126. 2 Kritisch zur Zulassung von Abweichungen durch die Aufsichtsbehörde bereits DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428. 3 Hochrangige Gruppe von Experten, Empfehlung II 2, S. 12; Lehne in Hirte, WpÜG, S. 33 ff.; Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866, 870; Krause, BB 2004, 113, 116; zum Kommissionsentwurf bereits Krause, BB 2002, 2341, 2343; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2195. 4 Krause, BB 2004, 113, 116; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 231; Mülbert, NZG 2004, 633, 642; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 309. 5 Mülbert, NZG 2004, 633, 642 (Fn. 44).
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Gegenleistung
wurde die Vorerwerbsfrist wegen Art. 5 Abs. 2 auch für Übernahmeangebote auf sechs Monate verlängert (siehe oben Rz. 10a)1. 22
Die Richtlinie enthält keine Vorgabe, der zufolge das Börsenpreiskriterium des § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO abgeschafft oder beibehalten werden musste. Nach zutreffender Ansicht konnte es beibehalten werden, weil die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b) frei waren, strengere Vorschriften zu erlassen2. Soweit dagegen aus den Art. 15 Abs. 5 und Art. 16 Abs. 3 geschlossen wird, es gäbe – das Erreichen der Beteiligungsschwelle des Squeeze-out vorausgesetzt – nur zwei Wege zum Vollerwerb, nämlich einerseits das freiwillige Angebot mit autonomer Preisfestsetzung durch den Bieter und der Möglichkeit des Squeeze-out bei 90 % Akzeptanz und andererseits den Vorerwerb mit nachfolgendem Pflichtangebot und Squeeze-out3, wird übersehen, dass der erste Weg ein Pflichtangebot auslöst, wenn im Zuge des freiwilligen Angebots die Kontrollschwelle überschritten wird – es sei denn, dass das freiwillige Angebot im Einklang mit der Richtlinie (d.h. mit ihren Preisvorschriften) unterbreitet worden ist (Art. 5 Abs. 2)4. Rechtspolitisch wäre es allerdings wünschenswert, wenn das Börsenpreiskriterium für Übernahmeangebote abgeschafft würde (siehe oben Rz. 13); § 31 Abs. 1 Satz 2 wäre entsprechend anzupassen. Für Pflichtangebote erscheint das Börsenpreiskriterium dagegen unverzichtbar, weil in bestimmten Konstellationen – etwa beim mittelbaren Vorerwerb oder beim Vorerwerb durch Verschmelzung5 – nicht zwingend ein Vorerwerbspreis vorliegt. Ohne ein Börsenpreiskriterium stünde daher kein Anhalt für die Preisbemessung zur Verfügung, und ein Pflichtangebot mit inakzeptabel niedriger Gegenleistung liefe ins Leere.
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Da sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie dagegen entschieden hat, das Börsenpreiskriterium abzuschaffen, konnte die Dreimonatsfrist des § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO beibehalten werden. Eine Verlängerung auf sechs Monate war weder durch die Richtlinie gefordert (der Mindestpreis gemäß Richtlinie hängt nicht von einem Börsenpreis ab) noch aus anderen Gründen geboten.
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Laut der Übernahmerichtlinie hätte die Vorschrift des § 6 WpÜG-AngVO gestrichen werden können, weil sie nach harmonisiertem Recht nur noch einen stark eingeschränkten Anwendungsbereich hat6. Nach Art. 4 Abs. 2 lit. b) und e) richtet sich die Höhe der Gegenleistung bei Zielgesellschaften, deren Wertpapiere nicht im Sitzmitgliedstaat zum Börsenhandel zugelassen sind, nämlich nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem die Zulassung zum Börsenhandel besteht. Damit verbleibt für § 6 WpÜG-AngVO nur noch ein schmaler Anwendungsbereich in Verbindung mit § 7 WpÜG-AngVO, wenn die bei Tauschangeboten als Gegenleistung angebotenen Ak1 Krause, BB 2004, 113, 116; unklar Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 457 f.; zum Kommissionsvorschlag Krause, BB 2002, 2341, 2343. 2 Krause, BB 2004, 113, 116; Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 458; zum Kommissionsvorschlag bereits Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2195; a.A. eingehend Mülbert, NZG 2004, 633, 640 f.; dem folgend Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 111, 114; ebenso Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 231 (aber ohne tragfähige Begründung). 3 Mülbert, NZG 2004, 633, 641. 4 Insoweit zutreffend Wagner, Die Bank 2004, 108, 110. 5 Krause, NJW 2004, 3681, 3685. 6 Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 458; ähnlich Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 6 WpÜG-AngVO Rz. 7, die für eine Aufhebung plädieren, gleichwohl aber vorschlagen, dass die Berücksichtigung ausländischer Börsenkurse beim Tauschangebot mit liquiden ausländischen Aktien in § 7 WpÜG-AngVO de lege ferenda weiterhin geregelt sein sollte; a.A. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/1541, S. 13.
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§ 31
Gegenleistung
tien ausschließlich zum Handel an einem organisierten Markt in einem anderen EWR-Staat zugelassen sind. Weil das Pflichtangebot nicht in das Eigentumsrecht der Aktionäre der Zielgesell- 25 schaft eingreift und daher die im Rahmen des Art. 14 GG für die Höhe der Abfindung bei Strukturmaßnahmen maßgeblichen DAT/Altana-Maßstäbe nicht einschlägig sind1, konnte der Gesetzgeber nach wirtschaftlichen und rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen entscheiden, von der Option zur Preiskorrektur durch die Aufsichtsstelle (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2) keinen Gebrauch zu machen. Der Gesetzgeber ist damit den Stimmen gefolgt, die für Zurückhaltung plädiert hatten2. De lege ferenda denkbar wäre die Möglichkeit zur Preiskorrektur durch die Aufsichtstelle etwa in Sanierungsfällen, in denen gegenwärtig zwar eine Befreiung vom Pflichtangebot (§ 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngVO), aber nicht ausdrücklich auch die Befreiung von den Mindestpreisregeln möglich ist (zur Rechtslage de lege lata siehe § 3 WpÜGAngVO Rz. 6). Das Problem der Unangemessenheit des Mindestpreises gemäß § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO nach einem dramatischen Kurssturz3 könnte durch die Aufgabe des Börsenpreiskriteriums bei Übernahmeangeboten wesentlich effektiver entschärft werden. Wenn dies rechtspolitisch für wünschenswert gehalten wird, wäre die Preiskorrektur durch die Aufsichtsstelle das Instrument, mit dem die Teilhabe der Minderheitsaktionäre an der dem Großaktionär gezahlten Kontrollprämie begrenzt werden könnte4.
B. Angemessenheit der Gegenleistung (§ 31 Abs. 1) I. Grundsatz § 31 Abs. 1 Satz 1 konstituiert den Grundsatz, dass der Bieter den Aktionären der 26 Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anbieten muss. § 31 Abs. 1 Satz 2 gebietet, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der angemessenen Gegenleistung grundsätzlich anhand des durchschnittlichen Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft und der Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen zu konkretisieren ist. Indem auf den durchschnittlichen (und nicht, wie noch nach dem Übernahmekodex, den höchsten5) Börsenkurs abgestellt wird, werden Auseinandersetzungen darüber, ob bestimmte „Ausreißer“ unberücksichtigt bleiben können, vermieden6.
1 Mülbert/Uwe H. Schneider, WM 2003, 2301, 2315; Mülbert, NZG 2004, 633, 642; a.A. Zschocke/Rahlf, DB 2003, 1375, 1376 und DB 2003, 1785, sowie diejenigen, die auch freiwillige Angebote als einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG ansehen, etwa Tröger, DZWiR 2002, 397, 399 f. (Fn. 138); Nietsch, BB 2003, 2581, 2587; Oechsler in FS Hadding, 2004, S. 1027, 1031 f.; dagegen zutreffend Habersack, ZIP 2003, 1123, 1127; Krieger in RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 298. 2 Krause, BB 2004, 113, 117; ebenso bereits DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428 (zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zum Gemeinsamen Standpunkt v. 13.12.2000, ABl. EG Nr. C 232 v. 17.8.2001, S. 168). 3 Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2195. 4 Hierzu Krause, BB 2002, 2341, 2343. 5 Art. 17 Abs. 1 Übernahmekodex. 6 Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 59.
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§ 31
Gegenleistung
II. Einzelfragen 1. Gegenseitigkeitsverhältnis 27
Die Regelungen des § 31 beschränken sich auf die Leistungen des Bieters, die mit der Veräußerung der Aktien durch die Aktionäre der Zielgesellschaft im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Hiervon abzugrenzen sind Leistungen, die der Bieter für Leistungen der Aktionäre gewährt, die über die Veräußerung der Aktien hinausgehen. Beispielsweise sind die von Finanzinvestoren üblicherweise eingeräumten Management Incentives (etwa eine Beteiligung der maßgeblichen Know-how-Träger am Akquisitionsvehikel) in der Regel eine Gegenleistung dafür, dass diese Personen auch nach vollzogener Übernahme für die Leitung der Zielgesellschaft zur Verfügung stehen. Auch wenn die Vorstandsmitglieder die von ihnen gehaltenen Aktien an den Bieter veräußern, stehen diese Management Incentives im Regelfall außerhalb des kauf- bzw. tauschrechtlichen Synallagmas (näher siehe unten Rz. 115). 2. Zeitpunkt für die Prüfung der Angemessenheit
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Die angebotene Gegenleistung muss grundsätzlich bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage angemessen sein. Eine Verpflichtung zur Anpassung der Gegenleistung an Kurssteigerungen, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, besteht nicht. Nur in besonderen Fällen – etwa bei einem Aktiensplit der Zielgesellschaft oder der Gesellschaft, deren Aktien als Gegenleistung angeboten werden – ist das Angebot entsprechend anzupassen; hierin liegt keine Änderung des Angebots gemäß § 211. 3. Verschiedene Aktiengattungen
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Wie die Gegenleistung zu ermitteln ist, wenn die Zielgesellschaft verschiedene Aktiengattungen besitzt, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt (Ausnahme: § 31 Abs. 4). § 31 Abs. 1 Satz 1 fordert eine „angemessene“ Gegenleistung, § 31 Abs. 1 Satz 2 spricht lediglich vom durchschnittlichen Börsenkurs „der Aktien“ und vom Vorerwerb von „Aktien“ der Zielgesellschaft. Unterschiedliche Aktiengattungen sind dagegen im allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 angesprochen: Hiernach sind die Inhaber von Wertpapieren gleicher Gattung gleich zu behandeln. Im Unterschied zum Takeover Code2, dem österreichischen3 und dem schweizerischen4 Recht hat der deutsche Gesetzgeber eine gattungsübergreifende Gleichbehandlungspflicht – etwa dergestalt, dass die Gegenleistungen für Aktien verschiedener Gattungen zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen oder eine den Stammaktionären angebotene Prämie in prozentual gleicher Höhe auch den Vorzugsaktionären anzubieten ist – nicht normiert. Eine solche Verpflichtung lässt sich auch nicht aus dem Angemessenheitspostulat des § 31 Abs. 1 Satz 1 und den Berücksichtigungsgeboten des § 31 Abs. 1 Satz 2 herauslesen5: Sie werden durch die §§ 3 ff. WpÜG-AngVO abschließend ausgefüllt (siehe unten Rz. 34 ff.). Eine Gegenleistung, die den Anforderungen der §§ 3 ff. WpÜG-AngVO genügt, ist demnach angemessen im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 16. 1 2 3 4 5
Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 21. Note 1, Rule 14.1 Takeover Code. § 26 Abs. 2 ÜbG. Art. 32 Abs. 5 BEHG (Pflichtangebot), Art. 9 Abs. 5 Satz 2 UEV (freiwillige Angebote). Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 3 WpÜG-AngVO Rz. 10; a.A. Heidel, Financial Times Deutschland vom 8.4.2003, S. 32. 6 Vgl. BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, ZIP 2004, 950, 951 = AG 2004, 607.
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§ 31
Gegenleistung
Hieraus folgt zweierlei: Erstens ist die Gegenleistung für Aktien verschiedener Gattung getrennt zu ermitteln1; dies ist in § 3 Satz 3 WpÜG-AngVO ausdrücklich festgehalten.
30
Zweitens ist der Bieter nicht verpflichtet, die Stamm- und Vorzugsaktionäre gleich 31 zu behandeln. Eine den Stammaktionären im Rahmen des Vorerwerbs gewährte Kontrollprämie ist also gemäß § 4 WpÜG-AngVO nur für die Gegenleistung für Stammaktien relevant; der Bieter ist nicht verpflichtet, diese Prämie auch den Vorzugsaktionären anzubieten2. Gleiches gilt, wenn kein Vorerwerb erfolgt und der Bieter in Verfolgung seiner individuellen Ziele den Aktionären einer Gattung freiwillig einen höheren Peis als den Mindestwert gemäß §§ 4 ff. WpÜG-AngVO anbietet. Ebenso wenig ist der gesetzlichen Regelung zu entnehmen, dass die durchschnittliche Gegenleistung für Aktien aller Gattungen angemessen sein muss3, dass die Gegenleistungen für Aktien verschiedener Gattungen zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen4 oder dass der Börsenkurs bzw. Vorerwerbspreis von Aktien der jeweils anderen Gattung bei der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung zu berücksichtigen ist5. 4. Variable Gegenleistung Dass der Bieter für den Erwerb einer Aktie der Zielgesellschaft eine fixierte Geld- 32 summe und/oder eine festgelegte Zahl von Aktien als Gegenleistung anbietet, ist typisch, aber nicht zwingend. Die Gegenleistung kann auch in einem durch verschiedene Variablen ausgedrückten Wert bestehen (etwa dem Verhältnis der Werte der Aktien des Bieters und der Zielgesellschaft)6 oder sich beim Über- bzw. Unterschreiten bestimmter Schwellenwerte erhöhen oder vermindern. Dies kann sich insbesondere bei Tauschangeboten empfehlen, um kursbedingte Risiken während der Annahmefrist zu minimieren7. Derartige Preisermittlungsvorschriften sind Teil des Angebots; wenn sich die auf ihrer Grundlage errechneten Preise oder Tauschverhältnisse im Zeitablauf ändern, liegt hierin keine Änderung des Angebots gemäß § 218. Derartige Bestimmungen sind grundsätzlich zulässig. Die auf ihrer Grundlage ermittelten Preise müssen jedoch den gemäß §§ 4 ff. WpÜG-AngVO ermittelten Mindest1 BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, ZIP 2004, 950, 951 = AG 2004, 607; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 10; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 3 WpÜG-AngVO Rz. 9 f.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 83; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 15 f. 2 Vgl. Übernahmeangebot Procter & Gamble Germany Management GmbH/Wella AG vom 28.4.2003, S. 11 ff.; BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, ZIP 2004, 950, 951 = AG 2004, 607; Habersack, ZIP 2003, 1123, 1128; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 7; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 22; krit. Heidel, Financial Times Deutschland vom 8.4.2003, S. 32. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 18. 4 Habersack, ZIP 2003, 1123, 1128; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 22; anders nach dem Takeover Code (Rule 14, Note 1), nach österreichischem Recht (§ 26 Abs. 2 ÜbG) und Schweizer Recht (Art. 32 Abs. 5 BEHG sowie Art. 9 Abs. 5 Satz 2 UEV). 5 Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 10; Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 7 und 12; Habersack, ZIP 2003, 1123, 1128; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 22; siehe auch BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, ZIP 2004, 950 = AG 2004, 607; a.A. Heidel, Financial Times Deutschland vom 8.4.2003, S. 32. 6 Riehmer/Schröder, BB-Beil. 5/2001, S. 5; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 8; Kremer/ Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Rz. 22. 7 Kopp, Börsen-Zeitung vom 12.3.2002, S. 11. 8 Kopp, Börsen-Zeitung vom 12.3.2002, S. 11; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 22; zweifelnd Busch, AG 2002, 145, 151.
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§ 31
Gegenleistung
wert zumindest erreichen1. Außerdem müssen sie in der Angebotsunterlage verständlich dargestellt werden (§ 11 Abs. 1 Satz 3). 5. Bindung an Angaben in Pflichtveröffentlichungen? 33
Hat der Bieter bereits in der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Abgabe des Angebots (§ 10 Abs. 1), in der Veröffentlichung der Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1) und/oder einer hiermit zusammenhängenden Ad hoc-Meldung (§ 15 WpHG) Angaben zu Art und Höhe der Gegenleistung gemacht, stellt sich die Frage, ob er sich hieran festhalten lassen muss. Auf den ersten Blick ist man geneigt, dies zu verneinen, weil es dem Bieter freisteht, seine Angebotsabsicht aufzugeben und von der Übermittlung einer Angebotsunterlage abzusehen (zum Abbruch des Angebotsverfahrens siehe § 10 Rz. 50). Dieses argumentum a maiore ad minus lässt aber außer Betracht, dass dieses Vorgehen die Untersagung des Angebots durch die BaFin nach sich zieht (§ 15 Abs. 1 Nr. 3) und der Bieter erst nach Ablauf eines Jahres ein weiteres Angebot abgeben kann (§ 26 Abs. 1 Satz 1). Nichtsdestotrotz bestehen nach zutreffender Auffassung weder übernahmerechtliche noch zivilrechtliche Bindungen (siehe § 10 Rz. 50 ff.). Soweit einzelne Stimmen den Bieter, wenn er ein Angebot abgibt, an seinen Angaben festhalten wollen und dies damit begründen, dass sich die Kapitalmarktteilnehmer im Regelfall auf diese Veröffentlichungen verlassen und sich am Markt entsprechende Preise bilden2, ist dem entgegenzuhalten, dass die Herbeiführung von Marktverzerrungen oder die schuldhafte Schädigung Dritter bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat (§§ 20a, 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 38 Abs. 2 WpHG) bzw. nach den allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmungen sanktioniert werden kann (siehe § 10 Rz. 51) und eine darüber hinausgehende übernahmerechtliche Verpflichtung zum Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft nicht erforderlich ist. 6. Abschließender Charakter der §§ 3 ff. WpÜG-AngVO
34
Aus dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 und der §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO ist nicht eindeutig zu ersehen, ob das Angemessenheitspostulat und die Berücksichtigungsgebote des Gesetzes durch die WpÜG-Angebotsverordnung abschließend ausgefüllt werden, mithin eine Gegenleistung, die dem höheren der beiden Mindestpreise entspricht, stets auch angemessen ist3. Nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 2 sind die dort genannten Berücksichtigungsgebote nämlich nur „grundsätzlich“ zu beachten. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass in Ausnahmefällen Abweichungen von den dort genannten Kriterien zulässig sind. Daher wird teilweise angenommen, dass dann, wenn der gemäß §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelte Mindestpreis den wirklichen Wert der Wertpapiere evident überschreitet, auch eine niedrigere Gegenleistung angemessen sei4, bzw. dass dann, wenn der gemäß §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelte Mindestpreis den – durch eine Unternehmensbewertung i.S.d. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO er-
1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 8; Kopp, Börsen-Zeitung vom 12.3.2002, S. 11; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 22. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 21 Rz. 11; Schulz, M&A-Review 2003, 161, 163. 3 Ebenso Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 14. 4 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 24 (mit weiteren Beispielen); weitergehend Tröger, DZWiR 2002, 397, 399; auch noch Thun in Geibel/Süßmann, 1. Aufl. 2002, § 31 Rz. 5; a.A. Habersack, ZIP 2003, 1123, 1125 ff.; Schulz, M&A-Review 2003, 161, 165; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 20 (anders Voraufl.).
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§ 31
Gegenleistung
mittelten – wirklichen Wert der Wertpapiere evident unterschreitet, nur die dieser Bewertung entsprechende höhere Gegenleistung angemessen sei1. Der Wille des Gesetzgebers und die Systematik des § 31 Abs. 1 sowie ganz entschei- 35 dend die Systematik des § 5 WpÜG-AngVO und die Teleologie der genannten Vorschriften sprechen jedoch dafür, dass die §§ 3 ff. WpÜG-AngVO abschließenden Charakter haben, mithin eine Gegenleistung, die dem höheren der beiden Mindestpreise entspricht, stets angemessen ist. Insbesondere ist bei hinreichender Liquidität der Aktie der Zielgesellschaft eine Unternehmensbewertung zur Ermittlung der Angemessenheit der Gegenleistung nicht erforderlich2. Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden3. So- 36 weit für die Zulässigkeit von Abweichungen von den §§ 3 ff. WpÜG-AngVO angeführt wird, dass dann, wenn die Zielgesellschaft in eine schwere Krise geraten ist und nach der Übernahme durch den Bieter saniert werden soll, das Abstellen auf Börsenkurse oder Vorerwerbspreise vor Eintritt der Krise zum Schutz der Aktionäre nicht erforderlich und für den Bieter eine unverhältnismäßige Belastung sei, mithin die verfassungskonforme Auslegung des § 31 Abs. 1 die Möglichkeit der Abweichung von den §§ 3 ff. WpÜG-AngVO gebiete4, ist dem entgegenzuhalten, dass es dem Bieter freisteht, sich wegen der geplanten Sanierung gemäß § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜGAngVO vom Pflichtangebot befreien zu lassen, eine Kontrollbeteiligung zu erwerben und auf ein Angebot an den Streubesitz zu verzichten. Weil die Befreiung gemäß § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngVO nach zutreffender Auffassung nicht mit der Auflage verbunden werden darf, dass der Erwerber das Pflichtangebot nach Abschluss der Sanierung nachholen muss (siehe hierzu § 9 WpÜG-AngVO Rz. 44), stünde es dem Erwerber frei, dem Erwerb der Kontrollbeteiligung ein freiwilliges Erwerbsangebot – dessen Gegenleistung weder § 31 noch §§ 3 ff. WpÜG-AngVO unterliegt – folgen zu lassen. Eine auf § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngVO a maiore ad minus gestützte Befreiung von den Mindestpreisvorschriften5 wäre demnach nicht erforderlich.
C. Art der Gegenleistung (§ 31 Abs. 2) I. Grundsätzliches Gemäß § 31 Abs. 2 muss die Gegenleistung in einer Geldleistung in Euro oder in li- 37 quiden, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen Aktien bestehen. Diese Arten der Gegenleistung bilden die Pflichtgegenleistung. Sie soll sicherstellen, dass die Adressaten des Angebots für die Veräußerung der Aktien der Zielgesellschaft entweder Geld oder Wertpapiere, die sich kurzfristig gegen Geld veräußern lassen, erhalten.
1 Tröger, DZWiR 2002, 397, 399; ähnlich Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 770. 2 Eingehend Habersack, ZIP 2003, 1123, 1125 ff.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 5; Häger/Santelmann in Steinmeier/Häger, § 31 Rz. 9; a.A. Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 41. 3 Habersack, ZIP 2003, 1123, 1127; a.A. Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 43. 4 Tominski/Kuthe, BKR 2004, 10, 11; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 8; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 24 (mit weiteren Beispielen); Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 14 f.; Bicker/Parameswaran, ZIP 2007, 187, 187 ff. 5 Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 43; lediglich de lege ferenda Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 24.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 17.
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§ 31 38
Gegenleistung
Der Bieter kann den Aktionären der Zielgesellschaft die Wahl zwischen verschiedenen Gegenleistungen anbieten. Eine Wahlschuld (§ 262 BGB) ist im WpÜG nicht ausdrücklich vorgesehen, wird aber in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 vorausgesetzt1. Hiernach kann der Bieter sein Angebot ändern, indem er wahlweise eine andere Gegenleistung anbietet. Dann aber muss es erst recht möglich sein, von vornherein zwei alternative Gegenleistungen zur Wahl zu stellen. Dies können zwei verschiedene, als Pflichtgegenleistung taugliche Gegenleistungen sein. Der Bieter ist aber nicht gehindert, neben einer Pflichtgegenleistung eine Gegenleistung anderer Art, die die Anforderungen des § 31 Abs. 2 Satz 1 nicht erfüllt, anzubieten (Wahlgegenleistung)2.
II. Geldleistung in Euro (Pflichtgegenleistung) 39
Der Begriff der Geldleistung knüpft an den zivilrechtlichen Begriff der Geldschuld an. Geldschulden sind Verbindlichkeiten, die zur Verschaffung der im Geld verkörperten abstrakten Kaufmacht verpflichten3. Die als Pflichtgegenleistung angebotene Geldleistung muss auf Euro lauten; die Aktionäre sollen weder mit dem Währungsrisiko noch mit Wechselkosten belastet werden4. Ist die Geldleistung die Wahlgegenleistung – etwa weil das Angebot neben der Geldleistung auch eine in liquiden börsenzugelassenen Aktien bestehende, die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 erfüllende Sachleistung zur Wahl stellt – kann sie auch in einer anderen Währung als Euro angeboten werden5.
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Regelmäßig wird als Geldleistung ein fester Betrag je Aktie bestimmt. Denkbar ist aber auch eine variable Geldleistung, die etwa aus einem Durchschnittskurs bestimmter Aktien während eines festgelegten Zeitraums abgeleitet wird6. Die Formel für die Berechnung dieser Gegenleistung muss klar und verständlich sein (§ 11 Abs. 1 Satz 3), und das Ergebnis darf die Mindestgegenleistung gemäß §§ 4 ff. WpÜG-AngVO nicht unterschreiten7.
III. Liquide börsenzugelassene Aktien (Pflichtgegenleistung) 1. Aktien und depositary receipts 41
Der Bieter kann als Pflichtgegenleistung auch liquide, zum Handel an einem organisierten Markt zugelassene Aktien anbieten. Wandelschuldverschreibungen, Wandelgenussrechte, Optionsrechte und sonstige unter § 2 Abs. 2 Nr. 2 subsumierbare Wertpapiere scheiden dagegen als Pflichtgegenleistung aus8.
1 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 94. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 23; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 287; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 412; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 61. 3 K. Schmidt in Staudinger, 13. Bearb. 1997, Vor §§ 244 ff. BGB C 2; Grundmann in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2012, § 245 Rz. 83. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 24; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 61; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 30. 6 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 9; Riehmer/Schroeder, BB-Beil. 5/2000, S. 5; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 436; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 31. 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 63. 8 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 9; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 81; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 25.
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Ob auch mit Aktien vergleichbare Wertpapiere und Zertifikate, die Aktien vertreten 42 (§ 2 Abs. 2 Nr. 1), als Pflichtgegenleistung angeboten werden können, ist in § 31 Abs. 2 nicht geregelt. Die Frage stellt sich insbesondere für ausländische Emittenten, die ihre Aktien im Europäischen Wirtschaftsraum aus technischen Gründen (Lieferbarkeit, Abwicklung über Zentralverwahrer) nicht zum Börsenhandel zulassen können und stattdessen depositary receipts anbieten. Anders als Aktien verbriefen die von einer depositary bank ausgegebenen depositary receipts keine Mitgliedschaftsrechte, sondern nur eine wirtschaftliche Mitberechtigung an den bei der depositary bank hinterlegten Aktien. Durch die den depositary receipts zugrunde liegenden Vereinbarungen werden die Mitgliedschaftsrechte der depositary bank auf schuldrechtlicher Basis an die Inhaber der depositary receipts weitergegeben, so dass die Stellung eines Inhabers von depositary receipts wirtschaftlich der Stellung eines Aktionärs entspricht. Hiernach und wegen der Gleichstellung von Aktien und depositary receipts in § 2 Abs. 2 Nr. 1 wäre es sachgerecht, depositary receipts analog § 31 Abs. 2 als taugliche Gegenleistung anzusehen, wenn ein ausländischer Bieter aus technischen Gründen keine Aktien anbieten kann und die angebotenen depositary receipts eine Rechtsstellung einräumen, die wirtschaftlich der Stellung eines Aktionärs entspricht1. 2. Herkunft der Aktien Im Normalfall wird die Gegenleistung in Aktien des Bieters bestehen. Die Aktien 43 können aus einer Kapitalerhöhung (typischerweise aus genehmigtem Kapital) generierte oder bereits bestehende eigene Aktien des Bieters sein. Bei unterschiedlicher Herkunft der als Gegenleistung angebotenen Aktien müssen wegen § 3 Abs. 1 alle angebotenen Aktien gleiche Rechte vermitteln, also z.B. für den gleichen Zeitraum gewinnberechtigt sein2. Die Begründung einer rückwirkenden Gewinnbeteiligung ist bei der Ausgabe neuer Aktien nicht uneingeschränkt zulässig3. Da für die inhaltliche Ausstattung der Aktien der Zeitpunkt ihrer Ausgabe (also der Zeitpunkt der Fälligkeit der Gegenleistung) maßgeblich ist, wird der Bieter den zeitlichen Ablauf regelmäßig so steuern können, dass die Dividende auf das abgelaufene Geschäftsjahr vor der Fälligkeit der Gegenleistung ausgeschüttet wird und somit alte und neue Aktien gleiche Rechte verbriefen4. Der Bieter kann auch Aktien einer anderen Gesellschaft als Gegenleistung anbieten5. Der Wortlaut des WpÜG enthält keinen Anhalt dafür, dass als taugliche Gegenleistung nur Aktien des Bieters in Frage kommen. Auch der Schutz der Aktionäre erfordert keine derartige Beschränkung, denn er wird durch das Liquiditätserfordernis si1 Im Ergebnis ebenso Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 9; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 25; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 468; Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 211; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 66; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 35; de lege ferenda auch DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006; Bouchon/von Breitenbach, ZIP 2004, 58, 60; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 81; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 56. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 26; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 35; offenbar a.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 64 (angebotene Aktien müssen dieselben Rechte verbriefen wie die bereits bestehenden Aktien derselben Gattung). 3 Vgl. hierzu Hüffer, § 60 AktG Rz. 9 f., § 182 AktG Rz. 15, § 204 AktG Rz. 4. 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 64. 5 Süßmann in Geibel/Süßmann, Rz. 9, 21; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 81; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 68; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 35; Veranneman/Gärtner, AG 2009, 648, 648.
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chergestellt1. Weil der Bieter die als Gegenleistung angebotenen Aktien regelmäßig wie in einem Verkaufsprospekt beschreiben muss (§ 2 Nr. 2 WpÜG-AngVO), erscheint dieser Weg im Regelfall nur gangbar, wenn der Bieter bei der Emittentin der angebotenen Aktien eine Due Diligence durchführen kann2. 45
Ob es zulässig ist, Aktien einer vom Bieter oder von einem Dritten kontrollierten Gesellschaft anzubieten, ist umstritten. Eine Auffassung hält dies für unzulässig. Sie erblickt einen Wertungswiderspruch darin, dass Aktionäre gemäß § 35 eine Austrittsmöglichkeit aus der kontrollierten Zielgesellschaft erhalten, aber Aktien einer anderen kontrollierten Gesellschaft als Gegenleistung akzeptieren müssen3. Zutreffend erscheint jedoch die Gegenansicht, die Aktien einer kontrollierten Gesellschaft für eine taugliche Gegenleistung hält4. Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis der BaFin5. Die Austrittsmöglichkeit des § 35 steht nämlich nicht nur bei der Kontrollbegründung, sondern auch beim Kontrollwechsel zur Verfügung, so dass ein Verbot der Gewährung von Aktien einer kontrollierten Gesellschaft die Aktionäre einer bereits kontrollierten Zielgesellschaft ungerechtfertigt begünstigen würde – sie könnten in eine nicht kontrollierten Gesellschaft übertreten. Entscheidend ist jedoch, dass der Aktionärsschutz bereits durch die Verpflichtung des Bieters zum Angebot liquider börsenzugelassener Aktien sichergestellt ist. Dass die Emittentin dieser Aktien eine kontrollierte Gesellschaft ist, ist im Wert der Aktien regelmäßig reflektiert. Die Beherrschung ist daher auch in den Konditionen des Übernahmeangebots regelmäßig ausreichend abgebildet. Dem wird entgegengehalten, dass der Vermögensschutz gerade dann nicht gewährleistet ist, wenn alle Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, verkaufen müssen, um nicht Aktionär in einer vom Bieter kontrollierten Gesellschaft zu werden. Denn durch einen massenweisen Verkauf solcher Aktien würde der Kurswert der Gegenleistung rasch sinken. Dagegen spricht aber, dass Aktionäre der Zielgesellschaft, die verhindern wollen, Aktionär einer beherrschten Gesellschaft zu werden, das Angebot nicht annehmen müssen. Zudem besteht kein Recht des Angebotsempfängers, in jedem Fall den bei der Bestimmung des Tauschverhältnisses zugrunde gelegten Wert der Akquisitionswährung zu erhalten6. Einem solchen Recht widerspricht schon die Heranziehung eines gewichteten Durchschnittskurses zur Bestimmung des Mindestaustauschverhältnisses (siehe dazu § 7 WpÜG-AngVO Rz. 5).
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Bei Tauschangeboten ist nicht auszuschließen, dass ein Großaktionär der Zielgesellschaft durch die Annahme des Angebots die Kontrolle über den Bieter (bzw. die Gesellschaft deren Aktien als Gegenleistung angeboten werden) erwirbt. Je nachdem, wo der Bieter (bzw. diese Gesellschaft) ihren Sitz hat, kann der annehmende Aktionär zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet sein. Nach dem in Rz. 45 Gesagten 1 Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 295 (zum RefE); Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 27. 2 Näher Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 59 f. 3 Habersack, ZHR 166 (2002), 619, 624; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 62. 4 Technau, AG 2002, 260, 265; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 28; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 20; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 55; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 65; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 35 f.; Johannsen-Roth/Goslar, AG 2007, 573, 574; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1964 f. 5 Vgl. Übernahmeangebot UCB/Schwarz Pharma vom 8.12.2006, S. 8, 20 (Gegenleistung betrug 50 Euro plus 0,8735 UCB-Aktien; UCB war zum Zeitpunkt des Angebots eine kontrollierte Gesellschaft und der Großaktionär sollte auch nach Durchführung der Transaktion zu 33 % an der UCB beteiligt sein. 6 Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1964.
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steht § 31 Abs. 2 derartigen Angeboten nicht entgegen, denn Wortlaut und Schutzzweck der Vorschrift fordern lediglich, dass die angebotenen Aktien liquide und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Danach würde es auch nicht gegen § 31 Abs. 2 verstoßen, wenn der Aktionär, der durch Annahme des Angebots die Kontrolle über den Bieter erwirbt, wegen der Art der Kontrollerlangung und der hiermit beabsichtigten Zielsetzung gemäß § 37 von der Abgabe eines Pflichtangebots befreit würde1. 3. Liquidität Das Liquiditätserfordernis wurde aus dem bei Inkrafttreten des Gesetzes aktuellen 47 EU-Richtlinienvorschlag übernommen2. Was unter einer liquiden Aktie zu verstehen ist, ist weder in § 31 noch in der WpÜG-Angebotsverordnung geregelt. Eine allgemein anerkannte Definition der Liquidität einer Aktie besteht nicht. § 31 und die WpÜG-Angebotsverordnung verschweigen sich ebenfalls darüber, wann die als Gegenleistung gewährten Aktien liquide sein müssen. Die hieraus resultierende Rechtsunsicherheit wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht zu Unrecht kritisiert3. Ersten Konkretisierungsversuchen zufolge soll eine Aktie bereits dann „liquide“ sein, 48 wenn sie zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen ist4. Dies vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die Börsenzulassung in § 31 Abs. 2 Satz 1 als eigenes Merkmal vorgesehen ist und dem Liquiditätskriterium bei dieser Auslegung keine eigene Bedeutung zukäme. Nach anderer Ansicht soll eine Aktie dann „liquide“ sein, wenn sie so lebhaft gehandelt wird, dass die Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO nicht erfüllt sind – also während der drei Monate vor Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe des Angebots entweder an mehr als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind oder mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse nicht um mehr als 5 % voneinander abweichen5. Auch dieser Konkretisierungsversuch überzeugt nur wenig. Das Liquiditätskriterium soll gewährleisten, dass den Aktionären, die das Tauschangebot annehmen, nach der Durchführung des Angebots ein hinreichend tiefer Markt zur Verfügung steht, auf dem sie sich von den als Gegenleistung empfangenen Aktien trennen können6. Hierzu kommt es auf die Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarkts für die als Gegenleistung gewährten Aktien an7. Erforder1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 29. 2 Art. 5 Abs. 1 Satz 3; näher Krause, ZGR 2002, 500, 514 f.; kritisch DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006. 3 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2000, 420, 428; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 296. 4 Schüppen, WPg 2001, 958, 968; Zschocke, DB 2002, 79, 80; dagegen zutr. Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 287. 5 Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 296; Riehmer/Schröder, BB-Beil. 5/2001, S. 5; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 287; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 770; Thoma, NZG 2002, 105, 108; Verannemann/Gärtner, NZG 2009, 648, 649; krit. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428 („keine Legaldefinition“); Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 412; noch anders Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 59a, der auf die MiFID-Durchführungsverordnung abstellt. 6 Krause, NZG 2000, 905, 909; Riehmer/Schröder, NZG 2000, 820, 822; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 296; ferner Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 10; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 82; Krause, ZGR 2002, 500, 514; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1965. 7 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 412; Krause, NZG 2000, 905, 909; Krause, NJW 2002, 705, 710; Krause, ZGR 2002, 500, 514 ff.; Kremer/ Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 30.
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lich ist demnach eine Einzelfallbetrachtung1, in deren Rahmen die Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarkts zu prognostizieren ist (hierzu sogleich in Rz. 51). Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis der BaFin2. Allzu strenge Maßstäbe an die Aufnahmefähigkeit des Marktes sollten allerdings nicht gestellt werden3. 49
Der Handelsverlauf während der Dreimonatsperiode vor Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe des Angebots kann einen Anhaltspunkt für die Aufnahmefähigkeit des Marktes liefern4, ermöglicht aber keine abschließende Beurteilung5. Mit dem Schutzzweck des § 31 Abs. 2 Satz 1 ist es nämlich vereinbar, Aktien einer für Zwecke der Transaktion neu gegründeten Gesellschaft („Newco“) anzubieten, die während des Dreimonatszeitraums des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO noch gar nicht gehandelt worden sein können, sofern sichergestellt ist, dass diese Aktien nach Abwicklung des Angebots liquide sein werden6. Folglich können, wenn überhaupt, die Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO nur insoweit von Bedeutung sein, als die durch sie beschriebene Situation – fehlender Handel und hohe Volatilität – nach Abwicklung des Angebots nicht eintreten darf7. Dagegen wird sich aus § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO kaum der Umkehrschluss ziehen lassen, dass immer dann, wenn seine Kriterien nicht erfüllt sind, die angebotene Aktie hinreichend liquide ist8. Die Annahme, dass beispielsweise eine Aktie, für die an weniger als einem Viertel der Börsentage des Referenzzeitraums Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 4 % (aber nicht mehr als 5 %) voneinander abweichen, eine liquide Aktie sein soll, erscheint nicht zutreffend.
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Der Zeitpunkt, zu dem die Aktien liquide sein müssen, ist nach dem Vorstehenden jedenfalls nicht der Beginn der Annahmefrist9. Teilweise wird angenommen, der Wortlaut verbiete, auf einen späteren Zeitpunkt als den Ablauf der Annahmefrist abzustellen, weil die Gegenleistung – Aktien, die zum Handel „zugelassen sind“ – zu diesem Zeitpunkt geschuldet sei10. Neue Aktien können zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht liquide sein, weil sie erst im Rahmen der Abwicklung des Angebots – nämlich mit Eintragung der Durchführung der Sachkapitalerhöhung im Handels1 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85; Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 223; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 70; a.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 30; Bouchon/von Breitenbuch, ZIP 2004, 58, 61 (gegen Einzelfallbetrachtung). 2 Übernahmeangebot Alpha Beta Netherlands Holding N.V./Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, S. 57. 3 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 223; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 70; in diese Richtung auch Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 11; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 83; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 30; Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 224; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 71; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 36. 5 So aber wohl Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 30 (anders in Rz. 31); zu eng auch Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 12. 6 Krause, NJW 2002, 705, 710; Krause, ZGR 2002, 500, 515 f.; Thoma, NZG 2002, 105, 108; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 31; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 59; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 37; a.A. Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 219. 7 Zutreffend Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72. 8 So aber Thoma, NZG 2002, 105, 108; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 30. 9 So aber Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 219. 10 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 413 f.
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register des Bieters – entstehen und erst nach ihrer Entstehung vom Treuhänder an die ehemaligen Aktionäre der Zielgesellschaft übereignet werden. Erst in diesem Moment sind die Aktionäre schutzbedürftig. Demnach ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Gegenleistung gewährt wird, d.h. die als Gegenleistung angebotenen Aktien an die Adressaten des Angebots übereignet werden1. Ob der Kapitalmarkt die als Gegenleistung angebotenen Aktien aufnehmen kann, 51 richtet sich nach den Verhältnissen nach der Abwicklung des Angebots, die bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage noch in der Zukunft liegen und dementsprechend eine Prognose erfordern2. Die Prognose hat sich darüber zu verhalten, ob nach Durchführung des Angebots ein hinreichend liquider Markt für die als Gegenleistung angebotenen Aktien bestehen wird. Sie muss grundsätzlich aus der Sicht eines objektiven, mit den Verhältnissen am Kapitalmarkt vertrauten Dritten gestellt werden. Insoweit wäre etwa die Annahmequote des Tauschangebots, das erwartete Handelsvolumen nach Abwicklung des Angebots, etwaiges erhöhtes Abgabeverhalten bestimmter Aktionäre (insbesondere institutioneller Anleger), die Existenz von Aktienpaketen und das Verhalten ihrer Inhaber sowie die Aufnahmebereitschaft der Aktionäre zu berücksichtigen3. Ähnliche Überlegungen liegen § 9 BörsZulV zugrunde, der für die Zulassung von Aktien zum Handel im amtlichen Markt die ausreichende Streuung der Aktien im Publikum verlangt4. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn 25 % des Gesamtnennbetrags oder der Stückzahl vom Publikum erworben worden sind. Wenn wegen der großen Zahl von Aktien der fraglichen Gattung und ihrer breiten Streuung im Publikum ein ordnungsgemäßer Handel gewährleistet ist, kann auch bei kleinerem free-float eine ausreichende Streuung gegeben sein5. Es genügt sogar, wenn diese Streuung innerhalb kurzer Frist nach Einführung der Aktien erreicht sein wird6. Bei Übernahmeangeboten dürfte sich diese Streuung dadurch erreichen lassen, dass die Wirksamkeit des Tauschangebots, ohne dass der Bieter auf den Eintritt dieser Bedingung verzichten könnte, von einer diesen Erfordernissen entsprechenden Mindestannahmequote abhängig gemacht wird7. Soll das Angebot auch bei geringerer Annahmequote durchgeführt werden, wäre die Liquidität durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, etwa durch den Bieter und die mit ihm zusammenarbeitenden Banken8.
1 Krause, NJW 2002, 705, 710; Krause, ZGR 2002, 500, 514 ff.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 10; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 82; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 61; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72; zustimmend Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 36; ähnlich Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 296. 2 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428, und zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 84; Krause, NZG 2000, 905, 909; Krause, ZGR 2002, 500, 514 ff.; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 470; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1962; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 37. 3 So auch Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72. 4 Schwark, NJW 1987, 2041, 2043 f. 5 § 9 Abs. 1 BörsZulV; das Regelwerk Neuer Markt ließ beim Überschreiten bestimmter Emissionsvolumina auch eine geringere Streuung im Publikum genügen; vgl. Abschn. 2, Ziff. 3.10 Abs. 1 Satz 2 RWNM. 6 § 9 Abs. 2 Nr. 1 BörsZulV; ebenso Abschn. 2, Ziff. 3.10 Abs. 2 Nr. 1 RWNM. 7 Eingehend Krause, NJW 2002, 705, 710; Krause, ZGR 2002, 500, 516; dem folgend Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 59; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 72. 8 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85.
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4. Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt 52
Als Pflichtgegenleistung angebotene Aktien müssen zum Handel an einem organisierten Markt – d.h. an einem inländischenregulierten Markt (§§ 32 ff. BörsG) oder in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums an einem geregelten Markt im Sinne des Art. 1 Nr. 13 der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie1 (§ 2 Abs. 7) – zugelassen sein. Der Gesetzgeber begründet dieses Zulassungserfordernis damit, dass mit der Geltung europäischer Standards ein Mindestanlegerschutz gewährleistet wird; so werde vermieden, dass die Adressaten des Angebots auf Vorschriften verwiesen werden, deren Anforderungen im Einzelfall hinter den europäischen Standards zurückbleiben können2. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass das Zulassungserfordernis gegenüber Bietern, deren Aktien nicht zum Handel an einem organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 zugelassen sind, eine Benachteiligung darstellt3. In diesem Zusammenhang wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren vorgetragen, dass dies zu Lasten US-amerikanischer Gesellschaften ohne Börsennotierung im Europäischen Wirtschaftsraum ginge4. Der Gesetzgeber musste jedoch auch Gesellschaften mit Sitz und Börsennotierung in emerging markets im Auge behalten, deren Standards hinter den europäischen bzw. US-amerikanischen Standards zurückbleiben, denen gegenüber eine unterschiedliche Behandlung aus WHO-rechtlichen Gründen unzulässig ist. Der Gesetzgeber hielt diese Benachteiligung der Unternehmen mit Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums für vertretbar, weil sie nicht gehindert seien, ihre Aktien an einer Börse im Europäischen Wirtschaftsraum zuzulassen5.
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In der Praxis stößt die Börseneinführung von Aktien, die in einem Drittstaat zum Börsenhandel zugelassen sind und zur Aufrechterhaltung dieser Zulassung bei der Clearingstelle dieses Drittstaats hinterlegt sein müssen, nicht selten auf erhebliche Schwierigkeiten. Die für die inländische Zulassung dieser Aktien erforderliche Erklärung über die Hinterlegung bei einer Wertpapiersammelbank (§ 48 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) BörsZulV) kann nur abgegeben werden, wenn die Clearstream Banking AG die zuzulassenden Aktien dem ausländischen Verwahrer zur Sammelverwahrung anvertrauen kann. Während verschiedene europäische Zentralverwahrer und die US Depository Trust Company (DTC) die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllen (§ 5 Abs. 4 DepotG) und die erforderlichen Kontoverbindungen zwischen der Clearstream Banking AG und diesen Verwahrern eingerichtet sind, können die Voraussetzungen für die Verwahrung bei anderen Zentralverwahrern entweder aus rechtlichen Gründen oder nur zu kaufmännisch nicht vertretbaren Konditionen erfüllt werden (z.B. Australien)6. Der Bieter kann diese Schwierigkeiten nur vermeiden, wenn er bei der Clearstream Banking AG (oder einem die rechtlichen und technischen Voraussetzungen erfüllenden ausländischen Sammelverwahrer) zu hinterlegende depositary receipts als Gegenleistung anbietet (zur Zulässigkeit siehe oben Rz. 42).
1 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 3 Daher krit. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 32; Bouchon/von Breitenbuch, ZIP 2004, 58; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 68; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 37. 4 Ebenfalls kritisch Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 32; Veranneman/ Gärtner, AG 2009, 648, 649. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 6 Eingehend Bouchon/von Breitenbuch, ZIP 2004, 58, 59 f.
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Gegenleistung
Wie der Gesetzgeber in der Begründung des Regierungsentwurfs klargestellt hat1, 54 müssen die als Gegenleistung gewährten Aktien spätestens zum Zeitpunkt der Übertragung an die Adressaten des Angebots zum Börsenhandel zugelassen sein2. Allein dies ist sinnvoll. Müssten die konkreten, als Gegenleistung angebotenen Aktien schon zu einem früheren Zeitpunkt (etwa dem Beginn oder dem Ende der Annahmefrist) zum Börsenhandel zugelassen sein, könnte die Gegenleistung jedenfalls nicht in neuen Aktien bestehen, die in Deutschland zum Börsenhandel zugelassen sein sollen3. Auch der Schutzzweck der Vorschrift erfordert nicht mehr, als dass die Aktien börsengängig sind, wenn sie an die Adressaten des Angebots übereignet werden4. Weil der Bieter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 seine Erfüllungsfähigkeit sicherstellen muss, hat er vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Börsenzulassung zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Gegenleistung zu erwirken5. Dies entspricht der Verwaltungspraxis der BaFin6. Die Folgen des Scheiterns der Börsenzulassung nach Abschluss des Angebotsverfah- 55 rens sind im Gesetz nicht geregelt. Soweit die Aktionäre der Zielgesellschaft betroffen sind, ergeben sie sich aus den allgemeinen Regelungen des schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts7. Folglich kann der Bieter Schadensersatz wegen Nichterfüllung schulden, wenn er das Scheitern der Zulassung zu vertreten hat. Dies ließe sich verhindern, indem das Tauschangebot unter eine geeignete aufschiebende Bedingung gestellt wird8, was aber bei Pflichtangeboten nicht möglich ist (siehe § 18 Rz. 5, § 39 Rz. 17). Problematischer ist der Fall, dass die Börsenzulassung scheitert, nachdem die Kapitalerhöhung wirksam durchgeführt worden ist, d.h. die Aktien der Zielgesellschaft an den Bieter übereignet und die neuen Aktien des Bieters in den Händen des – regelmäßig eingeschalteten – Treuhänders entstanden sind. Durch die Zuteilung geliehener alter und daher zum Börsenhandel zugelassener Aktien wird sich das Problem nicht immer lösen lassen9.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55; so bereits unter Berufung auf den Schutzzweck Krause, NZG 2000, 905, 909. 2 Krause, NJW 2002, 905, 909; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 88; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 32; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 61; Thaeter in Thaeter/Brandi, Teil 2 Rz. 478; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 69; Johannsen-Roth/Goslar, AG 2007, 573, 574; a.A. Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 213. 3 Die Zulassung von Aktien zum Börsenhandel ist erst dann möglich, wenn „die Aktien“ zur Entstehung gelangt sind; das sind die neuen Aktien (jedenfalls nach deutschem Aktienrecht) erst dann, wenn die Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister eingetragen ist (§ 191 AktG). Dies setzt voraus, dass die Einlage – Aktien der Zielgesellschaft – geleistet worden ist (§ 188 Abs. 2 Satz 1, § 36 Abs. 2, §§ 36a, 37 Abs. 1 AktG). Die Übereignung der Aktien der Zielgesellschaft findet aber erst regelmäßig nach dem Ende der Annahmefrist statt. Zum Ganzen Krause, ZGR 2002, 500, 514 f. 4 Krause, NZG 2000, 905, 909; vgl. auch die in Rz. 54 Fn. 2 Genannten. 5 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 88; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 13 Rz. 43 und § 31 Rz. 69; ähnlich Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 14. 6 Übernahmeangebot der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. an die Aktionäre der Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, S. 56 f., 72. 7 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 15. 8 Die Bedingung, dass die als Gegenleistung angebotenen Aktien zum Börsenhandel zugelassen worden sind, ist allerdings insofern problematisch, als mit der Abwicklung des Angebots begonnen werden muss, bevor die Börsenzulassung erfolgen kann; siehe oben Rz. 54 Fn. 3. 9 Näher Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 59.
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Gegenleistung
5. Stimmrecht 56
Im Rahmen eines Tauschangebots müssen die Aktien, die den Inhabern stimmberechtigter Aktien der Zielgesellschaft als Gegenleistung angeboten werden, gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 ebenfalls ein Stimmrecht gewähren. Im Hinblick auf das Stimmrecht soll sich die gesellschaftsrechtliche Position der Aktionäre nicht verändern1.
57
Inhabern von Stammaktien, die ihr Stimmrecht wegen eines Ausübungshindernisses nicht ausüben können2, muss der Bieter stimmberechtigte Aktien anbieten. Das – oft nur zeitweilig bestehende – Ausübungshindernis ändert nichts daran, dass es sich um stimmberechtigte Aktien handelt. Das Bestehen des Stimmrechts selbst wird durch das Ausübungshindernis nicht berührt3.
58
Eine bestimmte Qualität des Stimmrechts ist nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 2 Satz 2 nicht vorausgesetzt. Die Adressaten des Angebots haben es hinzunehmen, dass die als Gegenleistung angebotenen Aktien aufgrund der (verhältnismäßig) geringeren Beteiligung eine entsprechend geringere relative Stimmkraft besitzen4.
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Nach verbreiteter Auffassung soll auch die Gewährung von Aktien mit reduziertem Stimmrecht (etwa die im skandinavischen Raum verbreiteten Aktien mit 1/10 Stimmrecht5 oder Aktien einer Gesellschaft, bei der eine Stimmrechtsbeschränkung besteht6), grundsätzlich nicht zu beanstanden sein. Zur Begründung wird angeführt, dass sich die Anforderungen des § 31 Abs. 2 Satz 2 auf die Gewährung eines nicht näher qualifizierten Stimmrechts beschränken7 und dass die Aktionäre der Zielgesellschaft regelmäßig hinreichend geschützt sind, weil sich das unterschiedliche Stimmengewicht typischerweise im Kurs der angebotenen Aktien niederschlägt8. Wenn jedoch die formelle Stimmberechtigung der angebotenen Aktien so krass hinter der Stimmberechtigung der Aktien anderer Gattungen zurückbleibt, dass faktisch stimmrechtslose Aktien angeboten werden, liege eine Umgehung des § 31 Abs. 2 Satz 2 vor; ein derartiges Tauschangebot sei zu untersagen9. Die besseren Gründe dürften aber dafür sprechen, nur Aktien mit vollem Stimmrecht als taugliche Gegenleistung anzusehen10. Mit dem Schutzzweck des § 31 Abs. 2 Satz 2 erscheint es
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. Soweit zulässigerweise depositary receipts angeboten werden (hierzu Rz. 42), muss es genügen, dass das Stimmrecht durch Vollmacht und entsprechende Weisungsrechte vermittelt wird. 2 In Betracht kommen § 71b, § 136 Abs. 1, § 328 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 28 Satz 1 WpHG, § 59 WpÜG. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 17; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 35; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 74. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 36; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 73; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 38. 5 Vgl. Krage, AG 1998, 226, 228, und die Gemeinsame Stellungnahme des BDI, DEHT, BDA und GdV vom 27.9.2001, S. 13. 6 Vgl. Übernahmeangebot UniCredito Italiano/Bayerische Hypo- und Vereinsbank vom 26.5.2005, Anhang 1, S. 189. 7 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 20; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 36; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 73. 8 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 36; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 90 (unzutreffend allerdings die Forderung in Rz. 93, dass die angebotenen stimmberechtigten Aktien keiner anderen Aktiengattung formell nachgeordnet sein dürfen). 9 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 36; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 73. 10 A.A. Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 38.
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kaum vereinbar, dass Aktionäre, die in der Zielgesellschaft über ein volles Stimmrecht verfügen, über die wegen des Aktientauschs ohnehin eintretende Verwässerung hinaus eine Reduzierung ihres Stimmrechts hinzunehmen haben. Im Wortlaut findet dies durchaus eine Stütze, denn die als Gegenleistung zu gewährenden Aktien müssen „ein“ Stimmrecht gewähren. Im Übrigen würde die hier als vorzugswürdig angesehene Auslegung die Diskussion über den Schwellenwert, ab dem ein Missbrauchsfall anzunehmen ist, vermeiden. Die Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien haben keinen Anspruch auf Gewäh- 60 rung stimmberechtigter Aktien1. Der Bieter ist jedoch nicht gehindert, auch Vorzugsaktionären stimmberechtigte Stammaktien zum Tausch anzubieten2. Auch wenn Vorzugsaktionären der Zielgesellschaft aufgrund § 140 Abs. 2 AktG ausnahmsweise ein Stimmrecht zusteht, haben sie im Rahmen des § 31 keinen Anspruch auf Gewährung stimmberechtigter Aktien3. Das Stimmrecht gemäß § 140 Abs. 2 AktG ist nämlich nur vorübergehender Natur und daher mit dem Stimmrecht der Stammaktien qualitativ nicht vergleichbar. Durch die Gewährung stimmrechtsloser Aktien werden die Vorzugsaktionäre im Regelfall auch nicht benachteiligt, weil diese Aktien in den Hauptversammlungen der Emittentin stimmberechtigt sind, soweit dort die Voraussetzungen für das Aufleben des Stimmrechts erfüllt sind. Mangels gesetzlicher Anordnung braucht der Vorzug der als Gegenleistung gewährten Aktien – anders als bei Umwandlungen (§ 23 UmwG) – dem Vorzug der Aktien der Zielgesellschaft nicht gleichwertig zu sein4.
IV. Sonstige Arten der Gegenleistung (Wahlgegenleistung) Der Bieter kann den Aktionären der Zielgesellschaft verschiedene Gegenleistungen 61 zur Wahl stellen. Der Schutzzweck des § 31 Abs. 2 ist bereits dann erfüllt, wenn sich unter den alternativen Gegenleistungen mindestens eine Pflichtgegenleistung befindet, die in einer Geldleistung in Euro und/oder liquiden, börsenzugelassenen Aktien besteht5. Als Wahlgegenleistung kommen z.B. Geldleistungen in anderer Währung als Euro, Anleihen, Wandelschuldverschreibungen, Contingent Value Rights (CVR)6 oder nicht im Europäischen Wirtschaftsraum börsenzugelassene Aktien in Betracht. Dem Bieter steht es frei, gerade diese Wahlgegenleistung besonders attraktiv aus-
1 Anders noch § 16 Abs. 1 DiskE, der allgemein die Gewährung stimmberechtigter Aktien gefordert hatte. 2 Begr. RegE, BT-Drucks.14/7034, S. 55. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 92; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 35; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 74; a.A. Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 31 Rz. 18; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 38. 4 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 93; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 74. 5 Liebscher, ZIP 2001, 853, 864; Thaeter/Barth, NZG 2001, 545, 547; Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 31 Rz. 22; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1968; zum Diskussionsentwurf bereits Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 23; Land/Hasselbach, DB 2000, 1747, 1750. 6 Contingent Value Rights (CVR) sind optionsähnliche, in der Regel börsennotierte Rechte, bei denen die Nachleistungspflicht des Käufers entweder an die zukünftige Geschäftsentwicklung der Zielgesellschaft (performancebezogene CVR) oder an bestimmte Ereignisse bei der Zielgesellschaft nach dem Closing geknüpft wird (ereignisbezogene CVR); dazu ausführlich Sustmann, CFL 2011, 381, 381 ff.; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 742 f.
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zugestalten1. In der Praxis wurden alternative Gegenleistungen jedoch nur selten angeboten2. 62
Die Vorschriften über den Mindestwert (§ 31 Abs. 1 i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO) finden auf die Wahlgegenleistung keine Anwendung3. Die Wahlgegenleistung ist in § 31 nämlich nicht angesprochen. Außerdem hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 nur eine angemessene Gegenleistung anzubieten; die Aktionäre sind hinreichend geschützt, weil sie die Möglichkeit haben, ihre Aktien gegen die zur Wahl gestellte Pflichtgegenleistung abzugeben. Die Angebotsunterlage muss über die unterschiedliche Qualität der zur Wahl gestellten Gegenleistungen informieren4. Dem Bieter steht es frei, sich in der Angebotsunterlage zur Anpassung der Wahlgegenleistung analog § 31 Abs. 3 bis 5 zu verpflichten.
62a Für den Fall der Überzeichnung der Wahlgegenleistung kann der Bieter eine verhältnismäßige Zuteilung vorsehen5. Dies ergibt sich nicht aus § 19, der auf Übernahmeangebote keine Anwendung findet, sondern aus dem Gleichbehandlungsgebot (§ 3 Abs. 1)6. Eine Zuteilung nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs der Annahmeerklärungen („first come, first served“) ist nicht zulässig7. Sie würde einen Wettlauf um die Wahlgegenleistung auslösen und – anders als nach dem Willen des Gesetzgebers vorgesehen – den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft die Möglichkeit verwehren, „das Angebot zu gleichen Bedingungen anzunehmen“8.
V. Kombinierte Gegenleistung 63
Der Bieter kann auch eine Gegenleistung anbieten, die verschiedene Elemente miteinander kombiniert. Dies ist zwar weder im Gesetz noch in der Begründung des Regierungsentwurfs ausgesprochen, ergibt sich jedoch daraus, dass die Aktionäre bei Bar- und Tauschangeboten, die die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 erfüllen, ausreichend geschützt sind9. Eine Pflichtgegenleistung, die aus einer Geldleistung in Euro und liquiden Aktien, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, ist hiernach zulässig10.
1 Liebscher, ZIP 2001, 853, 864; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 37; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 39; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1968. 2 Vgl. Übernahmeangebot 2016091 Ontario Inc./IXOS Software vom 1.12.2003, S. 29. Hier wurden eine Gegenleistung von 9,00 Euro je IXOS-Aktie oder alternativ, nach Wahl des jeweiligen IXOS-Aktionärs, 0,5220 Open Text-Aktien sowie Optionen auf 0,1484 Open Text-Aktien angeboten. IXOS-Aktionäre konnten in Bezug auf alle oder einen Teil ihrer IXOS-Aktien zwischen dem Barangebot und dem Alternativangebot wählen. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 95; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 37; widersprüchlich Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 24. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 23; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 37. 5 Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1969. 6 Siehe auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 19 Rz. 3; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1969. 7 Dazu ausführlich Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1969 ff. 8 BT-Drucks. 14/7034, S. 35. 9 Thaeter/Barth, NZG 2001, 545, 547; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 25; Johannsen-Roth/Goslar, AG 2007, 573, 574. 10 Vgl. Übernahmeangebot der UCB SA Schwarz Pharma Aktiengesellschaft vom 8.12.2006, S. 20. Hier wurde eine Gegenleistung von 50 Euro in bar plus 0,8735 Aktien der UCB geboten.
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Eine derartig kombinierte Gegenleistung kann erforderlich werden, wenn bei einem 64 Tauschangebot aufgrund des Tauschverhältnisses freie Spitzen auszugleichen sind1 oder den Adressaten des Angebots im Rahmen einer Mix and Match-Option die Möglichkeit eröffnet wird, Art und Zusammensetzung der Gegenleistung in den Grenzen der vom Bieter zur Verfügung gestellten Gesamtgegenleistung nach eigenen Präferenzen zusammenzustellen2. Die Kombination mit Gegenleistungselementen, die die Voraussetzungen des § 31 65 Abs. 2 nicht erfüllen, wird nur für zulässig gehalten, solange den Adressaten zumindest eine Alternative zur Wahl gestellt wird, die ausschließlich aus Pflichtgegenleistungselementen besteht3. Dem Schutz der Aktionäre wäre allerdings schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn die Pflichtgegenleistungselemente den gesetzlichen Mindestwert erreichen bzw. übersteigen und das Gegenleistungselement, das die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 nicht erfüllt, gewissermaßen eine Dreingabe darstellt4.
VI. Aktientausch nur für ausgewählte Aktionäre? Wenn der Bieter bestimmte Aktionäre der Zielgesellschaft als Ankeraktionäre ge- 65a winnen will, stellt sich die Frage, ob er diesen ausgewählten Aktionären die Wahl zwischen einer Geldleistung und einer Tauschalternative anbieten kann, während er den übrigen Aktionären nur eine Geldleistung bietet5. Eine derartige Differenzierung im Rahmen des Angebots ist problematisch. Allerdings gebietet das Gleichbehandlungsgebot des § 3 Abs. 1 nur die Gleichbehandlung von Gleichem; wenn sachlich gerechtfertigte Gründe bestehen, kann Ungleiches ungleich behandelt werden6. Daher wird man die Tauschalternative für ausgewählte Aktionäre als zulässig ansehen können, wenn nach den Umständen des Einzelfalls ein sachlicher Differenzierungsgrund besteht7. Allerdings muss sichergestellt sein, dass der Wert der alternativen Gegenleistung den Wert der allen Aktionären angebotenen Gegenleistung nicht übersteigt8. Aus praktischen Gründen dürfte der Bieter den Aktionären, die er als Ankeraktionäre gewinnen will, einen Aktientausch außerhalb des Angebots anbieten. Gegen diese Struktur bestehen unter dem Aspekt der Gleichbehandlung keine Bedenken.
1 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 98; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 61; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1966. 2 Vgl. etwa Übernahmeangebot Deutsche Telekom AG/VoiceStream Wireless Corporation vom 9.2.2001, S. 126 ff.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 61; zu weiteren Kombinationsmöglichkeiten Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1965 ff. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 26; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 38. 4 So auch Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 39; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1966; a.A. Thun in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 25; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 38. 5 von Thunen, NZG 2004, 925; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1967. 6 Schüppen in FrankfKomm. WpÜG, § 3 Rz. 8; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 3 Rz. 5; Noack in Schwark/Zimmer; § 3 WpÜG Rz. 7; von Thunen, NZG 2004, 925, 925 ff.; a.A. Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 3 Rz. 11; Versteegen in KölnKomm. WpÜG, § 3 Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm, WpÜG, § 3 Rz. 4. 7 von Thunen, NZG 2004, 925, 926 ff.; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1967 f. 8 Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1968.
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D. Pflicht zur Geldleistung (§ 31 Abs. 3) I. Grundsätzliches 66
Der Bieter muss den Adressaten des Angebots eine Geldleistung anbieten, wenn er oder ihm zuzurechnende Personen im Vorfeld des Angebots (Vorerwerb) oder während der Angebotsphase, aber außerhalb des eigentlichen Angebots (Parallelerwerb) eine bestimmte Zahl von Aktien der Zielgesellschaft gegen eine Geldleistung erwerben. Diese Regelung ist Ausdruck des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 3 Abs. 1)1 und schützt im konkreten Fall das Vertrauen des Publikums in die Möglichkeit, zu interessenwahrenden Konditionen2 und ohne Verkaufsdruck vor dem Angebot (race to cash)3 aus der Zielgesellschaft auszuscheiden. Sie schränkt das in § 31 Abs. 2 enthaltene Wahlrecht des Bieters in Bezug auf die Art der Gegenleistung ein. Zur Vermeidung unbilliger Härten4 wird die Geldleistungspflicht aber nur ausgelöst, wenn die Summe der relevanten Vor- und Parallelerwerbe den Schwellenwert von insgesamt 5 % der Aktien oder Stimmrechte erreicht oder überschreitet. Die Vorschrift hat nur geringe praktische Bedeutung, weil die meisten WpÜG-Angebote bisher eine Geldleistung vorgesehen haben.
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Bis zum Inkrafttreten der Neufassung des § 31 Abs. 3 durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz5 musste der Bieter eine Geldleistung anbieten, wenn entweder mindestens 5 % der Aktien der Zielgesellschaft im Wege des Vorerwerbs (Erwerb vor Veröffentlichung der Angebotsabsicht – § 31 Abs. 3 Nr. 1 a.F.) oder mindestens 1 % der Aktien im Wege des Parallelerwerbs (Erwerb im Zeitraum zwischen Veröffentlichung der Angebotsabsicht und Ablauf der Annahmefrist – § 31 Abs. 3 Nr. 2 a.F.) erworben wurden6. Zur Umsetzung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 5 Unterabs. 3 der Übernahmerichtlinie wurden Vorerwerb und Parallelerwerb zu einem einheitlichen Tatbestand zusammengefasst und der Referenzzeitraum von drei auf sechs Monate vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots verlängert (siehe dazu Rz. 10a und 21)7. Weitergehende inhaltliche Modifikationen sollten damit nicht verbunden sein8.
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Ist der Fall des § 31 Abs. 3 eingetreten, hat der Bieter zumindest eine Geldleistungsalternative zur Wahl zu stellen. Dass der Bieter in diesem Fall ausschließlich eine Geldleistung anbieten darf, lässt sich aus Wortlaut und Schutzzweck des Gesetzes nicht herleiten9.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 23. Tröger, DZWiR 2002, 397, 399. Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1960 f. BT-Drucks. 14/7477, S. 53. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote vom 8.7.2006, BGBl. I 2006, 1426. Krit. zur Wahl unterschiedlicher Schwellenwerte Tröger, DZWiR 2002, 397, 399. Vgl. Begr. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 19. Vgl. Begr. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 13. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 29; a.A. Geibel/Süßmann, BKR 2002, 52, 59; Land, DB 2001, 1707, 1710; Riehmer/Schröder, BB-Beil. 5/2001, S. 11.
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II. Erwerb Die Rechtsfolgen des § 31 Abs. 3 werden durch den Erwerb von Aktien oder Stimm- 69 rechten während des Vor- bzw. Parallelerwerbszeitraums ausgelöst. Mit dem Begriff des Erwerbs in § 31 Abs. 3 ist grundsätzlich die Erlangung des Eigentums gemeint1. Schuldrechtliche Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann (z.B. Termingeschäfte und bestimmte Optionen und Verpflichtungsgeschäfte mit herausgeschobenem Erfüllungszeitpunkt) sind dem Erwerb allerdings gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 gleichgestellt (siehe unten Rz. 151 ff.). Anders als im Fall des Nacherwerbs gemäß § 31 Abs. 5 spielt es keine Rolle, ob der Vor- oder Parallelerwerb börslich oder außerbörslich erfolgt. Der für Zwecke des § 31 Abs. 3 relevante Erwerb umfasst grundsätzlich auch den Erwerb aufgrund der Veräußerung eigener Aktien oder einer Kapitalerhöhung2, nicht jedoch den gemäß § 31 Abs. 6 Satz 2 ausgenommenen originären Erwerb durch Ausübung des gesetzlichen Bezugsrechts3. Auch die verbindliche Zusage, das Angebot anzunehmen, ist kein Vorerwerb4. § 31 Abs. 3 knüpft an den Erwerb von Aktien oder Stimmrechten an. Nach dem kla- 70 ren Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers5 sind für die Beantwortung der Frage, ob der Schwellenwert des § 31 Abs. 3 erreicht ist, die gegen eine Geldleistung erworbenen Stamm- und Vorzugsaktien zusammenzuzählen6. Insoweit findet also keine nach Aktiengattungen getrennte Betrachtung statt7. Nach zutreffender Auffassung erfasst § 31 Abs. 3 ferner den Erwerb der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 genannten, Aktien gleichgestellten Wertpapiere, grundsätzlich jedoch nicht den Erwerb der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 bezeichneten Wertpapiere, die lediglich ein Recht zum Erwerb von Aktien begründen8. Im Einzelfall kann jedoch auch der Erwerb dieser Wertpapiere die Pflicht zum Angebot einer Geldleistung auslösen, etwa wenn die Regelung des § 31 Abs. 3 umgangen werden soll (z.B. wenn die fraglichen Wertpapiere aktienähnlich ausgestaltet sind, kurzfristig in Aktien umgewandelt werden können und in großer Anzahl erworben werden)9. Auch diese Titel sind für die Beantwortung der Frage, ob der Schwellenwert des § 31 Abs. 3 erreicht ist, zu berücksichtigen. Zu den Rechtsfolgen des Erwerbs von Aktien verschiedener Gattung siehe unten Rz. 94. Der mittelbare Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft (d.h. der Erwerb einer Gesell- 71 schaft, die Aktien der Zielgesellschaft hält) ist vom Wortlaut des § 31 Abs. 3 nicht erfasst. Wenn der einzige Zweck der Gesellschaft darin besteht, Aktien der Zielgesellschaft zu halten, könnten der Umgehungsgesichtspunkt und die Wertung des § 35
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 2 Krit. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428 f.; DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006. 3 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 81. 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, 1. Lfg. (2004), § 31 Rz. 76; allgemein hierzu von Riegen, ZHR 167 (2003), 703, 724. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 6 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 50; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 78. 7 Wäre dies anders, könnte ein Bieter an einer Zielgesellschaft, die Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben hat, Vor- bzw. Parallelerwerb in Höhe von 9,99 % des Grundkapitals tätigen, ohne eine Geldleistung anbieten zu müssen; dies erscheint mit dem Wortlaut und dem Schutzzweck der Vorschrift nicht vereinbar. 8 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 50; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 78. 9 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 51.
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Gegenleistung
Abs. 1 Anlass dazu geben, diesen mittelbaren Erwerb der Aktien der Zielgesellschaft als relevanten Vor- bzw. Parallelerwerb anzusehen1. 72
Für Zwecke des § 31 Abs. 3 werden dem Bieter die Aktien bzw. Stimmrechte zugerechnet, die mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen erwerben; diese Begriffe sind in § 2 Abs. 5 und Abs. 6 legaldefiniert. Ob der Bieter Kenntnis von diesen Erwerbsvorgängen hat oder sie von seinem Willen getragen sind, ist irrelevant2. Rechtsgeschäfte zwischen Angehörigen dieses Personenkreises sind für Zwecke des § 31 Abs. 3 nicht von Belang3; der Gesetzgeber sieht diesen Personenkreis als eine Einheit an.
73
Ein Vorerwerb, der dem Handelsbestand gemäß § 20 Abs. 2 zuzurechnen ist, ist nicht zu berücksichtigen, wenn die BaFin den Bieter von der Berücksichtigung des Handelsbestands für Zwecke des § 31 Abs. 3 befreit hat (§ 20 Abs. 1)4.
III. Referenzperiode 74
§ 31 Abs. 3 verpflichtet den Bieter, eine Geldleistung in Euro anzubieten, wenn er oder ihm zuzurechnende Personen in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 3 Satz 1) bzw. der Erlangung der Kontrolle (§ 35 Abs. 1 Satz 1) bis zum Ablauf der Annahmefrist insgesamt mindestens 5 % der Aktien oder Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben haben. Die Vorschrift soll ein „Anschleichen“ an die Zielgesellschaft verhindern, erlaubt aber gleichzeitig den Erwerb von Aktien in geringem Umfang5.
75
Fristbeginn ist der Zeitpunkt sechs Monate vor der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 bzw. § 35 Abs. 1 Satz 1. Diese Sechsmonatsfrist ist eine Rückwärtsfrist, die gemäß § 31 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB mit den für Rückwärtsfristen geltenden Besonderheiten zu berechnen ist6. Die Tage des Erwerbs und der Veröffentlichung sind nicht mitzuzählen. Erfolgt die Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sowohl im Internet als auch in einem elektronisch betriebenen Informationssystem und erfolgen die Veröffentlichungen zu verschiedenen Zeitpunkten, ist der spätere Veröffentlichungstermin maßgeblich. Dies deswegen, weil erst mit der späteren Veröffentlichung die Veröffentlichungspflicht erfüllt ist7.
1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 52; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 82; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 104 a.E.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 33; ähnlich Schulz, M&A-Review 2003, 114, 120 (zur Höhe der Gegenleistung), a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 89; Traugott/Schaefer, NZG 2004, 158, 162. 2 Zum Vorerwerb Liebscher, ZIP 2001, 853, 861; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 90; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 10; MarschBarner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 82; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 32. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 10 (zum Vorerwerb). 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 83. 5 Zu § 31 Abs. 3 Nr. 1 a.F. vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 6 Krause, NJW 1999, 1448; Müller-Eising/Bert, DB 1996, 1398 (auch zur Berücksichtigung von Sonn- und Feiertagen). 7 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 86; a.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 46 (aber offenbar ohne Berücksichtigung von § 10 Abs. 3 n.F.).
896 Krause
§ 31
Gegenleistung
Verstößt der Bieter gegen die Pflicht, seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots 76 bzw. die Erlangung der Kontrolle unverzüglich zu veröffentlichen, ist umstritten, wie für Zwecke des § 31 Abs. 3 verfahren werden soll. Nach einer Ansicht soll sich der Bieter so behandeln lassen, als hätte er die Veröffentlichung rechtzeitig vorgenommen1. Dafür wird angeführt, dass es mit dem Schutzzweck der Vorschrift unvereinbar wäre, wenn die Aktionäre gerade deswegen schlechter stünden, weil der Bieter seine Veröffentlichungspflicht nicht (rechtzeitig) erfüllt. Nach anderer Ansicht ist die – ggf. verspätete – tatsächliche Veröffentlichung maßgeblich. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der an die tatsächliche Veröffentlichung anknüpft. Auch der Wortlaut der anderen Gleichbehandlungspflichten im System des § 31 und der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO knüpft an die jeweils maßgebliche tatsächliche Veröffentlichung an2. Nach zutreffender Ansicht ist auch für diese Gleichbehandlungspflichten der Tag der tatsächlichen Veröffentlichung der maßgebliche Zeitpunkt (siehe § 5 WpÜG-AngVO Rz. 10a). Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis der BaFin3. Im Übrigen erscheint es ausreichend, wenn die BaFin einer vorsätzlichen Verzögerung des Pflichtangebots im Rahmen ihrer Missstandsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 begegnet4. Das Fristende ergibt sich aus der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6). Verlän- 76a gert sich die Annahmefrist aufgrund einer Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 5), eines konkurrierenden Angebots (§ 22 Abs. 2) oder aufgrund der Einberufung einer EilHauptversammlung durch die Zielgesellschaft (§ 16 Abs. 3), verlängert sich der für den Erwerb maßgebliche Zeitraum entsprechend. Erwerbsvorgänge während der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 fallen nicht in die Referenzperiode des § 31 Abs. 3, denn die weitere Annahmefrist ist nicht Teil der Annahmefrist5. Ein Wertpapiererwerb während der weiteren Annahmefrist kann jedoch eine Pflicht zur Nachzahlung gemäß § 31 Abs. 5 zur Folge haben (siehe unten Rz. 132 ff.).
IV. Schwellenwert Der relevante Schwellenwert ist der Erwerb von mindestens 5 % der Aktien oder Stimmrechte der Zielgesellschaft. Sind Kapitalbeteiligung und Stimmrecht nicht identisch, weil die Zielgesellschaft Vorzugs- oder Mehrstimmrechtsaktien ausgegeben hat6, ist der Bieter schon dann zum Angebot einer Geldleistung verpflichtet,
1 Wackerbarth in MünchKomm, WpÜG, § 31 Rz. 31; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 25; Baums/Hecker in Baums/Thoma, § 31 Rz. 37; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 87; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 19. 2 von Falkenhausen, NZG 2010, 1213, 1214; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 138. 3 Pflichtangebot Thüga Holding GmbH & Co. KGaA/Mainova Aktiengesellschaft vom 18.3.2010, S. 27. 4 Zutr. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 47; Marsch-Barner in Baums/ Thoma, § 31 Rz. 86. 5 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 36; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 47; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 87; a.A. Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 84; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 70 (Fristende ist letzter Tag der weiteren Annahmefrist). 6 Die Vorschrift soll ein „Anschleichen“ an die Zielgesellschaft unter Ausgrenzung der Minderheitsaktionäre verhindern und bezieht Vorzugsaktien mit ein, weil sich Übernahmeangebote gemäß § 32 auch auf Vorzugsaktien erstrecken müssen.
Krause
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§ 31
Gegenleistung
wenn er 5 % der Aktien erworben hat, ganz gleich wie viele Stimmrechte diese Aktien vermitteln1. 78
Mit der Festlegung der Erwerbsschwelle auf 5 % der Aktien oder Stimmrechte wird dem Bieter ermöglicht, vor dem Beginn des Angebotsverfahrens und parallel zum Angebotsverfahren Ankäufe in geringem Ausmaß zu tätigen2. Die Vorschrift stellt auf den Erwerb ab; sie konstituiert damit eine Erwerbsschwelle (im Gegensatz zur Bestandsschwelle). Daher ist es irrelevant, ob der Bieter während der Referenzperiode 5 % der Aktien oder der Stimmrechte gehalten hat; vor Beginn der Referenzperiode gehaltene Bestände sind genauso unbeachtlich wie zwischenzeitlich erfolgte Veräußerungen3. Vor- und Paralellerwerbe einerseits und Veräußerungen andererseits sind daher nicht zu saldieren.
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Stimmrechte, die wegen eines Ausübungshindernisses nicht ausgeübt werden können4, sind für Zwecke des § 31 Abs. 3 sowohl bei den vom Bieter erworbenen Stimmrechten als auch bei der Gesamtzahl der in der Zielgesellschaft bestehenden Stimmrechte zu berücksichtigen5. Dies gilt etwa für eigene Aktien der Zielgesellschaft, für Aktien, die ihr gemäß § 16 Abs. 4 AktG als eigene Aktien zugerechnet werden und für Aktien, deren Stimmrechte wegen der Nichterfüllung der Meldepflicht gemäß § 21 WpHG ruhen. Diese abstrakte Betrachtungsweise ist aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, entspricht dem (in der Begründung zu § 29 Abs. 2 ausdrücklich geäußerten) Willen des Gesetzgebers6 und folgt der ganz herrschenden Meinung zu § 21 WpHG7.
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Führt die Zielgesellschaft innerhalb der Referenzperiode eine Kapitalerhöhung durch, kann dies zur Folge haben, dass der Anteil der vom Bieter erworbenen Aktien bzw. Stimmrechte die 5 %-Schwelle, die er zunächst überschritten hatte, wieder unterschreitet. § 31 Abs. 3 regelt nicht, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist. Da die Vorschrift das „Anschleichen“ des Bieters an die Zielgesellschaft unter Ausgrenzung der Minderheitsaktionäre verhindern will, sollte der Zeitpunkt des jeweiligen Erwerbs maßgeblich sein: Folglich muss der Bieter eine Geldleistung anbieten, wenn er und ihm zuzurechnende Personen zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der Referenzperiode einmal mindestens 5 % der Aktien oder Stimmrechte erworben haben. Weil der Erwerb und nicht der Bestand maßgeblich ist, erlischt diese Verpflichtung nicht deswegen, weil der Aktienbestand dieses Personenkreises durch die Kapitalerhöhung unter die 5 %-Schwelle sinkt8. 1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 31; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 41 (mit Berechnungsbeispielen); Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 78; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 32. 2 Zu § 31 Abs. 3 Nr. 1 a.F. vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 101; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 43; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 82. 4 In Betracht kommen § 20 Abs. 7, § 71b, § 136 Abs. 1, § 328 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 28 Satz 1 WpHG, § 59 WpÜG. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 42; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 79; Dewitz, Forum Unternehmenskauf, 11, 32; a.A. Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 61. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. 7 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 21 WpHG Rz. 61; Opitz in Schäfer/Hamann, § 21 WpHG Rz. 18; Schwark in Schwark/Zimmer, § 21 WpHG Rz. 8; Bayer in MünchKomm. AktG, Anh. § 22, § 21 WpHG Rz. 18; von Bülow in KölnKomm. WpÜG, § 29 Rz. 112 und § 30 Rz. 43; a.A. Sudmeyer, BB 2002, 685, 687. 8 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 32; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 44; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 80.
898 Krause
§ 31
Gegenleistung
Eine Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien, die den Anteil des Bieters 81 und der ihm zuzurechnenden Personen über die 5 %-Schwelle steigen lässt, ist für Zwecke des § 31 Abs. 3 irrelevant, weil der Bieter den Schwellenwert nicht durch den Erwerb von Aktien oder Stimmrechten überschreitet, die Vorschrift aber auf den Erwerb und nicht auf sonstige Vorgänge abstellt1 (zu der Frage, ob durch die Einziehung ein Pflichtangebot ausgelöst wird, siehe § 35 Rz. 122). Hat der Bieter die 5 %-Schwelle wegen einer Kapitalherabsetzung bzw. wegen des Erwerbs eigener Aktien durch die Zielgesellschaft überschritten, löst allerdings jeder weitere Erwerb von Aktien oder Stimmrechten gegen Geldleistung die Barangebotspflicht aus2. Der Bieter hat die Gesamtzahl der von ihm, der mit ihm gemeinsam handelnden Per- 82 sonen oder deren Tochterunternehmen gehaltenen Aktien und Stimmrechte an der Zielgesellschaft in der Angebotsunterlage offen zu legen (§ 2 Nr. 5 WpÜG-AngVO). Außerdem hat er darin Art und Umfang der gewährten oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage anzugeben (§ 2 Nr. 7 WpÜG-AngVO). Parallelerwerbe nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage sind gemäß § 23 zu veröffentlichen. Einstweilen frei.
83–87
V. Gegen Zahlung einer Geldleistung Gemäß § 31 Abs. 3 muss der Bieter eine Geldleistung nur dann anbieten, wenn er in 88 einem der maßgeblichen Zeiträume Aktien der Zielgesellschaft „gegen Zahlung einer Geldleistung“ erworben hat. Die Vorschrift konkretisiert den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre: Wenn der Bieter in zeitlicher Nähe zu dem Übernahmeangebot Aktien der Zielgesellschaft gegen eine Geldleistung erwirbt, sollen die übrigen Aktionäre in der Lage sein, ihre Aktien ebenfalls gegen eine Geldleistung zu veräußern3. Das Merkmal der Geldleistung wird durch jeden Geldbetrag erfüllt; ob er auf Euro 89 oder eine andere Währung lautet, ist irrelevant; wäre dies anders, könnte die Geldleistungspflicht relativ einfach umgangen werden4. Eine geldähnliche Leistung – etwa die Veräußerung von Geldmarktinstrumenten oder die Einräumung einer fälligen Forderung gegen einen liquiden Schuldner – unterfällt nicht dem Wortlaut der Vorschrift, ist einer Geldleistung jedoch gleichzustellen, wenn die Geldleistungspflicht durch die Nutzung des geldähnlichen Instruments umgangen wird. Wenn die geldähnliche Leistung in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot erworben wird und sich ohne nennenswerte Risiken gegen Geld veräußern lässt, könnte dies der Fall sein5. Der Fall, dass der Bieter im Zuge des Vor- oder Parallelerwerbs eine aus Geld- und Sachleistungen bestehende gemischte Gegenleistung gewährt, ist im Gesetz nicht geregelt. 1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 45; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 80; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 32. 2 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 80. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 55. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 43; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 54; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 84. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 55; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 84; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 33; a.A. (jegliche geldähnliche Leistung) Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 30.
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§ 31
Gegenleistung
Der Wortlaut des § 31 Abs. 3 scheint zum Angebot einer „reinen“ Geldleistung zu zwingen, weil der Vor- bzw. Parallelerwerb jedenfalls auch gegen Zahlung einer Geldleistung erfolgt1. Diese Besserstellung der Adressaten des Angebots ist indes durch den Schutzzweck des § 31 Abs. 3 nicht geboten. Zur Erfüllung des Gleichbehandlungszwecks würde es genügen, wenn das Angebot lediglich insoweit eine Geldleistung enthält, wie der Bieter sie im Rahmen des Vor- bzw. Parallelerwerbs gewährt hat2. Die Gegenauffassung, die diese Frage nach dem Schwerpunkt der Gegenleistung entscheiden möchte3, ist aus Rechtssicherheitsgründen abzulehnen4. 91
Hat der Bieter dem Verkäufer der Aktien ein Wahlrecht zwischen einer Geld- und einer Sachleistung eingeräumt, ist der Bieter verpflichtet, im öffentlichen Angebot eine Geldleistungsalternative vorzusehen. Die von der Vorschrift bezweckte Gleichbehandlung ist nur dann gewährleistet, wenn der das Angebot annehmende Aktionär nicht schlechter steht als derjenige, der seine Aktien außerhalb des Angebots veräußert. Wenn aber der Verkäufer die Geldleistung wählen kann, müssen auch die übrigen Aktionäre hierzu in der Lage sein. Daher ist es unbeachtlich, ob sich der Verkäufer schließlich für die Geldleistung entscheidet5.
91a Wenn der Bieter einem Verkäufer im Zuge eines Vor- oder Parallelerwerbs Aktien als Gegenleistung gewährt, stellt sich die Frage, ob er seinen Pflichten genügt, wenn er im Rahmen eines späteren Angebots eine Geldleistung anbieten kann (d.h. kein Tauschangebot unterbreitet). Die Vorschrift des § 31 Abs. 3 ist insoweit eindeutig. Wenn mehr als 5 % der Aktien der Zielgesellschaft bei einem Vor- oder Parallelerwerb gegen Aktien erworben worden sind, folgt aus § 31 Abs. 3 keine Verpflichtung, den Aktionären ein Tauschangebot vorzulegen6. Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis der BaFin7. 92
Wenn der Verkäufer dem Bieter eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt hat, der Bieter also zwischen einer Geld- und einer Sachleistung wählen kann, ist der Bieter zum Angebot einer Geldleistung nur verpflichtet, wenn er sich für die Geldleistung entschieden hat; allein die Möglichkeit des Erwerbs gegen eine Geldleistung begründet diese Verpflichtung nicht8. Hat der Bieter das Wahlrecht bis zum Ablauf der Referenzperiode nicht ausgeübt, muss das öffentliche Angebot eine Geldleistung vorsehen; anderenfalls würde der Gleichbehandlungszweck des § 31 Abs. 3 verfehlt9.
1 So in der Tat Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 43; Häger/Santelmann in Steinmeyer/ Häger, § 31 Rz. 77. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 56; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 72; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 34; noch anders Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 208; in diese Richtung auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 71; a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 43; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 77. 3 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 85. 4 Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 34. 5 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 45 f.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 57; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 72; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 33 f. 6 von Thunen, NZG 2008, 925, 927 ff.; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1962. 7 Vgl. Pflichtangebot Ciber Holding GmbH/Novasoft AG vom 20.10.2004, S. 13. 8 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 84. 9 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 45 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 84.
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§ 31
Gegenleistung
VI. Rechtsfolgen Die Rechtsfolge des § 31 Abs. 3 besteht in der Verpflichtung des Bieters, im Rahmen 93 des öffentlichen Angebotes eine Geldleistung anzubieten; die Geldleistung wird nicht automatisch Bestandteil des Angebots1. Wird die Verpflichtung zum Angebot der Geldleistung durch Vorerwerb ausgelöst, ist dies in der Angebotsunterlage mitzuteilen. Wird die Pflicht zum Angebot der Geldleistung durch Parallelerwerb ausgelöst, hat der Bieter das Angebot entsprechend zu ändern (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Die Änderung ist unverzüglich zu veröffentlichen (§ 21 Abs. 2). Außerdem werden das Rücktrittsrecht der Aktionäre (§ 21 Abs. 4) und gegebenenfalls die Verlängerung der Annahmefrist (§ 21 Abs. 5) ausgelöst. Erfolgt der Parallelerwerb ganz kurz vor Ende der Annahmefrist, so dass das Angebot nicht mehr vor Ablauf der Annahmefrist geändert werden kann, kommt analog § 21 Abs. 4 bzw. Abs. 5 die erneute Veröffentlichung des Angebots mit der geänderten Gegenleistung und einer Laufzeit von zwei Wochen in Betracht2. Wenn die Zielgesellschaft Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben hat, sind für die 94 Beantwortung der Frage, ob der Schwellenwert des § 31 Abs. 3 erreicht ist, die gegen eine Geldleistung erworbenen Stamm- und Vorzugsaktien zusammenzuzählen (siehe oben Rz. 70). Beispielsweise wäre die Schwelle des § 31 Abs. 3 erreicht, wenn der Bieter Stammaktien in Höhe von 2,5 % des Grundkapitals und Vorzugsaktien in Höhe von 2,5 % des Grundkapitals parallel gegen eine Geldleistung erwirbt. In diesem Fall wäre der Bieter verpflichtet, sowohl den Stamm- als auch den Vorzugsaktionären eine Geldleistung anzubieten (zur Höhe der Geldleistung siehe unten Rz. 97). Vereinzelt wird vertreten, dass der Bieter auch dann, wenn er die für den Vor- und Parallelerwerb relevante Schwelle nur durch den Erwerb von Aktien einer Gattung überschreitet, für alle Gattungen eine Geldleistung in Euro anbieten muss; zur Begründung wird angeführt, dass § 31 Abs. 3 nicht nach Aktiengattungen unterscheide3. Dem ist nicht zu folgen4. Die Ermittlung der Gegenleistung für verschiedene Aktiengattungen ist (außer in Fällen des § 31 Abs. 4) in § 31 nicht geregelt und muss daher unter Rückgriff auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 erfolgen; diesem ist eine deutliche Absage des Gesetzgebers an eine gattungsübergreifende Gleichbehandlung zu entnehmen (siehe oben Rz. 29 ff.). Die in § 31 Abs. 3 geforderte Addition des Vor- und Parallelerwerbs betrifft lediglich das Erreichen des Schwellenwerts, d.h. die Voraussetzung der Vorschrift. Die hier gestellte Frage betrifft jedoch die Rechtsfolgen. Im Übrigen sind die Aktionäre der Gattung, die nicht Gegenstand des Parallelerwerbs war, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht schutzbedürftig. Schließlich könnte auch die Höhe der den Aktionären dieser Gattung anzubietenden Gegenleistung nicht ermittelt werden, weil ein Vor- bzw. Parallelerwerbspreis fehlt und für andere Methoden der Ermittlung der Höhe der Gegenleistung (gleicher Preis oder gleiche Prämie wie für die Aktien der anderen Gattung, Unternehmensbewertung) keine Rechtsgrundlage besteht. Folglich muss der Bieter nur den Aktionären der Gattung, die Gegenstand des Parallelerwerbs ist, eine Geldleistung anbieten.
1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 90. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 40; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 91; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 73. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 50. Gleiches soll gelten, wenn nur eine der beiden Gattungen börsennotiert ist und der Bieter Aktien der anderen (nicht börsennotierten) Gattung erworben hat; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 50. 4 Ebenso Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 35.
Krause
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Gegenleistung
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Soweit der Bieter eine Geldleistung schuldet, hat er beim Vorerwerb gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und beim Parallelerwerb gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 21 Abs. 3 eine Bestätigung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens vorzulegen. Im Einzelfall kann der Bieter, der diese Bestätigung beschaffen muss, vor erhebliche praktische Schwierigkeiten gestellt sein1.
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Die Geldleistung ist jedenfalls als Alternative zur Wahl zu stellen; dass das Angebot ausschließlich eine Geldleistung vorsehen darf, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Schutzzweck der Vorschrift herleiten2. Hat der Bieter zunächst eine aus liquiden, börsenzugelassenen Aktien bestehende Gegenleistung angeboten und löst er durch Parallelerwerb die Verpflichtung zum Angebot einer Geldleistung aus, muss dieses Angebot neben das bestehende Tauschangebot treten, denn weder aus § 31 Abs. 3 noch aus § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lässt sich herleiten, dass der Bieter das Tauschangebot zurücknehmen darf3. Folglich können Aktionäre, die das Tauschangebot bereits angenommen haben, sich noch die Geldleistung sichern4.
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Die Höhe der anzubietenden Geldleistung bestimmt sich beim Vorerwerb nach § 4 WpÜG-AngVO. Für den Parallelerwerb ist nur der Fall geregelt, dass die im Rahmen des Parallelerwerbs gewährte oder vereinbarte Geldleistung den Wert der bisher angebotenen Sachleistung übersteigt. In diesem Fall sind die Voraussetzungen sowohl des § 31 Abs. 3 als auch des § 31 Abs. 4 erfüllt. Beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar5. Dies deswegen, weil § 31 Abs. 3 die Art der Gegenleistung und § 31 Abs. 4 die Höhe der Gegenleistung betrifft, die Vorschriften also unterschiedliche Gegenstände regeln. Nach relevantem Parallelerwerb gegen eine Geldleistung muss der Bieter zunächst auch den übrigen Aktionären eine Geldleistung anbieten. Die Erhöhung gemäß § 31 Abs. 4 tritt dagegen kraft Gesetzes ein. Übersteigt die Geldleistung für den Parallelerwerb den Wert des Tauschangebots, stellen sich zwei Fragen, nämlich ob der Bieter eine Geldleistung in gleicher Höhe bieten und, weil er nicht berechtigt ist, sein ursprüngliches Tauschangebot zurückzuziehen, sich auch das Tauschangebot entsprechend erhöht. Dies sind Fragen des § 31 Abs. 4 (siehe unten Rz. 122). Nicht geregelt ist die Höhe der Geldleistung für den Fall, dass die im Rahmen des Parallelerwerbs gezahlte Geldleistung wertmäßig hinter der im Rahmen des Tauschangebots angebotenen Sachleistung zurückbleibt. In dieser Konstellation ist dem Schutz der Aktionäre hinreichend Rechnung getragen, wenn die gemäß § 31 Abs. 3 angebotene Geldleistung mindestens die Höhe der im Rahmen des Parallelerwerbs gezahlten Gegenleistung erreicht und das (wertmäßig höhere) Tauschangebot unverändert bleibt.
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Wann die Zahlung der Geldleistung erfolgt, ist nach den Grundsätzen des § 31 Abs. 6 irrelevant. Wäre dies anders, könnte der Bieter die Rechtsfolgen des § 31 Abs. 3 ohne Schwierigkeiten vermeiden. Der unterschiedliche Wortlaut („Zahlung einer Geldleistung“ in § 31 Abs. 3, „gewährt oder vereinbart“ in § 31 Abs. 4) könnte auch die 1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 59; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 90. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 29; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 58; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 89; a.A. Land, DB 2001, 1707, 1710; Riehmer/Schröder, BB-Beil. 5/2001, S. 11. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 140; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 58; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 89. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 59. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 60, 78; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 92; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 141 (Vorrang des § 31 Abs. 3).
902 Krause
§ 31
Gegenleistung
gegenteilige Auslegung stützen, würde den Schutzzweck der Vorschriften jedoch verfehlen1.
E. Erhöhung der Gegenleistung bei Parallelerwerb (§ 31 Abs. 4) Gemäß § 31 Abs. 4 erhöht sich die geschuldete Gegenleistung von Gesetzes wegen, 99 wenn der Bieter bzw. ihm zuzurechnende Personen nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor der Veröffentlichung des Ergebnisses des Angebots Aktien der Zielgesellschaft gegen eine höhere als die im Angebot vorgesehene Gegenleistung erwerben. Diese Regelung konkretisiert den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 3 Abs. 1) und soll die Bevorzugung einzelner Aktionäre verhindern2. Die Erhöhung der geschuldeten Gegenleistung setzt voraus, dass überhaupt eine Ge- 100 genleistung geschuldet ist, d.h. ein Anspruch der Aktionäre auf die Gegenleistung besteht. Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Übernahmeangebot scheitert, etwa weil die vom Bieter ausbedungene Akzeptanzschwelle nicht erreicht wurde oder andere, vom Bieter aufgestellte Bedingungen nicht eingetreten sind3. § 31 Abs. 4 ist hingegen anwendbar, wenn der Bieter die angestrebte Kontrolle (§ 29 Abs. 2) verfehlt, das Angebot aber dennoch durchführt. Das Übernahmeangebot ist in einem solchen Fall nicht nachträglich als einfaches Erwerbsangebot zu qualifizieren, auf das § 31 keine Anwendung findet4.
I. Maßgeblicher Parallelerwerb Der Begriff des Erwerbs in § 31 Abs. 4 hat die gleiche Bedeutung wie in § 31 Abs. 3. 101 Demnach hat nicht nur der Parallelerwerb von Aktien, sondern auch von Wertpapieren, die Aktien gleichstehen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1), die Anpassung der Gegenleistung zur Folge. In Umgehungsfällen kann auch der Erwerb von Wandelschuldverschreibungen, Optionsanleihen und anderen in § 2 Abs. 2 Nr. 2 genannten Wertpapieren die vorgesehenen Rechtsfolgen auslösen (siehe oben Rz. 70). Vereinbarungen, auf deren Grundlage die Übertragung der fraglichen Wertpapiere verlangt werden kann, sind dem Erwerb gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 gleichgestellt. Der Erwerb im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an die Aktionäre und für den Erwerb des Vermögens oder von Teilen des Vermögens der Zielgesellschaft durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung bleibt analog § 31 Abs. 5 Satz 2 außer Betracht, ebenso gemäß § 31 Abs. 6 Satz 2 der Bezug neuer Aktien durch Ausübung des gesetzlichen Bezugsrechts (siehe unten Rz. 158). Außer Betracht bleibt grundsätzlich auch der mittelbare Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft. Wenn es sich bei der Gesellschaft, deren Anteile unmittelbar erworben werden, nicht um ein Akquisitionsvehikel handelt, lässt sich aus der vereinbarten bzw. gezahlten Gegenleistung im Regelfall kein Vorerwerbspreis für das Angebot an die außenstehenden Aktionäre ableiten5. Dem Erwerb durch den Bieter steht der Erwerb 1 2 3 4
Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 42. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 5959; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 75; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 100; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 75; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 129. 5 Pflichtangebot Marbert AG/Jean Pascale AG vom 26.9.2002, S. 8, 15 f.; Schulz, M&A-Review 2003, 114, 120; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 18.
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durch eine gemeinsam handelnde Person (§ 2 Abs. 5) oder deren Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) gleich. Dagegen sind Rechtsgeschäfte zwischen Angehörigen des dem Bieter zuzurechnenden Personenkreises nicht von Belang (siehe oben Rz. 72). 102 Hat die Zielgesellschaft verschiedene Aktiengattungen, erhöht sich die Gegenleistung nur für die Aktiengattung, die Gegenstand des Parallelerwerbs ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der § 31 Abs. 4 und entspricht der in § 3 Abs. 1 deutlich werdenden Absage des Gesetzgebers an eine gattungsübergreifende Gleichbehandlung (siehe oben Rz. 29 ff.). Der Erwerb von Stammaktien zu besseren Konditionen hat also nur die Erhöhung der Gegenleistung für die Stammaktien zur Folge; die für die Vorzugsaktien gebotene Gegenleistung bleibt unberührt1. 103 Für die Gleichbehandlung der Aktionäre in Bezug auf die Höhe der geschuldeten Gegenleistung ist – anders als in Bezug auf die Art der Gegenleistung (§ 31 Abs. 3) – keine Bagatellschwelle vorgesehen2. Weil mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen und deren Tochtergesellschaften dem Bieter zugerechnet werden, kann bereits der Erwerb einer einzigen Aktie durch einen Angehörigen dieses Personenkreises die Erhöhung der Gegenleistung zur Folge haben. Für den Bieter ist dies nicht unproblematisch3. Er sollte sich vor diesem Risiko durch die Einrichtung einer zentralen Stelle für das Transaktionsmanagement und durch vertragliche Vereinbarungen mit den relevanten Beteiligten schützen. Die Erhöhung der Gegenleistung tritt hingegen nicht ein, wenn die erworbenen Aktien zum Handelsbestand gehören und die BaFin den Bieter von der Berücksichtigung des Handelsbestands für Zwecke des § 31 Abs. 4 befreit hat (§ 20 Abs. 1). 104 Die Rechtsfolgen des § 31 Abs. 4 werden nur durch Erwerbsvorgänge außerhalb des öffentlichen Angebots ausgelöst4. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nur indirekt, folgt aber auch aus der Systematik des Gesetzes (insbesondere § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). Aus der Sicht der Aktionäre, die das Angebot bereits angenommen haben, ergibt sich damit folgende (paradox erscheinende) Situation: Tätigt der Bieter Parallelerwerbe außerhalb des Angebots, erhalten sie die erhöhte Gegenleistung automatisch, weil sich die Gegenleistung von Rechts wegen erhöht (§ 31 Abs. 4). Ändert der Bieter dagegen das Angebot, indem er eine höhere Gegenleistung anbietet, müssen sie gemäß § 21 Abs. 4 vom zustande gekommenen Vertrag zurücktreten, um dann das erhöhte Angebot anzunehmen. Weil der Bieter nicht zu einer wertmäßig höheren als der im Angebot genannten Gegenleistung erwirbt, hat die Änderung des Angebots gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 keine automatische Anpassung gemäß § 31 Abs. 4 zur Folge, selbst wenn nach der Änderung des Angebots neue Kaufverträge zwischen dem Bieter und weiteren Aktionären zustande kommen. 105 Wenn das Angebot neben der Pflichtgegenleistung eine ökonomisch besonders attraktiv ausgestaltete Wahlgegenleistung vorsieht und sich einzelne Aktionäre entscheiden, ihre Aktien gegen die attraktivere Wahlgegenleistung zu veräußern, führt
1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 95. 2 Sie wurde, soweit ersichtlich, im Gesetzgebungsverfahren auch nicht gefordert; vgl. etwa DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; Börsensachverständigenkommission, Standpunkte, S. 19. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 62; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 94; dagegen DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 421 („vertretbar“). 4 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 143; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 76.
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dies nicht zu einer automatischen Erhöhung der Pflichtgegenleistung1. Wäre dies anders, wäre es für den Bieter sinnlos, verschieden attraktive Gegenleistungen anzubieten; ihm würde damit eine legitime Gestaltungsmöglichkeit genommen, ohne dass ein Schutzbedürfnis für die Aktionäre erkennbar wäre.
II. Referenzperiode Die für Zwecke des § 31 Abs. 4 maßgebliche Referenzperiode beginnt mit der Ver- 106 öffentlichung der Angebotsunterlage. Weil die Veröffentlichung durch Bekanntgabe im Internet und im Bundesanzeiger bzw. im Wege der Schalterpublizität zu erfolgen hat (§ 14 Abs. 3 Satz 1), ist die spätere Veröffentlichung für den Fristbeginn maßgeblich2. Verstößt der Bieter gegen die Pflicht, die Angebotsunterlage unverzüglich zu veröffentlichen, stellt sich die Frage, ob er sich für Zwecke des § 31 Abs. 4 so behandeln lassen muss, als hätte er sie unverzüglich veröffentlicht3, oder ob sich die Referenzperiode nach der (verspäteten) tatsächlichen Veröffentlichung des Kontrollerwerbs bzw. der Angebotsunterlage bestimmt. Letzteres entspricht der Verwaltungspraxis der BaFin4. Für diese Auffassung spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der an die tatsächliche Veröffentlichung anknüpft. Auch der Wortlaut der anderen Gleichbehandlungspflichten im System des § 31 und der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO knüpft an die jeweils maßgebliche tatsächliche Veröffentlichung an5. Schutzzweckerwägungen sprechen nicht zwingend dafür, auf einen anderen Zeitpunkt als den Tag der tatsächlichen Veröffentlichung abzustellen, denn die Anknüpfung an den Termin, zu dem der Bieter hätte veröffentlichen müssen, kann sich auch zum Nachteil der Aktionäre der Zielgesellschaft auswirken: Wenn nämlich der Börsenkurs nach diesem Zeitpunkt ansteigt, stehen die außenstehenden Aktionäre schlechter6. Im Übrigen erscheint es ausreichend, wenn die BaFin einer vorsätzlichen Verzögerung des Pflichtangebots im Rahmen ihrer Missstandsaufsicht nach § 4 Abs. 1 Satz 3 begegnet7 und ggf. dem Bieter auferlegt, neben dem ordnungsgemäß errechneten Pflichtangebotspreis den Aktionären eine Kompensation für den vorsätzlich herbeigeführten Nachteil anzubieten8. Daher ist nicht zu erkennen, weswegen § 31 Abs. 4 über eine Anknüpfung an den für die Aktionäre günstigsten zeitlichen Anknüpfungspunkt sanktionsähnlichen Charakter bekommen müsste9. Zum Ganzen siehe auch § 5 WpÜG-AngVO Rz. 10a. Hieraus folgt eine gewisse Überlappung mit § 4 WpÜG-AngVO, der den Wertpapiererwerb vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage erfasst. Erwerbsvorgänge im Zeitraum zwischen der Gestattung der Veröffentlichung der Angebotsunterlage durch die BaFin (§ 14 Abs. 2 Satz 1) und der späteren der beiden Veröffentlichungen 1 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 97. 2 Noch zu § 14 Abs. 3 a.F.: Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 49; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 116; a.A. Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 262. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 63. 4 Pflichtangebot Thüga Holding GmbH & Co. KGaA/Mainova Aktiengesellschaft vom 18.3.2010, S. 27. 5 von Falkenhausen, NZG 2010, 1213, 1214; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 138. 6 von Falkenhausen, NZG 2010, 1213, 1214. 7 Zutr. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 47; Marsch-Barner in Baums/ Thoma, § 31 Rz. 86. 8 von Falkenhausen, NZG 2010, 1213, 1215; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 138. 9 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 138.
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gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1, die grundsätzlich von § 4 WpÜG-AngVO erfasst sind, aber in der schon „freigegebenen“ Angebotsunterlage nicht mehr berücksichtigt werden können, müssten analog § 31 Abs. 4 eine automatische Erhöhung der geschuldeten Gegenleistung zur Folge haben. 107 Die für Zwecke des § 31 Abs. 4 maßgebliche Referenzperiode endet mit der Veröffentlichung des Ergebnisses gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 21. Die Veröffentlichung des Ergebnisses ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 im Internet und einem überregionalen Börsenpflichtblatt vorzunehmen. Erfolgen diese Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, ist der spätere Zeitpunkt maßgeblich. Ein Wertpapiererwerb nach Veröffentlichung des Ergebnisses, etwa während der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2, fällt in den Anwendungsbereich des § 31 Abs. 5.
III. Höhere Gegenleistung 108 Die Erhöhung der Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 4 setzt voraus, dass eine wertmäßig höhere Gegenleistung gewährt oder vereinbart wurde. Für das Gewähren genügt es, wenn die Gegenleistung freiwillig, d.h. ohne wirksame Vereinbarung erbracht wird. Im Übrigen ist ein Wertvergleich zwischen der Gegenleistung des Parallelerwerbs und der Gegenleistung im Rahmen des Angebots anzustellen. Haben innerhalb des Referenzzeitraums mehrere Parallelerwerbe gegen unterschiedliche Gegenleistungen stattgefunden, ist die höchste Gegenleistung heranzuziehen2. 1. Wertvergleich 109 Der Wertvergleich ist einfach, wenn beide Leistungen Geldleistungen sind und auf Euro lauten. Erfolgt der Parallelerwerb gegen eine Geldleistung in anderer Währung, ist diese zum Umrechnungskurs im Zeitpunkt des Parallelerwerbs in Euro umzurechnen3. 110 Sind die zu vergleichenden Gegenleistungen unterschiedlicher Art, stellt sich die Frage, wie diese Gegenleistungen zu vergleichen sind. Sieht das Angebot etwa eine Geldleistung vor und besteht die Gegenleistung des Parallelgeschäfts in einer Sachleistung (z.B. Aktien), ist der Wert dieser Sachleistung im Zeitpunkt der Vereinbarung bzw. Gewährung maßgeblich. Bei börsennotierten Wertpapieren ist nicht der analog §§ 5 ff. WpÜG-AngVO gewichtete Durchschnittskurs, sondern deren Börsenkurs im Zeitpunkt der Vereinbarung oder, wenn eine Vereinbarung fehlt, im Zeitpunkt der Gewährung zugrunde zu legen4; anderenfalls bestünden Arbitragemöglichkeiten, durch deren Nutzung der Schutzzweck des § 31 Abs. 4 unterlaufen werden 1 Die Referenzperiode für die Höhe der Gegenleistung (Veröffentlichung des Ergebnisses) endet also zu einem späteren Zeitpunkt als die Referenzperiode für die Art der Gegenleistung (Ablauf der Annahmefrist). 2 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 98. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 66; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 124; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 98. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 70; a.A. Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 81; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 87; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 125; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 76, 33; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1983; (Durchschnittspreise gemäß §§ 5, 6 i.V.m. § 7 WpÜG-AngVO auch bei Parallelerwerb maßgeblich); ebenso Marsch-Barner in Baums/ Thoma, § 31 Rz. 98.
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könnte. Erfolgen Vereinbarung und Gewährung im Parallelerwerbszeitraum, liegen zwei Parallelerwerbstatbestände vor mit der Folge, dass ggf. der höhere der beiden Börsenkurse maßgeblich ist1. Bei nicht börsennotierten Wertpapieren ist der nach allgemein anerkannten Bewertungsmethoden, ggf. nach Durchführung einer Unternehmensbewertung, ermittelte Verkehrswert anzusetzen2. Sieht das Angebot eine Sachleistung vor und besteht die Gegenleistung des Parallelgeschäfts in einer Geldleistung (etwa weil der Bieter, ohne die 5 %-Schwelle des § 31 Abs. 3 zu überschreiten, Aktien der Zielgesellschaft an der Börse erwirbt), ist nach dem gleichen Prinzip der Wert der im Angebot vorgesehenen Sachleistung im Zeitpunkt der Vornahme des Parallelgeschäfts zu bestimmen und mit der Geldleistung des Parallelgeschäfts zu vergleichen. Stellt das Angebot mehr als eine Pflichtgegenleistung zur Wahl (etwa eine Geldleis- 111 tung in Euro einerseits und liquide börsenzugelassene Aktien andererseits), ist diejenige Gegenleistung in den Wertvergleich einzubeziehen, die der Art der Gegenleitung des Parallelerwerbs entspricht bzw. ihrer Art am nächsten kommt3. Hat der Bieter eine von zwei zur Wahl gestellten Gegenleistungsalternativen in der Angebotsunterlage als Wahlgegenleistung gekennzeichnet (oder ergibt sich dies durch Auslegung der in der Angebotsunterlage enthaltenen Erklärungen), verbleibt es bei der Anpassung der Pflichtgegenleistung, weil die Wahlgegenleistung in § 31 nicht geregelt ist. 2. Zeitpunkt Der relevante Zeitpunkt für den Wertvergleich ist der Zeitpunkt, zu dem die Gegenleistung für den Parallelerwerb gewährt oder vereinbart wird. Wird während des maßgeblichen Zeitraumes eine Gegenleistung sowohl vereinbart als auch gewährt, erfüllen beide Sachverhalte die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4. Erfolgen die Vereinbarung und die Gewährung zu verschiedenen Zeitpunkten, soll der Wertvergleich zu beiden Zeitpunkten vorzunehmen sein4; konsequenterweise müsste dann der höhere der beiden Werte maßgeblich sein.
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3. Hauptleistung und Nebenleistungen Die Normalfälle der wertmäßig höheren Gegenleistung sind Kaufpreise bzw. Um- 113 tauschverhältnisse, die den Wert des Angebots übersteigen. In diesen Fällen übersteigt die Hauptleistung beim Parallelerwerb die Hauptleistung im Rahmen des Angebots. Die Gegenleistung des Parallelerwerbs kann die Gegenleistung des Angebots über- 114 steigen, weil der Bieter im Zuge des Parallelerwerbs Nebenleistungen vereinbart bzw. gewährt, die im Angebot nicht vorgesehen sind5. Dies können die verschiedensten 1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 70. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 70. 3 A.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 65, 77 (wertmäßig höchste Gegenleistung maßgeblich); noch anders Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 65 (§ 31 Abs. 4 auf beide Pflichtgegenleistungen anwendbar). 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 51; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 67; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 99. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 68; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/ Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 128; offenbar a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 122.
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Vorteile sein: die Gewährung von Sicherheiten oder Sachleistungen, die Vereinbarung eines variablen, von bestimmten Parametern abhängigen Kaufpreises (etwa bei earn out-Gestaltungen)1, die Einräumung von Optionen, oder etwa das Versprechen, dem Verkäufer die Preisdifferenz zwischen dem vereinbarten Preis und dem Preis eines späteren konkurrierenden Angebots zu vergüten, sofern die Adressaten des konkurrierenden Angebots ihre Aktien an den konkurrierenden Bieter veräußern können. Nebenleistungen, die der Bieter für den Erwerb der Aktien erbracht hat, sind werterhöhend zu berücksichtigen. Leistungen, die der Verkäufer über die Veräußerung der Aktien hinaus erbringt (Gewährleistungen, Stellung von Sicherheiten), wirken dagegen wertmindernd; ihr Wert ist vom Kaufpreis abzuziehen, bevor der Wertvergleich zwischen der Gegenleistung des Parallelerwerbs und der Gegenleistung im Rahmen des Angebots vorgenommen wird2. 115 Die vom Bieter bzw. Verkäufer erbrachten Nebenleistungen fließen nur dann in den Wert der gewährten bzw. vereinbarten Gegenleistung ein, wenn sie mit dem Parallelerwerb in einem Gesamtaustauschzusammenhang stehen3. Dies kann im Fall einer Koppelungsabrede oder bei engem zeitlichen und funktionalen Zusammenhang des Parallelerwerbs und der zusätzlichen Leistungen der Fall sein. Ob bereits jeder sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen den zusätzlichen Leistungen und dem Parallelerwerb die Vermutung für einen Gesamtaustauschzusammenhang begründet4, ist zweifelhaft. Vielmehr kommt es darauf an, welche Leistungselemente ein Gegenseitigkeitsverhältnis bilden. Die bei Übernahmen durch Finanzinvestoren üblichen Anreize für das Top-Management (etwa eine Rückbeteiligung am Akquisitionsvehikel) stehen regelmäßig mit der mittelfristigen Fortsetzung der Tätigkeit für die Zielgesellschaft im Gegenseitigkeitsverhältnis. Sind die betroffenen Manager Aktionäre der Zielgesellschaft, wird der Gesamtaustauschzusammenhang zwischen den Leistungen im Rahmen der Management Incentives und des Übernahmeangebots im Regelfall noch nicht allein dadurch begründet, dass die betroffenen Manager mit dem Bieter vereinbaren, die von ihnen gehaltenen Aktien durch Annahme oder außerhalb des öffentlichen Angebots an den Bieter zu veräußern. 116 Soweit derartige zusätzliche Leistungen in den Wert der Gegenleistung einfließen, ist ihre Bewertung erforderlich5. Es empfiehlt sich, einen unabhängigen Gutachter einzuschalten6. Gleichwohl wird die Bewertung in vielen Fällen auf praktische Schwierigkeiten stoßen. Daher sollte bei der Gestaltung der zusätzlichen Leistungen des Bieters bzw. des Verkäufers Zurückhaltung walten.
1 Zu Earn out-Klauseln Tominski/Kuthe, BKR 2004, 10, 15 f.; Tuttlies/Bredow, BB 2008, 911 ff.; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 129 ff.; Gei/Kiesewetter, AG 2012, 741, 741 f. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG § 31 Rz. 71; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 29; Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 128; ähnlich Schulz, M&A-Review 2003, 114, 119 f.; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 35b (kein Abschlag auf Mindestpreis bei vertraglich vereinbarten Gewährleistungen; anders aber bei gesetzlichen Gewährleistungen des Paketverkäufers). 3 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 128; a.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 72 (Berücksichtigung von Nebenleistungen nur bei Umgehung). 4 So noch Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 1. Aufl. 2003, § 31 Rz. 70. 5 Dazu ausführlich im Hinblick auf earn out-Gestaltungen in Kopplungsabreden Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 129 f. 6 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 129.
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4. Gegenleistung des Parallelgeschäfts Die Gegenleistung, die die Rechtsfolgen des § 31 Abs. 4 auslöst, muss gewährt oder 117 vereinbart sein. Wenn die Gegenleistung während der Referenzperiode vereinbart wird, ist grundsätzlich unerheblich, wann sie erbracht wird. Wenn die Fälligkeit der Gegenleistung auf einen deutlich in der Zukunft liegenden Zeitpunkt hinausgeschoben worden ist, ist sie unter Verwendung eines angemessenen Zinssatzes auf den Gegenwartswert abzuzinsen1. Im Wortlaut des § 31 Abs. 4 findet dies insoweit eine Stütze, als er nicht auf die absolute Höhe, sondern den Wert der Gegenleistung abstellt. An anderer Stelle lassen allerdings das Gesetz und die WpÜG-Angebotsverordnung Zinseffekte, die zwischen dem Beginn des Vorerwerbszeitraumes und der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 4 WpÜG-AngVO) bzw. dem Beginn und dem Ende des Nacherwerbszeitraums (§ 31 Abs. 5) eintreten könnten, unberücksichtigt. Der Sinn und Zweck dieser Regelungen erschöpft sich jedoch in der Vereinfachung des Preisvergleichs. Ein allgemeines Prinzip der Außerachtlassung von Zinseffekten zwischen dem Beginn der Vorerwerbsfrist und dem Ende der Nacherwerbsfrist lässt sich hieraus nicht herleiten. Für die Abzinsung spricht auch, dass § 31 Abs. 4 die gleiche Behandlung der Aktionäre der Zielgesellschaft bezweckt. Ohne Abzinsung würden Aktionäre, die im Zuge des Angebots verkaufen, eine wertmäßig höhere Gegenleistung erhalten als der Partner des Parallelerwerbsgeschäfts. Dies ist durch den Gleichbehandlungszweck des § 31 Abs. 4 nicht geboten. Ist die Höhe der Gegenleistung von Parametern abhängig, deren Werte sich erst in 118 der Zukunft ermitteln lassen (etwa auf der Grundlage einer Kaufpreisanpassungsklausel, bei earn out-Gestaltungen oder bei vereinbarter Mehrerlösabführung), soll der gemäß § 31 Abs. 4 geschuldete Differenzbetrag erst dann fällig werden, wenn der Wert der Gegenleistung des Parallelgeschäfts feststeht2. Nach anderer Auffassung sollen diese variablen Komponenten unberücksichtigt bleiben3. Nach einer dritten Auffassung sei zu unterstellen, dass der vereinbarte earn out vollumfänglich erfüllt wird – mit der Folge, dass der vollständige Differenzbetrag unmittelbar mit der Veröffentlichung des Parallelerwerbs fällig wird. Eine vierte Auffassung schließlich will die Zusatzkomponenten nach anerkannten betriebswirtschaftlichen Methoden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage bewerten und die Gegenleistung ggf. entsprechend erhöhen4. Die erste Auffassung kann am ehesten überzeugen. Ihr Ergebnis ist einzelfallgerecht, wenngleich wenig praktikabel (je nach Ausgestaltung des Parallelgeschäfts kann sie eine Nachzahlung erst nach mehreren Jahren zur Folge haben). Dieser Ansatz entspricht der Praxis der BaFin beim Vorerwerb (siehe § 4 WpÜG-AngVO Rz. 18a). Die von der zweiten Auffassung favorisierte Nichtberücksichtigung der variablen Komponenten ist mit dem Gleichbehandlungsprinzip nicht vereinbar. Die dritte Auffassung behandelt den Bieter ungleich und steht damit ebenfalls im Widerspruch zum übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsprinzip. Die vierte Auffassung versucht Praktikabilität und Einzelfallgerechtigkeit miteinander zu verbinden, birgt aber das Risiko, dass entweder der Bieter im Rahmen des Angebots zuviel bezahlt (etwa wenn die Voraussetzungen für die Auszahlung des earn 1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 51; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 69; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 99. 2 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 52; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 81. 3 Süßmann, WM 2003, 1453, 1461 f. 4 Vgl. für den Vorerwerb: Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, Anh. § 31, § 4 WpÜGAngVO Rz. 15; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 98; Tominski/Kuthe, BKR 2004, 10, 16.
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out nicht eintreten) oder die Aktionäre zuwenig erhalten (etwa wenn der als earn out ausgezahlte Betrag die der Bewertung zugrunde liegenden Annahmen übersteigt)1. Entsprechend der BaFin-Praxis zum Vorerwerb ist in Veröffentlichungen gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 auf earn out-Gestaltungen in Kaufverträgen, die parallel zum Angebot abgeschlossen oder (ganz oder teilweise) erfüllt werden, hinzuweisen. Sind die Voraussetzungen für einen Nachzahlungsanspruch aufgrund der earn outRegelung eingetreten, ist dies analog § 23 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 unverzüglich zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen. Wie bei der Abwicklung des Angebots hat der Bieter den Differenzbetrag zum Angebotspreis innerhalb von fünf bis maximal zehn Bankarbeitstagen an die Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, auszuzahlen. Der Bieter erfüllt seine Nachzahlungspflicht, wenn er den Betrag an die Depotbanken überweist, an die die Gegenleistung im Rahmen der Abwicklung des Angebots überwiesen wurde; ihn trifft keine Nachforschungspflicht. 119 Besteht die Gegenleistung des Parallelgeschäfts in einer Sachleistung (z.B. Aktien), ist – wenn nicht die im Angebot vorgesehene Gegenleistung in einer Sachleistung gleicher Gattung besteht – der Wert dieser Sachleistung im Zeitpunkt der Vereinbarung bzw. Gewährung maßgeblich (siehe oben Rz. 110)2.
IV. Rechtsfolge 120 Die Rechtsfolge des § 31 Abs. 4 besteht darin, dass sich die „geschuldete Gegenleistung wertmäßig um den Unterschiedsbetrag“ erhöht. Die Erhöhung erfolgt kraft Gesetzes, ohne dass hierfür eine Veröffentlichung oder andere Maßnahmen des Bieters (etwa die Änderung des Angebots gemäß § 21) erforderlich wären3. Ob und wann der Bieter dieser Pflicht nachkommt, ist für den Eintritt der Rechtsfolge des § 31 Abs. 4 ohne Belang4. Folglich wird die erhöhte Gegenleistung Bestandteil aller durch Annahme des Angebots zustande gekommenen und noch zustande kommenden Kaufbzw. Tauschverträge5. Mangels gesetzlicher Anordnung ist der Bieter nicht verpflichtet, eine Finanzierungsbestätigung (§ 13 Abs. 1 Satz 2) über den Erhöhungsbetrag einzureichen6. 121 Gemäß § 31 Abs. 4 ändert sich nur der Wert, nicht jedoch die Art der Gegenleistung; die Art der Gegenleistung bestimmt sich allein gemäß § 31 Abs. 2 und 37. Die im 1 Vgl. für den Vorerwerb: Tuttlies/Bredow, BB 2008, 911, 912 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 35a. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 70; a.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 98; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 87; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 125; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 76, 33. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 53; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 91; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 101; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 147; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77c; a.A. Rothenfußer/FrieseDormann/Rieger, AG 2007, 137, 150 ff.; dagegen Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 150; noch anders Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 39. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 76; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 101; a.A. Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 39. 5 Oechsler, NZG 2001, 817, 825; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 53; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 129; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 100. 6 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 100; a.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 37. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56.
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Rahmen des Angebots geschuldete Gegenleistung erhöht sich um den Betrag, um den die höhere Gegenleistung des Parallelerwerbs die im Angebot genannte Gegenleistung übersteigt1. Sieht das Angebot eine Geldleistung vor, ist der gemäß § 31 Abs. 4 geschuldete Erhöhungsbetrag in Geld zu leisten. Besteht die Gegenleistung in liquiden, börsenzugelassenen Aktien, ist der Bieter – anders als gemäß § 31 Abs. 5 im Fall des Nacherwerbs – nicht zur Vergütung der Differenz in Geld, sondern grundsätzlich zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses verpflichtet2. In vielen Fällen wird es für den Bieter jedoch schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein, die Preisdifferenz durch eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses zu vergüten, etwa weil Bruchteile von Aktien zu liefern wären oder weil der Bieter durch die Generierung der für die Anpassung erforderlichen neuen Aktien die ihm durch Gesetz und Satzung auferlegten Volumengrenzen für Kapitalmaßnahmen3 sprengen würde. In diesen Fällen bleibt dem Bieter nichts anderes übrig, als den Erhöhungsbetrag in Form einer Geldleistung zu erbringen. Hierzu ist er – ohne dass es darauf ankäme, ob ihm die Nachbesserung durch liquide, börsenzugelassene Aktien unmöglich ist – auch berechtigt4. Diese Ersetzungsbefugnis wird vom Wortlaut des § 31 Abs. 4 getragen und ist vom Schutzzweck des § 31 gedeckt: Insbesondere § 31 Abs. 3 ist zu entnehmen, dass die Aktionäre durch die Zahlung einer Geldleistung eher besser gestellt als benachteiligt sind5. Eine Änderung des Angebots analog § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 2 ist nicht erforderlich6. Sieht das Angebot alternative Gegenleistungen vor, ist zu unterscheiden: Sieht das 122 Angebot verschiedene Pflichtgegenleistungen vor (d.h. eine Geldleistung in Euro, liquide Aktien oder eine Kombination dieser Elemente), erhöht sich die Pflichtgegenleistung, die der Gegenleistung des Parallelerwerbs ihrer Art nach am nächsten kommt (siehe oben Rz. 111)7. Freiwillige Gegenleistungen, die neben einer Pflichtgegenleistung angeboten werden, sind in § 31 nicht geregelt und erhöhen sich dementsprechend nicht8. Die Vorschriften des § 31 Abs. 3 und Abs. 4 sind nebeneinander anwendbar (siehe 123 oben Rz. 97). Hat der Bieter ein Tauschangebot abgegeben, erwirbt er parallel 5 % oder mehr der Aktien oder Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen eine Geldleistung, und gewährt oder vereinbart er im Rahmen eines derartigen Erwerbsvorgangs eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung, ergibt sich Folgendes: Gemäß § 31 Abs. 3 ist der Bieter verpflichtet, das Angebot um die Alternative einer Geldleistung in Euro zu ergänzen. Entsprechend § 31 Abs. 4 muss der Wert der anzubietenden Geldleistung mindestens dem Wert der höchsten, im Rahmen des Parallel1 2 3 4
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Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 76. Hierzu eingehend Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657. Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 300; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 130; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77; Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1980; a.A. (keine Ersetzungsbefugnis) Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77b. Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 300; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77. A.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 102. A.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77b (beide Pflichtgegenleistungen erhöhen sich); Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77; Noack in Schwark/ Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 29 (alle Gegenleistungen, einschließlich etwaiger Wahlgegenleistung, erhöhen sich). Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 77; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 42.
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erwerbs vereinbarten oder gewährten Gegenleistung entsprechen. Das ursprüngliche Tauschangebot ist aufrechtzuerhalten1. Es erhöht sich gemäß § 31 Abs. 4 kraft Gesetzes; der Bieter ist berechtigt, den Differenzbetrag durch eine Geldleistung auszugleichen (siehe oben Rz. 121). Hiernach müsste der Bieter – anders als wenn er von Anfang an zwei Pflichtgegenleistungen angeboten hätte (siehe oben Rz. 122) – beide Pflichtgegenleistungen an den Preis des Parallelerwerbs anpassen. Die Erhöhung des Tauschangebots erscheint zum Schutz der Aktionäre nicht erforderlich. Ob insoweit eine teleologische Reduktion des § 31 Abs. 4 möglich ist, ist offen. 124 Die Fälligkeit des Erhöhungsbetrags folgt der Fälligkeit der ursprünglich angebotenen Gegenleistung2. Grundsätzlich kann jeder Aktionär die Erfüllung verweigern, solange der Erhöhungsbetrag bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig gezahlt wird3. In der Praxis dürfte es eher die Ausnahme bleiben, dass der Aktionär hiervon rechtzeitig erfährt, um die Ausbuchung der angedienten Aktien aus seinem Wertpapierdepot zu verhindern. Wenn der Aktionär rechtzeitig von der Nichtleistung bzw. der nicht vollständigen Leistung Kenntnis erhält und die Übereignung seiner Aktien an den Bieter nicht verhindert, ist dies nicht als Verzicht auf seine Rechte zu werten4. 125 Gerät der Bieter mit der Zahlung des Erhöhungsbetrages in Verzug, ist dieser Betrag nach allgemeinen Grundsätzen (§ 288 BGB) zu verzinsen. § 38 findet keine Anwendung.
V. Veröffentlichung und Durchsetzung 126 Die Anpassung der Gegenleistung ist verfahrenstechnisch dadurch abgesichert, dass der Bieter den Parallelerwerb unter Angabe der Art und Höhe der für jede Aktie gewährten Gegenleistung gemäß § 23 Abs. 2 zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen hat5. 127 Bei Pflichtangeboten gilt dies ohne weitere Voraussetzungen. Bei Übernahmeangeboten ist eine Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 2 erst geschuldet, wenn der Bieter die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat. Weil in der Praxis die Aktionäre zusammen mit der Annahme des Kauf- bzw. Tauschangebots auch die ihrerseits erforderlichen Erklärungen für die dingliche Übertragung ihrer Aktien abgeben und folglich der Bieter die ihm angedienten Aktien durch eine Willenserklärung erwerben kann (§ 30 Abs. 1 Nr. 5), erlangt er die Kontrolle zu dem Zeitpunkt, zu dem er unter Berücksichtigung der von ihm und von mit ihm zusammenwirkenden Personen (§ 2 Abs. 5) und deren Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) gehaltenen Aktien aufgrund der Annahmeerklärungen die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 überschreitet. Weil die Anpassung der Gegenleistung unabhängig davon erfolgt, ob der Bieter die Kontrolle
1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 78; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 141. 2 So auch Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 43. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 79. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 79. 5 Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 76; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 53; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 85, 98; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 103; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 113, 146; abw.: Neumann/Ogorek, BB 2010, 1297, 1299 ff. (analoge Anwendung des § 23 Abs. 2, falls Bieter keine Kontrolle erlangt hat); a.A. Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 37; Oechsler, NZG 2001, 817, 826; Berrar, ZBB 2002, 174, 179 (Veröffentlichung gemäß § 21 Abs. 2 analog).
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erlangt hat (siehe oben Rz. 100), besteht hier unter Umständen eine Transparenzlücke. Ob die Veröffentlichungen gemäß § 23 Abs. 2 die Aktionäre der Zielgesellschaft in 128 die Lage versetzen, eine Erhöhung der Gegenleistung zu erkennen, ist zweifelhaft. Dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass der Bieter über die Angaben zu Art und Umfang der Gegenleistung hinaus zur Mitteilung der Erhöhung der Gegenleistung verpflichtet wäre1. Jeder Aktionär, der das Angebot angenommen hat, aber nicht die gemäß § 31 Abs. 4 129 erhöhte Gegenleistung erhält, kann diese Differenz durch Leistungsklage (oder Feststellungsklage) geltend machen. Die vorbehaltlose Annahme des Angebots durch den Aktionär ist nicht als Verzicht auf den Erhöhungsbetrag auszulegen2.
F. Pflicht zur Nachzahlung des Differenzbetrags bei Nacherwerb (§ 31 Abs. 5) Gemäß § 31 Abs. 5 entsteht eine Nachzahlungspflicht, wenn der Bieter bzw. mit ihm 130 gemeinsam handelnde Personen (§ 2 Abs. 5) oder deren Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung des Ergebnisses des Angebots Aktien der Zielgesellschaft gegen eine höhere als die im Angebot vorgesehene Gegenleistung außerbörslich erwerben. Die Regelung konkretisiert den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 3 Abs. 1) und ergänzt die Vorschriften über den Vorerwerb (§ 4 WpÜG-AngVO) und den Parallelerwerb (§ 31 Abs. 4). Die Gleichbehandlungspflicht im Nacherwerbszeitraum soll Umgehungsgestaltungen verhindern, die den Aktienerwerb bis nach der Abwicklung des Angebots aufschieben3. Im Gegensatz zu den Fällen des Parallel- und Vorerwerbs ist die Nachzahlung stets in Form einer Geldleistung in Euro zu erbringen. Die Nachzahlungspflicht setzt nicht nur voraus, dass das Angebot angenommen 131 wurde, sondern auch, dass es – gegebenenfalls nach Eintritt der vom Bieter festgelegten Bedingungen – wirksam geworden ist4. Ein Erfolg im Sinne der Kontrollerlangung ist nicht erforderlich5.
I. Maßgeblicher Nacherwerb Der Begriff des Erwerbs in § 31 Abs. 5 hat die gleiche Bedeutung wie in § 31 Abs. 3 132 und 4 (siehe oben Rz. 69 ff., 101). Für den Nacherwerb im Zusammenhang mit bestimmten Strukturmaßnahmen (§ 31 Abs. 5 Satz 2) und die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung (§ 31 Abs. 6 Satz 2) sind Ausnahmen von der Nachzahlungspflicht vorgesehen. Ebenso wenig erfasst ist der Erwerb
1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 103. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 79; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 104. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Kritisch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 770; Schüppen, WPg 2001, 958, 969 f. 4 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 59; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 97. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 91; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 113.
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im Rahmen des Handelsbestands, wenn die BaFin den Bieter von der Berücksichtigung des Handelsbestands für Zwecke des § 31 Abs. 5 befreit hat (§ 20 Abs. 1). 133 Nur außerbörslicher Erwerb verpflichtet zur Nachzahlung. Hierdurch sollen übermäßige Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten des Bieters nach Abschluss des Angebotsverfahrens vermieden werden (etwa der Erwerb der bis zum Erreichen der 95 %-Schwelle des § 327a Abs. 1 AktG noch fehlenden Aktien bei generell ansteigendem Kursniveau)1. Diese Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wurde vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Für den Erwerb von Bezugsrechten gilt dies sinngemäß2. 134 Ob Geschäfte, die von systematischen Internalisierern gemäß §§ 32 ff. WpHG abgewickelt werden, zum relevanten Nacherwerb zählen, ist zweifelhaft. Sie sind keine Börsengeschäfte und führen nicht zu Börsenpreisen im Sinne des § 24 Abs. 1 BörsG. Nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 5 Satz 1 wären sie relevanter Nacherwerb. Da systematische Internalisierer jedoch gemäß § 32a Abs. 1 WpHG sicherstellen müssen, dass die von ihnen gestellten Quotes die vorherrschenden Marktbedingungen widerspiegeln müssen (und damit quasi denselben materiellen Kriterien genügen müssen, unter denen Börsenpreise zustande kommen), wäre es sachgerecht, diese Geschäfte wie Börsengeschäfte zu behandeln und für Zwecke des § 31 Abs. 5 Satz 1 unberücksichtigt zu lassen. 134a
Ob bei aufeinander folgenden Übernahme- und Pflichtangeboten desselben Bieters die Gegenleistung des zweiten Angebots einen im Zusammenhang mit dem ersten Angebot maßgeblichen Nacherwerb darstellt, ist zweifelhaft. Der Wortlaut spricht dafür; der Schutzzweck spricht dagegen3.
135 Erwirbt der Bieter außerhalb der Börse Aktien der Zielgesellschaft zu einem Preis, der den aktuellen Börsenkurs nicht übersteigt, stellt sich die Frage, ob über den Wortlaut des § 31 Abs. 5 hinaus auch solche Geschäfte von der Geltung der Vorschrift ausgenommen sein sollen. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Bevorzugung einzelner Aktionäre beim anonymen Erwerb über die Börse – anders als beim außerbörslichen Erwerb auf der Grundlage von Vereinbarungen mit bestimmten Aktionären – nicht stattfinden kann. Diese abstrakt-generelle Abgrenzung geht jedoch über das hinaus, was zur Gewährleistung der Gleichbehandlung der Aktionäre erforderlich ist. Der Zweck der Privilegierung des börslichen Erwerbs besteht darin, dem Bieter weitere Zukäufe zu ermöglichen, wenn ein durch die Kräfte von Angebot und Nachfrage gebildeter Marktpreis feststeht und die gewährte Gegenleistung diesen Marktpreis nicht übersteigt. Die Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, stehen damit nicht schlechter, als wenn der Nacherwerb über die Börse abgewickelt worden wäre. Folglich wäre eine entsprechende teleologische Reduktion des § 31 Abs. 5 vorzunehmen4.
1 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 14/7477, S. 53; RefE und RegE hatten die Beschränkung auf den außerbörslichen Erwerb noch nicht vorgesehen; daher krit. DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428; DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006. 2 J. Vetter, AG 2003, 478, 483; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 106. 3 Wasse, AG 2012, 784, 787 f. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 90; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 31 Rz. 41; a.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 110.
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Trotz der im Gesetzgebungsverfahren vorgetragenen Kritik1 ist für den Nacherwerb 136 keine Bagatellschwelle vorgesehen. Folglich kann die Nachzahlungspflicht bereits durch den außerbörslichen Erwerb einer einzigen Aktie durch den Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person (§ 2 Abs. 5) oder deren Tochterunternehmen (§ 2 Abs. 6) ausgelöst werden2. Ob eine Person, die während des Nacherwerbszeitraumes Aktien der Zielgesellschaft erwirbt, zum Zurechnungskreis gehört, bestimmt sich im Zeitpunkt des Nacherwerbs3. Diese relativ strenge Regelung bedeutet für den Bieter ein Risiko, weil die Zurechnung des Aktienerwerbs Dritter nicht voraussetzt, dass der Bieter diesen Erwerb veranlasst hat und eine Befreiung von der Nachzahlungspflicht durch die BaFin ähnlich der Befreiung vom Pflichtangebot bei versehentlichem Überschreiten der Kontrollschwelle gemäß § 9 Satz 1 Nr. 6 WpÜGAngVO im Gesetz nicht vorgesehen ist4. Die organisatorischen Möglichkeiten des Bieters, diesem Risiko vorzubeugen, stoßen bei den gemeinsam handelnden Personen und deren Tochterunternehmen jedoch an Grenzen, weil der Bieter regelmäßig nicht gegenüber allen Mitgliedern dieses Personenkreises weisungsberechtigt ist. Für den Bieter wird es sich daher empfehlen, in den vertraglichen Vereinbarungen mit gemeinsam handelnden Personen eine Freistellung von allen durch diese Personen ausgelösten Nachzahlungspflichten vorzusehen und, wenn möglich, in diese Vereinbarungen auch solche Personen einzubeziehen, die erst innerhalb der Nacherwerbsfrist in den Zurechnungskreis eintreten5.
II. Referenzperiode Die Referenzperiode für den Nacherwerb beginnt mit der Veröffentlichung des Ergebnisses des Angebots gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Diese Veröffentlichung ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Satz 3 Satz 1 im Internet und in einem überregionalen Börsenpflichtblatt vorzunehmen. Erfolgen diese Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, ist der spätere Zeitpunkt maßgeblich6.
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Die Referenzperiode endet gemäß § 31 VwVfG i.V.m. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB nach 138 Ablauf eines Jahres mit Ablauf des Tages, der durch seine Benennung dem Tag der letzten Veröffentlichung des Ergebnisses des Angebots entspricht.
III. Höhere Gegenleistung 1. Allgemeines Wie auch beim Parallelerwerb wird die Nachzahlungspflicht des § 31 Abs. 5 aus- 139 gelöst, wenn die für den Nacherwerb gewährte oder vereinbarte Gegenleistung die 1 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428 (2–5 %); Gemeinsame Stellungnahme von BDI, BDA, DIHT und GdV vom 27.9.2001, S. 6 f. (Streichung des § 31 Abs. 5, hilfsweise Bagatellschwelle von 10 %); kritisch ebenfalls Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 300; Liebscher, ZIP 2001, 853, 865; Riehmer/Schröder, BBBeil. 5/2001, S. 14. 2 Weiterhin kritisch Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 41; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 94; Noack in Schwark/Zimmer, § 31 WpÜG Rz. 86. 3 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 84. 4 Krit. Thun in Geibel/Süßmann, 1. Aufl. 2002, § 31 Rz. 57. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 83; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 107. 6 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 108; a.A. Rahlf in Bad Homburger Hdb., C 278.
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im Angebot genannte Gegenleistung wertmäßig übersteigt. Hierfür ist ein Wertvergleich zwischen der Gegenleistung des Nacherwerbs und der Gegenleistung im Rahmen des Angebots erforderlich. Für diesen Wertvergleich gelten die oben in Rz. 109 ff. dargelegten Grundsätze. 2. Bereinigung von Sondereffekten 140 Ist die für den Nacherwerb erbrachte Gegenleistung durch während der Nacherwerbsfirst eingetretene Sondereffekte beeinflusst worden, ist eine Anpassung erforderlich. Derartige Sondereffekte können etwa darin bestehen, dass die Zielgesellschaft Dividenden ausschüttet oder Kapitalmaßnahmen durchführt, sie etwa im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung Bezugsrechte ausgibt, das Grundkapital aus Gesellschaftsmitteln erhöht, den Nennbetrag bzw. rechnerischen Anteil am Grundkapital herabsetzt (Aktiensplit) oder im Rahmen einer Kapitalherabsetzung Aktien zusammenlegt. Um die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherzustellen, ist die Gegenleistung für den Nacherwerb um diese Sondereffekte zu bereinigen, denn der Schutzzweck der Vorschrift lässt sich nur bei Verwendung einheitlicher Maßstäbe erreichen1. 141 Zinseffekte zwischen dem Beginn des Vorerwerbszeitraumes und dem Ende des Nacherwerbszeitraumes sind für Preisvergleichszwecke nicht zu berücksichtigen. In den Regelungen des Gesetzes und der WpÜG-Angebotsverordnung ist dies im Interesse der Rechtssicherheit akzeptiert worden. Hätte sich der Gesetzgeber anders entschieden, wäre Streit über den anzuwendenden Abzinsungsfaktor praktisch programmiert gewesen2. 142 Kursschwankungen, die innerhalb der einjährigen Nacherwerbsfrist typischerweise zu erwarten sind, könnten zu der Überlegung Anlass geben, dass für die Nachbesserungspflicht nicht der Nominalwert der für den Nacherwerb vereinbarten bzw. gewährten Gegenleistung, sondern die auf den Börsenkurs aufgeschlagene Prämie mit der im Rahmen des Übernahmeangebots gezahlten Prämie zu vergleichen ist. Diese Betrachtungsweise steht mit der Konzeption des Gesetz- und Verordnungsgebers jedoch nicht im Einklang. Sie findet bereits im Wortlaut des § 31 Abs. 5 Satz 1, der auf eine wertmäßig höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung abhebt, keine Stütze. Auch der Wille des Gesetzgebers war auf die Ermittlung des Unterschiedsbetrags zwischen der Gegenleistung des Nacherwerbs und der im Angebot genannten Gegenleistung gerichtet3. Schließlich sprechen auch systematische Gründe gegen eine derartige prämienbezogene Betrachtung, weil nämlich beim Vor- und Parallelerwerb ein Vergleich der nominalen Beträge ohne Einbeziehung des durchschnittlichen Börsenkurses durchzuführen ist4. 143 Hatte das Angebot alternative Gegenleistungen vorgesehen, gilt Folgendes: Auf Pflichtgegenleistungen sind Nachzahlungen gemäß § 31 Abs. 5 (ggf. in unterschiedlicher Höhe) vorzunehmen5. Freiwillige Gegenleistungen, die neben einer Pflichtgegenleistung angeboten werden, sind in § 31 nicht geregelt; ein Nacherwerb gegen ei-
1 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 87; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 114. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 88. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 89. 5 A.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 89.
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ne höhere als die freiwillige Gegenleistung löst demnach keine Nachzahlungspflicht aus.
IV. Rechtsfolge Bei gemäß § 31 Abs. 5 relevantem Nacherwerb schuldet der Bieter den Aktionären, 144 die das Angebot angenommen haben, eine Geldleistung in Euro in Höhe der Differenz zwischen der im Rahmen des Nacherwerbs gewährten oder vereinbarten Gegenleistung und der im Rahmen des Angebots gezahlten Gegenleistung. Dies gilt unabhängig davon, ob das öffentliche Angebot ein Kauf- oder ein Tauschangebot war1. Weil der Bieter zum Zeitpunkt des Nacherwerbs die im Rahmen des Angebots geschuldete Gegenleistung regelmäßig bereits erbracht haben wird, greift die Vorschrift nicht im Wege der Erhöhung der geschuldeten Gegenleistung in die bereits abgeschlossenen Vertragsverhältnisse ein, sondern konstituiert einen eigenständigen Zahlungsanspruch der Aktionäre, die das Angebot angenommen haben2. Die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs tritt im Zeitpunkt des Nacherwerbs ein. Ob 145 die Gegenleistung für den Nacherwerb erbracht wurde oder fällig ist, ist nicht von Belang, weil es genügt, dass die Gegenleistung vereinbart wurde3. Soweit die Gegenleistung variable Komponenten enthält (etwa Besserungsabreden oder Anknüpfung an künftige Aktienkurse oder Niveaus von Indizes), sind diese zu bewerten und ggf. werterhöhend oder wertmindernd zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen der Werterhöhung bzw. Wertminderung hat nach allgemeinen Grundsätzen derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft.
V. Offenlegung Der Nachzahlungsanspruch ist verfahrenstechnisch dadurch abgesichert, dass der 146 Bieter den Nacherwerb unter Angabe der Art und Höhe der für jede Aktie gewährten Gegenleistung gemäß § 23 Abs. 2 zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen hat. Weil der Nachzahlungsanspruch auch dann ausgelöst wird, wenn der Bieter aufgrund des Übernahmeangebots die Kontrolle verfehlt (siehe oben Rz. 131), die Offenlegungspflicht bei Übernahmeangeboten aber erst nach Kontrollerlangung einsetzt (§ 23 Abs. 2 Satz 1), besteht hier unter Umständen eine Transparenzlücke.
VI. Ausnahme für bestimmte Strukturänderungen (§ 31 Abs. 5 Satz 2) Der Nachbesserungsanspruch ist gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 ausgeschlossen, wenn der 147 Bieter bzw. ihm zuzurechnende Personen Aktien der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft für den Erwerb des Vermögens oder von Teilen des Vermögens der Zielgesellschaft erworben haben. Der Wortlaut der Vorschrift nennt die Verschmelzung (§ 29 UmwG), die Spaltung (§ 125 UmwG) und die Vermögensübertragung (§ 176 UmwG), die Begründung des Regierungsentwurfs darüber hinaus Ab1 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 112; krit. Land/Hasselbach, DB 2000, 1747, 1751 (Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere keine Geldleistung, wenn der Nacherwerb gegen eine Sachleistung erfolgt). 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 62; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 93; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 115.
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findungen bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§ 305 AktG), bei der Eingliederung (§ 320b AktG), bei einem Squeeze-out (§ 327a AktG) sowie beim Formwechsel (§ 190 UmwG)1. Die Erstreckung der Ausnahme auf Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung ist eine (überflüssige) Klarstellung. Keiner dieser Vorgänge ist ein Nacherwerbsfall, denn der Bieter erwirbt in ihrem Rahmen nicht die Aktien, sondern das Vermögen (bzw. Teile des Vermögens) der Zielgesellschaft2. Zu den gesetzlichen Abfindungen i.S.d. § 31 Abs. 5 Satz 2 gehört auch die Abfindung, die nach der „Macrotron“-Rechtsprechung des BGH3 beim „Delisting“ anzubieten ist4. 148 Die Ausnahme für gesetzliche Abfindungen geht darauf zurück, dass die Höhe dieser Abfindungen nach anderen Kriterien als die gemäß § 31 geschuldete Mindestgegenleistung ermittelt wird. Dort wird regelmäßig eine Unternehmensbewertung durchgeführt (und unter bestimmten Voraussetzungen der Börsenkurs als Untergrenze berücksichtigt5), während die Mindestgegenleistung gemäß § 31 den Börsenkurs und Vorerwerbspreise zugrunde legt. Häufig steht die endgültige Höhe der Gegenleistung erst nach einem mehrjährigen gerichtlichen Spruchverfahren fest. Durch den Ausschluss des Nachzahlungsanspruchs gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 wird vermieden, dass der Bieter einem unkalkulierbaren Kostenrisiko aus einer übernahmerechtlichen Nachbesserungspflicht ausgesetzt ist, wenn er innerhalb des Nacherwerbzeitraumes eine der genannten Strukturänderungen (etwa einen Squeeze-out) durchführt6. 149 Die Ausnahme des § 31 Abs. 5 Satz 2 erstreckt sich auch auf Zahlungen aufgrund eines Abfindungsvergleichs; der noch im Finanzausschuss geänderte Wortlaut verdeutlicht, dass ein „Zusammenhang mit“ der gesetzlichen Abfindungspflicht bereits genügt7. Dies ist sachgerecht, weil der Bieter sich anderenfalls nicht mit Anfechtungsund Spruchverfahrensklägern vergleichen könnte, ohne dadurch Nachbesserungsansprüche auszulösen. Folglich kann der Bieter freiwillig eine höhere Abfindung anbieten, um ein mehrjähriges Anfechtungs- oder Spruchverfahren zu vermeiden8. 150 Nach zutreffender Auffassung der BaFin findet § 31 Abs. 5 Satz 2 über den Wortlaut hinaus bei Vor- und Parallelerwerb entsprechende Anwendung. Sie leitet dies aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift her: Hiernach soll der Aktionär, der im Zuge einer Strukturmaßnahme abgefunden wurde, durch ein anschließendes Übernahmeangebot nicht bessergestellt werden als derjenige, der erst nach der Strukturmaßnahme Aktionär geworden ist9.
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. Um Eingliederung und Squeeze-out zweifelsfrei in den Anwendungsbereich des § 31 Abs. 5 Satz 2 einzubeziehen, wurde der Wortlaut des RegE („auf Grund“) noch auf „in Zusammenhang mit“ umgestellt; vgl. Bericht Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 56. 3 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47. 4 Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 116. 5 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 – DAT/Altana, BGHZ 147, 108 = AG 2001, 417. 6 Begr. RegE, BT Drucks. 14/7034, S. 56. 7 § 31 Abs. 5 Satz 2 RegE hatte noch auf den Erwerb „auf Grund“ einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung abgestellt. 8 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 95; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 117; a.A. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 135. 9 Vgl. Pflichtangebot Carl Zeiss Jena GmbH/Carl Zeiss Meditec AG vom 25.7.2002, S. 14 f.; Schulz, M&A-Review 2003, 114, 116.
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G. Dem Erwerb gleichgestellte Vereinbarungen; Bezugsrechte (§ 31 Abs. 6) I. Gleichgestellte Vereinbarungen (§ 31 Abs. 6 Satz 1) Das WpÜG verwendet den Begriff des Erwerbs grundsätzlich zur Bezeichnung des Verfügungsgeschäfts zur Erlangung des Eigentums1. Um Umgehungen der Mindestanforderungen an die Gegenleistung zu verhindern, sieht § 31 Abs. 6 Satz 1 vor, dass dem Erwerb für Zwecke des § 31 Abs. 3 bis 5 Vereinbarungen gleichgestellt werden, auf deren Grundlage die Übereignung von Aktien verlangt werden kann. Der Gesetzgeber hatte insbesondere Kauf- bzw. Tauschverträge mit hinausgeschobenem Erfüllungszeitpunkt und Optionsgeschäfte, die zum Bezug von Aktien berechtigen, im Blick2. Erfasst sind aber auch Wandel- und Optionsanleihen3. Der mittelbare Erwerb, d.h. der Erwerb von Anteilen einer Muttergesellschaft, der – bei Erreichen bzw. Überschreiten der relevanten Schwellenwerte (siehe § 35 Rz. 97 ff.) – die Angebotspflicht gegenüber den freien Aktionären der Tochtergesellschaft auslösen würde, ist vom Wortlaut der Vorschrift dagegen nicht umfasst.
151
Nach seinem Wortlaut gilt § 31 Abs. 6 für den Parallel- und den Nacherwerb. Die Vorschrift findet jedoch auf den Vorerwerb entsprechende Anwendung (§ 4 Satz 2 WpÜG-AngVO).
152
Ob die dem Erwerb gleichgestellte Vereinbarung wirksam sein muss, ist in § 31 Abs. 6 nicht angesprochen. Weil die Gegenleistung für Zwecke des Vor-, Parallelund Nacherwerbs auch dann zu berücksichtigen ist, wenn sie rein faktisch gewährt wird, genügt es, wenn die Vereinbarung wenigstens für den Bieter bindend ist. Die Bindung entfällt, wenn eine auflösende Bedingung eintritt oder wenn der Bieter ein ihm zustehendes Rücktrittsrecht ausübt4.
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Ob § 31 Abs. 6 auch bedingte oder befristete Vereinbarungen erfasst, ist dem Wort- 154 laut der Vorschrift nicht eindeutig zu entnehmen. Die Formulierung „Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann“ ließe sich auch so verstehen, dass der Anspruch auf Übereignung fällig sein muss, um dem Erwerb gleichzustehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers5 und dem Schutzzweck der Norm (Umgehungsschutz) kann jedoch allein der Abschluss der Vereinbarung maßgeblich sein6. § 31 Abs. 6 Satz 1 erfasst insbesondere Call-Optionen, d.h. Optionen, die den Bieter 155 berechtigen, die Übereignung von Aktien der Zielgesellschaft zu verlangen7. Dies sind nur solche Optionsgeschäfte, die den Optionsschuldner zur Lieferung von Aktien der Zielgesellschaft verpflichten. Nicht erfasst sind dagegen synthetische Optio1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 3 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 150; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 98. 4 Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 Rz. 30; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 121. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 6 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 151; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 97; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 122. 7 LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 233; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 149; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 98; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 122.
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nen, die bei Ausübung der Optionen nur einen Zahlungsanspruch einräumen1. Aus dem Willen des Gesetzgebers und dem Schutzzweck der Norm ist abzuleiten, dass allein der Abschluss der Optionsvereinbarung maßgeblich ist; ob die Call-Option ausgeübt wird bzw. wann sie ausgeübt werden kann, ist für Zwecke des § 31 Abs. 6 Satz 1 ohne Bedeutung2. 156 Für den Erwerb einer Call-Option oder einer Wandel- bzw. Optionsanleihe wird regelmäßig eine sofort und unabhängig von der Ausübung der Option zu zahlende Gegenleistung erbracht (Optionsprämie). Hiervon zu unterscheiden ist der Bezugspreis für den Erwerb der Aktien im Ausübungsfall (Ausübungspreis). Die bei Abschluss der Optionsvereinbarung für den Erwerb der Aktien vereinbarte Gegenleistung ermittelt sich nach den anerkannten Methoden der Bewertung von Optionen (etwa nach Black/Scholes) als die Summe aus Optionsprämie und Ausübungspreis, bereinigt um die Prämie für die Laufzeit der Optionen und die Volatilität der zugrunde liegenden Aktie3. Maßgeblicher Bewertungszeitpunkt ist der Zeitpunkt der Vereinbarung, nicht der Zeitpunkt der Ausübung der Option4. Soweit dem entgegengehalten wird, dass dies dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspreche, da der Bezugspreis noch nicht zugeflossen und es daher unklar sei, ob das Merkmal der wertmäßig höheren Vergütung erfüllt ist5, ist dem entgegenzuhalten, dass der Zufluss unmaßgeblich ist, weil gemäß § 31 Abs. 6 bereits die Vereinbarung einer wertmäßig höheren Gegenleistung genügt. Auch aus § 31 Abs. 3 bis 5 ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber eine Benachteiligung der Aktionäre bereits dann angenommen hat, wenn der Wert der im Angebot vorgesehenen Gegenleistung hinter dem Wert der für Vor-, Parallel- oder Nacherwerb vereinbarten Gegenleistung zurückbleibt6. 157 Von § 31 Abs. 6 Satz 1 nicht erfasst sind Put-Optionen, d.h. Optionen, die den Bieter zum Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft verpflichten7. Diese Optionen sind keine Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung (bzw. der Bezug8) von Aktien verlangt werden kann. Bei der Put-Option ist es nicht der Bieter, sondern der Inhaber der relevanten Aktien, der vom Bieter die Abnahme der Aktien verlangen kann9. PutOptionen, die bei Abschluss der Optionsvereinbarung deutlich „im Geld“ sind, kön1 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 66; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 122; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 151; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 17. 2 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 149; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 98; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 122; Süßmann in Geibel/ Süßmann, § 31 Rz. 67. 3 Brealey/Myers, Principles of Corporate Finance, 5. Aufl. 1996, S. 577 ff.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 99; J. Vetter, AG 2003, 478, 482; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 123; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 20; a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 70 (Optionspreis und Bezugspreis); Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 84 (Ausübungspreis und Prämie); noch anders Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 152 (nur Ausübungspreis relevant). 4 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 99; J. Vetter, AG 2003, 478, 482. 5 Thun in Geibel/Süßmann, 1. Aufl. 2002, § 31 Rz. 70. 6 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 99. 7 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 68; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 153; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 100; Marsch-Barner in Baums/ Thoma, § 31 Rz. 122; Dewitz, Forum Unternehmenskauf 2006, 11, 1; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85; Wackerbarth, ZIP 2012, 253, 259. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 9 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 153; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 100; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 31 Rz. 85; Wackerbarth, ZIP 2012, 253, 259; a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 68.
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nen allerdings einen Kaufvertrag verdecken (§ 117 Abs. 2 BGB)1. In diesem Fall käme es in Betracht, die Put-Option für Zwecke des § 31 Abs. 6 zu berücksichtigen2. Wird eine Put-Option innerhalb der für Vor-, Parallel- und Nacherwerb maßgeblichen Zeiträume ausgeübt und der hierdurch zustande kommende Kaufvertrag vollzogen, liegt hierin ein gemäß § 31 Abs. 3 bis 5 bzw. § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO relevanter Vor-, Parallel- bzw. Nacherwerb3.
II. Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts (§ 31 Abs. 6 Satz 2) Die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts aufgrund einer Erhöhung des Grund- 158 kapitals der Zielgesellschaft stellt keinen Erwerb i.S.d. § 31 Abs. 3–5 bzw. § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO dar. Hinter dieser Regelung steht die Überlegung, dass der Bieter seine Beteiligung an der Zielgesellschaft durch die Ausübung eigener, sich aus der bisherigen Beteiligung ergebender Bezugsrechte im bisherigen Umfang beibehalten, aber nicht erhöhen kann. Die Ausübung des Bezugsrechts kann daher mit Erwerbsvorgängen, die auf eine Erhöhung der Beteiligung bzw. des Stimmrechtsanteils gerichtet sind, nicht gleichgesetzt werden4. Dass die Ausübung des Bezugsrechts die Erhöhung der Beteiligungsquote zur Folge haben kann, wenn andere Aktionäre ihr Bezugsrecht nicht bzw. nur teilweise ausüben, ist unerheblich, weil das Ziel der Ausübung des Bezugsrechts in der Beibehaltung der Beteiligungsquote besteht5. Für den Erwerb neuer Aktien im Wege einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 212 Satz 1 AktG) gilt die Ausnahme des § 31 Abs. 6 Satz 2 analog; auch hier kann sich die Beteiligung des Bieters an der Zielgesellschaft nicht erhöhen6. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Vorschrift als zu eng kritisiert 159 und gefordert, dass jeder Erwerb von Aktien aufgrund einer Kapitalerhöhung oder der Veräußerung eigener Aktien durch die Zielgesellschaft von der Ausnahme umfasst sein sollte. Wenn nämlich der Bieter Aktien aus einer Kapitalerhöhung außerhalb des gesetzlichen Bezugsrechts erwerbe und hierfür einen höheren Preis zu zahlen bereit sei, sei es nicht sachgerecht, den Ausgabebetrag der jungen Aktie als Mindestwert des Angebotspreises heranzuziehen; außerdem werde der Preisaufschlag nicht an andere Aktionäre, sondern an die Gesellschaft gezahlt und käme in der Form der Erhöhung des Gesellschaftsvermögens allen Aktionären zugute7. Der Gesetzgeber ist dem allerdings nicht gefolgt. § 31 Abs. 6 Satz 2 greift nicht ein, wenn der Bieter Bezugsrechte Dritter erwirbt und 160 ausübt, da der Bieter hiermit über die Erhaltung seiner Beteiligungshöhe hinausgeht8. § 31 Abs. 6 Satz 2 greift ebenfalls nicht ein, wenn nur der Bieter zur Zeichnung
1 Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 153 (Fn. 277); Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 100; a.A. Süßmann, WM 2003, 1453, 1462; a.A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 122. 2 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 100. 3 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 68; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 153; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 100. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 5 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 101. 6 Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 101; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 1124. 7 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 428 f.; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 302; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 125. 8 Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 72; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 125.
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der neuen Aktien zugelassen ist1. Wenn dagegen die Bedingungen der Kapitalerhöhung so ausgestaltet sind, dass sich nur der Bieter an der Kapitalerhöhung beteiligt, soll die Ausnahme des § 31 Abs. 6 Satz 2 greifen. Da dieser Erwerb im Regelfall gegen ein hohes Agio erfolgt, kommt er der Gesellschaft und somit allen Aktionären zugute. Schließlich gilt § 31 Abs. 6 Satz 2 nicht für den temporären Erwerb von Aktien durch das Kreditinstitut, das der Bieter zur Abwicklung des gesetzlichen Bezugsrechts eingeschaltet hat2.
H. Verordnungsermächtigung (§ 31 Abs. 7) 161 § 31 Abs. 7 bildet die Ermächtigungsgrundlage für das Bundesministerium der Finanzen, nähere Bestimmungen über die Angemessenheit der Gegenleistung – insbesondere die Berücksichtigung des durchschnittlichen Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft und der Vorerwerbe, die hierbei maßgeblichen Zeiträume, die Ausnahmen von den Berücksichtigungsgeboten des § 31 Abs. 1 Satz 2 und die Ermittlung des Differenzbetrags gemäß § 31 Abs. 4 und 5 – durch Rechtsverordnung zu erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen hat mit dem Erlass der WpÜG-Angebotsverordnung vom 27.12.2001 von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. 162 Gemäß § 31 Abs. 7 Satz 2 kann das Bundesministerium der Finanzen die Ermächtigung auf die BaFin übertragen. Hierdurch soll insbesondere der bei der BaFin eingerichtete Beirat, zu dessen Aufgaben die Beratung der BaFin beim Erlass von Rechtsverordnungen gehört (§ 5 Abs. 3 Satz 1), in die Lage versetzt werden, seine Erfahrungen einfließen zu lassen3. Eine Übertragung ist bislang nicht erfolgt.
J. Überprüfung durch die BaFin und Sanktionen 163 Die BaFin prüft im Rahmen des Gestattungsverfahrens, ob die Angebotsunterlage die gemäß § 11 Abs. 2 und § 2 WpÜG-AngVO erforderlichen Angaben enthält und ob die Angaben offensichtlich gegen Vorschriften des WpÜG bzw. der WpÜG-AngVO verstoßen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2). Die Angemessenheit der Gegenleistung bildet dabei einen Prüfungsschwerpunkt4. Sind die Angaben zur Gegenleistung unvollständig, hat die BaFin das Angebot zu untersagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1). Verstoßen die Angaben zur Gegenleistung gegen Vorschriften des WpÜG bzw. der WpÜG-AngVO, muss die BaFin das Angebot untersagen, wenn der Verstoß offensichtlich ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 2)5. Insoweit beschränkt sich die Prüfung durch die BaFin auf eine Evidenzkontrolle. 164 Der BaFin stehen umfangreiche Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung, um die Einhaltung der Vorschriften über Art und Höhe der Gegenleistung zu überwachen. So hat jedermann auf Verlangen Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, sofern Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Gebote und Verbote des WpÜG vorliegen (§ 40 Abs. 1 Satz 1). Gerade im Hinblick auf Angaben zur Gegenleistung haben Auskunfts- und Vorlageersuche in der Praxis der BaFin große Bedeutung (siehe dazu § 40 Rz. 8). 1 2 3 4 5
Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 Rz. 74; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 125. Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 125. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. Lenz/Linke, AG 2002, 361, 361 f. Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 156; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 110.
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Da die BaFin ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig ist, stehen einzelnen Ak- 165 tionären keine Ersatzansprüche gegen die BaFin (etwa gemäß § 839 BGB) zu, wenn sie das Angebot trotz offensichtlich unangemessener Gegenleistung nicht untersagt1. Die Aktionäre können den Beschluss der BaFin über die Gestattung der Veröffentlichung auch nicht mit einem Widerspruch oder der Beschwerde gemäß § 48 angreifen, da sie nicht zu dem Personenkreis gehören, der am Gestattungsverfahren beteiligt ist2. Jeder Aktionär, der die angebotene Gegenleistung nicht für angemessen hält, ist 166 darauf verwiesen, den nach seiner Auffassung bestehenden Nachbesserungs- oder Schadensersatzanspruch vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Soweit Parallelerwerb gemäß § 31 Abs. 4 Zahlungsansprüche und Nacherwerb gemäß § 31 Abs. 5 Nachzahlungsansprüche entstehen lässt, können diese im Wege des Musterverfahrens gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG geltend gemacht werden3. Entsprechende Regelungen fehlen für die Fälle, dass die Gegenleistung bereits von Anfang an nicht angemessen ist – etwa weil sie relevanten Vorerwerb nicht berücksichtigt (§ 4 WpÜG-AngVO), weil sie den gewichteten Börsenkurs (§ 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO) oder – sofern maßgeblich – den durch Unternehmensbewertung ermittelten angemessenen Wert (§ 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO) unterschreitet oder weil sie – obwohl gemäß § 31 Abs. 3 erforderlich – in einer Geldleistung bestehen müsste. Dies ist konsequent, denn – anders als beim Parallel- oder Nacherwerb – sind die in diesen Fällen für die Angemessenheit der Gegenleistung maßgeblichen Parameter in der Angebotsunterlage darzulegen und von der BaFin zu prüfen. Die BaFin darf die Angebotsunterlage nur zur Veröffentlichung freigeben, wenn die Gegenleistung den Anforderungen genügt. Weil die Aktionäre der Zielgesellschaft im Gestattungsverfahren vor der BaFin nicht 166a beteiligt und nach ständiger Rechtsprechung des OLG Frankfurt nicht widerspruchsberechtigt sind4, stellt sich die Frage, ob ihnen auch bei anfänglicher Unangemessenheit der Gegenleistung individualrechtliche Ansprüche zustehen, die sie vor den Zivilgerichten durchsetzen können. Erste Entscheidungen der Instanzgerichte haben – im Anschluss an die wohl überwiegende Meinung in der Literatur5 – im Grundsatz anerkannt, dass einzelnen Aktionären, die das Angebot angenommen haben, auf der Grundlage des so zustande gekommenen Kaufvertrages i.V.m. § 31 ein Anspruch gegen den Bieter auf Nachzahlung der Differenz zwischen der angemessenen Ge-
1 Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185, 2189; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 127. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 2/03 – Wella I, ZIP 2003, 1251; OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, ZIP 2003, 1392; BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, ZIP 2004, 950; dazu Verse, ZIP 2004, 199, 199 ff.; Pohlmann, ZGR 2007, 1, 22 ff. 3 Vgl. Begr. RegE KapMuG, BT-Drucks. 15/5091, S. 17. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 27.5.2003 – WpÜG 1/03 – ProSiebenSat1 I, ZIP 2003, 1251; OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2003 – WpÜG 2/03 – Wella I, ZIP 2003, 1251; OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella II, ZIP 2003, 1392; OLG Frankfurt a.M. v. 9.10.2003 – WpÜG 3/03 – ProSiebenSat1 II, ZIP 2003, 2206; OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.2011 – WpÜG 1/11 – Postbank, ZIP 2012, 270. 5 Verse, ZIP 2004, 199, 202 ff.; Pohlmann, ZGR 2007, 1, 15 ff.; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 157; Marsch-Barner in Baums/Thoma, 31 Rz. 128; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 31 Rz. 107; Verse in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 276, 286 ff.; für eine gerichtliche Überprüfbarkeit, ob das Angemessenheitskriterium tatsächlich erfüllt ist, ebenfalls Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 115; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 201, 219; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 309.
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genleistung und der tatsächlich gezahlten Gegenleistung zusteht1. Dies erscheint wenig überzeugend. Im Wortlaut der Vorschriften des § 31 Abs. 1 und 3, §§ 4 ff. WpÜG-AngVO ist von Ansprüchen oder einer Leistung, die ein Aktionär der Zielgesellschaft verlangen könnte, nicht die Rede. In den Gesetzesmaterialien zum WpÜG gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass derartige Nachzahlungsansprüche bestehen sollten. Der Gesetzgeber hätte – wenn er vom Bestehen individualrechtlicher Nachzahlungsansprüche ausgegangen wäre – die effektive gerichtliche Durchsetzung dieser Ansprüche im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) regeln können. Er hat dies aber nicht getan. In den Gesetzesmaterialien zum KapMuG ist nirgendwo die Rede davon, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KapMuG bezeichneten Erfüllungsansprüche auch die hier erörterten Nachzahlungsansprüche umfassen sollten. Auch in systematischer Hinsicht ist es konsequent, individualrechtliche Ansprüche auf der Grundlage des § 31 nur dort anzunehmen, wo die BaFin keine Angemessenheitsprüfung vornehmen kann (nämlich beim Parallel- und beim Nacherwerb). Der Sinn und Zweck des § 31 – angesiedelt in einem kapitalmarktrechtlichen Gesetz – besteht zunächst im Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts, hier des Marktes für öffentliche Angebote. Dies schließt nicht aus, dass die zum Schutz des Marktes erlassenen Vorschriften den individuellen Interessen Einzelner zugute kommen und der Funktionenschutz und der Individualschutz zwei Seiten derselben Medaille bilden. Bei der Verbesserung der Rechtsstellung des Einzelnen handelt es sich jedoch typischerweise um einen bloßen Rechtsreflex2. Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, dass kapitalmarktrechtliche Vorschriften individuelle Ansprüche einräumen können3. In diesen Fällen ist im Wortlaut der Vorschrift jedoch eindeutig ausgesprochen, dass und unter welchen Voraussetzungen die Vorschrift einen Anspruch einräumt. Im Wortlaut des § 31 Abs. 1 und 3 und der §§ 4 ff. WpÜG-AngVO sucht man eine derartige klare Anordnung vergebens. Daher kann man nicht davon ausgehen, dass die Vorschriften des § 31 Abs. 1 und 3 bzw. der §§ 4 ff. WpÜG-AngVO den Erfüllungsanspruch auf der Grundlage eines Kaufvertrags, der durch Annahme eines öffentlichen Angebots zustande gekommen ist, so überformen, dass der Aktionär die Nachzahlung der Differenz zwischen der angemessenen Gegenleistung und der tatsächlich gezahlten Gegenleistung auf der Grundlage des so zustande gekommenen Kaufvertrages i.V.m. § 31 verlangen könnte. 166b
Individualrechtliche Ansprüche der Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, ergeben sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 als Schutzgesetz. Für die Beurteilung, ob einer Vorschrift Schutzgesetzcharakter zukommt, ist in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die Haftung gemäß § 823 Abs. 2 zu knüpfen4. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber des BGB das deliktsrechtliche Haftungssystem so ausgestaltet hat, dass der Schutz absoluter Rechtsgüter die Regel und der Schutz des Vermögens die Ausnahme ist. Diese Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers darf nicht durch eine ausufernde Annahme von Schutzgesetzen und die Vorverlagerung des Schutzes, den § 823 Abs. 1 BGB für bestimmte Rechtsgüter gewährt, unter-
1 LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11 – Postbank, ZIP 2012, 229, 232; OLG Köln v. 31.10.2012 – 13 U 166/11 – Postbank. 2 Oulds in Kümpel/Wittig, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 14.175. 3 So z.B. §§ 37b, 37c WpHG, § 44 BörsG. 4 BGH v. 29.6.1982 – VI ZR 33/81, NJW 1982, 2780 = GmbHR 1982, 272; BGH v. 14.6.2005 – VI ZR 185/04, NJW 2005, 2923, 2924; BGH v. 28.3.2006 – VI ZR 50/05, NJW 2006, 2110, 2112.
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laufen werden1. Entscheidend dafür, ob eine Vorschrift ein Schutzgesetz darstellt, ist nicht die Wirkung, sondern der Inhalt und der Zweck des Gesetzes. Entscheidend ist außerdem, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz zugunsten eines Einzelnen oder eines bestimmten Personenkreises gewollt hat2. Demgemäß lässt sich der Schutzgesetzcharakter einer Vorschrift nicht schon dann annehmen, wenn der Betroffene durch Befolgung der Norm objektiv besser gestellt wird und damit lediglich Reflexschutz genießt. Vielmehr muss der Individualschutz im Aufgabenbereich der Vorschrift liegen. Dies ist für die Vorschriften der § 31 Abs. 1 und 3 sowie §§ 4 ff. WpÜG-AngVO nicht zu erkennen (siehe oben Rz. 166a). Auch die praktischen Schwierigkeiten, die sich ergäben, wenn man § 31 Abs. 1 und 3 sowie §§ 4 ff. WpÜG-AngVO als Schutzgesetze ansehen wollte, sprechen dafür, dass dann, wenn die BaFin in Kenntnis aller maßgeblichen Informationen zu der Erkenntnis gelangt, dass der Bieter die Vorgaben der Mindestpreisvorschriften erfüllt hat und sie u.a. deswegen die Angebotsunterlage zur Veröffentlichung freigibt, diese Entscheidung der BaFin nicht über zivilrechtlichen Rechtsschutz revidiert werden sollte3. Das Spruchverfahrensgesetz findet weder direkt noch – mangels Regelungslücke – analog Anwendung4. Zur der Frage, ob außerhalb des § 31 Abs. 4 und 5 zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bieter bestehen, siehe § 35 Rz. 250 ff.
166c
Bleibt die im Angebot vorgesehene Gegenleistung hinter den Anforderungen des § 31 167 zurück, ist die Angebotsunterlage deswegen noch nicht unrichtig5. Sie ist unrichtig bzw. unvollständig, wenn sie einen relevanten Vorerwerb verschweigt (§ 2 Nr. 7 WpÜG-AngVO). Schadensersatzansprüche gemäß § 12 setzen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus; hieran wird es fehlen, wenn der Unternehmenswert der Zielgesellschaft durch externe Prüfer ermittelt oder bestätigt worden ist. Sie können nur innerhalb der kurzen Verjährungsfrist gemäß § 12 Abs. 4 geltend gemacht werden. Ob die Pflicht zur Verzinsung der im Rahmen eines Pflichtangebots geschuldeten 168 Gegenleistung gemäß § 38 und der Rechtsverlust gemäß § 59 eintreten, wenn die Gegenleistung die Anforderungen des § 31 und der §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO nicht erfüllt, ist umstritten6. Nach dem Wortlaut des § 38 wird die Verzinsungspflicht u.a. dadurch ausgelöst, dass der Bieter kein Angebot abgibt (Nr. 2) bzw. das Angebot durch die BaFin untersagt wird (Nr. 3), nicht jedoch dann, wenn das Angebot nicht untersagt wird und die Vorgaben des § 31 bzw. der §§ 3 bis 7 WpÜG-AngVO verletzt sind. Der Rechtsverlust gemäß § 59 tritt ein, wenn der Bieter seine Pflicht gemäß § 35 Abs. 2 nicht erfüllt, d.h. keine Angebotsunterlage an die BaFin übermittelt oder kein Angebot veröffentlicht. Ob in diese Voraussetzungen „hineinzulesen“ ist, dass das Pflichtangebot auch den gesetzlichen Anforderungen genügen muss, ist zweifelhaft. Die Rechtsfolge des Rechtsverlusts gemäß § 59 ist so einschneidend, dass Rechtssicherheitsgesichtspunkte dagegen sprechen.
1 BGH v. 19.2.2008 – XI ZR 170/07, NJW 2008, 1734, 1736 = AG 2008, 548, 548 f. 2 BGH v. 8.5.1973 – VI ZR 164/71, NJW 1973, 1547; BGH v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, NJW 1992, 241, 242; BGH v. 18.11.2003 – VI ZR 385/02, NJW 2004, 356, 357. 3 Tyrolt/Cascante in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre WpÜG, S. 110, 140. 4 Verse, ZIP 2004, 199, 206 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 128. 5 Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 Rz. 112; a.A. Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 108. 6 Dafür Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, § 31 Rz. 161; dagegen Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 109; noch anders Marsch-Barner in Baums/Thoma, § 31 Rz. 130 (nur bei Pflichtangeboten).
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169 Verstöße gegen die Anforderungen des § 31 sind nicht per se ordnungswidrig. Allerdings ist der Verstoß gegen die Pflicht zur Veröffentlichung des Parallel- bzw. Nacherwerbs gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 bußgeldbewehrt (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) und Nr. 5). Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 2 Satz 1 ist der Bieter nicht verpflichtet, die Differenzbeträge gemäß § 31 Abs. 4 bzw. 5 oder das Überschreiten der 5 %-Schwelle gemäß § 31 Abs. 3 in die Veröffentlichung aufzunehmen; das Unterlassen dieser Angaben ist daher nicht ordnungswidrig1.
K. Blick über die Grenze I. Vereinigtes Königreich 170 Ob ein Angebot nach dem Takeover Code eine Geldleistung vorsehen und welchen Mindestwert die Gegenleistung erreichen muss, hängt davon ab, ob es ein freiwilliges Angebot oder ein Pflichtangebot ist. 171 Pflichtangebote müssen jedenfalls wahlweise eine Geldleistung vorsehen2. Erwerben der Bieter oder eine mit ihm zusammenwirkende Person während der Dreimonatsfrist vor Beginn oder während der Annahmefrist Aktien der Zielgesellschaft, die mindestens 10 % der Stimmrechte vermitteln, gegen eine in Wertpapieren bestehende Gegenleistung, muss auch das Angebot eine in diesen Wertpapieren bestehende Gegenleistung vorsehen3. Die Gegenleistung darf grundsätzlich den höchsten Preis, den der Bieter oder eine ihm zuzurechnende Person innerhalb der 12 Monate vor Beginn der Annahmefrist für Aktien der Zielgesellschaft gezahlt hat, nicht unterschreiten4. 172 Freiwillige Angebote können im Allgemeinen eine ausschließlich in Wertpapieren bestehende Gegenleistung vorsehen. Die Wertpapiere müssen grundsätzlich zum Handel an einer Börse zugelassen sein; jedenfalls muss die Aufnahme des Handels unmittelbar bevorstehen5. Freiwillige Angebote müssen jedenfalls wahlweise eine Geldleistung vorsehen, wenn der Bieter oder eine ihm zuzurechnende Person innerhalb der 12 Monate vor Beginn der Annahmefrist Aktien der Zielgesellschaft, die mindestens 10 % der Stimmrechte vermitteln, gegen eine Geldleistung erworben hat6. Der höchste Vorerwerbspreis bildet den Mindestwert der anzubietenden Gegenleistung7. Innerhalb der 3 Monate vor Beginn der Annahmefrist8 bzw. nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots9 ist jeder vom Bieter bzw. einer mit ihm gemeinsam handelnden Person getätigte Erwerb für die Höhe der Gegenleistung relevant; auch insoweit bildet der höchste gezahlte Preis den Mindest1 2 3 4 5 6
Steinmeyer/Häger, 1. Aufl. 2002, § 31 Rz. 90. Rule 9.5 Takeover Code. Rule 11.2 Abs. 1 Takeover Code. Rule 9.5 Takeover Code. Note 7 on Rule 6 Takeover Code. Note 3 on Rule 6 und Rule 11.1 Takeover Code (anders beim Pflichtangebot, Rule 9.5 Takeover Code). 7 Rule 11.1 (a) Takeover Code. Gleiches gilt, wenn die im Rahmen des Vorerwerbs gewährte Gegenleistung in Wertpapieren besteht, das Volumen des Vorerwerbs mindestens 10 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft vermittelt, der Veräußerer die empfangenen Wertpapiere jedoch mangels entgegenstehender Vereinbarung vor dem Ablauf der Annahmefrist bzw. der Zahlung der Gegenleistung „zu Geld machen“ kann; Rule 11.2 Abs. 2 TakeoverCode. 8 Rule 6.1 (a) Takeover Code. 9 Rule 6.1 (b) Takeover Code.
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wert. Wie bei Pflichtangeboten muss der Bieter Wertpapiere (jedenfalls wahlweise) als Gegenleistung anbieten, wenn er bzw. eine ihm zuzurechnende Person während der drei Monate vor Beginn der Annahmefrist mindestens 10 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen eine in Wertpapieren bestehende Gegenleistung erwirbt1. Der Panel kann von fast all diesen Anforderungen entbinden, aber auch den dreimonatigen Vorerwerbszeitraum verlängern2. Ein Parallelerwerb während der Annahmefrist hat zur Folge, dass das Angebot (jeden- 173 falls wahlweise) eine Geldleistung vorsehen muss, wenn der Parallelerwerb gegen eine Geldleistung erfolgt; außerdem darf der Wert der im Angebot vorgesehenen Gegenleistung nicht hinter dem höchsten dabei gezahlten Preis zurückbleiben3. Ein Parallelerwerb von mehr als 10 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft gegen eine in Wertpapieren bestehende Gegenleistung hat zur Folge, dass auch das Angebot eine Gegenleistung in diesen Wertpapieren und im gleichen Umtauschverhältnis vorsehen muss4. Vereinbarungen mit einzelnen Aktionären über eine bessere als die im Angebot vorgesehene Gegenleistung sind ab dem Zeitpunkt, ab dem die Abgabe eines Angebots ernsthaft in Erwägung gezogen wird, ohne Zustimmung des Panel unzulässig5. Der Nacherwerb zu besseren als den im Angebot vorgesehenen Konditionen innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf der Annahmefrist ist unzulässig, wenn der Bieter und mit ihm gemeinsam handelnde Personen mehr als 50 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft halten6. Wenn der Bieter plant, ein Angebot abzugeben, das bei entsprechender Annahme 174 durch die Aktionäre die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots auslösen kann, ist der Panel im Voraus zu konsultieren. Wird die Kontrollschwelle überschritten ist unverzüglich ein Pflichtangebot abzugeben7.
II. Österreich Im österreichischen Recht ist die Gegenleistung nach dem Übernahmerechts-Änderungsgesetz 2006 nicht nur für Pflichtangebote, sondern auch für freiwillige Angebote zur Kontrollerlangung geregelt8.
175
Übernahme- und Pflichtangebote müssen zwingend eine Geldleistung vorsehen9; der Bieter kann den Aktionären daneben auch den Tausch in andere Wertpapiere zur Wahl stellen10. Die Tauschgegenleistung kann grundsätzlich höher oder niedriger als die bare Gegenleistung sein; sie unterliegt nicht den Preisbildungsvorschriften des § 26 ÜbG, die nur auf das Barangebot Anwendung finden11. Die Gegenleistung anderer Angebote ist nicht reguliert.
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1 Rule 11.2 Abs. 1 Takeover Code. Im Angebot ist dasselbe Umtauschverhältnis vorzusehen, auch wenn zwischenzeitlich Wertverschiebungen eingetreten sind; Note 1 on Rule 11.2 Takeover Code. 2 Rules 6.1 (c), 11.1, 11.3 Takeover Code. 3 Rule 11.1 (b) Takeover Code; für Pflichtangebote auch gemäß Rule 9.5 (b). 4 Rule 11.2 Abs. 1 und Note 1 on Rule 11.2 Takeover Code. 5 Rule 16 Takeover Code. 6 Rule 35.3 TakeoverCode. 7 Note 9 on Rule 9.1 Takeover Code. 8 § 26 Abs. 1 ÜbG. 9 § 25 Abs. 2 Satz 1 und § 26 ÜbG. 10 § 25 Abs. 2 Satz 2 ÜbG. 11 Edtbauer in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 6.9.1, S. 81; dazu ausführlich Diregger/ Kalss/Winner in MünchKomm. öÜbG, Rz. 296.
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177 Die Mindesthöhe der Gegenleistung beim Übernahme- und beim Pflichtangebot ist durch eine doppelte Preisgrenze vorgegeben1. Der Angebotspreis muss mindestens dem durchschnittlichen nach dem jeweiligen Handelsvolumen gewichteten Börsenkurs der jeweiligen Aktiengattung während der letzten 6 Monate vor dem Tag der Bekanntgabe der Angebotsabsicht entsprechen2. Sind die Aktien kürzer als 6 Monate notiert, gilt der entsprechend kürzere Zeitraum. Sind neben stimmberechtigten notierten Aktien Beteiligungspapiere nicht börsennotiert, kommt diese Untergrenze nicht zum Tragen. Sind die Aktien nur an einer ausländischen Börse notiert, sind die dortigen Kurse heranzuziehen3. Zusätzlich darf der Angebotspreis die höchste Gegenleistung, die der Bieter oder eine dem Bieter zuzurechnende Person während der 12 Monate vor Anzeige des Angebots an die Übernahmekommission für die angebotsgegenständliche Aktie gewährt oder vereinbart hat, nicht unterschreiten4. Ein Paketabschlag i.H.v. 15 % ist seit dem Übernahmerechts-Änderungsgesetz 2006 nicht mehr zulässig5. Haben die Zielgesellschaft Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben und der Bieter während der 12 Monate vor dem Angebot Stammaktien erworben6, muss der für die Vorzugsaktien angebotene Preis in einem angemessenen Verhältnis zu der für die Stammaktien gewährten Gegenleistung stehen7. 178 Beim Vorerwerb ist der Gesamtwert der Gegenleistung für die Preisbestimmung maßgeblich; insoweit sind alle Leistungen, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Kontrollerwerb stehen, zu berücksichtigen8. 179 Ein Parallelerwerb nach der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ist unzulässig, soweit er zu besseren als den im Angebot vorgesehenen Konditionen erfolgt, wenn nicht der Bieter entweder das Angebot verbessert oder die Zustimmung der Übernahmekommission einholt9. 180 Einstweilen frei.
III. Schweiz 181 Auch im schweizerischen Recht ist prima facie nur die Gegenleistung von Pflichtangeboten reguliert10. Jedoch muss auch der Preis eines freiwilligen Angebots, das Wertpapiere umfasst, deren Erwerb die Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots auslösen würde, den Vorschriften über den Preis des Pflichtangebots entsprechen11. Handelt es sich hingegen um ein Teilangebot, sind die Vorschriften zum Angebots-
1 Edtbauer in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 6.9.2.1, S. 81; Gurmann in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 10.4, S. 110. 2 § 26 Abs. 1 Satz 3 ÜbG. 3 Edtbauer in Birkner, Hdb. Übernahmerecht, Bd. 1, 6.9.2.1, S. 81 f.; Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. öÜbG, Rz. 306. 4 § 26 Abs. 1 Satz 1 ÜbG. 5 Edtbauer in Birkner, Hdb.Übernahmerecht, Bd. 1, 6.9.2, S. 81; Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. öÜbG, Rz. 300. 6 Die Verpflichtung zum Vollangebot folgt aus § 22 Abs. 1 ÜbG. 7 § 26 Abs. 2 Satz 1 ÜbG. 8 § 26 Abs. 3 ÜbG. 9 § 16 Abs. 1 ÜbG. 10 Art. 32 Abs. 4 und 5 BEHG und 40 BEHV-FINMA. 11 Art. 9 Abs. 6 UEV, zu weiteren Konstellationen (Übernahmeangebot für Zielgesellschaft mit Opting-out; Übernahmeangebot von kontrollierenden Aktionären) vgl. Höhn/Lang/ Roelli, Öffentliche Übernahmen, F. 6.3.2.4 Rz. 477 f.
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preis für Pflichtangebote nicht anwendbar. Die Bieterin ist in einem solchen Fall in der Bestimmung des Angebotspreises frei1. Bei einem Übernahme- oder Pflichtangebot kann die Gegenleistung in einer Geld- 182 oder Sachleistung bestehen, selbst wenn Vorerwerb gegen eine Geldleistung stattgefunden hat2. Bei Pflichtangeboten ist eine Abgeltung durch Sachleistung (Tausch gegen Effekten) nur zulässig, sofern alternativ eine Barzahlung angeboten wird3. Vollständig frei wählen kann der Bieter die Art der Gegenleistung somit nur bei freiwilligen Übernahmeangeboten4. Die Sachleistung darf auch in illiquiden, ja sogar in nicht börsennotierten Aktien bestehen. In diesem Fall ist allerdings eine Bewertung der Aktien durch die Prüfstelle erforderlich5. Die Höhe der Gegenleistung muss mindestens dem volumengewichteten Durch- 183 schnitt der an einer schweizerischen Börse ermittelten Abschlüsse während der letzten 60 Börsentage vor Veröffentlichung des Angebots (d.h. der Voranmeldung bzw. bei direkter Unterbreitung des Angebots der Publikation des Angebotsprospekts) entsprechen6. Sie darf den höchsten Preis, den der Bieter oder eine mit ihm in Absprache handelnde Person in den 12 Monaten vor der Veröffentlichung des Angebots oder der Voranmeldung des Angebots für Aktien der Zielgesellschaft bezahlt hat, um nicht mehr als 25 % unterschreiten7. Gegenleistungen für verschiedene Aktiengattungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen8. Sind in den Vorerwerbspreis wesentliche Leistungen des Bieters oder des Veräußerers (z.B. Gewährung von Sicherheiten oder Sachleistungen) eingerechnet worden, kann der Mindestwert um den diesen Leistungen entsprechenden Betrag erhöht bzw. gemindert werden9. Die Erhöhung bzw. Minderung hat der Bieter durch eine Prüfstelle beurteilen zu lassen; die Prüfstelle verfasst einen Bericht, der der Übernahmekommission mindestens eine Woche vor Veröffentlichung des Angebots zu unterbreiten ist10. Erfolgt der Vorerwerb im Wege des Aktientauschs, kann der Bieter denselben Tausch mit einer Verringerung des Umtauschverhältnisses um bis zu 25 % anbieten, auch wenn der Wert der Aktien der Zielgesellschaft inzwischen gesunken ist11. Besteht die im Angebot vorgesehene Gegenleistung in einer Geldleistung, sind die im Rahmen des Vorerwerbs durch Tausch erworbenen Wertpapiere der Zielgesellschaft mit ihrem Wert im Zeitpunkt des Tausches zu berücksichtigen; die Bewertung ist von der Prüfstelle zu prüfen12. Bei indirektem Erwerb hat der Bieter den auf die Aktien der Zielgesellschaft entfallenden Teil des bezahlten Preises in der Angebotsunterlage offen zu legen und die Bewertung dieses Teils durch die Prüfstelle prüfen zu lassen13.
1 Vgl. Art. 9 Abs. 5 UEV. 2 Art. 43 Abs. 1 und 2 BEHV-FINMA, dazu Höhn/Lang/Roelli, Öffentliche Übernahmen, F. 6.4.1 Rz. 556. 3 Art. 43 Abs. 2 BEHV-FINMA. 4 Höhn/Lang/Roelli, Öffentliche Übernahmen, F. 6.4.1 Rz. 558. 5 Art. 44 i.V.m. 40 Abs. 4 BEHV-EBK. 6 Art. 32 Abs. 4 BEHG; Art. 40 Abs. 1 und 2 BEHV-FINMA. 7 Art. 32 Abs. 4 BEHG; Art. 41 BEHV-EBK. 8 Art. 32 Abs. 5 BEHG. 9 Art. 41 Abs. 4 BEHV-FINMA. 10 Art. 40 Abs. 5 BEHV-FINMA. 11 Art. 44 i.V.m. 41 Abs. 3 und 4 BEHV-FINMA. 12 Art. 41 Abs. 3 BEHV-FINMA. 13 Art. 42 BEHV-EBK.
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§ 32
Unzulässigkeit von Teilangeboten
185 Ein Parallelerwerb zu einem über dem in der Angebotsunterlage genannten Preis verpflichtet den Bieter dazu, diesen Preis allen Adressaten des Angebots anzubieten. Dies gilt auch, wenn der Bieter innerhalb eines sechsmonatigen Zeitraums nach Ablauf der Nachfrist Aktien der Zielgesellschaft zu einer über dem Angebotspreis liegenden Gegenleistung erwirbt1.
§ 32 Unzulässigkeit von Teilangeboten Ein Übernahmeangebot, das sich nur auf einen Teil der Aktien der Zielgesellschaft erstreckt, ist unbeschadet der Vorschrift des § 24 unzulässig.
Inhaltsübersicht II. Einzubeziehende Wertpapiere . . . . .
8
A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
III. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
C. Inhalt der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
D. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . 25
I. Pflicht zum Vollangebot . . . . . . . . . .
4
E. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 27
Schrifttum: Houben, Die Gestaltung des Pflichtangebots unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes und der effizienten Allokation der Unternehmenskontrolle, WM 2000, 1873; Land/Hasselbach, Das neue deutsche Übernahmegesetz, DB 2000, 1747; Schiessl, Ist das deutsche Aktienrecht kapitalmarkttauglich?, AG 1999, 442.
A. Übersicht 1
Die Vorschrift bestimmt, dass bei einem Übernahmeangebot der Bieter sein Angebot grundsätzlich auf alle Aktien der Zielgesellschaft zu erstrecken hat. Eine Ausnahmemöglichkeit ist unter bestimmten Voraussetzungen für grenzüberschreitende Angebote (§ 24) vorgesehen. Die Verpflichtung zum Vollangebot stellt – ebenso wie u.a. auch § 19 – eine spezialgesetzliche Regelung des Gleichheitsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1) dar2. § 32 gilt durch die Verweisung in § 39 auch für Pflichtangebote.
B. Historie 2
Der Wortlaut von § 32 ist im Gesetzgebungsverfahren weitgehend unverändert geblieben. Einzig die Wendung „unbeschadet der Vorschrift des § 24“ (siehe dazu Rz. 23) wurde erst im Regierungsentwurf eingefügt3.
1 Art. 10 Abs. 1 UEV-FINMA; dazu ausführlich Gericke/Wiedmer, Kommentar Übernahmeverordnung (UEV), 2011, Art. 10 Rz. 10 ff. 2 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 1; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 1; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 2; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 1. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 5.
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§ 32
Unzulässigkeit von Teilangeboten
Der Übernahmekodex enthielt zwar keine Vorschrift, die die Unzulässigkeit von Teilangeboten regelte. Allerdings wurde aus einer Gesamtschau von Art. 1 ÜbK (Grundsatz der Gleichbehandlung) und Art. 16 ÜbK (Pflichtangebot) die Pflicht des Bieters abgeleitet, im Falle eines auf den Erwerb der Kontrolle gerichteten Angebots, dieses sämtlichen Wertpapierinhabern zu unterbreiten1.
3
C. Inhalt der Norm I. Pflicht zum Vollangebot § 32 verpflichtet denjenigen, der ein freiwilliges Übernahmeangebot (vgl. im Einzelnen die Ausführungen zu § 29) abgeben will, dieses als Vollangebot auszugestalten und somit an alle Aktionäre zu richten. Damit stellt das Gesetz an das Übernahmeangebot – neben Mindestpreisregelung und Handlungsvorgaben für das Management der Zielgesellschaft – auch insofern die gleichen Anforderungen wie an das Pflichtangebot. Die Begründung des Regierungsentwurfs erläutert den regulatorischen Gleichlauf von Übernahme- und Pflichtangebot damit, dass jemand, der eine Kontrollmehrheit auf Grund eines freiwilligen Übernahmeangebots erlangt hat, nicht verpflichtet sein soll, im Anschluss an dieses Übernahmeangebot ein Pflichtangebot abzugeben, da dies zu unnötigem Zeit- und Kostenaufwand führen würde. Eine solche „befreiende Wirkung“ des freiwilligen Übernahmeangebots im Hinblick auf ein nachfolgendes Pflichtangebot sei allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn das freiwillige Übernahmeangebot bereits den Anforderungen unterliegt, die für ein Pflichtangebot gelten, da ansonsten die für Pflichtangebote geltenden Schutzmechanismen unterlaufen werden könnten2.
4
Dieses ist zweifelsohne ein wesentlicher Gesichtspunkt, der für die gesetzliche 5 Gleichbehandlung von Übernahme- und Pflichtangebot spricht. Daneben tritt der Gedanke des Schutzes der Minderheitsaktionäre, der seinen Ausdruck im Gleichheitsgebot findet. Den Aktionären der Zielgesellschaft soll es möglich sein, sich zu gleichen Konditionen von ihren Aktien zu trennen3. Gegen die Pflicht zum Vollangebot ist in der Literatur4 zum einen eingewandt wor- 6 den, dass sich der Zwang zum Delisting auf Grund der Reduzierung des „free float“ verstärke. Zum anderen würden Gründungsgesellschafter von Start-up Unternehmen auf größere Schwierigkeiten bei der Veräußerung ihrer Anteile stoßen, da der Verkauf zwingend ein Pflichtangebot auch für die Aktien aller übrigen Aktionäre nach sich zieht. Zudem würde die Pflicht, alle Aktien zu erwerben, Übernahmen erheblich verteuern. Dies könne insbesondere ein Hindernis für sog. Leveraged buyouts durch Finanzinvestoren sein. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern mit den §§ 311 ff. AktG über ein Schutzsystem für Aktionäre im faktischen Konzern verfügt, so dass die Aktionäre auch bei Einschränkung des Pflichtangebots nicht schutzlos gestellt sind5. Diese Kritik hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Die Regulierung von Übernahmeangeboten hat den Ausgleich widerstreitender Interessen zum Ziel. Dies betrifft auf 1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 3; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 4; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 4. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30. 3 Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 1; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 2. 4 Land/Hasselbach, DB 2000, 1747, 1751. 5 Schiessl, AG 1999, 442, 450.
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§ 32
Unzulässigkeit von Teilangeboten
der einen Seite das Anliegen, Übernahmen nicht zu verhindern. Dazu gehört auch die Veräußerungsmöglichkeit von Aktien durch Alt-Aktionäre. Auf der anderen Seite ist es nicht Gesetzeszweck, Übernahmen zu fördern und sie besonders günstig zu machen. Vielmehr sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass die Aktionäre nach unternehmensbezogenen Gesichtspunkten über die Veräußerung ihrer Wertpapiere entscheiden. Dies gelingt indes nur, wenn sie weder vom Bieter noch vom Management der Zielgesellschaft unter Druck gesetzt werden können. Folge ist zwangsläufig dann aber die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der beiden Letztgenannten. Der Bieter sieht sich dabei in erster Linie Gleichbehandlungspflichten gegenüber. Würde beispielsweise die gesetzliche Vorgabe der Pflicht zum Vollangebot entfallen, könnte der Bieter sein Angebot aufteilen und bis zur Erlangung des für die Übernahme der Gesellschaft erforderlichen Prozentsatzes einen für die Aktionäre der Zielgesellschaft günstigen Preis bieten und im Anschluss zu für die verbleibenden Aktionäre schlechteren Konditionen Aktien nachkaufen (sog. Front-End-loaded Offers)1. Der Hinweis auf die Reduzierung des „free float“ durch die Pflicht zum Vollangebot trägt letztlich auch nicht, denn bei Angeboten, die auf das Erreichen der Kontrolle oder auf die Erlangung der Aktienmehrheit gerichtet sind oder bei denen eine Mehrheitsbeteiligung bereits besteht, ist eine Verringerung des „free float“ schon durch die Bindung der Aktien in der Hand des neuen Mehrheitsgesellschafters die Folge. Letztlich hat der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zum Vollangebot im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen Bieter und Aktionären der Möglichkeit der Desinvestition für die Aktionäre der Zielgesellschaft den Vorrang gegeben.
II. Einzubeziehende Wertpapiere 8
Der Bieter ist verpflichtet, sein Angebot auf alle Aktien der Gesellschaft zu erstrecken, also auch auf solche Aktien, die erst während der Laufzeit der Annahmefrist entstehen2 (siehe unten Rz. 15 zu jungen Aktien, die durch Ausübung von Wandlungs- und Bezugsrechten entstehen). Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um stimmberechtigte Stammaktien oder stimmrechtslose Vorzugsaktien handelt3. Dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist sowohl unter gesellschaftsrechtlichen als auch unter kapitalmarktrechtlichen Gesichtspunkten zuzustimmen. Nach § 140 Abs. 1 AktG stehen den Inhabern von Vorzugsaktien alle Mitgliedsrechte eines Aktionärs mit Ausnahme der Stimmrechte zu. Zudem stellt sich für die Inhaber von Vorzugsaktien die Situation bei einem Wechsel des Mehrheitsaktionärs bzw. der erstmaligen Erlan1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 3. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 7; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 6; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 20; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 16; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12; a.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 44, wonach die betreffenden Aktionäre gemäß dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ des Schutzes von § 32 nicht bedürfen und daher der Anwendungsbereich teleologisch zu reduzieren sei; differenzierend Noack in Schwark/ Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 7 ff., der bei wertpapiermäßiger Separierbarkeit junger Aktien das Angebot auf die im Zeitpunkt der Angebotsveröffentlichung bestehenden Aktien beschränken will und zugleich aus dem Verhinderungsverbot eine Pflicht der Gesellschaft ableitet, für eine wertpapiermäßige Separierung zu sorgen. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 5; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 5; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 3; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 1; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 185.
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Unzulässigkeit von Teilangeboten
gung einer kontrollierenden Beteiligung eines Dritten nicht anders dar, als für die Stammaktionäre1. Beide Anteilseignergruppen möchten angesichts der veränderten Mehrheitsverhältnisse und den damit regelmäßig einhergehenden Plänen des Bieters, die Ressourcen der Zielgesellschaft anderweitig einzusetzen, gegebenenfalls die Gesellschaft zu angemessenen Bedingungen verlassen. Eine solche „Exit“-Möglichkeit an dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Stimmrechts festzumachen, erscheint angesichts der in beiden Fällen gegebenen Eigentümerstellung nicht sachgerecht. Fraglich erscheint, ob sich das Angebot auch auf eigene Aktien der Zielgesellschaft 9 und Aktien der Zielgesellschaft zu erstrecken hat, die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen der Zielgesellschaft gehören. Gleiches gilt für Aktien der Zielgesellschaft, die einem Dritten gehören, jedoch für Rechnung der Zielgesellschaft, eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens der Zielgesellschaft gehalten werden. Für eine Einbeziehung eigener Aktien bzw. von Aktien, die der Zielgesellschaft wirtschaftlich zustehen, in die Verpflichtung zum Vollangebot spricht zum einen, dass das Gesetz eine ausdrückliche Ausnahmeregelung wie sie § 35 Abs. 2 Satz 3 für Pflichtangebote enthält, für Übernahmeangebote nicht vorsieht. Darüber hinaus könnte für eine umfassende Angebotspflicht sprechen, dass die Aktien der Zielgesellschaft bei der Berechnung der Kontrollschwelle ebenfalls zu berücksichtigen sind2 und die Zielgesellschaft die Aktien während der Annahmefrist wieder an unabhängige Dritte veräußern kann3. Die BaFin verlangt daher, dass sich Übernahmeangebote (für Pflichtangebote gilt dies wegen § 35 Abs. 2 Satz 3 nicht) auch auf eigene Aktien erstrecken4. Im Ergebnis ist jedoch – entgegen der Verwaltungspraxis der BaFin und mit der herr- 10 schenden Meinung – eine entsprechende Anwendung von § 35 Abs. 2 Satz 3 für freiwillige Übernahmeangebote zu bejahen5. Zum einen sind auch bei Übernahmeangeboten die aktienrechtlichen Erwerbsbeschränkungen beim Erwerb eigener Aktien zu berücksichtigen (vgl. § 71d Satz 2 AktG). Zum anderen fehlt es in diesen Fällen an dem besonderen Schutzbedürfnis des Minderheitsaktionärs, der sich nach einem Kontrollwechsel einem neuen kontrollierenden Aktionär gegenüber sieht und dem deshalb ein Austritt aus der Gesellschaft ermöglicht wird6. Es ist umstritten, ob sich die Vollangebotspflicht von § 32 auch auf nicht an einem 11 organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 notierte Aktien bezieht. Dagegen wird vorgebracht, dass der Bieter hierdurch benachteiligt werde, da er zum Erwerb von Anteilen 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 3; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 4; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 2; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 5. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53. 3 Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14. 4 Vgl. Cascante/Tyrolt, AG 2012, 97, 106, Fn. 82. Soweit ersichtlich, existiert keine Angebotsunterlage, die eigene Aktien der Zielgesellschaft nicht einbezieht. 5 Im Ergebnis ebenso Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 10; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 11; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 7; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 5 f.; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 18; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 17; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 8; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 22, mit Rücksicht auf den Umstand, dass eigene Aktien noch während der Annahmefrist an Dritte veräußert werden können. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 60 (zu Pflichtangeboten); Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 17; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 5 f.; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 11; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 8; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 7.
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gezwungen werde, die wegen fehlender Börsennotierung nur begrenzt fungibel seien und dadurch mangels Gelegenheit zum Wiederverkauf der Finanzierungsaufwand unter Umständen steige1. Auch die Übernahmerichtlinie zwinge nicht zu einer anderen Beurteilung2. Dabei wird jedoch nicht immer deutlich unterschieden, ob es sich um ein Angebot handelt, das sich an notierte Aktien richtet, oder um ein Angebot, das sich von vornherein nur auf nicht notierte Aktien bezieht. 12
Im erstgenannten Fall eines Angebots, das sich auf börsennotierte Aktien bezieht, spricht zunächst der Wortlaut von § 32 für die Einbeziehung aller und damit auch der nicht notierten Aktien3. Zudem sind Inhaber von nicht börsennotierten Aktien in gleichem Maße schutzbedürftig wie Inhaber von börsennotierten Aktien4. Damit muss sich ein Übernahmeangebot auch auf nicht an einem organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 notierte Aktien beziehen5. Das entspricht auch der Verwaltungspraxis der BaFin6.
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Davon zu unterscheiden ist der Fall einer Offerte, die ausschließlich an die Inhaber nicht zum Börsenhandel zugelassener Wertpapiere gerichtet ist. Praxisrelevant sind insbesondere die Fälle, bei denen lediglich die stimmrechtslosen Vorzugsaktien, nicht jedoch die Stammaktien an der Börse zum Handel zugelassen sind. § 32 ist auf derartige Angebote im ersten Schritt nicht anwendbar, da sich das Angebot nicht auf Wertpapiere erstreckt, die zum Handel an einem organisierten Markt im Sinne von § 2 Abs. 7 zugelassen sind7. Allerdings muss der Bieter im Anschluss ein Pflichtangebot durchführen, wenn er aufgrund eines nicht dem WpÜG unterliegenden Angebots die Kontrolle erlangt. Somit findet das Gesetz, einschließlich § 32, dann Anwendung, wenn bei einem erfolgten Kontrollwechsel die die Kontrolle vermittelnden Aktien nicht zum Börsenhandel zugelassen sind8 (siehe hierzu auch § 1 Rz. 35 f.). 1 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 9. 2 Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 15, der auf den zweiten Erwägungsgrund der Übernahmerichtlinie verweist, aus dem folge, dass nur die Inhaber zugelassener Anteil schutzbedürftig sind; a.A. Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 3; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12 und Fn. 22. 3 Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 4. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 8, der sich allerdings keiner Meinung anschließt; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15 unter Hinweis darauf, dass die Pflicht zum Vollangebot – zumindest auch – einen präventiven Konzerneingangsschutz gewähren will. 5 Ebenso Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 4; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 3; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 185; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 8; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 12; offengelassen in Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 8; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 6 behandeln diesen Fall nicht. 6 BaFin Jahresbericht 2003, S. 208: „Von einem Übernahme- oder Pflichtangebot müssen grundsätzlich alle Aktien der Zielgesellschaft umfasst sein, auch solche, die nicht börsennotiert sind. Bei einem Pflichtangebot bestimmt das WpÜG, dass allen Aktionären gegenüber ein Angebot abzugeben ist, denn die Kontrollerlangung wirkt sich auf Inhaber nicht börsennotierter Aktien einer ansonsten börsennotierten Gesellschaft gleichermaßen aus. Daneben verbietet das WpÜG ein Übernahmeangebot, das nur auf einen Teil der Aktien gerichtet ist.“ 7 Anders noch die 1. Aufl., Rz. 9. Siehe auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 12, 18 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 7; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 6; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 5 und 9; Kalss in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 2, § 51 Rz. 60; oben Pötzsch/Favoccia, § 1 Rz. 35. 8 So auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 18 Rz. 18 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/ Häger, § 32 Rz. 7; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 6; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 1 Rz. 10a.
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Nicht einbezogen in den Kreis der notwendig Begünstigten eines Übernahmeange- 14 bots sind nach dem Gesetzeswortlaut die Inhaber von Schuldverschreibungen, Optionsanleihen oder anderen zum Aktienerwerb berechtigende Wertpapiere1. Hiervon zu unterscheiden sind diejenigen Wertpapiere, bei denen das Bezugs- oder 15 Wandlungsrecht in Aktien der Zielgesellschaft noch innerhalb der Angebotsfrist ausgeübt wird. Dieser Kreis der Aktionäre ist dann ebenfalls zur Annahme des Angebots berechtigt2. Bei der Bestimmung des Zeitraums, in dem die Aktien auf Grund des Bezugsrechts bezogen werden, ist – im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut von § 16 Abs. 2 Satz 1 – auf die Annahmefrist des § 16 Abs. 1 abzustellen3; nur diejenigen Aktionäre sollen geschützt werden, die bereits bei Ablauf der ursprünglichen (ggfs. verlängerten) Annahmefrist das Angebot hätten annehmen können4. Allerdings wird der Bieter praktisch nicht unterscheiden können, ob ihm alte oder erst während der weiteren Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 Satz 1 entstandene Aktien angedient werden5. Keine Anwendung findet § 32 jedenfalls auf Aktien, die erst nach Ablauf der Annahmefrist entstehen, da das Angebot zu diesem Zeitpunkt nicht mehr besteht6. Daneben muss es dem Bieter möglich sein, das Angebot auf solche Personen zu beschränken, denen bis zum Ablauf der Annahmefrist die entsprechenden Aktien gehören und sich dadurch vor Leerverkäufen zu schützen7. § 32 findet keine Anwendung auf Aktien eines börsennotierten Tochter- oder Beteiligungsunternehmens der Zielgesellschaft, über die der Bieter mittelbar die Kontrolle 1 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14; Thun in Geibel/Süßmannn, § 32 Rz. 12 ff.; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 4; kritisch Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13. Für die Einbeziehung auch der Wandelanleihen- und Optionsscheininhaber in den Adressatenkreis des Übernahmeangebots unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten Houben, WM 2000, 1873, 1879. 2 Zutreffend Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 15; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 7; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13, 16 (unter Hinweis darauf, dass sich bei freiwilligen Übernahmeangeboten das Risiko des Bieters durch entsprechende Bedingungen nach § 18 reduzieren lässt); Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 4, 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 32; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 8; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 9 (der dies allerdings auf junge Aktien beschränkt, die durch Ausübung eines vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage eingeräumten Bezugs- oder Umtauschrechts entstehen, und für Aktien, die durch Kapitalmaßnahmen ausgegeben werden, differenziert, siehe bereits oben Rz. 8 Fn. 2; a.A. Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 44, wonach die betreffenden Aktionäre gemäß dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ des Schutzes von § 32 nicht bedürfen und daher der Anwendungsbereich teleologisch zu reduzieren sei. 3 So auch Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 17; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 8; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 7; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 6; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 33; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 185. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 7; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 21 f.; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 33; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 8. 5 Zutreffend Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 22; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 33 Fn. 50. Siehe auch Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 7 ff., der aus diesem Grund danach differenziert, ob neue Aktien von den bisherigen Stücken wertpapiermäßig zu unterscheiden sind oder nicht. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 7. 7 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 15; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 34; anders Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 9, wonach sich die Frage der Zulässigkeit der Beschränkung nicht stelle, da derjenige, der während der (ggfs. verlängerten) Annahmefrist keine Aktien halte, das Angebot schon nicht annehmen könne.
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erlangen würde1. Das gibt weder der Wortlaut noch die Ratio der Vorschrift her. Zu einer Analogiebildung kann auch nicht auf § 35 Abs. 3 verwiesen werden, da diese Vorschrift nur für Fälle gilt, in denen die Gesellschaft, über die der Bieter die Kontrolle erlangt, unmittelbar Gegenstand des Übernahmeangebots war2. Jedoch ist der Bieter nach § 35 zur Abgabe eines weiteren Übernahmeangebots auch für die Tochtergesellschaft verpflichtet, falls er durch die Übernahme der Muttergesellschaft mittelbar die Kontrolle über sie erlangt3. 17
Es sind keine Gründe ersichtlich, von einem konkurrierenden Bieter gehaltene Aktien von der Pflicht zum Vollangebot auszunehmen, selbst wenn sie erst im Laufe der Annahmefrist erworben wurden4. Dass der nicht erfolgreiche Bieter durch die Möglichkeit der Veräußerung der Aktien an den erfolgreichen Bieter gegen eine unwirtschaftliche Investition abgesichert wird, ist insofern unbeachtlich5. Will sich der Bieter gegen konkurrierende Angebote schützen, so muss er entsprechende Bedingungen in die Angebotsunterlage aufnehmen (vgl. § 18 Rz. 106 f.)6.
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Fraglich ist, ob der Bieter sein Angebot auf Aktien beschränken kann, die keine Rechtsmängel aufweisen. Dies kann etwa eine Rolle bei verpfändeten oder mit einer Einlageverbindlichkeit belasteten Aktien spielen. Für die Zulässigkeit eines derartigen Teilangebots spricht die Tatsache, dass der annehmende Aktionär regelmäßig zusichern muss, dass seine Aktien frei von Rechtsmängeln sind und er ansonsten vom Angebot ausgeschlossen ist7. Andererseits dürften diese Fälle mit den zivilrechtlichen Gewährleistungsvorschriften zu bewältigen sein8. Kann der Aktionär keine mangelfreien Aktien liefern, kommt daher ein Schadensersatzanspruch des Bieters gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB in Betracht9. Gleichwohl stellt sich für den Bieter die praktische Schwierigkeit, dass er die Identität des jeweiligen Aktionärs in der Regel nicht ermitteln kann10. Ob in diesem Fall eine Rückabwicklung über die Bank erfolgen kann11, ist ungeklärt.
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Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll es dem Bieter möglich sein, Aktionäre vom Angebot auszuschließen, die ihre Aktien während der Annahmefrist vom Bieter selbst erworben haben. Der Bieter sei anderenfalls faktisch an der Weiterveräußerung derjenigen Anteile gehindert, die er zum Erhalt der Kontrollmehrheit über die Zielgesellschaft nicht benötige12. Da die jeweiligen Aktionäre in Kenntnis des Übernahmeangebots die Aktien gekauft haben, könne ihnen der Schutz von § 32
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 10; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 19; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 23; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 16. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 10. 3 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 19; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 10; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 23. 4 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 13, Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 11; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 8; a.A. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 15. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 11. 6 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 13. 7 Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 11. 8 So auch Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12. 9 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12. 10 Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 11. 11 So Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 12. 12 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 12, 15.
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nicht zu Gute kommen1. Allerdings kann allein der Verweis auf die Kenntnis der Aktionäre die Anwendbarkeit von § 32 nicht ausschließen2, zumal auch der Bieter die Aktien im Lichte des Übernahmeangebots verkauft hat3. Außerdem würde der Handel mit den Aktien der Zielgesellschaft während der Annahmefrist beeinträchtigt4. Ohnehin ist ein entsprechender Ausschluss nur theoretisch denkbar, da für den Bieter regelmäßig nicht erkennbar ist, ob die jeweils angedienten Aktien solche sind, die er im Laufe der Annahmefrist bereits veräußert hat5. In der Praxis kann der Bieter zwar Nichtandienungsverpflichtungen vereinbaren6. Einen effektiven Schutz bietet dies indes nicht, da ein Verstoß hiergegen je nach Ausgestaltung allenfalls Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann7, die Wirksamkeit der Annahme des Angebots davon aber unberührt bleibt8. Unterschiedliche Meinungen werden auch hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit 20 von § 32 auf sog. American Depository Receipts, ADR vertreten9. Bei ADRs handelt es sich um Zertifikate, die Aktien vertreten. Die Ausgabe dieser Zertifikate verfolgt den Zweck, die vertretene Aktie auf Grund börsenrechtlicher Erleichterungen für diese Zertifikate am US-Kapitalmarkt handelbar zu machen10. Eine analoge Anwendung von § 32 auf ADRs wird damit begründet, dass zwar Aktien vorhanden sind, jedoch die Mitgliedschaftsrechte nicht von der die Aktien treuhänderisch haltenden Bank wahrgenommen werden, sondern von den Inhabern der ADRs. Gegen eine unmittelbare Anwendung von § 32 spricht zweifellos der Wortlaut der Vorschrift, der hinsichtlich des Adressatenkreises des Angebots auf die Stellung als Aktionär abstellt und nicht auch die Inhaber sonstiger Wertpapiere einbezieht. Gegen eine analoge Anwendung ließe sich einwenden, dass eine Regelungslücke 21 nicht besteht, da es Aktien und damit auch Inhaber von Aktien als Empfänger des Übernahme- bzw. Pflichtangebots gibt; die Klärung von Rechtsproblemen auf Grund der besonderen Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen Aktionär und ADR-Inhaber nach ausländischem Recht, in deren Folge die aus der Aktie fließenden Mitgliedschaftsrechte durch den Aktieninhaber nicht wahrgenommen werden, ist nicht Aufgabe des WpÜG. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 32 auf ADRs spricht hingegen, dass andernfalls der Bieter faktisch ein Teilangebot abgeben würde, da die Treuhänderin 1 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 12, 15. 2 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 11; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 19. 3 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13. 4 Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 19; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 24. 5 Ähnlich Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 10. 6 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 11; Noack in Schwarz/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 13. 7 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13. 8 Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 10; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 13; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 24. 9 Für eine (analoge) Anwendbarkeit von § 32 auf ADRs: Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 12; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 14; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 29; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 5; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 60 Rz. 185; a.A. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 10; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 9; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 5. 10 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 34.
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§ 32
Unzulässigkeit von Teilangeboten
das Angebot nicht annehmen kann und der ADR-Inhaber kein Aktionär ist. Dies liefe jedoch Sinn und Zweck der Regelung im Fall von Übernahme- und Pflichtangeboten zuwider1. Eine Beschränkung des Angebots in diesen Fällen kann bei Aktien nur unter den Voraussetzungen des § 24 erfolgen2. Der Gesetzgeber trägt mit dieser Vorschrift Kollisionsproblemen Rechnung, die sich aus der Anwendung ausländischen Rechtsvorschriften ergeben. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er nur in einem eng, nach § 24 begrenzten Rahmen Ausnahmen vom Grundsatz des Vollangebots zulassen will. Der Einwand, eine analoge Anwendung von § 32 verstieße gegen das strafrechtliche Analogieverbot, da ein Verstoß gegen die Vorschrift eine Ordnungswidrigkeit nach § 60 darstellt3, trägt nicht, da zum einen bei Ordnungswidrigkeiten das Analogieverbot nicht den engen Grenzen des Strafrechts unterliegt. Zum anderen berührt die Frage des Analogieverbots lediglich die Frage der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit und damit die Möglichkeit der Sanktionierung mit Bußgeld im Fall eines Verstoßes, wobei es insoweit genügt, wenn die Rechtsfolgen des § 60 nicht angewendet werden, wenn der Bieter nur in Bezug auf die ADR gegen § 32 verstößt4. All das hindert aber nicht das Schließen einer Regelungslücke bei der Verwaltungsnorm, die die öffentlich-rechtliche Verpflichtung statuiert.
III. Ausnahmen 23
Die Verpflichtung zum Vollangebot gilt unbeschadet der Vorschrift des § 24. Nach der Regelung für grenzüberschreitende Angebote kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht den Bieter von der grundsätzlichen Verpflichtung, allen Aktionären der Zielgesellschaft ein Angebot zu unterbreiten, ausnehmen, wenn diese Aktionäre ihren Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben und die Erstreckung des Angebots auch auf diesen Aktionärskreis auf Grund der Beachtung des ausländischen Rechts für den Bieter rechtlich unzumutbar wäre. Hierunter fallen beispielsweise Sachverhalte, bei denen die betreffende ausländische Rechtsordnung dem WpÜG widersprechende Anordnungen vorsieht oder auf Grund der erforderlichen Mitwirkung ausländischer Aufsichtsbehörden und deren Entscheidungspraxis bereits zu Beginn des Verfahrens vorhersehbar ist, dass der Bieter auch bei Anwendung aller Sorgfalt nicht in der Lage sein wird, die rechtlichen Vorgaben einzuhalten5 (vgl. im Einzelnen die Ausführungen zu § 24).
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Ob weitere, ungeschriebene Ausnahmen von der Pflicht zur Abgabe eines Vollangebots für den Fall existieren, dass eine entsprechende Einschränkung sachlich geboten erscheint, ist ungeklärt. Denkbar ist dies etwa in denjenigen Konstellationen, die von den Befreiungstatbeständen nach § 37 i.V.m. § 9 WpÜG-AngVO geregelt werden6. Eine dahingehende teleologische Reduktion von § 32 scheidet de lege lata allerdings aus7.
1 So im Ergebnis auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 9; Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 12; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 29. 2 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15. 3 So Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 10. 4 Siehe auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 15. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 51. 6 So Tröger, DZWIR 2002, 397, 398, der die Befreiungsvorschriften für analog anwendbar auf die Vollangebotspflicht hält. 7 Zutreffend im Ergebnis auch Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 36.
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Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
D. Rechtsfolgen bei Verstößen Ein Übernahme- oder Pflichtangebot, das nicht als Vollangebot abgegeben wird, ist 25 nicht nach § 134 BGB nichtig1. Es ist jedoch übernahmerechtlich unzulässig und daher von der BaFin gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 zu untersagen2. Umstritten sind die Folgen für den Fall, dass die BaFin ein unzulässiges Angebot 26 nicht untersagt. Einerseits wird vertreten, dass der Bieter erneut ein Pflichtangebot abzugeben habe und insofern auch die Befreiungswirkung des § 35 Abs. 3 nicht ausgelöst werde3. Nach der Gegenansicht wird das Angebot kraft Gesetzes zum Vollangebot und die Angaben in der Angebotsunterlage (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) mithin unrichtig, was konsequenterweise die Folgen der Haftungs- und Bußgeldvorschriften der §§ 12 und 60 nach sich ziehe4. Diese Lösung dürfte dem Schutzbedürfnis der unzulässigerweise nicht vom Teilangebot berücksichtigten Aktionäre am ehesten entsprechen5.
E. Blick über die Grenze Rechtsvergleichende Hinweise zur Zulässigkeit von Teilangeboten im Vereinigten Königreich, Österreich, der Schweiz sowie den Vereinigten Staaten sind im Rahmen der Kommentierung zu § 19 (Abschnitt E., Rz. 20 ff.) wiedergegeben.
§ 33 Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft (1) Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Dies gilt nicht für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte, für die Suche nach einem konkurrierenden Angebot sowie für Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat. (2) Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand vor dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum zur Vornahme von Handlungen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, um den Erfolg von Übernahmeangeboten zu verhindern, sind diese Handlungen in der Ermächtigung der Art nach zu bestimmen. Die Ermächtigung kann für höchstens 18 Monate erteilt werden. Der Beschluss der
1 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 19 (Angebot stellt lediglich die Vorstufe des noch zu schließenden Vertrages zwischen Aktionär und Bieter dar); im Ergebnis ebenso Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 16; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 22; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, § 32 Rz. 37. 2 Diekmann in Baums/Thoma, § 32 Rz. 13, Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 19; Glade in Heidel, § 32 WpÜG Rz. 10; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 14; Noack in Schwark/Zimmer, § 32 WpÜG Rz. 20; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 32 Rz. 22. 3 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 32 Rz. 14; Thun in Geibel/Süßmann, § 32 Rz. 24. 4 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 20; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 32 Rz. 16. 5 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 32 Rz. 20.
Krause/Pötzsch/Stephan
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§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst; die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Handlungen des Vorstands auf Grund einer Ermächtigung nach Satz 1 bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. (3) (weggefallen)
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
2
II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
III. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
1. Übernahmekodex . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . a) Diskussionsentwurf . . . . . . . . . . . b) Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . c) Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . d) Weiteres Verfahren . . . . . . . . . . . .
17 18 19 21 22 23
IV. EU-Übernahmerichtlinie . . . . . . . . .
25
1. Vom Pennington-Report bis zum Gemeinsamen Standpunkt (2000) . . 2. Ablehnung im Europäischen Parlament (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Revidierter Richtlinienvorschlag (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . . a) Verhinderungsverbot und Durchgriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Opt out, Opt in und Gewährleistung der Gegenseitigkeit . . . . . . . c) Offenlegung von Übernahmehindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 27 28 32 33 34 37 40
V. Rechtsökonomische Bewertung . . .
43
VI. Gesellschaftsrechtliche oder kapitalmarktrechtliche Einordnung? . . .
46
1. Rechtslage vor Inkrafttreten des § 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage nach Inkrafttreten des § 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 50
VII. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische Fragen . . . . . . . . . .
53 54
B. Verhinderungsverbot § 33 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . .
56
I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
58
940 Krause/Pötzsch/Stephan
1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . 2. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . a) Beginn der Geltung . . . . . . . . . . . . b) Ende der Geltung . . . . . . . . . . . . . c) Geltung im Vorfeld des Angebots?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geltung bei Abbruch des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geltung bei missbräuchlichen Angeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 62 62 67 70 72 73
III. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. 2. 3. 4.
Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . Organe verbundener Unternehmen
74 76 80 81
IV. Inhalt des Verhinderungsverbots . . . 83 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Maßnahmen. . . . . . . . . . . . a) Ausgabe neuer Aktien . . . . . . . . . b) Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . c) Veräußerung eigener Aktien . . . . d) Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen, Aktienoptionen . . . . . . . . . . . . . . . e) Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände (crown jewel defense) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erwerb von Unternehmen (u.a. antitrust defense) . . . . . . . . . g) Veränderung der Finanzierungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gekreuzte Beteiligungen . . . . . . . i) Gegenangebot (pac man) . . . . . . . j) Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien . . . . . . . . . . . . . . . . k) Schuldrechtliche Veräußerungsbeschränkungen (lock-ups) . . . . . l) Abfindungszahlungen für Vorstandsmitglieder (golden parachutes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Vereinbarung von change of control-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . n) Kollektiv-arbeitsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 88 88 92 98 99 103 106 108 109 110 112 115 116 117 118
§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft o) Stillhalteabkommen (standstill agreements) . . . . . . . . . . . . . . . . . . p) Break fees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . q) Verteidigung mit Argumenten . . r) Werbemaßnahmen . . . . . . . . . . . . s) Sonderdividende . . . . . . . . . . . . . . t) Einberufung einer Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 120 121 122 123 124 125
C. Ausnahmen vom Verhinderungsverbot (§ 33 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . 126 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . 127 2. Gesellschaftsrechtliche Schranken . 128 3. Deutscher Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Verhältnis der Ausnahmetatbestände zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Verhältnis innerhalb § 33 Abs. 1 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Verhältnis zu § 33 Abs. 2 . . . . . . . . . 138 III. Handlungen eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1) . . . 145 1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässige Maßnahmen . . . . . . . . . . . a) Maßnahmen im originären Kompetenzbereich des Vorstands . . . . aa) Weiterführung des Tagesgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weiterverfolgung eingeschlagener Unternehmensstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Maßnahmen . . . . . . b) Maßnahmen im von der Hauptversammlung abgeleiteten Kompetenzbereich des Vorstands: Ausnutzung von Ermächtigungsbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts bb) Erwerb und Veräußerung eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . cc) Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände . . . . . dd) Sonstige Maßnahmen . . . . . . 3. Ermessensentscheidung . . . . . . . . . .
145 146 147 147 148 151
153 154 156 159 160 161
IV. Suche nach einem Konkurrenzangebot (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2) . . . . 163 1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Praktische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . 169
V. Abwehrmaßnahmen mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3) . . . . . . . . . . . . . . 172 1. 2. 3. 4. 5.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . Zulässige Maßnahmen . . . . . . . . . . . Ermessen des Vorstands . . . . . . . . . . Zustimmung des Aufsichtsrats . . . . a) Zuständigkeit und Verfahren . . . b) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 174 175 177 179 179 183
VI. Abwehrmaßnahmen aufgrund Ad hoc-Zustimmung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erleichterung der Einberufung und Abhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formale Erfordernisse . . . . . . . . . . . . 4. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnutzung des Hauptversammlungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . .
188 194 195 198 199
D. Vorratsbeschlüsse (§ 33 Abs. 2) . . . . 200 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . 204 1. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . 2. Handlungen zur Verhinderung von Übernahmeangeboten . . . . . . . . 3. Zuständigkeit der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aktienrechtlich vorgesehene Ermächtigungen . . . . . . . . . . . bb) Geschäftsführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Maßnahmen . . . . . . . 4. Inhaltliche und formale Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung der Abwehrmaßnahme „der Art nach“ . . . . . . . . . b) Zweckbestimmung. . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zu den aktienrechtlichen Erfordernissen . . . . . . . . . . d) Erfordernis sachlicher Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeitliche Grenzen der Ermächtigung (§ 33 Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . 6. Mehrheitserfordernis (§ 33 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Berichtserfordernisse . . . . . . . . . . . .
Krause/Pötzsch/Stephan
204 205 206 206 208 208 209 212
214 214 218 220 222 223 227 231
941
§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
8. Wirksamwerden des Ermächtigungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . 232 9. Aufhebung und Änderung der Ermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Handlungen des Vorstands aufgrund der Ermächtigung (§ 33 Abs. 2 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Zustimmung des Aufsichtsrats . . . . 240 3. Zeitpunkt der Ausnutzung der Ermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 E. Übernahmeprophylaxe . . . . . . . . . . . 243 I. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Zuständigkeit für Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe . . . . . . . . 246 III. Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV. Einzelne Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Abschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erwerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . b) Ankaufs- oder Vorkaufsrechte und sonstige Absprachen mit oder zwischen Aktionären . . . . . . c) Zwangseinziehung . . . . . . . . . . . . d) Vinkulierte Namensaktien . . . . . e) Gewinnung von Großaktionären f) Belegschaftsaktien . . . . . . . . . . . . g) Sicherungs-GmbH. . . . . . . . . . . . . h) Gekreuzte und ringförmige Beteiligungen, Pyramidenstruktur . 2. Erschwerung der Kontrollausübung a) Stimmrechtsbeschränkungen, Mehrstimmrechte . . . . . . . . . . . . . b) Stimmrechtslose Vorzugsaktien . c) Genussrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erhöhte Zustimmungsquoten . . . e) Verschiedene Gattungen von Stammaktien, Entsendungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Konzerngründungsklausel . . . . . . g) Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . h) Gestaffelte Amtszeiten für Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands (staggered board) . . . . . i) Besondere Wahlbestimmungen für den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . j) Persönliche Voraussetzungen für Organmitglieder . . . . . . . . . . . 3. Veränderung der Vermögensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Veräußerung von Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
942 Krause/Pötzsch/Stephan
249 249 250 251 252 253 254 255 256 258 258 259 263 264 265 267 268
b) Asset lock-up. . . . . . . . . . . . . . . . . c) Equity carve-out . . . . . . . . . . . . . . d) Poison debt . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Change of control-Klauseln . . . . . f) Golden parachutes . . . . . . . . . . . . 4. Vorbereitung von Ad hoc-Abwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigtes Kapital mit Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . b) Ermächtigung zu Erwerb und Veräußerung eigener Aktien . . . . c) Ermächtigung zur Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen . . d) Ermächtigung zur Ausgabe von Aktienoptionen . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorbereitung der crown jewel defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Steigerung des Börsenkurses . . . . . . a) Kommunikationsmaßnahmen . . b) Rückerwerb eigener Aktien. . . . . 6. Sonstiges. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Namensaktien . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßnahmeplan für den Ernstfall (defense manual) und sonstige Vorbereitungshandlungen . . . . . .
275 276 278 279 280 281 282 286 288 289 291 293 294 295 296 297 298
F. Rechtsfolgen von Verstößen . . . . . . 299 I. Verstöße gegen § 33 Abs. 1 . . . . . . . . 299 1. Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . a) Wirksamkeit im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterlassungsansprüche . . . . . . . aa) Ansprüche der Aktionäre . . . bb) Ansprüche des Bieters . . . . . . c) Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands . . . . . . . aa) Ansprüche der Gesellschaft . bb) Ansprüche der Aktionäre . . . cc) Ansprüche des Bieters . . . . . . d) Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Aufsichtsrats . . . . e) Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . aa) Ansprüche der Aktionäre . . . bb) Ansprüche des Bieters . . . . . . f) Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . .
299 302 303 304 304 307 309 309 312 313 314 316 316 321 322
269
II. Verstöße gegen § 33 Abs. 2 . . . . . . . . 323
271
G. Vorteilsgewährung an Organmitglieder (§ 33 Abs. 3 a.F.) . . . . . . . . . . 324
272
H. Blick über die Grenze . . . . . . . . . . . . 325
273 274
I. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 325 II. Vereinigte Staaten von Amerika . . . 328 III. Weitere EU-Mitgliedstaaten . . . . . . 332
§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
Schrifttum: Adams, Was spricht gegen eine unbehinderte Übertragbarkeit der in Unternehmen gebundenen Ressourcen durch ihre Eigentümer?, AG 1990, 243; Altmeppen, Neutralitätspflicht und Pflichtangebot nach dem neuen Übernahmerecht, ZIP 2001, 1073; Arnold, Mehrstimmrechte und stimmrechtslose Vorzugsaktien in der Übernahmerichtlinie, Der Konzern 2003, 173; Arnold/Wenninger, Maßnahmen zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote, CFL 2010, 79; Assmann, Verhaltensregeln für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, AG 1995, 563; van Aubel, Vorstandspflichten, 1996; Bachmann, Konkurrierende Angebote, in Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), 2011, S. 191; Banerjea, Der Schutz von Übernahme- und Fusionsplänen, DB 2003, 1489; Bank, Präventivmaßnahmen börsennotierter Gesellschaften zur Abwehr feindlicher Übernahmeversuche in Deutschland und Großbritannien. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und britischen Rechts unter Berücksichtigung der Europäischen Übernahmerichtlinie, 2006; Barst, Rechtsschutzinstrumente des Bieters bei feindlichen Übernahmen, 2008; Baudisch, Nochmals: Neutralitätspflicht des Vorstands und Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung im Übernahmerecht, AG 2001, 251; Bauer/Arnold, Vorstandsverträge im Kreuzfeuer der Kritik, DB 2006, 260; Baum, Japans zögerlicher Weg zu einem Markt für Unternehmenskontrolle. Institutionelle Dynamik und regulatorischer Wandel, in Baum u.a. (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 2008, S. 325; Baums, Notwendigkeit und Grundzüge einer gesetzlichen Übernahmeregelung, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, 1999, S. 165; Baums, Empfiehlt sich eine Neuregelung des aktienrechtlichen Anfechtungs- und Organhaftungsrechts, insbesondere der Klagemöglichkeiten von Aktionären?, Gutachten zum 63. Deutschen Juristentag 2000, S. 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Krause/Pötzsch/Stephan
943
§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
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Eine vergleichende Untersuchung von Abwehrmaßnahmen bei feindlichen Übernahmen nach deutschem und US-amerikanischem Recht unter Berücksichtigung des deutschen Übernahmegesetzes, 2007; Dimke/Heiser, Neutralitätspflicht, Übernahmegesetz und Richtlinienvorschlag, NZG 2001, 241; Diregger/Winner, Deutsches und österreichisches Übernahmerecht aus Anlegersicht, WM 2002, 1583; Drinkuth, Informationspflichten bei Ermächtigungsbeschlüssen nach § 33 WpÜG, AG 2005, 597; Drinkuth, Pflichten der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft bei öffentlichen Erwerbsangeboten, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 59; Drygala, Die neue deutsche Übernahmeskepsis und ihre Auswirkungen auf die Vorstandspflichten nach § 33 WpÜG, ZIP 2001, 1861; Easterbrook/Fischel, The Proper Role of a Target’s Management in Responding to a Tender Offer, 94 Harv.L.Rev. 1161 (1981); Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, 185; Ebenroth/Daum, Die Kompetenzen des Vorstands einer Aktiengesellschaft bei der Durchführung und Abwehr unkoordinierter Übernahmen (Teil II), DB 1991, 1157; Ebenroth/ Eyles, Beschränkung von Hostile Takeovers in Delaware, RIW 1988, 413; Ekkenga, Das Organisationsrecht des genehmigten Kapitals, AG 2001, 567 (Teil I), 615 (Teil II); Ekkenga, § 33 WpÜG: Neutralitätsgebot oder Grundsatz der Abwehrbereitschaft, in FS Kümpel, 2003, S. 95; Ekkenga/Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DStR 2002, 724 (Teil I) und 768 (Teil II); Elsner, Das Recht der Übernahmeangebote im Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland, 2006; Escher-Weingarten/Kübler, Erwerb eigener Aktien, Deutsche Reformbedürfnisse und europäische Fesseln?, ZHR 162 (1988), 537; von Falkenhausen, Das „Takeover-Game“ – Unternehmenskäufe in den USA, in FS Stiefel, 1987, S. 163; von Falkenhausen, Unternehmensprophylaxe – Die Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft, NZG 2007, 97; von Falkenhausen, Gleichbehandlung der Bieter?, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93; von Falkenhausen/von Klitzing, Wandelanleihen als poison pill, ZIP 2006, 1513; Fastrich, Golden Parachutes und sonstige Landehilfen, in FS Heldrich, 2005, S. 143; Fleischer, Die „Business Judgment Rule“ im Spiegel von Rechtsvergleichung und Rechtsökonomie, in FS Wiedemann, 2002, S. 827; Fleischer, Konkurrenzangebote und Due Diligence, ZIP 2002, 651; Fleischer, Zulässigkeit und Grenzen von Break-FeeVereinbarungen im Aktien- und Kapitalmarktrecht, AG 2009, 345; Friedl, Die Stellung des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft bei Abgabe eines Übernahmeangebots nach neuem Übernahmerecht unter Berücksichtigung des Regierungsentwurfs zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, NZG 2006, 422; Fritz, Bestandsaufnahmen – Entwicklung von feindlichen Übernahmen in Deutschland, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 113; Fromm-Russenschuck/Banerjea, Die Zulässigkeit des Handelns mit Insiderpapieren nach Durchführung einer Due Diligence-Prüfung, BB 2004, 2425; Gamerdinger/Saupe, Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen in der Bundesrepublik – eine Untersuchung der Kriterien, Möglichkeiten und Notwendigkeiten (II), AG 1976, 29; Geens, The post Société Générale de Belgique era: public offers regulated anew and defence measures curbed, in Maeijer/Geens (Hrsg.), Defensive Measures against Hostile Takeovers in the Common Market, 1990, S. 55; Gilson, A Structural Approach to Corporations: The Case Against Defensive Tactics in Tender Offers, 33 Stan.L.Rev. 819 (1981); Götze, „Gelatine“ statt „Holzmüller“ – Zur Reichweite ungeschriebener Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung, NZG 2004, 585; Grassl, Opt-in, Opt-out – alles klar in Europa? Zur Abwehr feindlicher öffentlicher Übernahmeangebote nach der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, in FS zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 2008, S. 177; Groß, Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungsbeschlüssen zu Erwerb oder Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, AG 1996, 111; Grundmann, Die rechtliche Verfassung des Marktes für Unternehmenskontrolle nach Verabschiedung der Übernahme-Richtlinie, NZG 2005, 122; Grundmann/ Möslein, Die Goldene Aktie, ZGR 2003, 317; Grunewald, Was bringt der Vorschlag einer 13.
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Aktien-
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Schneider, Die Beteiligung von Ausländern an inländischen Aktiengesellschaften – Möglichkeiten der Beschränkung und Vorschläge de lege ferenda, ZGR 1975, 182; Lutter/Timm, Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht, NJW 1982, 409; Lutter/Wahlers, Der Buyout: Amerikanische Fälle und die Regeln des deutschen Rechts, AG 1989, 1; Mai, Aktionärsschutz und Minderheitenschutz bei der Abwehr unkoordinierter Übernahmen börsennotierter Aktiengesellschaften, 2004; Maier, Pflichten der Leitungsorgane und Rechte der Aktionäre bei der Abwehr feindlicher Übernahmeangebote. 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Mertens, Die Information des Erwerbers einer wesentlichen Unternehmensbeteiligung an einer Aktiengesellschaft durch deren Vorstand, AG 1997, 541; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958; Mestmäcker, Zur aktienrechtlichen Stellung der Verwaltung bei Kapitalerhöhungen, DB 1961, 945; Meyer, Änderungen im WpÜG durch die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, WM 2006, 1135; Michalski, Abwehrmechanismen gegen unfreundliche Übernahmeangebote („unfriendly takeovers“) nach deutschem Aktienrecht, AG 1997, 152; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband. Aktienund Übernahmerecht, Rechtsvergleich und europäischer Rahmen, 2007; Möller/Pötzsch, Das neue Übernahmerecht – Der Regierungsentwurf vom 11. Juli 2001, ZIP 2001, 1256; Mülbert, Die Zielgesellschaft im Vorschlag 1997 einer Takeover-Richtlinie, IStR 1999, 83; Mülbert/Birke, Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot, WM 2001, 705; W. Müller, Die Entscheidungsspielräume der Verwaltung einer Aktiengesellschaft im Verhältnis zu ihren Aktionären, in FS Semler, 1993, S. 195; Neye, Der gemeinsame Standpunkt des Rates zur 13. Richtlinie – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Übernahmerecht, AG 2000, 289; Neye, Die EU-Übernahmerichtlinie auf der Zielgeraden, ZIP 2001, 1120; Neye, Der Vorschlag 2002 einer Takeover-Richtlinie, NZG 2002, 1144; Nippgen, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten. Eine Betrachtung der Grundlagen im deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht und der Rechtslage nach dem WpÜG unter Berücksichtigung rechtspolitischer Gebote und der EU-Übernahmerichtlinie, 2005; Nobel/Drenckhan, Ein deutscher und europäischer Blick auf Unternehmensübernahmen in der Schweiz, WM 2006, 1129; Nussbaum, Abfindungen und Anerkennungsprämien für Vorstandsmitglieder deutscher Aktiengesellschaften, 2009; von Nussbaum, Die Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft eines Übernahmeangebots, 2003; Oechsler, Der Regierungsentwurf zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden, NZG 2001, 817; Otto, Übernahmeversuche bei Aktiengesellschaften und Strategien der Abwehr, DB-Beil. 12/1988, 1; Otto, Gebundene Aktien: Vertragliche Beschränkungen der Ausübung und Übertragbarkeit von Mitgliedschaftsrechten zugunsten der AG, AG 1991, 369; T.C. Paefgen, Gesellschaftsrechtlicher Präventivschutz in Delaware, RIW 1991, 103; T.C. Paefgen, Kein Gift ohne Gegengift: Sortimentserweiterung in der Bereitschaftsapotheke gegen idiosynkratische Unternehmenskontrollwechsel, AG 1991, 189; W.G. Paefgen, Justiziabilität des Verwaltungshandelns beim genehmigten Kapital, ZIP 2004, 145; Peglow, Die EU-Übernahmerichtlinie, GPR 2006, 37; Peltzer, Prophylaktische Verteidigungsstrategien gegen feindliche Übernahmeversuche, ZfgK 1988, 577; Pfab, Die WpÜG-Reform 2006. Änderungen und Auswirkungen, 2008; Pießkalla, Goldene Aktien aus EG-rechtlicher Sicht. Eine Untersuchung staatlicher und privater Sonderrechte in Wirtschaftsgesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der Kapitalverkehrsfreiheit, 2006; Pisani, Public Tender Offers in France.
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Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
The Sanofi-Aventis Case, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 85; Pluskat, Das geplante neue Übernahmerecht nach dem Referentenentwurf des BMF, DStR 2001, 879, 900; Pluskat, Das Scheitern der europäischen Übernahmerichtlinie, WM 2001, 1037; Poelzig/Thole, Kollidierende Geschäftsleiterpflichten, ZGR 2010, 836; Pötzsch/ Möller, Das künftige Übernahmerecht, WM-Sonderbeil. 2/2000; Presser, Öffentliche Übernahmeangebote und Unternehmenskontrolle in Deutschland. Unter besonderer Berücksichtigung des Minderheitenschutzes und unter Einbeziehung der europäischen Übernahmerichtlinie, 2005; Rasner, Die Pflichten der Zielgesellschaft bei unfreundlichen Übernahmeangeboten nach dem deutschen WpÜG. Unter besonderer Berücksichtigung europäischer und US-amerikanischer Übernahmeregelungen sowie der Konzeption des Gemeinsamen Entwurfs einer EU-Übernahmerichtlinie, 2005; Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991; Rittwage, Normen für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln, 2009; Rodewald, Die Angemessenheit des Ausgabebetrages für neue Aktien bei börsennotierten Gesellschaften, BB 2004, 613; Röhrich, Feindliche Übernahmeangebote: eine wettbewerbspolitische Beurteilung, 1992; Roschmann/ Frey, Geheimhaltungsverpflichtungen der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften bei Unternehmenskäufen, AG 1996, 449; von Rosen/Gebauer, Die Namensaktie und Investor Relations, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Die Namensaktie, 2000, S. 127; Rümker, Übernahmeangebote – Verhaltenspflichten des Vorstandes der Zielgesellschaft und Abwehrmöglichkeiten, in FS Heinsius, 1991, S. 683; Scamuffa, Öffentliche Übernahmeangebote. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und italienischen Übernahmerechts vor dem Hintergrund der Europäischen Übernahmerichtlinie, 2009; Schacht, Das Insiderhandelsverbot bei öffentlichen Übernahmeangeboten, 2002, S. 84; Schaefer/Eichner, Abwehrmöglichkeiten des Vorstands von börsennotierten Aktiengesellschaften bei feindlichen Übernahmeversuchen – ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland und den USA, NZG 2003, 150; Schander, Abwehrstrategien gegen feindliche Übernahmen und ihre Zulässigkeit im Lichte der Aktienrechtsreform, BB 1997, 1801; Schander, Der Rückkauf eigener Aktien nach KonTraG und Einsatzpotenziale bei Übernahmetransaktionen, ZIP 1998, 2087; Schanz, Feindliche Übernahmen und Strategien der Verteidigung, NZG 2000, 337; Schanz, Verteidigungsmechanismen gegen feindliche Übernahmen nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie im deutschen Recht, NZG 2007, 927; W. Schilling, Gesellschaftstreue und Konzernrecht – Zur Auslegung des § 243 Abs. 2 AktG, in Freundesgabe Hengeler, 1972, S. 226; W. U. Schilling, Takeover, Treuepflicht & Shareholder Value, BB 1997, 1909; Schlitt/Löschner, Abgetrennte Optionsrechte und Naked Warrants, BKR 2002, 150; Schlitt/Seiler/Singhof, Aktuelle Rechtsfragen und Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Wandelschuldverschreibungen, AG 2003, 254; Uwe H. Schneider, Gesetzliches Verbot für Stimmrechtsbeschränkungen bei der Aktiengesellschaft?, AG 1990, 56; Uwe H. Schneider, Die Zielgesellschaft nach Abgabe eines Übernahme- oder Pflichtangebots, AG 2002, 125; Uwe H. 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Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
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Eine rechtsvergleichende Analyse vor dem Hintergrund ökonomischer Überlegungen zur Corporate Governance, 2009; Werner, Probleme „feindlicher“ Übernahmeangebote im Aktienrecht, 1990; Whittaker/Hayakawa, Contesting „Corporate Value“ thorugh takeover bids in Japan, Corporate Governance, Volume 15 – 2007, 16; Wiese/Demisch, Unternehmensführung bei feindlichen Übernahmeangeboten, DB 2001, 849; Wiesner, Binnenmarkt und Wettbewerb bleiben auf der Strecke – zum Kommissionsvorschlag für eine neue Übernahmerichtlinie, ZIP 2002, 1967; Wiesner, Die neue Übernahmerichtlinie und die Folgen, ZIP 2004, 343; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG, ZIP 2002, 1; Wirth, Vinkulierte Namensaktien: Ermessen des Vorstandes bei der Zustimmung zur Übertragung, DB 1992, 617; Witte, Diskussionsentwurf zur Regelung von Unternehmensübernahmen: Abwehrmöglichkeiten des Vorstands der Zielgesellschaft, BB 2000, 2161; Wolf, Konzerneingangsschutz bei Übernahmeangeboten, AG 1998, 212; Wolf, Der Mythos „Neutralitätspflicht“ nach dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, ZIP 2008, 300; Wollburg, Unternehmensinteresse bei Vergütungsentscheidungen – Oder: Verstieß die Zahlung der Mannesmann-Prämien gegen das Unternehmensinteresse der Mannesmann AG?, ZIP 2004, 646; Yamaguchi, Abwehrmaßnahmen börsennotierter Aktiengesellschaften gegen feindliche Übernahmeangebote in Deutschland und Japan, 2005; Zech, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft in Bezug auf Abwehrmaßnahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2003; Zeidler, Aktienoptionspläne – nicht nur für Führungskräfte – im Lichte neuester Rechtsprechung, NZG 1998, 789; Ziemons, Die Weitergabe von Unternehmensinterna an Dritte durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft, AG 1999, 492; Zinser, Der RefE eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten
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zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 12.3.2001, NZG 2001, 391; Zinser, Das neue Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 1. Januar 2002, WM 2002, 15; Zschocke, Europapolitische Mission: Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, DB 2002, 79.
A. Überblick 1
§ 33 regelt das Verhalten der Verwaltung der Zielgesellschaft nach der Ankündigung des Übernahmeangebots. Die Vorschrift ist eine der zentralen Bestimmungen des Gesetzes. Sie war im Gesetzgebungsverfahren stark umstritten und wurde in dessen Verlauf mehrfach – zuletzt noch im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages – geändert. Gemessen an der lebhaften Diskussion im Vorfeld hat die Vorschrift die Praxis seit Erlass des WpÜG eher wenig beschäftigt. Sicher besteht eine verhaltenssteuernde Wirkung. Ob allerdings § 33 Abs. 1 in der schließlich Gesetz gewordenen Fassung wesentliche Modifikationen der sonst – und im Übrigen auch im Rahmen von § 33 Abs. 1 – anwendbaren aktienrechtlichen Grundsätze beinhaltet, mag bezweifelt werden. § 33 wurde im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie inhaltlich nicht verändert. Der bisherige Absatz 3 von § 33 wurde aufgehoben und wortgleich in den neuen § 33d überführt.
I. Regelungsgegenstand 2
§ 33 Abs. 1 Satz 1 konstituiert den Grundsatz, dass der Vorstand der Zielgesellschaft nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots keine Handlungen vornehmen darf, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Abweichend vom City Code und anderen europäischen Rechtsordnungen kennt das deutsche Recht keinen Katalog von Maßnahmen, die in einer Übernahmesituation unabhängig von der konkreten Feststellung der Verhinderungseignung verboten wären. Das Verhinderungsverbot wird durch die weit reichenden Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 durchbrochen. Hiernach darf der Vorstand solche Handlungen vornehmen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft vorgenommen hätte, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1). Weiterhin darf der Vorstand einen konkurrierenden Bieter (white knight) suchen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2). Außerdem darf der Vorstand solche Handlungen vornehmen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3).
3
§ 33 Abs. 2 enthält die Voraussetzungen, unter denen die Hauptversammlung den Vorstand bereits vor der Ankündigung des Übernahmeangebots zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen kann: Diese Handlungen sind in der Ermächtigung der Art nach zu bestimmen (§ 33 Abs. 2 Satz 1). Die Ermächtigung ist auf eine Höchstdauer von 18 Monaten begrenzt (§ 33 Abs. 2 Satz 2). Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals, sofern die Satzung keine größere Kapitalmehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmt (§ 33 Abs. 2 Satz 3). Schließlich bestimmt § 33 Abs. 2 Satz 4, dass der Vorstand von der Ermächtigung nur nach Zustimmung des Aufsichtsrats Gebrauch machen darf.
4
§ 33 Abs. 3 wurde im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie aufgehoben und in den neuen § 33d überführt.
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II. Normzweck § 33 bezweckt den Ausgleich verschiedener Interessen, die anlässlich eines Übernahmeangebots typischerweise aufeinandertreffen. Die Gesetzesbegründung bezieht sich auf „die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls“1. All diese rechtlich anerkannten Interessen sind Bestandteil des Unternehmensinteresses, auf dessen Beachtung Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft nach § 3 Abs. 3 und bereits nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet sind (näher § 3 Rz. 33 ff.). Die relevanten Interessen auf Seiten der Zielgesellschaft sind vielgestaltig und teilweise gegenläufig. Zu berücksichtigen ist das Interesse der verkaufswilligen Aktionäre an der Erzielung eines möglichst hohen Kaufpreises ebenso wie das Interesse der nicht verkaufswilligen Aktionäre an einer mittel- bis langfristig orientierten erfolgreichen Unternehmenspolitik. Auch die Interessen der Arbeitnehmer oder des Gemeinwohls können im Einzelfall für oder gegen die Übernahme sprechen. Selbst verkaufswillige Aktionäre mögen das Angebot für zu niedrig halten und Abwehrmaßnahmen des Vorstands, jedenfalls in einem frühen Stadium, befürworten. Die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen mögen im Fall einer Übernahme die Zusammenlegung von Unternehmensfunktionen und Entlassungen befürchten. Eine Übernahme kann aber auch neue strategische Chancen oder die letzte Möglichkeit zum Überleben des Unternehmens bieten.
5
Der in der ökonomischen Analyse so genannte principal-agent conflict beschreibt 6 den Interessengegensatz zwischen den Aktionären, die ihre Aktien möglichst ungestört durch Eingriffe der Verwaltung an den Bieter verkaufen wollen, und den Mitgliedern des Vorstands, die insbesondere dann zu Abwehrmaßnahmen neigen mögen, wenn ihnen bei Erfolg des Angebots die Ablösung und damit zumeist empfindliche materielle Einbußen drohen2. Das Interesse des Vorstands an der Erhaltung seines Amts ist kein im Rahmen von § 33 relevantes Interesse und vermag Abwehrmaßnahmen für sich genommen in keinem Fall zu rechtfertigen. Ebenso wenig ist das eigene Interesse des Vorstands am Erfolg des Angebots – das aus eigenem Aktienbestand des Vorstands oder aus seinen Erwartungen an seine künftige Stellung und deren Dotierung nach Durchführung des Angebots gespeist sein kann – ein Grund, der den Vorstand legitimieren würde, bestimmte Maßnahmen zu unterlassen, die dem Erfolg des Angebots entgegenstehen könnten. § 33 hat die bei feindlichen Übernahmeangeboten bestehenden Interessengegensätze mit dem Grundsatz des Verhinderungsverbots (§ 33 Abs. 1 Satz 1) (nur) im Ansatz zugunsten der verkaufswilligen Aktionäre – und zugunsten des Bieters – entschieden3. Die Einschränkungen in § 33 Abs. 1 Satz 2 und (in geringerem) Umfang in § 33 Abs. 2 postulieren letztlich den Vorrang eines umfassender verstandenen Unternehmensinteresses vor einer einseitigen Bevorzugung der Interessen der verkaufswilligen Aktionäre.
7
§ 33 Abs. 1 Satz 1 ergänzt den in § 3 Abs. 2 aufgestellten Grundsatz, dass die Aktio- 8 näre der Zielgesellschaft in Kenntnis der Sachlage – und unbeeinflusst von sachfremder Einflussnahme durch die Verwaltung bzw. den Bieter – über das Angebot entscheiden können sollen4. Das Verhinderungsverbot will den Eigeninteressen der 1 2 3 4
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. Vgl. aus jüngerer Zeit Koch, WM 2010, 1155 ff. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. Grunewald, AG 2001, 287, 289; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 247 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 3; wohl auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 6.
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Verwaltung entgegenwirken1. Die Zulassung von Vorratsbeschlüssen (§ 33 Abs. 2) markiert Beschränkungen des Schutzes der verkaufswilligen Aktionäre, ist allerdings an hohe verfahrensrechtliche Anforderungen geknüpft. 9
Weitgehender wird das Verhinderungsverbot durch die drei Einschränkungen in § 33 Abs. 1 Satz 2 modifiziert. Praktisch am wichtigsten ist der Vorbehalt zugunsten der allgemeinen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft. Durch die Bezugnahme auf den „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter“ verweist die Regelung insoweit auf die allgemeinen aktienrechtlichen Pflichten des Vorstands (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG)2. Diese Ausnahme vom Verhinderungsverbot gibt dem Vorstand die Möglichkeit, die Geschäfte der Gesellschaft unbehelligt von einem Übernahmeangebot so fortzuführen, wie er es ohnehin getan hätte. Die Ausnahme wurde unverändert aus dem Regierungsentwurf übernommen und war der Sache nach auch im Diskussionsentwurf und im Referentenentwurf enthalten.
10
Der Vorbehalt zugunsten der Fortführung der Geschäfte vermeidet Wertungswidersprüche mit dem Aktienrecht3. Das Verhältnis zu den Pflichten des Vorstands nach allgemeinem Aktienrecht ist eine der Kernfragen der Anwendung von § 33. Anordnungen des Übernahmerechts, die dem allgemeinen Aktienrecht widersprechen, genießen als das speziellere Recht grundsätzlich Vorrang. Es wird sich allerdings zeigen, dass § 33 weitgehend – wenn auch nicht durchweg – mit den aktienrechtlichen Wertungen konform geht. Bestätigt wird das durch den mit § 33 in engem Zusammenhang stehenden, in § 3 Abs. 3 niedergelegten Grundsatz, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Interesse der Zielgesellschaft handeln müssen.
11
Der zweite Vorbehalt, der die Suche nach einem konkurrierenden Angebot erlaubt, ist spezifisch übernahmerechtlicher Art. Der Vorstand soll nicht gehindert werden, nach einem möglicherweise für die veräußerungswilligen Aktionäre oder sonst für die Gesellschaft besseren Angebot zu suchen, nur weil damit das ursprüngliche Angebot gefährdet werden könnte.
12
Schwierig ist die Einordnung der dritten Ausnahme – Handlungen mit Zustimmung des Aufsichtsrats – in das Regelungssystem. Der Regierungsentwurf hatte den Aufsichtsrat ausdrücklich in den Geltungsbereich des Verhinderungsverbots einbezogen. Dies wurde im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht nur rückgängig gemacht; der Aufsichtsrat wurde – wohl international einzigartig4 – sozusagen als „Schiedsrichter“ über die Ingangsetzung von Abwehrmaßnahmen berufen, wogegen sowohl rechtspolitische als auch verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht worden sind5. Als Begründung dieser im federführenden Finanzausschuss kontrovers diskutierten Regelung wurde vorgebracht, sie solle die „Tatsache berücksichtigen, dass sich Unternehmen in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in den USA leichter gegen Übernahmen wehren können als deutsche Unternehmen, d.h. dass ein „level 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 3 Die englische Rechtspraxis ist in der Anwendung des Verbots der „frustrating action“ wohl eher geneigt, Behinderungen des laufenden Geschäftsbetriebs durch ein Übernahmeangebot zu akzeptieren. Rule 21.1e) des City Code erlaubt aber jedenfalls den Abschluss von Verträgen „in the ordinary course of business“ während des Angebots. 4 Hopt, zitiert nach FAZ v. 16.1.2002, S. 23; Überblick bei Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1368 ff.; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 233; Länderberichte in Hommelhoff/Hopt/Lutter, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, 2001. 5 Baums, FAZ v. 10.11.2001, S. 11; Lutter, Handelsblatt v. 20.12.2001, S. 10; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 9.
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playing field“ insoweit nicht vorhanden“ sei1. Die Bedeutung dieser Ausnahme ist jedenfalls dann beschränkt, wenn man – wie hier – für eine weitgehende Kongruenz der aktienrechtlichen und übernahmerechtlichen Wertungen eintritt und den Aufsichtsrat bei der Ausübung seiner Rechte im Rahmen von § 33 aktienrechtlich in die Pflicht nimmt. Die Bedeutung des Verhinderungsverbots wird durch die ordnungswidrigkeitenrecht- 13 liche Bewehrung (§ 60 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 – Verstöße gegen § 33 sind dort in der Gruppe von Vorschriften mit dem extensivsten Rahmen für die Geldbuße) verdeutlicht2. Ob bei Verstößen die BaFin im Rahmen von § 4 Abs. 1 Satz 3 Anordnungen treffen kann, ist umstritten (Rz. 322). Die Regelungen von § 33 können in der Satzung durch das strengere Verhinderungsverbot des § 33a Abs. 2 ersetzt werden; die Hauptversammlung kann dies wiederum außer Kraft setzen, wenn der Bieter keinem entsprechenden Verhinderungsverbot unterliegt, § 33c Abs. 1. Im Übrigen ist § 33 zwingendes Recht3. Satzungsbestimmungen, die die Abwehrbefugnisse des Vorstands über die in § 33 gezogenen Grenzen erweitern, sind ausgeschlossen. Die Regelungen zum Verhinderungsverbot dienen dem öffentlichen Interesse an ei- 14 nem fairen und mit den sonstigen relevanten rechtlichen Wertungen konformen Verfahren und zielen auf einen Ausgleich der verschiedenen in einer Übernahmesituation aufeinandertreffenden Interessen. Das hat zur Folge, dass die Auslegung des § 33 nicht an einer einheitlichen „Grundidee“ ausgerichtet werden kann, sondern vielmehr jede Regelung für sich zu betrachten ist4. § 33 begünstigt faktisch teilweise die veräußerungswilligen und teilweise die ver- 15 äußerungsunwilligen Aktionäre, sowie teilweise auch den Bieter. § 33 ist jedoch wegen seiner auf den Schutz des öffentlichen Interesses abzielenden Ausrichtung kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB für irgendeine der relevanten Gruppen5. Allerdings sind die Interessen der Aktionäre – anders als diejenigen des Bieters – Teil der Interessen der Zielgesellschaft (§ 3 Abs. 3), die der Vorstand zu wahren und mit den anderen relevanten Interessen zum Ausgleich zu bringen hat. Die Interessen des Bieters werden dagegen durch § 33 nur reflexartig geschützt6.
III. Entstehung Vor 1998 bestand keine besondere rechtliche Regelung der öffentlichen Angebote zum Erwerb von Aktien und der in diesem Zusammenhang bestehenden Pflichten des Vorstands. Der Vorstand war – selbstverständlich – an die aktienrechtlichen Pflichten gebunden. Pirelli versuchte 1990/91 die Übernahme von Continental und scheiterte letztlich. 1991/92 gelang der Friedr. Krupp AG die Übernahme der Hoesch
1 BT-Drucks. 14/7477, S. 50. 2 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 127, 132 f.; zu Klage- und Anfechtungsbefugnissen Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 104 ff. 3 Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 710 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 3. 4 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 15. 5 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 88; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 148; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 66; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 44, 47; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 9, 248; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 95; zweifelnd Thaeter, NZG 2001, 789, 791; a.A. Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 3. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 3.
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AG. Diese beiden damals intensiv diskutierten Transaktionen führten nicht unmittelbar zu gesetzgeberischen Aktivitäten. 1. Übernahmekodex 17
Im Zuge der Renaissance der Aktie als Anlageinstrument für breite Bevölkerungsschichten ab Mitte der 90er Jahre wurde das Fehlen eines Rechtsrahmens für Übernahmeangebote als Mangel empfunden. Der freiwillige Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission1 hatte in seinem Art. 19 vorgesehen, dass die Verwaltungsund Leitungsorgane der Zielgesellschaft und ihrer verbundenen Unternehmen nach Bekanntgabe eines öffentlichen Angebots und bis zur Bekanntgabe seines Ergebnisses keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die dem Interesse der Wertpapierinhaber, von dem Angebot Gebrauch zu machen, zuwiderlaufen. Hierunter fielen – vom City Code inspiriert, aber als Regelbeispiele konzipiert – die Ausgabe neuer Wertpapiere, erhebliche Änderungen des Aktiv- oder Passivbestandes der Zielgesellschaft oder der Abschluss von Verträgen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs der Zielgesellschaft. Zulässig waren hingegen die Durchführung laufender Kapitalmaßnahmen und die Erfüllung von Verträgen, die die Zielgesellschaft vor der Bekanntgabe des öffentlichen Angebots abgeschlossen hatte, sowie ferner die Durchführung von Maßnahmen, zu denen die Hauptversammlung ausdrücklich für den Fall eines öffentlichen Angebots ermächtigt hatte. 2. Gesetzgebungsverfahren
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Im Gesetzgebungsverfahren hat § 33 nicht zuletzt wegen des großen Interesses der Öffentlichkeit und wegen der Veränderung des politischen Umfelds wesentliche inhaltliche Änderungen erfahren. DiskE und RefE waren noch von dem relativ strengen Verhinderungsverbot des seinerzeit aktuellen Entwurfs der Übernahmerichtlinie2 geprägt. Nachdem diese jedoch im Europäischen Parlament gescheitert war (näher Einl. Rz. 80 ff., 86), gewannen im RegE und in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses gegenläufige Interessen stärkeres Gewicht. a) Diskussionsentwurf
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Der Diskussionsentwurf hatte – wie der wenige Wochen zuvor auf EU-Ebene verabschiedete gemeinsame Standpunkt – ein relativ strenges Verhinderungsverbot vorgesehen. Gemäß § 31 Abs. 1 DiskE hatten Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft „alle Handlungen zu unterlassen, die geeignet sind, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern“. Gemäß § 31 Abs. 2 DiskE zählten hierzu insbesondere die Ausgabe von Aktien (Nr. 1), der Erwerb eigener Aktien durch die Zielgesellschaft (Nr. 2) und der Abschluss von Rechtsgeschäften, durch die der Aktivoder Passivbestand der Zielgesellschaft in bedeutender Weise geändert würde (Nr. 3).
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Das Verhinderungsverbot sollte lediglich durch bestimmte, in § 31 Abs. 3 DiskE abschließend aufgezählte Maßnahmen durchbrochen werden, nämlich die Suche nach einem konkurrierenden Übernahmeangebot (Nr. 1), Handlungen auf Grundlage eines 1 In der Fassung ab 1.1.1998 abgedr. in AG 1998, 133 ff.; zum Übernahmekodex siehe Einl. Rz. 19 ff. 2 Gemeinsamer Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote vom 6.6.2001, Dok. PECONS 3629/1/01 REV 1, abgedr. bei Pötzsch, Übernahmerecht, S. 342 ff.
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Hauptversammlungsbeschlusses der Zielgesellschaft nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage (Nr. 2), die Ausgabe neuer Aktien unter Wahrung des Bezugsrechts der Aktionäre auf der Grundlage einer nicht länger als 18 Monate zurückliegenden Ermächtigung der Hauptversammlung (Nr. 3), die sorgfältige Führung der laufenden Geschäfte im Interesse der Zielgesellschaft (Nr. 4), der Erwerb eigener Aktien für den Handelsbestand (Nr. 5) sowie die Erfüllung vertraglicher oder sonstiger, vor der Ankündigung des Übernahmeangebots begründeter Rechtspflichten (Nr. 6). Indem Handlungen aufgrund eines nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage getroffenen Hauptversammlungsbeschlusses in den Katalog der Ausnahmetatbestände aufgenommen wurden (§ 31 Abs. 3 Nr. 2 DiskE), wurde die bis dahin umstrittene Befugnis der Hauptversammlung zur Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises anerkannt1. Abwehrmaßnahmen des Vorstands sollten aber nur zulässig sein, wenn der Beschluss der Hauptversammlung nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage – d.h. in Kenntnis des konkreten Angebots und seiner Konditionen – gefasst wurde2. b) Referentenentwurf Die Regelung der Verhaltenspflichten der Verwaltung im Referentenentwurf war mit 21 der Regelung des Diskussionsentwurfs nahezu identisch. Der Ausnahmetatbestand „sorgfältige Führung der laufenden Geschäfte im Interesse der Gesellschaft“ (§ 31 Abs. 3 Nr. 4 DiskE) wurde sprachlich dahingehend umgestaltet, dass nunmehr zur Erreichung dieses Ziels geeignete Maßnahmen, nämlich „Maßnahmen, die der sorgfältigen Führung der laufenden Geschäfte im Interesse der Gesellschaft dienen“ (§ 33 Abs. 3 Nr. 4 RefE) nicht als Verstoß gegen das Verhinderungsverbot angesehen wurden; eine inhaltliche Änderung war damit nicht beabsichtigt. Neu eingefügt wurde die dem jetzigen § 33d entsprechende Vorschrift, die dem Bieter untersagt, Vorstandsund Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen (§ 33 Abs. 4 RefE)3. c) Regierungsentwurf In dem nur eine Woche nach dem Scheitern des Richtlinienentwurfs im europäi- 22 schen Parlament verabschiedeten Regierungsentwurf wurde das Verhinderungsverbot deutlich eingeschränkt. Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 wurde in eine Kompetenznorm umfunktioniert, derzufolge Handlungen des Vorstands und Aufsichtsrats, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte, der Ermächtigung der Hauptversammlung bedurften. An die Stelle des Katalogs zulässiger Maßnahmen (§ 33 Abs. 3 RefE) trat die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 2 RegE, die zwei Ausnahmen vom Verhinderungsverbot vorsah: Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte (1. Alt.), sowie die Suche nach einem konkurrierenden Angebot (2. Alt.). Die Beschränkung auf „laufende Geschäfte“ entfiel. Außerdem wurde in § 33 Abs. 2 RegE erstmals niedergelegt, dass die 1 Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 26; Ekkenga, AG 2001, 567, 574 und 615, 618; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 10. 2 Zum DiskE Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 13; Kallmeyer, AG 2000, 553; Kiem, ZIP 2000, 1509; Kirchner, WM 2000, 1821; Körner, DB 2001, 367; Krause, NZG 2000, 905; Land/Hasselbach, DB 2000, 1747; Witte, BB 2000, 2161. 3 Zum RefE Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1074 ff.; Liebscher, ZIP 2001, 853, 856 ff.; Pluskat, DStR 2001, 879, 900; Thaeter/Barth, NZG 2001, 545; Zinser, NZG 2001, 301.
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Hauptversammlung den Vorstand auch vor der Veröffentlichung eines konkreten Übernahmeangebots zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen kann (Vorratsbeschluss)1. d) Weiteres Verfahren 23
Die im RegE enthaltenen Möglichkeiten zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen wurden von einigen Industrieunternehmen und Gewerkschaften als zu wenig weitgehend kritisiert. Im Hinblick auf diese Kritik wurden aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages2 über die bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus solche Abwehrmaßnahmen zugelassen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3). Gleichzeitig wurde der Aufsichtsrat aus dem Adressatenkreis des Verhinderungsverbots gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 entfernt und die Vorschrift von einer Kompetenznorm zugunsten der Hauptversammlung in ein allgemein formuliertes Verbot zurückverwandelt – nicht zuletzt um den Aufsichtsrat in die Lage zu versetzen, einzelne Abwehrmaßnahmen des Vorstands vom Verhinderungsverbot freizustellen. Mit diesen Änderungen wurde das Verhinderungsverbot weiter eingeschränkt.
24
Die Regelung über „Vorratsbeschlüsse“ in § 33 Abs. 2 wurde dahingehend präzisiert, dass die Vorratsermächtigung nur für Handlungen erteilt werden kann, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen. Die Anforderung des RegE, die die Bestimmung der Maßnahmen „im Einzelnen“ verlangte, wurde dahingehend abgeschwächt, dass die Bestimmung der Maßnahme „der Art nach“ genügen soll. Hinter diesen Änderungen stand die Überlegung, dass Abwehrmaßnahmen der Zielgesellschaft für den Bieter weniger leicht ausrechenbar sein sollten3.
IV. EU-Übernahmerichtlinie 25
Parallel zum Gesetzgebungsverfahren in Deutschland wurde auf EU-Ebene intensiv an der Verabschiedung der Übernahmerichtlinie gearbeitet. Die in Deutschland geführte Diskussion über die Verhaltenspflichten des Vorstands und Aufsichtsrats im Übernahmefall wurde von den auf EU-Ebene angestellten Überlegungen entscheidend beeinflusst4. 1. Vom Pennington-Report bis zum Gemeinsamen Standpunkt (2000)
26
Das Verhinderungsverbot hatte seit dem Pennington-Entwurf von 1974 Eingang in sämtliche Richtlinienvorschläge der Kommission sowie den am 19.6.2000 verabschiedeten Gemeinsamen Standpunkt von Kommission und Rat gefunden5. Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts hatte das Leitungs- bzw. Verwal1 Zum RegE Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256; Land, DB 2001, 1707; Schüppen, WPg 2001, 958; Drygala, ZIP 2001, 1861, 1864; Oechsler, NZG 2001, 817; Thaeter, NZG 2001, 789, 791. 2 BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 3 Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 53 unter Bezugnahme auf ein entsprechendes Petitum des Bundesrates, BT-Drucks. 14/7034, S. 85. 4 Hierzu etwa Lehne in Hirte, WpÜG, S. 33. 5 Gemeinsamer Standpunkt von Kommission und Rat vom 19.6.2000, ABl. EG Nr. C 23 v. 24.1.2001, S. 1; hierzu Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 1, 4 ff.; Neye, AG 2000, 289; Kirchner, WM 2000, 1827; Krause, NZG 2000, 905; Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1074 f.; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 257 ff.; Grunewald, AG 2001, 287; Körner, DB 2001, 367; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 230 ff.
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tungsorgan der Zielgesellschaft mit Ausnahme der Suche nach konkurrierenden Angeboten den Abschluss jedweder Handlung zu unterlassen, durch die das Angebot vereitelt werden könnte, es sei denn, dass die Hauptversammlung während der Frist für die Annahme des Angebots zuvor ihre Zustimmung dazu erteilt hatte. Dies sollte insbesondere für die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen gelten, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte1. Gemäß Art. 9 Abs. 2 des Gemeinsamen Standpunkts sollten die Mitgliedstaaten dem Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft gestatten können, das Kapital der Gesellschaft während der Annahmefrist zu erhöhen, sofern die Hauptversammlung hierzu nicht früher als 18 Monate vor Beginn der Annahmefrist ihre vorherige Zustimmung erteilt hatte und das Bezugsrecht aller Wertpapierinhaber gewahrt wurde. 2. Ablehnung im Europäischen Parlament (2001) Der Gemeinsame Standpunkt stieß im Europäischen Parlament auf Widerstand – 27 nicht nur wegen Vorbehalten gegen das geplante Verhinderungsverbot, sondern auch deswegen, weil das Verhinderungsverbot im Verhältnis etwa zu US-amerikanischen Gesellschaften, aber auch EU-intern zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen geführt und ein level playing field für Übernahmeangebote verfehlt hätte2. Im „Trilog“ der EU-Organe wurde zwar am 6.6.2001 ein Kompromiss gefunden, der das Verhinderungsverbot im Grundsatz aufrecht erhielt, jedoch eine Lockerung für die Fortsetzung bereits eingeschlagener Unternehmensstrategien vorsah3. In der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments am 4.7.2001 scheiterte der Richtlinienvorschlag jedoch in denkbar knappster Weise bei Stimmengleichheit von 273:273 und 22 Enthaltungen4. 3. Revidierter Richtlinienvorschlag (2002) Nach dem vorläufigen Scheitern der Richtlinie setzte die Kommission eine hochrangige Expertengruppe5 ein, die sich in ihrem Bericht vom 10.1.20026 für das Verhinderungsverbot aussprach und Vorschläge für die Offenlegung und Durchbrechung struktureller Übernahmehindernisse unterbreitete.
28
Auf der Grundlage dieser Vorschläge legte die Kommission am 2.10.2002 einen neuen Entwurf einer Übernahmerichtlinie vor7. Das Verhinderungsverbot wurde beibe-
29
1 Hierzu Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 10; Neye, AG 2000, 289, 294 f.; Neye, ZIP 2001, 1120, 1122 f.; Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 68 f.; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 230 ff. 2 Kirchner, AG 1990, 481, 486 ff.; Kirchner, WM 2000, 1821 ff.; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 964 ff.; Witte, BB 2000, 2161, 2165; ferner Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1747 ff.; a.A. Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 716. 3 Gemeinsamer Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote vom 6.6.2001, Dok. PECONS 3629/1/01 REV 1, abgedr. bei Pötzsch, Übernahmerecht, S. 342 ff.; hierzu Neye, ZIP 2001, 1120; Krause, International Financial Law Review, Juli 2001, 18. 4 Zu den Gründen Lehne in Hirte, WpÜG, S. 33; Pluskat, WM 2001, 1037 ff.; Zinser, WM 2002, 15; ferner Krause, Börsen-Zeitung vom 10.7.2001, S. 10. 5 Mitglieder der Arbeitsgruppe: Jaap Winter (Vorsitzender), Jan Schans Christensen, José Maria Garrido Garcia, Klaus J. Hopt, Jonathan Rickford, Guido Rossi, Joëlle Simon. 6 Hochrangige Gruppe von Experten, Bericht, 2002; näher hierzu Einl. Rz. 8 ff. 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote vom 2.10.2002, KOM (2002) 534, Ratsdok. 12846/02. Hierzu Neye, NZG
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halten. Danach sollte das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die Genehmigung der Hauptversammlung einholen, bevor es Maßnahmen ergreift, durch die das Angebot vereitelt werden könnte (Art. 9 Abs. 2 Satz 1)1. Unter Genehmigungsvorbehalt stand insbesondere die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte. Die Suche nach einem konkurrierenden Angebot zählte dagegen nicht zu den genehmigungspflichtigen Maßnahmen. Maßnahmen auf der Grundlage von Entscheidungen, die vor der Übermittlung von Informationen über das Angebot an die Zielgesellschaft „außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs“ getroffen und weder teilweise noch vollständig umgesetzt worden sind, sollten der Genehmigung bzw. Bestätigung der Hauptversammlung bedürfen, wenn Ihre Umsetzung zur Vereitelung des Angebots führen könnte (Art. 9 Abs. 3). 30
Völlig neu und den Empfehlungen der hochrangigen Expertengruppe folgend war die Verpflichtung, dass strukturelle Besonderheiten, bedeutende direkte und indirekte Beteiligungen, Übernahmehindernisse wie etwa die Vinkulierung von Aktien oder die Existenz von Aktien mit Entsendungs- oder anderen besonderen Rechten, und bestimmte Vereinbarungen, auf die ein Kontrollwechsel Auswirkungen hätte, im Lagebericht offen zu legen und, sofern sich Änderungen ergeben haben, zu aktualisieren sein sollten (Art. 10 Abs. 1 und 2)2. Die Hauptversammlung sollte sich alle zwei Jahre zu diesen Übernahmehindernissen „äußern“ und der Vorstand die Existenz dieser Hindernisse begründen müssen (Art. 10 Abs. 3)3.
31
Zur Annäherung an das Ziel des level playing field für Übernahmeangebote innerhalb der Europäischen Union sah der Kommissionsentwurf darüber hinaus eine Außerkraftsetzung bestimmter Übernahmehindernisse („Durchgriffsregelung“) vor. Hiernach sollten in der Satzung der Gesellschaft vorgesehene Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien dem Bieter während der Annahmefrist nicht entgegengehalten werden können (Art. 11 Abs. 2). Außerdem sollten Stimmrechtsbeschränkungen in der Hauptversammlung, die über Abwehrmaßnahmen Beschluss fasst, keine Wirkung entfalten (Art. 11 Abs. 3)4. Gleiches war für Übertragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen vorgesehen, die zwischen der Gesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbart worden waren (Art. 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2). Hingegen waren Mehrstimmrechte – mit der nicht nachvollziehbaren Begründung, es sei nicht bewiesen, dass diese übernahmeverhindernde Wirkung entfalten würden5 – von der Durchbruchsregelung nicht erfasst6; Gleiches galt für stimmrechtslose Vorzugsaktien7.
1 2 3 4 5 6 7
2002, 1144; Krause, BB 2002, 2341; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193; Wiesner, ZIP 2002, 1967; Schuster in Bad Homburger Hdb., A 48 ff.; Lehne/Haak, Der Konzern 2003, 163; DaunerLieb/Lamandini, Der Konzern 2003, 168; Dauner-Lieb, BB 2003, 265; Dauner-Lieb, DStR 2003, 555. Kritisch Kallmeyer, DB 2002, 2695. Hierzu Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2196 ff. Hierzu Krause, BB 2002, 2341, 2342; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2198 f. Krause, BB 2002, 2341, 2342; Kallmeyer, DB 2002, 2695. Mitteilung der Kommission vom 2.10.2002, S. 10 (Begründung zu Art. 11). Kritisch Krause, BB 2002, 2341, 2342; Lehne/Haak, Der Konzern 2003, 163; Dauner-Lieb/ Lamandini, Der Konzern 2003, 168, 172; Arnold, Der Konzern 2003, 173; Schumacher/Sander, Der Konzern 2003, 178. Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2199 f.; Arnold, Der Konzern 2003, 173, 176 ff.
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4. Übernahmerichtlinie Nach intensiven und kontroversen Beratungen erzielte der Ministerrat am 27.11.2003 einstimmig (bei Enthaltung Spaniens) und gegen das Votum der Kommission eine politische Einigung, der ein Kompromissvorschlag der italienischen Ratspräsidentschaft zugrunde gelegen hatte. Nachdem das Europäische Parlament dieser Einigung zugestimmt hatte, wurde die Übernahmerichtlinie im Ministerrat „Justiz und Inneres“ formell verabschiedet, von den Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht1. Gemäß Art. 22 ist sie am 20.5.2004 in Kraft getreten. Nach Art. 21 war sie bis zum 20.5.2006 in nationales Recht umzusetzen. Sämtliche Mitgliedstaaten haben Umsetzungsmaßnahmen ergriffen2. Einen vorläufigen Bericht über die Umsetzung mit inhaltlicher Analyse der jeweiligen Regelungen veröffentlichte die Kommission am 21.2.2007 sowie einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie gemäß deren Art. 20 am 28.6.20123. Eine Bewertung der Übernahmerichtlinie auf Grundlage empirischer Erfassungen enthält der von der Kommission in Auftrag gegebene externe Bericht4.
32
a) Verhinderungsverbot und Durchgriffsregelung Die Übernahmerichtlinie beinhaltet nach wie vor Regelungen zum Verhinderungsverbot (Art. 9 Abs. 2, 3 und 6) und zur Durchgriffsregelung (Art. 11). Diese Regelungen sind vom deutschen Gesetzgeber in § 33a und § 33b umgesetzt worden und werden dort näher erörtert.
33
b) Opt out, Opt in und Gewährleistung der Gegenseitigkeit Die entscheidende Neuerung gegenüber dem Kommissionsvorschlag vom 2.10.2002 besteht in einem im Ansatz zweistufigen Optionsmodell. Hiernach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, von der Umsetzung des europäischen Verhinderungsverbots und der Durchgriffsregelung abzusehen (Opt out – Art. 12 Abs. 1). Mitgliedstaaten, die von diesem Recht Gebrauch machen, müssen den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet jedoch die Möglichkeit eröffnen, sich den Regelungen der Richtlinie durch Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit individuell und widerruflich unterwerfen zu können (Opt in – Art. 12 Abs. 2).
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Neben dem Opt out für die Mitgliedstaaten und dem individuellen Opt in für die be- 35 troffenen Gesellschaften enthält das Optionsmodell eine Regelung zur Gewährleistung der Gegenseitigkeit. Hier können die Mitgliedstaaten Gesellschaften, die das Verhinderungsverbot oder die Durchgriffsregel anwenden, von der Geltung der danach geltenden Beschränkungen befreien, wenn die Gesellschaft Ziel eines Übernahmeangebots geworden ist und der Bieter (oder die Gesellschaft, die den Bieter kontrolliert) das Verhinderungsverbot oder die Durchgriffsregelung nicht anwendet (Art. 12 Abs. 3). Die fraglichen Maßnahmen bedürfen der Ermächtigung durch die Hauptversammlung der Zielgesellschaft, die bei Bekanntmachung der Entscheidung
1 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713. 2 Übersicht über die Durchführungsmaßnahmen: EUR-Lex 72004L0025 – DE. 3 Report on the implementation of the Directive on Takeover Bids, SEC(2007) 268; Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote vom 28.6.2012, COM(2012) 347 final. 4 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012.
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zur Abgabe des Angebots nicht länger als 18 Monate zurückliegen darf (Art. 12 Abs. 5). 36
Der deutsche Gesetzgeber hat von diesen Möglichkeiten in den §§ 33a bis 33c Gebrauch gemacht (Rz. 41). Bisher gibt es keine praktischen Erfahrungen mit der Anwendung des Opt out-/Opt in-Modells. Bei der BaFin liegen weder zu § 33a noch zu § 33b Meldungen über entsprechende Satzungsbestimmungen vor. Über die Gründe mag man je nach Vorverständnis unterschiedlicher Auffassung sein; eine mögliche Interpretation ist jedenfalls, dass § 33 eine insgesamt vernünftige und praktikable Regelung bereitstellt, zu deren Änderung kein Anlass gesehen wird. Nach den zuletzt verfügbaren Informationen haben 19 Mitgliedstaaten das europäische Verhinderungsverbot umgesetzt, aber nur 3 Mitgliedstaaten die Durchgriffsregelung. Insgesamt wird die Funktionsweise der Regelungen, die die Verteidigung gegen Übernahmeangebote einschränken, von der Kommission als zufriedenstellend eingeschätzt1. c) Offenlegung von Übernahmehindernissen
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Um die Vorschriften über den freien Aktienhandel und die freie Stimmrechtsausübung in ihrer Wirkung zu stärken, haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass börsennotierte Gesellschaften im Lagebericht offenlegen, welche Strukturen und Mechanismen der Übernahme und Ausübung der Kontrolle entgegenstehen können (Art. 10 Abs. 1 und 2). Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Gesellschaft, deren stimmberechtigte Aktien auf einem geregelten Markt zugelassen sind, hat der Hauptversammlung einen erläuternden Bericht zu den im Lagebericht darzustellenden Strukturen und Mechanismen vorzulegen (Art. 10 Abs. 3). Die dadurch gewonnene Transparenz versetzt potenzielle Bieter in die Lage, sich ein Bild über die übernahmerelevanten Verhältnisse der Zielgesellschaft zu verschaffen; dies kann die Vorbereitung von Übernahmeangeboten erleichtern.
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Gemäß Art. 10 Abs. 1 ist zu berichten über – die Zusammensetzung des Kapitals und, soweit vorhanden, die bei verschiedenen Aktiengattungen mit den Aktien der jeweiligen Gattung verbundenen Rechte und Pflichten; – die Vinkulierung von Namensaktien; – bedeutende direkte oder indirekte Beteiligungen (Pyramidenstrukturen, wechselseitige Beteiligungen etc.); – Aktien mit besonderen Kontrollrechten (z.B. „goldene Aktien“) und deren Inhaber; – Mechanismen zur Kontrolle des Stimmrechts von Arbeitnehmeraktien; – Stimmrechtsbeschränkungen; – Vereinbarungen zur Einschränkung der Übertragbarkeit von Aktien bzw. zur Einschränkung des Stimmrechts; – Vorschriften über die Ernennung und Ersetzung von Mitgliedern des Leitungsbzw. Verwaltungsorgans und die Änderung der Satzung;
1 Bericht der Kommission nach Art. 20 der Übernahmerichtlinie über deren Anwendung, COM(2012) 347 final, Tz. 26.
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– die Befugnisse der Verwaltung zur Ausgabe neuer Aktien oder zum Rückerwerb eigener Aktien; – change of control-Klauseln in von der Gesellschaft geschlossenen bedeutenden Vereinbarungen und deren Wirkungsweise sowie – Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und ihren Organmitgliedern bzw. Arbeitnehmern über Entschädigungen, die bei Entlassungen nach einem Übernahmeangebot fällig werden (golden parachutes). Die im Kommissionsvorschlag vom 2.10.2002 vorgesehene Aktualisierungspflicht1 wurde aufgegeben.
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5. Umsetzung Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie erfolgte in Deutschland mit leichter Verspätung durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.20062. Darin wurde von der Opt out-Regelung Gebrauch macht; § 33 wurde nicht geändert. Erwägungen, wonach § 33 Abs. 2 – selbst bei Opt out – in Widerspruch zu Art. 9 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie stehen könnte, wurden (zu Recht) nicht berücksichtigt3. § 33 Abs. 3 wurde ohne inhaltliche Änderung in den neuen § 33d übernommen.
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Das Opt in findet sich hinsichtlich des Vereitelungsverbots in § 33a (Europäisches Verhinderungsverbot) und hinsichtlich der Durchgriffsregelung in § 33b (Europäische Durchbrechungsregel). Das Opt in kann nach Maßgabe des neuen § 33c (Vorbehalt der Gegenseitigkeit) durch Beschluss der Hauptversammlung rückgängig gemacht werden, wenn der Bieter keiner entsprechenden Regelung unterliegt.
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Die Umsetzung der Offenlegungspflichten in deutsches Recht4 erfolgte hinsichtlich der Aufnahme in den Lagebericht in §§ 289 Abs. 4 und 315 Abs. 4 HGB und hinsichtlich der separaten Erläuterungspflicht ursprünglich in § 171 Abs. 2 AktG und mittlerweile in § 176 Abs. 1 Satz 1 AktG5.
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V. Rechtsökonomische Bewertung Die rechtsökonomische Bewertung von Abwehrmaßnahmen ist umstritten. Die Anhänger des Konzepts eines Marktes für Unternehmenskontrolle wollen der Verwaltung lediglich die Verteidigung mit Argumenten gestatten6. Die Vertreter des sole owner standard treten ebenfalls für die Beschränkung von Abwehrmaßnahmen ein und wollen nur die Verteidigung mit Argumenten und die Suche nach konkurrieren-
1 Art. 10 Abs. 2 (Kommissionsvorschlag); siehe auch Hochrangige Gruppe von Experten, Bericht, 2002, S. 8 (Empfehlung I.1) und S. 28 f. 2 BGBl. I 2006, 1426. 3 Vgl. zu diesen Erwägungen Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 111 f.; ob § 33 Abs. 2 aus rechtspolitischer Sicht einen sinnvollen Anwendungsbereich hat, steht auf einem anderen Blatt. 4 Hierzu Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2196 ff.; Krause, BB 2004, 113, 116; Lanfermann/ Maul, DB 2004, 1517; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 307 ff. 5 Art. 5 und Art. 6 Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz; vgl. zu der etwas verwickelten Gesetzgebungsgeschichte Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 175 AktG Rz. 4 sowie die Regierungsbegründung zur Aktienrechtsnovelle 2012, BT-Drucks. 17/8989, S. 17 (zu Nummer 15). 6 Easterbrook/Fischel, 94 Harv.L.Rev. 1161 (1981).
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den Angeboten zulassen1. Andere Stimmen kritisieren die Beschränkung von Abwehrmaßnahmen und treten dafür ein, nach dem Vorbild des US-Bundesstaats Delaware die business judgment rule (siehe unten Rz. 328) anzuwenden, die der Verwaltung bei Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen einen weiten, gerichtlich nicht überprüfbaren Ermessenspielraum einräumt2. 44
Weitere ökonomische Argumente richten sich nicht gegen das Verhinderungsverbot an sich, sondern gegen die einseitige Einführung in Deutschland und der Europäischen Union. Im Vergleich zu Gesellschaften aus Drittstaaten fehle es an einem level playing field, so dass übernahmeoffene deutsche (und europäische) Gesellschaften relativ leicht etwa von übernahmeresistenten US-amerikanischen Gesellschaften übernommen werden könnten und Vermögen von europäischen zu amerikanischen Investoren abfließe3. Dem wird die volkswirtschaftliche Erkenntnis entgegengehalten, dass auch der einseitige Abbau von Handelsschranken wohlfahrtssteigernd wirkt. Demnach habe die Beschränkung von Abwehrmaßnahmen zur Folge, dass die Zahl und Erfolgswahrscheinlichkeit von Übernahmeangeboten steigen, die Kosten der Überwachung der Verwaltung (agency costs) sinken und sich somit die Kapitalausstattung der hiesigen Volkswirtschaft verbessert4.
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Vorratsbeschlüsse werden in der rechtsökonomischen Bewertung kritisch gesehen. Insofern wird ins Feld geführt, dass Anschauungsdefizite (wie die Unkenntnis des Bieters und der konkreten Bedingungen des Angebots) tendenziell zu verzerrten Entscheidungen führen und dass die von den Aktionären kollektiv beschlossene Vorratsermächtigung – anders als die Entscheidung eines Alleingesellschafters – im Lichte besserer Erkenntnisse nur unter Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden könne5.
VI. Gesellschaftsrechtliche oder kapitalmarktrechtliche Einordnung? 1. Rechtslage vor Inkrafttreten des § 33 46
Schon vor dem Inkrafttreten des WpÜG wurde ganz überwiegend angenommen, dass der Vorstand de lege lata einem Neutralitätsgebot oder Verhinderungsverbot unterliege6. Vieles hieran war unscharf oder umstritten – etwa die dogmatische Herlei1 Bebchuk, 95 Harv.L.Rev. 1028 (1982); Gilson, 33 Stan.L.Rev. 819 (1981). Zu weiteren Vorschlägen in der US-amerikanischen Diskussion vgl. Krause, WM 1996, 845, 850. 2 Kirchner/Painter, 1 European Business Organisation Law Review 353 (2000); Kirchner, WM 2000, 1821; kritisch dazu Mülbert/Birke, WM 2001, 705. 3 Kirchner, WM 2000, 1821, 1823; kritisch dazu Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1746 ff. 4 Mülbert/Birke, WM 2000, 705, 716; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 41. 5 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 41 f.; zum Alleineigentümerstandard vgl. Bebchuk, 95 Harv.L.Rev. 1028 (1982); Gilson, 33 Stan.L.Rev. 819 (1981); kritisch dazu Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 185 ff., 204 f. 6 Eingehend Hopt, ZGR 1993, 534; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361; ferner Altmeppen, ZIP 2001, 1073; Baudisch, AG 2001, 251; Baums in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 165, 175 ff.; Baums, Gutachten zum 63. DJT 2000, S. F 1, F 214; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241; Grunewald, AG 2001, 288; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122 ff.; Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 85; Kiem, ZIP 2000, 1509, 1510; Krause, AG 2000, 217; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 358 f.; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258; Merkt, ZHR 165 (2001), 224; Mülbert, IStR 1999, 83 (jeweils m.w.N.); von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 91 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 31 ff.; a.A. Kirchner, AG 1999, 481; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1432 ff.; Krie-
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tung, der exakte Regelungsgehalt einschließlich etwaiger Ausnahmen, ja sogar die Begrifflichkeit selbst. Die dogmatische Herleitung des Verhinderungsverbots stützte sich auf aktienrecht- 47 liche und kapitalmarktrechtliche Überlegungen. Aktienrechtlich wurde das Verhinderungsverbot mit dem Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a AktG)1, mit der Funktion des Vorstands als Fremdinteressenwahrer, die ihm verbiete, auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises Einfluss zu nehmen2, und mit der Unzulässigkeit von (mittelbaren) Eingriffen des Vorstands in die Stimmrechtsausübung durch die Aktionäre3 begründet. Aus kapitalmarktrechtlicher Sicht wurde das Verhinderungsverbot auf den kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz4, die mangelnde Befugnis des Vorstands, in die zwischen dem Bieter und den Aktionären angebahnte Transaktion einzugreifen5, und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Marktes für Unternehmenskontrolle6 gestützt. Das Verhinderungsverbot war jedoch niemals unumstritten, was im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auch deutlich zutage trat7. Der Regelungsgehalt des Verhinderungsverbots bestimmte sich einerseits danach, ob 48 man es als aktienrechtliche oder kapitalmarktrechtliche Norm konstruiert und damit den Schwerpunkt entweder auf das Verbot der Beeinflussung der Zusammenset-
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ger, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 303 f.; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 967; Thümmel, DB 2000, 461, 462 ff.; Wiese/Demisch, DB 2001, 849, 851; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15h; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 121 ff., 136 ff.; kritisch Wolf, ZIP 2008, 300. Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 18, 25 sowie § 93 Rz. 67, 210 f.; Michalski, AG 1997, 159; Schanz, NZG 2000, 340. Adams, AG 1990, 243; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 113; Ebenroth/Daum, DB 1991, 1157; Hirte/Schander in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 341, 348; Hopt, ZGR 1993, 534, 548 ff.; Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 391; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote aus wettbewerbspolitischer Sicht, 1990 (EG-Kommission), S. 32 ff., 117 ff.; Knoll, Die Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 273 ff.; Krause, AG 1996, 209, 214; Krause, WM 1996, 845, 851; Krause, AG 2000, 217, 218; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 25 f.; Mertens, AG 1990, 252, 258 f.; Michalski, AG 1997, 152, 159; Mülbert, IStR 1999, 83, 87; Rümker in FS Heinsius, 1991, S. 683, 688 ff.; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 77 ff. Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 246. Hopt in FS Rittner, 1991, S. 187, 198; Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 411; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1398; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 249. Grunewald, AG 2001, 288, 289; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 260 f.; a.A. Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 137. Hahn, ZBB 1990, 10, 19; Hahn, Die feindliche Übernahme von Aktiengesellschaften, 1992, S. 67 ff.; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote aus wettbewerbspolitischer Sicht, 1990 (EG-Kommission), S. 14 ff.; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 253 ff.; Hopt, ZGR 1993, 534, 544 ff.; Kirchner, AG 1999, 481; Körner, DB 2001, 367; Reul, Pflicht zur Gleichbehandlung, 1991, S. 128 ff.; Röhrich, Feindliche Übernahmeangebote, 1992, S. 42 ff.; Seifert/Voth in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 187, 192 ff.; Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1743; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 3. Kirchner, AG 1999, 481; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1432 ff.; Krieger, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 303 f.; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 967; Thümmel, DB 2000, 461, 462 ff.; Wiese/Demisch, DB 2001, 849, 851; Körner, DB 2001, 367, 369; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15d; aus der älteren Literatur Martens in FS Beusch, 1993, S. 529, 546; Werner, Übernahmeangebote, S. 16; Bungert, NJW 1998, 488, 492.
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zung des Aktionärskreises oder das Verbot, Transaktionen zwischen Bieter und Aktionären zu vereiteln, legt1. 49
Andererseits war der Inhalt des Verhinderungsverbots von gewissen Randunschärfen geprägt, weil umstritten war, inwieweit es Ausnahmen unterworfen sein sollte. Dies wurde etwa für den Fall gefordert, dass mit nicht unerheblichen, mit der Übernahme zusammenhängenden Gesetzesverstößen oder dauerhaft rechtswidrigem Verhalten des Bieters gerechnet werden müsse2, wozu auch die rechtswidrige Finanzierung der Übernahme gerechnet wurde3. Teilweise wurde die Durchbrechung des Verhinderungsverbots für zulässig gehalten, wenn persönliche Eigenschaften des Bieters (etwa ein politisch exponierter ausländischer Staat) die Wettbewerbschancen der Zielgesellschaft beeinträchtigen und damit zu ihrer Schädigung führen könnten4. Dagegen sollte die Absicht des Bieters, die Zielgesellschaft aufzulösen, die Durchbrechung des Verhinderungsverbots nach überwiegender Ansicht nicht rechtfertigen, weil die Liquidation in die Zuständigkeit der Hauptversammlung falle5. Die Durchbrechung des Verhinderungsverbots wurde auch dann für unzulässig gehalten, wenn die Abhängigkeit (§ 17 AktG) der Zielgesellschaft vom Bieter begründet6 oder die Zielgesellschaft umstrukturiert werden sollte7, eine Veränderung der Liquiditätslage oder stillen Reserven zu befürchten sei8 bzw. die Übernahme nach Auffassung des Vorstands Arbeitnehmer- oder Gemeinwohlinteressen gefährde9. Auch die Gegner des Verhinderungsverbots halten Abwehrmaßnahmen für unzulässig, die nicht im Interesse der Zielgesellschaft liegen, sondern allein durch das Interesse des amtieren-
1 Zu den Konsequenzen der dogmatischen Herleitung, insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit von Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe vgl. Krause, AG 2002, 133, 136. 2 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 27 (Übernahme durch die Mafia); Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 125; Hopt, ZGR 1993, 534, 553 f.; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1393; Grunewald, WM 1989, 1233, 1237; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 271 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 2; a.A. Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1075 f.; Assmann/ Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 114; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247 f.; Ebenroth/Daum, DB 1991, 1157, 1160; Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 39 f., 42. 3 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 27; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 125; Lutter/Wahlers, AG 1989, 1, 8 ff.; a.A. Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 114. 4 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 27; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1434; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 32; a.A. Adams, AG 1990, 243, 246; Assmann/ Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 113 f.; differenzierend Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 125 (Fn. 434). 5 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 128 f.; Hirte, ZIP 1989, 1233, 1237; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 124; Hopt, ZGR 1993, 534, 550; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392; anders BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175, 186 = AG 1960, 329; differenzierend Hüffer, § 186 AktG Rz. 32; a.A. Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 161 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 82 ff.; Dimke/ Heiser, NZG 2001, 241, 246 f. 6 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 27; Hopt, ZGR 1993, 534, 550 f.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 124; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 14. 7 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 101; Hopt, ZGR 1993, 534, 550 f.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 124; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247. 8 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 27; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 32; a.A. Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 103. 9 Hopt, ZGR 1993, 534, 552 f.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 124; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1392; a.A. Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1435.
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den Vorstands an der Sicherung seiner Organstellung motiviert sind1 oder die Zielgesellschaft völlig abschotten und ihre Aktivitäten damit lahmlegen2. 2. Rechtslage nach Inkrafttreten des § 33 Mit Inkrafttreten des § 33 stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Vorschrift 50 zu dem vor Inkrafttreten des § 33 von der h.M. angenommenen Verhinderungsverbot. Wenn man dieses Verhinderungsverbot kapitalmarktrechtlich begreift, wird man § 33 als seine Kodifikation ansehen müssen. Wenn man es aktienrechtlich konstruiert, lässt sich dies nicht ohne weiteres annehmen, denn § 33 lässt die einschlägigen aktienrechtlichen Erfordernisse unberührt3. Dies gilt jedenfalls für die gesetzlichen und richterrechtlichen4 Schranken einzelner Abwehrmaßnahmen. Abzulehnen wäre dagegen nach der Kodifikation in § 33 ein eigenständiges aktienrechtliches Verhinderungsverbot. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das in § 33 niedergelegte Verbot erfolgsverhindernder Maßnahmen nach im Schrifttum herrschender Auffassung bereits geltendes Gesellschaftsrecht sei und dass er dieses in § 33 – wenngleich mit Modifikationen – kodifiziere5. Sein Wille ging ersichtlich dahin, mit § 33 eine speziell auf Übernahmeangebote zugeschnittene Regelung zu schaffen, um die Frage „Neutralität oder nicht“ abschließend zu beantworten. Demnach ist in der Übernahmephase für ein aktienrechtlich oder kapitalmarktrechtlich begründetes Verhinderungsverbot oder Neutralitätsgebot neben § 33 kein Raum6. Aktienrecht und Kapitalmarktrecht sind im Wege der Auslegung von § 33 in Einklang zu bringen; das bereitet auch keine wesentlichen Schwierigkeiten, transportiert doch schon § 3 Abs. 3 aktienrechtliche Kriterien unmittelbar ins Übernahmerecht. Maßnahmen im Anwendungsbereich von § 33 können zusätzlichen aktienrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Anforderungen unterliegen (was evidentermaßen tatsächlich auch der Fall ist). Damit ist aber noch nicht geklärt, ob § 33 gesellschaftsrechtlich oder kapitalmarkt- 51 rechtlich einzuordnen ist. Für die gesellschaftsrechtliche Einordnung spricht der Hinweis des Gesetzgebers, dass das in § 33 niedergelegte Verbot erfolgsverhindernder Maßnahmen nach im Schrifttum herrschender Auffassung bereits geltendes Gesellschaftsrecht sei7. Für die kapitalmarktrechtliche Einordnung spricht zunächst, dass § 33 dem Funktionenschutz dient: Er schützt das Vertrauen der Anleger in den Markt, konkret: das Vertrauen darin, als Adressat des Angebots selbst über dessen Annahme oder Ablehnung entscheiden zu können – ein Gedanke, der auch in § 3 Abs. 2 zum Ausdruck kommt. Weiterhin sprechen für die kapitalmarktrechtliche 1 Krieger, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 304. 2 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Begr. BT-Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 69. 4 Z.B. die „Holzmüller/Gelatine“-Rechtsprechung des BGH: BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575; ebenso die Rechtsprechung zur materiellen Beschlusskontrolle: BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali+Salz, BGHZ 71, 40 = AG 1978, 196; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 = AG 1982, 252; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98 – Adidas, BGHZ 144, 290 = AG 2000, 475. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 6 Wolf, ZIP 2008, 300, 301; Krause, AG 2002, 133, 136; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 15; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 51; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 10. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57.
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Natur des § 33 der Anwendungsbereich, der auf börsenzugelassene Zielgesellschaften (§§ 1, 2 Abs. 3) beschränkt ist. Hinzu tritt, dass die Einhaltung des Verhinderungsverbots von einer Aufsichtsbehörde, der BaFin, überwacht wird, die ihre Aufgaben und Befugnisse nicht im Interesse der Aktionäre, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt (§ 4 Abs. 2) – eine für kapitalmarktrechtliche Normen typische Konstruktion. Auch der Regierungsentwurf hebt bei der Darstellung der Ziele des Gesetzes den kapitalmarktrechtlichen Aspekt des Gesetzes hervor (Schaffung von Rahmenbedingungen, die den Anforderungen der Finanzmärkte angemessen Rechnung tragen, sowie Stärkung des Finanzplatzes Deutschland)1. Die Qualifikation des § 33 als Kapitalmarktrecht schließt aber nicht aus, dieser Vorschrift zugleich gesellschaftsrechtlichen Charakter beizumessen. Hiernach ist § 33 sowohl gesellschaftsrechtlich als auch kapitalmarktrechtlich einzuordnen. 52
Fraglich ist weiterhin, ob die vor Inkrafttreten des WpÜG befürworteten Ausnahmen vom Verhinderungsverbot auch nach Inkrafttreten des § 33 fortgelten. Von der überwiegenden Meinung wird dies abgelehnt2. Die in der Literatur angenommenen Ausnahmen finden sich im Wortlaut des § 33 nicht wieder. Die Frage sollte mittlerweile ihre Bedeutung verloren haben. Die Reichweite des Verhinderungsverbots und Ausnahmen davon richten sich nach § 33. Einen Vorbehalt zugunsten historischer Rechtsauffassungen gibt es nicht. § 33 bietet insbesondere im Rahmen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 hinreichend Spielraum zur Erzielung von Konkordanz mit aktienrechtlichen Wertungen.
VII. Kritik 1. Verfassungsmäßigkeit 53
Gegen § 33 Abs. 1 und 2 wurden von mehreren Stimmen verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen3. Die Kritiker machen geltend, die dem Vorstand und dem Aufsichtsrat eingeräumten Möglichkeiten, der Entscheidung des Aktionärs über die Annahme oder Ablehnung des Angebots zuvorzukommen, greife in das Eigentumsrecht der Aktionäre (Art. 14 GG) ein, was insbesondere bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften problematisch sei. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass zwar verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, diese aber durch die Einführung von § 33a an Bedeutung verloren hätten4. Den verfassungsrechtlichen Bedenken ist – zu Recht – entgegengehalten worden, dass Vorstand und Aufsichtsrat bei der Entscheidung über Abwehrmaßnahmen rechtlichen Bindungen unterworfen sind und in diesem Rahmen auch das Veräußerungsinteresse der Aktionäre zu berücksichtigen ha-
1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 2 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Krause, AG 2002, 133, 136; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 28; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 69; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 16; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 427 (Fall des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1); Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 68 ff. 3 Baums, zitiert nach FAZ v. 10.11.2001, S. 11; Lutter, Handelsblatt v. 20.12.2001, S. 10; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 289; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 734; Zschocke, DB 2002, 79, 82 f.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 95; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 38. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 38; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 14.
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ben1. § 33 geht bei vernünftiger Auslegung und Anwendung nicht über das hinaus, was der Aktionär außerhalb des Übernahmerechts an faktischen und teilweise auch rechtlichen Einwirkungen auf seine Veräußerungsmöglichkeiten hinnehmen muss. Der Regelungsgehalt von § 33 wurde in der Normsetzungsphase überschätzt; tatsächlich ist er gering2. Umgekehrt könnten verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Regelung erhoben werden, die im Interesse der veräußerungswilligen Aktionäre das Handeln der Zielgesellschaft in der Übernahmesituation paralysiert. Richtigerweise handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Auch wenn andere Regelungen sicher denkbar wären, lässt sich § 33 nicht absprechen, eine den Anforderungen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerecht werdende Abwägung der verschiedenen Interessen zu enthalten3. 2. Rechtspolitische Fragen Aus rechtspolitischer Sicht wurde kritisiert, dass der Vorstand für die Abwehr von 54 Übernahmeangeboten gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 – auch im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten – relativ weitgehende Freiheiten genießt. Kritisiert wurde insbesondere die Legitimation von Abwehrmaßnahmen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3)4. Hiermit werde die Regel zur Ausnahme und die Ausnahme zur Regel5. Dem ist entgegengehalten worden, dass deutschen Gesellschaften, anders als Gesellschaften mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten oder außerhalb der Europäischen Union – nach Abschaffung der Stimmrechtsbeschränkung durch das KonTraG6 – kaum noch wirksame Schutzinstrumente gegen feindliche Übernahmen zur Verfügung stehen, so dass ihnen bei Geltung eines strengen Verhinderungsverbots Wettbewerbsnachteile entstehen, solange auf EU-Ebene kein level playing field geschaffen sei7. Außerdem wurde kritisiert, dass die Aktionärs- und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Interessengruppen repräsentieren, deren Interessen in der Übernahmesituation vom Gesellschaftsinteresse abweichen können8. Diese Einwände vernachlässigen, dass die Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 nicht von den allgemeinen aktienrechtlichen Beschränkungen ent1 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 129; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 13; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 68; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 212 ff. 2 Deutlich höher wäre der Regelungsgehalt, wenn das deutsche Recht entsprechend dem Regelungsmodell des City Code bestimmte Maßnahmen in der Übernahmephase verboten hätte, ohne den Rückgriff auf das Gesellschaftsinteresse zur Rechtfertigung zu erlauben; dabei ist immer zu berücksichtigen, dass der City Code die im deutschen Rechts nicht angelegte Möglichkeit des Verzichts auf die Anwendung bestimmter Regelungen durch das Panel vorsieht. 3 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 68. 4 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1867; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 3, 8; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Hopt, ZGR 2002, 333, 361; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 153 f.; Zschocke, DB 2002, 79, 82; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 23 f.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 95; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 40. 5 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 125; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 79; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 39. 6 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. I 1998, 786. 7 Kirchner, AG 1999, 481, 486; Kirchner, WM 2000, 1821, 1824; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 964. 8 Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 211.
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binden und insbesondere die Verpflichtung der Organe besteht, im Gesellschaftsinteresse zu handeln (siehe unten Rz. 145, 236). Die von manchen Kritikern unterstellte „Freiheit zur Verhinderung“ besteht nicht. In der Praxis stehen dem Vorstand weniger Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Umgekehrt mag man sich rechtspolitisch die Frage stellen, ob § 33 überhaupt in relevantem Umfang regelnden Charakter hat1. In der Tat würde eine Streichung von § 33 Abs. 1 an der Rechtslage wenig ändern, und § 33 Abs. 2 ist bisher in der Praxis ohne relevanten Anwendungsbereich geblieben. Das ändert aber nichts daran, dass das WpÜG der richtige Ort für die Verankerung der Anforderungen an das Vorstandshandeln in der Übernahmesituation ist. Die Bewertung der board neutrality rule der Übernahmerichtlinie – die in Deutschland formal nicht, der Sache nach aber weitgehend eben doch umgesetzt ist2 – in den EU-Mitgliedstaaten unter den Gesichtspunkten der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt und des Markts für Unternehmenskontrolle im Besonderen ist insgesamt positiv3. Deutliche Mehrheiten erzielt auch die Frage nach der hinreichenden Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre, der Zielgesellschaft und (wenn auch in geringerem Umfang) der Mitarbeiter4.
B. Verhinderungsverbot (§ 33 Abs. 1 Satz 1) I. Grundlagen 56
Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft sind nach dem in § 3 Abs. 3 niedergelegten allgemeinen Grundsatz verpflichtet, im Interesse der Zielgesellschaft zu handeln. Das Interesse der Zielgesellschaft setzt sich nach der Gesetzesbegründung aus den in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls zusammen5. Weitere Verhaltenspflichten des Vorstands in der Übernahmesituation werden in § 33 Abs. 1 aufgestellt. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 darf der Vorstand nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte.
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Die durch das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 begründete Pflicht kann mit der Verpflichtung des Vorstands, im Interesse der Zielgesellschaft zu handeln, in Konflikt geraten. Im Gesetzgebungsverfahren war dies eine der am intensivsten diskutierten Fragen. Zur Auflösung des Konflikts hat der Gesetzgeber die in § 33 Abs. 1 Satz 2 normierten Ausnahmen vorgesehen (siehe unten Rz. 126 ff.). Um Ausnahmen handelt es sich nur der Regelungstechnik nach; inhaltlich stehen die Fälle des Satzes 2 gleichgewichtig neben dem Verhinderungsverbot6. 1 „Trivialitätsargument“; vgl. Hopt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 42, 53 f. 2 Korrekt die Anmerkung bei Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 190 Rz. 229. 3 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 209 (mit leider nicht quantifizierten größeren Vorbehalten bei den Gesellschaften selbst). 4 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 210; die Mitarbeitervertretungen selbst schließen sich allerdings dieser positiven Bewertung offenbar nicht an. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 6 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 15.
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II. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich Nach der systematischen Stellung des § 33 im vierten Abschnitt des Gesetzes gilt das Verhinderungsverbot nur für Übernahmeangebote, d.h. für Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind (§ 29 Abs. 1).
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Aufgrund des Verweises in § 39 gelten die Vorschriften des § 33 bei Pflichtangeboten sinngemäß. Hiernach findet § 33 Abs. 1, nicht jedoch § 33 Abs. 2 Anwendung (siehe § 39 Rz. 48). Der Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 bei Pflichtangeboten ist gering, da es auf die Eignung zur Verhinderung der Durchführung des konkreten Angebots ankommt (Rz. 83 ff.; abweichend § 39 Rz. 48). Denkbar sind etwa tendenziöse Darstellungen gegenüber Kartellbehörden zur Herbeiführung einer fusionskontrollrechtlichen Untersagung.
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Bei einfachen Erwerbsangeboten findet § 33 nach zutreffender, aber umstrittener An- 60 sicht grundsätzlich keine Anwendung1. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 2, dem Willen des Gesetzgebers2 und der systematischen Stellung der Vorschrift im vierten Abschnitt des Gesetzes. Das Gegenteil lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass in § 33 Abs. 1 Satz 1 zweimal von „Angeboten“ und nicht von „Übernahmeangeboten“ die Rede ist3. Im Übrigen spricht das vom Gesetzgeber verschiedentlich hervorgehobene „Baukastenprinzip“ des Gesetzes4 dafür, dass § 33 nur bei Übernahmeangeboten anzuwenden ist. Nach der hier vertretenen Auffassung findet somit § 33 beim Aufstockungsangebot eines Bieters, der bereits mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hält, keine Anwendung. Dort gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Beschränkungen5, die ohne weiteres sachgerechte (und mit den Wertungen von § 33 Abs. 1 konsistente) Lösungen erlauben. Für eine analoge Anwendung von § 33 Abs. 1 fehlt es deshalb schon an einer Lücke. Einer analogen Anwendung von Absatz 2 steht sowohl der fehlende praktische Bedarf als auch der insoweit eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen. Aus dem Umstand, dass die Regelungen über die Einberufung einer Hauptversammlung nach § 16 Abs. 3 und 4 für alle Angebote gelten, ergeben sich keine Rückschlüsse für den Anwendungsbereich von § 336. Auch bei einfachen Angeboten kann ein Bedürfnis bestehen, eine „EilHauptversammlung“ abzuhalten – nicht nur wegen der dann ggf. anwendbaren aktienrechtlichen Abwehrbeschränkungen.
1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 11; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 10, 78 f.; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 30 f.; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 19. 2 In der Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vierte Abschnitt (§§ 29 bis 34) Sondervorschriften für Übernahmeangebote enthält. 3 Die erste Erwähnung des „Angebots“ in § 33 Abs. 1 Satz 1 bezieht sich auf den terminus technicus „Entscheidung zur Abgabe eines Angebots“, den § 10 Abs. 1 Satz 1 in das Gesetz einführt. Die zweite Erwähnung ist eine sprachliche Verkürzung; dieselbe Verkürzung findet sich etwa auch in § 31 Abs. 4, der zweifellos nur für Übernahmeangebote (und Pflichtangebote) gilt; ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 30 (Fn. 88). 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 29 f.; siehe auch Einl. Rz. 39; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 18. 5 Zutreffend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 31. 6 Tendenziell anders Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 33; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 31 Rz. 31 sowie Oechsler, NZG 2001, 817, 824 (letzterer mit der umgekehrten Schlussfolgerung: Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 16 Abs. 4 auf Übernahmeangebote).
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Ein Sonderproblem stellt sich dann, wenn bei Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots noch nicht feststeht, ob der Bieter ein Erwerbsangebot oder ein Übernahmeangebot abgeben wird. Gemäß § 10 ist der Bieter nicht verpflichtet, sich zu diesem Zeitpunkt bereits festzulegen; die Veröffentlichung gemäß § 10 muss nämlich nur die Information enthalten, dass die Abgabe eines Angebots beabsichtigt ist (str., siehe § 10 Rz. 47). Weil der Bieter sich nicht erklären muss und der Wortlaut des § 33 an die „Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots“ anknüpft, soll der Anwendungsbereich des § 33 zwischen der Veröffentlichung gemäß § 10 und der Veröffentlichung der Angebotsunterlage auch dann eröffnet sein, wenn der Bieter offen lässt, ob ein einfaches Erwerbsangebot oder ein Übernahmeangebot folgen wird1. In der Praxis wird das Problem kaum auftauchen. Wenn der Bieter bereits vor der Veröffentlichung mindestens 30 % hält, kommt ein Übernahmeangebot nicht in Betracht. Wenn der Bieter weniger als 30 % hält, wird er bei der Veröffentlichung nach § 10 praktisch ausnahmslos klarstellen, ob ein Übernahmeangebot beabsichtigt ist. Ansonsten gilt § 33 für die Zielgesellschaft nur, wenn und sobald hinreichend klar ist, dass es sich um ein Übernahmeangebot handelt. Unterschiede werden sich daraus kaum ergeben, da der Vorstand sonst den aktienrechtlichen Bindungen unterliegt. 2. Zeitlicher Anwendungsbereich a) Beginn der Geltung
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Der zeitliche Anwendungsbereich des Verhinderungsverbots beginnt mit der „Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots“. Das Gesetz rekurriert hiermit auf die Veröffentlichung dieser Entscheidung durch Bekanntgabe im Internet und über ein elektronisches Informationssystem gemäß § 10 Abs. 32. Nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 kommt es nicht darauf an, dass der Vorstand der Zielgesellschaft Kenntnis von der Veröffentlichung erhalten hat.
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In der Literatur wird demgegenüber überwiegend auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Vorstands abgestellt3. Es handelt sich um eine praktisch kaum relevante Frage, denn es müsste nicht nur (was selten ist, aber vorkommt) der Vorstand der Zielgesellschaft bis zur Veröffentlichung nach § 10 in Unkenntnis von den Absichten des Bieters sein, sondern auch in dem typischerweise äußerst kurzen Zeitraum zwischen Veröffentlichung und Kenntnisnahme eine unter § 33 Abs. 1 Satz 1 fallende Handlung vornehmen. Karenzzeiträume für die Kenntnisnahme bis zum Ablauf des Veröffentlichungstages4 sind unter heutigen informationstechnischen Gegebenheiten realitätsfern. Soweit der Fall tatsächlich einmal auftreten sollte, würde Handeln des Vorstands vor Kenntnis des Angebots unter die Ausnahme in § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 fallen und deshalb (falls es nicht aus anderen Gründen gegen die Geschäftsleiterpflichten verstößt) ohnehin vom Verhinderungsverbot freigestellt sein, und selbst wenn das nicht so wäre, würde es am Verschulden fehlen, wenn der Vorstand keine Möglichkeit hatte, vorher Kenntnis zu nehmen5.
1 von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 106. 2 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 16. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 34; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69; 1. Aufl., Rz. 63. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 35; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69. 5 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 17.
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Für die Anwendbarkeit von § 33 kommt es demnach auf Kenntnis des Vorstands der 64 Zielgesellschaft nicht an1. Eine Reaktions- oder Umsetzungszeit steht dem Vorstand ebenfalls nicht zur Verfügung2 und ist insbesondere aufgrund der Ausnahme in § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 auch nicht erforderlich. Erhält der Vorstand der Zielgesellschaft bereits vor der Veröffentlichung Kenntnis da- 65 von, dass die Abgabe eines Angebots beabsichtigt ist oder unmittelbar bevorsteht, hat dies – anders als etwa gemäß Rule 21.1 City Code (siehe unten Rz. 342) – keine Änderung des Pflichtenstandards zur Folge. Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 und Rechtssicherheitsgründe stehen einer derartigen Vorverlagerung der übernahmerechtlichen Pflichten entgegen3. Es gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Pflichten, die insbesondere den Aktionären der Zielgesellschaft einen hinreichenden Schutz bieten. Bei Pflichtangeboten gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend; an die 66 Stelle der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 1 tritt die Veröffentlichung gemäß § 35 Abs. 1 (siehe § 39 Rz. 12). b) Ende der Geltung Der zeitliche Geltungsbereich des Verhinderungsverbots endet mit der „Veröffent- 67 lichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2“. Ob der Vorstand Kenntnis von der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 hat, ist unerheblich4. Wenn sich die Annahmefrist etwa gemäß § 21 Abs. 5 oder § 22 Abs. 2 verlängert, gilt das Verhinderungsverbot bis zur entsprechend verschobenen Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 25, denn die Aktionäre müssen auch während der verlängerten Annahmefrist in der Lage sein, in Kenntnis der Sachlage über das Angebot zu entscheiden (§ 3 Abs. 2). Nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 findet das Verhinderungsverbot während 68 der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 keine Anwendung. Dies ist konsequent, weil Abwehrmaßnahmen zu diesem Zeitpunkt das Blatt regelmäßig6 nicht mehr wenden können. Teilweise wird eine weitere zeitliche Erstreckung befürwortet7. Das widerspricht der klaren gesetzlichen Regelung. Die Analogievoraussetzungen liegen nicht vor. Demnach beurteilt sich nach § 3 Abs. 3 und aktienrechtlichen Grundsätzen, wie der Vorstand sich während der weiteren Annahmefrist gemäß § 16 1 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 17. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 36; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 37; ähnlich Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 10; im Ergebnis auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 71 (jedoch in Rz. 40 de lege ferenda für eine Vorverlagerung); a.A. im Hinblick auf die mögliche Umgehung des Verhinderungsverbots Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4; ebenso von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 103 (aber ohne Begründung). 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 42; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 18. 5 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 41 und Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 im Fall der Verlängerung nach § 21 Abs. 5; § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bezieht sich aber ausschließlich auf die in § 16 Abs. 2 legaldefinierte weitere Annahmefrist. 6 Pathologische Fälle, die auch noch nach der Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Betracht kommen könnten, wie die Übermittlung falscher Marktdaten an Kartellbehörden zwecks Erreichung einer Untersagung, lassen sich ohne weiteres auf Grundlage der „normalen“ aktienrechtlichen Pflichten bewältigen. 7 So etwa Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1400; unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 44; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73.
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Abs. 2 zu verhalten hat, ob und inwieweit er die technische Abwicklung eines erfolgreichen Angebots unterstützen (hierzu § 3 Rz. 50) und inwieweit er mit dem Bieter kooperieren muss, wenn das Angebot etwa unter der Bedingung der kartellrechtlich erforderlichen Zustimmungen gestanden hat, diese aber noch ausstehen1. 69
Vereinzelt wird erwogen, die Geltung des Verhinderungsverbots zu begrenzen, sobald das Angebot des Bieters verbindlich geworden ist2. Dem scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass der Erfolg des Angebots zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu verhindern ist. Diese Erwägung ist nicht zutreffend. Auch wenn das Angebot verbindlich geworden ist, kann sein Erfolg insbesondere dann verhindert werden, wenn Handlungen der Zielgesellschaft zum Ausfall von Bedingungen führen. Daher verbietet es sich, das Verhinderungsverbot vor der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 einzuschränken3. c) Geltung im Vorfeld des Angebots?
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Vor dem Inkrafttreten des WpÜG war unter den Vertretern der herrschenden, das Verhinderungsverbot befürwortenden Auffassung umstritten, ob das Verhinderungsverbot auch im Vorfeld eines Angebots Anwendung findet. Hierfür hatten sich insbesondere diejenigen ausgesprochen, die das Verhinderungsverbot verbandsrechtlich hergeleitet hatten4. Jedoch wurde überwiegend vertreten, dass das Verhinderungsverbot nur eingeschränkt gelten könne, solange nicht mit einem konkreten Angebot zu rechnen sei5. Außerdem wurde vorgetragen, dass die Anwendung des Verhinderungsverbots im Vorfeld eines Angebots Abgrenzungsprobleme hervorrufe und die Geschäftsleitung in ihrer Geschäftsführung zu sehr einschränke6.
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Ob der Vorstand auch im Vorfeld eines Angebots einem Verhinderungsverbot unterliegt, ist insbesondere für präventive Abwehrmaßnahmen im Rahmen der Übernahmeprophylaxe von Bedeutung. § 33 Abs. 1 Satz 1 knüpft den Beginn des Verhinderungsverbotes an die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass das Verhinderungsverbot präventiven Abwehrmaßnahmen grundsätzlich nicht entgegensteht7, was auch die Begründung zum RegE hervorhebt8. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Vorstand den Erfolg eines noch bevorstehenden Übernahmeangebots nach Belieben verhindern dürfte. Vielmehr sind seine Handlungen an den allgemeinen aktienrechtlichen Regeln zu messen.
1 Vgl. Übernahmeangebot RAG Projektgesellschaft mbH/Degussa AG vom 19.6.2002, Ziff. 11. 2 Im Ansatz Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 23 (im Ergebnis in Rz. 24 aber wie hier). 3 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 3; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 70; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 24. 4 So etwa Mülbert, IStR 1999, 83, 88. 5 Hopt, ZGR 1993, 534, 558 ff.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 126; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1432; Krause, AG 2002, 133, 136; a.A. Hirte, ZIP 1989, 1233, 1237 f.; Mülbert, IStR 1999, 83, 88 (Fn. 46). 6 Hopt, ZGR 1993, 534, 559. 7 Pötzsch, Übernahmerecht, S. 40; Krause, AG 2002, 133, 136; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 61; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 125; R. Müller in Bad Homburger Hdb., D 39, 45; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 100 f.; a.A. Ekkenga in FS Kümpel, 2003, S. 95, 102. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58.
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d) Geltung bei Abbruch des Angebots Das Verhinderungsverbot endet mit einer vorzeitigen Beendigung des Angebots, 72 gleich aus welchem Grund. Tritt eine aufschiebende Bedingung nicht ein oder tritt eine auflösende Bedingung ein, endet das Angebot und damit die Geltung des Verhinderungsverbots. Nimmt der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe des Angebots zurück (zur Zulässigkeit § 10 Rz. 50 ff.), endet das Verhinderungsverbot mit der Bekanntmachung der Rücknahme durch den Bieter1. Übermittelt der Bieter die Angebotsunterlage nicht fristgerecht an die BaFin, endet das Verhinderungsverbot mit Ablauf der Übermittlungsfrist gemäß § 14 Abs. 12, also schon vor einer Untersagungsverfügung nach § 15 Abs. 1 Nr. 3. Untersagt die BaFin das Angebot nach § 15, endet das Verhinderungsverbot und lebt nur dann wieder auf, wenn die aufschiebende Wirkung gerichtlich wiederhergestellt wird (vgl. § 42) oder die Untersagung aufgehoben wird und der Bieter an seinem Angebot festhält. Erlangt der Vorstand der Zielgesellschaft vor diesen Zeitpunkten Kenntnis davon, dass der Bieter das Angebot nicht weiterverfolgt, findet das Verhinderungsverbot ab Kenntniserlangung keine Anwendung mehr. Im Einzelfall kann die Zielgesellschaft verpflichtet sein, diesen Umstand gemäß § 15 Abs. 1 WpHG zu veröffentlichen3. e) Geltung bei missbräuchlichen Angeboten Bei offensichtlich missbräuchlicher Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe 73 eines Angebots soll das Verhinderungsverbot keine Anwendung finden4. Ein offensichtlicher Missbrauch soll dann vorliegen, wenn das Angebot bewusst nur zum Schein abgegeben wird5. Dem ist im Hinblick auf die Wertung in §§ 117, 118 BGB grundsätzlich zuzustimmen. Ob ein Angebot „bewusst“ zum Schein abgegeben wird, ist allerdings selten wirklich offensichtlich. Der Vorstand wird deshalb in solchen Fällen tunlichst die Zustimmung des Aufsichtsrats einholen, um in den Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 zu gelangen. Entscheidet die Zielgesellschaft sich dafür, das Angebot als missbräuchlich zu behandeln, kann dies gemäß § 15 WpHG zu veröffentlichen sein6.
III. Adressaten 1. Vorstand Das Verhinderungsverbot richtet sich nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 nur an den Vorstand.
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Ist die Zielgesellschaft eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, treten an die Stelle 75 des Vorstands der bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter. Ist der persönlich
1 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 39; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 43; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 74. 2 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 39; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 43; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 76. 3 Näher hierzu Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 43. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 40; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 40; hierzu auch Baums in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 165, 177; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 70. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 40; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 74. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 40.
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haftende Gesellschafter eine juristische Person, richtet sich das Verhinderungsverbot an deren Organe1. 2. Aufsichtsrat 76
Der Aufsichtsrat ist in § 33 Abs. 1 Satz 1 – anders als noch im RefE und im RegE und in Übereinstimmung mit der seinerzeit herrschenden Auffassung2 – als Adressat des Verhinderungsverbots nicht angesprochen. Dies geht darauf zurück, dass der Aufsichtsrat gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 den Vorstand vom Verhinderungsverbot entbinden kann. Diese Funktion könnte der Aufsichtsrat nicht wahrnehmen, wenn er selbst dem Verhinderungsverbot unterläge3.
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Dies ist zutreffend, soweit der Aufsichtsrat als Kontrollorgan agiert4. Wollte man dies anders sehen, liefe die Ausnahme des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 leer, denn die Zustimmung zu einer Abwehrmaßnahme des Vorstands würde zwangsläufig gegen das Verhinderungsverbot verstoßen.
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Agiert der Aufsichtsrat dagegen als Verwaltungsorgan – etwa, soweit im Übernahmekontext relevant, bei der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern (§ 84 AktG), der Festlegung der Höhe der Vergütung von Vorstandsmitgliedern (§ 87 AktG) und der Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern (§ 112 AktG) –, soll er nach ganz h.M. dem Verhinderungsverbot unterliegen5. Hierfür wird angeführt, dass sich in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift kein Anhaltspunkt dafür finde, dass autonome Verwaltungsentscheidungen des Aufsichtsrats privilegiert sein sollten, und dass dies auch in systematischer Hinsicht wenig schlüssig sei, weil der Aufsichtsrat insoweit anstelle des Vorstands tätig werde und die fragliche Maßnahme ohne die Zustimmung eines zweiten Organs getroffen würde.
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Angesichts des eindeutigen Wortlautes könnte das Ergebnis der h.M. nur im Weg der analogen Anwendung von § 33 Abs. 1 Satz 1 auf den Aufsichtsrat erreicht werden. Die Analogievoraussetzungen liegen indessen nicht vor. Es spricht angesichts der Gesetzgebungsgeschichte wenig dafür, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass der Aufsichtsrat in manchen Fällen als Geschäftsführungsorgan handelt. Im Übrigen fehlt es bereits an einer Lücke. Der Aufsichtsrat unterliegt den aktienrechtlichen Bindungen, die im Wesentlichen zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die Anwendung von § 33 Abs. 1. Und schließlich fehlt es an einer ausreichenden Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Der Vorstand unterliegt in einer Übernahmesituation typischerweise in deutlich höherem Umfang einem Interessenkonflikt als der Aufsichtsrat. Die Forderung nach einer Anwendung von § 33 Abs. 1 auf den Aufsichtsrat in dem von der h.M. propagierten Umfang mag demnach ein legitimes rechtspoliti1 2 3 4
Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59. Hopt, ZGR 1993, 534, 565; Mülbert, IStR 1999, 83, 89. Ähnlich Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 49. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 51; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61. 5 Hirte, ZGR 2002, 623, 629; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 49; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 24; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 19; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 64; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 20; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 34, 96; jenseits der sogleich diskutierten Gesichtspunkte ist der Standpunt der h.M. auch wegen der Bußgeldbewehrung und des strafrechtlichen Analogieverbots bedenklich; vgl. Rz. 301.
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sches Anliegen sein, lässt sich aber auf Grundlage der geltenden Gesetzesfassung nicht überzeugend begründen. 3. Hauptversammlung Die Hauptversammlung der Zielgesellschaft unterliegt ebenso wenig einem Verhin- 80 derungsverbot wie einzelne Aktionäre. Hieran bestand während des Gesetzgebungsverfahrens (und auch in der Diskussion über die Übernahmerichtlinie) niemals ein Zweifel. Dieses Ergebnis ergibt sich bereits daraus, dass sich § 33 Abs. 1 Satz 1 explizit nur an den Vorstand der Zielgesellschaft richtet, und lässt sich auch aus § 16 Abs. 4, insbesondere jedoch a maiore ad minus aus § 33 Abs. 2 Satz 1 ableiten: Wenn nämlich die Hauptversammlung den Vorstand schon vor der Ankündigung des Angebots zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen darf, muss dies für Maßnahmen nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots erst recht gelten1. Inwieweit sich für die Aktionäre in der Übernahmesituation Bindungen untereinander aus der Treuepflicht ergeben können, ist ungeklärt; jedenfalls müsste das auf Extremfälle beschränkt sein. 4. Organe verbundener Unternehmen Die Organe verbundener Unternehmen sind in § 33 Abs. 1 Satz 1 ebenfalls nicht er- 81 wähnt. Ein Teil der Literatur möchte die Organe abhängiger Unternehmen in den Anwendungsbereich einbeziehen und argumentiert mit dem Zweck des Verhinderungsverbots2. Das ist abzulehnen. Bei ausländischen Tochtergesellschaften ergibt sich das bereits daraus, dass § 33 Abs. 1 jedenfalls auch den gesellschaftsrechtlichen Pflichtenkreis regelt und das deutsche Recht die insoweit nach ausländischem Recht bestehenden Anforderungen nicht umgestalten kann. Die Organe der Tochtergesellschaften unterliegen den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen, die eine Verhinderung des Angebots aus unsachlichen Gründen ohnehin nicht gestatten werden. Der Vorstand der Zielgesellschaft ist im Umfang von § 33 gehalten, durch die Ausübung der Beteiligungsrechte in Tochtergesellschaften nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass die inhaltlichen Anforderungen von § 33 Abs 1 eingehalten werden. Die Organe herrschender Unternehmen unterliegen in ihrer Eigenschaft als organ- 82 schaftliche Vertreter des herrschenden Aktionärs keinem Verhinderungsverbot. Bei ihrer Entscheidung, ob sie das Übernahmeangebot unterstützen wollen, sind sie allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet3.
IV. Inhalt des Verhinderungsverbots 1. Allgemeines Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 regelt nicht, welche Maßnahmen unzulässig sind, sondern trifft lediglich die Aussage, dass Handlungen unzulässig sind, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Dies ist ein rein objek1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 46; Krause, NJW 2002, 705, 713 (Fn. 90); Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 5; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 53; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 64; 1. Aufl., Rz. 80; a.A. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 25; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 21. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 54.
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tives Kriterium; ein subjektives Merkmal in Form einer Verhinderungsabsicht ist nicht erforderlich1. Andererseits genügt die (objektive) Eignung zur Verhinderung irgendeines Angebots nicht. Vielmehr muss konkret die Eignung zur Verhinderung des in Frage stehenden Angebots festgestellt werden2. Das Verhinderungsverbot gilt grundsätzlich – vorbehaltlich der in § 33 geregelten Einschränkungen – für sämtliche Maßnahmen des Vorstands. Der Vorstand ist zur aktiven Unterstützung eines Angebots grundsätzlich nicht verpflichtet. Das Unterlassen von Handlungen kann deshalb nur dann eine „Maßnahme“ mit Verinderungseignung sein, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. Die Art der Gegenleistung bildet für die Beurteilung der Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen kein geeignetes Unterscheidungskriterium3. Maßnahmen, die zusammen mit dem Bieter oder mit seiner Zustimmung vorgenommen werden (Abschluss einer Grundsatz- oder Investorenvereinbarung), haben keine Verhinderungseignung4. 84
Unmaßgeblich ist, ob die Handlung das Übernahmeangebot tatsächlich verhindert hat; die Eignung zur Verhinderung genügt5. Hiernach sind zunächst solche Handlungen unzulässig, die geeignet sind, eine eigene Entscheidung des Aktionärs über das Angebot faktisch oder rechtlich unmöglich zu machen6, oder die dazu führen, dass das Angebot wegen des Ausfalls einer aufschiebenden Bedingung oder des Eintritts einer auflösenden Bedingung entfällt. Unter das Verhinderungsverbot fallen ferner Handlungen, die die Ausgangslage für den Bieter so wesentlich ändern, dass er bereits vor Abgabe des Angebots von seinem Vorhaben Abstand nimmt und dies als eine verständliche und nachvollziehbare Folge der Handlung des Vorstands der Zielgesellschaft erscheint. Umstritten ist hingegen, ob der Vorstand darüber hinaus von allen Handlungen absehen muss, die ein „Weniger“ an Angebotserfolg zur Folge haben können – etwa Maßnahmen, die dem Erreichen einer möglichst hohen Beteiligung oder der dadurch gewonnenen Möglichkeit der Ausübung beherrschenden Einflusses entgegenwirken oder die Zielgesellschaft für den Bieter in wirtschaftlicher Hinsicht unattraktiv machen7. Das hängt davon ab, was man unter dem „Erfolg des Angebots“ versteht. Da der Vorstand der Zielgesellschaft zur Wahrung der Interessen
1 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 22; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 19; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 42; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 16; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 19; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 7; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; kritisch Witte, BB 2000, 2161, 2164. 2 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 26. 3 A.A. Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 272 f. 4 Kiem, AG 2009, 301, 311; im Unterschied zu diesen Vereinbarungen, die oft erst während des Übernahmeverfahrens geschlossen werden, setzen sog. business combination agreement regelmäßig eine engere Absprache zwischen Bieter und Zielgesellschaft bereits im Vorfeld voraus. Die Begriffe sind aber nicht exakt abgegrenzt. Letztlich bewegt sich jeder Art von Vereinbarung mit dem Bieter außerhalb von § 33 Abs. 1 Satz 1, soweit es um das Übernahmeangebot gerade dieses Bieters geht. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 55; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57; ebenso DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1006. In § 33 Abs. 1 RefE hatte es noch geheißen, dass „der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft alle Handlungen zu unterlassen (haben), die geeignet sind, den Erfolg des Angebots zu verhindern“. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Neuformulierung keine inhaltliche Änderung bedeuten; vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57; kritisch zum RefE Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 307. 6 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1863; ähnlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 19. 7 So Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 44 ff.; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 113 ff.
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der Gesellschaft und nicht der Interessen des Bieters aufgerufen ist, kann unter „Erfolg des Angebots“ nur zu verstehen sein, dass ein verbindliches Angebot mit dem in der Veröffentlichung nach § 10 angekündigten Inhalt tatsächlich abgegeben und auch durchgeführt wird1. Maßnahmen, die – insbesondere im Fall eines bis auf die Fusionskontrollfreigabe an keine weiteren Bedingungen geknüpften Angebots – die Übernahme für den Bieter teurer oder sonst unattraktiver machen, sind nicht geeignet, den „Erfolg des Angebots“ zu verhindern. Es wäre auch kaum abgrenzbar und unter Umständen von rein subjektiven Wertungen des Bieters abhängig, ab welcher Schwelle derartige Maßnahmen geeignet sein könnten, den „Erfolg des Angebots“ aus Bietersicht zu verhindern. Der gesetzliche Anknüpfungspunkt – Verhinderung des Erfolgs des Angebots – bringt 85 es mit sich, dass sich der konkrete Inhalt des Verhinderungsverbots je nach dem Stand des Angebotsverfahrens und dem Inhalt des Angebots deutlich ändern kann. Nach Auffassung eines Teils der Literatur scheint es zu genügen, dass bestimmte Maßnahmen ihrer Art nach das Missfallen des Bieters erregen oder die Annahmequote verringern könnten2. Das Verhinderungsverbot nach § 33 würde sich damit dem Modell des City Code mit bestimmten abstrakt – ohne Notwendigkeit der konkreten Verhinderungseignung – verbotenen Handlungsweisen annähern3. Das verträgt sich weder mit dem Wortlaut von § 33 Abs. 1 Satz 1 noch mit Sinn und Zweck der Regelung, die die Interessen des Bieters nur reflexartig schützt, in erster Linie aber den Aktionären der Zielgesellschaft die Freiheit über Annahme oder Ablehnung des Angebots erhalten soll. Diese Freiheit ist nicht beeinträchtigt, solange das Angebot unverändert von den Maßnahmen des Vorstands durchgeführt wird, mögen diese Maßnahmen auch für den Bieter unerfreulich sein. Eine Schutzlücke entsteht nicht, der Vorstand bleibt aktienrechtlich den Interessen der Gesellschaft und dem Maßstab von § 93 Abs. 1 AktG verpflichtet. Die erste, rechtlich wenig konturierte Phase beginnt mit der Veröffentlichung der 86 Entscheidung zur Abgabe des Angebots und endet mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Über Art und Umfang der Bindung des Bieters an das angekündigte Angebot besteht Streit. Im Ergebnis muss man davon ausgehen, dass der Bieter sich vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage relativ leicht von dem angekündigten Angebot zurückziehen kann, allerdings aus Gründen seiner kapitalmarktrechtlichen Reputation davon nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen wird (näher § 10 Rz. 50 ff.). Handlungen des Vorstands vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage sind geeignet, den Erfolg des Angebots zu verhindern, wenn sie nach Art und Gewichtigkeit einen verständigen Bieter dazu bringen werden, ernsthaft in Erwägung
1 Ähnlich Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 267; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 23 (vgl. aber auch Rz. 91 ff.); Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 25; abweichend 1. Aufl., Rz. 84; a.A. Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 26; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58 (die eine „nicht unwesentliche“ Erschwerung genügen lassen wollen, worunter auch eine Verteuerung für den Bieter fallen soll); unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 55; referierend, ohne die Schlussfolgerung zu ziehen, Ekkenga/ Hofschroer, DStR 2002, 724, 732. 2 Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 91 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58 ff.; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 7; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 44 ff. 3 City Code Rule 21.1 (b); die Übernahme dieses Regelungsmodells passt schon deshalb nicht, weil das Panel von diesen Beschränkungen in der Regel Befreiung erteilt, wenn der Bieter einverstanden ist (Note 1 zu Rule 21.1), was bei § 33 nicht möglich ist.
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zu ziehen, von seinem Angebot Abstand zu nehmen. Wenn der Bieter (ausnahmsweise) bereits in der Veröffentlichung nach § 10 konkrete Angebotsbedingungen angekündigt hat, gilt das für alle Handlungen, die dazu führen würden, dass das Angebot aufgrund dieser Bedingungen nicht wirksam wird. Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage ist § 33 Abs. 1 Satz 1 zunächst am Inhalt des Angebots zu messen1. Handlungen des Vorstands sind in dieser Phase in der Regel nur dann geeignet, den Erfolg des Angebots zu vereiteln, wenn sie das greifbare Risiko begründen, dass das Angebot wegen Nichteintritts einer aufschiebenden oder Eintritts einer auflösenden Bedingung nicht durchgeführt wird. Darüber hinaus könnte man an Maßnahmen denken, durch die dem Bieter die Möglichkeit genommen wird, die versprochene Gegenleistung zu erbringen. Das wird allerdings kaum praktisch werden. Maßnahmen, die das Angebot für den Bieter verteuern, sind nicht allein deswegen geeignet, seinen Erfolg zu verhindern2. Den Aktionären der Zielgesellschaft kann dies bei einem Barangebot gleichgültig sein, solange nur der Bieter an sein Angebot gebunden bleibt und zur Erfüllung in der Lage ist. Gleiches gilt für Maßnahmen, die die strategischen Pläne des Bieters durchkreuzen. Wenn der Vorstand der Zielgesellschaft weiß, dass der Bieter an das Angebot gebunden ist, machen derartige „Abwehrmaßnahmen“ auch gar keinen Sinn. Diese Überlegungen führen dazu, dass der Bieter durch die Gestaltung der Angebotsbedingungen das „Pflichtenprogramm“ des Vorstands der Zielgesellschaft beeinflussen kann. Das trifft in der Tat zu und ist direkte Folge von § 33 Abs. 1 Satz 1. Der Ausgleich erfolgt durch die in § 33 Abs. 1 Satz 2 enthaltenen Einschränkungen des Verhinderungsverbots. 87
Aus dogmatischer Sicht ist fraglich, ob das Verhinderungsverbot eine Kompetenznorm darstellt oder eine echte Organpflicht begründet. Vor dem Inkrafttreten des WpÜG wurde die sog. Neutralitätspflicht teilweise als Kompetenznorm aufgefasst, die die Entscheidung über Abwehrmaßnahmen aus der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands herausnimmt und in die Zuständigkeit der Hauptversammlung überweist3. Darauf beruhte das Konzept des RegE, Abwehrmaßnahmen des Vorstands und Aufsichtsrats nur mit Zustimmung der Hauptversammlung zuzulassen. Ob dies auch für die Gesetz gewordene Fassung des § 33 Abs. 1 Satz 1 gilt, ist umstritten4. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses wurde die noch im RegE von § 33 Abs. 1 Satz 1 enthaltene Zuständigkeitsregelung aufgelöst. In der Gesetz gewordenen Fassung regelt § 33 Abs. 1 Satz 1 Organpflichten des Vorstands. Diese Einordnung hat Auswirkungen auf die Rechtsfolgen (siehe unten Rz. 304).
1 Ablehnend Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 23 f. unter Vernachlässigung der Möglichkeit von Angebotsbedingungen. 2 A.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 28 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 82; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 60. 3 Hopt, ZGR 1993, 534, 548 f.; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1076 f.; a.A. Mülbert, IStR 1999, 83, 88. 4 Für Kompetenznorm Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 130; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 32, 84; für Organpflicht Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 18 m.w.N.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 56; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 40; Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 560 f.; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 6; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 57; vor Inkrafttreten des WpÜG bereits van Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, 1996, S. 155 ff.
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2. Einzelne Maßnahmen1 a) Ausgabe neuer Aktien Die Ausgabe neuer Aktien durch die Zielgesellschaft ist abhängig von den Umstän- 88 den geeignet, den Erfolg eines Übernahmeangebots zu verhindern2 (zu Einschränkungen unten Rz. 90). Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen3. Durch die Ausgabe erhöht sich die Zahl der umlaufenden Aktien. Folglich benötigt der Bieter mehr Aktien, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erwerben. Die Eignung zur Verhinderung besteht insbesondere dann, wenn das Angebot unter der Bedingung steht, dass die Zielgesellschaft während der Angebotsphase keine neuen Aktien ausgibt4 oder wenn sich aufgrund der Ausgabe der neuen Aktien das Risiko, dass der Bieter die von ihm gesetzte Mindestannahmeschwelle nicht erreicht, greifbar erhöht. Außerdem kann sich die Übernahme verteuern, weil dem Bieter eine höhere Zahl von Aktien zum gleichen Preis je Aktie angedient werden kann und sich das Übernahmeangebot gemäß § 32 grundsätzlich auf alle Aktien der Zielgesellschaft erstrecken muss. Vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage kann es bereits ausreichen, dass die realistische Gefahr besteht, dass der Bieter aufgrund dieser Erwägungen von einem Angebot Abstand nimmt. Nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage genügt der Gesichtspunkt der Verteuerung des Angebots für den Bieter nur dann, wenn wegen einer entsprechend ausgestalteten Bedingung oder (ausnahmsweise) wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Bieters das Angebot in Gefahr gerät5. Ob die neuen Aktien im Zuge einer ordentlichen Kapitalerhöhung, durch Ausnutzung eines genehmigten Kapitals oder aus bedingtem Kapital zur Entstehung gelangen, ist für die Verhinderungseignung ohne Bedeutung. Die Verhinderungseignung kann im Einzelfall auch dann vorliegen, wenn die Aus- 89 gabe der neuen Aktien unter Beachtung des gesetzlichen Bezugsrechts erfolgt6. Die Abwehrkraft ist allerdings ungleich stärker, wenn die neuen Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts en bloc an einen oder mehrere wohlgesonnene Dritte ausgegeben werden, die sich verpflichten, das Angebot des Bieters nicht anzunehmen oder sogar ein konkurrierendes Angebot abzugeben7. Hierdurch wird die dem Bieter bereits zustehende Beteiligung verwässert und der für den Bieter erreichbare Anteil der Aktien bzw. Stimmrechte verringert. Die Verhinderungseignung ist nicht deswegen generell zu verneinen, weil der Nennbetrag des genehmigten Kapitals gemäß 1 Eine Übersicht über Maßnahmen und ihre Verbreitung enthält Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 185 ff. 2 Krause, NZG 2000, 905, 911; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 267; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 46; Schanz, NZG 2000, 337, 343; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 82; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 27. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 4 Weitergehend von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 207 ff. 5 Ähnlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 24; die h.M. lässt dem gegenüber den Gesichtspunkt der Verteuerung des Angebots allgemein genügen: Grunewald in Baums/ Thoma, § 33 Rz. 28 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 82; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 60. 6 Krause, BB 2002, 1053, 1055; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 47; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 60; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 212 f. 7 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 126 ff.; Bayer, ZGR 2002, 588, 594; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1430 f.; Krause, BB 2002, 1053, 1055; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 267; Martens in FS Beusch, 1993, S. 529, 546 ff.; Michalski, AG 1997, 152, 160; Schanz, NZG 2000, 337, 343; Wolf, AG 1998, 212 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84.
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§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG die Hälfte des Grundkapitals nicht übersteigen darf und demnach maximal ein Drittel des erhöhten Grundkapitals bei gewogenen Dritten platziert werden kann1. Eine Kapitalerhöhung diesen Ausmaßes kann dazu führen, dass der Bieter die angestrebte Mehrheitsbeteiligung nicht erreicht und das Angebot bei einer entsprechenden Bedingung fehlschlägt. Die Verhinderungseignung liegt noch näher, wenn der Bieter den Squeeze-out der Minderheitsaktionäre, den Abschluss eines Beherrschungsvertrages oder die Durchführung eines Formwechsels anstrebt und er wegen der Kapitalerhöhung außer Stande ist, die erforderlichen Mehrheiten von 95 % des Grundkapitals (§ 327a AktG) bzw. 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 293 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 240 Abs. 1 Satz 1 UmwG) zu erreichen2. Auch das gilt aber nur, wenn der Bieter das Angebot von einer entsprechenden Bedingung abhängig gemacht hat oder vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage die Gefahr besteht, dass er von dem Angebot Abstand nimmt. Ansonsten ist es für den „Erfolg des Angebots“ i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 gleichgültig, ob der Bieter nach Durchführung des Angebots die für ihn optimale strategische Ausgangslage erreicht hat. 90
Danach beurteilt sich auch, ob Kapitalerhöhungen nur dann, wenn sie eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten, zur Verhinderung des Erfolgs des Übernahmeangebots geeignet sind3. Die Eignung zur Verhinderung des Angebots besteht immer dann, wenn der Erfolg des Angebots – das heißt seine Durchführung – in Gefahr gerät. Das kann im Einzelfall auch bei einer relativ geringfügigen Kapitalerhöhung der Fall sein, wenn z.B. der Bieter eine hohe Annahmeschwelle gesetzt hat. Angesichts der üblicherweise erreichten Annahmequoten ist bei einer (sehr hohen) Annahmeschwelle von 90 % jede nicht völlig unerhebliche Kapitalerhöhung, an der der Bieter nicht teilnehmen kann, geeignet, den Erfolg zu verhindern. Auf den Gesichtspunkt der Verteuerung kommt es nur an, wenn dadurch – über den unerfreulichen wirtschaftlichen Effekt für den Bieter hinaus – der Erfolg des Angebots in Gefahr gerät4. Ob bestimmte Schwellen erreicht werden – in der Literatur werden teilweise 5 % oder 10 %5 des Grundkapitals oder der Stimmrechte genannt – ist ohne Belang; die Verhinderungseignung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab6.
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Die Ausgabe neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln hat kaum je verhindernde Wirkung7. Wenn zur Durchführung der Kapitalerhöhung neue Aktien ausgegeben werden (vgl. § 207 Abs. 2 Satz 2 AktG), reduziert sich die Gegenleistung pro Aktie analog § 216 Abs. 3 AktG im Verhältnis der Ausgabe neuer Aktien8; die absolute Zahl der in Umlauf befindlichen Aktien ist für sich ge1 Krause, BB 2002, 1053, 1055; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84. 2 Krause, BB 2002, 1053, 1055; dem folgend Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84. 3 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 25; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 267 (Fn. 49); Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 86; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 28 f. 4 Oben Rz. 88; ähnlich Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 24 (Unmöglichkeit der Finanzierung); a.A. 1. Aufl., Rz. 90. 5 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 25; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 267 (Fn. 49); Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 96. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 86. 7 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 30; ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 49, jeweils beschränkt auf Kapitalerhöhung ohne Ausgabe neuer Aktien; a.A. 1. Aufl., Rz. 91. 8 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 30; a.A. 1. Aufl., Rz. 91.
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nommen unerheblich (wenn sie sich durch die Kapitalerhöhung überhaupt erhöht, vgl. § 207 Abs. 2 Satz 2 AktG). Eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kann – von irrationalen Effekten abgesehen – auch nicht den Kurs der Aktie beflügeln: Entweder werden keine neuen Stücke ausgegeben und es handelt sich um einen reinen Rechenvorgang (Umbuchung von Rücklagen in Grundkapital), oder es werden neue Stücke ausgegeben und der Kurswert der Aktie wird sinken, weil sich der unveränderte Wert der Gesellschaft auf mehr Aktien verteilt. Möglicherweise steigt aufgrund höherer Liquidität oder aufgrund höherer Dividendenerwartung1 die Marktkapitalisierung – dieser Effekt wird aber bei laufendem Übernahmeangebot praktisch unausweichlich von den wesentlich stärkeren Effekten überlagert, die das Angebot selbst auf den Kurs der Aktien hat2. b) Erwerb eigener Aktien Der Erwerb eigener Aktien kann im Einzelfall geeignet sein, den Erfolg eines Über- 92 nahmeangebots zu verhindern3. In der Literatur werden verschiedene Begründungen vorgebracht: Eine mögliche aktienpreiserhöhende Tendenz mit der Folge der Reduzierung der in der Gegenleistung enthaltenen Prämie und damit der Attraktivität des Übernahmeangebots4 und die Verringerung der Zahl der umlaufenden, für den Bieter erreichbaren Aktien5. Beim Rückkauf eigener Aktien ist besonders deutlich, dass es auf den Einzelfall ankommt. Wenn die Zielgesellschaft die Aktien dem Bieter andienen will, ist der Rückkauf neutral oder sogar hilfreich für den Bieter. Wenn die Zielgesellschaft die Aktien behalten will, kann das für die Bieter hilfreich sein, weil sich sein Finanzierungsvolumen reduziert; es kann aber auch nachteilig sein, wenn er in Gefahr gerät, die Annahmeschwelle zu verfehlen. Wenn der Vorstand die Aktien im Rahmen einer von der Hauptversammlung eingeräumten Ermächtigung an dem Angebot feindlich gesonnene Dritte weitergibt, kann das verhindernde Wirkung haben, wenn dadurch zum Beispiel das Erreichen der Annahmeschwelle gefährdet wird. Der Verhinderungseignung steht nicht generell entgegen, dass der Zielgesellschaft aus eigenen Aktien keine Stimmrechte zustehen (§ 71b AktG) und sich dadurch das relati-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87. 2 A.A. 1. Aufl., Rz. 91. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 132 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote, 1990, S. 110; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 204; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 249; Michalski, AG 1997, 152, 154; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 52; Schander, BB 1997, 1801, 1803; Schander, ZIP 1998, 2087, 2088; Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 130; Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 33 Rz. 27; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 70; Wolf, AG 1998, 212, 218; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 220; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90; a.A. Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 268; Berrar/ Schnorbus, ZGR 2003, 59, 103 (Fn. 190). 4 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 132 f.; Böhm in von Rosen/ Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 328 f., 334 ff.; von Falkenhausen in FS Stiefel, 1987, S. 163, 185 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 204; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Michalski, AG 1997, 152, 154; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 27; differenzierend von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 217. 5 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 132 f.; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 204; zurückhaltend Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1428 f.
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ve Stimmengewicht der Beteiligung des Bieters erhöht1. Auf einen bestimmten Umfang des Rückerwerbs eigener Aktien kommt es grundsätzlich nicht an2, vielmehr sind auch insoweit die Umstände des Einzelfalls entscheidend3. Je höher die vom Bieter festgelegte Akzeptanzschwelle ist, desto eher ist die Verhinderungseignung anzunehmen. Wenn der Bieter eine Beteiligungsquote von 90 % als Voraussetzung gesetzt hat, genügen bereits Käufe in geringem Umfang, um das Angebot in Gefahr zu bringen (wenn die Zielgesellschaft nicht mit den zurückgekauften Aktien das Angebot annimmt). Der Bieter hat es allerdings in der Hand, eigene Aktien der Zielgesellschaft für Zwecke der Berechnung der Mindestannahmeschwelle zu eliminieren. 93
Aktienrechtlich ist der Erwerb eigener Aktien nur dann rechtmäßig, wenn einer der Tatbestände des § 71 Abs. 1 AktG erfüllt ist. Dessen Nr. 1 (Abwehr eines schweren unmittelbar bevorstehenden Schadens) ist bei der Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots regelmäßig nicht einschlägig, weil der mögliche Kontrollerwerb des Dritten im Regelfall keinen schweren Schaden für die Zielgesellschaft darstellt4. In der Praxis kommt vor allem § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, der den zweckfreien Rückerwerb aufgrund Ermächtigung der Hauptversammlung gestattet (Aktienrückkaufprogramm), in Betracht5.
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Kapitalmarktrechtlich richtet sich die Zulässigkeit des Rückerwerbs insbesondere nach den insiderrechtlichen Vorschriften und dem Verbot der Marktmanipulation. Wer zur Abwehr eines Übernahmeangebots Kauforders über dem Marktpreis stellen lässt, kann im Einzelfall den Tatbestand der Marktmanipulation verwirklichen, wenn diese Kauforders geeignet sind, falsche oder irreführende Signale für Angebot und Nachfrage zu geben oder ein künstliches Preisniveau herbeizuführen (§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG). Verstöße gegen das Verbot der Marktmanipulation sind bei Vorliegen der entsprechenden subjektiven Voraussetzungen als Ordnungswidrigkeit (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) oder, wenn die Kauforder auf den Börsenpreis einwirkt, als Straftat sanktioniert (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 und 2 WpHG). Die Freistellung nach § 20a Abs. 3 WpHG i.V.m. den Vorschriften der Verordnung (EG) 2273/2003 findet nur auf Rückkaufprogramme zwecks Deckung von Wandlungsrechten oder Bedienung von Mitarbeiterbeteiligungsprogramme Anwendung (Art. 3 VO EG 2273/2003): Die inhaltlichen Beschränkungen (z.B. hinsichtlich der maximalen täglichen Rückkaufsvolumina), werden aber inhaltlich oft auch außerhalb dieser Zwecksetzungen angewandt.
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Der Rückerwerb eigener Aktien kann im Einzelfall auch gegen das Insiderhandelsverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) verstoßen. Ein solcher Verstoß kommt in Betracht, wenn die für den Rückerwerb verantwortlichen Funktionsträger der Zielgesellschaft 1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61; enger van Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, 1996, S. 17; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 310 f.; Schanz, NZG 2000, 337, 345. 2 A.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 33; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 3 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 27; ähnlich Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61. 4 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 145; Otto, DB-Beil. 12/1988, S. 8; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 54 ff.; Baums, AG 1990, 221, 240; Hopt, ZGR 1993, 534, 549 f.; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 121 ff.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 92; anders noch BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186; hierzu zutreffend Hopt, ZGR 1993, 534, 549 f. 5 Bayer, ZGR 2002, 588, 593; Krause, BB 2002, 1053, 1060; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 92.
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§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
Kenntnis von Insiderinformationen (§ 13 WpHG) haben. In Betracht kommt insoweit auch die Kenntnis vom bevorstehenden Angebot. Wenn die Zielgesellschaft im Besitz von Insiderinformationen ist (und diese nicht nach § 15 Abs. 1 WpHG unverzüglich veröffentlich, z.B. weil sie von einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG Gebrauch macht), kommt es darauf an, ob durch den Rückkauf diese Informationen i.S.v. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG „verwendet“ werden1. Die Einziehung zulässig erworbener eigener Aktien ist zur Verhinderung des Erfolgs 96 eines Übernahmeangebots grundsätzlich nicht geeignet2. Das Herauskaufen des Bieters durch Rückerwerb eigener Aktien, zumeist zu einem den Börsenkurs übersteigenden Preis (greenmail), ist geeignet, den Erfolg des Angebots zu verhindern3. Zudem kann ein Verstoß gegen § 53a AktG4, die Vorschriften über den Rückerwerb eigener Aktien (§§ 71 ff. AktG) und, je nach gezahltem Preis, gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 57, 62 AktG)5 vorliegen. Im Übrigen kommt bei kollusivem Zusammenwirken von Bieter und Zielgesellschaft zur Abwendung eines bereits angekündigten Übernahmengebots ohne hinreichenden sachlichen Grund ein gemeinsam begangener Verstoß gegen § 826 BGB in Betracht.
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c) Veräußerung eigener Aktien Auch die Veräußerung eigener Aktien kann im Einzelfall geeignet sein, ein Übernah- 98 meangebot zu verhindern. Die Literatur verweist auf die Erhöhung der Zahl der am Markt umlaufenden Aktien, die es dem Bieter erschweren, seine Ziele zu erreichen6. Vereinzelt wird angenommen, dass die Veräußerung eigener Aktien nur dann verhindernde Wirkung habe, wenn die Aktien außerbörslich und unter Ausschluss des Bezugsrechts an Dritte veräußert werden7. Der Umstand, dass sowohl dem Erwerb als auch der Veräußerung eigener Aktien potentiell verhindernde Wirkung beigemessen wird, verdeutlicht einmal mehr, dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Die verhindernde Eignung ist konkret und unter Berücksichtigung des Stadiums, in dem sich das Angebotsverfahren befindet, zu ermitteln. Grundsätzlich wird sich der 1 Vgl. zu den schwierigen Fragen um die Auslegung dieses Begriffs Assmann in Assmann/ Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 23 ff. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 53; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 94. 3 Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 194; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 145 f.; Escher-Weingarten/Kübler, ZHR 162 (1998), 537, 535; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1388; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 28; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 87; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 62; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 125; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 93; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 35; offen Weimar/Breuer, BB 1991, 2309, 2318; a.A. Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 146; zu greenmail in den USA vgl. Reul, Pflicht zur Gleichbehandlung, 1991, S. 66 ff. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 93. 5 von Falkenhausen in FS Stiefel, 1987, S. 163, 195; Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 194; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 148 f.; van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 20; Böhm in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 337; Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 104; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 64 ff.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 93. 6 Krause, NZG 2000, 905, 912; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 268; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 22; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 53; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 60; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 89; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 31; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 7 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 22.
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§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
Bieter durch eine Veräußerung eigener Aktien am Markt kaum von seinem bereits angekündigten Angebot abbringen lassen. Eine potentielle Abwehrwirkung kann aber bestehen, wenn die Aktien en bloc an einen der Zielgesellschaft wohlgesonnenen und dem Angebot feindlich gesonnenen Dritten veräußert werden1. Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage kommt es darauf an, ob die Veräußerung negative Auswirkungen auf Angebotsbedingungen haben kann. Insoweit kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Platzierung am Markt auf die Erfolgschancen des Angebots negativ wirkt. Vielmehr sind die Käufer von Aktien nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage in der Regel am Erfolg des Angebots interessiert, weil sie bei einem Misserfolg und der darauf regelmäßig folgenden Kurskorrektur wirtschaftlichen Schaden erleiden. d) Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen, Aktienoptionen 99
Auch die Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen (§ 221 AktG) kann im Einzelfall zur Verhinderung des Erfolgs eines Übernahmeangebots geeignet sein2. Allerdings benötigt die Ausgabe derartiger Instrumente regelmäßig eine nicht unerhebliche Vorlaufzeit und ist aus Sicht der Zielgesellschaft als Abwehrinstrument deshalb kaum geeignet. Wandlungs- und Optionsrechte können ähnlich wie die Ausgabe neuer Aktien wirken, wenn die Aktien noch während der Laufzeit des Angebots bezogen werden können3. Für den Bieter kann es auch unangenehm sein, wenn eine bereits erlangte Kontrolle nachträglich durch den Bezug neuer Aktien wieder in Frage gestellt wird. Wie sonst auch kommt es vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage auf die Eignung, den Bieter von der Abgabe des Angebots abzuhalten, und danach auf die Eignung zur Verhinderung der Durchführung des Angebots an. Wenn das Angebot eine entsprechende Bedingung – keine Schaffung von Bezugsrechten auf neue Aktien – enthält, ist das Auflegen einer Wandel- oder Optionsanleihe grundsätzlich geeignet, den Erfolg des Angebots zu verhindern. Weniger entscheidend ist, ob das Bezugsrecht der Aktionäre bei der Ausgabe der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen ausgeschlossen wird4.
100 Die vorstehenden Ausführungen finden bei der Ausgabe von naked warrants entsprechende Anwendung5. 101 Das gilt auch für die Ausgabe von Aktienoptionen an Führungskräfte und Organmitglieder der Zielgesellschaft in der Übernahmephase. Die Verhinderungseignung besteht insbesondere dann, wenn die Maßnahme von einer Angebotsbedingung erfasst ist. 1 Krause, BB 2002, 1053, 1059; dem folgend Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88. 2 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 129; van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 15 f.; Bayer, ZGR 2002, 588, 595; Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 121 ff.; Hirte, ZIP 1989, 1233, 1245 f.; Krause, BB 2002, 1053, 1060; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 50; Schanz, NZG 2000, 337, 344; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 26; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 95; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 32; von Falkenhausen/von Klitzing ZIP 2006, 1513, 1514 (vorwiegend unter dem Aspekt der Übernahmeprophylaxe); a.A. Werner, Übernahmeangebote, 1989, S. 23 f. (allerdings nur bei Einräumung eines Bezugsrechts). 3 Krause, BB 2002, 1053, 1060; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 95. 4 A.A. 1. Aufl., Rz. 99. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 60; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 51; zum Streit um die aktienrechtliche Zulässigkeit von naked warrants vgl. Rieckers in Spindler/ Stilz, § 192 AktG Rz. 30 f.
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Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
Die Ausgabe von Bezugsaktien aus einem bestehenden bedingten Kapital für die Bedienung bestehender Aktienoptionen fällt regelmäßig nicht unter § 33 Abs. 1 Satz 11. Es fehlt insoweit an einer relevanten Handlung des Vorstands. Zwar ist für die Aktienausgabe die Annahme der Bezugserklärung durch den Vorstand erforderlich. Der Vorstand ist aber rechtlich gebunden, das Angebot anzunehmen, wenn es den Bedingungen des Bezugsrechts entspricht.
102
e) Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände (crown jewel defense) Die Veräußerung wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens kann die Übernah- 103 me für den Bieter unattraktiv machen und deswegen geeignet sein, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern2. Der Attraktivitätsverlust kann darauf beruhen, dass gerade der für den Bieter wichtige Unternehmensteil veräußert wird oder der Bieter nach der Veräußerung der ggf. betroffenen Unternehmensteile bestimmte angestrebte Synergieeffekte nicht mehr realisieren kann3 oder die nach der Veräußerung erhöhte Liquidität einen anderen, an der Zerschlagung der Zielgesellschaft interessierten Bieter anzieht4. Je nach Lage des Einzelfalls kann auch die Einbringung der betroffenen Vermögensgegenstände in ein Gemeinschaftsunternehmen gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen zur Verhinderung des Angebots geeignet sein. Ob sich die Zielgesellschaft ein Rückerwerbsrecht einräumen lässt, ist für die Verhinderungseignung ohne Belang. Da sich der Gesetzgeber mit dem Abstellen auf die Verhinderungseignung für einen objektiven Standard entschieden hat5, kommt es auf die zugrunde liegenden Motive und verfolgten Zwecke nicht an. Auch hier ist über den schlichten Befund, dass die Handlung aus Sicht des Bieters nachteilig sein kann, hinaus entscheidend, ob der Bieter rechtlich die Möglichkeit hat und aus objektiver Sicht geneigt sein wird, von seinem Angebot Abstand zu nehmen. Aus dem letzteren Blickwinkel heraus ist auch die „Wesentlichkeit“ zu bestimmen. Ob ein Teil des Gesellschaftsvermögens in diesem Sinne wesentlich ist, ist eine Fra- 104 ge der Umstände des Einzelfalls. Nicht entscheidend ist, ob die Veräußerung nach den Grundsätzen der „Holzmüller“- und „Gelatine“-Entscheidungen des BGH6 der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf (schließlich kann dem Bieter die Ver-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1080; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 141; Daum, Die unkoordinierte Übernahme, 1992, S. 192; van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 21; Ebenroth/Daum, DB 1991, 1157, 1158; Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 188; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1388; Krause, BB 2002, 1053, 1060 f.; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 310 f.; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 268 f.; Michalski, AG 1997, 152, 159; Otto, DB-Beil. 12/1998, S. 8; Mülbert, IStR 1999, 83, 89; Pötzsch/ Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 25; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 97; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 29; a.A. Lüttmann, Kontrollwechsel, 1992, S. 170; W. Müller in FS Semler, 1993, S. 195, 211 ff.; Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 127; Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 149. 3 Van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 21; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 29. 4 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 140 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 29; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 97. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 6 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575.
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äußerung auch gelegen kommen)1, wenngleich in derartigen Fällen die Wesentlichkeit regelmäßig gegeben ist2. Teilweise wird, angelehnt an Note 2 zu Rule 21.1 City Code und Art. 36 Abs. 2 lit. a) der Verordnung der schweizerischen Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote („UEV“), die Wesentlichkeit angenommen, wenn die Gegenleistung für die relevanten Teile des Gesellschaftsvermögens 10 % der Marktkapitalisierung der Zielgesellschaft, der Buchwert 10 % des Anlagevermögens der Zielgesellschaft oder das zuweisbare Betriebsergebnis 10 % des Betriebsergebnisses der Zielgesellschaft erreicht oder übersteigt3. Die Berufung auf den City Code oder die UEV ist allerdings als Bezugspunkt wenig geeignet, weil dort, anders als bei § 33, bestimmte Maßnahmen unabhängig von der konkreten Eignung zur Verhinderung verboten sind. Quantitative Grenzen sind deshalb für Zwecke des WpÜG höchstens im Sinne eines informellen Aufgreiftatbestands zu verstehen. Gleiches gilt für die Auswirkung der Veräußerung auf den Börsenkurs der Zielgesellschaft4. In manchen Fällen ist die Veräußerung erheblicher Vermögensbestandteile aus Sicht des Bieters durchaus positiv zu bewerten. Auch unterhalb irgendwelcher Schwellenwerte kann der fragliche Teil des Gesellschaftsvermögens „wesentlich“ sein, wenn er für den Bieter von besonderer Bedeutung ist5. Ob der Bieter bestimmte Vermögensgegenstände in der Angebotsunterlage als wesentlich bezeichnet hat, hat dann Bedeutung, wenn er die Veräußerung zum Gegenstand einer Angebotsbedingung gemacht hat6. Hier wie auch sonst kann der Bieter durch die Gestaltung der Angebotsbedingungen in der Angebotsunterlage den Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1 erweitern. Er wird das nicht leichtfertig tun, weil er gleichzeitig damit die Chancen für den Erfolg des Angebots reduziert. Die Interessen der Zielgesellschaft werden durch § 33 Abs. 1 Satz 2 ausreichend berücksichtigt. Wenn die fraglichen Teile des Gesellschaftsvermögens trotz Überschreitens irgendwelcher Schwellenwerte für den Bieter keine Bedeutung besitzen, ist ihre Veräußerung nicht geeignet, den Erfolg des Angebots zu verhindern. Im Unterschied zum Prüfungsmaßstab in den „Holzmüller/Gelatine“-Fällen, bei denen die Wesentlichkeit für die Gesellschaft maßgeblich ist, bestimmt sich hier die Wesentlichkeit nach den Auswirkungen auf den Angebotserfolg, die wiederum maßgeblich von der Sicht des Bieters und dem Inhalt der Angebotsunterlage abhängen7. 105 Aktienrechtlich ist die Veräußerung von Teilen des Gesellschaftsvermögens nur im Rahmen des § 179a AktG, des Schädigungsverbots und, wenn man sie auf die Veräußerung von Vermögensgegenständen für anwendbar hält8, der aus den „Holzmül-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 98; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 36; a.A. Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 128; Lüttmann, Kontrollwechsel, 1992, S. 170. 2 A.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 30; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58. 3 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 30; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58 und Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 98 in Anlehnung an Note 2 zu Rule 21.1 City Code („… although relative values lower than 10 % may be considered material if the asset is of particular significance“); ähnlich Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 36. 6 Vgl. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 30; weitergehend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58. 7 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 61; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; a.A. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 30. 8 Tendenziell ablehnend BGH v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, NZG 2007, 234; zum Streitstand Hölters, § 93 AktG Rz. 222.
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ler“- und „Gelatine“-Entscheidungen des BGH1 entwickelten Grundsätze zulässig. Diese Grundsätze erfahren in der Übernahmesituation keine Modifizierung in dem Sinn, dass die Schwelle für eine Zustimmungspflicht herabgesetzt wäre2. „Holzmüller/Gelatine“-Beschlüsse können für eine konkret zur Entscheidung anstehende Maßnahme eingeholt werden. Im Schrifttum werden auch „Holzmüller“-Vorratsermächtigungen für zulässig gehalten3, bezüglich derer es allerdings einer hinreichend konkreten Beschreibung des Vorhabens bedarf4. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Veräußerung wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens regelmäßig längere Verhandlungen mit dem Erwerber erfordert und die Veräußerung nach aktienrechtlichen Grundsätzen im Interesse der Gesellschaft liegen muss, dürfte die Veräußerung wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens als Abwehrmaßnahme nur selten praktiziert werden. f) Erwerb von Unternehmen (u.a. antitrust defense) Auch der Erwerb von Unternehmen oder Beteiligungen kann zur Verhinderung des 106 Erfolgs eines Übernahmeangebots geeignet sein5 – beispielsweise dann, wenn durch den Erwerb für das Übernahmeangebot kartellrechtliche Probleme geschaffen werden6, aber auch dann, wenn die Transaktion nicht in das strategische Konzept des Bieters passt oder die Verschuldung der Zielgesellschaft massiv erhöht. Wiederum bedarf es der Analyse des Einzelfalls. Der Bieter kann ggf. – insbesondere unter der Geltung der europäischen EG-Fusionskontrollverordnung7 – auf eine entsprechende Angebotsbedingung verzichten, um die Ernsthaftigkeit seines Angebots zu demonstrieren. Dann fehlt es bei einem Beteiligungserwerb durch die Zielgesellschaft an einer Verhinderungseignung. In der Regel fällt aber der Erwerb eines Unternehmens durch die Zielgesellschaft, die für den Bieter die Gefahr der fusionskontrollrechtlichen Untersagung seines Übernahmeangebots begründet, unter § 33 Abs. 1. Aktienrechtlich ist (wie grundsätzlich bei allen Maßnahmen der Zielgesellschaft) er- 107 forderlich, dass der Erwerb des fraglichen Unternehmens im Interesse der Gesellschaft liegt. Dass der Erwerb die Abwehr eines Übernahmeangebots bezweckt oder jedenfalls befördert, ist nicht nur nicht ausreichend, sondern für sich genommen kein für die Maßnahme sprechendes Element der Abwägung nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Übernahmeverhinderung als solche kann vom Vorstand nur im Rahmen der Ausübung einer Ermächtigung nach § 33 Abs. 2 herangezogen werden.
1 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575. 2 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103. 3 Str., Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 119 AktG Rz. 40 m.w.N. 4 Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 119 AktG Rz. 40; Krause, BB 2002, 1053, 1061; Reichert, AG 2005, 150, 159; Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rz. 12. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 6 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 147; Grunewald in Baums/ Thoma, § 33 Rz. 40; Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 191 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 138; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 27; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 58; Schander, BB 1997, 1801, 1803; Schanz, NZG 2000, 337, 347; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 101. 7 Vgl. Art. 7 Abs. 2 EG-Fusionskontrollverordnung: Der Bieter kann unter gewissen Voraussetzungen vor Freigabe vollziehen.
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g) Veränderung der Finanzierungsstruktur 108 Auch Veränderungen der Finanzierungsstruktur können das wirtschaftliche Interesse des Bieters an der Übernahme beeinträchtigen und daher geeignet sein, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern. Diese Wirkung kann von Fremdfinanzierungsmaßnahmen (Aufnahme eines Bankkredits, Emission einer Anleihe)1, aber auch von bestimmten Änderungen bestehender Kreditbedingungen2 ausgehen. Ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich das Rating der Gesellschaft wegen der Finanzierungsmaßnahmen nachteilig verändert oder wenn während der Angebotsphase vereinbarte Fremdfinanzierungsinstrumente in ihren Bedingungen die vorzeitige Fälligkeit bei feindlichem Übernahmeangebot bzw. Kontrollwechsel vorsehen (poison debt)3. Hier wie auch sonst ist über die abstrakte Eignung hinaus erforderlich, dass die Maßnahme die Durchführung der konkreten Übernahme in Gefahr zu bringen geeignet ist. h) Gekreuzte Beteiligungen 109 Gekreuzte Beteiligungen reduzieren den Anteil des Streubesitzes am Grundkapital und können damit die Chancen des Bieters auf den Erwerb einer Kontroll- oder Mehrheitsbeteiligung erheblich reduzieren4. Dabei kommt es darauf an, ob der Aufoder Ausbau der gekreuzten Beteiligung für die Durchführung des Übernahmeangebots eine Gefahr bedeutet. Nachteilige Auswirkungen auf etwaige weitergehende Ziele des Bieters (z.B. Squeeze-out) sind nicht relevant5. i) Gegenangebot (pac man) 110 Das Gegenangebot der Zielgesellschaft für Aktien des Bieters wird verbreitet für eine unzulässige Abwehrmaßnahme gehalten6. Auch hier kommt es auf die Analyse der konkreten Auswirkungen auf das (erste) Übernahmeangebot an. Regelmäßig7 wird der Bieter trotz eines Gegenangebots versuchen, das eigene Angebot schneller durchzuziehen und das Gegenangebot dadurch zu Fall zu bringen. Dann wird den Aktionären der Zielgesellschaft durch das Gegenangebot die Möglichkeit, das erste Angebot anzunehmen nicht genommen8. Auch das Argument, das Gegenangebot führe wegen der Regelung über die Stimmrechtsbeschränkung gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 und 1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 62; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 46. 2 Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 272 mit einschlägigen Beispielen; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59. 3 Krause, AG 2002, 133, 143; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 62; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103. 4 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 134; Otto, AG 1991, 369, 371; Krause, AG 2002, 133, 140; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 54. 5 A.A. 1. Aufl., Rz. 109. 6 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389 f.; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 311; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 55; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 39; weiterhin Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 145 f.; Becker, ZHR 165 (2001), 280, 282; Michalski, AG 1997, 152, 161; Mülbert, IStR 1999, 83, 89; Schanz, NZG 2000, 337, 344; Ekkenga in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 119; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 231 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 106; auch noch Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 27; wohl auch von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 244. 7 Erfahrungswerte aus Deutschland fehlen allerdings völlig, so dass alle Aussagen zum Ablauf von Gegenangeboten mehr oder weniger spekulativ sind. 8 Krause, NZG 2000, 905, 912; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 53.
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Abs. 2 AktG zu einem Wettlauf zwischen Bieter und Zielgesellschaft um die erste Anzeige des Erreichens von 25 % der Stimmrechte, überzeugt nicht. Der „Erfolg des Angebots“ i.S.v. § 33 Abs. 1 ist nicht eine wie auch immer definierte Kontrollsituation, sondern die Durchführung des Angebots samt der damit für die Aktionäre der Zielgesellschaft gegebenen Möglichkeit, die Aktien einzureichen und die versprochene Gegenleistung zu erhalten. Die in der Begründung des Referentenentwurfs enthaltene Passage, die das Gegenangebot unter bestimmten Voraussetzungen zu den unzulässigen Abwehrmaßnahmen zählte1, wurde daher nicht in die Begründung des Regierungsentwurfs übernommen. Hiernach ist das Gegenangebot übernahmerechtlich grundsätzlich zulässig2. Aktienrechtlich gehört das Gegenangebot zu den Geschäftsführungsmaßnahmen, für 111 die der Vorstand der Zielgesellschaft grundsätzlich keiner Ermächtigung der Hauptversammlung bedarf3. Jedoch kann die Zustimmung erforderlich werden, wenn das Gegenangebot über eine Barkapitalerhöhung finanziert werden muss oder die Zielgesellschaft neu auszugebende Aktien als Akquisitionswährung einsetzt, die mangels hinreichenden genehmigten Kapitals erst durch eine reguläre Kapitalerhöhung geschaffen werden müssen4. Die Zustimmung der Hauptversammlung kann im Einzelfall auch deswegen erforderlich sein, weil die Geschäftstätigkeit des Bieters den Unternehmensgegenstand der Zielgesellschaft überschreitet oder die Zustimmung nach „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätzen5 erforderlich ist. Abgesehen davon ist das Gegenangebot nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen nur zulässig, wenn es im Interesse der Gesellschaft liegt. j) Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien Hat die Zielgesellschaft vinkulierte Namensaktien ausgegeben, ist der Vorstand für 112 die Erteilung der Zustimmung zur Übertragung zuständig, sofern nicht die Satzung bestimmt, dass der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließt (§ 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG). Die Erteilung der Zustimmung ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich unproblematisch6, und zwar auch dann, wenn der Erwerber ein Gegner des Angebots ist. Die Verweigerung der Zustimmung wäre in einem solchen Fall eine aktive Förderung des Angebots, zu der der Vorstand nicht verpflichtet ist. Die Verweigerung der Zustimmung gegenüber anderen Personen als dem Bieter kann ausnahmsweise in den Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1 fallen, wenn der Erwerber ersichtlich das Angebot stützt, insbesondere eine mit dem Bieter i.S.v. § 2 Abs. 5 gemeinsam handelnde Person ist. Die Verweigerung der Zustimmung zum Erwerb der Aktien durch den Bieter fällt in den sachli1 Begr. zu § 33 RefE, abgedr. bei Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 407, 482; so auch noch Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 27. 2 Krause, NZG 2000, 905, 912; Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 158; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 273 (für den Fall eines Tauschangebots); Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 130. 3 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 145; Pötzsch/Möller, WMSonderbeil. 2/2000, S. 27; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 54; a.A. Hirte/Schander in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 341, 371; auf der Basis der aktienrechtlich abgeleiteten Neutralitätspflicht auch Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389 f. 4 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 130. 5 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575. 6 Ob die Erteilung der Zustimmung unter § 33 Abs. 1 Satz 2 fällt (so Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 33 Rz. 55), ist deshalb nicht entscheidend.
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chen Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 11. Wenn es um die Zustimmung im Rahmen des Vollzugs des Angebots geht, ist aber der zeitliche Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1 regelmäßig überschritten (Rz. 67 ff.). Wenn die Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 1 erfüllt sind, ist die Verweigerung der Zustimmung nur zulässig, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 vorliegt (siehe Rz. 152). 113 Liegt einer der Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 oder Alt. 3 vor oder ist der Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1 nicht gegeben, richtet sich die Zulässigkeit der Zustimmungsverweigerung nach der Satzung – die die Gründe bestimmen kann, aus denen die Zustimmung verweigert werden darf (§ 68 Abs. 2 Satz 4 AktG) – und den aktien- und börsenrechtlichen Vorschriften. Sofern die Aufzählung der Verweigerungsgründe in der Satzung nicht abschließend ist, entscheidet der Vorstand über die Zustimmung zur Übertragung nach pflichtgemäßem, die Gesellschaftsinteressen und die Interessen der übertragungswilligen Aktionäre abwägenden, durch das Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG gebundenen Ermessen2. Demgemäß hat der Vorstand zwischen den Interessen der veräußerungswilligen Aktionäre und dem Interesse der Gesellschaft abzuwägen; Interessen des Bieters braucht der Vorstand nicht zu berücksichtigen3. Aus der Vinkulierungsklausel wird verbreitet ein grundsätzlicher Vorrang des Interesses der Gesellschaft an der Kontrolle ihres Aktionärskreises hergeleitet4. Die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung kann darauf gestützt werden, dass die Verweigerung dem Wohl der Gesellschaft entspricht5. Einer darüber hinausgehenden sachlichen Rechtfertigung bedarf die Verweigerung nicht6. Auch die Zustimmung zur Übertragung bedarf grundsätzlich keiner sachlichen Rechtfertigung, selbst wenn die Gesellschaft durch die Übertragung vom Bieter abhängig wird7. 114 Börsenrechtliche Einschränkungen für die Verweigerung der Zustimmung bestehen nicht. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BörsZulV betrifft nur die Zulassung. Eine Erklärung der Gesellschaft, die Zustimmung nur in Ausnahmefällen zu verweigern8, wird nicht mehr verlangt. Wenn es nach der Zulassung durch die Verweigerung der Zustimmung zu Problemen im Börsenhandel kommt, kann ggf. die Zulassung nach § 39 Abs. 1 BörsG widerrufen werden. In der Literatur wird teilweise angenommen, die Verweigerung der Zustimmung sei bei börsennotierten Aktiengesellschaften rechtsmissbräuchlich9. Das lässt sich auf Grundlage des geltenden Rechts nicht begründen. Wenn die 1 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 48; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 110; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 146; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 246; Koch, Neutralitätspflicht, 2001, S. 165; Schanz, NZG 2000, 337, 341. A.A. Schwennicke in Geibel/ Süßmann, § 33 Rz. 55 f.; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 177; zuvor bereits Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 62 f.; Lammers, Verhaltenspflichten, 1994, S. 161 f. 2 BGH v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019, 1020 = AG 1987, 155; LG Aachen v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 411 ff.; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 68 Rz. 78, 81; Lutter, AG 1992, 369, 374; Hüffer, § 68 AktG Rz. 15; Harrer/Grabowski, DStR 1992, 1326, 1327; Wirth, DB 1992, 617, 619; Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 62 f.; Lammers, Verhaltenspflichten, 1994, S. 161 f.; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 177. 3 van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 161 ff. 4 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 68 Rz. 81. 5 Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 63; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 55. 6 LG Aachen v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 411 ff.; Lutter, AG 1992, 369, 372 f.; a.A. Immenga, AG 1992, 79, 82 f. 7 Hüffer, § 68 AktG Rz. 15; a.A. Lutter, AG 1992, 369, 374. 8 Wirth, DB 1992, 617, 618; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 176. 9 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 117 f.; Daum, Die unkoordinierte Übernahme, 1992, S. 159; Hahn, Feindliche Übernahme von Aktiengesellschaften,
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Verweigerung der Zustimmung allgemein als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre, müsste § 68 AktG – wie andere aktienrechtliche Vorschriften, die zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten AGs differenzieren – eine entsprechende Einschränkung enthalten. Der Vorstand kann deshalb bei Beachtung der genannten aktienrechtlichen Grundsätze die Zustimmung im Einzelfall verweigern1. k) Schuldrechtliche Veräußerungsbeschränkungen (lock-ups) Die Zielgesellschaft kann mit ausgewählten Aktionären vereinbaren, dass diese ihre Aktien nicht an den Bieter veräußern dürfen. Die aktienrechtlichen Vorschriften stehen derartigen schuldrechtlichen Vereinbarungen nicht entgegen2. Wenn die Zahl der von derartigen lock-ups umfassten Aktien geeignet ist, den Bieter von seinem Angebot abzubringen oder das Wirksamwerden des Angebots zu verhindern, können diese Vereinbarungen geeignet sein, den Erfolg des Angebots zu verhindern3; nach der Veröffentlichung gemäß § 10 wäre ihr Abschluss dann vorbehaltlich § 33 Abs. 1 Satz 2 unzulässig.
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l) Abfindungszahlungen für Vorstandsmitglieder (golden parachutes) Die Vereinbarung besonders hoher Abfindungen für Vorstandsmitglieder, die nach er- 116 folgreichem Übernahmeangebot freiwillig oder unfreiwillig aus dem Amt scheiden, können im Einzelfall geeignet sein, den Erfolg eines Übernahmeangebots zu verhindern4, insbesondere wenn sie gegen eine Angebotsbedingung verstoßen. § 33 Abs. 1 Satz 1 ist allerdings schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich korporationsrechtlich um Maßnahmen des Aufsichtsrats (§ 87 AktG) und nicht des Vorstands handelt. Der Vorstand als Vertragsgegenseite handelt als Privatperson im Privatinteresse und ist in dieser Funktion nicht Wahrer übernahmerechtlicher Pflichten5. Außerdem werden solche Vereinbarungen regelmäßig außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 1 Satz 1 getroffen6. Es gilt aber das aktienrechtliche Angemessenheitsgebot7. Golden parachutes werden kaum jemals solche Beträge erreichen (dürfen), dass sie einen Bieter zur Aufgabe seiner Übernahmeabsicht bringen8. Außergewöhnlich hohe Abfindungen oder für den Fall des Kontrollwechsels zugesagte
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1992, S. 211; Immenga, AG 1992, 79, 82 f.; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 246; Otto, DB-Beil. 12/1988, S. 7; Schanz, NZG 2000, 337, 341. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 56. Str.; wie hier Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 54 Rz. 33; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 120; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 54; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 112; Barthelmeß/Braun, AG 2000, 172 ff. m.N. auch zur Gegenansicht. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 112; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 44. Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 182; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Michalski, AG 1997, 152, 160; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 27; Schander, BB 1997, 1801, 1802; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 34; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 37. A.A. Fastrich in FS Heldrich, 2005, S. 143, 146; i.E. auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 115: der Aufsichtsrat unterliege im Bereich seiner Geschäftsführung dem Verhinderungsverbot; dazu Rz. 78 f. Fastrich in FS Heldrich, 2005, S. 143, 146. Weitergehend Fastrich in FS Heldrich, 2005, S. 143, 150 ff.: aktienrechtlich generell unzulässig. Michalski, AG 1997, 152, 160 m.w.N.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 85; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 115.
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außergewöhnlich hohe Sonderzahlungen stehen u.U. nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des betroffenen Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft und können deswegen aktienrechtlich unzulässig sein (§ 87 Abs. 1 AktG, Ziffer 4.2.3 Abs. 4 DCGK)1. Sonderzahlungen, die direkt oder indirekt an ein Übernahmeangebot anknüpfen, verstoßen allerdings nicht per se gegen § 87 Abs. 1 AktG; maßgeblich ist das Gesamtbild2. Eine Unterscheidung nach der subjektiven Zweckrichtung3 (Übernahmeabwehr oder Absicherung des Vorstands gegen Nachteile des Kontrollwechsels) ist unpraktikabel. m) Vereinbarung von change of control-Klauseln 117 Verträge über Dauerschuldverhältnisse sehen häufig auflösende Bedingungen, die vorzeitige Fälligkeit von Leistungen oder Kündigungsrechte für den Fall vor, dass die Kontrolle über die andere Vertragspartei in andere Hände übergeht. Derartige Vertragsbestimmungen können zur Folge haben, dass die Zielgesellschaft für den Bieter unattraktiv ist, etwa weil nach dem Kontrollwechsel Kredite fällig gestellt werden, Lizenzrechte nicht mehr zur Verfügung stehen oder die andere Partei eines Joint Ventures von einem für den Fall des Kontrollwechsels vereinbarten Erwerbsrecht Gebrauch macht. Die Vereinbarung derartiger Gestaltungsrechte nach der Veröffentlichung gemäß § 10 kann zur Verhinderung des Übernahmeangebots geeignet sein4. In bestimmten Bereichen, etwa dem syndizierten Kreditgeschäft oder der Akquisitionsfinanzierung, sind derartige Bestimmungen Marktstandard; in anderen Fällen ist es auch ohne Rückgriff auf eine Marktpraxis unschwer nachzuvollziehen, dass der Vertragspartner der Zielgesellschaft ein legitimes Interesse an der Klausel hat. In diesen Fällen liegt es nahe, dass die Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gegeben sind. Im Übrigen kommt es auch sonst auf die konkrete Eignung zur Verhinderung des Angebots an. Wenn der Bieter sein Angebot nicht von einer entsprechenden Bedingung abhängig gemacht hat, besteht nach Veröffentlichung des Angebots grundsätzlich keine Eignung zur Verhinderung mehr. n) Kollektiv-arbeitsrechtliche Maßnahmen 118 Auch der Abschluss, die Kündigung oder die Änderung kollektiv-rechtlicher Vereinbarungen kann geeignet sein, den Erfolg eines Übernahmeangebots zu verhindern. In Betracht kommt insbesondere der Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die die Kündigung von Arbeitnehmern erschweren5. Hier wie auch sonst genügt es nicht, dass der Bieter es nach erfolgreicher Durchführung des Übernahmeangebots bei der 1 Dreher, AG 2000, 214 ff.; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Krause, AG 2002, 133, 143; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 27. 2 Hüffer, § 87 AktG Rz. 2 ff. m.w.N.; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 170 f.; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 277 ff.; Thüsing, ZGR 2003, 457, 502 ff.; Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 264; Kort, AG 2006, 106 ff.; Korts, BB 2009, 1876, 1877; für die Unzulässigkeit Martens, ZHR 169 (2005), 124, 142 f., 153; vgl. auch DCGK Ziffer 4.2.3 Abs. 4: Abfindungszusage für den Fall des Kontrollwechsels maximal 150 % des Abfindungs-Caps (d.h. max. 3 Jahresgehälter). 3 Fastrich in FS Heldrich, 2005, S. 143, 152. 4 Krause, AG 2002, 133, 143; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 104, 114; strenger Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59, und Grunewald in Baums/Thoma § 33 Rz. 37, die change of control-Klauseln einschränkungslos für unzulässig halten. Zu change of control-Klauseln in Anstellungsverträgen Dreher, AG 2002, 214. 5 Seibt, DB 2002, 529, 535; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 118.
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Umsetzung seiner weiteren Ziele schwerer haben wird. Erforderlich ist die Gefährdung der Durchführung des Angebots selbst. o) Stillhalteabkommen (standstill agreements) Stillhalteabkommen sind Vereinbarungen zwischen dem Bieter und der Zielgesell- 119 schaft, durch die sich der Bieter verpflichtet, seine Beteiligung an der Zielgesellschaft nicht weiter zu erhöhen1. Sie können sinnvoll sein, wenn der Bieter – nach fehlgeschlagenem Übernahmeangebot oder aufgrund anderweitigen Beteiligungserwerbs – eine Sperrminorität an der Zielgesellschaft hält, Bieter und Zielgesellschaft sich gegenseitig blockieren, die Eindämmung des Einflusses des missliebigen Aktionärs die Ressourcen des Managements bindet und schädliche Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft zu besorgen sind2. Häufiger sind Stillhalteabkomen im Vorfeld möglicher Übernahmen. Die Zielgesellschaft ermöglicht dem potetntiellen Bieter eine due diligence-Prüfung und möchte im Gegenzug für einen bestimmten Zeitraum Sicherheit, dass die Kenntnisse nicht zu einer feindlichen Übernahme genutzt werden. Vor Ankündigung eines Übernahmeangebots gelten für die Zielgesellschaft die aktienrechtlichen Grenzen; danach kann bei entsprechendem Anlass der Abschluss solcher Vereinbarungen, wenn sie einen angemessenen zeitlichen Rahmen nicht überschreiten, im wohlverstanden Interesse der Gesellschaft liegen. Nach Ankündigung eines Übernahmeangebots gemäß § 10 kommt der Abschluss eines standstill agreements mit der Zielgesellschaft grundsätzlich nicht mehr in Betracht3. Vielmehr müsste sich der Bieter zunächst in rechtlich erlaubter Weise von der Bindungswirkung seiner Ankündigung lösen. Dann wiederum wäre der Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 verlassen. Gleichwohl werden standstill agreements als Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmeangebote diskutiert und – insoweit zutreffend – für geeignet gehalten, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern4. p) Break fees Vereinbarungen zwischen Bieter und Zielgesellschaft über eine Geldzahlung beim 120 Scheitern einer Übernahme (break fee)5 sind nicht geeignet, den Erfolg dieses Übernahmeangebots zu verhindern, zielen sie doch gerade darauf ab, den Erfolg des Angebots sicherzustellen6. Bei break fee-Vereinbarungen, die sich auf das Übernahmeangebot eines Dritten, d.h. ein konkurrierendes Angebot, beziehen7, wird die
1 Vgl. LG München I v. 11.3.2004 – 5HK O 16972/03, ZIP 2004, 1101. 2 Der Abschluss derartiger standstill agreements war im Fall Pirelli/Continental beabsichtigt; Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 133 f. 3 Kiem, AG 2009, 301, 311. 4 Wagner, Standstill Agreements, 1999, S. 182; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 259; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 35; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 113; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 38; a.A. Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 133 ff. 5 Dazu Fleischer, AG 2009, 345; Hilgard, BB 2008, 286; Drygala, WM 2004, 1457, 1459 ff.; Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625; Banerjea, DB 2003, 1489. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 119. 7 Vgl. das Angebot der Alpha Beta Netherlands Holding N.V. an die Aktionäre der Deutsche Börse AG vom 4.5.2011, Angebotsunterlage S. A-136 f. („Beendigungsentgelt“ i.H.v. 250 Mio. Euro bei Übernahmeangebot eines Dritten und Hinzutreten weitere Umstände).
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Verhinderungseignung verbreitet bejaht1. § 33 Abs. 1 Satz 1 ist allerdings erst ab der Mitteilung nach § 10 anwendbar, und zu diesem Zeitpunkt wird der konkurrierende Bieter die break fee-Vereinbarung oft bereits kennen und dann nicht mehr ernsthaft behaupten können, er habe sich dadurch abschrecken lassen2. Anders ist es bei break fee-Vereinbarungen mit einem konkurrierenden Bieter; hier kommt die Verhinderungseignung hinsichtlich des ersten Angebots in Betracht (§ 22 Rz. 84). Aktienrechtlich sind break fee-Vereinbarungen zulässig, wenn der Vorstand bei einer Gesamtabwägung der Vorteile und Nachteile vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass die Vereinbarung dem Wohl der Gesellschaft dient (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG); das setzt insbesondere voraus, dass sich die Höhe der break fee in einem vernünftigen Rahmen bewegt3. Soweit diese aktienrechtlichen Grenzen eingehalten sind, ist in der Regel davon auszugehen, dass sich ein anderer Bieter nicht von der break fee abschrecken lassen wird und es deshalb an der Verhinderungseignung fehlt4. Umgekehrt kommt dann, wenn die aktienrechtlichen Grenzen überschritten sind, eine Rechtfertigung nach § 33 Abs. 1 Satz 2 kaum in Betracht5. Entscheidend ist demnach die Höhe der break fee. Die aktienrechtlichen und die übernahmerechtlichen Wertungen stehen dabei in einem Wechselspiel. Vor dem Hintergrund der Wertung von § 33 Abs. 1 Satz 1 kann eine break fee weder aktienrechtlich noch übernahmerechtlich gerechtfertigt sein, deren Höhe in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Nachteilen für den Bieter bei einem Scheitern seines Gebots liegt und spezifisch darauf abzielt, andere Bieter abzuschrecken6. Aus Transaktionen jenseits öffentlicher Übernahmen, die evident keinen Bezug zur Abwehr eines möglichen Übernahmeversuchs Dritter haben, lässt sich allerdings ableiten, dass eine solche aus Sicht der beteiligten Unternehmen angemessene break fee erhebliche Größenordnungen erreichen kann7. q) Verteidigung mit Argumenten 121 Haftet man am Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1, kann auch eine auf Argumente gestützte Verteidigung der Zielgesellschaft geeignet sein, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern. Dass in der Verteidigung mit Argumenten kein Verstoß gegen das übernahmerechtliche Verhinderungsverbot bestehen kann, zeigt sich daran, dass der Vorstand gemäß § 27 sogar verpflichtet ist, eine begründete Stellungnahme
1 Hopt, ZGR 2002, 333, 361 ff.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 114; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 33; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 119; a.A. Sieger/Hasselbach, BB 2000, 625, 627. 2 Vgl. § 22 Rz. 84a. 3 Fleischer, AG 2009, 345, 350 ff.; Hilgard, BB 2008, 286, 290; Drygala, WM 2004, 1457, 1461 f.; a.A. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 29: Verstoß gegen § 71a AktG. 4 Fleischer, AG 2009, 345, 355; Hilgard, BB 2008, 286, 292; Drygala, WM 2004, 1457, 1465 f. 5 Drygala, WM 2004, 1457, 1465 f.; Fleischer, AG 2009, 345, 355; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 119; wenn man trotz Einhaltung der aktienrechtlichen Grenzen die Verhinderungseignung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AktG bejahen wollte, kämen aber durchaus die Ausnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 oder Fall 3 in Betracht. 6 Vgl. zur Höhe Hilgard, BB 2008, 286, 290; Fleischer, AG 2009, 345, 350 f. 7 Mit der Auflösung der Vereinbarung zwischen der Deutsche Telekom AG und AT&T Inc. über den Verkauf von T-Mobile USA an AT&T waren eine break fee in Höhe von USD 3 Mrd. in bar sowie erhebliche Sachleistungen an die Deutsche Telekom AG zu leisten: Mitteilung der Deutsche Telekom AG nach § 15 WpHG vom 19.12.2011. In diesem Fall wurde die break fee zugunsten des Verkäufers vereinbart, was aber nichts daran ändert, dass der Fall zeigt, welche Höhe derartige Zahlungen völlig unabhängig vom Aspekt der Abschreckung Dritter erreichen können.
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zum Übernahmeangebot abzugeben1. Die Angemessenheit des Preises ist das zentrale Thema der Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 27. Der Vorstand ist nicht generell gehindert, seine Auffassung über den Preis auch außerhalb der Stellungnahme nach § 27 kundzutun, sollte sich vorher mit Aussagen aber tunlichst zurückhalten2. Um Abwehrmaßnahmen i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 handelt es sich dabei nicht. Ferner ist es dem Vorstand grundsätzlich nicht verwehrt, die Unternehmenspolitik zugunsten der Aktionäre zu verändern3. Er darf aber auch Maßnahmen der „Pool- und Frontenbildung“ unter den Aktionären ergreifen4. Außerdem ist es dem Vorstand nicht verboten, die Kartellbehörden unter Hinweis auf die kartellrechtlichen Probleme der Übernahme anzusprechen5. Wohl aber kann eine falsche, unvollständige oder verzerrende Darstellung gegenüber Kartellbehörden unter § 33 Abs. 1 Satz 1 fallen. r) Werbemaßnahmen Öffentliche Werbemaßnahmen wie im Fall Vodafone/Mannesmann sind bei Über- 122 nahmen die Ausnahme geblieben. Grundsätzlich ist es Bieter und Zielgesellschaft unbenommen, umfassend über das Wertsteigerungspotential bei Annahme oder Ablehnung des Angebots zu informieren. Eine gute Informations- und Werbekampagne der das Angebot ablehnenden Zielgesellschaft ist nicht nur geeignet, sondern zielt sogar darauf ab, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern. Gleichwohl verstößt sie – wenn die Grenzen objektiver Tatsacheninformation und vertretbarer Wertungen nicht überschritten werden – nicht gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 16, da sie den Aktionären das Letztentscheidungsrecht nicht nimmt. Außerdem ist § 28 zu entnehmen, dass angemessene Werbemaßnahmen rechtlich unbedenklich sind7. Aus der Verpflichtung des Vorstands zur Stellungnahme, dem Gedanken der Waffengleichheit und dem aktienrechtlichen Schädigungsverbot wird hergeleitet, dass der Vorstand im Rahmen des Verhältnismäßigen für seine Position
1 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1380; Krause, AG 2000, 217, 220; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1076; Drygala, ZIP 2001, 1861, 1863; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 16; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 122. 2 Vgl. in der Übernahme Daimler/Rolls-Royce/Tognum die Ad hoc-Mitteilung der Tognum AG vom 9.3.2011 einerseits (Grundsatzvereinbarung geschlossen, keine Einigung über den Preis) und die Stellungnahme nach § 27 vom 15.4.2011 andererseits (Angebot unternehmerisch sinnvoll, Preis zu niedrig). 3 Mülbert, IStR 1999, 83, 89; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 124; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 41. 4 Krause, AG 2000, 217, 220; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 263 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; im Ergebnis auch von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 254 f. 5 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63. 6 So aber in der Tat Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59. 7 DAV-Handelsrechtsausschuss zum RefE, NZG 2001, 420, 429; Körner, DB 2001, 367, 369 f.; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 264; R. Müller in Bad Homburger Hdb., D 49; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 17; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 97 f.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 110 f.; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 171 f., 232 f.; a.A. noch Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1440 f. (Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich); ihm folgend Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 94; skeptisch auch Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 33; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des WpÜG vgl. LG Düsseldorf v. 14.12.1999 – 10 O 495/99 Q – Mannesmann, AG 2000, 233; Krause, AG 2000, 217, 220.
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werben und Gesellschaftsmittel einsetzen darf1. Nach den gleichen Grundsätzen sind Roadshows zu beurteilen, die die Zielgesellschaft für institutionelle Investoren veranstaltet2. s) Sonderdividende 123 Die Ankündigung oder Zahlung einer Sonderdividende, die aus aufgelösten Gewinnrücklagen, gehobenen stillen Reserven oder sogar einer Kapitalherabsetzung gespeist wird, könnte den Erfolg des Übernahmeangebots gefährden, wenn sie dem vom Bieter gebotenen Preis die Grundlage nimmt. Allerdings kommt das aus zeitlichen Gründen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Eine ordentliche Kapitalherabsetzung zwecks Ausschüttung lässt sich im Zeitrahmen eines Übernahmeangebots nicht bewerkstelligen (vgl. § 225 Abs. 2 AktG). Die „Sonder-“Dividende kann nur auf der ordentlichen Hauptversammlung im Rahmen der Gewinnverwendung beschlossen werden und setzt den Ausweis eines entsprechenden Bilanzgewinns voraus. Wenn der Bieter sein Angebot an die Bedingung einer Dividende, die eine bestimmte Höhe nicht überschreitet, geknüpft hat, und der Vorstand der Hauptversammlung dennoch eine höhere Ausschüttung vorschlägt, wird ausnahmslos ein gleichlautender Vorschlag des Aufsichtsrats vorliegen, so dass § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 eingreift. Jedenfalls behält die Hauptversammlung die Hoheit über die Gewinnverwendung, so dass es an einer relevanten Maßnahme des Vorstands fehlt3. t) Einberufung einer Hauptversammlung 124 Der Vorstand kann nach der Veröffentlichung gemäß § 10 eine Hauptversammlung zur Beschlussfassung über Ad hoc-Ermächtigungen für Abwehrmaßnahmen einberufen (hierzu näher § 16 Rz. 47 ff.). Die Einberufung einer solchen Hauptversammlung bewirkt grundsätzlich die Verlängerung der Annahmefrist auf zehn Wochen (§ 16 Abs. 3 Satz 1), die damit zumeist erheblich über das vom Bieter angestrebte Fristende hinausreicht. Dies kann für den Bieter aus verschiedenen Gründen einen erheblichen Nachteil bedeuten. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die Einberufung einer Hauptversammlung nicht gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 verstößt, weil sie – auch wenn sie nur zum Zwecke der Information und Aussprache einberufen wird4 – dem Vorstand der Zielgesellschaft im Gesetz ausdrücklich als Handlungsalternative eröffnet wird und den Aktionären das Letztentscheidungsrecht über die Annahme oder Ablehnung des Angebots nicht aus der Hand genommen wird.
1 Krause, AG 2000, 217, 220; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 318; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 16; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63, 73; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 98; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 120. 2 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1863 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 17; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 121; enger Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 170 f., 232; a.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 59 (stets unzulässig). 3 Im Ergebnis ebenfalls gegen eine Anwendung von § 33 Abs. 1 Satz 1 Becker, ZHR 165 (2001), 280, 285; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 63; ähnlich Mülbert, IStR 1999, 83, 89 (zur Unternehmenspolitik im Allgemeinen); kritisch Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 310. 4 Zur Zulässigkeit Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 36.
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3. Sonstiges Der Bieter kann sein Übernahmeangebot unter die Bedingung stellen, dass bestimm- 125 te Abwehrmaßnahmen ausbleiben1. Eine solche Bedingung ist ein zweischneidiges Schwert: Der Bieter schützt sich gegen bestimmte Handlungen, die das Angebot nicht mehr tragbar erscheinen lassen. Allerdings ist für den Bieter die Tragweite bestimmter Maßnahmen der Zielgesellschaft oft nicht von vornherein absehbar, und das Entfallen des Angebots kann außer erheblichen nutzlos aufgewandten Kosten auch strategische Nachteile mit sich bringen. Für den Vorstand der Zielgesellschaft wächst mit zunehmender „Bedingungsdichte“ die ihm nach § 33 zukommende Verantwortung, die Interessen der annahmewilligen Aktionäre mit den sonstigen Interessen der Zielgesellschaft zum Ausgleich zu bringen.
C. Ausnahmen vom Verhinderungsverbot (§ 33 Abs. 1 Satz 2) I. Allgemeines Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 wird durch die in § 33 Abs. 1 Satz 2 126 enthaltenen Ausnahmetatbestände durchbrochen. Hiernach darf der Vorstand Handlungen vornehmen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht Ziel eines Übernahmeangebots geworden ist, vorgenommen hätte (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1). Zulässig ist des Weiteren die Suche nach einem konkurrierenden Angebot (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2). Schließlich sind Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat, zulässig (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3). Dass die Aktionäre ohne ihre Mitsprache um eine attraktive Veräußerungschance gebracht werden können, ist in der Literatur kritisiert worden2. Wegen der – in der Debatte um die Zulässigkeit von Vorratsbeschlüssen auf europäischer Ebene völlig ausgeblendeten – aktienrechtlichen Beschränkungen, denen die in Frage kommenden Abwehrmaßnahmen unterliegen, wird man für die Praxis jedoch davon ausgehen müssen, dass die Freiheiten des Vorstands bei der Abwehr von Übernahmeangeboten weniger weit reichen, als zunächst angenommen. Ein uneingeschränktes Verhinderungsverbot – das aus guten Gründen wohl keine Rechtordnung kennt – könnte im Einzelfall zu unauflöslichen Konflikten mit Organpflichten nach allgemeinem Aktienrecht führen3. 1. Zeitlicher Anwendungsbereich Der zeitliche Anwendungsbereich der Ausnahmen vom Verhinderungsverbot gemäß 127 § 33 Abs. 1 Satz 2 entspricht dem zeitlichen Anwendungsbereich des Verhinderungsverbotes selbst. Teilweise werden Handlungen aufgrund der Ausnahmetatbestände erst nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 1) für zulässig gehalten, weil erst dann sämtliche Bedingungen des Angebots bekannt sind (§ 11)4. Das ist nach dem Wortlaut von § 33 Abs. 1 Satz 2, der sich unmittelbar auf Satz 1 bezieht, unzutreffend und wäre in der Sache nicht gerechtfertigt. Nach der Konzeption des WpÜG kann die Zielgesellschaft nicht bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage „lahmgelegt“ sein5. Zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung (§ 10) und 1 2 3 4 5
Vgl. dazu eingehend § 18 Rz. 81 ff. Nachweise bei Krause, ZGR 2002, 500, 507 f. Poelzig/Thole, ZGR 2010, 837, 840 f. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 30; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 39.
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der Veröffentlichung der Angebotsunterlage (§ 14) ist es dem Vorstand daher insbesondere nicht verwehrt, Handlungen vorzunehmen, die er nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates vornehmen kann (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3), oder Vorratsbeschlüsse auszunutzen (§ 33 Abs. 2)1. Für die Suche nach einem „white knight“ (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2) wäre es geradezu widersinnig, bis zur Veröffentlichung der Angebotsunterlage warten zu müssen, weil die Zeit dafür ohnehin sehr knapp ist. Und schließlich muss dem Vorstand die Fortführung dessen, was er ohnehin getan hätte, möglich sein (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1). Das heißt nicht, dass der Vorstand völlig frei wäre. Vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage fallen alle Handlungen in den Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1, die die Gefahr begründen, dass der Bieter von seinem Angebot Abstand nimmt. Wenn der Vorstand derartige Maßnahmen ergreift, ohne die Bedingungen des Angebots im Einzelnen zu kennen und ohne einen der Ausnahmetatbestände zu erfüllen, liegt eine Verletzung von § 33 Abs. 1 Satz 1 vor2. 2. Gesellschaftsrechtliche Schranken 128 Die Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 entbinden den Vorstand nur vom Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1, nicht jedoch von den aktienrechtlichen Vorschriften3. Hiernach gilt Folgendes: 129 Der Vorstand kann nur Handlungen im Rahmen seines (originären oder von der Hauptversammlung abgeleiteten) Zuständigkeitsbereichs vornehmen. Maßnahmen, die nach aktienrechtlichen Grundsätzen in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, verbleiben in deren Zuständigkeit. Derartige Maßnahmen kann der Vorstand nur durchführen, wenn er hierzu von der Hauptversammlung ermächtigt worden ist4. 130 Im Unterschied zum RegE enthält die Gesetz gewordene Fassung des § 33 keinen übernahmerechtlichen Zuständigkeitsvorbehalt zugunsten der Hauptversammlung. Folglich ist ein Beschluss der Hauptversammlung nur erforderlich, wenn die vom Vorstand in concreto ergriffenen Maßnahmen nach den aktienrechtlichen Vorschriften der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen. Mit dieser Konzeption wäre es nicht vereinbar, Abwehrmaßnahmen stets als „Holzmüller“/„Gelatine-“-Tatbestände anzusehen und demgemäß einem Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung zu unterwerfen5. 131 Die Abwehrmaßnahmen müssen sich (auch) an den jeweils einschlägigen speziellen aktienrechtlichen Vorschriften sowie den §§ 76, 93 AktG messen lassen. Verstöße gegen diese Vorgaben ziehen die jeweils geltenden aktienrechtlichen Rechtsfolgen nach sich; die Maßnahmen sind deswegen aber nicht per se übernahmerechtlich un1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 39; a.A. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 39; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 38; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 30; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Krause, AG 2002, 133; Krause, BB 2002, 1053, 1055; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 72 f.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 24; ebenso bereits vor Inkrafttreten des WpÜG Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 265 f.; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 225 f. 4 Begr. Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 53; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 18; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 49. 5 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 18; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 734.
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zulässig1. Dazu bedarf es vielmehr einer Verletzung der übernahmerechtlichen Vorschriften. Andererseits besteht zwischen den übernahmerechtlichen Regelungen und dem Aktienrecht eine Wechselwirkung. Der Vorstand ist aktienrechtlich für die Sicherstellung der Einhaltung der Gesetze verantwortlich („Legalitätsprinzip“)2. Die Pflichten des Vorstands aus § 33 sind Pflichten, die ihn gerade in seiner Eigenschaft als Organ der AG treffen. Die Verletzung der übernahmerechtlichen Pflichten des Vorstands ist stets auch eine Verletzung seiner aktienrechtlichen Pflichten3. Die Abwehrmaßnahme muss vom Unternehmensgegenstand gedeckt sein4. Demnach ist es dem Vorstand verwehrt, Unternehmen zu erwerben, deren Geschäftsbereich außerhalb des Unternehmensgegenstandes der Zielgesellschaft liegt5. Der Unternehmensgegenstand begrenzt den Handlungsspielraum des Vorstands aber auch bei der Veräußerung von Unternehmen (crown jewels), denn nach herrschender Auffassung ist der Vorstand verpflichtet, den in der Satzung definierten Unternehmensgegenstand auszufüllen6. Allerdings ist eine vorübergehende Über- oder Unterschreitung aktienrechtlich zulässig7.
132
Weiterhin gilt das aktienrechtliche Schädigungsverbot8, das dem Vorstand verbietet, vermögensmindernde Maßnahmen vorzunehmen9. Folglich darf der Vorstand zur Abwehr eines Übernahmeangebots crown jewels nur zu einem angemessenen Preis veräußern oder in ein Joint Venture einbringen10 und neue Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts an Dritte nur zu einem angemessenen Ausgabebetrag (§ 255 Abs. 2
133
1 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 41; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73. 2 Wiesner in in MünchHdb. AG, § 25 Rz. 4 m.w.N. 3 So genannte nützliche Rechtsverletzungen werden als Einschränkung des Legalitätsprinzips ganz überwiegend abgelehnt, Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 32 ff.; etwas offener Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 76; etwaige Ausnahmen wären ohnehin auf Randfälle beschränkt (Vorstand parkt im Halteverbot, um einen für die Gesellschaft wichtigen Termin einzuhalten). 4 Tieves, Unternehmensgegenstand, 1998, S. 282 ff.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 24; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 130. 5 Tieves, Unternehmensgegenstand, 1998, S. 282 ff.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15. 6 Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 58 ff., 65 ff.; Tieves, Unternehmensgegenstand, 1998, S. 300 ff.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15. 7 OLG Stuttgart Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, AG 2005, 693, 695 f. = ZIP 2005, 1415, 1419 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, BGH Beschl. v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, AG 2007, 203 = ZIP 2007, 24); OLG Köln Urt. v. 26.10.2000 – 18 U 79/00, AG 2001, 426 f. = DB 2000, 2465 f.; Stein in MünchKomm. AktG, § 179 Rz. 105; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 179 Rz. 96; Zöllner in KölnKomm. AktG, § 179 Rz. 110; Wollburg/Gehling in FS Lieberknecht, 1997, S. 133, 144 f. 8 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 26; Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1078; Drygala, ZIP 2001, 1861, 1866 f.; Pluskat, WM 2001, 1937, 1939; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Krause, AG 2002, 133; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 10; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 24; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 129; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73. 9 Die Anregung des Bundesrats, „unmissverständlich klarzustellen, dass zu Abwehrmaßnahmen ermächtigende Vorratsbeschlüsse der Hauptversammlung sich nicht auf vermögensmindernde Maßnahmen beziehen dürfen“ (BT-Drucks. 14/7034, S. 85 f.), ist daher zu Recht nicht aufgegriffen worden, da ein solches Verbot bereits aus der lex lata folgt. 10 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 50.
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AktG) ausgeben1. Auch besonders kostenintensive Werbemaßnahmen müssen sich am Schädigungsverbot messen lassen2. 134 Außerdem muss der Vorstand Sorge dafür tragen, dass die Gesellschaft nicht durch die Unterlassung erforderlicher Maßnahmen geschädigt wird3. 135 Das Verbot, übereilte Maßnahmen zu ergreifen, ist ebenfalls aktienrechtlich begründet. Ein pauschales Verbot „irreversibler Maßnahmen“ vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage lässt sich daraus nicht ableiten4. Vielmehr kann nur im Einzelfall beurteilt werden, ob ein Abwarten der Angebotsunterlage erforderlich ist. Bei Maßnahmen, deren Durchführung unabhängig von dem Angebot vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage geplant war (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1) und deren Aufschub für die Gesellschaft nachteilig wäre, ist der Vorstand in der Regel nicht verpflichtet, die Veröffentlichung abzuwarten. 3. Deutscher Corporate Governance Kodex 136 Gemäß Ziffer 3.7 Abs. 2 DCGK (in der Fassung vom 15.5.2012) darf der Vorstand nach Bekanntgabe des Übernahmeangebots „bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte, soweit solche Handlungen nicht nach den gesetzlichen Regelungen erlaubt sind“. Vorstand und Aufsichtsrat sind bei ihrer Entscheidung an „das beste Interesse der Aktionäre und des Unternehmens“ gebunden. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine der über den Kodex verstreuten Wiedergaben der Gesetzeslage5. Die Bestimmung ist (wie alle nur die Rechtslage wiedergebenden Kodexbestimmungen) rechtlich bedeutungslos, insbesondere kommt eine Verpflichtung zur Erklärung einer Abweichung nach § 161 AktG nicht in Betracht, weil es sich nicht um eine Empfehlung handelt6. Im Unterschied zu früheren Kodexfassungen ist die Gesetzeslage mittlerweile zutreffend wiedergegeben7. Generell kommt es nicht in Betracht, Äußerungen des Kodex zur (angeblichen) Gesetzeslage über die Wertung als Meinungsäußerung zur Rechtslage hinaus zur Auslegung heranzuziehen8. Die Kodexverfasser haben keine besonderen norminterpretierenden Befugnisse. Gemäß Ziffer 3.7 Abs. 3 DCGK „sollte“ der Vorstand „in angezeigten Fällen“ eine außerordentliche Haupt1 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Krause, AG 2002, 133, 134; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 427. 2 Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 318; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 16; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73. 3 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 45; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73. 4 So aber Krause, AG 2002, 133; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 51. 5 Vgl. Kodex, Präambel, viertletzter Absatz; zum „Kompromisscharakter“ der Vorschrift vgl. Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 416, 427 ff., 430 ff., 453; im Ergebnis auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 25. 6 Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 161 AktG Rz. 13; die Aussage, dass rechtsbeschreibende Kodexteile „ohnehin zu befolgen sind“, ist dahingehend einzuschränken, dass das gilt, soweit der Kodex die Rechtslage zutreffend beschreibt (was nicht durchweg der Fall ist). 7 Vor der Fassung vom 15.5.2012 lautete der Passus: „… keine Handlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte, wenn er dazu nicht von der Hauptversammlung ermächtigt ist oder der Aufsichtsrat dem zugestimmt hat“; vgl. z.B. Hüffer, § 76 AktG Rz. 15f: keine Beschränkung auf Maßnahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs. 8 A.A. anscheinend Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 63 (zum Verhältnis von § 33 Abs. 2 zu § 33 Abs. 1 Satz 2).
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versammlung einberufen, „in der die Aktionäre über das Übernahmeangebot beraten und über gesellschaftsrechtliche Maßnahmen Beschluss fassen können“. Wie der Wortlaut verdeutlicht1, handelt es sich um eine bloße Anregung, von der Vorstand und Aufsichtsrat ohne Offenlegung abweichen können2. Was ein „angezeigter Fall“ ist, ist im Kodex nicht definiert. Vielmehr wird es der Entscheidung der Verwaltung überlassen, im Einzelfall festzustellen, ob ein angezeigter Fall vorliegt. Dabei soll es eine Rolle spielen können, ob überhaupt noch genügend Zeit für die Einberufung einer Hauptversammlung zur Verfügung steht, ob bereits eine Ermächtigung der Hauptversammlung zu Abwehrmaßnahmen vorliegt, die lediglich umgesetzt werden muss oder ob die Mehrheitsverhältnisse so liegen, dass gegen das Angebot gerichtete Beschlüsse nicht zu erwarten sind3. In anderen Fällen kann die Einberufung der Hauptversammlung „angezeigt“ sein. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat unter Abwägung aller Interessen – einschließlich der Interessen der Aktionäre, an die das Angebot gerichtet ist – zu entscheiden4. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass in aller Regel eine Hauptversammlung nicht einberufen wird. Unzuträglichkeiten sind dadurch nicht aufgetreten. Es ist davon auszugehen, dass jedenfalls im Normalfall eines aus Sicht des Vorstands freundlichen bis neutralen Angebots die Einberufung nicht angezeigt ist.
II. Verhältnis der Ausnahmetatbestände zueinander 1. Verhältnis innerhalb § 33 Abs. 1 Satz 2 Die Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 stehen selbständig nebeneinander. 137 Weder dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 2 noch der Begründung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages5 lässt sich entnehmen, dass zwischen den verschiedenen Alternativen ein Rangverhältnis bestehen soll. Systematische oder teleologische Gründe, die für ein Rangverhältnis sprechen, sind ebenfalls nicht zu erkennen6. 2. Verhältnis zu § 33 Abs. 2 Für Maßnahmen des Vorstands im von der Hauptversammlung abgeleiteten Zuständigkeitsbereich – zum Beispiel die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals, das nicht spezifisch nach § 33 Abs. 2 geschaffen wurde – stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 zu den in § 33 Abs. 2 angesprochenen Vorratsbeschlüssen stehen, genauer: ob der Vorstand in der Übernahmesituation aufgrund einer „Sperrwirkung“ von § 33 Abs. 2 gehindert ist, von einer außerhalb von § 33 Abs. 2 durch die Hauptversammlung erteilten Ermächtigung Gebrauch zu machen. Die Frage ist praktisch von erheblicher Bedeutung7. 1 2 3 4
Kodex, Präambel, viertletzter Absatz. Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 428; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 187. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 72. Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 454. 5 BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 6 Röh in FrabkfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 12; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 65; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 127, 140. 7 Im Übernahmefall ACS/Hochtief wurden gegen die Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals durch Hochtief weder von der BaFin (nach Prüfung) Einwendungen erhoben, noch waren Maßnahmen des Bieters zur Verhinderung der Eintragung im Handelsregister erfolgreich; Seibt, CFL 2011, 213, 237.
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139 Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 2 lässt keine Einschränkung dahingehend erkennen, dass Handlungen des Vorstands mit Verhinderungseignung in Ausnutzung von Ermächtigungen der Hauptversammlung ausschließlich auf Ermächtigungen nach § 33 Abs. 2 gestützt werden könnten. 140 Die historische Auslegung spricht ebenfalls gegen eine Differenzierung1. So waren die ministeriellen Gesetzgebungsarbeiten an § 33 in der Fassung des RegE – ebenso wie die anschließenden parlamentarischen Beratungen – von dem Grundverständnis geprägt, dass die in § 33 Abs. 2 geschaffene Möglichkeit von Vorratsbeschlüssen die in § 33 Abs. 1 Satz 2 geschaffenen Ausnahmetatbestände ergänzen, nicht jedoch begrenzen sollte. Deutlich ist dieses Verständnis auch in dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages geworden, der ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass § 33 Abs. 2 das Recht des Vorstands zur Durchführung von Maßnahmen auf der Grundlage von Ermächtigungen nach anderen Rechtsvorschriften nicht einschränke. So könnten etwa die Ausnutzung genehmigten Kapitals gemäß § 202 AktG oder der Rückerwerb eigener Aktien gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG auch während eines Angebots durchgeführt werden, sofern die Anforderungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 eingehalten würden2. Gemeint war hiermit nichts anderes, als dass dem Vorstand durch die in § 33 Abs. 1 Satz 2 geschaffenen Ausnahmetatbestände ermöglicht werden sollte, direkt in die Zusammensetzung des Aktionärskreises einzugreifen. 141 Unter systematischen Gesichtspunkten könnte die Regelung über Vorratsbeschlüsse in § 33 Abs. 2 nahelegen, dass Abwehrmaßnahmen im von der Hauptversammlung abgeleiteten Zuständigkeitsbereich nur dann zulässig sind, wenn die Ermächtigung die Anforderungen des § 33 Abs. 2 erfüllt3. Die Regelung des § 33 Abs. 2 ist jedoch für Eingriffe in die Zusammensetzung des Aktionärskreises nicht lex specialis. Es trifft zu, dass § 33 Abs. 2 – der ohnehin noch die Mitwirkung des Aufsichtsrats im konkreten Fall voraussetzt (§ 33 Abs. 2 Satz 4) – neben § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 einen eher geringen Anwendungsbereich hat. Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung nach § 33 Abs. 2 und nach allgemeinem Aktienrecht haben dennoch je eigene Voraussetzungen und Wirkungen. Bei der Ausnutzung eines Ermächtigungsbeschlusses nach § 33 Abs. 2 – der das allgemeine Verhinderungsverbot nach § 33 Abs. 1 Satz 1 in seinem Anwendungsbereich gerade außer Kraft setzt – muss der Vorstand ebenso wie der Aufsichtsrat die Verhinderungswirkung grundsätzlich positiv in seine Abwägung einstellen, denn gerade diesem Zweck dient die Ermächtigung. Bei der Ausnutzung allgemeiner Ermächtigungsbeschlüsse muss der Vorstand (ebenso wie im Fall von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3) die Verhinderungseignung wegen § 33 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich negativ einstellen. 142 Die teleologische Auslegung untermauert dieses Ergebnis. Der Zweck des § 33 Abs. 1 Satz 2 besteht darin, in die Kompetenz des Vorstands fallende Maßnahmen für die Übernahmeabwehr nutzbar zu machen, damit deutsche Gesellschaften nicht schlechter gestellt sind als Gesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten oder in den USA4; vor allem aber soll die Gesellschaft durch die Übernahmesituation nicht paralysiert werden. Eine Sperre allgemeiner Ermächtigungsbeschlüsse während der Übernahme würde eine unverhältnismäßige Einschränkung der im Interesse der Gesellschaft bestehenden und in ihrem Interesse wahrzunehmenden Handlungsmöglichkeiten des Vorstands bewirken. 1 2 3 4
Krause, BB 2002, 1053, 1054. Begr. Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 53. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 37 f. Begr. Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 50; Krause, BB 2002, 1053, 1054.
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Auch aus den verschiedentlich geltend gemachten verfassungsrechtlichen und 143 rechtspolitischen Bedenken gegen § 33 Abs. 1 Satz 2 lässt sich kein Vorrang von Vorratsbeschlüssen gemäß § 33 Abs. 2 herleiten1. Diesen Bedenken sind bei zutreffender Auslegung von § 33 Abs. 1 Satz 2, insbesondere unter Berücksichtigung der allgemeinen aktienrechtlichen Anforderungen und von § 3 Abs. 3 unberechtigt, auch ohne dass es des Rückgriffs auf eine verfassungskonforme Auslegung bedarf. Der Vorstand kann deshalb von „einfachen“ Ermächtigungen, d.h. Ermächtigungen, die die Hauptversammlung ohne eine Maßgabe über die Nutzung zur Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots gegeben hat, auch im Übernahmekampf unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 und den sonstigen übernahmerechtlichen (§ 3 Abs. 3) und aktienrechtlichen Voraussetzungen Gebrauch machen2.
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III. Handlungen eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1) 1. Grundlagen Der Vorstand darf die Handlungen vornehmen, die auch ein ordentlicher und gewis- 145 senhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen hätte. Dieser Ausnahmetatbestand geht auf die Überlegung zurück, dass der Vorstand auch während eines Übernahmeangebots zur Wahrnehmung der in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls verpflichtet bleibt3. Dies ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, kann jedoch mit dem Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 kollidieren. Um diesen Konflikt aufzulösen, sollte der Gesellschaft nach dem Willen des Gesetzgebers durch den Ausnahmetatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 2 insbesondere ermöglicht werden, das Tagesgeschäft weiterzuführen und bereits eingeschlagene Strategien weiterzuverfolgen4. Im Unterscheid zum Referentenentwurf – der sich auf die „sorgfältige Führung der laufenden Geschäfte“ bezog (siehe Rz. 21) – ging bereits der Regierungsentwurf und unverändert die schließlich Gesetz gewordene Fassung darüber hinaus und erfasst alle, auch ungewöhnliche Geschäfte. Damit wird vermieden, dass die Zielgesellschaft während eines Angebots in ihrer Geschäftstätigkeit unangemessen behindert wird5. Einerseits verdeutlicht das Gesetz damit den Handlungsspielraum des Vorstands6, andererseits stellt es klar, dass der Bieter kein schützenswertes Interesse daran hat, die Zielgesellschaft in genau dem Zustand zu übernehmen, in dem sie sich bei Veröffentlichung der Entscheidung ge1 Vgl. bereits oben Rz. 53. 2 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 9; Immenga/Israel in FS Nobel, 2005, S. 175, 185; Krause, AG 2002, 133, 137; Krause, BB 2002, 1053, 1055; Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 289; Zschocke, DB 2002, 79, 83; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 75; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 44; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15h; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 123; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 22; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 140, 168; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 63; a.A. Bayer, ZGR 2002, 588, 613 ff. (nur bei direktem Eingriff in die Zusammensetzung des Aktionärskreises); Hirte, ZGR 2002, 623, 647 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 67, 92; Diregger/Winner, WM 2002, 1583, 1591; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 71 AktG Rz. 25. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 6 Vgl. Pötzsch, Übernahmerecht, S. 40; vor Inkrafttreten des WpÜG Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1391; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 274.
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mäß § 10 befunden hat1. Die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands wird durch die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots grundsätzlich nicht modifiziert. Der Vorstand kann weiterhin das tun, was er (als ordentlicher Vorstand) auch sonst getan hätte. Freilich kann das nicht völlig uneingeschränkt gelten. Nach der Veröffentlichung nach § 10 hat der Vorstand bei seiner Abwägung zusätzlich das Interesse der Aktionäre an der Prüfung und Annahme des Angebots zu berücksichtigen2. Wenn beispielsweise eine bereits geplante, aber für die Gesellschaft unwichtige Maßnahme zum Scheitern des Angebots führen könnte, kann der Vorstand im Einzellfall gehalten sein, die Maßnahme zurückzustellen. Solche eher theoretischen Fälle sind aber nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 die Ausnahme. In der Regel kann der Vorstand die Geschäfte weiterführen wie geplant. Der Vorstand hat vor und nach der Veröffentlichung nach § 10 bei seinen Geschäftsführungsentscheidungen sicherzustellen, dass die Gesellschaft nicht durch die Unterlassung erforderlicher oder zweckmäßiger Maßnahmen Schaden leidet3. Bliebe der Vorstand untätig, könnte dies die Schädigung der Zielgesellschaft zur Folge haben und den Aktionäre keine andere Wahl lassen, als das Angebot anzunehmen4. Der Vorstand ist aktienrechtlich (§ 93 AktG) verpflichtet, von den Möglichkeiten nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Gebrauch zu machen, wenn der Zielgesellschaft sonst ein Schaden entstünde. 2. Zulässige Maßnahmen 146 Bei der Beantwortung der Frage, welche Maßnahmen ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft getroffen hätte, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber ganz bewusst an die existierenden aktienrechtlichen Standards (§ 93 Abs. 1 Satz 1, § 317 Abs. 2 AktG) angeknüpft hat5. Folglich kann bei der Auslegung des § 33 Abs. 1 Satz 2 auf die dort entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden6. Hiernach ist ein Vergleich mit einer hypothetischen Gesellschaft vorzunehmen, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, sich sonst aber in gleicher Lage wie die Zielgesellschaft befindet7. Anders als der Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 2 suggeriert, kommt es nicht darauf an, ob der Geschäftsleiter der hypothetischen Gesellschaft in gleicher Lage die Maßnahme tatsächlich vorgenommen hätte8, sondern – wie im Aktienrecht (§ 317 Abs. 2 AktG) – dass der Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft die Maßnahme hätte vornehmen dürfen9. Auf eine Verhinderungsabsicht kommt es nicht an10.
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Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 68; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 66. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 45. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 45. Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 266. Begr. RegE, BT-Drucks, 14/7034, S. 58; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 67. Begr. RegE, BT-Drucks, 14/7034, S. 58; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 40 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 14. Drygala, ZIP 2001, 1861, 1867; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 67; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 132; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 23; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 121 ff. Hierfür aber offensichtlich Thaeter, NZG 2001, 789. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 67; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15f; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, § 33 Rz. 47 (Fn. 128); a.A. Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 45.
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a) Maßnahmen im originären Kompetenzbereich des Vorstands aa) Weiterführung des Tagesgeschäfts Nach dem Willen des Gesetzgebers sind Maßnahmen zur Weiterführung des Tages- 147 geschäfts zulässig1. Für die Zwecke des erforderlichen Vergleichs mit einer hypothetischen Gesellschaft gleicher Lage kann die Zielgesellschaft mit sich selbst verglichen werden, wie sie vor dem Auftreten der ersten Anzeichen für eine mögliche Übernahme bestanden hat2. Maßnahmen, die sich nach Art und Umfang in dem Rahmen halten, wie der Geschäftsbetrieb vor dem Übernahmeangebot geführt wurde, wären demnach nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Erfüllung von vertraglichen und sonstigen Rechtspflichten, die schon vor Kenntnis von dem bevorstehenden Angebot wirksam begründet worden sind3. Zur Weiterführung des Tagesgeschäfts gehört ferner der Erwerb eigener Aktien zwecks Zuführung in den Handelsbestand, wenn dies vom Unternehmensgegenstand der Zielgesellschaft gedeckt ist, eine wirksame Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 7 AktG besteht4 und die Durchführung des Rückkaufprogramms bereits vor Kenntnis des Vorstands von der Übernahmeabsicht beschlossen wurde. Zulässig sind auch solche Handlungen, die vor Kenntnis von der Übernahmeabsicht in Gang gesetzt oder vom Aufsichtsrat gebilligt wurden5. Maßgeblich ist die Frage, was ein von dem Übernahmeangebot unbeeinflusster Vorstand getan hätte. Deshalb kommt es für die zeitliche Abgrenzung nicht auf die Veröffentlichung nach § 10 an6, sondern auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Vorstands7. Das tatsächliche Vorstandshandeln ist nur solange ein verlässlicher Indikator, wie der Vorstand von der Sache tatsächlich nichts wusste. Das heißt nicht, dass § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 danach unanwendbar wäre; aber die Antwort auf die Frage, was ein unbeeinflusster Vorstand getan hätte, muss dann aus anderen Umständen als dem tatsächlichen Vorstandshandeln abgeleitet werden. bb) Weiterverfolgung eingeschlagener Unternehmensstrategien Zulässig ist auch die Weiterverfolgung bereits eingeschlagener Unternehmensstrategien8. Im Gegensatz zur Regelung im RefE und ihren Vorbildern9 ist der Vorstand nicht auf Maßnahmen des Tagesgeschäfts und die Erfüllung bereits begründeter Rechtspflichten beschränkt, sondern darf in den Grenzen der eingeschlagenen Unternehmensstrategien auch außergewöhnliche Geschäfte vornehmen10. Zulässig ist demnach der Kauf oder Verkauf von Vermögensgegenständen, insbesondere von Be1 Begr. RegE, BT-Drucks, 14/7034, S. 58. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 68 („historischer Eigenvergleich“ im Zustand „vollständiger Ahnungslosigkeit“); dem folgend Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 133. 3 So auch ausdrücklich § 33 Abs. 3 Nr. 6 RefE; ebenso Krause, NZG, 2000, 905, 912. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 47. 5 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 73. 6 A.A. 1. Aufl., Rz. 147. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 68. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 9 Etwa Rule 21.1 City Code; hierzu siehe unten Rz. 326. 10 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1866; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 70; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 426; Krause, NJW 2002, 705, 712; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 43; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 45; Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 128; Thoma, NZG 2002, 105, 110; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 38; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 15; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 134; kritisch dagegen Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 20; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69.
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teiligungen1. Dies folgt vor allem daraus, dass das noch im RefE enthaltene Verbot von bedeutenden Änderungen des Aktiv- oder Passivbestands der Zielgesellschaft nicht Gesetz geworden ist. Auch die Durchführung einer Kapitalerhöhung oder der Erwerb eigener Aktien kann zulässig sein, soweit die Maßnahme von einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen werden dürfte2. 149 Bei Maßnahmen zur Weiterverfolgung bereits eingeschlagener Unternehmensstrategien fragt sich, wie weit sich die durch die Maßnahme weiterverfolgte Strategie vor Kenntnis des Vorstands vom bevorstehenden Angebot verfestigt haben muss, damit ohne weiteres vom Vorliegen der Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 ausgegangen werden kann. Die gesetzlichen Materialien enthalten hierzu keine Anhaltspunkte. In der Literatur werden an die Verfestigung der Unternehmensstrategien gewisse Anforderungen gestellt; jedenfalls die Eckpunkte sollen danach mit einer gewissen inhaltlichen Konturenschärfe bereits festgelegt worden sein3. Außerdem soll die Strategie nach verbreiteter Ansicht in den Geschäftsberichten oder in sonstigen veröffentlichten Dokumenten niedergelegt worden sein4. Diese Anforderungen reichen relativ weit, ohne eine Stütze im Gesetz oder seinen Materialien zu finden5. Ausgangspunkt des Gesetzes ist nicht die bisherige Strategie der Gesellschaft, sondern der Bereich zulässigen Handelns einer „übernahmefreien“ Gesellschaft. Die unbeeinflusst eingeschlagene Strategie kann ohnehin nur ein Indiz dafür sein. Erklärungen auf Pressekonferenzen, in Interviews oder gegenüber Analysten reichen für diese indizielle Wirkung regelmäßig aus, soweit sich daraus die konkret getroffene Maßnahme ableiten lässt6. Auch wenn dies für die Durchführung des Vergleichs mit einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft nicht erforderlich ist7, ist dem Vorstand der Zielgesellschaft zu empfehlen, die Unternehmensstrategie und die entsprechenden Planungen zu dokumentieren, damit er sich gegen Vorhalte, Maßnahmen gerade wegen der Übernahmesituation getroffen zu haben, verteidigen kann. Eine Strategie der möglichst breiten Diversifizierung zum Erwerb von Unternehmen aller Art würde für sich allein noch nicht den Schluss rechtfertigen, dass der Vorstand einer „übernahmefreien“ Gesellschaft das konkret in Frage stehende Unternehmen ebenfalls hätte erwerben dürfen8. Nicht zwingend erforderlich ist es, dass bereits erste Schritte zur Implementierung der relevanten Strategie vorgenommen worden sind9. 150 Für bestimmte Maßnahmen kann wegen eines gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG in der Satzung oder einem Aufsichtsratsbeschluss oder unter Umständen auch in einem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung (siehe Rz. 286) verankerten Zustimmungsvorbehalts die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich sein. Für einen
1 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 70. 2 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 426. 3 Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 7; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 53; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 21; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 126 f. 4 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 7; R. Müller in Bad Homburger Hdb., D 48. 5 Weniger streng daher Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 70; Hüffer, § 76 AktG Rz. 15f; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 136. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 136; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 53. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 70. 8 Beispiel von Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 7. 9 A.A. Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 127.
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allgemeinen übernahmerechtlichen Zustimmungsvorbehalt gibt es im Gesetz allerdings keine Grundlage1. cc) Sonstige Maßnahmen Wenn es sich weder um eine Maßnahme des Tagesgeschäfts noch um eine bereits 151 rechtzeitig eingeleitete Maßnahme handelt, muss im Einzelfall festgestellt werden, ob sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ohne die Übernahmesituation ebenso verhalten hätte2. Das ist bei allen Maßnahmen, die die Befolgung einer Rechtspflicht beinhalten, ohne weiteres zu bejahen. Es genügt aber, dass die Maßnahme für den den Vergleichsmaßstab bildenden Geschäftsleiter zulässig gewesen wäre, sich also im Bereich seines unternehmerischen Ermessens gehalten hätte3. Maßnahmen, die spezifisch mit Verhinderungsabsicht getroffen werden oder nur in 152 der Übernahmesituation denkbar sind, können nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gerechtfertigt werden, weil insoweit der Vergleichsmaßstab versagt4. Ein aus Sicht des Vorstands zu niedriger Preis ist deshalb kein Grund, der Abwehrmaßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 rechtfertigen könnte (vgl. auch Rz. 121, 177). Die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien während des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 33 kann dann unter § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 fallen, wenn die Verweigerung nichts mit dem Übernahmeangebot zu tun hat; dann wird es allerdings oft schon an der Verhinderungseignung fehlen (vgl. zu den denkbaren Fallgruppen Rz. 112). b) Maßnahmen im von der Hauptversammlung abgeleiteten Kompetenzbereich des Vorstands: Ausnutzung von Ermächtigungsbeschlüssen Wie oben dargelegt (Rz. 138 ff., 144), darf der Vorstand im Rahmen des § 33 Abs. 1 153 Satz 2 Maßnahmen ergreifen, die den Erfolg eines Übernahmeangebots verhindern können und nicht in seinem originären Kompetenzbereich liegen, sondern sich auf einen „einfachen“ Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung stützen. Die Zustimmung des Aufsichtsrats ist dabei nur dann zwingend erforderlich, wenn sich das aus den aktienrechtlichen Anforderungen ergibt. Übernahmerechtlich kann sich der Vorstand, wenn die Maßnahme Verhinderungseignung besitzt, alternativ auf § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 oder Alt. 3 stützen. aa) Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts Die Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts ist eine der klassischen Maßnahmen, durch die der Erfolg eines Übernahmeangebots verhindert werden kann. Die Hauptversammlung kann den Bezugsrechtsausschluss entweder selbst beschließen (§ 203 Abs. 1 AktG) oder den Vorstand hierzu ermächtigen (§ 202 AktG). Er bedarf, wenn er nicht § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG 1 So aber Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 43; dagegen zutreffend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 71; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 22. 2 Keinesfalls ist die Anwendung von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 jenseits des Tagesgeschäfts und der Fortsetzung der eingeschlagene Strategie von vornherein ausgeschlossen; so aber Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 89. 3 Unten Rz. 161 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 67; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; a.A. Ekkenga/Hofschroer DStR 2002, 724, 732. 4 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 19; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83.
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unterliegt, der sachlichen Rechtfertigung. Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses beim genehmigten Kapital hat der BGH in der „Siemens/Nold“-Entscheidung1 deutlich gelockert. Insoweit ist auf die aktienrechtliche Literatur zu verweisen2. 155 Im Zusammenhang mit der bezugsrechtsfreien Ausgabe neuer Aktien zur Abwehr eines feindlichen Übernahmeangebots stellt sich die Frage, ob die Verhinderung des Kontrollwechsels ein im Gesellschaftsinteresse liegender Zweck sein kann, auf den ein Bezugsrechtsausschluss gestützt werden könnte. Derzeit wird wohl kaum mehr bestritten, dass die Gesellschaft ein rechtlich relevantes Interesse an der Zusammensetzung ihres Aktionärskreises haben kann3. Auch wenn dies in den Gesetzesmaterialien nicht ausdrücklich seinen Niederschlag gefunden hat, waren sowohl die ministeriellen Gesetzgebungsarbeiten an § 33 in der Fassung des RegE als auch die anschließenden parlamentarischen Beratungen von dem Grundverständnis geprägt, dass durch die in § 33 Abs. 1 Satz 2 geschaffenen Ausnahmetatbestände dem Vorstand ermöglicht werde, direkt in die Zusammensetzung des Aktionärskreises einzugreifen (Rz. 140). Andererseits ist § 33 Abs. 1 Satz 1 die Wertung zu entnehmen, dass die schlichte Absicht der Verhinderung der Übernahme als solche als Rechtfertigung nicht genügt4 und – außerhalb des Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 2 – auch nicht als für die Maßnahme sprechendes Element in die Abwägung eingestellt werden kann (Rz. 141). Der Bezugsrechtsausschluss muss deshalb aus anderen Gründen als der Verhinderung der Übernahme als solcher dem Wohl der Gesellschaft dienen. Das kann dann der Fall sein, wenn die Ausgabe der Aktien an einen Dritten ungeachtet des Übernahmeangebots aktienrechtlich zulässig wäre (dann ändert auch das Übernahmeangebot daran nichts)5, oder wenn hinreichende sachliche Gründe des Wohls der Gesellschaft für die Verhinderung gerade dieser Übernahme sprechen. Im letzteren Fall kommt § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 zur übernahmerechtlichen Rechtfertigung nicht in Betracht (Rz. 152); da ohnehin zwingend die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich ist (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG), handelt es sich um einen Fall von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 36. bb) Erwerb und Veräußerung eigener Aktien 156 Auch der Erwerb eigener Aktien und die Veräußerung eigener Aktien zählen zu den klassischen Abwehrmaßnahmen. 157 Der Erwerb ist nur nach §§ 71 ff. AktG zulässig. Die aktienrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Vorgaben sind einzuhalten (vgl. Rz. 93 ff.). 158 Die Veräußerung eigener Aktien kann, insbesondere wenn sie en bloc an einen Dritten erfolgt, eine Maßnahme sein, die zur Verhinderung des Angebots geeignet ist (Rz. 98). Die Veräußerung von Aktien, die auf der Grundlage einer Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erworben worden sind, bedarf gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3–5 AktG der Ermächtigung durch die Hauptversammlung, wenn die Veräuße1 2 3 4 5
BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465. Vgl. nur Krieger in MünchHdb. AG, § 58 Rz. 17 ff., 44. Vgl. § 3 Rz. 42 m.N. Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 84. Der Einstieg von Qatar bei Hochtief nach Ankündigung des Übernahmeangebots durch ACS wurde von Hochtief mit strategischen Perspektiven und der Festigung der bestehenden Kooperation begründet; Ad hoc-Veröffentlichung und Pressemitteilung der Hochtief AG vom 6.12.2010. 6 Zu den Anforderungen an des Beschluss des Aufsichtsrats unten Rz. 183 ff.
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rung nicht unter Wahrung der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a AktG) erfolgt. Die Gleichbehandlung ist gewahrt, wenn die Veräußerung über die Börse oder im Wege eines an alle Aktionäre gerichteten Verkaufsangebots erfolgt1. In Bezug auf den Ermessensspielraum des Vorstands gilt prinzipiell das Gleiche wie bei der Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital. Wenn die Veräußerung Verhinderungseignung hat und gerade dafür eingesetzt wird, kommt eine übernahmerechtliche Rechtfertigung nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 nicht in Betracht (Rz. 152); wenn nicht bereits aufgrund einer Anordnung im Ermächtigungsbeschluss oder nach § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AktG (analog) der Aufsichtsrat einzubeziehen ist, ergibt sich das Erfordernis seiner Einbeziehung dann aus § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3. cc) Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände Auch die Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände gehört zu den klassi- 159 schen Abwehrmaßnahmen. Im Einzelfall kann dazu die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich sein (Rz. 105). Eine Rechtfertigung durch Beschluss der Hauptversammlung sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Sie ergibt sich aus den aktienrechtlichen Gegebenheiten (Rz. 188): Bei freiwilliger Vorlage an die Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG stimmt die Hauptversammlung nicht nur zu, sondern entscheidet selbst. Es liegt dann keine Maßnahme des Vorstands nach § 33 Abs. 1 Satz 1 vor. Bei gesetzlichen oder richterrechtlichen Zustimmungserfordernissen ist der Vorstand nach § 83 Abs. 2 AktG zur Umsetzung verpflichtet. Auch insoweit fehlt es an der in § 33 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Freiheit des Vorstands, sich anders zu entscheiden. Soweit kein Hauptversammlungsbeschluss eingeholt wird, bleibt es bei § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 oder Alt. 3 und den dafür allgemein geltenden Grundsätzen. dd) Sonstige Maßnahmen Als weitere Maßnahmen auf der Grundlage von Ermächtigungsbeschlüssen der 160 Hauptversammlung kommen die Ausgabe von Bezugsrechten an Arbeitnehmer oder Organmitglieder (§ 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) oder der Abschluss oder die Aufhebung von Unternehmensverträgen (§§ 291, 296 AktG) in Betracht. 3. Ermessensentscheidung Ob und inwieweit dem Vorstand der Zielgesellschaft der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 161 kodifizierte unternehmerische Ermessensspielraum (business judgment rule) bei der Abwehr feindlicher Übernahmeangebote zusteht, ist streitig. Für § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird in der gesellschaftsrechtlichen Literatur ein Handeln frei von Interessenkonflikten gefordert2. Weil die Mitglieder des Vorstands in aller Regel befürchten müssten, ihre Positionen zu verlieren, wenn die Übernahme gelingt, stehe dem Vorstand der weite Ermessensspielraum bei der Übernahmeabwehr im Ergebnis daher grundsätzlich nicht zur Verfügung3. Die überwiegenden Gründe sprechen für die Anwendung der business judgment rule auch im Übernahmekontext in der durch § 33 1 Hüffer, § 71a AktG Rz. 19k. 2 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rz. 25 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 72; Bücker/von Bülow in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 25 Rz. 39. 3 Krause, BB 2002, 1053, 1058; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 126; Fleischer in FS Wiedemann, 2002, S. 827, 842 f.; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732 f.
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Abs. 1 Satz 2 modifizierten Form1. Demnach kommt es darauf an, dass der Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft entsprechend hätte handeln dürfen. Die Existenz des Übernahmeangebots wird bei der Bestimmung des Verhaltensspielraums gerade ausgeblendet2. Eine Modifizierung ist insoweit erforderlich, als der Vorstand nach der Wertung von § 33 Abs. 1 Satz 1 die Verhinderungseignung als gegen die Durchführung der Maßnahme sprechendes Element in die Abwägung einstellen muss (Rz. 141). Der Geschäftsleiter der „übernahmefreien“ Gesellschaft kann das naturgemäß nicht tun. Aus § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 ergibt sich aber, dass die Möglichkeit zur „normalen“ Fortführung der Geschäfte grundsätzlich Vorrang vor der Erschwerung der Übernahme hat. Die Anwendungsvoraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – Handeln zum Wohl der Gesellschaft auf Grundlage angemessener Informationen nach vernünftiger Einschätzung des Vorstands – müssen eingehalten sein. Wenn das Handeln des Vorstands durch sein Eigeninteresse motiviert ist, ist das nicht der Fall. Die Verhinderung der beabsichtigten Übernahme als solche darf nicht Ziel des Handelns sein, sonst schlägt der Maßstab von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 fehl. Dann kommt § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 in Betracht. 162 Weitergehende Anforderungen sind unangebracht. Der Vorstand trägt nach Maßgabe von § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG und der einschlägigen Rechtsprechung die Beweislast dafür, dass er die rechtlichen Grenzen einschließlich der Grenzen aus § 33 Abs. 1 eingehalten hat. Eine Verpflichtung, die Maßnahme im Zweifel nur mit Zustimmung der Hauptversammlung vorzunehmen3, ist der aktienrechtlichen Kompetenzordnung fremd und abzulehnen. Die Möglichkeit, Maßnahmen bis nach Abschluss des Übernahmeverfahrens aufzuschieben, ist in die Abwägung des Vorstands aufzunehmen4, spricht aber regelmäßig nicht gegen die Durchführung einer Maßnahme, für die „an sich“ die Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 erfüllt sind. Das ergibt sich aus der gesetzlichen Wertung, der Fortführung der Geschäfte der Gesellschaft letztlich – wenn auch in Form einer Ausnahme – den Vorrang einzuräumen. Auch einen Grundsatz des Inhalts, an die Begründung der Maßnahme seien umso höhere Anforderungen zu stellen, je stärker die Interessen der Aktionäre durch die Maßnahme beeinträchtigt werden5, gibt es nicht. Das scheitert bereits an der Heterogenität der Aktionärsinteressen. Wohl aber gibt es Umstände, unter denen die Ver-
1 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1867; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Steinmeyer in Steinmeyer/ Häger, § 33 Rz. 22; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69; Noack/Zetzsche in Schwark/ Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 14; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 147; Mai, Aktionärsschutz, 2004, S. 183 ff.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 89; unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69. 2 Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 89; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 22; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 14; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 147; Mai, Aktionärsschutz, 2004, S. 183 ff.; im Ansatz auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69. 3 In diese Richtung Krause, BB 2002, 1053, 1058; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 31; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 93; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83; in diese Richtung gehend auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 428; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 39; a.A. Tröger, DZWiR 2002, 397, 493 (weites unternehmerisches Ermessen); Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 61. 4 Drygala, ZIP 2001, 1861, 1866 f.; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 266 f.; Hirte in KölnKomm. WpÜG; § 33 Rz. 85; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 171. 5 In diese Richtung Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 266 f.; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 23; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 69.
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mutung naheliegt, dass das Handeln des Vorstands (unzulässigerweise) auf die Übernahmeverhinderung ohne sachliche Gründe des Wohls der Gesellschaft (oder gar aus unsachlichen Gründen) abzielt. Die gesetzliche Beweislastregelung genügt völlig für eine angemessene Behandlung solcher Fälle.
IV. Suche nach einem Konkurrenzangebot (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2) 1. Grundlagen Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ist die Suche nach einem konkurrierenden Angebot zulässig. Die Suche nach dem Angebot eines weiteren Interessenten (white knight) kann zwar, wenn die Mehrheit der Aktionäre das konkurrierende Angebot annimmt, den Erfolg des ursprünglichen Angebots verhindern, beraubt die Aktionäre aber nicht der Möglichkeit, sich für das ursprüngliche Angebot zu entscheiden. Von daher steht die Suche nach einem konkurrierenden Angebot mit dem Zweck des Verhinderungsverbots nicht in Widerspruch1. Mit dem Auftreten eines konkurrierenden Bieters verbessern sich typischerweise die Konditionen des Angebots2, so dass der Vorstand mit der Suche nach einem konkurrierenden Bieter die Interessen der veräußerungswilligen Aktionäre fördert3. Aus diesen Gründen war bereits vor Inkrafttreten des WpÜG im Wesentlichen unstreitig, dass die Suche nach einem konkurrierenden Angebot mit den Pflichten des Vorstandes vereinbar ist4. Nach dem Regelungssystem von § 33 Abs. 1 ist die in § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 normierte Ausnahme allerdings mehr als nur eine Klarstellung5, weil Satz 1 sich auf das konkret vorliegende Angebot bezieht und die Suche nach einem white knight insoweit durchaus verhindernde Wirkung haben kann6.
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Der Ausnahmetatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 privilegiert nur die „Suche“ 164 nach einem konkurrierenden Angebot. Nicht hierzu gehören Maßnahmen, die darauf abzielen, das ursprüngliche Angebot zu vereiteln, um damit dem konkurrierenden Angebot zum Erfolg zu verhelfen – etwa der Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen, die das unternehmerische Konzept des ursprünglichen Bieters durchkreuzen, oder die Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts en bloc als „Starthilfe“ für den konkurrierenden Bieter7. Für die Zulässigkeit solcher Maßnahmen gelten die allgemeinen Regeln. Zu der Suche nach einem 1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 24; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75. 2 Krause, NZG 2000, 905, 911; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 264. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 4 Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 193; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 106 ff., 143 f.; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote, 1990, S. 116; Hopt, ZGR 1993, 534, 556 f.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 126; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1383 f.; van Aubel, Vorstandspflichten, 1996, S. 171 f.; Baums in von Rosen/ Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 165, 178; Mülbert, IStR 1999, 83, 89; Becker, ZHR 165 (2001), 280, 283; Drygala, ZIP 2001, 1861, 1864; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 248 f. 5 So aber Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 127; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 150; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 18 mit dem angesichts der expliziten Ausnahme in § 33 Abs. 1 Satz 2 methodisch fragwürdigen Ansatz einer teleologischen Reduktion von § 33 Abs. 1 Satz 1. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 74. 7 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 5; Krause, BB 2002, 1053, 1055; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 57 f.
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konkurrierenden Angebot zählen sämtliche Handlungen, die darauf abzielen, dass ein weiterer Bieter ein Angebot abgibt1. Der Vorstand der Zielgesellschaft ist insbesondere berechtigt, strategische Investoren oder Finanzinvestoren zu kontaktieren2. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 erfasst nicht die Suche nach einem Ankeraktionär, der nicht willens ist, selbst ein Angebot abzugeben (white squire), aber dessen Vorhandensein den Bieter möglicherweise abschrecken kann. Die Unterstützung eines white squire bedarf, wenn sie Verhinderungseignung i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 hat, der Rechtfertigung durch eine der Ausnahmen in § 33 Abs. 1 Satz 2 oder § 33 Abs. 2. 165 Für die Gestattung einer Unternehmensprüfung (due diligence) unter Bereitstellung vertraulicher Informationen gelten die aktienrechtlichen Grenzen3; danach hat der Vorstand grundsätzlich von Fall zu Fall auf Grundlage des Unternehmensinteresses zu entscheiden4. Eine vom Unternehmensinteresse unabhängige Verpflichtung zur strikten Bietergleichbehandlung gibt es weder nach Aktienrecht noch nach Übernahmerecht5, noch wäre sie rechtspolitisch zu befürworten6. 166 Die Suche nach einem konkurrierenden Angebot und die Bereitstellung von Informationen ist auch dann zulässig, wenn das ursprüngliche Angebot unter der Bedingung abgegeben wird, dass konkurrierende Angebote ausbleiben oder einem konkurrierenden Bieter keine Informationen zur Verfügung gestellt werden7; insoweit zeigt sich besonders deutlich, dass § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 über eine Klarstellung hinausgehend eine echte Ausnahme zu § 33 Abs. 1 Satz 1 ist. Durch das Hinfälligwerden des ersten Angebots wird das Veräußerungsinteresse der Aktionäre grundsätzlich nicht beeinträchtigt, weil das konkurrierende Angebot an die Stelle des ursprünglichen Angebots tritt8. Wenn die Konditionen des konkurrierenden Angebots schlechter sind als diejenigen des ursprünglichen Angebots (z.B. niedrigere Gegenleistung), ist die Suche nach dem white knight vom Verhinderungsverbot dennoch freigestellt; es ist für den Vorstand kaum absehbar, welche Bedingungen ein mögliches konkurrierendes Angebot haben wird. Wenn sich während der Suche herausstellt, dass das Erstangebot für die Aktionäre vorteilhafter ist, hat der Vorstand das Interesse der Ak-
1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 78; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 157. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 78; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 157. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 264; Winter/ Harbarth, ZIP 2002, 1, 5; Fleischer, ZIP 2002, 651, 652 ff.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 157. 4 Zu den aktienrechtlichen Kriterien Wiesner in MünchHdb. AG, § 19 Rz. 24 ff.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 120 ff. 5 § 22 Rz. 94 ff., 100; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 178; von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93, 106; anders im Ausgangspunkt, aber im Ergebnis wie hier Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 158; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 57; Liekefett, AG 2005, 802, 803 ff. 6 von Falkenhausen in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 93, 106. 7 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 151; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75; restriktiver Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 56. Das Angebot kann unter der aufschiebenden Bedingung stehen, dass bis zum Ablauf der Annahmefrist kein konkurrierendes Angebot abgegeben worden ist. Gleichermaßen kann die Abgabe eines konkurrierenden Angebots als auflösende Bedingung vorgesehen werden. 8 Oechsler, NZG 2001, 817, 821 f.; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75.
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tionäre an dem ersten Angebot bei seiner Entscheidung über den Grad der Unterstützung des konkurrierenden Angebots zu berücksichtigen1. Die Zustimmung der Hauptversammlung zu der Suche des Vorstands nach einem 167 konkurrierenden Angebot und zu seinem Eintreten für dieses Angebot im Übernahmekampf ist, auch nach „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätzen2, nicht erforderlich. Die Entscheidung zur Veräußerung der Aktien ist ein Vorgang auf der Gesellschafterebene, der die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre unberührt lässt3. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Konzerneingangskontrolle ist die Zustimmung der Hauptversammlung nicht gefordert4. Über die Suche nach einem konkurrierenden Angebot entscheidet der Vorstand der 168 Zielgesellschaft im Rahmen seines Leitungsermessens. Eine Verpflichtung zur Suche nach einem konkurrierenden Angebot besteht nicht5. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 hat keinen sinnvollen Anwendungsbereich für konkurrierende Angebote, die von der Gesellschaft (Rückerwerb eigener Aktien) oder vom Vorstand unmittelbar oder mittelbar (z.B. durch eine Gesellschaft, an der der Vorstand beteiligt ist) abgegeben werden6. Von „Suche“ kann hier nicht die Rede sein. Bei der Gesellschaft kommt hinzu, dass sie kein Übernahmeangebot auf sich selbst abgeben kann und als konkurrierender Bieter nicht in Betracht kommt. Die Zulässigkeit des Rückerwerbs eigener Aktien richtet sich nach § 33 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3. Gleiches gilt für Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, die ein konkurrierendes Angebot unterstützen, an dem Mitglieder des Vorstands beteiligt sind. Ob die betreffenden Mitglieder des Vorstands insoweit von der Mitwirkung auf Ebene der Zielgesellschaft ausgeschlossen sind7, richtet sich nach den aktienrechtlichen Grundsätzen zum Interessenkonflikt8. Für die Weitergabe und Nutzung der dem Vorstand bekannten Informationen gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätze (vgl. Rz. 165). Die Vorstandsmitglieder unterliegen einer strengen Vertraulichkeitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) und sind grundsätzlich nicht befugt, ihr Wissen im Eigeninteresse weiterzugeben9. Eine Entscheidung der Hauptversammlung kommt nur auf Verlangen des Vorstands in Betracht (§ 119 Abs. 2 AktG); eine Verpflichtung des Vorstands, ein solches Verlangen zu stellen, besteht nicht10.
1 Ähnlich Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 151; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 56. 2 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575. 3 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 152; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75. 4 Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209, 1223 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 5. 5 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 76; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 76; a.A. Busch, Regelung von öffentlichen Übernahmeangeboten, 1996, S. 109. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75; offen Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 153; unklar Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 56; a.A. 1. Aufl., Rz. 167. 7 So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 153. 8 Vgl. z.B. Spindler in MünchKomm. AktG, § 77 Rz. 22. 9 Vgl. zum Ganzen Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 160 ff. 10 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 75 (wenn eine wirksame Kontrolle nicht gewährleistet ist).
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2. Praktische Fragen 169 Beginnt der Vorstand die Suche nach einem konkurrierenden Angebot erst nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, stehen für die Vorlage eines Angebots, das die Verlängerung der Annahmefrist des ursprünglichen Angebots gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 zur Folge hat, nur wenige Wochen zur Verfügung. Im Extremfall – wenn der Bieter die Angebotsunterlage kurz nach der Veröffentlichung gemäß § 10 an die BaFin übermittelt, die BaFin ihre Veröffentlichung innerhalb von 10 Werktagen gestattet und der Bieter die kürzestmögliche Annahmefrist von 4 Wochen gewählt hat – bleiben dem konkurrierenden Bieter nur etwa 6 Wochen, um sich für die Abgabe des konkurrierenden Angebots zu entscheiden, die Angebotsunterlage fertigzustellen und die Gestattung der Veröffentlichung durch die BaFin zu erwirken; selbst wenn der Zeitplan des ursprünglichen Angebots großzügiger bemessen ist (etwa die Übermittlungsfrist von 4 Wochen ausgeschöpft wird, die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage erst nach 15 Werktagen gestattet und der Bieter eine Annahmefrist von 10 Wochen gewählt hat), stehen bis zur Abgabe des Angebots nur ca. 16 Wochen zur Verfügung. Folglich muss sich der konkurrierende Bieter innerhalb von wenigstens 6 und höchstens 16 Wochen dazu entschieden haben, ein Angebot abzugeben. 170 Aus praktischer Sicht wird die Suche nach einem konkurrierenden Bieter daher regelmäßig nur dann erfolgreich sein, wenn der Vorstand mögliche konkurrierende Bieter im Rahmen der Übernahmeprophylaxe identifiziert und schon vor Bekanntwerden des konkreten Angebots Kontakt zu ihnen aufgenommen hat1. Die Initiierung und Aufrechterhaltung von Kontakten zu Unternehmen, die als Bieter in Betracht kommen, ist auch außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 1 grundsätzlich unbedenklich, soweit die allgemeinen Schranken der Informationsweitergabe eingehalten werden. 171 Die Privilegierung der Suche nach einem konkurrierenden Angebot liefe leer, wenn der Einsatz von Gesellschaftsmitteln zu diesem Zweck verboten wäre. Der Vorstand darf dem konkurrierenden Bieter aber keine Vorschüsse, Darlehen, Sicherheiten oder anderweitige finanzielle Unterstützung gewähren2. Die zugrundeliegenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte wären nichtig (§ 71a Abs. 1 Satz 1 AktG).
V. Abwehrmaßnahmen mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3) 1. Grundlagen 172 Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 darf der Vorstand Abwehrmaßnahmen durchführen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat. Diese Regelung ist erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages3 in das Ge-
1 Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 313 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 5; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 40; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 48; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 76; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 156. 2 Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 314; Krause, AG 2002, 133, 139; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 5; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 77. 3 BT-Drucks. 14/7477, S. 25 f., 53.
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setz gelangt. Sie ist rechtspolitisch umstritten1 und angeblich international ohne Beispiel2. Die praktische Bedeutung wird wohl überschätzt. Soweit der Regelung unter den Ausnahmen des § 33 Abs. 1 Satz 2 die relativ größte Bedeutung zugemessen wird3, ist das im Vergleich zu § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 zumindest fraglich. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 dispensiert nicht von den allgemeinen Organpflichten. Wäre das gewollt gewesen4, hätte es im Gesetz deutlicheren Niederschlag finden müssen. Statt dessen lässt sich aus § 3 Abs. 3 gerade entnehmen, dass das aktienrechtliche Pflichtenprogramm von Vorstand und Aufsichtsrat grundsätzlich unberührt bleibt. Der Aufsichtsrat muss bei seiner Entscheidung die Verhinderungseignung in die Abwägung einstellen (vgl. zum Vorstand Rz. 141). Für die Haftung des Vorstands hat § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 insoweit Bedeutung, als im Fall eines wirksamen Aufsichtsratsbeschlusses Dispens vom Verbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 eintritt und sich daraus demnach keine Pflichtverletzung und Haftung mehr ergeben kann; (nur) insoweit beinhaltet § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG, wonach die Billigung durch den Aufsichtsrat die Haftung des Vorstands nicht ausschließt5. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien soll § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 wegen der im Vergleich zur Aktiengesellschaft schwächeren Stellung des Aufsichtsrats unanwendbar sein. Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 33 und des § 2 Abs. 3 ist das unzutreffend6. Ebenso wenig wie bei der AG (Rz. 181) kommt es bei der KGaA darauf an, ob aktienrechtlich für die fragliche Maßnahme ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats begründet ist (was bei der KGaA aufgrund einer entsprechenden Satzungsregelung zumindest möglich wäre)7. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 beinhaltet insoweit eine eigenständige Kompetenzregelung.
173
2. Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich umfasst nur solche Handlungen, die von der Ge- 174 schäftsführungsbefugnis des Vorstands (§ 77 AktG) gedeckt sind8. Ob die Handlung in die originäre oder die von der Hauptversammlung abgeleitete Kompetenz des Vor1 Aus der Diskussion etwa Drygala, ZIP 2001, 1861, 1878; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 733; Hopt, ZGR 2002, 333, 361; Krause, AG 2002, 133, 136 f.; Krause, BB 2002, 1053; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 153 f.; Zschocke, DB 2002, 79, 82; zuvor schon Witte, BB 2000, 2161, 2165; ähnlich Kirchner, AG 1999, 481, 487; widersprüchlich Zinser, WM 2002, 15, 20. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 78; hier wie auch sonst im Übernahmerecht sind Vergleiche schwierig, die nicht mit einer umfassenden Analyse der übernahmerechtlichen Gesamtregelung und der teilweise unterschiedlichen corporate governance Systeme und den daraus folgenden Anforderungen an das Organhandeln verbunden sind. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 78; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 62; (absolut) große Bedeutung messen Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 161 der Vorschrift bei; zutreffend dürfte die Wertung bei Habersack in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 19 sein: „gewisse praktische Bedeutung“. 4 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 79. 5 Zu der parallelen Frage (Entfallen der Pflichtwidrigkeit versus Haftungsausschluss) bei Handeln aufgrund Hauptversammlungsbeschluss vgl. Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, § 93 AktG Rz. 58. 6 Wie hier Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 162; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 60; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 78. 7 Für die KGaA Herfs in MünchHdb. AktG, § 78 Rz. 51; Perlitt in MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 193; zur AG siehe § 111 Abs. 4 AktG. 8 Krause, NJW 2002, 705, 712; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 57; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 164; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 59.
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stands fällt, spielt keine Rolle; der Vorstand kann auch Ermächtigungen der Hauptversammlung nutzen1. Dagegen verbleiben Maßnahmen, die nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen (und von dieser nicht an den Vorstand delegiert worden sind), in deren Zuständigkeit2. Das ergibt sich daraus, dass § 33 insoweit eine Zuständigkeitsverlagerung nicht vorsieht3 und versteht sich im Übrigen von selbst. Der Vorstand kann demnach auch mit Zustimmung des Aufsichtsrats weder die Satzung ändern noch sich selbst nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG zum Aktienrückkauf ermächtigen. 3. Zulässige Maßnahmen 175 Der Ausnahmetatbestand erfasst zunächst alle Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands, die den Erfolg des Angebots verhindern können und nicht der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen4. Zulässig sind insbesondere Maßnahmen, die gerade aus Anlass des Übernahmeangebots getroffen werden; § 33 Abs. 2 entfaltet insoweit keine „Sperrwirkung“5. 176 Von besonderer Bedeutung ist § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 für Maßnahmen, die nicht nur objektive Verhinderungseignung haben, sondern subjektiv auch auf die Verhinderung der Übernahme gerichtet sind, denn für solche Maßnahmen ist § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 wegen Versagens des Vergleichsmaßstabs unanwendbar6. Hierzu gehört etwa die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien gerade an den Bieter, während die Verweigerung von Übertragungen an Dritte (soweit eine solche Verweigerung im Einzelfall überhaupt Verhinderungseignung hat) auch auf § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gestützt werden kann (Rz. 112). Soweit man die Durchführung von spezifischen angebotsbezogenen Kommunikations- und Werbemaßnahmen sowie insbesondere road shows bei Investoren – gegen die hier vertretene Auffassung – als zur Verhinderung geeignete Maßnahme ansieht (siehe oben Rz. 122), käme die Ausnahme nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 in Betracht7. Entsprechendes müsste für das Gegenangebot auf Aktien des Bieters (pac man) gelten8. 1 Krause, BB 2002, 1053, 1055; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88; Tröger, DZWiR 2002, 397, 403; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 9; Zschocke, DB 2002, 79, 83; Schaefer/Eichner, NZG 2003, 150, 154; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 168; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 63; a.A. Bayer, ZGR 2002, 588, 613; Hirte, ZGR 2002, 623, 641; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 27; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 57. 2 Pötzsch, Übernahmerecht, S. 41; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 49; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 26; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84 f., 90; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 80; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 164, 180 f. 3 Vgl. Begr. Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 4 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 9; differenzierend Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 50 (nur solche Maßnahmen, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ohne das konkrete Übernahmeangebot nicht getroffen hätte). 5 Begr. Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7477, S. 69; Krause, BB 2002, 1053, 1054; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 66 f., 88; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 173 ff., 180, 268; a.A. Hirte, ZGR 2002, 623, 647 ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 92; Zech, Verhaltenspflichten des Vorstands, 2003, S. 170. 6 Siehe Rz. 152 und Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 19; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83. 7 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87. 8 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 50, 52; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 123; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 50; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 166.
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4. Ermessen des Vorstands Der Ausnahmetatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 befreit nicht von den einschlä- 177 gigen aktienrechtlichen Erfordernissen1 und beinhaltet keine partielle Überleitung der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Der Aufsichtsrat kann nur einem Vorschlag des Vorstands zustimmen (oder ihn ablehnen), aber keine eigene Entscheidung treffen. Die aktienrechtliche Zulässigkeit der Handlungen des Vorstands setzt voraus, dass sie im Gesellschaftsinteresse erforderlich und geeignet sind; Maßnahmen, die nicht im Gesellschaftsinteresse liegen, werden durch die Zustimmung des Aufsichtsrats gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 nicht aktienrechtlich zulässig2. Soweit § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 grundsätzlich auch solche Maßnahmen legitimieren kann, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft nicht vorgenommen hätte3, liegt darin eine Überschreitung des Anwendungsbereichs von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1. Das gilt insbesondere für Maßnahmen, die bei dem Vergleichsobjekt (der übernahmefreien Gesellschaft) nicht vorstellbar sind, weil sie in Verhinderungsabsicht getroffen werden oder nur in der Übernahmesituation vorstellbar sind4. Maßnahmen, die außerhalb des Tagesgeschäfts oder bereits eingeschlagener Unternehmensstrategien liegen oder aus anderen Gründen ungewöhnlich sind, können dagegen auch nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gerechtfertigt sein. Ein nach Ansicht des Vorstands zu niedriger Preis kann nicht Abwehrmaßnahmen rechtfertigen. Über die Angemessenheit des Preises entscheiden die Aktionäre. Der Vorstand kann und muss dazu im Rahmen von § 27 Stellung nehmen (Rz. 121). Die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) stellt sich 178 bei § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 in etwas andere Weise als bei § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 (dazu Rz. 161) dar. Anders als dort wird hier der potentiell vorhandene Interessenkonflikt der Vorstandsmitglieder nicht durch den Vergleichsmaßstab einer „übernahmefreien“ Gesellschaft neutralisiert. Es gibt jedoch keinen hinreichenden Grund, dem Vorstand einer von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft pauschal zu unterstellen, er handle aus unsachlichen Gründen. Insbesondere geben mittlerweile zehn Jahre praktischer Erfahrung mit dem WpÜG keinen Anlass für eine solche Vermutung. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gilt deshalb für den Vorstand auch im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 35 In die Abwägung ist das Interesse der annahmewilligen Aktionäre einzustellen6. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegen nicht vor, wenn das Vorstandshandeln auf sachwidrigen Motiven be-
1 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4; Krause, BB 2002, 1053, 1055; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 18; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 169. 2 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 49; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 169. 3 Pötzsch, Übernahmerecht, S. 40 f.; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 28; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 169. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83. 5 Tröger, DZWIR 2002, 397, 403; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10 (wenn kein einziges Vorstandsmitglied einem Interessenkonflikt „ausgesetzt ist“; die Maßstäbe dafür bleiben unklar); a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 19. 6 Teilweise für weitergehende Einschränkungen (eindeutiges Überwiegen der Interessen der Gesellschaft) Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 170; Habersack in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 19; ff.; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 83; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10 (aber nur dann, wenn Interessenkonflikt nicht widerlegbar ist).
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ruht. Damit ist die Maßnahme noch nicht zwangsläufig rechtswidrig, es ist dann aber die volle Kontrolle ohne Zubilligung unternehmerischen Ermessens eröffnet1. 5. Zustimmung des Aufsichtsrats a) Zuständigkeit und Verfahren 179 Der Vorstand bedarf für Abwehrmaßnahmen auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 der vorherigen Zustimmung, d.h. der Einwilligung (§ 183 BGB), des Aufsichtsrats2. Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut („zugestimmt hat“), sondern auch die Überlegung, dass der Aufsichtsrat, wenn die Maßnahme des Vorstands bereits implementiert ist, faktisch kaum noch anders entscheiden könnte3. Insoweit gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG4. Der Abschluss von Verträgen unter Gremienvorbehalt oder mit Rücktrittsvorbehalt ist möglich und steht der Anwendung von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 nicht entgegen, soweit Maßnahmen erst nach erteilter Zustimmung getroffen werden. Auch in Eilfällen ersetzt die nachträgliche Genehmigung durch den Aufsichtsrat nicht die vorherige Einwilligung5; die Zulässigkeit der Maßnahme richtet sich dann nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 2. 180 Die Einwilligung des Aufsichtsrats muss konkrete Maßnahmen zum Gegenstand haben. Dies kann auch ein Katalog verschiedener Maßnahmen sein6. „Blankettermächtigungen“ (z.B. Zustimmung zu „Abwehrmaßnahmen jeder Art“) sind unzulässig, weil sie keine effektive Kontrolle des Vorstandshandelns ermöglichen7. Gleiches gilt, wenn der Aufsichtsrat eine pauschale Ermächtigung erteilt und Bedingungen formuliert, unter denen sie in Anspruch genommen werden kann8. Die Maßnahme muss aber nicht in allen Einzelheiten bezeichnet sein und feststehen, solange sich aus dem Beschluss des Aufsichtsrats die Reichweite der Zustimmung hinreichend deutlich ergibt und der dadurch eröffnete Rahmen vom Aufsichtsrat insgesamt in seine Abwägung aufgenommen und gebilligt wurde. Keine gesetzliche Grundlage gibt es für die Auffassung, dass der Inhalt erteilter Einwilligungen den Aktionären bekanntgegeben werden müsse9. 181 Die Maßnahmen, um deren Zustimmung der Vorstand nachsucht, werden in vielen Fällen nicht in einem Zustimmungskatalog der Satzung oder des Aufsichtsrats (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) enthalten sein. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 enthält insoweit eine eigenständige Kompetenzzuweisung, die den Aufsichtsrat zur Entscheidung auf Verlangen des Vorstands berechtigt, aber auch verpflichtet. Gemäß § 108 Abs. 1
1 Vgl. zum Ganzen Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, § 93 AktG Rz. 11. 2 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 97; R. Müller in Bad Homburger Hdb., D 53; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 62; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 173; weiter Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 86. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 86. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58 (zu § 33 Abs. 2). 5 Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 218; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 67. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58 (zu § 33 Abs. 2). 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58 (zu § 33 Abs. 2); Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8; Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 129; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 65. 8 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 65; a.A. Hirte, ZGR 2002, 623, 644. 9 So aber Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 86.
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AktG entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss. Der Beschluss bedarf der einfachen Mehrheit der Stimmen1. Der Aufsichtsrat kann seine Entscheidungsbefugnis an einen Ausschuss delegieren 182 (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG)2. Zulässig ist die Einrichtung eines Ausschusses für Übernahmefragen, der bereits ohne konkrete Anhaltspunkte für ein Übernahmeangebot etabliert werden kann und bei einem konkreten Angebot aktiviert wird3. Wenn ein Ausschuss mit passender Zusammensetzung zu anderen Fragen besteht, kann es sinnvoller sein, diesem Ausschuss die zusätzliche Kompetenz einzuräumen. Weil die Einwilligung in Abwehrmaßnahmen auch Arbeitnehmerinteressen berührt, dürften bei einem paritätisch mitbestimmten Unternehmen auf entsprechendes Verlangen auch Arbeitnehmervertreter in den Verteidigungsausschuss zu berufen sein4. Eine Berichterstattung gemäß § 171 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AktG soll unterbleiben können, solange der Ausschuss seine Arbeit nicht aufgenommen hat5. b) Ermessen Die Einwilligung des Aufsichtsrats gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 ist wie Entschei- 183 dungen gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG eine unternehmerische Ermessensentscheidung6. Damit ist die Frage aufgeworfen, welchen Beschränkungen er beim Gebrauch seines Ermessens unterliegt. Vor der Geltung des WpÜG wurde angenommen, dass das Verhinderungsverbot für Vorstand und Aufsichtsrat gleichermaßen gelte7. Dem entsprachen auch die Regelungen im DiskE, RefE und RegE. Nach dem Wortlaut der Gesetz gewordenen Fassung erstreckt sich das Verhinderungsverbot dagegen nicht mehr auf den Aufsichtsrat. Dies geht darauf zurück, dass er gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 den Vorstand vom Verhinderungsverbot entbinden kann. Diese Funktion – handelnd als Kontrollorgan – könnte er nicht wahrnehmen, wenn er selbst uneingeschränkt dem Verhinderungsverbot unterläge8.
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Die Entscheidung des Aufsichtsrats über die Erteilung oder Versagung der Zustim- 185 mung zu Abwehrmaßnahmen gehört zu den Aufgaben, bei denen der Aufsichtsrat die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands im Sinne einer präventiven Kontrolle mitgestaltet. Diese Entscheidungen trifft er grundsätzlich nach eigenem unternehmerischen Ermessen9. Die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), die der
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 174. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 98; Seibt, DB 2002, 529, 531; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 175; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 67 (wegen der „Bedeutung der Entscheidung“, aber ein solches Kriterium kennt § 107 Abs. 3 AktG nicht). 3 Näher Seibt, DB 2002, 529, 531; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 98 (mit der Einschränkung „wenig zweckmäßig“); Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87. 4 Seibt, DB 2002, 529, 531; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87. 5 In diesem Sinn Seibt, DB 2002, 529, 531; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 87. 6 Mertens in KölnKomm. AktG, § 111 Rz. 85; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11. 7 Hopt, ZGR 1993, 534, 565; Mülbert, IStR 1999, 83, 89. 8 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 51; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 210 f. 9 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rz. 116, 986; Mertens in KölnKomm. AktG, § 111 Rz. 85.
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Sache nach die Grundsätze der ARAG-Entscheidung des BGH1 kodifiziert, gilt über § 116 Satz 1 AktG auch für den Aufsichtsrat. Die Einräumung unternehmerischen Ermessens setzt danach voraus, dass das Handeln der Entscheidungsträger „ausschließlich am Unternehmenswohl orientiert“ ist2. Noch weniger als beim Vorstand wäre es beim Aufsichtsrat angezeigt, eine generelle – widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutung – aufzustellen, dass die Entscheidungen durch unsachliche Gründe persönlicher Art beeinflusst würden3. 186 Im Übrigen gelten § 3 Abs. 3 und die allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze. Hiernach hat der Aufsichtsrat im Interesse der Zielgesellschaft zu handeln. In diesem Rahmen sind „die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und die Interessen der Gesellschaft insgesamt zu berücksichtigen“, und „die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Pflichten“ der Organe sind „nicht suspendiert“4. Die Verhinderungseignung der Maßnahme ist ein in die Abwägung einzustellendes Element. Keine gesetzliche Grundlage besteht aber für die Auffassung, wonach der Aufsichtsrat den Vorstand vom Verhinderungsverbot nur entbinden darf, wenn ein qualifiziertes Gesellschaftsinteresse vorliegt, welches das Veräußerungsinteresse der Aktionäre eindeutig überwiegt5. Ob die fragliche Maßnahme bis zum Abschluss des Übernahmeverfahrens aufgeschoben werden könnte, ist in die Abwägung einzustellen, hindert aber die Durchführung der Maßnahme nicht zwingend6. Wenn es gerade um eine Maßnahme mit Verhinderungsabsicht oder mit spezifischem Übernahmebezug geht, wäre das Zuwarten ohnehin sinnlos. 187 Der Vorstand ist zur Vorlage an den Aufsichtsrat nicht verpflichtet. Dann müssen, wenn die Maßnahme Verhinderungseignung hat, die inhaltlichen Voraussetzungen der § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 oder Alt. 2 erfüllt sein. In Eilfällen gilt nichts anderes.
VI. Abwehrmaßnahmen aufgrund Ad hoc-Zustimmung der Hauptversammlung 1. Grundlagen 188 Abwehrmaßnahmen, die der Vorstand auf der Grundlage einer von der Hauptversammlung während der Laufzeit des Angebots erteilten Zustimmung oder Ermächtigung („Ad hoc-Zustimmung“) vornimmt, sind im Gesetz nicht (mehr) angesprochen7. Die Zulässigkeit einer derartigen Hauptversammlung und der von ihr befürworteten Abwehrmaßnahmen ist allgemein anerkannt8. § 16 Abs. 3 und Abs. 4 wären sonst 1 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 – ARAG/Garmenbeck, AG 1997, 377. 2 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = AG 1997, 377, 378. 3 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 66; a.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 177; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 84. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 35; kritisch Drygala, ZIP 2001, 1861, 1865. 5 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11; vgl. dagegen Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 85: Unternehmensinteresse kann ebenso die Pflicht zur Abwehr wie zur Förderung des Angebots begründen. 6 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 64; a.A. 1. Aufl., Rz. 185; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 85; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 11. 7 Anders noch § 31 Abs. 3 Nr. 2 DiskE, § 33 Abs. 3 Nr. 2 RefE und implizit § 33 Abs. 1 Satz 1 RegE. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Krause, NJW 2002, 705, 713; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 42; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 89; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 52; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 108; Thaeter, NZG 2001, 789; Winter/ Harbarth, ZIP 2002, 1, 13; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 189.
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weitgehend gegenstandslos. Auch auf EU-Ebene war die Zulässigkeit derartiger Abwehrmaßnahmen niemals umstritten1. Obwohl der Gesetzgeber die Bedeutung des Verhinderungsverbots durch Einführung 189 der weitreichenden Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 weitgehend relativiert hat, kann für eine während der Laufzeit des Angebots abgehaltene Hauptversammlung ein Bedürfnis bestehen2. Sie ist erforderlich, wenn für die geplante Abwehrmaßnahme ihrer Art nach die Hauptversammlung zuständig ist oder wegen der übernahmespezifischen Grenzen des Leitungsermessens des Vorstands und des Aufsichtsrats (hierzu Rz. 161 f., 178 und 185) auch nicht mit der Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden kann. Zu den Maßnahmen, für die eine Zuständigkeit der Hauptversammlung besteht, gehören etwa die Vornahme von Kapitalerhöhungen mit oder ohne Ausschluss des Bezugsrechts (§§ 182, 186 AktG), die Ermächtigung zum Erwerb und zur Veräußerung eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG), die Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Genussrechten (§ 221 AktG) oder die Durchführung von Strukturmaßnahmen, die einen „Holzmüller/Gelatine“-Beschluss erfordern3. Der Vorstand kann wegen der Bedeutung und des Übernahmebezugs der Maßnahme zu der Schlussfolgerung kommen, dass eine Vorlage an die Hauptversammlung zwar nicht zwingend erforderlich, aber ratsam ist4. Der Beschluss der Hauptversammlung hat in den Grenzen von § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG haftungsausschließende Wirkung5; ggf. entfällt bei Befolgung des Beschlusses der Hauptversammlung bereits die Pflichtwidrigkeit und damit (über § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG hinaus) die Haftung insgesamt6. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien, die dem gesetzlichen Regelungsmodell 190 folgt, ist zusätzlich zu den Maßnahmen, die ihrer Art nach einen Hauptversammlungsbeschluss erfordern, für alle wesentlichen Maßnahmen mit Abwehreignung i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 ein Beschluss der Hauptversammlung nach §§ 278 Abs. 2 AktG, 164 HGB erforderlich7. Allerdings wird die Anwendung von § 164 HGB bei börsengelisteten KGaA durchweg ausgeschlossen sein8. Dann kommt wie bei der AG die freiwillige Vorlage durch den Vorstand in Betracht9. Die Ad hoc-Zustimmung der Hauptversammlung kann besondere Bedeutung erlangen, wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – der Meinung ist, dass der Aufsichtsrat den Vorstand vom Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 nicht entbinden kann (hierzu Rz. 173). Inhaltlich kann die Ad hoc-Hauptversammlung den Vorstand zu allen Maßnahmen ermächtigen, die zur Verhinderung des Erfolgs des Übernahmeangebots geeignet sind10;
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. nur Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Übernahmerichtlinie. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 13; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 57. Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 734; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 57; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 88; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 190. Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, § 93 AktG Rz. 58; Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 247; zur Auswirkung eines Aufsichtsratsbeschlusses auf die Haftung oben Rz. 172. Zur Anwendung von § 164 HGB K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, § 278 AktG Rz. 38. Herfs in MünchHdb. AG, § 78 Rz. 17. K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, § 278 AktG Rz. 38, § 285 AktG Rz. 1; Perlitt in MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 202. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90.
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die Maßnahmen sind konkret zu bezeichnen1. Ein Feststellungsbeschluss des Inhalts, dass das Angebot nicht im Interesse der Zielgesellschaft liegt, die Interessen der Aktionäre nicht angemessen berücksichtigt oder die Begründung der Abhängigkeit der Zielgesellschaft (§ 17 AktG) unerwünscht ist2, wäre möglicherweise durch § 16 Abs. 3, 4 gedeckt3, hätte aber nur appellativen Charakter4. Außerhalb der zwingenden Zuständigkeiten der Hauptversammlung kann die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands (konkrete) Entscheidungen treffen, § 119 Abs. 2. Die Einführung der Möglichkeit allgemeiner (bindender) Direktiven zur Geschäftspolitik sub specie des Übernahmerechts bedürfte einer expliziten Regelung, an der es fehlt5. 192 Der Beschluss der Hauptversammlung muss die allgemeinen aktienrechtlichen Grenzen beachten; er unterliegt nicht dem an den Vorstand adressierten Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 16. Hiernach ist etwa für eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts (§ 186 Abs. 3 AktG) oder die Ermächtigung des Vorstands zur Veräußerung eigener Aktien ohne gleichmäßige Berücksichtigung der Aktionäre (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG) eine sachliche Rechtfertigung erforderlich. Ob die sachliche Rechtfertigung darin liegen kann, dass die Gesellschaft nach erfolgreicher Durchführung des Angebots zum abhängigen Unternehmen (§ 17 AktG) würde, ist in der aktienrechtlichen Diskussion umstritten7. Es liegt nahe, in der Übernahmeabwehr eine durch § 33 Abs. 2 gesetzlich gebilligte sachliche Rechtfertigung zu sehen, die die Einhaltung darüber hinausgehender Erfordernisse entbehrlich macht8. Wenn das bereits für einen Vorratsbeschluss nach § 33 Abs. 2 gilt, muss es für einen auf eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss gerichteten Ad hoc-Beschluss erst recht gelten. Die Vermögensinteressen der Aktionäre werden durch § 255 Abs. 2 AktG geschützt. Fraglich ist, ob zum Zwecke der Übernahmeabwehr Beschlüsse der Hauptversammlung zulässig sind, die schädigenden Charakter haben, wie z.B. die Veräußerung oder der Erwerb von Vermögensgegenständen deutlich unter oder deutlich über Wert. Wenn daran Aktionäre beteiligt sind, gilt das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG, von dem die Hauptversammlung keine Befreiung erteilen kann. Im Übrigen ergibt sich die Unzulässigkeit nicht bereits aus den Anforderungen an zulässiges Vorstandshandeln im Rahmen des Verlangens nach § 119 Abs. 2 AktG, denn bei § 119 Abs. 2 AktG überlässt der Vorstand die
1 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 58; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90; Hens, Vorstandspflichten, 2004, S. 238. 2 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 190. 3 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 190; zweifelnd Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90. 4 Vgl. zum Erfordernis der konkreten Festlegung der Abwehrmaßnahme Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 193; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 75. 5 A.A. Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 132: originäre Zuständigkeit der Hauptversammlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1; das hätte sich aber allenfalls mit der nicht Gesetz gewordenen Fassung des Regierungsentwurfs zu § 33 Abs. 1 Satz 1 begründen lassen. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 75. 7 Bejahend Lutter in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 71; Hüffer, § 186 AktG Rz. 32; Lutter/ Timm, NJW 1982, 409, 415; Wolf, AG 1998, 212, 215 f.; noch weitergehend Gamerdinger/ Saupe, AG 1976, 29, 31; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 161 ff.; a.A. Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 139 ff.; Mestmäcker, BB 1961, 945, 946 f.; Otto, DB-Beil. 12/1988, S. 9; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, 1990, S. 129; zurückhaltend auch Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 843. 8 Vgl. Krause, BB 2002, 1053, 1056; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90, und unten Rz. 233.
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Entscheidung gerade der Hauptversammlung; er muss allerdings ggf. auf die schädigenden Auswirkungen hinweisen1. In Extremfällen kann der Beschluss der Hauptversammlung gegen die allgemeine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen. Der Vorstand ist grundsätzlich verpflichtet, den Beschluss auszuführen (§ 83 Abs. 2 AktG). Ob die Ad hoc-Zustimmung der Hauptversammlung in der Praxis jemals große Be- 193 deutung erlangen wird, ist fraglich. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dagegen. Zweifelhaft ist zunächst, ob die erforderliche Beschlussmehrheit zustande kommt. Im Lichte der – zumeist attraktiven – Veräußerungschance wären bei einem auf die Vereitelung derselben abzielenden Beschlussvorschlag der Verwaltung eine im Vergleich zu einer „normalen“ Hauptversammlung höhere Präsenz und niedrigere Zustimmungsquoten zu erwarten. Weiterhin hätte der Vorstand nach Beschlussfassung der Hauptversammlung nur wenig Zeit, die Abwehrmaßnahme zu implementieren2. Überdies dürfte in der Übernahmesituation regelmäßig mit der Anfechtung des Beschlusses zu rechnen sein3, zumal der Bieter – wenn er bereits Aktien der Zielgesellschaft besitzt – stimm- und anfechtungsberechtigt ist (siehe unten Rz. 197 f.). 2. Erleichterung der Einberufung und Abhaltung Für die Ad hoc-Hauptversammlung gelten die in § 16 Abs. 4 normierten Erleichte- 194 rungen der Einberufung und Abhaltung. Diese Erleichterungen greifen ein, wenn die Hauptversammlung „im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage“ einberufen wird (§ 16 Abs. 3 Satz 1). Eine Hauptversammlung, zu der nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots, jedoch vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage einberufen wird, kommt somit nicht in den Genuss der Erleichterungen des § 16 Abs. 44. 3. Formale Erfordernisse Die Maßnahme, zu der der Vorstand ermächtigt wird, muss von der Hauptversamm- 195 lung konkret definiert werden5. Die Erleichterung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1, die „der Art nach“ bestimmte Maßnahmen genügen lässt, findet keine entsprechende Anwendung, und zwar auch dann nicht, wenn bei der Einladung zu der Ad hoc-Hauptversammlung die Angebotsunterlage noch nicht vorliegt6. Die für Zustimmungsbeschlüsse des Aufsichtsrats geltenden Maßstäbe (Rz. 180) gelten entsprechend.
1 Für die Zulässigkeit im Rahmen von Ad hoc-Beschlüssen auch die Stellungnahme des Bundesrats zum WpÜG, BR-Drucks. 574/01, S. 5 f.: „Solche Maßnahmen sollten im Interesse des Anlegerschutzes und des Erhalts von Unternehmenswerten nur zulässig sein, wenn die Hauptversammlung in Kenntnis der Modalitäten eines konkreten Übernahmeangebots den Vorstand zu solchen wertmindernden Maßnahmen ausdrücklich legitimiert.“ 2 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 132. 3 Krause, NJW 2002, 705, 713; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 13; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 195. 4 Geibel in Geibel/Süßmann, § 16 Rz. 60; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 42; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 192. 5 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 58; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 193; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 75. 6 Dazu Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 90; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 193; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 75; a.A. Ekkenga in FS Kümpel, 2003, S. 95, 106.
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196 Beschlüsse der Ad hoc-Hauptversammlung über Abwehrmaßnahmen bedürfen grundsätzlich der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG), soweit nicht das Aktiengesetz oder die Satzung für die Maßnahme, zu der ermächtigt werden soll, eine größere Mehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmen. Das qualifizierte Mehrheitserfordernis für Vorratsbeschlüsse gemäß § 33 Abs. 2 Satz 3 ist weder direkt noch entsprechend anwendbar1. 197 Soweit der Bieter bereits Aktien der Zielgesellschaft erworben hat, ist er bei der Abstimmung der Ad hoc-Hauptversammlung über Abwehrmaßnahmen stimmberechtigt. Ein Stimmverbot ist nach geltendem Recht nicht begründbar und wäre auch rechtspolitisch fragwürdig2. 4. Anfechtung 198 Die von der Ad hoc-Hauptversammlung gefassten Beschlüsse unterliegen den allgemeinen Beschlussmängelregelungen der §§ 241 ff. AktG. Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit steigt das Fehlerrisiko. Auch der Bieter ist anfechtungsberechtigt, wenn er vor Bekanntmachung der Tagesordnung Aktien erworben und in der Hauptversammlung gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat (§ 245 Nr. 1 AktG)3. Soweit der Beschluss der Hauptversammlung durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt wird, wirkt dieses Urteil für und gegen alle Aktionäre sowie die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 248 Abs. 1 Satz 1 AktG). Demnach wird der Vorstand, wenn Widerspruch zur Niederschrift erklärt worden ist, während des Übernahmekampfes u.U. noch nicht wissen, ob die rechtliche Grundlage der von ihm in den Blick genommenen Abwehrmaßnahme Bestand hat oder nicht4. Daraus ergibt sich ein gewisses Dilemma, denn die bestehende Unsicherheit befreit nicht per se von der Durchführungspflicht nach § 83 Abs. 2 AktG. Da es die zweifelsfrei rechtmäßige Handlungsalternative nicht gibt, fehlt es zumindest am Verschulden, wenn es für die gewählte Handlungsweise – bestehe sie in der Durchführung des Beschlusses oder im Abwarten – gut vertretbare Gründe gibt5. 5. Ausnutzung des Hauptversammlungsbeschlusses 199 Macht der Vorstand von der Ad hoc-Ermächtigung der Hauptversammlung Gebrauch, unterliegt er nicht dem Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1. Eine übernahmerechtliche Verpflichtung, die Zustimmung des Aufsichtsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen, besteht nicht6.
1 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 423; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 193. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 89; Krieger, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 315; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14; Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131; a.A. Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 275 ff. 3 Krause, NJW 2002, 705, 713; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 89. 4 Krause, NJW 2002, 705, 713. 5 Vgl. Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 65 ff.; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836 ff. 6 von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 186 f.
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D. Vorratsbeschlüsse (§ 33 Abs. 2) I. Allgemeines Die Hauptversammlung kann den Vorstand unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 zur Durchführung von Abwehrmaßnahmen ermächtigen, ohne dass ein Übernahmeangebot angekündigt ist. Die Vorschrift des § 33 Abs. 2 wurde nach dem vorläufigen Scheitern der Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament am 4.7.2001 in den RegE vom 11.7.2001 aufgenommen. Mit der Zulassung derartiger „Vorratsbeschlüsse“ wurde die Befugnis der Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat zu Abwehrmaßnahmen zu ermächtigen, gegenüber dem DiskE und dem RefE ausgeweitet1.
200
Die Zulassung von Abwehrmaßnahmen auf der Grundlage von Vorratsbeschlüssen 201 geht auf verschiedene Anstöße zurück. Es gab Befürchtungen, dass deutsche Gesellschaften im internationalen Vergleich weniger gegen feindliche Übernahmen geschützt seien als ausländische. Auch wünschte sich die eine oder andere Gesellschaft Abwehrwaffen in der Form von poison pills nach US-amerikanischem Muster2. Schließlich wurde befürchtet, dass die im Übernahmekampf von einer Ad hocHauptversammlung beschlossene Ermächtigung auf tönernen Füßen stehe, da jeder Aktionär (sogar der Bieter selbst, auch wenn er nur eine Aktie hält) Anfechtungsklage gegen den Beschluss erheben könne. Für den Vorstand, so wurde argumentiert, sei das Ergreifen von Abwehrmaßnahmen nicht vertretbar, solange unsicher sei, ob die Ermächtigung vor Gericht Bestand habe3. Vorratsbeschlüsse können die Aktionäre in ihrer Entscheidung über Annahme oder 202 Ablehnung des Übernahmeangebots beschränken, ohne dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Bieter oder der Inhalt des Angebots bekannt sind4. Für die Aktionäre der Zielgesellschaft kann die Tragweite eines solchen Beschlusses schwer zu überschauen sein5. Die Pflichtenbindung des Vorstands und des Aufsichtsrats bei der Ausnutzung des Vorratsbeschlusses hat daher erhebliche Bedeutung. Wegen der weitreichenden Folgen sieht § 33 Abs. 2 für Vorratsbeschlüsse besondere Erfordernisse vor, die neben den allgemeinen aktienrechtlichen Erfordernissen Geltung beanspruchen: Die Abwehrmaßnahmen sind im Ermächtigungsbeschluss der Art nach zu bestimmen (§ 33 Abs. 2 Satz 1). Die Ermächtigung kann für höchstens 18 Monate erteilt werden (§ 33 Abs. 2 Satz 2). Der Beschluss bedarf einer Mehrheit von mindestens 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, sofern die Satzung nicht eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse vorsieht (§ 33 Abs. 2 Satz 3). Der Vorstand kann von der Ermächtigung nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats Gebrauch machen (§ 33 Abs. 2 Satz 4).
1 Nach DiskE und RefE konnte nämlich die Hauptversammlung – wie in der damaligen Fassung der geplanten Übernahmerichtlinie – Vorstand und Aufsichtsrat im Hinblick auf Abwehrmaßnahmen nur zu Kapitalerhöhungen unter Wahrung des Bezugrechts und nur für eine Dauer von maximal 18 Monaten ermächtigen. 2 Siehe etwa Jennen/Ehrlich, „EU-Übernahmekodex beschlossen“, Financial Times Deutschland v. 7.6.2001, S. 1. 3 Gemeinsame Stellungnahme des BDI, DIHT und BDA zum RefE vom 30.3.2001, S. 4. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 75; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 40. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; kritisch daher Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 768.
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203 Vorratsbeschlüsse gemäß § 33 Abs. 2 haben, wie es prognostiziert wurde1, nur äußerst geringe praktische Bedeutung erlangt2. Für die potentielle Zielgesellschaft ist es wenig attraktiv, sich nicht nur als potentielles Übernahmeziel darzustellen, sondern mit einem nicht unerheblichen Aufwand begründen zu müssen3, warum gegen eine Übernahme, deren Einzelheiten noch gar nicht feststehen, vorsorglich zu Abwehrmaßnahmen ermächtigt werden soll.
II. Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung 1. Zeitlicher Anwendungsbereich 204 Die Vorschriften des § 33 Abs. 2 gelten für Ermächtigungen, die die Hauptversammlung „vor dem in § 33 Abs. 1 Satz 1 genannten Zeitraum“, also vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, erteilt. Teilweise wird vertreten, diese zeitliche Abgrenzung sei bedeutungslos und die Ermächtigung könne auch danach beschlossen werden4. In der Tat ist kein Grund ersichtlich, weshalb nach der Veröffentlichung nach § 10 eine Sperre für Ermächtigungsbeschlüsse gelten sollte. Der Zielgesellschaft kann es nicht verwehrt werden, nach der Veröffentlichung einer Übernahmeabsicht Beschlüsse nach § 33 Abs. 2 im Hinblick auf künftige andere Übernahmeangebote zu fassen, und es wäre seltsam, wenn das Gebrauchmachen von der Ermächtigung für das laufende Angebotsverfahren gesperrt wäre. Der Vorstand wird allerdings verpflichtet sein, in einem solchen Fall der Hauptversammlung darzulegen, ob und in welchem Umfang ein Gebrauchmachen von der Ermächtigung im Rahmen des anstehenden Übernahmeversuchs beabsichtigt ist. Mit anderen Worten: Gemäß § 33 Abs. 2 qualifizierte Beschlüsse sind nicht deswegen anfechtbar, weil sie nach der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots getroffen worden sind5. 2. Handlungen zur Verhinderung von Übernahmeangeboten 205 Die Hauptversammlung kann den Vorstand zu Handlungen ermächtigen, „um den Erfolg von Übernahmeangeboten zu verhindern“. Dabei wurde die Formulierung „um zu verhindern“ bewusst gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, dass hier – im Gegensatz zu § 33 Abs. 1 Satz 1 – nicht auf die objektive Eignung der Ermächtigung, sondern auf deren Zweck (Abwehr eines Angebots) abzustellen ist6. Demnach entfaltet § 33 Abs. 2 nur in den Fällen Bedeutung, in denen die Hauptversammlung dem Vorstand das Ziel der Abwehr eines Übernahmeangebots ausdrücklich aufgibt. Von 1 Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 129; Krause, NJW 2002, 705, 712; Thoma, NZG 2002, 105, 111; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 12; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 201. 2 Der einzige bekannt gewordene Fall sind die Vorratsbeschlüsse der IM Internationalmedia AG, Elektronischer BAnz. v. 17.4.2003 und v. 27.5.2004; hierzu LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/04, AG 2005, 261 mit Anm. Grunewald, EWiR, § 33 WpÜG 1/05, 139. 3 LG München v. 23.12.2004 – 5 HKO 15081/04, AG 2005, 261 f. 4 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 108; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 109 ff.; a.A. wohl Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 197, 199; vgl. zur ähnlichen Diskussion beim genehmigten Kapital unter dem Stichwort Subsidiarität Bayer in MünchKomm. AktG, § 202 Rz. 80 ff. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 111. 6 Bayer, ZGR 2002, 588, 610; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 35; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 138 f.; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 108 (objektive Eignung).
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§ 33 Abs. 2 unbeeinflusst sind Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung, deren Umsetzung möglicherweise objektive Verhinderungseignung hat, die aber nicht spezifisch zur Übernahmeabwehr eingeholt werden. Dafür gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen. Bei der Ausnutzung eines solchen Beschlusses unterliegt der Vorstand den Regelungen von § 33 Abs. 1 (vgl. zum Ganzen Rz. 137 ff.). Ob es sich um einen Beschluss nach § 33 Abs. 2 handelt, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Angesichts der spezifischen Anforderungen von § 33 Abs. 2 wird es kaum Zweifelsfälle geben. 3. Zuständigkeit der Hauptversammlung a) Allgemeines Die Hauptversammlung kann den Vorstand zur Vornahme von Handlungen ermäch- 206 tigen, „die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen“. Dieses Merkmal beruht auf der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages und wird teilweise so verstanden, dass die Hauptversammlung in Durchbrechung der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung sämtliche Entscheidungen in ihrem Zuständigkeitsbereich an den Vorstand delegieren kann1 – also auch die Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 174 Abs. 1 AktG), über die Zustimmung zu einem Unternehmensvertrag (§ 293 Abs. 1 oder 2 AktG) oder gar die Liquidation der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG)2. Der Wortlaut könnte in der Tat zu dieser Schlussfolgerung Anlass geben, weil sich 207 danach die Zuständigkeit der Hauptversammlung auf die Handlungen bezieht, zu denen der Vorstand ermächtigt wird. Dieses Verständnis der Norm, das im Rahmen von § 33 Abs. 2 eine Komplettrevision der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung bewirken würde, ist indes nicht zutreffend3. Die Begründung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses gibt für eine zuständigkeitsdurchbrechende Wirkung des § 33 Abs. 2 nichts her4. § 33 Abs. 2 gilt nur für solche Handlungen, zu denen die Hauptversammlung den Vorstand im Rahmen der einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften ermächtigt5. Das betrifft insbesondere die „klassischen“ Ermächtigungstatbestände des Aktienrückkaufs nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG und des genehmigten Kapitals. Ermächtigungen zu Maßnahmen im Bereich der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands (§ 119 Abs. 2 AktG) sind denkbar; ihre Wirkung besteht darin, die Sperre von § 33 Abs. 1 Satz 1 zu beseitigen und dem Vorstand aufzugeben, bei Ausnutzen der Ermächtigung die Verhinderungseignung als für die Maßnahme sprechendes Element in die Abwägung einzubeziehen.
1 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131 (aber kritisch); Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 37 ff.; wohl auch Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 76. 2 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131. 3 Ebenso Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 96 f.; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 141 ff.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 102; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 204; kritisch auch Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 131 („Fremdkörper“). 4 „Maßnahmen, die nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, verbleiben weiterhin in deren Zuständigkeit. Derartige Maßnahmen kann der Vorstand daher nur dann durchführen, wenn er hierzu von der Hauptversammlung ermächtigt wurde.“ – BT-Drucks. 14/7477, S. 53; zur Begründung des Finanzausschusses näher 1. Aufl., Rz. 206. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 97; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 204; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 141 ff.
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b) Einzelfälle aa) Aktienrechtlich vorgesehene Ermächtigungen 208 Nach der hier vertretenen Auffassung sind Vorratsbeschlüsse möglich, wenn die aktienrechtlichen Vorschriften und die dazu in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsgrundsätze zulassen, dass eine im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung liegende Maßnahme dem Vorstand übertragen werden kann. In Betracht kommen die Ausnutzung genehmigten Kapitals zur Durchführung einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre1, der Erwerb eigener Aktien (ohne dass einer der Zwecke der in § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 AktG vorliegen müsste)2 oder die Ausgabe von Bezugsrechten an Arbeitnehmer oder Mitglieder der Geschäftsleitung auf der Grundlage bedingten Kapitals gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG3. Vielfach wird auch der Abschluss und teilweise auch die Aufhebung von Unternehmensverträgen dazu gezählt4. Das ist unzutreffend. Für den Abschluss als solchen ist ohnehin der Vorstand zuständig, und die (zwingend erforderliche) Zustimmung der Hauptversammlung (§ 293 AktG) kann nur zu einem bereits abgeschlossenen Vertrag oder einem finalen, nicht mehr der Änderung unterliegenden Entwurf erteilt werden (vgl. § 293f Abs. 1 Nr. 1 AktG); eine „Ermächtigung“ ist aktienrechtlich ausgeschlossen. Die Aufhebung (§ 296 AktG) ist eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands, die der freiwilligen Vorlage an die Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG unterliegt; insoweit kommt grundsätzlich eine Ermächtigung nach § 33 Abs. 2 in Betracht (vgl. Rz. 209). Wenn die Hauptversammlung den Vorstand im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 2 zur Vornahme von Handlungen ermächtigt, „um den Erfolg von Übernahmeangeboten zu verhindern“ (§ 33 Abs. 2 Satz 1), treten die speziellen Vorgaben des § 33 Abs. 2 neben die nach allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen an derartige Beschlüsse zu stellenden Anforderungen (siehe unten Rz. 220 f.). bb) Geschäftsführungsmaßnahmen 209 Schwierig und umstritten ist die Frage, ob und in welchem Umfang die Hauptversammlung den Vorstand nach § 33 Abs. 2 zu Geschäftsführungsmaßnahmen ermächtigen kann5. Soweit keine richterrechtlich zwingende Befassung nach „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätzen6 vorliegt, würde es sich aktienrechtlich um einen Ermächtigungsbeschluss im Rahmen von § 119 Abs. 2 AktG handeln. Da der Vorstand aktienrechtlich insoweit einer Zustimmung der Hauptversammlung nicht be1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 43; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 102; Marsch-Barner in Bad Homburger Hdb., E 60; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 99; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 206. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 102; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 99. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 99; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 206. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 99; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 206; 1. Aufl., Rz. 208. 5 Für die Zulässigkeit LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261 („Veräußerung wesentlicher Vermögensgegenstände der Gesellschaft, Zukauf von Beteiligungen oder Vermögensgegenständen, die dem Unternehmenszweck der Gesellschaft dienen“); Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 104; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 145; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 77; im Ergebnis auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 205; a.A. Ekkenga in FS Kümpel, 2003, S. 95, 106. 6 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575.
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darf, kann die Ermächtigung nur den Zweck haben, eine etwaige Sperre nach § 33 Abs. 1 Satz 1 aufzuheben1 und die Übernahmeverhinderung als Rechtfertigung der Maßnahme zuzulassen (Rz. 207). Insoweit bestehen gegen einen Ermächtigungsbeschluss nach § 33 Abs. 2 keine Bedenken2. Hiervon ging auch der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages aus, was darin zum Ausdruck kommt, dass er als Beispiel für die Bezeichnung der „auf Vorrat“ genehmigten Maßnahmen die „Veräußerung von Beteiligungen“ aufführt3. Im Anwendungsbereich der „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätze bedarf es allerdings aus aktienrechtlichen Gründen zusätzlich einer Zustimmung der Hauptversammlung. Davon dispensiert § 33 Abs. 2 gerade nicht (Rz. 206 f.). Für die Erteilung der Zustimmung gelten die aktienrechtlichen Grundsätze (siehe unten Rz. 216).
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Eine allgemeine Zuständigkeit der Hauptversammlung für Verteidigungsmaßnahmen besteht nicht4. Dies widerspräche dem Gesetz gewordenen Regelungskonzept des § 33 und ließe Vorstand und Aufsichtsrat keinen Spielraum, Abwehrmaßnahmen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 zu ergreifen5.
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cc) Weitere Maßnahmen Nach verbreiteter Ansicht soll es möglich sein, den Vorstand zu allen Handlungen 212 zu ermächtigen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, also auch zur Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns, die Verschmelzung oder Auflösung der Gesellschaft. Dem ist aus den oben dargelegten Gründen nicht zu folgen6. Unzulässig ist auch die allgemeine Ermächtigung des Vorstands zur Vornahme von gesellschaftsschädigenden Maßnahmen, etwa die Veräußerung von Vermögensgegenständen der Gesellschaft unter Wert7. Obwohl der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum WpÜG8 die Klarstellung gefordert hatte, dass Vorratsbeschlüsse keine vermögensmindernden Maßnahmen zum Gegenstand haben dürften, und der Deutsche Bundestag dem nicht gefolgt ist, ergibt sich dies gleichwohl daraus, dass Ermächtigungsbeschlüsse nach § 33 Abs. 2 im Rahmen der Ausnutzung durch den Vorstand nur das allgemeine Verhinderungsverbot nach § 33 Abs. 1 Satz 1 überwinden, nicht aber sonstige rechtliche Restriktionen9. Eine Ermächtigung des Vorstands zur grundlegenden Neuausrichtung der Geschäftspolitik10 wird für § 33 Abs. 2 kaum eine Rolle spielen, weil übernahmeverhindernde 1 Vgl. Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 21. 2 LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261. 3 BT-Drucks. 14/7477, S. 53. 4 Kiem, ZIP 2000, 1509, 1513 f.; Krause, AG 2000, 217, 221; a.A. noch Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1390; Mülbert, IStR 1999, 83, 88. 5 Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 249; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 12; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 18; Röh/Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor §§ 33 ff. Rz. 69; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103. 6 Rz. 206 f.; zu der abweichenden Lage bei Ad hoc-Beschlüssen der Hauptversammlung oben Rz. 191 f. 7 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 83; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103; einschränkend Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 79. 8 BT-Drucks. 14/7034, S. 85 f. 9 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 15; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 103; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 209. 10 Dazu Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 104.
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Wirkung nicht der Strategiewechsel als solcher sondern ggf. die zur Umsetzung des Strategiewechsels getroffenen Maßnahmen haben werden. Die Ermächtigung zu solchen Maßnahmen kann in den bereits dargelegten Grenzen durch die Hauptversammlung erteilt werden. Sofern man – im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung – das Gegenangebot auf den Bieter (pac man) oder eine dritte Gesellschaft zu den Maßnahmen zählt, die dem Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 unterfallen (hierzu oben Rz. 110), kommt die Ermächtigung des Vorstands zur Abgabe eines solchen Angebots praktisch wohl nur als Ad hoc-Beschluss in Betracht1. 4. Inhaltliche und formale Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss a) Bestimmung der Abwehrmaßnahme „der Art nach“ 214 Die Maßnahmen, zu denen der Vorstand ermächtigt wird, sind in der Ermächtigung „der Art nach“2 zu bestimmen (§ 33 Abs. 2 Satz 1). Diese Vorschrift will verhindern, dass der Vorstand pauschal vom Vereitelungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 entbunden wird und für Abwehrmaßnahmen carte blanche erhält3. 215 Der Inhalt des Ermächtigungsbeschlusses muss hinreichend bestimmt sein. Abstrakte Beschreibungen dergestalt, dass die Ermächtigung zur „Durchführung einer Kapitalerhöhung (oder) Veräußerung von Beteiligungen“ erfolgt, sind übernahmerechtlich grundsätzlich ausreichend4. Ebenso wäre es übernahmerechtlich zulässig, einen Maßnahmenkatalog zu beschließen5. Eine Blankettermächtigung zu allen zur Abwehr geeigneten oder zweckmäßigen Maßnahmen ist unzulässig6. Der Beschluss der Hauptversammlung kann weitere inhaltliche Anforderungen stellen, etwa festsetzen, unter welchen weiteren Voraussetzungen der Vorstand die Ermächtigung ausnutzen darf7. 216 Welche inhaltlichen Anforderungen an die Ermächtigung zur Veräußerung von Vermögensgegenständen zu stellen sind, die auch Transaktionen jenseits der „Holzmüller/Gelatine“-Schwelle umfassen soll, ist offen. Teilweise wird die Vorgabe der Konditionen der Veräußerung für entbehrlich gehalten8. Weil jedoch die aktienrechtlichen Erfordernisse durch § 33 Abs. 2 nicht derogiert werden, muss der Beschluss nach zutreffender Ansicht entweder das konkrete Veräußerungsvorhaben bezeichnen oder die allgemeinen aktienrechtlichen Anforderungen an einen Konzeptbeschluss 1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 104, allerdings mit missverständlichem Hinweis auf § 25. 2 Die Formulierung des Regierungsentwurfs, die die Bestimmung der Maßnahmen „im Einzelnen“ forderte, wurde als zu restriktiv angesehen, u.a. deswegen, weil die Zuständigkeiten der Hauptversammlung und die Sorgfaltspflichten der Organe unverändert bleiben; hierzu DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1007; Gemeinsame Stellungnahme des BDI, DIHT, BDA und GdV zum RegE vom 27.9.2001, S. 3; Krieger, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 315; Thaeter, NZG 2001, 789, 790. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 4 BT-Drucks. 14/7477, S. 53; LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 110; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 13; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 34; vgl. hierzu auch DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1007. 5 LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 118; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 77. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 118; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 215. 8 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 43; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 105; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 79; Drinkuth, AG 2005, 597, 598.
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erfüllen1. Ein allgemeiner, auf die Veräußerung oder den Erwerb von Vermögensgegenständen gerichteter Beschluss nach § 33 Abs. 2 ist damit zwar seinem Inhalt nach zulässig2, dispensiert aber nicht von der (hinreichend) konkreten Zustimmung, soweit sie aktienrechtlich zwingend erforderlich ist3; ggf. ist dazu ein weiterer Hauptversammlungsbeschluss herbeizuführen4. Enthält der Vorratsbeschluss keine Bestimmung der Maßnahmen „ihrer Art nach“, 217 ist der Beschluss nicht gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig, sondern lediglich anfechtbar5. Hierfür spricht, dass die Verletzung von Berichtspflichten bei Ermächtigungsbeschlüssen gemäß §§ 202, 203 AktG ebenfalls nur die Anfechtbarkeit zur Folge hat6. b) Zweckbestimmung Der Vorratsbeschluss muss gestatten, dass von der Ermächtigung zum Zweck der 218 Abwehr eines Übernahmeangebots bzw. zur Abwendung einer drohenden Abhängigkeit (§ 17 AktG) Gebrauch gemacht werden darf7. Diese Gestattung muss nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen Inhalt des Beschlusses sein; ein Hinweis im Rahmen der Vorbereitung des Beschlusses oder in einem eventuell erforderlichen Bericht genügt in der Regel nicht8. Wird genehmigtes Kapital geschaffen, kann die Zweckbestimmung in den Ermächtigungsbeschluss aufgenommen werden („… darf insbesondere auch während der Laufzeit eines Übernahmeangebots ausgenutzt werden“). Alternativ kommt die Schaffung eines besonderen genehmigten Kapitals in Betracht, das ausschließlich während der Laufzeit eines Übernahmeangebots ausgenutzt werden kann („Abwehrkapital“)9. Nicht von § 33 Abs. 2 gedeckt wäre ein Beschluss, der dem Vorstand aufgibt, keine 219 Abwehrmaßnahmen zu ergreifen10. § 33 Abs. 2 regelt nur die Möglichkeit der Ermächtigung zur Durchführung von Abwehrmaßnahmen, nicht aber deren Verbot. Die Zulässigkeit eines solchen Beschlusses würde sich nach allgemeinem Aktienrecht richten. § 23 Abs. 5 AktG ist nicht einschlägig11. Denkbar wäre eine Entscheidung der Hauptversammlung auf Verlangen des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG. 1 Krause, AG 2002, 133, 134; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 208; ähnlich Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 100; Thaeter, NZG 2000, 789, 790; Fleischer/Kalss, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, S. 130; zu den aktienrechtlichen Anforderungen an den Konzeptbeschluss Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rz. 12 m.w.N. 2 Vgl. LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261; Drinkuth, AG 2005, 603 f. 3 Insoweit offenbar a.A. (mit der Folge der Postulation von weitgehenden Berichtserfordernissen) LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 208; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 21. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 118; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 112. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 118; zu §§ 202, 203 AktG BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319, 325 ff. = AG 1982, 252, 253; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88 – Kochs/Adler, BGHZ 107, 296, 306 ff. = AG 1989, 399, 400 ff.; aus der Literatur statt aller Hirte in Großkomm. AktG, § 203 Rz. 121. 7 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 77; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 116; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 213. 8 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 116. 9 Hierzu Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 119. 10 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 42; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 120; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 215. 11 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 120; 1. Aufl., Rz. 219.
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Inwieweit allgemeine geschäftspolitische Fragen mit Dauerwirkung der Hauptversammlung zur Entscheidung vorgelegt werden können, ist dort ungeklärt. Es ist aber davon auszugehen, dass die Hauptversammlung den Vorstand nicht pauschal und mit unbekannten Auswirkungen von der Bindung an das Gesellschaftsinteresse befreien kann; immerhin kann im Einzelfall das Unterlassen von Abwehrmaßnahmen den Umständen nach pflichtwidrig sein. c) Verhältnis zu den aktienrechtlichen Erfordernissen 220 § 33 Abs. 2 schweigt sich über das Verhältnis zu den aktienrechtlichen Anforderungen aus. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass § 33 Abs. 2 nur insoweit davon dispensiert, wie es nach Sinn und Zweck der Regelung erforderlich ist. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 treten demnach grundsätzlich neben die für die Abwehrmaßnahme einschlägigen allgemeinen aktienrechtlichen (Mindest-)Erfordernisse1 (siehe bereits Rz. 208). Die Bezeichnung der Abwehrmaßnahme „der Art nach“ im Vorratsbeschluss entbindet die Zielgesellschaft folglich nicht davon, die gegebenenfalls erforderlichen aktienrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. 221 Ein Vorratsbeschluss, der die Verwaltung zwecks Abwehr eines Übernahmeangebots zur Durchführung einer Kapitalerhöhung ermächtigt, muss demnach den Erhöhungsbetrag nennen2, gegebenenfalls das Bezugsrecht ausschließen3 und die Satzung entsprechend ändern oder an ein bereits bestehendes oder in derselben Hauptversammlung beschlossenes genehmigtes Kapital anknüpfen4. Gleichermaßen müssen Vorratsbeschlüsse, die zum Rückerwerb eigener Aktien ermächtigen, den niedrigsten und höchsten Gegenwert und den Anteil am Grundkapital (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG) entweder selbst oder durch Bezugnahme auf einen anderen Tagesordnungspunkt festlegen5. Die aktienrechtlichen Höchstgrenzen (z.B. § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG) sind zu beachten6. Die Beschlussmehrheit richtet sich nach § 33 Abs. 2 Satz 3. Sonderbeschlüsse sind erforderlich, wenn das Aktienrecht es vorsieht, aber nicht bereits wegen des übernahmerechtlichen Bezugs7. Der Ermächtigungsbeschluss ist nicht generell „inhaltlich“ eine Satzungsbestimmung8; die Aufnahme in die Satzung ist nur erforderlich, soweit sich das aktienrechtlich aus dem Beschlussinhalt (z.B. genehmigtes Kapital) ergibt9. Soweit eine Satzungsänderung erforderlich ist (und nur dann10), 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58 (zur – insoweit unveränderten – Konzeption des § 33 Abs. 2); Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 109; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 101; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 149 f.; zu „Holzmüller“-Beschlüssen Krause, NJW 2002, 705, 712 f.; a.A. Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768 (aber zweifelnd); Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 78 (offensichtlich davon ausgehend, dass die einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften durch § 33 Abs. 2 derogiert werden). 2 von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 149; rechtspolitisch auch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768. 3 von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 149. 4 Vgl. Einladung zur Hauptversammlung der IM Internationalmedia AG, Elektronischer BAnz. v. 17.4.2003; dies verkennend Grunewald, EWiR § 33 WpÜG 1/05, 139. 5 von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 149; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 78. 6 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 78. 7 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 129 (unzutreffend allerdings die Auffassung, die Ermächtigung zum Aktienrückkauf bedürfe generell eines Sonderbeschlusses). 8 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 112, 124. 9 Inkonsequent aber insoweit zutreffend Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 113. 10 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 130.
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gilt für die Einladung § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG, sonst § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. Ein Vorstandsbericht ist zum Beispiel erforderlich, wenn ein genehmigtes Kapital mit Bezugsrechtsausschluss beschlossen werden soll (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG), aber nicht generell1. Wenn die Ermächtigung ausnahmsweise als Konzeptbeschluss eine konkrete Geschäftsführungsmaßnahme betrifft, gelten die dafür entwickelten aktienrechtlichen Informationsanforderungen. Wenn der Ermächtigungsbeschluss für der Art nach bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen „nur“ § 33 Abs. 1 „freischaltet“, besteht für einen besonderen Bericht demgegenüber kein Anlass2 – die Hauptversammlung entscheidet gerade nicht über die Maßnahme selbst (die noch viel zu unbestimmt ist). d) Erfordernis sachlicher Rechtfertigung? Ein Hauptversammlungsbeschluss, der zur Verhinderung eines Übernahmeangebots 222 ermächtigt und die in § 33 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 genannten Anforderungen erfüllt, ist kraft Gesetzes gerechtfertigt. Insoweit schließt § 33 Abs. 2 etwaige sonst bestehende aktienrechtliche Erfordernisse (weiterer) sachlicher Rechtfertigung aus. Eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle darf nicht vorgenommen werden3. Folglich wäre etwa der Ausschluss des Bezugsrechts im Rahmen von Kapitalmaßnahmen zum Zweck der Abwehr eines Übernahmegebots im Rahmen eines Vorratsbeschlusses gemäß § 33 Abs. 2 sachlich gerechtfertigt4. 5. Zeitliche Grenzen der Ermächtigung (§ 33 Abs. 2 Satz 2) Die Hauptversammlung kann die Ermächtigung für höchstens 18 Monate5 erteilen. 223 Diese Frist ist der früheren Fassung von § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG entlehnt (dort wurde mit Wirkung ab dem 1.9.2009 die Frist auf 5 Jahre ausgedehnt). Die Frist muss im Beschluss selbst gesetzt werden; es kann ein festes Enddatum („bis zum 31.7.2014“) oder eine konkrete Frist („18 Monate ab Beschlussfassung“) festgelegt werden6. Fehlt die Fristsetzung oder enthält der Beschluss eine zu lange Frist, kann nicht durch Auslegung auf die gesetzliche Höchstfrist zurückgegriffen werden. Vielmehr ist der Ermächtigungsbeschluss – wie im Parallelfall des Erwerbs eigener Aktien7 – gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig8. Bei einem Verweis auf die gesetzliche Höchstfrist ist das zumindest zweifelhaft. Wenn der Beschluss keine Beschränkung auf 18 Monate enthält, ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich möglicherweise um einen außerhalb von § 33 Abs. 2 gefassten Beschluss handelt, bei dem der Übernahmebezug lediglich den
1 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 84. 2 Weitergehend LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/01, AG 2005, 261 aufgrund eines unzutreffenden Verständnisses von der Reichweite des Beschlusses (dazu Rz. 216). 3 Oben Rz. 192; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 158 ff.; Mai, Aktionärsschutz, 2004, S. 265; wohl auch Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 100; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 89; a.A. Zech, Verhaltenspflichten des Vorstands, 2003, S. 215 ff. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 143; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 80. 5 Kritisch Gemeinsame Stellungnahme des BDI, DIHT, BDA und GdV zum RegE vom 27.9.2001, S. 3. 6 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 78; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 121. 7 Vgl. Hüffer, § 71 AktG Rz. 19e. 8 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 216; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 81; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 78; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 113; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 121.
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allgemeinen Hintergrund, aber nicht die spezifische Zwecksetzung bildet. Das kommt insbesondere bei einem genehmigten Kapital mit einer Frist von mehr als 18 Monaten in Betracht1. 224 Die 18-Monatsfrist zwingt die Hauptversammlung dazu, die Ermächtigung jährlich zu erneuern, wenn ein kontinuierlicher Schutz durch Vorratsbeschluss gewünscht ist. Dies ist beabsichtigt, weil die Aktionäre relativ zeitnah vor einem möglichen Übernahmeangebot entscheiden sollen, ob der Vorstand die potenzielle Veräußerungschance durch Abwehrmaßnahmen vereiteln können soll2. Die vom Bundesrat befürwortete Verlängerung dieser Frist ist nicht Gesetz geworden. 225 Die Frist beginnt am Tag der Beschlussfassung der Hauptversammlung. Dies gilt auch, wenn eine Eintragung in das Handelsregister erforderlich ist (etwa bei der Schaffung genehmigten Kapitals)3; anderenfalls wäre die Zulässigkeit der Maßnahme von der Schnelligkeit des Handelsregisters abhängig. Die Ermächtigung ist fristgerecht ausgeübt, wenn der Beschluss des Vorstands über die Ausnutzung der Ermächtigung innerhalb der 18-Monatsfrist getroffen wird; es ist nicht erforderlich, dass die Maßnahme bis dahin komplett abgeschlossen ist4. Das Fristende bestimmt sich nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften. 226 Nach Ablauf der 18-Monatsfrist kann von der Ermächtigung nicht mehr Gebrauch gemacht werden. Entgegenstehende Beschlüsse des Vorstands und Aufsichtsrats sind nichtig5. Aktionäre können u.U. Unterlassung verlangen (näher Rz. 305, 323)6. Ob auch die möglicherweise ausgegebenen Aktien nichtig sind7, ist für den Fall, dass die zeitlichen Grenzen überschritten sind und der Vorstand damit ohne Ermächtigung handelt, ungeklärt8. Im aktienrechtlichen Schrifttum wird erwogen, die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anzuwenden9. Dies sollte auch hier gelten. 6. Mehrheitserfordernis (§ 33 Abs. 2 Satz 3) 227 Der Ermächtigungsbeschluss bedarf einer Mehrheit von mindestens 75 % des vertretenen Grundkapitals, sofern die Satzung nicht eine größere Kapitalmehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmt10. Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sind auch für 1 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 81. 2 Thaeter, NZG 2001, 789; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 12; Zschocke, DB 2002, 79, 83; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 122. 3 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 121; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 217 (Eintragung maßgeblich). 4 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 45; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 82; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 217. 5 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 Rz. 15; vgl. zu inhaltlich fehlerhaften Organbeschlüssen auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 77 AktG Rz. 28 (Vorstand) und Spindler in Spindler/Stilz, § 108 AktG Rz. 65 (Aufsichtsrat). 6 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 f. Rz. 16. 7 So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 123. 8 Bei pflichtwidriger Ausnutzung einer vorhandenen Ermächtigung entstehen dagegen die Aktienrechte mit Eintragung und können auch nicht mehr nachträglich vernichtet werden; BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 40 Rz. 23; Bayer in MünchKomm. AktG, § 203 Rz. 32, 172 a.E. 9 Hüffer, § 248 AktG Rz. 7a; Bayer in MünchKomm. AktG, § 203 Rz. 31, jeweils m.w.N. 10 Zustimmend Thaeter, NZG 2001, 789; ablehnend Gemeinsame Stellungnahme des BDI, DIHT, BDA und GdV zum RegE vom 27.9.2001, S. 3. Für den Ermächtigungsbeschluss einer in der Übernahmephase abgehaltenen Eil-Hauptversammlung genügt dagegen grundsätzlich die einfache Stimmenmehrheit, Kiem, ZIP 2000, 1509, 1512 ff.
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Zwecke der Kapitalmehrheit nicht stimmberechtigt1. Das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit, die durch die Satzung noch verschärft werden kann, entspricht dem Wortlaut des § 202 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG. Ob eine Verschärfung des Mehrheitserfordernisses zweckmäßig ist, ist allerdings zweifelhaft (hierzu sogleich in Rz. 228). Als weitere Erfordernisse kommen etwa die Bestimmung eines Quorums2 oder die Zustimmung bestimmter Aktionäre oder Inhaber bestimmter Aktien oder Aktiengattungen3 in Betracht. Nicht zulässig sind Bestimmungen, die die Zustimmung verbandsfremder Dritter voraussetzen; sie verstoßen gegen die Satzungsautonomie der Hauptversammlung4. Ebenfalls unzulässig ist die Bestimmung, dass keine Ermächtigungen gemäß § 33 Abs. 2 erteilt werden dürfen; sie verstößt gegen § 23 Abs. 5 AktG5. Die nach § 33 Abs. 2 Satz 3 zulässigen „weiteren Erfordernisse“ spielen in der Praxis keine Rolle. Ein Bieter, der selbst oder zusammen mit ihm gewogenen Dritten 25 % des in der 228 Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals hält, kann die Beschlussfassung gemäß § 33 Abs. 2 verhindern; ein Stimmverbot besteht nicht6. Nicht zuletzt deswegen hatte der Bundesrat gefordert, als Beschlussmehrheit die einfache Stimmenmehrheit vorzusehen7. Der Deutsche Bundestag ist dem jedoch nicht gefolgt. Soweit § 33 Abs. 2 Satz 3 keine Regelung enthält, gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze8. Der Ermächtigungsbeschluss bedarf gemäß § 133 Abs. 1 AktG der einfachen Stimmenmehrheit9; nach Abschaffung der Mehrstimmrechte und (bei börsennotierten Gesellschaften) der Höchststimmrechte ist das Kriterium der einfachen Stimmenmehrheit neben dem Kriterium der qualifizierten Kapitalmehrheit ohne Bedeutung. Ist die Ermächtigung nach den einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften Satzungsbestandteil (z.B. genehmigtes Kapital) oder soll sie freiwillig Bestandteil der Satzung werden, ist ein satzungsändernder Beschluss erforderlich. § 33 Abs. 2 Satz 3 verschafft keine Erleichterung von den aktienrechtlichen Mehrheitserfordernissen10.
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Für den Fall, dass die Zielgesellschaft verschiedene Aktiengattungen ausgegeben hat, 230 trifft § 33 Abs. 2 Satz 3 keine Anordnung über die Erforderlichkeit von Sonderbeschlüssen. Ob Sonderbeschlüsse erforderlich sind, richtet sich nach den für die konkrete Ermächtigung einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften; § 33 Abs. 2 Satz 3 verschafft auch insoweit keine Erleichterung11. Insbesondere für genehmigtes Kapital sind Sonderbeschlüsse jeder Aktiengattung erforderlich (§ 182 Abs. 2, § 202
1 Rieckers in Spindler/Stilz, § 133 AktG Rz. 34. 2 Stein in MünchKomm. AktG, § 179 Rz. 139. 3 Zöllner in KölnKomm. AktG, § 179 Rz. 169; siehe auch RG v. 30.3.1942 – II 96/41, RGZ 169, 65, 81 (zur GmbH). 4 Ganz h.M.; RG v. 30.3.1942 – II 96/41, RGZ 169, 65, 80 (zur GmbH); KG v. 24.1.1929 – 1b X 1001/27, JW 1930, 1412 (zur AG); Hüffer, § 179 AktG Rz. 23 m.w.N.; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 179 Rz. 135 m.w.N.; Zöllner in KölnKomm. AktG, § 179 Rz. 170. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 128. 6 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 114; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 122, 126; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 219. 7 Stellungnahme BRat zum RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 85. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 9 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 47; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 127 f. 10 Bayer, ZGR 2002, 588, 612; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 83. 11 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 129; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 221; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 83.
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Abs. 2 Satz 4 AktG). Für Ermächtigungsbeschlüsse zum Rückerwerb eigener Aktien sind jedenfalls nicht generell Sonderbeschlüsse jeder Gattung erforderlich1. Der Bieter, der an der Zielgesellschaft schon beteiligt ist, ist bei der Abstimmung über den Ermächtigungsbeschluss stimmberechtigt2. 7. Berichtserfordernisse 231 In § 33 Abs. 2 ist eine Berichtspflicht des Vorstands an die Hauptversammlung nicht vorgesehen. Ob der Vorstand zur Berichterstattung verpflichtet ist, bestimmt sich nach den für die konkrete Maßnahme einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften3. Darüber hinaus wird teilweise vertreten, dass der Vorstand die Aktionäre auf die möglichen weitreichenden Folgen des Ermächtigungsbeschlusses hinweisen muss4. Eine derartige allgemeine Hinweispflicht jenseits aktienrechtlicher Berichtspflichten ist dem Aktienrecht fremd und auch übernahmerechtlich nicht begründbar. Die Aktionäre haben es in der Hand, vom Vorstand nach § 131 Abs. 1 AktG detaillierte Auskünfte zu verlangen. 8. Wirksamwerden des Ermächtigungsbeschlusses 232 Der Ermächtigungsbeschluss wird nach allgemeinen aktienrechtlichen Regeln wirksam. Dazu bedarf es zusätzlich zu der Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung (§ 130 Abs. 2 AktG)5 der wirksamen Protokollierung6 und je nach Beschlussgegenstand ggf. der Eintragung in das Handelsregister. 233 Wird gegen den Ermächtigungsbeschluss Anfechtungsklage erhoben, gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze. Der Deutsche Bundestag ist dem Vorschlag des Bundesrats, Ermächtigungsbeschlüsse gemäß § 33 Abs. 2 mit einem stärkeren Bestandsschutz auszustatten7, nicht gefolgt8. Eine Inhaltskontrolle im Sinne des allgemeinen Erfordernisses einer sachlichen Rechtfertigung ist ausgeschlossen (Rz. 192, 222)9. Sofern der Ermächtigungsbeschluss der Eintragung im Handelsregister bedarf, steht die Erhebung der Anfechtungsklage der Eintragung des Ermächtigungsbe-
1 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 129 m.w.N. 2 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 14; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 126; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 219. 3 LG München I v. 23.12.2004 – 5 HK O 15081/04, ZIP 2005, 352, 353 ff.; Drinkuth, AG 2005, 597, 604 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 222; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 84; a.A. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 23; noch anders Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 106, 116 (für Berichtspflicht bei Ausübung der Ermächtigung). 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 60; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 89; widersprüchlich Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 44. 5 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 223. 6 Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 45; Volhard in MünchKomm. AktG, § 133 Rz. 71; Hüffer, § 130 AktG Rz. 22; a.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 223 (Beschlussfeststellung ausreichend); unklar ist allerdings auch vom Standpunkt der h.M., ob der Beschluss nach wirksamer Protokollierung rückwirkend zum Zeitpunkt der Beschlussfeststellung (oder jedenfalls zum Zeitpunkt der Beendigung der Hauptversammlung) als gefasst gilt; davon geht die Praxis offenbar aus, sonst wäre die übliche Dividendenausschüttung am Tag nach der Hauptversammlung kaum erklärbar; näher Roeckl-Schmidt/ Stoll, AG 2012, 225 ff. 7 BT-Drucks. 14/7034, S. 85. 8 Vgl. hierzu Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 13. 9 Der Sache nach auch Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 89.
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schlusses nicht entgegen1; eine Registersperre (wie etwa gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG oder § 319 Abs. 5 Satz 2 AktG) besteht nicht. Erst durch rechtskräftiges Urteil wird der Ermächtigungsbeschluss – mit Wirkung ex tunc – vernichtet (§ 248 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn eine Kapitalerhöhung bereits durchgeführt und eingetragen ist2. Nach Eintritt der Rechtskraft wäre danach die Rückabwicklung der Kapitalerhöhung erforderlich, soweit der Mangel nicht geheilt wird3. Bei einem Handeln in Überschreiten einer bestehenden Ermächtigung ist und bleibt eine durchgeführte Aktienausgabe dagegen wirksam4 (siehe auch Rz. 226). Für Ermächtigungsbeschlüsse im Bereich der Kapitalbeschaffung, die der Eintragung in das Handelsregister bedürfen, steht das Freigabeverfahren nach § 246a AktG zur Verfügung5. 9. Aufhebung und Änderung der Ermächtigung Der Hauptversammlung steht es frei, ihren Ermächtigungsbeschluss jederzeit auf- 234 zuheben – auch während einer laufenden Annahmefrist6. Die Aufhebung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Konditionen des Übernahmeangebots so günstig sind, dass die Aktionäre das Risiko der Vereitelung durch den Vorstand nachträglich begrenzen möchten. Die Aufhebung erfolgt gemäß allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen durch einfachen Gegenbeschluss, der nicht den Anforderungen des § 33 Abs. 2, sondern allein den allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften über die Beschlussfassung und daher insbesondere keinen qualifizierten Mehrheitserfordernissen unterliegt7. Sonderbeschlüsse sind ebenfalls nicht erforderlich8. Ist die Ermächtigung dagegen bereits in das Handelsregister eingetragen, kann etwa ein genehmigtes Kapital nur durch Satzungsänderung wieder aufgehoben werden9. Die Änderung des Ermächtigungsbeschlusses ist zulässig. Nach herrschender Auffas- 235 sung im aktienrechtlichen Schrifttum gelten für die Änderung der Ermächtigung stets, d.h. vor und nach ihrer Eintragung im Handelsregister, die für die Ermächtigung geltenden Anforderungen, im Falle des genehmigten Kapitals also insbesondere § 202 AktG10. Konsequenterweise müssten dann auch die Anforderungen des § 33 Abs. 2 und die einschlägigen aktienrechtlichen Erfordernisse gelten, wenn die Mög1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 152; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 224. 2 BGH v. 14.7.1998 – XI ZR 173/97, BGHZ 139, 225, 231 f.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 248 Rz. 7; Hüffer, § 248 AktG Rz. 7a (jeweils m.w.N.); die h.M. wendet die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft an. 3 Zu den Einzelheiten Hüffer, § 248 AktG Rz. 7a m.w.N.; Hirte in Großkomm. AktG, § 203 Rz. 138 ff. 4 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 40 Rz. 23; Bayer in MünchKomm. AktG, § 203 Rz. 32, 172 a.E. 5 Zum Anwendungsbereich Hüffer, § 246a AktG Rz. 4 ff. 6 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 41; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 225; a.A. offenbar Drygala, ZIP 2001, 1861, 1865; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 96. 7 So die allgemeine Meinung zur Aufhebung eines genehmigten Kapitals; Hüffer, § 202 AktG Rz. 18; Lutter in KölnKomm. AktG, § 202 Rz. 7; Krieger in MünchHdb. AG, § 58 Rz. 6. 8 Hirte in Großkomm. AktG, § 202 Rz. 103; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 179 Rz. 183. 9 Hüffer, § 202 AktG Rz. 18; Lutter in KölnKomm. AktG, § 202 Rz. 7; Hirte in Großkomm. AktG, § 202 Rz. 103. 10 Hüffer, § 202 AktG Rz. 18; Lutter in KölnKomm. AktG, § 202 Rz. 7; Krieger in MünchHdb. AG, § 58 Rz. 6.
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lichkeit der Ausnutzung in der Übernahmesituation aufrechterhalten wird. Nach der Gegenauffassung soll die Änderung der Ermächtigung vor ihrer Eintragung im Handelsregister durch einfachen Gegenbeschluss möglich sein, wenn die Änderung gegenüber der beschlossenen Ermächtigung ein Minus darstellt, also etwa das Volumen des genehmigten Kapitals verringert oder die Dauer der Ermächtigung verkürzt wird1. Wenn man dieser Auffassung folgt, dürften dort, wo ein Gegenbeschluss möglich ist, auch die Anforderungen des § 33 Abs. 2 keine Anwendung finden.
III. Handlungen des Vorstands aufgrund der Ermächtigung (§ 33 Abs. 2 Satz 4) 1. Allgemeines 236 Will der Vorstand eine Abwehrmaßnahme auf einen Ermächtigungsbeschluss gemäß § 33 Abs. 2 stützen, muss die Ermächtigung wirksam sein; sie darf nicht an formellen oder materiellen Mängeln leiden, die die Nichtigkeit des Ermächtigungsbeschlusses zur Folge haben. Weiterhin muss die Abwehrmaßnahme die Voraussetzungen erfüllen, die im Ermächtigungsbeschluss und ggf. dem vom Vorstand vor Beschlussfassung erstatteten Bericht aufgestellt worden sind2. Der Vorstand entscheidet über den Gebrauch der Ermächtigung nach pflichtgemäßem Ermessen3. Bei seiner Ermessensentscheidung hat sich der Vorstand ausschließlich vom Gesellschaftsinteresse leiten zu lassen (§ 3 Abs. 3). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Hauptversammlung den Vorstand gerade zum Zweck der Übernahmeverhinderung mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten ausgestattet hat. Das Handeln spezifisch zum Zwecke der Verhinderung der Übernahme ist nicht nur zulässig, sondern die Verhinderung der Übernahme kann im Rahmen der Abwägung zur Rechtfertigung des Handelns herangezogen werden. Hat die Hauptversammlung als Teil des Beschlusses nach § 33 Abs. 2 Leitlinien für die Ermessensausübung beschlossen, ist der Vorstand hieran gebunden. Eine Verpflichtung zum Gebrauch der Ermächtigung besteht nicht4. 237 Daneben unterliegt der Vorstand grundsätzlich den durch das Aktienrecht gezogenen Grenzen5. Wenn das uneingeschränkt gelten würde, wäre § 33 Abs. 2 allerdings überflüssig. Vielmehr ist zu differenzieren: Konkrete aktienrechtliche Beschränkungen sind zu beachten. Von ihnen kann die Hauptversammlung nicht befreien6. Unzulässig ist die Ausgabe von Aktien unter dem geringsten Ausgabebetrags (§ 9 Abs. 1 AktG). Wenn Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts ausgegeben werden, ist die Ausgabe zu einem unangemessen niedrigen Ausgabepreis verboten (§ 255 Abs. 2 AktG). Ein striktes Gebot der Optimierung des Ausgabepreises gibt es dagegen nicht; insbesondere ist der Vorstand nicht zwingend an den Angebotspreis als Mindestpreis gebunden7. In den Grenzen der „Holzmüller/Gelatine“-Rechtsprechung des BGH 1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 133. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 115; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 144. 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 116; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 399; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 227; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 114. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 227. 5 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 15; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 100. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 228. 7 Vgl. zur Frage des Berücksichtigung eines den inneren Wert übersteigenden Börsenkurses Hüffer in MünchKomm. AktG, § 255 Rz. 19; ähnlich wie hier Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 85 f.; a.A. 1. Aufl., Rz. 237; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Röh in FrankfKomm.
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muss die Zustimmung der Hauptversammlung eingeholt werden, wenn sie nicht bereits hinreichend konkret durch den Ermächtigungsbeschluss erteilt wurde1. Die aktienrechtlichen Höchstgrenzen für den Rückkauf eigener Aktien und die Ausgabe von Aktien aus genehmigtem Kapital sind anwendbar2. Dagegen darf der Vorstand im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens die Zwecke der Ermächtigung in Rechnung stellen. Eine in diesem Umfang von der Gesellschaft operativ nicht zwingend benötigte Kapitalerhöhung ist deshalb regelmäßig zulässig3. Gleiches gilt für die Festsetzung eines sehr niedrigen Ausgabebetrags bei einer Bezugsrechtsemission. Der Vorstand kann sich gegenüber dem Bieter oder anderen Dritten nicht generell da- 238 zu verpflichten, die Ermächtigung auszunutzen oder dies zu unterlassen4. Das wäre eine mit §§ 76, 93 Abs. 1 AktG nicht vereinbare generelle Bindung seines unternehmerischen Ermessens. Wenn der Vorstand allerdings eine Maßnahme – z.B. die Veräußerung eines wesentlichen Vermögensteiles – vereinbart, zu deren Durchführung er der Ermächtigung bedarf, ist er nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen dazu verpflichtet, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die die Durchführung des Vertrags ermöglichen. Dazu kann sich der Vorstand auch ausdrücklich verpflichten. Berichtspflichten des Vorstands über die Ausnutzung der Ermächtigung richten sich 239 nach dem Inhalt der Maßnahme5. Für Aktienrückkäufe gilt § 71 Abs. 3 Satz 1 AktG. Über die Ausnutzung genehmigten Kapitals ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf der nächsten Hauptversammlung Bericht zu erstatten6. 2. Zustimmung des Aufsichtsrats Handlungen des Vorstands auf der Grundlage eines Vorratsbeschlusses bedürfen der 240 Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 2 Satz 4). Der Gesetzgeber sah hierin das Korrelat für den Umstand, dass der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung nicht in Kenntnis des konkreten Angebots erfolgt7. Diese Zustimmung ist grundsätzlich vor Durchführung der Maßnahmen zu erteilen8. Anders als bei Abwehrmaßnahmen auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 Satz 2 (dazu Rz. 179) lässt die h.M. hier
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WpÜG, § 33 Rz. 101; Rodewald, BB 2004, 613; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 228. Oben Rz. 216. Oben Rz. 221; a.A. diejenigen, die davon ausgehen, dass die aktienrechtlichen Erfordernisse durch § 33 Abs. 2 derogiert werden; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768 (aber zweifelnd); Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 85. Vgl. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 85 f.; a.A. 1. Aufl., Rz. 237; Krause, BB 2002, 1053, 1059; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 101; von Nussbaum, Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft, 2003, S. 165. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 115; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 87. A.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 228; 1. Aufl., Rz. 238 (keine Berichtspflicht). BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 = NJW 1997, 2815 = AG 1997, 465; BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta I, BGHZ 164, 241 = NZG 2006, 18, 19 = AG 2006, 36; siehe auch OLG Frankfurt a.M. v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, NZG 2012, 1029, 1030 = AG 2011, 713. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. Dies folgt aus der Funktion der Zustimmung als präventives Überwachungsinstrument und entspricht im Übrigen der Auslegung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, vgl. Begr. RegE, BTDrucks. 14/7034, S. 58; so auch Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 231.
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jedenfalls in Ausnahmefällen, etwa bei Eilbedürftigkeit, die nachträgliche Zustimmung zu1. 241 Ob der Aufsichtsrat in ein ganzes Spektrum verschiedener Handlungsoptionen einwilligen kann2, ist zweifelhaft. Die Zustimmung darf jedenfalls nicht soweit reichen, dass der Zweck des Zustimmungserfordernisses, die Kontrolle des Vorstandshandelns in der konkreten Übernahmesituation zu ermöglichen3, konterkariert wird. Im Übrigen kann der Aufsichtsrat die Entscheidungsbefugnis auf einen Ausschuss übertragen4. 3. Zeitpunkt der Ausnutzung der Ermächtigung 242 § 33 Abs. 2 kennt keine zeitliche Begrenzung der Ausnutzung der Ermächtigung. Die Ermächtigung kann deshalb grundsätzlich jederzeit ausgenutzt werden. Allerdings muss die Übernahmeabsicht konkret genug vorliegen, damit die Maßnahme der Zwecksetzung der Ermächtigung gerecht werden kann. „Irreversible“ Maßnahmen sind zulässig, wenn sie sich unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des Ermächtigungsbeschlusses in dem durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gezogenen Rahmen halten. Ob ein Abwarten der Angebotsunterlage möglich und erforderlich ist, muss der Vorstand im Einzelfall abwägen5.
E. Übernahmeprophylaxe 243 Die aktien- und übernahmerechtlichen Beschränkungen von Abwehrmaßnahmen und die begrenzte Zeit, die im Übernahmekampf zur Verfügung steht, können den Vorstand veranlassen, über Ermächtigungsbeschlüsse gemäß § 33 Abs. 2 hinaus über Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe nachzudenken6. Veranlassung hierzu besteht insbesondere dann, wenn die im Kern betriebswirtschaftliche „Analyse der Verwundbarkeit“7 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Gesellschaft als Zielscheibe von Übernahmeangeboten in Betracht kommt. Hier wie in anderen Zusammenhängen ist allerdings das Errichten von Mauern am Ende wenig erfolgversprechend. Wirksame Verteidigungsmaßnahmen sind ein stabiler Aktionärskreis und ein erfolgreiches Management, das bestehende Wertsteigerungspotentiale ständig nützt und damit für einen hohen Börsenkurs mit wenig Luft nach oben sorgt. Selbst ein stabiler Aktionärskreis hat sich in der Vergangenheit gelegentlich als anfällig für die Verlockungen eines attraktiven Preises erwiesen. Hinzu kommt, dass ein Vorstand, der sich in einer nach außen sichtbaren Weise auf die Erschwerung einer Übernahme 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 50; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 231; großzügiger Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 137; a.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 117. 2 So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 137. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 136; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 231; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 50; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 398. 5 Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 86; a.A. (generelle Verpflichtung, die Angebotsunterlage abzuwarten) 1. Aufl., Rz. 241; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724, 732; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 30, 48; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 232. 6 von Falkenhausen, NZG 2007, 97 ff.; Klemm/Reinhardt, NZG 2010, 1006; Schanz, NZG 2007, 927, 930 ff.; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 174 ff.; Süßmann, NZG 2011, 1281 ff. 7 Krause, AG 2002, 133, 134; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 180.
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durch das Errichten von Hürden konzentriert, am Kapitalmarkt wenig populär sein wird. Nicht Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen sind gesetzliche Maßnahmen, die gewollt oder ungewollt Übernahmen erschweren. Dazu zählen Transparenzanforderungen bei Stimmrechtsbeteiligungen (§§ 21 ff. WpHG)1. Die Erweiterung von Meldepflichten wird in der Regel mit dem Interesse von Minderheitsaktionären an Teilnahme am Kursanstieg begründet2. Wenn das relevante Instrument aber der Übernahmevorbereitung dient und seine Funktionsweise durch die Meldepflicht konterkariert wird, wird die Meldepflicht u.U. den Übernahmeplan verhindern und damit den Kursanstieg gerade vereiteln, an dem die Minderheit beteiligt werden soll.
I. Zulässigkeit Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe sind nicht schrankenlos zulässig. Das Ver- 244 hinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 ist allerdings nicht einschlägig, da sein Anwendungsbereich erst mit der Veröffentlichung zur Entscheidung der Abgabe eines Übernahmeangebots durch den Bieter beginnt. Für Vorratsbeschlüsse nach § 33 Abs. 2 gelten die dafür einschlägigen spezifischen Voraussetzungen (siehe oben Rz. 200 ff.). Im Übrigen unterliegen Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe den allgemeinen aktienrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Beschränkungen3. Fraglich ist hingegen, ob sich Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe darüber hinaus 245 an einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ messen lassen müssen, wie sie vor Inkrafttreten des WpÜG de lege lata ganz überwiegend angenommen wurde4. Ob diese Neutralitätspflicht auch außerhalb eines konkreten Übernahmeangebots besteht, hatten nur wenige untersucht. Wenn man sie als kapitalmarktrechtliche Norm versteht, die dem Vorstand verbietet, zwischen dem Bieter und den Aktionären angebahnte Transaktionen zu vereiteln („Vereitelungsverbot“)5, folgt daraus, dass sich ihr Anwendungsbereich auf die Übernahmephase beschränkt. Wenn man sie dagegen als verbandsrechtliche Norm begreift, die dem Vorstand grundsätzlich verbietet, die Zusammensetzung des Aktionärskreises im eigenen Interesse zu beeinflussen6, wäre konsequenterweise anzunehmen, dass sich auch Maßnahmen der 1 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 185. 2 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 25a WpHG Rz. 1. 3 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1399; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 61. 4 Eingehend Hopt, ZGR 1993, 534; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361; ferner Altmeppen, ZIP 2001, 1073; Baudisch, AG 2001, 251; Baums in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 165, 175 ff.; Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 1, F 214; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241; Grunewald, AG 2001, 288; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122 ff.; Hopt in FS Koppensteiner, 2001, S. 61, 85; Kiem, ZIP 2000, 1509, 1510; Krause, AG 2000, 217; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 358 f.; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258; Merkt, ZHR 165 (2001), 224; Mülbert, IStR 1999, 83; Mülbert/Birke, WM 2001, 705; Pötzsch/Möller, WM-Sonderbeil. 2/2000, S. 25; a.A. Kirchner, AG 1999, 481; Kort in FS Lutter, 2000, S. 1421, 1432 ff.; Krieger, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 303 f.; Thümmel, DB 2000, 461, 462 ff.; Wiese/Demisch, DB 2001, 849, 851. 5 Kiem, ZIP 2000, 1509, 1510; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 249; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 259; Grunewald, AG 2001, 228, 289; kapitalmarktrechtlicher Ansatz auch bei Hopt, ZGR 1993, 534, 546, 548; Krause, AG 1996, 209, 214. 6 Jeweils mit verschiedenen Schattierungen Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 14 ff.; 139 ff.; Mestmäcker, BB 1961, 946; später Adams, AG 1990, 243; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1, 112 ff.; Ebenroth/Daum, DB 1991, 1157; Hirte/Schander in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 241, 248 ff.; Hopt, ZGR 1993, 534, 548 ff.; Hopt, ZHR 161
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Übernahmeprophylaxe an ihr messen lassen müssen1. Ein Neutralitätsgebot im Sinne eines generellen Verbots der Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises gibt es indessen nicht (§ 3 Rz. 42). Der Vorstand ist in seinem Handeln auf das Wohl der Gesellschaft verpflichtet (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Handeln aus Eigeninteresse ist pflichtwidrig und schließt die Gewährung unternehmerischen Ermessens aus (Rz. 161 f.). Die aktienrechtlichen Pflichtenbindungen und das sich aus einer Gesamtschau von § 33 Abs. 1 Satz 1 und 2 (samt den dort ebenfalls anwendbaren aktienrechtlichen Pflichten) ergebende Pflichtenprogramm unterscheiden sich kaum oder nur insoweit, wie auf der Sachverhaltsebene die unterschiedliche Nähe der Übernahmesituation Unterschiede in den Handlungsoptionen bedingt. Damit bestehen auch keine Wertungswidersprüche zwischen den Verhaltensmaßstäben vor und nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots.
II. Zuständigkeit für Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe 246 Die Zuständigkeit für Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe bestimmt sich nach den aktienrechtlichen Vorschriften. Als Maßnahmen der Geschäftsführung fallen sie grundsätzlich in den Kompetenzbereich des Vorstands, solange sie nicht in den engen aktienrechtlichen Grenzen der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen.
III. Offenlegung 247 Abgesehen von den jeweiligen aktienrechtlichen Anforderungen an die konkrete Maßnahme bestehen keine spezifisch übernahmerechtlichen Offenlegungspflichten. Über bestimmte übernahmerechtlich relevante Sachverhalte ist im Lagebericht nach §§ 289 Abs. 4 und 315 Abs. 4 HGB zu berichten (hierzu oben Rz. 37 ff., 42).
IV. Einzelne Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe 248 Im Folgenden sollen ausgewählte Maßnahmen der Übernahmeprophylaxe, nach strategischer Zielrichtung gegliedert, näher beleuchtet werden2.
(1997), 368, 391; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1375 ff.; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122 ff.; Immenga/Noll, Feindliche Übernahmeangebote aus wettbewerbspolitischer Sicht, 1990, S. 14 ff., 32 ff.; Knoll, Übernahme von Kapitalgesellschaften, 1992, S. 273 ff.; Krause, WM 1996, 845, 851; Krause, AG 1996, 209, 214; Krause, AG 2000, 217, 218; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 357 f.; Lüttmann, Kontrollwechsel bei Kapitalgesellschaften, 1992, S. 168; Michalski, AG 1997, 152, 159; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 26; Mülbert, IStR 1999, 83, 87; Rümker in FS Heinsius, 1991, S. 683, 688 ff. 1 Mülbert, IStR 1999, 83, 88 (Fn. 46); Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 226, 250; Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 34; ablehnend Hopt, ZGR 1993, 534, 559 f.; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1399; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 4; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 61; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 29; Brandi in Thaeter/Brandi, Teil 3 Rz. 331 f.; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 104; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 255; Wolf, ZIP 2008, 300, 301. 2 Eine Liste, die die im Ausland gebräuchlichen Prophylaxemaßnahmen einschließt, enthält auch der Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten vom 10.1.2002, Anhang 4, S. 85.
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1. Abschottung a) Erwerbsverbote Erwerbsverbote für bestimmte Personen können in der Satzung nicht verankert werden. Sie verstoßen gegen den Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Aktien1 und damit auch gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge2 (siehe aber Rz. 252).
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b) Ankaufs- oder Vorkaufsrechte und sonstige Absprachen mit oder zwischen Aktionären Ankaufs- oder Vorkaufsrechte mit dinglicher Wirkung können in der Satzung nicht 250 verankert werden; dies folgt aus § 54 Abs. 1 AktG3. Vereinbarungen zwischen Aktionären über Verfügungsbeschränkungen sind möglich, wirken jedoch nur schuldrechtlich (§ 137 BGB)4. Ob die Gesellschaft mit Aktionären Verfügungsbeschränkungen vereinbaren kann, ist umstritten5. Aktionärsvereinbarungen insgesamt gehören zu den häufigsten und zu den erfolgversprechendsten, als Abwehrmaßnahmen wahrgenommenen Maßnahmen6. Stimmbindungsvereinbarungen zugunsten der Gesellschaft sind ausgeschlossen (§ 136 Abs. 2 AktG). c) Zwangseinziehung Die Zwangseinziehung von Aktien eines bestimmten Aktionärs ist praktisch kaum 251 möglich7. Sie muss in der Satzung angeordnet oder gestattet sein. Ihr sind nur die Aktien unterworfen, die nach Eintragung der entsprechenden Satzungsänderung im Handelsregister gezeichnet wurden (§ 237 Abs. 1 Satz 2 AktG). d) Vinkulierte Namensaktien Vinkulierte Namensaktien sind nur mit Zustimmung des hierzu berufenen Organs 252 übertragbar8. Sofern die Satzung die Verweigerungsgründe nicht abschließend bestimmt, entscheidet der Vorstand über die Zustimmung zur Übertragung nach pflichtgemäßem, die Interessen der übertragungswilligen Aktionäre und der Gesellschaft abwägenden, durch das Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG gebundenen Ermessen. Danach bleibt allerdings ein recht weiter Bereich von Gründen für die zulässige Versagung der Zustimmung9. Ob börsenrechtliche Restriktionen bestehen, ist umstritten (zum Ganzen siehe oben Rz. 112 ff.). Die nachträgliche Vinkulierung ausgegebe1 BGH v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, WM 1987, 174, 175 = AG 1987, 155; BayObLG v. 24.11.1988 – 3 Z 111/88, ZIP 1989, 638, 640 = AG 1989, 173; Wiesner in MünchHdb. AG, § 14 Rz. 14; Krause, AG 2002, 133, 137. 2 Die mit dem Erwerbsverbot korrespondierende Pflicht, an bestimmte Personen nicht zu veräußern, würde außerdem über das gemäß §§ 54, 55 AktG zulässige hinausgehen, Lutter/ Uwe H. Schneider, ZGR 1975, 182, 185. 3 Drygala in KölnKomm. AktG, § 54 Rz. 24; Henze in Großkomm. AktG, § 54 Rz. 47; Krause, AG 2002, 133, 137; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 173. 4 Lutter/Uwe H. Schneider, ZGR 1975, 182, 187. 5 Dafür Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 54 Rz. 33; Barthelmeß/Braun, AG 2000, 172 ff. m.N. auch zur Gegenansicht; vgl. auch Krause, AG 2002, 133, 138. 6 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 212, 214 f. 7 Krause, AG 2002, 133, 138; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 174. 8 Die Zustimmung erteilt der Vorstand, wenn nicht die Satzung etwas anderes vorsieht, § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG. 9 Vgl. LG Aachen v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 411 ff.
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ner Aktien ist praktisch nicht möglich, da ihr alle betroffenen Aktionäre zustimmen müssen (§ 180 Abs. 2 AktG)1. Gleiches gilt, wenn neue vinkulierte Aktien unter Beachtung des Bezugsrechts der Aktionäre ausgegeben werden, sofern nicht die Satzung eine Vinkulierungsklausel enthält2. Nur wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen wird, ist die Vinkulierung der neuen Aktien durch schlichte Satzungsänderung möglich3. Auch die Verschärfung einer bereits vorhandenen Vinkulierungsklausel kann nur mit Zustimmung aller betroffenen Aktionäre erfolgen4. e) Gewinnung von Großaktionären 253 Großaktionäre, die dem Vorstand gewogen sind und ein Interesse daran haben, an der Gesellschaft beteiligt zu sein und zu bleiben („anchor shareholder“), können unter Umständen schon durch ihre Präsenz feindliche Bieter fernhalten. Wenn die Gewinnung eines solchen Aktionärs im Interesse der Gesellschaft liegt und sich die Kosten im angemessenen Rahmen bewegen, ist entsprechende Überzeugungsarbeit des Vorstands nicht zu beanstanden. Dabei ist zu beachten, dass der Großaktionär seinen eigenen Interessen verpflichtet ist und das Vorhandensein eines (möglicherweise entgegen den Erwartungen ab einem bestimmten Preis doch veräußerungswilligen) Großaktionärs die Übernahme beträchtlich erleichtern kann. Die Finanzierung des Aktienerwerbs durch die Gesellschaft kommt wegen § 71a AktG nicht in Betracht. Die Ausgabe neuer (oder die Veräußerung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erworbener eigener) Aktien en bloc ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses erfüllt sind5, ein angemessener Ausgabe- bzw. Kaufpreis realisiert wird und auch im Übrigen die Grenzen der gegebenen Ermächtigung eingehalten werden. Nach einem Teil der Literatur soll nur der höchstmögliche Preis „angemessen“ sein6. f) Belegschaftsaktien 254 Belegschaftsaktionäre verhalten sich in der Übernahmesituation typischerweise loyal gegenüber dem Vorstand, weil sie Restrukturierungsmaßnahmen des Bieters und damit den Verlust ihrer Arbeitsplätze befürchten. Von ihnen sollte man daher erwarten, dass sie ihre Aktien nicht an feindliche Bieter veräußern. Die Ausgabe von Aktien an Vorstandsmitglieder und Arbeitnehmer aus bedingtem Kapital nach §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG ist auf 10 % des Grundkapitals beschränkt (§ 192 Abs. 3 AktG) und damit von beschränkter Wirkung. Möglich ist auch die Ausgabe von gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 2 oder (bei entsprechender Verwendungsermächtigung) Nr. 8 AktG zurückerworbenen Aktien an die Belegschaft, wofür nach § 71 Abs. 2 AktG ebenfalls eine Grenze von 10 % gilt. Schließlich ist für die Ausgabe von Aktien an Belegschaftsangehörige der Einsatz von Wandel- oder Optionsschuldverschreibun1 Krause, AG 2002, 133, 138; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 172. 2 Lutter/Uwe H. Schneider, ZGR 1975, 182, 185 f.; Stein in MünchKomm. AktG, § 180 Rz. 24. 3 Lutter/Uwe H. Schneider, ZGR 1975, 182, 186; Otto, DB-Beil. 12/1988, S. 6; Hüffer, § 180 AktG Rz. 7. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 172. 5 Vgl. hierzu einerseits Lutter in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 71; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 161 f.; andererseits Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 43 ff.; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 129; noch anders Mülbert, IStR 1999, 83, 90. 6 Hüffer, § 204 AktG Rz. 5; Lutter in KölnKomm. AktG, § 204 Rz. 11 ff.; Mülbert, IStR 1999, 83, 91.
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gen1 oder die Deckung entsprechender Bezugsrechte durch genehmigtes Kapital denkbar. Ob die Höchstgrenze von § 192 Abs. 3 AktG dabei allgemeine Geltung beansprucht und in welchem Umfang ggf. wechselseitige Anrechungen stattfinden, ist ungeklärt2. Die Ausgabe einer angemessenen Zahl3 von Belegschaftsaktien ist als Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses anerkannt4 und durch weitere Vorschriften privilegiert5. Wegen der bestehenden Beschränkungen ist nicht zu erwarten, dass die Ausgabe von Belegschaftsaktien einen feindlichen Bieter fernhalten kann6. g) Sicherungs-GmbH Als Maßnahme der Übernahmeprophylaxe wurde die „Sicherungs-GmbH“ ent- 255 wickelt, eine von Publikumsgesellschaften gegründete Gesellschaft, deren Unternehmen die Abwehr feindlicher Übernahmeangebote auf ihre Gesellschafter zum Gegenstand hat7. Die Beteiligung an einer Sicherungs-GmbH, ihre Finanzierung und die Abgabe des Konkurrenzangebots sind kartellrechtlich8 und im Hinblick auf §§ 71a, 71d AktG gesellschaftsrechtlich9 problematisch. Die Übernahmeprophylaxe mittels Sicherungs-GmbH dürfte praktisch kaum bedeutsam werden. h) Gekreuzte und ringförmige Beteiligungen, Pyramidenstruktur Gekreuzte und ringförmige Beteiligungen sind in der Vergangenheit zur Übernahmeprophylaxe genutzt worden10. Sie reduzieren den Anteil des Streubesitzes am Grundkapital und können damit die Chancen des Bieters auf den Erwerb einer Kontrollbeteiligung erheblich reduzieren11. Schon eine Überkreuzbeteiligung, die auf beiden Seiten unter 25 % des Grundkapitals bleibt, könnte feindliche Bieter abschrecken; beispielsweise würde eine Kapitalbeteiligung von 5 % den Squeeze-out gemäß §§ 327a ff. AktG unmöglich machen12. Gehören jedem der aneinander beteiligten Unternehmen mehr als 25 % der Anteile des anderen Unternehmens (wechselseitige
1 OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, WM 1998, 1936 = AG 1998, 529; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, WM 1998, 1929; Überblick bei Zeidler, NZG 1998, 789. 2 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen: Fuchs in MünchKomm. AktG, § 192 Rz. 149 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 63 Rz. 38; Hirte in Großkomm. AktG, § 202 Rz. 151; Hüffer, § 192 AktG Rz. 24; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 663 f. 3 Hüffer, § 202 AktG Rz. 27; Lutter in KölnKomm. AktG, § 202 Rz. 28; Krieger in MünchHdb. AG, § 58 Rz. 59. 4 Sofern die Satzung die Ausgabe von Belegschaftsaktien vorsieht (§ 202 Abs. 4 AktG), ist eine konkrete Inhaltskontrolle nicht erforderlich; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 294 f. = AG 2000, 475; dazu Hirte, EWiR § 203 AktG 1/2000; siehe auch Hüffer, § 202 AktG Rz. 23. 5 § 203 Abs. 4, § 204 Abs. 3, § 205 Abs. 4 AktG. 6 Krause, AG 2002, 133, 138. 7 Krause, AG 2002, 133, 139. 8 Sünner in FS Quack, 1991, S. 457, 474. 9 Eingehend Krause, AG 2002, 133, 139; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 181. 10 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 134; Otto, DB-Beil. 12/1988, S. 6, jeweils m.w.N.; Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 212. 11 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 134; Otto, AG 1991, 369, 371; Krause, AG 2002, 133, 140; Röh/Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor §§ 33 ff. Rz. 86; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 181; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 105. 12 Krause, AG 2002, 133, 140.
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Beteiligung, § 19 Abs. 1 AktG), kann die Gesellschaft, die zuerst über den Eintritt der wechselseitigen Beteiligung informiert wurde, die Rechte aus ihren Aktien nur in Höhe von 25 % aller Anteile der anderen Gesellschaft ausüben (§ 328 Abs. 1 und 2 AktG)1. Bei positiver Kenntnis von der wechselseitigen Beteiligung kann sie, wenn die andere Gesellschaft börsennotiert ist, bei Wahlen zum Aufsichtsrat keine Stimmrechte ausüben (§ 328 Abs. 3 AktG)2. Pyramidenstrukturen werden ebenfalls gelegentlich als Mittel der Übernahmeprophylaxe angesehen. Sie ermöglichen die Erhaltung der Kontrolle mit geringerer Beteiligung3; eine Beteiligung von jeweils 60 % über drei Ebenen ermöglicht Kontrolle mit duchgerechnet lediglich 21,6 % Beteiligung. 257 Ringförmige Beteiligungen werden von §§ 19, 328 AktG grundsätzlich nicht erfasst, da § 19 AktG eine gegenseitige Beteiligung voraussetzt4. Ist innerhalb des Rings jedoch eine Gesellschaft von einer anderen abhängig, werden die von der abhängigen Gesellschaft an der dritten Gesellschaft gehaltenen Anteile der herrschenden Gesellschaft zugerechnet. Falls die Beteiligungen der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft an der dritten Gesellschaft zusammen 25 % überschreiten, liegt gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 AktG eine wechselseitige Beteiligung vor5. Pyramidenstrukturen unterliegen den allgemeinen konzernrechtlichen Regelungen. Sie sind unter Umständen ein Hilfsmittel zur Stärkung eines anchor shareholder, setzen aber eine entsprechende Struktur mit mehreren Beteiligten auf verschiedenen Ebenen voraus und können schwer nachträglich eingerichtet werden. 2. Erschwerung der Kontrollausübung a) Stimmrechtsbeschränkungen, Mehrstimmrechte 258 Stimmrechtsbeschränkungen in Form von Höchststimmrechten sind bei börsennotierten Gesellschaften abgeschafft (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG)6. Mehrstimmrechte können seit dem 1.5.1998 nicht mehr eingeführt werden (§ 12 Abs. 2 AktG); bestehende Mehrstimmrechte sind am 1.6.2003 erloschen, wenn nicht die Hauptversammlung ihre Fortgeltung beschlossen hat (§ 5 Abs. 1 bis 6 EGAktG). b) Stimmrechtslose Vorzugsaktien 259 Mit einem Gewinnvorzug ausgestattete stimmrechtslose Vorzugsaktien erlauben die Hereinnahme von Kapital ohne die Einräumung von Stimmrechten. Sie waren in der Vergangenheit ein beliebtes Instrument, um bestehende Kontroll- bzw. Mehrheits1 Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass § 328 AktG auf Mitteilungen nach § 20 Abs. 3 AktG verweist und diese Vorschrift gemäß § 20 Abs. 8 AktG bei Emittenten keine Anwendung findet. Dass § 328 AktG nicht auch auf §§ 21 ff. WpHG verweist, ist ein Redaktionsversehen. 2 Die Beschränkungen des § 328 AktG gelten nicht, wenn eine der beteiligten Gesellschaften ihren Sitz im Ausland hat; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 136; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 328 Rz. 5; Grunewald in MünchKomm. AktG, § 328 Rz. 3; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 328 AktG Rz. 8 f. 3 Marccus Partners, The Takeover Bids Assessment Report 2012, S. 268 f. 4 Bayer in MünchKomm. AktG, § 19 Rz. 36; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 19 Rz. 27. 5 Bayer in MünchKomm. AktG, § 19 Rz. 36 ff.; Krause, AG 2002, 133, 140. 6 Vor dem 1.5.1998 eingeführte Stimmrechtsbeschränkungen sind am 1.6.2000 erloschen, § 5 Abs. 7 EGAktG.
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beteiligungen nicht zu verwässern und feindliche Übernahmen unmöglich zu machen1. Bei Gesellschaften, deren Stammaktien sich überwiegend im Streubesitz befinden, sind stimmrechtslose Vorzugsaktien dagegen kontraproduktiv, weil bereits der Erwerb von weniger als 50 % des Grundkapitals die Stimmenmehrheit verschafft. Stimmrechtslose Vorzugsaktien können durch Umwandlung bestehender Stammaktien oder im Zuge einer Kapitalerhöhung geschaffen werden. Die Umwandlung bestehender Stammaktien in Vorzugsaktien erfordert eine Satzungsänderung, die Zustimmung jedes betroffenen Aktionärs2 sowie darüber hinaus nach h.M. die Zustimmung der Mehrheit der von der Umwandlung nicht betroffenen Aktionäre3. Weil diese Zustimmungen bei börsennotierten Gesellschaften in der Praxis nicht zu erlangen sind, kommt ihre Ausgabe nur vor dem Börsengang oder im Rahmen einer Kapitalerhöhung in Betracht4.
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Die Neuausgabe von Vorzugsaktien ist am deutschen Kapitalmarkt außer Mode ge- 261 kommen: Am Kapitalmarkt werden sie nicht selten mit einem Bewertungsabschlag gehandelt, was bei Kapitalerhöhungen einen entsprechend niedrigeren Emissionserlös zur Folge hat5. Für Gesellschaften, deren Aufnahme in einen Index der DAX-Familie in Frage kommt, ist die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien wenig sinnvoll, weil sich die Liquidität am Markt auf zwei Aktiengattungen verteilt, bei der Einbeziehung in die Aktienindices aber nur noch die größere Aktiengattung berücksichtigt wird6. Einige Gesellschaften haben nicht zuletzt deswegen ihre stimmrechtslosen Vorzugsaktien in Stammaktien umgewandelt. Bei Übernahmeangeboten befinden sich Vorzugsaktionäre im Nachteil, weil der Bieter ihnen eine niedrigere Prämie als den Stammaktionären bieten darf7. Schließlich bieten Vorzugsaktien keine letzte Sicherheit gegen die Verwässerung der Mehrheitsbeteiligung, weil das Stimmrecht wieder auflebt, wenn ein Rückstand der Vorzugsdividende nicht im nächsten Jahr neben dem vollen Vorzug dieses Jahres nachgezahlt wird (§ 140 Abs. 2 Satz 1 AktG).
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c) Genussrechte Auch Genussrechte erlauben die Hereinnahme von Kapital ohne die Einräumung von Herrschaftsbefugnissen8. Für die Ausgabe von Genussrechten ist ein Hauptver1 Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 212; überwiegend wird die Einführung von stimmrechtslosen Aktien als nicht erfolgversprechend eingestuft, aaO S. 215. 2 Ganz h.M., BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 122 = AG 1978, 135; Hüffer, § 139 AktG Rz. 12 m.w.N. 3 Hüffer, § 139 AktG Rz. 12 m.w.N. 4 Krause, AG 2002, 133, 140; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 176. 5 Schlitt in Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 23 Rz. 19; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 176. 6 Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, Version 6.17 (April 2012), Ziff. 2.2.1.1. 7 Habersack, ZIP 2003, 1123; BVerfG v. 2.4.2004 – 1 BvR 1620/03 – Wella, WM 2004, 979; ohne diesbezügliche Aussage (da Klageabweisung wegen fehlender Antragsbefugnis im Verwaltungsverfahren) OLG Frankfurt a.M. v. 4.7.2003 – WpÜG 4/03 – Wella, ZIP 2003, 1392 = AG 2003, 513. 8 Kein Stimmrecht (BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 316 = AG 1993, 125, 127) und nach ganz h.M. keine Anfechtungsbefugnis (BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 316 f. = AG 1993, 125, 127; Hüffer, § 221 AktG Rz. 26 m.w.N.).
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sammlungsbeschluss mit 75 % Kapitalmehrheit erforderlich (§ 221 Abs. 1, 3 AktG). Die Aktionäre haben ein Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 AktG). Genussrechte haben regelmäßig nicht für sich genommen eine abschreckende Wirkung, sie können nur dazu dienen, als Ersatz für die Ausgabe von Aktien die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu erhalten. Die insoweit bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten sind aber beschränkt, da Genussrechte – von Spezialfällen wie der Eigenkapitalfinanzierung von Kreditinstituten abgesehen – kaum marktgängige Instrumente sind. d) Erhöhte Zustimmungsquoten 264 In der Satzung können für die Zustimmung der Hauptversammlung zu bestimmten Maßnahmen (Satzungsänderung, Kapitalerhöhung, Unternehmensverträge, Umwandlungen etc.1) erhöhte Anforderungen vorgesehen werden. Dies kann Bieter abschrecken, die kurzfristig Maßnahmen treffen wollen, für deren Durchführung die erhöhte Schwelle hinderlich sein kann2. Die gesteigerten Anforderungen dieser Satzungsbestimmungen gelten allerdings auch dann, wenn kein feindlicher Bieter auf den Plan tritt; sie dürften daher nur wenig Verbreitung finden. e) Verschiedene Gattungen von Stammaktien, Entsendungsrechte 265 Ähnlich den goldenen Aktien in anderen Ländern3 könnte man für bestimmte Aktionäre oder für bestimmte vinkulierte Namensaktien Entsendungsrechte für den Aufsichtsrat (§ 101 Abs. 2 Satz 1 und 4 AktG) begründen oder Aktien eigener Gattung mit sonstigen Merkmalen4 zugunsten ihrer Inhaber schaffen. Durch das Entsendungsrecht kann der Einfluss des Bieters auf die Besetzung des Aufsichtsrats und damit mittelbar auch die Besetzung des Vorstands beschränkt werden5. Die Höchstzahl der Entsendungsrechte ist auf ein Drittel der sich aus Gesetz oder Satzung ergebenden Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, die durch die Anteilseigner zu wählen sind, begrenzt (§ 101 Abs. 2 Satz 1 und 4 AktG). Wer diese besonderen Aktien nicht erwerben kann, wäre in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften bei der Abberufung amtierender Vorstandsmitglieder auf die Unterstützung der aufgrund des Entsendungsrechts Bestellten oder von Arbeitnehmervertretern in entsprechender Zahl angewiesen und müsste für eine Kapitalerhöhung, die Schaffung genehmigten Kapitals, eine Kapitalherabsetzung und umwandlungsrechtliche Maßnahmen Sonderbeschlüsse
1 Zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern unten Rz. 268. 2 Zu der Frage, ob die Mannesmann AG auf Betreiben der VodafoneAirtouch plc ihre Beteiligung an der Orange plc nur nach Wirksamwerden eines Beherrschungsvertrages hätte veräußern dürfen, wurden während des Übernahmekampfs Gutachten von Ulmer, Hüffer, und Hirte/Noack (Vodafone) sowie Lutter, Mertens und Baums (Mannesmann) ins Internet gestellt. Nachbereitung dieser „Schlacht der Gutachter“ von Lutter in FS Peltzer, 2001, S. 241. 3 EuGH v. 8.7.2010 – Rs. C-171/08 – Portugal Telecom, WM 2010, 1362; EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-503/99 (Belgien), NJW 2002, 2303; EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C 483/99 (Frankreich), NJW 2002, 2305; EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C 367/98 (Portugal), NZG 2002, 632; hierzu Bayer, BB 2002, 2289; Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317; Krause, NJW 2002, 2747; ferner EuGH v. 13.5.2003 – Rs. 463/00 (Spanien), NZG 2003, 679; EuGH v. 13.5.2003 – Rs. 98/01 (Vereinigtes Königreich), NZG 2003, 685. 4 Z.B. Ausstattung mit einem Vor- oder Nachrang bei der Verteilung von Dividende und/oder Liquidationserlös, § 11 AktG. 5 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 133 f.; Krause, AG 2002, 133, 142; Röh/Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor §§ 33 ff. Rz. 73.
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der Aktionäre jeder Gattung einholen1. Für die Ziele des Bieters kann dies eine erhebliche Behinderung bedeuten. Gattungsverschiedenheit existierender Aktien kann nachträglich nur mit Zustim- 266 mung der betroffenen Aktionäre eingeführt werden2. Übernahmeprophylaxe durch Einführung verschiedener Gattungen von Stammaktien dürfte für bereits börsennotierte Gesellschaften regelmäßig nicht in Betracht kommen3. Das Entsendungsrecht ist ein Sonderrecht i.S.d. § 35 BGB, das nachträglich durch Satzungsänderung eingeführt werden kann4. Das Entsendungsrecht begründet keine eigene Gattung (§ 101 Abs. 2 Satz 3 AktG), so dass die Beschränkungen für die nachträgliche Einführung gattungsverschiedener Aktien nicht gelten. Das Entsendungsrecht kann dem Berechtigten nur mit seiner Zustimmung durch Satzungsänderung entzogen werden5. Das Entsendungsrecht eignet sich als Maßnahme der Übernahmeprophylaxe in der Hand eines „sicheren“ Großaktionärs. f) Konzerngründungsklausel Eine Satzungsbestimmung, die die Einbeziehung der Gesellschaft in einen faktischen 267 Konzern an die Zustimmung der Hauptversammlung knüpft, könnte die Integration der Zielgesellschaft in den Konzern des Bieters unmöglich machen. Nach ganz h.M. verstößt die Konzerngründungsklausel jedoch gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG), weil der Schutz der Gesellschaft und ihrer Aktionäre und Gläubiger gegen nachteilige Einflussnahme durch ein herrschendes Unternehmen in §§ 17, 311 ff. AktG abschließend geregelt und die Satzung einer ergänzenden Bestimmung insoweit nicht zugänglich ist6. Die Aktionäre haben die Einbindung des Unternehmens in eine Konzernherrschaft grundsätzlich hinzunehmen7. g) Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats Die Möglichkeit8 der Abberufung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat ist für 268 den erfolgreichen Bieter eine der wesentlichen Rechtspositionen zur Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft. Nach einer feindlichen Übernahme will ein er-
1 § 182 Abs. 2, § 202 Abs. 2 Satz 4, § 222 Abs. 2 AktG; § 65 Abs. 2, § 125, § 240 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 UmwG. Gleiches gilt für die Änderung des Verhältnisses der Aktiengattungen zum Nachteil einer Gattung (Sonderbeschluss der benachteiligten Aktionäre gemäß § 179 Abs. 3 AktG). 2 Heider in MünchKomm. AktG, § 11 Rz. 43 ff. 3 Krause, AG 2002, 133, 141; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 176. 4 OLG Hamm v. 31.3.2008 – 8 U 222/07, AG 2008, 552 (Nichtzulassungsbeschwerde abgewiesen: BGH v. 8.6.2009 – II ZR 111/08); Habersack in MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 31. 5 Habersack in MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 31; Lutter in KölnKomm. AktG, § 101 Rz. 40; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 30 Rz. 23a; Hüffer, § 101 AktG Rz. 8. 6 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 2; Altmeppen in MünchKomm. AktG, Vor § 311 Rz. 62; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl. 1996, S. 455 – jeweils m.w.N.; a.A. Uwe H. Schneider, AG 1990, 56, 62; Sonnenberg, Die Änderung des Gesellschaftszwecks, 1990, S. 119 f., 172 ff. 7 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 7 = AG 1992, 450; Krause, AG 2002, 133, 141; Röh/Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor §§ 33 ff. Rz. 78; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 178. 8 Wenn die Möglichkeit besteht, wird es zur Abberufung regelmäßig nicht kommen, weil dann eine einvernehmliche Lösung im Sinne des Bieters gefunden werden wird.
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folgreicher Bieter typischerweise den bisherigen Vorstand durch Personen seines Vertrauens ersetzen; hierfür benötigt er kurzfristig die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat. Die vorzeitige Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern erfordert einen mit 75 % Stimmenmehrheit gefassten Hauptversammlungsbeschluss (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG), sofern nicht die Satzung eine andere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmt (§ 103 Abs. 1 Satz 3 AktG). Die Mehrheit kann demnach in der Satzung abgesenkt oder erhöht werden. Die Satzung vieler Publikumsgesellschaften enthält eine Generalklausel, derzufolge die Beschlüsse der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gefasst werden, sofern nicht das Gesetz zwingend etwas anderes vorschreibt1. Das ist in einer feindlichen Übernahme eine nicht zu unterschätzende Erleichterung für den Bieter. Wer sich abschotten will, wird hier Gestaltungsbedarf sehen. Die Änderung dieses Zustands als Maßnahme der Übernahmeprophylaxe ist aufgrund der damit verbundenen Publizität allerdings nicht einfach. h) Gestaffelte Amtszeiten für Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands (staggered board) 269 Gestaffelte Amtszeiten für Mitglieder des Aufsichtsrats2 sorgen dafür, dass der Bieter immer Aufsichtsratsmitglieder vorfinden wird, die noch einen substanziellen Teil ihrer Amtszeit vor sich haben. Dies kann insbesondere bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften, in deren Aufsichtsrat der Bieter sämtliche Anteilseignervertreter auszuwechseln beabsichtigt, eine Barriere sein3, wenn der Bieter nicht die Mehrheit erreicht, die ihm die vorzeitige Abberufung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat ermöglicht4. Gestaffelte Amtszeiten haben dennoch in Deutschland kaum Verbreitung gefunden. 270 Gestaffelte Amtszeiten für Mitglieder des Vorstands sind ebenfalls denkbar; die Satzung kann dies dem Aufsichtsrat jedoch nicht verbindlich vorschreiben5. Die vorzeitige Abberufung von Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat ist nur aus wichtigem Grund möglich (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Ob dabei die Interessen der Gesellschaft und des Vorstandsmitglieds gegeneinander abgewogen werden müssen, ist umstritten6. Will die Gesellschaft vermeiden, dass der vom Bieter neu besetzte Aufsichtsrat zusätzliche Vorstandsmitglieder bestellt, kann die Satzung die Höchstzahl der Vorstandsmitglieder festlegen7. Das alles sind bisher weitgehend Gedankenspiele geblieben. Mitglieder des Vorstands (und des Aufsichtsrats) suchen im Regelfall nicht
1 Krause, AG 2002, 133, 141. 2 Für die Zulässigkeit BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 215 = AG 1987, 152; OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.1985 – 5 U 30/85, AG 1987, 159, 160; Habersack in MünchKomm. AktG, § 102 Rz. 9. 3 Hopt in WM-Festgabe Heinsius, 1991, S. 22, 27; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 137 f. 4 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 137 ff.; Michalski, AG 1997, 152, 155 ff.; Krause, AG 2002, 133, 143; Röh/Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor § 33 ff. Rz. 76; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 177. 5 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 84 Rz. 17; Spindler in MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 38; hierzu ebenfalls Krause, AG 2002, 133, 142; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 177. 6 Spindler in MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 117 m.w.N. 7 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 138; Krause, AG 2002, 133, 142; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 177.
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die Konfrontation mit dem neuen Mehrheitsgesellschafter, sondern sind bereit, ihre Ämter gegebenenfalls niederzulegen1. i) Besondere Wahlbestimmungen für den Aufsichtsrat Für Wahlen kann die Satzung vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit ab- 271 weichen (§ 133 Abs. 2 AktG). Für die Wahl zum Aufsichtsrat könnte die Satzung nach h.M. die Verhältniswahl vorsehen2 – dann könnte eine entsprechend koordinierte und hinreichend stimmstarke Minderheit Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden und jedenfalls bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften die Mehrheit des Bieters brechen. Die ebenfalls mögliche Satzungsregelung, wonach die relative Mehrheit unter mehreren Vorschlägen genügt, ist dagegen nicht geeignet, die Möglichkeiten der Minderheit zu stärken. Teilweise wird es für zulässig gehalten, in der Satzung eine Stimmenmehrheit auf zwei aufeinanderfolgenden ordentlichen Hauptversammlungen vorzusehen – dann könnte der Bieter die amtierenden Anteilseignervertreter zwar kurzfristig abberufen, aber erst nach einiger Zeit durch Vertrauensleute ersetzen3. Die Zulässigkeit einer solchen Regelung ist zumindest dann zweifelhaft, wenn es sich um zwei ordentliche Hautversammlungen handeln soll und dadurch jeweils Vakanzen von einem Jahr entstehen, die durch gerichtliche Bestellung zu füllen wären (§ 104 Abs. 1 und 2 AktG). j) Persönliche Voraussetzungen für Organmitglieder In der Satzung können persönliche Voraussetzungen für Mitglieder des Aufsichtsrats 272 und des Vorstands festgeschrieben werden, um so den Kreis der wählbaren Personen einzuschränken (§ 100 Abs. 4 AktG). Die Qualifikationsmerkmale für Aufsichtsratsmitglieder dürfen allerdings nicht so eng gezogen werden, dass sie einem Entsendungsrecht gleichkommen und die freie Wahl durch die Hauptversammlung unmöglich machen4. Dann aber dürfte der Bieter geeignete Personen finden können. Die Qualifikationsmerkmale für Vorstandsmitglieder müssen nach h.M. so gewählt sein, dass das Auswahlermessen des Aufsichtsrats erhalten bleibt5; nach der Gegenauffassung darf sich der Aufsichtsrat über Auswahlrichtlinien nach pflichtgemäßem Ermessen hinwegsetzen6. Demnach besitzen Bestimmungen über persönliche Voraussetzungen für Organmitglieder nur eingeschränkte Präventivwirkung. 3. Veränderung der Vermögensverhältnisse Übernahmeprophylaxe kann auch darin bestehen, die Gesellschaft für feindliche Bie- 273 ter in wirtschaftlicher Hinsicht unattraktiv zu machen. Da dabei vermieden werden 1 Vgl. die Ad hoc-Mitteilung der Hochtief AG nach der Übernahme durch ACS vom 10.4.2011 über das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 967; Krause, AG 2002, 133, 142. 2 Habersack in MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 27; Hüffer, § 101 AktG Rz. 4, § 133 AktG Rz. 33; offen Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 30 Rz. 18; a.A. Mertens in KölnKomm. AktG, § 101 Rz. 14. 3 Volhard in MünchKomm. AktG, § 133 Rz. 55; Herrmann, Abwehrmaßnahmen, 1993, S. 82; Krause, AG 2002, 133, 142. 4 Hüffer, § 100 AktG Rz. 9; Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 140. 5 Hüffer, § 76 AktG Rz. 26; Spindler in MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 27; Wiesner in MünchHdb. AG, § 20 Rz. 5. 6 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 76 Rz. 116; Hommelhoff, BB 1977, 322, 324 f.
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muss, der Gesellschaft Schaden zuzufügen, sind solchen Maßnahmen eher enge Grenzen gesetzt. a) Veräußerung von Gesellschaftsvermögen 274 Die Veräußerung von Vermögensgegenständen kann die Gesellschaft als Übernahmeziel uninteressant machen1. Je nach Gewicht der Veräußerung kann ein „Holzmüller/Gelatine“-Beschluss erforderlich sein2. Veräußerungen zu Abwehrzwecken sind als pflichtwidrig angesehen worden3, was die Frage aufwirft, wie man, ohne dass ein konkretes Übernahmeangebot vorliegt, zwischen „Abwehr-“ und anderen Veräußerungen abgrenzen soll. Die Veräußerung nicht notwendigen Betriebsvermögens oder von Beteiligungen außerhalb des strategischen Kernbereichs, sale and lease back- oder asset backed securities-Transaktionen können Ausdruck einer wertorientierten Unternehmensführung sein, die den Börsenwert steigert und auch dann nicht per se pflichtwidrig ist, wenn sie unter anderem durch das Ziel der Verringerung des Übernahmerisikos motiviert ist. b) Asset lock-up 275 Als asset lock-up bezeichnet man die Einräumung von auf den Übernahmefall bedingten Optionen auf bestimmte (für den Bieter attraktive) Vermögensgegenstände oder Unternehmensbereiche. Je nach den Umständen kann dazu eine vorherige Umstrukturierung bis hin zur Etablierung einer Holding-Struktur erforderlich werden. Die Etablierung einer Holding-Struktur muss mit dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand vereinbar sein und erfordert deshalb ggf. eine Satzungsänderung4. Die Vereinbarung, dass die Kaufoption nur im Übernahmefall ausgeübt werden kann, wird außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 33 abgeschlossen, so dass das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich nicht anwendbar ist5. Die Zulässigkeit solcher Konstruktionen richtet sich damit im Wesentlichen danach, ob die Anforderungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eingehalten sind, was nur im Einzelfall beurteilt werden kann, bei umfassenden Maßnahmen aber eher zweifelhaft ist. c) Equity carve-out 276 Als equity carve-out bezeichnet man den Börsengang einer Tochtergesellschaft, dem im Einzelfall ebenfalls prophylaktische Wirkung zukommen kann6. 277 Dies mag zutreffen, etwa weil Strukturentscheidungen in Tochtergesellschaften mit Minderheitsaktionären schwieriger durchzusetzen sind oder weil der mittelbare Kon1 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 140 ff. 2 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575; vgl. zum aktuellen Meinungsstand zur Anwendung dieser Grundsätze auf Veräußerungen und zu den Schwellenwerten Krieger in MünchHdb. AG, § 69 Rz. 9 ff. 3 Assmann/Bozenhardt in Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 141. 4 H.M., statt aller Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 311 AktG Rz. 31 m.w.N. 5 A.A. 1. Aufl., Rz. 275; Krause, AG 2002, 133, 143. 6 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1369; Uwe H. Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 966; Röh/ Vogel in FrankfKomm. WpÜG, Vor §§ 33 ff. Rz. 72; DAV-Handelsrechtsausschuss zum RegE, NZG 2001, 1003, 1007.
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trollerwerb über die Tochter gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 ein Pflichtangebot auf Tochterebene erfordern kann (näher § 35 Rz. 95 ff.). Im Vordergrund stehen jedoch regelmäßig andere Erwägungen als die Übernahmeprophylaxe, für deren Zwecke der – in der Regel aufwändige – Börsengang einer Tochtergesellschaft regelmäßig ein zu unspezifisch wirkendes Mittel ist. Jedenfalls wäre es verfehlt, in jedem equity carve-out eine Abwehrmaßnahme zu sehen. d) Poison debt Als poison debt bezeichnet man Fremdfinanzierungsinstrumente, die durch die Ver- 278 einbarung der vorzeitigen Fälligkeit bei einem feindlichen Übernahmeangebot „vergiftet“ sind1. Bisweilen ist die vorzeitige Fälligkeit daran geknüpft, dass das Rating der Gesellschaft nicht hinter einen bestimmten Wert zurückfällt. Dies kann Bieter mit niedrigem Rating und/oder fremdfinanziertem Angebot fernhalten. Unter Umständen kann das Verhinderungsverbot nach § 33 Abs. 1 Satz 1 (samt den Ausnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2) einschlägig sein, wenn die Struktur so angelegt ist, dass der Vorstand nach der Veröffentlichung nach § 10 bestimmte Maßnahmen ergreift. In der Regel wird aber nur die vertragliche Gegenseite bestimmte Rechte im Übernahmefall haben. Derartige Regelungen unterliegen den aktienrechtlichen Grenzen und sind für die Gesellschaft regelmäßig nachteilig. Sie sind gemessen an § 93 Abs. 1 AktG zulässig, wenn die nachteilige Wirkung durch anderweitige Vorteile für die Gesellschaft aufgewogen wird. e) Change of control-Klauseln Verträge über Dauerschuldverhältnisse können auflösende Bedingungen, die vorzeiti- 279 ge Fälligkeit von Leistungen oder Kündigungsrechte für den Fall vorsehen, dass die „Kontrolle“ über die andere Vertragspartei in andere Hände übergeht. Im syndizierten Kreditgeschäft, bei der Akquisitionsfinanzierung und anderen Finanztransaktionen sind derartige Bestimmungen Marktstandard. Üblicherweise machen sie keinen Unterschied zwischen feindlichem und freundlichem Kontrollwechsel. Sie schützen den Gläubiger davor, wirtschaftlich einen anderen Schuldner zu erhalten2. Auch in anderen Konstellationen kann es legitim sein, beim Wechsel der Kontrolle über einen der Vertragspartner eine Beendigungsmöglichkeit vorzusehen. Typischerweise ist es der Vertragspartner der Gesellschaft, der auf diese Klausel dringt. Marktübliche Regelungen dieser Art sind nach dem Maßstab von § 93 Abs. 1 AktG regelmäßig mit den Pflichten des Vorstands vereinbar. f) Golden parachutes Golden parachutes sind besonders hohe Abfindungen, die sich der Vorstand von der 280 Gesellschaft für den Fall versprechen lässt, dass er nach erfolgreichem Übernahmeangebot freiwillig oder unfreiwillig aus dem Amt scheidet3. Sie sind ökonomisch umstritten, aktienrechtlich im Rahmen der Angemessenheit möglich (siehe oben Rz. 116). Zur Verteidigung gegen ein feindliches Angebot sind sie kaum geeignet, weil es wohl nur in krassen Ausnahmefällen zur Vereinbarung einer Abfindung kom-
1 Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 193; von Falkenhausen/von Klitzing, ZIP 2006, 1513, 1514. 2 Krause, AG 2002, 133, 143. 3 Hauschka/Roth, AG 1988, 181, 182.
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men dürfte, deren Höhe einen Bieter abschrecken könnte1. Angemessene Abfindungen und Ruhegehälter für den Fall eines Kontrollwechsels (§ 87 Abs. 1 AktG, Ziffer 4.2.3 Abs. 4 DCGK) sind aktienrechtlich zulässig (Rz. 116)2. 4. Vorbereitung von Ad hoc-Abwehrmaßnahmen 281 Übernahmeprophylaxe kann auch darin bestehen, die Hauptversammlung Ermächtigungsbeschlüsse fassen zu lassen, auf die der Vorstand im Übernahmefall Ad hoc-Abwehrmaßnahmen stützen kann. Beschlüsse der Hauptversammlung über die Schaffung genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss oder die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien, die ohnehin zum „Standardrepertoire“ vieler Hauptversammlungen gehören, oder auch die Ermächtigung zur Ausgabe von Aktienoptionen und Wandelschuldverschreibungen3 einschließlich der erforderlichen bedingten Kapitalien lassen sich grundsätzlich in eine Strategie zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote einbinden. Der Vorstand verstößt nicht gegen § 33, wenn er im zeitlichen Zusammenhang eines Übernahmeangebots Maßnahmen ergreift, die sich auf einen „einfachen“ Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung stützen, selbst wenn er dadurch direkt in die Zusammensetzung des Aktionärskreises eingreift (hierzu siehe oben Rz. 138 ff., 144). Die entsprechenden Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung müssen den Anforderungen des § 33 Abs. 2 genügen, wenn Zweck der Ermächtigung speziell die Verhinderung einer Übernahme ist oder die Maßnahme nur als Reaktion auf ein feindliches Übernahmeangebot denkbar wäre4. Unzulässig ist die Ausnutzung einer allgemeinen Ermächtigung, die nur zum Zweck der Übernahmeverhinderung erfolgt (vgl. Rz. 141). a) Genehmigtes Kapital mit Bezugsrechtsausschluss 282 Die Hauptversammlung kann, soweit nicht die Satzung eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmt (§ 202 Abs. 2 AktG), mit einer Mehrheit von mindestens 75 % des vertretenen Grundkapitals für maximal fünf Jahre genehmigtes Kapital bereitstellen. Der Nennbetrag des genehmigten Kapitals darf die Hälfte des Grundkapitals nicht übersteigen (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG). Folglich könnte der Vorstand bei entsprechender Ermächtigung maximal ein Drittel des erhöhten Grundkapitals bei gewogenen Dritten platzieren5. 283 Die Platzierung der neuen Aktien bei einem oder mehreren freundlichen Dritten ist nur möglich, wenn das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen worden ist. Die Hauptversammlung kann den Bezugsrechtsausschluss entweder selbst beschließen (§ 203 Abs. 1 AktG) oder den Vorstand hierzu ermächtigen (§ 203 Abs. 2 AktG). Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf in beiden Fällen einer Kapitalmehrheit von mindestens 75 %. Die Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses muss bei abstrakt-genereller Beurteilung im Gesellschaftsinteresse liegen; ob dies zur Förderung des Gesellschaftszwecks geeignet und erforderlich sowie nach Abwägung ver-
1 Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Krause, AG 2002, 133, 143; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 175; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 34. 2 Dreher, AG 2000, 214 ff.; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1389; Krause, AG 2002, 133, 143; wohl auch Fastrich in FS Heldrich, 2005, S. 143, 152 ff. 3 von Falkenhausen/von Klitzing, ZIP 2006, 1513 ff. 4 Krause, AG 2002, 133, 137. 5 Zur Abwehrwirkung einer Kapitalerhöhung in diesem Umfang Krause, BB 2002, 1053, 1055.
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hältnismäßig ist, ist bei Beschlussfassung der Hauptversammlung nicht zu prüfen1. Die Übernahmevereitelung als Zweck des Bezugsrechtsausschlusses kann für die demnach nur noch in deutlich herabgesetztem Maß erforderliche sachliche Rechtfertigung nicht herangezogen werden. Insoweit geht die Spezialregelung in § 33 Abs. 2 vor2. Bei Ausnutzung des genehmigten Kapitals muss der Vorstand konkret prüfen, ob der 284 Bezugsrechtsausschluss im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt3. Wenn der zeitliche Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 erreicht ist, gelten zusätzlich zu den aktienrechtlichen Grundsätzen die oben erläuterten Maßstäbe. Im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 1 ist die übernahmeverhindernde Wirkung grundsätzlich als gegen die Ausnutzung sprechendes Element in die Abwägung einzustellen (Rz. 141); für das Gegenteil bedürfte es einer Ermächtigung der Hauptversammlung nach § 33 Abs. 2. Vor einer konkreten Übernahmesituation – also vor einer Veröffentlichung nach § 10 – gilt im Ergebnis kaum etwas anderes. Maßstab für das Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat sind §§ 93 Abs. 1, 116 AktG. Die Verhinderung einer drohenden Übernahme darf nicht Selbstzweck sein, sondern kann nur dann zur Rechtfertigung herangezogen werden, wenn die Verhinderung nach pflichtgemäßer Prüfung dem Wohl der Gesellschaft dient. Soweit die Hauptversammlung das Bezugsrecht nach § 203 Abs. 1 AktG ausgeschlossen hat oder die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss nach § 203 Abs. 2 AktG Vorstand und Aufsichtsrat überlässt, ist das genehmigte Kapital innerhalb seiner Zwecksetzung – zum Beispiel Erwerb von Beteiligungen4 oder die Aktienplatzierung im Ausland5– in den genannten Grenzen zur Übernahmeabwehr einsetzbar. Die Abwehr feindlicher Übernahmeangebote („Abwehrkapital“) als Zwecksetzung einer Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss kann die Hauptversammlung nur unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 beschließen6.
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b) Ermächtigung zu Erwerb und Veräußerung eigener Aktien Der Erwerb eigener Aktien bedarf der Ermächtigung durch die Hauptversammlung, wenn der Rückkauf auf § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG gestützt wird7. Der Bestand eigener Aktien darf 10 % des Grundkapitals nicht übersteigen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG), und die Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG darf nicht auf den Erwerb von mehr als 10 % des Grundkapitals gerichtet sein (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG). Außerdem müsste die Gesellschaft (hypothetisch) in der Lage sein, im Zeitpunkt des Erwerbs ohne Verwendung gebundenen Kapitals eine Rücklage in Höhe der Aufwendungen für den Erwerb zu bilden (§ 71 Abs. 2 Satz 2 AktG). Aktienrechtlich fällt der Rückerwerb eigener Aktien in die alleinige Zuständigkeit des Vorstands. Der Ermächtigungsbeschluss kann nach der wohl überwiegenden Meinung vorsehen, dass die Zu1 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 138 ff. = AG 1997, 465 (zu § 203 Abs. 1 AktG); bestätigt durch BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98 – Adidas, BGHZ 144, 290, 294 f. = AG 2000, 475, 476 (zu § 203 Abs. 2 AktG); OLG Frankfurt a.M. v. 4.2.2003 – 5 U 63/01 – Commerzbank, AG 2003, 276, 277; zur unterschiedlichen Deutung der Siemens/Nold-Entscheidung in der Literatur Krause, BB 2002, 1053, 1056. 2 Krause, BB 2002, 1053, 1057. 3 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, AG 1997, 465, 466; Bayer in MünchKomm. AktG, § 203 Rz. 170. 4 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 134 = AG 1997, 465. 5 BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239, 240 = AG 1994, 276. 6 Krause, BB 2002, 1053, 1057. 7 Krause, BB 2002, 1053, 1059 f. (auch zur Relevanz der Nrn. 1 und 2).
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stimmung des Aufsichtsrats erforderlich ist1. Beim Rückerwerb eigener Aktien sind die kapitalmarktrechtlichen Beschränkungen zu beachten (Rz. 94 f.). 287 Die Veräußerung eigener Aktien, die unter einem Rückkaufprogramm gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erworben wurden und die der Vorstand im Übernahmekampf en bloc an einen freundlichen Dritten veräußern können soll, setzt voraus, dass der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung den Anforderungen an den Ausschluss des Bezugsrechts gemäß § 186 Abs. 3 und 4 AktG genügt (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG). Aktienrechtlich fällt die Veräußerung eigener Aktien wiederum in die alleinige Zuständigkeit des Vorstands, sofern nicht der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung die Zustimmung des Aufsichtsrats fordert2. Inhaltlich gelten dieselben Grundsätze wie bei der Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals (Rz. 284). c) Ermächtigung zur Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen 288 Wegen der Grenzen des genehmigten Kapitals wäre zu erwägen, bedingtes Kapital zur Deckung von Wandlungs- oder Optionsrechten zu mobilisieren, um im Bedarfsfall neue Aktien in den Händen eines „weißen Ritters“ entstehen zu lassen. Grundsätzlich stehen hierfür maximal (weitere) 50 % des Grundkapitals zur Verfügung (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG). Jedenfalls durch die Kombination der Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen mit der Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital könnte die Beteiligung des Bieters stark verwässert werden. Aktienrechtlich besteht die Voraussetzung, dass die Hauptversammlung den Vorstand zur Ausgabe derartiger Schuldverschreibungen ermächtigt (§ 221 Abs. 2 AktG) und dass hierfür erforderliche bedingte Kapital bereitgestellt hat (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Außerdem muss die Hauptversammlung das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen haben (§ 221 Abs. 4 AktG). Der Bezugsrechtsausschluss muss im Interesse der Gesellschaft sachlich gerechtfertigt sein3. Die Lockerungen der „Siemens/Nold“-Rechtsprechung gelten auch hier4. Das Wandlungs- oder Optionsrecht muss so ausgestaltet sein, dass es die rechtzeitige Ausübung zwecks Bezugs der Aktien erlaubt. Für die Ausübung der Ermächtigung gelten ähnliche Grundsätze wie bei der Ausübung genehmigten Kapitals (Rz. 284). Da außerhalb von § 33 Abs. 2 die Übernahmeverhinderung nicht als Selbstzweck zur Rechtfertigung des Bezugsrechtsaussschlusses herangezogen werden kann und die Möglichkeiten einer anderweitigen vernünftigen Begründung eher geringer sind als bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals, sind die Einsatzmöglichkeiten zur Übernahmeabwehr – falls nicht ausnahmsweise eine Ermächtigung nach § 33 Abs. 2 vorliegt – beschränkt.
1 Hüffer, § 71 AktG Rz. 19j; a.A. Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 98; in der Praxis ist das durchaus üblich. 2 Vgl. zum Ganzen Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 294 ff.; Krause, BB 2002, 1053, 1060. 3 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210, 211; OLG Frankfurt a.M. v. 17.9.1991 – U 211/90, AG 1992, 271; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372, 374; Lutter in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 75 ff.; Hüffer, § 221 AktG Rz. 42; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 168 ff. 4 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246, Rz. 4; Krieger in MünchHdb. AG, § 63 Rz. 14.
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d) Ermächtigung zur Ausgabe von Aktienoptionen Aktienoptionen für Arbeitnehmer und Organmitglieder sind zur Abwehr feindlicher 289 Übernahmeangebote nicht nur wegen der Begrenzung ihres Volumens auf maximal 10 % des Grundkapitals (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG) nur beschränkt einsetzbar. Wegen der zwingenden vierjährigen Wartezeit für die erstmalige Ausübung (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG) können während der Übernahmephase ausgegebene Aktienoptionen nicht während der Übernahmephase ausgeübt werden. Aufgrund der zeitlichen Vorgaben handelt es sich kaum um ein taugliches Instru- 290 ment der Übernahmeprophylaxe. Denkbar wäre die Deckung von Aktienoptionsplänen mir genehmigtem Kapital. Es ist nicht geklärt, ob die Kriterien von § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG insoweit analog anzuwenden sind. e) Vorbereitung der crown jewel defense Der Wirkungsgrad der crown jewel defense (Verkauf wesentlicher Teile des Ge- 291 sellschaftsvermögens – hierzu oben Rz. 103 f.) wird tendenziell umso stärker sein, je tiefer die Veräußerung in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren am Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreift. Bei entsprechender Intensität ist u.U. nach „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätzen1 ein Hauptversammlungsbeschluss zu fassen, wenn man diese Grundsätze auf Veräußerungen anwenden will (vgl. Rz. 105). „Holzmüller/Gelatine“-Vorratsermächtigungen begegnen wegen des dort erforderli- 292 chen Konkretisierungsgrads aktienrechtlichen Schwierigkeiten (Rz. 105, 216 m.w.N.). Eine hinreichend konkrete Ermächtigung, die eine weitere Hauptversammlungszustimmung überflüssig macht (Rz. 216), wird nur dann in Betracht kommen, wenn eine Veräußerung konkret geplant ist und in näherer Zukunft erfolgen soll2. 5. Steigerung des Börsenkurses Wenn es zutrifft, dass im Regelfall die Unternehmen attraktive Übernahmeziele 293 sind, die an der Börse vergleichsweise niedrig bewertet sind, ist die Steigerung des Börsenkurses eine wichtige (wenngleich keine sichere) Maßnahme der Übernahmeprophylaxe. Die Steigerung des Börsenkurses ist – offenkundig – nicht in erster Linie ein rechtliches Thema. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zielen vor allem auf eine rechtzeitige, gleichmäßige und korrekte Information. a) Kommunikationsmaßnahmen Kommunikation mit Analysten und wichtigen Aktionären kann die wertorientierte Unternehmensführung nicht ersetzen, ist jedoch für die Ausschöpfung des Wertpotentials an der Börse von Bedeutung3. Die Kommunikation sollte so organisiert sein, dass die geweckten Erwartungen soweit wie möglich im Einklang mit der tatsächlichen Unternehmensentwicklung stehen4. Insiderinformationen dürfen nicht 1 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575. 2 Krause, BB 2002, 1053, 1061. 3 Fritz in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 113, 124. 4 von Buddenbrock in von Rosen/Seifert, Die Übernahme börsennotierter Unternehmen, S. 277, 286 f.
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unbefugt weitergegeben werden (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG)1. Weiterhin darf nicht gegen das Manipulationsverbot des § 20a WpHG verstoßen werden. b) Rückerwerb eigener Aktien 295 Der Rückerwerb eigener Aktien kann tendenziell steigernd auf den Börsenkurs wirken. Hierzu bietet sich vor allem ein gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG aufgelegtes Aktienrückkaufprogramm an. Auch deswegen gehörte die Ermächtigung zum Aktienrückerwerb zum „Standardrepertoire“ der Übernahmeprophylaxe. Die kapitalmarktrechtlichen Grenzen sind zu beachten (siehe oben Rz. 94 f.). 6. Sonstiges 296 Zur Verbesserung der Position im Übernahmekampf kommen folgende weitere Maßnahmen in Betracht. a) Namensaktien 297 Namensaktien eröffnen die Möglichkeit, über den Aktionärskreis informiert zu bleiben und direkt mit den Aktionären zu kommunizieren2. Beides kann wichtig sein: Will die Gesellschaft nach Ankündigung eines Übernahmeangebots eine Eil-Hauptversammlung einberufen, kann sie, wenn Inhaberaktien ausgegeben sind, die Aktionäre nur über die Depotbanken erreichen; sie muss für die Weiterleitung der Einladung zur Hauptversammlung und anderer Informationen entsprechende Bearbeitungszeiten einkalkulieren. Namensaktien versprechen insoweit eine Beschleunigung und die Möglichkeit zu gezielterer Ansprache. Im Vorfeld einer Übernahme ist die Gesellschaft über Änderungen der Zusammensetzug des Aktionärskreises besser informiert. Eintragungen im Aktienbuch geben allerdings nicht immer den wahren Berechtigten wieder, weil sich Dritte für den Aktionär eintragen lassen können. Die Gesellschaften haben von der Möglichkeit, in der Satzung die Offenlegung der „Hintermänner“ zu verlangen (§ 67 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AktG), kaum Gebrauch gemacht. Es bleibt die Möglichkeit, im Einzelfall anzufragen, § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG. b) Maßnahmeplan für den Ernstfall (defense manual) und sonstige Vorbereitungshandlungen 298 Viele Unternehmen bereiten sich auf eine mögliche Übernahme durch die Auswahl von Beratern und strukturierte Maßnahmepläne vor. Die Bezeichnung solcher Pläne als ‚defense manual‘ greift zu kurz. Es geht um die bestmögliche Vorbereitung auf einen möglichen Übernahmeversuch aus kommunikationstechnischer, unternehmerischer und rechtlicher Sicht. Ob die Reaktion der Zielgesellschaft auf den Übernahmeversuch positiv oder negativ sein wird, kann im Vorhinein noch gar nicht feststehen. Ein solcher Maßnahmeplan kann deshalb nur Handlungsalternativen aufzeigen, aber keine festgefügten Ablaufpläne enthalten. Neben der Erstellung eines Maßnahmeplans kommen weitere Maßnahmen zur Vorbereitung auf den Ernstfall in Be-
1 Zur Informationsweitergabe an Betriebsexterne Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 65 ff., 74b. 2 von Rosen/Gebauer in von Rosen/Seifert, Die Namensaktie, S. 127, 134 ff.; zur Rolle des Einsichtsrechts bei feindlichen Übernahmen Seibert in von Rosen/Seifert, Die Namensaktie, S. 11, 23.
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tracht. Dazu gehört u.U. die Bereitstellung und ständige Aktualisierung eines Datenraums1. Der Datenraum kann beispielsweise für den Einstieg eines white knight, für die Veräußerung von Vermögensgegenständen oder für Kapitalmarkttransaktionen erforderlich sein. Nach Ankündigung eines Übernahmeangebots ist kaum Zeit, die ggf. konzernweit zu sammelnden Daten zusammenzustellen.
F. Rechtsfolgen von Verstößen I. Verstöße gegen § 33 Abs. 1 1. Ordnungswidrigkeit Wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 33 Abs. 1 Satz 1 eine dort genannte 299 Handlung vornimmt, handelt ordnungswidrig (§ 60 Abs. 1 Nr. 8) und kann von der BaFin als der gemäß § 61 zuständigen Verwaltungsbehörde mit einer Geldbuße von bis zu einer Million Euro belegt werden (§ 60 Abs. 3). Das im Gesetzesbeschluss noch enthaltene weitere Merkmal, dass die Handlung entgegen § 33 Abs. 1 „ohne Ermächtigung der Hauptversammlung“ vorgenommen wird, wurde erst in der Schlussredaktion im Bekanntmachungsverfahren gestrichen. Diese Streichung korrigiert ein offensichtliches Versehen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, der das noch in § 33 Abs. 1 Satz 1 RegE enthaltene Merkmal, dass Handlungen des Vorstands und Aufsichtsrats mit Verhinderungseignung der Ermächtigung der Hauptversammlung bedürfen, gestrichen, die Korrektur des hiermit korrespondierenden Ordnungswidrigkeitentatbestands aber übersehen hatte2. Die im Hinblick auf Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken3 sind insoweit nicht begründet. Der objektive Tatbestand ist verwirklicht, wenn der Vorstand gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 verstößt, ohne dass gleichzeitig einer der Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 verwirklicht ist4. Damit werden zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe zu Merkmalen des Ordnungswidrigkeitentatbestands gemacht, was im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu Bedenken Anlass gegeben hat5. Zutreffend ist jedenfalls, dass die Ausnahmen vom Verhinderungsverbot zahlreiche Streitfragen aufwerfen und man einem Vorstand, der hierzu rechtliche Beratung eingeholt hat, kaum Vorsatz oder Leichtfertigkeit wird nachweisen können6.
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Das straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) 301 markiert die Grenze der Ahndung gemäß § 60. Folglich können Verstöße gegen das Verhinderungsverbot nur dann als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden, wenn sich der Verstoß unter den Wortlaut des § 33 subsumieren lässt. Allerdings liegt die Problematik von § 33 nicht in einer zu engen Wortlautfassung, die durch erweiternde Auslegung bis hin zur Analogie zu korrigieren wäre. Die These von der gespaltenen
1 Klemm/Reinhardt, NZG 2010, 1006, 1009. 2 Hierzu noch Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 16. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 166; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 33 (Fn. 90). 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 165. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 165; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 249; dagegen Schaal in MünchKomm. WpÜG, § 60 Rz. 43. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 165.
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Normanwendung1, wonach dieselbe Norm im zivilrechtlichen Bereich einen durch Analogie erweiterten Anwendungsbereich haben kann, wird deshalb für § 33 kaum relevant werden2. 2. Zivilrechtliche Folgen 302 Die zivilrechtlichen Folgen von Verstößen gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 sind im Gesetz nicht geregelt. Sie ergeben sich aus den allgemeinen zivil-, aktien- und kapitalmarktrechtlichen Grundsätzen. a) Wirksamkeit im Außenverhältnis 303 Handlungen des Vorstands, die gegen das Verhinderungsverbot verstoßen, sind im Außenverhältnis grundsätzlich wirksam, § 82 AktG3. § 33 Abs. 1 Satz 1 konkretisiert die Pflichten des Vorstands und ist nicht als ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB für etwaige pflichtwidrig abgeschlossene Rechtsgeschäfte ausgestaltet. Selbst wenn das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 keine Organpflicht, sondern eine negative Kompetenznorm wäre und der Vorstand außerhalb seiner Geschäftsführungsbefugnis handelte, wenn er die Zustimmung der Hauptversammlung nicht einholt (zu dieser Frage siehe oben Rz. 87), könnte nichts anderes gelten4. Das gilt auch dann, wenn der Vorstand ohne die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats handelt, und zwar sowohl im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 25 als auch im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3. Die Unwirksamkeit der Abwehrmaßnahme kommt nur bei Missbrauch der Vertretungsmacht6 einschließlich kollusivem Zusammenwirken mit einem Dritten in Betracht7. Anders ist es dort, wo dem Vorstand aktienrechtlich von vornherein die Vertretungsmacht fehlt (z.B. bei Abschluss von Verträgen mit anderen Vorstandsmitgliedern, § 112 AktG). b) Unterlassungsansprüche aa) Ansprüche der Aktionäre 304 Aktionäre können einen gerichtlich unmittelbar durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass der Vorstand kompetenzüberschreitende Maßnahmen, die in die Mit1 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05 – WMF, AG 2006, 883, 885 Rz. 17; Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpÜG, Einl. Rz. 98; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG Einl. Rz. 95; für die gespaltene Anwendung z.B. Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 9 ff.; 1. Aufl., Rz. 301. 2 A.A. 1. Aufl., Rz. 301. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 145; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 81; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 133; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 35; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 41; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 234. 4 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 132 = AG 1982, 158; OLG Celle v. 7.3.2001 – 9 U 137/00, AG 2001, 357, 358; Hüffer, § 82 AktG Rz. 4 und § 119 AktG Rz. 16. 5 A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 137 unter Berufung auf die Rechtslage beim genehmigten Kapital; dort geht allerdings die h.M. ebenfalls von der Wirksamkeit der ohne Zustimmung des Aufsichtsrats geschlossenen Zeichnungsverträge aus, vgl. Veil in K. Schmidt/Lutter, § 204 AktG Rz. 13; Gleiches gilt für die Nichtbeachtung eines Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG, vgl. Hüffer, § 82 AktG Rz. 12, 14. 6 Spindler in MünchKomm. AktG, § 82 Rz. 57 ff. 7 Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 129; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 81; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 63.
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gliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen, unterlässt1. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Vorstand in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung direkt eingreift oder bei von der Hauptversammlung abgeleiteten Kompetenzen – wie zum Beispiel der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals – die gesetzlichen oder von der Hauptversammlung festgelegten Grenzen außer Acht lässt2. Nach der ursprünglichen Konzeption von § 33 Abs. 1 Satz 1, die auf eine Ermächtigung durch die Hauptversammlung abstellte (Rz. 22), wären Aktionärsklagen im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 1 möglicherweise generell zulässig gewesen3; nach der schließlich Gesetz gewordenen Konzeption (Rz. 87) ist das nur dann der Fall, wenn nach Art der Maßnahme aktienrechtlich von einem Eingriff in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung auszugehen ist4. Unterlassungsansprüche einzelner Aktionäre können demnach im Anwendungs- 305 bereich von § 33 Abs. 1 auf aktienrechtlicher Grundlage bestehen, wenn der Vorstand mit Vornahme der Abwehrmaßnahme in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreift5. Das kommt etwa bei der pflichtwidrigen Ausnutzung einer Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG oder nach § 202 AktG oder bei einer Maßnahme unter Verletzung der zwingenden Beteiligung der Hauptversammlung nach „Holzmüller/Gelatine“-Grundsätzen6 in Betracht7 Im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 2 ist der Kompetenzbereich der Hauptversammlung eröffnet, soweit die ihrer Art nach in der Ermächtigung bestimmten Maßnahmen zwingend der Einschaltung der Hauptversammlung bedürfen; ein Handeln des Vorstands unter fehlerhafter Ausnutzung einer nach § 33 Abs. 2 erteilten Ermächtigung eröffnet in diesem Fall grundsätzlich die Aktionärsklage (näher Rz. 323)8. Anspruchsinhaber sind ausschließlich die Aktionäre der Zielgesellschaft9. § 33 306 schützt den Bieter nur reflexartig und sonstige Dritte ohnehin nicht (Rz. 15). Anspruchsgegner ist die Zielgesellschaft10. In der Literatur wird teilweise verlangt, dass
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Casper in Spindler/Stilz, Vor § 241 AktG Rz. 22 ff. Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 Rz. 15. Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 17. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 151; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 90; im Ausgangspunkt ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 236; a.A. Winter/ Harbarth, ZIP 2002, 1, 17 (genereller Unterlassungsanspruch im Anwendungsbereich von § 33); noch anders Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 130 (Unterlassungsanspruch für eine Minderheit i.S.d. § 122 Abs. 2 AktG). Zur Rechtslage vor dem WpÜG LG Düsseldorf v. 14.12.1999 – 10 O 495/99 Q – Mannesmann, AG 2000, 233; Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 129, 133 ff.; Krause, AG 2000, 217; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 274. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384 = NZG 2004, 571; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575. Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 129, 133 ff.; Thümmel, DB 2000, 461, 464; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 82. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 147. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 128; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 236; a.A. Thaeter, NZG 2001, 789, 791; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 147 (für Anspruchsberechtigung auch des Bieters und sonstiger zukünftiger Aktionäre; siehe aber Hirte aaO § 33 Rz. 3, wonach der Bieter gerade nur reflexartig geschützt wird). BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 f. Rz. 16; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 134 = AG 1982, 158, 161; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 148 m.w.N.
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die Klage innerhalb eines Monats erhoben wird1. Der Unterlassungsanspruch kann auch mit Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden2. Wird die einstweilige Verfügung erlassen und später aufgehoben, haftet der Antragsteller nach § 945 ZPO auf Schadensersatz. Ist die rechtswidrige Abwehrmaßnahme bereits vollzogen, können die Aktionäre auf Feststellung der Nichtigkeit der zugrunde liegenden Vorstandsbeschlüsse klagen3 und die Rückabwicklung der rechtswidrigen Maßnahme verlangen, wenn die Rückabwicklung möglich und nicht mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist4. Je nach Art der Maßnahme besteht Bestandsschutz, so etwa für eine nach § 246a AktG erwirkte Registereintragung (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG) und für die Eintragung der Durchführung der Ausgabe neuer Aktien, wenn eine Ermächtigung vorliegt und nur deren Grenzen überschritten werden (Rz. 226). bb) Ansprüche des Bieters 307 Ist der Bieter Aktionär, gelten die soeben dargestellten Grundsätze. Ist der Bieter nicht Aktionär, besteht kein Unterlassungsanspruch. § 33 ist kein Schutzgesetz zugunsten des Bieters; dessen Begünstigung ist lediglich ein Rechtsreflex (siehe oben Rz. 15). 308 Ergreift die Zielgesellschaft Abwehrmaßnahmen, bleibt der Bieter an sein Angebot grundsätzlich gebunden, selbst wenn die Maßnahmen die Zielgesellschaft grundlegend umgestalten5. Dies folgt insbesondere aus § 18 Abs. 2 und dem Erfordernis des Schutzes der verkaufsbereiten Aktionäre. Will der Bieter sich gegen Abwehrmaßnahmen schützen, kann er sein Angebot unter entsprechende Bedingungen stellen (hierzu § 18 Rz. 81 ff.). Das schließt in Extremfällen einen Rücktritt nach § 313 Abs. 3 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) nicht völlig aus6. c) Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands aa) Ansprüche der Gesellschaft 309 Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Der Vorstand hat die Beachtung der Gesetze sicherzustellen. Ein vom Vorstand veranlasster Gesetzesverstoß ist objektiv pflichtwidrig, wenn man nicht § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG auf das Handeln bei unklarer Rechtslage analog anwenden will7. Bei der Abwehr feindlicher Übernahmeangebote kann die Pflichtverletzung darin liegen, dass die Abwehrmaßnahmen, ohne gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 gerechtfertigt zu sein, gegen das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 versto-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 148; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 236; für die Feststellungsklage, wo die Anwendung der Monatsfrist näher liegt, offen gelassen von BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 Rz. 31. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 149; Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 560 f.; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 237. 3 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 39 Rz. 15. 4 Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 143; Seiler/Singhof, Der Konzern 2003, 313, 317 ff.; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 238; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 154. 5 Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 769; Brems/Apfelbacher in Apfelbacher u.a., German Takeover Law, § 18 Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 253; a.A. Geibel/ Süßmann, BKR 2002, 52, 56. 6 Berger/Filgut, WM 2005, 263, 256; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 18 Rz. 99 ff.; Geibel in Geibel/Süßmann, § 18 Rz. 74 ff. 7 Sehr streitig; dafür zu Recht z.B. Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 66 ff.
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ßen, etwa weil der Vorstand infolge fehlerhafter Ermessensausübung zu der Auffassung gelangt, dass das Übernahmeangebot nicht im Interesse der Gesellschaft liegt1. Die Gesellschaft muss ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten im Pflichtenkreis des Vorstands darlegen und beweisen. Der Vorstand trägt dann die Beweislast für seine Entlastung, sei es durch Nachweis pflichtgemäßen Handelns, fehlenden Verschuldens oder des Schadenseintritts auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten2. Ob der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist, bestimmt sich nach allgemeinen 310 Grundsätzen durch den Vergleich des aktuellen Gesellschaftsvermögens (Ist-Zustand) mit dem hypothetischen Gesellschaftsvermögen im Falle pflichtgemäßen Verhaltens des Vorstands (Soll-Zustand)3. Hierfür ist ohne Belang, ob das Übernahmeangebot durchgeführt wird oder nicht4. Der Schaden der Zielgesellschaft kann in den Aufwendungen für die Abwehr (Beratungskosten, Werbemaßnahmen) bestehen, wobei nur diejenigen Kosten ersatzfähig sind, die durch die Umsetzung der rechtswidrigen Maßnahme entstanden sind5. Im Einzelfall kann der Schaden auch in der Veräußerung von Vermögensgegenständen zu einem zu niedrigen Preis liegen. Die Verletzung des Bezugsrechts der Aktionäre im Rahmen einer Kapitalmaßnahme wird dagegen im Regelfall keinen Schaden der Gesellschaft zur Folge haben6. Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches obliegt dem Aufsichtsrat (§ 112 311 AktG). Den Aktionären stehen unter den jeweils dafür geltenden Voraussetzungen die Initiierung eines Beschlusses der Hauptversammlung zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 147 Abs. 1 AktG) oder zur Einsetzung eines besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 2 AktG) oder der Antrag auf Klagezulassung durch das Gericht nach § 148 AktG zur Verfügung. Die Bestellung eines besonderen Vertreters kann sachgerecht sein, wenn die Abwehrmaßnahme mit Zustimmung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder vorgenommen worden ist7. bb) Ansprüche der Aktionäre Unmittelbare Schadensersatzansprüche der Aktionäre gemäß § 93 Abs. 2 AktG 312 bestehen nicht8. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB (oder § 60 Abs. 1 Nr. 8) lässt sich ein Schadensersatzanspruch nicht herleiten, denn § 33 (bzw. § 60 Abs. 1 Nr. 8) ist kein Schutzgesetz zugunsten individueller Aktionäre, sondern schützt die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und die Entscheidungsfreiheit und Wahlmöglichkeit der Aktionäre im Allgemeinen9. Schadensersatzansprüche der Aktionäre können regel1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 135; Mielke in Beckmann/Kersting/Mielke, C 65; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 241. 2 93 Abs. 2 Satz 2 AktG und BGH v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, AG 2011, 378, 379, Rz. 17. 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 137. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 83; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 242. 5 Thümmel, DB 2001, 461; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 137; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 159; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 43; Spindler in MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 87. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 158; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 242. 7 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 244. 8 Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 290; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 43; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 92; a.A. Hirte, ZGR 2002, 623, 654. 9 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 84; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33 Rz. 59; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 245; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 95; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 16; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33
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mäßig auch nicht auf § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung der Mitgliedschaft als sonstiges Rechts gestützt werden. Soweit kein Übergriff in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung vorliegt, fehlt es an einem Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht1. Wenn ein solcher Übergriff vorliegt, ist dennoch fraglich, ob es bei innergesellschaftlichen Kompetenzüberschreitungen um den Schutz der Vermögensinteressen einzelner Aktionäre geht2. Ansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB können auch nicht darauf gestützt werden, dass die Abwehrmaßnahme den Vermögenswert der Aktie beeinträchtigt hat3. Es bleibt die Möglichkeit von Ansprüchen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Von extremen Ausnahmefällen abgesehen werden die Anspruchsvoraussetzungen allerdings kaum je vorliegen. Wenn im Einzelfall eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung vorliegt, gelten die allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze im Bereich der Kausalität, des Verschuldens und des ersatzfähigen Schadens (vgl. Rz. 319 f.). Soweit der Schaden bei der Gesellschaft eingetreten ist, ist der Aktionär an der Geltendmachung seines Reflexschadens (Wertminderung der Aktie) gehindert (Rz. 320). cc) Ansprüche des Bieters 313 Zwischen dem Bieter und den Organen der Zielgesellschaft bestehen weder rechtsgeschäftliche noch sondergesetzliche Verbindungen. § 823 Abs. 2 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche des Bieters aus, weil es sich nicht um ein Schutzgesetz zugunsten des Bieters handelt (siehe oben Rz. 15, 307). Denkbar, aber kaum mit einem relevanten Anwendungsbereich sind Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB. Wenn der Bieter an der Zielgesellschaft beteiligt ist, gelten die für Ansprüche von Aktionären geltenden Grundsätze. Auch dann könnte der Bieter als Schadensposition kein über seine Beteiligung hinausgehendes, wie auch immer monetär zu bewertendes Übernahmeinteresse ins Feld führen. d) Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Aufsichtsrats 314 Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet (§§ 116, 93 Abs. 2 AktG). Als Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder im Übernahmekontext kommt etwa die Zustimmung zu einer nicht im Gesellschaftsinteresse liegenden Abwehrmaßnahme oder die Vernachlässigung der Überwachungspflicht bei vom Vorstand implementierten Maßnahmen in Betracht4. Wenn ein unüberwindbarer Interessengegensatz zwischen der Zielgesellschaft und dem von einem Aufsichtsrats-
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3 4
Rz. 160; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 142; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 37. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 85; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 142; Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 470 ff.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rz. 210 ff.; a.A. Hirte, ZGR 2002, 623, 654 f. Ablehnend Wiesner in MünchHdb. AG, § 18 Rz. 11; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 245; differenzierend Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 94; BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 40 Rz. 19 erwähnt individuelle Schadensersatzansprüche des Aktionärs nicht, was nahegelegen hätte, wenn es sie denn gäbe. Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 85; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 141; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 239; Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 94; a.A. Hirte, ZGR 2002, 623, 654. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 145; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 246; vgl. BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 – MPS, WM 2009, 78, 81 Rz. 21 und BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, WM 2009, 851, 852 f. Rz. 15.
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mitglied repräsentierten Unternehmen besteht (etwa einer das Angebot finanzierenden Bank), ist das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, mit dem Interessenkonflikt in geeigneter Weise – bis hin zur Niederlegung des Mandats – umzugehen1. Für die Ansprüche der Aktionäre und des Bieters gilt das oben Gesagte.
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e) Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft aa) Ansprüche der Aktionäre Das Handeln des Vorstands in seinem Aufgabenkreis ist der Gesellschaft nach § 31 316 BGB zuzurechnen2. Wenn bereits der Vorstand nicht haftet, kommt eine Haftung der Gesellschaft nicht in Betracht. Für die Haftung des Vorstands ist auf die oben (Rz. 312) erläuterten Grundsätze zu verweisen. Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 BGB sind nicht gegeben, weil § 33 kein Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre ist (Rz. 312). Schadensersatzansprüche der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 317 Abs. 1 BGB i.V.m. § 31 BGB kommen ebenfalls regelmäßig nicht in Betracht (Rz. 312 und sogleich). Wenn der Vorstand Maßnahmen ergreift, die nicht in seine Zuständigkeit, sondern 318 in die der Hauptversammlung fallen, kann hierin ein Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre und damit in ein gemäß § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht liegen. Auch insoweit ist aber zu fragen, ob ein Eingriff in Einzelbefugnisse des Verbandsmitglieds vorliegt oder das Verbandsmitglied lediglich als Teil des Verbands betroffen ist3. Insofern ist es auch kein Widerspruch4, wenn der Aktionär kraft seiner Mitgliedschaft Unterlassung und Feststellung der Rechtswidrigkeit verlangen kann (oben Rz. 304 f.), u.U. aber nicht Ersatz seines individuellen Schadens. Es bleibt die Möglichkeit von Ansprüchen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§§ 826, 31 BGB), die aber in aller Regel an den hohen Anspruchsvoraussetzungen scheitern werden. Des Weiteren kann es an der haftungsbegründenden Kausalität zwischen der Abwehrmaßnahme und dem Scheitern des Angebots fehlen, etwa wenn die vom Bieter aufgestellte Akzeptanzschwelle nicht erreicht wird und dies auch auf andere Gründe (beispielsweise die fehlende Attraktivität des Angebots) zurückzuführen ist5.
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Weiterhin steht der Schadensersatzanspruch den Aktionären nur insoweit zu, wie ih- 320 nen ein Schaden entstanden ist, der über den Schaden der Gesellschaft hinausgeht und daher nicht durch Leistung in das Vermögen der Gesellschaft auszugleichen ist (Doppelschaden)6. Die Kosten der vom Vorstand ergriffenen Abwehrmaßnahmen bedeuten regelmäßig einen Schaden der Gesellschaft und stellen damit für die Aktionä-
1 Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 33 Rz. 63 ff., 67; Lange, WM 2002, 1737; Semler/ Stengel, NZG 2003, 1. 2 Reuter in MünchKomm. BGB, § 31 Rz. 33 ff. 3 Oben Rz. 312 und Wagner in MünchKomm. BGB, § 823 Rz. 172. 4 So aber Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 159. 5 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 143. 6 Hüffer, § 93 AktG Rz. 19; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rz. 213 ff.; Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 151 ff.; Thümmel, DB 2000, 461, 464; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 240; vgl. auch Grunewald in Baums/Thoma, § 33 Rz. 94; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 160.
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re einen nicht erstattungsfähigen Reflexschaden dar1. Auch der Kursverlust, der nach einem gescheiterten Übernahmeangebot eintritt, ist grundsätzlich nicht erstattungsfähig2. Dies ist anders, wenn der Aktionär durch die Abwehrmaßnahme daran gehindert worden ist, das Angebot des Bieters anzunehmen. Der Schaden wäre in diesem Fall die Differenz zwischen dem Verkehrswert der vom Bieter angebotenen Gegenleistung und dem Verkehrswert der vom annahmewilligen Aktionär gehaltenen Aktien der Zielgesellschaft3; allerdings fehlt es, wie erörtert, regelmäßig an einer Anspruchsgrundlage. bb) Ansprüche des Bieters 321 Schadensersatzansprüche des Bieters gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 Abs. 2 BGB sind nicht gegeben, weil das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 kein Schutzgesetz zugunsten des Bieters ist (siehe oben Rz. 15, 307, 313). Schadensersatzansprüche des Bieters gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 Abs. 1 BGB kommen ebenfalls nicht in Betracht. Es bleibt die (eher theoretische) Möglichkeit von Ansprüchen nach §§ 826, 31 BGB. f) Sonstige Rechtsfolgen 322 Verstößt der Vorstand gegen § 33 Abs. 1 Satz 1, sind als weitere Rechtsfolgen die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Vorstandsmaßnahme4, Verweigerung der Entlastung und die Anordnung einer Sonderprüfung denkbar5. Teilweise wird eine Befugnis der BaFin angenommen, gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 verstoßende Abwehrmaßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 zu unterbinden6. In Sonderfällen können Ansprüche des Bieters gegenüber der Zielgesellschaft oder einem konkurrierenden Bieter gemäß §§ 1, 3 UWG gegeben sein7.
II. Verstöße gegen § 33 Abs. 2 323 Wenn der Vorstand von einer Ermächtigung nach § 33 Abs. 2 Gebrauch machen will, aber die erteilte Ermächtigung die Maßnahme nicht trägt, ist wie folgt zu unterscheiden: – Wenn die Maßnahme ihrer Art nach – unabhängig von der Verhinderungseignung – einer Ermächtigung oder Zustimmung durch die Hauptversammlung bedarf und die erteilte Ermächtigung nach den auf die Maßnahme anwendbaren Grundsätzen keine hinreichende Grundlage bietet, liegt ein Eingriff in die Kompetenzen der Hauptversammlung und das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre vor; ein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 liegt zusätzlich dann (und nur dann) vor, wenn die Vo-
1 W. U. Schilling, DB 1997, 1909, 1911; Thümmel, DB 2000, 461, 464; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 Rz. 87; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 143. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 143. 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 143. 4 Beim Eingriff in Mitgliedschaftsrechte: BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta II, AG 2006, 38, 40 Rz. 19. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 167. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 167; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33 WpÜG Rz. 49; differenzierend Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 33 Rz. 34; a.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 252. 7 Schnorbus, ZHR 166 (2002), 72, 117; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33 Rz. 167.
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raussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 1 erfüllt sind und keine der Ausnahmen nach § 33 Abs. 2 einschlägig ist. – Wenn die Maßnahme ihrer Art nach – unabhängig von der Verhinderungseignung – an sich einer Ermächtigung oder Zustimmung durch die Hauptversammlung nicht bedarf, aber die Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 1 erfüllt sind und keine der Ausnahmen nach § 33 Abs. 2 einschlägig ist, liegt ein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 (aber kein Eingriff in die Kompetenzen der Hauptversammlung) vor. – Wenn die Maßnahme ihrer Art nach – unabhängig von der Verhinderungseignung – an sich einer Ermächtigung oder Zustimmung durch die Hauptversammlung nicht bedarf und entweder die Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 Satz 1 nicht erfüllt sind oder eine der Ausnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 einschlägig ist, ist die Maßnahme übernahmerechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn der Vorstand sich irrtümlich auf die Ermächtigung stützte. Die Sanktionen richten sich in jeder Fallgruppe nach den oben (Rz. 299 ff.) bereits dargestellten Grundsätzen.
G. Vorteilsgewährung an Organmitglieder (§ 33 Abs. 3 a.F.) § 33 Abs. 3, der sich mit der Vorteilsgewährung an Organmitglieder befasste, wurde 324 durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 8.7.2006 (BGBl. I 2006, 1426) aufgehoben und mit unverändertem Inhalt in den neuen § 33d verschoben (siehe die dortige Kommentierung).
H. Blick über die Grenze1 I. Vereinigtes Königreich Die Regelung des City Code zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote stand Pate 325 für die entsprechenden Regelungen in den verschiedenen Richtlinienvorschlägen. Von dort aus entfaltete sie Ausstrahlungswirkung auf die übernahmerechtlichen Vorschriften einer ganzen Reihe von EU-Mitgliedstaaten, ohne dass die Richtlinie bereits verabschiedet gewesen wäre. Der City Code wurde nach Inkrafttreten der Übernahmerichtlinie umgestaltet. Im hier relevanten Zusammenhang wurde insbesondere das Vereitelungsverbot in General Principle 7 nach Rule 21.1 verschoben. Die Verhaltenspflichten des Managements der Zielgesellschaft sind im City Code in 326 Rule 21.1 geregelt. Gemäß Rule 21.1 lit. a) City Code darf der board der Zielgesellschaft während eines Angebots oder wenn er Grund zu der Annahme hat, dass ein ernstgemeintes Angebot bevorsteht, ohne Zustimmung der Hauptversammlung keine Handlungen in Bezug auf die Angelegenheiten der Gesellschaft vornehmen, die das Angebot vereiteln oder den Aktionären die Entscheidungsmöglichkeit aus der Hand nehmen würden. Dieser Grundsatz wird in Rule 21.1 lit. b) City Code erweitert. Dort heißt es, dass der board ohne Zustimmung der Hauptversammlung (a) keine neuen Aktien ausgeben oder gewähren, keine eigenen Aktien übertragen oder verkaufen oder entsprechende Verpflichtungsgeschäfte eingehen, (b) keine Bezugsrechte auf noch nicht ausgegebene Aktien ausgeben oder gewähren, (c) keine Wertpapiere mit Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien schaffen oder ausgeben, (d) keine we1 Eine umfassender Übersicht enthält Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 199 ff.
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Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
sentlichen Vermögensgegenstände erwerben oder veräußern oder entsprechende Verpflichtungsgeschäfte eingehen und (e) auch keine außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs liegenden vertraglichen Verpflichtungen eingehen darf. Auch diese Beschränkungen finden Anwendung, sobald das Angebot dem board der Zielgesellschaft übermittelt worden ist oder der board Grund zu der Annahme hat, dass ein Angebot bevorsteht. Ein Nachweis der Verhinderungseignung im konkreten Fall ist nicht erforderlich. Das Verhinderungsverbot des City Code setzt also früher ein als das Verhinderungsverbot des WpÜG und beinhaltet abstrakte Verbote ohne Nachweis der Verhinderungseignung. Von diesen Verboten kann das Panel befreien und wird das in der Regel tun, wenn der Bieter zustimmt (Introduction 2 (c), Note 1 on Rule 21.1). Im Übrigen kann der board der Zielgesellschaft die Zustimmung der Hauptversammlung einholen (Rule 21.1). 327 Weiterhin darf der board der Zielgesellschaft ohne Zustimmung der Hauptversammlung keine eigenen Aktien erwerben (Rule 37.3 City Code). In bestimmten Fällen, die als problematisch angesehen werden, muss das Panel vorab konsultiert werden. Das betrifft die Zahlung von Zwischendividenden, die Verbesserung der Bedingungen der Dienstverträge der directors und die Erhöhung der Pensionsverbindlichkeiten der Zielgesellschaft (Notes on Rule 21.1). Die Erfüllung bereits geschlossener Verträge und die Suche nach einem konkurrierenden Angebot sind dagegen zulässig.
II. Vereinigte Staaten von Amerika1 328 In den Vereinigten Staaten von Amerika steht die Rechtsetzungskompetenz für die Regelung der Verhaltenspflichten des Managements der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten den einzelnen Bundesstaaten zu. Die Gerichte des Bundesstaates Delaware2 messen Abwehrmaßnahmen an der business judgment rule, die auch außerhalb des Kontextes von Übernahmeangeboten gilt3. Sie begründet die widerlegliche Vermutung, dass ein director, der über eine Geschäftsführungsmaßnahme entscheidet, seine Sorgfaltspflicht (duty of care) nicht verletzt, wenn er (i) am Gegenstand der fraglichen Entscheidung kein Eigeninteresse hat, (ii) er sich vor der Entscheidung über alle vernünftigerweise zu berücksichtigenden Umstände informiert und (iii) er vernünftigerweise davon ausgeht, im besten Interesse der Gesellschaft zu entscheiden4. Damit räumt die business judgment rule der Verwaltung, die die verfahrensmäßigen Anforderungen beachtet hat, einen gerichtlich nicht überprüfbaren weiten Ermessensspielraum ein. In der Übernahmesituation wird die business judgment rule allerdings dahingehend modifiziert, dass das Management die Beweislast dafür trägt, auf eine Gefährdung der Gesellschaft angemessen reagiert zu haben (modified business judgment rule)5. In anderen US-Bundesstaaten sind die Ge1 Vgl. auch Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report, 2012, S. 202 ff. 2 Zu den Gründen für die Vorreiterrolle des Staates Delaware vgl. Hatzis-Schoch, RIW 1992, 539. 3 Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805, 812 (Del. 1984); Smith v. Van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del. 1985). 4 Restatement in § 4.01(c) ALI Principles of Corporate Governance; Block/Barton/Radin, The Business Judgment Rule, 5. Aufl. 1998, S. 631; aus dem deutschen Schrifttum vgl. Ebenroth/Eyles, RIW 1988, 413; Trockels, AG 1990, 139, 140; T. C. Paefgen, RIW 1991, 103; Bungert, AG 1994, 297; Lammers, Verhaltenspflichten, 1994, S. 35; Krause, WM 1996, 845, 850; Kirchner, AG 1999, 483, 489; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 60. 5 Pogostin v. Rice, 480 A.2d 619, 627 (Del. 1984); Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co., 493 A.2d 946 (Del. 1985).
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§ 33
Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft
richte mit der Anwendung der business judgment rule im Kontext von Übernahmeangeboten zurückhaltender1. Solange die Übernahme einer delaware corporation noch nicht unabwendbar ist, bildet die Unocal-Doktrin den Prüfungsmaßstab. Hiernach ist der board für Abwehrmaßnahmen zuständig; er muss jedoch beweisen, dass die Maßnahme verhältnismäßig (reasonable) ist2. Auf dieser Grundlage hat der Delaware Supreme Court auch poison pills3 für zulässig gehalten4. Die besonders schwer außer Kraft zu setzenden Varianten dead hand poison pill und no hand poison pill5 wurden von den Gerichten in Delaware jedoch für unwirksam erklärt6.
329
Wenn sich die Übernahme der Zielgesellschaft nicht mehr abwenden lässt und es 330 nur noch um die Frage geht, ob das Management einen von mehreren konkurrierenden Bietern unterstützen darf, bildet die Revlon-Doktrin den Prüfungsmaßstab. Hiernach hat der board das bestmögliche Angebot für die Aktionäre auszuhandeln und sich dabei im Wesentlichen an der Höhe der Gegenleistung zu orientieren7. Eine generelle Pflicht, die Gesellschaft zum Verkauf zu stellen, besteht nicht; der board der Zielgesellschaft darf zu einem Angebot grundsätzlich auch „nein“ sagen („just say no defense“)8.
331
III. Weitere EU-Mitgliedstaaten Das Neutralitätsgebot der Übernahmerichtlinie wurde in insgesamt 19 Mitgliedstaaten umgesetzt, außer dem Vereinigten Königreich u.a. in Frankreich, Italien, Österreich und Spanien9. Von der Opt out-Möglichkeit haben außer Deutschland u.a. Po-
1 Generell keine Anwendung: Dynamics Corp. of Am. v. CTS Corp., 794 F.2d 250 (7th Cir. 1986) (Recht von Indiana), rev’ d 481 U.S. 69 (1987); Norlin Corp. v. Ruoney, Pace, Inc., 744 F.2d 255 (2d Cir. 1984) (Recht von New York); Heckmann v. Ahmanson, 168 Cal.App.3d 119, 214 Cal.Rptr. 177 (1986) (Recht von Kalifornien). Keine Anwendung, wenn die Übernahme unabwendbar ist: Edelman v. Fruehauf Corp., [1986–87 Transfer Binder] Fed.Sec.L.Rep. (CCH) 92, 863 (6th Cir. 1986) (Recht von Michigan); Hanson Trust PLC v. M.L. SCM Acquisition, Inc., 781 F.2d 264 (2d Cir. 1986) (Recht von New York). 2 Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co., 493 A.2d 946, 955 (Del. 1985). 3 Vgl. hierzu T. C. Paefgen, AG 1991, 189; Harbarth, ZVglRWiss 100 (2001), 275. 4 Moran v. Household Intern., Inc., 500 A.2d 1346 (Del. 1985); Unitrin, Inc. v. American General Corp., 651 A.2d 1361 (Del. 1995); Air Products & Chemicals, Inc. v. Airgas, Inc., C.A. No. 5249–CC (Del. Ch. Feb. 15, 2011). 5 Die dead hand poison pill kann nur von den directors aufgehoben werden, die bei Veröffentlichung des Übernahmeangebots Mitglied des board waren; die no hand poison pill kann von niemandem aufgehoben werden; vgl. hierzu Coates, 23 Journal of Corporate Law, 837, 853 (1999). 6 Quick Turn Design System Inc. v. Mentor Graphics Corp., CA No. 16584 (Del. 1998); Camody v. Toll Bros. Inc. (Del. Ch. 24.7.1998). 7 Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings, Inc., 506 A.2d 173 (Del. 1986); Paramount Communications v. Time, Inc., 571 A.2d 1140 (Del. 1989); Paramount Communications v. QVC Network Inc., 637 A.2d 34 (Del. 1994); Lyondell Chemical Corp. v. Ryan, C.A. 3176 (Del. Mar. 25, 2009); hierzu ausführlich Kirchner/Painter, 1 European Business Organisation Law Review 353, 367 ff. (2000); Harbarth, ZVglRWiss 100 (2001), 275, 285 f.; Weisner, Verteidigungsmaßnahmen, 2000, S. 91 ff. 8 Barkan v. Amsted Indus., Inc., 567 A.2d 1279 (Del. 1989). 9 Kommission, Bericht über die Anwendug der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote vom 28.6.2012, COM(2012) 347, Ziffer 7.
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§ 33a
Europäisches Verhinderungsverbot
len, die Niederlande, Dänemark und Schweden Gebrauch gemacht. Für Inhalt und Funktionsweise des europäischen Neutralitätsgebots kann auf die Kommentierung zu § 33a verwiesen werden.
§ 33a Europäisches Verhinderungsverbot (1) Die Satzung einer Zielgesellschaft kann vorsehen, dass § 33 keine Anwendung findet. In diesem Fall gelten die Bestimmungen des Absatzes 2. (2) Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 dürfen Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Das gilt nicht für 1. Handlungen, zu denen die Hauptversammlung den Vorstand oder Aufsichtsrat nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ermächtigt hat, 2. Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs, 3. Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs, sofern sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gefasst und teilweise umgesetzt wurden, und 4. die Suche nach einem konkurrierenden Angebot. (3) Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt sowie die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich davon zu unterrichten, dass die Zielgesellschaft eine Satzungsbestimmung nach Absatz 1 Satz 1 beschlossen hat.
Inhaltsübersicht A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1. Die Regelungen der Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in § 33a . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Opt out und sonstige Beendigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Europäisches Verhinderungsverbot (§ 33a Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
7
II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 29
II. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . .
13
III. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . 29 2. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . 30
IV. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . .
16
III. Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . 32
B. Opt in und Opt out der Zielgesellschaft (§ 33a Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . .
17
I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
1. Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . . . . 32 2. Verhältnis zu den aktienrechtlichen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
II. Umsetzung der Opt in-Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
IV. Inhalt des europäischen Verhinderungsverbots (§ 33a Abs. 2 Satz 1) . . 37
1. Satzungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt des Opt in-Beschlusses . . . . .
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1. Objektive Verhinderungseignung als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . 37 2. Einzelne Handlungen . . . . . . . . . . . . 40
§ 33a
Europäisches Verhinderungsverbot D. Ausnahmen vom europäischen Verhinderungsverbot (§ 33a Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Entscheidung vor Ankündigung eines Angebots. . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
42
V. Suche nach einem konkurrierenden Angebot (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
42
E. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
II. Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Initiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitlicher Ablauf und Einberufungserleichterungen . . . . . . . . . . . . 3. Beschlussgegenstand . . . . . . . . . . . . . 4. Kein Berichtserfordernis . . . . . . . . . . 5. Erforderliche Mehrheit, Stimmrecht, Sonderbeschlüsse, sachliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausnutzen der Ermächtigung . . . . .
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I. Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . 68 II. Zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . 69 1. Wirksamkeit im Außenverhältnis . 69 2. Anspruch auf Unterlassung . . . . . . . 70 3. Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . 72 F. Unterrichtungspflichten (§ 33a Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
III. Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normaler Geschäftsbetrieb . . . . . . .
54 55
IV. Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
II. Adressat der Mitteilungspflicht. . . . 76 III. Gegenstand, Form, Zeitpunkt . . . . . 77 IV. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Schrifttum: Arnold/Wenninger, Maßnahmen zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote, CFL 2010, 79; Bank, Präventivmaßnahmen börsennotierter Gesellschaften zur Abwehr feindlicher Übernahmeversuche in Deutschland und Großbritannien. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und britischen Rechts unter Berücksichtigung der Europäischen Übernahmerichtlinie, 2006; Barst, Rechtsschutzinstrumente des Bieters bei feindlichen Übernahmen, 2008; Birke, Neutralitätspflicht der Hauptversammlung im Übernahmeprozess: Desinvestitionsentscheidung versus Kollektiventscheid bei öffentlichen Übernahmeangeboten, 2006; Dauner-Lieb, Das Tauziehen um die Übernahmerichtlinie – eine Momentaufnahme, DStR 2003, 555; Dauner-Lieb/Lamandini, Der neue Kommissionsvorschlag einer EUÜbernahmerichtlinie – Stellungnahme der Gutachter des EU-Parlaments, BB 2003, 265; Dauner-Lieb/Lamandini, Der neue Kommissionsvorschlag einer Übernahmerichtlinie und das Europäische Parlament, Der Konzern 2003, 168; Diekmann, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Edwards, The Directive on Takeover Bids – Not Worth the Paper It’s Written On?, ECFR 2004, 416; von Falkenhausen, Unternehmensprophylaxe – Die Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft, NZG 2007, 97; Fischer zu Cramburg, Übernahmen I: Umsetzung der Europäischen Richtlinie: Kommission beklagt protektionistische Tendenzen, NZG 2007, 298; Friedl, Die Stellung des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft bei Abgabe eines Übernahmeangebots nach neuem Übernahmerecht unter Berücksichtigung des Regierungsentwurfs zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, NZG 2006, 422; Fuchs, Die Implementierung der 13. (Übernahme-)Richtlinie: Umsetzungspflichten und Umsetzungsoptionen aus der Sicht des deutschen Rechts, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006, S. 110; Glade/Haak/Hellich, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, Der Konzern 2004, 455–462 (Teil I), 515–525 (Teil II); Grassl, Opt-in, Opt-out – alles klar in Europa? Zur Abwehr feindlicher öffentlicher Übernahmeangebote nach der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, in FS zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 2008, S. 177; Grundmann, Die rechtliche Verfassung des Marktes für Unternehmenskontrolle nach Verabschiedung der Übernahme-Richt-
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Das Verhinderungsverbot aus institutionenökonomischer Perspektive, WM 2010, 1155; Krause, BB-Europareport: Die EU-Übernahmerichtlinie – Anpassungsbedarf im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2004, 113; Kronke, The Takeover Directive and the „Commercial Approach“ to Harmonization of Private Law, in FS Horn, 2006, S. 445; Lehne/Haak, Das Ringen um die Übernahmerichtlinie aus Sicht des Europäischen Parlaments, Der Konzern 2003, 1631; Liekefett, Die EU-Übernahmerichtlinie aus ökonomischer Perspektive, RIW 2004, 824; Maul, Die EU-Übernahmerichtlinie – ausgewählte Fragen, NZG 2005, 151; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie – Inhalt und Umsetzung in nationales Recht, AG 2004, 221–234 (Teil I), 306–318 (Teil II); Meister, Zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie in das deutsche Übernahmerecht, in Gedächtnisschrift für Ulrich Bosch, 2006, S. 115; Meixner, Das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, ZAP Fach 8, 417; Merkt/Binder, Änderungen im Übernahmerecht nach Umsetzung der EG-Übernahmerichtlinie: Das deutsche Umsetzungsgesetz und verbleibende Problemfelder, BB 2006, 1285; Meyer, Änderungen im WpÜG durch die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, WM 2006, 1135; Mülbert, Umsetzungsfragen der Übernahmerichtlinie – erheblicher Änderungsbedarf bei den heutigen Vorschriften des WpÜG, NZG 2004, 633; Peglow, Die EU-Übernahmerichtlinie, GPR 2006, 37; Pfab, Die WpÜG-Reform 2006. Änderungen und Auswirkungen, 2008; Plückelmann, Verteidigungsmöglichkeiten gegen feindliche Übernahmen (Teil 1), AnwZert HaGesR 1/2011, Anm. 1; Plückelmann, Verteidigungsmöglichkeiten gegen feindliche Übernahmen (Teil 2), AnwZert HaGesR 2/2011, Anm. 1; Rasner, Die Pflichten der Zielgesellschaft bei unfreundlichen Übernahmeangeboten nach dem deutschen WpÜG. Unter besonderer Berücksichtigung europäischer und US-amerikanischer Übernahmeregelungen sowie der Konzeption des Gemeinsamen Entwurfs einer EU-Übernahmerichtlinie, 2005; Scamuffa, Öffentliche Übernahmeangebote. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und italienischen Übernahmerechts vor dem Hintergrund der Europäischen Übernahmerichtlinie, 2009; Schanz, Verteidigungsmechanismen gegen feindliche Übernahmen nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie im deutschen Recht, NZG 2007, 927; Schöpperle, Disharmonien zwischen deutschem und französischem Wertpapiererwerbs- und Übernahmerecht, 2008; Schüppen, WpÜG-Reform: Alles Europa, oder was?, BB 2006, 165; Seibt/Heiser, Analyse der EU-Übernahmerichtlinie und Hinweise für eine Reform des deutschen Übernahmerechts, ZGR 2005, 200; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; Simon, Entwicklungen im WpÜG, Der Konzern 2006, 12; Ulbricht, Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmeversuche nach deutschem und englischem Recht, 2006; Urbain-Parleani, The Implementation of the Thirteen Directive 2004/25, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006, S. 3; Veil, Die Übernahmerichtlinie und ihre Auswirkungen auf das nationale Übernahmerecht, in Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 95; Weiß, Der angemessene Handlungsrahmen der Zielverwaltung in der Übernahmesituation. Eine rechtsvergleichende Analyse vor dem Hintergrund ökonomischer Überlegungen zur Corporate Governance, 2009; Wiesner, Die neue Übernahmerichtlinie und die Folgen, ZIP 2004, 343; Wolf, Der Mythos „Neutralitätspflicht“ nach dem Übernahmerichtlinien-Umsetzungsgesetz,
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ZIP 2008, 300; Zschocke, Erwartungen der Praxis an die Überarbeitung des Übernahmerechts, in Baums/Cahn, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Europa, 2006, S. 149.
A. Überblick § 33a bietet der Zielgesellschaft die Möglichkeit, für das europäische Verhinderungsverbot zu optieren. In diesem Fall gilt die im Vergleich zu § 33 Abs. 1 und 2 etwas strengere, das heißt im Ergebnis bieterfreundlichere Regelung in § 33a Abs. 2. Die Regelung ist seit ihrer Einführung im Jahr 2006 durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz ohne praktische Anwendung geblieben. Bei der BaFin liegen keine nach § 33a Abs. 3 erstatteten Meldungen über entsprechende Satzungsregelungen vor.
1
I. Entstehung § 33a und das Verhältnis zu § 33 lassen sich nur vor dem Hintergrund der Entste- 2 hungsgeschichte der Übernahmerichtlinie und der zeitlich parallelen Gesetzgebungsgeschichte des WpÜG verstehen. Nach dem Scheitern der Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament im Jahr 2001 (§ 33 Rz. 27) und dem Inkrafttreten des WpÜG zum 1.1.2002 wurden auf europäischer Ebene die Bemühungen um eine europaweite Regelung wieder aufgenommen (§ 33 Rz. 28 ff.) und resultierten schließlich im Jahr 2004 in der Verabschiedung der Übernahmerichtlinie1 (§ 33 Rz. 32). 1. Die Regelungen der Übernahmerichtlinie Art. 9 Abs. 2 bis 4 Übernahmerichtlinie enthält Regelungen zum Verhinderungs- 3 verbot, die von § 33 abweichen. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 muss das Leitungsbzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft, das über die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots informiert worden ist, die vorherige und zu diesem Zweck erteilte Ermächtigung der Hauptversammlung einholen, bevor es Maßnahmen ergreift, durch die das Angebot vereitelt werden könnte. Für Zwecke dieses Verhinderungsverbots bezeichnet der Begriff „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan“ den Vorstand und den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft (Art. 9 Abs. 6). Die Geltung des Verhinderungsverbots beginnt, sobald das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die Bekanntmachung des Bieters über seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (Art. 6 Abs. 1 Satz 1) erhalten hat, und endet, wenn das Ergebnis des Angebots bekannt gemacht worden oder das Angebot hinfällig geworden ist. Die Vorverlagerung des Beginns der Geltung durch einzelstaatliches Recht ist zulässig (Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2). Das Verhinderungsverbot wird von zwei Ausnahmen durchbrochen. Die erste Ausnahme ist die Suche nach einem konkurrierenden Angebot (Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1). Die zweite Ausnahme ergibt sich aus einer Vorschrift, die auf den Kompromiss zwischen Kommission, Rat und Parlament vom 6.6.2001 zurückgeht (siehe § 33 Rz. 27). Hiernach bedürfen Entscheidungen, die das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft vor der Ankündigung des Angebots gefasst hat, die aber „weder teilweise noch vollständig umgesetzt worden sind, (…) der Zustimmung oder Bestätigung der Hauptversammlung der Aktionäre, wenn diese Entscheidungen außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs gefasst wurden und ihre Umsetzung dazu führen könnte, dass das Angebot vereitelt wird“ (Art. 9 Abs. 3). 1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. L 142 v. 30.4.2004, S. 12, Text im Anhang S. 1713.
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Die Mitgliedstaten können die kurzfristige Einberufung einer Hauptversammlung ermöglichen; die Ladungsfrist darf zwei Wochen nicht unterschreiten (Art. 9 Abs. 4).
6
Die Mitgliedstaaten sind berechtigt, von der Umsetzung des europäischen Verhinderungsverbots und der Durchgriffsregelung abzusehen (Opt out – Art. 12 Abs. 1). Mitgliedstaaten, die von diesem Recht Gebrauch machen, müssen den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet jedoch die Möglichkeit eröffnen, sich den Regelungen der Richtlinie durch Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit individuell und widerruflich unterwerfen zu können (Opt in – Art. 12 Abs. 2). 2. Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in § 33a
7
Der deutsche Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 33 von der Möglichkeit des Opt out Gebrauch gemacht und in § 33a das Opt in geregelt.
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Gegen die richtlinienkonforme Umsetzung sind Bedenken angemeldet worden1. In der Tat weicht § 33a seinem Wortlaut nach teilweise von den entsprechenden Regelungen der Übernahmerichtlinie ab. Der Vorwurf der fehlerhaften Umsetzung wäre berechtigt, soweit die Übernahmerichtlinie bei der Umsetzung keine entsprechenden Spielräume lässt und sich verbleibende Differenzen nicht im Wege richtlinienkonformer Auslegung des WpÜG beseitigen lassen. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass § 33a eine richtlinienkonforme Umsetzung der Übernahmerichtlinie enthält. Im Einzelnen:
9
Die Übernahmerichtlinie enthält in Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Beschränkungen für Maßnahmen innerhalb des nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 bestimmten Angebotszeitraums und in Art. 9 Abs. 3 Beschränkungen für die Umsetzung von Entscheidungen, die vor diesem Zeitraum getroffen wurden. Während § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs allgemein von Verhinderungsverbot ausnimmt, trifft das dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2, 3 nach nur insoweit zu, wie Handlungen der Umsetzung von Entscheidungen innerhalb des normalen Geschäftsverlaufs dienen, die vor Beginn des Angebotszeitraums getroffen wurden (wobei es insoweit nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung zumindest teilweise bereits vor dem Angebotszeitraum umgesetzt wurde). Die Literatur ist in der Beurteilung gespalten: Teilweise wird die Übernahmerichtlinie ausdehnend im Sinne der Regelung des deutschen Rechts interpretiert, und teilweise wird die deutsche Regelung im Wege richtlinienkonformer Auslegung restriktiv im Sinne des Wortlauts von Art. 9 Abs. 3 Übernahmerichtlinie ausgelegt2. Unter Berücksichtigung der unübersichtlichen Formulierung von Art. 9 Abs. 3 einerseits und der klaren Ausführungen im 16. Erwägungsgrund der Übernahmerichtlinie (wonach die normale Geschäftstätigkeit nicht unangemessen behindert werden solle) andererseits ist es überzeugend, die Übernahmerichtlinie dahingehend zu verstehen, dass Handlungen in Umsetzung von Entscheidungen des normalen Geschäftsverlaufs vom Verhinderungsverbot generell nicht erfasst sind3. Die praktische Bedeutung ist gering: Handlungen des normalen Geschäftsbetriebs werden nur ausnahmsweise Verhinderungseignung aufweisen4. 1 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 311; Simon, Der Konzern 2006, 12, 13. 2 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 311; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16. 3 Meyer, WM 1135, 1139; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 48; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 18; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 11; Grassl in FS P+P Pöllath, S. 177, 185. 4 Arnold/Wenninger, CFL 2010, 79, 84; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 56.
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Die Übernahmerichtlinie hebt als ein die Ermächtigung der Aktionäre erforderndes 10 Mittel der Übernahmeverhinderung besonders die Ausgabe von Wertpapieren hervor, durch die der Bieter dauerhaft an der Kontrollerlangung gehindert werden könnte, Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 letzter Halbsatz. § 33a kennt keine entsprechende Regelung. Die (abstrakte) Eignung zur Übernahmeverhinderung liegt insbesondere bei der Ausgabe neuer Aktien oder Wertpapiere mit Bezugsrechten auf Aktien (z.B. Wandelund Optionsanleihen) vor (§ 33 Rz. 88 ff., 99). Die Formulierung der Übernahmerichtlinie lässt offen, ob aufgrund der abstrakten Verhinderungseignung die Ausgabe solcher Papiere immer der Ermächtigung der Hauptversammlung bedarf oder ob das nur dann der Fall ist, wenn im konkreten Fall das Angebot dadurch vereitelt werden kann. Die besseren Gründe sprechen dafür, dass es immer auf die konkrete Verhinderungsgefahr ankommt. Die Übernahmerichtlinie dient wie das WpÜG in erster Linie dem Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft durch Gewährleistung eines geregelten und fairen Verfahrens, vgl. Erwägungsgrund 2 der Übernahmerichtlinie. Der Schutz des Bieters ist jedenfalls nicht in erster Linie intendiert. Art 9 Abs. 2 Unterabs. 1 letzter Halbsatz ist vor diesem Hintergrund eine besondere Hervorhebung ohne konstitutive Bedeutung, die keiner expliziten Umsetzung bedurfte. Wenn die Ausgabe von Aktien oder von Wertpapieren mit Bezugsrechten auf Aktien im konkreten Fall nicht die Gefahr der Verhinderung der Durchführung des Angebots birgt, ist die Ausgabe erlaubt. Soweit die Ausgabe von Wertpapieren konkrete Verhinderungseignung aufweist, sind die Voraussetzungen von § 33a Abs. 2 Satz 1 erfüllt. Soweit das europäische Recht auf Entscheidungen des normalen Geschäftsverlaufs und das deutsche Recht an Handlungen des normalen Geschäftsbetriebs anknüpft, liegt keine inhaltliche Abweichung vor (Rz. 55).
11
Keine Bedenken bestehen gegen die Normierung von § 33 als Regelfall und § 33a 12 Abs. 2 als ausdrücklich durch Satzungsänderung zu wählende Alternativregelung1. Die Übernahmerichtlinie verlangt, dass die Opt in-Entscheidung widerruflich sein muss (Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1). Das deutsche Recht hebt das nicht eigens hervor, es ergibt sich insoweit aus der Recht der Hauptversammlung, die getroffene Satzungsregelung wieder aufzuheben. Die Übernahmerichtlinie ist nach Sinn und Zweck dahingehend zu verstehen, dass nicht nur die Opt in-Entscheidung, sondern auch deren Widerruf den Aufsichtsbehörden mitgeteilt (Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2) und bekanntgemacht (Art. 12 Abs. 4) wird (Rz. 78). § 33a Abs. 3 ist in diesem Sinn ergänzend auszulegen. Gleiches gilt für die nach der Übernahmerichtlinie bestehende Erweiterung der Mitteilungspflicht auf Aufsichtsbehörden, der Staaten, in denen ein Zulassungsantrag gestellt wurde (Rz. 76).
II. Regelungsgegenstand Der materiellen Regelungskern von § 33a, nämlich das europäische Verhinderungs- 13 verbot, ist in Absatz 2 geregelt. Das europäische Verhinderungsverbot unterscheidet sich dadurch von § 33 Abs. 1 Satz 1, dass Verbotsadressat außer dem Vorstand auch der Aufsichtsrat ist. Weitere Unterschiede zu § 33 weisen die im Bereich von § 33a geltenden Ausnahmen auf. Insbesondere gibt es keine Ausnahme für Handlungen, die mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden (denn der Aufsichtsrat ist ja selbst Adressat des Verhinderungsverbots), und keine Möglichkeit zur Vorabzustimmung durch Ermächtigung der Hauptversammlung. Die Ausnahmen für Handlungen im normalen Geschäftsbetrieb und für die Umsetzung bereits im Vor1 Zweifelnd Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 10.
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feld getroffener und teilweise umgesetzter Entscheidungen ist ebenfalls enger als die Ausnahme der Parallelwertung bei pflichtgemäßem Vorstandshandeln eines nicht von einem Angebot betroffenen Vorstands nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Fall 1. Aufgrund der auch bei § 33a grundsätzlich geltenden aktienrechtlichen Bindungen der Organe sind die Unterschiede zwischen § 33 Abs. 1 und § 33a Abs. 2 im Ergebnis allerdings gering1. 14
Absatz 1 von § 33a regelt die Anwendungsvoraussetzungen: Die materielle Regelung in Absatz 2 kommt nur zur Anwendung, wenn das in der Satzung der Zielgesellschaft vorgesehen ist. Eine nachträgliche Einführung des europäischen Verhinderungsverbots bedarf der Satzungsänderung. Wenn eine entsprechende Satzungsregelung vorliegt, wird § 33 komplett außer Kraft gesetzt, und es gilt statt dessen § 33a Abs. 2 und 3. Die Rückkehr zu § 33 ist ebenfalls im Wege der Satzungsänderung möglich. § 33a Abs. 3 regelt Mitteilungspflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden.
III. Normzweck 15
Der Normzweck von § 33a Abs. 2 unterscheidet sich nicht in relevanter Weise vom Normzweck von § 33. Auf die dortigen Ausführungen (§ 33 Rz. 5 ff.) wird verwiesen. § 33a Abs. 1 dient der Umsetzung des Opt in-/Opt out-Verfahrens. § 33a Abs. 3 soll den Aufsichtsbehörden jederzeit den Überblick über das auf die jeweilige Gesellschaft Anwendung findende Recht verschaffen.
IV. Praktische Relevanz 16
Mitteilungen über Satzungsregelungen, durch die das europäische Verhinderungsverbot zur Anwendung gebracht würde, liegen bei der BaFin nicht vor. In den sechs Jahren seit Inkrafttreten wurde offenbar kein hinreichender Anreiz gesehen, die Regelung zu aktivieren. Der Anregung, die Aktionäre regelmäßig mit der Frage eines Opt in zu befassen2, ist die aktienechtliche Praxis zu Recht nicht gefolgt. Rechtspolitisch ist das Nebeneinander von § 33 und § 33a wenig sinnvoll3. Innerhalb der EU haben sich 19 Mitgliedstaaten für die Anwendung des Verhinderungsverbots gemäß Art. 9 der Übernahmerichtlinie entschieden4.
B. Opt in und Opt out der Zielgesellschaft (§ 33a Abs. 1) I. Grundlagen 17
§ 33a bezieht sich auf Angebote (§ 2 Abs. 1) zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. Als Zielgesellschaft kommen Gesellschaften in der Rechtsform der AG, KGaA oder SE in Betracht (§ 2 Abs. 3 Nr. 1, Art. 9 Abs. 1c) ii) SE-VO).
1 Ähnlich wie hier Diekmann, NJW 2007, 17/18; a.A. Schanz, NZG 2007, 927, 929: § 33a Abs. 2 bedeute „echte Erleichterung von Übernahmen“; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 2. 2 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 17. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 7; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1286. 4 Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2004/25 EG betreffend die Übernahmeangebote vom 28.6.2012, COM(20112) 347 final, Rz. 7.
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Zulässig sind Satzungsbestimmungen i.S.v. § 33a Abs. 1 jedenfalls bei Gesellschaf- 18 ten, deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt (also einem regulierten Markt im EWR, § 2 Abs. 7) bereits zugelassen sind, § 1 Abs. 1. Ob es sich um eine inländische oder ausländische Börsennotierung (innerhalb des EWR) handelt, ist dabei unerheblich. Nach herrschender Meinung ist die Eintragung entsprechender Satzungsbestimmungen vor Aufnahme der Börsennotierung unzulässig1. Zur Begründung wird auf § 23 Abs. 5 AktG verwiesen. Dem ist nicht zu folgen2. Eine vor Aufnahme der Börsennotierung in die Satzung aufgenommene Vorschrift weicht weder von Vorschriften des AktG noch von anderen gesetzlichen Vorschriften ab, sondern trifft eine Regelung für den Fall der Börsennotierung und ist bis dahin inoperabel. Im Übrigen ergibt sich aus § 12 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie, dass jedenfalls ab Stellung des Zulassungsantrag derartige Satzungsbestimmungen zulässig sind. Entsprechende Satzungsbestimmungen können deshalb jedenfalls ab Stellung des Zulassungsantrags, richtigerweise aber auch schon vorher3 nicht nur von der Hauptversammlung beschlossen, sondern auch in das Handelsregister eingetragen werden. Beim Opt in und Opt out handelt es sich – wie bei jeder Satzungsänderung – um 19 Maßnahmen in der Zuständigkeit der Hauptversammlung i.S.v. § 83 Abs. 1 Satz 1 AktG. Aktionäre haben vorbehaltlich des Erreichens der erforderlichen Quoren das Initiativrecht nach § 122 Abs. 1 und 2 AktG4. Die Hauptversammlung wird sich vor allem dann für eine Satzungsbestimmung nach § 33a Abs. 1 entscheiden, wenn sie sich davon eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Übernahmeangeboten und eine potentiell kurssteigernde Wirkung verspricht5. Die Unterschiede zwischen § 33 einerseits und § 33a Abs. 2 andererseits sind allerdings unter Berücksichtigung der zusätzlich geltenden aktienrechtlichen Pflichtenbindungen der Organe (Rz. 35) eher gering und in ihrer praktischen Auswirkung schwer abschätzbar. Damit dürfte es zusammenhängen, dass sich bisher keine deutsche Aktiengesellschaft für die Einführung einer entsprechenden Satzungsbestimmung entschieden hat.
II. Umsetzung der Opt in-Entscheidung 1. Satzungsänderung Das Opt in vollzieht sich durch Aufnahme in die Gründungssatzung oder im Weg 20 der Satzungsänderung6. Es gelten alle formalen Erfordernisse, die das AktG für dafür vorsieht7. In der Regel schlagen demnach Vorstand und Aufsichtsrat eine Satzungsänderung vor, § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. Der Wortlaut der vorgeschlagenen Satzungsänderung ist nach § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG mit der Tagesordnung bekannt zu machen. Einer darüber hinausgehende Erläuterung oder eines besonderen Berichts
1 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 311; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 9; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 8; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 4; teilweise wird auf die Möglichkeit der Beschlussfassung vor Börsengang mit Anmeldung zum Handelsregister danach verwiesen. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11. 4 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 15. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 8. 6 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 2; zum Erfordernis der Börsennotierung Rz. 18. 7 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 2.
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bedarf es nicht1. Der Aufsichtsrat hat kein eigenes Initiativrecht; die Voraussetzungen von § 111 Abs. 3 AktG werden für einen Beschluss nach § 33a Abs. 1 kaum je vorliegen2. Die Beschlussfassung auf einer nach § 16 Abs. 3 einberufenen Hauptversammlung ist möglich, käme aber für das dann laufende Angebotsverfahren etwas spät. 21
Die erforderliche Mehrheit ergibt sich aus §§ 133 Abs. 1, 179 Abs. 2 AktG. Demnach ist, soweit die Satzung nichts anderes festlegt, eine Mehrheit von 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erforderlich. Die einfache Stimmmehrheit nach § 133 Abs. 1 AktG ist dann immer gegeben, weil es bei börsennotierten Gesellschaften keine Mehrstimmrechte und Höchststimmrechte mehr gibt. Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zählen bei Berechnung der Kapitalmehrheit nicht mit3. Wenn – wie bei börsennotierten Gesellschaften häufig – das Erfordernis einer qualifizierten auf eine einfache Kapitalmehrheit reduziert ist, gilt dies auch für den Opt in-Beschluss4. Der Opt in-Beschluss beinhaltet weder explizit noch implizit eine Änderung des Unternehmensgegenstands, für den nur eine größere Kapitalmehrheit bestimmt werden könnte. Stimmverbote nach § 136 Abs. 1 AktG bestehen für den Opt in-Beschluss nicht5. Insbesondere können Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie aktuelle oder potentielle Bieter bei der Beschlussfassung mitstimmen. Bei Bestehen mehrerer Aktiengattungen sind Sonderbeschlüsse nicht erforderlich, die Voraussetzungen von §§ 141, 179 Abs. 3 AktG liegen nicht vor6.
22
Die Satzungsänderung wird mit Eintragung in das Handelsregister wirksam, § 181 Abs. 3 AktG. Vorher entfaltet sie keine Wirkung. Ohne Wirkung sind auch Beschlüsse der Hauptversammlung, die in anderer Form als durch Einführung einer entsprechenden Satzungsbestimmung das Regelungskonzept von § 33a Abs. 2 einführen wollen7. 2. Inhalt des Opt in-Beschlusses
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Der Inhalt des Opt in-Beschlusses ergibt sich auf § 33a Abs. 1 Satz 1: Er lautet dahin, dass § 33 keine Anwendung findet8. Eine ausdrückliche Regelung zur Anwendbarkeit von § 33a Abs. 2 oder die Übernahme von § 33a Abs. 2 in den Satzungstext ist entbehrlich und auch nicht ratsam9, denn die zwingende Rechtsfolge von § 33a Abs. 1 Satz 2 ist die Anwendbarkeit von § 33a Abs. 2 in seiner jeweils geltenden und nicht in der zum Zeitpunkt der Satzungsänderung gerade aktuellen Fassung10. Wenn sich der Wortlaut der Satzungsänderung nicht eng an § 33a Abs. 1 anlehnt, ist durch 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 16. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 14. Vgl. nur Stein in MünchKomm. AktG, § 179 Rz. 83. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 2. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 18; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 2. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 17; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33a Rz. 3; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 14. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 11; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 19; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 13. A.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 12 Satzungsregelung zur Nichtanwendung von § 33 sei nicht ausreichend; das widerspricht dem eindeutigen Regelungskonzept von § 33a Abs. 1 Satz 1 und 2. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 19.
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Auslegung zu ermitteln, ob ein wirksamer Opt in-Beschluss vorliegt1. Eine Beschlussfassung, die klar auf die uneingeschränkte Anwendbarkeit von § 33a abzielt, ist wirksam, auch wenn sie sich nicht dazu äußert, dass § 33 keine Anwendung finden soll. Angesichts der Auswirkungen auf die Pflichtenlage der Organe der Gesellschaft ist in jedem Fall ein eindeutiges Auslegungsergebnis erforderlich, sonst bleibt es bei der Anwendbarkeit von § 33. § 33a Abs. 1 lässt die Freiheit, ob überhaupt eine Regelung im Sinne der Nicht- 24 anwendung von § 33 getroffen wird. Wenn eine solche Regelung getroffen wird, sind die Folgen zwingend. § 33 ist dann seinem ganzen Inhalt nach unanwendbar, und stattdessen gilt insgesamt § 33a Abs. 2. Die geographische Herkunft des Bieters (EWR oder Nicht-EWR) spielt dabei keine Rolle2. Eine teilweise Übernahme der Regelungen von § 33 und der Regelungen von § 33a Abs. 2 ist ebenso wenig möglich3 wie Satzungsregelungen zur weiteren Verschärfung des Verhinderungsverbots4. Zulässig, aber rechtlich ohne jede Bedeutung ist eine Satzungsregelung zur Geltung von § 335.
III. Opt out und sonstige Beendigungsgründe § 33a enthält keine Regelung zum Opt out. Die von der Übernahmerichtlinie in 25 Art. 12 Abs. 2 ausdrücklich geforderte Möglichkeit zum Widerruf des Opt in ergibt sich daraus, dass die Satzung jederzeit geändert und dadurch die Geltung von § 33 wieder hergestellt werden kann6. Für den Opt out-Beschluss gelten als Beschluss zur Änderung der Satzung formal dieselben Voraussetzungen wie für den Opt in-Beschluss, insbesondere wird der Opt out-Beschluss erst mit Eintragung der Satzungsänderung wirksam. Bis dahin gelten auch bei einem laufenden Angebotsverfahren die Regelungen von § 33a Abs. 27. Eine Regelung des Inhalts, dass das bei Beginn des Angebots geltende „Verhinderungsstatut“ für das gesamte Angebotsverfahren gilt, gibt es nicht und könnte auch nicht – etwa durch Satzungsregelung – eingeführt werden. Inhaltlich genügt die Streichung der Opt in-Bestimmung der Satzung. Eine explizite Regelung zur Geltung von § 33 ist zulässig, aber wenig sinnvoll. Der Opt in-Beschluss wird gegenstandslos, wenn die Aktien der Gesellschaft nicht 26 mehr an einem organisiertem Markt zum Handel zugelassen sind. Ob in diesem Fall beim Vorliegen einer Satzungsregelung nach § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG der Aufsichtsrat die Anpassung der Satzung beschließen kann, hängt davon ab, ob die Regelung bei Beendigung der Börsenzulassung nach wie vor eine durch Wiederaufnahme der Börsennotierung an einem organisierten Markt bedingte Regelungswirkung hat8 oder
1 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 19. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 13. 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 12; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11; Knott, NZG 2006, 849, 850; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 13; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 12. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 12; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 1. 5 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16. 6 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 21; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 21; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 3. 7 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 4. 8 So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11.
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ohne weiteres unwirksam wird1. Wenn man – wie hier (Rz. 18) – eine Satzungsbestimmung zum Opt in grundsätzlich auch ohne Börsennotierung für zulässig hält, sprechen die besseren Gründe für Ersteres.
C. Europäisches Verhinderungsverbot (§ 33a Abs. 2) I. Grundlagen 27
Das europäische Verhinderungsverbot in § 33a Abs. 2 unterscheidet sich von den Regelungen in § 33 durch den Adressatenkreis und die Ausnahmeregelungen. Anders als bei § 33 ist der Aufsichtsrat in den Anwendungsbereich des allgemeinen Verhinderungsverbots nach § 33a Abs. 2 Satz 1 einbezogen. Dementsprechend gibt es bei § 33a keine Ausnahme für Handlungen mit Zustimmung des Aufsichtsrats. Bei den Ausnahmebestimmungen fehlt ferner die Kategorie der Handlungen, die auch der Vorstand eines nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Unternehmens vorgenommen hätte (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Fall 1). Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung sind nur für den konkreten Fall und nicht (wie bei § 33 Abs. 2) allgemein und im Vorhinein möglich.
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Bei § 33a Abs. 2 stellt sich wie bei § 33 (dort Rz. 87) die Frage, ob es sich im Kern um eine Regelung zur Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Hauptversammlung oder um eine Regelung der Organpflichten von Vorstand und Aufsichtsrat handelt. Vertreter der Auffassung, es handele sich um eine Kompetenznorm2, müssten daraus Konsequenzen nicht nur im Bereich der Rechtsbehelfe (dazu § 33 Rz. 304 und unten Rz. 71) ziehen. Vielmehr wären dann sämtliche Maßnahmen mit Verhinderungseignung Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung i.S.v. § 83 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG, mit der Folge, dass Aktionäre unter den Voraussetzungen von § 122 AktG die Befassung der Hauptversammlung mit einer dann auch für den Vorstand bindenden Beschlussfassung herbeiführen könnten. Sieht man in der Ermächtigung nach § 33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 dagegen eine Beschlussfassung über Fragen der Geschäftsführung i.S.v. § 119 Abs. 2 AktG, läge das Initiativrecht allein beim Vorstand. Ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot wäre in diesem Fall ein Verstoß gegen Organpflichten, aber kein Eingriff in spezifische Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung. Im Ergebnis ist der letzteren Auffassung der Vorzug zu geben3. Der Regelungszusammenhang von § 33a Abs. 2 gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen so tiefgreifenden Eingriff in die Kompetenzverteilung zwischen den Organen, wie es bei einem Verständnis als Kompetenznorm der Fall wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Vorstand auch für Handlungen mit Verhinderungseignung aufgrund der Ausnahmen in § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2–4 einen nicht von einer Ermächtigung der Hauptversammlung abhängigen Bereich autonomer Handlungsmöglichkeiten hat. Es wäre eigenartig, wenn bei einer noch strengeren Regelung im Sinne eines absoluten Verhinderungsverbots ohne Möglichkeit der Hauptversammlungsermächtigung ggf. „nur“ ein Verstoß gegen Organpflichten, bei der vorliegen-
1 So Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 8 a.E.; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 11. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 37; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 2, 16; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 1; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 31. 3 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 30 f.; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33a Rz. 10; Barst, Rechtsschutzinstrumente des Bieters bei feindlichen Übernahmen, 2008, S. 114 f.
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den Regelung aber zusätzlich ein Eingriff in Kompetenzen der Hauptversammlung mit erweiterten Rechtsschutzmöglichkeiten einzelner Aktionäre vorläge.
II. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich § 33a Abs. 2 Satz 1 bezieht sich hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs auf 29 „Angebote“. Damit sind ausschließlich Übernahme- und Pflichtangebote gemeint1. Dies ergibt sich daraus, dass § 33a der Umsetzung der Übernahmerichtlinie dient, die ihrerseits nur Übernahme- und Pflichtangebote regelt (Art. 2 Abs. 1a) Übernahmerichtlinie), entsprich der systematischen Stellung der Norm im Abschnitt „Übernahmeangebote“ und dem (dort allerdings umstrittenen) sachlichen Anwendungsbereich von § 33 (§ 33 Rz. 58 ff.). Ebenso wie bei § 33 entstehen dadurch keine unakzeptablen Regelungslücken, weil die Organe generell – und nicht nur bei Übernahme- und Pflichtangeboten – aktien- und übernahmerechtlich (§ 3 Abs. 3) auf das Handeln im Interesse der Gesellschaft verpflichtet sind. 2. Zeitlicher Anwendungsbereich Die Formulierung zum zeitlichen Anwendungsbereich in § 33a Abs. 2 Satz 1 ent- 30 spricht wörtlich der Formulierung in § 33 Abs. 1 Satz 1. Auf die dortige Kommentierung wird verwiesen (§ 33 Rz. 62 ff.). Für eine unterschiedliche Auslegung besteht insbesondere auch im Hinblick auf die Übernahmerichtlinie kein Anlass. Hinsichtlich des Beginns des zeitlichen Anwendungsbereichs stellt Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 Übernahmerichtlinie „zumindest“ auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Leitungsorgan der Zielgesellschaft über das Angebot informiert wurde. Eine Vorverlagerung ist ausdrücklich zugelassen. § 33a Abs. 2 Satz 1 stellt insoweit ebenso wie § 33 Abs. 1 Satz 1 auf die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 ab. Auf Kenntnis des Vorstands kommt es nach zutreffender, allerdings bei § 33 umstrittener Ansicht nicht an (§ 33 Rz. 63). Das Gleiche gilt im Rahmen von § 33a Abs. 22. Bei Pflichtangeboten tritt an die Stelle der Veröffentlichung nach § 10 die Veröffentlichung der Kontrollerlangung nach § 353. Der zeitliche Geltungsbereich endet mit der Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Auch insoweit gelten die gleichen Regeln wie bei § 33 (§ 33 Rz. 67 ff.).
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III. Normadressaten 1. Vorstand und Aufsichtsrat Im Unterschied zu § 33 Abs. 1, der nur den Vorstand dem Verhinderungsverbot unterwirft, sind im Rahmen vom § 33a Abs. 2 sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat Adressaten des Verhinderungsverbots. Anders als bei § 33 kann deshalb im An1 Regierungsbegründung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 12; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 23; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 23; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 32; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 13. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 26. 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 27.
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wendungsbereich des europäischen Verhinderungsverbots die Zustimmung des Aufsichtsrats den Vorstand nicht vom Verhinderungsverbot dispensieren. Der Aufsichtsrat ist vielmehr aufgrund seiner eigenen Bindung an das europäische Verhinderungsverbot verpflichtet, im Rahmen seiner eigenen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§ 112 AktG) das Verhinderungsverbot zu beachten und bei zustimmungspflichtigen Maßnahmen (§ 111 Abs. 4 AktG) die Zustimmung zu verweigern, wenn die Handlung aus Sicht des Aufsichtsrats gegen § 33a Abs. 2 verstoßen würde1. Aufgrund der allgemeinen aktienrechtlichen Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Sicherstellung gesetzeskonformen Verhaltens des Vorstands2 wäre der Aufsichtsrat darüber hinaus verpflichtet, auch jenseits zustimmungspflichtiger Maßnahmen dem Vorstand seine Auffassung zur Kenntnis zu bringen und alle dem Aufsichtsrat zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Abhilfe auszuschöpfen, wenn der Aufsichtsrat zu der Auffassung käme, Handlungen des Vorstands verstießen gegen das europäische Verhinderungsverbot3. 33
Die Hauptversammlung unterliegt keinem Verhinderungsverbot4. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Hauptversammlung ihrerseits vom Verhinderungsverbot befreien kann, § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1. Die Aktionäre sind in ihrer Entscheidung innerhalb der sich aus der allgemeinen Treuepflicht ergebenden Grenzen frei.
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Organe verbundener Unternehmen unterliegen ebenfalls keinem eigenen Verhinderungsverbot (§ 33 Rz. 81)5. Vielmehr sind die Organe der Zielgesellschaft verpflichtet, innerhalb der bestehenden rechtlichen Grenzen ihren Einfluss bei verbundenen Unternehmen geltend zu machen, dass dort keine Handlungen vorgenommen werden, die inhaltlich gegen das Verhinderungsverbot verstoßen würden. Wenn es sich bei dem verbundenen Unternehmen um eine Aktiengesellschaft handelt, sind die sich daraus ergebenden Beschränkungen der Einflussnahme (§§ 76 Abs. 1, 117, 311 ff. AktG). 2. Verhältnis zu den aktienrechtlichen Pflichten
35
Für das Verhältnis der aktienrechtlichen Pflichten des Vorstands zu der sich aus § 33a Abs. 2 ergebenden Pflichtenlage gelten dieselben Grundsätze wie bei § 33 (§ 33 Rz. 50 ff.). Danach gelten aktienrechtliche Grundsätze jedenfalls insoweit, wie das Übernahmerecht keine Sonderregelung enthält. In etwas größerem Umfang als bei § 33 Abs. 1 sind unter Geltung des europäischen Verhinderungsverbots Situationen denkbar, in denen der Vorstand durch die Beschränkungen in § 33a Abs. 2 gehindert ist, autonom so zu entscheiden, wie er es im Interesse der Gesellschaft für richtig hält. In derartigen Situationen wird der Vorstand unter Abwägung der Bedeutung der Sache, ihrer Dringlichkeit und der mit einer Vorlage an die Hauptversammlung verbundenen Kosten und etwaigen sonstigen Nachteile ernsthaft erwägen müssen, die Hauptversammlung um Zustimmung zu ersuchen. Solange in solchen Fällen die Hauptversammlung die Zustimmung nicht erteilt hat, darf der Vorstand die Handlung nicht ausführen. In diesem Umfang genießt das Übernahmerecht als speziellere
1 Friedl, NZG 2006, 422, 423. 2 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 12; vgl. BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, NZG 2009, 550, 551 = AG 2009, 404, 405, Rz. 15. 3 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 39. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 33; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 15; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 13. 5 A.A. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 29.
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Regelung Vorrang vor demjenigen, was sich außerhalb der Übernahmesituation aus allgemeinem Aktienrecht ergeben würde1. Anders als im Rahmen von § 33 (dort Rz. 76 ff.) steht der Aufsichtsrat im Anwen- 36 dungsbereich von § 33a Abs. 2 nicht außerhalb des Verhinderungsverbots, sondern ist selbst Normadressat. Für den Aufsichtsrat stellt sich deshalb bei § 33a Abs. 2 die Frage nach dem Verhältnis der übernahmerechtlichen und der aktienrechtlichen Pflichten in gleicher Weise wie beim Vorstand und ist in gleicher Weise zu beantworten. Eine Überlagerung der aktienrechtlichen Pflichten durch das Übernahmerecht besteht nur im Umfang des unmittelbaren Regelungsgehalts von § 33a Abs. 2.
IV. Inhalt des europäischen Verhinderungsverbots (§ 33a Abs. 2 Satz 1) 1. Objektive Verhinderungseignung als Anknüpfungspunkt Dem europäischen Verhinderungsverbot unterfallen sämtliche Handlungen von Vor- 37 stand und Aufsichtsrat, durch die der Erfolg des Angebots objektiv verhindert werden könnte2. Die Formulierung ist wortgleich mit der entsprechenden Formulierung in § 33 Abs. 1 Satz 1. Für ein abweichendes Normverständnis besteht auch hier kein Anlass. Auf die Ausführungen im Rahmen von § 33 (dort Rz. 83 ff.) wird verwiesen. Hervorzuheben ist insbesondere, dass auch im Rahmen von § 33a Abs. 2 Satz 1 die 38 Verhinderungseignung konkret gerade im Hinblick auf das in Frage stehende Angebot gegeben sein muss. Die Beurteilung der Verhinderungseignung kann sich demnach im Zeitablauf des Angebots von der Ankündigung nach § 10 bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses ändern. Handlungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats sind nicht zu Verhinderung des Angebots geeignet, wenn sie zwar dem Bieter missfallen und seinen wirtschaftlichen Interessen widersprechen, aber keine Gefahr für die Durchführung des Angebots bedeuten (§ 33 Rz. 84). Eine andere Beurteilung wäre nur dann angezeigt, wenn die Übernahmerichtlinie – 39 anders als § 33 – neben dem Schutz der Entscheidungsfreiheit der Aktionäre der Zielgesellschaft gerade auch den Schutz des Bieters im Auge hätte. Die Erwägungsgründe der Übernahmerichtlinie geben für eine solche Interpretation keinen Anlass. Erwägungsgrund 16 der sich mit dem Verhinderungsverbot befasst, lässt keine spezifische bieterschützende Richtung erkennen. Erwägungsgrund 2 stellt gerade auf den Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft ab. Die auf den Bieter bezogenen Ausführungen in Erwägungsgrund 19 befassen sich nicht mit dem Verhinderungsverbot, sondern mit der in § 33b umgesetzten Durchbrechungsregel. Es bleibt die Bezugnahme auf „die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte“ in Art. 9 Abs. 2 Halbsatz 2 Übernahmerichtlinie. Diese Formulierung lässt sich aber nicht so verstehen, dass damit unabhängig von den Auswirkungen auf die Durchführung des Angebot selbst allgemeine Schutzregeln zugunsten des Bieters eingeführt werden sollten (oben Rz. 10).
1 Allgemein für Vorrang des Übernahmerechts: Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 29. 2 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 30; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 14.
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2. Einzelne Handlungen 40
Für die Beurteilung von Handlungen mit potentieller Verhinderungseignung gilt im Rahmen von § 33a nichts anderes als im Anwendungsbereich von § 33. Auf die dortigen Ausführungen (Rz. 88 ff.) wird verwiesen.
D. Ausnahmen vom europäischen Verhinderungsverbot (§ 33a Abs. 2 Satz 2) I. Grundlagen 41
Das europäische Verhinderungsverbot wird durch vier Ausnahmen in § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 eingeschränkt. Die Ausnahmen stehen gleichrangig nebeneinander1. Wenn eine Verletzung des Verhinderungsverbots in Frage steht, gelten das Vorliegen der Ausnahmetatbestände die aktienrechtlichen Beweislastregeln2. Danach trägt die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast für ein möglicherweise pflichtwidriges Organverhalten im Pflichtenkreis des Organs sowie für die Entstehung eines Schadens und die Kausalität. Dem jeweiligen Organmitglied obliegt dagegen die Darlegung und der Nachweis, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre3.
II. Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) 1. Initiativrecht 42
Die Ausnahme nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 setzt eine Ermächtigung durch die Hauptversammlung voraus. Für die Erteilung der Ermächtigung gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen. Danach entscheidet die Hauptversammlung durch Beschluss. Die Herbeiführung dieses Beschlusses setzt regelmäßig die Einberufung einer Hauptversammlung durch den Vorstand und Beschlussvorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat voraus (§§ 124 Abs. 3 Satz 1, 121 Abs. 2 Satz 1 AktG). In Ausnahmefällen kommt die Einberufung durch den Aufsichtsrat in Betracht, § 111 Abs. 3 AktG. Eine Universalversammlung nach § 121 Abs. 6 AktG ist bei börsennotierten Gesellschaften de facto ausgeschlossen. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 gilt auch für beabsichtigte Maßnahmen im Zuständigkeitsbereichs des Aufsichtrats – beispielsweise nach § 87 AktG – mit Verhinderungseignung4. Dabei stellen sich Sonderfragen, weil das allgemeine Aktienrecht Beschlussfassungen der Hauptversammlung in diesem Bereich nicht zulässt. Es ist davon auszugehen, dass der Aufsichtsrat insoweit ohne weiteres ein Einberufungsrecht nach § 111 Abs. 3 AktG hat. Auch bei Einberufung durch den Vorstand sind Beschlüsse über solche Maßnahmen zwecks Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung nur im Umfang eines zustimmenden Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats zulässig. Ein Beschlussvorschlag des Vorstands
1 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 32. 2 A.A. anscheinend Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 32: Vorstand und Aufsichtsrat tragen insgesamt die Beweislast. 3 BGH v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, NZG 2011, 549, 550 = AG 2011, 378, 379, Rz. 17. 4 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 18.
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ist aber ebenfalls zulässig und erforderlich, weil es an einer expliziten Ausnahme fehlt, § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG1. Je nach dem Inhalt der Maßnahme kommt grundsätzlich auch die Einberufung auf Verlangen einer Minderheit nach § 122 Abs. 1 AktG in Betracht. Das gilt allerdings nur für Maßnahmen in der Kompetenz der Hauptversammlung2. Das deckt sich mit den Maßnahmen, die i.S.v. § 83 Abs. 1 AktG „in die Zuständigkeit der Hauptversammlung“ fallen. Maßnahmen der Geschäftsführung mit objektiver Verhinderungseignung kann nur der Vorstand nach eigenem Ermessen der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegen, § 119 Abs. 2 AktG3. Ein Initiativrecht der Aktionäre nach § 122 AktG besteht insoweit nicht4. Entsprechendes gilt für Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats (Rz. 42). § 33a Abs. 2 Nr. 1 begründet nicht schon für sich genommen eine eigene Zuständigkeit der Hauptversammlung i.S.v. § 83 Abs. 1 und 2 AktG (vgl. oben Rz. 28). Soweit es um Geschäftsführungsmaßnahmen in der Organkompetenz des Vorstands geht, können die Aktionäre den Vorstand deshalb nicht zwingen, Verhinderungsmaßnahmen zu ergreifen. Etwas anderes gilt insbesondere bei Verträgen, die ohnehin der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen (§ 83 Abs. 1 Satz 2 AktG).
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Dementsprechend bewirkt der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung 44 nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 grundsätzlich keine Befolgungspflicht des Vorstands i.S.v. § 83 Abs. 2 AktG. Wie sich bereits aus dem Wort „Ermächtigung“ ergibt ist der Vorstand berechtigt, aber nicht verpflichtet, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen. Das gilt grundsätzlich auch bei Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung, denn § 83 Abs. 2 AktG zwingt den Vorstand nicht zur Ausnutzung von Ermächtigungen. In diesem Bereich hat die Hauptversammlung es nach § 83 AktG aber in der Hand, die Ermächtigung mit der Verpflichtung zur Durchführung zu verbinden. 2. Zeitlicher Ablauf und Einberufungserleichterungen Eine Hauptversammlungsermächtigung nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 kommt erst 45 nach der Veröffentlichung nach § 10 in Betracht. Aufgrund der aktienrechtlichen Fristen besteht nur ein sehr enges Zeitfenster. Der Vorstand muss zunächst die erforderlichen Vorarbeiten leisten, um die Situation zu analysieren, mögliche Maßnahmen festzulegen und sich mit dem Aufsichtsrat abzustimmen. Die Einberufungsfrist nach § 123 Abs. 1 AktG beträgt 30 Tage. Dazu kommen Anmeldefristen und der Vorlauf für die Veröffentlichung der Einladung im Bundesanzeiger, so dass bei börsenno1 Ein Beschlussvorschlag des Vorstand ist z.B. auch erforderlich bei einem Vergleich über Schadensersatzansprüche nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, und ein Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats ist erforderlich bei Beschlüssen über die Vergütung des Aufsichtsrats nach § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG. Das AktG kennt keine generelle Regelung zum Absehen von einem Beschlussvorschlag bei eigener Betroffenheit des Organs. 2 Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 17 m.w.N. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 15; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 44; ein relevanter Unterschied zu § 33 Abs. 2 ergibt sich daraus (entgegen Hirte und Kiem) allerdings nicht, denn im Anwendungsbereich von § 33 Abs. 2 werden zu Recht Ad hoc-Hauptversammlungsbeschlüsse über Geschäftsführungsfragen auf Verlangen des Vorstands für möglich gehalten (§ 33 Rz. 188 ff.). 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 44 (allerdings widersprüchlich zur Einordnung der Vorschrift als Kompetenznorm, Rz. 37); unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 17 a.E. und Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 16 (Initiativrecht der Aktionäre, aber keine Befolgungspflicht des Vorstands).
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tierten Gesellschaften zwischen der Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat über die Beschlussvorschläge und dem Tag der Hauptversammlung regelmäßig mindestens sechs Wochen liegen. Zum Zeitpunkt der Hauptversammlung nähert sich auch unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs für die Billigung der Angebotsunterlage (§ 14) die Angebotsfrist, die oft nur vier Wochen beträgt (vgl. § 16 Abs. 1), unter Umständen bereits ihrem Ende. Der Vorstand wird deshalb von der Möglichkeit nach § 16 Abs. 3, 4 Gebrauch machen1 und die Hauptversammlung erst nach der Veröffentlichung der Angebotsunterlage einberufen. Das verschafft etwas Zeit zur Vorbereitung2. Im Fall der Einberufung einer Hauptversammlung nach § 16 Abs. 3, 4 verlängert sich die Annahmefrist automatisch auf 10 Wochen (§ 16 Abs. 3 Satz 1), und die Einberufungsfrist verkürzt sich nach Maßgabe von § 16 Abs. 4. 3. Beschlussgegenstand 46
Bei der Ermächtigung nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 handelt es sich im Unterschied zu § 33 Abs. 2 nicht um einen Vorratsbeschluss, sondern um einen Ad hoc-Beschluss im Hinblick auf ein konkret vorliegendes Angebot3. Andererseits ergeben sich aus § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 keine Anhaltspunkte dafür, dass die Handlung, zu der ermächtigt werden soll, bereits in allen Einzelheiten feststehen muss. Für Zwecke von § 33a geht es nicht um die Abstimmung über die Maßnahme als solche, sondern um die Ermächtigung zu deren Vornahme trotz ihrer objektiven Verhinderungsereignung. Daraus ergeben sich die Erfordernisse an die Konkretisierung des Beschlussinhalts: Aus dem Beschlussvorschlag muss sich die Handlung und ihre potentielle Verhinderungseignung hinreichend konkret ergeben; überzogene Anforderungen an die Bestimmtheit sind unangebracht4. Demnach kann die Hauptversammlung den Vorstand beispielsweise ermächtigen, Finanzierungsverträge mit Change of ControlKlauseln abzuschließen oder eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG durchzuführen, letzteres insbesondere auch dann, wenn bereits ein genehmigtes Kapital dafür vorhanden ist. Der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung beseitigt in diesem Fall eine sich aus § 33a Abs. 2 Satz 1 möglicherweise ergebende Ausnutzungssperre für Vorstand und Aufsichtsrat.
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Ein Beschluss der Hauptversammlung nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 kann die einzelnen zulässigen Maßnahmen auflisten5. Ein aus anderen Gründen erforderlicher Hauptversammlungsbeschluss (beispielsweise über eine Kapitalmaßnahme), der im zeitlichen Anwendungsbereich von § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 gefasst wird, beinhaltet jedenfalls dann eine Ermächtigung i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, wenn die objektive Verhinderungseignung aus dem Beschlussinhalt hervorgeht. Sollte dies nicht der Fall sein, genügt in der Regel eine entsprechende Erläuterung gegenüber den Aktionären. Im Einzelfall kann es sich aus Gründen der Klarheit empfehlen, in der Einladung auf die Verhinderungseignung ausdrücklich hinzuweisen oder die Ermächtigung zur Durchführung des Beschlusses trotz seiner Verhinderungseignung ausdrücklich beschließen zu lassen.
1 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 48; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16. 2 Unzutreffend ist die Auffassung, die eine vorherige Einberufung geradezu als pflichtwidrig ansieht; so aber Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 46 f. 3 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 34; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 43. 4 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 19; a.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 51: „so präzise wie möglich“. 5 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 43.
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4. Kein Berichtserfordernis Die Erstattung eines besonderen Berichts an die Aktionäre ist weder schriftlich bei 48 der Einberufung noch mündlich auf der Hauptversammlung erforderlich, soweit es nach dem Inhalt der Maßnahme nicht bereits aktienrechtlich erforderlich ist (vgl. zu § 33 dort Rz. 231)1. Ebenso wenig muss auf die besondere Tragweite der Maßnahme gesondert hingewiesen werden2. Dafür genügt die hinreichend spezifische Beschreibung des Tagesordnungspunkts mit dem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat zur Beschlussfassung. 5. Erforderliche Mehrheit, Stimmrecht, Sonderbeschlüsse, sachliche Rechtfertigung Der Beschluss bedarf der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 Abs. 1 49 AktG), soweit nicht die Satzung eine größere Mehrheit vorsieht oder sich aus dem Beschlussgegenstand besondere Erfordernisse ergeben3. Wenn die Hauptversammlung um Zustimmung zu einer Kapitalerhöhung ersucht wird und darin gleichzeitig eine Ermächtigung i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 liegt, gelten (auch) die für die Kapitalerhöhung anwendbaren Mehrheitserfordernisse. Der Umstand, dass die Hauptversammlung einer Handlung mit Verhinderungseignung zustimmen soll, begründet weder für den Bieter noch für Mitglieder der Verwaltung oder andere Aktionäre ein Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 AktG4. Sonderbeschlüsse (z.B. nach §§ 141, 179 Abs. 3 AktG) sind nur dann erforderlich, wenn sich dies auch ohne Berücksichtigung der Verhinderungseignung aus dem Inhalt der Maßnahme, zu der ermächtigt wird, ergibt (vgl. Rz. 21 und § 33 Rz. 221). Ein Sonderbeschluss ist nicht bereits deshalb erforderlich, weil das Angebot zwischen Gattungen differenziert und beispielsweise für die Vorzugsaktionäre einen geringeren Angebotspreis vorsieht. Der Beschluss nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bedarf nicht bereits wegen der Verhin- 50 derungseignung der Maßnahme einer besonderen sachlichen Rechtfertigung5. Aus der gesetzlichen Regelung ergibt sich gerade, dass die Hauptversammlung die freie Entscheidung darüber hat, ob sie die Ermächtigung erteilen will oder nicht. Äußerste Grenzen können sich aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergeben (§ 33 Rz. 80, 192). Wenn zu einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss ermächtigt werden soll, bedarf der Beschluss nach den allgemeinen in der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätzen einer sachlichen Rechtfertigung. Diese sachliche Rechtfertigung kann gerade in der Absicht der Übernahmeverhinderung liegen6. Über die Absicht der Übernahmeverhinderung hinaus muss der Bezugsrechtsausschluss zur Erreichung des durch § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 legitimierten Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein7.
1 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 41; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 38; Grassl in FS P+P Pöllath, S. 177, 183; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 50. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 41; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 38. 3 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 36; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16. 4 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 36; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 53; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16 (Bieter). 5 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 37; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 52; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 16. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 37; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 52. 7 Vgl. Hüffer, § 186 AktG Rz. 27, 28.
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6. Wirksamkeit 51
Die Wirksamkeit des Beschlusses tritt nach allgemeinen Grundsätzen mit seiner Protokollierung ein (§ 33 Rz. 232), soweit nicht aufgrund des Beschlussinhalts weitere Wirksamkeitserfordernisse wie insbesondere die Eintragung im Handelsregister bestehen. Eintragungspflichtige Beschlüsse werden wegen des engen Zeitfensters (Rz. 45) oft nicht rechtzeitig wirksam werden. Ein nach § 241 AktG nichtiger Beschluss ist keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage. Das gilt aufgrund der ex tunc-Wirkung des auf eine erfolgreiche Anfechtungsklage hin ergehenden Urteils nach § 248 AktG auch für den erfolgreich angefochtenen Beschluss1. Für die Frage der Vorstandshaftung stellt sich dann die Frage, ob der Vorstand nach hinreichender Prüfung – ggf. unter Heranziehung unabhängiger Fachleute2 – davon ausgehen durfte, der Beschluss sei wirksam.
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Inhaltlich und formal gelten für den Beschluss die allgemeinen Wirksamkeitserfordernisse. Anfechtbar ist beispielsweise ein Beschluss, durch den ein Aktionär für sich einen Sondervorteil zu erlangen sucht (§ 243 Abs. 2 AktG) oder dessen Umsetzung eine Rückgewähr von Einlagen i.S.v. § 57 AktG beinhalten würde. 7. Ausnutzen der Ermächtigung
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Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei dem Beschluss nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 um eine Ermächtigung, die dem Vorstand Handlungsspielraum eröffnet, ohne ihn nach § 83 Abs. 2 AktG zur Befolgung zu zwingen (Rz. 28, 44). Der Vorstand ist bei der Ausnutzung an das Gesellschaftsinteresse gebunden. Er kann die Ausnutzung nicht allein aus dem Grund unterlassen, dass damit die Übernahme verhindert werden würde. Dieser Aspekt des Gesellschaftsinteresses ist durch den Ermächtigungsbeschluss erledigt. Der Vorstand kann aber beispielsweise die Umsetzung des Ermächtigungsbeschlusses unterlassen, wenn sich Umstände ergeben, die eine Änderung der Beurteilung des Angebots nahelegen, wie zum Beispiel eine Preisänderung oder sonstige Zugeständnisse des Bieters.
III. Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) 1. Überblick 54
§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 stellt Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs ohne weitere Einschränkungen von der Geltung des Verhinderungsverbots frei. Das entspricht der in Erwägungsgrund 16 niedergelegten Zielsetzung der Übernahmerichtlinie, die normale Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nicht unangemessen zu behindern. Die gelegentlich erhobenen Bedenken gegen die Richtlinienkonformität der Regelung sind im Ergebnis unberechtigt (Rz. 9). Ein Widerspruch zu Art. 9 Abs. 2 und 3 Übernahmerichtlinie ergibt sich auch nicht daraus, dass § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 an „Handlungen“, Art. 9 Abs. 3 aber an „Entscheidungen“ anknüpft3. Der Grundtatbestand des Verhinderungsverbots nach Art. 9 Abs. 2 Übernah1 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 21. 2 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 – Ision, AG 2011, 876, 877 f., Rz. 18; OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, AG 2010, 133, 135. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 18; im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung (auch „Entscheidungen“ sind „Handlungen“ i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 49.
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merichtlinie bezieht sich auf „Maßnahmen“, und der letzte Halbsatz von Abs. 3 geht davon aus, dass erst die Umsetzung der Entscheidung Verhinderungseignung haben kann. Insofern besteht Gleichklang mit dem an eine „Handlung“ anknüpfenden Konzept von § 33a Abs. 2. Solange eine Entscheidung des Vorstands vollständig im inneren Bereich der Gesellschaft bleibt, besteht unabhängig von ihrem Inhalt weder nach der Übernahmerichtlinie noch nach § 33a Abs. 2 ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot, und auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands kommt es nicht an. 2. Normaler Geschäftsbetrieb § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 bezieht sich auf den „normalen Geschäftsbetrieb“, während 55 Art. 9 Abs. 3 die Bezeichnung „normaler Geschäftsverlauf“ verwendet. In Erwägungsgrund 16 der Übernahmerichtlinie ist von der „normalen Geschäftstätigkeit“ die Rede. Gemeint ist immer dasselbe, nämlich die konkrete Geschäftstätigkeit der Gesellschaft1. Der normale Geschäftsbetrieb beinhaltet sämtliche Maßnahmen, die die Gesellschaft mit einer gewissen Regelmäßigkeit tätigt oder die, selbst wenn sie nur selten getätigt werden, ohne Weiteres innerhalb des Zuschnitts des Unternehmens, wie es zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung betrieben wird, liegen2. Vom Verhinderungsverbot freigestellt sind damit zunächst Maßnahmen des Tagesgeschäfts, wie sie von der Gesellschaft häufig und routinemäßig durchgeführt werden. Ausreichend ist, dass es sich um Maßnahmen von einiger Regelmäßigkeit handelt. Handlungen des normalen Geschäftsbetriebs können erhebliches wirtschaftliches Gewicht haben3. Allerdings ist ein für die Gesellschaft in ihrem konkreten Zuschnitt sehr erhebliches wirtschaftliches Gewicht ein Indiz für den Ausnahmecharakter und damit für die fehlende Zugehörigkeit zum normalen Geschäftsbetrieb. Das gilt insbesondere dann, wenn Handlungen der fraglichen Art bei der Zielgesellschaft nur selten vorgenommen werden. Das Bestehen eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG oder einer Verpflichtung zur Unterrichtung des Aufsichtsrats nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG oder des Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG im Hinblick auf die geplante Maßnahme haben Indizwirkung für die Überschreitung der Grenzen des normalen Geschäftsbetriebs4. Die Vermutung ist im Einzelfall widerleglich5, und insbesondere 1 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 49; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 20; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 5. Die von Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 311 unter Bezugnahme auf „§ 116 Abs. 1, § 162 [gemeint wohl: 164] Satz 1 2. Hs. HGB“ begründete und seither gelegentlich rezipierte Auffassung, der Begriff des Geschäftsbetriebs beschreibe „auf abstrakte Weise das rechtlich zulässige Betätigungsfeld eines Unternehmens“ und müsse auf den „Geschäftsverlauf“ reduziert werden, ist unzutreffend; der „gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes“ i.S.v. §§ 116 Abs. 1, 164 Satz 1 HGB betrifft vielmehr das konkrete Unternehmen und ist (ungeachtet der Unterschiede, die aus dem unterschiedlichen Regelungszusammenhang resultieren) grundsätzlich dasselbe wie der „normale Geschäftsbetrieb“ des § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, vgl. nur BGH v. 13.1.1954 – II ZR 6/53, BB 1954, 143 = juris Rz. 8 („… die Grenzen des normalen bisherigen Geschäftsbetriebes der Gesellschaft überschreiten …“); Jickeli in MünchKomm. HGB, 2. Aufl., § 116 Rz. 7; Grunewald in MünchKomm. HGB, 2. Aufl., § 164 Rz. 9; Mayen in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl., § 116 HGB Rz. 3. 2 Ähnlich Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 49. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 19. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 19, 21; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 24; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 67. 5 A.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 67; unzutreffend ist es jedenfalls, von der Verhinderungseignung auf die Unterrichtungspflicht zu schließen (Röh in FrankfKomm.
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kann aus einer tatsächlich durchgeführten Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht ohne weiteres auf den Ausnahmecharakter der Maßnahme geschlossen werden. Handlungen des normalen Geschäftsbetriebs sind in aller Regel gleichzeitig Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 2 vorgenommen hätte. Umgekehrt hätte ein solcher Geschäftsleiter unter Umständen auch Handlungen mit Ausnahmecharakter vorgenommen, die nicht mehr Teil des normalen Geschäftsbetriebs sind. Die Reichweite der Ausnahme in § 33 Abs. 1 Satz 2 kann schon aufgrund der europarechtlichen Vorgaben nicht auf § 33a übertragen werden1. 57
Handlungen, die der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 10 bestehenden Unternehmensstrategie widersprechen, sind keine Handlungen des normalen Geschäftsbetriebs. Insoweit kommt aber der Ausnahmetatbestand von § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 in Betracht. Umgekehrt ist nicht jedes Geschäft, das im Rahmen der bestehenden Unternehmensstrategie liegt, deshalb auch ein Geschäft des normalen Geschäftsbetriebs2.
IV. Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) 1. Überblick 58
§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 dient (zusammen mit Nr. 2) der Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie3. Die Regelung bezieht sich auf „Handlungen“ während der Ansatzpunkt von Art. 9 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie „Entscheidungen“ sind. Ein inhaltlicher Unterschied ergibt sich dadurch nicht (vgl. bereits Rz. 54). Insbesondere ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 nicht, dass bereits rein interne „Entscheidungen“ gegen das Verhinderungsverbot verstoßen können, denn Art. 9 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 unterstellt nur „Maßnahmen“ dem Verhinderungsverbot. Vielmehr verlangt Art. 9 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie in bestimmten Fällen die Zustimmung oder Bestätigung der Hauptversammlung für eine „Entscheidung“, damit diese Entscheidung ohne Verstoß gegen das Verhinderungsverbot umgesetzt werden kann. Dem entspricht die Bezugnahme in § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 auf „Handlungen …, sofern sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen“. Die Zustimmung der Hauptversammlung zu einer Entscheidung des Vorstands stellt deren Umsetzung – und damit eine „Handlung“ oder „Maßnahme“ – vom Verhinderungsverbot frei. Wenn der Vorstand eine Entscheidung öffentlich macht, ohne mit der Umsetzung zu beginnen, ist die Veröffentlichung eine eigenständige Handlung oder Maßnahme, die je nach den Umständen Verhinderungseignung haben kann, aber nicht muss.
59
Eine autonome Begriffsbestimmung der „Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs“ ist nicht erforderlich. Zusammengenommen sind Handlungen innerhalb und außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs sämtliche Handlungen, die für die Gesellschaft vorgenommen werden. Außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs liegt jede Handlung, die nicht innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs liegt (zu Letzterem Rz. 55 ff.). WpÜG, § 33a Rz. 67) und damit den Ausnahmetatbestand von § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 auf Null zu reduzieren. 1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 20; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 50. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 52; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 20. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 21.
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Die Abgrenzung beider Bereiche kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Falls 60 die weiteren Voraussetzungen einer Ausnahme vom Verhinderungsverbot nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 vorliegen, kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob sich die Maßnahme innerhalb oder außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs hält. 2. Entscheidung vor Ankündigung eines Angebots Der Ausnahmetatbestand von § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 verlangt eine vor der Ver- 61 öffentlichung nach § 10 gefasste Entscheidung. In aller Regel handelt es sich dabei um eine Entscheidung des Vorstands. Im Bereich der Geschäftsführungsbefugnis des Aufsichtsrats, also insbesondere bei Personalangelegenheiten des Vorstands (§§ 87, 112 AktG), kann es sich auch um Entscheidung des Aufsichtsrats handeln. Und schließlich kommt in eher seltenen Konstellationen eine Entscheidung der Hauptversammlung in ihrem zwingenden Zuständigkeitsbereich oder auf Vorlage des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG in Betracht. Eine solche Entscheidung stellt zwar, wenn sie vor der Veröffentlichung nach § 10 gefasst wurde, nicht bereits per se nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 vom Verhinderungsverbot frei, wenn kann aber, wenn sie zumindest teilweise umgesetzt ist, eine Ausnahme nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 begründen. Eine Entscheidung kann nicht nur von Organen, sondern bei zulässiger Delegation entsprechender Befugnisse auch von Angestellten der Gesellschaft getroffen werden. In diesem Fall spricht allerdings eine starke Vermutung dafür, dass es sich bereits um Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs handelt.
62
Eine Entscheidung ist dann gefasst, wenn alle internen Wirksamkeitserfordernisse er- 63 füllt sind, also insbesondere ein wirksamer Vorstands-, Aufsichtsrats- oder Hauptversammlungsbeschluss vorliegt1. Eine wirksame und umsetzungsfähige Entscheidung eines Organs, – insbesondere des Vorstands – kann auch dann vorliegen, wenn die endgültige Umsetzung der Zustimmung eines weiteren Organs – insbesondere des Aufsichtsrats oder Hauptversammlung – bedarf2. Strukturmaßnahmen, die der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen, wie z.B. Unternehmensverträge oder Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz, haben einen erheblichen, nach außen zu Tage tretenden Vorlauf, bevor am Ende die Hauptversammlung darüber entscheidet. Über das Ingangsetzen des Prozesses entscheidet der Vorstand, ggf. mit Zustimmung des Aufsichtsrats, in eigener Zuständigkeit. Diese Verfahrensentscheidung führt oft zu unfangreichen und kostenintensiven Umsetzungsmaßnahmen, bevor am Ende die Hauptversammlung entscheidet. Es würde Sinn und Zweck der Ausnahme widersprechen, wenn in solchen Fällen eine „Umsetzung“ überhaupt erst nach dem Hauptversammlungsbeschluss in Betracht käme3. Entsprechendes gilt für M&A-Transaktionen und andere wichtige Geschäftsvorfälle. Die maßgebliche Entscheidung i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bezieht sich auf die Ingangsetzung des Prozesses und ist eine wirksame und taugliche Entscheidung im Sinne der Regelung. Der Zielgesellschaft soll gerade erlaubt werden, fortzuführen und zu Ende zu bringen, was sie bereits begonnen hat.
1 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 55. 2 A.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 55; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 25; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 69. 3 So aber Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 55; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 69 und wohl auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 22.
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3. Umsetzung 64
Die maßgebliche Entscheidung muss zumindest teilweise zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 10 bereits umgesetzt sein. Nicht ausreichend ist dafür, dass die Umsetzung nur intern vorbereitet worden ist1. Jedenfalls in der Regel erfordert die (teilweise) Umsetzung nach außen tretende Maßnahmen2. Der Umsetzung dient beispielsweise die Mandatierung externer Berater, die Errichtung und Bestückung von Datenräumen bei Verkaufsprozessen, der Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sachverständigen, deren Votum für die Umsetzung erforderlich ist und die Verhandlung von Absichtserklärungen mit möglichen Vertragspartnern.
65
Keine Entscheidung i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ist die Festlegung der Unternehmensstrategie3. Wäre es anders, wäre die Unterscheidung zwischen Maßnahmen innerhalb und außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs weitgehend obsolet, weil die bestehende Unternehmensstrategie in praktisch jedem denkbaren Fall zumindest teilweise umgesetzt ist und dann jede – noch so außergewöhnliche – Maßnahme innerhalb der bestehenden Strategie von der Ausnahme nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 erfasst wäre. Die Entscheidung i.S.v. § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 muss sich vielmehr auf eine konkret identifizierbare Maßnahme beziehen.
66
Wenn mit der Umsetzung begonnen wurde, deckt der Ausnahmetatbestand nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 sämtliche weiteren Handlungen bis zu endgültigen Umsetzung der Maßnahme ab. Dies gilt auch für etwaige zusätzliche Maßnahmen, die aufgrund des Angebots erforderlich werden4.
V. Suche nach einem konkurrierenden Angebot (§ 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4) 67
Dieser Ausnahmetatbestand entspricht nach Wortlaut ebenso wie nach Sinn und Zweck dem Ausnahmetatbestand von § 33 Abs. 2 Satz 2. Auf die dortigen Ausführungen (§ 33 Rz. 163 ff.) wird verwiesen.
E. Sanktionen I. Ordnungswidrigkeit 68
Der vorsätzliche oder leichtfertige Verstoß gegen das Verhinderungsverbot von § 33a Abs. 2 Satz 1 ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 60 Abs. 1 Nr. 8.
1 A.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 56. 2 Arnold/Wenninger, CFL 2010, 79, 84; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 14; a.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 56; unklar Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 22 (an sich nein aber wegen Beweislast eben doch). 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 58. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 57.
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II. Zivilrechtliche Sanktionen 1. Wirksamkeit im Außenverhältnis Ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot lässt die Wirksamkeit der Maßnahme im Außenverhältnis unberührt (vgl. zur entsprechenden Frage bei § 33 dort Rz. 303)1. Ausnahmen kommen bei kollusivem Zusammenwirken zwischen der Zielgesellschaft und deren Vertragspartner in Betracht2.
69
2. Anspruch auf Unterlassung Der Bieter ist durch das Verhinderungsverbot nur reflexartig geschützt und hat kei- 70 nen aus seiner Rechtstellung als Bieter folgenden Anspruch auf Unterlassung (vgl. § 33 Rz. 307)3. Aktionäre (einschließlich des Bieters in seiner Eigenschaft als Aktionär) können ei- 71 nen gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf Unterlassung gegen die Gesellschaft haben, wenn sie durch eine (angeblichen) Verstoß gegen das Verhinderungsverbot in ihren Mitgliedschaftsrechten beeinträchtigt werden (§ 33 Rz. 304 ff.). Nach der hier vertretenen Auffassung begründet die Möglichkeit der Herbeiführung eines Hauptversammlungsbeschlusses nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 allerdings kein mitgliedschaftliches Recht der Aktionäre auf Befassung (oben Rz. 28)4. Wäre es anders, stünde jedem Aktionär auch bei Maßnahmen, für die aus Sicht des Vorstands eine Befassung der Hauptversammlung nach § 33a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 überhaupt nicht in Frage steht, weil aus Sicht des Vorstands entweder keine Verhinderungseignung vorliegt oder die weiteren Ausnahmetatbestände einschlägig sind, ein eigener Unterlassungsanspruch zu. Das wäre eine Überzeichnung der sinnvollerweise bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten einzelner Aktionäre5. Ein Unterlassungsanspruch einzelner Aktionäre kann sich deshalb nur im Einzelfall daraus ergeben, dass die Maßnahme als solche – wie beispielsweise die Ausgabe von Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts – spezifisch in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreift (§ 33 Rz. 305). 3. Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder Deliktische Schadensersatzansprüche des Bieters, einzelner Aktionäre oder sonstiger betroffener Personen kommen nur unter den engen Voraussetzungen von § 826 BGB in Betracht. § 33a ist ebenso wenig Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Bieters oder einzelner Aktionäre wie § 33 (dort Rz. 312)6.
72
Das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre kommt zwar als sonstiges Recht i.S.v. § 823 73 Abs. 1 BGB in Betracht. Ein Verstoß gegen das europäische Verhinderungsverbot greift jedoch nicht als solcher in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre ein, sondern allenfalls aufgrund des spezifischen Inhalts der Maßnahme (oben Rz. 28 und § 33 1 2 3 4
Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 64; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 13. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 64. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 63. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 30; a.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 65; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 55; w.N. Rz. 28. 5 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 31. 6 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 29; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 68; a.A. Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 74; Barst, Rechtsschutzinstrumente des Bieters bei feindlichen Übernahmen, 2008, S. 116 i.V.m. 92 f.
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Rz. 312)1. Soweit dies der Fall ist, gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze. 74
Der Verstoß gegen das europäische Verhinderungsverbot stellt einen Verstoß gegen Organpflichten2 dar und kann im Verhältnis zur Gesellschaft zu Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder des Vorstands nach § 93 AktG und gegen Mitglieder des Aufsichtsrats nach §§ 116, 93 AktG führen (§ 33 Rz. 309). Anders als bei § 33 ist im Anwendungsbereich von § 33a Abs. 2 der Aufsichtsrat selbst Adressat des Verhinderungsverbots. Dies ändert allerdings an der Pflichtenlage wenig. Auch bei § 33 ist der Aufsichtsrat verpflichtet, Verstößen des Vorstands gegen das Verhinderungsverbot entgegenzuwirken. Der Unterschied zu § 33a Abs. 2 wirkt sich deshalb weniger im Bereich der Sanktionen und mehr bei der Frage aus, ob überhaupt ein Verstoß gegen das Verhinderungsverbot vorliegt; im Unterschied zu § 33a Abs. 2 ist das bei § 33 zu verneinen, wenn der Aufsichtsrat der Maßnahme wirksam zugestimmt hat (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 Fall 3).
F. Unterrichtungspflichten (§ 33a Abs. 3) I. Überblick 75
§ 33a Abs. 3 dient der Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie. Die Vorschrift will erreichen, dass die relevanten Aufsichtsstellen jederzeit den Überblick über das Regelungsstatut derjenigen Gesellschaften behalten, die ihrer Aufsicht unterliegen. Weitere Mitteilungspflichten ergeben sich für die vorgeschlagene Satzungsänderung aus § 30c WpHG und § 30e Abs. 1 Nr. 1 WpHG („Änderung der mit den zugelassenen Wertpapiere verbundenen Rechte“)3, letzteres aber nicht wegen einer Erweiterung der (auch bei § 33 bestehenden) Möglichkeit zur Ad hoc-Zustimmung der Hauptversammlung4, sondern wegen des Ausschlusses von Vorratsermächtigungen nach § 33 Abs. 2.
II. Adressat der Mitteilungspflicht 76
Adressaten der Mitteilungspflicht sind unabhängig von einer Börsennotierung in Deutschland für Gesellschaften mit Sitz in Deutschland die BaFin sowie darüber hinaus alle Aufsichtsstellen im EWR, bei denen Wertpapiere der Gesellschaft i.S.v. § 3 Abs. 2 zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Erfasst sind demgemäß auch Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen5. Die Divergenz zu § 33c Abs. 3 Satz 2 – dort ist nur die Börsennotierung stimmberechtigter Aktien erfasst – ist angesichts des klaren Wortlauts hinzunehmen6. Über den Wortlaut von § 33a Abs. 3 hinaus sind aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 Übernahmerichtlinie auch die Aufsichtsstellen von Mitgliedsstaaten, in denen ein Antrag auf Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt
1 Anders die Vertreter der Auffassung, bei § 33a Abs. 2 handele es sich um eine Kompetenzregelung zugunsten der Aktionäre: Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 57; w.N. Rz. 28; zurückhaltend allerdings Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 69. 2 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 30. 3 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 5. 4 So aber Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 5. 5 Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 75; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 25. 6 A.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 8: teleologische Reduktion.
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gestellt wurde, zu unterrichten1. Die Wortlautgrenze wird dabei allerdings verlassen, so dass angesichts des strafrechtlichen Analogieverbots eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit insoweit nicht in Betracht kommt2.
III. Gegenstand, Form, Zeitpunkt Gegenstand der Mitteilung ist der Beschluss der Hauptversammlung über eine Sat- 77 zungsbestimmung nach § 33a Abs. 1 Satz 1. Auf den Eintritt der Wirksamkeit durch Eintragung der Satzungsbestimmung im Handelsregister kommt es nach dem Wortlaut der Norm nicht an. Das ist zwar wenig sinnvoll, aber angesichts der übereinstimmenden Regelung in Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie hinzunehmen3. Auch für eine etwaige gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses auf Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage besteht keine Mitteilungspflicht4. Es ist zu empfehlen, dass die Zielgesellschaft jedenfalls freiwillig die Aufsichtsstellen über relevante Umstände betreffend die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses informiert. Die Mitteilung hat unverzüglich zu erfolgen. Dafür wird gelegentlich ein Zeitraum von drei Werktagen genannt5. Die Frist beginnt jedenfalls erst mit dem Eintritt der Wirksamkeit des Beschlusses durch Fertigstellung des Hauptversammlungsprotokolls (Rz. 51 und § 33 Rz. 232)6. Für die Mitteilung an die BaFin richtet sich die Form nach § 457. Für die Mitteilung an die ausländischen Aufsichtsstellen gelten zwar nicht ohne weiteres die dortigen Formvorschriften, weil es sich um eine Mitteilung nach deutschem Recht handelt8, aber die Orientierung am dort üblichen Verfahren und die Übermittlung in der Landessprache oder in englischer Sprache9 ist jedenfalls sinnvoll. In Betracht kommt im übrigen die analoge Anwendung von § 45. Ebenfalls nicht geregelt ist in § 33a Abs. 3 die Mitteilung über ein etwaiges Opt out 78 durch Aufhebung einer Satzungsbestimmung nach § 33a Abs. 1 Satz 1. Auch der Wortlaut der Übernahmerichtlinie ist insoweit nicht eindeutig, spricht allerdings eher dafür, die Mitteilungspflicht sowohl auf die Opt in-Entscheidung als auch auf deren Widerruf anzuwenden. Das entspricht dem Sinn und Zweck der Information der Aufsichtsstellen. § 33a Abs. 3 ist deshalb auf die Opt out-Beschlussfassung analog anzu-
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 25; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 75; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 7. 2 Die Analogie setzt damit die Zulässigkeit einer so genannten gespaltenen Normanwendung voraus (vgl. § 33 Rz. 301). 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 24; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 69; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 76; a.A. (Mitteilung erst nach Eintragung) Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 20. 4 A.A. für die Nichtigerklärung Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 24; Kiem in Baums/ Thoma, § 33a Rz. 77. 5 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 70 (ab Beschlussfassung); Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 23 (ab Eintragung). 6 A.A. wohl Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 76; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 70 (Beschlussfassung). 7 Vgl. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 25: Textform genüge nicht, weil der Absender erkennbar und überprüfbar sein müsse (was aber gerade der Inhalt der Textform nach § 126 BGB ist). 8 Vgl. zur Sprache (deutsch zulässig) Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 6; Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33 Rz. 23; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 72; a.A. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33a Rz. 6. 9 Röh in FrankfKomm. WpÜG, § 33a Rz. 23; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33a Rz. 72.
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wenden1. Auch insoweit kommt eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit nicht in Betracht (vgl. oben Rz. 76 a.E.).
IV. Sanktionen 79
Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 60 Abs. 1 Nr. 9.
§ 33b Europäische Durchbrechungsregel (1) Die Satzung einer Zielgesellschaft kann vorsehen, dass Absatz 2 Anwendung findet. (2) Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 3 Satz 1 gelten die folgenden Bestimmungen: 1. während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots gelten satzungsmäßige, zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbarte Übertragungsbeschränkungen von Aktien nicht gegenüber dem Bieter, 2. während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots entfalten in einer Hauptversammlung, die über Abwehrmaßnahmen beschließt, Stimmbindungsverträge keine Wirkung und Mehrstimmrechtsaktien berechtigen zu nur einer Stimme und 3. in der ersten Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters einberufen wird, um die Satzung zu ändern oder über die Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft zu entscheiden, entfalten, sofern der Bieter nach dem Angebot über mindestens 75 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt, Stimmbindungsverträge sowie Entsendungsrechte keine Wirkung und Mehrstimmrechtsaktien berechtigen zu nur einer Stimme. Satz 1 gilt nicht für Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sowie für vor dem 22. April 2004 zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbarten Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen. (3) Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt sowie die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich davon zu unterrichten, dass die Zielgesellschaft eine Satzungsbestimmung nach Absatz 1 beschlossen hat. (4) Für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 gilt § 16 Abs. 4 entsprechend. (5) Werden Rechte auf der Grundlage des Absatzes 1 entzogen, ist der Bieter zu einer angemessenen Entschädigung in Geld verpflichtet, soweit diese Rechte vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots nach § 10 Abs. 1 Satz 1 begründet wurden und der Zielgesellschaft bekannt sind. Der Anspruch auf Entschädi-
1 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33a WpÜG Rz. 9; Kiem in Baums/Thoma, § 33a Rz. 77; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33a Rz. 24.
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gung nach Satz 1 kann nur bis zum Ablauf von zwei Monaten seit dem Entzug der Rechte gerichtlich geltend gemacht werden.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
1
1. Umsetzung der Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung der Durchgriffsregel der Übernahmerichtlinie . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3
2. Keine Geltung von Stimmbindungsverträgen und Mehrstimmrechten (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Stimmbindungsverträge . . . . . . . . 30 b) Mehrstimmrechte . . . . . . . . . . . . . 31 II. In der ersten auf Verlangen des Bieters einberufenen Hauptversammlung (Nr. 3). . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 32 2. Keine Geltung von Stimmbindungsverträgen, Entsendungsrechten und Mehrstimmrechten . . . 36
III. Vergleichbare Regelungen/Umsetzung in anderen EU-Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 3. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 6 7
III. Ausnahmen von der Durchbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
B. Wahlrecht der Zielgesellschaft (§ 33b Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
D. Unterrichtung der Aufsichtsstellen (§ 33b Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
I. Geltungsbereich: Inländische Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
E. Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung (§ 33b Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
II. Umfang des Wahlrechts . . . . . . . . . .
11
C. Durchbrechung struktureller Übernahmehindernisse (§ 33b Abs. 2) . . .
15
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 47
I. Während der Annahmefrist (Nr. 1, 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
II. Entschädigung und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
1. Keine Geltung von Übertragungsbeschränkungen (Nr. 1) . . . . . . . . . . . a) Satzungsmäßige Übertragungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragliche Übertragungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . .
F. Entschädigung (§ 33b Abs. 5) . . . . . . 45
III. Entschädigungsberechtigte . . . . . . . 55 18
IV. Durchsetzung der Entschädigung . . 57
20
G. Ausblick: Reform der Übernahmerichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
22
Schrifttum: Arnold, Mehrstimmrechte und stimmrechtslose Vorzugsaktien in der Übernahmerichtlinie, Der Konzern 2003, 173; Arnold, Entschädigung von Mehrstimmrechten nach § 5 EGAktG, DStR 2003, 784; Glade/Haak/Hellich, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, Der Konzern 2004, 455 (Teil I), 515 (Teil II), Harbarth, Europäische Durchbrechungsregel im deutschen Übernahmerecht, ZGR 2007, 37; Knott, Freiheit, die ich meine: Abwehr von Übernahmeangeboten nach Umsetzung der EU-Richtlinie, NZG 2006, 849; Krause, Das neue Übernahmerecht, NJW 2002, 705; Krause, Das deutsche Übernahmegesetz vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie, ZGR 2002, 500; Krause, Zwei Jahre Praxis mit dem WpÜG, NJW 2004, 3681; Krause, BB-Europareport: Die EU-Übernahmerichtlinie – Anpassungsbedarf im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2004, 113; Lehne/Haak, Das Ringen um die Übernahmerichtlinie aus der Sicht des Europäischen Parlaments, Der Konzern 2003, 163; Liekefett, Die EU-Übernahmerichtlinie aus ökonomischer Perspektive, RIW 2004, 824; Maul, Die EU-Übernahmerichtlinie – Ausgewählte Fragen, NZG 2005, 151; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie, AG 2004, 221 (Teil I), 306 (Teil II); Meister, Zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie in das deutsche Übernahmerecht, in GS Bosch, 2005, S. 115; Meyer, Änderungen im WpÜG durch die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, WM 2006, 1135; Mülbert, Umsetzungsbedarf bei der Übernahmerichtlinie –
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erheblicher Umsetzungsbedarf bei den heutigen Vorschriften des WpÜG, NZG 2004, 633; Rühland, Das „Level Playing Field“ im europäischen Übernahmerecht – eine ökonomische Analyse der Durchbruchsregel (Art. 11 ÜRL-E), NZG 2003, 1150; Schüppen, WpÜG-Reform: Alles Europa oder was?, BB 2006, 165; Schumacher/Sanders, Die Ausdehnung der Durchbruchsregel auf Mehrfachstimmrechte – ein verfassungsrechtliches Problem?, Der Konzern 2003, 178; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; Seibt/Heiser, Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes und Hinweise für eine Reform des deutschen Übernahmerechts, ZGR 2005, 200; Simon, Entwicklungen im WpÜG, Der Konzern 2006, 12; Wiesner, Die neue Übernahmerichtlinie und die Folgen, ZIP 2004, 343. Zur Reform der Übernahmerichtlinie: Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, COM(2012) 347, vom 28.6.2012, im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_mar ket/company/docs/takeoverbids/COM2012_347_de.pdf; Marccus Partners, The Takeover Bids Directive Assessment Report vom 28.6.2012, im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ internal_market/company/consultation/index_de.htm.
A. Grundlagen I. Entstehung der Norm 1. Umsetzung der Übernahmerichtlinie 1
§ 33b wurde im Zuge der Umsetzung der Übernahmerichtlinie1 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 8.7.20062 in das WpÜG eingefügt und trat am 14.7.2006 in Kraft. Er setzt die dort so genannte Durchgriffsregel des Art. 11 der Übernahmerichtlinie in deutsches Recht um. Diese sieht vor, dass nach Bekanntmachung eines Übernahmeangebotes bestimmte strukturelle Übernahmehindernisse nicht gelten. Nach Art. 12 der Übernahmerichtlinie haben die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, von einer (zwingenden) Umsetzung des Art. 11 der Übernahmerichtlinie für Zielgesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet abzusehen (opt out – Art. 12 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie). Macht ein Mitgliedstaat von diesem Wahlrecht Gebrauch, muss er jedoch den Zielgesellschaften mit Sitz in seinem Staatsgebiet das widerrufliche Recht einräumen, sich freiwillig für die Anwendung des Art. 11 der Übernahmerichtlinie zu entscheiden (opt in – Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie). Dies hat gemäß den Regelungen über Satzungsänderungen nach dem Recht des jeweiligen Sitzmitgliedstaates zu geschehen. Deutschland hat im Rahmen der Umsetzung der Übernahmerichtlinie von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht, so dass die Durchgriffsregel nur fakultativ nach Maßgabe der Satzung der Zielgesellschaft zur Anwendung kommt. 2. Entstehung der Durchgriffsregel der Übernahmerichtlinie
2
Das Regelungskonzept der Durchgriffsregel der Übernahmerichtlinie erschließt sich mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie3. Deren Ausgangspunkt war – bis in das Jahr 1974 zurückreichend (dazu im Einzelnen Einl. Rz. 80 ff.) – das Bemü1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, Text im Anhang S. 1713. 2 BGBl. I 2006, 1426. 3 Dazu auch Meyer, WM 2006, 1135.
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hen, europaweit einheitliche Ausgangsbedingungen für öffentliche Übernahmeangebote zu schaffen (sog. Level Playing Field). Nachdem die Verabschiedung der Übernahmerichtlinie auf der Grundlage des sog. gemeinsamen Standpunktes gescheitert war, arbeitete die von der Kommission eingesetzte und von dem Niederländer Jaap Winter geleitete Gruppe von Gesellschaftsrechtsexperten (Winter-Gruppe) zwei Grundsätze heraus, die zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen zu beachten seien. Zum einen sei die letzte Entscheidung über die Annahme eines Übernahmeangebotes durch die Aktionäre die Zielgesellschaft zu treffen. Zum anderen müssen die durch eine Beteiligung am Kapital des Unternehmens vermittelte Teilhabe am Unternehmensrisiko und die Rechte zur Kontrolle der Zielgesellschaft in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (Proportionalitätsprinzip). Daher sollten Regelungen, die eine unverhältnismäßige Verteilung der Kontrollrechte unter den Aktionären zur Folge hätten, bei Entscheidungen der Hauptversammlung der Zielgesellschaft über die Verteidigungsmaßnahmen und über die Anpassung der Gesellschaftsstrukturen nach erfolgtem Übernahmeangebot nicht gelten (sog. Durchbruchsregelung)1. Ein auf dieser Grundlage erarbeiteter Richtlinienvorschlag der Kommission vom 2.10.20022 erfasste freilich nur einen Teil der identifizierten strukturellen Übernahmehindernisse; insbesondere sollten die in einigen Rechtsordnungen bekannten Golden Shares und Mehrstimmrechte nicht von der Durchbruchsregelung betroffen sein3. Nach einem Kompromissvorschlag der Ratspräsidentschaft sollte es dagegen den Mitgliedstaaten überlassen werden, Zielgesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet zwingend die Geltung einer Durchbruchsregelung vorzuschreiben4, die sich auf die Beschränkung der Übertragung von Wertpapieren sowie auf Stimmrechtsbeschränkungen und Mehrfachstimmrechte (nicht jedoch von Sonderrechten der Mitgliedstaaten) bezieht. Setzt ein Mitgliedstaat diese Durchbruchsregelung für Zielgesellschaften mit Sitz in seinem Staatsgebiet nicht um, muss er diesen gestatten, die Durchbruchsregelung freiwillig durch eine entsprechende Satzungsregelung anzuwenden. Dieser Kompromissvorschlag wurde sodann verabschiedet und schlug sich in Art. 11 und 12 der Übernahmerichtlinie nieder (dazu im Einzelnen Einl. Rz. 98 ff.).
1 Bericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten vom 10. Januar 2002, Zusammenfassung zu Kapitel I, S. 3 ff.; eingehend Kapitel I, Tz. 2 ff., S. 22 ff. 2 ABl. EG Nr. C 45 E v. 25.2.2003, S. 1; auch abgedruckt in BR-Drucks. 800/02 und ZIP 2002, 1863; dazu Neye, NZG 2002, 1144, 1145; Semler, BB Heft 46/2002 S. I; Krause, BB 2002, 2341, 2342; Lehne/Haak, Der Konzern 2003, 163 ff.; Dauner-Lieb/Lamandini, Der Konzern 2003, 168, 172; Dauner-Lieb/Lamandini, BB 2003, 265, 267; Dauner-Lieb/Lamandini ausführlich in ihrem im Auftrag des Europäischen Parlaments erstellten Gutachten vom Dezember 2002, im Internet verfügbar unter http://www.europarl.europa.eu/comparl/juri/stu dies/study_complaw_de.pdf. 3 Kritisch Neye, NZG 2002, 1144, 1145; Semler, BB Heft 46/2002 S. I; Krause, BB 2002, 2341, 2342; Lehne/Haak, Der Konzern 2003, 163 ff.; Dauner-Lieb/Lamandini, Der Konzern 2003, 168, 172; Dauner-Lieb/Lamandini, BB 2003, 265, 267; Dauner-Lieb/Lamandini ausführlich in ihrem im Auftrag des Europäischen Parlaments erstellten Gutachten vom Dezember 2002, im Internet verfügbar unter http://www.europarl.europa.eu/comparl/juri/studies/stu dy_complaw_de.pdf. 4 Dazu und zur Entstehungsgeschichte insgesamt Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 222 ff.; Wiesner, ZIP 2004, 343 ff.; Wagner, Die Bank 2004, 108 ff.; Maul, NZG 2005, 151.
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II. Normzweck 3
§ 33b dient – abgesehen von der Umsetzung der Vorgaben der Übernahmerichtlinie – dazu, Zielgesellschaften die Möglichkeit einzuräumen, sich ein übernahmefreundliches Profil zu geben. Dies ist vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben zu verstehen. Eines der Ziele der Übernahmerichtlinie besteht darin, jedem Bieter zu ermöglichen, Mehrheitsbeteiligungen an einer Zielgesellschaft zu erwerben und die vollständige Kontrolle über diese auszuüben1. Dadurch soll den Ergebnissen der Untersuchungen der Winter-Gruppe (siehe oben Rz. 2) Rechnung getragen werden. Im Hinblick darauf, dass jedoch die positive Einschätzung der ökonomischen Auswirkungen von Unternehmensübernahmen nicht unumstritten ist (dazu Einl. Rz. 5 ff.), lässt § 33b den Aktionären einer Zielgesellschaft die Wahl, ob sie dieser durch eine entsprechende Satzungsänderung die Durchbrechung von Übernahmehindernissen erlauben oder an potentiell übernahmefeindlichen Strukturen festhalten wollen.
III. Vergleichbare Regelungen/Umsetzung in anderen EU-Mitgliedstaaten 4
Die meisten Mitgliedstaaten der EU haben von ihrem Opt out-Recht Gebrauch gemacht und darauf verzichtet, die fakultative Durchgriffsregel in zwingendes Recht umzusetzen. Vielmehr stellen sie es den ihrem Recht unterliegenden Zielgesellschaften frei, sich durch eine entsprechende Satzungsregelung freiwillig für die Anwendung der Durchgriffsregel zu entscheiden. Lediglich Estland, Lettland und Litauen haben die Durchgriffsregel in zwingendes Gesetzesrecht umgesetzt2. Die anderen Mitgliedstaaten, wie etwa Deutschland, Österreich und das Vereinigte Königreich haben dagegen die Möglichkeit des „Opting out“ wahrgenommen und überlassen die Anwendung der Durchgriffsregel des Art. 11 der Übernahmerichtlinie den Zielgesellschaften. 1. Österreich
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Zielgesellschaften, die österreichischem Recht unterliegen, haben im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 und 2 der Übernahmerichtlinie die Möglichkeit, durch entsprechende Satzungsregelung freiwillig für die Geltung der – im österreichischen Recht als „Durchbrechungsregelung“ bezeichneten Überwindung von strukturellen Übernahmehindernissen zu optieren. Die Einzelheiten sind in § 27a ÜbG geregelt. Dieser ähnelt stark dem deutschen § 33b; auf die Unterscheide ist nachfolgend kurz einzugehen. Im Fall der Geltung der Europäischen Durchbrechungsregelung haben Übertragungsbeschränkungen zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und dem in der Angebotsunterlage vorgesehenen Zeitpunkt für die Abwicklung des Angebots an den Bieter oder an mit ihm gemeinsam vorgehende Rechtsträger nach § 27a Abs. 3 1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, Erwägungsgrund 19. 2 Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, COM(2012) 347, vom 28.6.2012, Tz. 7 (S. 4), im Internet abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/com pany/takeoverbids/index_de.htm.
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Satz 1 ÜbG keine Wirkung. Bestehen satzungsmäßige Entsendungsrechte einzelner Aktionäre, ist zur Wirksamkeit der Satzungsänderung, mit der die Europäische Durchbrechungsregelung eingeführt werden soll, gemäß § 27a Abs. 1 Satz 2 ÜbG die Zustimmung der Aktionäre erforderlich, denen das Entsendungsrecht zusteht. Da auch nach österreichischem Recht die Europäische Durchbrechungsregelung nur im Ganzen für anwendbar erklärt werden kann1, hängt ihre Geltung damit insgesamt von der Zustimmung entsendungsberechtigter Aktionäre ab. Demzufolge löst die Durchbrechung satzungsmäßiger Entsendungsrechte keine Entschädigung nach § 27 Abs. 6 ÜbG aus, der ansonsten im Wesentlichen § 33b Abs. 5 entspricht. Denn der entsendungsberechtigte Aktionär, der der Durchbrechung seines Entsendungsrechts zugestimmt hat, wird nicht als schutzwürdig angesehen, da ihm sein Sonderrecht nicht zwangsweise entzogen wurde2. Wurde die Europäische Durchbrechungsregelung mit Zustimmung des entsendungsberechtigten Aktionärs wirksam, können nach § 27a Abs. 5 Satz 4 ÜbG in der Hauptversammlung, welche nach dem Übernahmeangebot durch den über mindestens 75 % des stimmberechtigen Kapitals verfügenden Bieter einberufen wurde, entsandte Aufsichtsratsmitglieder abberufen und ohne Berücksichtigung von Entsendungsrechten neue Aufsichtsratsmitglieder gewählt sowie die Entsendungsrechte durch Satzungsänderung ohne Zustimmung des betroffenen Aktionärs abgeschafft werden. 2. Vereinigtes Königreich Britischem Recht unterliegende Zielgesellschaften können nach Section 966 Abs. 1 6 Companies Act 2006 im Wege einer special resolution (Section 283 Abs. 1 Companies Act 2006) mit 75 %iger Stimmenmehrheit für die Geltung der Durchgriffsregelung optieren, sofern sie zugleich entgegenstehende Regelungen der articles of association für die Dauer des Durchgriffs abbedingen (Section 966 Abs. 2 lit. a) Companies Act 2006). Sofern jedoch Sonderrechte für von der öffentlichen Hand gehaltene Aktien (golden shares) gelten, ist gemäß Section 966 Abs. 4 Companies Act 2006 keine Wahl der Europäischen Durchbrechungsregel möglich. Die sonstigen Regelungen setzen im Wesentlichen Art. 1 der Übernahmerichtlinie eins-zu-eins um. Erwähnenswert ist dabei, dass nach Section 968 Abs. 2 lit. d) Companies Act 2006 Stimmrechtsbeschränkungen in der ersten Aktionärsversammlung nach Ende des Angebots entfallen, sofern der Bieter 75 % der Stimmrechte hält, und zwar – anders als in Deutschland (dazu Rz. 32 ff.) – unabhängig davon, wer diese einberufen hat. Der Bieter hat dabei aber ein gesetzliches Einberufungsrecht gemäß Section 969 Abs. 1 Companies Act 2006. Nach Section 968 Abs. 6 Companies Act 2006 steht Personen, die infolge der Anwendung der Durchgriffsregel einen Verlust erleiden, ein Anspruch auf angemessene Entschädigung zu. Anders als in Deutschland oder Österreich richtet sich dieser Anspruch aber nicht etwa gegen den Bieter, sondern gegen diejenige Person, gegen die ohne Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel sonst ein Anspruch wegen Vertragsverletzung oder Verletzung des betreffenden Sonderrechts bestünde. Im Ergebnis entfaltet also in Großbritannien die Durchgriffsregel keine Sperrwirkung auf Sekundäransprüche wegen Zuwiderhandlungen gegen die durchbrochenen Sonderrechte. Hinsichtlich der Schwierigkeiten bei der Bemessung
1 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Das österreichische Übernahmerecht Rz. 100; Trenkwalder in Huber, § 27a ÜbG Rz. 8. 2 Diregger/Kalss/Winner in MünchKomm. WpÜG, Das österreichische Übernahmerecht Rz. 101; Trenkwalder in Huber, § 27a ÜbG Rz. 34.
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dieser Entschädigung werden dieselben Bedenken geltend gemacht wie im deutschen Schrifttum (dazu Rz. 45 ff.)1. 3. Schweiz 7
Das schweizerische Übernahmerecht kennt keine Durchbrechungsregel2.
B. Wahlrecht der Zielgesellschaft (§ 33b Abs. 1) 8
§ 33b regelt das Wahlrecht einer Zielgesellschaft, in ihrer Satzung vorzusehen, dass bestimmte vertragliche oder satzungsmäßige Regelungen, die den Erfolg eines auf den Erwerb der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichteten Übernahmeangebotes behindern könnten (sog. strukturelle Übernahmehindernisse), ab Veröffentlichung der diesbezüglichen Angebotsunterlage nicht gelten.
I. Geltungsbereich: Inländische Zielgesellschaft 9
Der Wortlaut des § 33b Abs. 1 bezieht sich allgemein auf „Zielgesellschaften“, mithin prima facie sowohl auf Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien (sowie Europäische (Aktien-)Gesellschaften) mit Sitz im Inland (§ 2 Abs. 3 Nr. 1) als auch auf Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 2). Indes führt die Begründung des Regierungsentwurfs des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes aus, dass das Wahlrecht nach dieser Bestimmung nur für inländische Zielgesellschaften gilt3. Dies ergibt sich aus dem eingeschränkten Anwendungsbereich des WpÜG bei Zielgesellschaften, deren stimmberechtigte Aktien nicht im Inland, sondern nur in einem anderen Staat des europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 1 Abs. 2) oder deren Sitz im Ausland liegt (§ 1 Abs. 3). Danach findet das WpÜG – soweit es gesellschaftsrechtliche Fragen regelt – nur auf Gesellschaften mit Sitz im Inland Anwendung. Das WpÜG steht insoweit im Einklang mit der Systematik des Art. 4 Abs. 2e) der Übernahmerichtlinie, der gesellschaftsrechtliche Fragen dem Recht des Mitgliedstaates zuweist, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat. Dazu gehören auch Bestimmungen wie jene des § 33b, der die Geltung von Beschränkungen bei der Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft und der Ausübung von Stimmrechten sowie von Mehrstimmrechten regelt4. Bestätigt wird dies für inländische Zielgesellschaften mit Börsennotierung ausschließlich in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums in § 1 Nr. 6 WpÜG-AnwendbarkeitsVO5 bzw. für ausländische Zielgesellschaften in § 2 WpÜG-AnwendbarkeitsVO. Diese bestimmt gemäß § 1 Abs. 4 näher, in welchem Umfang die Vorschriften des WpÜG auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer inländische Zielgesellschaft ohne Börsennotierung im Inland sowie einer Zielgesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums anwendbar sind. 1 Burbidge in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, Takeover Bids in Europe, 5th ed. 2008, Chapter 16 Rz. 3562. 2 Nobel/Drenckhan, WM 2006, 1129, 1132. 3 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BR-Drucks. 154/06, S. 37. 4 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BR-Drucks. 154/06, S. 28. 5 Verordnung über die Anwendbarkeit von Vorschriften betreffend Angebote im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung) vom 17.7.2006, BGBl. I 2006, 1698, Text im Anhang S. 1738.
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Das Wahlrecht des § 33b soll nur börsennotierten Zielgesellschaften offenstehen1. 10 Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Begriff der Zielgesellschaft nach § 2 Abs. 3, aber aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes nach § 1 Abs. 1. Jedoch sollte es noch nicht börsennotierten Gesellschaften möglich sein, im Vorgriff auf den Börsengang eine unter dem Vorbehalt der Zulassung der Aktien (oder sonstiger Wertpapiere i.S.v. § 2 Abs. 2) zum Börsenhandel an einem organisierten Markt stehende Satzungsregelung zu treffen, nach der sie für die Zeit nach der Börsenzulassung der Wertpapiere die Regelungen nach § 33b Abs. 2 zur Anwendung bringt.
II. Umfang des Wahlrechts § 33b Abs. 1 sieht nur vor, dass eine Zielgesellschaft in ihrer Satzung vorsehen kann, 11 die Regelungen des § 33b Abs. 2 anzuwenden. Damit wird das Recht eingeräumt, die (europäische) Durchbrechungsregel zu wählen (opt in), nicht aber das Recht, diese auszugestalten2. Zielgesellschaften können also die Regelungen des § 33b Abs. 2 nur „im Paket“ wählen. Teilweise wird insoweit freilich vertreten, dass dessen ungeachtet Zielgesellschaften auch nur einzelnen Bestimmungen des § 33b Abs. 2 in ihre Satzung aufnehmen können; das Abweichen von der in § 33b Abs. 1 vorgesehenen „Paketlösung“, hätte nur zur Folge dass die Reziprozitätsregelung in § 33c nicht eingreife3. Angesichts der klaren Wortlauts und des in der Regierungsbegründung zum Ausdruck kommenden entsprechenden Willens des Gesetzgebers4 erscheint indes eine nur teilweise Anwendung der Bestimmungen des § 33b Abs. 2 („Teil-opt in“) nicht zulässig5. Dagegen muss die Wahl der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b nicht zwingend mit der Wahl des Europäischen Verhinderungsverbots nach § 33a einher gehen6. Zum einen lässt sich eine solche Verknüpfung dem Gesetzeswortlaut beider Bestimmungen nicht entnehmen. Zum anderen ergibt sich dies auch aus Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie, der mit der Formulierung „und/oder“ sowohl ein alternatives als auch ein kumulatives Opt in der Zielgesellschaften in Bezug auf beide Regelungen vorsieht. Erforderlich ist dabei ein ausdrücklicher Beschluss der Hauptversammlung, der eine 12 die Geltung der Europäischen Durchbrechungsregel anordnende Bestimmung in die Satzung einfügt. Dabei ist sowohl ein bloßer Verweis auf § 33b ebenso denkbar wie eine Wiedergabe des Gesetzeswortlauts7. Letzteres hat den Vorteil der Klarheit, da sich der Umgang mit den betroffenen strukturellen Übernahmehindernissen eindeutig aus der Satzung selbst ergibt. Freilich besteht im Falle von Gesetzesänderungen ggf. Anpassungsbedarf. Vor diesem Hintergrund scheint die überwiegende Auffassung eine bloße Verweisung zu präferieren8, die dann aber als dynamische Verweisung verstanden werden muss. Insoweit erscheint eine Klarstellung empfehlenswert, etwa durch einen Verweis auf § 33b Abs. 2 in seiner jeweils geltenden Fassung bzw. einschließlich etwaiger Nachfolgeregelungen.
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Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 7. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BR-Drucks. 154/06, S. 37. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 14. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20. Meyer, WM 2006, 1135, 1140; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 9; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 15. 6 Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33b Rz. 3. 7 Harbarth, ZGR 2007, 37, 41. 8 Harbarth, ZGR 2007, 37, 41; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 15.
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Teilweise wird vertreten, die Einführung der Europäischen Durchbrechungsregel erfordere die Zustimmung der betroffenen Aktionäre, in deren Sonderrechte eingegriffen werde. Die Übernahmerichtlinie sieht jedoch ein solches Zustimmungsrecht nicht vor; dieses stünde also im Widerspruch zur Richtlinie. Indes wird argumentiert, dass Sonderrechte einzelner Aktionäre, wie etwa das Entsendungsrecht nach § 101 Abs. 2 AktG, mit Blick auf § 35 BGB nur mit Zustimmung des Berechtigten entzogen werden können1. Freilich handelt es sich bei der Europäischen Durchbrechungsregel nicht um einen Entzug, sondern nur um eine vorübergehende Suspendierung des Sonderrechts. Für diese ist – auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der Europäischen Durchbrechungsregel – keine Zustimmung des betroffenen Sonderrechtsinhabers erforderlich2. Zwar mag man argumentieren, dass es sich im Falle eines Übernahmeangebots gerade um den wesentlichen Anwendungsbereich eines zu durchbrechenden Sonderrechts handelt. Jedoch dokumentiert § 33b den gesetzgeberischen Willen, für die Fälle, in denen die Hauptversammlung einer Zielgesellschaft durch entsprechende Satzungsänderung für die Durchbrechung votiert, eine Sonderregelung zu treffen, die den allgemeinen Regeln nach § 101 Abs. 2 AktG, § 35 BGB vorgeht3. Dies gilt umso mehr, als die Übernahmerichtlinie dies auch europarechtlich gebietet und die genannten allgemeinen Regelungen nationalen Rechts richtlinienkonform einschränkend auszulegen sind. Denn ein Zustimmungserfordernis des Betroffenen würde sonst faktisch dazu führen, dass die Europäische Durchbrechungsregel leerliefe4. Verfassungsrechtlich erscheint dies auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zulässig, da dem Sonderrechtsinhaber nicht etwa das Eigentum an seinen Aktien oder auch nur das Sonderrecht entzogen5, sondern nur dessen Inhalt konkretisiert und begrenzt wird. § 33b stellt sich mithin als eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, gerade auch in Anbetracht der Entschädigungspflicht nach § 33b Abs. 56.
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Eine die Geltung der Europäischen Durchbrechungsregel anordnende Satzungsbestimmung kann durch satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung auch wieder aufgehoben werden. Dies kann auch nach der Veröffentlichung gemäß § 10 geschehen. In dieser Hauptversammlung kann der Bieter das Stimmrecht aus den von ihm gehaltenen Aktien ausüben (vgl. § 33 Rz. 228); bei der Beschlussfassung findet die Durchbrechung der zu diesem Zeitpunkt (noch) geltenden Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Anwendung7.
1 Hüffer, § 101 AktG Rz. 8; Habersack in MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 31 m.w.N.; Spindler in Spindler/Stilz, § 101 AktG Rz. 50. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 14. 3 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 21. 4 Ähnlich Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 14. 5 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit sogar des Entzugs der Eigentümerstellung im Falle des Squeeze-Out vgl. BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, NZG 2007, 587 = AG 2007, 544 (aktienrechtlicher Squeeze Out), BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR, 118/09, 1 BvR 128/09, NZG 2012, 907 = AG 2012, 625 (übernahmerechtlicher Squeeze Out). 6 Dazu Schumacher/Sanders, Der Konzern 2003, 178, 182. 7 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 17.
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C. Durchbrechung struktureller Übernahmehindernisse (§ 33b Abs. 2) I. Während der Annahmefrist (Nr. 1, 2) Der erste Regelungskomplex der Europäischen Durchbrechungsregel betrifft die Wir- 15 kung bestimmter struktureller Übernahmehindernisse während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots. Diese sollen während des Angebots suspendiert werden, damit sie dessen Erfolg nicht beeinträchtigen können. Daraus ergibt sich, dass der Begriff „Annahmefrist“ auch die weitere Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 (dazu § 16 Rz. 27 ff.) einschließt, um die Wirkung der Durchbrechung nicht zu konterkarieren1. Gleiches gilt für Verlängerungen der Annahmefrist aufgrund von Angebotsänderungen (§ 21 Abs. 5) oder eines konkurrierenden Angebots (§ 22 Abs. 2 Satz 1)2. Danach leben die durchbrochenen Rechte wieder auf (vorbehaltlich des § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3). Umstritten ist, ob § 33b auch für Pflichtangebote gilt und damit die Durchbrechung 16 der dort genannten übernahmefeindlichen Regelungen auch in diesem Fall von der Satzung angeordnet werden kann. Für die Anwendbarkeit spricht, dass § 33b von der generellen Verweisung in § 39, die mit Ausnahme der dort genannten Bestimmungen die Regelungen für Übernahmeangebote generell als auf Pflichtangebote anwendbar erklärt, nicht ausgenommen ist. Dennoch wird aus der Verwendung des Begriffs „Übernahmeangebot“ in § 33b Abs. 2 teilweise eine ausschließliche Anwendbarkeit auf Übernahmeangebote gefolgert3. Freilich wird auch in anderen Bestimmungen des Abschnitts 4, die von der Verweisung des § 39 erfasst sind, auf ein „Übernahmeangebot“ abgestellt, etwa in § 32 und § 33. Auch wäre die Übernahme der faktischen Kontrolle durch den Bieter, deren Verhinderung durch strukturelle Übernahmehindernisse mithilfe von § 33b durchbrochen werden soll, trotz Überschreitens der gesetzlichen Kontrollschwelle erschwert, wenn die Europäische Durchbrechungsregel nicht auch im Fall des Pflichtangebots anwendbar wäre4. Für die Erstreckung auf Pflichtangebote spricht auch die Übernahmerichtlinie, die in der Regelung des „Durchgriffs“ in Art. 11, den § 33b in nationales Recht umsetzt, den Begriff des „Angebots“ verwendet. Dieser ist in Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie definiert als ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Zielgesellschaft gerichtetes öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot […], das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft […] anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat. Folglich gebietet auch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 33b dessen Erstreckung auf Pflichtangebote5. Die zeitliche Beschränkung der Europäischen Durchbrechungsregelung kann für den Bieter zu Folgeproblemen führen, sofern es ihm nicht gelingt, während der Annahmefrist unter Durchbrechung der Übertragungsbeschränkungen eine ausreichende Zahl an stimmberechtigten Aktien zu erwerben und auf dieser Grundlage die sat1 Krause, BB 2004, 113, 115; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 224; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 36; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 11; a.A. Noack/Zetzsche in Schwark/ Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 10. 2 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 30. 3 So Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 21. 4 Dazu Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 314, die zur Klarstellung die Verwendung des Begriffs „Angebot“ vorschlagen. 5 Ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 2, 27; Steinmeyer in Steinmeyer/ Häger, § 33b Rz. 6; Glade in Heidel, § 33b WpÜG Rz. 3.
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zungsmäßigen Hindernisse unter Nutzung seiner Privilegierung in der ersten auf sein Betreiben hin einberufenen Hauptversammlung (dazu Rz. 32 ff.) zu beseitigen. Denn danach leben sämtliche Hindernisse wieder auf, sodass er faktisch an der Kontrolle der Gesellschaft ggf. trotz Stimmenmehrheit gehindert sein kann1. Ebenso kann nach einem gescheiterten Übernahmeangebot eine wiederauflebende Vinkulierung die Wiederveräußerung von Aktien erschweren2, wenngleich sich eine Vinkulierung typischerweise auf breit gestreute Platzierungen nicht nennenswert auswirkt, wie etwa Aktienplatzierungen von Gesellschaften mit vinkulierten Namensaktien zeigen3. Denn die Börsenzulassung vinkulierter Namensaktien setzt gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 BörsZulV voraus, dass das Zustimmungserfordernis nicht zu einer Störung des Börsenhandels führt. Die Börsengeschäftsführung verlangt daher vor der Zulassung eine Erklärung der Gesellschaft, dass diese ihre Zustimmung nur in außerordentlichen Fällen und im Gesellschaftsinteresse verweigert4. 1. Keine Geltung von Übertragungsbeschränkungen (Nr. 1) 18
Die Europäische Durchbrechungsregel erfasst zunächst Beschränkungen der Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft und zwar sowohl wenn sie in der Satzung der Zielgesellschaft festgelegt sind, als auch wenn sie vertraglich vereinbart wurden. Diese Beschränkungen sollen während der Annahmefrist (siehe oben Rz. 15) unwirksam sein. Allerdings findet die dingliche Übertragung der Aktien, die Gegenstand eines Übernahmeangebots sind, auch mit Blick auf die üblichen Angebotsbedingungen (insbesondere eine Annahmequote und die zumeist erforderliche Kartellfreigabe) und das übliche Annahmeverhalten der Aktionäre, die sich möglichst lange ihre Verhaltensoptionalität offen lassen und daher das Angebot weitgehend erst gegen Ende der Annahmefrist annehmen, regelmäßig erst nach Ende der Annahmefrist statt. Nach dem reinen Wortlaut des § 33b Abs. 2 Nr. 1 würde damit diese Variante der Europäischen Durchbrechungsregel leerlaufen. Sinn und Zweck der Regelung gebieten folglich, die Durchbrechungswirkung auch auf die erst im Anschluss an die Annahmefrist stattfindende Abwicklung des Angebots zu erstrecken5.
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Die von der Europäischen Durchbrechungsregel angeordnete Unwirksamkeit von Übertragungsbeschränkungen gilt nur gegenüber dem Bieter, wirkt also relativ. Das heißt: die – ggf. gegen eine beschränkende Vereinbarung verstoßende – Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft an den Bieter ist wirksam und ohne negative Rechtsfolgen (etwa aus der vereinbarten Übertragungsbeschränkung). Dies gilt auch und ge1 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 24. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 38; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 58, 60. 3 Ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 63. So waren beispielsweise vinkulierte Namensaktien der Allianz SE, Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG, Axel Springer AG, Lufthansa AG oder Stada Arzneimittel AG in den letzten Jahren Gegenstand von Aktienplatzierungen; zu den Einschränkungen für die Zustimmungsverweigerung vgl. Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 5 Rz. 99 ff. 4 Gebhardt in Schäfer/Hamann, § 5 BörsZulV Rz. 16; Groß, Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, §§ 1–12 BörsZulV Rz. 10. 5 Krause, BB 2004, 113, 115; Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 515, 522; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 113; Meister in GS Bosch, 2005, S. 115, 127; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 224; ebenso in AG 2006, 301, 313; Meyer, WM 2006, 1135, 1140; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 31; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 12; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33b Rz. 35; Glade in Heidel, § 33b WpÜG Rz. 6; ähnlich im Ergebnis Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 11; a.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 37.
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rade für den Veräußerer und zwar auf Dauer und nicht nur schwebend während des Angebots1. Eine tatsächlich durchgeführte Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft an einen Dritten bleibt dagegen unberührt, selbst wenn sie aufgrund einer Abrede erfolgt, die eine Übertragung auf den Bieter einschränkt oder verhindert2. a) Satzungsmäßige Übertragungsbeschränkungen Der Fall der satzungsmäßigen Übertragungsbeschränkungen ist bei Zielgesellschaf- 20 ten von Bedeutung, die vinkulierte Namensaktien i.S.v. § 68 Abs. 2 AktG ausgegeben haben, bei denen also nach der Satzung die Wirksamkeit der Übertragung von der Zustimmung der Gesellschaft abhängt. Dies ist nach deutschem Aktienrecht auch die einzige mögliche satzungsmäßige Ausnahme vom Grundsatz der freien Übertragbarkeit von Aktien3. Vinkulierte Namensaktien dienen, sofern sie nicht gesetzlich vorgeschrieben sind (dazu sogleich), typischerweise dazu, der Gesellschaft die Kontrolle der Beteiligungsverhältnisse zu ermöglichen4. Dadurch soll der (nach § 68 Abs. 2 Satz 2 AktG grds. für die Erteilung der Zustimmung zuständige) Vorstand den Beteiligungserwerb durch Investoren gegen seinen Willen verhindern können, insbesondere wenn dieser zur Übernahme der Kontrolle führen kann. Durch die Verweigerung seiner Zustimmung kann der Vorstand nämlich missliebige Dritte von dem Unternehmen fernhalten. Dies können etwa bei von einer Großaktionärsfamilie dominierten Unternehmen Familienfremde sein. Andere Beispiele sind Wettbewerber, ausländische oder allgemein Finanzinvestoren (wie etwa Private Equity Unternehmen oder Hedgefonds)5. Mit der Ergänzung der Satzung durch die Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel würde der Sinn vinkulierter Namensaktien also konterkariert. Daher dürfte höchst fraglich sein, ob die freiwillige Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel praktische Relevanz erlangt. Denn bei einer Zielgesellschaft, deren Satzung gerade zur Vermeidung eines nicht mit dem Vorstand abgestimmten Beteiligungserwerbs eine Vinkulierung vorsieht, erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Hauptversammlung ausgerechnet für den Fall eines Übernahmeangebots die Vinkulierung aufhebt6. Gäbe es bei einer ausreichenden Zahl von Aktionären diesen Willen, ließe sich die Vinkulierung ohnehin durch einfache Satzungsänderung abschaffen7, ohne dass es dazu der gesetzlichen Sonderregelung des § 33b bedurft hätte8. Für gesetzlich angeordnete Vinkulierungen, wie z.B. durch § 2 Abs. 1 LuftNaSiG9 21 zur Sicherstellung der internationalen Luftverkehrsrechte deutscher Luftfahrtun-
1 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 34 f.; ebenso schon Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 515, 522. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 34; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 56. 3 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 5 Rz. 92; BGH v. 20.9.2004 – II ZR 288/02, AG 2004, 673, 674; Wiesner in MünchHdb. AG, § 14 Rz. 16. 4 Liebscher, ZIP 2003, 825, 826. 5 Vgl. nur Hüffer, § 68 AktG Rz. 10. 6 Ähnlich Schüppen, BB 2006, 165, 167. 7 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 68 Rz. 64; Bayer in MünchKomm. AktG, § 68 Rz. 51; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 5 Rz. 95. 8 Meyer, WM 2006, 1135, 1140; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 8; Kiem in Baums/ Thoma, § 33b Rz. 18. 9 Gesetz zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung (LuftNaSiG) vom 5.6.1997, BGBl. I 1997, 1322; dazu: von und zu Franckenstein, NJW 1998, 286 ff.
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ternehmen (insbesondere der Deutsche Lufthansa AG)1 gilt die Europäische Durchbrechungsregel dagegen nicht2. Im Ergebnis erweist sich § 33b hinsichtlich der Durchbrechung satzungsmäßiger Übertragungshindernisse als deklaratorisch und scheint seinen einzigen Zweck in der ausdrücklichen Umsetzung des Formelkompromisses der Übernahmerichtlinie zum Umgang mit strukturellen Übernahmehindernissen zu haben. b) Vertragliche Übertragungsbeschränkungen 22
Daneben findet die Europäische Durchbrechungsregel auch Anwendung auf vertraglich vereinbarte Übertragungsbeschränkungen und zwar sowohl wenn sie zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären vereinbart wurden als auch solche, die auf Abreden unter Aktionären beruhen, etwa auf Poolvereinbarungen. Nicht erfasst sind dagegen Übertragungsbeschränkungen, die ein Aktionär mit einem Dritten vereinbart hat, etwa einem anderen Übernahmeinteressenten als dem Bieter3, jedenfalls solange dieser selbst bei Abschluss der Vereinbarung (noch) kein Aktionär ist. Der Europäischen Durchbrechungsregel unterfallen solche Übertragungsbeschränkungen freilich, wenn sie im Hinblick auf eine künftige Aktionärseigenschaft der betreffenden Vertragspartei geschlossen werden oder aber sich auf einen mit der Vertragspartei verbundenen Aktionär auswirken4.
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Keine Anwendung findet die Europäische Durchbrechungsregel ferner auf Übertragungsbeschränkungen in sog. Altverträgen, die vor dem 22.4.2004 vereinbart wurden. In diesen Fällen konnte die Europäische Durchbrechungsregelung bei Vertragsschluss noch nicht berücksichtigt werden. Mit der Stichtagsregelung kommt daher privatautonom und rechtlich zulässigerweise vereinbarten Übertragungsbeschränkungen Bestandsschutz zu5. Dies gilt auch, wenn Altverträge, die vor dem Stichtag eine Übertragungsbeschränkung enthielten, danach geändert werden6. Vom Bestandsschutz nicht erfasst sind dagegen Verschärfungen der vor dem Stichtag vereinbarten ursprünglichen Übertragungsbeschränkung7. Als Stichtag dient der Tag nach der Unterzeichnung der Übernahmerichtlinie8 durch Parlament und Rat (und nicht etwa der Veröffentlichung im Amtsblatt oder des Inkrafttretens der Richtlinie oder des Umsetzungsgesetzes). Dies erscheint willkürlich und auch inkonsequent, weil damit auch Übertragungsbeschränkungen betroffen wären, die bei ihrem Abschluss rechtlich zulässigerweise vereinbart werden konnten.
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Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs sollen ferner schuldrechtliche Veräußerungsvorgänge von der Europäischen Durchbrechungsregel nicht erfasst wer1 Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2200; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 227. 2 Zu weiteren Fällen gesetzlich angeordneter Übertragungsbeschränkungen Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 5 Rz. 93 Fn. 4. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 9; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 26; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 42; zu Gestaltungsformen in der Praxis vgl. Meyer/Kiesewetter, WM 2009, 340, 341; Merkner/Sustmann, NZG 2010, 681, 685; sowie ausführlich bei Seibt in Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 2. Aufl. 2011, Abschnitt E. I (S. 831 ff.). 4 Harbarth, ZGR 2007, 37, 46; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 43; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 9. 5 Maul, NZG 2005, 151, 153. 6 Harbarth, ZGR 2007, 37, 51; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 35. 7 Harbarth, ZGR 2007, 37, 51; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 19. 8 Begr. RegE BR-Drucks. 154/06, S. 38.
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den, da sie keine Übertragungsbeschränkung darstellen1. Gemeint sein dürften hiermit z.B. schuldrechtliche Optionsvereinbarungen, insbesondere Call-Optionen oder auch aufschiebend bedingte Verkaufsvereinbarungen. Diese als Beschränkung der Übertragbarkeit wirkenden Geschäfte von der Europäischen Durchbrechungsregelung auszuschließen erscheint im Hinblick auf den Gesetzeszweck fragwürdig, ist aber offensichtlich vom Gesetzgeber beabsichtigt. Man mag es damit begründen, dass die schuldrechtliche Lieferverpflichtung den daraus Verpflichteten nicht an der Übertragung aktuell von ihm gehaltener Aktien hindert – wiewohl er sich zur Erfüllung seiner Lieferverpflichtung dann erneut eindecken muss. Ein Wertpapierleihvertrag scheidet in jedem Fall aus dem Anwendungsbereich aus, wenn er – wie üblich2 – dem „Entleiher“ die Weiterveräußerung erlaubt und daher gerade keine Übertragungsbeschränkung beinhaltet3. Dagegen sind schuldrechtliche Haltevereinbarungen, etwa sog. Lock-up Verpflich- 25 tungen im Nachgang zu Aktienplatzierungen4, von der Durchbrechung vertraglicher Übertragungsbeschränkungen erfasst5. Bei ihnen handelte es sich nicht um schuldrechtliche Veräußerungsvorgänge, sondern um geradezu das Gegenteil davon. Dasselbe gilt für die Vereinbarung von Vertragsstrafen im Fall der Veräußerung6, ebenso wie Vorkaufsrechte, Vorerwerbsrechte oder schuldrechtliche Zustimmungsvorbehalte7. Entscheidend für die Abgrenzung im Einzelfall dürfte sein, ob der betreffende Aktionär durch die Übertragung von Aktien der Zielgesellschaft gegen vertragliche Verpflichtungen verstößt8. In diesem Fall greift die Europäische Durchbrechungsregel ein. Ebenso findet die Europäische Durchbrechungsregel Anwendung auf dinglich wir- 26 kende Veräußerungsbeschränkungen wie auch auf dingliche Optionen9 oder aufschiebend bedingte Übertragungen10. Ein dinglich wirkendes Verfügungsverbot würde freilich gegen § 137 Satz 1 BGB verstoßen und wäre daher ohnehin unwirksam11. Nach vereinzelt vertretener Ansicht sollen nur solche Übertragungsbeschränkungen 27 von der Europäischen Durchbrechungsregel erfasst sein, die einen zumindest abstrakten Bezug auf ein Übernahmeangebot aufweisen12 bzw. gesellschaftsrechtlich 1 Begr. RegE BR-Drucks. 154/06, S. 38. 2 Daher stellt die klassische Wertpapierleihe auch keine „Leihe“ im zivilrechtlichen Sinne, sondern ein Sachdarlehen i.S.v. § 607 BGB dar; dazu Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.104 sowie Begr. Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drucks. 14/6040, S. 258. 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 30. 4 Dazu Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 8 Rz. 89. 5 Harbarth, ZGR 2007, 1, 14; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 31. 6 Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2200; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 31. 7 Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 515, 522; Harbarth, ZGR 2007, 37, 44 f.; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 29; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33b Rz. 5. 8 Harbarth, ZGR 2007, 37, 45. 9 Kritisch zu der ausweislich der Regierungsbegründung gewollten Differenzierung zwischen schuldrechtlichen und dinglichen Veräußerungsgeschäften und entsprechenden Optionen als diesbezügliche Teilerklärungen Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 29. 10 Dafür Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 515, 522; Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2193, 2200; Meyer, WM 2006, 1135, 1141; dagegen Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 33; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 7; wohl auch Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33b Rz. 5, der aber nicht zwischen dinglicher und schuldrechtlicher Wirkung des Geschäfts differenziert. 11 Ellenberger in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 137 BGB Rz. 3. 12 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 8.
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vermittelt sind1. Dafür und für Kriterien an die Feststellung einer solchen Einschränkung finden sich aber keine Anhaltspunkte im Gesetz, so dass eine solche Reduzierung der Durchbrechungswirkung abzulehnen ist. 28
Soweit die Europäische Durchbrechungsregel auf Übertragungsbeschränkungen anwendbar ist, entfallen auch etwaige Sekundäransprüche der anderen Vertragspartei auf Unterlassung, Schadensersatz oder Zahlung einer Vertragsstrafe2. Denn diese knüpfen an einer Verletzung der primären Pflicht an, die Aktien der Zielgesellschaft nicht zu veräußern. Diese ist freilich während der Geltung der Europäischen Durchbrechungsregel suspendiert. Somit liegt schon keine Verletzung der Primärpflicht vor.
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Eine Satzungsregelung, nach der die Europäische Durchbruchsregel gemäß § 33b zur Anwendung kommt, wirkt sich auch auf eine Hauptversammlung der Zielgesellschaft aus, die während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots abgehalten wird, wenn diese über Abwehrmaßnahmen beschließt (dazu § 16 Rz. 60 ff.). Erfasst sind dabei Beschlüsse über Abwehrmaßnahmen, einschließlich der Beschluss eines Gegenseitigkeitsvorbehalts nach § 33c. Den Begriff der Abwehrmaßnahme wird man dabei weit auszulegen haben. Erfasst sind alle Beschlussgegenstände, die geeignet sind, den Erfolg des Angebots zu verhindern oder auch nur zu erschweren3. Im Zweifel wird man bei einem Beschlussgegenstand einer gemäß § 16 Abs. 3 während der Annahmefrist abgehaltenen (i.d.R. außerordentlichen) Hauptversammlung der Zielgesellschaft vermuten können, dass es sich dabei um eine Abwehrmaßnahme handelt4.
2. Keine Geltung von Stimmbindungsverträgen und Mehrstimmrechten (Nr. 2)
a) Stimmbindungsverträge 30
Stimmbindungsverträge haben in dieser Hauptversammlung keine Wirkung. Darunter sind sämtliche vertragliche Regelungen zu verstehen, nach denen der Stimmrechtsinhaber in der Ausübung seiner Stimmrechte nicht mehr frei ist, ohne ggf. gegen vertragliche Pflichten zu verstoßen5. Ausgenommen sind jedoch auch hier Verträge, die vor dem 22.4.2004 abgeschlossen wurden (zur Kritik an der Stichtagsregelung siehe oben Rz. 23). Auch bei danach abgeschlossenen Verträgen wird jedoch die Einhaltung der vereinbarten Stimmbindung schwer zu verhindern sein, da sich der betreffende Aktionär stets darauf berufen kann, dass er freiwillig wie sein Vertragspartner gestimmt hat. Ferner erscheint ein (freiwillig) zwischen den Vertragspartnern abgestimmtes Stimmverhalten unproblematisch, zumal das Gesetz die Abstimmung im Einzelfall auch in anderem Zusammenhang (§ 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2) im Hinblick auf den Kontrollerwerb für unproblematisch hält. Bedeutung könnte der Regelung freilich im Hinblick auf etwa vereinbarte Sanktionen für abweichendes Stimmverhalten zukommen. Sofern für diesen Fall eine Vertragsstrafe vereinbart wurde, dann würde diese gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Die betreffende Re1 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 7. 2 Harbarth, ZGR 2007, 37, 48; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 23; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 59; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 5. 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 41. 4 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 24. 5 Harbarth, ZGR 2007, 37, 54; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 38; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 65 ff.; ausführlich zum Begriff des Stimmbindungsvertrags Hüffer, § 133 AktG Rz. 25 f.
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gelung wäre folglich nach § 134 BGB unwirksam1. Keine Anwendung findet die Europäische Durchbrechungsregel jedoch auf – vereinzelte – gesetzliche Stimmrechtsbeschränkungen2, beispielsweise das Höchststimmrecht nach § 2 Abs. 1 VW-Gesetz a.F. Die betreffende Bestimmung wurde allerdings mit Wirkung vom 11.12.2008 aufgehoben3. b) Mehrstimmrechte In der „Abwehrhauptversammlung“ der Zielgesellschaft gilt ein von Mehrstimmrechtsaktien vermitteltes Mehrstimmrecht nicht; diese berechtigen dort stattdessen jeweils nur zu einer Stimme. Allerdings hat das am 1.5.1998 in Kraft getretene KonTraG4 Mehrstimmrechte durch die Streichung des § 12 Abs. 2 Satz 2 AktG beseitigt. Zuvor bestehende Mehrstimmrechte sind gemäß der Übergangsregelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EGAktG seit dem 1.6.2003 erloschen, es sei denn die Hauptversammlung hatte einen Fortgeltungsbeschluss gefasst5. Nachdem Mehrstimmrechte auch zuvor nur ausnahmsweise zulässig waren6, ist die praktische Bedeutung der Aussetzung von Mehrstimmrechten daher sehr gering.
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II. In der ersten auf Verlangen des Bieters einberufenen Hauptversammlung (Nr. 3) 1. Anwendungsbereich Die Wirkung der Europäischen Durchbrechungsregel erstreckt sich – über die eigentliche Angebotsphase hinaus – ferner auf die erste Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters einberufen wird. Damit ist vor allem der Fall gemeint, dass der Bieter nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG die Einberufung einer Hauptversammlung verlangt7. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG, auf den § 122 Abs. 1 Satz 3 AktG verweist, findet im Zusammenhang mit § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 jedoch keine Anwendung. Danach muss ein die Einberufung der Hauptversammlung verlangender Aktionär seit mindestens drei Monaten vor dem Tag der Hauptversammlung Aktien der Gesellschaft halten. Dieses Erfordernis würde dem Bestreben des Gesetzgebers zuwiderlaufen, dem Bieter alsbald nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot die Kontrolle über die Zielgesellschaft durch erleichterte Organbesetzung und Satzungsänderung zu erleichtern8.
1 Ähnlich Simon, Der Konzern 2006, 12, 14. 2 Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 312. 3 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21.7.1960 (BGBl. I 1960, 585), im Internet abrufbar unter http://www.vw-gesetz.de; im Nachgang zu EuGH v. 23.10.2007 – C-112/05, NZG 2007, 942 = AG 2007, 817 geändert durch Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 8.8.2008 (BGBl. I 2008, 2369); dazu Kilian, NJW 2007, 3469; Kerber, NZG 2008, 9. 4 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 6.3.1998, BGBl. I 1998, 786. 5 Dazu Hüffer, § 12 AktG Rz. 11. 6 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des KonTraG vgl. Zöllner in KölnKomm. AktG, § 12 Rz. 7 ff. 7 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 44; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 75; dagegen lässt Harbarth, ZGR 2007, 37, 56, ein formloses Einberufungsverlangen ausreichen. 8 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 16.
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Dagegen ist die erste ordentliche Hauptversammlung nach dem Übernahmeangebot nicht per se von der Europäischen Durchbrechungsregel betroffen. Denn diese wird gerade nicht „auf Verlangen des Bieters“ einberufen1. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt, wenn der Bieter zuvor verlangt hatte, eine Hauptversammlung zu den genannten Beschlussgegenständen einzuberufen und der Vorstand (als Einberufungsberechtigter nach § 121 Abs. 2 AktG) die vom Bieter verlangte Beschlussfassung mit der anstehenden ordentlichen Hauptversammlung verbindet2. Soweit die Einberufung nicht vor Ende der (weiteren) Annahmefrist erfolgte, entfaltet diese erste ordentliche Hauptversammlung eine Sperrwirkung auf die Durchbrechungsmöglichkeit nach Nr. 3. Dem Bieter ist nämlich zuzumuten, nach erfolgtem Übernahmeangebot zügig zu entscheiden, ob er von der Durchbrechung von Sonderrechten in der Hauptversammlung Gebrauch macht oder nicht3. Allerdings kann diese Sperrwirkung erst ab derjenigen ordentlichen Hauptversammlung einsetzen, in der der Bieter im Rahmen des Übernahmeangebots erworbene Stimmrechte tatsächlich ausüben kann, er also nach Abwicklung des Angebots die dadurch erworbenen Aktien (und damit die daraus resultierenden) Stimmrechte hält. Dies kann wegen ausstehender behördlicher Genehmigungen und daran zulässigerweise anknüpfenden (Vollzugs-)Bedingungen u.U. erst mehrere Monate nach Ende der Annahmefrist erfolgen4. Das ergibt sich schon aus der Formulierung des Gesetzes, die an das „Verfügen“ über 75 % der Stimmrechte anknüpft. Anderenfalls liefe die Durchbrechungswirkung des § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gerade im Hinblick auf das kartellrechtliche Vollzugsverbot leer5.
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Die Hauptversammlung muss einberufen worden sein, um die Satzung zu ändern oder über die Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft zu entscheiden. Auf den konkreten Gegenstand der Satzungsänderung kommt es dabei nicht an6. Mit „Leitungsorganen“ können nur solche Organe gemeint sein, über deren Besetzung die Hauptversammlung zu entscheiden hat. Indes wird eine Aktiengesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG vom Vorstand geleitet; diesen bestellt gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG der Aufsichtsrat (und eben nicht die Hauptversammlung). Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden dagegen nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG von der Hauptversammlung gewählt, sofern sie nicht nach mitbestimmungsrechtlichen Regelungen von den Arbeitnehmern zu wählen sind. Aus § 111 Abs. 1 AktG ergibt sich zwar, dass der Aufsichtsrat in Abgrenzung zum Vorstand strenggenommen ein Überwachungs- und gerade nicht ein Leitungsorgan darstellt. Die Begründung des Regierungsentwurfs zeigt aber, dass der Gesetzgeber bei Nr. 3 tatsächlich die Beschlussfassung über die Besetzung des Aufsichtsrats gemeint hat7. Entsprechendes gilt für die den gleichen Prinzipien der Binnenorganisation folgende dualistische SE sowie die KGaA (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Bei der monistischen SE betrifft die Regelung die Besetzung des Verwaltungsrats gemäß § 28 Abs. 1 SEAG i.V.m. Art. 43 Abs. 3 Satz 1
1 2 3 4 5 6 7
Simon, Der Konzern 2006, 12, 13; Meyer, WM 2006, 1135, 1141. Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 44; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 26. Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 45. Dazu Meyer in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 226, 249 ff. Ebenso Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 22. Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 79. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20; ebenso Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 48, auch dazu, dass eine Änderung der Kompetenzordnung für die Besetzung von Organen der Aktiengesellschaft, etwa dahingehend, dass der Vorstand ausnahmsweise von der Hauptversammlung zu bestellen sei, nicht beabsichtigt ist; dies nehmen dagegen Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 312 offenbar an.
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SE-Verordnung1, jeweils in Bezug auf die von der Hauptversammlung zu bestellenden Mitglieder2. Nicht erforderlich ist, dass die betreffende Hauptversammlung ausschließlich zum Zweck der Satzungsänderung beziehungsweise der Abberufung oder Bestellung der Organmitglieder einberufen wird3. Es sind also auch andere Beschlussgegenstände denkbar; bei der Abstimmung darüber gilt die Durchbrechung der Stimmrechtsbeschränkungen ebenfalls4. Die Regelung setzt ferner voraus, dass der Bieter nach dem Angebot über mindestens 35 75 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt. Darunter ist, wie die Regierungsbegründung klarstellt, eine Mehrheit von 75 % des stimmberechtigten Kapitals zu verstehen5. Der Bieter muss diese Stimmrechte nicht ausschließlich selbst halten; es genügt, wenn sie ihm nach § 30 zugerechnet werden6. Der maßgebliche Zeitpunkt, zu dem der Bieter die erforderliche Zahl an Stimmrechten halten muss, ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Dort ist nur von „nach dem Angebot“ die Rede. Lässt man ähnlich wie beim Erreichen der Squeeze-out-Schwelle bei § 39a (dazu § 39a Rz. 47 ff.)7 insoweit noch eine Berücksichtigung von Nacherwerben zu, so wird für den spätesten Zeitpunkt des Erreichens der 75 %-Schwelle teils auf das Einberufungsverlangen8, teils auf die betreffende Hauptversammlung selbst abgestellt9. In § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ist freilich die 75 %-Mehrheit nicht als Voraussetzung für das Einberufungsverlangen10, sondern für das Eingreifen der Durchbrechungswirkung formuliert. Daher ist der letzteren Ansicht zu folgen. 2. Keine Geltung von Stimmbindungsverträgen, Entsendungsrechten und Mehrstimmrechten Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, werden in der ersten auf Verlangen 36 des Bieters einberufenen Hauptversammlung satzungsmäßige Stimmrechtsbeschränkungen, Stimmbindungsverträge, Entsendungsrechte und Mehrstimmrechte – wie vorstehend für die Abwehrhauptversammlung während der Annahmefrist beschrieben – außer Kraft gesetzt. Dies gilt auch, wenn die Stimmrechtsbeschränkungen erst während der Annahmefrist begründet wurden11. Dabei lässt sich eine Beschränkung der Durchbrechungswirkung auf bestimmte Beschlussgegenstände, etwa Satzungs1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 2 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 25. 3 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 47; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 25; Schlitt/ Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 78. 5 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20. 6 Harbarth, ZGR 2007, 37, 57; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 50; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 26. 7 Grunewald in MünchKomm. WpÜG, § 39a Rz. 22 (Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung); so wohl auch Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, § 39a Rz. 45, Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 39a Rz. 3 (wohl bis zur Antragstellung); Schüppen/Tretter in FrankfKomm. WpÜG, § 39a Rz. 17 (bis Ende der Antragsfrist); a.A. Süßmann in Geibel/Süßmann, § 39a Rz. 8 (bis zum Ende des Angebots). 8 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 50. 9 Harbarth, ZGR 2007, 37, 57; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 26; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 82 stellen auf beide Zeitpunkte ab. 10 Wie es mit Verweis auf den insoweit anderen Wortlaut bei § 327a AktG angenommen wird, vgl. etwa Schnorbus in K. Schmidt/Lutter, § 327a AktG Rz. 15; BGH v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, WM 2011, 1032, 1035 = AG 2011, 518. 11 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 18.
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änderungen oder die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, aus dem Wortlaut nicht ableiten1. Der Bieter hat damit die Möglichkeit, sich in dieser Hauptversammlung solcher Kontrollhindernisse durch Satzungsänderung zu entledigen, ohne dass dieser Beschluss von den vorgenannten Einschränkungen einer gleichberechtigten Stimmrechtsausübung aller Aktionäre betroffen ist. Allerdings gelten für das Verfahren der Satzungsänderung ansonsten die allgemeinen Regeln; mit Wirkung über diese Hauptversammlung hinaus können also satzungsmäßige Entsendungsrechte gemäß § 35 BGB nur mit Zustimmung des Berechtigten aufgehoben werden2. Denn § 35 BGB wird von § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 nur für die betreffende Hauptversammlung verdrängt; nicht jedoch mit dauerhafter Wirkung darüber hinaus3. Allerdings lebt das Entsendungsrecht erst nach Ablauf der Amtszeit eines in der auf Verlangen des Bieters einberufenen Hauptversammlung bestellten Aufsichtsratsmitglieds wieder auf; wäre dies unmittelbar nach der auf Verlangen des Bieters einberufenen Hauptversammlung der Fall, würde die Durchbrechung ausgehöhlt und ihr Zweck verfehlt4. Legt dagegen ein Aufsichtsratsmitglied vorzeitig sein Amt nieder, kann von dem Entsendungsrecht wieder Gebrauch gemacht werden. Den Vertretern einer weitergehenden Verdrängung von § 35 BGB5 ist zuzubilligen, dass dem Bieter damit – hinsichtlich der Besetzung des Aufsichtsrats – nur vorübergehend ermöglicht wird, Entsendungsrechte zu durchbrechen. Jedoch lässt sich auch durch eine richtlinienkonforme Auslegung keine dauerhafte Verdrängung des § 35 BGB begründen6. Denn die Durchbrechung sowohl nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 als auch nach Art. 11 Abs. 4 der Übernahmerichtlinie bezieht sich eben nur auf die dort genannte Hauptversammlung und die darin getroffenen Beschlüsse. Sonst würde aus der vorübergehenden Suspendierung von Sonderrechten faktisch eine endgültige7. 37
Stimmbindungsverträge, die vor dem 22.4.2004 abgeschlossen wurden, bleiben jedoch auch hier von der Durchbrechung ausgenommen und genießen Bestandsschutz. Gesetzliche Entsendungsrechte, wie das frühere Recht des Bundes und des Landes Niedersachsen nach § 4 Abs. 1 VW-Gesetz, je zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Volkswagen AG zu entsenden, sind von der Durchbrechung nicht betroffen8. Durch die Aufhebung des § 4 Abs. 1 VW-Gesetz Ende 2008 hat diese Frage ohnehin an praktischer Bedeutung verloren.
III. Ausnahmen von der Durchbrechung 38
Wie bereits im Zusammenhang mit den einzelnen Durchbrechungstatbeständen des § 33b Abs. 2 Satz 1 ausgeführt, sind Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen, die in vor dem 22.4.2004 geschlossenen „Altverträgen“ zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder unter Aktionären vereinbart worden sind, gemäß § 33b Abs. 2 Satz 2 von der Europäischen Durchbrechungsregel ausgenommen. Dage1 So aber Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 87; Noack/Zetzsche in Schwark/ Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 13. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 54. 3 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 21, 86. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 51; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 85. 5 Harbarth, ZGR 2007, 37, 58; dies offenbar unterstellend Krause, BB 2004, 113, 115; Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 26 f. 6 Dazu Maul, NZG 2005, 151, 154: „Der Richtlinientext enthält insoweit aber keine ausdrückliche Regelung“. 7 Ebenso Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 14 Fn. 22. 8 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20; Krause, BB 2004, 113, 115.
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gen sind Vinkulierungen von Namensaktien aufgrund entsprechender Satzungsbestimmungen nicht von der Durchbrechung ausgenommen, da diese nicht auf zwischen der Zielgesellschaft und Altaktionären oder unter Altaktionären abgeschlossenen Verträgen beruhen1. Dies ergibt sich auch daraus, dass Art. 11 Abs. 2 und Abs. 3 der Übernahmerichtlinie deutlich zwischen satzungsmäßigen Beschränkungen einerseits und solchen aufgrund vertraglicher Regelungen andererseits unterscheiden. Nur für die zweite Fallgruppe ist eine Privilegierung der Altfälle vorgesehen. Ferner entfaltet die Europäische Durchbrechungsregel keine Wirkung für Vorzugs- 39 aktien ohne Stimmrecht. Der Regierungsentwurf begründet dies formal mit der Definition des Begriffs der „Wertpapiere“ in Art. 2 Abs. 1 lit. e) der Übernahmerichtlinie, der sich auf übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen, beschränkt2. Die Ausnahme für stimmrechtslose Vorzugsaktien folgt jedoch nicht nur aus dem Prinzip der strikten „Eins-zu-eins-Umsetzung“ der Übernahmerichtlinie3. Sie ist auch Konsequenz der Überlegung, dass bei Vorzugsaktien ohne Stimmrecht das Fehlen des Stimmrechts durch den Dividendenvorzug gemäß § 139 Abs. 1 AktG ausgeglichen wird4. Darauf stellt auch Art. 11 Abs. 6 der Übernahmerichtlinie ab, wonach die Durchbrechung von Stimmrechtsbeschränkungen nicht für solche Wertpapiere gilt, bei denen die Stimmrechtsbeschränkungen durch besondere finanzielle Vorteile ausgeglichen werden (wiewohl dieser Hinweis angesichts des spezifischen Wertpapierbegriffs des Art. 2 Abs. 1 lit. e) Übernahmerichtlinie deklaratorisch sein dürfte)5. Vorzugsaktien mit Stimmrecht sind dagegen vom Anwendungsbereich der Europäi- 40 schen Durchbrechungsregel ebenso wenig ausgenommen wie eigentlich stimmrechtslose Vorzugsaktien, bei denen das Stimmrecht wegen Ausbleibens des Dividendenvorzugs nach § 140 Abs. 2 AktG vorübergehend wieder aufgelebt ist6.
D. Unterrichtung der Aufsichtsstellen (§ 33b Abs. 3) Hat eine Zielgesellschaft beschlossen, in ihre Satzung eine Regelung aufzunehmen, 41 wonach die Europäische Durchbrechungsregelung nach Maßgabe von § 33b Abs. 2 anzuwenden ist, ist der Vorstand nach § 33b Abs. 3 verpflichtet, die BaFin unverzüglich davon zu unterrichten. Sind Wertpapiere der Zielgesellschaft, also Aktien, aktienvertretende Zertifikate oder andere Wertpapiere, die den Anspruch auf Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft verbriefen (vgl. § 2 Rz. 46 ff.), in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen, so muss der Vorstand der Zielgesellschaft auch die Aufsichtsstellen dieses Staates informieren. Mit „zuständiger Aufsichtsstelle“ dürfte dabei im Wege richtlinienkonformer Auslegung die in dem betreffenden Staat nach Art. 4 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie als für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständige Stelle gemeint sein. Soweit verlangt wird, entgegen dem Wortlaut im Wege richtlinienkonformer Auslegung nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 der Übernah1 A.A. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33b Rz. 39; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 29. 2 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20. 3 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 13. 4 Begr. RegE KonTraG BT-Drucks. 13/9712, S. 12. 5 Zur Entstehungsgeschichte und Interessenlage siehe auch Meyer, WM 2006, 1135, 1141. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 28; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 33; a.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 20; ebenso wohl Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 17.
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merichtlinie die Unterrichtungspflicht bereits anzunehmen, sobald die Börsenzulassung beantragt wurde, erscheint dies in Anbetracht der Bußgeldbewehrung der Unterrichtungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 9 mit dem sanktionsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar1. 42
Für den zur Unterrichtung der o.g. Aufsichtsstellen maßgeblichen Zeitpunkt scheint es nach dem Wortlaut auf den satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung anzukommen2. Dagegen sah der Regierungsentwurf noch die Übersendung eines Belegs über die Handelsregistereintragung vor3. Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestags wurde jedoch die Regelung dahingehend geändert, dass die Unterrichtung über den Beschluss einer Satzungsbestimmung nach § 33b Abs. 1 Satz 1 genügt. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass ein Beleg über die Eintragung der Satzungsbestimmung nicht übersandt werden könne, weil es sich dabei um Satzungsbestimmungen handele, die selbst nicht in das Handelsregister eingetragen werden4. Freilich werden Satzungsänderungen ausnahmslos nach § 181 Abs. 3 AktG erst mit Eintragung im Handelsregister wirksam5. Der Hinweis des Finanzausschusses bezog sich lediglich darauf, dass nach § 181 Abs. 2 AktG für die Eintragung von Beschlüssen, die – wie bei einem Beschluss nach § 33b Abs. 1 – keine Satzungsbestimmungen nach § 39 AktG6 betreffen, nach § 181 Abs. 2 AktG die Bezugnahme auf die bei Gericht eingereichten Urkunden genügt. Der Zweck der Unterrichtung nach § 33b Abs. 3 dürfte freilich in der Herstellung von Transparenz über die Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel bestehen. Die Unterrichtung über eine (noch) nicht wirksam gewordene Satzungsänderung erscheint daher weder sinnvoll noch erforderlich. Daher wird man davon ausgehen können, dass die Unterrichtungspflicht des Vorstands erst mit Wirksamwerden der Satzungsänderung durch Eintragung in das Handelsregister entsteht7.
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Die Form der Unterrichtung richtet sich nach § 45 und hat damit grds. schriftlich zu erfolgen. Eine elektronische Übermittlung ist nur zulässig, sofern der Absender zweifelsfrei erkennbar ist, § 45 Satz 2. Zu den Einzelheiten siehe die Kommentierung zu § 45.
E. Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung (§ 33b Abs. 4) 44
Die erste auf Verlangen des Bieters einberufene Hauptversammlung der Zielgesellschaft nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 (zur Abgrenzung von der ordentlichen Haupt1 Hirte/Heinrich in KölnKomm. WpHG, 2007, Einl. Rz. 107 ff. 2 Dem folgen Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 57; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 3. 3 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 7. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT- Drucks. 16/1541, S. 19. 5 Vgl. nur Hüffer, § 181 AktG Rz. 24. 6 Nach § 39 AktG sind bei Eintragung einer Aktiengesellschaft deren Firma, Sitz, Geschäftsanschrift, Unternehmensgegenstand, Höhe des Grundkapitals, Tag der Feststellung der Satzung und die Vorstandsmitglieder samt Vertretungsbefugnis anzugeben; ferner ggf. für den Empfang von Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigte Personen mit einer inländischen Anschrift sowie etwaige Regelungen über die Dauer der Gesellschaft und ein genehmigtes Kapital. 7 Ebenso Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33b Rz. 22; a.A. Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 57.
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versammlung der Zielgesellschaft siehe oben Rz. 33) kann – sofern die Einberufung zur Änderung der Satzung oder zur (Neu-)Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft erfolgt – unter Anwendung der erleichterten Anforderungen des § 16 Abs. 4 für eine sog. „Abwehrhauptversammlung“ einberufen und durchgeführt werden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 16 verwiesen. Verlangt der Bieter vom Vorstand der Zielgesellschaft die Anwendung dieser Erleichterungen der Formalien der Hauptversammlung, so ist der Vorstand verpflichtet, diesem Verlangen nachzukommen1; sonst bestünde die Gefahr, dass diese gesetzlichen Erleichterungen zugunsten des Bieters leerlaufen. Hinsichtlich der Formalien des Einberufungsverlangens gelten die allgemeinen Vorschriften des AktG, insbesondere § 122 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 und 4 AktG2. Dagegen findet die im Fall des Einberufungsverlangens einer Minderheit nach § 122 AktG geltende Mindesthaltefrist von drei Monaten nach § 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG keine Anwendung; dies widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Regelung, alsbald nach erfolgtem Übernahmeangebot eine Bereinigung der Übernahmehindernisse zu ermöglichen3. Dementsprechend erstreckt die Regierungsbegründung den Verweis auf die allgemeinen Regelungen gerade nicht auf Satz 3 des § 122 Abs. 1 AktG4.
F. Entschädigung (§ 33b Abs. 5) Die Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregelung hat für diejenigen Aktio- 45 näre, die durch die „durchbrochenen“ Regelungen begünstigt werden, zur Folge, dass ihnen die aus diesen Sonderregelungen resultierenden Rechte entzogen werden. Art. 11 Abs. 5 der Übernahmerichtlinie sieht daher vor, dass die Inhaber so entzogener Rechte für ihren daraus entstehenden Verlust angemessen in Geld zu entschädigen sind. Hinsichtlich der Einzelheiten verweist die Übernahmerichtlinie indes auf die Umsetzung im nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Dies betrifft insbesondere die Kriterien zur Bestimmung der Entschädigung und die Form, in der diese zu zahlen ist. § 33b Abs. 5, der Art. 11 Abs. 5 umsetzt, verpflichtet den Bieter eines Übernahmeangebots, bei dem die Europäische Durchbrechungsregel zur Anwendung kommt, zur Zahlung der Entschädigung. Dies ist konsequent, da die durchbrochenen Regelungen als Übernahmehindernisse angesehen werden, so dass der Bieter zulasten der Inhaber der entzogenen Rechte von der Durchbrechung profitiert. Findet nach der Satzung der Zielgesellschaft die Europäische Durchbrechungsregel 46 Anwendung, muss die Höhe der Entschädigung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a in der Angebotsunterlage angegeben werden (dazu § 11 Rz. 80). Zudem sind nach § 2 Nr. 3a WpÜG-AngVO Ausführungen über die Methoden erforderlich, die zur Berechnung der Entschädigung angewandt wurden. Auch ist zu begründen, weshalb diese Methoden angemessen sind (zur Angemessenheit siehe unten Rz. 50 ff.).
I. Anwendungsbereich Die Pflicht zur Entschädigung besteht nach § 33b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 nur, so- 47 weit die entzogenen Rechte vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots nach § 10 Abs. 1 Satz 1 begründet wurden und der Zielgesellschaft be1 2 3 4
Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 60; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 27. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20. Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 16; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 27. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20.
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kannt sind. Für die Kenntnis der Zielgesellschaft wird man mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auf denselben Zeitpunkt abzustellen haben, also jenen der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 11. Dabei kommt es nach § 166 Abs. 1 BGB i.V.m. § 78 Abs. 2 AktG auf die Kenntnis mindestens eines Vorstandsmitglieds an2. 48
Die Entschädigung ist nur zu leisten, wenn tatsächlich Rechte aufgrund einer Satzungsregelung nach § 33b Abs. 1 entzogen werden. Allein die Einführung einer Satzungsregelung nach § 33b Abs. 1, die die Europäische Durchbrechungsregel für anwendbar erklärt, genügt also noch nicht3. Die Entschädigungspflicht betrifft zunächst die Durchbrechung von Sonderrechten während der Annahmefrist (§ 33b Abs. 2 Nr. 1) und in den Hauptversammlungen nach § 33b Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3. Dagegen wird der Entzug eines Entsendungsrechts aufgrund einer in einer dieser Hauptversammlungen beschlossenen Satzungsänderung nicht erfasst. Da der Berechtigte einem solchen, über die Hauptversammlungen nach § 33b Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 hinaus reichenden Entzug eines Entsendungsrechts zustimmen muss (siehe oben Rz. 36), gibt es keinen Grund, die für den zwangsweisen Entzug gedachte Entschädigungspflicht auf diesen Fall zu erstrecken. Vielmehr ist es Sache des Inhabers des Entsendungsrechts, seine Zustimmung von einer im Einzelnen auszuhandelnden Entschädigung abhängig zu machen. Einer gesetzlichen Entschädigungsregelung bedarf es insoweit nicht4.
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Im Schrifttum werden darüber hinaus weitere Einschränkungen diskutiert. So ist umstritten, inwieweit eine Entschädigung für die Durchbrechung von Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen in Betracht kommt, die erst nach dem 21.4.2004, dem Tag der Veröffentlichung der Übernahmerichtlinie, vereinbart wurden. Denn für sich daraus ergebende Rechte könne kein Vertrauensschutz bestehen, da diese in Ansehung der Möglichkeit der Durchbrechung begründet wurden und diese Möglichkeit ein wertbestimmendes Wesensmerkmal dieser Rechte darstelle5. Ebenso wird teilweise eine Entschädigungspflicht für den Entzug von Entsendungsrechten6 oder die Durchbrechung der Vinkulierung abgelehnt7. Freilich finden sich für solche Einschränkungen der Entschädigungspflicht keine Anhaltspunkte im Wortlaut des Gesetzes – anders als etwa bei der Ausnahme für Altverträge in § 33b Abs. 2 Satz 2, für die die Europäische Durchbrechungsregelung ohnehin nicht gilt (siehe oben Rz. 23)8. Zudem muss der Inhaber dieser Rechte nicht allein aufgrund der bloßen Möglichkeit der Einführung der Europäischen Durchbrechungsregel
1 Harbarth, ZGR 2007, 37, 60; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 98; dagegen stellt Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 66 ohne nähere Begründung auf den Beginn der Annahmefrist ab. 2 Allgemein Hüffer, § 78 AktG Rz. 12; im Hinblick auf § 33b Abs. 5: Harbarth, ZGR 2007, 37, 59 (Fn. 88); so offenbar auch Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 18. 3 Mit Verweis darauf, dass der Bieter und mithin der Schuldner des Entschädigungsanspruchs bei der Einführung der Europäischen Durchbrechungsregel durch Satzungsänderung noch nicht feststeht, Schüppen, BB 2006, 165, 167. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 72. 5 Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 228; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 314; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme zum DiskE eines Gesetzes zur Umsetzung der Übernahmerichtlinie, NZG 2006, 177, 178; Maul, NZG 2005, 151, 154; Mülbert, NZG 2004, 633, 640. 6 Mülbert, NZG 2004, 633, 640. 7 Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 228 f. 8 So schon Meyer, WM 2006, 1135, 1141; ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 95.
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durch Satzungsänderung der Zielgesellschaft damit rechnen, dass eine solche Regelung tatsächlich in die Satzung aufgenommen wird.
II. Entschädigung und Angemessenheit Wie der Wortlaut bereits impliziert, stellt die durch den Bieter zu leistende Entschä- 50 digung die Kompensation des bei dem Inhaber des „durchbrochenen“ Rechts infolge der Durchbrechung eingetretenen Schadens dar1. Nachdem eine Wiederherstellung des ohne die Durchbrechung vorherrschenden Zustands schon aufgrund der Systematik der Regelung nicht in Betracht kommt, ist nach allgemeinen Regeln der zu ersetzende Schaden die Differenz zwischen dem Wert des Vermögens des Geschädigten ohne Durchbrechung und dem durch die Durchbrechung verminderten Wert2. Die Entschädigung ist in Geld zu leisten, so ausdrücklich der Wortlaut. Bei der konkreten Bemessung der angemessenen Entschädigung ist vieles unklar. 51 Entgegen dem Regelungsauftrag des Art. 11 Abs. 5 Satz 2 der Übernahmerichtlinie verzichtet § 33b Abs. 5 auf die Angabe von Kriterien. Eine Anwendung der bei Strukturentscheidungen im Aktienrecht sonst zur Anwendung kommenden Bewertungsmethoden dürfte nicht in Betracht kommen3. Denn diese gehen von der Ermittlung des Wertes des betreffenden Unternehmens aus und leiten daraus den auf die Beteiligung einzelner Aktionäre entfallenden Teilwert ab4. Dagegen ist bei der Entschädigung nach Abs. 5 lediglich der Wert der entzogenen Sonderrechte zu ermitteln. Denn die Beteiligung als solche bleibt dem betreffenden Aktionär – anders als etwa im Fall des Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG, §§ 39a ff. WpÜG oder § 62 Abs. 5 UmwG – erhalten. Mithin muss der Wert des einzelnen durchbrochenen Sonderrechts in einer Einzelfallbetrachtung ermittelt werden, für die nachfolgend allenfalls Hinweise gegeben werden können5. Soweit im Falle der Durchbrechung von Mehrstimmrechten ein Börsenkurs von 52 Mehrstimmrechtsaktien existiert, so soll die Differenz zum Kurs der Aktien mit einfachem Stimmrecht herangezogen werden können6. Angesichts der geringen praktischen Bedeutung von Mehrstimmrechtsaktien bei deutschen Aktiengesellschaften (siehe oben Rz. 31) dürfte dieser Ansatz jedoch nur selten verwendbar sein. Vielmehr dürfte es wohl zumeist um den Wert der Kontrollwahrung des betroffenen Rechteinhabers gehen7. Dabei kann die – spärliche – Rechtsprechung zum Entzug von Mehrstimmrechten nach § 5 Abs. 3 EGAktG angewendet werden; danach hat die Festsetzung der Entschädigung nach § 287 ZPO nach richterlichem Ermessen zu erfolgen8. 1 2 3 4 5
Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 16. Vgl. Heinrichs in Palandt, 71. Aufl. 2012, § 251 BGB Rz. 10. Ebenso Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 100. Hüffer, § 327b AktG Rz. 4 ff.; Singhof in Spindler/Stilz, § 327b AktG Rz. 4 ff. Diekmann, NJW 2007, 17, 18 bezweifelt, ob es faktisch gelingen kann, einen Schaden nachzuweisen. 6 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 17. 7 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 69; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 17; ähnlich in Bezug auf Entsendungsrechte Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 230; ob man mit Mülbert, NZG 2004, 633, 640, auf jegliche Entschädigung für die Durchbrechung von Entsendungsrechten verzichten kann, erscheint angesichts der Wortlauts des (nach dem Beitrag von Mülbert veröffentlichten) Regierungsentwurfs fraglich. 8 Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 69; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33b Rz. 14; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 20; a.A. Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 38; zum Ausgleichsanspruch nach § 5 Abs. 3 EGAktG Hüffer, § 12 AktG Rz. 14; LG München I v. 14.9.2001 – 5 HK 016396/99 – Siemens, ZIP 2001, 1959, 1961 =
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Für die Durchbrechung von Entsendungsrechten im Rahmen der Beschlussfassung über die Besetzung des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ist ebenfalls auf den Wert des verlorenen Einflusses abzustellen. Dieser wird im Einzelfall zu bestimmen sein, wobei auch hier klassische Methoden der (Unternehmens-)Bewertung ungeeignet erscheinen1.
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Die Entschädigungspflicht besteht unabhängig davon, ob entzogene Rechte vor oder nach dem 22.4.2004, dem Stichtag für von der Durchbrechung ausgenommene Altverträge, begründet wurden. Zwar mag man argumentieren, dass für danach begründete Rechte kein Vertrauensschutz besteht, da der Inhaber mit dem möglichen eingreifen der Europäischen Durchbrechungsregel rechnen musste2. Jedoch lässt sich eine solche Differenzierung mit dem Wortlaut des § 33b nicht vereinbaren, zumal bei Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen die Europäische Durchbrechungsregelung nach § 33b Abs. 2 Satz 2 gerade nur für diejenigen Sonderrechte gilt, die nach dem Stichtag begründet wurden3.
III. Entschädigungsberechtigte 55
Wem die Entschädigung für die Durchbrechung von Übernahmehindernissen zusteht, wird in § 33b Abs. 5 nicht ausdrücklich geregelt. Art. 11 Abs. 5 der Übernahmerichtlinie benennt insoweit die Inhaber der entzogenen Rechte. Bei Rechten, die konkret einem bestimmten Aktionär zugeordnet werden können, wie etwa bei Mehrstimmrechten und Entsendungsrechten, mag sich dieser noch klar ermitteln lassen. Bei Stimmbindungsverträgen oder gegenseitigen Übertragungsbeschränkungen unter Aktionären sind bei wechselseitiger Stimmbindung an die vorherige Willensbildung im Stimmrechtspool im Zweifel alle Parteien der Vereinbarung betroffen.
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Bei der Aufhebung einer (zugunsten der Zielgesellschaft bestehenden) Vinkulierung wird dagegen den betroffenen Aktionären kein Recht entzogen; vielmehr erlangen sie durch die freie Übertragbarkeit der Aktien sogar einen Vorteil4. Entzogen wird hier ein Recht der Zielgesellschaft, mittels ihrer Zustimmung zur Übertragung ihren Aktionärskreis beeinflussen zu können. Der Zielgesellschaft kann jedoch nach Sinn und Zweck der Regelung kein Anspruch auf Entschädigung erwachsen, zumal die Durchbrechung ausschließlich aufgrund Satzungsregelung i.S.v. § 33b Abs. 1 erfolgt. Diese setzt jedoch gerade einen entsprechenden Beschluss der Hauptversammlung als einem Organ der Gesellschaft selbst voraus5. Inwieweit sich dagegen der erleichterte Kontrollwechsel für die anderen Aktionäre als nachteilig und damit entschädigungspflichtig erweisen kann6, erscheint fraglich. Denn diese erhalten mit der Durchbrechung die Chance, an einer mit einem Übernahmeangebot typischerweise
1 2 3 4 5 6
AG 2002, 105, 107; in demselben Fall jedoch einen Ausgleich im Ergebnis ablehnend BayObLG v. 31.7.2002 – 3 Z BR 362/01, AG 2003, 97. Meyer, WM 2006, 1135, 1141; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 106. Maul, NZG 2005, 151, 154; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 228; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 314. Harbarth, ZGR 2007, 37, 61; Knott, NZG 2006, 849, 852; Meyer, WM 2006, 1135, 1141; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 60. Vgl. LG München I v. 14.9.2001 – 5 HK O 16369/99 – Siemens, ZIP 2001, 1959, 1961 = AG 2002, 105, 107; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 228 f.; Meister in GS Bosch, 2005, S. 115, 127. Ebenso im Ergebnis Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 75. So Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 16.
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Europäische Durchbrechungsregel
verbundenen Wertsteigerung zu partizipieren, insbesondere an der Bereitschaft eines Bieters, bei der Bemessung der Gegenleistung eine Kontrollprämie vorzusehen, auch um die Erfolgsaussichten des Angebots zu erhöhen. Daher ist im Fall der Durchbrechung der Vinkulierung eine Entschädigung abzulehnen1.
IV. Durchsetzung der Entschädigung Nach § 33b Abs. 5 Satz 2 kann der Anspruch auf Entschädigung nur bis zum Ablauf 57 von zwei Monaten seit dem Entzug der Rechte gerichtlich geltend gemacht werden. Die Regelung orientiert sich an § 5 Abs. 2 Satz 3 EGAktG2. Für den Fristbeginn kann hierfür aber nicht der Tag des Wirksamwerdens der Satzungsänderung maßgeblich sein, denn zu diesem Zeitpunkt ist in aller Regel der Bieter als Schuldner des Anspruchs nicht bekannt. Auch ist allein durch die Satzungsänderung noch kein konkreter Entzug der Sonderrechte erfolgt3. Vielmehr wird man differenzieren müssen. Für den Entzug von Rechten nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 wirkt der Entzug der Rechte mit Beginn der Annahmefrist, in den Fällen von § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 frühestens ab Einberufung der betreffenden Hauptversammlung4. Der Anspruch ist vor dem nach § 66 zuständigen Gericht gegen den Bieter geltend zu machen. Vereinzelt wird vertreten, auf die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs die 58 Regelungen über das Spruchverfahren nach dem SpruchG anzuwenden5. Freilich ist weder nach § 1 SpruchG noch nach dem WpÜG ein Spruchverfahren für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 33b Abs. 5 vorgesehen. Für eine Analogie dürfte es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen, denn in der Regierungsbegründung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz wird an anderer Stelle auf das Spruchverfahrensgesetz ausdrücklich Bezug genommen6, seine Anwendbarkeit für die Durchsetzung von Ansprüchen nach § 33b Abs. 5 aber gerade nicht angeordnet. Ein Bedürfnis dürfte für die dem Spruchverfahren wesensimmanente Bündelung einer Vielzahl von Verfahren7 auch nicht bestehen, da die „durchbrochenen“ Sonderrechte, für die eine Entschädigung zu zahlen ist, typischerweise nur einem oder zumindest wenigen Aktionären zustehen. Auch besteht bei § 33b kein Bedürfnis, wegen einer anderenfalls eintretenden Sperrwirkung allgemeiner Rechtsbehelfe (wie etwa der Anfechtungsklage bei Strukturmaßnahmen nach dem AktG oder UmwG) den Entschädigungsrechtsstreit auf ein Spruchverfahren zu verlagern8. Der Entschädigungs-
1 Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 228 f.; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 314; Meyer, WM 2006, 1135, 1141; Harbarth, ZGR 2007, 37, 61; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 70. 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT- Drucks. 16/1541, S. 20. 3 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 17; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 96. 4 Dagegen für ein Anknüpfen an den Eintritt der mit der Durchbrechung ermöglichten Rechtsfolge (z.B. ohne Übertragung von vinkulierten Namensaktien ohne die sonst erforderliche Zustimmung) Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 20; ähnlich wohl Noack/ Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 33 (Lauf der Zweimonatsfrist bei der Durchbrechung von Übertragungsbeschränkungen ab Ende der Angebotsfrist). 5 Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 21; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33b WpÜG Rz. 39. 6 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 23. 7 Vgl. etwa Drescher in Spindler/Stilz, AktG, § 1 SpruchG Rz. 2. 8 Dazu Simon in Simon, 2007, § 1 SpruchG Rz. 37.
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anspruch ist also im Wege der Leistungsklage vor dem nach § 66 zuständigen Gericht geltend zu machen1.
G. Ausblick: Reform der Übernahmerichtlinie 59
Nach Art. 20 der Übernahmerichtlinie ist die Kommission dazu aufgerufen, bis zum 20.5.2011 die Richtlinie zu überprüfen und ggf. Änderungen vorzuschlagen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Untersuchung der Kontrollstrukturen und Übernahmehindernisse zu richten. Am 28.6.2012 hat die Kommission ihren Bericht und eine zu dessen Vorbereitung erstellte externe Studie der französischen Anwaltskanzlei Marccus Partners vorgelegt2.
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Danach haben nach Auffassung der befragten Marktteilnehmer die freiwilligen Regelungen der Übernahmerichtlinie (wie etwa die in § 33b umgesetzte Durchgriffsregel) nur wenig Wirkung gezeigt3. Mit Ausnahme der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben die Mitgliedstaaten die Durchgriffsregel nicht in zwingendes Recht umgesetzt und deren Annahme den Zielgesellschaften überlassen (siehe oben Rz. 4). Die Annahme, dass in Mitgliedstaaten, die die freiwilligen Regelungen der Richtlinie nicht umgesetzt haben, Aktionäre auf deren freiwillige Anwendung durch die Zielgesellschaften dringen würden, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr hat sich offenbar die Auffassung durchgesetzt, dass auch ohne Anwendung der Durchgriffsvorschrift ausreichende Möglichkeiten bestehen, um etwaige Übernahmehindernisse zu durchbrechen4. Ein Vergleich mit einer Reihe von Drittstaaten hat zudem ergeben, dass dort keine mit der Durchgriffsregel vergleichbaren Bestimmungen existieren5.
61
Angesichts dieses Befundes und in Anbetracht des Fehlens wirtschaftlicher Fakten, die eine Veränderung der geltenden Rechtslage angezeigt erscheinen lassen, hält es die Kommission daher nicht für gerechtfertigt, eine Umwandlung der bislang freiwilligen Regelungen der Übernahmerichtlinie in zwingend anzuwendende Vorschriften vorzuschlagen6. Änderungen sind daher in Bezug auf die Durchgriffsregel und die sich aus der Opt out-Regelung des Art. 12 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie ergebenden Freiwilligkeit von deren Umsetzung in nationales Recht nicht zu erwarten.
1 Meyer, WM 2006, 1135, 1141; Harbarth, ZGR 2007, 37, 62; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33b Rz. 19; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33b Rz. 107; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33b Rz. 55; Kiem in Baums/Thoma, § 33b Rz. 76; Glade in Heidel, § 33b WpÜG Rz. 18. 2 Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, COM(2012) 347, vom 28.6.2012, im Internet abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/take overbids/index_de.htm. 3 Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote (vorherige Fn.), Tz. 11. 4 Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, Tz. 19. 5 Untersucht wurden die übernahmerechtlichen Regelungen in Australien, Kanada, China, Hongkong, Indien, Japan, Russland, Schweiz und den USA, vgl. Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, Tz. 15. 6 Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, Tz. 26.
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Anhang zu § 33b
Lagebericht, Konzernlagebericht
Anhang zu § 33b Lagebericht, Konzernlagebericht § 289 HGB (4) Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 7 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes durch von ihnen ausgegebene stimmberechtigte Aktien in Anspruch nehmen, haben im Lagebericht anzugeben: 1. die Zusammensetzung des gezeichneten Kapitals; bei verschiedenen Aktiengattungen sind für jede Gattung die damit verbundenen Rechte und Pflichten und der Anteil am Gesellschaftskapital anzugeben, soweit die Angaben nicht im Anhang zu machen sind; 2. Beschränkungen, die Stimmrechte oder die Übertragung von Aktien betreffen, auch wenn sie sich aus Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern ergeben können, soweit sie dem Vorstand der Gesellschaft bekannt sind; 3. direkte oder indirekte Beteiligungen am Kapital, die 10 vom Hundert der Stimmrechte überschreiten, soweit die Angaben nicht im Anhang zu machen sind; 4. die Inhaber von Aktien mit Sonderrechten, die Kontrollbefugnisse verleihen; die Sonderrechte sind zu beschreiben; 5. die Art der Stimmrechtskontrolle, wenn Arbeitnehmer am Kapital beteiligt sind und ihre Kontrollrechte nicht unmittelbar ausüben; 6. die gesetzlichen Vorschriften und Bestimmungen der Satzung über die Ernennung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands und über die Änderung der Satzung; 7. die Befugnisse des Vorstands insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, Aktien auszugeben oder zurückzukaufen; 8. wesentliche Vereinbarungen der Gesellschaft, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebots stehen, und die hieraus folgenden Wirkungen; die Angabe kann unterbleiben, soweit sie geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zuzufügen; die Angabepflicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleibt unberührt; 9. Entschädigungsvereinbarungen der Gesellschaft, die für den Fall eines Übernahmeangebots mit den Mitgliedern des Vorstands oder Arbeitnehmern getroffen sind. soweit die Angaben nicht im Anhang zu machen sind. Sind Angaben nach Satz 1 im Anhang zu machen, ist im Lagebericht darauf zu verweisen. § 315 HGB (4) Mutterunternehmen, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 7 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes durch von ihnen ausgegebene stimmberechtigte Aktien in Anspruch nehmen, haben im Konzernlagebericht anzugeben: 1. die Zusammensetzung des gezeichneten Kapitals; bei verschiedenen Aktiengattungen sind für jede Gattung die damit verbundenen Rechte und Pflichten und der Anteil am Gesellschaftskapital anzugeben, soweit die Angaben nicht im Konzernanhang zu machen sind;
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Anhang zu § 33b
Lagebericht, Konzernlagebericht
2. Beschränkungen, die Stimmrechte oder die Übertragung von Aktien betreffen, auch wenn sie sich aus Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern ergeben können, soweit sie dem Vorstand des Mutterunternehmens bekannt sind; 3. direkte oder indirekte Beteiligungen am Kapital, die 10 vom Hundert der Stimmrechte überschreiten, soweit die Angaben nicht im Konzernanhang zu machen sind; 4. die Inhaber von Aktien mit Sonderrechten, die Kontrollbefugnisse verleihen; die Sonderrechte sind zu beschreiben; 5. die Art der Stimmrechtskontrolle, wenn Arbeitnehmer am Kapital beteiligt sind und ihre Kontrollrechte nicht unmittelbar ausüben; 6. die gesetzlichen Vorschriften und Bestimmungen der Satzung über die Ernennung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands und über die Änderung der Satzung; 7. die Befugnisse des Vorstands insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, Aktien auszugeben oder zurückzukaufen; 8. wesentliche Vereinbarungen des Mutterunternehmens, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebots stehen und die hieraus folgenden Wirkungen; die Angabe kann unterbleiben, soweit sie geeignet ist, dem Mutterunternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen; die Angabepflicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleibt unberührt; 9. Entschädigungsvereinbarungen des Mutterunternehmens, die für den Fall eines Übernahmeangebots mit den Mitgliedern des Vorstands oder Arbeitnehmern getroffen sind, soweit die Angaben nicht im Konzernanhang zu machen sind. Sind Angaben nach Satz 1 im Konzernanhang zu machen, ist im Konzernlagebericht darauf zu verweisen.
Inhaltsübersicht A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
2
II. Gegenstand und Zweck der Norm .
3
B. Angaben im Lagebericht . . . . . . . . . .
4
I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . .
4
1. AG und KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inanspruchnahme eines organisierten Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stimmberechtigte Aktien . . . . . . . . .
4 5 6
II. Art der Darstellung . . . . . . . . . . . . . .
7
III. Die Angaben im Einzelnen . . . . . . .
9
1. Zusammensetzung des gezeichneten Kapitals (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungen der Stimmrechte oder der Übertragung (Nr. 2). . . . . . .
9
3. Wesentliche Beteiligungen an der Gesellschaft (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontrollbefugnis verleihende Sonderrechte (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . 5. Stimmrechtskontrolle bei Arbeitnehmerbeteiligungen (Nr. 5) . . . . . . 6. Regelungen zur Ernennung und Abberufung von Organen und zur Satzungsänderung (Nr. 6) . . . . . . . . . 7. Befugnisse des Vorstands zur Ausgabe und zum Rückkauf von Aktien (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vereinbarungen unter der Bedingung des Kontrollwechsels (Nr. 8). . 9. Entschädigungsvereinbarungen für den Fall eines Übernahmeangebots (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Baetge/Brüggemann/Haenelt, Erweiterte Offenlegungspflichten in der Handelsrechtlichen Lageberichterstattung – Übernahmerechtliche Angaben und Erläuterungen nach
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Lagebericht, Konzernlagebericht
Anhang zu § 33b
§ 315 Abs. 4 HGB und E-DRS 23, BB 2007, 1887; Böcking/Stein, Der Konzernlagebericht als ein Instrument einer wertorientierten Unternehmensberichterstattung – Neue Anforderungsprofile für Vorstände, Aufsichtsräte und Abschlussprüfer im Sinne einer gesetzlichen Konkretisierung der Corporate Governance, Der Konzern 2006, 753; Büchel/Semjonow, DRS 17 – Berichterstattung über die Vergütung der Organmitglieder und DRS 15a – Übernahmerechtliche Angaben und Erläuterungen im Konzernlagebericht, WPg 2008, 1143; Glade/Haak/Hellich, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht (Teil I), Der Konzern 2004, 455; Lanfermann/Maul, EU-Übernahmerichtlinie: Aufstellung und Prüfung des Lageberichts, BB 2004, 1517; Maul/Muffat-Jeandet, Die EU-Übernahmerichtlinie – Inhalt und Umsetzung in nationales Recht (Teil II), AG 2004, 306; Rabenhorst, Zusätzliche Angabepflichten im Lagebericht durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, WPg 2008, 139; Sailer, Offenlegung von „Change of Control-Klauseln“ im Jahresabschluss, AG 2006, 913; Withus, Standardisierungsrat überarbeitet Rechnungslegungsstandards zum Konzernlagebericht, DB 2010, 68.
A. Grundlagen Nach § 289 Abs. 4 HGB müssen Zielgesellschaften in ihren Lagebericht bestimmte Angaben zu ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur und zu sich etwa daraus ergebenden Übernahmehindernissen aufnehmen. § 315 Abs. 4 HGB trifft eine entsprechende Regelung für den Konzernlagebericht einer Zielgesellschaft, die ein Mutterunternehmen i.S.v. § 290 HGB ist und daher zur Aufstellung eines Konzernlageberichts verpflichtet ist. Da die genannten Bestimmungen wortgleich sind, ist hier auf beide zusammengefasst einzugehen, zumal § 315 Abs. 4 HGB auf das Mutterunternehmen und nicht etwa auf den Konzern abstellt1.
1
I. Entstehung der Norm Durch §§ 289 Abs. 4 und 315 Abs. 4 HGB wird Art. 10 der Übernahmerichtlinie in 2 nationales Recht umgesetzt. Danach haben Gesellschaften i.S.v. Art. 1 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie, deren stimmberechtigte Aktien (Wertpapiere i.S.v. Art. 2 lit e) der Übernahmerichtlinie) zumindest teilweise zum Handel auf einem geregelten Markt (i.S. der früheren Wertpapierdienstleistungsrichtlinie)2 in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen sind, die in Art. 10 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie im Einzelnen aufgeführten Angaben offenzulegen. Dies hat nach Art. 10 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie im Lagebericht sowie im Konzernlagebericht zu erfolgen. Nach Art. 10 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie muss das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Gesellschaft der Hauptversammlung zu den in Art. 10 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie genannten Angaben einen erläuternden Bericht vorlegen. Letzteres Erfordernis wurde in § 176 Abs. 1 Satz 1 AktG in deutsches Recht umgesetzt3. Der vom Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) eingerichtete Deutsche Standardisierungsrat hat im Deutschen Rechnungslegungs Standard Nr. 15 1 Fülbier/Pellens in MünchKomm. HGB, § 315 Rz. 61; Rabenhorst, WPg 2008, 139, 144; die – offenbar ungewollte – Inkonsistenz in Nr. 8, auf die Rabenhorst a.a.O. hinweist, wurde vom Gesetzgeber zwischenzeitlich beseitigt. 2 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27; zwischenzeitlich ersetzt durch die sog. MiFID (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1), die den geregelten Markt in ihrem Art. 4 Abs. 1 Ziff. 14 definiert. 3 Vgl. dazu nur Hüffer, § 176 AktG Rz. 2.
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(DRS 15) – Lageberichterstattung auch Empfehlungen zur Abfassung der übernahmerechtlichen Angaben im Konzernlagebericht nach § 315 Abs. 4 HGB entwickelt1. Diese wurden durch das Bundesministerium der Justiz gemäß § 342 Abs. 2 HGB bekanntgemacht, so dass bei ihrer Beachtung die Einhaltung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) vermutet wird2. Auch wenn die übernahmerechtlichen Angaben strenggenommen nicht Gegenstand der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sind3, wird man bei deren Auslegung die Empfehlungen des Deutschen Standardisierungsrats zumindest zu berücksichtigen haben. Am 14.9.2012 hat das DRSC einen neuen Deutschen Rechnungslegungs Standard Nr. 20 (DRS 20) – Konzernlagebericht verabschiedet und zwecks Bekanntmachung gemäß § 342 Abs. 2 HGB an das Bundesministerium der Justiz weitergeleitet (sog. DRS 20 nfd)4. Er soll den DRS 15 ersetzen. Es ist vorgesehen, dass der DRS 15 noch für (Konzern-)Lageberichte gelten soll, die sich auf das Geschäftsjahr beziehen, das vor dem oder am 31.12.2012 beginnt5. Auf (Konzern-)Lageberichte für danach beginnende Geschäftsjahre soll dagegen der neue DRS 20 angewendet werden, dessen frühere Anwendung nach dem verabschiedeten Entwurf jedoch empfohlen wird6. Für die übernahmebezogenen Angaben im Lagebericht ergeben sich durch den neuen Standard aber – wie auszuführen sein wird – keine wesentlichen Änderungen.
II. Gegenstand und Zweck der Norm 3
Mit der Offenlegungspflicht nach §§ 289 Abs. 4 und 315 Abs. 4 HGB sollen – nachdem eine Abschaffung von (noch bestehenden) Übernahmehindernissen im Rahmen der Beratungen der Übernahmerichtlinie politisch nicht durchsetzbar war (dazu Einl. Rz. 87 ff.) – Anleger und potentielle Bieter in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über die wesentlichen, für die Durchführung eines Übernahmeangebots relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen sowie über die Struktur der Zielgesellschaft verschaffen zu können. Der Bieter soll dabei insbesondere über die bei der konkreten Zielgesellschaft geltenden strukturellen Übernahmehindernisse informiert werden7. Der Bieter wird so in die Lage versetzt, seine Investitionsentscheidung auf informierter Grundlage zu treffen8. Diese Informationspflicht besteht unabhängig davon, ob ein konkretes Übernahmeangebot zu erwarten ist oder gar schon nach § 10 angekün-
1 Deutscher Rechnungslegungs Standard Nr. 15 (DRS 15) – Lageberichterstattung, verabschiedet vom Deutschen Standardisierungsrat am 5.1.2010, bekanntgemacht durch das Bundesministerium der Justiz in BAnz Nr. 27 v. 18.2.2010, S. 667. 2 Zur Rechtsnatur der Empfehlungen des Deutschen Standardisierungsrats kritisch Ebke/ Paal in MünchKomm. HGB, § 342 Rz. 21 ff. 3 Unter den GoB wird gemeinhin ein System von Regeln und Konventionen verstanden, das die gesamte Rechnungslegung umfasst, vgl. Förschle/Usinger in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 243 HGB Rz. 1; ähnlich Merkt in Baumbach/Hopt, § 243 HGB Rz. 1. 4 Deutscher Rechnungslegungs Standard Nr. 20 (DRS 20) – Konzernlagebericht, verabschiedet vom DRSC am 14.9.2012 und als sog. DRS 20 near final draft („DRS 20 nfd“) auf der Internetseite des DRSC abrufbar unter http://www.drsc.de/service/docs/index.php?ixdox_ do=show_doc_infos&doc_type_id=1&doc_id=1549. 5 DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. 241. 6 DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. 236. 7 In diesem Sinne: DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Zusammenfassung, S. 6. 8 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 15, 24; zu den diesbezüglichen Vorgaben nach Art. 10 Übernahmerichtlinie Lanfermann/Maul, BB 2004, 1517.
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digt wurde1. Denn ein potentieller Bieter soll bereits bei der Suche nach einem geeigneten Übernahmeobjekt etwaige Übernahmehindernisse bei der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Übernahmeangebotes berücksichtigen können. Auch nicht am Kontrollerwerb interessierte Anleger können so besser beurteilen, ob ein Kontrollwechsel bei der betreffenden Zielgesellschaft im Hinblick auf deren strukturelle Gegebenheiten mehr oder weniger wahrscheinlich ist und ob die realistische Aussicht auf das Entstehen von „Übernahmephantasien“ besteht, die sich möglicherweise kurssteigernd auswirken können.
B. Angaben im Lagebericht I. Anwendungsbereich 1. AG und KGaA Nach dem Wortlaut des § 289 Abs. 4 HGB gilt die Pflicht zur Offenlegung von struk- 4 turellen Übernahmehindernissen nur für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Die Europäische Gesellschaft (SE) wird nicht ausdrücklich erwähnt. Nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) und Art. 10 der SE-Verordnung2 wird eine SE jedoch wie eine Aktiengesellschaft behandelt, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Daher gelten die Offenlegungsanforderungen des § 289 Abs. 4 HGB für eine SE mit Sitz in Deutschland entsprechend. 2. Inanspruchnahme eines organisierten Marktes Eine weitere Voraussetzung für die Pflicht zur Aufnahme der zusätzlichen Angaben 5 in den Lagebericht ist, dass die Gesellschaft einen organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 7 für ihre stimmberechtigten Aktien in Anspruch nimmt. Danach gelten als organisierter Markt der regulierte Markt einer inländischen Börse sowie jeder geregelte Markt i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der MiFID3 in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums. Unklar ist jedoch, was konkret unter „Inanspruchnahme“ zu verstehen ist. Nach § 32 Abs. 1 BörsG bedürfen Wertpapiere, die im regulierten Markt einer inländischen Börse gehandelt werden sollen, (grds.) der Zulassung oder der Einbeziehung durch die Geschäftsführung. Die Einbeziehung in den regulierten Markt setzt gemäß § 33 Abs. 1 BörsG jedoch voraus, dass die Wertpapiere bereits an einer anderen inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt, in einem anderen EWR-Staat an einem organisierten Markt oder an einem Markt in einem Drittstaat zugelassen sind. In letzterem Fall kommt die Einbeziehung aber nur in Betracht, wenn an dem betreffenden Markt Zulassungsvoraussetzungen sowie Melde- und Transparenzpflichten bestehen, die mit denen für zugelassene Wertpapiere im regulierten Markt vergleichbar sind. Die durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz eingeführte Offenlegungspflicht nach § 289 Abs. 4 HGB steht jedoch in engem Zusammenhang mit dem WpÜG und dient der Umsetzung der Übernahmerichtlinie. Daher dürfte ihre Anwendbarkeit auf diejenigen Gesellschaften beschränkt sein, für 1 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24. 2 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 3 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1.
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die das WpÜG gilt, also solche, deren stimmberechtigte Aktien zum Handel an einem organisierten Markt in einem EWR-Staat zugelassen sind. Denn weder das WpÜG (vgl. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3) noch Art. 10 der Übernahmerichtlinie finden auf Gesellschaften Anwendung, deren Aktien nur in einem Drittstaat börsenzugelassen sind. Folglich ist der Begriff „Inanspruchnahme“ mit „Zulassung“ gleichzusetzen. 3. Stimmberechtigte Aktien 6
Weiterhin ist der Anwendungsbereich insoweit eingeschränkt, als die Offenlegungspflicht nur gilt, sofern die betreffende Gesellschaft einen organisierten Markt für solche Aktien in Anspruch nimmt, die Stimmrechte verleihen, also Stammaktien. Nach der Regierungsbegründung scheiden damit Unternehmen aus, die einen organisierten Markt lediglich mit Schuldverschreibungen oder Genussscheinen, Derivaten, Pfandbriefen oder Anleihen in Anspruch nehmen1. Dagegen schweigt die Regierungsbegründung in Bezug auf stimmrechtslose Vorzugsaktien. Diese vermitteln im Regelfall kein Stimmrecht, es sei denn das Stimmrecht lebt mangels Zahlung der Vorzugsdividende nach § 140 Abs. 2 AktG wieder auf. Dies macht stimmrechtslose Vorzugaktien aber nicht generell zu stimmberechtigten Aktien. Die Anwendung der Offenlegungspflicht nach § 289 Abs. 4 HGB ist daher nicht anwendbar, wenn nur stimmrechtslose Vorzugsaktien der Gesellschaft zum Börsenhandel in einem organisierten Markt zugelassen sind2.
II. Art der Darstellung 7
Hinsichtlich der Art der Darstellung macht das Gesetz keine Vorgaben. Nach Sinn und Zweck der Regelung (siehe oben Rz. 3) dürfte es aber geboten sein, die nach § 289 Abs. 4 HGB erforderlichen Angaben in einem Abschnitt unter einer gesonderten Überschrift aufzuführen, um Investoren und potentiellen Bietern das Auffinden zu erleichtern3. Bei einigen Angaben bestehen freilich Überschneidungen mit dem Anhang. Nach dem DRS 15 ist für die übernahmerechtlichen Angaben nach § 289 Abs. 4 HGB bzw. § 315 Abs. 4 HGB ein Verweis auf Darstellungen im Anhang grds. nicht ausreichend4. Auch die Regierungsbegründung des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes deutete dies jedenfalls hinsichtlich der Angaben zur Vorstandsvergütung in Anhang und Lagebericht an5. Allerdings hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG)6 für die Angaben nach Nr. 1, 3 und 9 in § 289 Abs. 4 und § 315 Abs. 4 HGB einen Vorbehalt hinsichtlich diesbezüglicher Angaben im Anhang bzw. Konzernanhang eingefügt. So können im Hinblick auf die Anhangangaben zu Beteiligungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 7 und 8 AktG), den Aktiengattungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG) und zu etwaigen Entschädigungsvereinbarungen mit Vorstandsmitgliedern für den Fall eines Übernahmeangebots (§ 285 Nr. 9 Satz 6 HGB) Doppelangaben vermieden werden. Dabei wird 1 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24. 2 Rabenhorst, WPg 2008, 139, 140; Wiedmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 289 HGB Rz. 43. 3 Der DRS 15 empfiehlt eine zusammenhängende Darstellung unter einem separaten Gliederungspunkt im Lagebericht, vgl. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2) Tz. 107. 4 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 109; insoweit kritisch zu den europarechtlichen Vorgaben Baetge/Brüggemann/Haenelt, BB 2007, 1887, 1889. 5 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 6 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102.
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den Angaben im Anhang Vorrang eingeräumt. Soweit diese Angaben im Anhang erfolgen, kann also von derselben Angabe im Lagebericht abgesehen werden1. In diesem Fall muss aber der Lagebericht nach § 289 Abs. 4 Satz 2 HGB im Abschnitt zu den übernahmerechtlichen Angaben einen Verweis auf die betreffenden von einer Darstellung im Lagebericht „befreienden“ Anhangangaben enthalten. Aus der gesetzgeberischen Klarstellung ergibt sich ferner, dass die Möglichkeit des bloßen Verweises auf entsprechende Ausführungen im Anhang nur für die Angaben nach Nr. 1, 3 und 9 besteht2. Es steht der Gesellschaft daneben selbstverständlich frei, die entsprechenden Angaben auch im Lagebericht zu wiederholen, um so eine zusammenhängende Darstellung im Lagebericht zu erreichen3. Dafür spricht jedenfalls die bessere Lesbarkeit im Interesse der Transparenz gegenüber Investoren und potentiellen Bietern4. Für die übernahmerelevanten Lageberichtsangaben sind die Verhältnisse am jeweili- 8 gen Bilanzstichtag maßgeblich, wie der künftige DRS 20 ausdrücklich klarstellt5. Sofern sich jedoch angabepflichtige Umstände zwischenzeitlich geändert haben und diese von „besonderer Bedeutung“ i.S.v. § 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB sind, ist auf diese Veränderungen hinzuweisen6.
III. Die Angaben im Einzelnen 1. Zusammensetzung des gezeichneten Kapitals (Nr. 1) Nach Nr. 1 sind die Zusammensetzung des gezeichneten Kapitals sowie etwaige ver- 9 schiedene Aktiengattungen, die mit diesen verbundenen Rechte und deren Anteil am Gesellschaftskapital anzugeben. Die Bestimmung setzt Art. 10 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie um. Hinsichtlich des in der Richtlinie nicht definierten Begriffs des „Kapitals“ wird in der Umsetzung in das deutsche Recht auf den im Bereich der Rechnungslegung verwendeten Terminus gezeichnetes Kapital i.S.v. § 272 Abs. 1 Satz 1 HGB abgestellt7. Dieser entspricht bei Zielgesellschaften in der Rechtsform der AG, KGaA oder SE dem Grundkapital der Gesellschaft i.S.v. § 1 Abs. 2. Insbesondere ist die Absetzung des auf von der Gesellschaft gehaltene eigene Aktien entfallenden gezeichneten Kapitals nach § 272 Abs. 1a HGB unerheblich. Denn diese können von der Gesellschaft jederzeit wieder veräußert werden und gehören damit zu der für ein Übernahmeangebot relevanten Gesamtzahl ausgegebener Aktien8. Bei der gesonderten Darstellung etwa bestehender verschiedener Aktiengattungen sowie deren Anteil am Gesellschaftskapital und der durch sie vermittelten Rechte und Pflichten ist auf den Begriff der Aktiengattung nach § 11 AktG abzustellen. Da-
1 RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 77. 2 Ebenso Withus, DB 2010, 68, 72. 3 So auch Withus, DB 2010, 68, 72, der die Verweismöglichkeit als „Kann“-Bestimmung ansieht; ebenso etwa DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 110, DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K192 („Angaben können entfallen“). 4 Auf das bestehende Interesse an einer geschlossenen Darstellung weist auch Rabenhorst, WPg 2008, 139, 141, hin. 5 DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K189. 6 Weitergehend Rabenhorst, WPg 2008, 139, 140, der hier offenbar entgegen dem Gesetzeswortlaut auf das Tatbestandsmerkmal der „besonderen Bedeutung“ verzichten will. 7 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24. 8 Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 115.
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nach bilden Aktien mit gleichen Rechten eine Gattung, § 11 Satz 2 AktG1. Die Regierungsbegründung nennt dabei als typische Fälle (stimmberechtigte) Stammaktien, stimmrechtslose Vorzugsaktien und stimmberechtigte Vorzugsaktien sowie Aktien mit der Verpflichtung zur Erbringung wiederkehrender, nicht in Geld bestehender Leistungen (sog. Nebenleistungsaktien, § 55 Abs. 1 AktG)2. Ein weiterer Fall der besonderen Aktiengattung sind die sog. Tracking Stocks, deren Gewinnanteilsberechtigung sich auf einen Unternehmensteil oder eine Tochtergesellschaft der Emittentin bezieht3. Für Stammaktien soll dabei der Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen ausreichen4, wenngleich eine kurze zusammenhängende Darstellung empfehlenswert erscheint, insbesondere wenn es mehrere Aktiengattungen gibt5. Bei anderen Gattungen als Stammaktien sind die mit diesen verbundenen Rechte und Pflichten in jedem Fall zu beschreiben, insbesondere insoweit als sie vom Regelfall der Stammaktie abweichen (so etwa der gattungsspezifische Vorzug bei Vorzugsaktien)6. 11
Anzugeben sind auch Aktien, die nicht zum Handel an einem geregelten (bzw. organisierten) Markt eines EWR-Staats zugelassen sind. Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Nr. 1. Im Hinblick auf die ausdrückliche Erwähnung solcher Wertpapiere in Art. 10 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie ist die Bestimmung jedoch – auch nach dem Willen des Gesetzgebers7 – richtlinienkonform in diesem Sinne auszulegen8. Dabei ist die Gesamtzahl der Aktien in börsennotierte und nicht börsennotierte aufzugliedern9. Bei mehreren Gattungen ist auch nach Gattungen zu differenzieren.
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Noch nicht ausgegebene Aktien aus genehmigtem oder bedingtem Kapital sind nach Nr. 1 nicht anzugeben10, da das zum Bilanzstichtag bestehende gezeichnete Kapital sich gerade nicht aus diesen Aktien zusammensetzt. Ihre zukünftige Ausgabe ist ungewiss; erst wenn sie erfolgt ist, geht damit eine Veränderung (sprich Erhöhung) des gezeichneten Kapitals einher. Das gilt auch für das bedingte Kapital. Dieses ist zwar 1 Dazu Butzke in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 6; Wiesner in MünchHdb. AG, § 7 Rz. 7. 2 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24; zu Nebenleistungsaktien vgl. etwa Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, § 55 AktG Rz. 2 ff.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 55 AktG Rz. 11. 3 Butzke in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 6 Rz. 43 ff.; ein Beispiel für die – bislang selten vorkommenden – Tracking Stocks sind die Aktien der Hamburger Hafen und Logistik AG, deren Kapital aufgeteilt ist in S-Aktien, die ökonomisch eine Beteiligung am Teilkonzern (nicht hafenumschlagspezifische) Immobilien vermitteln, und (börsennotierte) A-Aktien, die allein eine Beteiligung am Ergebnis und Vermögen der übrigen Teile des Unternehmens, dem Teilkonzern Hafenlogistik, repräsentieren, vgl. Konzernlagebericht 2011 der Hamburger Hafen und Logistik AG, abgedruckt im Geschäftsbericht der Gesellschaft S. 93, im Internet abrufbar unter http://hhla.de/fileadmin/download/in vestor_relations/HHLA_GB_2011_D.pdf. 4 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 112; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K193. 5 So etwa im Konzernlagebericht 2011 der Volkswagen AG S. 144 f., im Internet abrufbar unter: http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/info_center/de/publications/2012/ 03/Volkswagen_AG_Annual_Report_2011.bin.html/binarystorageitem/file/Y_2011_d.pdf. 6 Schüppen in WP-Handbuch, 13. Aufl. 2007, Band II, Abschnitt R, Rz. 265. 7 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24. 8 In diesem Sinne zu den Vorgaben der Richtlinie Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 308. 9 Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 116. 10 Wie hier Rabenhorst, WPg 2008, 139, 140; a.A. Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 308; Seibt/Heiser, AG 2006, 302, 315; Baetge/Brüggemann/Haenelt, BB 2007, 1887, 1889 im Hinblick auf Aktienoptionen und Wandelschuldverschreibungen.
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nach § 152 Abs. 1 Satz 3 AktG „beim“ gezeichneten Kapital zu vermerken1. Das gezeichnete Kapital erhöht sich aber erst dann um den jeweiligen Nennbetrag bzw. anteiligen Betrag der neuen Aktien aus bedingtem Kapital, wenn diese tatsächlich ausgegeben wurden2. Sie sind aber gesondert in der Angabe nach Nr. 7 zu berücksichtigen (siehe dazu Rz. 29). Im Einzelnen sind nach DRS 15 folgende Informationen zu nennen3:
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– Anzahl der ausgegebenen Aktien; bei mehreren Aktiengattungen Zahl der pro Gattung ausgegebenen Aktien, – Nennbetrag der Aktien (sofern vorhanden) sowie Anzahl der Aktien jeden Nennbetrags, – Art der ausgegebenen Aktien (Nennbetrags- oder Stückaktie sowie Inhaber-, Namens- oder vinkulierte Namensaktie). DRS 20 nfd verzichtet auf diese Vorgaben. Von dem ursprünglichen Postulat des Regierungsentwurfs4, die Zusammensetzung des Kapitals im Lagebericht zusätzlich zu den nach § 160 AktG im Anhang vorzunehmenden Angaben darzustellen, ist der Gesetzgeber durch den im Rahmen des BilMoG eingefügten ausdrücklichen Vorbehalt hinsichtlich entsprechender Anhangangaben abgerückt (siehe oben Rz. 7). 2. Beschränkungen der Stimmrechte oder der Übertragung (Nr. 2) Beschränkungen der (Ausübung von) Stimmrechten oder der Übertragung von Ak- 14 tien sind nach Nr. 2 anzugeben, und zwar unabhängig davon, ob sie sich aus Gesetz, Satzung oder Vereinbarungen unter Gesellschaftern ergeben5. Bei gesetzlichen Beschränkungen ist dabei ein Verweis auf die betreffenden Gesetzesbestimmungen ausreichend6. Beschränkungen, die sich aus Vereinbarungen unter Gesellschaftern ergeben, sind jedoch nur insoweit offenzulegen, als sie dem Vorstand bekannt sind. Damit werden gleich mehrere Bestimmungen des Art. 10 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie umgesetzt, nämlich die Buchstaben b), f) und g). Die Regelung steht in engem inhaltlichem Zusammenhang mit der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b. Denn sie betrifft – vorbehaltlich der Einschränkungen des Anwendungsbereichs der Europäischen Durchbrechungsregel bei sog. Altfällen, dazu § 33b Rz. 23) – eine Reihe derjenigen strukturellen Übernahmehindernisse, deren übernahmefeindliche Wirkung bei Anwendung der fakultativen Regelung des § 33b Abs. 2 „durchbrochen“ werden kann. Der Begriff der Stimmrechtsbeschränkung lässt sich anhand von Art. 10 Abs. 1 lit. f) der Übernahmerichtlinie konkretisieren. Darunter sind zunächst Beschränkungen der Stimmrechte auf einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtzahl der Stimmrech1 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1997, § 272 HGB Rz. 23; Förschle/Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 272 HGB Rz. 66. 2 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1997, § 272 HGB Rz. 24; Förschle/Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 272 HGB Rz. 66; Kessler/Suchan in MünchKomm. AktG, § 152 AktG/§ 266 HGB Rz. 145. 3 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 111. 4 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 24. 5 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 114; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K195. 6 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 114; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K195, vgl. dazu die Aufzählung bei Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 119.
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te oder eine bestimmte Stimmenzahl zu verstehen. Die Regierungsbegründung weist indes darauf hin, dass Höchststimmrechte nach deutschem Aktienrecht bei börsennotierten Gesellschaften nach § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht zulässig sind1. Mögliche Anwendungsfälle sind zeitliche Beschränkungen der Ausübung der Stimmrechte, die Begrenzung der Stimmrechte auf einen bestimmten Prozentsatz (etwa die Stimmrechtsbeschränkung auf 25 % der Anteile des anderen Unternehmens für nach § 328 Abs. 1 Satz 1 AktG für wechselseitig beteiligte Gesellschaften i.S.v. § 19 AktG) oder eine bestimmte Stimmenzahl oder Stimmbindungsverträge unter Gesellschaftern2. Die in der Übernahmerichtlinie angesprochenen Systeme, bei denen in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft die mit den Wertpapieren verbundenen finanziellen Rechte von der Wertpapierinhaberschaft getrennt sind, spielen zudem in Deutschland wegen des aktienrechtlichen Abspaltungsverbots keine Rolle3. Sie haben daher im Wortlaut des § 289 HGB keinen Niederschlag gefunden. Größere Bedeutung erlangen daher Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern, die die Ausübung von Stimmrechten einschränken können (insbesondere sog. Stimmbindungsverträge)4. Diese sind freilich nur anzugeben, soweit sie dem Vorstand bekannt sind. Handelt es sich bei der Gesellschaft um eine monistische SE, gilt Entsprechendes für den bei dieser Gesellschaftsform gemäß § 22 Abs. 1 SEAG i.V.m. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SEVerordnung5 als Geschäftsführungsorgan anstelle des Vorstandes agierenden Verwaltungsrat6. Ein Auskunftsrecht des Vorstands oder eine Anzeigepflicht der Aktionäre wird durch Nr. 2, so ausdrücklich die Regierungsbegründung7, nicht begründet. Letztere mag sich jedoch aus der Zurechnung von Stimmrechten nach § 22 Abs. 2 WpHG wegen der Abstimmung des Stimmverhaltens (sog. acting in concert) ergeben8, sofern infolgedessen eine der Meldeschwellen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG erreicht oder überschritten wird, so dass eine Pflicht zur Mitteilung dieses Umstandes gegenüber dem Emittenten ausgelöst wird. 16
Die zweite Fallgruppe der Nr. 2 betrifft Übertragungsbeschränkungen. Hierbei ist zum einen das Erfordernis der Zustimmung der Gesellschaft zur Übertragung vinkulierter Namensaktien gemäß § 68 Abs. 2 AktG zu nennen. Zum anderen gilt die Pflicht zur Offenlegung für – dem Vorstand (bzw. bei der monistischen SE dem Verwaltungsrat) bekannte – vertragliche Beschränkungen, soweit sie sich aus Vereinbarungen unter Aktionären ergeben. Aufgrund des Regelungszusammenhangs dürfte es sich um die gleichen Abreden handeln, die als „zwischen Aktionären vereinbarte Übertragungsbeschränkungen“ von der Europäischen Durchbrechungsregelung nach § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erfasst sind (dazu § 33b Rz. 22). Allerdings sieht § 289 Abs. 4 HGB die dort in § 33b Abs. 2 Satz 2 geregelte Ausnahme für vor dem 22.4.2004 getroffene Vereinbarungen („Altfälle“) nicht vor. Daher sind auch diese nicht von der Europäischen Durchbrechungsregel potentiell betroffenen Vereinbarungen offenzule1 2 3 4 5 6 7 8
RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 114; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K195. Dazu etwa Hüffer, § 8 AktG Rz. 29; Wiesner in MünchHdb. AG, § 17 Rz. 9. Stimmbindungsverträge mit Nichtgesellschaftern sind dagegen nicht erfasst, vgl. etwa Lanfermann/Maul, BB 2004, 1517, 1519. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. Darauf weist der RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25 ausdrücklich hin; für eine diesbezügliche Klarstellung Baetge/Brüggemann/Haenelt, BB 2007, 1887, 1890. Begr. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25, ebenso DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 115; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K196. Zur Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des acting in concert siehe etwa Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 22 WpHG Rz. 176 ff.
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gen. Dies ist durchaus sinnvoll, denn die Offenlegung im Lagebericht soll potentielle Bieter und auch andere Investoren unabhängig von einer etwaigen Durchbrechung nach § 33b über das Vorhandensein struktureller Übernahmehindernisse unterrichten, um ihnen eine bessere Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Übernahmeangebots zu ermöglichen. 3. Wesentliche Beteiligungen an der Gesellschaft (Nr. 3) Nach Nr. 3 müssen wesentliche direkte oder indirekte Beteiligungen am Kapital (der 17 Gesellschaft), und zwar wenn sie 10 % der Stimmrechte überschreiten, im Lagebericht angegeben werden. Diese Angabe beruht auf Art. 10 Abs. 1 lit. c) der Übernahmerichtlinie. Dieser verweist hinsichtlich der Konkretisierung der „Wesentlichkeit“ der Beteiligung (ohne einen Schwellenwert zu erwähnen) auf Art. 85 der früheren sog. Koordinierungsrichtlinie1. Dort ist die Offenlegung von Beteiligungsveränderungen an börsennotierten Gesellschaften geregelt, die zum Erreichen, Übersteigen oder Unterschreiten der Schwellenwerte des Art. 89 Abs. 1 der Börsenzulassungsrichtlinie führen, wobei auf den Anteil der von dem betreffenden Aktionär gehaltenen (oder ihm zuzurechnenden) Stimmrechte abgestellt wird (10 %, 20 % und 33 1/3 %, wahlweise 25 %, 50 % und 66 2/3 % oder wahlweise 75 %). Diese Bestimmung hatte ihre Entsprechung im deutschen Recht in §§ 21 ff. WpHG gefunden2. Freilich wurde Art. 85 der Börsenzulassungsrichtlinie bereits mit Wirkung zum 20.1.2005 aufgehoben (vgl. Art. 32 Abs. 5, 34 der Transparenzrichtlinie3) und durch die strengere Regelung des Art. 9 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie ersetzt. Dieser unterscheidet sich von der Vorgängerregelung vor allem durch die niedrigere Eingangsmeldeschwelle von 5 % (statt 10 %) und die weiteren zusätzlichen Meldeschwellen von 15 %, 20 %, 25 % und 30 %. Der Umstand, dass die Übernahmerichtlinie auf die bereits aufgehobene Regelung der Börsenzulassungsrichtlinie abstellt, lässt sich dahingehend interpretieren, dass der Richtliniengeber von einer angabepflichtigen „wesentlichen“ Beteiligung erst ab dem früheren Schwellenwert von 10 % der durch die Beteiligung vermittelten Stimmrechte ausging4. Bei der Bestimmung des Begriffs der indirekten Beteiligung sind mit Blick auf die in 18 der Richtlinie und der Regierungsbegründung des Umsetzungsgesetzes angelegte Verknüpfung mit den Stimmrechtsmeldungen nach Art. 85 ff. der Börsenzulassungsrichtlinie die Zurechnungstatbestände des § 22 WpHG heranzuziehen5 – und zwar in deren geltender Fassung. Denn die Meldungen nach §§ 21 ff. WpHG sind für die Gesellschaft die primäre Erkenntnisquelle in Bezug auf wesentliche Stimmrechtsanteile, die von einzelnen Aktionären direkt oder indirekt gehalten werden. Nicht unter die Angabepflicht im Lagebericht fallen dagegen hypothetische Stimmrechtsanteile, 1 Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. EG Nr. L 184 v. 6.7.2001, berichtigte Fassung in ABl. EG Nr. L 217 v. 11.8.2001, S. 18. 2 Dazu und zur Entstehungsgeschichte der Stimmrechtsmeldungen nach §§ 21 ff. WpHG: Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, § 21 WpHG Rz. 1 ff. (zur Koordinierungsrichtlinie insbesondere Rz. 6). 3 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EU Nr. L 390 v. 31.12.2004, S. 38. 4 Vgl. auch RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 5 Ebenso DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 117; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K199.
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die sich aus Finanzinstrumenten nach §§ 25, 25a WpHG ergeben und zu Meldepflichten nach diesen Bestimmungen führen, da diesen (noch) keine Beteiligungen zugrundeliegen. 19
Mit dieser Angabepflicht sollen nach Art. 10 Abs. 1 lit. c) der Übernahmerichtlinie auch sog. Pyramidenstrukturen oder wechselseitige Beteiligungen offengelegt werden. Unter Pyramidenstrukturen sind dabei gestaffelte Beherrschungsstrukturen zu verstehen, also Gebilde, bei denen eine natürliche oder juristische Person einen beherrschenden Anteil an einer Gesellschaft hält, die einen beherrschenden Anteil an einer anderen Gesellschaft hält, die wiederum einen beherrschenden Anteil an einer anderen Gesellschaft hält, usw.1. Diese Strukturen werden über die Zurechnungsbestimmungen des § 22, insbesondere nach dessen Abs. 1 Nr. 1, erfasst2.
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Anzugeben sind nach dem Wortlaut Beteiligungen, die 10 % der Stimmrechte überschreiten. Dabei wird sich die Gesellschaft grds. auf diejenigen Beteiligungen beschränken können, die ihr aufgrund von Stimmrechtsmeldungen nach §§ 21 ff. WpHG bekannt sind. Dabei ist zwischen direkten und indirekten Beteiligungen zu unterscheiden. Dies ist anhand der gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 WpAIV zwischen direkt gehaltenen und zugerechneten Stimmrechtsbeständen sowie den einzelnen Zurechnungstatbeständen unterscheidenden Meldungen nach § 21 WpHG ohne Weiteres möglich3.
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DRS 15 und DRS 20 nfd empfehlen insoweit mindestens Name und Wohnsitzstaat bzw. Firma, Sitz und Sitzstaat des Inhabers der Beteiligung anzugeben4. Diese Informationen lassen sich gemäß § 17 Abs. 1 WpAIV aus den Stimmrechtsmeldungen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1a WpHG entnehmen. Ferner wird empfohlen, auch die Höhe des jeweiligen Stimmrechtsanteils auf der Grundlage der letzten vor Ende des Geschäftsjahres der Gesellschaft erhaltenen Stimmrechtsmeldung anzugeben. Sofern die Gesellschaft nach der betreffenden Meldung, aber vor Ende des Geschäftsjahres nach § 26a WpHG eine Veränderung der Gesamtzahl der Stimmrechte gemeldet hat, soll dies ebenfalls angegeben werden5. Dies sollte auch für eine auf den letzten Monat des Geschäftsjahres bezogene Meldung gelten, selbst wenn sie ggf. erst nach dessen Ende erfolgt. Dagegen wird teilweise ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Aufstellung des Lageberichts gefordert6. Vorzugswürdig erscheint, ohne Aufgabe des Stichtagsprinzips, auf nach §§ 21 ff. WpHG der Gesellschaft nach Ende des Geschäftsjahres mitgeteilte Veränderungen wesentlicher Stimmrechtsanteile als „Vor1 So etwa der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote vom 28.6.2012, COM(2012) 347, dort S. 6 Fn. 16. 2 Beispiel für die Darstellung einer Pyramidenstruktur: Konzernlagebericht 2011 der MAN SE, S. 51: „Nach §§ 289 Abs. 4 Nr. 3, 315 Abs. 4 Nr. 3 HGB sind alle direkten und indirekten Beteiligungen anzugeben, die 10 % der Stimmrechte überschreiten. Die Volkswagen Aktiengesellschaft hat der MAN SE am 11. Mai 2011 nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG mitgeteilt, dass der Stimmrechtsanteil der Volkswagen Aktiengesellschaft am 9. Mai 2011 die Grenze von 30 % überschritten hat und zu diesem Zeitpunkt 30,47 % betrug. Des Weiteren haben uns die Porsche Automobil Holding SE sowie deren kontrollierende Gesellschafter am 11. bzw. 12. Mai 2011 nach § 21 Abs. 1 WpHG mitgeteilt, dass diese Beteiligung der Volkswagen Aktiengesellschaft von 30,47 % auch der Porsche Automobil Holding SE sowie deren kontrollierenden Gesellschaftern zugerechnet wird.“ 3 Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 123. 4 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 118; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K200. 5 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 118; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K201. 6 Rabenhorst, WPg 2008, 139, 142.
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gänge von besonderer Bedeutung“ i.S.v. § 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB gesondert hinzuweisen (siehe Rz. 8)1. Soweit Angaben über nach § 21 WpHG mitgeteilte Beteiligungen (bzw. Stimmrechts- 22 anteile) bereits nach § 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG im Anhang bzw. Konzernanhang gemacht werden, kann die Angabe nach Nr. 3 entfallen. In diesem Fall ist aber auf diese Anhangangaben zu verweisen, sofern man nicht ohnehin einer zusammenhängenden Darstellung den Vorzug gibt und die daraus ergebenden Doppelungen in Kauf nimmt (siehe oben Rz. 7). 4. Kontrollbefugnis verleihende Sonderrechte (Nr. 4) Inhaber von Aktien mit Sonderrechten, die Kontrollbefugnisse verleihen, sind nach Nr. 4, die Art. 10 Abs. 1 lit. d) der Übernahmerichtlinie umsetzt, anzugeben. Die Namen der Inhaber von Sonderrechten sind dabei anzugeben und die Sonderrechte zu beschreiben2. Dies ist nach deutschem Aktienrecht – in Ermangelung von sog. Golden Shares, die aus anderen Mitgliedstaaten bekannt sind3, vor allem bei sog. Entsendungsrechten nach § 101 Abs. 2 AktG relevant4. Diese räumen bestimmten Aktionären bzw. Inhabern bestimmter Aktien das Recht ein, Personen zu bestimmen, die als Mitglieder in den Aufsichtsrat entsandt werden5.
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5. Stimmrechtskontrolle bei Arbeitnehmerbeteiligungen (Nr. 5) Sind Arbeitnehmer am Kapital beteiligt und üben sie ihre Kontrollrechte nicht un- 24 mittelbar aus, so sieht Nr. 5 Angaben zur Art der Stimmrechtskontrolle vor. Eine solche mittelbare Ausübung des Stimmrechts läge etwa vor, wenn die Stimmrechte aus den Aktien der Arbeitnehmer durch einen gemeinsamen Vertreter ausgeübt werden6. Dies ist etwa der Fall, wenn die Aktien den Arbeitnehmern gemeinsam i.S.v. § 69 Abs. 1 AktG zustehen7. Diese Regelung betrifft zunächst den Fall der Bruchteilsgemeinschaft i.S.v. §§ 741 f. BGB (mit Ausnahme der Girosammelverwahrung i.S.v. § 5 DepotG)8. Nicht erfasst sind dagegen juristische Personen oder Personengesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, denen aber Rechtsfähigkeit zugebilligt wird, wie etwa die oHG oder KG9. Streitig ist die Behandlung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts10. Nr. 5 basiert auf Art. 10 Abs. 1 lit. e) der Übernahmerichtlinie und ist ausweislich der Regierungsbegründung in deutschen Unternehmen so regelmäßig nicht anzutreffen11. Daher findet sich in Lageberichten deutscher börsennotierter Unternehmen in1 So für § 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG Euler/Wirth/Sester in Spindler/Stilz, § 160 AktG Rz. 35. 2 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 119; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K202. 3 Lanfermann/Maul, BB 2004, 1517, 1519; zu Golden Shares Krause, NJW 2002, 2747 sowie aus dem jüngeren Schrifttum etwa Oechsler, NZG 2007, 161. 4 Schüppen in WP-Handbuch, 13. Aufl. 2007, Band II, Abschnitt R, Rz. 271. 5 Dazu E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 25 Rz. 27 f. 6 So die Erläuterung in DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 122; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K205. 7 Schüppen in WP-Handbuch, 13. Aufl. 2007, Band II, Abschnitt R, Rz. 273. 8 Hüffer, § 69 AktG Rz. 2 m.w.N. 9 Hüffer, § 69 AktG Rz. 3 m.w.N.; zur Rechtsnatur der oHG vgl. etwa K. Schmidt in MünchKomm. HGB, § 105 Rz. 4 ff., insbesondere Rz. 7. 10 Schüppen in WP-Handbuch, 13. Aufl. 2007, Band II, Abschnitt R, Rz. 273; für eine Behandlung als Mehrheit von Berechtigten i.S.v. § 69 Abs. 1 AktG Hüffer, § 69 AktG Rz. 3 m.w.N. zum Streitstand. 11 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25.
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soweit grds. nur der formelhafte Hinweis, dass eine mittelbare Stimmrechtskontrolle durch Arbeitnehmer, die am Kapital beteiligt sind, nicht vorliege, sondern dass diese vielmehr ihre Rechte unmittelbar und wie andere Aktionäre nach den Vorgaben von Gesetz und Satzung ausüben. 6. Regelungen zur Ernennung und Abberufung von Organen und zur Satzungsänderung (Nr. 6) 26
Nach Nr. 6 sind die Bestimmungen von Gesetz und Satzung über die Ernennung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands und über die Änderung der Satzung anzugeben. Damit wird Art. 10 Abs. 1 lit. h) der Übernahmerichtlinie umgesetzt. Dort ist vom „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan“ die Rede, was sich aus den unterschiedlichen (dualistischen und monistischen) Organstrukturen bei Aktiengesellschaften erklärt, die nach dem Recht der verschiedenen EWR-Staaten errichtet wurden. Dies zeigt auch die entsprechende Terminologie der SE-Verordnung1, die sowohl ein dualistisches (Art. 39, 40 SE-Verordnung) als auch ein monistisches Organisationsmodell (Art. 43 SE-Verordnung) vorsieht.
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Daher betrifft der Begriff „Leitungsorgan“ die dualistische Organstruktur, bei der zwischen Leitungsorgan (bei der AG nach deutschem Recht ist dies nach § 76 Abs. 1 AktG der Vorstand) und Aufsichtsorgan (bei der deutschen AG der Aufsichtsrat, § 111 Abs. 1 AktG) unterschieden wird. Dasselbe gilt für die dualistische SE mit Sitz in Deutschland. Der in der Richtlinie verwandte Begriff des „Verwaltungsorgans“ ist dagegen für monistische Organstrukturen relevant, bei denen nicht zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan unterschieden wird. Bei Gesellschaften nach deutschem Recht betrifft dies die sog. monistische SE i.S.v. §§ 20 ff. SEAG. Deren Verwaltungsorgan ist nach § 22 Abs. 1 SEAG bzw. Art. 43 SE-Verordnung der Verwaltungsrat, der die Gesellschaft leitet, die Grundlinien ihrer Tätigkeit bestimmt und deren Umsetzung überwacht. Folglich sind bei der monistischen SE die Regelungen zur Ernennung und Abberufung der Mitglieder des Verwaltungsrats anzugeben, da dieser bei der monistischen SE (auch) die Leitungsaufgabe übernimmt, mithin funktional dem Leitungsorgan aus der dualistischen Organstruktur entspricht2.
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Als im Lagebericht zu nennende gesetzliche Vorschriften für die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Vorstands erwähnt die Regierungsbegründung ausdrücklich §§ 84 und 85 AktG. Soweit die Satzung abweichende oder ergänzende Regelungen vorsieht, soll darauf nach DRS 15/DRS 20 nfd ebenfalls eingegangen werden3. Angesichts der zwingenden gesetzlichen Kompetenzordnung für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern dürfte dies aber von geringer praktischer Relevanz sein4. In Bezug auf die Änderung der Satzung sind §§ 179, 133 AktG anzusprechen, neben der Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung in § 119 Abs. 1 Nr. 5 1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1. 2 Dazu Teichmann in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Anh. 43 SE-VO (§ 22 SEAG) Rz. 6. 3 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 125; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K209. 4 Nach § 84 Abs. 1, 3 AktG sowie § 31 MitbestG ist ausschließlich der Aufsichtsrat (und zwar als Plenum) für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern und deren Widerruf zuständig, vgl. statt vieler E. Vetter in Marsch-Barner, Hdb. börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 26 Rz. 50. Bei der monistischen SE besteht gewisse Satzungsautonomie hinsichtlich der für die Bestellung und Abberufung der Verwaltungsratsmitglieder erforderlichen Hauptversammlungsmehrheit, vgl. Teichmann in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Art. 43 SE-VO Rz. 43 sowie § 29 Abs. 1 Satz 3 SEAG.
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AktG. Hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen soll nach den Gesetzesmaterialien grds. die Bezugnahme auf die entsprechenden Vorschriften genügen1, wiewohl eine zusammengefasste Darstellung des Inhalts in wenigen Sätzen im Interesse der Verständlichkeit sinnvoll erscheint. Soweit darüber hinaus Satzungsbestimmungen anzugeben sind, die die gesetzliche Regelung ergänzen oder von dispositiven Vorschriften abweichen, ist auch nach der Begründung zum Regierungsentwurf deren wesentlicher Inhalt zusammengefasst darzustellen2. Der Vollständigkeit halber sollte auch die – übliche – dem Aufsichtsrat erteilte Befugnis erwähnt werden, die Satzung im Fall der Durchführung von Kapitalmaßnahmen auf der Grundlage von Ermächtigungen der Hauptversammlung anzupassen3. 7. Befugnisse des Vorstands zur Ausgabe und zum Rückkauf von Aktien (Nr. 7) Die Befugnisse des Vorstands zur Ausgabe neuer Aktien sowie zum Rückkauf bereits 29 ausgegebener Aktien der Gesellschaft sind nach Nr. 7 darzustellen. Die Bestimmung übernimmt nahezu wortgleich den Art. 10 Abs. 1 lit. i) der Übernahmerichtlinie. Dabei sind nicht nur die hierfür geltenden allgemeinen gesetzlichen Regelungen über Aufgaben und Befugnisse des Vorstands abstrakt zu schildern. Vielmehr geht es um eine Darstellung der dem Vorstand von der Hauptversammlung erteilten Ermächtigungen zur Ausgabe neuer Aktien (§§ 202 ff. AktG) und zum Aktienrückkauf (§ 71 Abs. 1 Nr. 6–8 AktG)4. Daneben sind auch Ermächtigungen zur Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen i.S.v. § 221 Abs. 2 AktG anzugeben5. Denn dabei handelt es sich um Instrumente, die bis zum Ende ihrer Laufzeit die Ausgabe neuer Aktien zur Folge haben können. Daher führen sie potentiell ebenso wie die Ermächtigung zur unmittelbaren Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital dazu, dass sich die zum Erreichen der Kontrolle zu erwerbende Zahl von Aktien der Zielgesellschaft erhöht und für einen Bieter entsprechend höherer Finanzierungsbedarf entsteht. Ebenfalls die Ausgabe neuer Aktien ermöglicht ein bedingtes Kapital, das teilweise im Zusammenhang mit den Instrumenten, zu deren Unterlegung es dient (Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen, Aktienoptionen), teils gesondert aufgeführt wird6. Soweit die Ermächtigungen nur die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien zum 30 Gegenstand haben, soll die Angabe entfallen können, da es sich dabei nicht um Wertpapiere i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. e), Art. 10 Abs. 1 lit. i) der Übernahmerichtlinie handele7. Diese Einschränkung lässt sich am Wortlaut des Gesetzes nicht festmachen, aber mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründen. Die Praxis scheint von dieser Differenzierung freilich kaum Gebrauch zu machen8. 1 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25, ebenso DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 125; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K208. 2 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 3 So im Konzernlagebericht 2011 der Deutsche Bank AG, abgedruckt im Finanzbericht 2011, S. 136. 4 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 5 So auch DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 127; dem folgen z.B. Lagebericht 2011 der Daimler AG, abgedruckt im Geschäftsbericht 2011, S. 74; Konzernlagebericht 2011 der Deutsche Bank AG, abgedruckt im Finanzbericht 2011, S. 138; ebenso DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K210. 6 Zusammenfasster Lagebericht 2011 der Deutsche Telekom AG, S. 62 f. im Internet abrufbar unter: http://www.telekom.com/investor_relations/publikationen/zwischen-geschaeftsbe richte/7280. 7 Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 132. 8 Beispiele: Konzernlagebericht 2011 der Volkswagen AG, S. 146., im Internet abrufbar unter: http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/info_center/de/publications/2012/03/Volks
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8. Vereinbarungen unter der Bedingung des Kontrollwechsels (Nr. 8) 31
Im Lagebericht bzw. Konzernlagebericht sind ferner nach Nr. 8 wesentliche Vereinbarungen der Gesellschaft anzugeben, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebots stehen. Dabei ist auch auf die hieraus folgenden Wirkungen einzugehen. Die Bestimmung beruht auf Art. 10 Abs. 1 lit. j) der Übernahmerichtlinie. Aufgrund der weiten Formulierung der Richtlinie, die „alle bedeutenden Vereinbarungen […] die bei einem Kontrollwechsel in der Gesellschaft infolge eines Übernahmeangebots wirksam werden, sich ändern oder enden“ erfasst, beschränkt sich die Offenlegungspflicht nicht auf Verträge, bei denen ein Kontrollwechsel eine Bedingung im Rechtssinne (also i.S.v. § 158 BGB) darstellt. Vielmehr sind alle Regelungen gemeint, die Rechtsfolgen an den Kontrollwechsel knüpfen, sich also aus diesem Grund „ändern“. Erfasst werden sollen damit insbesondere solche Vereinbarungen, die sog. „Change of Control“-Klauseln enthalten. Darunter versteht man Sonderregelungen für den Fall eines Wechsels der Unternehmenskontrolle1.
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Aus einer strengen Wortlautauslegung könnte man schließen, dass nur solche Change-of-Control-Klauseln offenzulegen wären, die an einen Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots anknüpfen. Allerdings knüpfen Change-of-ControlKlauseln häufig nur an den Kontrollwechsel als solchen an, unabhängig von dessen Grund. Dies ist aus vertragstechnischer Sicht auch sachgerecht, da es aus Sicht des betreffenden Geschäftspartners weniger auf den Grund des Kontrollwechsels ankommt als darauf, dass der Kontrollwechsel zu grundlegenden Veränderungen der Unternehmensstrategie und -finanzierung führen kann. Für einen Bieter sind solche weit gefassten Change-of-Control-Klauseln selbstverständlich ebenso bedeutsam wie solche, die an ein Übernahmeangebot anknüpfen, da sie erhebliche Auswirkungen auf die Verhältnisse der Zielgesellschaft nach erfolgtem Übernahmeangebot haben können, insbesondere auf deren Finanzierung. Folglich sind auch solche Vereinbarungen anzugeben, die eine allgemeine Change-of-Control-Klausel enthalten, ohne dass es eines spezifischen Übernahmebezugs bedarf, solange auch ein Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebotes ihre Anwendung auslöst2. Damit sind auch Kontrollwechsel erfasst, die ein Pflichtangebot i.S.v. § 35 zur Folge haben, und daher notwendigerweise gerade nicht durch dieses ausgelöst werden können3.
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Unter Kontrolle ist mit Blick auf § 29 zunächst das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft zu verstehen4. Die Angabepflicht umfasst aber auch solche Vereinbarungen, die den Kontrollbegriff abweichend definieren, etwa an einem niedrigeren oder höheren Schwellenwert für den Stimmrechtsanteil anknüp-
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wagen_AG_Annual_Report_2011.bin.html/binarystorageitem/file/Y_2011_d.pdf; zusammengefasster Lagebericht 2011 der BMW AG, enthalten im Geschäftsbericht 2011, S. 47, im Internet abrufbar unter: http://geschaeftsbericht2011.bmwgroup.com/bmwgroup/annu al/2011/gb/German/pdf/bericht2011.pdf. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25; ausführlich dazu Sailer, AG 2006, 913, 916. Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 462; Sailer, AG 2006, 913, 916; Rabenhorst, WPg 2008, 139, 143; Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 137; dem folgend etwa die Offenlegung im zusammengefassten Lagebericht 2011 der Bayer AG, abgedruckt im Geschäftsbericht 2011, S. 95. Ebenso Sailer, AG 2006, 913, 917. Zu Gestaltungsmöglichkeiten Korts, BB 2009, 1876, 1877 ff.
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fen1. Im Hinblick auf das Informationsinteresse eines potentiellen Bieters kommt es nämlich auf das Risiko des Wegfalls oder der Kündbarkeit wesentlicher Verträge im Nachgang zu einem (erfolgreichen) Übernahmeangebot an, nicht dagegen darauf, wie genau die Kontrollwechselbestimmung in dem einzelnen Vertrag ausgestaltet ist2. Der Begriff der Vereinbarung ist dabei weit auszulegen und erfasst jede Art von vertraglichen Regelungen, so etwa auch Anleihebedingungen, die nicht selten für den Fall des Kontrollwechsels eine vorzeitige Rückzahlbarkeit vorsehen3.
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Anzugeben sind freilich nur wesentliche Vereinbarungen. Als solche sind alle Ver- 35 einbarungen anzusehen, die für die zukünftige Entwicklung der Vermögens-, Finanzund Ertragslage der Gesellschaft bzw. des Konzerns bedeutsam sind4. Das in der Literatur diskutierte Abstellen auf die Perspektive des potentiellen Bieters erscheint dabei wenig zielführend. Dies zeigt auch die daran anknüpfende Diskussion, ob die Wesentlichkeit für eine Art von Bieter (etwa strategische oder Finanzinvestoren) genügt5 oder ob eine Wesentlichkeit für alle Arten von Bietern6 oder gar einen „typischen“ potentiellen Bieter erforderlich ist7. Mit dem DRS 15/DRS 20 nfd sollte daher auf die wirtschaftliche Wesentlichkeit für die Gesellschaft bzw. den Konzern abgestellt werden. Die Wesentlichkeit aus Bieterperspektive folgt als Reflex aus dieser, ohne dass es auf die spezifische Motivation des naturgemäß noch unbekannten Bieters ankommen kann, die ohnehin ex ante nur hypothetisch unterstellt werden könnte. Auch mehrere für sich genommen unwesentliche Vereinbarungen können in ihrer Gesamtheit wesentlich sein8. Diese Überlegung ist nicht auf Umgehungssachverhalte zu beschränken. Die dieser Auffassung zugrundeliegende Überlegung, es bestünde schließlich die Chance, dass nicht alle Vertragspartner ihr Kündigungsrecht ausüben9, erscheint spekulativ. Sie trägt der Gefahr der Kündigung eines zumindest wesentlichen Teils der betroffenen Verträge nicht ausreichend Rechnung. Auf eine Offenlegung von Change-of-Control-Klauseln in einer Vielzahl nicht-wesentlicher Verträge, deren kumulierter Wegfall wesentliche Folgen hätte, zu verzichten, käme allenfalls dann in Betracht, wenn es anhand konkreter Umstände unwahrscheinlich erscheint, dass eine solche „Massenkündigung“ tatsächlich eintritt10. Im Hinblick auf die Interessen des Bieters dürften als wesentlich insbesondere solche Vereinbarungen zu verstehen sein, bei denen die an den Kontrollwechsel anknüpfende Rechtsfolge (insbesondere die vorzeitige Kündbarkeit) wesentliche nachteilige 1 Ebenso offenbar auch Schüppen in WP-Handbuch, 13. Aufl. 2007, Band II, Abschnitt R, Rz. 279 („bereits ab einem Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft“). 2 Sailer, AG 2006, 913, 917. 3 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 15.364; Hutter in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 60; Strauch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2008, Kapitel C Rz. 213 f. 4 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 130; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K213; ebenso Fülbier/Pellens in MünchKomm. HGB, § 315 Rz. 66 mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Wesentlichkeit für den Konzern die Wesentlichkeit für das Mutterunternehmen impliziert. 5 Rabenhorst, WPg 2008, 139, 143; ebenso offenbar Lezius in GK-HGB, 7. Aufl. 2007, § 289 Rz. 56. 6 Sailer, AG 2006, 913, 915. 7 Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 138. 8 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 130; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K213; so schon Seibt/Heiser, ZIP 2002, 2194, 2198. 9 Sailer, AG 2006, 913, 915. 10 Im Ergebnis, wiewohl mit anderer Schwerpunktsetzung, ebenso auf den Einzelfall abstellend Sailer, AG 2006, 913, 915.
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Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann. Als Beispiele für anzugebende Vereinbarungen nennen DRS 15/DRS 20 nfd Finanzierungsverträge, Joint-Venture-Verträge, Lizenzverträge, Einkaufsverträge oder Lieferverträge1. 36
Darzustellen sind nach dem Wortlaut ferner die Folgen, die sich aus dem Kontrollwechsel bzw. aus der Anwendung der an den Kontrollwechsel anknüpfenden Klausel ergeben. Dazu erscheint es notwendig, den zum Verständnis der Change-of-ControlKlausel erforderlichen Inhalt der betreffenden Vereinbarungen und deren Bedeutung für die Gesellschaft zusammenfassend darzustellen2. Eine Quantifizierung der wirtschaftlichen Folgen der Anwendung der Change-of-Control-Klausel soll dabei nur dann vorgenommen werden, wenn dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist3.
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Die Angabe von Vereinbarungen mit Change-of-Control-Klauseln kann freilich unterbleiben, wenn sie geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Dies ist gemäß DRS 15/DRS 20 nfd nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung festzustellen. Hierfür eine große Wahrscheinlichkeit zu fordern, dürfte dabei den Gesetzeswortlaut überspannen4. Unter „erheblichen Nachteilen“ sind dabei sich aus der Angabe möglicherweise ergebende ungünstige Folgen für die Gesellschaft bzw. das Mutterunternehmen, die im Verhältnis zur deren/dessen Größe als nicht geringfügig anzusehen sind, zu verstehen. Eine konkrete Messbarkeit des möglichen Nachteils ist nicht erforderlich; vielmehr genügt eine immaterielle Beeinträchtigung5. Unterbleibt mit Blick auf die Ausnahmeregelung die Angabe unter der Bedingung des Kontrollwechsels stehender Vereinbarungen, soll dies nach DRS 15/DRS 20 nfd im Lagebericht anzugeben sein6. Dieses Erfordernis findet jedoch keine Stütze im Gesetzeswortlaut7. Ferner wird vertreten, dass die Angabe des Namens des Vertragspartners unterbleiben kann8. Dies wird man a maiore ad minus jedenfalls in Fällen zulassen können, in denen dessen Nennung der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zufügen könnte.
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Das Gesetz stellt ferner klar, dass eine Offenlegungspflicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften unberührt bleibt. Mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 lit. j) der Übernahmerichtlinie ist dieser Passus so auszulegen, dass die Ausnahme von der Offenlegung nicht gilt, wenn die Gesellschaft die betreffenden Informationen ohnehin schon aufgrund anderer Rechtsvorschriften offenlegen muss. Denn in diesem Fall ist die Einschränkung der vom Gesetzgeber gewünschten Transparenz nicht mit dem Interesse der Gesellschaft an Geheimhaltung zu begründen. Schließlich erfährt die Öffentlichkeit von den betreffenden Vereinbarungen wegen der Offenlegungspflicht aufgrund anderer Bestimmungen ohnehin. Diese anderen Bestimmungen bleiben also nicht nur unberührt; sie entfalten nach Sinn und Zweck der Regelung auch eine Sperrwirkung auf die an das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft anknüpfende Ausnahme. Denn im Fall der anderweitigen Offenlegung ist dieses Interesse nicht schützenswert. 1 2 3 4 5 6 7 8
DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 131; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K214. Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 461; Sailer, AG 2006, 913, 918. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 132; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K215. So aber Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 140; dagegen wie hier Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455, 461, deren Formulierungsvorschlag der Gesetzgeber bei der Umsetzung übernommen hat. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 134 DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K217. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 134 DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K216. Dafür praeter legem Rabenhorst, WPg 2008, 139, 143. Sailer, AG 2006, 913, 918; Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 138.
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9. Entschädigungsvereinbarungen für den Fall eines Übernahmeangebots (Nr. 9) Schließlich verlangt Nr. 9 die Angabe von Entschädigungsvereinbarungen der Gesell- 39 schaft, die für den Fall eines Übernahmeangebots mit den Mitgliedern des Vorstands oder Arbeitnehmern getroffen wurden. Der Begriff „Übernahmeangebot“ schließt dabei mit Blick auf die Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 1 lit. e) der Übernahmerichtlinie auch ein Pflichtangebot ein (bzw. den dieses auslösenden Erwerb der Kontrolle i.S.v. § 29 Abs. 2)1. Die Bestimmung setzt Art. 10 Abs. 1 lit. k) der Übernahmerichtlinie um, geht aber jedenfalls nach ihrem Wortlaut über diesen hinaus. Nach der genannten Bestimmung der Übernahmerichtlinie sollen nur solche Entschädigungsregelungen angegeben werden, die für den Fall gelten, dass die betreffenden Organmitglieder oder Arbeitnehmer wegen eines Übernahmeangebots kündigen, sie ohne triftigen Grund entlassen werden oder ihr Arbeitsverhältnis endet. Entschädigungen, die unabhängig von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall des Übernahmeangebots zu zahlen wären (etwa sog. Halteprämien), wären zwar vom Wortlaut der Nr. 9 erfasst, sind aber vom Gesetzgeber, der sich ausweislich der Regierungsbegründung offenbar auf die reine Umsetzung der Richtlinie beschränken wollte, nicht beabsichtigt2. Dagegen verlangen DRS 15/DRS 20 nfd auch die Darstellung von Entschädigungsvereinbarungen, „die nicht zur Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses führen“3. Gemeint sind offenbar solche, die nicht an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses anknüpfen. Entschädigungsvereinbarungen, die auf einen Kontrollwechsel abstellen, ohne dass es auf ein Übernahmeangebot ankäme, sind dagegen von Nr. 9 nicht erfasst, es sei denn der in der Vereinbarung definierte Kontrollwechsel würde auch im Fall eines Pflichtangebots i.S.v. § 35 ausgelöst, der tatbestandlich das Erreichen der Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechte nach § 29 Abs. 2 voraussetzt. Dabei sind im Konzernlagebericht nur solche Entschädigungsvereinbarungen anzugeben, die das betreffende Mutterunternehmen selbst getroffen hat, sei es mit eigenen Mitgliedern des Vorstands oder Arbeitnehmern oder solchen eines Tochterunternehmens. Vereinbarungen, die das Tochterunternehmen selbst abgeschlossen hat, sind nicht erfasst4.
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Der Regierungsentwurf weist ausdrücklich darauf hin, dass seit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz5 im Anhang Angaben zu Leistungen vorzunehmen sind, die einem Vorstandsmitglied für die Beendigung seiner Tätigkeit zugesagt wurden (§ 285 Satz 1 Nr. 9 lit. a Satz 6, § 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a Satz 6 HGB). Dies Ausführungen würden „für den Lagebericht ergänzt“6. Dies sprach zunächst dafür, dass der Gesetzgeber eine eigene Offenlegungspflicht für strukturelle Übernahmehindernisse im Lagebericht beabsichtigt hatte, die unabhängig neben etwaigen Anhangangaben stehen sollte7. Davon ist der Gesetzgeber jedoch zwischenzeitlich im Rahmen des Bil-
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1 Ebenso Sailer, AG 2006, 913, 921; Rabenhorst, WPg 2008, 139, 144; Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 144. 2 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 3 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 136; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K220. 4 DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 137; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K221; Sailer, AG 2006, 913, 922. 5 Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz vom 3.8.2005, BGBl. I 2005, 2267. 6 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25. 7 Anders jedoch DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 135 „Die Angaben können entfallen, wenn sie im Anhang zu machen sind. Stattdessen ist auf die entsprechende Anhangangabe zu verweisen“; irrig auch die Ausführungen bei DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 138 und DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K222, die die Angaben gemäß § 314 Abs. 1 Nr. 6a [gemeint wohl: Nr. 6
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Lagebericht, Konzernlagebericht
MoG durch Einfügung eines Vorbehalts hinsichtlich der betreffenden Anhangangaben in die Nr. 9 abgerückt. Sind die betreffenden Ausführungen also schon im Anhang erfolgt, bedarf es derselben Angabe im Lagebericht nicht mehr. Dann ist im Lagebericht jedoch nach § 289 Abs. 4 Satz 2 HGB ein Verweis auf die betreffenden Anhangangaben einzufügen. Hat jedoch die Hauptversammlung nach § 286 Abs. 5 HGB beschlossen, dass die Angaben nach § 285 Nr. 9 lit. a Satz 5–8 HGB im Anhang unterbleiben, so lebt die Angabepflicht nach Nr. 9 wieder auf1. Denn weder §§ 289, 315 HGB noch die Übernahmerichtlinie sehen das Recht der Gesellschaft vor, aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses von den übernahmerechtlichen Offenlegungen abzusehen2. Dies legt auch der Wortlaut der Nr. 9 nahe, der den Vorrang des Anhangs nur vorsieht, wenn die betreffenden Angaben im Anhang zu machen sind3. 42
Anders als bei den Vereinbarungen unter der Bedingung eines Kontrollwechsels nach Nr. 8 sieht Nr. 9 keine Beschränkung der Offenlegung nur auf die „wesentlichen Vereinbarungen vor; es ist also auf alle Entschädigungsvereinbarungen einzugehen, die mit Vorstandsmitgliedern oder Arbeitnehmern für den Fall eines Übernahmeangebots abgeschlossen wurden4. Freilich genügt die Angabe der wesentlichen Inhalte der Vereinbarung in Form einer zusammenfassenden Darstellung5. Der im Lagebericht darzustellende wesentliche Inhalt dürfte sich dabei auf die Entschädigungsregelung für den Fall der Übernahme beschränken; dabei ist aber auch der Name der begünstigten Person zu nennen6, jedenfalls wenn es sich um für das Unternehmen besonderes wichtige Einzelpersonen (sog. key men) handelt. Wenn dagegen mit einer größeren Gruppe von Mitarbeitern Entschädigungsvereinbarungen geschlossen wurden, müssen deren Namen grds. nicht angegeben werden. Dagegen ist eine Offenlegung anderer Bestimmungen, etwa zur sonstigen Vergütung der betreffenden Arbeitnehmer, nicht erforderlich. Ergibt sich die Höhe der Entschädigung unmittelbar aus der Vereinbarung, ist der betreffende Betrag zu nennen; ist nur eine Berechnungsformel vereinbart, dann diese7. Nach DRS 15 empfiehlt sich ferner, die mit Vorstandsmitgliedern einerseits und Arbeitnehmern andererseits getroffenen Vereinbarungen getrennt darzustellen, soweit die darzustellenden Inhalte wesentlich voneinander abweichen8.
43
Eine Ausnahme von der Offenlegung, falls die Offenlegung der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zuzufügen droht, sieht Nr. 9 (anders als Nr. 8) nicht vor – wohl auch weil der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass tatsächlich sein solcher Nachteil drohen könnte9.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
lit. a)] Satz 6 HGB fälschlicherweise dem Konzernlagebericht und nicht dem Konzernanhang zuordnen. Ellrott in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 289 HGB Rz. 14; ähnlich Sailer, AG 2006, 913, 922. Rabenhorst, WPg 2008, 139, 144. So auch die Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 77: „Nur soweit die Angabe im Anhang gemacht wurde, kann von der Angabe im Lagebericht abgesehen werden.“ DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 135; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K218; dazu Büchel/Semjonow, WPg 2008, 1143, 1149. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 25; DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 139; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K223. Seibt/Heiser, AG 2006, 302, 365; a.A. Rabenhorst, WPg 2008, 139, 144. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 139; DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2), Tz. K223. DRS 15 (Fn. 1 zu Rz. 2), Tz. 139; diese Empfehlung findet sich nicht mehr in DRS 20 nfd (Fn. 4 zu Rz. 2). Sailer, AG 2006, 913, 922.
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§ 33c
Vorbehalt der Gegenseitigkeit
§ 33c Vorbehalt der Gegenseitigkeit (1) Die Hauptversammlung einer Zielgesellschaft, deren Satzung die Anwendbarkeit des § 33 ausschließt, kann beschließen, dass § 33 gilt, wenn der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen einer dem § 33a Abs. 2 entsprechenden Regelung nicht unterliegt. (2) Die Hauptversammlung einer Zielgesellschaft, deren Satzung eine Bestimmung nach § 33b Abs. 1 enthält, kann beschließen, dass diese Bestimmung keine Anwendung findet, wenn der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen einer dieser Bestimmung entsprechenden Regelung nicht unterliegt. (3) Der Vorbehalt der Gegenseitigkeit gemäß den Absätzen 1 und 2 kann in einem Beschluss gefasst werden. Der Beschluss der Hauptversammlung gilt für höchstens 18 Monate. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat die Bundesanstalt und die Aufsichtsstellen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen stimmberechtigte Aktien der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich von der Ermächtigung zu unterrichten. Die Ermächtigung ist unverzüglich auf der Internetseite der Zielgesellschaft zu veröffentlichen.
Inhaltsübersicht 2. Satzung der Zielgesellschaft sieht Anwendung von § 33b vor (§ 33c Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Fehlende Gegenseitigkeit . . . . . . . . . 10 4. Tochterunternehmen als Bieter. . . . 17 5. Übernahmeangebote und Pflichtangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
A. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . .
1
II. Gegenstand und Zweck der Norm .
2
III. Vergleichbare Regelungen/Umsetzung in anderen EU-Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . 3. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 5 6
B. Vorbehalt der Gegenseitigkeit . . . . .
7
I. Anwendungsbereich (§ 33c Abs. 1 und Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Unterrichtung der Aufsichtsstellen, Veröffentlichung (§ 33c Abs. 3 Satz 3 und 4). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
8
1. Satzung der Zielgesellschaft schließt § 33 aus (§ 33c Abs. 1) . . . .
D. Ausblick: Reform der Übernahmerichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
8
II. Hauptversammlungsbeschluss (§ 33c Abs. 3 Satz 1 und 2) . . . . . . . . 20
Schrifttum: Kersting, Die Reziprozitätsregel im europäischen Übernahmerecht und ihre Anwendung auf Gesellschaften aus Drittstaaten, EuZW 2007, 528; sowie das Schrifttum zu § 33b.
A. Grundlagen I. Entstehung der Norm § 33c steht in engem Zusammenhang mit dem Europäischen Verhinderungsverbot nach § 33a und der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b. Wie diese wurde
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§ 33c
Vorbehalt der Gegenseitigkeit
er im Rahmen der Umsetzung der Übernahmerichtlinie1 durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz2 mit Wirkung zum 14.7.2006 in das Gesetz eingefügt. Er ergänzt die beiden vorgenannten Bestimmungen durch die – fakultative – Begründung des Prinzips der Reziprozität. Dieses besagt, dass Zielgesellschaften, die sich durch die Wahl der gegenüber den normalerweise geltenden gesetzlichen Bestimmungen übernahmefreundlicheren Regelungen der §§ 33a und/oder 33b unterwerfen, diese Wahl auf die Fälle einschränken können, in denen der Bieter entsprechenden Regelungen unterliegt. Damit macht Deutschland von seinem Wahlrecht nach Art. 12 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie Gebrauch. Dieses wird Mitgliedstaaten eingeräumt, die die übernahmefreundlichen Regelungen der Richtlinie zum Vereitelungsverbot (Art. 9) und zur dort sog. Durchgriffsregel (Art. 11) nicht als zwingendes Recht umgesetzt haben. Denn diese Mitgliedstaaten müssen nach Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 den ihrem Recht unterliegenden Zielgesellschaften die Möglichkeit einräumen, sich diesen übernahmefreundlichen Bestimmungen durch entsprechende Satzungsänderung freiwillig zu unterwerfen (siehe oben die Kommentierungen zu § 33a und 33b).
II. Gegenstand und Zweck der Norm 2
Zielgesellschaften, die in ihrer Satzung die Geltung des Europäischen Verhinderungsverbots und/oder der Europäischen Durchbrechungsregel vorsehen, sollen sich im Übernahmefall von der Geltung dieser Satzungsbestimmungen befreien können, falls für den Bieter keine entsprechenden Regeln gelten, wenn er seinerseits einem Übernahmeangebot ausgesetzt ist. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es in Bezug auf Übernahmehindernisse weder innerhalb der Europäischen Union noch erst recht außerhalb der EU (etwa in den USA) gelungen ist, für die Handlungsmöglichkeiten der Zielgesellschaften bei Übernahmeangeboten einheitliche Rahmenbedingungen (Level Playing Field) zu schaffen3. Mit dem Europäischen Verhinderungsverbot und der Europäischen Durchbrechungsregel wird den Zielgesellschaften ein übernahmefreundliches Normengerüst zur Wahl gestellt. Zugleich soll vermieden werden, dass solche Zielgesellschaften, die sich diesem übernahmefreundlichen Regime unterwerfen, gegenüber Bietern benachteiligt sind, die sich selbst gegen Übernahmeversuche mit strukturellen Verteidigungsmaßnahmen schützen können, die wiederum gegen das Europäische Verhinderungsverbot und die Europäische Durchbrechungsregel verstoßen würden. Zielgesellschaften, die einem Übernahmeangebot durch einen Bieter ausgesetzt ist, für den selbst keine entsprechenden Regelungen gelten, sollen sich für diesen Fall von der Anwendung der – von ihnen qua Satzungsänderung gewählten – übernahmefreundlichen Regelungen befreien können. Damit wird ihnen ein Level Playing Field gesichert, indem einheitliche Ausgangsbedingungen zwischen Gesellschaften hergestellt werden, die sonst unterschiedlichen Regelungen unterlägen4.
1 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, Text im Anhang S. 1713. 2 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 8.7.2006, BGBl. I 2006, 1426. 3 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BR-Drucks. 154/06, S. 14; zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 3. 4 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BR-Drucks. 154/06, S. 14.
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Vorbehalt der Gegenseitigkeit
Umgekehrt profitieren dadurch Gesellschaften, die sich für die Anwendung des Europäischen Verhinderungsverbots und/oder der Europäischen Durchbrechungsregel entschieden haben, von dieser Wahl, wenn sie selbst als Bieter eines Übernahmeangebots handeln. Denn ihnen gegenüber kann sich eine Zielgesellschaft nicht auf mangelnde Gegenseitigkeit berufen. Somit soll die Entscheidung für das übernahmefreundlichere Regelwerk nach §§ 33b und 33c erleichtert werden.
III. Vergleichbare Regelungen/Umsetzung in anderen EU-Mitgliedstaaten Von der in Art. 12 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie eingeräumten Möglichkeit, den 3 Zielgesellschaften zu erlauben, die Anwendung des Neutralitätsgebots und der Durchgriffsregel nach Maßgabe der Übernahmerichtlinie unter den Vorbehalt der Gegenseitigkeit zu stellen, machen nur etwa die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten Gebrauch. Im Einzelnen sind dies Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Ungarn1. Exemplarisch sei nachfolgend die Rechtslage in Österreich und im Vereinigten Königreich kurz skizziert. 1. Österreich Österreich hat anders als Deutschland von dem Wahlrecht nach Art. 12 Abs. 3 der 4 Übernahmerichtlinie keinen Gebrauch gemacht. Dies ist freilich nur im Hinblick auf die Durchbrechungsregel nach Art. 11 der Übernahmerichtlinie bzw. § 27a ÜbG relevant. Denn hinsichtlich der Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft hat Österreich Art. 9 der Übernahmerichtlinie als zwingendes Recht in § 12 ÜbG umgesetzt2, so dass sich die Möglichkeit der Einräumung eines Gegenseitigkeitsvorbehalts nach Art. 12 Abs. 3 insoweit nicht stellte. Dagegen räumt § 27a Abs. 1 ÜbG österreichischen Zielgesellschaften ein Wahlrecht ein, in ihrer Satzung für die Anwendung der Durchbrechungsregel nach Maßgabe des Art. 11 der Übernahmerichtlinie zu optieren. Freilich hat der österreichische Gesetzgeber dabei darauf verzichtet, den Zielgesellschaften die Möglichkeit des Vorbehalts der Gegenseitigkeit einzuräumen. Dies wurde damit begründet, dass man die Komplexität der Regelung nicht erhöhen wollte3. 2. Vereinigtes Königreich Das Vereinigte Königreich hat von der Möglichkeit, seinen Zielgesellschaften das Recht einzuräumen, den Vorbehalt der Gegenseitigkeit zu erheben, keinen Gebrauch gemacht4.
1 Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, COM(2012) 347, vom 28.6.2012, Tz. 7 (S. 4). 2 Zollner in Huber, § 12 ÜbG Rz. 5. 3 Trenkwalder in Huber, § 27a ÜbG Rz. 1 a.E. 4 Burbidge in Maul/Muffat-Jeandet/Simon, Takeover Bids in Europe, 5th ed. 2008, Chapter 16 Rz. 3565.
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Vorbehalt der Gegenseitigkeit
3. Schweiz 6
Das schweizerische Übernahmerecht kennt dagegen keinen Grundsatz der Gegenseitigkeit. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen und strukturellen Übernahmehindernissen wird nicht nach den für einen etwaigen Bieter geltenden Regeln differenziert1.
B. Vorbehalt der Gegenseitigkeit 7
Zielgesellschaften, für die das Europäische Verhinderungsverbot und/oder die Europäische Durchbrechungsregel gilt, können deren Anwendung unter den Vorbehalt der Gegenseitigkeit stellen.
I. Anwendungsbereich (§ 33c Abs. 1 und Abs. 2) 1. Satzung der Zielgesellschaft schließt § 33 aus (§ 33c Abs. 1) 8
Die in § 33c Abs. 1 geregelte erste Fallgruppe des § 33c betrifft Zielgesellschaften, deren Satzung die Anwendbarkeit des § 33 ausschließt. Gemeint ist damit der Fall, dass die Zielgesellschaft sich in ihrer Satzung für die Anwendung des Europäischen Verhinderungsverbots nach § 33a entschieden hat. In diesem Fall finden nach § 33a Abs. 1 die Vorgaben für das Verhalten des Vorstands nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines (Übernahme-)Angebots (sog. Verhinderungsverbot) keine Anwendung. Stattdessen gelten dann die (strengeren) Regelungen des Europäischen Verhinderungsverbots nach § 33a Abs. 2 (vgl. dazu § 33a Rz. 27 ff.). Diese schränken die Handlungsmöglichkeiten des Vorstands stärker ein und untersagen ihm insbesondere Verteidigungsmaßnahmen, die nach der allgemeinen Regelung des § 33 noch zulässig wären. Zudem gelten die dort näher geregelten Einschränkungen – anders als § 33 – auch für den Aufsichtsrat2. 2. Satzung der Zielgesellschaft sieht Anwendung von § 33b vor (§ 33c Abs. 2)
9
Nach § 33c Abs. 2 kann der Vorbehalt der Gegenseitigkeit ferner geltend gemacht werden, wenn die Satzung der Zielgesellschaft eine Bestimmung nach § 33b Abs. 1 enthält, wonach die sog. Europäische Durchbrechungsregel nach § 33b Abs. 2 Anwendung findet. Danach gelten während der Annahmefrist (einschließlich der Abwicklung) eines Übernahmeangebots satzungsmäßige sowie vertraglich vereinbarte Übertragungsbeschränkungen von Aktien nicht gegenüber dem Bieter (§ 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). In einer während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots abgehaltenen Hauptversammlung der Zielgesellschaft, die über Abwehrmaßnahmen beschließt, entfalten satzungsmäßige Stimmrechtsbeschränkungen und Stimmbindungsverträge keine Wirkung; Mehrstimmrechtsaktien berechtigen dort nur zu einer Stimme (§ 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2). Entsprechendes gilt in der ersten Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters nach einem Übernahmeangebot einberufen wird, um die Satzung zu ändern oder über die Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft zu entscheiden, sofern der Bieter nach dem Angebot über mindestens 75 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt (§ 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3). 1 Vgl. dazu etwa Tschäni/Iffland/Diem, Öffentliche Kaufangebote, 2. Aufl. 2010, Rz. 736 ff. und Rz. 757 ff. (Abwehrmaßnahmen) sowie Rz. 759 ff. (strukturelle Übernahmehindernisse). 2 Zu den Unterschieden im Einzelnen Meyer, WM 2006, 1135, 1139.
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3. Fehlende Gegenseitigkeit Den beiden Fallgruppen nach § 33c Abs. 1 und 2 ist gemeinsam, dass sie des Wei- 10 teren voraussetzen, dass der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen einer dem Europäischen Verhinderungsverbot bzw. der Europäischen Durchbrechungsregel jeweils entsprechenden Regelung nicht unterliegt. Eine Beschränkung auf Bieter aus EWR-Staaten ist weder dem Wortlaut zu entnehmen, noch entspräche sie der Intention des Gesetzgebers1. Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen die sog. Meistbegünstigungsklausel des Art. II Abs. 1 des General Agreement on Trade and Services (GATS)2. Denn der Gegenseitigkeitsvorbehalt richtet sich nicht gegen Bieter aus bestimmten Staaten, sondern knüpft an den für den einzelnen Bieter geltenden Regelungen an. Unterliegt ein Bieter keiner dem Europäischen Verhinderungsverbot oder der Europäischen Durchbrechungsregel entsprechenden Regelung, wird er ohne Ansehung seines Sitzstaates nicht schlechter behandelt als vergleichbare Bieter aus einem anderen Staat3. Die Zielgesellschaft hat lediglich selbst die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie zur Anwendung der für alle deutschen Zielgesellschaften geltenden generell anwendbaren Regelungen des WpÜG zurückkehrt4. Dies gilt im Übrigen auch gegenüber Bietern mit Sitz in Deutschland. Stammt der Bieter aus dem Inland, muss lediglich geprüft werden, ob er selbst in seiner Satzung die Geltung des Europäischen Verhinderungsverbots nach § 33a Abs. 2 bzw. der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b Abs. 2 vorsieht.
11
Bei einem Bieter aus einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums fällt 12 die Feststellung mangelnder Gegenseitigkeit ebenfalls vergleichsweise leicht. Hier ist zu ermitteln, ob der betreffende Sitzstaat Art. 9 bzw. Art. 11 der Übernahmerichtlinie umgesetzt hat. In diesem Fall gelten für den Bieter dem Europäischen Verhinderungsverbot bzw. der Europäischen Durchbrechungsregel nach §§ 33a und 33b entsprechende Regelungen. Hat der Sitzstaat – wie Deutschland – von seinem Recht zum opt out von diesen Regelungen nach Art. 12 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie Gebrauch gemacht, muss er gemäß Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie den Zielgesellschaften, auf die das nationale Recht dieses Mitgliedstaates Anwendung findet, die Möglichkeit einräumen, sich freiwillig Regelungen nach Maßgabe von Art. 9 bzw. Art. 11 der Übernahmerichtlinie zu unterwerfen (opt in). Es ist also in diesem Fall nur zu prüfen, ob der betreffende Bieter sich für die Anwendung solcher Regelungen entschieden hat; deren Gleichwertigkeit mit dem Europäischen Verhinderungsverbot nach § 33a und der Europäischen Durchbrechungsregel nach § 33b wird mit Blick auf die Vorgaben der Übernahmerichtlinie vermutet, jedenfalls solange die Re-
1 Unter Hinweis auf Erwägungsgrund 21, der „unbeschadet internationaler Übereinkünfte“ den Schutz europäischer Zielgesellschaften durch den Vorbehalt der Gegenseitigkeit ausführt, Kersting, EuZW 2007, 528, 530. 2 Uruguay Round Agreement der World Trade Organisation (WTO), General Agreement on Trade in Services (GATS), im Internet abrufbar unter http://www.wto.org/english/docs_e/le gal_e/26-gats_01_e.htm; insoweit gegenüber der Erstreckung des Gegenseitigkeitsvorbehalts auf Drittstaaten kritisch Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 313; Maul, NZG 2005, 151, 155; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 235; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 312; Glade in Heidel, § 33c WpÜG Rz. 3. 3 Ausführlich Kersting, EuZW 2007, 528, 530 ff.; im Ergebnis ebenso Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33c Rz. 9; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33c WpÜG Rz. 7; Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 10. 4 Ähnlich Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 4.
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gelungen nationalen Rechts nicht offensichtlich die Richtlinie unzureichend umsetzen1. 13
Bei Bietern aus Drittstaaten kommt regelmäßig keine förmliche Wahlmöglichkeit zu wie sie in Art. 12 der Übernahmerichtlinie vorgesehen ist. In diesem Fall ist in Fallgruppe 1 darauf abzustellen, ob die rechtlichen Vorgaben für Handlungen der Organe des Bieters im Fall eines an seine Aktionäre gerichteten Übernahmeangebots jenen in § 33a Abs. 2 entsprechen. Entsprechendes gilt in Fallgruppe 2 für die Behandlung struktureller Übernahmehindernisse und deren Vergleichbarkeit mit den Vorgaben des § 33b Abs. 2. In beiden Fällen kommt es auf die inhaltliche Gleichwertigkeit an2. Bestehen beim Bieter von vorneherein keine strukturellen Übernahmehindernisse, kann konsequenter Weise von einer Gleichwertigkeit ausgegangen werden, ohne dass es konkreter Durchbrechungsregelungen bedarf, da es ihrer ohnehin nicht bedarf3.
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Die Einschätzung über die fehlende Gleichwertigkeit der für den Bieter maßgeblichen Regelungen obliegt grds. dem Vorstand der Zielgesellschaft, soweit nicht das Gesetz bei Anwendung des Europäischen Verhinderungsverbots und/oder der Europäischen Durchbrechungsregel auch Vorgaben für das Verhalten weiterer Personen vornimmt, wie etwa in § 33a Abs. 2 Satz 1 für den Aufsichtsrat bei etwaigen Abwehrmaßnahmen oder in § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 für die Leitung der Hauptversammlung, die typischerweise, aber nicht zwingend, dem Aufsichtsratsvorsitzenden obliegt4. Für die vereinzelt vertretene Möglichkeit der verbindlichen Festlegung von Voraussetzungen für den Gegenseitigkeitsvorbehalt durch die BaFin nach § 4 Abs. 1 Satz 35 fehlt es an der ausreichenden Ermächtigungsgrundlage, da es sich bei der fehlenden Gegenseitigkeit nicht um einen Missstand handelt, sondern um die Beurteilung der Frage, ob in der Übernahmerichtlinie vorgesehene Wahlrechte durch den Sitzstaat des Bieters und den Bieter selbst ausgeübt wurden oder nicht6.
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Die Einschätzung ist für das Europäische Verhinderungsverbot und die Europäische Durchbrechungsregel getrennt vorzunehmen7. Dies legt schon die zwischen beiden Regelungen in § 33c Abs. 1 und Abs. 2 trennende Systematik nahe. Zudem erscheint die Differenzierung auch aufgrund der Entscheidung des Richtliniengebers geboten, es nach Art. 12 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie den Mitgliedstaaten zu überlassen, ob sie beide Regelungen, nur eine von ihnen oder keine von beiden umsetzen wollen. Ebenso steht es im Fall des Opting out des betreffenden Mitgliedstaates nach Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie den Zielgesellschaften frei, ob sie eine der beiden Regelungen oder gar beide freiwillig in ihre Satzung übernehmen (dazu auch § 33b Rz. 1). Daher ist es nur konsequent, auch hinsichtlich des Gegenseitigkeitsvorbehalts die beiden Regelungen gesondert zu betrachten. Sonst käme es bei einer nur teilweise optierenden Zielgesellschaft zu unvertretbaren Ergebnissen, etwa wenn so1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 11. 2 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 20; dazu ausführlich Kersting, EuZW 2007, 528, 532. 3 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 16. 4 Hüffer, § 129 AktG Rz. 18. 5 Dafür Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 313; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33c Rz. 10; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 13; de lege ferenda Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 15. 6 Im Ergebnis ebenso ablehnend Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, § 33b Rz. 5; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33c Rz. 2. 7 Wie hier Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 14; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 14; a.A. Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 13.
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wohl die Zielgesellschaft als auch der Bieter dem Europäischen Verhinderungsverbot unterliegen, die Zielgesellschaft aber den Gegenseitigkeitsvorbehalt auch insoweit mit der Begründung geltend machen wollte, dass der Bieter nicht der Europäischen Durchbrechungsregel unterliegt. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben sich in ihrer Stellungnahme nach § 27 zu ihrer Einschätzung der Gleichwertigkeit der auf den Bieter anwendbaren Regelungen und die sich daraus ergebenden Folgen für die Anwendung des Europäischen Verhinderungsverbots bzw. der Europäischen Durchbrechungsregel zu äußern und ihre Einschätzung zu begründen1.
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4. Tochterunternehmen als Bieter Wird der Bieter von einem anderen Unternehmen beherrscht, erstrecken Abs. 1 und 17 Abs. 2 des § 33c den Vorbehalt der Gegenseitigkeit auch auf das herrschende Unternehmen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll damit ausgeschlossen werden, dass der Vorbehalt der Gegenseitigkeit dadurch umgangen wird, dass das Angebot von einer Tochtergesellschaft unterbreitet wird, für die das Europäische Verhinderungsverbot und die Europäische Durchbrechungsregel gilt, während die Muttergesellschaft einer entsprechenden Regelung nicht unterliegt2. Daher schien zunächst unklar, warum sich der Wortlaut des § 33c an § 17 AktG (abhängige und herrschende Unternehmen) anlehnt, während die Begründung wie auch § 2 Abs. 5, 6 den in § 290 HGB definierten Begriff des Tochterunternehmens verwenden3. Wiewohl im Hinblick auf die Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs. 2 AktG der Unterscheidung vermutlich nur geringe praktische Relevanz zukommt, dürfte angesichts der Regierungsbegründung von einem Redaktionsversehen auszugehen sein. Dies zeigt auch ein Vergleich mit der Übernahmerichtlinie. Hier stellt Art. 12 Abs. 3 darauf ab, ob ein Mutterunternehmen auf ein Tochterunternehmen direkt oder indirekt Kontrolle i.S.v. Art. 1 der sog. Konzernbilanzrichtlinie4 ausübt. Art. 1 der Konzernbilanzrichtlinie wird durch § 290 HGB in deutsches Recht umgesetzt. Dadurch dass § 290 Abs. 1 HGB seit der Änderung durch das BilMoG mittlerweile aber anstelle des früheren Begriffs der „einheitlichen Leitung“ nunmehr wie § 17 Abs. 1 AktG darauf abstellt, dass das Mutterunternehmen auf das Tochterunternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, dürfte sich die Diskussion aber insofern erledigt haben, als das Abstellen auf die Beherrschung in § 33c nunmehr nicht mehr im Widerspruch zur bilanzrechtlichen Anknüpfung in § 2 Abs. 5 und 6 steht. Maßgeblich ist also, ob der Bieter unter dem beherrschenden Einfluss des Mutterunternehmens i.S.v. § 290 Abs. 1 HGB steht oder die Beherrschungstatbestände des § 290 Abs. 2 HGB eingreifen5. Die Regelung gilt also auch für das Mutterunternehmen des Bieters, selbst wenn die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG widerlegt werden kann6. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Bestimmungen über die Definition des Mutter- bzw. Tochterunternehmens nach § 290 1 2 3 4
Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 20. RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 21. Kritisch Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 312. Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss, ABl. EG Nr. L 193 v. 18.7.1983, S. 1. 5 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 12. 6 Dazu Hüffer, § 17 AktG Rz. 17; zur Abgrenzung der Beherrschungsbegriffe nach § 290 HGB und § 17 AktG: Kozikowski/Kreher in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 8. Aufl. 2012, § 290 HGB Rz. 21.
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Vorbehalt der Gegenseitigkeit
HGB bzw. Art. 1 der Konzernbilanzrichtlinie und der diesen umsetzenden Regelungen nationalen Rechts anderer EWR-Staaten auf den Bieter und sein Mutterunternehmen unmittelbar Anwendung finden1. Denn das daraus folgende Leerlaufen der Regelung ausgerechnet gegenüber Drittstaaten würde dem von der Bestimmung angestrebten Schutz gegen Umgehungen zuwiderlaufen2. Vielmehr ist maßgeblich, ob nach den Kriterien von § 290 HGB bzw. Art. 1 der Konzernbilanzrichtlinie ein Mutter-Tochterverhältnis vorläge, unterstellt diese Bestimmungen wären anwendbar3. 18
Umgekehrt soll – über den Wortlaut des Gesetzes hinaus – die Gegenseitigkeit erfüllt sein, wenn zwar der Bieter keinen Vorgaben wie jenen des Europäischen Verhinderungsverbots und der Europäischen Durchbrechungsregel unterliegt, wohl aber sein Mutterunternehmen. Dem wird man im Wege der teleologischen Reduktion in den Fällen zustimmen können, bei denen es sich bei dem Bieter um eine ausschließlich zur Durchführung des Angebots verwendete Zweckgesellschaft handelt, die sich insoweit als verlängerter Arm des Mutterunternehmens darstellt4. 5. Übernahmeangebote und Pflichtangebote
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Ebenso wie das Europäische Verhinderungsverbots (dazu § 33a Rz. 29) und die Europäische Durchbrechungsregel (dazu § 33b Rz. 16) finden die Regelungen über den Grundsatz der Gegenseitigkeit gem. § 39 sowohl auf Übernahmeangebote als auch auf Pflichtangebote Anwendung5.
II. Hauptversammlungsbeschluss (§ 33c Abs. 3 Satz 1 und 2) 20
Damit sich die Zielgesellschaft auf die Geltung des Vorbehalts der Gegenseitigkeit in den vorstehend beschriebenen Fällen berufen kann, muss die Hauptversammlung zuvor einen entsprechenden Beschluss gefasst haben. Will eine Zielgesellschaft den Vorbehalt der Gegenseitigkeit sowohl in Bezug auf das Europäische Verhinderungsverbot nach § 33a als auch die Europäische Durchbrechungsregel nach § 33b geltend machen, kann dies nach § 33c Abs. 3 Satz 1 in einem einzigen Hauptversammlungsbeschluss erfolgen6. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass sich die Zielgesellschaft in Bezug auf beide Regelungen gesondert entscheiden kann, ob sie vom Vorbehalt der Gegenseitigkeit Gebrauch macht oder nicht7. Jedoch sind Beschlüsse über die Geltung des Gegenseitigkeitsvorbehalts binär, d.h. er kann angeordnet oder nicht angeordnet werden, jedoch nicht unter weitere Voraussetzungen oder Bedingungen gestellt werden – mit Ausnahme des Vorbehalts der Wirksamkeit der Satzungsbe1 So aber der Ansatz von Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 313. 2 In diesem Sinne zu Recht Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 11. 3 Ebenso Kersting, EuZW 2007, 528, 533, der den Verweis in Art. 12 Abs. 3 Übernahmerichtlinie auf Art. 1 Konzernbilanzrichtlinie als „Verweis auf die Methode der Bestimmung, ob eine Gesellschaft kontrolliert wird“, versteht. 4 Harbarth, ZGR 2007, 37, 66; Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 6; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 5; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33c WpÜG Rz. 10; ebenso ohne nähere Begründung Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33c Rz. 6. 5 Ähnlich Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 6; konzeptionell ähnlich Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 12, der aber die Anwendung von § 33b auf Pflichtangebote ablehnt und daher konsequenter Weise auch die Geltung des Gegenseitigkeitsvorbehalts insoweit verneint. 6 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum RegE ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1541, S. 20. 7 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 6; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 10.
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§ 33c
Vorbehalt der Gegenseitigkeit
stimmungen, die die Anwendung des Europäischen Verhinderungsverbot oder der Europäische Durchbrechungsregel anordnen (dazu sogleich Rz. 21), und der Feststellung mangelnder Gegenseitigkeit1. Der Wortlaut impliziert, dass die Satzung der Zielgesellschaft bereits das Euro- 21 päische Verhinderungsverbot nach § 33a als auch die Europäische Durchbrechungsregel nach § 33b für anwendbar erklären muss, damit die Hauptversammlung einen Beschluss über die Geltung des Vorbehalts der Gegenseitigkeit fassen kann. Hat die Hauptversammlung jedoch beschlossen, die Satzung entsprechend zu ändern, wird diese Satzungsänderung nach § 181 Abs. 3 AktG erst mit Eintragung im Handelsregister wirksam. Diese kann faktisch erst nach der Hauptversammlung erfolgen. Das würde bedeuten, dass die Zielgesellschaft zwischen dem Wirksamwerden der Satzungsänderung und der nächsten Hauptversammlung sich nicht auf den Vorbehalt der Gegenseitigkeit berufen könnte. Da aber der Gegenseitigkeitsvorbehalt die Wahl des übernahmefreundlicheren Rechtsregimes nach §§ 33a und 33b durch die Zielgesellschaften fördern will, ist davon auszugehen, dass ein Beschluss nach § 33c Abs. 3 zeitgleich mit jenen nach §§ 33a Abs. 1 und 33b Abs. 1 gefasst werden kann, solange er unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der jeweiligen Satzungsänderung gefasst wird, auf die er sich bezieht2. Ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 33c gilt für höchstens 18 Monate und zwar 22 ab Beschlussfassung. Eine dauerhafte Verknüpfung des Gegenseitigkeitsvorbehalts mit einer Satzungsregelung nach § 33a Abs. 1 Satz 1 oder § 33b Abs. 1 ist also nicht möglich3. Um den dauerhaften Schutz durch den Gegenseitigkeitsvorbehalt sicherzustellen, sollte er also jährlich in der ordentlichen Hauptversammlung erneuert werden. Wie bei Beschlüssen nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 oder § 202 Abs. 1, 2 AktG muss der Beschluss die Frist ausdrücklich nennen; anderenfalls wäre er nichtig4. Ausweislich der Regierungsbegründung bedeutet die Frist, dass der Beschluss frühestens 18 Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach § 10 gefasst worden sein darf. Es darf also keine Kette von Vorratsbeschlüssen gefasst werden, die eine regelmäßige Befassung der Hauptversammlung verhindert. Jedoch ist es zulässig, einen noch gültigen Gegenseitigkeitsvorbehalt vorzeitig zu erneuern, wenn er anderenfalls vor der nächsten ordentlichen Hauptversammlung auslaufen würde5. Wann der Gegenseitigkeitsbeschluss spätestens gefasst werden kann, ergibt sich we- 23 der aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus der Regierungsbegründung. Folglich kann der Vorbehalt der Gegenseitigkeit auch noch in einer Abwehrhauptversammlung nach der Veröffentlichung nach § 10 oder sogar während der Angebotsfrist beschlossen werden6. Die Einberufung einer solchen Hauptversammlung verstößt dabei weder gegen § 33 noch gegen § 33a, wie sich auch aus Art. 9 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie ergibt, die die Einberufung einer Hauptversammlung 1 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 6; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 17; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 10. 2 Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33c WpÜG Rz. 3. 3 Schüppen, BB 2006, 165, 167; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 12. 4 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 7; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 18; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 9; zur Rechtslage bei § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG vgl. nur Hüffer, § 71 AktG Rz. 19e; zu § 202 AktG Hüffer, § 202 AktG Rz. 11; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 43 Rz. 10, jeweils m.w.N. 5 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 7. 6 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 8; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 18; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 11.
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Vorbehalt der Gegenseitigkeit
während der Annahmefrist auch unter vollständiger Geltung der übernahmefreundlichen fakultativen Regelungen der Übernahmerichtlinie, einschließlich des dort vorgesehenen strengeren Verhinderungsverbots als zulässig unterstellen (dazu auch § 33 Rz. 124 ff. und § 33a Rz. 20, 42 ff.). Falls die Zielgesellschaft nach § 33b Abs. 1 in ihrer Satzung die Anwendung der Durchbrechungsregel vorsieht, gilt für einen solchen Beschluss § 33b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, solange er nicht durch einen noch geltenden Hauptversammlungsbeschluss nach § 33c Abs. 2 suspendiert wurde1. 24
Ein Beschluss nach § 33c Abs. 1 und/oder Abs. 2 kann nach § 133 Abs. 1 AktG mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst werden, da das Gesetz – ähnlich wie bei einer Ermächtigung zum Aktienrückkauf nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AktG2 – weder eine qualifizierte Mehrheit noch eine Änderung der Satzung verlangt, die eine qualifizierte Mehrheit nach § 179 Abs. 2 AktG erfordern würde3. Der Beschluss ist auch nicht in das Handelsregister einzutragen4.
25
Der Gegenseitigkeitsvorbehalt kann auch vor Ende seiner Laufzeit von der Hauptversammlung der Zielgesellschaft aufgehoben werden5; dies kann auch in der sog. Abwehrhauptversammlung während der Annahmefrist erfolgen. In diesem Fall gilt die Unterrichtungspflicht des § 33c Abs. 3 Satz 3 entsprechend; dagegen bedarf es bei einem Außerkrafttreten des Gegenseitigkeitsvorbehaltes durch bloßen Ablauf der Gültigkeitsfrist von 18 Monaten keiner Unterrichtung6.
C. Unterrichtung der Aufsichtsstellen, Veröffentlichung (§ 33c Abs. 3 Satz 3 und 4) 26
Hat die Hauptversammlung der Zielgesellschaft beschlossen, vom Vorbehalt der Gegenseitigkeit nach § 33c Abs. 1 und/oder Abs. 2 Gebrauch zu machen, ist der Vorstand nach § 33c Abs. 3 Satz 3 verpflichtet, die BaFin und ggf. die Aufsichtsstellen der anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, in denen stimmberechtigte Aktien der Gesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, unverzüglich zu unterrichten. Die Regelung entspricht der Unterrichtungspflicht im Fall der Einführung des Europäischen Verhinderungsverbots (§ 33a Abs. 3) bzw. der Europäischen Durchbrechungsregel (§ 33b Abs. 3) durch entsprechende Satzungsänderung. Da – anders als im Fall der Satzungsänderung – der Beschluss nicht in das Handelsregister einzutragen ist, kommt es auf die Beschlussfassung an7. Wie bei § 33b Abs. 3 gilt für die Form der Unterrichtung § 45; sie hat damit grds. schriftlich zu erfolgen. Bei elektronischer Übermittlung muss der Absender nach § 45 Satz 2 zweifelsfrei erkennbar sein (vgl. die Kommentierung zu § 45). Für die Unterrichtung der Aufsichtsstellen der anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums gelten
1 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 8. 2 Dazu Hüffer, § 71 AktG Rz. 19d m.w.N. 3 Simon, Der Konzern 2006, 12, 14; Meyer, WM 2006, 1135, 1139; Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33c Rz. 4; Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 5, 7; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 8; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, § 33c WpÜG Rz. 11. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum RegE ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1541, S. 20. 5 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 9; Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 12. 6 Schlitt/Ries in MünchKomm. WpÜG, § 33c Rz. 18. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drucks. 16/1541, S. 20.
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Vorbehalt der Gegenseitigkeit
die nach dortigem Recht maßgeblichen Förmlichkeiten1. Die von einigen mit einer richtlinienkonforme Auslegung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 und Abs. 3 der Übernahmerichtlinie begründete Geltung der Unterrichtungspflicht bereits ab Stellung des Antrags auf Börsenzulassung2, ist in der Übernahmerichtlinie im Hinblick auf den Gegenseitigkeitsvorbehalt so nicht vorgesehen; zudem würde sie angesichts des wegen der Bußgeldbewehrung der Unterrichtungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 9 geltenden sanktionsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen (vgl. § 33b Rz. 41)3. Ferner ist der Beschluss nach § 33c Abs. 3 Satz 4 (der Art. 12 Abs. 4 der Übernahmerichtlinie umsetzt) unverzüglich auf der Internetseite der Zielgesellschaft zu veröffentlichen.
27
Der in Bezug auf Unterrichtung und Veröffentlichung im Gesetz verwendete Begriff 28 der „Ermächtigung“ ist dabei insofern missverständlich, als der betreffende Beschluss nicht etwa dem Vorstand Ermessen einräumt, sich auf die Geltung der allgemeinen Regelungen zu berufen, sondern für deren Anwendung vielmehr konstitutiv ist, sobald im Fall eines Übernahme- oder Pflichtangebots die fehlende Gegenseitigkeit festgestellt wird4. Im einen wie im anderen Fall sind die Organe der Gesellschaft verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Rahmen ihrer Kompetenzen zum Wohle der Gesellschaft für geboten halten. Im Hinblick auf das Verhinderungsverbot nach § 33 oder § 33a verändert sich nur der Katalog der zulässigen Maßnahmen, die nach dem WpÜG insoweit im Zusammenhang mit dem konkreten Angebot ergriffen werden dürfen. In Bezug auf § 33b stellt sich die Frage erst recht nicht, weil hier Vorstand und Aufsichtsrat kein Ermessen zukommt, die Aufhebung der Durchbrechung etwaiger Übertragungsbeschränkungen oder gar das Wiederaufleben von Entsendungsrechten oder Mehrstimmrechten zu ignorieren.
D. Ausblick: Reform der Übernahmerichtlinie Im Rahmen ihres am 28.6.2012 veröffentlichten Berichts nach Art. 20 der Übernahmerichtlinie über die Anwendung der Richtlinie5 (dazu § 33b Rz. 59) geht die Kommission auf den Vorbehalt der Gegenseitigkeit nicht direkt ein.
29
Da die Kommission trotz der unterschiedlichen Akzeptanz der bislang freiwilligen Regelungen der Übernahmerichtlinie, die in das WpÜG als Europäisches Verhinderungsverbot nach § 33a und als Europäische Durchbruchsregel nach § 33b Eingang gefunden haben, keine Veränderung der geltenden Rechtslage vorzuschlagen beab-
30
1 Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 20; a.A. Vogel in FrankfKomm. WpÜG, § 33c Rz. 13. 2 Kiem in Baums/Thoma, § 33c Rz. 26; Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 20. 3 Bohnert in Karlsruher Komm. OWiG, 2. Aufl. 2006, Einleitung Rz. 114; Bohnert in Bohnert, 2. Aufl. 2007, § 3 OWiG Rz. 6; Gürtler in Göhler, 15. Aufl. 2009, § 3 OWiG Rz. 8; grundlegend BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL15, 23/68, BVerfGE 25, 269, 284 f. 4 Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33c Rz. 8; ebenso jedenfalls für § 33b Hirte in KölnKomm. WpÜG, § 33c Rz. 16. 5 Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote, COM(2012) 347, vom 28.6.2012, im Internet abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/take overbids/index_de.htm.
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§ 33d
Verbot der Gewährung ungerechtfertigter Leistungen
sichtigt1, ist bis auf Weiteres nicht mit einer Änderung der Richtlinienbestimmung über den Vorbehalt der Gegenseitigkeit zu rechnen. Dies gilt auch für die Freiwilligkeit hinsichtlich der Übernahme des Gegenseitigkeitsvorbehalts in nationales Recht.
§ 33d Verbot der Gewährung ungerechtfertigter Leistungen Dem Bieter und mit ihm gemeinsam handelnden Personen ist es verboten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot ungerechtfertigte Geldleistungen oder andere ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen.
Inhaltsübersicht A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Adressaten der Norm . . . . . . . . . . . .
4
III. Gewährung und Inaussichtstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 IV. Zusammenhang mit dem Angebot . 13
C. Gewährung oder Inaussichtstellung ungerechtfertigter Vorteile . . . . . . . .
7
V. Fehlende Rechtfertigung . . . . . . . . . 15
I. Empfänger der Vorteile . . . . . . . . . . .
7
D. Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
II. Geldleistung, geldwerter Vorteil . . .
10
E. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Schrifttum: Bachmann, Vorstandspflichten bei freundlichen Übernahmeangeboten, in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109; Becker, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, ZHR 165 (2001), 280; Brauer, Die aktienrechtliche Beurteilung von „appreciation awards“ zu Gunsten des Vorstands, NZG 2004, 502; Fleischer, Informationspflichten der Geschäftsleiter beim Management Buyout im Schnittfeld von Vertrags-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, AG 2000, 309; Hirte, Verteidigung gegen Übernahmeangebote und Rechtsschutz des Aktionärs gegen die Verteidigung, ZGR 2002, 623; Hoffmann-Becking, Rechtliche Anmerkungen zur Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung, ZHR 169 (2005), 155; Hohaus/Weber, Aktuelles zu Managementbeteiligungen in Private-Equity-Transaktionen 2007/2008, BB 2008, 2358; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; Hopt, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, in FS Lutter, 2000, S. 1361; Hüffer, Mannesmann/Vodafone: Präsidiumsbeschlüsse des Aufsichtsrates für die Gewährung von „Appreciation Awards“ an Vorstandsmitglieder, BB 2003, Beilage 7, 1; Kiem, Investorenvereinbarung im Lichte des Aktien- und Übernahmerechts, AG 2009, 301; Kort, „Change-ofControl“-Klauseln nach dem „Mannesmann“-Urteil des BGH: zulässig oder unzulässig?, AG 2006, 106; Mertens, Die Vorstandsvergütung auf dem Prüfstand, ZHR 169 (2005), 124; Nießen/Stöwe, Die Vergütung des Vorstands beim öffentlichen Übernahmeangebot, DB 2010, 885; Rasner, Die Pflichten der Zielgesellschaft bei unfreundlichen Übernahmeangeboten nach dem deutschen WpÜG. Unter besonderer Berücksichtigung europäischer und US-amerikanischer Übernahmeregelungen sowie der Konzeption des Gemeinsamen Entwurfs einer EU-Übernahmerichtlinie, 2005; Schüppen, Transaction-Boni für Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft: Business-Judgment oder strafbare Untreue?, in FS Tiedemann, 2008, S. 749; Seibt/Wunsch, Managementgarantien bei M&A-Transaktionen, ZIP 2008, 1093; Traugott/ 1 Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betreffend Übernahmeangebote (vorige Fn.), Tz. 26.
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Krause/Pötzsch/Stephan
§ 33d
Verbot der Gewährung ungerechtfertigter Leistungen
Grün, Finanzielle Anreize für Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften bei Private Equity-Transaktionen, AG 2007, 761; Weber, Transaktionsboni für Vorstandsmitglieder: Zwischen Gewinnchance und Interessenkonflikt, 2006.
A. Allgemeines Gemäß § 33d ist es dem Bieter und mit ihm gemeinsam handelnden Personen ver- 1 boten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit einem Angebot ungerechtfertigte Geldleistungen oder andere ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen. Dabei geht es um die Sicherung der Unabhängigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat als Sachwalter der Interessen der Zielgesellschaft1. Der Gesetzgeber will der Gefahr begegnen, dass der Bieter versucht sein könnte, den Vorstand oder Aufsichtsrat der Zielgesellschaft durch das Versprechen von Vorteilen zu einem von den Interessen der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre abweichenden Verhalten zu bewegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Bieter zu verhindern sucht, dass Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats der Zielgesellschaft eine ablehnende Stellungnahme zu dem Angebot abgeben, oder erreichen will, dass die Ablehnung gegenüber einem bisher als feindlich angesehenen Übernahmeangebot aufgegeben oder ohne sachliche Gründe eine zu positive Stellungnahme abgegeben wird2. Die Vorschrift wurde angeblich vor dem Hintergrund der gegen ehemalige Vorstands- und Aufsi