191 10 18MB
German Pages 386 [388] Year 1997
Wenn die Semantik arbeitet
Wenn die Semantik arbeitet Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Gisela Harras und Manfred Bierwisch
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wenn die Semantik arbeitet : Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag / hrsg. von Gisela Harras und Manfred Bierwisch. - Tübingen : Niemeyer, 1996 NE: Harras, Gisela [Hrsg.]; Baumgartner, Klaus: Festschrift ISBN 3-484-73035-8 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis Vor-Wort
VII
Manfred Bierwisch Avant Propos
1
Hubert Haider Wenn die Semantik arbeitet - und die Syntax sie gewähren läßt
7
Elke Nowak Über die Organisation komplexer Aussagen
29
Manfred Pinkal Wie die Semantik arbeitet. Ein unterspezifiziertes Modell
57
Christian Rohrer Fakultativ kohärente Infinitivkonstruktionen im Deutschen und deren Behandlung in der Lexikalisch Funktionalen Grammatik
89
Herbert Ernst Wiegand Über primäre, von Substantiven 'regierte' Präpositionen in Präpositionalattributkonstruktionen
109
Peter Rolf Lutzeier Wandel bei Konzeptualisierungen. Einblicke bei Präpositionen
149
Michael Grabski Übersetzung von lexikalischem Kontrast
167
Gisela Harras sprechen, reden, sagen - Polysemie und Synonymie
191
Joachim Ballweg Eine dynamische Zeitlogik fur das Deutsche
217
VI
Inhaltsverzeichnis
Heinz Vater Textuelle Funktionen von Tempora
237
Daniele Clément und WolfThümmel Während als Konjunktion des Deutschen
257
Ekkehard König und Peter Siemund Se/fai-Reflektionen
277
Susan Olsen Pleonastische Direktionale
303
Dieter Wunderlich dem Freund die Hand auf die Schulter legen
331
Manfred Bierwisch Frage» zum Beispiel
361
Vor-Wort
In diesem Band werden die Leserinnen und Leser erfahren, wie es ist, wenn die Semantik arbeitet. Darüber haben viele Beiträger dieses Bandes bereits in der Stuttgarter Schloßstraße lebhafte Diskussionen mit dem Geburtstagskind geführt. Die guten Erinnerungen daran trieben uns alle dazu, einen Korb semantischer Präsente zusammenzustellen und sie auf den Geburtstagstisch zu legen. Und - in den neunziger Jahren - ist folgendes dabei herausgekommen: Für Hubert Haider arbeitet die Semantik nur dann, wenn die Syntax die hierarchische Struktur dafür bereitstellt, inklusive Rekonstruktion über Extraktionsspuren. Die Schnittstelle von Syntax und Semantik ist eine strikt modulare. Elke Nowak zeigt - am Beispiel der Eskimosprache Inuktitut - , daß die inhaltliche Gliederung von Aussagen nicht mit ihrer strukturierten Form korrespondiert; es gibt keine Harmonie zwischen Semantik und Syntax. Arbeitsam geht es bei Manfred Pinkal zu: er fordert und skizziert - zusätzlich zur theoretischen Semantik - eine plausible Theorie des Sprachverstehens, also eine Theorie darüber, wie es ist, wenn die Semantik arbeitet, und das ist: wie sie arbeitet. Für eine syntaktische Lösung plädiert Christian Rohrer, wenn die Art der Behandlung von fakultativ kohärenten Infinitivkonstruktionen geklärt werden soll. Dem Problem, wie die Semantik von Präpositionen arbeitet, sind zwei Beiträge gewidmet: Herbert Ernst Wiegand zeigt, daß von Substantiven regierte Präpositionen in Präpositionalattributkonstruktionen nicht semantisch leer sind, und fordert, dies auch angemessen in unseren Wörterbüchern zu repräsentieren. Peter Rolf Lutzeier setzt auf Konzeptualisierungen als Interpretationsraster, die ein mentales Zwischenglied zwischen sprachlichen Formen und Gegebenheiten/Szenen in der Wirklichkeit abgeben. Michael Grabski und Gisela Harras zeigen, wie die Semantik von sehen resp. sprechen, reden und sagen auf einem konzeptuellen Hintergrund in Form von frames bzw. komplexen Situationstypen wirksam wird, und das heißt auch, wie verschiedene Lesarten eines Ausdrucks semantisch aufeinander bezogen werden können. Über die Zeit wird in drei Beiträgen nachgedacht: Joachim Ballweg entwickelt eine dynamische Zeitlogik, mit der eine Analyse der deutschen Tempora über den Satzrahmen hinaus ermöglicht wird. Texte sind auch Gegenstand des Beitrags von
Vili
Vor-Wort
Heinz Vater, in dem das Verhältnis von sprachlichen Formen und ihren Bedeutungen analysiert wird. Danièle Clément und Wolf Thümmel befassen sich mit der semantischen Mehrdeutigkeit der Konjunktion während als temporal und adversativ. Sie zeigen, daß die Mehrdeutigkeit syntaktische Parallelen hat, wie man auch an der historischen Enwicklung sehen kann. Schließlich erfahren wir von Ekkehard König und Peter Siemund, die über selbst reflektieren, wie die Semantik der Verwendungsweisen von selbst im Spannungsfeld zwischen grammatischer Struktur und Informationsstruktur von Sätzen arbeitet. Was ist, wenn die Sprache Formen wie etwas auf etwas auflegen zur Verfügung stellt, was sie gar nicht dürfte? fragt Susan Olsen und macht Vorschläge, wie eine solche Lizenzierung systematisch erklärbar werden könnte. Dieter Wunderlich nimmt den Dativ in Ausdrücken wie dem Freund die Hand auf die Schulter legen unter die Lupe und zeigt, wie dessen Semantik seinen strukturellen Eigenschaften zu folgen hat. Und wie es sich gehört, bleiben zum Schluß noch: Fragen. So sieht unser Geschenkkorb auf den ersten Blick aus. Dem Beschenkten wünschen wir viel Spaß beim Durchwühlen und näheren Betrachten. Daß wir dieses Präsent überhaupt in dieser Form überreichen können, verdanken wir der Druckbereitschaft des Niemeyer-Verlages. Daß die Form zustande gekommen ist, verdanken wir den unermüdlichen und maschinenüberlistenden Aktivitäten von Susan Johnston, Silke Schworm und Joachim Grabowski; Edeltraud Winkler danken wir für detektivisches Korrekturlesen.
Mannheim, 14. Juli 1996
Gisela Harras
Manfred Bierwisch
Avant Propos Bis jetzt haben wir noch kein Kriterium dafür entwickelt, wann wir etwas als Erklärung ansehen wollen. Klaus Baumgärtner, 1969
Dieser Band ist Klaus Baumgärtner gewidmet. Beigetragen haben Kollegen, Schüler, Freunde, die auf die eine oder andere Weise, kürzere oder längere Zeit, mit ihm zusammen gearbeitet, mit ihm diskutiert, ihn zu überzeugen versucht, von ihm gelernt haben, im formal akademischen Sinn, wo die Umstände es fugten, in jedem Fall aber mit dem verbindlichen Ernst und dem ausgelassenen Vergnügen, deren gleichermaßen kunstvolle und natürliche Mischung dem Umgang mit ihm den besonderen, nicht austauschbaren Reiz geben. Der Anlaß erlaubt, ja er gebietet, Rückblick und Umschau, Vergewisserung und Bekräftigung. Sie gelten einer Laufbahn, die nicht aus purem Zufall, aber doch keineswegs naturgegeben mit der Abhandlung „Zur Syntax der Umgangssprache in Leipzig" begonnen hat, einer Arbeit, die die auf eigene Verantwortung entworfene Vorahnung systematischer Sprachanalyse ins Verhältnis zu setzen hatte zu der aus nicht ganz freiwillig teilnehmender Beobachtung im Straßenbahnbetriebswerk Leipzig Taucha hervorgegangenen Datenbasis sowie zu den Bedingungen, den Interessen und dem Toleranzspielraum unseres verehrten Lehrers Theodor Frings, den wir nicht nur heimlich den letzten König von Sachsen nannten. Die Abhandlung war Ergebnis und Abschluß eines in mehrfacher Hinsicht ausgezeichneten Studiums vornehmlich der Germanistik an der damals noch glänzenden Universität Leipzig. Von da ging es nach Berlin, von der Universität an die (noch) Deutsche Akademie der Wissenschaften, wo die nun Gestalt annehmende Linguistik - Auftritte von Roman Jakobson und Yehoshua Bar-Hillel etwa - vorerst zurückstehen mußte zugunsten der Lesartenapparate des unerschöpflichen Goethe, aber dann auch des als editorische Aufgabe erst zu erkundenden Bertolt Brecht. Der schließlich überfällige Schritt in die Linguistik war allerdings mehr als ein germanistischer Arbeitsplatzwechsel. Er führte an das Institut „Sprache im technischen Zeitalter" der Technischen Universität Berlin und also zu Walter Höllerer, es war ein glücklicher, ein schwieriger Schritt und wiederum nicht ganz freiwillig,
2
Bierwisch
denn jetzt war da eine Mauer, die Mauer, zu überwinden, ehe ein neuer Abschnitt der Laufbahn beginnen konnte. Dessen nun selbstbestimmter Auftakt war die Habilitation in Berlin, der schließlich die eigentliche Standortbestimmung folgte, die Bewährung in Stuttgart. Ein Lehrstuhl für Linguistik, zumal in der Fachrichtung Germanistik, das war in den frühen sechziger Jahren in Deutschland durchaus ein Risiko, eine Befremdlichkeit, eine Herausforderung an einen nicht geringen Teil der etablierten Kollegenschaft. Daß die Universität Stuttgart die Herausforderung wagte, hatte keineswegs nur mit ihrer technisch geprägten Vorgeschichte zu tun, sondern war insonderheit dem unbefangenen Blick Fritz Martinis und seiner Kollegen zu danken; daß daraus eine bis heute tragende Erfolgsgeschichte wurde, lag nicht zuletzt daran, daß eine der ersten Entscheidungen die Berufung Klaus Baumgärtners war. Mit ihm erhielt das Unterfangen Verbindlichkeit in jenem schönen Doppelsinn von strenger Festlegung und Konzilianz. Der Anspruch, der nun vor Studenten wie Kollegen zu vertreten war, wohlbedacht und strikt, wie es eine auf Systematik und Klarheit gestellte Disziplin verlangt, er war zugleich freundlich im Umgang und von großem Verantwortungsbewußtsein bestimmt. Dabei übrigens, wo immer es anging, von unverhohlenem, doppelbödigem oder ganz einfach gut gelauntem Spaß. Die Linguistik war neu und sie war jung. Auch das hatte Teil an ihrer Wirkung, die sich einstellte mit neuen Kollegen und Schülern, mit zunehmender Geltung im Haus und nach außen. Die germanistische Linguistik blieb nicht allein, der Grund war gelegt für eine zwar nicht reibungslose, aber in beharrlicher und den Lustgewinn nicht aussparender Arbeit vorangebrachte Entwicklung. In der Schloßstraße hatte die Linguistik eine lebendige Heimstatt gefunden. Das alles, natürlich, hat zu tun mit Personen, mit Geschichten und Gegebenheiten, die eine Laufbahn begründen und sich doch nicht zu einer Karriere verrechnen lassen. Einiges davon darf bei diesem Anlaß angedeutet werden. Stichworte, die uns zusammenführten, lange ehe wir ahnten, daß Linguistik eine Disziplin ist, gaben die Zeitläufte vor - im Leipzig der fünfziger Jahre übrigens keineswegs selbstverständlich, Hemingway etwa und Dos Passos, Klee, Strawinsky und Adorno. Ganz unabhängig von den Zeitläuften aber war, ist, bleibt sein sehr eigener, stupender und sensibler Umgang mit Musik. Bruckner kennt man, sollte man meinen. Das ist ein Irrtum. Das macht Klaus einem bewußt, wenn einem das Privileg seiner unvergleichbaren Vorführungen zuteil wird: Daß er ein ganzes Orchester vor sich hat, ist offensichtlich - aber die Töne macht er alle selbst - auf die artistischste, unglaublichste, natürlichste Weise; und zwischen zwei Einsätzen noch der atemlose Hinweis: jetzt das Fagott - und dann das ganze
Avant Propos
3
Blech! Übrigens natürlich auch Mozart, oder das Concerto fur Orchester von Bartok. Zwischen den Vorlesungen oder in langweiligen Seminaren arbeiteten wir an dem vollständig zirkulären Lexikon „Siehe auch das!" Der Eintrag „Johann Wilhelm Ambrosius Kußfleck: anakreontischer Dichter, 1722 bis 1839" endete mit dem Hinweis „blieb kinderlos (siehe auch das)", sodaß man nachzuschauen hatte und fand „Kinderlos: a) geboren worden zu sein, b) Kinder, los! Ausspruch Cäsars am Rubikon (siehe auch das)". Nicht zur Ausführung gekommen ist die Lautverschiebemaschine - obwohl uns ihre Funktionsweise vollkommen klar schien. Entscheidend aber war uns mit und gegen unsere Lehrer die Grundstrategie, die ungefähr hieß: Wir denken jetzt mal hier gerade durch! Dies, glaube ich, war nicht nur die Voraussetzung für das Programm, das später in Stuttgart ins Werk zu setzen war. Es war auch das, was ansteckend wirken sollte auf Kollegen und Hörer aller Altersstufen. Dafür war natürlich Handwerkszeug nötig, um das er sich mit Energie und Lust immer erneut gekümmert hat, etwa in Wolfgang Stegmüllers Lehrveranstaltungen über Turing-Berechenbarkeit - wo er dann wiederum seine besondere Befriedigung finden konnte in so poetischen Gebilden wie der kleinen und der großen Feierabendmaschine (Algorithmen, die einfach ein einzelnes Symbol oder eine ganze Kette ans Ende verschieben). Auf die Faszination, die die Konstruktion eines Programms, das wirkliche Durchrechnen und die vorhersehbaren Überraschungen mit sich bringen, hat er sich gründlich eingestellt. Wir hatten uns übrigens früh auf eine Disziplin verständigt, die all das zusammenfassen sollte, von den schwarzen Löchern bis zur Analyse von Brecht-Gedichten, von den Prinzipien der Evolution und der Struktur des Gedächtnisses bis zu den damals noch unbekannten Mandelbrotmengen und Fraktalen: die Kosmodidaktik, zu deren Grundkonstanten neben dem Wirkungsquantum h unabdingbar der springende Punkt ρ gehören mußte. Die Linguistik schien uns in der Folgezeit dort nicht nur richtig eingeordnet, sondern von geradezu exemplarischer Bedeutung zu sein. Der Gang der Dinge hat das nicht unbedingt bestätigt, aber er läßt es noch immer als Herausforderung gelten. Es scheint übrigens, um dieser Herausforderung einen Moment nachzugehen, daß der Adressat dieses Bandes seiner 1969 nur aus gegebenem Anlaß geäußerten Skepsis gegen den Anspruch auf wissenschaftliche Erklärung im Laufe der Jahre wachsendes Gewicht beigemessen hat, insonderheit im eigenen Fachgebiet. Dem in der generativen Linguistik immer erneut durchdachten Kanon von Beobachtung, Beschreibung und Erklärung hält er mit zunehmender Grundsätzlichkeit die Überlegung entgegen, daß die Wissenschaft vom Geist, anders als die von der Natur, nicht von Unbekanntem, sondern von Bekanntem handele: Die Linguistik
4
Bierwisch
analysiert Wissen, und was wir wissen, kennen wir. Wo es aber um grundsätzlich Bekanntes geht, da kann Erklärung nicht einfach dasselbe besagen wie beim Umgang mit Dingen, die unserem Wissen auswendig sind. Die Entdeckung einer chemischen Verbindung oder eines Virus ist etwas anderes als die Identifizierung einer lexikalischen Regularität, wie überraschend die auch scheint. Das Problem ist, wie man weiß, kontrovers, und es widerspräche der Baumgärtnerschen Skepsis, diese nun ihrerseits zu dogmatisieren, gar affirmativ zu mißdeuten. In der in Rede stehenden Form besagt die Skepsis jedenfalls, daß man auf expliziten und kontrollierbaren Konzepten bestehen kann, ja muß, auch wenn Vorsicht hinsichtlich des Erklärungsanspruchs im Ganzen angemahnt wird. Zurück zum Konkreten, zur Vielfalt, zum Pluralismus, den er sich ausbedingen würde. Zum Bergwanderer zum Beispiel, der die Dolomiten nicht nur in eigenen ausstellungsmündigen Photos vorweisen und erklären kann, sondern mit Stock und Hut auf dem Weg ist, zur Sella oder zum Schiern, von Sabine und der Bergwacht dann doch mit Sorge erwartet, doch da sitzt er bereits, ein wenig erschöpft, aber höchst zufrieden bei einem Enzian - oder was auch immer. Überhaupt Sabine, wie war es möglich, daß wir scheinbar ohne sie auskommen konnten bisher? Schließlich hat sie bereits in der Leipziger Studentenzeit ihren Platz eingenommen, ruhig, deutlich und wie vorherbestimmt, sodaß der eine ohne die andere eigentlich nicht mehr denkbar schien. Mehr Konkretes? Über den homo politicus, der sich Mitarbeiter nicht durch Berufsverbot streitig machen läßt, aber Gorbatschow realistisch betrachtet, den Pflanzenkenner, der sogleich das Biotop von Wiesensalbei zu bestimmen vermag, den Artisten, der für Walter Höllerer das schönste Kapitel zum apokryphen Gemeinschaftsroman verfaßt - genug der Beispiele, denn Vollständigkeit kann nicht gemeint sein. Aber das Kollegiale, das Freundschaftliche seiner Amtsführung, wenn das denn so heißen darf, bedarf noch wenigstens eines Wortes. Die Eigenart der Situation, in der sich die Stabilisierung abspielte - die Umstürze kamen nun eher aus dem Inneren der Linguistik als aus der äußeren Kollegenschaft - war eine, die Kompetenz und Beweglichkeit, Fairness und Phantasie verlangte. „Im oberen Stockwerk werden gerade wieder die neuen Systeme erprobt", und da waren inzwischen Freunde, Gäste, höchst selbständige Schüler zu Gange. Was in dieser äquilibristischen Weise initiiert worden ist, findet sich auch in den Beiträgen dieses Bandes wieder. Die Versammlung dieser Beiträge mußte in einem nicht mehr direkt von ihm bestimmten Wirkungskreis, also gewissermaßen hinter dem Rücken des Freundes zusammenkommen - und zwar nicht nur so, wie Veranstaltungen dieser Art notwendigerweise versteckt vor sich gehen: noch einmal: eine den Umständen
Avant Propos
5
geschuldete nicht ganz freiwillige Bedingung. Daß er aber umstandslos und selbstverständlich zu ehren ist durch einen Gang in die Werkstatt, durch den Vorweis der Instrumente und der Verfahren, macht klar, daß er dazugehört, daß die Spielregeln gelten, deren Einrichtung ihm viel verdankt. Vorzustellen ist also eine Werkstatt, ein Probierarsenal, in dem die Bedingungen und die Formen geprüft werden, nach denen die Semantik arbeitet. Dabei gilt kein Dogma, aber gewiß auch keine bloße Beliebigkeit; Einschlägigkeit und Stringenz sollen sich ergeben aus dem rationalen Prozedere, der Kontrollierbarkeit der Mittel, nicht aus der Einheitlichkeit einer Schule. Dies ist aus zwei Gründen nicht selbstverständlich. In den frühen sechziger Jahren, als Klaus Baumgärtner einer der ersten Protagonisten moderner Linguistik in Deutschland war, als die generative Grammatik aus einem Gerücht zu einem akademischen Lehrfach wurde, war die Gruppierung um eine Schulmeinung so natürlich wie unausweichlich. Und in der Folge hat die Zersplitterung in Schulen, in Camps mit der jeweils letzten Einsicht die gemeinsame Intention oft fast verschwinden lassen. Noch einmal ist deshalb der doppelte Sinn von Verbindlichkeit gefordert. Daß das möglich ist und Sinn hat, sollte dieser Band kenntlich machen. Gruß und Dank, und wie es einem Freund zukommt: Herzhafte Umarmung, altes Haus!
Hubert Haider
Wenn die Semantik arbeitet und die Syntax sie gewähren läßt
1
Einleitung
Die Frage, wie das empirisch adäquate Verhältnis von Syntax und Semantik zu modellieren sei, ist für die Grammatiktheorie ebenso zentral wie umstritten. Die diametralen Positionen im Hypothesenspektrum der Forschung über die Schnittstelle zwischen Struktur (i.e. Syntax) und Interpretation (i.e. Semantik) sind folgende: LF-Syntax versus autonome Syntax. Die LF-Syntax, wie sie sich in neueren Arbeiten im Rahmen der generativen Grammatik präsentiert (cf. Chomsky 1995, Hornstein 1995:3), betrachtet die Logische Form (= LF) als jene Repräsentation eines sprachlichen Ausdrucks, die allen Anforderungen der semantischen Interpretation an hierarchischer und kategorialer Strukturierung genügt. Die grammatische Struktur ist die Struktur der semantischen Repräsentation. Syntax und Semantik konvergieren auf der LFStruktur. Diese läßt sich prädikatenlogisch formulieren. Folgendes vereinfachte Beispiel möge dies veranschaulichen: (1)
a. daß Ahab abhob c. daß jeder Matrose abhob
b. d.
[ABHOB (Ahab)] (fur alle χ, χ ist Matrose) [ABHOB (x)]
Quantifizierende Ausdrücke, wie das Subjekt in (lb) werden in der semantischen Repräsentation auf Quantoren abgebildet, die eine Variable binden (ld). Die Logische Form von (lc) ist andeutungsweise in (2) wiedergegeben. (2)
[daß [jeder Matrose¡ [e, abhob]]]
Es wird in dieser Theorie angenommen, daß in der Derivation nach der phonetischen Ausgabe noch eine Verschiebung ("quantifier raising") stattgefunden hat, die einen quantifizierenden Ausdruck in eine adjungierte Position bringt, von wo aus er seine Ausgangsposition c-kommandiert. Die Ausgangsposition wird auf die Variable in der semantischen Repräsentation abgebildet, der angehobene Aus-
8
Haider
druck auf den Quantor. Auf diese Weise wird bereits in der syntaktischen Repräsentation (2) die pränexe Form für die semantische Repräsentation (ld) erzeugt. Die LF-Theorie geht davon aus, daß die relevante syntaktische Repräsentation die für die semantische Interpretation notwendigen strukturellen Distinktionen bereitstellt. Im Unterschied dazu geht die Autonomie-These von der Annahme aus, daß die syntaktische Repräsentation ausschließlich eine strukturelle Repräsentation sei und nicht durch inhärent semantische Vorgaben determiniert wird. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß bei der Abbildung auf eine semantische Repräsentation strukturelle Distinktionen eine entscheidende Rolle spielen: Die syntaktische Repräsentation stellt über die c-Kommando-Relationen eine Domänendifferenzierung bereit, die eine wichtige Restriktion im Abbildungsalgorithmus bildet. So wird etwa Quantorenskopus im Deutschen durch die Position der entsprechenden Ausdrücke auf der syntaktischen Struktur festgelegt: (3)
a. Er hat ja fast jeder Verehrerin mindestens ein Gedicht gewidmet b. Er hat ja mindestens ein Gedicht fast jeder Verehrerin gewidmet
Da der vorangehende Ausdruck c-kommandiert, hat er auch stets weiten Skopus über den nachfolgenden. Die natürliche Lesart für (3a) ist daher, daß es für jede Verehrerin mindestens ein Gedicht gibt, daß er ihr gewidmet hat. (3b) hingegen hat die natürliche Interpretation, daß es mindestens ein Gedicht gibt, das er jeder seiner Verehrerinnen (kumulativ oder in einer zeitlichen Abfolge) gewidmet hat. Gängige LF-Analysen machen für (3a) fälschlich die Vorhersage, daß eine Skopusambiguität vorliege. Sie ergibt sich aus der optionalen Abfolge der Quatorenanhebung für die beiden quantifizierten Objekte. Eine detaillierte Auseinandersetzung damit bietet Frey (1993). Die Autonomie-These bestreitet, dies sei ausdrücklich betont, bloß, daß die syntaktische Repräsentation inhärent semantische Distinktionen bereitstellen müßte. Die Syntax stellt ausschließlich strukturelle Distinktionen bereit. Die Arbeitsteilung zwischen Syntax und Semantik ist strikt. Berührungsflächen zwischen Syntax und Semantik sind zwei Schnittstellen. Die eine Schnittstelle ist die lexikalische, die andere die kompositioneile. In der Argumentstruktur wird eine Abbildung der semantischen Form des lexikalischen Elements auf die A-Struktur festgelegt. Die kompositionelle Schnittstelle ist durch den Algorithmus bestimmt, der ausgehend von der syntaktischen Struktur die semantische konstruiert (vgl. Kamp & Reyle 1993). In diesem Beitrag beziehe ich mich ausschließlich auf die kompositioneile Schnittstelle.
Wenn die Semantik arbeitet
9
Der Eindruck, die Semantik greife in die Syntax ein, entsteht - so die hier zu untermauernde Behauptung - lediglich dadurch, daß strukturelle Relationen bei der Abbildung auf die semantische Struktur die einschränkenden Rahmenbedingungen bilden. Da wohlgeformte Ausdrücke syntaktisch und semantisch wohlgeformt sind, ist die Menge der wohlgeformten Ausdrücke eine Teilmenge der syntaktisch wohlgeformten Ausdrücke. Semantische Effekte, die von strukturellen Unterschieden bewirkt werden, erwecken fälschlich den Eindruck direkter Interaktion. Wenn ein Element aufgrund seiner Interpretation in einer syntaktisch zulässigen Position deshalb nicht auftritt, weil die Interpretation ein strukturelles Verhältnis zu einem anderen Element erfordert, dieses aber in der fraglichen Struktur nicht gegeben ist, dann ist der semantische Effekt ein Schnittstelleneffekt: Die Distribution eines syntaktischen Elements ist auf die semantisch wohlgeformte Teilmenge der syntaktisch wohlgeformten Strukturen beschränkt. Ein Beispiel möge dies illustrieren: (4)
a. [Geschlafen] hat er nicht b. [Nicht geschlafen] hat er
c. daß er nicht kommen konnte d. Kommen konnte; er nicht e,
In (4b) kann die Negationspartikel nicht die Satznegation bewirken. Es liegt lediglich Konstituentennegation vor. Satznegation kommt im finiten Satz nur dann zustande, wenn das Negationselement das finite Verb oder, im Falle eines V2Satzes, dessen Lücke c-kommandiert. Da die syntaktische Struktur von (4b) so ist, daß fur die Negationspartikel c-Komando über das finite Verb nicht gegeben ist, kommt die Interpretation als Satznegation nicht zustande. Die Interpretation von (4d) mit dem Modalverb im Skopus der Negation ergibt sich aus dem cKommando-Verhältnis zwischen der Negationspartikel und der Lücke des versetzten Modalverbs: Da die Negation die Lücke des versetzten Kopfelements und somit zumindest ein Element der Kopf-Kette des verschobenen Elements c-kommandiert, befindet sich auch das versetzte Element im c-Kommandobereich der Negation. In den drei folgenden Abschnitten wird je eine Annahme der LF-Syntax einer autonom-syntaktischen Analyse gegenübergestellt, mit der Absicht, nachzuweisen, daß letztere die empirisch adäquate sei. Charakteristisch für alle drei Bereiche ist, daß die LF-Analyse postuliert, es gäbe inhärent zu definierende syntaktische Positionen für jeweils semantisch spezifizierte Klassen von Elementen oder Konstituenten.
10
Haider
2
Negation
Seit Pollock (1989) wird die Negationspartikel als Bestandteil einer Negationsphrase betrachtet, die ein Negationselement als funktionaler Kopf aufspannt. Damit wird auch eine Spec-Position eröffnet. Haegeman (1995:107) erhebt es zum Prinzip, daß ein Negationsoperator in einer Spec-Kopf Konstellation zu einem NEG-Kopf stehen muß, und vice versa (Neg-Kriterium). Demnach sei mit der Satznegation stets eine Negationsphrase verbunden, in der Kopf- und Spezifikatorposition spezifiziert sind und deren Komplement die Tempus-Projektion ist. Dieses Prinzip wird als Spezialfall einer allgemeinen Bedingung gesehen (cf. Haegeman 1995:93, affect-criterion), wonach Operatormerkmale wie z.B. Interrogativ- oder Fokusmerkmale stets in einer Spec-Kopf Konstellation grammatisch verwaltet werden. Das Haegemansche Neg-Kriterium ist das Analogon zum WhKriterium, das Rizzi (1990) postulierte. (5)
[
[NEG-OP [N° [tp
[w
]]]]]
In dem in (5) angegebenen Strukturschema (vgl. Hornstein 1995:168; Haegeman 1995: 115), kann die Kopf- oder die Operatorbesetzung phonetisch stumm sein. Ein Beispiel für die Präsenz beider Elemente böte das Französische. Der Negations-Kopf ne ist ein Klitikum und tritt daher in der S-Struktur infolge Klitisierung an dem Verb auf, das der Träger der funktionalen Merkmale im Satz ist. Das zweite Element, nämlich pas, nimmt die Spezifikatorposition der NEG-P ein.1 (6)
Je nej-suisi \pas [ej [e¡ [venue]]]]
Es müssen ferner Vorkehrungen getroffen werden (cf. Haegeman 1995:259f.) für den Fall, daß mehrere negierte Ausdrücke oder, im Falle des Wh-Kriteriums, mehrere Wh-Ausdrücke vorliegen. 1
Für Deutsch und Niederländisch nimmt Haegeman an, daß die Negationspartikel ein Element in der Spezifikatorposition sei, und nicht der Kopf der Neg-Phrase. Dazu bewegen sie ausschließlich innertheoretische Erwägungen: Wäre die Negationspartikel der funktionale NEG-Kopf, sollte er mit der Versetzung des finiten Verbs in V I - und V2-Sätzen interagieren. Das finite Verb müßte, da Köpfe bei Verschiebung keine Kopfpositionen überspringen können, an den Neg-Kopf klitisieren. Anderenfalls würde er die Verschiebung blockieren. Wenn die Negationspartikel aber in Spec-Neg auftritt, sollte sie auch vorfeldfähig sein, was nicht der Fall ist. Es ist daher günstiger, Partikel als kategorial neutrale Köpfe zu betrachten, die wegen ihrer kategorialen Neutralität nicht mit V-Verschiebung interagieren.
Wenn die Semantik (7)
arbeitet
11
a. Wer hat bei diesem Spiel wie oft gewonnen? b. Bei diesem Spiel hat keiner nie gewonnen.
Zumindest auf LF müssen alle Operator-Phrasen in der geforderten Spec-KopfRelation enden. Andererseits gibt es pro Kopf nur eine einzige Spezifikatorposition. Daher postuliert Haegeman (1995:260) die Existenz eines Absorbtionsverfahrens, das multiple Spezifikatoren zu einem einzigen zusammenfaßt. Dies ist gerade im Fall der Negation besonders problematisch, da negierte Operatoren stets in einem bestimmten Skopusverhältnis zueinander stehen und nicht als ein einziges Negationselement fungieren können. Wenden wir uns nun den zu erklärenden Fakten zu. Wenn es im Deutschen eine NEG-Phrase gibt, muß sie die VP einschließen. Die Negationspartikel tritt im Deutschen allerdings zu verbnah auf, als daß die angenommene Grundkonstellation von Neg-P und VP dies zuließe: (8)
a. daß hier wer was nicht begreift b. daß er hier Gesindel nicht duldet c. * daß hier nicht wer was begreift d. * daß er hier nicht Gesindel duldet
Die Abfolgen, die zu erwarten wären, wenn die Negationsphrase die VP dominiert, sind bei Satznegation ungrammatisch (8c,d). Man müßte in diesen Fällen nachweisen, daß Scrambling obligatorisch wäre, um (8a,b) abzuleiten. Doch gerade die in (8) vorkommenden Objekte erweisen sich in den Standardfällen von Scrambling als umstellungsresistent. (9)
a. ??daß hier was einer begreift b. ??daß hier Gesindel ein Polizist duldet
Die Sätze (8c,d) sind repräsentativ für das Faktum, daß indefinite Argument-NPs nicht im Skopus der Negationspartikel auftreten können. Dies gilt nicht für negierte Indefinita (cf. 10a). (10)
a. daß hier keiner eine Ahnung hat b. * daß er nicht eine Ahnung hat c. * daß er eine Ahnung nicht hat
Der vom Neg-Kriterium geforderte Neg-Kopf müßte daher in (10a) entweder vor oder hinter der indefiniten NP auftreten. Wie (10b) illustriert, ist aber die Stellung davor ungrammatisch, aber auch die Stellung dahinter, was (10c) veranschaulicht.
Haider
12
Überdies würde vorhergesagt, daß aufgrund obligatorischen Scramblings (vgl. 8a,b vs. 8c,d) die Abfolge in ( I I a ) zu erwarten wäre. Da dem aber nicht so ist, müßte, um (1 lb) ableiten zu können, ein weiteres Mal obligatorisches Scrambling stattfinden, und zwar dieses Mal für die negierte NP. Dem bloßen Zufall wäre es dann zuzuschreiben, daß die abgeleitete Reihenfolge erneut die Grundabfolge ergibt. (11)
a. * daß hier wen keiner duldet b. daß hier keiner wen duldet
Eine Abfolge, die unter dem Neg-Kriterium zu erwarten wäre, wenn Scrambling nicht als obligatorisch postuliert wird, nämlich die Spitzenstellung der Negation wie in (12a-c), findet man zwar im Deutschen, aber nur in Konditionalsätzen und in Objektsätzen in Form von indirekten Fragesätzen, nicht jedoch in deklarativen Komplementsätzen. Diese Stellung der Negationspartikel als Satznegation an der Spitze des Mittelfeldes ist in Deklarativsätzen und in Subjektsätzen, auch wenn es indirekte Fragesätze seien, unzulässig (vgl 12d,e): (12)
a. Wenn damals nicht die Polizei den Weg versperrt hätte,... b. Hätte damals nicht die Polizei den Weg versperrt,... c. Ich frage mich, ob nicht die Polizei den Weg versperren sollte d. * Ich vermute, daß nicht die Polizei den Weg versperren wird e. * Ob nicht die Polizei den Weg versperrt hat, interessiert mich sehr
(12d,e) ist nur zulässig, wenn Konstituentennegation der NP vorliegt. Es wäre verfehlt, den Unterschied zwischen (12a-c) und (12d,e) auf einen Unterschied im Scrambling-Verhalten zurückfuhren zu wollen, treten doch in jedem Satz dieselben Mittelfeldelemente auf. Es ist die Stellung der Negationspartikel, die es zu charakterisieren gilt. Auffallig ist, daß bei Spitzenstellung in indirekten Frage- und Konditionalsätzen die in den anderen Fällen zu beobachtende Unverträglichkeit von Negation mit Indefinitpronomina im Skopus der Negation nicht auftritt: (13)
a. wenn dann nicht noch wer/einer/Max im letzten Augenblick einen Fehler macht b. wenn dann nicht noch jeder/Max wem was zuflüstert
Es ist zu erwarten, daß die strukturell unterschiedliche Stellung der Negation Skopusunterschiede bewirkt. Diese sollten sich unter anderem in den Referenzmöglichkeiten von Pronomina erweisen. Dies ist auch der Fall. Ein negiertes Indefinitum in einem Konditionalsatz kann nicht Antezedens für ein Pronomen im
Wenn die Semantik arbeitet
13
Matrixsatz sein (vgl. 14a vs. 14b). Das Gleiche gilt aber auch fur einen kontextabhängigen referentiellen Ausdruck im Skopus der Negation, wie in (14d), oder einer indefiniten NP, wie in (14f). (14)
a. Wenn keinem zugibt, daß er¡ dich kennt, klappt es b. * Wenn keinem Zeit hat, sollten wir ihn¡ nicht nötigen c. Wenn nicht die nächste Zahl gerade ist, haben wir alles verloren d. * Wenn nicht die nächste Zahl, gerade ist, muß sie, durch 3 teilbar sein e. Wenn jetzt nicht ein Schiedsrichter eingreift, kommt es zu einer Keilerei f. * Wenn jetzt nicht ein Schiedsrichter! eingreift, verprügeln wir ihn¡
Dieser Effekt ist zu erwarten, wenn man einen Konstruktionsalgorithmus für die semantische Repräsentation wie in der DRT (cf. Kamp & Reyle 1993:155) ansetzt: Das Antezedens im Konditionalsatz ist fur das Pronomen im Hauptsatz unzugänglich, wenn es sich im Skopus der Negation befindet.2 Es fällt ferner auf, daß die Negation der Wackernagelposition nicht vorausgehen kann: Vorangestellte Pronomina stehen nämlich in jedem Fall vor der Negation. Die Marginalität der Beispiele (15c,f) vis à vis (15b,e) ergibt sich aus der unterlassenen Voranstellung in die Wackernagelposition, nicht aber aus der Stellung der Negation. (15)
a. b. c. d. e. f.
* wenn nicht sich die Polizei darum kümmert wenn sich nicht die Polizei darum kümmert ? wenn nicht die Polizei sich darum kümmert * wenn nicht ihm die Polizei auf die Spur kommt wenn ihm nicht die Polizei auf die Spur kommt ? wenn nicht die Polizei ihm auf die Spur kommt
Gibt es zwingende empirische Evidenz fur die Annahme einer Neg-Phrase in der Satzstruktur des Deutschen? Haegeman (1995:166-169) beruft sich auf einen Vorschlag von C.Hamann, wonach das Stellungsverhalten von AP-internen PPs mit einem negiert-indefiniten Nominalausdruck direkt die Erwartungen bestätige.
2
In der DRT wird das Phänomen über eine Zugänglichkeitsbedingung modelliert, die verhindert, daß ein Pronomen mit einem Diskursreferenten in einer relativ zur DRS des Pronomens eingeschachtelten DRS assoziiert wird!
Haider
14 (16)
a. weil Peter mit nichts zufrieden ist [ambig] b. weil Peter zufrieden mit nichts ist [keine Satznegation] c. weil Peter zufrieden ist mit nichts [keine Satznegation]
Nur in der vorangestellten Version (16a) befinde sich der Negationsausdruck in der Spec-Position, oder in einer Position, von wo aus er diese c-kommandiere. Das sei der Grund, weshalb nur in (16a) der negierte Indefinitausdruck eine Satznegation bewirke. Diese Analyse ist allerdings nicht zwingend. Es reicht die Annahme, daß Satznegation nur dann vorliegen kann, wenn der Negationsausdruck den funktionalen Kopf, der die Ereignisvariable verwaltet, also das finite Verb im finiten Satz, oder das nicht-finite Matrixverb im satzwertigen Infinitiv c-kommandiert. 3 Dies ist die generelle strukturelle Voraussetzung für skopussensitive Elemente. In (16a) ist diese Voraussetzung erfüllt, nicht aber in (16b,c). Der Grund ergibt sich aus dem syntaktischen Kohärenzverhalten. In (17) sind die relevanten Konstituentenstrukturen für (16) angegeben. (17)
a. weil Peter mit nichts [zufrieden ist] b. weil Peter [zufrieden [mit nichts]] ist c. weil Peter [[zufrieden¡ ist] [e¡ [mit nichts]]]
Prädikative APs gehen mit der Kopula eine kohärente Konstruktion ein, das heißt, die Köpfe bilden einen komplexen Kopf und das Komplement des abhängigen Elements wird zum Komplement des komplexen Kopfes (s. Haider 1993, Kap. 9.6). Dies hat zur Folge, daß der Α-Kopf und die Kopula in der syntaktischen Struktur unmittelbar benachbart sind. In (16b) kann folglich nicht die kohärente Struktur vorliegen. Die PP ist in der AP, die vom Adjektiv aufgespannt wird, enthalten, und daher c-kommandiert die PP auch nicht das Finitum. In (16c) ist die PP extraponiert. Die extraponierte Position c-kommandiert aber das Mittelfeld nicht (cf. Haider 1995). Betrachten wir abschließend noch die Frage, wie mehrfach auftretende negiertindefinite Ausdrücke zu behandeln seien. Nach Haegeman (1995:260), gibt es nur einen Negations-Kopf und einen nicht präzisierten Absorbtionsvorgang. Dazu
3
Jacobs (1991:573) formulierte: Wenn Negationsträger als Nicht-Köpfe realisiert werden (etwa als Adjunkte), sollten sie eine Position haben, von der aus das Prädikat in ihrem syntaktischen Bereich liegt.
(Venn die Semantik arbeitet
15
kommt die theorieinterne Annahme, die Haegeman nicht zurückweist, daß quantifizierende Ausdrücke auf LF angehoben werden. (18)
a. Bei diesem Spiel hat keiner nie gewonnen b. Bei diesem Spiel hat nie keiner gewonnen
Die Absorbtionsstruktur würde in Analogie zur Absorbtion des W-Merkmals bei Mehrfachfragen das Negationsmerkmal betreffen. (18a) hätte dann die LF Struktur (19a): (19)
a. b. c. d.
Bei Bei Bei Bei
diesem diesem diesem diesem
Spiel Spiel Spiel Spiel
hat [OP¡ keinerj [N e [ej nie¡ gewonnen]]] hat einer mal gewonnen hat jeder mal gewonnen hat immer wer gewonnen
Die Negationsphrase, deren Kopf phonetisch stumm ist, hat zwei Spezifikatoren. Einer davon wird absorbiert. Dies ist der Leeroperator, der mit nie koindiziert ist und von diesem das Negationsmerkmal abtrennt. Das Ergebnis müßte eine sich aufhebende Negation sein. Ein negiertes Element absorbiert eine Negation, wodurch sich die Negationen löschen. Folglich müßte (18a) mit (19b) paraphrasierbar sein, was nicht der Fall ist.4 Die korrekten negationslosen Paraphrasen fur (18a,b) sind aber (19c,d). Sie ergeben sich aus der logischen Äquivalenz zwischen einem negierten Existenzquantor bei nicht-negiertem Prädikat Ρ und einem Allquantor mit negiertem Prädikat P. Wenn dieses negierte Prädikat komplex ist und wiederum einen negierten Quantor enhält, so heben sich die Negationen auf. Da Absorbtion nicht die richtige Analyse für Sätze mit mehr als einem Negationsausdruck liefert, muß in Haegemans System angenommen werden, daß es mehrere Negations-Köpfe gibt. Wo diese zu verorten seien, ist aber ungeklärt. Unerklärt bleibt in jedem Fall, wie es kommt, daß negierte Indefinit-NPs an Stellen auftreten, an denen die Negation mit Partikel ungrammatisch wäre (vgl. 8c,d 4
Absorbtion eines formalen NEG-Merkmals, im Unterschied zu einem semantisch wirksamen wie in diesen Beispielen, ließe sich für Sprachen mit "negative-concord" motivieren. In diesen Sprachen treten alle indefiniten NPs im Skopus eines negierten Indefinitausdrucks in negierter Form auf. Dies gilt fur viele deutsche Dialekte: i)
I hob nu nia nix gsogt 'Ich habe noch nie nichts gesagt' Ich habe noch nie etwas gesagt
Haider
16
und 10). Dies kann nicht mit Rekurs auf Scrambling erklärt werden, denn negierte Indefinit-NPs sind in den unumstrittenen Fällen resistent gegen Scrambling.5 In unmittelbare Schwierigkeiten gerät der Haegemansche Vorschlag auch mit den Lizenzierungsbedingungen für Polaritätsausdrücke. Im Englischen ist der Determinator any ein Polaritätsausdruck. Er tritt im c-Kommando-Bereich von Negation auf. (20)
a. b. c. d.
I gave no one anything I did not give anyone anything * I gave anyone nothing No one gave her anything
Wenn, wie Haegeman annimmt, in jedem der Sätze in (20) ein Negationskopf vorliegt, der die VP einschließt, und dessen Spec zumindest auf LF den Negationsausdruck oder, falls dieser als Quantor angehoben wurde, wenigstens dessen Spur beherbergt, ist es unklar, weshalb in (20c) der Polaritätsausdruck nicht lizenziert sein sollte. So wie in (20a,b,d) müßte ein stummer Neg-Kopf vorhanden sein, der das Auftreten von any legitimiert. Der Kontrast zwischen (20a) und (20c) ist dabei entscheidend: Wenn in (20a) der stumme Neg-Kopf, der sich vor der VP befinden müßte, die Lizenzierung von any leistet, dann muß er es auch in (20c) vermögen, unabhängig von der s-strukturellen Position des auf LF in die Spec-Position anzuhebenden NEG-Operators. Offensichtlich spielt aber nicht die stumme Kopf-Position sondern die s-strukturelle Position der negierten IndefinitNP die entscheidende Rolle (vgl. Barss-Lasnik 1986, Haider 1993:21). Sie muß den Polaritätsausdruck c-kommandieren. Anhebung der negierten NP auf LF, sei es nach Spec-Neg oder infolge von Quantorenanhebung an die Satzspitze liefert nicht die empirisch adequaten Lizenzierungskontexte. Die Annahme eines stummen funktionalen Kopfes für die Negation ist daher nicht gerechtfertigt. Wie unterscheidet sich die autonom-syntaktische Analyse von der LF-Analyse? Sie geht davon aus, daß bei der Konstruktion der semantischen Repräsentation der Abbildungsalgorithmus lediglich strukturelle syntaktische Verhältnisse zu berücksichtigen hat, also die Positionen auf der S-Struktur. Er bildet beispielsweise
5
Indefinite NPs in einer Scramblingposition sind marginal bis unakzeptabel, während die Abfolgen mit einer negierten Indefinit-NP vor anderen indefinit NPs untadelig sind: a. daß diesen Satz/* nichts, jemand/Max e¡ gesagt hat b. daß zu dieser Stunde/*nie der Teufel/ein Engel schläft
Wenn die Semantik arbeitet
17
die c-Kommando-Verhältnisse auf die Skopusverhältnisse ab. Daraus ergeben sich die Unterschiede in den Lesarten von (18a) und (18b), ebenso wie die Lizenzierungsunterschiede für Polaritätsausdrücke in (20). Ferner genügt es unter der autonom-syntaktischen Perspektive, zwischen Negation mittels Partikel und Negation mittels negierten Indefinitausdrucks zu unterscheiden: (21)
a. weil niemand was gesehen hat b. * weil nicht jemand/einer/Fritz was gesehen hat c. * weil jemand nicht was gesehen hat d. weil jemand was nicht gesehen hat
Die von der Negationspartikel c-kommandierte Domäne wird als negierte Domäne abgebildet. Eine negierte Indefit-NP ist syntaktisch ein phrasales Element und semantisch ein negierter Quantor. Sein c-Kommandobereich ist der Bereich eines Quantors. Die negierten Indefinita werden direkt auf negierte Quantoren abgebildet und nicht als Ergebnis der Inkorporation von Negation in eine indefinite DP CNegationsverschmelzung'). Die Negation mittels Partikel erzeugt hingegen ein negiertes Prädikat. Daraus erklärt sich der Kontrast zwischen Indefinitpronomina im Skopus eines negierten Quantors (21a) und Indefinitpronomina im Skopus einer Negationspartikel (21b,c). In der LF-Analyse würde in beiden Fällen unterschiedslos ein Negationskopf vorliegen. Die Äquivalenz zwischen einem Satz mit Partikelnegation und einem Satz mit einem negierten Quantor ergibt sich dann, wenn der Quantor jenes Verb c-kommandiert, das den Exponenten der funktionalen Merkmale des Satzes repräsentiert, also das finite Verb im finiten Satz, beziehungsweise dessen Spur, oder das funktional markierte infinite Verb im satzwertigen Infinitiv. In (22c) liegt daher im Unterschied zu (22d) nicht Satz-, sondern Konstituentennegation vor. (22)
a. daß er keinen groben Fehler tolerierte b. Er nahm sich vor, keinen groben Fehler zu tolerieren c. [Keinen groben Fehler toleriert] hat er d. [Einen groben Fehler toleriert] hat er nicht e. Er würde sich nicht [neben einen heißen Ofen] stellen f. ? Er würde sich [neben [keinen heißen Ofen]] stellen
Wie (22e) im Vergleich zu (21b) zeigt, gibt es allerdings keine semantisch bedingte, generelle Ausschlußbedingung für indefinite NPs im Skopus der Negationspartikel. In (22e) ist die Partikel-Negation bevorzugt, weil die PP-inteme indéfini-
18
Haider
te NP das finite Verb nicht c-kommandiert und die PP kein subkategorisiertes Präpositionalobjekt ist. Die Bevorzugung der negierten Indefinita gegenüber der Negation mit Partikeln ergibt sich aus dem Zusammenwirken syntaktischer und semantischer Bedingungen. Es ist eine semantische Eigenschaft, daß indefinite NPs, die außerhalb des Skopus der Negation liegen, nicht existentiell quantifiziert interpretiert werden können, sondern als spezifisch oder generiseli (cf. 23a). Hingegen scheint es eine syntaktische Bedingung zu sein, daß die Negationspartikel die minimale Konstituente selegiert, die den zu c-kommandierenden Kopf enthält. Soll gleichzeitig eine indefinite NP im Skopus liegen und die Partikel die minimale Konstituente c-kommandieren, dann ist weder (23a) noch (23b) eine geeignete Struktur für Satznegation. Es bleibt daher nur die Möglichkeit (23c). (23)
a. daß er Bücher/ein Buch nicht gelesen hat b. daß er [nicht das Buch/Bücher] gelesen hat c. daß er kein Buch gelesen hat.
An diesem Punkt ist ein Blick auf VO-Sprachen instruktiv. In diesen Sprachen, so wie in OV-Sprachen auch, wird das Verb nur dann von der Negation c-kommandiert, wenn diese vorangeht. Wegen der VP-initialen Stellung des Verbs in OV-Sprachen ist die minimale Konstituente stets auch die maximale, nämlich die gesamte VP (vgl. 24a). Überdies werden die Finitmerkmale nicht wie im Deutschen (vgl. 24b; Haider 1993:59-64) innerhalb der VP, sondern an einer funktionalen Position außerhalb der VP verwaltet. Dies hat zur Folge, daß es auch dadurch verursachte Beschränkungen für das Auftreten von negierten IndefinitNPs gibt. In skandinavischen Sprachen, wie das dänische Beispiel (24c) veranschaulicht, muß eine negierte Indefinit-NP angehoben werden (vgl. Zinsmeister 1994). Nur so ist gewährleistet, daß das finite Verb im c-Kommandobereich der negierten DP liegt: (24)
a. He hasj not [VP e¡ [committed the crime]] b. Er hat¡ [das Verbrechen nicht begangen e¡] c. Han har [arvet nogle penge], men jeg ha η [ingen (penge), [ej [arvet e¡]]] 'er hat geerbt etwas Geld, aber ich habe kein Geld geerbt'
Die negierte Phrase muß vorangestellt werden. Für nichtnegierte Phrasen ist diese Umstellung ungrammatisch: Das Objekt im ersten Konjunkt von (24c) könnte nur unter Verlust der Grammatikalität umgestellt werden. Wird die negierte Phrase nicht vorangestellt ist weder die Interpretation als Satznegation noch die als Kon-
Wenn die Semantik arbeitet
19
stituentennegation möglich. Dies ist ein Indiz dafür, daß die semantische Interpretation der syntaktischen Strukturierung und den von ihr vorgegebenen Skopusdomänen unmittelbar folgt. Die im folgenden Abschnitt zu beschreibende Verteilung von Modalpartikeln zeigt im Vergleich mit der Negationspartikel, daß es deutliche syntaktische Gemeinsamkeiten unter den Partikeln gibt.
3
Modalpartikeln
Die Eingangsfrage, abgewandelt auf die Partikeln lautet: Ist die Position der Modalpartikeln in der syntaktischen Struktur semantisch determiniert oder determiniert die syntaktische Positon die Interpretation? Diesing (1992:31) behauptet, die Modalpartikeln - wie z.B. ja, denn, doch, eben etc. - markieren den linken Rand der VP und teilen den Satz somit in den VP-Bereich rechts von der Partikel und den Bereich der IP über der VP links von der Partikel. Daran knüpft sie eine Abbildungshypothese fur die Semantikkonstruktion: Wann immer in der Konstruktion der Diskursräpresentation (Kamp & Reyle 1993) eine Aufspaltung in Restriktor und Nuclear Scope auftritt, werde die VP auf den Nucelar Scope abgebildet. Damit ist zwar nicht gesagt, daß die Syntax speziell fur semantische Zwecke eine spezifische Partitionierung bereitstellt, wohl aber, daß die Partikeln eine spezielle syntaktische Domäne für semantische Zwecke markieren. Die autonom-syntaktische Sichtweise ist hingegen folgende: Modalpartikeln treten in für Partikeln syntaktisch zulässigen Positionen auf. Ihr jeweiliger c-Kommandobereich ist es, der die Partitionierung ergibt. Die Partikel markiert keine spezifische Konstituente. Als unabhängige Evidenz fur ihre Annahme zieht Diesing (1992:32) Daten mit was^/wr-Spaltung heran. Den Kontrast zwischen (25a) und (25b) erklärt sie als CED-Effekt:6 Extraktion aus nicht streng regierten Phrasen ist ungrammatisch und die Position außerhalb des VP-Bereichs ist nicht streng regiert. (25)
6
a. b.
Was, haben denn [e, für Ameisen] einen Postbeamten gebissen * Was haben [e¡ fiir Ameisen] denn einen Postbeamten gebissen
CED = condition on extraction domains (Huang 1982): No constituent may be extracted out of a domain which is not properly governed. 'Proper government' ist dann gegeben, wenn die betreffende Konstituente durch einen lexikalischen Kopf, wie z.B. das Veib in der VP, regiert wird.
20
Haider
Sie übersieht dabei aber, daß der Kontrast in (25) einen anderen Grund haben muß, da Extraktion aus eingebetteten Sätzen, unabhängig von der relativen Position zur Partikel stets möglich ist. CED kann somit nicht der Grund sein (cf. Haider 1993:231): (26)
a. b.
Wen, hat man [e, zu befragen] denn damals beabsichtigt? Ihn, hat man [e¡ zu befragen] ja damals nicht beabsichtigt
Der Grund für den Kontrast in (25) ist, was Diesing außer acht läßt, unabhängig von Extraktion. Es ist derselbe, wie der in (27): W-Ausdrücke treten im Mittelfeld nicht vor die Modalpartikel. Diese Eigenschaft teilen sie mit den indefinit interpretierten W-Ausdrücken (vgl. 28a,b; 28c,d). (27)
a. b.
* Wer sucht was für einen Postbeamten/wen denn ? Wer sucht denn was fiir einen Postbeamten/wen ?
(28)
a. b.
Hat er denn wen gesehen? * Hat er wen denn gesehen?
c. Er hat ja wen gesehen d. *Er hat wen ja gesehen
Wenden wir uns nun kurz dem syntaktischen Verhalten der Partikeln zu. Bemerkenswert ist die Korrespondenz im Stellungsverhalten mit dem der vorangestellten Negation. Die Partikel kann die Mittelfeldspitze nur dann einnehmen, wenn es kein vorangestelltes Pronomen gibt (vgl. dazu auch Thurmair 1989:291f.), das die Wackernagelposition einnehmen muß. In dieser Eigenschaft unterscheiden sich Personalpronomina und Demonstrativpronomina (vgl. 29a,d und 29c,f) (29)
a. b. c.
* Hat denn sich wer gemeldet? Hat sich denn wer gemeldet? Hat denn das wer gemeldet?
d. *Es hat ja sich wer gemeldet e. Es hat sich ja wer gemeldet f. Es hat ja das auch wer gemeldet
Ferner ist festzuhalten, daß die Modalpartikeln nicht im Skopus der Negation auftreten (cf. Reis 1977:40). Ob der relevante Faktor eine Eigenschaft der Partikel oder der Negationsausdrücke ist, bleibt noch zu klären. Auf eine semantische Restriktion deutet der Umstand hin, daß auch negierte Indefinit-NPs nicht im Skopus der Partikeln zulässig sind (vgl. (30b,f)· (30)
a. Hat er denn nichts gesagt? b.* Hat er nichts denn gesagt? c. Kann er denn nicht kommen? d. * Kann er nicht denn kommen?
e. Er hat ja nichts gesagt f. * Er hat nichts ja gesagt g. Er kann ja nicht kommen h. * Er kann nicht ja kommen
Wenn die Semantik arbeitet
21
Besonders problematisch für Diesing ist, daß Satzadverbien nach einer Modalpartikel auftreten können, da sie annimmt, daß Satzadverbien ebenso wie die Partikel außerhalb der VP positioniert werden müssen. (31)
a. Er hat ja den Hund leider/bedauerlicherweise einschläfern müssen b. Sie hat ihn doch damals glücklicherweise sitzen lassen
Pro Satz können auch mehrere Modalpartikel auftreten, und zwar nebeneinander oder in Distanz. Die Abfolgerestriktionen für W-Ausdrücke oder negierte Ausdrücke werden nicht tangiert. Diesing muß für diesen Fall annehmen, daß die Elemente, die zwischen den Modalpartikeln auftreten, durch Scrambling dorthin gelangt sind. (32)
a. Er hat ja der Frau doch die Tasche wohl nicht wieder entrissen b. Er hat ja doch wohl der Frau die Tasche nicht wieder entrissen
Die Scrambling-Annahme ist allerdings dann problematisch, wenn die Partikeln zwischen Phrasen treten, die sich als platzfest erweisen. Wenn (32a) das Ergebnis von Scrambling in (32b) ist, dann sollten sowohl (33a) als auch (33b) so marginal sein wie (33d). Dies ist die Scramblingvariante von (33c). Tatsächlich verhält sich aber (33a) wie (33c) und (33b) wie (33d). Dies deutet darauf hin, daß in (32a) und (33a) Scrambling nicht gegeben ist. Vielmehr treten die Partikeln zwischen die Nominalausdrücke. (33)
a. Er hat ja unsere Kinder doch dieser Gefahr wohl nicht unnötig ausgesetzt b.? Er hat ja dieser Gefahr doch unsere Kinder wohl nicht unnötig ausgesetzt c. Er hat unsere Kinder dieser Gefahr ausgesetzt d.? Er hat dieser Gefahr unsere Kinder ausgesetzt
Kehren wir nun zur Frage zurück, weshalb negierte Indefinita nicht außerhalb des Skopus der Modalpartikeln im Mittelfeld auftreten. Es zeigt sich, daß dies eine Frage nach der Interpretation von Indefinita schlechthin ist: (34)
a. b. c. d. e. f.
Er hat ja/eh einen Fehler gefunden [ambig: spezifisch/unspezifisch] Er hat einen Fehler ja/eh gefunden [spezifisch] Er hat ja/eh keinen Fehler gefunden * Er hat keinen Fehler ja/eh gefunden Er würde ein Buch über Syntax ja/eh nicht freiwillig lesen * Er würde kein Buch über Syntax ja/eh freiwillig lesen
Haider
22
Die Unakzeptabilität von (34d,f) rührt, wie schon Diesing feststellte, daher, daß indefinite NPs, die nicht im Skopus der Partikeln auftreten, spezifisch interpretiert werden. Dies ergibt sich aus der Funktion einer Partikel wie in (34), die das Mittelfeld in den präsupponierten und den assertierten Abschnitt spaltet. Eine indefinite NP vor der Partikel wird daher spezifisch, wie in (34b), oder generiseli, wie in (34e), interpretiert. Ein negiertes Indefinitum vor der Partikel verträgt sich nicht mit der Präsupposition. Die Präsupposition von (34d) ist, daß er etwas gefunden hat. Die negierte indefinite NP denotiert aber keinen Individuenterm. Diesing hat recht mit der Annahme, daß der Abschnitt vor der Partikel auf den Restriktor und der Abschnitt nach der Partikel auf den Nuclear Scope abgebildet wird. Nicht erforderlich aber ist die Annahme, daß die Partikel deswegen an genau eine strukturelle Position im Mittelfeld geknüpft sei. Wo immer sie im Mittelfeld auftritt, liefert sie eine fur die semantische Eingabe verwertbare Aufspaltung des Satzes in zwei Bereiche.
4
Adverbialpositionierung
Die Ausgangsfrage ist wieder dieselbe: Gibt es fixe, inhärent semantisch bestimmte syntaktische Positionen für Adverbiale oder bestimmt die Syntax lediglich, was eine strukturell zulässige Position für ein Adverbial ist? Die Abfolgerestriktionen für Adverbiale sind im ersten Fall syntaktisch determiniert, im zweiten Fall semantisch. Cinque (1995) vertritt die erstere Position. Es gibt in der von ihm vorgeschlagenen Struktur eines Satzes ein Gerüst von funktionalen Köpfen, die in ihren Spec-Positionen die jeweiligen Adverbiale aufnehmen: (35)
a. Er hat es wohl jetzt vielleicht schon heimlich zur Gänze verspielt b. ... [wohl [F, [jetzt [F 2 [vielleicht [F 3 [schon [F, [heimlich [F 5 [zur Gänze [F 6 [...
Die funktionalen Köpfe, die in (35b) der Einfachheit halber durch numerische Indizes unterschieden sind, werden bei Cinque semantisch gedeutet, indem ihnen jeweils eine inhärente semantische Funktion zugeordnet wird (z.B. Evaluation, Modus, sprechzeitbezogen, ereigniszeitbezogen, Aspekt, etc.). Die generelle relative Abfolge der funktionalen Köpfe scheint semantisch determiniert zu sein, da einzelsprachliche Variation nur bei wenigen Elementen auftritt:
Wenn die Semantik arbeitet (36)
a. b. c. d. e. f.
23
Hanno rimesso completamente tutto a posto Sie haben alles völlig in Ordnung gebracht Hanno sempre completamente perso la testa Sie haben immer völlig den Kopf verloren Hanno fatto tutto bene Sie haben alles gut gemacht
Die relative Abfolge zwischen den hervorgehobenen Elementen ist jeweils die einzig zulässige. Deutsch unterscheidet sich allerdings von Italienisch in der Abfolge des Adverbs und des quantifizierten Objekts tutto, wenn das Adverb sich auf den Umfang der vom Quantor bezeichneten Menge bezieht (vgl. 36a,b). Diese Unterschiede beruhen allerdings auf kategorialen Unterschieden. Im Deutschen ist der Ausdruck alles ein Nominalausdruck, im Italienischen kann tatto auch als Adverbial gebraucht werden. Die übereinzelsprachlich einheitlichen Abfolgen sind Reflex der Organisation der semantisch-konzeptuellen Strukturierung. Wenn Variation möglich ist, stellt man Skopuseffekte fest. In der autonom-syntaktischen Betrachtungsweise ist das gleichzeitig die Beschreibung des Phänomens. In einer Analyse, wie Cinque sie vorschlägt, muß das jeweilige Adverb als Spezifikatorelement von unterschiedlichen Kopfpositionen auftreten können. Das impliziert aber, daß es keine inhärent semantisch bedingte fixe Kopf-Spezifikator-Relation gibt. Will man an der engen Relation zwischen Kopf und Spezifikator festhalten, muß man entweder annehmen, daß die alternativ serialisierten Adverbien kategorial verschieden sind und je nach Typ zu jeweils anderen Spec-Positionen gehören, oder man muß Scrambling von Adverbien zulassen. Für beide Annahmen fehlt eine empirische Rechtfertigung. (37)
a. b. c. d.
Er hat ja Er hat ja Er hat ja Er hat ja
erwartungsgemäß nie wirklich oft völlig nüchtern das Lokal oft erwartungsgemäß nie wirklich völlig nüchtern das Lokal wirklich oft nie erwartungsgemäß völlig nüchtern das Lokal wirklich oft das Lokal nie erwartungsgemäß völlig nüchtcrn
verlassen verlassen verlassen verlassen
In (37a) können die Adverbien, die dem Adverb völlig vorangehen in beliebiger Abfolge auftreten. Drei dieser alternativen Abfolgen sind in (37b,c,d) angegeben. Überdies kann das Objekt zwischen jedes der permutierbaren Adverbien treten. Dies zeigt, daß es bei fixer zugrunde liegender Abfolge einen Scramblingprozeß geben muß, oder daß es keine fixe Abfolge gibt. Diese Frage ließe sich durch einen Vergleich von Sprachen, die Scrambling nicht zulassen, klären.
24
Haider
Problematisch fur die Annahme, daß es ein fixes Gerüst von adverbhaltigen funktionalen Projektionen über der VP gibt, ist auch die VP-Topikalisierung. Die funktionalen Köpfe dieser Projektionen müßten vom finiten Verb durchlaufen werden, da ein Kopfelement bei Verschiebung keine Kopfpositionen auf der Projektionslinie überspringen darf. Da eine topikalisierte VP aber die Extraktionslükke des Finitums nicht enthalten darf, müssen die Adverbien, die mit der VP topikalisiert sind, in einer anderen Projektion enthalten sein, als die, die im Mittelfeld verbleiben und das Finitum modifizieren: (38)
a. [Auf Dauer wirklich völlig beseitigt] hat man es damit ja selten b. [Wirklich völlig beseitigt] hat man es damit ja selten auf Dauer c. [Völlig beseitigt] hat man es damit ja selten wirklich auf Dauer
Es ist aber empirisch nicht gerechtfertigt, anzunehmen, daß es tatsächlich zulässig sei, in einem Satz sowohl über der VP des Hauptverbs als auch über der Projektion des Auxiliars jeweils das komplette Raster von funktionalen AdverbialProjektionen zu entfalten. Das würde zu einer Verdopplung der meisten SpecPositionen fuhren, deren simultane Besetzung allerdings nicht zulässig wäre. In der autonom-strukturellen Behandlung der Adverbialpositionierung genügt es, in der Satzstruktur der gegebenen Sprache die Positionen, an denen überhaupt ein Adverb auftreten kann, zu bestimmen. Wie (39) illustriert, gibt es im Englischen mindestens vier Positionen fur Adverbiale, nämlich an der Satzspitze, vor der Finitposition, zwischen Finitposition und VP und in der VP. 7 Die Semantikkonstruktion reagiert auf diese positionellen Unterschiede. In (39d) ist ausschließlich die Interpretation als VP-Modifikator möglich: Der beschriebene Vorgang fand x-mal statt. In der Interpretation von (39a,b,c) hingegen wird über instantiierte Situationen quantifiziert. Die Adverbien werden als satzmodifizierend interpretiert: Es gab x-mal eine Situation der beschriebenen Art.
7
Die Positionierung im Satzinneren, also zwischen dem Subjekt und der Finitposition oder zwischen der Finitposition und der VP-Grenze, unterliegt bisher noch nicht völlig verstandenen Restriktionen. So treten an diesen Stellen beispielsweise keine komplexen Adverbien auf. Dies wäre allerdings für Spec-Positionen untypisch: a. He often falls asleep b.* He every day falls asleep
c. He often has fallen asleep d.* He every day has fallen asleep
Wenn die Semantik arbeitet (39)
a. b. c. d.
25
Rarely/often/seldom/occasionally, my friends have helped me My friends rarely/often/seldom/occasionally have helped me My friends have rarely/often/seldom/occasionally helped me My friends have helped me rarely/often/seldom/occasionally
Die Interpretationsunterschiede korrelieren direkt mit den jeweiligen c-Kommandobereichen. Ist die Finitposition (cf. 39a,b) oder eine Spur des Verbs (cf. 39c), das an die Finitposition angehoben ist,8 im c-Kommandobereich des Adverbiale, quantifiziert das Adverb über die Ereignisinstantiierungen. Wenn das Adverbial bloß das Verb, nicht aber die Finitposition oder die Spur des finiten Verbs c-kommandiert, wird über den vom Verb denotierten Ereignistyp quantifiziert. Dieser strukturelle Unterschied reicht aus, um die Semantikkonstruktion zu steuern. Die Syntax determiniert je nach den Gegebenheiten der einzelsprachlichen Parameter der Satzstruktur die potentiellen Positionen fur Adverbien schlechthin. Diese werden an den in Frage kommenden Positionen in die Struktur eingefugt. Daß die unterschiedlichen Stellungsmöglichkeiten für ein bestimmtes Adverb nicht als Resultat von Verschiebungen zu deuten sind, belegt folgender Kontrast deutlich: (40)
a. He treated her politely - Er behandelte sie höflich b. Politely, he treated her - Höflicherweise lud er sie ein
Im Englischen selegiert das Verb treat in der Bedeutung behandeln so wie im Deutschen ein Modaladverbial. Wie der Kontrast in (40) belegt, kann die Spitzenstellung nicht als Ergebnis der Voranstellung gedeutet werden. Die Spitzenstellung ist nur mit der Interpretation als Satzadverbial kompatibel. Deswegen ist (40b) nicht als Paraphrase von (40a) interpretierbar. Für die Analyse, die Cinque vorschlägt, impliziert dies, daß Adverbiale im Englischen als systematisch ambig gelten müssen. Die einzelnen Lesarten sind mit spezifischen Spec-Positionen gekoppelt, deren Köpfe die Besetzung der Spec-Position steuern. Die Adverbien
8
Ein Verb, das in eine funktionale Kopfposition umgestellt wird, bleibt im Skopus eines anderen Elements, wenn dieses die Ausgangsposition c-kommandiert. Dies läßt sich auch anhand der Negation verifizieren: a. b. c.
My friends have¡ [rarely [VP e¡ [VP helped me]]] (=39c) My friends would* never [e¡ [help me]] Meine Freunde durften; mir nicht helfen e.
Haider
26
müssen so viele unterschiedliche selegierbare Merkmale aufweisen, wie es unterschiedliche Spec-Positionen gibt. Da die Adverbialposition in dieser Sichtweise letztlich von der Erfüllung einer Selektionsbeziehung abhängt, müssen die Adverbien im Lexikoneintrag mit einer Menge alternativer Selektionsmerkmale ausgestattet sein. Dies kommt einer redundanten Überspezifizierung gleich. In der autonom-strukturellen Analyse sind die Adverbien hinsichtlich der Positionierung und daher auch hinsichtlich der Interpretation unterspezifiziert. Die Struktur bestimmt lediglich potentielle Adverbialpositionen. Je nach Position wird das Adverbial semantisch entspechend seiner c-Kommandodomäne eingebunden. Die jeweilige Lesart ist eine Funktion der Abbildung der syntaktischen Struktur auf die semantische Struktur. Wenn ein Adverb aufgrund seiner eigenen Semantik mit der aus der Positionierung sich ergebenden Funktion nicht kompatibel ist, ist das Resultat semantisch unakzeptabel: (41)
a. [Freiwillig für ihn eingesprungen] ist ein Debutant b. * [Leider für ihn eingesprungen] ist ein Debutant
Die Interpretation als Satzadverbial ist mit der positioneilen Anforderung verknüpft, daß sich das finite Verb im Skopus des Adverbs befinde. Dies ist in (41b) nicht der Fall. Da leider semantisch mit keiner anderen Funktion kompatibel ist, ist der Satz deviant.
5
Resultat
Ziel der vorangegangenen Diskussion war der vorläufige Nachweis, daß die Schnittstelle von Syntax und Semantik eine strikt modulare ist. Die kompositionelle Semantik wird von der Syntax insofern gesteuert, als die Syntax die hierarchische Strukturierung bereitstellt, inklusive Rekonstruktion über Extraktionsspuren. Die Grammatik ist strikt modular in dem Sinne, daß die Syntax selbst keine inhärent semantisch determinierten Distinktionen bereitstellen muß. Die Grammatik der Negation, der Modalpartikel und der Adverbien läßt sich als Resultat des Zusammenwirkens von autonom-syntaktischen und kompositional-semantischen Faktoren deuten. Die für den LF-Ansatz charakteristische semantisch motivierte Kategorisierung syntaktischer Strukturen ist nicht erforderlich und mitunter empirisch unvorteilhaft.
Wenn die Semantik arbeitet
27
Literatur Barss, Α. & H. Lasnik (1986): A note on Anaphora and Double Objects. In: Linguistic Inquiry 17:347-354. Chomsky, Ν. (1995): The Minimalist Program. In: Cambridge, Mass.: ΜΓΓ Press Cinque, G. (1995): Adverbs and the Universal Hierarchy of Functional Projections. In GLOWNewsletter 34:14-15. Diesing, M. (1992): Indefinites. In: Cambridge, Mass.: MIT Press. Frey, W. (1993): Syntaktische Bedingungen fur die Interpretation. In: Studia Grammatica XXXV. Berlin: Akademie Verlag. Haegeman, L. (1995): The Syntax of Negation. In: Cambridge: Cambridge University Press. Haider, H. (1993): Deutsche Syntax, generativ. In: Vorstudien zur Theorie einer projektiven Grammatik. Tübingen: Narr. — (1995): Extraposition. (Im Druck in: H. v. Riemsdijk & D. LeBIanc eds. Rightward Movement) Hornstein, N. (1995): Logical Form. In: From GB to Minimalism. Oxford: Blackwell. Huang, C.-T. J. (1982): Logical Relations in Chinese and the Theory of Grammar. PhD. Diss. MIT. Jacobs, J. (1991): Negation. In: A.v.Stechow & D.Wunderlich eds. Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Berlin: de Gruyter, 560-596. Kamp, H. & U.Reyle (1993): From Discourse to Logic I. Dordrecht:Reidel. Pollock, J.-Y. (1989): Verb Movement, Universal Grammar, and the Structure of IP. In: Linguistic Inquiry 20:365-424. Reis, M. (1977): Präsuppositionen und Syntax. Tübingen: Niemeyer. Rizzi, L. (1990): Relativized Minimality. In: Cambridge, Mass.: The MIT Press. Thurmair, M. (1989): Modalpartikeln und Ihre Kombinationen. Tübingen: Niemeyer. Zinsmeister, H. (1994): Die Lizensierung von kein. Magisterschrift, Univ. Stuttgart. Inst, für Linguistik.
Elke Nowak
Über die Organisation komplexer Aussagen
1
Grundannahmen zur Organisation von Sprache
Die Annahme, daß die inhaltliche Gliederung von Aussagen einer strukturierten Form korrespondiert, bildet eine wesentliche Grundlage für alle Theorien über die Sprache. Als primärer Ort dieser Strukturgebung wird allgemein das Syntagma angesehen; Annahmen über seine notwendige und mögliche Form kommt deshalb zentrale Bedeutung zu. Die allgemeine Grammatiktheorie kann daraus nicht nur Entwürfe über mögliche syntaktische Strukturen im allgemeinen ableiten, sondern real existierende Strukturen als Realisierungen dieser Möglichkeiten begreifen und erklären. Dies bildet eine wesentliche Grundlage für den Sprachvergleich und die daraus abgeleitete Formulierung typologisch relevanter Aussagen. Annahmen über die syntaktische Organisation von Aussagen bilden den Ausgangspunkt für weiterführende und speziellere Diskussionen. Die Annahme, die semantischen Grundfiinktionen von Referenz und Prädikation seien im Prinzip verteilt auf unterscheidbare Satzkonstituenten, korrespondiert der Postulierung zweier elementarer lexikalischer Kategorien Ν und V. Der Kategorie V, ihren semantischen Eigenschaften, deren Repräsentation in Form von Argumentrahmen und ihre Realisierung im Satz kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Die Form der Realisierung wird als grundsätzlich hierarchisch, asymmetrisch gedacht. Diese Asymmetrie ist essentiell für die Interpretation der Argumente. Alle Sprachen sollen in einem elementaren Sinn diese Eigenschaften teilen, konkrete Unterschiede werden als Variation, als unterschiedliche Parametrisierung aufgefaßt. Wollte man diese Annahmen auf einen umgangssprachlichen Nenner bringen, so könnte man sagen: alle Sprachen haben Wörter, alle Sprachen unterscheiden Wortklassen, zumindest Nomen und Verben. In allen Sprachen werden Wörter, insbesondere Nomen und Verben nach Regeln zu Aussagen verknüpft. Auch weitergehende lineare und nichtlineare Beziehungsverhältnisse zwischen einzelnen Satzkonstituenten, z.B. Appositionen, Koordinationen, Subordinationen usw., werden als syntaktische Verknüpfungen gedacht. Syntax ist der primäre Ort der Organisation von menschlicher Rede, der Ort sprachlicher Produktivität und Kreativität.
30
Nowak
Wir verstehen Syntax als ein Gewebe von hierarchischen Strukturen, in dem lexikalisch bestimmte Konstituenten in phrasalen Kategorien zusammengefaßt werden. Dabei werden einzelne Konstituenten zu Köpfen dieser Kategorien, die eine Reihe von Erweiterungen bzw. Ergänzungen um sich versammeln, die sie dominieren. Da die einzelnen Phrasen selbst wieder hierarchisch angeordnet sind, ergibt sich ein komplexes Netz von Über- und Unterordnungen, für das die Unterscheidung von obligaten Konstituenten einerseits und fakultativen Konstituenten andererseits wesentlich ist, ebenso wie die Feststellung funktionaler, steuernder Kategorien. Die Gliederung eines Syntagmas in Haupt- und Nebensätze ist für unser Verständnis von "Satzstruktur" zentral; die Ausdrückbarkeit komplexer Sachverhalte scheint davon abzuhängen. Eine Sprache, in der solche komplexen syntaktischen Konfigurationen nicht möglich sind, erscheint als unstrukturiert und arm, defizitär. Zusammenfassend lassen sich folgende Grundannahmen formulieren, die m.E. das Rückgrat der herrschenden Auffassung über die allgemeine und grundsätzliche Organisation von Sprache bilden: 1.
Die Grundoperationen von Referenz und Prädikation werden von unterscheidbaren Satzkonstituenten kodiert. Dem entspricht die Annahme zweier grundlegender lexikalischer Kategorien Ν und V.
2.
Syntax ist der primäre Ort von sprachlicher Produktivität und Kreativität. Hier findet die Verknüfung von Referenz (Argument) und Prädikation zur Proposition statt, ebenso wie die weitergehende Verknüpfung mehrerer Propositionen zu einer komplexen Aussage.
3.
Die Syntax jeder Sprache ist grundsätzlich hierarchisch strukturiert und diese Strukturen sind im wesentlichen gleich. Alle Sprachen teilen, in einem elementaren Sinn, dieselben syntaktischen Grundfunktionen.
4.
Lineare und nicht-lineare Beziehungsverhältnisse zwischen einzelnen Satzkonstituenten werden durch diese syntaktischen Funktionen geregelt.
Die Diskussion über Ergativität 1 kann als eindrucksvolles Beispiel dafür gelten, in welchem Ausmaß diese Annahmen den Ausgangspunkt für jede weiterführende 1
Damit meine ich zunächst die sehr unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffs "Ergativität' im typologisch relevanten Sinn einerseits, zur Charakterisierung semantischer und syntaktischer Eigenschaften einer bestimmten Verbklasse andererseits. Ich werde im folgenden nur auf Ergativität im typologischen Sinn Bezug nehmen.
Über die Organisation komplexer Aussagen
31
Diskussion bilden und sie von Beginn an bestimmen. Dies gilt für die traditionellen Beschreibungsversuche anhand der Begriffe Subjekt und (direktes) Objekt ebenso wie fur Dixons syntaktische Achsen einerseits, seine Annahme universaler semantischer Hierarchien und der daraus resultierenden, syntaktisch-semantisch bestimmten Definition des Begriffs Subjekt andererseits.2 Dies gilt auch und in expliziter Weise fur Ansätze wie den von Marantz (1984), in dem semantischen Eigenschaften des Verbs zentrale Bedeutung und Funktion beigemessen wird, die in systematische Beziehung zu morpho-syntaktischen Eigenschaften gesetzt werden. Gerade diese Korrelation semantischer Merkmale, z.B. in Form von semantischen Rollen3, aber auch als Charakterisierung von Verben nach Aktionsarten4 einerseits mit angenommenen syntaktischen Mustern und strukturell festgelegten morphologischen Markierungen (Kasus) andererseits, bleibt jedoch kontrovers. Die Dekomposition der komplexen Begriffe Subjekt und (direktes) Objekt und die Unterscheidung einer logisch semantischen Ebene, einer syntaktischen und einer morphologischen Ebene gibt ein geeignetes Instrumentarium an die Hand und ermöglicht die differenzierte Beschreibung konkreter Fälle; nicht alle denkbaren Kombinationen lassen sich jedoch nachweisen: syntaktische Ergativität im Sinne von Marantz bleibt ein Gedankenspiel über einer empirisch leeren Klasse.5
2 3
4
5
Vgl. dazu Dixon( 1994). Die Bestimmung der semantischen Eigenschaften von Verben ist vielfach sehr problematisch, insbesondere bei wenig bearbeiteten Sprachen. Die Annahme einer natürlichen Semantik, der zufolge ein Veib wie engl, cut 'schneiden' in allen Sprachen notwendigerweise die gleichen semantischen Eigenschaften haben muß und sich entsprechend natürliche Klassen bilden lassen, scheint mir recht direkt und weitgehend zu sein. Vgl. dazu etwa Dixon (1994:134ft). Rückschlüsse auf die semantischen Eigenschaften können in diesen Fällen, in denen nicht auf die theoretisch reflektierte Kompetenz eines Muttersprachlers zurückgegriffen werden kann, vorrangig über das syntaktische Verhalten der Veiten, ihre Transitivität, Passivierbarkeit etc. gemacht werden. Daß dieses Verfahren zirkulären Charakter hat und außerdem eine direkte Korrespondenz zwischen Semantik und syntaktischer Kodierung voraussetzt, ist offensichtlich. Dabei ist Uber das traditionelle Verständnis des Begriffs Aktionsart hinaus an semantische Charakterisierungen gedacht, die Bezug nehmen auf die Zuweisung semantischer Rollen an nominale Satzglieder und in der Folge auf deren Zugänglichkeit für syntaktische Operationen wie Passivierung, Antipassivierung oder Kausativierung. Zu einer detalierten Diskussion vgl. Nowak (1996). Syntaktische Ergativität im Marantischen Sinn sieht eine Defaultstruktur vor, in der dem externen Argument eine semantische Rolle zugewiesen wird, die Nicht-Agens ist, während das Verb dem internen Argument die semantische Rolle Agens zuweist. Daß die semantische Rolle Agens nach genau definierten syntaktischen Operationen wie etwa Passivierung ebenso genau festgelegten obliquen Objekten zugewiesen werden kann, bleibt davon unberührt.
Nowak
32
Daraus ergeben sich spontan zwei Folgerungen: (a) Aus typologischer Sicht ist festzustellen, daß die Korrelation der semantischen Rolle Agens mit der syntaktischen Position des internen Arguments (direktes Objekt) empirisch nicht belegt ist. Geht man davon aus, daß syntaktische Positionen asymmetrisch, also hierarchisch geordnet sind und daß semantische Rollen nicht arbiträr diesen Positionen zugewiesen werden, sondern ebenfalls eine Hierarchie aufweisen, so kann daraus gefolgert werden, daß die theoretisch mögliche Zuweisung der Agensrolle durch das Verb an eine strukturelle syntaktische Position, die nicht die hierarchiehöchste ist, offenbar zu einer Kollision der semantischen Rolle mit syntaktischen Hierarchien fuhrt und deshalb nicht stattfindet. (b) Daraus folgt, daß die real existierenden syntaktischen, morphologischen und semantischen Eigenschaften und ihre spezifische Korrelation für einige Sprachen nicht harmonisch beschrieben werden können. Ein Beispiel dafür ist Inuktitut (Eskimo). Ich möchte es bei diesem Hinweis auf die m.E. nach wie vor unbefriedigende Erklärung von Ergativität zunächst belassen und auf ein Teilproblem, wie es zunächst scheinen mag, eingehen. Ich werde dann zeigen, daß dieses Teilproblem unter einem veränderten Wahrnehmungswinkel zum Indikator dafür wird, daß die oben formulierten Grundlagen keineswegs als verbürgt gelten können. Der Verzicht auf eine oder mehrere der oben genannten Grundannahmen führt zu einem Lösungsansatz, in dem die eingangs erwähnte intime Beziehung zwischen der semantischen Organisation der Aussage (Referenz und Prädikation) und ihrer syntaktischen Kodierung in asymmetrischen Anordnungen von distinkten, lexikalisch bestimmten Konstituenten aufgehoben wird.
2
Der Testfall: Ergativität
In der Ergativitätsdiskussion dient die Frage, ob die mit dem absoluten Kasus markierte Nominalphrase oder die mit dem ergativen Kasus markierte Nominalphrase für Relativsatzbildung zugänglich ist, zur Bestimmung des Subjektes, also der hierarchiehöchsten Nominalphrase, und damit zur Bestimmung dessen, ob eine Sprache morphologisch oder syntaktisch ergativ ist. Im Inuktitut, meiner Untersuchungssprache, gibt es potentiell zwei Nominal-
Über die Organisation komplexer Aussagen
33
phrasen, die mit dem sogenannten transitiven Verb 6 kongruieren, wie in (la). Eine Subjekts-Nominalphrase ist deshalb spontan nicht auszumachen. Folglich müssen andere Kriterien zur Bestimmung der hierarchiehöchsten Nominalphrase herangezogen werden; eines dieser Kriterien ist Relativsatzbildung. (la)
angutiup nanuq takuvanga angut(i)-up nanuq-0 taku- -vanga Mann-erg Eisbär-abs seh- 3.sg/3.sg tr "der Mann sieht den Eisbären"
(lb)
angut sinippuq angut-0 sini(k)- -puq Mann-abs schlaf- -3.sg itr "der Mann schläft"
Ich werde zunächst die Satztypen vorstellen, die in der Literatur als 'Relativsätze' diskutiert werden. Dann werde ich auf andere syntaktische Konfigurationen eingehen. Abschließend werde ich versuchen, eine alternative Interpretationslinie zu skizzieren. Sätze des Typs (2) bestehen aus einer einfachen Aneinanderreihung zweier intransitiver Prädikate, (2a) und (2b):
6
(2)
nutaraq aanniaqtuq siniktuq nutaraq-o aanniaq- tuq sinik- -tuq Kind -abs krank -3.sg itr schlaf- -3.sg itr "das Kind, das krank ist, schläft"/ "das kranke Kind schläft"
(2a)
(nutaraq) aanniaqtuq aanniaq-tuq krank -3.sg itr "er/sie ist krank"
Inuktitut wird in der kanadischen Ostarktis gesprochen und gehört zur östlichen EskimoSprachgruppe. Satz (la) ist ein transitiver Satz, d.h. das finite Verb stellt potentiell Kongruenz zu zwei Nominalphrasen her. Satz (lb) ist dagegen ein intransitiver Satz, da das finite Verb hier nur Kongruenz zu einer Nominalphrase herstellt. Die lexikalische Realisierung dieser Nominalphrasen ist optional bzw. diskursabhängig. Die Verwendung traditioneller grammatischer Begriffe wie transitiv oder intransitiv weist im Bezug auf Inuktitut eine eigene Problematik auf, vgl. dazu auch Anmerkung 7 sowie für eine eingehende Diskussion Nowak (1996).
34
Nowak (2b)
(nutaraq) siniktuq sinik-tuq schlaf-3.sg itr "er/sie schläft"
Das Bezugsnomen ist hier die einzig mögliche Nominalphrase unter Kongruenz, die zwangsläufig im absoluten Kasus erscheint, da es sich hier um einen intransitiven Satz handelt. Es ist offensichtlich, daß es sich bei Satz (2) um eine reine Abfolge zweier Prädikate handelt, aanniaqtuq, siniktuq. Es liegt keinerlei Hinweis auf Relativierung oder eine andere Art von Unterordnung vor. (3)
takuvunga nutaramik aanniaqtumik taku- -vunga nutara(q) -mik aaaniaq- -tu(q) -mik seh- l.sg itr Kind -obj. krank -3.sg itr-obj. ich sehe das Kind der/die/das Kranke "ich sehe das Kind, das krank ist"/ "ich sehe das kranke Kind"
(3) ist insofern komplexer, als hier das Objekt, nutararmik, eine Ergänzung erfährt, aanniaqtumik, dabei handelt es sich um eine voll flektierte Verbalform, aanniaqtuq, wie in (2), die nutararmik im Kasus folgt. Fälle wie dieser sind einer der Gründe dafür, für Inuktitut eine Unterdeterminiertheit der lexikalischen Kategorien Ν und V anzunehmen. Beachtenswert ist auch, daß in (3) die 1. Person Singular nicht lexikalisch realisiert ist in Form eines Personalpronomens ("ich"), sondern nur durch die Flexionsendung. Dies ist der Normalfall bei Argumenten der ersten und zweiten Person und gilt auch für Argumente der dritten Person, sofern sie nicht diskursbedingt lexikalisch expliziert werden müssen, etwa bei der Einführung neuer Information. Sätze des Typs (1) - (3) sind die einzigen, die von Muttersprachlern ohne weiteres akzeptiert werden. Diese Sätze sind für die Ergativitätsdiskussion aber vollkommen uninteressant, da in intransitiven Sätzen eine Nominalphrase im ergativen Kasus überhaupt unmöglich ist.7
1
Die Zuweisung des ergativen Kasus ist nur durch transitive Flexion möglich, an ein lexikalisch realisiertes Argument der 3. Person, wie angutiup in (la). Der Ergativ ist insofern strukturell festgelegt. Darüber hinaus ist er jedoch in hohem Maße semantisch determiniert, als Agens oder Possessor. Die Begriffe transitiv bzw. intransitiv werden in der Literatur zu Inuktitut ausschließlich unter Bezug auf das mögliche Kongruenzverhalten im Satz verwendet. Doppelte Kongruenz wie in (la) wird als Transitivität bezeichnet, einfache Kongruenz wie in (lb) als Intransitivität. Ich verwende die beiden Begriffe hier in dieser Tradition, als Charakterisierung der Eigenschaften der beiden strikt unterschiedenen Flexionsparadigmen.
35
Über die Organisation komplexer Aussagen
Satz (4) ist im Vergleich zu (2) und (3) ein komplexerer Satz, da hier ein transitiver Satz, (4a), mit einem intransitiven, (4b), verbunden wird: (4)
iliniaqtitsiji nutaraup takujanga anijuq iliniaqtitsiji -0 nutara(q) -up taku-janga Lehrer -abs Kind -erg seh--3./3.sg tr der Lehrer das Kind es sieht ihn
ani- -juq hinausgeh-3.sg itr (er) geht hinaus
iliniaqtitsiji [nutaraup (iliniaqtitsiji) takujanga] anijuq der Lehrer [das Kind den Lehrer es sieht ihn] geht hinaus "der Lehrer, den das Kind sieht, geht hinaus /das Kind sieht den Lehrer, der hinausgeht" (4a)
nutaraup iliniaqtitsiji takujanga. nutara(q)-up iliniaqtitsiji-o taku- -janga Kind -erg Lehrer -abs seh- -3 .sg/3 .sg tr "das Kind sieht den Lehrer"
(4b)
iliniaqtitsiji anijuq. iliniaqtitsiji -0 ani- -juq Lehrer -abs hinausgeh- -3.sg itr "der Lehrer geht hinaus"
Satz (5) ist der Versuch der Verknüpfung zweier transitiver Sätze (5a) und (5b); theoretisch müßte, da hier alle möglichen Positionen besetzt und auch markiert sind, eine anaphorische Beziehung zwischen den beiden " Lehrern" in (a) und (b) möglich sein: (5)
* iliniaqtitsijiup nutaraq takujanga titirauti nakattanga iliniaqtitsiji -up nutaraq -0 taku- -janga titirauti -0 Lehrer -erg Kind -abs seh- -3.sg/3.sg tr Bleistiñ-abs 3.sg/3.sg tr der Lehrer das Kind er sieht es den Bleistift
nakat- -tanga zerbrech er zerbricht ihn
[iliniaqtitsijiup nutaraq takujanga] [(iliniaqtitsijiup) titirauti nakattanga] der Lehrer sieht das Kind (der Lehrer) zerbricht den Bleistift * "der Lehrer, der das Kind sieht, zerbricht den Bleistift" (5a)
iliniaqtitsijiup nutaraq takujanga iliniaqtitsiji -up nutaraq -0 taku- -janga Lehrer-erg Kind-abs seh--3.sg/3.sgtr "der Lehrer sieht das Kind"
36
Nowak (5b)
iliniaqtitsijiup titirauti nakattanga iliniaqtitsiji -up titirauti -0 nakat- -tanga Lehrer -erg Bleistift -abs zerbrech- -3.sg/3.sg tr "der Lehrer zerbricht den Bleistift"
Dies ist jedoch nicht der Fall, (5) ist ungrammatisch. Anhand von Sätzen wie (5) wird das fur die Ergativitätsdiskussion entscheidende Ergebnis erzielt: die ergative Nominalphrase kann nicht relativiert werden. Dieses Ergebnis wird jedoch entscheidend durch die Tatsache gemindert, daß auch Sätze, die nicht auf eine Relativierung der ergativen Nominalphrase abzielen, aber einen bestimmten Grad von syntaktischer Komplexität aufweisen, ebenfalls zurückgewiesen werden. Sätze des Typs (6) erfüllen theoretisch alle Bedingungen in punkto Indikation von Bezugnahmen und schließen auch nicht den offenkundig unmöglichen Fall der Relativierung einer NPerg ein. Dennoch ist (6) unakzeptabel. (6)
" 7 iliniaqtitsijiup takujangata nutaraup titirauti nakattanga iliniaqtitsiji-up taku-jangata nutara(q)-up titirauti-o nakat- -tanga Lehrer -erg seh--Poss tr, Kind -erg Bleistift-abs zerbrech-3.sg/3 .sg tr 3.sg, erg der Lehrer "sein Sehen - es" das Kind den Bleistift es zerbricht ihn [iliniaqtitsijiup takujanga nutaraq] [nutaraup titirauti nakattanga] der Lehrer sieht das Kind das Kind zerbricht den Bleistsift "der Lehrer sieht das Kind, das den Bleistift zerbricht"
Zwar besser, aber immer noch höchst problematisch ist (7), (wie (4)), ein Satz, der wesentlich weniger syntaktische Komplexität aufweist, da nur eine der beiden VP transitiv ist, die andere dagegen intransitiv und damit gleichzeitig die mögliche Anzahl lexikalisch realisierter und kasusmarkierter Nominalphrasen abnimmt. (7)
7 iliniaqtitsijiup takujanga nutaraq titirautimik nakatsijuq [iliniaqtitsijiup takujanga nutaraq] [nutaraq titirautimik nakatsijuq] iliniaqtitsiji -up taku- -janga nutaraq nutaraq titirauti mik nakat- -si- -juq Lehrer -ergseh- -3.sg/3.sg Kind absKind abs Bleistiftobj zerbrech- -AP3.sg tr itr 7 "der Lehrer sieht das Kind, das den Bleistift zerbricht"
Das eigentliche Ergebnis der Untersuchung ist dieses: Relativsätze spielen im Inuktitut keine Rolle; die Interpretation der akzeptablen Sätze (2) und (3), zweier intransitiver Sätze, als Relativsätze ist keineswegs zwingend und eindeutig begründbar. Alle Konstruktionen, die auf die Verknüpfung einer oder sogar zweier transitiver Formen abzielen, erweisen sich als hochgradig künstlich und sind für
Über die Organisation komplexer Aussagen
37
Muttersprachler unakzeptabel, keineswegs nur der Versuch, eine ergative Nominalphrase zu relativieren. Dies bedeutet zunächst, daß weite Teile der geführten Diskussion sich im fiktiven Bereich bewegen: im Hinblick auf Ergativität werden Daten erzeugt, andere, durchaus bekannte bleiben dagegen unbeachtet. Damit meine ich die fur die weitere Diskussion zentralen Flexionsformen, die in der Literatur unter dem Aspekt "anaphorische Koreferenz" diskutiert werden - ebenfalls ausschließlich unter dem Blickwinkel der Bestimmung von Ergativität. Beachtenswert ist, daß der Relativsatztest und die Untersuchung anaphorischer Koreferenz für die Bestimmung der hierarchiehöchsten Nominalphrase gegensätzliche Ergebnisse erbringen. Während der Relativsatztest die Nominalphrase im absoluten Kasus als hierarchiehöchste ausweist, verweist anaphorische Koreferenz auf die ergative Nominalphrase. Zielrichtung der Untersuchungen war es immer, und dies ist von entscheidender Bedeutung, eine einzige Nominalphrase als hierarchiehöchste zu isolieren. Oder in anderen Worten, im Hintergrund stand immer die Annahme, daß Syntagmen asymmetrisch strukturiert sind, sein müssen. Die Untersuchungsergebnisse weisen dagegen eindeutig in eine andere Richtung. Die Untersuchung von Passiv und Antipassiv, Kongruenz und Kasuszuweisung, Reflexivität und Inkorporation erbrachte ebenfalls kein eindeutiges Ergebnis zugunsten einer der beiden fraglichen Nominalphrasen. Das heißt, daß für diese Sprache zwei "hierarchiehöchste" Nominalphrasen angenommen werden müssen, bzw. daß die Frage unentscheidbar ist und Inuktitut, was die Nominalphrasen unter Kongruenz betrifft, eine symmetrische Struktur aufweist. Weiterfuhrend ist ein Aspekt der oben skizzierten Diskussion, der bisher aufgrund der Festlegung auf eine bestimmte Untersuchungsrichtung überhaupt nicht in den Blick geriet: im Inuktitut sind Relativsätze, wenn man sie denn so nennen will, nur in der elementarsten Form möglich, wie in (2) und (3). Dies bedeutet allerdings nicht, daß in dieser Sprache komplexe Aussagen nicht möglich sind. Alle komplexeren syntagmatischen Fügungen werden durch die Herstellung bzw. Nicht-Herstellung sogenannter anaphorischer Koreferenz bewerkstelligt; dies geschieht ausschließlich durch Flexive. Die Sätze (8) und (9) wurden von den Informanten sofort als die "korrekten Alternativen" zu den abgelehnten Sätzen (5) - (7) ins Spiel gebracht: (8)
angutiup iliniaqtitsiji takujanga titirautimik nakatsitsuni anguti -up iliniaqtitsiji -o taku- -janga Mann -erg Lehrer -abs seh- -3.sg/3.sgtr der Mann den Lehrer er sieht ihn
38
Nowak titirauti -mik nakat- -si-tsuni Bleistift -obj zerbrech- -Antipass. -3.sg Part itr den Bleistift er (der Mann) zerbrechend "der Mann, den Bleistift zerbrechend, sieht den Lehrer " "der Mann, der den Bleistift zerbricht, sieht den Lehrer"
Entscheidend ist, daß in (8) im Unterschied zu (5) - (7) nicht zwei Verbalkomplexe im Indikativ in Beziehung gesetzt werden sollen. Für die Herstellung von Koreferenz zwischen mehreren Verbalkomplexen stehen im Inuktitut spezielle Flexionsparadigmen zur Verfugung. Die Flexionsendung suni stellt eine solche Koreferenzbeziehung her, und zwar bei intransitiven Sätzen zur einzig möglichen Nominalphrase unter Kongruenz8, bei transitiven Matrixsätzen immer zur ergativen Nominalphrase. Es ist deshalb vollkommen eindeutig, daß es der Mann ist, der den Bleistift zerbricht, und nicht der Lehrer. Da ja durchaus nicht immer nur Koreferenzen zum Ausdruck gebracht werden sollen, können ebenso disjunkte Relationen klar gemacht werden: (9)
angutiup iliniaqtitsiji takujanga titirautimik nakatsitilugu anguti -up iliniaqtitsiji -o taku- -janga Mann -erg Lehrer -abs seh- -3.sg/3.sgtr der Mann den Lehrer er sieht ihn titirauti -mik nakat- -si-tilugu Bleistift -obj zerbrech- -Antipass. -4.sg Part itr den Bleistift er (der Lehrer) zerbrechend "der Mann sieht den Lehrer den Bleistift zerbrechen. " "der Mann sieht den Lehrer, der den Bleistift zerbricht"
Aufgrund des Flexivs -tilugu kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß es in (9) nicht der Mann ist, der den Bleistift zerbricht. Wahrscheinlich ist es der Lehrer, aber es könnte auch eine andere, aus dem Kontext bekannte Person sein. Der Grund für die Uninterpretierbarkeit der Sätze (5) - (7) liegt ganz offensichtlich darin, daß hier mehrere Verbalkomplexe in einem Matrixmodus einander folgen9. In den Flexiven dieser Modi ist aber keine Angabe über eventuelle Koreferenzen/Beziehungsverhältnisse zu den anderen Verbalkomplexen enthalten. Die Beziehung eines finiten Verbalkomplexes zu lexikalisch realisierten Nominalphrasen, wenn denn solche vorhanden sind, ist zwar im einfachen Satz klar er8 9
Diese ist durch den absoluten Kasus markiert, vgl. (lb). Ich interpretiere hier Satz (S), der ja fur die Ergativitätsdiskussion so bedeutsam war, wie die Sätze (6) und (7): jeder dieser Sätze war unakzeptabel.
Über die Organisation komplexer Aussagen
39
kennbar aufgrund der strikten strukturellen Kasusmarkierung. Diese Klarheit geht aber verloren, sobald mehrere Verbalkomplexe vorhanden sind und verbunden werden sollen. In einem solchen Fall müssen unbedingt Formen der drei sog. "subordinierten" Modi verwendet werden, in denen die Existenz oder Nicht-Existenz einer Beziehung zwischen den einzelnen Teilsätzen eindeutig zum Ausdruck gebracht wird. Diese Formen und die in ihnen durchgängig enthaltene Unterscheidung von 3. und sog. 4. Person sind wohlbekannt - sie wurden aber bisher nie mit der (Un-) Möglichkeit von syntaktisch realisierter Komplexität in Verbindung gebracht. Es ist tatsächlich überhaupt nicht möglich, durch syntaktische Funktionen Subordination herzustellen. Gleiches gilt auch für die Koordinierung von Sätzen. Man kann sagen, daß der gesamte Bereich syntaktischer Konjunktion im Inuktitut nicht realisiert ist. Aber daraus zu schließen, daß Subordination und Koordination überhaupt nicht möglich sind, dieser Schluß wäre wieder mit Sicherheit falsch. In Sprachen wie Deutsch, Englisch und vielen anderen, kann bei Koordinierung das "geteilte" Argument ausgelassen werden; dabei ist strikt geregelt, welches ausgelassen werden kann.10 Erwartungsgemäß dürfte die Interpretation von (10), koordiniert aus (10a) und (10b), keinerlei Probleme bereiten; sie müßte vielmehr Aufschluß über die Koordinierungsachse geben. (10a) angutanijuq angut-o ani- -juq Mann-abs hinausgeh- 3.sg itr "der Mann geht hinaus" (10b) takuvanga taku- -vanga seh- -3.sg/3.sgtr "X sieht Y" (10)
10
* angut anijuq amalu takuvanga angut-o ani- -juq amalu taku- -vanga Mann-abs hinausgeh- 3.sg itr und seh- -3.sg/3.sg tr „ der Mann geht hinaus und (er/sie) sieht (ihn/sie) "
Auch dies ist ein entscheidender Test fiir die Feststellung von syntaktischer Ergativität: bildet eine Sprache bei Koordinierung eine S - O Achse, eine Achse zwischen dem einzigen Argument des intransitiven Satzes und dem Nicht-Agens Argument des transitiven Satzes, so liegt nach Dixon syntaktische Ergativität vor. Für eine Einführung vgl. Dixon (1994:8-18).
40
Nowak
Tatsächlich kann aber (10) nicht interpretiert werden; Koordinierung mehrerer Syntagmen im Indikativ, transitiv oder intransitiv, so wie etwa in (10), ist nicht interpretierbar, da dabei ja kein Unterschied zwischen 3. und 4. Person (Koreferenz oder Nicht-Koreferenz) gemacht wird. Systematische "Leerstellen", die zur Identifizierung von Koreferenzbeziehungen dienen könnten, werden nicht identifiziert. Es ist deshalb sinnvoll anzunehmen, daß es solche Leerstellen gar nicht gibt. Dies wiederum bedeutet, daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß es in dieser Sprache strukturelle syntaktische Positionen gibt, die auch dann, wenn sie nicht konkret durch eine Konstituente besetzt sind, erschlossen werden können. Daraus kann man nun, auch im Hinblick auf die Unakzeptabilität von (5) - (7) folgern, daß lexikalisch realisierte Nominalphrasen keine strukturell signifikanten Positionen einnehmen, sondern durch kongruierende Kasusmarkierungen koindizierte, semantische Füllungen von Variablen einer bereits vollständigen Argumentstruktur sind. Diese Argumentstruktur ist in jedem Verbalkomplex vollständig realisiert, jeder Verbalkomplex ist eine Proposition. Subordination und Koordination wird innerhalb und durch den finiten Verbalkomplex vollzogen, genauer gesagt durch die Flexionsendung, die ein bzw. zwei "pronominale" Argumente realisiert." Dabei wird strikt unterschieden zwischen den Flexionsparadigmen, die keine Relation zu anderen Propositionen herstellen, also singulare Aussagen konstituieren; diese Flexionsparadigmen werden traditionell als Matrixmodi bezeichnet. Die Flexionsparadigmen, die immer eine Beziehung zu anderen Aussagen implizieren, werden traditionell als subordinierte Modi bezeichnet. Diese Beziehungen umfassen keineswegs nur Unterordnungen im strikten Sinn, sondern ebenso Gleichordnungen. Entsprechend wurden als die korrekten Alternativen zu (10) (1 la) und (IIb) genannt. (IIa) anitilugu angutiup takuvanga ani- -tilugu angut(i)-up taku- - vanga hinausgeh- -4¡sg Mann -erg seh- - 3jsg/3^x)sg tr Part itr „währenderj hinausgeht, sieht der Mannj ihni(X)
11
"Pronominal" sollte keineswegs dahingehend interpretiert werden, als handele es sich tatsächlich um klitisierte oder inkorporierte lexikalische Pronomen. Dies ist nicht der Fall. Vgl. dazu auch weiter unten, Abschnitt 4 und Anmerkung 31.
Über die Organisation komplexer Aussagen
41
(1 lb) anitsuni angutiup takuvanga ani- -tsuni angut(i)-up takuvanga hinausgeh- 3¡sg Mann -erg seh- 3,sg/3j sg tr Part itr "derMann¡, der hinausgeht,, sieht ihn^
Die Situation gleicht der bei der Untersuchung von Relativsätzen: Koordinierung wird ebenso wie "Relativierung" nicht durch syntaktische Strukturierung vollzogen, sondern durch sog. Modus, in Form von Flexion innerhalb eines Verbalkomplexes. In (8), (9), (IIa) und (IIb) handelt es sich dabei um Formen des sog. Verbalpartizips, das Parallelität, Simultanität und überhaupt Gleichordnung von Handlungen oder Vorgängen anzeigt. In den Flexionsendungen -tilugu und -tsuni wie in (8) und (9) ist dabei folgende Information enthalten: potentiell wird eine Beziehung zu einem Verb in einem Matrixmodus, hier dem Indikativ, hergestellt und gleichzeitig die Parallelität im Ablauf dazu zum Ausdruck gebracht; beide Formen sind intransitiv, d.h. es kann Kongruenz zu einer Nominalphrase im absoluten Kasus hergestellt werden. Bei beiden Formen handelt es sich um die Anzeige "dritter Personen", aber zwei verschiedener "dritter Personen": während -tsuni Identität mit dem einzigen Argument des intransitiven Matrixverbalkomplexes oder dem Agens-Argument 12 des transitiven Matrixverbalkomplexes herstellt zeigt -tilugu eine "vierte Person"13 an, also die Nicht-Identität der Argumente. Als Flexionsparadigma teilt das sog. Verbalpartizip alle Eigenschaften anderer Paradigmen, d.h. es tritt in intransitiver und transitiver Form auf, die alle nicht-reflexiven Kombinationen aller Personen im Singular, Dual und Plural kodiert. (12)
12
13
makuqtilugu tikilauqtuq makuq- -tilugu tiki- -lauq- -tuq Regen 4.sg Part itr ankomm- Verg. 3.sg itr „währendes regnete, kam er/sie an"
Wenn dieses Argument lexikalisch realisiert wird, wird es durch den ergativen Kasus markiert. In der Literatur ist die Bezeichnung "dritte Person" versus "vierte Person" zwar üblich, allerdings werden damit die Beziehungsverhältnisse nicht einheitlich bezeichnet. Ich verwende die Bezeichnung "vierte Person" ausschließlich fur die Fälle, in denen keine Koreferenz hergestellt wird.
Nowak
42 (13)
takunanga tammalauqtunga taku- -nanga tamma- -lauq- -tunga seh- l.sg neg Part itr fehler- -verg.- -l.sg itr „ich nicht (hin-)schauend, machte einen Fehler" „ich, die ich nicht hinschaute, machte einen Fehler" „ ich schaute nicht hin und machte einen Fehler"
(14)
takulugu tusalaartara taku- -lugu tusa(r)- -laaq- -tara seh- -X/3.sg Part itr hör- -Fut- -l¡sg/3.sgtr das, das ich sehe, werde ich hören „ wenn ich 2 sehe, werde ich Ζ hören14 "
Es gibt im Inuktitut drei dieser sog. "subordinierenden Modi"; außer dem Verbalpartizip sind dies der sog. Kausalis und der sog. Konditionalis. 15 Diese Modi decken den gesamten Bereich dessen ab, was man metaphorisch als "Nebensatzbildung" bezeichnen kann.
14
15
(15)
takugukku tusalaartara taku- -gukku tusa(r)- -laaq- -tara seh- -X¡/3.sgCond hör- -Fut- -lisg/3.sgtr falls ich X sehe, werde ich X hören
(16)
takunnginama taku- -nnginama seh- -l.sg Caus neg itr weil ich nicht schau(t)e....
(17)
takunngikuma taku- -nngikuma seh- -1. sg Cond neg itr falls ich nicht schaue...
( 18)
tikimmat qaujimajunga tiki(t)- -mat qaujima- -junga ankomm- -4.sg Caus itr wiss- -l.sg, itr daß er ankommt, weiß ich
-lugu indiziert Koreferenz für beide Personen, deshalb ist "X/3.sg,tr" hier "l.sg/3.sg, tr. Die erste Argumentposition ist eine Variable, die zweite ist dagegen auf ein Argument der 3. Person festgelegt. Auch hier muß wieder die bereits angemahnte Vorsicht bei der Interpretation der Begriffe gelten. Der Konditionalis hat nichts mit dem Modus Konditional in europäischen Sprachen gemein, viel mehr mit Konditionalsätzen. Das gleiche gilt auch für den Kausalis, wie aus den folgenden Beispielen deutlich wird.
Über die Organisation komplexer Aussagen
43
Grundsätzlich ist Subordinierung und Koordinierung mit syntaktischen Mitteln, also durch Konjunktionen oder andere funktionale Markierungen, Leerstellen, Pronomen oder veränderte Satzstellung im Inuktitut nicht festzustellen. Im Gegenteil, scheinbar unabdingbare "Instrumente" zur syntaktischen Fügung stehen überhaupt nicht zur Verfügung: syntaktisch funktionale lexikalische Kategorien wie Satzkonjunktionen,16 Auxiliare, Präpositionen sind nicht besetzt. Pronomen sind zwar vorhanden, werden aber nur in Antworten auf Fragen oder im emphatischen Kontext verwendet, d.h. die Pronomen sind in ihrer Verwendung auf die Markierung referentiellen Kontrastes eingeschränkt.17 Dies wird besonders deutlich bei der 3. Person, die durch ein ganzes Spektrum von fein differenzierenden Demonstrativa realisiert werden muß, oder aber in Form eines Nominalkomplexes. Eine lexikalische Realisierung der in der Flexion ausgedrückten Argumente in der 1. und 2. Person erfolgt in der normalen Aussage nie, in der dritten Person nur, wenn eine semantische Klärung dieser Argumente sinnvoll ist. Als eleganter, als guter Stil gilt allerdings Inkorporation. Lexikalisch realisierte Nominalphrasen, also außerhalb des Verbalkomplexes explizierte Argumente unter Kongruenz, können deshalb als lexikalische Adjunkte aufgefaßt werden, die durch Kasus mit der internen Argumentstruktur des Verbalkomplexes verbunden sind. Da die Relation zwischen "geteilten" und nicht-geteilten Partizipanten (Argumenten) unzweideutig in den Flexiven zum Ausdruck kommt, kommt den sehr häufig auftretenden "Leerstellen" keine strukturelle Bedeutung zu; dies wird durch die Uninterpretierbarkeit nicht nur der syntaktisch koordinierten Sätze bestätigt. Auch die Uninterpretierbarkeit der "Relativsätze" (5) - (7), bzw. ihre Zurückweisung als unakzeptabel muß so verstanden werden. Kasus ist nicht eine Begleiterscheinung einer strukturellen Position, sondern gewährleistet durch Koindizierung die "Anbindung" lexikalischer Explikationen an eine Argumentstruktur. In diesem Sinn und im Sinn von Haie und Jelinek18 handelt es sich bei Inuktitut nicht um eine pro-drop Sprache. Verbalkomplexe sind vollständige Propositionen; ihre Verknüpfung untereinander beinhaltet ebenfalls keine Hierarchie. (19) und (20), die als typisch gelten 16
17 18
Tatsächlich gibt es vier Konjunktionen, die aber nicht syntaktisch funktional sind, sondern der reinen Reihung im Text dienen: uwa 'oder', amalu, 'und', taima, '(und) dann', surlu, 'als ob'; in einem Text von fünfzehn Zeilen kam amalu zweimal in einer Aufzählung vor; üblicher ist Verwendung des Suffixes -lu, siehe (19) und (20). taima wird sehr häufig in der Umgangssprache verwendet und garantiert den Erzählfluss. Es steht auch am Ende einer Rede, einer Geschichte oder einfach dessen, was zu sagen war. Vgl. dazu auch Jelinek (1989:122). Vgl. Jelinek (1989); (1984: 44ff); Haie (1982); (1983), insbesondere 7, 14, 16, 20ff
Nowak
44
können, zeigen dies deutlich. Nur in (19) ist einen Verbalkomplex in einem "Matrixmodus" feststellbar, nämlich qaujilautmgituq, 'X wußte, bemerkte nicht'. Ansonsten sind nur sog. subordinierte Formen vorhanden: (19)
uqaqlunilu niqiliuqlunilu, qaujilaunngituq isiqtuqarngmat.
„ While she was talking andpreparingfood she was unaware that someone had entered" (Harper 1974:27) uqaq- -luni -lu niqi Sprech- 3.sg Part itr -und
-liuq- -luni -lu Fleisch-bereit- -3.sg Part itr -und
„sprechend und Essen (Fleisch) zubereitend und.... " qauji- -lauq- -nngit- -tuq isiqtuqa(q)- mat wiss-Vergang.-Neg- 3.sg itr hereinkomm- 4.sg Caus itr
„sie wußte nicht, daßjemand (ein anderer als sie) herein gekommen war"
(20)
kamik-kami boot-when she put on
tursuung-muaq-luni porch-she going to
„ when she put on her boots, going to the porch, " manir-mik lamp wick moss-Instr
tigusibluni she grabbing
,¿he grabbed some lamp wick moss, " tusuung-niguuq porch-in
qulliq-tagarmat lamp-since there is
„(and) since there was a stone-lamp in the porch, " ursu-mullu misukluniuk oil-into and she plunging it
ikibluniklu and she lighting it
„she plunged it into the lamp's oil and she lit it" (Denny 1989:238 " )
Im Inuktitut sind syntaktische Konfigurationen im strikten Sinn, also die Fügung freier Satzglieder durch syntaktisch funktionale Konstituenten oder durch variierte Wortstellung u. dgl. zu einer hierarchisch gegliederten Struktur nicht feststellbar. Im Fall von Inuktitut ist unter Syntax wesentlich ein Abfolge (Kette) von kompletten, morphologisch ausbuchstabierten Propositionen zu verstehen, die morphologisch vernetzt sind und durch oblique (direzionale, lokative) Angaben ergänzt werden können - nicht die syntaktische Fügung von Satzgliedern zu einer
19
Die Glosse ist Dennys, seine Orthographie weicht von der von mir verwendeten leicht ab.
Über die Organisation komplexer Aussagen
45
Proposition. Diese Aussage gilt jedoch nur in dieser Beschreibungsrichtung; denn umgekehrt gilt nicht, daß grundsätzlich jede syntaktische Konstituente einer Proposition entspricht, da Argumente der dritten Person bei Bedarf lexikalisch und nicht nur flexivisch realisiert werden können und darüber hinaus nicht durch Kongruenz gebundene Satzglieder auftreten können. Da die Möglichkeit zur "Anbindung" lexikalisch realisierter Argumente durch Kongruenz auf maximal zwei begrenzt ist,20 spielt Inkorporation eine wichtige Rolle. Inkorporierte Stämme wie z.B. niqi 'Fleisch' in (19) oder tursuuk 'Eingang, Vorraum eines Hauses' in (20) sind bereits integraler, "einverleibter" Bestandteil der Prädikation und bilden mit ihr zusammen eine Proposition. Inkorporierte Stämme sind keine lexikalischen Explikationen der (pronominalen) Argumente der Flexionsendung: eine interne Koreferenz ist unmöglich. Inkorporation bewirkt, daß ein weiteres Argument innerhalb der Proposition realisiert werden kann. In der Folge kann dieses Argument, falls es sich um eine "dritte Person" handelt, auch lexikalisch expliziert werden. Es wird dann selbstverständlich durch Kasus koindiziert.21 Syntax ist im Inuktitut eine Makrostruktur, eine zweite Komplexitätsebene. Das Arrangement der Konstituenten ist primär synthetisch determiniert - syntagmatisch ist allein die Tatsache, daß durch diese synthetischen Formen Bezug zu anderen, ebenfalls synthetischen Formen hergestellt wird, sowie die Möglichkeit zur Adjungierung. Die Proposition ist synthetisch, nicht syntaktisch kodiert. Sowohl Inkorporation als auch die morphologische Identifikation von Konstituentenrelationen sind aus einer Vielzahl von Sprachen bekannt, z.B aus den Algonkin-Sprachen. Im Ojibwa, einer Algonkinsprache des südlichen Kanada, finden wir den beschriebenen Verknüpfungsprozess auf andere, aber ebenso klare Weise vollzogen. Auch Ojibwa verfugt über eine ausgefeilte Verbmorphologie, die sich ebenfalls auf das/die verknüpften Nomen erstreckt: hier wird angezeigt, welche nominale Konstituente mit welchem "theme sign" verbunden ist, d.h. welches Argument durch die Affigierung gebunden ist. (21)
20
21
"[4] a. animoä o-nosine:wa:a-an bo: zes-an dog 3-chase-3-OBV cat-OBV 'the dog is chasing the cat'
Wie bereits beschrieben, wird bei transitiver Flexion Kongruenz, besser Koindizierung zu zwei lexikalischen Argumenten hergestellt, durch die Kasusmarkierungen absolut bzw. ergativ. Vgl. dazu Mithun (1984), die ebenfalls diese Wirkungsweise von Inkorporation beschreibt. Als Beispiel kann niqi- -liuq- -luni in Beispiel (19) dienen. Es ist eindeutig, daß die Flexionsendung -luni nicht mit niqi koreferent ist.
Nowak
46 b. bo:zes-an o-nosine:wa:a-an animoä c. o-nosine:wa:a-an bo:zes-an animoi" (Grafstein 1989:166")
Freie Wortstellung, wie sie im Beispiel (21) demonstriert wird, ist deshalb zwangsläufig eine Begleiterscheinung der beschriebenen Prozesse. Obwohl es im Inuktitut zweifellos eine präferente Wortstellung gibt, so kann man dennoch sagen, daß Wortstellung nie syntaktisch strukturierende Funktionen hat. Gerade das Phänomen, das für Inuktitut mit dem Etikett "vierte Person" versehen wurde, in Algonkin Sprachen als Obviation bezeichnet wird und das auch noch unter dem Namen "switch reference" bekannt ist und das immer Bestandteil von Flexion ist, ist ein Schlüssel zum Verständis dessen, wie komplexe Aussagen auf nicht syntaktische Art und Weise strukturiert werden können.
3
Die Unterspezifikation der lexikalischen Kategorien Ν und V
Betrachtet man die Ketten von Propositionen, wie sie in (19) und (20) für Inuktitut belegt sind, genauer, so bemerkt man ein Defizit an lexikalisch realisierten Satzgliedern unterschiedlicher lexikalischer Kategorien und gleichzeitig eine Unterspezifikation der lexikalischen Kategorien Ν und V in einem syntaktisch relevanten Verständnis. Oneida, eine irokesiche Sprache, die heute in Wisconsin gesprochen wird, zeigt ganz ähnliche Reihungen von Propositionen und eine vergleichbare Unterspezifikation von lexikalischen Kategorien.
22
"The affix -a:, which is attached to the verb form, is known as a TA (transitive animate) theme sign. It indicates that the theme argument is a third person. The obviative marker following the theme sign indicates that the theme argument also is obviative. Now, the prefix on a TA verb form refers to the argument that is not referred to by the theme sign, so in [4], the prefix o- indicates that the agent argument is a third person. Since bo:zes-an is marked obviative, it is interpreted as the theme. This leaves the non-obviative animoä to be interpreted as agent. From these examples, it can be seen that the thematic structure of an Ojibwa sentence is interpreted on the basis of the morphology of its constituents rather than on the basis of their linear position in a syntactic phrase marker." Grafstein (1989:166).
Über die Organisation komplexer Aussagen
47
(22)
SkAhnáksA? tehotawAlyeháti?, wahatye»lA*kohsa*tAs tho yo»táhs. A fox was traveling along, when suddenly he came upon a sleeping horse... 1.
Fox he-traveling-along, suddenly-to-his surprise horse there she-sleeps
1.1. s-kA-hn-áksA? the-one-it-skin-bad is > the bad-skinned one > fox. A verb with semantic specialization and substantival syntactic function... 1.2. te-ho-t-awAlye-hátye-? xxx-him-self-mov(ing) around-going along-is > he was traveling along... 1.3. wa-h-atye*lA-' did-he-suddenly confront-PNC > suddenly to his surprise there was... 1.4. (ya)ko-hsa»tA-s one-straddle it-does >one rides on its back > horse A verb form with semantic specialization... 1.5. tho, deictic particle there, that (place, amount, manner). 1.6. yo«-tá*-s it/she sleeps.... (Lounsbuiy 1953: 95-9723)
Auch im Cayuga, ebenfalls einer irokesischen Sprache, die im südlichen Kanada gesprochen wird, und im Aleut, der einzigen mit den Inuit-(Eskimo)Sprachen verwandten Sprache, macht die Unterscheidung der lexikalischen Kategorien Ν und V erhebliche Schwierigkeiten. Falls diese Unterscheidung auf syntaktischer Ebene tatsächlich unbedeutend ist, dann bedeutet dies, daß in dieser Sprache eine syntaktische Differenzierung der Proposition in Prädikat und Argument nicht vollzogen wird. Im Cayuga sind alle in aktuellen Äußerungen erscheinenden Inhaltswortformen syntaktisch prädikativ, d.h. ohne weitere Hilfsmittel geeignet zum Ausdruck einer eigenständigen, vollständigen Proposition. Sie repräsentieren damit eine Äußerung, die in europäischen Sprachen Satzcharakter hätte (...) kanhóha 'es ist eine Tür' niwú:'uh 'es ist klein' akáht'aQh 'ich bin satt' Sasse (1993, :204)
23
Aus Platzgründen habe ich nicht die vollständige Analyse von Lounsbury zitiert.
48
Nowak As pointed out..., many Aleut words are used both as nouns and verbs, for example noun: Chaayux igamanakux. The tea is good, verb: Viirax chaayukux. Vera is drinking tea. Bergsland (1981:73)
Seit langem bekannt ist das Fehlen eines Kontrastes zwischen Ν und V als lexikalische Kategorien in den Sprachen der Salish-Gruppe.24 Nach Jelinek (1994) finden wir hier eine durchaus vergleichbare Situation vor. In Straits Salish, lexical roots do not appear independently; they are always inflected for their arguments, and cannot themselves serve as arguments. As a result, any open-class root appears as the lexical head of its own clause. Complex clauses are composed of multiple clauses: no lexical item is governed by another. Jelinek (1994: 698)
Inuit-Sprachen zeigen nicht die gleiche Unterdetermination von Ν und V wie z.B. das verwandte Aleut oder das von Jelinek diskutierte Salish; eine direkte (verbale) Flexion eines (nominalen) Stammes ist nur in genau festgelegten Fällen möglich, wie etwa bei Wettervorgängen oder bei sehr eng mit dem täglichen Leben verbundenen Abläufen und Vorgängen. 25 Im Inuktitut gibt es drei klar unterscheidbare morphologische Klassen: Stämme, die als lexikalische Argumente frei, jedoch kasusmarkiert erscheinen können, und die traditionell als Nomen aufgefaßt werden; Wurzeln, die nie frei erscheinen können, sondern die, wie oben für Salish beschrieben, immer flektiert sein müssen; schließlich Affixe, die wiederum nach morphologisch-semantischen und nach funktionalen Aspekten kategorisiert werden müssen und die das Herzstück des als Polysynthese bezeichneten Verfahrens bilden. Dennoch wurden Inuit-Sprachen immer wieder als "nominale Sprachen" charakterisiert - eine Einschätzung die im Hinblick auf die oben diskutierten Daten äußerst merkwürdig anmutet, die aber motiviert ist durch die Formenähnlichkeiten zwischen transitiver (Verbal)Flexion und possessiver (Nominal) Flexion. Dazu kommt die extensiv genutzte Möglichkeit zu Umkategorisierung durch Affigierung; die Unterscheidung von (nominalen) Stämmen und (verbalen) Wurzeln muß vielmehr als Restriktion bzw. Selektionsbeschränkung im Hinblick auf Affigierung angesehen werden, denn als Auslöser für ein bestimmtes Fle24
25
Diese Sprachen werden bzw. wurden an der Nordwest-Küste der USA und Kanadas, sowie in den angrenzenden Regionen bis weit ins Landesinnere gesprochen; man unterscheidet deshalb auch grob zwischen Coast Salish und Inner Salish. Vgl. etwa kamikkami aus (20): kamik 'Stiefel' wird direkt verbal flektiert und wird dann als 'Stiefel anziehen' interpretiert.
Über die Organisation komplexer Aussagen
49
xionsverhalten. Wurzeln sind zwar dahingehend definiert, daß sie einer Flexionsendung bedürfen; allerdings lassen sich Wurzelklassen in Analogie zu Verbklassen nur schwer feststellen.26 Obwohl Wurzeln über eine eigene Argumentstruktur verfugen, ist Transitivität oder Intransitivität keineswegs ohne weiteres als lexikalische Eigenschaft einer Wurzel auszumachen; es erscheint deshalb sinnvoll, auch für Inuktitut anzunehmen, daß Transitivtät eine Eigenschaft ist, die durch den morphologischen Kopf, nämlich Flexion, zugewiesen wird, bzw. die perkolieren kann, wenn sie nicht durch das Flexionsmorphem blockiert wird. Darüber hinaus ist das Flexionsmerkmal ebenso wie in Salish ein obligates und funktionales Merkmal der Satzstruktur und definiert die möglichen Satzrelationen (Valen-zen). 27 Im Fall aller genannten Sprachen ist ganz offensichtlich das altbekannte Verhältnis zwischen elementaren syntaktischen Konfigurationen und lexikalischen Kategorien stark verändert: während in Sprachen wie dem Deutschen oder Englischen eine direkte Abhängigkeit besteht zwischen syntaktischer Einsetzbarkeit und lexikalischer Kategorie, die ihren Ausdruck im Projektionsprinzip findet, ist dies hier nicht der Fall.28 Mehr noch, es fehlen lexikalische Kategorien, die nur der syntaktischen Strukturierung dienen wie Konjunktionen. Dies ist deshalb möglich, weil, wie ich anhand von Inuktitut gezeigt habe, syntaktische Konfigurationen hier gar keine Rolle spielen. Wenn aber syntaktische Konfigurationen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, dann ist auch die Unterscheidung lexikalischer Kategorien, die ja primär im Hinblick darauf erfolgt, überflüssig. Viel bedeutsamer sind Verfahren zur Realisierung wortinterner Argumentstrukturen, also Ableitungsprozesse im umfassendsten Sinn, synthetische Strukturen. 'Lexikalisch' gewinnt in diesem Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung und insbesondere der Status von Flexion muß im oben skizzierten Sinn neu überdacht und untersucht werden.
26 27 28
Für eine genaue Untersuchung von sog. Verbklassen im Inuktitut vgl. Nowak (1996). Vgl. dazu Jelinek (1994: 699-701). "Since the Strait Salish languages have no free-standing lexical items that correspond to zero-level nouns and verbs, there are no maximal projections (NP, VP) based on distinct lexical categories." Jelinek (1994:700).
Nowak
50
4
Synthetische Prozesse der Organisation von Sprache
Bisher werden Diskussionen um Konfigurationalität bzw. die Möglichkeit von Nicht Konfigurationalität ausschließlich syntaxzentriert gefuhrt, Nicht-Konfigurationalität nur als denkbare Variation aufgefaßt. Weiterführende Fragen nach den Beziehungen zu oder notwendigen Auswirkungen auf das Verständnis lexikalischer Strukturen einerseits, der Organisation komplexer Aussagen anderseits werden bestenfalls ansatzweise diskutiert. Daß zwischen freier Wortstellung, einem Charakteristikum von Nicht-Konfigurationalität, und morphologischer, insbesondere flexivischer Komplexität ein Zusammenhang besteht, ist eigentlich eine Binsenweisheit. Es ist deshalb umso erstaunlicher, daß zwischen dem Vorhandensein einer ausgefeilten Morphologie in allen genannten Sprachen, ihrem synthetischen Charakter und ihrer "flachen", scheinbar unstrukturierten Syntax kaum je ein expliziter Zusammenhang hergestellt wurde. Die Argumentation von Haie (1982), (1983) führte lediglich zur Annahme zweier elementarer Satzstrukturen: erstens dem vertrauten, hierarchisch strukturierten, asymmetrischen Muster und zweitens zu einem flachen, kettenbildenden Muster, einer symmetrischen Anordnung von Konstituenten, die wenig bis keine syntaktischen Einbettungen erlaubt. Von einem syntaktischen Gesichtspunkt aus gesehen erscheint diese zweite Struktur als arm und wenig komplex. Befreit man sich aber vom Primat der Syntax und bezieht synthetische Prozesse in die Überlegungen ein, so wird diese scheinbare Armut wieder wettgemacht - nur eben auf einer anderen Ebene. Jelinek (1989) argumentiert überzeugend für eine wortinterne Sättigung der Proposition. Dies geht Hand in Hand mit einer Unterdeterminiertheit lexikalischer Kategorien, da die entsprechenden maximalen phrasalen Projektionen fehlen. Die mögliche Organisation von Propositionen ist also keineswegs nur eine syntaktische Frage, sondern steht in enger Beziehung zur kategorialen Organisation des Lexikons einerseits, zur Funktionalität morphologischer Markierungen, etwa in Form von Flexiven, andererseits. Im Inuktitut findet komplexe Strukturierung von Aussagen im morphologischen Bereich statt, in Form von Inkorporation und Flexion, sowie durch funktionale Affixe, die die Funktion von "Konjunktionen", "Auxiliaren", "Pronomen", "Präpositionen" haben oder die der Obviation29 dienen. Diese Markierung von Koreferenz bzw. Nicht-Koreferenz erfüllt genau die Funktionen, die in einer konfigurationellen Syntax strukturellen Argumentpositionen zukommen, die auch dann noch erkannt und interpretiert werden, wenn sie tat29
Unter Obviation möchte ich alle oben aufgeführten Varianten zusammenfassen, also auch "vierte Person" im Inuktitut oder andere "switch reference" Phänomene.
Über die Organisation komplexer Aussagen
51
sächlich leer bleiben. Morphologische Komplexität steht hier syntaktischer Komplexität funktional gegenüber. Diese morphologische Komplexität kann man auch in anderen Bereichen finden, die als syntaktisch zentral gelten: Passiv, Antipassiv, Kausativ, Modalität, indirekte Rede, epistemische Modifikation. Zumindest im Inuktitut findet all dies wortintern statt. Inuktitut ist eine polysynthetische Sprache; polysynthetische Prozesse sind bisher nur wenig untersucht worden. Ein Vergleich mit syntaktischen Strukturen oder Wortbildungsmechanismen ist naheliegend. Allerdings gibt es eine Reihe ernstzunehmender Argumente, die sowohl den Vergleich mit Wortbildung, als auch eine direkte Interpretation synthetischer Strukturen nach syntaktischen Kriterien als vorschnell und wenig überzeugend, ja irreführend erscheinen lassen. Polysynthese ist ein wohlgeordneter und vollkommen produktiver Prozeß. Allein dies unterscheidet sie von der vergleichsweise produktiven Wortbildung im Deutschen. Kann man hier bei Kompositionen ohne weiteres syntaktische Paraphrasen bilden, die eine Interpretation komplexer Wortstrukturen vor dem Hintergrund der Satzstruktur ("Argumentvererbung") vollkommen plausibel machen, so sind solche Paraphrasen bei der Synthese nur in ganz wenigen Fällen möglich. Das Verhältnis von syntaktischer Konfigurationalität und synthetischen Prozessen muß genauer untersucht werden, will man sich nicht mit der Annahme zufriedengeben, daß syntaktische Konfigurationen hier nur morphologisch "widergespiegelt werden". Die Sehweise erscheint mir wenig erhellend; im Gegenteil, sie verwischt die offenkundigen Unterschiede und ebnet sie ein. Die Behauptung, (8) nakatsitsuni und (9) nakatsitilugu seien Relativsätze, hat keinerlei Erklärungskraft. Sie ist auch nicht beschreibungsädequat und es ist höchst fraglich, ob sie beobachtungsadäquat ist. Die Redeweise, daß direzionale Kasus Präpositionen30 seien, kann man vielleicht noch als Metaphorik hinnehmen. Aber Flexive einerseits, klitisierte Pronomen andererseits sollten m.E. klar unterschieden werden, insbesondere im Hinblick auf ihren vollkommen unterschiedlichen morphologischen und syntaktischen Status. Die begriffliche Ungenauigkeit wird im Fall von Inuktitut besonders deutlich. Pronomen werden zwar nicht im Aussagesatz gebraucht, sie sind dennoch existent, und werden z.B. in Antworten auf Fragen oder als Demonstrativa verwendet. Die Flexive können keinesfalls als Enklisen dieser Pronomen interpretiert werden.31 30
31
Vgl. dazu etwa Bok-Benncma (1991), die in der Nachfolge von Baker (1988) die direktionalen Kasus im Inuktitut als klitisierte Präpositionen auffaßt. Vgl. dazu auch Nowak, Rezension von Bok-Bennema (erscheint). Ein Grund ist, daß Flexive im Inuktitut keineswegs schwachtonig sind und Pronomen, wenn
52
Nowak
Die selbstverständliche Interpretation synthetischer Prozesse in Analogie zu syntaktischen kann zu dem Verständnis fuhren, synthetische Prozesse seien historisch aus syntaktischen entstanden, so, als handele es sich bei synthetischen Prozessen um eine Art 'erstarrter' Komposition, so daß man etwa annehmen könnte, ehemals freie Satzglieder seien zu komplexen Formen erstarrt oder klitisiert worden.32 Dies ist jedoch nicht der Fall. "... it should be pointed out that Eskimo languages can be shown to have increased their inventory of bound affixes over the time span we are dealing with, renewing and expanding it not from their limited stock of lexical stems but principally by the combination, with ensuing lexicalization - of existing simple affixes or the splitting off of allomorphs to form distinct affixes (...). ... It is important to realize that already at the proto-stage Eskimo must have been a language of the polysynthetic type, since none of the reconstructed PE affixes (...) can be related to lexical bases, despite the lexical "weight" of many of them." (Fortescue 1992: 8)
Der Ausbau des Bestandes an Affix- und Flexionsmorphemen ging und geht offenbar Hand in Hand mit einer - vergleichsweisen - Stagnation im Bereich von Stämmen und Wurzeln, also Lexemen im eigentlichen Sinn (Fortescue 1992). In diesem Bereich sind Innovationen ebenso wie die Übernahme von Lehnwörtern eine Ausnahmeerscheinung; Innovationen finden in Form von Synthesen statt. Die Besonderheit einer Sprache wie Inuktitut liegt deshalb auch weniger in der vergleichsweise schlichten Fähigkeit zur Inkorporation als in solchen Fällen, in denen während eines synthetischen Prozesses kategorieverändernde Affixe, syntaxsteuernde Affixe und rein weiterbildende Affixe auftreten.33
32
33
sie überhaupt realisiert werden, immer emphatisch betont sind. Jelineks Sprachgebrauch ist vom morphologischen Standpunkt aus gesehen ebenfalls wenig glücklich. Den Daten ist zumindest nicht zu entnehmen, welcher morphologische Unterschied im Salish zwischen einem "possessive affix" und einem "clitic" bestehen könnte, etwa im Unterschied zu Merkmalen wie Transitivität und Passiv, die von Jelinek als Flexive dargestellt werden. Es bleibt zur Begründung allein der Hinweis "clitics are unstressed". Jelinek (1994: 699). Auch aufgrund der Tatsache, daß solche Fälle ja tatsächlich vorkommen, ist eine klare Unterscheidung dringend notwendig. Ein Beispiel dafür kann das Passiv-Suffix -s in den skandinavischen Sprachen sein, das aus einem klitisierten sig "sich" entstanden ist. Vgl. etwa tursuungmuaqluni aus (20). tursuuk -mut -aq-uni +N +Kasus +verbalisierendes3.sg Terminalis Affix -aqPart itr Eingang nach geh-
Über die Organisation komplexer Aussagen
53
Die Annahme einer grundsätzlichen, elementaren Beziehung zwischen Polysynthese als morphologisch determiniertem Typus und Nicht-Konfigurationalität als syntaktisch determiniertem Typus hat weitreichende Folgen. Sie wendet sich sowohl gegen die bisherige Interpretation des Lexikons als bloßem Zulieferer, wie auch dagegen, Annahmen über die kategoriale Organisation des Lexikons, morphologische Produktivität und Funktionalität und die asymmetrische Struktur von Syntax, wie ich sie eingangs formuliert habe, seien von einander trennbar und bezeichneten zwar interagierende, doch grundsätzlich unabhängige Komponenten einer Sprachbeschreibung. Sie sind es nicht. Daß lexikalische Determiniertheit und syntaktische Konfiguration sich gegenseitig bedingen, kommt im Projektionsprinzip oder seinem älteren Vorläufer, der Einsetzungsregel, klar zum Ausdruck. Daß morphologische Kapazität und syntaktische Funktionaliät in Beziehung stehen, ist altbekannt. Heute muß die Diskussion, die im 18.und 19. Jahrhundert um die "Eleganz", "Natürlichkeit" oder "Vollkommenheit" synthetischer Formen im Vergleich zu analytischen Formen gefuhrt wurde, in umgekehrter Argumentationsrichtung neu gefuhrt werden: sprach man damals den analytischen Formen die Eignung zum vollendeten Ausdruck des Gedankens ab und sah sie als unbeholfen und zersplittert an, so besteht heute die Tendenz, synthetische Formen als "Kurzfassung" syntaktischer Realisierungen anzusehen. Die Behauptung, Nicht-Konfigurationalität setze Polysynthese voraus, wäre mit Sicherheit zu stark. Anhand von Warlpiri, das gewiß keine polysynthetische Sprache ist34, entwickelte Haie (1983) das Konzept von Nicht-Konfigurationalität. Viel plausibler ist die Annahme dieser Relation: Sprachen, die morphologisch realisierte funktionale Kategorien aufweisen, die über ausgeprägte Flexionssysteme verfugen, und/oder über ausgeprägte Ableitungs- und Wortbildungsprozesse, also synthetische Verfahren im weitesten Sinn, sind mit zunehmender Wahrscheinlichkeit nicht-konfigurationell. Je mehr dieser Aspekte eine Sprache in sich vereinigt, um so weniger braucht sie oder kann sie sich eine zweite Ebene intensiver, ausgeprägter Strukturierung leisten. Damit kann auch ein anderes, bisher für jede Syntaxtheorie grundsätzliches Problem als gelöst angesehen werden: die Tatsache, daß für Inuktitut zwei "Subjekte" angenommen werden müssen. Gehen wir von der Möglichkeit einer flachen, symmetrischen Syntax aus, sind wir nicht mehr genötigt, eine Nominalphrase als hierarchiehöchste zu identifizieren.
34
Allerdings weist auch Warlpiri eine morphologische Realisierung funktionaler Kategorien auf.
Nowak
54
Die Frage nach der Existenz funktionaler Kategorien und dem Ort ihrer Realisierung kann dabei zum entscheidenden Kriterium einer solchen Typologie werden und auch zu einer besseren Definition des Begriffs Polysynthese dienen. Dem korrespondiert die Unterdeterminiertheit lexikalischer Kategorien im klassischen Verständnis, also im Hinblick auf ihre syntaktische Projektionsfähigkeit. Sie wird ersetzt durch eine morphologisch bzw. synthetisch motivierte Kategorisierung sowie durch eine morphologische Uminterpretation von Flexion als funktionaler Kategorie. Vom typologischen Standpunkt aus gesehen ergibt sich so ein idealer, homogener Sprachtypus, der dem anderen, wohlbekannten, ebenfalls idealen Sprachtypus gegenübersteht: synthetische Komplexität steht syntagmatischer Komplexität gegenüber, synthetische Konfiguration syntaktischer Konfiguration. Für Skeptiker sei noch angemerkt, daß ein Primat der Syntax oder eine Notwendigkeit zu den eingangs formulierten Prämissen aus lernpsychologischen Gründen nicht zu rechtfertigen ist. (23) wurde von Juupi, einem 2,5 Jahre alten Inuk aus Arctic Quebec, geäußert. (23)
sinigunnairit nirilangaliratta sinik- -gunnaq- -it- -git niri- -langa- -
liq-
-gatta
schlaf-können-Neg-Imp 2.sgessFutinchoat-caus-l.pl itr schlafe (jetzt) nicht, (weil) wir werden gleich essen (werden) (Allen 1994:218).
Über die Organisation komplexer Aussagen
55
Literatur Allen, Shanley (1994): Acquisition of Some Mechanisms of Transitivity Alternation in Arctic Quebec Inuktitut. - PhD Thesis, Dep. of Linguistics, McGill University Montreal Baker, Mark (1988): Incorporation. A Theory of Grammatical Function Changing. Chicago, London: The University of Chicago Press. Bergsland, Knut (1981): Atkan Aleut School Grammar. Anchorage: University of Alaska. Bok-Bennema, Reineke (1991): Case and Agreement in Inuit. Berlin, New York: Foris Denny, J.Peter (1989): The Nature of Polysynthesis in Algonquian and Eskimo. In: Theoretical Perspectives on Native American Languages, edited by Donna B.Gerdts and Karin Michelson. (Albany: SUNY Press) 230-258. Dixon, R.M.W. (1994): Ergativity. Cambridge: Cambridge University Press. Fortescue, Michael (1993): The Acquisition of West Greenlandic. In: Slobin, Dan (ed): The Cross Linguistic Study of Language Acquisition. Vol III (Hillsdale, NJ:Lawrence Erlbaum Associates) 111-219. — (1992): The Development of Morphophonemic Complexity in Eskimo Languages. In: Acta Linguistica Hafniensia 25, 5-27. Copenhagen: The Linguistic Circle of Copenhagen. Grafstein, Ann (1989): Disjoint Reference in a "Free Word Order Language". In: Theoretical Perspectives on Native American Languages, edited by Donna B.Gerdts and Karin Michelson. (Albany: SUNY Press) 163-175. Hale, Ken (1982): Preliminary Remarks on Configurationality. In: Proceedings of the NorthEastern Linguistic Society 12, edited by James Pustejovsky and Peter Sells. 86-96. — (1983): Warlpiri and the Grammar of Non-Configurational Languages. In: Natural Language and Linguistic Theory 1, 5-47. Harper, Kenn (1974): Some Aspects of the Grammar of the Eskimo Dialects of Cumberland Peninsula and North Baffin Island. National Museum of Man, Mercury Series, Ethnology Division Paper No. 15. Ottawa. Jelinek, Eloise (1989): The Case Split and Pronominal Arguments in Choctaw. In: Marácz, László and Pieter Muysken (eds): Configurationality. The Typology of Asymmetries. (Dordrecht: Foris) 117-141. — (1984): Empty Categories, Case, and Configurationality. In: Natural Language and Linguistic Theory 2, 39-76. Jelinek, Eloise and Richard Demers (1994): Predicates and Pronominal Arguments in Straits Salish. In: Language 70/4, 697-736. Lounsbury Floyd (1953): Oneida Verb Morphology. New Haven: Yale University Press/London:Oxford University Press. Marantz, Alec (1984): On the Nature of Grammatical Relations. Cambridge, Mass: The MIT Press. Mithun, Marianne (1984): The Evolution of Noun Incorporation. In: Language 60, 847-879. — (1986): On the Nature of Noun Incorporation. In: Language 62, 32-37. Nowak, Elke (1996): Transforming the Images. Transitivity and Ergativity in Inuktitut (Eskimo). Berlin: Mouton de Gruyter (erscheint 1996). — (erscheint): Rezension zu: Reineke Bok-Bennema, Case and Agreement in Inuit.(Berlin, New York: Foris). Zeitschrift für Sprachwissenschaft. — (1993): Through the Looking Glass: Syntactic Structures of Inuktitut and Ergativity. In: Etudes/Inuit/Studies 17/1, 103-116. Sasse, Hans-Jürgen (1993): Das Nomen - eine universale Kategorie? In: Sprachtypologie und Universalienforschung 3, 187-221. Simpson, Jane (1991): Warlpiri Morpho-Syntax. A léxica list Approach. Dordrecht: Kluwer. Wunderlich, Dieter und Sandra Joppen (1995): Argument Linking in Basque. In: Lingua 97, 123-169.
Manfred Pinkal
Wie die Semantik arbeitet Ein unterspezifiziertes Modell
1
Einleitung
Wie die Kunstgeschichte, die Geographie oder die Anatomie hat die Semantik (mindestens) zwei systematische Verwendungsmöglichkeiten: mit Semantik können wir uns auf eine wissenschaftliche Disziplin beziehen oder auf den Gegenstandsbereich, den diese Disziplin erforscht. Daß die Semantik arbeitet, kann sich entsprechend (mindestens) auf zwei Arten von Sachverhalten beziehen: die wissenschaftliche Arbeit von Semantikern (in einer metonymischen Umdeutung der ersten Lesart von Semantik) und die semantische Verarbeitung als Teil des Sprachverarbeitungsmoduls in der menschlichen Kognition und in künstlichen Systemen. Die Elaboration dieser beiden Interpretationsvarianten für den Satz die Semantik arbeitet setzt bereits ein beträchtliches Stück semantischer Arbeit voraus, und zwar sowohl unter dem Aspekt der kognitiven Verarbeitung von Bedeutung als auch dem ihrer linguistischen Modellierung. Allerdings muß ich den Leser insofern enttäuschen, als er in diesem Aufsatz nichts über die Ausfacherung, die dynamische Erweiterung und die Reinterpretation von Wortbedeutungen erfahren wird. Ich werde in diesem Aufsatz viele interessante Facetten von Semantik und semantischer Verarbeitung außer acht lassen und mich auf die Diskussion eines aktuellen methodischen Problems beschränken, das bereits im Zusammenhang mit der direkten Interpretation relativ einfach strukturierter Sätze auftritt, und einen wichtigen Schritt in Richtung auf seine Lösung skizzieren. In den letzten Jahrzehnten hat in der linguistischen Bedeutungsbeschreibung das Paradigma der logischen, modelltheoretischen Semantik beherrschenden Einfluß gewonnen. Auf der Grundlage von typtheoretischer Semantik und Montague-Grammatik ist eine stabile methodische Plattform entstanden, deren formaltheoretische Grundannahmen und konzeptuelle Werkzeuge sich für die Arbeit des Semantikers als äußerst fruchtbar und effizient erwiesen haben. Dies betrifft allerdings nur den Bereich, auf den der Blick linguistischer Bedeutungsforscher fast
58
Pinkal
ausschließlich gerichtet war: die Modellierung von Bedeutungsstruktur. 1 In bezug auf das Arbeiten der Semantik - die Modellierung der kognitiven Komponente, die für das Sprachverstehen und die Sprachproduktion verantwortlich ist - ergeben sich aus den Standardannahmen des logisch-semantischen Paradigmas zunächst äußerst unplausible Folgerungen. Nun war die semantische Verarbeitung nie ein primärer Gegenstand des theoretisch-linguistischen Forschungsinteresses, und man kann der Semantik (als Disziplin der theoretischen Linguistik) insofern nicht anlasten, daß ihre Theorien das angemessene Verarbeitungsmodell nicht gleichzeitig mitliefern. Allerdings sollten die formalen Rahmenbedingungen, die die theoretische Semantik vorgibt, mit plausiblen Lösungsvorschlägen fur die semantische Verarbeitung zumindest kompatibel sein. Auf die Frage, wie semantische Verarbeitung in unseren Köpfen stattfindet, wissen auch die eigentlich zuständigen Disziplinen zur Zeit keine Antwort: Experimentell-psychologische Daten sind viel zu lückenhaft, und die computerlinguistische Modellierung ist zu wenig aussagekräftig. Ich kann die Frage in diesem Aufsatz selbstverständlich auch nicht beantworten. Allerdings möchte ich zeigen, wie man die formale Semantik in eine Form bringen kann, in der sie mit einem Spektrum von plausiblen Verarbeitungsverfahren vereinbar wird. Hierzu ist in der Tat nur eine leichte Erweiterung des Paradigmas, eine veränderte Sicht auf den Status der semantischen Repräsentationen erforderlich. Eine Schlüsselrolle werden in meinen Ausführungen das Phänomen der unterspezifizierten semantischen Information und ein Konzept zu seiner Modellierung liefern. Vollständige und eindeutige Bedeutungsinformation in der Interpretation sprachlicher Äußerungen kann aus (mindestens) zwei Gründen fehlen: Die in der Äußerung verwendeten Ausdrücke oder Konstruktionen sind möglicherweise mehrdeutig; möglicherweise ist die Äußerung selbst von vornherein unvollständig oder anderweitig defizient (was bei gesprochener Sprache eher der Normalfall als die Ausnahme ist). Die beiden Arten von Unterspezifikation stellen die semantische Modellierung vor ähnliche Probleme, allerdings Probleme unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades. Ich werde im folgenden Abschnitt zunächst das Problem der Mehrdeutigkeit darstellen und im Abschnitt 3 einen Typ von Lösungen skizzieren, der in den
'
Und auch hier wurden bisher nur Teilbereiche erfaßt, allerdings Teilbereiche von beträchtlichem Umfang und beträchtlichem Eigengewicht. Die Frage der grundsätzlichen Reichweite formal-semantischer Theorien im Blick auf die Erfassung der verschiedenen Schichten und Erscheinungsformen natürlich-sprachlicher Bedeutungsphänomene, werde ich in diesem Aufsatz nicht ansprechen. Ich neige hier selbst zu einer sehr vorsichtigen Einschätzung.
Wie die Semantik arbeitet
59
letzten Jahren von verschiedener Seite vorgeschlagen wurde. In Abschnitt 4 gehe ich auf das Problem der defizienten Eingabe-Information ein und beschreibe daran anschließend einen eigenen Vorschlag fur einen Unterspezifikationsformalismus höherer Stufe. In Abschnitt 6 diskutiere ich die Beschreibungsstärke dieses Formalismus in bezug auf komplexe Phänomene aus dem Mehrdeutigkeitsbereich. Abschnitt 7 schließlich skizzert die mögliche Anwendung des Formalismus im Bereich der Verarbeitung defizienter Eingabe-Information fur gesprochene Sprache.
2
Das Problem der Mehrdeutigkeit
Das klassische Paradigma der linguistischen Semantik ist durch das Prinzip der Kompositionalität geprägt: Der semantische Wert eines komplexen Ausdrucks ergibt sich gemäß dem Kompositionalitätsprinzip eindeutig aus dem semantischen Wert seiner Teilausdrücke und seiner syntaktischen Struktur. Daraus ergibt sich ein sehr einfaches Modell der semantischen Verarbeitung: Eine EingabeÄußerung wie im Beispiel (1) wird zunächst syntaktisch analysiert; das Resultat der syntaktischen Analyse (2) dient als Eingabe in die semantische Analyse, die der Äußerung auf der Grundlage des semantischen Lexikons und der semantischen Kompositionsregeln wiederum einen semantischen Wert (3) zuweist. (1)
Peter arbeitet
(2)
S / NP
\ VP
X -L (3)
arbeiten'(peter')
Als syntaktische Repräsentation in (2) habe ich einen (stark vereinfachten) Konstituentenstrukturbaum gewählt; die Repräsentation in (3) kann als prädikatenlogische oder typtheoretische Formel gelesen werden. Sie ergibt sich durch die Regel der Funktionalen Applikation oder Funktionsanwendung. Insgesamt und in ihren Teilen besitzt die Repräsentation (3) eine eindeutige denotationelle Interpretation: peter' und arbeiten' als Konstanten der Repräsentationssprache denotieren (relativ
60
Pinkal
zu einer Modellstruktur) ein Individuum (die Person Peter) bzw. eine Abbildung von Individuen in Wahrheitswerte; (3) insgesamt denotiert einen Wahrheitswert, nämlich den Wert, den die "arbeiten"-Funktion für die Person Peter als Argument liefert. Mit dem vorgestellten Schema der Interpretation ergibt sich ein fundamentales Problem, das von der speziellen Wahl des syntaktischen und semantischen Repräsentationsformalismus unabhängig ist: Das Kompositionalitätsprinzip verlangt die eindeutige Interpretierbarkeit jedes Ausdrucks (in einer bestimmten syntaktischen Analyse). Die Bedeutungsstruktur natürlicher Sprache ist jedoch durch Mehrdeutigkeit gekennzeichnet, die in unterschiedlichsten Erscheinungsformen auftritt: als lexikalische Mehrdeutigkeit, die von harten Homonymien wie in Bank und Schloß bis zu systematischen und zum Teil subtilen Verwendungsvarianten reicht (wie im anfangs diskutierten Beispiel Semantik)·, als referentielle Ambiguität bei anaphorischen und deiktischen Pronomina sowie allen Arten von definiten Nominalausdrücken; als relationale Mehrdeutigkeit in Konstruktionen wie Peters Buch,, als strukturelle semantische Ambiguität bei skopustragenden Ausdrücken wie in (4), im Zusammenhang mit Fokuspartikeln wie in (S) sowie mit potentiell kollektiven Prädikaten wie in (6).2 (4) (5) (6)
Einen Fehler hat Peter nicht gefunden Nur Studenten im ersten Semester haben mitgearbeitet Drei Studenten haben ein Referat gehalten
Von Seiten der Semantiktheorie sind zwei unterschiedliche Vorschläge gemacht worden, die auf die Mehrdeutigkeit in natürlichen Sprachen reagieren. Erstens kann man, wie in Montague (1973) und ähnlich im Konzept der "Logischen Form" von May (1985) vorgeschlagen, die Syntax anreichern (z.B. durch Koindizierung) oder modifizieren (durch sogenannte Quantorenanhebung). Dadurch wird eine bestimmte Interpretation schon an der syntaktischen Struktur ablesbar, und das Kompositionalitätsprinzip ist formal gerettet. Alternativ kann man das Kompositionalitätsprinzip partiell opfern, indem man den Determinismus und die Lokalität der semantischen Interpretationsregeln lockert, und so aus einer syntak-
2
Zur Erläuterung der Beispiele: (4) kann je nach der relativen Skopusanordnung der indefiniten NP einen Fehler und des Negationsoperators nicht bedeuten, daß Peter keinen oder alle bis auf einen Fehler gefunden hat. (5) schließt entweder alle Nicht-Studenten oder alle Studenten höheren Semensters aus, je nachdem, ob Studenten oder im ersten Semester fokusmarkiert ist. In (6) kann es sich - in der kollektiven Lesart von ein Referat halten - um ein gemeinsames oder - in der distributiven - um drei unterschiedliche Referate handeln.
Wie die Semantik arbeitet
61
tischen Struktur verschiedene und möglicherweise strukturell stark unterschiedliche semantische Repräsentationen ableitet. Das Standardbeispiel für diese Art des Vorgehens ist die Technik des "Cooper Storage" für die Erzeugung von Skopuslesarten (Cooper 1983). Beide Varianten zur Behandlung von Mehrdeutigkeit, die syntaktische und die semantische, fuhren zu einem erweiterten Bild für den Verarbeitungsprozeß: Das Resultat der syntaktisch-semantischen Analyse für eine Eingabe-Äußerung ist zunächst nicht ein semantischer Wert, sondern eine Menge möglicher Lesarten. Um die aktuelle Bedeutungsinformation zu identifizieren, muß zusätzlich zur Bedeutungskomposition oder "Semantikkonstruktion" ein weiterer Schritt der semantischen Verarbeitung erfolgen: die Ambiguitätsauflösung oder "semantische Resolution", die mithilfe von nicht-linguistischem Wissen unterschiedlicher Herkunft (Kontextwissen, spezifischem und allgemeinem "Weltwissen") Lesarten ausschließt oder gewichtet und im Idealfall eine Interpretationsvariante eindeutig als die vom Sprecher in der Äußerungssituation intendierte Lesart identifiziert. Das einfachste Sprachverstehensmodell, das mit diesem Bild vereinbar ist, wird in (7) graphisch angedeutet. Durch die syntaktisch-semantische Verarbeitung im engeren Sinne werden alle linguistisch möglichen Lesarten zunächst generiert und anschließend durch die Resolutionskomponente gegebenenfalls ausgefiltert. Prinzipiell ist dies "Generiere-und-Teste"-Verfahren gangbar, aber äußerst aufwendig und offensichtlich kognitiv unangemessen: Mehrdeutigkeit ist in natürlicher Sprache keine Randerscheinung, sondern allgegenwärtig; unabhängige lokale Ambiguitäten multiplizieren sich in einem komplexen Ausdruck aus; bei strukturellen Mehrdeutigkeiten wächst die Lesartenzahl hyper-exponentiell mit der Anzahl der beteiligten Elemente: Bei η skopustragenden Elementen gibt es n! Linearisierungsmöglichkeiten; so besitzt eine Äußerung mit fünf Quantoren oder Satzoperatoren - sowohl in Texten als auch in gesprochener Sprache keine Seltenheit - bereits 120 potentielle Lesarten. Die Verarbeitungszeit müßte also mit der Äußerungslänge rapide anwachsen. Tatsächlich läßt sich das im Verhalten natürlicher Sprecher/Hörer nicht beobachten: Mehrdeutige Sätze werden im allgemeinen problemlos in "Echtzeit" verstanden, und zwar, mit Ausnahme seltener markierter Fälle3 so, als würden Alternativen vom Hörer gar nicht wahrgenommen.
3
Fälle, bei denen explizite Reanalyse (Backtracking) stattfindet: Holzweg- oder garden-pathSätze bei syntaktischen Ambiguitäten oder lexikalische Ambiguitäten. die in stark irreführenden Kontexten vorkommen.
62
Pinkal
(7)
Nun ist ein sequentielles Verarbeitungsmodell, das die vollständige Verarbeitung der Äußerung durch eine Komponente zur Voraussetzung für das Einsetzen der nachgeordneteten Komponente macht, sicher realitätsfern: Künstliche Sprachverarbeitungssysteme arbeiten im Syntax-Semantik-Bereich seit langem mit verschränkten oder integrierten Architekturen, und zu den gesicherten Resultaten der empirischen Sprachverstehensforschung gehört die Tatsache, daß beim Sprachverstehen alle verfugbaren Wissensquellen so früh wie möglich zur Lesartenreduktion verwendet werden. Tatsächlich ist in vielen Fällen Mehrdeutigkeit nur theoretisch und nicht aktual vorhanden: In einem Diskurs, der über ein bestimm-
Wie die Semantik arbeitet
63
tes Thema geht, werden domänenspezifische Teillexika aktiviert und andere ausgeblendet: Wenn in einer Musikkritik von Komposition die Rede ist, ist die Bedeutungskomposition sicher keine primäre Lesartenalternative; wenn in einem Terminvereinbarungsgespräch zwei Personen etwas ausmachen wollen, wird dies zunächst in jedem Fall so verstanden, daß es um den Zeitpunkt für ein Treffen geht und nicht um das Radio oder die Kartoffeln.4 Wenn ich in Saarbücken von einem Passanten nach dem Weg zum Rathaus gefragt werde, ist trotz vieler tausend existierender Rathäuser die Referenz für mich eindeutig. Und auch, wenn in einer Domäne oder einem Kontext verschiedene Interpretationsmöglicheiten vorhanden sind, ergibt sich in vielen Fällen eine drastische Lesartenreduktion bereits bei der lokalen Verarbeitung von Äußerungsteilen, z.B. durch semantische Sortenbeschränkungen und Kollokationspräferenzen. Das Ambiguitätsproblem läßt sich auf diese Weise zwar in der Größenordnung reduzieren, aber nicht generell beseitigen. Ich möchte hier nacheinander auf zwei Beobachtungen hinweisen, von denen die eine den Prozeß der semantischen Verarbeitung und die andere deren Resultat betrifft. Die erste Beobachtung ist, daß die Resolution in vielen Fällen erst unter Einbezug aller Äußerungsteile erfolgen kann, also die syntaktisch-semantische Verarbeitung der vollständigen Eingabe-Äußerung voraussetzt. Die Aufforderung (8) ist in der typischen, allen Eltern geläufigen Situation eindeutig, obwohl für die lokale Interpretation von das Kind bzw. das Messer jeweils viele angemessene Referenzobjekte zur Verfügung stehen, und zwar aufgrund der Tatsache, daß die Präsupposition von wegnehmen, das Bestehen einer entsprechenden habenRelation, von genau einem Kind-Messer-Paar erfüllt wird. (8) (9) (10)
Nimm dem Kind das Messer weg Einen Aufsatz hat jeder Linguist gelesen Einen Aufsatz hat jeder Linguist geschrieben
Entsprechend ergeben sich die unterschiedlichen Skopus-Präferenzen für (9) und (10) erst aus Plausibilitätsüberlegungen für die gesamte Äußerungsinformation. Damit sind wir also wieder auf die Generate-and-Test-Problematik bei der semantischen Verarbeitung zurückgeworfen. Die zweite Beobachtung ist, daß am Ende des Sprachverstehensprozesses oft gar keine eindeutige Äußerung steht, ohne daß dies das Gelingen des Kom4
Die Fälle, in denen sich doch die unerwartete Lesart als die intendierte herausstellt, sind die in Anm. 3 erwähnten markierten Fälle, die explizite Reanalyse erforderlich machen. Dies schlägt sich empirisch in signifikanten Verzögerungen beim Verstehen nieder.
64
Pinkal
munkationsprozesses wesentlich beeinträchtigt. Die Äußerung Semantik ist interessant ist informativ, auch wenn die Fach/Gegenstand-Ambiguität nicht aufgelöst ist. Sie kann sogar vom Sprecher ohne die Festlegung auf eine spezifische Lesart intendiert sein. "Schwache lexikalische Ambiguität" dieser Art ist insofern dem Phänomen der Vagheit sehr verwandt (vgl. dazu Pinkal 1985). Ähnlich liegen die Dinge aber auch bei strukturellen Ambiguitäten, wie das Beispiel (11) demonstriert: (11)
An diesem Institut arbeiten mehrere Wissenschaftler an Problemen der formalen Semantik
Eine Äußerung von (11) enthält für einen semantikinteressierten Forscher relevante Information, auch wenn die Frage nicht geklärt ist, ob jeder der Wissenschaftler an verschiedenen Problemen oder alle an den gleichen Problemen arbeiten und ob sie das gemeinsam oder jeder für sich tun, von untergeordneter Bedeutung ist. Die vollständige Spezifikation einer Lesart würde vermutlich sogar den Nutzwert der Äußerung nicht besonders vergrößern. Diese Tatsachen legen es nahe, den semantischen Wert einer nicht resolvierten, in ihrer Bedeutungsinformation unterspezifizierten Äußerung anders, direkter und kompakter zu beschreiben als durch eine Menge von Lesarten-Alternativen. Ich werde im folgenden Abschnitt skizzieren, wie dies geschehen kann.
3
Formalismen für die Repräsentation semantischer Unterspezifikation
Für Fälle lexikalischer Ambiguität läßt sich das Problem der Mehrdeutigkeit prinzipiell lösen, und zwar auf verschiedenen Ebenen: Man kann, wie in Pinkal (1985), von einer lexikalischen Repräsentation ausgehen und die AusdifFerenzierung der Lesarten durch eine "Präzisierungssemantik" modellieren, die der Repräsentation in Abhängigkeit vom Kontext alternativ komplettierbare partielle Funktionen als Denotate zuweist. Man kann aber auch auf der Repräsentationsebene die lexikalischen Lesartenalternativen durch unterschiedliche (atomare oder komplex strukturierte) Repräsentationen bezeichnen und die unterspezifizierte semantische Information mit Hilfe einer - in ihrem Wertebereich eingeschränkten Metavariablen ausdrücken: (13) ist eine entsprechende kompakte Beschreibung der Lesartenalternativen in (14) für den Satz (12).
Wie die Semantik arbeitet (12) (13) (14)
65
Peter besitzt eine Bank { 3x(X(x) & besitzen' (peter', χ)), Χ € {banlq, bank2}} { 3x(banki(x) & besitzen' (peter', χ)), 3x(bank2(x) & besitzen' (peter', χ ) ) }
Eine angemessene Modellierung wird vermutlich je nach dem Ambiguitätstyp des mehrdeutigen Ausdrucks beide Verfahren komplementär einsetzen. Fälle von struktureller semantischer Mehrdeutigkeit sind schwieriger zu behandeln, da die potentiellen Lesarten nicht nur in begrenzten lokalen Bereichen divergieren, sondern in ihrer globalen Struktur, wie die in (15) wiedergegebenen Lesarten von Satz (4) illustrieren (die Tempusinformation ist aus Vereinfachungsgründen weggelassen). (4) (15)
Einen Fehler hat Peter nicht gefunden - 3y(fehler'(y) & finden'(peter', y)) 3y(fehler'(y) & - finden'(peter\ y))
Wegen der strukturellen Divergenz scheidet eine direkte denotationelle Modellierung der unterspezifizierten Semantik aus. Auch eine Darstellung mithilfe von in eine logische Formel eingestreuten Metavariablen ist problematisch, da es einen übergreifenden gemeinsamen Teil der Repräsentation nicht gibt. Für das Problem der unterspezifizierten Skopusrepräsentation sind in den letzten Jahren mehrere Lösungen vorgeschlagen worden, die hauptsächlich durch Erfordernisse der maschinellen Sprachverarbeitung motiviert waren und im wesentlichen vergleichbare Eigenschaften aufweisen 5 . Exemplarisch möchte ich eine modifizierte Form des UDRT-Formalismus von U. Reyle an einem Beispiel vorfuhren. Die Originalversion verwendet DRSen (Diskursrepräsentationsstrukturen; vgl. Kamp 1981, Kamp/Reyle 1993) als Repräsentationsobjekte. Ich führe Reyles Technik in einer prädikatenlogischen Variante vor - erstens aus Gründen der Lesbarkeit und zweitens, weil die spezielle Wahl der Repräsentationssprache für das hier betrachtete Problem keine Rolle spielt. Die unterspezifizierte Semantik eines Ausdrucks wird in Form einer Menge von Constraints dargestellt, die die Form der möglichen logiksprachlichen Repräsentationen einschränken. Die Constraintmenge für Satz (4) ist in (16) wiedergegeben. 5
Zu den wichtigsten Formalismen gehören QLF (Quasi-Logical Form): Alshawi/Crouch 1992; UDRT(Underspecified discourse Representation Theory): Reyle 1993; LUD (Labelled Underspecified Discourse Representation): Bos 1995; MRS (Minimal Recursion Semantics): Egg/ Lebeth 1995 sowie der CDRT-basierte Formalismus von Muskens 1995 und die Ambiguated Logic von Jan van Eijck (Cooper et al. 1996).
66
Pinkal
(16) {li : 3x(fehler'(x) & l2), I3: - M , lo:finden'(peter',χ), li _ ΐτ, 13 _ ·τ, io _ I2, io _ I4} Der BeschreibungsformalisiTius enthält zusätzlich zu den Symbolen der logischen Repräsentationssprache, auf die ich mich im folgenden in Abgrenzung vom metasprachlichen Beschreibungsformalismus als "die Objektsprache" beziehe, "Labels" oder Etiketten (lj, lo, h , ·•·). sowie die Relationszeichen ":" und "_". Labels spielen die Rolle von Meta-Variablen: Sie sind lokale Bezeichner für objektsprachliche Teilstrukturen. Der Doppelpunkt kann als Gleichheit gelesen werden: "lo: finden'(peter',x)" drückt aus, daß lo der Name der Teilstruktur finden'(peter',x) ist. Labels können zur partiellen Spezifikation von Strukturen dienen, wenn sie als Platzhalter fur Teilformeln in komplexen Ausdrücken vorkommen: "li : 3x(fehler'(x) & I2)" drückt aus, daß die Struktur Ii eine Existenzaussage mit fehler' als Restriktionsprädikat ist, "I3: I4", daß die durch I3 bezeichnete Struktur die Form eine Negation hat. Aufeinander bezogen werden die partiellen Beschreibungen durch die Relation "_", eine partielle Ordnungsrelation über Labels, die Subordination oder Teilstrukturbeziehung ausdrückt: 1 _ Γ besagt, daß die durch 1 bezeichnete Formel in der durch Γ bezeichneten Formel vorkommt (echt oder unecht: d.h., daß 1 _ 1' auch die Möglichkeit von 1 = Γ mit einschließt). 1τ ("T" fur "Top") ist das Label, das für die Gesamtstruktur steht. (17) ist eine anschaulichere graphische Darstellung der Constraintmenge (16), bei der die Subordinationsconstraints durch Kanten dargestellt sind. 17)
1T
l j : 3x(fehler'(x)& 1 2)
13:-14
1Q: finden'(peter',x)
Die durch (16) bzw. (17) bezeichneten Lesarten ergeben sich als die minimalen Lösungen des Constraintsystems, d.h., als die kleinsten objektsprachlichen Repräsentationen, die alle Constraints in (16) erfüllen, anders ausgedrückt: als die möglichen Linearisierungen der partiellen Ordnungsstruktur. Lösungen für (16)/(17)
Wie die Semantik arbeitet
67
sind genau die beiden prädikatenlogischen Formeln in (15): Wenn wir I3 über Ii anordnen (d.h., h _ I4 setzen), erhalten wir die Lesart mit weiter Negation, im umgekehrten Fall (mit I3 _ I2) die Lesart mit weitem Existenzquantor. Wie weit trägt der beschriebene Unterspezifikationsformalismus zur Lösung der beiden in Abschnitt 2 charakterisierten problematischen Sachverhalte bei? Für das erste Problem, die Interaktion zwischen logisch-grammatischer Bedeutungskomposition und Ambiguitätsresolution, eröffnet die Technik der constraintlogischen Beschreibung von Bedeutungsstruktur eine plausible Alternative zum unnatürlichen Generiere-und-Teste-Verfahren: Ambiguitätsresolution wird nicht durch den Ausschluß vorher generierter vollständiger Lesarten, sondern als monotone Erweiterung der Beschreibung durch Hinzufugen von Bedeutungsinformation (in Form von Constraints) modelliert. Der Übergang von der skopusunspezifischen Interpretation von (4) zur eindeutigen Lesart mit weiter Negation ergibt sich z.B. einfach durch das Hinzufugen von Ii _ I4, eines Constraints, der das Stück Information über die relative Anordnung der Quantoren enthält (die wiederum möglicherweise auf der Grundlage von prosodischer Information gewonnen wurde). Zweitens ermöglicht der Formalismus in natürlicher Weise die Modellierung des Verstehensprozesses als allmähliche Anreicherung von interpretationsrelevanter Information, die in mehreren, ggf. vielen Stufen vor sich gehen kann. Man kann sich den Interpretationsprozeß so vorstellen, daß die syntaktisch-semantische Analyse zunächst eine Constraint-Menge liefert, die dann mithilfe von prosodischem, textgrammatischem und Weltwissen nach und nach erweitert wird (wodurch sich das Lesartenspektrum sukzessive reduziert). Da Constraint-Systeme deklarativ sind, spielt schließlich die Reihenfolge, in der Informationen hinzugefugt werden, keine Rolle: Der Formalismus ist mit einem nicht-sequentiellen Verarbeitungsmodus vereinbar, bei dem Constraints aus unterschiedlichen linguistischen Ebenen und außersprachlichen Wissensquellen gleichzeitig zum Aufbau der Bedeutungsinformation beitragen. Das vollspezifizierte Resultat der semantischen Verarbeitung läßt sich dann in eine konventionelle Bedeutungsrepräsentation übersetzen. Der Fortschritt in bezug auf das erste Problem, die Modellierung des Sprachverstehensprozesses, ist also ganz eindeutig. Die zweite wichtige Beobachtung war, daß es viele Fälle gibt, in denen das Resultat des Sprachverstehensprozesses nicht eine vollspezifizierte Lesart ist, und daß die Unterbestimmtheit der Interpretation vom Hörer weder als Defizit empfunden wird noch die Auswertung der Information blockiert (vgl. Beispiel (11)). Der Beitrag, den die unterspezifizierte Repräsentation in bezug auf diesen weitergehenden Sachverhalt machen kann,
68
Pinkal
muß differenzierter gesehen werden: Auf der einen Seite kann man feststellen, daß die constraintbasierte Repräsentation natürlicher ist als eine Aufzählung von Lesarten und den kognitiven Status z.B. skopusunterspezifizierter Bedeutungsinformation intuitiv angemessener widerspiegelt als die Aufzählung von Lesarten. Auf der anderen Seite geht es aber nicht nur um die Repräsentation von Bedeutungsinformation, sondern um ihre Weiterverarbeitung oder Auswertung. Die fundamentale Operation bei der Auswertung von Information besteht im Schlußfolgern oder Inferieren. Konventionelle logische Deduktions- oder Inferenzsysteme arbeiten auf vollständig spezifizierten Repräsentationen. Für ihre Anwendung müßte man die verbleibende Lesartenmenge nach Abschluß des Sprachverstehensprozesses ausmultiplizieren und Inferenzen parallel auf den einzelnen Lesarten durchführen. Natürliche Sprecher verfahren offenbar anders: Sie arbeiten direkt mit der unterspezifischen Information. Die Frage ist deshalb, ob der Unterspezifikationsformalismus die direkte Inferenz auf seinen Repräsentationen erlaubt. Diese Frage ist bisher nur partiell beantwortet: Für lokale Fälle von Unterspezifikation (z.B. lexikalische Mehrdeutigkeit) bieten Supervaluations- bzw. präzisierungssemantische Ansätze eine Lösung (vgl. Kamp 1975, Pinkal 1985). Reyle (1993) stellt einen formal vollständigen und korrekten Deduktionskalkül für UDRSen vor; er geht dabei allerdings von einem intuitiv unangemessenen Folgerungskonzept aus.6 Van Eijck (1996) beschreibt mit seiner "Logic of Ambiguation" ein intuitiv korrektes, aber zu schwaches Deduktionssystem: Es erlaubt keine intuitiv ungültigen Schlußfolgerungen, modelliert aber längst nicht alle intuitiv gültigen Schlüsse. Reyle (1995) beschreibt Deduktion in Abhängigkeit von der Kovarianz von unterspezifizierten Elementen, die durch ein Koindizierungssystem ausgedrückt wird. Im Falle vollständig fehlender Indizierung läuft sein System auf die vorsichtige Lösung van Eijcks hinaus. Die Koindizierung im Fall von lexikalischer Ambiguität ergibt eine Variante der Supervaluationslösung. Der interessante Fall der Kovarianz von unterpezifizierten strukturellen Ambiguitäten7 wird mit einem sehr komplizierten Zusatzmechanismus behandelt, über dessen Angemessenheit ich mir nicht im klaren bin. 6
"Formal korrekt und vollständig" bezeichnet die Übereinstimmung des Kalküls mit einem gegebenen denotationellen Interpretationskonzept und dem entsprechenden formal-semantischen Folgerungsbegriff. Reyle weist übrigens selbst auf die intuitive Inadäquatheit hin. Es geht ihm in der Arbeit um die Demonstration der Möglichkeit, deduktionstheoretische Techniken Uberhaupt auf unterspezifizierte Repräsentationen anzuwenden.
7
Er tritt z.B. in unterspezifizierten Skopuskonstruktioncn mit Kontrast-Information wie z.B. Ellipsen auf, die weiter unten im Abschnitt 5 diskutiert werden.
Wie die Semantik arbeitel
69
Unberührt von der Frage, ob und wieweit angemessene Verfahren fur die direkte Auswertung unterspezifizierter Information bereitgestellt werden können, bleiben die Vorzüge unterspezifizierter Repräsentationen für die Ermittlung von Bedeutungsinformation bei mehrdeutigen Ausdrücken. Ich lasse die Frage der Auswertung im folgenden auf sich beruhen und wende mich einer Problematik zu, die die logisch basierte Ermittlung von Bedeutungsinformation viel grundsätzlicher in Frage stellt als das bisher betrachtete Problem der Mehrdeutigkeit.
4
Das Problem der defizienten Eingabe-Information
In der Linguistik und in weiten Bereichen der Computerlinguistik ist es üblich, von der idealisierenden Annahme vollständiger und grammatisch korrekter Eingabe-Äußerungen auszugehen. Für das Verstehen schriftlicher Äußerungen ist diese Idealisierung in gewissem Grad plausibel. Jeder, der sich jedoch einmal mit dem Verstehen gesprochener Sprache befaßt hat, weiß, daß die Annahme von vollständigen und korrekten Äußerungen hier völlig an der Realität vorbeigeht: Mündliche, spontansprachliche Äußerungen enthalten typischerweise Abbräche, grammatische Inkonsistenzen und Korrekturen. Bei der Spracherkennung, dem akustisch-phonetischen Teil des Verstehensprozesses, treten zusätzlich Lücken und Fehler auf. Das Resultat ist - wie im Fall der Mehrdeutigkeit - semantische Unterspezifikation. Während die im letzten Abschnitt betrachteten Fälle semantischer Unterspezifikation ihre Wurzel in einer Unterbestimmtheit des sprachlichen Systems haben, ist sie hier durch fehlende oder anderweitig defiziente EingabeInformation bedingt. Diese zweite Art von Unterspezifikation bedeutet für die Umsetzung der theoretischen Semantik in Sprachverstehensmodelle das eigentlich harte Problem. Die Verarbeitung unvollständig produzierter und unvollständig verstandener, inkonsistenter oder falsch verstandener Äußerungen erfordert natürlich unterschiedliche Verfahren. Ebenso lassen sich Probleme und Methoden von menschlicher und maschineller Verarbeitung gesprochener Sprache beim gegenwärtigen Stand der Forschung nur partiell vergleichen, da linguistische und akustische Verarbeitung beim künstlichen Sprachverstehen im wesentlichen "ingenieursmäßig" und kognitiv unangemessen in Bezug gesetzt werden. Trotzdem haben alle diese unterschiedlichen Sprachverstehensaufgaben das Grundproblem der defizienten Eingabe-Information gemeinsam. Ich möchte das Problem im folgenden exempla-
Pinkal
70
risch anhand einiger einfacher Beispiele flir unvollständig verstandene Äußerungen darstellen und eine mögliche Lösung skizzieren, die sich - möglicherweise in modifizierter Form - auch auf die anderen Formen übertragen läßt. (18) (19) (20) (21)
Der Linguist schreibt einen Aufsatz Der Linguist einen Aufsatz Der Linguist... einen Aufsatz ... Linguist... schreibt... Aufsatz ...
(19) - (21) sollen in unterschiedlichem Umfang fragmentarisch verstandene Äußerungen darstellen. Der durchgezogene Unterstrich in (19) steht für eine EinwortLücke. (Der Sprecher weiß aufgrund prosodischer Information, daß genau ein Wort geäußert wurde, hat es aber nicht identifiziert.) Die Pünktchen in (20) und (21) stehen flir Lücken beliebiger Länge. Der Fall (19) ist mit dem bisher eingeführten formalen Werkzeug einfach zu lösen: Es fehlt ein Wort und entsprechend ein semantisches Prädikat, die syntaktische Struktur und damit die Struktur der semantischen Repräsentation können aber vollständig induziert werden. (19) kann man deshalb wie einen vielfach ambigen lexikalischen Ausdruck behandeln: Für das Verb wird eine Meta-Variable eingeführt; mögliche Instantiierungen sind alle transitiven Verbbedeutungen mit geeigneten Sortenspezifikationen. (20) und (21) sind die kritischen Fälle. In (20) wissen wir, daß der Linguist Subjekt ist, und ansonsten nur, daß einen Aufsatz irgendwie in die syntaktische Struktur eingebettet vorkommt. Wir wissen nicht, wie viele und welche Operatoren intervenieren: Die Lücke kann z.B. mit den Wortketten schreibt, schreibt nie oder empfiehlt jedem Studenten aufgefüllt werden, die jeweils dem Indefinitum einen ganz unterschiedlichen semantischen Status geben. In (21) schließlich wissen wir zunächst gar nichts, außer daß die Wörter Linguist, schreibt und Aufsatz in irgendeiner syntaktischen Konstellation in der Eingabe vorkommen und in irgendeiner bisher nicht bekannten Weise zur Bedeutungsinformation der Äußerung beitragen. In gewissem Sinne weiß der Hörer von (21) natürlich mehr: Er kann auf der Basis des spärlich vorhandenen sicheren Wissens und gegebenenfalls unter Verwendung von Kontext- und Allgemeinwissen Heuristiken zur Erschließung hypothetischer Bedeutungsinformation einsetzen. Eine im Falle von (21) in Abwesenheit spezifischer Information naheliegende hypothetische Interpretation wäre genau diejenige, die (modulo Definitheit) der Interpretation von Satz (18) entspricht.
Wie die Semantik arbeitet
71
Das elementare Problem für konventionelle logisch basierte Verfahren der semantischen Analyse besteht darin, daß die semantische Interpretation sich gemäß dem Kompositionalitätsprinzip an der syntaktischen Struktur entlangarbeitet, mithin vollständige (und eindeutige) syntaktische Information voraussetzt. Für (20) und (21) gibt es deshalb weder eine partielle noch eine hypothetische vollständige Analyse: Die semantische Verarbeitung ist von vornherein blockiert. Anders als im Zusammenhang mit Mehrdeutigkeit ist das Problem also nicht nur die Unangemessenheit des semantischen Verarbeitungsmodells, sondern die Möglichkeit der Modellierung semantischer Verarbeitung überhaupt. Anwendungsorientierte Vertreter der maschinellen Sprachverarbeitung haben schon in den siebziger Jahren vorgeschlagen, die logisch-semantische Bedeutungsrepräsentation ganz aufzugeben und durch flexiblere Repräsentationstechniken zu ersetzen. Nach meiner Einschätzung gibt es vérschiedene methodische Argumente, die zwingend für eine denotationell und kompositionell fundierte Bedeutungstheorie natürlicher Sprachen sprechen; ich möchte hierzu an dieser Stelle nicht ausfuhrlicher werden.8 Auf der anderen Seite besteht aber auch der unzweifelhafte Bedarf (aus kognitionswissenschaftlicher und anwendungsorientierter Sicht), die Bedeutungstheorie mit der Bedeutungsverarbeitung unter realistischen Bedingungen in Beziehung zu setzen. Ich möchte im folgenden skizzieren, wie man dies nicht durch die Aufgabe sondern durch eine Flexibilisierung des logischsemantischen Paradigmas erreichen kann.
5
Unterspezifikation mit Constraints höherer Stufe
Die Grundlage für eine Lösung des Problems bildet, wie im Fall der Mehrdeutigkeit, das Konzept der unterspezifizierten Repräsentation mittels Metavariablen und Constraints. Allerdings müssen die Repräsentationen hier weitergehende Anforderungen erfüllen: Sie müssen z.B. in der Lage sein, den Sachverhalt auszudrücken, daß die lexikalische Bedeutung von Linguist in irgendeiner Form zur Äußerungsbedeutung beiträgt, auch wenn die Art und Weise dieses Beitrags nicht einmal in groben Zügen bekannt ist, und die sukzessive Spezifikation dieses Bei-
8
Zu einer Darstellung der Argumente unter dem Aspekt der maschinellen Sprachverarbeitung vgl. Pinkal (1995a); eine schöne und überzeugende Begründung aus sprachphilosophischer Sicht liefert Cresswell (1982).
72
Pinkal
trags durch alternative, heuristische Verfahren der Bedeutungsermittlung zu modellieren. Mein konkreter Vorschlag zur Lösung des Problems sieht aus wie folgt: In Erweiterung des vorhandenen, im letzten Abschnitt am UDRT-Beispiel illustrierten Unterspezifikationskonzepts werden nicht nur Metavariablen verwendet, die für Teilausdrücke stehen (und auf diese Weise Teilbereiche einer semantischen Struktur unterspezifizieren können), sondern zusätzlich Metavariablen zweiter Stufe, die semantische Operationen als mögliche Werte annehmen können. Den Sachverhalt, daß Linguist in (21) in einer noch näher zu bestimmenden Weise zur Bedeutung des gesamten Ausdrucks beiträgt, repräsentiere ich durch (22), wobei Xo als Metavariable erster Stufe (entsprechend Reyles Label 1χ) fur die Bedeutungsrepräsentation der Gesamtäußerung steht. C ist eine Funktionsvariable (also eine Variable zweiter Stufe), die als Wert beliebige atomare oder komplexe Operationen der Objektsprache annehmen kann (also Abbildungen von objektsprachlichen Ausdrücken nach objektsprachlichen Ausdrücken). (22)
Xo = C(linguist')
Im folgenden möchte ich eine Beschreibungssprache für unterspezifizierte semantische Information mit Variablen und Constraints zweiter Stufe vorstellen. Ich orientiere mich dabei an einer Version, die ich USDL (Underspecified Semantic Description Language) genannt und in Pinkal (1995b) formal beschrieben habe. Als Voraussetzung möchte ich das allgemeine Konzept einer Beschreibungssprache etwas deutlicher herausarbeiten, als dies etwa für die UDRT bisher geschehen ist. Beschreibungssprachen sind Metasprachen, die Konstrukte einer anderen Sprache (der Objektsprache, im folgenden OL) spezifizieren. Ausdrücke der Beschreibungssprache denotieren dementsprechend nicht Dinge in der Welt, sondern Ausdrücke und Ausdrucksmengen der Objektsprache. Durch die denotationelle Interpetation der objektsprachlichen Ausdrücke erhalten sie indirekt, im zweiten Schritt, eine Art "echter semantischer Interpretation". Als exemplarische Objektsprache verwende ich die Sprache der Typtheorie, die z.B. auch Montagues Intensionaler Logik zugrundeliegt. Das verwendete Beschreibungssprachenkonzept ist aber weitgehend objektsprachenunabhängig und kann ebensogut auf kompositioneile Versionen von DRT oder Situationstheorie angewandt werden 9 Zunächst besitzt die Beschreibungssprache nicht-logische Konstanten als Namen für die nicht-logischen Konstanten und die Variablen der Objektsprache. Der 9
Zu ersteren s. Muskens (1994) und Kuschert et al. (1996); zu letzteren FraCaS D8.
Wie die Semantik arbeitet
73
Einfachheit halber benutze ich als USDL-Konstanten die objektsprachlichen Bezeichnungen selbst: Die USDL-Konstante peter' denotiert also peter' als OLKonstante (die wiederum durch die OL-Interpretation auf das Individuum Peter referiert). Die USDL-Konstante χ denotiert die OL-Variable x. Außerdem besitzt USDL Funktionskonstanten für semantische Operationen in OL, z.B. die zweistellige Konstante @ für fünktionale Applikation, die einstellige Funktionskonstante Neg für die Negation, und eine Funktionskonstante Ex für jede OLVariable x, die jeweils Existenzquantifikation mit der OL-Variablen χ bezeichnet. Am Beispiel: @ denotiert als Bezeichner für die fünktionale Applikation eine Funktion, die zwei OL-Ausdrücke α und β als Argumente nimmt und mit ihnen den OL-Ausdruck a(ß) als Wert ergibt. Der komplexe USDL-Term (23) denotiert also eindeutig den OL-Ausdruck arbeiten'(peter') (23) (24) (25)
aibeiten'@peter' Neg(Ey(Am/(fehler'@y, finden'@peter'@y))) - 3y(fehler'(y) & finden'(peter\ y))
(24) denotiert entsprechend den OL-Ausdruck (25), wobei And als USDLKonstante für die OL-Operation der Konjunktion steht.10 So weit haben wir bisher nur eine umständliche Notationsvariante für die vollspezifizierten semantischen Standardrelationen eingeführt. Meta-Variablen geben der Beschreibungssprache die Möglichkeit, Unterspezifikation auszudrücken. Zunächst verfügt USDL wie UDRT, QLF und verwandte Formalismen über Variablen erster Stufe (Χ, Υ, Z, ...), die als Werte beliebige OL-Ausdrücke annehmen können. (26) z.B. gibt eine Einschränkung für mögliche Instantiierungen der Variablen X: es muß sich um eine Funktor-Argument-Struktur mit dem Funktor arbeiten1 handeln, also um einen OL-Ausdruck, der die Form arbeiten'(a) besitzt (wobei α wiederum OL-Ausdruck ist). (27) beschreibt entsprechend die OL-Ausdrücke der Form ß(peter'). Die Anforderungen der Constraintmenge (28) werden offensichtlich durch genau einen OL-Ausdruck erfüllt, nämlich durch arbeiten'(peter'). (26) (27) (28)
10
X = aibeiten'@Y X = Z@peter' {X = arbeiten'@Y, X = Z@peter'}
Der Infixoperator @ ist linksassoziativ. Die Konstante finden' ist entsprechend der üblichen typtheoretischen Behandlung nicht als zweistelliger Ausdruck, sondern äquivalent als Schachtelung von zwei einstelligen Funktionen kategorisiert.
Pinkal
74
Ein etwas komplexeres Beispiel ist (29), das die Strukturbeschränkung ausdrückt, die durch die indefinite NP ein Fehler induziert wird. (29)
Xi = Ey(And(te\ûzt'@y, X2))
(29) ist eine methodisch etwas konsequentere, aber ansonsten äquivalente Formulierung zum UDRT-Constraint "h : 3x(fehler'(x) & I2)" in (16), wie der Formalismus überhaupt soweit eine Notationsalternative zu verfugbaren Unterspezifikationsformalismen darstellt. Eine echte Neuerung besteht in der Einführung der Abstraktion mittels eines metasprachlichen Lambda-Operators λ.11 Der λ-Operator kombiniert sich mit einer oder mehreren Variablen erster Stufe und einem USDL-Term zur Spezifikation einer komplexen semantischen Operation. λΧ.arbeiten'@X denotiert z.B. die Funktion, die einen OL-Ausdruck α als Argument nimmt und mit ihm den Ausdruck arbeiten'(a) als Wert ergibt; λΧΥ.Χ@Υ nimmt zwei OL-Ausdrücke als Argument und liefert das Resultat ihrer funktionalen Anwendung als Wert ab. Wie in der Standard-Anwendung des getypten Lambda-Kalküls zur Bedeutungsrepräsentation steht auch auf der Ebene der Beschreibungssprache LambdaKonversion zur Verfugung: λΧ.arbeiten'@X(peter') kann auf rein syntaktischem Wege zu arbeiten'@peter' reduziert werden. USDL-Lambda-Ausdrücke können somit als eine Art von Bauanleitung für komplexe semantische Objekte gelesen werden. Die entscheidende Neuerung besteht in der Einfuhrung von Funktionsvariablen (im folgenden als C, Ci, C2, ... notiert). Funktionsvariablen nehmen einfache oder komplexe semantische Funktionen als mögliche Werte, und erlauben deshalb nicht nur die Unterspezifikation von lokalen Teilstrukturen, sondern die Unterspezifikation der genauen Funktion eines Elementes in einer komplexen Struktur. Ein Beispiel habe ich bereits oben in (22) gegeben. Ein anderes Beispiel ist (30). (30)
X = C(arbeiten\ peter')
Wenn C, in semantischer Redeweise, die funktionale Applikation als Wert annimmt oder, in syntaktischer Redeweise, mit λΧΥ.Χ@Υ substituiert wird, erhält
" Mit dem λ-Operator, dem bereits eingeführten meta-sprachlichen Gleichheitszeichen, das zwei USDL-Terme zu einem Constraint verbindet, und den Mengenklammern { }, die eine Menge von USDL-Constraints zu einer verallgemeinerten Konjunktion zusammenfassen, sind die logischen Symbole des hier vorgestellten Beschreibungssprachen-Fragmentes schon komplett.
Wie die Semantik arbeitet
75
man als Wert von X wiederum arbeiten'(peter'). Das gleiche Ergebnis erhalten wir, wenn wir in (31) C mit XX.X@peter' instantiieren. (31)
X = C(arbeiten')
Wesentlich ist hier der Unterschied zum Constraint (26), der mithilfe einer Variablen 1. Stufe formuliert wurde: Gemäß (26) ist der Wert von X auf Ausdrücke der Form arbeiten'(a) eingeschränkt. Dagegen kann C in (31) sein Argument arbeiten' auf alle möglichen Arten in die semantische Struktur X einbringen: Substitution von C mit XX.jeder'@student'@X piaziert arbeiten' als zweites Argument eines verallgemeinerten Qantors, mit jeder'(student')(arbeiten') als Resultat, Substitution mit λΧ.Αχ(Ιηιρ(Χ@\, erfolgreich'@x)) positioniert arbeiten' in die Restriktion eines Allquantors mit dem OL-Denotat Vx(arbeiten'(x)—»erfolgreich'(x)), das die Bedeutung von Wer arbeitet, ist erfolgreich repräsentiert. Kurz: (31) verlangt nur, daß arbeiten' in irgendeiner Weise in die semantische Repräsentation des Gesamtausdrucks eingeht. Um ein angemessenes formales Korrelat für die Intuition zu erhalten, daß ein Ausdruck "in die semantische Repräsentation des Gesamtausdrucks eingeht", müssen wir außerdem als mögliche Werte von Funktionsvariablen die degenerativen Fälle von Funktionen ausschließen, die ihre Argumente mit einem konstanten Wert überschreiben (wie z.B. XX.es regnet'); des weiteren auch Funktionen, die ihre Argumente vervielfältigen (XX.finden'@X@X). Beide Beschränkungen zusammen ergeben die Eigenschaft der Linearität für semantische Funktionen, die sich in der USDL-Syntax in einer Linearitätsbedingung für λ-Terme niederschlägt: Jede Variable im Lambda-Präfix kommt genau einmal im Körper des Lambda-Ausdrucks vor. Damit ist garantiert, daß ein Vorkommen eines natürlichsprachlichen Ausdrucks sich in einem echten Beitrag zur Semantik der Äußerung niederschlägt und nicht "verlorengeht", und daß er genau einmal und nicht mehrmals an verschiedenen Stellen eingebracht wird. Mit der Linearitätsannahme drücken Constraints zweiter Stufe wie (31) genau die Art von radikaler Unterspezifikation aus, wie sie fur die Modellierung fragmentarischer Information benötigt wird. Ich komme nun zu einem Beispiel, das die semantische Verarbeitung mit höherstufigen Constraints illustrieren soll. In diesem ersten Beispiel geht es nicht um die Verarbeitung defizienter Eingabe-Information, sondern um einen Ausdruck mit einer mehrdeutigen syntaktischen Struktur. Damit kann das Arbeiten der Semantik auf unterspezifizierter syntaktischer Information demonstriert werden, ohne daß der Aspekt der Kombination von konventionellen und heuristischen
Pinkal
76
Verfahren gleich mitberücksichtigt werden muß. (32) ist ein typischer Fall von syntaktischer Mehrdeutigkeit, der durch die alternativen Schachtelungsmöglichkeiten in einem Nominalausdruck mit Prä- und Postmodifikatoren entsteht. (32) (33) (34)
ehemaliger Professor in Saarbrücken (a) [ a ehemaliger] [n Professor ] [pp in Saarbrücken ]]] (b) [n 1 [ k [ a ehemaliger] [ n Professor ]] [pp in Saarbrücken]] (a) ehemalig'@(in_sb'@professor') (b) in_sb'@(ehemalig'@professor')
(32) hat die zwei möglichen syntaktischen Analysen in (33), die wiederum die beiden semantischen Lesarten in (34) induzieren.12 Als Voraussetzung für die Behandlung des Beispiels brauchen wir zunächst ein Verfahren zur unterspezifizierten Repräsentation syntaktischer Struktur. In den letzten Jahren hat es dafür verschiedene Vorschläge gegeben, die untereinander recht eng verwandt sind. Ich verwende im folgenden in Anlehnung an die "Baumlogik" von Backofen et al. (1995) eine allgemeine Dominanzrelation gebunden< ist, dann ist damit nicht eine syntaktische Bindung wie beim Präpositionalobjekt gemeint.
Aber was ist positiv gemeint? Eisenberg (1994:274) diskutiert in diesem Zusammenhang zwei Beispiele; ich gebe sie im folgenden wieder und erlaube mir, ein Beispiel hinzuzufügen. NGr PrGr
Ν
Ν
Pr
Ν
die die das
Hoffnung Hoffnung Recht
auf im auf
Frieden Frieden Arbeit
Abb. 1\
[H.E.W.]
Stemma nach Eisenberg (1994:274)
Eisenberg kommentiert: Zitat Nr. 12 Die PrGr auf Frieden ist dem Kernsubstantiv ebenso nebengeordnet wie im Frieden [...] Das Präpositionalattribut wird im ersten Falle entsprechend einer Aktantenfunktion beim Verb hoffen interpretiert, im zweiten Falle nicht. Dies ist ein semantischer und nicht ein syntaktischer Unterschied.
Die Frage, die hier auftritt, liegt auf der Hand: Wie wird das dritte, hinzugefugte Beispiel interpretiert? Etwa entsprechend einer Aktantenfunktion bei einem nicht existenten Verb? Ich breche hier ab, weil wohl inzwischen klar sein dürfte, daß die Grammatik Eisenbergs - für das hier betrachtete Phänomen - als Grundlage fur eine Wörterbuchgrammatik nicht infrage kommt. Denn man kann dem potentiellen Wörterbuchbenutzer schließlich nicht sagen: (a)
Präpositionen können zusammen mit ihrer (oder einer ihrer) Kasusrektion(en) an Verben valenzgebunden sein (und unter der Valenzbindung ist das und das zu verstehen).
128
Wiegand
(b)
Die gleichen Präpositionen können auch in PPA-Konstruktionen an vorangehende Substantive „irgendwie" gebunden sein, aber das ist auf keinen Fall eine Valenzbindung und auch keine syntaktische Bindung.
Im folgenden wird ein Vorschlag gemacht, wie die Bindung von PräpositionenPPA an Vorgänger-SubstantiveppA verstanden und so erläutert werden kann, daß die Erläuterung auch fur eine Wörterbuchgrammatik brauchbar ist. Es sei vorab bemerkt, daß ich die Lösung, die Rauh (1993 u. 1995) für das Englische im Rahmen einer bereinigten X-bar-Theorie vorgeschlagen hat, kenne und im Rahmen dieser Theorie fur eine interessante Lösungsmöglichkeit halte, die auch mutatis mutandis für das Deutsche formuliert werden kann. Die X-bar-Theorie ist aber als Grundlage fur eine Wörterbuchgrammatik u.a. deswegen weniger geeignet, weil sie NPs (zu weitgehend) wie Sätze behandelt, was für das Deutsche umstritten und m.E. unangemessen ist (vgl. u.a. Schmidt 1993). Ich schließe bei meinem nachfolgenden Versuch z.T. an Lehmann (1983 u. 1985) an sowie kritisch an Überlegungen von Jung (1995). Nach Lehmanns Taxonomie der syntaktischen Relation lassen sich zwei Sorten von Dependenzrelationen unterscheiden: die Rektion und die Modifikation (vgl. Lehmann 1983: 341ff.).6 Die Unterscheidung basiert u.a. auf einer semantosyntaktisch motivierten Einteilung der sprachlichen Ausdrücke in relationale und absolute, die auf Seiler zurückgeht und die besagt, daß ein Ausdruck (A) relational heißt, wenn er eine Leerstelle eröffnet, in die ein anderer Ausdruck (B) eintreten kann; ist das nicht der Fall, heißt er absolut, so daß auch gesättigte relationale Ausdrücke als absolut gelten. Die Redeweise, daß A eine Leerstelle für Β eröffnet, kann semantisch und syntaktisch verstanden werden. Im ersteren Fall bedeutet diese Redeweise soviel wie: A bewirkt, daß es für die Wahl von B, dem Argument, Selektionsrestriktionen gibt, und zwar in dem Sinne, daß in A's semantischer Struktur klassifikatorische Eigenschaften vorgesehen sind, welche die Argumente Β erfüllen müssen (z.B. ranzig (Bi), blond (B2)). Im letzteren Fall bedeutet die Redeweise, daß A eine Leerstelle für Β eröffnet, daß eine bestimmte syntaktische Konstruktion vorgegeben wird, in welcher eine Konstituente erwartet wird, die das Argument bezeichnet (z.B. bei transitiven Verben). Entscheidend ist mithin (vgl. für Details Lehmann 1983:343), daß das eine Relatum in der semantischen Struktur des anderen vorgesehen ist. Es gilt nun folgende Definition: Ist eine Kon-
6
Manche Autoren sprechen statt von Modifikation von Determination terminologische Erörterungen ist jedoch hier kein Raum.
(z.B. Jung 1995). Für
Von Substantiven regierte
Präpositionen
129
stituente Β von einer Konstituente A dependent,7 dann liegt Rektion vor genau dann, wenn relationales A eine Leerstelle für Β eröffnet, und Modifikation liegt genau dann vor, wenn relationales Β eine Leerstelle für A eröffnet. Abb. 2 gibt eine Veranschaulichung. relationales Regens: A
Modifikatum: A »
untersucht
regiert
Patient
modifiziert
Rektum: Β *
den Patienten
relationaler Modifikator: Β
kranker
ν REKTION
MODIFIKATION DEPENDENZ
Abb. 2:
Veranschaulichung zur Rektion und Modifikation; „x wie χ ist dependent Leerstelle für ζ
von v; „u
•
> y" bedeutet soviel
z" bedeutet soviel wie u eröffnet
eine
Die syntaktische Relation der Rektion ist zweistellig und asymmetrisch; sie ist auf syntaktischen Konstituenten (im klassischen Sinne) definiert; dies bedeutet: in dem Relationsterm χ regiert y sind „x" und „y" - locker ausgedrückt - Variablen für Konstituenten (man darf erwähnte konkrete Konstituenten einsetzen, z.B. „untersucht regiert den Patienten" ebenso wie Konstituentennamen). Die beiden Redeweisen, daß eine Eigenschaft einer Konstituente eine Eigenschaft einer anderen Konstituente regiert, sowie die, daß eine Konstituente die Eigenschaft einer anderen Konstituente regiert, sind abgeleitete Ausdrucksweisen, und zwar von: Eine Konstituente regiert eine andere Konstituente. Das gilt beispielsweise für die weitgehend übliche Redeweise, daß eine Präposition einen Kasus (bei einer anderen Konstituente) regiert. Die abgeleiteten Redeweisen sind aber gut motiviert und daher vertretbar. Denn da im Deutschen als morphologisches Verfahren zur Kennzeichnung der Rektionsbeziehung auch Kasusaffixion Verwendung findet, zeigt sich der Rektumstatus von B, der ja in einer Fremdbestimmung seiner syn7
Dependcnz gehört m.W. nach wie vor zu denjenigen Grundbegriffen, für die es eine allgemein akzeptierte Definition nicht gibt und m.E. auch nicht geben kann, weil Interpretationen der Satzbedeutung und Intuition im Spiel sind (vgl. etwa Heringer 1988:36 u. Schmidt 1993:5Iff.). Wie schwierig es ist, Depcndenz zu definieren, zeigt Heringer (1993), und es zeigt sich dort.
130
Wiegand
taktischen Funktion besteht, gerade darin, daß der Kasus von einer anderen Konstituente A, z.B. einer Präposition, zugewiesen wird. Hier wird das Bestehen einer Rektionsbeziehung mithin am Rektum ausgedrückt. Das Bestehen einer Rektionsbeziehung kann aber auch am Regens ausgedrückt werden, z.B. in er lacht. „Die Personalendung beim Verb regiert den Nominativ beim Subjekt" heißt hier die abgeleitete Redeweise (Eigenschaft einer Konstituente regiert Eigenschaft einer anderen Konstituente). Im folgenden verwende ich Relation nur noch extensional, so daß unter einer Relation eine Menge von n-Tupeln verstanden wird. Für das Deutsche ist die Rektionsrelation zweistellig, mithin eine Menge von 2-Tupeln (oder: geordneten Paaren). Der zugehörige Relationsterm R = χ regiert y ist so definiert, wie oben ausgeführt. Ist z.B. A regiert Β wahr, dann ist das Paar (A, B) ein Element der Rektionsrelation. Statt A regiert Β kann auch gesagt werden A steht zu Β in der Rektionsbeziehung (aber nicht zwischen A und Β besteht eine Rektionsbeziehung und ganz unerträglich für ein geschultes Ohr ist: zwischen A und Β besteht eine Rektionsrelation). Für die abgeleiteten Redeweisen sind die Relationsterme: Ri = χ regiert E bei y sowie R2 = E¡ bei χ regiert E2 bei y (wobei E, Ei und E 2 Eigenschaftsvariablen sind). Mengen, und also auch die Rektionsrelation für das Deutsche, lassen sich in Teilmengen zerlegen. Eine exhaustive Zerlegung, die für das Deutsche angemessen ist, so daß man über alle Klassen von Rektion verfugt, benötigen wir hier nicht; vielmehr werden nur zwei Teilmengen herausgegriffen, um die „Bindung" der PräpositionppA an das VorgängersubstantivPPA besser diskutieren und evtl. auch genauer verstehen zu können. Zur ersten Teilmenge gehören alle Paare, auf die der Relationsterm χ regiert den Kasus bei y zutrifft. Für das Deutsche werden als kasusregierende Wortarten Verben (V), Adjektive (A), Substantive (S) und Präpositionen (P) angesetzt, so daß die Belegung für „x" „geregelt" ist, was nicht heißt, daß jeder Einzelfall entschieden ist (vgl. z.B. als und wie). Zur zweiten Teilmenge gehören alle Paare, auf die der Relationsterm χ regiert einen Status y zutrifft. Im folgenden ist demnach zu erläutern, was unter Statusrektion zu verstehen ist. Der Terminus Statusrektion stammt von Gunnar Bech (vgl. Bech 1983); er wurde von Jung (1995) aufgegriffen und modifiziert. Ich schließe kritisch an Jung (1995:92ff.) an, gehe aber in eine andere Richtung. Statusrektion liegt (nach Jung 1995:88ff.) vor, wenn gilt: Ist eine Konstituente Β von einer Konstituente A dependent, dann liegt Statusrektion vor genau dann, wenn A eine Leerstelle eröffnet für nicht-kasustragende Einheiten Β einer bestimmten Kategorie. Im Sinne einer
Von Substantiven regierte
Präpositionen
131
Zerlegung der Rektionsrelation kann entsprechend festgestellt werden: Ist eine Konstituente Β von A dependent, dann liegt Kasusrektion vor genau dann, wenn A eine Leerstelle für kasustragende Einheiten in einem bestimmten Kasus eröffnet. Die regierten, nicht-kasustragenden Einheiten heißen nach Jung (1995) Status. Von Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang, daß zu den Status von Verben, Adjektiven und Substantiven als eine der bestimmten Kategorien die „regierten" Präpositionen gehören. Auch Jung schließt explizit an den Rektionsbegriff Lehmanns an (vgl. Jung 1995:29ff.), so daß der oben erwähnte Begriff der Relationalität von sprachlichen Ausdrücken vorausgesetzt ist. Während z.B. Fälle wie (27)
ai-a,) er kann / darf / soll / . . . / muß laufen
gute Beispiele fur kategoriale Statusrektion sind (Modalverben im traditionellen Sinn regieren den Null-Infinitiv als Status), ist bei Jung (1995:100) die Behandlung der Statusrektion bei Substantiven, wenn die Status primäre Präpositionen sind, wohl problematisch. Es heißt: Zitat Nr. 13 Obwohl die meisten Substantive syntaktisch absolut sind, eröffnen einige Substantive, die besonders von ihren Verben oder von ihren Adjektiven abgeleitet sind, eine Leerstelle für die den Verben oder Adjektiven entsprechenden bestimmten Status. In die Leerstelle, die solche Substantive eröffnen, können folgende Status eintreten: a. Substantive, die eine Leerstelle für Präpositionen eröffnen: "Interesse", "Angst", "Gruß", "Fahrt" usw. Er zeigt Interesse filr die Dependenzgrammatik. Er hai Angst vor dem Krieg. Seine Fahrt nach München ist sehr wichtig.
In diesem Zitat wird m.E. der Eindruck erweckt, es gäbe einige - besonders deadjektivische und deverbale - relationale Substantive, die als lexikalische Einheiten syntaktische Leerstellen fur Präpositionen als Status eröffnen. Deswegen muß zunächst daran erinnert werden, daß Ausdrücke (nach dem bei Jung vorausgesetzten Rektionsbegriff Lehmanns) nur als Konstituenten und damit für den Rahmen einer syntaktischen Konstruktion syntaktische Leerstellen eröffnen (vgl. Lehmann 1983:344 u. oben). Das bedeutet - und man beachte, daß die nun folgende, nach Jung notwendige Redeweise bemerkenswert merkwürdig ist: Relationale Substantive eröffnen als Vorgänger-SubstantiveppA eine syntaktische Leerstelle nur für eine ganz bestimmte Präposition. Für den Fall, daß relationale Vor-
Wiegand
132
gänger-SubstantiveppA eine syntaktische Leerstelle fur eine kleine Zahl von Präpositionen eröffnen (vgl. z.B. (12) bis (14)) wäre die Redeweise vom Eröffnen einer Leerstelle, die unterschiedlich gefüllt werden kann, dagegen plausibel, wenn man akzeptiert, daß es relationale Substantive gibt. Nach diesen Überlegungen muß nach Jung für eines seiner Beispiele aus Zitat Nr. 13, nämlich A (28)
B
C
Angst vor dem Krieg
zunächst folgende Interpretation (I2«) gegeben werden: Es gilt für die PPA-Konstruktion in (28): (i) Β ist dependent von A, und relationales A, also Angst, eröffnet eine Leerstelle für nur ein ganz bestimmtes nicht-kasustragendes B, nämlich für vor, das den Dativ regiert; daher steht A zu Β definitionsgemäß in der Statusrektionsbeziehung (vgl. aber die drei Einwände unten). Es gilt weiterhin: (ii) C ist dependent von B, und Β eröffnet eine Leerstelle für kasustragende Einheiten wie C; daher steht Β zu C definitionsgemäß in der Kasusrektionsbeziehung. Es ist zu beachten: Als nicht-kasustragende Einheit gilt bei den Wechsel-Präpositionen die Präposition zusammen mit einer ihrer Kasusrektionen (z.B. voro»ι oder ¿»//W) In Abb. 3 findet sich eine Veranschaulichung der Interpretation zu (28).
VorgängerSubstantivppA
Nachfolger-NPppA
A
C
Angst
VOID,,
dem Krieg
k STATUSREKTION
KASUSREKTION
Abb. 3: Erste Veranschaulichung zu den Rcktionsbczichungen in PPA-Konstruktionen: „x > y" bedeutet soviel wie χ ist dependent von v, „u • z" bedeutet soviel wie u eröffnet eine Leerstelle fiir z; ,,r = • s" bedeutet soviel wie r regiert den Status s; „a = = = • b" bedeutet soviel wie a regiert den Kasus von b
Ließe sich I2e gut verteidigen, könnte diese Interpretation als eine (für eine Wörterbuchgrammatik geeignete) Antwort auf die zweite Frage gelten (vgl. unter 1), wie die „Bindung" der P r ä p o s i t i o n ^ an das Vorgänger-Substantivp PA verstanden werden kann. Daher sei I2e nun mit drei Einwänden konfrontiert.
Von Substantiven regierte
Präpositionen
133
Der erste Einwand gegen h% lautet: Wenn in einer PPA-Konstruktion das Vorgänger-SubstantivppA zur P P P A in der Beziehung der Statusrektion steht, dann steht auch in einer AAB-Konstruktion das Vorgänger-SubstantivAAB zur PAAB IN der Beziehung der Statusrektion. Dieser Einwand wird u.a. durch das dritte Beispiel im Zitat Nr. 13 nahegelegt. Der Einwand kann wie folgt zurückgewiesen werden: Gegeben sei als Beispiel für eine AAB-Konstruktion
(29)
A B der Vogel in
C diesem Käfig
Wegen (30)
ai-a?) der Vogel vor / hinter / unter / über / an / neben / auf diesem Käfig
gilt: Β ist nicht dependent von A, so daß A zu Β nicht in der Statusrektionsbeziehung stehen kann, da definitionsgemäß jede Rektionsbeziehung von A zu Β eine Dependenzbeziehung von Β zu A voraussetzt. Der zweite Einwand gegen I28 lautet: Präpositionen sind relational und eröffnen damit Leerstellen. Da in (28) Β (vor) dependent von A (Angst) ist, eröffnet vor eine Leerstelle für Angst, so daß vor zu Angst definitionsgemäß in der Modifikationsbeziehung steht. Obwohl man nicht sehen kann, worin denn die Modifikation bestehen soll, kann dieser Einwand mit den bisher bereitgestellten Mitteln nicht zurückgewiesen werden. Der dritte Einwand lautet: Die im Rahmen von I28 anzutreffende („bemerkenswert merkwürdige") Redeweise, daß in (28) A eine syntaktische Leerstelle für nur ein ganz bestimmtes nicht-kasustragendes Β eröffnet, syntaktisiert das hier fragliche Phänomen, verstellt den Blick dafür, daß das Kompositionalitätsprinzip nicht gilt, und übersieht, daß die hier fragliche Statusrektionsbeziehung im Lexikon zu beschreiben ist, was auch daraus indirekt ersichtlich ist, daß die monierte Redeweise dasselbe besagt wie die folgende: in einer PPA-Konstruktion verlangt das Vorgänger-SubstantivppA (A) fast immer eine bestimmte PPPA (B) (vgl. 28), und nur ganz selten ist eine Auswahl aus einer kleineren Anzahl von semantisch gleichwertigen Präpositionen möglich (vgl. (12) - (14)). Der dritte Einwand weist mehrere Aspekte auf, die einzeln behandelt werden müssen. Zunächst problematisiert er eine Formulierung zurecht, die von mir stammt, aber nach Jung zwingend erforderlich ist. Denn die oben im Anschluß an Jung systematisch entwickelte Redeweise, daß ein Ausdruck A (z.B. Angst) eine syntaktische Leerstelle für nur einen ganz bestimmten Ausdruck Β (z.B. vor) er-
134
Wiegand
öffnet, ist zwar im Rahmen der gewählten Systematik möglich, er verschiebt aber die ursprüngliche Intention, die traditionsgemäß an die Redeweise „A eröffnet eine (oder: mehrere) syntaktische Leerstelle(n)" geknüpft war. Denn Leerstellen waren in der Regel so konzipiert, daß ihnen Klassen von mehreren Ausdrücken zugeordnet waren, so daß bei ihrer Füllung keine Nullwahl, sondern eine wirkliche Selektion (und nicht eine „obligatorische"; vgl. unter 1. (vii)) erfolgen kann; Einerklassen waren - sieht man von solchen Fällen wie den Witterungsverben ab (z.B. regnet eröffnet eine Leerstelle nur für es) - nicht vorgesehen. Da syntaktische Relationen ebenso wie syntaktische Regeln - welcher Art auch immer - üblicherweise nicht für nur zwei ganz bestimmte Ausdrücke formuliert werden, stellt mithin die monierte Redeweise dann eine „Syntaktisierung" dar, wenn man die stillschweigende Konvention akzeptiert, daß syntaktische Relationen und Regeln so formuliert werden, daß sie für mehrere Ausdrücke gelten. Die hier fragliche ,3indung" ist daher (daher = main-stream-ideologisch!) - wie im dritten Einwand gefordert - im Lexikon zu beschreiben. Das bedeutet mithin, daß die „Bindung" der PräpositionenppA als die jeweiligen Status im Lexikoneintrag des regierenden Substantivs (und entsprechend im Wörterbuchartikel eines Printwörterbuches) vermerkt sein muß. Im folgenden wird die oben gegebene Definition von Statusrektion auf ¡categoriale Statusrektion eingeschränkt. Kategoriale Statusrektionsbeziehungen sind beispielsweise in (27ai-a4) gegeben: Die Eigenschaft, daß Modalverben den Infinitiv ohne zu regieren, kann an der Kategorie des Modalverbs festgemacht werden. Von der kategorialen wird die lexikalische Statusrektion unterschieden. Lexikalische Statusrektion liegt vor genau dann, wenn ein Ausdruck A fur eine bestimmte syntaktische Konstruktion K, in die A als Konstituente kA eintritt, einen bestimmten anderen nicht kasusfähigen Ausdruck Β fordert, der als Konstituente kB in Κ eintritt. Es ist zu beachten: eine Relationalität von A ist nicht gefordert, so daß A auch nicht Leerstellen obligatorisch eröffnet. Wir können jetzt feststellen: In einer PPA-Konstruktion regiert das Vorgänger-SubstantivPpA lexikalisch die PräpositionppA als Status und z.B. sagen: In (4b)
Hoffnung auf Frieden
steht Hoffnung zu OH/AU; in der Beziehung der lexikalischen Statusrektion, womit eine Antwort auf die zweite Frage unter 1. vorliegt. Das als Ganzes zu lernende Syntagma Hoffnung auf ist aber keine selbständige Lexikoneinheit (wie Hoffnung
Von Substantiven regierte
Präpositionen
135
oder wie bei jemandem einen Stein im Brett haben oder wie achten auf [!]8), da eine eigenständige lexikalische Bedeutung nicht gegeben ist.9 Es wird vielmehr ein sog. idiosynkratisches Merkmal von Hoffnung im zugehörigen Lexikoneintrag dadurch beschrieben, daß eine Vorkommensbedingung angegeben wird: Immer wenn Hoffnung als Vorgänger-SubstantivppA in einer PPA-Konstruktion verwendet wird, dann ist als Präpositionpp A auf^ erforderlich, d.h.: es wird lexikonintern eine Beschränkung für die Form des Präpositionalattributs angegeben: es muß mit aw/Äkk eingeleitet werden. Im Unterschied zu Abb. 3 ergibt sich dann folgende Veranschaulichung. Nachfolger-NPppA^
Wenn als VorgängerSubstantivppA
dann als PppA
Hoffnung '
aufAi
LEXIKALISCHE STATUSREKTION
~
ν c Λ
Frieden Anerkennung Sonnenschein
\>
KASUSREKTION
-ν — LEXIKON
Abb. 4: Zweite Veranschaulichung zu den Rektionsbeziehungen in PPA-Konstniktionen: „x > y" bedeutet soviel wie χ ist dependent von y\ „r = > • s" bedeutet soviel wie r regiert den Status s; „a = = =• b" bedeutet soviel wie a regiert den Kasus bei b
Die „Bindung" von auf an das Verb hoffen kann nun ebenfalls als lexikalische Statusrektion erläutert werden. Denn immer wenn eine der beiden syntaktischen Leerstellen von hoffen mit einem präpositionalen Objekt besetzt wird, muß auf ^ letzteres einleiten (vgl. unten 31 a). Bei der Substantivierung (oder: Nominalisierung) von hoffen zu Hoffnung vererbt sich die lexikalische Statusrektion und damit die Kasusrektion der Präposition auf. Da von der Beziehung der lexikalischen Statusrektion, in der ein 8
9
achten ow/bedeutet soviel wie .aufpassen', steht also zu achten in lexikalsemantischer Opposition, was fur hoffen und hoffen auf nicht gilt. Daraus folgt, daß achten auf nicht auf die gleiche Weise wie hoffen ogel bereits im 16. Jhd. belegt ist und zwar mit dem Inhalt 'Raubvogel'. Hierzu muß man wissen, daß die Form greif schon seit alters her der Name 7
Damit ist selbstverständlich auch eine deutliche Einschränkung fur die Thematik des Artikels formuliert.
Lutzeier
154
für ein geflügeltes Fabeltier ist.8 Zunächst finden wir die Form als eine Art Eigenname in einer fur uns interessanten Kombination vogel greif, später dann als greifvogel.9 Dabei sind syntagmatische Verbindungen mit anderen Raubtieren belegt, deshalb können wir auf den Inhalt 'Raubvogel' schließen. Somit müssen wir für greifvogel selbst einen Bedeutungswandel von 'Raubvogel' zu 'Greifvögel' ansetzen, wobei als Voraussetzung für den positiven sprachplanerischen Effekt gilt, daß die Verbindung zum Namen greif von den gegenwärtigen Sprechern/Sprecherinnen nicht mehr gesehen wird. Insofern bestätigt sich auch hier unser anfangs eingeführtes Motto: Wenn die Semantik arbeitet, dann steckt dahinter ein (kluger oder in diesem Fall nicht so aufgeklärter) Kopf.
3
Fragestellung
Wir wollen uns von nun an auf die Präpositionen konzentrieren. Die kausale Domäne, angesprochen unter anderem durch die Verbindung einer Präposition mit einem Substantiv der Gemütsbewegung oder psychischen Disposition, wird uns als Untersuchungsbereich dienen. So fällt auf, daß wir im Mittelhochdeutschen/ Frühneuhochdeutschen auf der kausalen Domäne typischerweise die Verwendung der Präposition von finden, wo wir im Gegenwartsdeutschen die Präposition vor finden. Vgl. die sich in etwa entsprechenden Beispielpaare: (12) (13)
10
mhd.: nhd. (Gegenwart):
da lachetin sie beide von froweden und leide sie lachten vor freude 11
fmhd.: nhd. (Gegenwart):
von groszem weynen nicht mer reden mocht 12 vor weinen konnte er nicht mehr reden .
und (14) (15)
8 9 10 11
12
Kluge (1989:276-277). Paul (1992:370). König Rother; vgl. Grimm/Grimm (1984a: Sp. 20). Die sprachgeschichtlichen Schwankungen zwischen vor und für würden noch in der zweiten Hälfte des 18. Jh. eher ein für erwarten lassen. Vgl. ein Beispiel bei Schiller: und weinen für schmerzen und freude. Dafür finden wir aber auch ein Beispiel aus dem 17. Jh. mit vor bei Grimmelshausen: das hertz hupffte mir gleichsam vor freuden . Vgl. zu dieser Thematik für die räumlichen Lesarten Desportes (1984:114). Arigo, Decamerone nach Grimm/Grimm (1984b: Sp. 749).
Wandel bei
Konzeptualisierungen
155
Obwohl die notorisch schwierig zu erklärende Alternation mit der Präposition aus in manchen dieser Fälle im Gegenwartsdeutschen möglich ist, so etwa in Beispiel (13),13 ist die Verwendung der Präposition von definitiv ausgeschlossen. So ist etwa mit Beispiel (16): (16)
vom weinen konnte er nicht mehr reden
etwas ganz anderes als in (14) angesprochen: Weinen erscheint in (16) als Thema der Rede. Dieser auffallenden Veränderung in den Gebrauchsbedingungen der Präpositionen von und vor auf der kausalen Domäne im Zeitraum vom Mittelhochdeutschen bis zum Gegenwartsdeutschen wollen wir in diesem Beitrag etwas nachgehen. Die Frage, die uns im Rahmen der kognitiven Linguistik hierbei interessiert, lautet: Ist im Zusammenhang mit versprachlichten Begründungen für bestimmte Verhaltensweisen, wie z.B. in den Beispielpaaren (12), (13) und (14), (15), neben denkbaren Veränderungen der kausalen Lesarten der involvierten Präpositionen eine Veränderttng bei den Konzeptualisierungen solcher Verhaltensweisen festzustellen? M.a.W., hat in diesen Fällen eine Anpassung im Gebrauch an den Wandel auf der Ebene der Konzeptualisierungen stattgefunden?
4
Präpositionen: Forni und Inhalt
Zunächst einmal ist festzuhalten, daß wir im Mittelhochdeutschen, im Frühneuhochdeutschen und im Gegenwartsdeutschen die fraglichen Präpositionen von und vor in den jeweiligen Wortschätzen zur Verfügung haben. Im Mittelhochdeutschen handelt es sich um die Formen von(e), van(e) und vor(e). Auf der Formebene ist also von den Möglichkeiten her gesehen kein Unterschied bei den
13
Ich werde auf die Frage der Alternation zwischen vor und aus hier nicht eingehen. Eine Lösung dieser Frage ist übrigens nach der bisherigen Literatur zu urteilen keinesfalls in Sicht. Z.B. finden wir noch bei Schröder (1990: 79, 215) die bekannte Unterscheidung mithilfe des Merkmals Volit' ("Willentliche Handlung"): aus [+volit] und vor [—volit] , wobei uns für aus der Beispielsatz er hatte sich aus versehen falsch gesetzt [ Unterstreichung P.R.L.] als Illustration angeboten wird! Wahrscheinlich könnte zur Behandlung auch dieser Frage der Begriff "Konzeptualisierung" mit Nutzen herangezogen werden.
156
Lutzeier
drei Sprachstadien festzustellen. Wir kümmern uns somit besser gleich um die Inhaltsebene dieser Präpositionen. Die bereits früher diskutierte14, aber gerade im Bereich der kognitiven Linguistik wieder aufgegriffene Polysemie der Präpositionen wird hierbei zu berücksichtigen sein.15 Dabei gehen wir davon aus, daß einzelne Lesarten Domänen wie Lokalität, Temporalität, Modalität, Kausalität zugeordnet werden können. Innerhalb einzelner Domänen läßt sich eine eventuell nötige weitere Differenzierung über unterschiedliche Aspekte, die als Hintergrund für die "Figur" Lesart dienen, erzielen.16 Die verschiedenen Lesarten sind im Falle der Polysemie in einem Wort - in einer Präposition - auf der Inhaltsseite vereinheitlicht. Die Integration der Lesarten in ein und dasselbe Wort ist insofern verständlich, als die Lesarten mittels (Familien-)Ähnlichkeiten in gegliederter Weise untereinander verbunden sind. Dies mag domänenintern oder sogar über Domänen hinweg gelten. Die Gegliedertheit zwischen Lesarten verschiedener Domänen basiert auf einer gewissen Gerichtetheit zwischen den Domänen, insofern wir die Domäne "Lokalität" als die "natürliche" Ausgangsdomäne betrachten. 17 Damit sind die zu untersuchenden kausalen Lesarten unserer Präpositionen als "(metaphorische) Erweiterungen" geeigneter lokaler, räumlicher Lesarten zu verstehen. Falls wir für die einzelnen Präpositionen jeweils mehrere kausale Lesarten vorsehen müssen, sind zusätzlich domäneninterne "Erweiterungen" zu berücksichtigen. Vgl. hierzu das allgemeine Schema in Diagramm 1 :
14 15
16 17
Vgl. Lutzeier (1974). Vgl. Herskovits (1986) für eine ansprechende Darstellung im Rahmen der kognitiven Linguistik. Vgl. für meine Bedeutungskonzeption lexikalischer Elemente Lutzeier (1995: Kap.V). "Lokalität" ist dabei Ausgang sowohl beim individuellen Spracherwerb als auch bei allgemeinen Sprachwandelprozessen auf der Inhaltsebene.
Wandel bei
Konzeptualisierungen
157
Kausalität
Ln.... Lesart η •
4.1
Erweiterung, basierend auf einer Ähnlichkeit
Die Situation im Mittelhochdeutschen
Von weist in erster Linie eine lokale, räumliche Lesart auf, die sich an einem Ausgangspunkt orientiert. Vgl. z.B. aus dem Nibelungenlied: (17) (18)
18 19
si fuoren von dem lande 18 dô von des trachen wunden vlôz daz heize bluot .' 9
Boor (Hrsg.) (1988: Strophe 527 (S. 93)). Boor (Hrsg.) (1988: Strophe 902 (S. 151)).
158
Lutzeier
und das Diagramm 2: mhd. von
(lokal)
Ausgangspunkt
Wenn wir von Ausgangspunkt" sprechen, wollen wir betonen, daß auf jeden Fall die Vorstellung eines Inhaltes, eines Behälters, aus dem etwas kommen könnte, hier keine Rolle spielt. Wir haben m.a.W. die Vorstellung eines O-dimensionalen Elementes, das als Beginn eines sich davon entfernenden Geschehens dient. Lexer (1986) sieht nun für von durchaus auch eine kausale Lesart vor: "die Ursachen oder den urheber, den grund anzeigend" (295). Unter entsprechender Rubrik findet sich in Benecke/Müller/Zarncke (1963: 371) das Beispiel aus dem Armen Heinrich: (19) vonjâmer erkaltet in der Ιΐρ,20 wobei wir in der neuhochdeutschen Übersetzung wahrscheinlich die Präposition aus verwenden würden. Die bei Lexer erwähnten "Ursachen" bzw. "Urheber" stehen für sich, werden nicht weiter im Innern analysiert. Insofern wir sie somit als kausale Entsprechungen zu dem bei der lokalen Lesart auftretenden nichtbehälterhaften, O-dimensionalen "Ausgangspunkt" verstehen können, drängt sich die Anbindung dieser mittelhochdeutschen kausalen Lesart an die aufgeführte mittelhochdeutsche lokale Lesart deutlich auf. Vgl. hierzu Diagramm 3:
mhd. von -
- < N
20
(kausal)
Urheber
Rautenberg, Ursula (Hrsg.) (1959: Strophe 875 (S. 27)).
Wandet bei
Konzeptualisierungen
159
vor weist ebenfalls zunächst lokale, räumliche Lesarten auf. Interessant ist hiervon diejenige Möglichkeit, bei der eine deutliche Hinwendung auf die unter vor angesprochene Sache gegeben ist. Vgl. ein typisches Beispiel bei Walther von der Vogelweide: (20)
daz wir in hiezen hêrre und vor im knieten 21
und das dazugehörende Diagramm 4:
mhd. vor (lokal)
O—
-o
wir
ihm
Auch hier wählen wir bewußt die Formulierung "Bezugspunkt", da dieser Faktor allein zur räumlichen Orientierung eines Geschehens dient und selber nicht weiter zur Analyse ansteht. Eine kausale Lesart finden wir in Lexer (1986) folgendermaßen verzeichnet: "kausal bei innern oder im hintergrunde liegenden motiven eines äussern tuns"(295). Im Grimmschen Wörterbuch steht unmittelbar an die Beschreibung der räumlichen Lesarten anschließend folgende einschlägige Bemerkung: "es kann (...) das Vorhandensein eines gegenständes bezeichnet sein, auf das sich ein verhalten bezieht oder wodurch es bedingt ist (...)."(Grimm/Grimm 1984b, Sp.782). Dieser "Gegenstand" kann als Bezugspunkt für ein Verhalten aufgefaßt werden, womit wir diese kausale Lesart sicherlich als (metaphorische) Entsprechung der angeführten lokalen Lesart verstehen dürfen.
21
Grimm/Grimm (1984b: Sp.777).
160
Lutzeier
Siehe hierzu Diagramm 5: mhd. vor (kausal)
O
-O Motiv
Unter die Rubrik 'Ursache/Motiv' fällt dann wohl auch dieses Beispiel bei Walther von der Vogelweide: (21)
vor vorhten bleichent mir diu wangen rôt
Hier wäre in der neuhochdeutschen Übersetzung an den Gebrauch der Präposition vor oder an den Gebrauch der Präposition aus zu denken. Weiter lesen wir: "die wirkende Ursache ist gewöhnlich nichts von auszen kommendes, abgesehen von kälte, hitze u.ä., wo gleichzeitig ein innerer zustand bezeichnet wird, und so ist dann das bewirkte wiederum ein innerer zustand, dessen ausdruck aber ein verhalten, eine handlung, ein Vorgang, die als unwillkürliche folgen angesehen werden können (...)." (Grimm/Grimm 1984b: Sp. 789). Da übrigens bei Schützeichel (1989) für ahd. fon(ci) und für ahd. fora (fura ) jeweils die Einträge 'wegen' unter anderen mit auftreten, bestanden Anklänge an kausale Lesarten unserer beiden Präpositionen sicherlich bereits im Althochdeutschen. So müssen wir also zunächst feststellen, daß, ungeachtet irgendwelcher idiosynkratischer Beschränkungen oder irgendwelcher besonderer Gebrauchsbedingungen, im Mittelhochdeutschen fur die Formulierung der in (12) angesprochenen Situation auf der kausalen Domäne prinzipiell beide Präpositionen zur Verfugung gestanden hätten. Das Geschehen hätte als Folge von etwas anderem ('von') oder in seiner Hinwendung auf etwas anderes ('vor') aufgefaßt werden können. Beispiel (21) bekräftigt die Möglichkeit der zweiten Version. In beiden Fällen haben wir jedoch die Vorstellung einer linearen, gerichteten Beziehung.23
22 23
Grimm/Grimm (1984b: Sp. 789). Die mit Kausalität häufig verbundene Temporalität braucht hier meiner Meinung nach nicht berücksichtigt zu werden, da wir für die besprochene Situation von "Gleichzeitigkeit" der Faktoren ausgehen können.
Wandel bei Korizeptualisierungen
161
Die dennoch festzuhaltende Bevorzugung der Präposition von in der betreffenden Konstruktion muß nun auf diesem Hintergrund interpretiert werden. Es scheint mir plausibel zu sein, für (12) noch in erster Linie von einer starken Präsenz einer räumlichen Konzeptualisierung auszugehen, die natürlich von der lokalen Lesart für von bestimmt ist. Vgl. das Diagramm 6:
mhd. von
sie
S'| B'
In den von Braisby intendierten Fällen verändert der Übergang von (18) zu (19) nicht den Typ S' von Äußerungssituationen: die Veränderung der Hintergrundsituationen Β zu B' bleibt implizit. Konzeptmodifikationen haben klar einen kontextuellen Status, womit Prinzip D oben beachtet ist. Auch die anderen o.g. Prinzipien scheinen entweder erfüllbar, wie A und B, oder sogar festgelegt, wie C; letzteres wird dadurch erfüllt, daß bei einer konkreten Angabe einer Lexembedeutung ein Ausgangskonzept Ρ (das die zentralen Exemplare erfüllen) festgelegt werden muß. Dieser Übergang zwischen den Ansätzen muß manchen zufrieden stimmen, der hier die Möglichkeit sieht, in der semantischen Arbeit sich auf die Festlegung der prototypischen Konzepte zu beschränken, dagegen etwa die Genese der modifizierten Hintergründe B' aus semantischen Untersuchungen auszuklammern. Dieser Ansicht soll hier nicht gefolgt werden. Zu einer semantischen Modellierung von Konzepten und deren möglichen Veränderungen muß deren Aussehen geklärt werden; wenn Konzeptmodifikationen durch permissible operations Zustandekommen, ist interessant, unter welchen Bedingungen sie stattfinden. Zudem ist an die oben gemachten Beobachtungen zur Übersetzbarkeit von Lexemen zu erinnern; die für die Übersetzung von bestimmten Wahrnehmungsverben möglichen Strategien konnten modifizierte Lesarten von Verben ausnutzen, keinesfalls konnte aber jedes Verb beliebig modifiziert werden. Das Fehlen von diskriminierenden Konzepten verhinderte die Übersetzbarkeit bestimmter Natürliche-Arten-Terme. In den beiden folgenden Abschnitten kehren wir daher zu einer vorsemantischen18 Repräsentation des Wahrnehmungsverbs sehen und einigen seiner Lesarten zurück, wobei es sich anbietet, hierfür die Darstellung komplexer Konzepte im frame-Format zu nutzen. Es sollen insbesondere einige permissible operations vorgeschlagen werden, ohne allerdings deren Plausibilität weiter zu diskutieren.
18
'Vorsemantisch' sind diese Repräsentationen insbesondere dadurch, daß der ontologische Typ von vorkommenden Konzepten keine entscheidende Rolle spielt.
Übersetzung von lexikalischem Kontrast
4
177
Prototypische und modifizierte Bedeutungen von sehen
Für das Verb sehen lassen sich im Deutschen zwei prototypische Bedeutungen ansetzen, belegbar durch die Sätze in (20) und (21): (20)
(a) Hans sah die Ameisen. (b) Hans sah die Ameisen herumlaufen. (c) Hans sah, daß die Ameisen herumliefen.
(21)
Hans sah in den Raum.
Ein Unterschied zwischen der Bedeutung von sehen in (20) und der in (21) besteht darin, daß nur in (21) sehen 'agentiv' ist, vgl. die semantisch seltsamen Sätze in (20') mit dem akzeptablen Satz in (21'): (20')
Alles, was Hans tat, war (a) *die Ameisen zu sehen. (b) *die Ameisen herumlaufen zu sehen. (c) *zu sehen, daß die Ameisen herumliefen.
(21') Alles, was Hans tat, war in den Raum zu sehen.
Für die englischen Verben look und see ist in Gruber 1967 dieser syntaktische Unterschied festgestellt worden, außerdem ein Unterschied in bezug auf den tatsächlich fokussierten Teil des Blickfeldes (position of the gaze in Grubers Terminologie). Auch fur die Bedeutungen von sehen läßt sich im Deutschen der Unterschied belegen, etwa wie in (22): (22)
(a) Hans sah Anna, *aber Peter stand dazwischen. (b) Hans sah Anna sich nähern, *aber Peter stand dazwischen. (c) Hans sah zu Anna, aber Peter stand dazwischen.
Eine Beschreibung dieses Unterschiedes ist, daß für die prototypische Bedeutung von sehen wie in (22)(a,b) der tatsächlich fokussierte Teil des Blickfeldes mit dem Ort übereinstimmt, den der Referent des direkten Objektes einnimmt. Für die direktionale Version des Verbs gilt das nicht; der tatsächlich fokussierte Teil des Blickfeldes kann von dem intendierten Wahrnehmungsobjekt verschieden sein, weswegen (22)(c) akzeptabel ist. Die zwei Konzepte, die diesen prototypischen Bedeutungen entsprechen, lassen sich darstellen durch eine /rawe-Repräsentation wie in Abbildung 1, aus der
Grabski
178
neben den genannten Unterschieden auch semantische Gemeinsamkeiten ablesbar sind. In Abb. 1 bezeichnen beschriftete Ellipsen und Kreise Konzepte bzw. morphophonemische Konzepte, Pfeile bezeichnen Relationen zwischen ihnen. Es läßt sich dabei unterscheiden zwischen Spezifizierung durch Aspekte von Konzepten und Spezifizierung der Aspekte durch Werte19 (die Unterscheidung ist hier nicht duchgehend notiert). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, spezifische Relationen zwischen Konzepten (structural invariants, vgl. Barsalou 1992:35f.) anzugeben (vgl. z.B. 'maps' unten in Abb. 3, sowie die Kontrast-Relation in Abb. 7 und 8). Graue Kanten zwischen Konzepten (vgl. unten Abb. 3) bezeichnen deren Identifikation.
Abbildung 1 : Frame für prototypische Bedeutungen von sehen
In Abb.l wird das Konzept perception nach bestimmten Aspekten klassifiziert: nach dem Wahrnehmungsmodus (mode), nach Veridikalität, Agentivität sowie den Rollen (roles), die ungefähr thematischen Rollen entsprechen.20 Danach teilen 19
20
Aufgrund der Ähnlichkeit der yra«/