Weltweit – Worldwide – Remarque: Beiträge zur aktuellen internationalen Rezeption von Erich Maria Remarque [1 ed.] 9783737011921, 9783847111924, 9783847011927


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Weltweit – Worldwide – Remarque: Beiträge zur aktuellen internationalen Rezeption von Erich Maria Remarque [1 ed.]
 9783737011921, 9783847111924, 9783847011927

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Erich Maria Remarque Jahrbuch / Yearbook XXX/2020 Herausgegeben von Thomas F. Schneider im Auftrag des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums

Alice Cadeddu / Claudia Junk / Thomas F. Schneider (Hg.)

Weltweit – Worldwide – Remarque Beiträge zur aktuellen internationalen Rezeption von Erich Maria Remarque

V&R unipress Universitätsverlag Osnabrück

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen des Universitätsverlages Osnabrück erscheinen bei V&R unipress. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Graffiti in Tiflis, Georgien, 2015. Foto: Henner Führer Redaktion: Alice Cadeddu, Claudia Junk, Thomas F. Schneider Satz: Thomas F. Schneider Druck und Bindung: CPI books GmbH, Birkstraße 10, D-25917 Leck Printed in the EU. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 0940-9181 ISBN 978-3-8471-1192-4 ISBN 978-3-8470-1192-7 (E-Book) ISBN 978-3-7370-1192-1 (V&R eLibrary)

Inhalt

Thomas F. Schneider Weltweit Worldwide Remarque Anmerkungen zur aktuellen internationalen Rezeption von Erich Maria Remarque

7

Sebastian Ritscher Mehr als 29 Millionen Der Verkauf von Remarques Autorenrechten als Forschungsgegenstand

15

Uwe Zagratzki Teil des kulturellen Gedächtnisses Remarque in Nordamerika

21

Swen Steinberg All Quiet? Remarque in Kanada

35

Ana R. Calero Valera Auf den Spuren Erich Maria Remarques in Spanien Der Anfang einer Rezeption

55

Emad Ghanim Die arabische Rezeption Remarques

69

Vanuhi Baghmanyan Erich Maria Remarque und Armenien

85

Alice Cadeddu »Selbst dort, wo er zurückblickt, ist es die Gegenwart, die er anspricht.« Zur Remarque-Rezeption der vergangenen 20 Jahre in Deutschland

95

Claudia Junk Mit Remarque Schüler bewegen Ein Erfahrungsbericht

117

Virginia Gallardo, Marc Hieger Ecos de Erich Maria Remarque en Argentina Argentinische Schriftsteller und Künstler der Gegenwart und ihre Remarque-Rezeption

137

Oleg E. Pokhalenkov Erich Maria Remarque und die moderne russische Literatur

165

Elena Narbut Die Universität in Magadan als Remarque-Zentrum: Wissenschaft und Praxis

173

Mariana Parvanova-Brett Ein alter Freund Remarques Rezeption in Bulgarien nach der Wende

181

Alexandra Nicolaescu »Auf fast jedem Nachttisch ein Roman von Remarque« Die Remarque-Rezeption in Rumänien

199

Renata Dampc-Jarosz »Noch ist Polen nicht verloren« Erich Maria Remarque im Polen des 21. Jahrhunderts

213

Bernhard Kruse Die Rezeption von Remarque in Italien 2000–2019

225

Kunio Adachi Für Remarque wäre ich der fünfte Japaner gewesen

253

Heinrich Placke Das Jahr 2020: Remarque und Beethoven

261

BeiträgerInnen und HerausgeberInnen dieses Bandes

267

Thomas F. Schneider

Weltweit Worldwide Remarque Anmerkungen zur aktuellen internationalen Rezeption von Erich Maria Remarque

Am 7. Dezember 2014, morgens um 8:30 Uhr, postete die ukrainische Bloggerin Galina Karanda ein Video auf dem Portal »Probera«, in dem eine ukrainische »embedded« Journalistin an der Donbass-Front eine militärische Einheit in ihrem Unterstand besucht, in einen Feuerüberfall gerät und am Ende verängstigt die Frage stellt: »Werden wir überleben?«1 Galina Karanda versah das Video, das zuvor auch im ukrainischen Fernsehen gezeigt worden war, mit dem ukrainischen Titel von Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues – На Західному фронті без змін – und fügte umfangreiche Auszüge aus dem Roman auf Ukrai­nisch hinzu. Galina Karanda war und ist der Meinung, dass Remarques Text, der von einem ganz anderen Krieg, dem Ersten Weltkrieg, handelt, die Erlebnisse und Gefühle der Soldaten beider Seiten dieses aktuellen Konfliktes am zutreffendsten ausdrücken würde, weit über das zweifellos bereits eindrucksvolle und erschütternde Video hinaus. Am 11. November 2018 versammelten sich nahezu sämtliche Staatsoberhäupter der ehemals am Ersten Weltkrieg beteiligten Nationen in Paris unter dem Arc de Triomphe und damit am »Grabmal des Unbekannten Soldaten«, um des Endes dieses Krieges vor genau 100 Jahren zu gedenken. Es gehört zu den Ritualen der zeitgenössischen Erinnerungskultur, auch die jungen Generationen, die keinen direkten Kontakt mehr zu den Ereignissen haben, derer erinnert wird, an diesem Gedenken zu beteiligen; so auch in Paris. So lasen französische Schülerinnen und Schüler Auszüge aus authentischen Quellen und literarischen Texten des Ersten Weltkrieges, die damit zugleich in den Rang von Dokumenten des europäischen, wenn nicht globalen kulturellen Gedächtnisses erhoben wurden. Für Deutschland las eine Schülerin nun aus einem Text von Remarque, und zwar nicht, wie zu

1 https://probapera.org/publication/13/26842/na-zahidnomu-fronti-bez-zmin.html (11.03.2020).

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Thomas F. Schneider

vermuten gewesen wäre, aus Im Westen nichts Neues, sondern aus dem Roman Der Weg zurück einen Auszug, der sich gerade mit der Angst der überlebenden Kombattanden beschäftigte, keinen Weg zurück in die Zivilgesellschaft zu finden.2 Ganz im Sinne Remarques ursprünglicher Intention, diente die Lesung dieses Auszugs dazu zu verdeutlichen, dass die Konsequenzen und Folgen dieses vor einem Jahrhundert beendeten Krieges keinesfalls vergangen oder gar überwunden seien, sondern auch in der Gegenwart zu spüren sind. Anfang März 2014 veranstaltete die Buchhandlung »Lugar Común« in Caracas (Venezuela) einen Vortragsabend mit Diskussionsrunde mit dem in Südamerika weithin bekannten Historiker Elías Pino Iturrieta. Gewählt wurde der spanische Titel von Im Westen nichte Neues, Sin novedad en el frente. Gesprochen wurde, wie das auf YouTube gepostete Video3 der Veranstaltung verdeutlicht, nun nicht über Remarque oder den Ersten Weltkrieg, sondern über die historischen Ursachen der allgegenwärtigen Gewalt in den venezolanischen gesellschaftlichen Konflikten für oder gegen das ›System Maduro‹. Remarques Text war hier zum Selbstläufer geworden – des historischen Ursprungs völlig entkleidet, dient allein sein Titel der politischen Einordnung eines Ereignisses: gegen Gewalt, gegen die Anonymität der Opfer und für eine gewaltfreie Zivilgesellschaft. Dies sind nur drei Beispiele von Hunderten der aktuellen Aneignung, Akkulturation und – wenn man so will – Instrumentalisierung von Erich Maria Remarque und seines literarischen Werkes in unterschiedlichen Kulturen, auf unterschiedlichen Kontinenten und in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexten. Gemeinsam ist diesen Beispielen der durchweg politische Charakter dieser Aneignung, die auf einem Renommée des Autors und Werkes fußt, das als ikonisch bezeichnet werden muss. Die Beiträge dieses Bandes versuchen, diesem Phänomen aus unterschiedlichen nationalen und kulturellen Perspektiven nachzuspüren, die Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte zu skizzieren und den gegenwärtigen Stellenwert des Autors und seines Werkes zu bestimmen. Erich Maria Remarque und sein Werk sind weltweit, wie Sebastian Ritscher (Zürich) aufzeigt, präsent, in über 50 Sprachen werden seine Werke gegenwärtig verlegt in weit über 500 Ausgaben in den letzten zwei Jahrzehnten. Dabei sind diese Ausgaben nicht ›nur‹ Nachdrucke von alten, zu Lebzeiten Remarques erstellten Übersetzungen, sondern in den letzten 20 Jahren sind zahlreiche Neuübersetzungen stetig hinzugekommen, die die alten, zum Teil noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandenen

2 Siehe Thomas F. Schneider. »Literatur als Gedenkort. Der Unbekannte Soldat und Erich Maria Remarque«. Ana R. Calero Valera, Olaf Müller, Olga Hinojosa Picón (Hg.). A quién pertenecen los muertos? Su memoria y descanso en la literatura. Valencia: Universitat de València, 2019 (Quaderns de Filologia. Estudis literaris 24), 119–135. 3 https://www.youtube.com/watch?v=2BmydVQup-c (09.03.2020).

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Weltweit Worldwide Remarque

Übertragungen ersetzen und dem aktuellen Sprachgebrauch anpassen. Mehr noch ist es in einigen Kulturen in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur zu einer Remarque-Renaissance gekommen, sondern den LeserInnen einiger Sprachräume wurde der deutschsprachige Autor Remarque mit seinem Gesamtwerk erstmals vermittelt, so in Vietnam in den 2000er Jahren, in Georgien und Bangladesch in den 2010er Jahren oder in Armenien in den letzten drei Jahren, wie Vanuhi Baghmanyan (Eriwan) schildert.4 Dabei kann allein die Veröffentlichung von Remarque durchaus auch ein politischer Akt sein, wie die Publikation von arabischen Ausgaben einiger Romane Remarques in Saudi-Arabien in den letzten Jahren nahelegt, vor allem wenn es sich wie hier um Arbeiten von Übersetzerinnen handelt.5 Emad Ghanim (Frankfurt/Main) verdeutlicht dies am arabischen, irakischen Beispiel eindringlich, indem er darauf hinweist, dass es eine Art Gegenöffentlichkeit angesichts allumfassender Zensur und staatlicher Literaturdirektive darstellt, wenn simpel ein Text Remarques, der als historisch angesehen wird, aber dennoch diesen Direktiven diametral gegenübersteht, veröffentlicht und rezipiert wird. Mit Jiří Levý argumentiert Ghanim: Zwar steht ein übersetztes Werk in einer komplizierten Beziehung zur Literatur in der Sprache, in die es übersetzt wurde, es kann aber diese Literatur trotzdem ersetzen und stützen, besonders in »Gebiete[n], wo die heimische Produktion ungenügend ist«, und dies sowohl als ganze Kunstgattung als auch als Einzelwerk. […] Dieses Bedürfnis macht also die übersetzten Werke […] zu einem Teil der Nationalkultur des Zielsprachraums.

Dabei sei es unerheblich, welche Realitäten die Originalliteratur schildere, weil sie »ihr Material aus einer interessanten, dem Leser bekannten Wirklichkeit schöpft«. Damit ist ein zentraler Mechanismus der internationalen Remarque-Rezeption adressiert, die nicht über die ›klassischen‹ Rezeptionskanäle zu verlaufen scheint. Zwar erscheinen jährlich weltweit im Durchschnitt 20 wissenschaftliche Arbeiten zu Remarque, die Diskussionen und Auseinandersetzungen um Remarque finden mittlerweile jedoch vorrangig in anderen Medien und Kontexten als der wissenschaftlichen Forschung statt. Für Deutschland beschreibt dies Alice

4 Siehe auch den Katalog der internationalen Buchausgaben unter https://www.remarque.de/ ausgaben/katalog.html (11.03.2020). 5 Siehe Erich Maria Remarque. Talatat rifaq [Drei Kameraden]. Tr.: Leila Naim. Dammam [al-Mamlakah al-Saudiyah al-Arabiyah]: Athar, 2015; Erich Maria Remarque. Lailat Lishbunah [Die Nacht von Lissabon]. Tr.: Laila Naim. Dammam [al-Mamlakah al-Saudiyah alArabiyah]: Athar lil-nashr wa-al-tawzi, 2015 ; Erich Maria Remarque. Kulu šay‘in hādi‘un fi-l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Tr.: Linda Hussein. Er-Riad: Athar, 2020.

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Thomas F. Schneider

Cadeddu (Osnabrück) im Detail. So sind aus den letzten 20 Jahren weltweit über 120 Theaterproduktionen nach oder zu Remarque bekannt, obwohl der Autor Remarque selbst nur ein Theaterstück, Die letzte Station, publizierte. Bei den meisten Inszenierungen handelt es sich also um erstmalige, neue, zum Teil aufwändig erstellte Adaptionen in den Bereichen Oper, Schauspiel, Musical, Ballett, die zumeist aktualisierende Rezeptionen der Vorlagen Remarques darstellen und auf aktuelle, vielfach politische Kontexte Bezug nehmen. Gleiches ist für die Vielzahl der ebenfalls über 100 zählenden Musikadaptionen auf der Basis von oder in Bezug zu Texten Remarques zu konstatieren. Sowohl Renata Dampc-Jarosz (Katowice) für Polen und Mariana ParvanovaBrett (München) für Bulgarien als auch Alexandra Nicolaescu (Bucuresti) für Rumänen und Bernhard Arnold Kruse (Napoli) für Italien betonen unisono die herausragende Rolle der neuen Medien für die gegenwärtige Diskussion um Remarque, die nun mehr vorrangig nicht mehr in den klassischen Print-Medien, sondern auf Literaturseiten, in Blogs oder mit YouTube-Videos stattfindet. Letztere sind dabei immer auch kreative Aneignungen und Adaptionen im Medientransfer, mit zum Teil herausragendem Erfolg. So zählt Michael W. Sommers Playmobil-Adaption von Im Westen nichts Neues von 2016 auf seinem YouTube-Kanal »Sommers Weltliteratur to go« im Frühjahr 2020 über 91.000 Aufrufe,6 »Wisecrack«s »Thug Notes« zu All Quiet on the Western Front von 2014 kommen gar auf über 430.000 Clicks.7 Bernhard Arnold Kruse verweist dabei auf den Umstand, dass neben aller Wertschätzung und auch kontroversen Diskussion um Remarque im Internet in rechtsradikalen, neofaschistischen Foren weiterhin gegen Remarques pazifistische Position und für beispielsweise Ernst Jünger polemisiert wird. Die Diskussionen um insbesondere Im Westen nichts Neues scheinen somit in einigen politischen Zusammenhängen seit den Anfängen in den späten 1920er Jahren keine Veränderungen erfahren zu haben; sie bilden weiterhin das Fundament auch der gegenwärtigen Einschätzung des Autors. Diese historischen Wurzeln und Anfänge der Remarque-Rezeption beschreiben sowohl Ana Calero (Valencia) für Spanien als auch Uwe Zagratzki (Szczecin) für die USA und Swen Steinberg (Kingston) für Kanada, wobei Zagratzki und Steinberg den Bogen bis in die Gegenwart ziehen und betonen, dass der einst deutsche Autor Remarque aufgrund seiner Biografie und insbesondere seines Exils in den USA, aber vor allem aufgrund der fortgesetzten Rezeption und der Veränderungen in den jeweiligen Erinnerungskultur als eigener Autor betrachtet wurde und wird oder nationale Unterschiede aufgehoben werden, womit die Vereinnahmung vollständig wäre.

6 https://www.youtube.com/watch?v=81OOuTRtwnk (11.03.2020). 7 https://www.youtube.com/watch?v=QMcypVVNtOs (11.03.2020).

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Weltweit Worldwide Remarque

Dies gilt auch für die russische Rezeption Remarques; dort übersteigen die Ausgaben- und Auflagenzahlen, wie Ritscher zeigt, seit langem die Zahlen in Deutschland. In Russland erscheinen monatlich Neuausgaben der Werke Remarques, er ist selbstverständlich prominent mit einer Vielzahl von Hashtags in den sozialen Medien präsent und wird auf Deutsch und Russisch an Schulen und Universitäten gelehrt, wie Elena Narbut (Magadan) zeigt. Diese schulische und universitäre Behandlung ist auch in Deutschland und vielen anderen Staaten nachweisbar; sie sichert die Rezeption Remarques auch in zeitgenössischen und zukünftigen Generationen. Auffallend in diesen, durch Lektürehilfen, Unterrichtseinheiten, Einführungsvideos etc. dokumentierten Vermittlungen ist, dass nicht mehr, wie noch vor der Jahrtausendwende, die Qualität der Texte Remarques (mit-)diskutiert wird, sondern dass mit Remarque sowohl historisches Wissen gelehrt wird, als auch die von Remarque thematisierte, heute dann zeitlose emotionale Wahrnehmung des Themas Krieg im Vordergrund steht.8 Claudia Junk (Osnabrück) veranschaulicht dies anhand des deutschen Beispiels und speziell der Arbeit des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums Osnabrück. Der deutsche Autor Erich Maria Remarque hatte und hat als Klassiker der Weltliteratur einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf KünstlerInnen und AutorInnen weltweit. Oleg Pokhalenkov (Smolensk) zeigt dies am Beispiel der russischen Kriegsliteratur und am Schlagwort des »Remarquismus«, der noch in der offiziellen Kritik der Sowjetunion pejorativ für unpolitische, nichtsozialistische Darstellungen des Krieges verwendet wurde, mittlerweile aber genau jene Fokussierung auf das individuelle Schicksal von Kombattanden und Zivilisten auch in aktuellen Kriegen meint, die mit Im Westen nichts Neues, so der internationale Konsens, begründet wurde. Dies spiegelt sich auch in den von Virginia Gallardo (Buenos Aires) und Marc Hieger (Santa Cruz de la Sierra) mit argentinischen Autorinnen und Autoren geführten Interviews, für die Remarque in ihrer Jugend zwar als bürgerliche Pflichtlektüre galt, aber eine nachhaltige Wirkung zeitigte, die sich in den Werken dieser zeitgenössischen AutorInnen spiegelt. Im Kontext der deutschen Literatur ist Erich Maria Remarque einer der wenigen AutorInnen, die in das globale kulturelle Gedächtnis als Klassiker der Weltliteratur eingegangen sind, Remarque als Vertreter der um die Wende zum 20. Jahrhundert Geborenen womöglich als einziger. Seine Werke stehen als humanistische Positionierung gegen Krieg, Xenophobie und Unterdrückung und für Empathie und die Bedeutung und Würde des Individuums als Grundpfeiler

8 Vgl. auch Thomas F. Schneider. »›Dieses Buch gehört in die Schulstuben‹. Die internationale Rezeption von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues«. Hans-Heino Ewers (Hg.). Erster Weltkrieg: Kindheit, Jugend und Literatur. Frankfurt/Main et al.: Peter Lang, 2016 (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und –medien 104), 121–132.

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Thomas F. Schneider

der menschlichen Zivilisation. Remarque wird vereinnahmt, instrumentalisiert und dient als Inspiration, so wie Beethoven für Remarque selbst Bedeutung hatte (Heinrich Placke, Osnabrück). Für Bob Dylan steht Remarque gleichbedeutend neben Homer und Herman Melville,9 für Kunio Adachi (Okayama) resultierte die Auseinandersetzung mit Remarque in der Niederschrift einer Biografie. Und auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump benennt Remarques Im Westen nichts Neues als für ihn einflussreichste Lektüre.10 Nur scheint ausgerechnet in diesem Fall der Einfluss dann doch weniger nachhaltig gewesen zu sein.

9 Siehe u.a. die Nobelpreisrede vom 4. Juni 2017; https://youtu.be/6TlcPRlau2Q (11.03.2020). 10 Siehe dazu die Washington Post; https://www.washingtonpost.com/news/opinions/wp/2018/ 11/13/all-quiet-on-the-western-trump/ (11.03.2020).

12

Karte »Paul Bäumer« aus dem chilenischen Spiel Mitos y Leyendas. Santiago de Chile: Salo, 2009.

13

Russische illustrierte Luxusausgabe des Romans Drei Kameraden mit Buchständer im Verlag »Etalon«, 2018.

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Sebastian Ritscher

Mehr als 29 Millionen Der Verkauf von Remarques Autorenrechten als Forschungsgegenstand

Die Rolle der Agentur Mohrbooks als Rechtevertrieb für die New York University Erich Maria Remarques Witwe und Erbin Paulette Goddard hinterließ der New York University neben Schriften und Mobilien auch sämtliche Nutzungsrechte an den Werken ihres verstorbenen Gatten. Damit gelangte die 1831 gegründete private Lehrinstitution in den Genuss der Erträge aus dem Verkauf aller Buchausgaben weltweit sowie aus dem Erlös am Verkauf von Eintrittskarten aller Theateraufführungen, aus der Verwertung sämtlicher Verfilmungsrechte, Abdrucke und aller sonstigen Auswertungen der Autorenrechte an Remarques Werken. Der amerikanische Anwalt Richard Kay, Partner der Kanzlei Pryor Cashman und Paulette Goddards Rechtsberater, unterstützte die NYU und hielt bis 2015 ein Mandat für die Verwaltung der Film- und Bühnenrechte. Das Mandat für alle anderen Rechte gab die NYU der Literaturagentur Mohrbooks mit Sitz in Zürich (Schweiz). 2015 übernahm Mohrbooks von Richard Kay auch das Mandat für Film- und Bühnenrechte. Mohrbooks war in den 1930er Jahren im Londoner Exil durch den deutschen Verleger Dr. Lothar Mohrenwitz gegründet worden. Er siedelte in den frühen fünfziger Jahren nach Zürich um, und Mohrbooks wuchs zur wichtigsten Vermittlungsstelle für deutsche Verlagsrechte aus dem angelsächsischen Raum. Zu den Klienten gehörten britische Agenturen, für die Mohrbooks die Rechte an den Werken von D.H. Lawrence, Rudyard Kipling, Agatha Christie, Jack Kerouac und vielen anderen mehr an deutsche Verlage vermittelte. Auf demselben Wege erhielt Mohrbooks exklusive Mandate für den deutschsprachigen Markt von US-amerikanischen Verlagen und Agenturen, darunter Simon & Schuster, Random House und Harcourt Brace Jovanovich. Unter der Führung von Mohrenwitz’ Nachfolger Rainer Heumann übernahm Mohrbooks auch das Mandat von der NYU für die Vertretung sämtlicher Buchrechte an Remarques Werken weltweit mit Ausnahme der US-amerikanischen. Um diese kümmert sich für die NYU der universitäts­ 15

Sebastian Ritscher

eigene Verlag NYU Press. Er betreibt im Zuge seiner verlegerischen Tätigkeit ein Büro für den Vertrieb der eigenen Lizenzrechte, an welches die NYU die Administration der Remarque-Rechte operativ angliedert. Rechteinhaber und Begünstigter ist jedoch die Universität. Sie sammelt und archiviert die »Remarque Papers« in ihrer Fales Library & Special Collections und sie gründete 1995 das »Remarque Institute« unter der Leitung von Professor Tony R. Judt. Als Agentur der NYU für den Vertrieb der hier bezeichneten Rechte verantwortet Mohrbooks deren Vertrieb und die Verwertung. Das Mandat umfasst den Rechteverkauf, die Verwaltung der Honorarflüsse und die administrativen Belange. Das Ziel ist also hauptsächlich von wirtschaftlichem Interesse für die NYU. Mohrbooks hat kein ideelles Mandat wie etwa die Wahrung der Werktreue oder die Förderung des Ansehens von Remarque. Die Agentur erhält für die Vermittlung und Verwaltung der Rechte von ihrer Mandantin eine branchenübliche Kommission und fungiert als Inkassostelle für alle Honorarzahlungen und -abrechnungen. Ihre Rolle ist also zuerst die einer Vertriebsagentur und sodann die einer Verwalterin. Sie umfasst auch die Entgegennahme der Verkaufsabrechnungen von Buchverlagen und Theatern, deren Übermittlung an die NYU und ihre Lagerung. Datenqualität Für die Forschung könnte eine Auswertung der durch Mohrbooks gesammelten Daten ertragreich sein: Lizenzverträge, Honorarabrechnungen, Geldflüsse, Korrespondenz. Mohrbooks hält das Mandat für Remarque seit den 1970er Jahren und erfasste alle Daten bis zur Jahrtausendwende physisch, erst seither elektronisch. Die Auswertung der Daten aufgrund von physischen Dokumenten wäre aufwendiger als diejenige der elektronischen Daten. Die Aussagekraft aller Daten ist jedoch dadurch zusätzlich belastet, dass der Rechtevertrieb und die Urheber angewiesen sind auf die Qualität der Daten, die ihnen die Buchverlage liefern, und diese wiederum auf die Daten von den Buchhändlern. In weniger entwickelten Märkten liegen solche Daten nicht vor und selbst in hoch entwickelten oft nur unvollständig und ungenau. Die Gründe für die mangelhafte Qualität des Datenmaterials sind vielfältig. Lizenzverträge in manchen Märkten verpflichten die Verlage nicht zur regelmäßigen Erstellung von Verkaufsabrechnungen. Honorare werden in solchen Fällen meist als einmalige Pauschale vereinbart und erlauben deshalb keinen Rückschluss auf die tatsächlichen Verkaufszahlen der Verlage. Selbst wenn detaillierte Verkaufsabrechnungen vorliegen, sind sie oft lückenhaft, und manche Verlage erstellen sie nur dann, wenn sie dem Rechteinhaber Honorare schulden, die über den vorher geleisteten Honorarvorschuss hinausgehen. Dazu kommt, dass manche Rechte, die einem Verlag eingeräumt werden (z.B. für günstige Sonderauflagen) von 16

Remarques Autorenrechte

diesem an Drittverlage weiterlizenziert werden, aber die Auskunftspflicht nur bis zum Verlag reicht. Lizenzverträge haben außerdem eine begrenzte Gültigkeitsdauer und umfassen eingeschränkte Rechte. Sie müssen deshalb laufend verlängert, ersetzt, beendet oder erweitert werden, was ihre Verwaltung komplex macht und die quantitative Betrachtung der Daten kompliziert. Die bei Mohrbooks vorhandene Datenquelle ist also quantitativ und qualitiativ begrenzt. Dennoch lassen sich Informationen aus ihnen ablesen: aus der Häufigkeit und Anzahl der Lizenzabschlüsse, aus der Qualität der darin eingeräumten Sprach- und Nutzungsrechte, aus den darin vereinbarten wirtschaftlichen Eckdaten und schließlich aus den genauen Verkaufsabrechnungen, sofern diese vorliegen. Die folgenden punktuellen Beobachtungen sollen als Beispiel dienen für die Aussagekraft einer abrechnungsbasierten Datenalyse und anregen zu weiterführenden Studien. Lizenzabschlüsse quantitativ Mohrbooks hat in zwanzig Jahren seit Beginn der elektronischen Datenerfassung 355 Lizenzen vermittelt zwischen der NYU und Buchverlagen weltweit über die Werke von Remarque, davon jährlich zwischen 17 (2012) und 52 (2015) neue. Davon entstanden in Tschechien (43) mehr als in Frankreich (21). Remarques bekanntester Roman Im Westen nichts Neues ist das mit 122 Lizenzverkäufen und 41 Übersetzungen am häufigsten veröffentlichte und am meisten übersetzte Werk. Station am Horizont ist das am wenigsten verbreitete (siehe die Tabellen am Ende des Beitrages). Sprachen: Beispiel Russisch Der russisch-sprachige Markt ist aus Sicht des Lizenzverkäufers von besonderem Interesse. Der Moskauer Verlag AST verlegt Remarque seit 2005. AST erstellt jedes Jahr genaue Verkaufsabrechnungen. Daraus geht eine Gesamtverkaufszahl für diesen Zeitraum hervor von 4,38 Millionen Büchern, davon sind 160.000 Ebooks. Die höchsten Verkaufszahlen in Russland schreibt AST für die Romane Drei Kameraden und Der Himmel kennt keine Günstlinge. Letzteren Roman verkauft AST gemäß der Aussage des Verlagsleiters als Liebesroman für Leserinnen zwischen 15 und 20 Jahren. Vom weltweit bekanntesten Roman Im Westen nichts Neues verkauft AST nur etwa halb soviele Exemplare. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum verkaufte der deutsche Verlag Kiepen­ heuer & Witsch von Remarques Werken in der Originalsprache weniger als halb so viele Exemplare. 17

Sebastian Ritscher

Stückverkäufe Weltweit wurden in zwanzig Jahren 2000–2019 29 Millionen verkaufte Exemplare aller Werke von Remarque an Mohrbooks detailliert abgerechnet. Die tatsächliche Verkaufszahl ist aus den oben genannten Gründen wesentlich höher. Die Zahl der Bühnenverträge nahm im quantitativ erfassten Zeitraum stetig zu. Ein Rückschluss auf die Anzahl der Aufführungen oder die verkauften Eintrittskarten ist aufgrund der ungenauen Quellenlage leider unmöglich. Forschungsmöglichkeiten Dies sind nur punktuelle Beispiele dafür, wie die bei Mohrbooks lagernden Datenquellen ausgewertet werden können. Es wäre im Interesse der Remarque Forschung, dieses Datenmaterial zu ordnen und zu analysieren, um die Verbreitung von Remarques Werken auf der Welt zu verstehen und daraus Rückschlüsse zu ziehen auf die Rezeption seiner Werke.

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Remarques Autorenrechte

Beispiele für Datenauswertungen 2000–2019 Tab. 1: Anzahl der geschlossenen Lizenzverträge (»Abschlüsse«) Jahr Abschlüsse 2019 43 2018 34 2017 42 2016 28 2015 52 2014 33 2013 45 2012 17 2011 26 2010 35 Total 355 Tab. 2: Abschlüsse in Sprachen Titel

Abschlüsse Sprachen

122 41 Im Westen nichts Neues Drei Kameraden 69 28 65 30 Arc de Triomphe Die Nacht von Lissabon 53 26 Der schwarze Obelisk 45 23 Zeit zu leben und Zeit zu sterben 43 24 Der Himmel kennt keine Günstlinge 36 20 Der Weg zurück 31 21 Der Funke Leben 30 20 Liebe Deinen Nächsten 30 19 Schatten im Paradies 30 18 Der Feind 12 8 Die letzte Station 5 3 Josefs Frau 1 1 Station am Horizont 1 1

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Sebastian Ritscher

Tab. 3 Abschlüsse nach Sprachen Sprache Abschlüsse Russisch 61 Deutsch 51 Tschechisch 43 Polnisch 37 Litauisch 27 Ukrainisch 27 Bulgarisch 25 Ungarisch 22 Chinesisch vereinfacht 22 Französisch 21 Italienisch 19 Georgisch 19 Slowakisch 17 Lettisch 16 Schwedisch 16 Estnisch 15 Albanisch 14 Serbisch 14 Norwegisch 13 Portugiesisch 13 Rumänisch 13 Türkisch 11

20

Vietnamesisch 10 Japanisch 9 Griechisch 7 Englisch 7 Armenisch 6 Niederländisch 6 Spanisch 5 Koreanisch 4 Chinesisch (komplex) 3 Dänisch 3 Hebräisch 3 Armenisch 2 Azerbaidschanisch 2 Finnisch 2 Georgisch 2 Katalanisch 1 Farörisch 1 Kroatisch 1 Makedonisch 1 Malaysisch 1 Slowenisch 1 Thai 1

Uwe Zagratzki

Teil des kulturellen Gedächtnisses Remarque in Nordamerika

Zur Person Bereits ein erster kursorischer Blick auf das Thema verrät die früh einsetzende und dann fast vierzig Jahre währende Verbindung zwischen dem deutschsprachigen Schriftsteller Erich Maria Remarque und den Vereinigten Staaten. Erste direkte Kontakte mit dem späteren Exilland ergaben sich zehn Jahre vor der Emigration zu einer Zeit, als der junge Autor mit Im Westen nichts Neues besonders aufgrund der Veröffentlichungen in Großbritannien und den USA einen Romanwelterfolg feierte, der auch von den Vertretern der jungen amerikanischen Moderne positiv rezipiert wurde.1 Im Sommer 1929 wird Carl Laemmle, deutsch-jüdischer Filmproduzent und Besitzer der amerikanischen Filmfabrik Universal-Pictures auf die phänomenalen Verkaufszahlen des Romans und die durch ihn ausgelösten politischen Debatten aufmerksam. Es dauert nicht lange, bis Remarque nicht nur die Filmrechte für seinen Erstling für 100.000 Dollar an Universal verkauft, sondern auch die des zu dieser Zeit noch ungeschriebenen zweiten Romans Der Weg zurück.2 Die Filmproduktion liegt von der Regie bis zur

1 Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque – Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998; 2009, 33. Zur amerikanischen Presserezeption vgl. Nikos Späth. »›A literary sensation on two continents‹. Die amerikanische Presserezeption von Erich Maria Remarques All Quiet on the Western Front in den Jahren 1929 und 1930«. Thomas F. Schneider (Hg.). Eine Zensur findet (nicht) statt. Göttingen: V&R unipress, 2019 (Erich Maria Remarque Jahrbuch 29), 77–104. 2 Nach Alice Cadeddu leiten der Autor und sein Agent Otto Klement Ende 1929 eine »Publikationsoffensive« ein, die Remarque seitdem konsequent verfolgte und die ihn zum Weltschriftsteller machte. Vgl. »Erich Maria Remarques Der Weg Zurück – Eine weltweite Publikationsstrategie«. Thomas F. Schneider (Hg.). Remarque und die Medien – Literatur, Musik, Film, Graphic Novel. Göttingen: V&R unipress, 2018 (Erich Maria Remarque Jahrbuch 28), 45–66.

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Besetzung der Rollen komplett in amerikanischer Hand. Selbst am Drehbuch ist Remarque nicht beteiligt. Als All Quiet on the Western Front startet der Film im April 1930 in den amerikanischen Kinos, am 4. Dezember 1930 findet die deutsche Premiere in Berlin statt. Er wird ein oscarprämierter Welterfolg. Ein weiterer (indirekter) Kontakt mit den USA resultiert aus dem verlegerischen Weitblick der »United Press of America«, die das amerikanische Leserinteresse an Remarque nutzend mit ihm im September 1929 einen Vertrag über sechs Erzählungen im Magazin Collier’s Weekly abschlossen. Sie bildeten gleichsam den Rahmen, in den der amerikanische Vorabdruck von Der Weg zurück in demselben Magazin (13. Dezember 1930 – 28. Februar 1931) gestellt wurde.3 Somit ist Remarque – hinzukommen 1937 und 1939 die Vorabdrucke von Drei Kameraden (in der Zeitschrift Good Housekeeping) und Liebe Deinen Nächsten (wiederum in Collier’s) und die jeweils folgenden amerikanischen Buchpublikationen – ein in den USA bereits bekannter Autor, als er im Frühjahr 1939 vor­ übergehend und dann im Spätsommer desselben Jahres endgültig in die USA emigriert. Er lässt sich von September 1939 bis Oktober 1942 in Hollywood nieder4 und lebt anschließend bis 1951 in New York. Im August 1947 erhält er die USamerikanische Staatsbürgerschaft, die er bis zu seinem Tod 1970 in Ascona/Porto Ronco, wo er ab April 1932 bis zu seinem amerikanischen Exil gelebt hatte und wohin er Anfang der fünfziger Jahre re-emigriert, behält. Zu seinem »amerikanischen Leben« mag man an dieser Stelle zudem seine Ehe mit der amerikanischen Schauspielerin Paulette Goddard zählen, die er 1951 in New York kennenlernt und 1958 ehelicht. In seine amerikanischen Jahre fällt eine politisch-literarische Besonderheit, auf die an dieser Stelle etwas genauer eingegangen werden soll. Remarque war dafür bekannt, sich mit politischen Stellungnahmen jenseits seiner Prosa zurückzuhalten, was für seine Exiljahre in den USA neben seiner grundsätzlichen ästhetischen

3 Die erste Erzählung »The Enemy« erschien am 29. März 1930, »Silence« und »Where Carl had fought« folgten am 28. Juni und 23. August 1930. Der Zyklus wurde abgeschlossen mit »Josef´s Wife«, Annette’s Love Story« und »The Strange Fate of Johann Bartok« zwischen dem 21. November und 5. Dezember 1931. Erstveröffentlichung in deutscher Rückübersetzung in Erich Maria Remarque. Der Feind. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1993. Nachweise zu den Publikationsdaten vgl. ebda., 62. 2014 erscheint eine von Thomas F. Schneider aktualisierte Ausgabe mit sämtlichen Erzählungen zum Ersten Weltkrieg (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014), der vier weitere Erzählungen hinzugefügt wurden. Die amerikanische Ausgabe Eight Stories. Tales of War and Loss. With an Introduction by Maria Tartar, Larry Wolf. New York: New York University Press, 2018, basiert auf der Fassung von Collier’s und nimmt zwei dort 1934 veröffentliche Erzählungen auf. 4 Ab Dezember 1940 lebt er zeitweise im New Yorker Hotel »Sherry Netherland«, ab Oktober 1943 im Hotel »Ambassador«. Vgl. von Sternburg, 306, 314, 316.

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Auffassung zu einem Großteil seinem Status als »enemy alien« geschuldet sein dürfte. Politische Analysen vertraute er vor allem, wie wir Wilhelm von Sternburgs Biographie entnehmen können, seinem Tagebuch an. Es darf deshalb als bemerkenswert gelten, dass er nach anfänglichem Zögern 1944 bereit ist, für den amerikanischen Geheimdienst »Office of Strategic Services«, der ihn für politisch zuverlässig hielt, eine Denkschrift Practical Educational Work in Germany after the War zu verfassen. Ursächlich für seine plötzliche Bereitschaft ist, so vermutet Heinrich Placke, die Befreiung des Vernichtungslagers Majdanek durch die Rote Armee am 23. Juli 1944 und die im August erfolgte Benachrichtigung der amerikanischen Presse durch die Sowjets.5 Remarques Vorschläge kreisen im Kern um die Entnazifizierung (»Das erste, was in Deutschland getan werden muß, ist, den Nationalsozialismus zu zerstören. Und zwar bis auf die Wurzeln«), das Ausrotten des Militarismus (»Wichtiger noch als den Nazismus zu zerstören, ist die Vernichtung des Militarismus, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. [...] Der Nazismus wird mit ziemlicher Sicherheit nach dem Krieg beendet sein; Nationalismus und Militarismus nicht«) und die politische Umerziehung der Deutschen, wobei er Wert darauf legt, den demokratischen Aufbau Nachkriegsdeutschlands in die Hände »brauchbarer Deutscher« zu legen. Gemeint ist die Generation der 44- bis 75jährigen, die eine »Vor-Nazi-Erziehung« genossen – dazu zählt er ausdrücklich Katholiken, Protestanten, Kommunisten und Sozialdemokraten – und die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten. Auf der Grundlage dieser Prämissen erstellt er ein dezidiertes Umerziehungsprogramm für das Gelingen eines demokratischen Deutschlands, von dem »die Zukunft und der Weltfrieden« abhängen.6 Die erzielte Wirkung der Denkschrift auf die Realpolitik der Auftraggeber ist in praxi nicht messbar, obwohl Remarque als ein repräsentativer deutscher Pazifist und Nazigegner galt,7 und es vermessen wäre anzunehmen, Remarque hätte

5 Heinrich Placke. »Remarques Denkschrift Practical Educational Work in Germany after the War (1944) im Kontext zeitgenössischer Konzeptionen für das nahende Nachkriegsdeutschland (Denkschrift und Tagebuch als kontrastierende Gebrauchstextsorten)«. Erich Maria Remarque Jahrbuch 12 (2002), 61–96; 63–64. 6 Die Zitate entstammen der Denkschrift, nachgedruckt in Erich Maria Remarque. Ein Militanter Pazifist. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1994, 66–83. Zitate sind den Seiten 66, 67, 71, 72 und 83 entnommen. Remarques politische Reflektionen finden am 30. April 1956 eine Fortsetzung in dem Artikel Be Vigilant!, den er für die britische Zeitung Daily Express verfasste. Siehe dazu auch Heiner Placke, Uwe Zagratzki. »Eine Denkschrift und ein Zeitungsbeitrag Remarques in politischen Debatten. ›Practical Educational Work in Germany after the War‹ (1944) und ›Be Vigilant!‹ (1956) im Spannungsfeld divergierender zeitgenössischer Positionen«. Joanna Jabłkowska, Małgorzata Potrola (Hg.). Engagement – Debatten – Skandale: Deutschsprachige Autoren als Zeitgenossen. Łódź: Wydawnictwo Uniwersytetu Łódźkiego, 2002, 321–340. 7 Helga Schreckenberger. »Erich Maria Remarque im amerikanischen Exil«. Thomas F. Schnei-

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einen entscheidenden Einfluss auf die US-amerikanische Politik nehmen können, zumal Placke schreibt, dass »das Typoskript mit dem Stempel ›Secret‹« versehen8 und Remarques Mitarbeit am politischen Wiederaufbauprogramm der US-amerikanischen Regierung erst nach dem Krieg öffentlich gemacht wurde.9 Allerdings ist von Sternburg zuzustimmen, wenn er auf Übereinstimmungen zwischen Remarques Anregungen und der US-amerikanischen politischen Praxis verweist: Vieles von dem, was Remarque vorschlägt, liegt in den ersten Nachkriegsjahren dann tatsächlich auf der Linie der amerikanischen Besatzungspolitik. Entnazifizierung und Umerziehung sind die entscheidenden Stichworte.10

Es gilt hier festzuhalten, dass die Aufforderung zur Zusammenarbeit mit den USBehörden von höchster Regierungsebene in Person des Vizepräsidenten Henry Wallace ausging. Das traf ebenso auf andere deutschsprachige berühmte Emigranten wie Thomas Mann und Albert Einstein zu, deren kulturelle und historische Expertisen für die US-Administration von hohem Wert waren. Im Falle Remarques mag zusätzlich sein Ruf als Weltautor, aber besonders sein mittlerweile formidables standing im US-amerikanischen Literatur- und Kulturbetrieb ausschlaggebend gewesen sein: Im Westen nichts Neues – Roman und Film – hatte den Autor in den USA und Kanada (und damit global) berühmt gemacht, die Folgeromane Der Weg Zurück (The Road Back 1931) und Drei Kameraden (Three Comrades 1937) hatten ihn mit hohen Auflagen im nordamerikanischen Buchmarkt etabliert. Mit Liebe Deinen Nächsten (Flotsam) liegt 1941 erstmalig ein in den USA zuerst veröffentlichter Roman vor. Remarque war mithin seit den späten Dreißigern und damit Jahre vor der Abfassung der Denkschrift auf dem Weg zu einem »amerikanischen« Autor zu werden. Seine kulturelle Sozialisation im Exil wird bis an sein Schaffensende wirksam bleiben, als er Jahrzehnte später nach der Rückkehr in die Schweiz die USA zum ersten Mal als Schauplatz für zwei seiner Texte wählt: in der unveröffentlichten Politsatire Die Heimkehr des Enoch Jones (1956) zielt er auf die reaktionäre kleinbürgerliche Provinz des McCarthy-Amerika und im posthum veröffentlichten Roman Schatten im Paradies (1971) wendet er sich der New Yorker Emigrantenszene zu. Die Adressaten sind zweifelsohne deutsche Leser, denen das Schicksal der entwurzelten Flüchtlinge gespiegelt wird. Doch obwohl den Exilanten in ihrem Aufnahmeland keine unmittelbare Lebensgefahr droht, zeichnet der Autor ihre bedrückende Notlage – die Shadows in Paradise, so der amerikanische Titel – und relativiert subtil den Mythos vom »Land der (Hg.). Erich Maria Remarque – Leben, Werk und weltweite Wirkung. Bramsche: Rasch, 1998 (Schriften des Erich Maria Remarque- Archivs 12), 251–266; 257. 8 Placke, 63. 9 Schreckenberger, 258. 10 von Sternburg, 321.

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der unbegrenzten Freiheit«, deren Grenzen die Emigranten – und somit auch die amerikanischen Leser – aufgewiesen bekommen. Remarque bewahrte sich entsprechend bis zum Ende seines Schaffens den kritischen Blick auf Herrschafts- und Machtverhältnisse jedweder Couleur, von dem sein ›Gastland‹, dem er viel zu verdanken hatte, nicht ausgespart blieb. Grundsätzliche, ideologiekritische Einlassungen reservierte er – zumindest ab 1942 – auch hier für sein Tagebuch. Damit einher gingen kritische Einwände gegen die Filmindustrie in Hollywood, der er vorwarf, Geschäfte mit dem Krieg zu machen,11 oder Vorwürfe an die amerikanischen Medien wegen ihrer oberflächlichen Kriegsberichterstattung.12 Außergewöhnlich scharf formuliert er am 23. Oktober 1944 in sein Tagebuch: Eine Klasse, die zum Untergang verurteilt ist, – die bürgerliche, konservative, reaktionäre, sieht nicht die Zeichen. [...] Der Krieg hat die Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital nur hinausgeschoben, – sie geht an seit 1918.13

Der kleine Ausflug in die marxistische Analyse bleibt isoliert, doch signalisiert er, dass je länger Remarques Aufenthalt in den USA dauerte, er sich umso mehr vom Zuschauer zum politisierten Exilanten wandelte.14 Zwei zentrale Themen bestimmen fortan das Werk des gesellschaftspolitisch denkenden Autors. Spätestens ab dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 schärft sich sein Blick für die Schattenseiten des Exils, nicht nur seines eigenen, sondern auch im Grundsätzlichen. Liebe Deinen Nächsten (1941), Arc de Triomphe (1945) und Die Nacht von Lissabon (1962) sind dafür beredte Zeugnisse. Und ausgelöst durch die politische Sensibilisierung im amerikanischen Exil – die oben zitierte Schrift Practical Educational Work in Germany hat daran entscheidenden Anteil15 – reflektieren die Gegenwartsromane Der Funke Leben (1952), Zeit zu leben und Zeit zu sterben (1954) und Der schwarze Obelisk (1956) ein geschärftes Bewusstsein für die gesellschaftlichen und kulturellen Determinanten des Aufstiegs von Militarismus und Faschismus mit dem Ziel, die junge Bundesrepublik – den Tenor der Kritik

11 Schreckenberger, 265; vgl. auch Hans Wagener. »Remarque in Amerika – zwischen Erfolg und Exilbewußtsein«. Erich Maria Remarque Jahrbuch 9 (1999), 18–38; 33. 12 Kaspar Hohler. »Erich Maria Remarques Exilzeit im Spiegel seiner Tagebücher«. Erich Maria Remarque Jahrbuch 12 (2002), 25–60; 40-41. 13 Thomas F. Schneider, Tilman Westphalen (Hg.). Erich Maria Remarque – Das Unbekannte Werk. Band. 5: Briefe und Tagebücher. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 388. 14 Vgl. auch Wagner, 33–35; Schreckenberger, 260ff.; Placke, 86–88. 15 Lothar Schwindt. »Geheimdienstarbeit – Remarques Schrift Practical Educational Work in Germany after the War«. Tilman Westphalen (Hg.). Erich Maria Remarque 1898–1970. Bramsche: Rasch, 1988, 64–78.

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zusammenfassend – nicht aus ihrer Verantwortung für die physische und psychische Verwüstung Europas zu entlassen. Zum Werk: Romane Für alle US-Ausgaben seit All Quiet on the Western Front gilt, dass sie in der Mehrzahl entweder kurz nach den Erstveröffentlichungen in Deutschland, zeitgleich oder aufgrund der politischen Lage im faschistischen Deutschland (und der daraus resultierenden deutschsprachigen Veröffentlichungen im Ausland) früher erschienen als in Deutschland16 (z.B. Three Comrades (1937), Drei Kameraden (1938) oder Flotsam als Vorabdruck bei Collier’s von Juli bis September 1939, gefolgt von einer US-Buchausgabe 1941 und als Liebe Deinen Nächsten 1941 auf Deutsch). Auch einige der Nachkriegsromane erscheinen zuerst auf dem amerikanischen Buchmarkt (z.B. Arc de Triomphe, Spark of Life, A Time to Love and a Time to Die). Zudem sind sie in Nordamerika mehrheitlich durchgehend bis in die jüngste Vergangenheit aufgelegt worden, dabei meistens auf der Grundlage der Erst-Übersetzungen. Neuübersetzungen liegen von Im Westen nichts Neues (2013) und Der Weg zurück (2019 jetzt The Way Back in einer britischen Neuausgabe) vor. Wie erklärt sich nun der lang anhaltende Erfolg in Nordamerika (USA/Kanada)? Hans Wagener hat dazu Stellung bezogen und auf das unterschiedliche, den Unterhaltungswert schätzende Literaturverständnis in den USA im Zusammenhang mit dem von den amerikanischen Rezensenten gezeichneten Bild des »ehrlichen« Schriftstellers verwiesen. Wagener betont die fast durchweg positiven amerikanischen Rezensionen im Vergleich zu den deutschen Kritiken. Die Amerikaner vergleichen ihn zum einen mit den zeitgenössischen amerikanischen, zum anderen mit gewichtigen deutschen Autoren und begreifen Remarque als »Chronist einer aus den Fugen geratenen Zeit«.17 Diese Ehre wurde ihm aus zweierlei Gründen in den deutschen Rezensionen nicht zuteil. Zum einen kreideten ihm nationalistische Kreise in der Weimarer Republik seinen Pazifismus und der restaurative Mainstream der Adenauer-Ära seinen Emigrantenstatus an (das Etikett

16 Zur herausgehobenen Stellung der amerikanischen Zeitschrift Collier´s Magazine in der Publikationsgeschichte der Werke Remarques vgl. das Nachwort von Thomas F. Schneider in Erich Maria Remarque, Der Feind, 63–76; 69–70. Der Untertitel der Ausgabe auf einer Werbebanderole lautet »Die Erstveröffentlichung der bisher unbekannten frühen Erzählungen«. 1993 waren die englischsprachigen Abdrucke in Collier´s noch die einzigen bekannten Veröffentlichungen der Erzählungen, seitdem sind weitere Drucke, auch auf Deutsch in den Jahren 1930 und 1931 bekannt geworden. 17 Wagener, 23; 31.

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des »Nestbeschmutzers« musste sich in den 1960ern auch der politische Emigrant und spätere Bundeskanzler Willy Brandt anhängen lassen). Zum anderen pflegten die etablierte Literaturkritik und –wissenschaft das Ideal der reinen schöngeistigen Lehre, dem der ›amerikanische‹ kolportagenhafte Schreibstil Remarques nicht genügen konnte.18 Ein kurzer Verweis auf die amerikanische Moderne mag an dieser Stelle genügen. Geprägt von einem Gefühl tiefster Hoffnungslosigkeit im Anblick der gewaltigen materiellen und kulturellen Zerstörungen, die der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte und das sich in der Chiffre der lost generation ausdrückt, waren ihre Protagonisten ihrerseits zu Exilanten geworden. Paris wurde der künstlerische und persönliche Zufluchtsort amerikanischer Exilautoren. Das Empfinden, mit dem »Ende der Zivilisation« eine massive kulturelle Zäsur zu erleben, spiegelt sich in den literarischen Stilmitteln, den Figurencharakterisierungen und der Plotstruktur ihrer Prosa. So pflegt Ernest Hemingway in seinen Romanen und Kurzgeschichten einen ästhetischen Minimalismus, der den »harten« Realismus der amerikanischen Moderne anschaulich repräsentiert. Selbst die von Hemingway entwickelte iceberg-theory, die den Leser anhält, die versteckten Subtexte eigenständig aufzuspüren, lassen sich in Remarques »Gegenwartsromanen«, die zeitlich versetzt in der Vergangenheit spielen, streng genommen finden. Unter Berücksichtigung der Sujets, der Grundstimmung und des Erzählstils – nicht zu vergessen die im Gegensatz zu den amerikanischen Kollegen erzwungene Emi­ gration – scheint eine Zuordnung von Remarques Prosa zur realistischen Literatur der amerikanischen lost generation nicht ganz abwegig zu sein.19 Das mag nicht für das Gesamtwerk gelten, doch einzelne Romane atmen den ›Geist‹ einer fundamentalen Skepsis. Ein flüchtiger Vergleich von Im Westen Nichts Neues mit Hemingways A Farewell to Arms (1929) offenbart stilistische Parallelen: I heard the machine-guns and rifles firing across the river and all along the river. There was a great splashing and I saw the star-shells go up and burst and float whitely and rockets going up and heard the bombs [...] I pulled and twisted and got my legs loose finally and turned round and touched him. [...] His legs were toward me and I saw in the dark and the light that they were both smashed above the knee. One leg was gone and the other was held by tendons and part of the trouser and the stump twitched and jerked as though it were not connected.20

Hemingways prägnanter Hyperrealismus findet seine Entsprechung bei Remarque:

18 von Sternburg, 329. Er bezieht sich hier im besonderen auf den Roman Arc de Triomphe. 19 Vgl. von Sternburg, 92, 301, 330. 20 Harmondsworth: Penguin Books, 1976, 47.

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Wir sehen Menschen leben, denen der Schädel fehlt; wir sehen Soldaten laufen, denen beide Füße weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stümpfen bis zum nächsten Loch. [...] wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht. [...] die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.21

Und die Erkenntnis des Ich-Erzählers in A Farewell to Arms: Abstract words such as glory, honour, courage, or hallow were obscene beside the concrete names of villages, the numbers of roads, the names of rivers, the numbers of regiments and the dates22

kann ebenso für Remarques Soldatenfiguren zutreffen. Nun mag der Einwand berechtigt sein, dass die Ursachen für die stilistischen Parallelen weniger in identischen ästhetischen Überlegungen liegen als in den biographischen Gemeinsamkeiten der internationalen Kriegsveteranen, wie es sich auch für die britische literarische Prosa zum Ersten Weltkrieg feststellen lässt. Wilhelm von Sternburg hat jedoch für Arc de Triomphe (1945), der zur Kategorie der Exil- und nicht der Kriegsliteratur zählt, dessen amerikanische Erzählkomponenten festgehalten: Der ›Skeptizismus‹ seiner Hauptfiguren, die knappen Dialoge, die Kürze der Absätze, die dramatischen (und nicht analytischen) Effekte, die eingebaute ›Kriminalgeschichte‹, die häufig filmisch anmutenden Erzählsequenzen – der amerikanische Leser fühlte sich in diesem Roman, obwohl der in Europa spielt, zu Hause.23

Gegenseitige Wertschätzung – im Gegensatz zu den meisten deutschen Exilautoren – zeichnet das Verhältnis zwischen Remarque und den zeitgenössischen amerikanischen Autoren aus.24 Im Fall von Scott Fitzgerald, dem Autor von The Great Gatsby, führt es zur Abfassung eines screenplay auf der Grundlage von Drei Kameraden/Three Comrades. Aufgrund erheblicher Probleme, die spezifischen Kriterien eines Drehbuchs zu erfüllen und damit die Wünsche eines Massenpublikums, wurden Fitzgerald erfahrene Drehbuchautoren an die Seite gestellt:

21 Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1993, 126. 22 Penguin Books, 1976, 144. 23 von Sternburg, 329. Wagener zitiert amerikanische Rezensenten, die Drei Kameraden (1937) mit Hemingways The Sun also Rises (1926; in Großbritannien als Fiesta) vergleichen (24). Ähnlich traf Der Funke Leben (1952) amerikanische Befindlichkeiten (27). Eine analytische Studie zu den amerikanischen Einflüssen in Remarques Gesamtwerk steht noch aus. 24 Vgl. von Sternburg, 32–33, 404–405; auch Wagener, 24.

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Fitzgerald’s problem as a screenwriter was that he was by nature and training a storyteller, accustomed to providing the reader with the kinds of information that could not be dramatized. [...] his technique was novelistic rather than dramatic.25

Hohlers Einschätzung, »Remarque stagnierte im amerikanischen Exil in allen Belangen«, greift in Bezug auf seine literarische Entwicklung viel zu kurz, denn sie unterschlägt die formale und geistige Nähe zu den amerikanischen Modernisten, die gerade im Exil eine Bestärkung erfährt.26 Als ein zweites kreatives Element aus seiner Exilerfahrung tritt das bereits erwähnte geschärfte politische Bewusstsein hinzu. Verfilmungen Was für die literarischen Vorlagen gilt, gilt ebenso für ihre Verfilmungen: Sie haben Remarques Renommee in den USA seit dem durchschlagenden Erfolg der Hollywood-Produktion von Im Westen Nichts Neues/All Quiet on the Western Front für die nächsten Jahrzehnte bestätigt. Eine Auswahl von Rezensionen mag hier genügen. Nicht verwunderlich ist nach dem überwältigenden Erfolg des Buches im Jahr zuvor die enthusiastische Presserezeption des Films seit seiner Premiere im Frühjahr 1930, die Nikos Späth wie folgt auf den Punkt bringt: Die Begeisterung zog sich durch die gesamte Presselandschaft, von den Metropolen bis in die Kleinstädte. Es schien, als lieferten sich die Kritiker einen regelrechten Wettbewerb, um sich mit Huldigungen von All Quiet on the Western Front zu überbieten. [...] Alle Lobeshymnen, die im Zuge der Buchbesprechung angeführt worden waren, wurden nun noch einmal wiederholt. So sei der Film wahrhaftig, repräsentativ, ergreifend, friedliebend und völkerversöhnend.27

Weniger euphorisch klingen die Besprechungen der ITC Entertainment TV-Produktion/Marble Arch Productions (1979). Der Rezensent in Films and Filming

25 Matthew J. Bruccoli. »Afterword«. F. Scott Fitzgerald’s Screenplay Three Comrades. Edited, with an Afterword by Matthew J. Bruccoli. Carbondale and Edwardsville: Southern Illinois University Press, 1978, 255–269; 257. Der Film wurde ein Erfolg und zählte 1938 zu den zehn besten (Bruccoli, 267). Siehe unten Fußnote 31. Für eine literarische Verwandtschaft zwischen Remarque und Fitzgerald siehe dessen Erzählbände Tales of the Jazz Age (1922) und All the Sad Young Men (1926). 26 Hohler, 53. 27 Späth, 99.

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(April 1980) hebt den »uncanny grasp of the German character« hervor und betont desweiteren die Eigenständigkeit der Neuauflage gegenüber dem Original.28 John Pym im Monthly Film Bulletin (Mai 1980) hingegen nennt sie kurz und bündig »a gaudy costume drama«. Filmkritiken zu The Road Back (1937) zeigen zwei konträre Linien: Zum einen fällt im Vergleich zur Vorlage das Niveau der Verfilmung ab. Frank S. Nugent schreibt in der New York Times am 18. Juni 1937: It is Universal’s The Road Back, not Erich Maria Remarque’s, that they presented last night at the Globe. [...] It is an approximation of the novel; it is touched occasionally with the author’s bleak spirit. But most of the time it goes its own Hollywoodenheaded way, playing up the comedy, melodramatizing rather than dramatizing, reaching at the last toward a baffling inconclusive conclusion.29

Sobald zum anderen unter Mühen hinter der weichen Schale der Darstellung der pazifistische Kern des Films wahrgenommen wird, ändert sich die Tonlage. Nun ist der Film a combination [of] historical fragment and preachment against the next war. [...] It does a stalwart job of condemning war, an expert job of exposing the fatuity of working against war with the left hand while the right is employed in training kneebreeches kids for the next war and it exposes brilliantly the emptiness of battle-field heroism.30

Frank S. Nugent meldet sich am 3. Juni 1938 in der New York Times enthusiastisch zur Verfilmung von Three Comrades zu Wort: Faithful to the spirit and, largely, to the letter of the novel. [...] The adaptation by F. Scott Fitzgerald and Edward E. Paramore has kept Remarque’s language, kept his characters, kept the slight but telling incidents the novel contained.31

Andere Kritiker teilen die Meinung nicht und bedauern im Gegensatz zum Roman den Wegfall der politischen Folie, vor der sich die melodramatische Liebesgeschichte abspielt.32 28 2014 wird eine US-Neuverfilmung für 2018 angekündigt, die bis auf den heutigen Tag nicht realisiert worden ist . Vgl. »Online Film – Blogging the Reel World«, 24.09.2014. 29 In die gleiche Richtung zielen die Besprechungen in Variety Film Reviews (23.06.1937) und in Newsweek 9 (26.06.1937), 22–23. 30 Literary Digest 123 (03.07.1937), 22–23. 31 Siehe oben Fußnote 25. 32 siehe Motion Picture Herald, 28.05.1938, 54–57; und Newsweek 31 (06.06.1938), 22–23.

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Ein ähnliches Schicksal widerfährt Arch of Triumph (1948). Bosley Crowther bedauert die Verengung auf eine Liebesgeschichte auf Kosten der Symbolik im Roman: all of them [gemeint sind die Figuren, U.Z.] [were] tragic symbols […] of the debris of Middle Europe’s culture about to be swept away completely in the mounting wave. And the irony was that all these people should clutter sadly in the shadow of the triumphal arch.33

Das ändert sich mit der Fernsehfassung (1984), wenn John J. Connor in der New York Times hervorhebt: »The new version seems to come closer to capturing the dark moods of the novel. [...] an effort has been made to give them a larger context, to explain the hopelessness surrounding them.«34 Trotz der Antikriegshaltung, die ein Kritiker in A Time to Love and A Time to Die (1958) wahrnimmt,35 beanstanden andere Besprechungen die »air of studied contrivance and artificiality«.36 Das hat zur Folge: »Hollywood is, in fact, creat­ ing a concept of the ›good‹ German (this for story purposes and the exigencies of the foreign market). [...] the figures are Americans.«37 Die filmischen Rekon­ struktionen in den Hollywood-Produktionen, die der Kritiker erkennt, unterliegen zum einen kapitalistischen Verwertungsbedingungen, zum anderen, wie der letzte Einwand zeigt, den zeithistorischen politischen Gegebenheiten, da 1958 Westdeutschland fest in der westlichen Allianz verankert war und es eines sympathischeren Bildes des ehemaligen Feindes bedurfte. Dennoch hat die kritische Sichtung ausgewählter Rezensionen ergeben, dass im Falle negativer Bewertungen der Filme auf die jeweilige Romanvorlage kein Schatten fiel und das literarische Werk unbeanstandet blieb. Obwohl diese Sichtweise zum Standardrepertoire kritischer Analysen von Literaturverfilmungen zu gehören scheint, bedeutet das im Falle Remarques den fortgesetzten Respekt der Kritiker vor seiner literarischen Autorität. Für die Filmindustrie boten seine Stoffe durchweg die Chance, zumindest mit den melodramatischen Erzählelementen ein Publikum zu interessieren.

33 New York Times, 21.04.1948, 33. Auch Newsweek 31 (26.04.1948). 34 29.05.1985. 35 New York Times, 22.06.1958. 36 New York Times, 10.07.1958, 22. 37 Saturday Review, 41 (12.07.1958), 52. Siehe auch Fußnote 36.

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Remarque in Nordamerika heute Neben dem anhaltenden Interesse an den amerikanischen Ausgaben der Romane zeigt sich Remarques ungebrochene Popularität an zahlreichen Theaterproduk­ tionen, die bis in die Gegenwart reichen. Dabei stehen sein Stück Die letzte Station (in den USA Full Circle) und All Quiet on the Western Front im Mittelpunkt. Mit knapp 20-jähriger Verspätung wird Full Circle 1973 im New Yorker »American National Theater and Academy« unter der Regie von Otto Preminger uraufgeführt. An der bereits 1959 vorliegenden amerikanischen Neubearbeitung von Peter Stone hatte Remarque Veränderungen vorgenommen. Eine vermutete Antipathie der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber der sympathisierenden Darstellung sowjetischer Soldaten verhinderte schließlich Aufführungen in den Zeiten des Kalten Kriegs. Wohingegen der Misserfolg 1973 in der antikommunistischen Färbung, die Peter Stone dem Stück gibt, begründet liegt, die nun kon­ trär zur Stimmung der beginnenden Entspannungspolitik steht: »Nach knapp drei Wochen Spielzeit verschwand Full Circle [...] von den amerikanischen Bühnen«.38 Remarques Theaterstück war gleichsam ›zwischen die Zeiten gefallen‹. Erst 2013 feiert Full Circle in der Fassung von Peter Stone seine Wiederauferstehung, als das Wheaton Drama in Wheaton, Illinois unter der Regie von Sean Ogren es nach vierzig Jahren auf die Bühne bringt. Ursachen oder Gründe für diese Produktion können im Rahmen dieser Arbeit nicht geliefert werden. Bühnenadaptionen von All Quiet on the Western Front können hingegen mehrfach und an verschiedenen Orten nachgewiesen werden: 2017 Pittsburgh/Pennsylvania, 2018 Toledo/Ohio, 2019 Chicago/Illinois. Eine besondere Erwähnung verdient eine Opernaufführung an der New York City Opera (2003) in der Bearbeitung von Nancy Van de Vate und unter der Regie von Paul Kellogg. In das Genre der leichten Unterhaltung fallen zwei Produktionen: Die New Jersey Repertory Company führt 2011 in Long Beach/New Jersey Puma auf, das Literary Dialogue Theater New York 2014 in russischer Sprache Skazhi mne, chto ty ljubish’ menia in der Bearbeitung und unter der Regie von Irina Volkovich. Puma war einer der Kosenamen, den Remarque für seine Geliebte Marlene Dietrich verwandte. Für beide Stücke nennt das Verzeichnis des Erich Maria Remarque-Archivs als Vorlagen »EMR-Dietrich«, was auf den Briefwechsel zwischen Remarque und Marlene Dietrich verweist.39

38 Schneider, Westphalen, (Hg.), Das Unbekannte Werk, Band 3: Die letzte Station – Der letzte Akt, 280–281. 39 »Sag mir, daß du mich liebst«. Erich Maria Remarque – Marlene Dierich. Zeugnisse einer Leidenschaft. Herausgegeben von Werner Fuld und Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2001.

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In den vergangenen zwanzig Jahren haben im künstlerischen Diskurs um Remarques Werke in Nordamerika, hier besonders mit Im Westen Nichts Neues, die neuen Medien an Bedeutung gewonnen. Zahlreiche Videoproduktionen, Comics und musikalische Gattungen von Metal über Alternative Country bis Rap und Hip Hop zeugen von kreativen Zugängen zu Remarques pazifistischem Gedankengut. Augenfällig sind die Neuauflagen eines Brettspiels von All Quiet on the Western Front. Die anhaltende Relevanz von Remarques Werk reflektiert sich ebenso in der wissenschaftlichen Rezeption. So hat Kipphorn bereits 1998 auf sechs substantielle nordamerikanische Studien zu Remarque verwiesen.40 Gemäß der in den Erich Maria Remarque Jahrbüchern fortgeschriebenen Bibliographie der Forschungsliteratur ist die akademische Beschäftigung in Nordamerika konstant geblieben.41 Im Vergleich dazu ist in Deutschland die Forschungslage außerhalb der Publika­ tionsproduktivität des Osnabrücker Erich Maria Remarque-Friedenszentrums eher dürftig.42 Hinsichtlich der universitären Curricula verhält es sich ähnlich, wenn auch nicht so krass. Als Beispiel für die lebendige Auseinandersetzung mit All Quiet on the Western Front soll hier das Portal www.coursehero.com angeführt werden, das 2016 unter der Federführung von Bradley Greenburg, Professor an der Northeastern Illinois University, eingerichtet wurde. Literaturdidaktisch betrachtet wird der Roman nur partiell als fiktionale Prosa wahrgenommen, sondern hauptsächlich als geschichtliche Quelle gelesen.43 Schluss Die Intention des vorliegenden Beitrags war, das Beziehungsgeflecht zwischen dem deutschsprachigen (Post-)Exilschriftstellers und dem nordamerikanischen Teil-Kontinent (hier im besonderen die USA) aufzuzeigen. Politisches Exil, per40 Richard A. Kipphorn, Jr. »My Twenty Years of Teaching Remarque in an American University«. Schneider (Hg.), Remarque – Leben, 457–484; 460. 41 Hervorzuheben sind hier Brian Murdoch. The Novels of Erich Maria Remarque: Sparks of Life. Rochester, NY: Camden House, 2006; Ders. Critical Insights – All Quiet on the Western Front. Pasedena, Hackensack: Salem Press, 2011; Noah Berlatsky. War in Erich Maria Remarque’s All Quiet on the Western Front. Detroit, et.al.: Gale Language Learning, 2013. 42 Zwei erwähnenswerte Ausnahmen bilden Denis Herold. Formen und Funktionen der Neuen Sachlichkeit in Erich Maria Remarques Romanen. Marburg: Tectum Verlag, 2012; Nikos Späth. Die Reaktion der deutschen und amerikanischen Presse auf Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020 (Schriftenreihe des Remarque-Archivs 35). 43 Es sei als weiterer Beleg für das amerikanische Interesse an Remarque die US-amerikanische Unterstützergruppe aus Los Angeles erwähnt, die sich der sinnvollen Nutzung der Remarque Villa in Porto Ronco verpflichtet fühlt.

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sönliche Verbindungen und geschäftliche Beziehungen gingen eine frühe Symbiose ein, die allesamt in jeweils unterschiedlicher Gewichtung halfen, den Menschen Remarque in seiner neuen Heimat zu etablieren. Dass auch dem Schriftsteller Remarque die Integration anders als vielen der deutschsprachigen Exilschriftsteller gelang, resultiert vorrangig – neben geschicktem Marketingmanagement – aus einer künstlerischen Affinität mit den ästhetischen Prämissen der amerikanischen Literatur der Moderne. Auswahl der Themen und Motive und ein vorwiegend realistischer, direkter Erzählduktus erleichterten zudem die – wenn auch nicht durchgängig gelungene – filmische Verwertung der Prosa. Darüber hinaus initiierte die literarische Beschäftigung mit dem Krieg und den physischen und psychischen Schäden für den ›kleinen‹ Mann in einer von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Kultur wie der US-amerikanischen ein nicht nachlassendes Interesse. Durch die Brille eines borniert-elitären Intellektualismus deutscher Tradition ist diese Leistung nicht zu würdigen.44 Wenn in der nordamerikanischen Gegenwart Main- und Off-Stream, losgelöst aus den historischen und kulturellen Entstehungskontexten, All Quiet on the Western Front für ihre künstlerischen Artikulationen reklamieren, dann erscheint es abschließend nicht weit hergeholt, den ehemals »deutschen« Autor als Teil des nordamerikanischen kulturellen Gedächtnisses zu begreifen: Memory works through reconstruction. The past itself cannot be preserved by it, and thus it is continually subject to processes of reorganization according to the changes taking place in the frame of reference of each successive present. [...] collective memory operates simultaneously in two directions: backward and forward. It not only reconstructs the past but it also organizes the experience of the present and the future.45

44 Siehe hier Hohler, 52. 45 Vgl. für All Quiet on the Western Front Späth, 103–104. Jan Assmann. Cultural memory and early civilization. Cambridge: Cambridge University Press, 2011, 27–28.

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All Quiet? Remarque in Kanada

Erich Maria Remarques All Quiet on the Western Front hatte 1929 auch in Kanada Erfolg, zuvor kannte ihn als Autor wie anderswo in Nordamerika vermutlich kaum jemand:1 Das Land stand anders als die USA schon 1914 im Krieg gegen die Mittelmächte, hatte erhebliche Verluste zu verzeichnen und sich nicht minder mit der Frage nach dem Sinn dieses Kampfes auseinanderzusetzen – Paul Bäumers Klassen meldeten sich auch in Ontario oder British Columbia freiwillig, waren am Sankt-Lorenz-Strom genauso verloren wie jenseits des Rheins. Und mit der »Konskriptionskrise« 1917 war diese Sinnfrage auch bei den kanadischen Behörden bzw. der Regierung selbst angekommen.2 Jene auf Im Westen nichts Neues bzw. die späten 1920er und frühen 1930er Jahre beschränkte Perspektivierung könnte die kurze Zusammenfassung der Rezeption von Remarques Werk in Kanada sein, die bislang überraschenderweise nicht untersucht ist.3 Und dies, obwohl Remarque in Kanada zwischen 1929 und unserer Gegenwart immer wieder als pazifistischer

1 Vgl. hierzu vor allem Nikos Späth. »Das Thema hatte es in sich«. Die Reaktion der deutschen und amerikanischen Presse auf »Im Westen nichts Neues«. Eine vergleichende Rezeptionsstudie über Fronterlebnis und Weltkriegserinnerung in der Weimarer Republik und den USA in den Jahren 1929 und 1930. Göttingen 2020; Thomas F. Schneider. »›Wir passen nicht mehr in die Welt hinein‹. Zur Entstehung und Publikation von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues«. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Köln 2013, 330–360. 2 Vgl. Amy J. Shaw. Crisis of Conscience: Conscientious Objection in Canada during the First World War. Vancouver 2009; Tim Cook. Shock Troops: Canadians Fighting the Great War, 1917–1918. Toronto 2008. 3 Dies ergaben die Recherchen zu diesem Beitrag, die bestätigt werden durch den fehlenden Eintrag kanadischer Untersuchungen in Claudia Glunz/Thomas F. Schneider (Hg.). »Remarque-Forschungen 1930–2010. Ein bibliographischer Bericht«. Erich-Maria-RemarqueJahrbuch 20 (2010). Einzige Ausnahme bilden zwei Aufsätze von Félix Martí-Ibáñez in der Zeitschrift MD of Canada, die allerdings keinen kanadischen Bezug aufweisen. Vgl. ebd., 125.

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Bezugspunkt, als Erzähler vom »›Unbekannten Soldaten‹ aller Nationen«, als Gewährsmann von ›der anderen Seite‹ sowie als eine der wichtigsten Stimmen der »lost generation« herangezogen wurde.4 Der vorliegende Artikel kann dieses Feld nur umreißen und seine Potenziale aufzeigen, er beschränkt sich auf die Presseöffentlichkeit seit den späten 1920er Jahren. Nicht aber ist dieser Beitrag eine »Geschichte Remarques in Kanada«, die an anderer Stelle und viel umfangreicher bzw. tiefgehender geschrieben werden muss. Und die, das sei eingangs ausdrücklich hervorgehoben, auch französischsprachige Quellen einbeziehen muss, die in diesem Artikel nicht berücksichtigt werden konnten. Wie also wurde das Werk Remarques in Kanada rezipiert und welche Rolle spielte es im Gedenken an den Krieg, welche Bedeutung hatte dabei speziell die Presseberichterstattung? Lässt sich, wie im Deutschen Reich, ein »aktive Rolle« im »Kampf um die Deutungshoheit um den Ersten Weltkrieg« feststellen? Oder waren die kanadischen Medien gleich jenen in den USA eher überparteilich bzw. ohne eine »politische Agenda«, wenn es um die Einordnung des deutschen Autors ging?5 »The Greatest Document about the War« Die Rezeption Remarques setzte im Juni 1929 ein, als die kanadische Presse über All Quiet on the Western Front zu berichten bzw. dieses zu besprechen begann.6 Zugleich war aber in Toronto auch eine ›kanadische‹ Ausgabe des Buches erschienen, die von Warenhausketten wie der Hudson’s Bay Company vermarktet wurde.7 Die Besprechungen des Buches lobten wie die des Journalisten und Mitbegründers der Canadian Authors Association, William T. Allison, in der Winnipeg Tribune den »brutal realism« und den »touch of idealism« – »of all descriptions of the war I have read, this is the most powerful, for it pierces to the heart’s core and lights up with a fierce glare that sad old phrase, ›Man’s inhumanity to man‹«.8 4 Späth, 14. 5 Ebd., 15. 6 Vgl. exemplarisch für eine in Montreal erscheinende Zeitung »German Soldier’s View of War«. The Gazette, 08.06.1929, sowie die Besprechungen in »Book Reviews«. The Calgary Daily Herald, 24.06.1929; J.L. Charlesworth. »German Author Strips War of Glamor in Gripping Tale«. The Ottawa Citizen, 29.06.1929; Alice L. Weaver. »›All Quiet on the Western Front‹. Tragedy of Common Soldier’s Lot During World War Described by Erich Remarque«. The Vancouver Sun, 20.07.1929. 7 Vgl. die Ankündigung »New Books«. The Gazette, 01.06.1929. Die Meldung bezog sich auf Erich Maria Remarque. All Quiet on the Western Front. Toronto 1929. Vgl. zudem die Anzeige der Hudson’s Bay Company in The Province, 19.07.1929. 8 W.T. Allison. »German Soldier Writes Vivid Story of War. Describes Allied Offensives«. The Winnipeg Tribune, 22.06.1929. Vgl. die nahezu gleichlautende und in Vancouver erschienene Einschätzung bei Weaver, Tragedy.

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Anzeigen in der Winnipeg Evening Tribune vom 4. und 5. September 1929.

Schon Anfang Juli 1929 galt es den kanadischen Kritikern mehrheitlich als »The Greatest War Book Ever written« – ein »best seller by thousands in Canada, Great Britain, Germany and the United States«.9 Der Ottawa Evening Citizen brachte »The Greatest Document about the War« nicht zuletzt deswegen ab Mitte Juli 1929 in Fortsetzung,10 gefolgt von der Winnipeg Evening Tribune beginnend im September.11 9 »All Quiet on the Western Front«. The Ottawa Citizen, 11.07.1929. 10 Vgl. »E. M. Remarque, All Quiet on the Western Front«. The Ottawa Evening Citizen, 15.07.1929. 11 Vgl. Anzeige »A Subject of Great Discussion«. The Winnipeg Evening Tribune, 04.09.1929.

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Erste Seite des Nachdrucks in der Winnipeg Evening Tribune vom 7. September 1929.

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Jenseits der mit dem Buch auch verbundenen ›Skandale‹ etwa in den USA12 und vergleichsweise weniger kritischer Stimmen13 wurde Remarque von nun an in Kanada zu einer Vergleichsfolie für Publikationen über den Krieg – egal ob sie von einstigen Gegnern oder alliierten Soldaten auf der einen Seite sowie Kriegsapologeten oder Pazifisten auf der anderen stammten.14 Zugleich wurde der deutsche Autor wie in vielen anderen Ländern zu einem gesetzten Thema in der Presse, mit seiner Zeit im Exil der USA sein Privatleben eingeschlossen.15 So wurde bereits zeitgleich mit dem Erscheinen seines Buches die filmische Adaption durch Carl Laemmle angekündigt,16 die dann in Sommer und Herbst 1930 den kanadischen Blätterwald erneut zum Rauschen brachte.17 All Quiet on the Western Front war auch in Kanada ein Kassenschlager und wurde als »the greatest talking picture yet produced« gefeiert.18 Nicht anders verhielt sich diese allerdings fraglos zurückgehende Aufmerksamkeit der kanadischen Öffentlichkeit in den folgenden 1930er und 1940er Jahren, als neue und wie bei The Road Back oder Three Comrades lediglich als Fortsetzungen wahrgenommene Bücher oder Verfilmungen erschienen,19 Remarque aber zugleich – und immer dezidiert ausgewiesen als der Autor

12 Vgl. »German’s War Book Ordered Seized in Chicago as Vulgar«. The Province, 15.07.1929. 13 Exemplarisch genannt sei ein anonymer Artikel aus Saskatoon, der nicht nur Remarques eigentliche Kriegserfahrung – zitiert wurden »Nachforschungen« des Deutschen Offiziersbundes –, sondern auch die literarische Qualität seines Buches in Frage stellte. Vgl. »Mr. Remarque and the War«. The Saskatoon Star-Phoenix, 04.09.1929. Vgl. hierzu auch »German Officers Assail Remarque«. The Windsor Star, 07.09.1929. 14 Exemplarisch genannt sei die Besprechung von Franz Schauweckers Fiery Way, vgl. hierzu »German War Book«. The Gazette, 15.02.1930; »War Books Repped«. The Edmondton Journal, 09.08.1930. Vgl. zudem Lukin Johnston. »A Deluge of War Plays and Books«. The Winnipeg Tribune, 06.12.1929; »›All Quiet‹ Type of War Book Condemned«. The Vancouver Sun, 11.05.1932; C.E.F. »Veteran’s Book Wins Praise«. The Gazette, 04.06.1935. 15 Vgl. beispielweise »U.S. releases Wife of German Author«. Edmonton Journal, 06.11.1939; »Mrs. Erich Maria Remarque«. Edmonton Journal, 12.11.1939. Dieses Interesse überlebte ihn in Kanada, er fand auch beim Tod von Paulette Goddards 1990 und Marlene Dietrichs 1992 Erwähnung. Vgl. exemplarisch »The wide-eyed waif Goddard dies in her Swiss home«. The Calgary Daily Herald, 24.04.1990; »Sultry temptress of silver screen dies a recluse in her Paris home«. The Vancouver Sun, 09.05.1992. 16 Vgl. Mollie Merrick. »Talkie Pictures Taken as Play Progesses«. The Winnipeg Tribune, 19.07.1929; »Movies«. The Ottawa Citizen, 07.09.1929; »Universal to Film Famous War Novel of Realism by Remarque«. The Leader, 07.12.1929. 17 Vgl. »War Film Coming«. The Gazette, 05.06.1930. 18 »›All Quiet‹ Enters Forth Week of Performances«. The Gazette, 12.07.1930. 19 Vgl. exemplarisch »High Demand for ›All Quiet‹ Sequel«. The Province, 17.05.1931; »Remarque’s Novel Of Postwar Germany To Be Filmed During Spring«. The Windsor Star, 18.01.1932; »Remarque’s ›The Road Back‹ Is Seen In Picture Version At Capitol«. The Gazette, 04.09.1937; »Stars at Remarque Drama«. The Calgary Daily Herald, 24.06.1938; Robert C. Miller. »Producers Having Bad Time Keeping Up With Events«. The Calgary Daily Herald,

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Kinowerbung für die Verfilmung im Edmonton Journal vom 20. September 1930.

21.09.1940; »Story of European Refugees Told Graphically in ›So Ends Our Night‹«. The Calgary Daily Herald, 05.09.1941. Vgl. zudem Thomas F. Schneider. »›Das Leben wiedergewinnen oder zugrundegehen‹. Zur Entsteheung und Publikation von Erich Maria Remarques Der Weg zurück«. Erich Maria Remarque. Der Weg zurück. Köln 2014, 395–413, hier 409; ders., »›Weder Krieg noch Politik. Schickale von Menschen, die arbeiten und leben‹. Zur Entstehung und Publikation von Erich Maria Remarques Drei Kameraden«. Erich Maria Remarque. Drei Kameraden. Köln 2014, 573–590.

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von All Quiet on the Western Front – auch als ein Gegner der Nationalsozialisten wahrgenommen wurde bzw. zu Wort kam.20 »The Story of Youth Thrown Into the Flaming Maw of Destruction« Auffällig in der kanadischen Berichterstattung über Remarque ist nicht allein das schon zitierte und durchaus pazifistisch zu verstehende Grundmotiv, dass Kriege von Menschen gemacht sind und dass in denselben vor allem die ›einfachen Menschen‹ sterben. Auffällig ist vielmehr der Blick auf die Jugend und die Folgen des Krieges, die er auf die heimkehrende Generation hatte. Schon im Kontext der Verfilmung von 1930 – die freilich auch in Kanada nicht nur Zuspruch, sondern auch Kritik erfuhr21 – zitierte die Victoria Daily Times Remarque mit den Worten: »We are forlorn, like children, and experienced, like old men, we are crude and sorrowful and superficial … I believe we are lost ... The generation that has grown up after us will be strange to us and push us aside.« Der Kommentator der Zeitung antwortete, diese Generation habe genau das Gegenteil getan – »Instead, they seemed to have understood most of all. It was the generation that grow up after him that made the picture!«22 Und auch andere Ankündigungen oder Besprechungen vor allem der Verfilmung von All Quiet on the Western Front machten deutlich, dass dies ein Film über eine Jugend sei, »that has never been allowed to live«. Und dass es zwar um die deutsche Jugend gehe, »but nationality means nothing«.23 Auch der Ottawa Citizen sah den Film mit seiner Buchvorlage deswegen nicht

20 Vgl. exemplarisch »Within Sight of St. Paul«. The Winnipeg Tribune, 28.03.1933; »Nazis Crush Socialists in Germany. 20,000 Books By Pacifists or Jewish Authors Are Destroyed«. Edmonton Journal, 11.05.1933; »Good Old War Days – a Nazi Contrast«. Times Colonist, 23.10.1937; »Hostility of German Government Forces Studio to Remove Objectionable Scenes From Remarque’s ›Three Comrades‹«. The Calgary Daily Herald, 06.07.1938; »Books as Weapons«. The Ottawa Citizen, 14.08.1943; »›The Road Back‹«. The Winnipeg Tribune, 02.08.1944. 21 Vgl. vor allem auch für die wiedergegebene Kritik aus dem Deutschen Reich Dixon Craig. »Many Don’t Like it; Remarque Does«. Edmonton Journal, 25.09.1930; »Bruening Cabinet Man See War Film«. The Windor Star, 10.12.1930; »Bar ›All Quiet‹ in Fatherland. Remarque’s Story Not to be Shown Any More in German Theaters«. The Saskatoon Star-Phoenix, 13.12.1930; »Germany Ready for Riots on Christmas«. The Windsor Star, 23.12.1930. 22 »Young Players in Famous War Story Coming Thursday«. The Victoria Daily Times, 28.07.1930. Vgl. zur kanadischen Zwischenkriegsgeneration Cynthia Comacchio. »A Postscript for Father: Defining a New Fatherhood in Interwar Canada«. Canadian Historical Review 78 (1997), 3, 385–408; dies. The Dominion of Youth: Adolescence and the Making of Modern Canada, 1920 to 1950. Waterloo 2006. 23 »›All Quiet‹ at Capitol a Week. Great War Picture Opens Monday. Tells the Story of Youth Thrown Into the Flaming Maw of Destruction«. The Windsor Star, 16.08.1930.

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als Melodrama oder Spektakel, wie andere Kriegsfilme, sondern als »the story of youth – the youth of all nations – in war. It is the story of one youth who symbolizes in himself the fate of all youth – comrades and foemen – cast into the flaming maw of war«. Nur zufällig sei die Hauptfigur ein Deutscher. Der eigentliche Held des Films aber sei der »›unknown soldier‹ of all nations, the epitome of all youth that suffered and died in war, or suffered and came back, not the same, to a world that had passed them by«.24 Und eben jene Deutung von Remarques All Quiet on the Western Front als ein Buch/Film über die Jugend im Krieg war hochgradig anschlussfähig an Diskurse in Kanada, wo dann aufgrund der Beteiligung des Landes auch am Zweiten Weltkrieg offenbar ein gesteigertes Interesse an Remarques Einschätzungen entstand. Im August 1944 etwa sprach der Vorsitzende der Canadian Bar Association, Joseph W. Henderson, auf der Jahreskonferenz in Toronto über die Rolle des nordamerikanischen Anwalts in der Nachkriegsordnung. Er kam dabei auch auf Remarque und sein »most human, disturbing book« All Quiet on the Western Front zu sprechen, ebenso auf The Road Back. Remarque habe in seinen Büchern vor allem über die die Schwierigkeiten seiner Generation erzählt, who had left schools and colleges, offices and factories, for the rigors of training and the risks of death in combat, to readjust themselves from the atmosphere of heroism and danger, and to take up again unaided duller tasks of selling groceries, running routine machines, or doing mere clerical work.

Das Resultat seien »disillusionment and cynicism« gewesen. Zwar habe Remarque über die deutsche Jugend geschrieben. Aber ein »lack of planning in advance left the plight of our victorious youth […] little better«. Henderson forderte seine Zuhörer deswegen auf, alles zu tun, dass dies kein zweites Mal passiere, wenn die kanadische Jugend aus dem neuerlichen Krieg heimkehre.25 Dass es sich bei diesem hier nur angeführten bzw. analytisch nicht weiter vertieften Aspekt um keinen Zufallsfund, sondern um einen breiteren Aspekt der Rezeption Remarques im Kanada des späten Zweiten Weltkriegs handelt, bestätigen auch andere Quellen – schon im Februar 1944 druckte das Ottawa Journal beispielsweise unter dem Titel »Understanding Youth« eine in genau diese Ricchtung deutende Passage aus 24 »At the Avalon«. The Ottawa Citizen, 14.11.1930. Vgl. für andere Orte in Kanada mit ähnlicher Rezeption »Starland has Big War Film«. The Winnipeg Tribune, 06.12.1930; »At His Majesty’s«. The Gazette, 26.05.1934. Vgl. zudem zu den kanadischen Kriegsheimkehrern Jonathan Scotland. And the Men Returned: Canadian Veterans and the Aftermath of the Great War. Diss. masch. 2016, Electronic Thesis and Dissertation Repository, No. 3662, Online unter https://ir.lib.uwo.ca/etd/3662 (eingesehen am 17.04.2020). 25 Joseph W. Henderson. »The American Lawyer’s Place and Part in the Post-War World«. The Canadian Bar Review 22 (1944), 7, 569–576, hier 570.

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The Road Back ab.26 Zugleich verweisen diese Beispiele aber auf eine Rezeption Remarques in Kanada auch über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus, die in seinem Falle qua Werk und Biografie als dezidierter Gegner von Nationalsozialismus und Faschismus möglich war. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und aufgrund der kanadischen Gewalt- wie auch der zuvor zu beobachtenden Rezeptionsgeschichte Remarques gehörte er in Kanada und Nordamerika fraglos zu jenen Deutschen, die man auch nach dem Holocaust noch einem Massenpublikum anbieten konnte. Zwar finden sich anfangs nur wenige Bezugnahmen – auch in Kanada war All Quiet on the Western Front ein »vergängliches Symbol«,27 das sich aber offenbar leicht reaktivieren ließ. So erinnerte sich beispielsweise der spätere Journalist und Senator James Harper Prowse – er war fünf Jahre als Soldat eingezogen gewesen und hatte vor allem in Italien gekämpft – im November 1945 im Lethbridge Herald aus Anlass des »Armistice Aniversary« von 1918 in seinem schon im Titel an Remarque angelehnten Artikel The Road Ahead an die wenigen »well-meaning persons«, die in der Zwischenkriegszeit gegen »the horrors of war« angeschrieben hatten. Und er nannte Remarque mit seinen Büchern All Quiet on the Western Front wie auch The Road Back – Three Comrades spielte in der kanadischen Wahrnehmung bzw. in der Rezeption der Bücher als Triologie generell kaum eine Rolle – als Warnungen vor einem neuen Krieg, die von den Menschen in der »free world« ignoriert worden seien. Prowse beendete seinen Artikel deswegen mit dem Wunsch, die Leser könnten all die »terrible destruction« eben dieses neuen Krieges sehen: Das zerstörte Monte Cassino und Nagasaki, die hungernden Kinder in Europa, ein Schlachtfeld nach dem Gefecht, eine Sanitätsstelle – um die »horrors of war« und Krieg »as the height of human stupidity« für immer zu erinnern. Und zu erinnern, »that wars are caused not by ›Robber Barons‹, not by cartels, not by dictators, not by General Staffs – but by common people – like yourself and myself who are too stupid to remember the lessons we learn – and pay for at such great cost.«28 Die hierin aufscheinende Sichtweise, direkt auf Remarques Werke Bezug zu nehmen und zugleich die Erfahrungen beider Weltkriege und auch des Holocaust miteinander zu verbinden, findet sich in Kanada nach 1945 zwar nicht als Massenphänomen,29 sie lässt sich aber vor allem in der künstlerischen Auseinander26 Vgl. »Understanding Youth«. The Ottawa Journal, 23.02.1944. 27 Schneider, Welt, 351. 28 J. Harper Prowse. »The Road Ahead«. The Lethbridge Herald, 10.11.1945. 29 Vgl. exemplarisch die Besprechung der kanadischen Erstveröffentlichung von Irving Shaws The Young Lions über dessen Erfahrungen im Europa des Zweiten Weltkriegs, in der der Rezensent auf Remarques All Quiet on the Western Front und auf Hemingways A Farwell to Arms Bezug nahm. Jack Scott. »Our Town«. The Vancouver Sun, 02.11.1948. Vgl. zudem einen Artikel von 1974, der die Periode zwischen 1914 und 1945 als Zweiten Dreißigjährigen Krieg (Siegmund Neumann) bezeichnete, »Into the valley of death«. The Province, 03.08.1974.

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Aba Bayevsky. All Quiet on the Western Front, 1988. Öl auf Leinwand, 127.5 x 102.0 cm, Beaverbrook Collection of War Art, Canadian War Museum Ottawa, CWM 19710261-0123.

setzung in Teils bemerkenswerter Qualität ausmachen. Der Maler Aba Bayevsky etwa, der als 22jähriger Soldat der Royal Canadian Air Force im Mai 1945 das Konzentrationslager Bergen-Belsen gesehen hatte, befasste sich mit eben jenen Eindrücken und schuf vor allem in den 1980er Jahren großformatige Bilder, die seine eigene Erfahrung mit dem Antisemitismus, ebenso aber auch mit Geschichtsrevisioninsmus und der Leugnung der Shoa reflektierten. Dass sich unter diesen Bildern auch das Werk All Quiet on the Western Front von 1988 findet, unterstreicht die weiter oben von Prowse angesprochene und nicht allein kanadische Sichtweise, zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg eine direkte Verbindung zu ziehen.30 Es mochte nicht allein der Rezeption Remarques schon in den 1930er Jahren geschuldet gewesen sein, sondern auch dem Fakt, dass er als Gegner der Nationalsozialisten gemeinsam mit den Kanadiern auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden hatte, dass er und sein Schaffen weiterhin wahrgommen wurden: Schon im Mai 1945 wurde in Kanada über Arch of Triomphe berichtet, Ende 1946 wurde

30 Vgl. Laura Brandon. »Reflections on the Holocaust: The Holocaust Art of Aba Bayefsky«. Canadian Military History 6 (1997), 2, 67–71. Vgl. hierzu auch Mark Celinscak. Distance from the Belsen Heap. Allied Forces and the Liberation of a Nazi Concentration Camp. Toronto 2015.

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es dann beispielsweise im Windsor Daily Star positiv besprochen.31 Im November 1947 – und wohl nicht zufällig im November – fand der auf Remarques Romanvorlage enstandene Kinofilm The Other Love Zuspruch, der in den kanadischen Kinos anlief.32 Im Monat zuvor veröffentlichte The Province in Vancouver eine Liste von 153 »Books Chosen to Represent our Era«, die zwischen 1900 und 1940 entstanden waren, darunter All Quiet on the Western Front.33 Und auch in den folgenden Jahren begleitete die kanadische Presse die neuen Veröffentlichungen Remarques, ebenso aber auch deren Verarbeitung etwa in Filmen oder Theaterstücken.34 Überdies blieb Remarque die Autorität des Vergleichs erhalten, Bücher nicht nur kanadischer Autoren über den Ersten und nun auch den Zweiten Weltkrieg wurden in der Regel mit seinem Werk in Beziehung gesetzt. Im Calgary Daily Herald erschien zum Beispiel im März 1949 eine Besprechung von Alexander Barons From the City, from The Plough (1948), das Buch sei »the ›All Quiet on the Western Front‹ of World War II. It has the same quiet realism, the same human warmth, the same unstudied concern, like Remarque’s with the ordinary youth citizen torn from his environment and set down in the hell of modern war.«35 Dieses Muster des Vergleichens, das fraglos für die spezifischen Kontexte des Kalten Kriegs einer tieferen Analyse bedarf, findet sich auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder.36 Schließlich kamen später und hier insbesondere bei der Rezeption der Verfilmungen von All Quiet on the Western Front von 1930 und 1976, die in privaten kanadischen Kinos genauso immer wieder gezeigt wurden wie in öffentlichen Räumen oder Institutionen,37 dann auch Auseinandersetzungen hinzu, die die

31 Vgl. exemplarisch »Triumph«. The Windsor Daily Star, 12.05.1945; Jack Kent. »Refugees in Paris«. The Windsor Daily Star, 07.12.1946. Remarque blieb in Kanada auch nach dem Zweiten Weltkrieg der stete (notwendige?) Zusatz erhalten, er sei der Autor von All Quiet on the Western Front. Vgl. »New Books«. The Calgary Daily Herald, 09.02.1946. 32 Vgl. exemplarisch die Ankündigung mit Bild in The Province, 12.11.1947. Der im Text erwähnte Hinweis, dass sich der Bezug auf Remarque etwa als von kanadischen »vets« gepriesener Autor vor allem im Oktober/November in der kanadischen Presse findet, bestätigt sich immer wieder. Vgl. exemplarisch »Stage 51 Presents Fine Variation of Radio Plays«. The Saskatoon Star-Phoenix, 10.11.1950. 33 Vgl. »These Books Chosen to Represent our Era«. The Province, 04.10.1947. 34 Vgl. exemplarisch »Nazi Camp Story Told by Remarque«. Times Colonist, 23.02.1952; W.P. Mills. »A Time To Live And A Time To Die«. The Ottawa Citizen, 12.06.1954; »Film Made of Hitler’s End«. Times Colonist, 05.03.1955; »Monument to Death«. The Gazette, 20.04.1957; »European Premiere«. The Windsor Star, 26.07.1958. 35 J. Donald Adams. »One Man’s Meat«. The Calgary Daily Herald, 29.03.1949. 36 Vgl. exemplarisch »The Rise and the Fall of the Nazis on the Eastern Front«. The Saskatoon Star-Phoenix, 23.02.1952; John Marshall. »Hitler’s Frost Bitten Russian Invasion Described By Doctor In Nazi Forces«. The Windsor Star, 15.03.1958. 37 Vgl. für die 1930er Filmversion von All Quiet on the Western Front, die 1982 im Provincial Museum of Alberta gezeigt wurde, »Feature Exhibits«. Edmonton Journal, 05.11.1982.

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globale Gewaltgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg mit Remarques Darstellung des Ersten Weltkriegs in Verbindung brachten: »Movies [that] honour the soldier, not the war« wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (1979) oder Oliver Stones Platoon (1986) wurden in einem Atemzug mit All Quiet on the Western Front genannt.38 Das Ende des Kalten Kriegs beendete diese Praxis des Vergleichens nicht, wie eine Besprechung von Paul Watkins Night Over Day Over Night (1988) im Oktober 1990 zeigt: »It’s a good novel, but Remarque is better«, urteilte der Ottawa Citizen.39 Und später wurde Remarque schließlich zunehmend auch in die Verarbeitung der ›neuen‹ Kriege einbezogen: Noch in den späten 2000er Jahren wurde All Quiet on the Western Front zusammen mit Ron Kovics Born on the Fourth of July (1976) oder Stud Terkels The Good War. An Oral History of World War II (1984) beispielsweise zur Bewertung von »stories of Canadians in Afghanistan« herangezogen.40 Diesem Aspekt des Vergleichens in Kanada sei eine letzte Beobachtung hinzugefügt: Wurden jenseits von Remarques All Quiet on the Western Front vergleichend andere Werke angeführt, dann hatten diese in der absoluten Mehrheit keinen kanadischen Bezug oder Ursprung. Library and Archives Canada – das nationale Gedächtnis des Landes – liefert dafür im Reader’s Guide to Canadian Military History eine Erklärung: »Canada’s First World War experience did not produce a novel of the magnitude of Erich Maria Remarque’s All quiet on the western front or of Stephen Crane’s The red badge of courage.«41 Ob dies allerdings tatsächlich die hier formulierte Beobachtung erklärt, bedarf der weiteren Untersuchung, hatte

38 Vgl. exemplarisch für eine Vielzahl von Beispielen aus mehreren Jahrzehnten und aus ganz Kanada Marc Horton. »War movies preserve memory of the conflicts and sacrifices«. Edmonton Journal, 11.11.1998; Jay Stone. »Movies honour the soldier, not the war«. The LeaderPost, 08.11.2008; Jay Stone. »What the movies have taught us about war«. Times Colonist, 11.11.2011. 39 »Bibliofile«. The Ottawa Citizen, 21.10.1990. Vgl. zudem auch für zwei spätere Beispiele aus den 1990er Jahren: Gordon Turtle. »Ghost Road rumbles with the shellshocked«. Edmonton Journal, 22.10.1995; Glen Huser. »Relentless horror of trench warfare grips reader«. Edmonton Journal, 08.11.1998. 40 Vgl. Pat Burkette. »New book collects the stories of Canadians in Afghanistan«. The Calgary Daily Herald, 13.01.2008, Besprechung von Kevin Patterson, Jane Warren (Hg.). Outside the Wire. The War in Afghanistan in the Words of its Participants. Toronto 2007. Vgl. hierzu auch Lara Campbell, Michael Dawson, Catherine Gidney (Hg.). Worth Fighting For: Canada’s Tradition of War Resistance from 1812 to the War on Terror. Toronto 2015; Neta Gordon. Catching the Torch: Contemporary Canadian Literary Responses to World War I. Waterloo 2018. 41 »Fiction and Poetry«. From Colony to Country. A Reader’s Guide to Canadian Military History. Online unter www.collectionscanada.gc.ca/military/index-e.html (eingesehen am 17.04.2020).

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Kanada doch beispielsweise mit Charles Y. Harrison oder Will R. Bird sehr wohl auch eigene Autoren über die Weltkriegserfahrung vorzuweisen.42 »... a small light in a frightful darkness« Wie aber hingen Rezeption und Erinnerung in Kanada zusammen, welche Rolle spielte der Aspekt des Pazifismus? Im Kontext des seit 1921 begangenen Armistice Day, der seit 1931 als Remembrance Day bezeichnet wird,43 finden sich lokal schon früh Bezugnahmen auch auf Remarque: Sein Buch wurde in Rezensionen beispielsweise in Vancouver bereits um den 11. November 1929 als ein »argument for peace« besprochen.44 Und The Leader aus Regina fand im Dezember 1929, es gebe »no more fitting way in which to celebrate Armistice Day than to start production of the moving picture version of this powerful war novel on this day.«45 Insbesondere der Film, dessen Produktion auch laut Vancouver Sun »officially at eleven o’clock on Armistice Day at Universal City« aufgenommen wurde,46 war folglich in seiner Inszenierung von Beginn an auf die in den alliierten Ländern entstehende Erinnerungskultur des Ersten Weltkriegs abgestimmt.47 Auch die Vancouver Sun hob den Film, an dem einstige Kriegsgegner gemeinsam als Statisten mitwirkten, deswegen schon mitten in seiner Produktion als »the greatest war picture for peace ever conceived« hervor.48 Zwar fanden sich ebenso andere Stimmen, im November 1931 führte ein Pfarrer in einer Feierstunde des American Women’s Club in Montreal beispielweise mit Verweis auf All Quiet on the Western Front die mentalen Unterschiede zwischen deutschen und kanadischen Soldaten an.49 Das Leitmotiv des Pazifismus, das dem Buch innewohnte und durch den Film offenbar gesteigert wurde, setzte sich aber auch in der kanadischen Wahrnehmung bzw. Erinnerung 42 Vgl. Thomas Hodd (Hg.). A Soldiers Place. The War Stories of Will R. Bird. Halifax 2019; Rodger J. Moran. »Charles Yale Harrison«. The Canadian Encyclopedia. Online unter www. thecanadianencyclopedia.ca/en/article/charles-yale-harrison (eingesehen am 17.04.2020). Vgl. zudem Tim Cook. »Quill and Canon: Writing the Great War in Canada«. The American Review of Canadian Studies 35 (2005), 3, 503–553. 43 Vgl. Jonathan F. Vance. »Remembering Armageddon«. David MacKenzie (Hg.). Canada and the First World War: Essays in Honour of Robert Craig Brown. Toronto 2005, 409–433, hier: 426; Tim Cook. »Battles of the Imagined Past: Canada’s Great War and Memory«. Canadian Historical Review 95 (2014), 3, 417–426. 44 »Germany’s New War Book«. The Sunday Province, 10.11.1929. 45 »Universal to Film Famous War Novel of Realism by Remarque«. The Leader, 07.12.1929. 46 »Veterans Act in Film«. The Vancouver Sun, 21.12.1929. 47 Vgl. zur Veröffentlichung von Remarques Texten, die teils »international koordiniert« verlief, Schneider, Leben, 402. 48 Ebd. 49 Vgl. »Responsibility to War Dead Shown«. The Gazette, 12.11.1931.

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durch – wenn auch in Zwischenschritten und mit Unterbrechungen. So versammelten sich beispielsweise einerseits drei Jahre später, am 11. November 1934, etwa 2.000 Menschen in der Knox United Church in Calgary zu einer Veranstaltung »against war and fascism«, hier rief der letzte Sprecher »all common people« zum Kampf gegen den Krieg auf: »Another war« bedeute die »destruction of civilisation«, heute sei der »day of internationalism and brotherhood of all mankind«. Und er zitierte the »shellhole selection from Erich Maria Remarque’s ›All Quiet on the Western Front‹, in closing.«50 Andererseits gehörte Remarque fortan und auch nach 1945 keineswegs zum kanadischen Standardrepertoire der Erinnerung; bis zum Ende der 1930er Jahre finden sich zum Beispiel kaum noch Hinweise auf seine Rezeption im Kontext der kanadischen Kriegserinnerung. Allerdings beförderten bzw. aktivierten vor allem Neuerscheinungen in Buch- oder Filmform die Erinnerung an den Autor bzw. sein »vergängliches Symbol«,51 teils wurden auch diese gezielt vermarktet: Die in Montreal erscheinende Gazette rief beispielweise im März 1937 zur Suche nach einem »authentic replica of the Treaty of Versailles and the Armistice Treaty which ended the World War« auf, diese würden in Hollywood als Requisiten für die Verfilmung von Remarques The Road Back benötigt.52 War letzterer Film bereits in den USA ein Erfolg gewesen, so lässt sich gerade im Herbst des Jahres 1937 – und erneut um den 11. November – auch in Kanada eine positive Aufnahme feststellen: »Everyone should see and feel the strangeness and hopelesness« der Kriegsheimkehrer.53 Ähnliches lässt sich auch im Jahr darauf mit der Verfilmung von Three Comrades beobachten.54 Allerdings nahmen die Bezüge auf Remarque mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dann erneut wieder ab. Generell erwartete etwa der Calgary Daily Herald 1942 in Kanada keine »truly great war stories« vor dem Ende des Krieges, alle einschlägigen Autoren und angefangen bei Remarque selbst hätten ihre Bücher schließlich mit deutlichem Abstand zu ihrem Kriegserlebnis verfasst.55 Und tatsächlich setzte die kanadische Rezeption Remarques erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder ein: James Harper Prowse nahm, wie oben erwähnt, zum »Armistice Anniversa-

50 »War Dead Remembered By Thousands At Armistice Day Service. Peace Gathering Stresses Horrors of Future Wars«. The Calgary Daily Herald, 12.11.1934. 51 Schneider, Welt, S. 351. 52 »Treaties Wanted«. The Gazette 20.03.1937. 53 »Lavish in Praise of Remarque Film«. The Saskatoon Star-Phoenix, 09.10.1937. Vgl. etwa für die Verlängerung des Films aufgrund des lokalen Erfolgs »Palace Holds The Road Back. Three more Days«. The Windsor Star, 16.09.1937. 54 Vgl. »Three Comrades«. The Red Deer Advocate, 02.11.1938. 55 Harold Heffernan. »No War Movies Expected To Be Great«. The Calgary Daily Herald, 13.05.1942.

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Der Saskatoon Star-Phoenix berichtete am 9. Oktober 1937 über die Verfilmung von The Road Back.

ry« erstmals im November 1945 wieder direkt Bezug auf All Quiet on the Western Front und The Road Back.56 Tatsächlich setzte in Kanada aber erst in den frühen 1970er Jahren eine intensivere Aueinandersetzung ein, die sich – fraglos beeinflusst vom Krieg in Vietnam, an dem Kanada anders als etwa Australien oder Neuseeland nicht beteiligt war – auch an der Bedeutung des Remembrance Day abarbeitete bzw. eine regelrechte Sinnsuche spiegelte. Und erneut war es Remarque insbesondere mit All Quiet on

56 Vgl. Prowse, Road.

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the Western Front, der als Referenzpunkt herangezogen wurde und der in Kanada nun langfristig den Aspekt des Pazifismus mit diesem Tag verbinden sollte. Das Ottawa Journal brachte beispielsweise am 11. November 1972 den anonymen Meinungsartikel »Remembrance Day: Who Cares?«, der insbesondere den Generationswechsel als Argument anführte: Die nachgewachsene Generation interessiere sich schlicht nicht mehr für den Zweiten Weltkrieg und auch nicht für den Krieg in Korea – »many of them are turned off by talks about old battles, of the hope, fear, tragedy and heroism of those days. They say let the dead bury the dead.« Dies sei mit der Jugend der Zwischenkriegsjahre ganz anders gewesen, die sich offen gegen den Krieg ausgesprochen hatte: »the first war’s horror would never happen again because they wouldn’t fight; and quoted books such as Remarque’s All Quiet on the Western Front on behalf of pacifism.« Doch letztlich meldete sich ein großer Teil eben dieser Jugend freiwillig zum Dienst im Zweiten Weltkrieg: »They had to come to believe that pacifism was no answer to Hitler’s brutal and conquering legions.« Dies aber war »the West’s last great crusade for world peace«, seit 1945 sei die Welt im Kalten Krieg komplexer geworden. Und es sei ohnhin nicht nur die heutige Jugend, die die »ideals and aspirations« der frühen 1940er Jahre igrnoriere – »Perhaps they just lump all the killings since 1939 together and are sick of it.« Und genau dieses Töten weltweit müsse gestoppt werden, um den Remembrance Day wieder mit Sinn zu füllen, auch für eine nachwachsende kanadische Generation: »This will never be a perfect world, but it can be a much better. It was that hope that took to their death the millions we are supposed to remember today.«57 Wurde das hier anklingende Argument der Zeugenschaft in Publikationen über den Krieg auch in den folgenden Jahren im November immer wieder vorgebracht – Remarque sei mit All Quiet on the Western Front schlicht so erfolgreich gewesen »because the author had been there«,58 – so rückte der Aspekt des Pazifismus immer mehr ins Zentrum der Debatte, ebenso die Verortung Remarques in dieser Erinnerungslandschaft. Und die Wahrnehmung der entsprechenden Medien, denn die Neuverfilmung von All Quiet on the Western Front von 1979 war ein in Kanada am 14. November ausgestrahlter Fernsehfilm und verlagerte die Auseinandersetzung in die Wohnzimmer. Der Film selbst wurde positiv aufgenommen, dem Ottawa Journal galt er gar als »movie to end all war movies«.59 Hauptdarsteller Richard Thomas sah den Film dabei übrigens nicht als »remake« eines Klassikers, »one redefines it for another generation. [...] Our view of war has been remodeled by the Second World War, Korea and Vietnam.«60 Und ebenso kritisierte er, dass der auch in Kanada ausstrahlende Sender CBS zwar die

57 Alle Zitate in »Remembrance Day: Who Cares?«. The Ottawa Journal, 11.11.1972. 58 Lorne Parton. »The Written Word«. The Province, 18.11.1977. 59 Joan Hanauer. »All quiet a war movie to end all war movies«. The Ottawa Journal, 14.11.1979. 60 »Richard Thomas not worried about his type-cast TV image«. The Gazette, 29.08.1979.

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Berichterstattung über die Neuverfilmung von All Quiet on the Western Front im Ottawa Journal vom 14. November 1979.

Jugend an diesen Teil der nordamerikanischen Geschichte heranführen wollte. Dass dafür allerdings das Filmskript an »thousands of elementary and secondary school students« verteilt werde, und nicht Remarques Buch, stieß bei ihm auf Unverständnis, habe man bei der filmischen Umsetzung doch zwangsläufig Aspekte des Buchs weglassen müssen. Zudem folgte die Ausstrahlung bei CBS der Logik des privaten Fernsehens, fünf Werbepausen einbegriffen: »The Armageddon being staged over television morality pains me. It’s a moral legislation of an art form that is scary.«61 Diese Sinnsuche und auch die Suche nach den nicht zuletzt für die Sehgewohnheiten der nachgewachsenen Generation geeigneten Medien war in Kanada auch in den 1980er Jahren keineswegs abgeschlossen. Zugleich erhielt sie hier wohl noch von der Einsicht einen Impuls, dass die Zeitzeugengeneration zu sterben begann, deren Erleben Remarque in »his bitter reminiscence All’s Quiet on the Western Front« beschrieben habe.62 Der Journalist der Vancouver Sun, Denny Boyd, erinnerte sich im November 1981 beispielsweise, er habe immer seine »Poppy« gekauft – das Symbol der Erinnerung war im englischsprachigen Raum seit 1920 eine Mohnblume. Aber immer habe er dabei eine Ambivalenz wahrgenommen: I never knew what the ceremony was for – for the glory of the war or the sadness of dying for ambiguous causes. The movies I saw as a youngster further distorted my 61 »All’s Quiet on the Western Front. Classic says CBS – Not so, says Thomas«. The Saskatoon Star-Phoenix, 26.10.1979. 62 »Old Contemptibles keep on marching«. The Saskatoon Star-Phoenix, 16.11.1983, Fehler im Original.

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perspectives. Too much John Wayne guts, glory and gung ho, too little Erich Maria Remarque and All Quiet on the Western Front.63

Diese hier nur angedeuteten Verwerfungen zwischen Erinnerung und tagespolitischer Ableitung, die von den kanadischen Zeitgenossen offenbar auch Anfang der 1980er Jahre noch immer als nicht klar wahrgenommen wurden, scheinen sich erst nach dem Ende des Kalten Krieges schrittweise aufgelöst zu haben: zugunsten eines viel deutlicher artikulierten Pazifismus und mit einem hohen Gegenwartsbezug. Und mit Remarque. Drei Beispiele sollen dies abschließend verdeutlichen: 2002 etwa erinnerte sich die kandische Schriftstellerin Annabel Lyon in dem Artikel »Books that don’t let go« der Vancouver Sun an ihre Zeit als Studierende im Frühjahr 1991: »We had to choose a book from a sort of Greatest Hits list of historical documents«, sie habe All Quiet on the Western Front gewählt. Damals sei sie ein »sheltered, bookish university girl« gewesen, »with a job at the doughnut shop«. Doch das Buch hatte einen »irreversible effect on me, giving my personal political kaleidoscope a sharp twist to the pacifist left. Suddely there were no enemies, only people suffering.« Und diese Reflektion verband Lyon Anfang 2002 und nur kurz nach dem 11. September mit Entwicklungen, in die nun auch kanadische Soldaten involviert waren: Remember that Remarque’s soldier, a German, was the »enemy«, then think of Taliban soldiers holding their intestines in and living on with their skulls blown open. Death is not clearer now than it was 85 years ago. [...] Ultimatly, All Quiet is corrupting. It will get into your head, shake you up, bring you down and shred any notions you may have had about the clearness and purposefulness of war.64

Auch wenn die Schriftstellerin noch andere wesentliche Einflüsse nannte – etwa der im Kontext der nordamerikanischen Remarque-Rezeption immer wieder angeführte Film Apocalyse Now oder den Roman Blood Meridian or the Evening Redness in the West (1985) von Cormac MacCarthy – und es nach dem nochmaligen Lesen sicher nicht »the best book ever written« sei, so ging von ihm ein wichtiger Impuls aus: Sein Zwiespalt zwischen »civilization« und »a black landscape without words« habe sie 1991 beeinflusst, selbst mit dem Schreiben zu beginnen; All Quiet on the Western Front »shines a small light in a frightful darkness, and that is everything you can ask a book to do.«65 Und nicht nur im Zusammenang mit dem Remembrance Day, sondern gesteigert im Kontext der ›runden‹ Weltkriegsjubiläen findet sich diese Lesart von

63 Denny Boyd. »Thinking about the war in my own way«. The Vancouver Sun, 10.11.1981. 64 Alle Zitate in »Books that don’t let go«. Vancouver Sun, 12.01.2002. 65 Alle Zitate ebd.

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Remarque in Kanada in den 2000er Jahren vermehrt: Die Journalistin und heutige Politikerin Bronwyn Eyre verwies beispielsweise 2008 im Saskatoon Star-Phoenix mit All Quiet on the Western Front auf die »protracted hells these ordinary soldiers have experienced – and continue to experience in Iraq and Afghanistan«. Es sei zentral, an die »countless ›ordinary men‹« zu erinnern, »who have responded to the call to enlist – and who have died in the millions. Again, it’s these poor devils, to use Remarque’s phrase, whom we must never forget.«66 Bezugnahmen wie diese finden sich in Kanada immer wieder im Zusammenhang mit dem Weltkriegsgedenken: Als 2014 der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs anstand, forderte das Editorial des Times Colonist beispielsweise eine »Entpolitisierung« der Erinnerung, die nicht den »patriotic support« liefern sollte für »a hawkish government’s foreign policy.« Nicht Politiker, sondern Historiker oder eben Zeitzeugen wie Remarque sollten deswegen zu Wort kommen – und dafür sorgen, dass die Erinnerung nicht den Krieg glorifiziere, sondern ihn verdamme: »›Least we forget‹ is not an endorsment of war, but a plea for peace.«67 Ausblick Offen bleiben muss an dieser Stelle, wovon die hier im Überblick dargestellte Rezeption Remarques in Kanada mehr geprägt war: Handelte es sich um ein Abbild eines ›amerikanischen‹ Diskurses, der das Werk des Schrifstellers eher ›unpolitisch‹ bewertete? Die Presseberichterstattung vor allem in den 1930er Jahren legt dies nahe, die zuletzt zitierten Beiträge scheinen dies eher nicht zu bestätigen und deuten viel mehr auf eine »aktive Rolle« im »Kampf um die Deutungshoheit um den Ersten Weltkrieg«.68 Offen bleiben muss auch, ob sich gerade im Vergleich zu den USA und/ oder aufgrund der spezifisch kanadischen Geschichte graduelle Unterschiede feststellen lassen – im französischsprachigen Quebec also eine stärkere Ausrichtung auf die Debatten in Frankreich, im restlichen Teil des Landes und aufgrund der Kolonialgeschichte auf jene in Großbritannien?69 Oder bildet die Rezeption Remarques in politischer wie sozialer Hinsicht eine ›kanadische‹ Entwicklung ab? Darauf deuten etwa die zitierten jüngeren pazifistischen Interpretationen, ebenso die Auseinander66 Bronwyn Eyre. »Remember the horror and sacrifice«. Saskatoon Star-Phoenix, 05.11.2008. 67 »Don’t politicize war memorial«. Times Colonist, 10.01.2014. 68 Späth, 15. 69 Vgl. hierzu Bryan D. Tennyson. Canada’s Great War, 1914–1918: How Canada Helped Save the British Empire and Became a North American Nation. London 2015; Mark David Sheftall. Altered Memories of the Great War: Divergent Narratives of Britain, Australia, New Zealand, and Canada. London 2009; Phillip Buckner (Hg.). Canada and the British Empire. Oxford 2008; Peter Edwards. »Mort pour la France. Conflict and Commemoration in France after the First World War«. University of Sussex Journal of Contemporary History 1 (2000), 1–11;

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setzung mit dem Generationswechsel vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung. Die Forschung legt derzeit nahe, dass die Wahrnehmung von All Quiet on the Western Front in Frankreich und Großbritannien keine größeren Unterschiede zu der in den Vereinigten Staaten aufwies: Der American Book of the Month Club empfahl das Buch 1929 genauso wie die britische Book Society; die Auflagezahlen in Frankreich sprachen dieselbe Sprache.70 Dennoch spricht vieles dafür, eine eigene kanandisch-nordamerikanische Rezeption nicht nur von All Quiet on the Western Front zu vermuten bzw. deren dezidierter Ausprägung weiter nachzugehen: Der Rezeption als »das Kriegsbuch des 20. Jahrhunderts weltweit« in einer hier transnationalen wie auch regional-britischen bzw. -französischen Perspektive, seinen Impulsen für die Entstehung dezidiert kanadischer schriftstellerischer Auseinandersetzungen – bis hin zu »Gegenentwürfen« – mit dem Krieg,71 seiner Bewertung vor dem Hintergrund weiterer Veröffentlichungen von Remarque und auch Verfilmungen bzw. sonstigen Verarbeitungen seiner Werke, bis hin zur Rezeption etwa in der schulischen Gedenkkultur oder der universitären Ausbildung.72 Greift man also die Frage auf, die diesen Beitrag überschreibt, so lässt sich abschließend in der doppelten Bedeutung des englischen und deutschen Titels von Remarques Buch darauf antworten: In Kanada war die Remarque-Rezeption weder quiet, noch gibt es hier nichts Neues zu erforschen. Daniel J. Sherman. The Construction of Memory in Interwar France. Chicago 1999; Frank Field. British and French Writers of the First World War: Comparative Studies in Cultural History. Cambridge 1991. 70 Vgl. Modris Ecksteins. »Memory«. Harold Bloom (Hg.). Erich Maria Remarque’s »All Quiet on the Western Front«. New Edition. New York 2009, 57–80, hier 58. Vgl. hierzu auch Uwe Zagratzki.  »Remarque und seine  britischen  Kritiker. Rezensionen und Korrespondenzen zwischen 1928 und 1938«. Erich Maria Remarque Jahrbuch 10 (2000), 9–30; Denis Bousch. »Zur Übersetzungsgeschichte der Romane Remarques in Frankreich im Kontext der deutsch-französischen Beziehungen«. Thomas F. Schneider, Roman R. Tschaikowski (Hg.). In 60 Sprachen. Erich Maria Remarque: Übersetzungsgeschichte und -probleme. Bramsche 2002, 76–84. 71 Schneider, Welt, 352, Hervorhebung im Original. 72 Die Alberni District Senior Secondary High School hielt beispielsweise am 10. November 1982 eine Feierstunde zum Remembrance Day ab, »to commermorate those who served in both World Wars and Korea«. Den Abschluss bildete das anonyme Gedicht »A Soldier – His Prayer« und ein gelesener »extract from the famous war novel All Quiet on the Western Front by E. Remarque«, gefolgt von dem Gedicht »In Flandern Fields by Canadian J. McRea«. »Assembly Commemorates Remembrance Day«. Alberni Valley Time, 18.11.1982, Fehler im Original. Vgl. zum Gedicht des kanadischen Sanitätsoffiziers John McCrea, der im Januar 1918 in Frankreich starb, vor allem ders. In Flanders Fields and other Poems. New York 1919. Vgl. zudem zu den angesprochenen pädagogischen Aspekten Caroline Martin. »The Conflict of Education. Soldiers, Civilians, a Child and a Teacher«. Brian Murdock, Mark Ward, Maggie Sargeant (Hg.). Remarque against War. Essays from the Centenary of Erich Maria Remarque 1898–1970, Glasgow 1998, 39–61.

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Auf den Spuren Erich Maria Remarques in Spanien Der Anfang einer Rezeption1

Y en aquella batalla del Ebro, donde tantos ­murieron con la sonrisa en los labios, floreció la ­contestación a Remarque. (Benítez de Castro 2017: 99)2

Gibt man »Remarque« in den virtuellen Katalog der spanischen Nationalbibliothek (Biblioteca Nacional de España) ein, erscheinen 137 Einträge: Die Sammlung enthält verschiedene Ausgaben der Werke von Erich Maria Remarque samt Verfilmungen und einer Reihe von Studien über den Autor, vor allem in spanischer Sprache.3 Es ist aber Eintrag 78, der die Aufmerksamkeit der Verfasserin lenkt: Es handelt sich um einen im Jahr 2017 veröffentlichten Roman von Cecilio Benítez de Castro (1917–1975) mit dem Titel Se ha ocupado el kilómetro 6... und dem Untertitel (Contestación a Remarque), d.i., »Kilometer 6 ist besetzt... (In Antwort auf Remarque)«. Was bedeutet dieser Untertitel? Warum fühlte sich der Autor genötigt, auf Remarque zu antworten? Die Erstausgabe von Benítez de Castros Roman, der als erster Kriegsroman etikettiert wird, erschien 1939, in einem Jahr, in dem

1 Dieser Beitrag enstand im Rahmen des Forschungsprojekts: HAR2017-83519-P: »Representaciones Contemporáneas del Perpetrador de Violencias de Masas: Conceptos, Relatos e Imágenes« (Ministerio de Economía, Industria y Competitividad). Ich danke meinen Kollegen Prof. Javier Lluch-Prats und Prof. Rafael Roca Ricart der Universitat de València für die zahlreichen Informationen und für die Gespräche, die mir bei dem Verfassen dieses Beitrags sehr behilflich waren. 2 »Und in jener Schlacht am Ebro, wo so viele mit einem Lächeln auf den Lippen starben, blühte die Antwort auf Remarque« (Die Verfasserin dieses Beitrags ist verantwortlich für die Übersetzungen). 3 S. auch den virtuellen Katalog des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums, in dem die Rezeption von den verschiedenen Ausgaben der Werke in Spanien und Lateinamerika eingetragen ist.

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der Spanische Bürgerkrieg mit dem Sieg von Francos Truppen endete. Die Tatsache, dass Castro, der auf nationalistischer Seite stand, auf Remarque zurückgreift, lässt feststellen, dass die Rezeption des deutschen Autors in Spanien eine Besondere und der Schriftsteller sehr präsent war. Aus diesem Grund führt die Suche nach Remarques Spuren zu dem Anfang, nämlich zu seinem Roman Im Westen nichts Neues: Wo wurden Verfasser und Roman zum ersten Mal in Spanien erwähnt? Wie verlief der Prozess der Rezeption? Um den Untertitel von Benítez de Castros Roman und dessen Bedeutung besser verstehen zu können, wird als Ausgangspunkt die Beziehung zu Remarques Text erläutert. In einem zweiten Schritt wird der Versuch unternommen, die Rekonstruktion vom Anfang der Rezeption in Spanien herzustellen. Ein Anfang, der seine Wurzeln in der Presse hat, in Kombination mit den Bemühungen eines Verlages um die Verbreitung pazifistischer und antimilitaristischer Ideen. Cecilio Benítez de Castros Antwort auf Remarque Cecilio Benítez de Castro war Journalist, Rechtsanwalt und ein vor allem in den 1940er Jahren sehr produktiver und erfolgreicher Schriftsteller. Javier Lluch-Prats (2017: 9–90) bewahrt ihn vor dem Vergessen in seiner sehr detallierten kritischen Ausgabe des Romans Se ha ocupado el kilómetro 6... (Contestación a Remarque). Es gab vier Ausgaben des Romans: 1939 im Verlag Editorial Maucci; 1940 im Verlag Editorial Juventud; eine Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 1941 im Verlag Ediciones Molino; letztlich 1968 im Verlag Editorial Marte. Der Grundlagentext der vorliegenden Studie basiert auf der zweiten Ausgabe aus dem Jahr 1940, die vom Autor überprüft wurde, und enthält das Vorwort: »Después de leer Sin novedad en el frente [Nach dem Lesen von Im Westen nichts Neues]«, einen Text, der den Schlüssel für Remarques Roman in diesem Kontext beinhaltet. Remarques Im Westen nichts Neues ist grundlegend für das Verständnis von Castros Roman, wie Lluch-Prats erklärt (2017: 43). Im Folgenden werden Benítez de Castros Roman und seine Entstehung verortet, danach richtet sich das Augenmerk auf die Antwort auf Remarque, indem die bedeutendsten Aspekte beleuchtet werden. Se ha ocupado el kilómetro 6... (Contestación a Remarque) wird von seinem Verfasser als »Dokument« definiert, ein Zeitdokument, das Zeugnis von der entscheidenden Schlacht am Ebro ablegt, die schließlich zum Sieg der Nationalisten führte. Es handelt sich um einen vorbildhaften Roman der ersten Jahre des Frankismus (Lluch-Prats 2017: 73), der zur Entwicklung des zeitgenössischen Kriegsromans beitrug (Lluch-Prats 2017: 34). Castro nimmt den Spanischen Bürgerkrieg als literarischen Gemeinplatz der 1940er Jahre auf (Lluch-Prats 2017: 37–42): die Nähe der tragischen Ereignisse, die literarische Unreife, die radikale Parteinahme sind typische Merkmale dieser Tendenz. Der Legitimierungsprozess von Francos Regime war im Gang, und der Roman integriert einen Diskurs mit 56

Remarques Rezeption in Spanien

kontinuierlichen Hinweisen auf die von der Propaganda verbreiteten Ideen und Ideale wie Patriotismus, Heldentum, Aufopferung, tapfere – disziplinierte – fröhliche Soldaten, die Verherrlichung des Krieges oder der Tod fürs Vaterland. Es ist ein kollektives Porträt der auf Francos Seite kämpfenden Jugend, in dem alltägliche Aspekte integriert werden, und die Benítez de Castro aus erster Hand kannte, da er am Bürgerkrieg und an der Schlacht am Ebro teilnahm. Der Roman soll das Tagebuch von Julio Aguilar, einem Jura-Studenten an der Universität Valladolid, darstellen, der in den Krieg zieht und dessen Memoiren von seinem Kameraden Lolita für die zukünftige Leserschaft gerettet werden. In seinem Vorwort (Benítez de Castro 2017: 97–103) zur 1940 erschienenen zweiten Ausgabe, »Nach dem Lesen von Im Westen nichts Neues«, wird die Oszillation zwischen Faszination und Abwehr gegenüber Remarques Roman deutlich. Benítez de Castro hat den Roman gelesen und lange darüber nachgedacht. Er erkennt das große erweckte Interesse des Textes an, seine Unterhaltsamkeit. Aber was ihn in jeder Hinsicht stört, ist der Egoismus des Individuums, das sich nicht als Teil eines für das Vaterland aufopfernden Kollektivs versteht, das die höchste Bedeutung des Krieges nicht einsieht, und nur dessen Sinnlosigkeit hervorhebt. Benítez de Castro gibt zu, dass der Krieg abscheulich, tragisch, gewalttätig sei, aber der Krieg sei nötig wie eine Entbindung oder eine chirurgische Operation. Und Remarque sei ohne Antwort in Europa geblieben, da sich niemand um die Fahnen, um die Geschichte oder die Traditionen gekümmert hätte. Und dann brach der Krieg in Spanien aus, und sie, die Remarque gelesen hatten, vermuteten, dass er gelogen hatte oder dass dieser Krieg nicht wie der andere war. Sie kämpften für das Vaterland und dessen Ideale, die in Gefahr geraten waren, denn die verletzte Würde der Nationen rechtfertigt die Anwendung von Waffen. In Spanien gingen die Soldaten mit Freude an die Front, es wurde gesungen, es wurde ein bisschen früher gestorben. Und »unser Krieg« sei genug, um auf Remarque zu antworten. Der totale Frieden sei unmöglich, und de Castro fragt sich, was zwei Männer machen, wenn sie alleine sind; die Antwort lautet: sich streiten. Diese selbst auferlegte Verpflichtung, auf Remarque zu antworten, verliert jedes mögliche Gleichgewicht, da es sich als einen mit patriotischen und propagandistischen Argumenten gefüllten Monolog entlarvt. Nichtdestotrotz leuchtet die Faszination für Remarques Text nicht nur zwischen den Zeilen. Es gibt sehr viele Elemente, die Benítez de Castro von Im Westen nichts Neues aufnimmt.4 Schon das Deckblatt der ersten Ausgabe ist eine Nachahmung der 1929 erschienenen ersten Ausgabe der spanischen Übersetzung von Im Westen nichts Neues (Lluch-Prats 2017: 50-51). Auf letzterer ist ein Totenschädel in einem Helm und darauf eine enorme Ratte zu sehen, und in Benítez de Castros Roman ein Totenschädel mit einem Lorbeerkranz. Es mag eventuell nicht die Entscheidung des Autors gewesen

4 S. auch diesbezüglich den Beitrag von Calvo (2015).

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sein, aber die Parallelen zu Remarques Roman setzen sich fort. Lluch-Prats (2017: 63–64) folgend enthält Benítez de Castros Roman die Elemente, die dazu beitrugen, den Kriegsroman über den Ersten Weltkrieg zu fixieren: Kameradschaft, Lazarette, Angriffe und Gegenangriffe, Genehmigungen und Heimatbesuche, Mahlzeiten, Presse und Briefwechsel, Dialoge und Austausch von Lebensmitteln mit dem Feind, Frauen. Was der Autor nicht erwähnt und bei Remarque anwesend ist, sind die Gasmasken, die unbegrabenen Leichen, in den Wahnsinn getriebene Soldaten, Ratten, Gasgranaten oder kopf- und beinlose Soldaten. Benítez de Castro tilgt die schrecklichste Seite des Krieges und erwähnt sie auch nicht in seinem Vorwort. Dennoch sind weitere von Remarque übernommene Elemente zu finden, wie zum Beispiel ein auf der Neuen Sachlichkeit beruhender Stil, mit einfachen stakkato-artigen Sätzen. Auch die Widmung hat Benítez de Castro nachgeahmt und zu seinen Gunsten verdreht, denn hier werden nur die Gefallenen beachtet, die Toten des Ersten Weltkrieges werden bedacht und vor allem jene, die im historischen Trommelwirbel auf spanischem Boden einen sinnvollen Tod erlitten. In diesem Sinn ist der Epilog von de Castros Text besonders interessant, da dieser eher an Ernst Jüngers In Stahlgewittern erinnert,5 aber eigentlich mit Remarque spricht, auch um ihn und seinen Roman zu widerlegen. Im Epilog wird die Schlacht am Ebro beschrieben, die mit der Besetzung von Kilometer 6 im November 1938 endet. Der Held Julio Aguilar erreicht den Kilometer nicht, aber er stirbt mit der in seiner Hand festgeklammerten Fahne, und postum wird er ausgezeichnet und befördert. In seinen Memoiren hatte er eine Frage eingekritzelt: »Im Westen nichts Neues?«, und die Antwort lautet: »Nein«, denn Aguilars Tod hat einen höheren Sinn im Kontext des Krieges. Benítez de Castro erfindet einen Kriegsbericht,6 der aus dem Hauptquartier Francos kommt, in dem bestätigt wird, dass Kilometer 6 besetzt worden ist. Aus Benítez de Castros Roman geht das für Remarque erweckte Interesse in Spanien hervor, sowie die Umkehrung seiner Rezeption.7 Dank der Regierung von Eduardo Dato positionierte sich das Land neutral und erlitt den Ersten Weltkrieg nicht an der Front.8 Dennoch zersplitterten sich in dieser Zeit die Meinun-

5 In Stahlgewittern erschien 1930 in spanischer Übersetzung, es ist aber nicht bekannt, ob Benítez de Castro Jüngers Text gelesen hat oder nicht (Lluch-Prats 2017: 70). 6 S. Lluch-Prats 2017: 52. 7 Im Jahr 1943 wurde der Roman La fiel infantería von García Serrano, geschrieben zwischen 1939 und 1941, veröffentlicht. Darin wird der Alltag der Soldaten beschrieben, u.a. wie sie, nachdem sie die Seiten von Im Westen nichts Neues gelesen hatten, diese für »niedrige Zwecke« verwendeten. Im selben Jahr 1943 erschien ein Artikel von Jesús Revuelta mit dem Titel »De cómo Erich Maria Remarque no estuvo en la División Azul«. S. Lluch-Prats 2017: 71. 8 S. Lluch-Prats (2015) über spanische literarische und journalistische Beiträge zum Ersten Weltkrieg. Über Fernández Flórez’ Roman s. S. 50–52.

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gen und teilten sich in alliertenfreundlich (aliadófilos) und deutschfreundlich (germanófilos). Dies wird meisterhaft satirisch in Wenceslao Fernández Flórez’ Roman Los que no fuimos a la guerra9 [Wir, die nicht in den Krieg zogen], der 1930 veröffentlicht wurde, dargestellt. Letzterer Roman war zusammen mit Im Westen nichts Neues – samt anderen Titeln – der Bestseller auf der ersten Buchmesse, die 1933 in Madrid stattfand.10 Diese Tatsache führt zu den Anfängen der Rezeption von Remarques Roman in Spanien, denn ein so großer Erfolg im Jahr 1933 lässt einen Prozess der Bekanntheit vermuten, der folgend aufgespürt wird. Die Rekonstruktion vom Anfang der Rezeption in Spanien Dass die spanische Presse eine wesentliche Rolle in der Bekanntheit und Verbreitung von Remarques Im Westen nichts Neues gespielt hat, kann man leicht beim Ansehen der 4.541 Ergebnisse im Katalog der spanischen Virtuellen Bibliothek der Historischen Presse (Biblioteca Virtual de Prensa Histórica) erkennen. Die Notwendigkeit der Einschränkung der Spurensuche ist ersichtlich. Aus diesem Grund wird in den folgenden Seiten Antwort auf zwei Fragen gegeben: Wo ist der Anfang der Rezeption zu verorten? Und wie verlief der Prozess der Rezeption von Im Westen nichts Neues in der spanischen Presse? Um die zweite Frage zu begrenzen, wird das Augenmerk auf die Lokalzeitung Las Provincias gerichtet, da sie die erste war, die Im Westen nichts Neues / Sin novedad en el frente als Fortsetzungsroman veröffentlichte und weil auf ihren Seiten ununterbrochen in der Zeit zwischen 1929 und 1931 über verschiedene Angelegenheiten rund um den Roman und dessen Autor berichtet wurde. Die Spurensuche führt jedoch weiter bis ins Jahr 1934, als der Valencianer Enrique Rambal den Text auf die Bühne brachte. Die Veröffentlichung des Fortsetzungsromans hätte selbstverständlich nicht stattfinden können, wenn vorher ein Verlag wie Editorial España nicht auf Remarques Roman gesetzt hätte.

9 Der Erzähler, Javier Velarde, hat die Absicht, über den Ersten Weltkrieg und seine Konsequenzen in einem Land, das nicht am Krieg teilnahm, zu schreiben. Iberina ist der Name des erfundenen Dorfes, das sich als Mikrokosmos für die ganze Nation artikuliert, da sich die Dorfbewohner entweder auf Seiten der Allierten oder der Deutschen positionieren. In diesem Antikriegsroman, der sich über überspitzte patriotische Haltungen lustig macht, wird auch Remarque erwähnt, zusammen mit Arnold Zweig und Barbusse, auf deren Romane als vorbildhafte und gelesene Texte hingewiesen wird und in deren Kontext sich das vorliegende Buch eingebettet betrachtet. S. Fernández Flórez 1930: 37. 10 S. La Libertad (30.04.1933: 9). S. auch Ana Martínez Rus (2019), die sich sich in ihrem Beitrag mit der Entstehung 1933 und der Entwicklung der Feria del Libro de Madrid bis 1936 beschäftigt.

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Abb. 1: La Campana de Gracia, 18.05.1929.

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Der allererste Hinweis auf Remarques Im Westen nichts Neues, noch vor dem Erscheinen der spanischen bzw. der katalanischen Übersetzung, findet sich am 18. Mai 1929 in der satirischen, republikanischen, antiklerikalen Wochenzeitung La Campana de Gracia (s. Abb. 1), die zwischen 1870 und 1934 in Barcelona gedruckt wurde. Auf Seite 2 bespricht Lluis Capdevila den Roman, den er von einem Freund aus Wien zugeschickt bekommen hat. Der Unterzeichner des Artikels spricht eine Leserschaft an, für die Erich Maria Remarque und sein Roman Im Westen nichts Neues noch unbekannt sind. Er hat das Buch gerade gelesen (im Original), und es ist das Beste, das er über den Krieg gelesen hat. Er erwähnt Barbusse und Duhamel, aber Remarques »schwarzes Epos« sollte Pflichtlektüre in allen Schulen der Welt werden. Er legt Wert darauf, dass Remarque kein professioneller Schrifteller ist und alles aus erster Hand erlebt hat. Noch bevor der Titel auf Spanisch erscheint, wird er hier zum ersten Mal ins Katalanische übersetzt: Res de nou a l’Oest.11 Die Erstausgabe von Sin novedad en el frente erschien im Juni 1929 im Verlag mit Sitz in Madrid Editorial España, der am 11. Januar 1929 von Luis Aquiristáin, Julio Álvarez del Vayo und Juan Negrín12 gegründet wurde. Es handelte sich um das zweite vom Verlag gedruckte Buch, zwischen Siete meses condenado a muerte von Manuel Menéndez Valdés (La Libertad 12.05.1929: 9) und Mis peripecias en España von Leo Trotski.13 Die erste Erwähnung dieser Ausgabe findet sich in der Zeitung El Sol (Madrid, 1917–1939) am 16. Juni 1929: Remarques Roman, von Eduardo Foertsch und Benjamín Jarnés aus dem Deutschen übersetzt, hätte den Krieg der großen Romane gewonnen. Es sei die beste Schlacht gegen den Krieg und Deutschlands bester Sieg seit 1914. Am 4. Juli 1929 wird zum ersten Mal auf Seite 1 der valencianischen Zeitung Las Provincias auf den Roman hingewiesen. Es handelt sich um eine sehr positive Rezension, in der sogar General Hamiltons Bewunderung für Remarques Buch zitiert wird. Die Regionalzeitung Las Provincias wurde am 31. Januar 1866 unter einem konservativen und reformorientierten Zeichen gegründet und sie besteht bis heute, mit einer Unterbrechung aufgrund des Bürgerkriegs vom 18. Juli 1936 bis 15. April 1939 (Altabella 1970: 148).14 In der Zeit, die uns beschäftigt, zwischen

11 Das Buch in katalanischer Sprache erschien im Dezember 1929, wie in Las Provincias (17.12.1929) auf Seite 6 zu lesen ist. Der Übersetzer war der Schriftsteller Juan Alavedra. 12 Juan Negrín (1892–1956) studierte Medizin in Deutschland, kam 1916 nach Spanien zurück und übernahm einen Lehrstuhl an der Medizinischen Fakultät in Madrid. Er war der letzte Präsident der spanischen Republik und ging 1939 ins Exil. 13 S. auch Las Provincias 10.08.1930: 2. In diesem Artikel schreibt Nicomedes Sanz y Ruiz de la Pesa, dass der Verlag mit der Veröffentlichung von Im Westen nichts Neues eingeweiht wurde, einem Roman, von dem es bereits 106 Millionen Exemplare gäbe. 14 S. Roca (2007) über die Anfänge von Las Provincias und die Rolle von Teodor Llorente Olivares in deren Entwicklung bis zu seinem Tode im Jahr 1911. Roca hebt die Beziehungen

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Abb. 2: Las Provincias, 02.11.1929.

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1929 und 1934, leitete die Zeitung Teodoro Llorente Falcó15 (1869–1949), der vierte Sohn von Teodoro Llorente Olivares, der die Leitung 1911 nach dem Tod des Vaters übernommen hatte. Las Provincias setzte von Anfang an auf Remarques Im Westen nichts Neues, indem es die erste spanische Zeitung war, die den Text als Fortsetzungsroman veröffentlichte. Dies wurde am 2. November 1929 mit Pauken und Trompeten verkündet (s. Abb. 2). Auf der linken Seite ist ein Bericht gedruckt, in dem auf den Madrider Kritiker »Andrenio« Bezug genommen wird, der über die mögliche Kandidatur von Erich Maria Remarque und seinem Roman zum Friedensnobelpreis oder zum Literaturnobelpreis schrieb. Im Westen nichts Neues sei der bekannteste und meist gelesene und diskutierte Text des Jahres. Dieser Bericht auf Seite 1 ergänzt sich mit einer großen Anzeige in der Mitte. Genau an der Stelle, an der die Seite umgeblättert wird, stand der Titel des Romans drei Mal in großen Buchstaben. In dieser Werbeaktion wurde die bevorstehende Veröffentlichung von Sin novedad en el frente für »nächsten Mittwoch, den 6. November« angekündigt. Las Provincias hätte die Exklusivrechte für die ganze Region und für die angrenzenden Provinzen eines mit »lautstarkem« Erfolg gekennzeichneten Romans erworben. Sie würden es rechtzeitig ankündigen, damit die Pressekorres­ pondenten mehr Exemplare bestellen könnten. Und so war es auch: vom 6. November bis 21. Dezember 192916 wurde Remarques Roman der Leserschaft als Fortsetzung angeboten. Eine andere Werbeaktion, die noch vor der oben erwähnten vom Verlag Editorial España ausging, und eine weite Verbreitung in den spanischen Zeitungen fand, war die Organisa­ tion eines literarischen Wettbewerbs für Schüler und Studierende: »Un Concurso literario para estudiantes« (Las Provincias 26.10.1929: 3). Der Wettbewerb sollte auf irgendeiner Form auf den Erfolg, der Im Westen nichts Neues in spanischer Sprache ohnegleichen genossen hatte, antworten. Das Thema war: Welche Textstelle von Sin novedad en el frente hat Ihnen am meisten gefallen? Die Teilnehmenden sollten auf die Episode und die Seite(n) des Buches hinweisen und die Antwort mit einem Maximum von 250 Wörtern begründen. Es gab drei Preise: einen für die Primarschule (500 Peseten und 250 zusätzliche Peseten für die gewinnende Schule); einen für die Sekundarstufe (750 Peseten); einen für an der Universität Studierende (1.000 Peseten). Es findet sich keine Nachricht in Las Provincias mit den Ergebnissen des Wettbewerbs. Vielleicht weil es niemand aus der Region gezwischen den Vertretern der literarischen Bewegung »la Renaixença valenciana« mit der Zeitung hervor. Altabella (1970) fokussiert in seiner Studie auf die Entstehungszeit der Zeitung 1866 bis 1969. 15 S. Francisco Pérez Puche (2001) und Corbín Llorente (2001), sowie die drei Bände, die mit dem Titel Memorias de un setentón [Memoiren eines Siebzigjährigen], die relevantesten Artikel von Llorente Falcó beinhalten. 16 In der Biblioteca Virtual de Prensa Histórica hat die Verfasserin alle 40 Teile, die den Fortsetzungsroman ausmachen, einsehen können mit Ausnahme von Teil 16, 17, 22, 33, 36 und 37.

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wonnen hatte? Am 19. Januar 1930 erschien ein Artikel auf Seite 6 in der Zeitung La Libertad, unterzeichnet mit »Madrid, 15 de Enero de 1930«, in dem ausführlich über die Endergebnisse des Wettbewerbs berichtet wird. Man hätte im Verlag sehr viele Antworten bekommen, und die Jury bestand aus renommierten Schrifstellern und Intellektuellen wie Manuel B. Cossío, Azorín, Ramón Pérez de Ayala, Ricardo Baeza y José López Rey. Die Preise gingen nach Valladolid (erster Preis an einen 21jährigen Jura-Studenten), Córdoba (zweiter Preis an einen 15jährigen Gymnasiasten) und Eibar (dritter Preis an einen 11jährigen Schüler). In dem Bericht wird das Verständnis des Werkes und dessen Verinnerlichung von Seiten der Teilnehmenden hervorgehoben, was u.a. die Angemessenheit eines solchen Wettbewerbs aufzeige. Die Szenen von Im Westen nichts Neues, die am meisten gewählt wurden, waren die Trichterszene und der Heimatbesuch von Paul Bäumer. Nicht nur der Roman wurde zum Protagonisten von verschiedenen Werbeaktionen und sehr positiven Kritiken,17 auch die Verfilmung von Lewis Milestone fand eine große Resonanz. In Valencia wurde der Film 1931 in zwei verschiedenen Theatern gezeigt: im »Olympia« und im »Coliseum«. Der erste Hinweis auf die Verfilmung findet sich am 13. Oktober 1929 in Las Provincias auf Seite 9. Dann folgen zwei Berichte über Carl Laemmles Besuch in Berlin, des Präsidenten und Gründers von Universal Pictures (Las Provincias 17.11.1929: 10; 02.02.1930: 9). Noch bevor die große Werbekampagne begann, ist ein von A. Bataller Madramany unterzeichneter Artikel (Las Provincias 19.12.1930: 5) über das Verbot der Verfilmung in Deutschland erwähnenswert. Der Autor gibt den Nationalisten die Schuld, Nationalisten wie die »Hugenberg«, »Goebbels« und »Itlers« [sic], die sich die ausschließliche Zuständigkeit für den Patriotismus zuschreiben, sich als Spezialisten ausgeben und nach einer Diktatur in Deutschland streben sowie auf internationaler Ebene die Störung des instabilen Friedens in Europa beabsichtigen. Das seien diejenigen, die Im Westen nichts Neues verbieten. Die Werbekampagne der Verfilmung in Las Provincias begann am 13. Januar 1931. Oben rechts auf Seite 4 und unten links auf Seite 5 waren zwei Anzeigen zu sehen, aber nicht von der Verfilmung sondern nur von dem Roman, der als »höchste kriegerische Erzählung« gepriesen wurde. Am 15. Januar 1931 gab es eine große Anzeige oben rechts auf Seite 5 über die Verfilmung von Im Westen nichts Neues, die demnächst im »Olympia« gezeigt werde. Die Werbeaktion wurde weiter geführt bis zur Premiere am 21. Januar 1931. Es wurde betont, dass der Erfolg des Romans den Erfolg der Verfilmung garantiere und dass in allen Vor-

17 Ein Zeichen für die weite Verbreitung des Romans ist beispielsweise der Eintrag in Las Provincias vom 20.10.1929 auf Seite 4, wo der unterzeichnende »Sincerator« auf Im Westen nichts Neues Bezug nimmt. Nicht der erfolgreiche Roman von Remarque sei gemeint, sondern das valencianische pulsierende sportliche Thema rund um zwei regionale Fußballmannschaften wie Levante und Castellón.

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führungen dem Film zugejubelt wurde. Am 21. Februar 1931 erschien ein kleiner Bericht auf Seite 8 über die Verleihung der Goldmedaille der Londoner Faculty of Arts. Danach, am 26. Juli 1931 wurde auf Seite 8 eine erneute Filmvorführung von Im Westen nichts Neues für den nächsten Tag, diesmal im »Coliseum«, angekündigt. Auch am 28., 29. und 31. Juli wurden die Vorführungen verkündet, mit einer leichten Variation, nämlich wurde Remarques Vorname als »Carlos Remarque« ›verspanischt‹. Am 2. August fand die letzte Vorführung statt (Las Provincias 01.08.1931: 8; 02.08.1931: 8). Die Rezeption von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues geht in Las Provincias damit aber nicht zu Ende. Es finden sich noch fünf18 weitere Einträge, die sich in die Zeit von 1932 bis 1934 erstrecken. Am 11. Dezember 1932 unterzeichnet Luis Loras einen Artikel auf Seite 1, in dem er sich auf deutsche Seite positioniert und den vermeintlichen und in Mode geratenen Pazifismus, der in Büchern wie Remarques zu finden sei, kritisiert. Auch am 18. August 1933 werden Roman und Verfilmung auf Seite 13 eher negativ beurteilt. Nichtdestotrotz, als Im Westen nichts Neues in Deutschland in der schändlichen »Aktion wider den undeutschen Geist« verbrannt wurde, setzte sich in Spanien dessen Rezeption im Theater19 fort durch einen der bedeutendsten Künstler der Zeit in Valencia: Enrique Rambal.20 Hierzu gehören die Einträge vom 9. November 1934 (S. 14) und 10. November 1934 (S. 4 und 5), die eine äußerst positive Kritik belegen. Der aus Valencia stammende Enrique Rambal (1924–1971) war Dramatiker, Produzent, Schauspieler, Theaterregisseur (als dieser Beruf in Spanien noch keinen Namen hatte). Er brachte den Erfolgsroman Los cuatro jinetes del Apocalipsis / The Four Horsemen of the Apocalypse (1922) von Vicente Blasco Ibáñez am 16.10.1923 auf die Bühne des Theaters Principal in Valencia. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er Elemente dieser Theaterinszenierung für die Aufführung am 9. November 1934 von Im Westen nichts Neues benutzte. Die Anzeige legt nicht nur Zeugnis von dem möglichen Geschmack des damaligen Publikums für grandiose Inszenierungen ab, sondern auch von den Mechanismen und Strategien um, wie in diesem Fall, Publikum zu gewinnen. Folgend eine ungefähre Übersetzung des Inhalts der Anzeige vom 9. November 1934:

18 Der der Chronologie folgend zweite Eintrag (Las Provincias 07.04.1933: 13) berichtet über das widerlegte Gerücht, das über Remarques Unfall verbreitet wurde. Der Autor befände sich in einem einwandfreien Gesundheitszustand in Lugano. 19 Der erste Hinweis auf ein aus dem Roman entstandenes Theaterstück findet sich in Las Provincias am 30.11.1929 auf Seite 1. Hier wird berichtet, dass in Kürze in Madrid Im Westen nichts Neues aufgeführt wird. Es gibt auch eine Warnung für das an der romantischen Tradition hängende Publikum, das sich eher von Remarques Werk entsetzt als ergriffen fühlt. 20 S. Ferrer Gimeno (2013). Ich bedanke mich herzlich bei Dr. Francisca Ferrer Gimeno für die zahlreichen und sehr interessanten Informationen über die Produktionen von Enrique Rambal.

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Im Theater Ruzafa / um 22.15 Uhr / das größte Ereignis des Jahres / sensationelle Uraufführung in Spanien / Im Westen nichts Neues / Das geniale Werk von Remarque / Das allererste synchronisierte Werk, das ins Theater kommt / Emotion. Bildhaftigkeit. Interesse / Das Bombardieren eines Dorfes / Der Horror der Schützengräben / Zerstörung und Feuer in einem Blutspital / Ein Panzer reißt ein Haus nieder / Das Größte, das in einem Theater gemacht wurde.

Zuletzt wird auf die Schwierigkeiten einer solchen Inszenierung hingewiesen, die die Aufführung des Abends [um 18.00 Uhr] verhindern. Die Tatsache, dass Benítez de Castro sich in seinem 1939 erschienenen Roman auf Remarque berief, lässt sich auf die anfängliche Rezeption von Im Westen nichts Neues in Spanien zurückführen. Vor allem in den Jahren 1929 bis 1931 setzte die spanische Presse auf Remarques Roman. Als Beispiel der Anfänge der Rezeption wurde das Augenmerk auf die valencianische Lokalzeitung Las Provincias gerichtet, die als erste Im Westen nichts Neues als Fortsetzungsroman veröffentlichte. Festgestellt wurde, dass nicht nur der Roman sondern auch Lewis Milestones Verfilmung besprochen wurden, und letztlich wurden die Theater auch Zeugen dieser Rezeption. Valencia erwies sich als fruchtbarer Boden für eine Leserschaft, die an dem Ersten Weltkrieg hochinteressiert war. Und dies dank der Bemühungen von hellsichtigen, weitblickenden und listigen Akteuren, wie die Begründer des Verlags Editorial España oder Teodoro Llorente Falcó, dem Leiter von Las Provincias.

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Bibliografische Quellen José Altabella (1970): »Las Provincias«: eje histórico del periodismo valenciano 1866–1969. Madrid: Editora Nacional. Cecilio Benítez de Castro (2017): »Se ha ocupado el kilómetro 6…« (Contestación a Remarque). Madrid: Guillermo Escolar. (Ed. crítica Javier Lluch-Prats). Fernando Calvo González-Regueral (2015): »Novedad en el frente. Tres novelas bélicas sobre la Guerra Civil Española: Se ha ocupado el km. 6, Legión 1936 y La soledad de Alcuneza«. Revista de Historia Militar 117, 57–90. Juan Teodoro Corbín Llorente (2001): »Teodoro Llorente Falcó: Nota biográfica«. Teodoro Llorente Falcó. Memorias de un setentón. Vol. 1. Valencia: Federico Domenech, XVII– XXV. W. Fernández Flórez (1930): Los que no fuimos a la guerra. (Apuntes para la historia de un pueblo español durante la guerra europea). Madrid, Buenos Aires. Renacimiento. Francisca Ferrer Gimeno (2013): Rambal o todo por el teatro. Valencia: Episkenion. Fundación Juan Negrín (03.10.2017): »Negrín, con libros en los bolsillos«. http://www. fundacionjuannegrin.com/weblog/2017/10/03/negrin-con-libros-en-los-bolsillos/ (Eingesehen am 15.01.2020). Teodoro Llorente Falcó (2001): Memorias de un setentón. Vol. I, II, III. Valencia: Federico Domenech. Javier Lluch-Prats (2015): »Los españoles ante la Gran Guerra. La promiscua relación entre periodismo y literatura«. Carme Manuel, Ignacio Ramos (Hg.). Letras de la trinchera. Testimonios literarios de la Primera Guerra Mundial. Valencia: PUV, 43–62. Javier Lluch-Prats (2017): »Se ha ocupado el kilómetro 6… (Contestación a Remarque): la primera novela bélica sobre la Guerra Civil española«. Cecilio Benítez de Castro. »Se ha ocupado el kilómetro 6…« (Contestación a Remarque). Madrid: Guillermo Escolar, 9–90. Ana Martínez Rus (2019): »Las Ferias del Libro de Madrid (1933-1936) como fiestas republicanas«. Cuadernos de Historia Contemporánea 41, 23–43. Francisco Pérez Puche (2001): »Prólogo: La Valencia del setentón«. Teodoro Llorente Falcó. Memorias de un setentón. Vol. I. Valencia: Federico Domenech, VII–XVI. Rafael Roca (2007): Teodor Llorente i la Renaixença valenciana. València: Institució Alfons el Magnànim. Thomas F. Schneider (Hg.) (1998): Erich Maria Remarque. Ein militanter Pazifist. Texte und Interviews 1929–1966. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Zeitungsausgaben (El Sol, La Campana de Gracia, La Libertad, Las Provincias) https://prensahistorica.mcu.es/es/consulta/busqueda.do.

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Mohammed Alwan Jabr. Li-mādhā takrahīn Rīmārk [Warum hasst Du Remarque?]. Landan [Irak]: Dār al-Hikmah, 2018.

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Die arabische Rezeption Remarques

Eines Tages werden die gefallenen Soldaten erzählen von ihren letzten Stunden Eines Tages schütteln sie den Splitterstaub ab von ihren mageren Körpern Sie gehen dieselben Wege von damals in den Krieg Dabei hören sie Gebete der älteren Frauen Sie werden erneut erfahren müssen, dass der Krieg herzlos ist... (Mohammed Alwan)

Die arabische Rezeption von Erich Maria Remarque spiegelt die gesamte Entwicklung der Rezeption der deutschen Literatur im arabischen Kulturraum. Sie skizziert die Veröffentlichungsformen, die Übersetzungssprachen, den späteren Übergang zur deutschen Sprache als Ausgangssprache und das Interesse an den literaturkritischen Aspekten des Gesamtwerkes. Verglichen mit der Rezeption der anderen Teile der europäischen Literatur nahm die Rezeption der deutschen Literatur im arabischen Kulturraum seinen Anfang relativ spät. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die damaligen Kolonialmächte England und Frankreich schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Teile des arabischen Sprachraums unter ihre Kontrolle bzw. ihren Einfluss brachten. Der Beginn der Rezeption der deutschen Literatur liegt im Jahr 1911, als die libanesische Schriftstellerin Mayy Zīyāda (1886–1941) die Erzählung des inzwischen in Vergessenheit geratenen Schriftstellers Friedrich Max Müller Deutsche Liebe. Aus den Blättern eines Fremdlings ins Arabische übersetzte. Diese von Zīyāda vorgenommene Übersetzung, die zu einem bedeutenden Werk der arabischen Literatur wurde, erzielt nach wie vor einen großen Erfolg, 69

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der in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung der Frühromantik in der arabischen Literatur steht. Der Grund für den Erfolg dieser Übersetzung liegt im literarischen Stil der Übersetzerin, einer Vorreiterin der arabischen Romantik, sowie an den romantischen Zügen dieses Werkes, die mit der romantischen Bewegung in der arabischen Literatur jener Zeit in Einklang standen.1 Abboud bezeichnet diese Übersetzung als den »ersten bedeutenden Durchbruch [in] der Rezeption der deutschen Literatur im arabischen Orient«,2 obwohl das Werk in der deutschen Literaturgeschichte kaum einen Wert habe. Während diese Erzählung in Deutschland nicht mehr aufgelegt werde, erfreue sich die Übersetzung neuer Auflagen. Die letzte wurde 2012 in Kairo herausgegeben. Laut Abboud sei die Übersetzung keine treue, sondern eine freie adaptive; eher ein zweites Original mit einem neuen Titel Ibtisāmāt wa Dimu [Lächeln und Tränen]. Dies sei auf Zīyādas mangelhafte Deutschkenntnisse sowie auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Adaption damals eine übliche Art der Übersetzung war. Die Qualität der damaligen Übersetzung lässt deshalb in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Darauf folgten Werke Friedrich Schillers, Kabale und Liebe, und Johann Wolfgang von Goethes, Die Leiden des jungen Werthers. Die Auswahl dieser Werke korrespondierte in erster Linie mit dem Bedarf der rezipierenden arabischen Literatur. Sie gerieten dabei unter Einfluss der romantischen Epoche. Einen wichtigen Meilenstein bildete die Übersetzung von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers, die der ägyptische romantische Romancier und Publizist Āhmad Hasan az-Zayyāt (1885–1968) 1920 aus dem Französischen anfertigte. Az-Zayyāt übersetzte den Roman während der Blütezeit der arabischen Romantik, die 1908 mit dem Erscheinen der ersten Gedichtsammlung des libanesischen Dichters Halīl Mūtrāns (1872–1949) begann und im Jahr 1934 endete.3 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich unter einigen arabischen Dichtern der Wunsch aus, die arabische Literatur aus den Fesseln der dunklen Zeit der osmanischen Herrschaft zu befreien, als sich das Literaturschaffen nur auf Gedichte beschränkte, »die mit Metonymie, Paronomasie, Anspielungen, Metaphern, Allegorie und Oxymoron angefüllt waren«.4 Diese Tendenz zum Rückgriff auf die Tradition ist

1 Vgl. Abdo Abboud. Deutsche Romane im arabischen Orient. Frankfurt/M. 1984, 22. 2 Vgl. Abboud, 22ff. 3 Die meisten arabischen Literaturwissenschaftler bestimmen diesen Zeitraum als die Periode der Romantik in der arabischen Dichtung. Vgl. dazu Fu‘ād al-Farfūrī. Aham Madāhir ar-Romantiīqīya Fī al-‘Adab al-Arabī al-Hadīt Wa-‘aham al-Mu‘trāt al-‘Ağnabīya Fīhā [Die wichtigsten romantischen Anzeichen der arabischen Literatur und die wichtigsten Auslandseinflüsse]. Tunis 1988, 42. 4 Abdul-Azīz ad-Disuqī. Ğamaaat Apollo Wa ‘Ataraha Fī aš-Šir al-Hadīt [Die Gruppe Apollo und ihre Rolle in der modernen Dichtung]. Kairo 1971, 37.

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Die arabische Rezeption Remarques

auch mit der Begegnung zwischen der westlichen und der arabischen Kultur, die während der französischen Expedition 1798 erfolgte, und mit den Ergebnissen dieser Begegnung eng verbunden, die »eine kulturelle Erschütterung in allen Lebensbereichen im arabischen Kulturraum verursachten«.5 Eine Tendenz, die arabische Literaturschaffende und die Leserschaft nach dem Ersten Weltkrieg stark beeinflusste, wurde von Werken geschaffen, die ideale Liebesbeziehungen behandeln und tragisch enden.6 Daher erzielten Alexandre Dumas d. J. La dame aux camélias und Goethes Die Leiden des jungen Werthers damals die größte Verbreitung in der arabischen Welt.7 Paul-Bäumer-Welle im Orient Eine Tragik anderer Art, nämlich die Erlebnisse des Kriegsungeheuers, die die arabische Jugend damals mit Leib und Seele als Soldaten in der Osmanischen Armee im Ersten Weltkrieg erfuhr, bildete die Grundlage der Remarque-Rezeption. Relativ früh lernte die irakische Literaturszene das Werk Remarques kennen. Ähnlich wie bei der ersten Veröffentlichung des Romans in der Vossischen Zeitung erschien auch die erste arabische Übersetzung in einer irakischen Zeitung. 1929 wurde sein Roman Im Westen nichts Neues in Bagdad übersetzt und in Serie in der Bagdader Tageszeitung Nida‘ Fī aš-Šaab [Der Ruf des Volkes] veröffentlicht. Am 8. November 1929 erschien die erste Folge in der Zeitungsnummer 484/54. Die Übersetzung, deren Übersetzer leider nicht genannt wurde, wurde in den darauf folgenden Wochen vollendet. Dabei gilt Remarque als der erste deutschsprachige Schriftsteller, der schon zu seiner Lebenszeit ins Arabische übersetzt wurde. Am 29. Oktober 1931 erschien die erste Folge der arabischen Übersetzung des Romans Der Weg zurück in der Bagdader Tageszeitung al-‘Istiqlāl [Die Unabhängigkeit], Nr. 1601. Auch in diesem Fall blieb der Übersetzer unbekannt. Hierbei darf man nicht davon ausgehen, dass diese Veröffentlichungsform die Chancen auf eine breitere Leser-Rezeption verminderte. Die ins Arabische übersetzte europäische und damit auch deutschsprachige Literatur verdankte ihre Verbreitung in der ersten Phase der Rezeption den Zeitungen und Zeitschriften; literarische Übersetzungen stellen auch heute noch einen Teil der Angebote der arabischen Presse dar.

5 Al-Farfūrī, 27. 6 Vgl. Ahmad Abd Al-Ilah. Naš‘t al- Qisa Wa Tatawrha Fī al-Iraq 1908–1939 [Zur Entstehung und Entwicklung der Erzählung im Irak 1908–1939]. Bagdad 1969, 87. 7 Ebd. 8 Ebd, 102.

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Die Rezeption fremdsprachiger Literatur ist eng mit der Entstehung der Presse in der arabischen Welt verbunden. Die ersten übersetzten Werke wurden in Ägypten, Syrien, dem Irak und dem Libanon schon damals in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Die unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften, besonders in Ägypten, Syrien und dem Libanon, waren für viele Jahrzehnte fast das einzige Medium, das den Erzählgattungen der fremdsprachigen Literatur die Verbreitung innerhalb eines Landes ermöglichte. Der syrische Übersetzungstheoretiker Sālīm al-Iss meint dazu: Die Übersetzung der Erzählgattungen ging in die Tradition der arabischen Renaissance als eine neue literarische Gattung ein, die nicht als Entwicklungsfolge der Tradition der alten arabischen Erzählung betrachtet werden darf, da sie sich von ihr stilistisch und formell unterscheidet. Die übersetzten fremdliterarischen Erzählwerke wurden zuerst durch persönliche Initiativen einiger arabischer Persönlichkeiten verbreitet, die verschiedener Fremdsprachen mächtig waren. Dann wurden sie mit Hilfe der Zeitungen und Zeitschriften verbreitet und von der arabischen Leserschaft ergriffen, die in ihnen eine neue anziehende Gattung fand. Aus diesem Grund erschien in jener Zeit eine neue Art der Erzählzeitschriften, in denen nur übersetzte Erzählungen und in Fortsetzungen übersetzte Romane veröffentlicht wurden.9

Diese Art der Veröffentlichung hat den Nachteil, dass sie Versuche einer bibliographischen Dokumentation der übersetzten Werke erschweren. Dieses Problem ist schon bei der bisher einzigen Bibliographie der ins Arabische übersetzten Werke deutscher Autoren zu erkennen, die von Mustafa Maher und Wolfgang Ule verfasst wurde. Ein großer Teil der deutschsprachigen Werke, die in verschiedenen arabischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, blieben in der arabischen Welt undokumentiert und verstreut. Die erste arabische Übersetzung des Romans Im Westen nichts Neues erschien nur wenige Monate nach der Veröffentlichung der englischen Übersetzung, die Arthur Wesley Wheen (1897–1971) angefertigt hatte und die unter dem Titel All Quiet on the Western Front im Januar 1929 in Boston erschien. Der Titel der arabischen Übersetzung Ağ-Ğabhatu l-ġarbīyatu hādiātun [Die Westfront ist ruhig] deutet darauf hin, dass Wheens Übersetzung die Vorlage für den unbekannten irakischen Übersetzer war. Darüber hinaus galt Deutsch bis in die 1950er Jahre nicht als Übersetzungssprache in der arabischen Welt, im Gegensatz zum Englischen, Französischen und Russischen. Diese irakische Übersetzung löste eine so genannte Remarque-Welle in der arabischen Welt aus. Unmittelbar nach Lewis Milestones Verfilmung des Romans

9 Sālīm al-Iss. al-Tarğama Fī Hidmat al-Taqāfa al- Ğamāhirīya [Die Übersetzung im Dienste der Massenkultur]. Damaskus 1999,150.

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Die arabische Rezeption Remarques

erschien in Kairo eine neue Übertragung ins Arabische unter dem Titel Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Alles ist ruhig an der Westfront].10 Sie erfüllt allerdings nicht die Bedingungen der modernen Übersetzungswissenschaft. Der namentlich nicht erwähnte Übersetzer versah seine 70-seitige verstümmelte Übersetzung mit einem kurzen Vorwort zum Werk und Film. Er spricht ein großes Lob für Remarques Roman aus, »der als größter Aufruf zum Weltfrieden gilt«:11 »Diese Tragödie ist buchstäblich eine tiefgehende Lehre und eine mutige Warnung, die das Grauen des Ersten Weltkrieges zeigt und alle Kriege bloßstellt.«12 Dann jedoch schreibt er wortwörtlich, dass er die Übersetzung »der Silberleinwand«13 entnommen hat. Darüber hinaus hat er den Roman an vielen Stellen sehr gekürzt, an einigen anderen Stellen jedoch auch ergänzt. Der Übersetzer verfolgte mit der Ergänzung des Textes mit neuen Kapiteln, die mit dem Originaltext nichts zu tun haben, eine damals übliche Methode bei der übersetzerischen Rezeption fremdliterarischer Werke. In seinem Vorwort schreibt er dazu: »Ich habe verschiedenen Geschichtsbüchern einige Informationen entnommen, die von großer Bedeutung für diesen Roman sind.«14 Daher beginnt die arabische Übersetzung mit einem Kapitel über den deutschen Kolonialisten Carl Peters (1856–1918) und seine »Gesellschaft für Deutsche Kolonisation«. In einem anderen Kapitel behandelt er die koloniale Konkurrenz zwischen Frankreich und Deutschland in Marrakesch und im Kongo. Die Merkmale der damaligen arabischen Übersetzungstätigkeit beschreibt der syrische Schriftsteller und Übersetzer Mamdūh Adwān, der selbst Werke moderner deutscher Literatur aus dem Englischen ins Arabische übertrug: Die arabische Übersetzungstätigkeit achtete nicht auf die Originaltreue und Genauigkeit. Öfters wurde die allgemeine Struktur der Erzähltexte übernommen, aber detaillierte Beschreibungen und teilweise Handlungen verändert, wie die Übersetzer es wollten. Die Namen der Gestalten, Figuren und Orte und Handlungen wurden entstellt, damit sich die Werke nach Bedarf [der empfangenden arabischen Kultur] anpassen ließen. Nicht nur die Texte wurden deformiert, sogar die Namen der Verfasser wurden nicht erwähnt oder sogar mit Namen anderer Schriftsteller oder der Übersetzer ersetzt. Dieses Phänomen erscheint sowohl bei den adaptierten Werken als auch bei den übersetzten. Dadurch wurden natürlich die strukturellen,

10 Erich Maria Remarque. Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Alles ist ruhig an der Westfront]. Kairo: al-Maktaba al-Mamlūkīya Verlag, [s.d.]. 11 Ebd., 5. 12 Ebd. 13 Ebd., 6. 14 Ebd.

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stilistischen und semantischen Merkmale und Werte der Originale ausgelöscht und dadurch ersetzt, was die Übersetzer für passend hielten.15

1930 erschien in Beirut eine dritte Übersetzung des Romans, die der libanesische Philosophieprofessor Ğibrā‘īl bin Sulaimān Ğabbūr (1900–1991) vorgenommen hatte. Neben dem arabischen führt Ğabbūr den französischen A l’ouest rien de nouveau und den englischen Titel All Quiet on the Western Front auf dem Umschlagblatt an,16 erwähnt aber in seinem Vorwort, dass er den Roman aus dem Englischen übertragen hat. Damit diente Wheens Übersetzung auch hier als Vorlage. Aber diese neue Übersetzung erzielte keine weite Verbreitung, weil Ğabbūr bei seiner Arbeit eine Art Selbstzensur verfolgte. Er schreibt in seinem Vorwort: Dieses Buch enthält mehrere ungewöhnliche Ausdrücke und Beschreibungen, die einem höflichen Leser nicht gefallen würden, daher unternahm ich den Versuch, sie in eine elegante Formulierung zu übertragen, die unserer Anständigkeit und Moral entspricht.17

Daher hat er die Darstellung des Treffens zwischen Lewandowski und seiner Ehefrau Marja komplett weggelassen, so dass Ğabbūr Lewandowski nicht einmal erwähnt. In einer für die damaligen Verhältnisse relativ reifen Rezension übt der libanesische Literat und Verleger Mīšāl Zakūr (1896–1937) scharfe Kritik an Ğabbūrs Übersetzungsmethode und dem willkürlichen Eingriff in den ausgangssprachlichen Text und betont, dass die Übersetzung eines Romans nicht würdig ist, der die ganze Welt erschütterte.18 Weiter schreibt er in der Beiruter Wochenzeitung al-Ma‘rad al-‘Isbū‘ī [Die Wochenschau]: Ğabbūr übertrug dieses weltweit meist gelesene Buch [Im Westen nichts Neues] ins Arabische. Die Übersetzung ist allerdings schwach und spärlich. Er verändert willkürlich die literarischen Bilder und Ausdrücke unter dem Vorwand, dass sie für die

15 Mamdūh A‘dwān. »at-Tarğama [Die Übersetzung]«. at-Tarğama Wa at-Taf ail at-Taqafī [Die Übersetzung und die Interkulturalität]. Kairo 2006 (Kairoer Kolloquium zur Literaturwissenschaft deutscher Literatur 15), 959. 16 Erich Maria Remarque. Lā ğadīdun fi- ğ-ğabhati l-ġarbīyati. Mudakarat ğundī al-mānī ‘ani l-harbi l-kubrā wa- fazā‘i‘ihā [Nichts Neues an der Westfront. Erinnerungen eines deutschen Soldaten an Verheerungen des Weltkrieges]. Übers.: Ğibrā‘īl bin Sulaimān Ğabbūr. Beirut: al-Matba‘ah al-Amīrikānīya, 1930. 17 Ğibrā‘īl bin Sulaimān Ğabbūr, ebd, 4. 18 Vgl. Mīšāl Zakūr. »Lā ğadīdun fi- ğ-ğabhati l-ġarbīyati bi-Tarğmat Ğabbūr [Nichts Neues an der Westfront in Ğabbūrs Übersetzung]«. al-Ma‘rad al-‘Isbū‘ī [Die Wochenschau], 936, 30.01.1931, 20.

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Leserschaft [in der arabischen Welt] ungewöhnlich seien. Dabei steht fest, dass diese mutigen Ausdrücke und Bilder den ästhetischen Wert des Romans Im Westen nichts Neues bergen. Sie ermöglichen einen Überblick in die psychischen Konflikte, die die Protagonisten ergreifen. Für diese entstellte und abgeschnittene Übersetzung mit ihrer unverständlichen und fehlerhaften Sprache darf man dem Übersetzer nicht mal gratulieren.19

Eine vierte Übersetzung des Romans, die keinen Publikumserfolg erzielte und in der arabischen Literaturszene fast unbekannt blieb, erschien ein Jahr später in Kairo im Dār at-Taraqī Verlag. Auch hier wird der Übersetzer nicht namentlich erwähnt.20 Doch die bekannteste Übersetzung des Romans, die später mehrfach aufgelegt wurde, nahm der ägyptische Schriftsteller Mahmūd Mas‘ūd aus der englischen Mittlersprache vor.21 Die erste Auflage erschien 1962 in Kairo. Dieser Übersetzung mangelt es jedoch daran, dass der Übersetzer das Original durch wiederholte textliche Weglassungen und die Anwendung einer bestimmten Übersetzungsmethode an mehreren Textstellen entstellte. Diese damals weit verbreitete Übersetzungsmethode ist die sog. »Arabisierung«. Gekennzeichnet ist sie durch textliche Hinzufügungen und inhaltliche Änderungen. Zu Recht meint Jiří Levý, dass sich die Methode der Übersetzung aus den kulturellen Bedürfnissen der Zeit [ergibt] und durch sie bedingt [ist], und zwar nicht nur im Gesamtverhältnis zum fremden Werk und seiner Interpretation, sondern oft auch in den technischen Einzelheiten.22

Doch Mas‘ūd unterwarf die Originaltexte seiner Individualität und passte sie seiner Vorliebe für das Romantische, Geheimnisvolle und Phantastische an, weshalb er die arabische Übersetzung mit überflüssigen Floskeln und leeren Formulierungen erweiterte. Wegen der gravierenden Unterschiede zwischen den Lebensformen und Wertvorstellungen des Orients und des Okzidents waren die Kulturbarrieren in jener Phase der Entwicklung der arabischen Kultur m. E. größer und die arabische Kultur noch nicht in der Lage, die in ihre Sprache übersetzten Kulturkomponenten zu übernehmen. Daher ließ Mas‘ūd – wie auch vorher schon Ğabbūr in seiner 19 Ebd. 20 Erich Maria Remarque. Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Alles ist ruhig an der Westfront]. Kairo: Dār at-Taraqī Verlag, 1931. 21 Der Begriff Mittlersprache wird hier nicht im Sinne von I. I. Revzin und V. Ju. Rozencvejg verwendet, die damit das Muster eines Typs der maschinellen Übersetzung meinen, sondern im Sinne einer Drittsprache, im Sinne von Werner Koller in seiner Einführung in die Übersetzungswissenschaft. 22 Jiří Levý. Die literarische Übersetzung. Theorie einer Kunstgattung. Frankfurt/ Main 1969, 76.

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Übersetzung – die »unsittliche« Darstellung des Treffens zwischen Lewandowski und seiner Ehefrau Marja komplett aus. In diesem Zusammenhang schreibt Levý: »Die Möglichkeit einer Übersetzung hängt nicht nur von der Reife der Übersetzungsmethode ab, sondern auch von der Reife des Lesers.«23 Eine vollkommene Übersetzung erfordere nicht nur einen idealen Übersetzer, sondern auch einen idealen Leser.24 Nicht zu vergessen, dass Mas‘ūd Remarques Roman in einer Zeit übersetzte, in der das Regime Nassers in Ägypten alle Lebensbereiche, darunter auch das kulturelle Leben, deutlich prägte. Zu den kulturellen Manifestationen dieser Orientierung gehörte die Forderung nach einer im sozialistischen Sinne »engagierten« Literatur, die sich in den Dienst der nationalen Emanzipation und des sozialen Fortschritts stellt und sich als eine »Waffe« im Kampf versteht.25

Auf diese damaligen Verhältnisse könnte das Fehlen vieler Textstellen zurückzuführen sein, die den Krieg thematisieren und seine Verantwortlichen anklagen. Nasser, der die Massen im arabischen Orient auf eine demagogische Weise weitgehend emotionalisieren konnte,26 wollte damals für einen panarabischen Nationalstaat die »Revolution« exportieren. Diese Beeinflussung der empfangenen literarischen Werke von Seiten des politischen Klimas und die speziellen Bedingungen der empfangenden arabischen Kultur sind auch bei der Rezeption anderer deutscher Schriftsteller und Denker von Seiten der germanophilen arabischen Nationalisten Ende des 19. Jahrhunderts erkennbar, wie bei Lessing, Kant oder Hegel.27 Übersetzungen aus der Originalsprache Ein unverkennbares Phänomen, das die Rezeption mehrerer Werke Remarques im arabischen Raum lange begleitete, ist die Übersetzung aus den englischen und französischen Mittlersprachen. Daher stellt das Jahr 1969 einen Wendepunkt bei der Remarque-Rezeption dar; zum ersten Mal wird einer seiner Romane direkt aus dem Deutschen ins Arabische übersetzt.28 Die Übersetzung wurde 1998 neu aufgelegt. Nach dieser Übersetzung kam die Remarque-Rezeption durch zwei an23 Ebd., 75. 24 Vgl. Ebd. 25 Abboud, 76. 26 Vgl. Bassam Tibi. Vom Gottesreich zum Nationalstaat. Frankfurt/M. 1987, 192. 27 Ebd., 105. 28 Erich Maria Remarque. Li- l-Hubi Waqtun wa- li l-Maūti Waqtun [Zeit zu leben und Zeit zu sterben]. Übers.: Samīr al-Tandawī. Kairo: Dār al-Ma‘ārif, 1969.

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dere Romane in Schwung, die die jordanische Schriftstellerin und Germanistin Laila Naim aus dem Deutschen übertragen hat: nämlich Drei Kameraden (1983) und Die Nacht von Lissabon (1983). Diese beiden Übersetzungen werden immer wieder neu aufgelegt, sogar in einem Land mit konservativen Verhältnissen wie Saudi-Arabien. Gegen den Strom des Blutes Obwohl die arabische Remarque-Rezeption ihren Anfang im Irak mit der ersten Übersetzung von Im Westen nichts Neues (1929) und zwei Jahre später von Der Weg zurück hatte, hat sie sich dort nicht weiterentwickelt. Dabei spielten die politischen und sozioökonomischen Verhältnisse der Empfängerkultur eine dominierende Rolle. Zu Beginn der 1980er Jahre stellte der irakisch-iranische Krieg für die irakische Erzählliteratur eine neuartige Erfahrung dar. Die Literatur wurde von Anfang an zum propagandistischen Schlachtfeld, auf das sich alle Autoren stürzten, die mit zahlreichen Werken den Buchmarkt im Irak überschwemmten. Die Literatur, die die Heldentaten und den Heldentod der irakischen Soldaten schilderte, wurde durch das Informationsministerium und alle Medien unterstützt. Es wurden alle vorhandenen Möglichkeiten für Druck, Publikation und Distribution zur Verfügung gestellt. So erschienen Erzählungen, Romane, Gedichte, Epen und Dramen sowie Untersuchungen und Studien, die den Prozess des ›kriegerischen‹ literarischen Schaffens ergänzten. Man kann die Entwicklung der irakischen Kriegserzählung in drei Phasen einteilen, die in erster Linie eng mit dem Verlauf des Krieges selbst und den Entscheidungen des Baath-Regimes verbunden sind. Die Unterwerfung des literarischen Schaffens unter die Kriegspropaganda nahm von Beginn an eine institutionelle Form an, die sich in der Aussage Saddam Husseins widerspiegelt, die in jeder irakischen Schule zu lesen war: »Die Feder und das Gewehr schießen aus derselben Mündung.« Das literarische Schaffen wurde also zu einer »Waffe gegen die Feinde«. Die Feder und das Literaturschaffen entkamen nicht dieser Phase. Im Krieg sollte die Kulturelite normalerweise wie eine Mauer gegen seinen Ausbruch und seine Fortsetzung stehen; im Irak musste die Elite jedoch eine Offenbarung der blinden Macht sein, den Krieg unterstützen und ihn in allen Bereichen mit größten Worten, Symbolen und Kunst zu glorifizieren. Und seit damals gab es keinen Unterschied zwischen der Feder und dem Gewehr.29

29 Abbas Hudr. al-Hakiya min ‘Awraq ağ-Ğārima at-Taqafiya Fi al-Irāq [Die Khakifarbenen – aus den Blättern des kulturellen Verbrechens im Irak]. Köln 2005, 17.

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Die im Verlauf des über achtjährigen irakisch-iranischen Kriegs entstandene Literatur der achtziger Jahre weist einige charakteristische Merkmale der Kriegsgeneration auf. Die Erzählungen verbreiteten teils unmittelbar erlebte und teils nur aus Berichten bekannte Kriegserfahrungen. Anfänglich erschienen die irakischen Kriegserzählungen und -romane »mit gezückter Waffe« und zugleich mit einigen literarischen und geistigen Verirrungen. Sie glorifizierten einen Heldenmut, der jeglicher Alltagserfahrung widersprach, und erklärten, dass man den drohenden Tod mit Freude hinzunehmen habe, obwohl dies der menschlichen Natur widerspräche. In dieser Gesellschaft, die zwangsweise für den Krieg mobilisiert wurde, sahen sich die Schriftsteller und Literaturschaffenden vor die Beteiligung an diesem Krieg gestellt. Ihr Freiheitsraum beschränkte sich auf eine einzige Option: Beschreibung der Heldentaten im Krieg und »die vielseitige Darstellung der propagandistischen Vorwände, unter denen das Ex-Regime die Kriegsführung legitimierte«.30 In diesem Zusammenhang schreibt Hamīd S‘aīd, der als einer der bekanntesten Kriegshetzer auf dem literarischen Gebiet galt: Ich schimpfte die kleinen Kriegsgegner und -kritiker und sagte: »Ich schwöre bei Gott! Wenn der Krieg zu Ende geht, komme ich zu euch, um […] jeden von euch mit meinem Schuh auf eure leeren Köpfe zu schlagen.«31

Abgesehen von den anderen Gründen, die dazu beitrugen, den Krieg zu verherrlichen, gerieten die Schriftsteller also in ein hoffnungsloses Dilemma; als »literarische Lebewesen« sollten sie sich ausdrücken können und eine Stellungnahme zu diesem Krieg abgeben. Und solange die Führung des Landes im Irak keine andere Literatur akzeptierte als diejenige, die sie wollte, sollten sie nichts schreiben, was diese Führung kritisierte. Und solange dieser Krieg »das Schicksal der Nation« war, das die Ideologie der Führung des Landes bestimmte, mussten sie über diesen Krieg nur schreiben, was nicht abgelehnt wurde. Es war eine Literatur der Notwendigkeit wie der Krieg selbst. Daher »sollten sie den Ruf dieses Krieges nicht beschädigen, wie es der Fall in Nazideutschland und Italien zur Zeit von Mussolini war«.32 ‘Ahmed Halaf, ein wichtiger Schriftsteller der sechziger Generation, ergänzte die irakische Kriegserzählung mit zwei zusätzlichen Aspekten: die dynamische Beschreibung der Heldentaten der irakischen Soldaten und das sadistische Ergöt-

30 Salām Abboud. Taqafat al-Unf Fi al-Irāq [Die Gewaltkultur im Irak]. Köln 2002, 38. 31 Zitiert nach ebd., 19. S‘aīd schrieb diese Aussage in seiner Kolumne in der Zeitschrift Hurās al-Wattan [Wächter des Vaterlandes] zu Anlass seiner Wahl als Sekretär des Verbands der Arabischen Schriftsteller in Bagdad 1986. 32 Salām Abboud, 20.

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zen am Tod als unbedingte Notwendigkeit. In seinen vielen Kriegserzählungen, die während des Krieges in der ersten Phase erschienen, findet man immer die Beschreibung der heldenhaften Taten und Abenteuer der Soldaten. In seiner Erzählung Qisat an-Nisr [Geschichte des Adlers] heißt es z.B.: Er stieß mit einem riesigen Körper zusammen und drehte sich auf die andere Seite. Walid empfing ihn und sofort stach er auf ihn ein. Er sah, dass jemand seine Hand in seine Richtung streckte, daher drehte er sich schnell um und gab diesem menschlichen Riesenkörper den Gnadenstoß, der sich infolgedessen zwischen ihm und Walid vor Schmerz krümmte. Schnell verstanden die beiden: Sie erledigten einen Wachposten. Sie hatten keine Zeit mehr; sie zögerten einen Moment, und als der auf der Erde liegende Körper plötzlich eine Bewegung machte, stach der Erste erneut zu. 33

An einer anderen Stelle der Erzählung lachte die Hauptfigur, weil sie verwundet war, und fragte sich heldenhaft: »Ich lachte über meine Schmerzen. Eine Flut. Warum fließt dieses warme Blut und hört nicht auf?«34 Die verletzten und toten Figuren in Halafs Erzählungen verspotten nicht nur ihr fließendes Blut, sondern sie fallen mit einem Lächeln, wenn sie vom Feind erschossen werden: »Ich kam zu Kamāl, er starrte mich an und auf seinem Mund zeigte sich ein Lächeln.«35 Diese Freude am Tod ist auch in einer Erzählung der Sammlung al-Had alFāsil [Die Trennungslinie] zu finden: »Ich schoss keinen von ihnen in den Rücken. Ich erledigte jeden von ihnen Auge in Auge, damit sie glücklich sterben, wenn sie Auge in Auge getötet werden.«36 Angesichts der Akzeptanz des Krieges und der Abwesenheit der Fragen nach seinem Nutzen – wobei der Nutzen und die »historische« Notwendigkeit nicht in Frage gestellt werden dürfen –37 blieb kein großer Raum, in dem man die Grausamkeiten und die Bedeutung der vielen Opfer thematisieren konnte. Daher wurde im größten Teil der Romane und Erzählungen, die in dieser Epoche erschienen, der Tod des Feindes und der Sieg des tapferen Soldaten dargestellt; diese Darstellung war nicht frei vom Sadistischen. Zu diesem klaren Sadismus bei der Behandlung des Todes in vielen irakischen Kriegserzählungen meint S. Abboud:

33 ‘Ahmed Halaf. »Qisat an-Nisr [Geschichte des Adlers]«. ‘Ahmed Halaf. al-Had al-Fāsil [Die Trennungslinie]. Bagdad 1986, 25. 34 Ebd., 36. 35 Halaf, »Niqtat Tamās [Berührungspunkt]«. Ebd., 80. 36 Halaf, »‘Iftirād Mā Yahdut ‘Adatan [Angenommen, was immer passiert]«. Ebd., 98. 37 Vgl. Salām Abboud, 33.

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Die Hauptelemente des Faschismus sind die Macht und Grausamkeit; aus psychischer Sicht sind ihre Hauptelemente im Irak das Töten ohne schlechtes Gewissen und das Ergötzen an diesem Tod. Die Tolerierung dieser sadistischen Formulierungen bzw. Bilder und Ausdrucksmöglichkeiten war den Schriftstellern im Irak durch die damalige Landesführung sicher. Sie nutzten diese Schilderungsmöglichkeiten skrupellos. Dies war wahrhaft der größte Raum für solche Schilderungen, die je den Schriftstellern und Künstlern im Irak gegeben wurde.38

Aufgrund der vom Politischen über das Literarische verhängten Einschränkungen, die die Mobilisierung vorschrieben, begann der grausame Krieg durch die Feder der Schriftsteller zu sprechen, die keine andere Wahl hatten, als über die Notwendigkeit und die Entwicklungen dieses Krieges zu schreiben. Aus diesem Grund sollte in dieser Phase kein Bedarf nach einer Literatur gezeigt werden, die das hässliche Gesicht des Krieges und das menschliche Leiden in den Vordergrund stellt, wie dies bei Erich Maria Remarque, Wolfgang Borchert oder Heinrich Böll der Fall ist. Doch gerade weil das ideologisierte Literarische und Schöpferische im damaligen Irak immer eng mit dem Politischen verbunden war und ihm Folge leisten musste, stellte das übersetzte Werk Remarques eine Art ›Gegenpol‹ dar, der der Wirklichkeit und dem Alltagsleben an der Front eher ähnelte. Während das einheimische Literaturschaffen noch der Propaganda und der Notwendigkeit des eigenen Krieges unterworfen war, war die Rezeption fremdliterarischer Werke, die den Krieg verurteilen, ein Mittel, das ästhetische Bedürfnis der irakischen Empfängerliteratur nach humanistischen Aspekten und Inhalten zu befriedigen. Aber die Lektüre von Remarques Werk an der Front war nicht immer geduldet. Erst nach der Entmachtung des Regimes in 2003 erschienen irakische Romane, die in wachsenden Tonfällen von den Verheerungen des Krieges erzählen, von Ängsten, Traumata und Tod, vom schmerzvollen Sterben von Soldaten und Zivilisten. In Bagdad Marlboro des süd-irakischen Romanciers Najem Wali stehen die Fabulierlust und die Freude an verschachtelten Konstruktionen im Dienste des Kriegsthemas. Dieser Antikriegsroman kann sich mit Remarques Im Westen nichts Neues messen, unter dessen Wirkung Wali war.39 Da Remarques Sprache so direkt, auch manchmal vulgär, ist, vermittelt er dem Leser ein wahres Bild vom Soldaten und jedem einfachen Menschen, der um sein Leben bangt.40

38 Ebd., 29. 39 Najem Wali in einem Interview in Al-Hewar Al-Mutamadin, geführt von Adnan Hussein. veröffentlicht am 30.12.2003, unter: http://www.ahewar.org/debat/show.art.asp?aid= 13114&r=0. 40 Vgl. ebd.

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Zwar steht ein übersetztes Werk in einer komplizierten Beziehung zur Literatur in der Sprache, in die es übersetzt wurde, es kann aber diese Literatur trotzdem ersetzen und stützen, besonders in »Gebiete[n], wo die heimische Produktion ungenügend ist«,41 und dies sowohl als ganze Kunstgattung als auch als Einzelwerk.42 Dieses Bedürfnis ist in der Zeit der Entstehungsphase einer national geprägten Literatur am größten,43 was literaturhistorisch der Entwicklung der irakischen Literatur zu jener Epoche entspricht. Dieses Bedürfnis macht also die übersetzten Werke, abgesehen von den Übersetzungsmethoden, zu einem Teil der Nationalkultur des Zielsprachraums. In diesem Zusammenhang meint Levý, dass das übersetzte Werk zu einem Bestandteil der in der Zielsprache geschriebenen Literatur wird und eine ähnliche kulturelle Funktion wie ein Originalwerk bekommt.44 Zwar hat ein übersetztes Werk gegenüber der Originalliteratur einen spezifischen Erkenntniswert, indem es die Leserschaft über das Original und seine fremde Kultur informiert,45 es entspricht jedoch dabei ähnlichen Typen der nationalen Literatur, die ihr Material aus einer interessanten, dem Leser bekannten Wirklichkeit schöpfen.46 Postskriptum Nach Abschluss dieses Beitrages erschienen im Februar 2020 nahezu zeitgleich zwei Neuübersetzungen von Im Westen nichts Neues ins Arabische: von Mohamed Abdel Aziz im Verlag Ketopia in Alexandria/Ägypten und von Linda Hussein im Verlag Athar in Riad/Saudi-Arabien.

41 Levý, 76. 42 Vgl. ebd. 43 Vgl. ebd. 44 Ebd., 74. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. ebd.

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Bibliographie der Remarque-Übersetzungen in der arabischen Welt47

In dieser kleinen Bibliographie sind alle in der arabischen Welt erschienenen Übersetzungen der Romane Erich Maria Remarques aufgeführt. Die mit * gekennzeichneten Übersetzungen sind andere Auflagen der vorher genannten Übersetzung. »Ağ-Ğabhatu l-ġarbīyatu hādi‘ātun [Im Westen nichts Neues]«. Übersetzer: NN. Nidā‘ ašŠa‘b (Bagdad) 2 (1929), ab 54/484 (08.11.1929). Lā ğadīdun fi- ğabhati l-ġarbīyati: Mudakarat ğundī al-mānī ‘ani l-harbi l-kubrā wafazā‘i‘ihā [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: Ğibrā‘īl bin Sulaimān Ğabbūr. Beirut: Al-Matba‘a al-aAmarīkānīya, 1930. Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: NN. Kairo: al-Maktaba al-Mamlūkīya, [1930]. Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: NN. Kairo: Dār at-Taraqī li- t-tab‘ wa- n-našr, 1931. »Tarīqu l-‘Aūda [Der Weg zurück]«. Übersetzer: NN. al-‘īstiqlāl (Bagdad) 12 (1931), ab 1901 (29.10.1931). Ba‘da l-Harbi. Qisatun ‘īğtimā‘īyatun dātu maġzā [Der Weg zurück]. Übersetzer : ‘Ahmad Mahmūd Dihnī. Kairo: Matba‘at Miğalat Rūāyāt ağ-Ğayb, 1940. Mina š-Šarqi wa- l-Ġarbi ba‘da l-Harbi [Der Weg zurück]. Übersetzer: NN. Kairo: ad-Dār al-Qaūmīya, 1961. Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: Mahmūd Mas‘ūd. Kairo: Dār al-Kitāb ağ-Ğadīd, 1962. *Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: Mahmūd Mas‘ūd. Kairo: Dār al-Kitāb ağ-Ğadīd, 1962. Al-Hubu wa- l-Maūtu. [Zeit zu leben und Zeit zu sterben]. Übersetzer: Sāmī Ġunaym. Kairo: ad-Dār al-Qaūmīya, 1966. Li- l-Hubi Waqtun wa- li l-Maūti Waqtun [Zeit zu leben und Zeit zu sterben]. Übersetzer: Samīr Al-Tindāūī. 2 Bde. Kairo: Dār al-Ma‘arif, 1969. As-Samā‘u lā tuhābī ‘ahandan [Der Himmel kennt keine Günstlinge]. Übersetzer: As-Saīyd Wafā‘ī. Kairo: Dār al-Kitāb ağ-Ğadīd, 1969. *As-Samā‘u lā tuhābī ‘ahandan [Der Himmel kennt keine Günstlinge]. Übersetzer: AsSaīyd Wafā‘ī. Kairo: Dār al-Kitāb ağ-Ğadīd, 1970. *Kulu šay‘in hādi‘un fi- l-maydāni l-ġarbī [Im Westen nichts Neues]. Übersetzer: Mahmūd Mas‘ūd. Kairo: Dār al-Hilāl, 1981. Talātatu Rifāq [Drei Kameraden]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Beirut: Mū‘asasat al-‘Abhāt al-‘Arabīya, 1983.

47 Diese Angaben wurden unserer umfassenden Bibliographie Deutschsprachige Autoren in arabischer Sprache entnommen, die noch nicht veröffentlicht ist.

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Laylatu Lišbūna [Die Nacht von Lissabon]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Bayrūt, Mū‘asasat al-‘Abhāt al-‘Arabīya, 1983. *Li- l-Hubi Waqtun wa- li l-Maūti Waqtun [Zeit zu leben und Zeit zu sterben]. Übersetzer: Samīr Al-Tindāūī. 2 Bde. Kairo: Dār al-Ma‘arif, 1998. *Laylatu Lišbūna [Die Nacht von Lissabon]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Ar-Rīyād: Dār ‘Atar li- n-Našr wa- t-Tawzī‘, 2012. *Talātatu Rifāq [Drei Kameraden]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Ar-Rīyād: Dār ‘Atar lin-Našr wa- t-Tawzī‘, 2012. *Laylatu Lišbūna [Die Nacht von Lissabon]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Ar-Rīyād: Dār ‘Atar li- n-Našr wa- t-Tawzī‘, 2015. *Talātatu Rifāq [Drei Kameraden]. Übersetzerin: Laylā Na‘īym. Ar-Rīyād: Dār ‘Atar lin-Našr wa- t-Tawzī‘, 2016.

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Die Neuübersetzung von Drei Kameraden ins Armenische, Erewan: Edit Print, 2018. So gepostet auf Facebook am 26. Februar 2020 von ԳրքԱրկղ (https://www.facebook.com/ grqarkgh/?hc_ref=ARQiW-Mszem-xhNILkyEzxBXIvR82ELa6-MLgrVssMxVeRSGpyz Rqa379rSSI2NEF-0&fref=nf&__tn__=kC-R).

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Vanuhi Baghmanyan

Erich Maria Remarque und Armenien

Erich Maria Remarque gehört zusammen mit einer Reihe von westeuropäischen und amerikanischen Schriftstellern zu der von Gertrude Stein als »verloren« bezeichneten Generation, zu der die Weltliteraturkritik solche Namen wie Ernest Hemingway, William Faulkner, F. Scott Fitzgerald uvm. zählt: eine im Ersten Weltkrieg meist im Pariser Exil heranwachsende Generation von Schriftstellern, die in ihren Werken vom Krieg berichteten und zum Teil Augenzeugen der schrecklichen Geschehnisse waren. Mit den Worten des berühmtesten Vertreters dieser Generation, F. Scott Fitzgerald, kamen sie, um »alle Götter tot, alle Kriege gekämpft, jeden Glauben in die Menschheit zerstört« vorzufinden. Allerdings sorgte keiner aus dieser Schriftstellergeneration für so viel Lärm um seine Persönlichkeit und um seine Werke wie Remarque. Es gab keinen Tag, an dem er nicht etwas Neues über sich selbst erfahren musste, so Remarque. Die meisten ›Neuigkeiten‹ beruhten natürlich auf unbegründeten Verleumdungen wie etwa, dass er ein französischer Kryptojude oder ein Verräter der Nation sei, der nicht einmal in der Armee gedient und daher keine Ahnung von der Front habe. Der russische Philologe M.A. Matveev stellt beispielsweise die Authentizität der autobiographischen Beschreibungen Remarques als Kriegsteilnehmer in Frage: »Man darf nicht vergessen, dass Remarque während des Krieges nur ein Pionier und ein Lazarettbesucher war. Aus diesem Grund können nur Beschreibungen von Baracken, Urlaub, Verletzungen und Krankenhäusern autobiografisch sein.«1 Bemerkenswerterweise trat Remarque diesen Verleumdungen entweder mit einer gewissen Missachtung oder mit entwaffnender Ruhe entgegen, wie in seinem Brief an Putnam Sons nachzulesen ist (19. September 1929):

1 М.А. Матвеев. Принциы формирования поэтики раних произведений Э.М. Ремарка. Санкт-Петербург, 2015, 93.

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Vanuhi Baghmanyan

Wenn ich sehe, was die gelbe Presse und manch Starrsinnige aus mir machen, komme ich mir wie ein Monster vor. Mein Alter liegt zwischen 22 und 55, und ich habe verschiedene Namen. Sie verkünden in meinem Namen, ich soll das Manuskript meines verstorbenen Freundes gestohlen, aus anderen Kriegsromanen abgeschrieben oder auf der Grundlage einer Vereinbarung geschrieben haben. Jeden Tag neue Informationen über mich. Dazu kann ich nur sagen, dass ich wünschte, diese Leute hätten Recht, zumindest mit der Behauptung, ich sei nie Soldat gewesen.2

1933, als die NS-Diktatur in Deutschland errichtet wurde, verschärfte sich die Hetzjagd gegen Remarque. Joseph Goebbels, der die Ämter des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda und des Präsidenten der Reichskulturkammer bekleidete, erklärte Remarques Bücher für antinationalistisch, sodass seine Bücher in Deutschland verboten sowie alle Kopien aus den Bibliotheken entfernt und vom Buchhandel ausgeschlossen wurden. Während dieser Zeit zog Remarque zuerst in die Schweiz und danach in die USA. Das Dritte Reich entzog Remarque 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese Hetzjagd verhalf Remarque jedoch zu einem Aufstieg als Schriftsteller, anstatt ihn lahmzulegen. Es folgten Buchveröffentlichungen wie u.a.: Der Weg zurück (Berlin 1931), Drei Kameraden (Amsterdam 1938), Liebe deinen Nächsten (Amsterdam, Stockholm 1941), Arc de Triomphe (Zürich 1946). Trotz des Verbots fanden seine Leser Wege, die Werke des geschätzten Autors heimlich zu ergattern, das Phänomen des »Verbotenen« erzielte immer mehr Aufmerksamkeit für den Autor und sein Werk. Allein 2,5 Millionen Exemplare des Romans Im Westen nichts Neues wurden in 18 Monaten verkauft und in 32 Sprachen übersetzt sowie unter der Regie von Lewis Milestone verfilmt (zwei Oscars 1930). Unter der Vielzahl der weltweiten Übersetzungen von Remarques Werken und angesichts seines weitgehend zunehmenden postumen Erfolgs zählt Armenien zu den Eifrigsten. Trotz der sowjetischen Zensur und der spärlichen Auswahl von Remarques Werken gelang es den Verlegern in Armenien, einige Romane von Remarque unter dem wachsamen Auge des Kreml ins Armenische zu übersetzen. Allerdings wurden die Übersetzungen überwiegend aus dem Russischen, also quasi durch eine Vermittlersprache übertragen, wobei sie, mit Ausnahme von Arc de Triomphe, teilweise zensiert, sprich: verkürzt bzw. der sowjetischen Ideologie angepasst wurden. Im Hinblick auf die Tatsache, dass die russische Sprache wie eine zweite Muttersprache in der sowjetischen Republik Armenien gelten musste, zogen einige armenische Leser es vor, die Werke Remarques in russischer Übersetzung zu lesen, die trotz der Einschränkungen so doch aus dem Original stammten.

2 Նույն տեղում, 108.

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Remarque und Armenien

Bemerkenswert ist, dass die 1932 erschienene armenische Übersetzung des Romans Im Westen nichts Neues aus der Feder des großen armenischen Dichters und Schriftstellers Jeghische Tscharenz fast dasselbe »Remarque-typische« Schicksal erfuhr und somit keine erwähnenswerte Resonanz unter den Lesern erlangte. Allerdings verweigerte ihm Stalins Regime die Chance, ins Exil verbannt zu werden, sodass der große Denker in einem KGB-Kerker »unter ungeklärten Umständen« verstarb. Sein Leichnam wurde nie gefunden. Erst nach Stalins Tod hat man seine Werke, und zwar die, die irgendwie gerettet wurden, veröffentlichen dürfen. Desweitern wurden Remarques Romane in der sowjetischen Ära in großen Abständen wie folgt übersetzt und veröffentlicht: Zeit zu leben und Zeit zu sterben 1963 vom armenischen Dichter Gevorg Emin, Drei Kameraden 1972 von Shahen Tatikyan und Arc de Triomphe im Jahre 1973 von Gevorg Virapyan. Weiterhin hat es eine merkwürdige Veröffentlichung im Jahr 1930 gegeben, in der ein Auszug aus dem Roman Im Westen nichts Neues unter dem Titel »Er war ein Drucker« in der Übersetzung von Grabius (evtl. ein Pseudonym) erschienen ist. Eine weitere Übersetzung des Romans Im Westen nichts Neues aus dem Original ins Westarmenische wurde 1932 in Kairo unter dem Titel Demnach (Ետքը) veröffentlicht (Übersetzer: Liparit Nasariants). Der Übersetzer scheint jedoch zu einer enorm freien Übertragung geneigt gewesen zu sein, bei der es sich kaum um eine originaltreue Übersetzung handeln kann. Der Zerfall der Sowjetherrschaft und vor allem die Unabhängigkeitserklärung der Republik Armenien riefen eine Art Wiedergeburt der freien Kunst und Literatur ins armenische Leben. Die armenische Übersetzungskunst mit einer beachtenswerten Tradition, die sich bis zum 5. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, erwachte mit großem Potenzial und in einer sagenhaften Geschwindigkeit aus der sowjetischen Lethargie. Die postsowjetische Übersetzungskultur erweckte eine gewisse Note des Vertrauens in den Lesern, zumal es nun möglich war, die Weltliteratur aus den Originalsprachen zu übersetzen und zu veröffentlichen. Bei so einem Aufbruch wäre es selbstverständlich undenkbar, Remarques Werke und somit einen der wichtigsten Schriftsteller der deutschen klassischen Literatur zu umgehen. Der armenische Verlag Edit Print erklärte sich 2017 bereit, elf Werke von Remarque aus dem Deutschen ins Armenische zu übersetzen. So gelang es dem Verlag bereits in den Jahren 2017–2019 die Übersetzungen der Romane Drei Kameraden, Arc de Triomphe, Im Westen nichts Neues, Zeit zu leben und Zeit zu sterben zu veröffentlichen. Die von Remarque angesprochenen Themen über den Krieg und dessen irreversiblen Auswirkungen auf Mensch, Liebe und Freundschaft sind für den armenischen Leser allzu vertraut, weil das armenische Volk jahrhundertelang dazu gezwungen war, seine Existenz vor der Feindseligkeit der geographisch unglücklich benachbarten Länder zu beschützen. Andererseits blieben auch die Armenier besonders im Ersten Weltkrieg nicht verschont. Sowohl die schweren Verluste der 87

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Armenier an der kaukasischen Front, als auch der bis heute verleugnete Völkermord an den Armeniern ereigneten sich während des Ersten Weltkriegs. Und der Krieg ist laut Remarque überall gleich: »Ich sehe, daß Völker gegeneinander getrieben werden und sich schweigend, unwissend, töricht, gehorsam, unschuldig töten. Ich sehe, daß die klügsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und länger dauernd zu machen.«3 Die Hauptthematik Remarques, der Krieg als sinnloser Akt, der mit menschlichen Schicksalen spielt, findet immer ihren Ausdruck in seinen verschiedenen Romanen. So schreibt Remarque in seinem Roman Im Westen nichts Neues: Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Ströme von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.4

Remarque befasst sich mit derselben Thematik in einem anderen Kontext in Drei Kameraden: Sie dachten an Brot, immer nur an Brot und Beschäftigung; aber sie kamen hierher, um ihren Gedanken für einige Stunden zu entrinnen – und zwischen den klaren Römerköpfen und der unvergänglichen Anmut weißer, griechischer Frauengestalten wanderten sie umher in dem schleppenden Gang, mit den vorgebeugten Schultern von Menschen, die kein Ziel haben –, ein erschütternder Kontrast, ein trostloses Bild dessen, was die Menschheit in Tausenden von Jahren erreichen und nicht erreichen konnte: den Gipfel ewiger Kunstwerke, aber nicht einmal Brot genug für jeden ihrer Brüder.5

Remarque fasst in einem Satz seine Auffassung über den Krieg in Arc de Triomphe zusammen, der meiner Meinung nach als Schlüssel zu seiner Philosophie dient: »Wenn man über das zwanzigste Jahrhundert nicht lachte, mußte man sich erschießen.«6 Das enorme Interesse des armenischen Lesers an den neuen Übersetzungen der Werke Remarques war zwar vorauszusehen, die Begeisterung übertraf jedoch alle Erwartungen.

3 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Berlin, 1929, 260. 4 Ebd. 5 Erich Maria Remarque. Drei Kameraden. Sankt Petersburg, 2010, 121. 6 Erich Maria Remarque. Arc de Triomphe. Köln, 2007, 70.

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Zusätzlich zu den Präsentationen organisierte der Verlag Edit Print mehrere Lesungen, woraufhin eine neue Begeisterungswelle entstand, sodass verschiedene Literaturclubs und Bildungseinrichtungen weitere Lesungen veranstalteten. Laut Statistik zählen die neuen Übersetzungen von Remarques Romanen Drei Kameraden und Im Westen nichts Neues zu den gefragtesten Lektüren der armenischen Leserschaft. Nun befassen wir uns etwas detaillierter mit den raren Übersetzungen der Romane Remarques unter der sowjetischen Aufsicht und versuchen, die Notwendigkeit der Übersetzungen aus dem Original hervorzuheben. Die armenischen Übersetzungen der oben genannten vier Romane von Remarque wurden in der Sowjetzeit leider von der russischen Version übernommen (mit Ausnahme von Arc de Triomphe), die sowohl bereits unvollständig und teilweise gekürzt erschienen, als auch der kommunistischen Ideologie bzw. Demagogie sichtlich angepasst worden waren. Der folgende Abschnitt aus Arc de Triomphe zum Beispiel wurde in Gevorg Virapyans Übersetzung (1973) einfach weggelassen: Sie ordnete an, wo die Bilder aufgehängt werden sollten. Den Trotzki schickte sie zurück; er war ihr zu unsicher. Ravic inspizierte den Druck von Lenin, dessen Hälfte überklebt war. Er kratzte etwas von dem Papier in der Höhe von Lenins Kopf ab – hinter dem aufgeklebten Stück kam ein anderer Kopf Trotzkis hervor, der zu Lenin herüberlächelte. Ein Anhänger Stalins hatte ihn wahrscheinlich überklebt. »Hier«, sagte Ravic. »Noch ein versteckter Trotzki. Aus der guten alten Zeit der Freundschaft und Brüderschaft.« Die Wirtin nahm das Bild. »Das können wir wegwerfen. Das ist ganz wertlos. Eine Hälfte davon beleidigt dauernd die andere. Sie gab es dem Hausknecht. »Hebe den Rahmen auf, Adolphe. Er ist gute Eiche.« »Was machen Sie mit den übrigen?« fragte Ravic. »Den Alfonsos und den Francos?« »Die kommen in den Keller. Man weiß nie, ob man sie nicht noch einmal gebrauchen kann.« »Ihr Keller muß fabelhaft sein. Ein temporäres Mausoleum. Haben Sie da noch mehr?« »Oh, natürlich! Wir haben russische – ein paar einfachere Lenin – in Papprahmen zur Aushilfe und dann die vom letzten Zaren. Von Russen, die hier gestorben sind. Ein wunderbares Original in Öl und schwerem Goldrahmen von einem Herrn, der Selbstmord begangen hat. Dann sind da die Italiener. Zwei Garibaldis, drei Könige und ein etwas beschädigter Mussolini auf Zeitungspapier, aus der Zeit, als er noch Sozialist war in Zürich. Das Ding hat allerdings nur Seltenheitswert. Keiner will es hängen haben.« »Haben Sie auch Deutsche?« »Noch ein paar Marx; das sind die häufigsten; einen Lassalle; einen Bebel – dann

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ein Gruppenbild von Ebert, Scheidemann, Noske und vielen anderen. Noske ist darauf mit Tinte zugeschmiert. Die Herren sagten mir, daß er ein Nazi geworden sei.« »Das stimmt. Sie können es zu dem sozialistischen Mussolini hängen. Von der andern Seite in Deutschland haben Sie keine, wie?«7

Das philologische Interesse an Remarques Literatur in der Sowjetunion hat offensichtlich das Interesse des Lesers gemindert,8 wie A.S. Porshneva zu Recht feststellte, sodass mit Sicherheit behauptet werden kann, dass das sowjetisch verzeichnete Bild von Remarque der Grund dafür war, dass armenische Literaturkritiker sich kaum auf seine Werke bezogen. Es gibt bis heute nur eine knappe und flüchtige Bemerkung über Remarques Literatur von dem armenisch-sowjetischen Schriftsteller Hrant Matevosyan, die wir hier wörtlich als Beleg dafür herbeizitieren, dass man hinter dem dunklen Schleier der Sowjetunion Remarque dennoch mit Augen voller Licht und Bewunderung betrachtete, trotz der verzerrten Darstellung der Propaganda. H. H. Matevosyan schreibt: Die Arbeit eines jeden gescheiten Schriftstellers besteht darin, sein Weltbild und seine Philosophie auszuführen. Der Schriftsteller ist keiner, der die Ereignisse dokumentiert, sondern jemand, der die Welt auf seine Weise aufklärt oder versucht, es zu tun. Remarques Frauen basieren auf dem tiefen Wissen des Autors über den Freudianismus und der homogenen Grundlage der Freudschen Weltanschauung. Vollständig oder unvollständig – es ist eine gänzliche Welt. Fälle und Vorfälle sind verschiedene Zweige derselben logischen Textur. Die Hauptfiguren und Charaktere kommen, um all den Fällen einen Sinn zu verleihen. Schön oder unschön, es entsteht ein aus einer bestimmten Perspektive betrachtetes, vollständiges Leben. Und das, was bei Remarque als lebhaft und überzeugend gilt, kommt bei uns als absurd, nicht plausibel, unlogisch, fern von der Realität an, weil die christlichen Anfänge und Abläufe ein christliches Ende erfordern; das gotische Fundament und die Mauern eine gotische Kuppel voraussetzen.9

H. Matevosyans Äußerungen zeigen seine Bewunderung für Remarque als »gescheiter« Schriftsteller, und wie anständig auch sein Bemühen sein mag, die Notwendigkeit der lokaltreuen Literatur hervorheben zu wollen, Remarque ist in diesem Zusammenhang ein höchst ungeeignetes, gar unangemessenes Beispiel dafür. Remarques Werke lassen sich als autobiografisch und realistisch bezeichnen, und

7 Ebd., 21. 8 А. С. Поршнева. Пространство эмиграции в романом творчестве Э. М. Ремарка. Екатеринбург, 2010, 3. 9 Հ. Մաթևոսյան. »Այսպես կոչված գյուղագրության մասին«. Գրական թերթ, 37 (1448), 1968, 13.

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dennoch ist die Verwirklichung der eigenen Weltanschauung und Philosophie nicht sein Zweck, sondern eine Darstellung der Tragödie einer ganzen Generation oder deren »Weltanschauung und Philosophie«. Andererseits ist es unmöglich zu leugnen, dass Remarques Darstellungskunst von seinen weiblichen Romanfiguren kaum mit seiner »profunden Kenntnisse des Freudianismus« zu begründen ist, sondern eher auf mangelnde Kenntnis über Remarques Leben hinweist. Es ist bekannt, dass Remarques weibliche Romanfiguren sich eines Prototyps aus Remarques Leben bedienten. Die meisten Frauen spielten auch in seinem wahren Leben eine bedeutende Rolle. Und schließlich zur Matevosyans abfälliger Aussage »Und das, was bei Remarque als lebhaft und überzeugend gilt, kommt bei uns als absurd, nicht plausibel, unlogisch, fern von der Realität an«: Remarques Literatur hat zwei Hauptthemen: a) Krieg als sinnloser Akt, b) Liebe und Freundschaft. Und welches von denen ist besonders wichtig, und was genau Matevosyan für »absurd, nicht plausibel, unlogisch, fern von der« armenischen Realität hält, ist schwer zu sagen. Darüber hinaus schrieb Remarque über eine ganze Generation, ohne sich explizit mit den deutschen Soldaten zu befassen, sondern Soldaten im Allgemeinen, unabhängig von der Nationalität, und die Gefühle und Kriegserlebnisse seiner Figuren dürften keiner Nation und keiner Generation absurd, nicht plausibel, unlogisch oder unrealistisch vorkommen, Armeniern erst recht nicht. Je trüber und politisierter das Image von Remarque in der sowjetischen Realität gewesen ist, um so vielversprechender und freudiger ist die gegenwärtige Wiedergeburt von Remarques Literatur in Armenien. Einige armenische Literaturwissenschaftler arbeiten bereits an wissenschaftlichen Studien, die Remarque und seine Werke aus verschiedensten Perspektiven thematisieren. Die neuen Übersetzungen der Werke Remarques aus dem Original kommen diesen Studien zugute und tragen dazu bei, den armenischen Leser mit Remarques gesamtem Werk und seiner bewegenden Biografie aus erster Hand vertraut zu machen. Anschließend einige Überlegungen als Übersetzerin der Werke Remarques ins Armenische: – Remarques Schreibstil ist sehr klangvoll und weltbürgerlich. Die bewusste Wortwahl des Autors fällt auf und lässt sich ebenmäßig ins Armenische übersetzen. – Die Übergänge zwischen seiner literarischen und umgangssprachlichen Wortwahl, auch teilweise im Jargon, sind aufgrund der einzigartigen lebendigen Sprache des Autors äußerst sanft und dennoch »hochliterarisch«. – In Remarques Romanen sind auf den ersten Blick unauffällige, jedoch im Ganzen sehr wichtige, wiederkehrende Bilder festzustellen, die meiner Ansicht nach beachtliche Symbole sind und die autobiografische Natur seiner meisten Romane belegen lassen. Und es ist bemerkenswert, dass diese Bilder manchmal nicht im selben, sondern in verschiedenen Romanen wiederkehren. So 91

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wird der säulenförmige, rechteckige Innenhof des Tempels mit seinen hohen Rosenbüschen und den Grabsteinen der Kirchenmänner im Roman Im Westen nichts Neues als Erinnerung an einen kleinen Hof beschrieben, der dann aber in Drei Kameraden zur Realität wird und sich in einen riesigen, verwahrlosten Hof verwandelt, der wieder mit weißen und roten Rosenbüschen erscheint. Das Symbol des Kreuzgangs kehrt im Roman Zeit zu leben und Zeit zu sterben wieder, diesmal allerdings im aufblühenden Grün. Die voneinander abweichenden Bilder desselben Kreuzgangs variieren den mentalen Zustand des Helden entsprechend. Der Kreuzgang kommt hier dem feindlichen Feuer ausgelieferten Soldaten klein, aber dennoch wie ein in der Morgensonne versunkenes Paradies vor. In der Stadt hingegen dient das Symbol als einziger Zufluchtsort für die vor Bombenangriffen entflohenen Soldaten und Zivilisten, ein sicherer Hafen neben der Kathedrale, aber hier ein riesiger Hof mit den nebeneinander schlafenden Menschen, einer Statue der Leiden Christi usw. – Ein ähnliches Symbol ist auch der »apfelgrüne Himmel«, der im selben Roman wiederholt erwähnt wird und dann in verschiedenen Romanen unerwartet wieder auftaucht, und manchmal ist der Apfel selber ein Symbolträger. Das Thema »Land« als Symbol in Remarques Werken bietet ein weites Spektrum für eine vielfältige Studienanalyse an. – Neben den Symbolen, die dem Gemütszustand des Helden einen besonderen Ausdruck verleihen, spielen Farben und Gerüche als gelungenes Ausdrucksmittel eine Rolle: Der Himmel ist grün wie Apfel, blau wie eine Glockenblume, oder: Das Gesicht ist rot wie ein Apfel aus der Normandie. Durch Gerüche übermittelt Remarque mehr als mit bloßen Worten:



Der Tod roch anders in Rußland als in Afrika. In Afrika, unter schwerem englischem Feuer, hatten die Leichen zwischen den Linien auch oft lange unbeerdigt gelegen; aber die Sonne hatte schnell gearbeitet. Nachts war mit dem Winde der Geruch herübergekommen, süß, stickig und schwer –10

Oder:

Die Wirtsstube war ungelüftet und roch nach altem Bier und langem Winter.11

Remarque, der mit dem Finger den Puls der Zeit abtastete und all ihre Schläge berührte, verspürte all den Schrecken seiner und der zukünftigen Generationen am eigenen Leibe, hob jegliche zeitliche Grenzen auf und ist damit zu einem der zeit-

10 Erich Maria Remarque. Zeit zu leben und Zeit zu sterben. Köln, 2018, 7. 11 Erich Maria Remarque. Der Himmel kennt keine Günstlinge. Köln, 2018, 7.

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genössischsten Autoren aller Zeiten geworden. Remarque widerlegte das auf der kommunistischen Ideologie aufgebaute Trugbild, erschuf eine menschenfreundliche Welt, indem er der Menschheit Werte wie Liebe, Freundschaft, gegenseitiges Vertrauen und Glaube zurückgab.

Mitarbeit Vanuhi Vahanyan

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Scalp, Tim Tonic, The Swabian. All Undead on the Western Front [nach dem englischen Titel von Im Westen nichts Neues: All Quiet on the Western Front]. Hamburg: Capricorn Media, 2014 (Zombie International 1).

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»Selbst dort, wo er zurückblickt, ist es die Gegenwart, die er anspricht.«1 Zur Remarque-Rezeption der vergangenen 20 Jahre in Deutschland

Es gibt jetzt ein Buch, geschrieben von einem Mann namens Erich Maria Remarque, gelebt von Millionen, es wird auch von Millionen gelesen werden jetzt und zu allen Zeiten. Carl Zuckmayer2

Als Erich Maria Remarque noch während des Ersten Weltkrieges den Entschluss fasste, die schrecklichen Ereignisse niederzuschreiben, die er und Millionen an­ derer am Krieg beteiligter Menschen durchleben mussten, wird er die immen­ se Reichweite seines erstmal 1928 publizierten Romans Im Westen nichts Neues vermutlich nicht einmal im Ansatz erahnt haben. Mit seinem Roman avanciert Remarque binnen kürzester Zeit zum weltberühmten Schriftsteller, dessen Werk als Panoramaaufnahme der Gesellschaft dient. Obgleich die Themen seiner Tex­ te – aus heutiger Sicht betrachtet – weit in der Vergangenheit liegen, bestimmen die Folgen der zurückliegenden Ereignisse noch immer die Gegenwart. Im Folgenden soll dem Leser ein Einblick in die aktuelle Rezeption der Werke Remarques in Deutschland gegeben und, im Zuge dessen, die generationenüber­ greifende Zeitlosigkeit seines Werkes veranschaulicht werden. Literarisches Œuvre – Neuauflagen und von ihm inspirierte Werke Nur zwei Tage nach Erscheinen des Romans Im Westen nichts Neues im Ull­ stein’schen Propyläen-Verlag prophezeite Erich Maria Remarques Zeitgenosse 1 Wilhelm von Sternburg. Als wäre alles das letzte Mal. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 22. 2 Carl Zuckmayer. »Erich Maria Remarque: ›Im Westen nichts Neues‹«. Berliner Illustrierte, 31.01.1929, 174–175, hier 174.

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und Freund, Carl Zuckmayer, bereits den Welterfolg des Romans.3 Bereits vor der Veröffentlichung – der Text erscheint zunächst als Folgeroman in der Vossischen Zeitung – liegen dem Verlag bereits 30.000 Vorbestellungen des Buchhandels vor. Im Juni des darauffolgenden Jahres erzielt der Verlag eine Verkaufszahl von über einer Millionen Exemplaren – der bis dahin größte Bucherfolg in der der deut­ schen Literaturgeschichte. Auch heute sind Remarques Romane vom deutschen Buchmarkt nicht wegzu­ denken. Laut Aussage des Kiepenheuer & Witsch Verlags in Köln, der die deut­ schen Abdruckrechte an den Texten Remarques innehat, können hinsichtlich des Gesamtwerkes Remarques jährliche Absätze im hohen fünfstelligen Bereich ver­ zeichnet werden.4 Zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren er­ scheint der Roman Im Westen nichts Neues 2014 sogar gleich in vierfacher Aus­ führung: Zunächst Ende 2013 als gebundene Ausgabe, gefolgt von zwei Taschen­ buchausgaben und dem E-Book. Bereits im ersten Jahr werden insgesamt knapp 120.000 Exemplare des Romans verkauft. Im Folgejahr wird ein Absatz von ca. 55.000 verzeichnet, der sich in den darauffolgenden Jahren bis heute bei durch­ schnittlich 35.000 Tsd. Exemplaren pro Jahr hält. In Anbetracht der obengenann­ ten Verkaufszahlen wird schnell ersichtlich, dass der Roman Im Westen nichts Neues im Jahr 2014 einen stark erhöhten Absatz gegenüber den Folgejahren auf­ weist. Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf die Besonderheit des Jahres 2014, das sich als Gedenkjahr zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges eminent auf den Buchmarkt auswirkt. Bereits 2013 verzeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Anstieg literarischer Pu­ blikationen im Themenbereich der Kriegsliteratur.5 Auch der KiWi-Verlag nimmt das Gedenkjahr 2014 zum Anlass, Remarques Werke zum Ersten Weltkrieg6 in textkritischen Fassungen neu aufzulegen, und trifft damit, wie die Verkaufszahlen eindeutig belegen, ins Schwarze. Initiiert wurde dieses Vorhaben von Thomas F. Schneider, dem Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums, der aufgrund der Beschaffenheit der damals käuf­ lich zu erwerbenden, deutschsprachigen Remarque-Ausgaben eine überarbeitete

3 Vgl. ebd. 4 Die Aussage basiert auf einer E-Mail der Vertriebsmitarbeiterin Nina Bläsius, die am 13.01.2020 auf eine Anfrage der Autorin an den KiWi-Verlag zu den Auflagezahlen reagiert hat. 5 Vgl. dpa. »Zeitgeschichte bildlich dargestellt. ›Im Westen nichts Neues‹ von Erich Maria Re­ marque ist einer der berühmtesten Antikriegsromane der Welt. Ein Künstler aus Nieder­ sachsen hat die Geschichte nun für eine Graphic Novel adaptiert.« Hannoversche Allgemeine Online, 17.02.2014. https://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Uebersicht/Graphic-Novel-ue­ ber-Im-Westen-nichts-Neues-in-Melle (abgerufen am 18.02.2014). 6 Im Westen nichts Neues (1928/29). Der Weg zurück (1930/31). Drei Kameraden (1936/37).

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Neuauflage aller Romane für unerlässlich hält. Die Notwendigkeit bestehe des­ halb, so Schneider, weil die Texte durch Einflüsse wie Zensur, fehlerhafte Neuauf­ lagen oder inhaltliche Veränderung durch Dritte in keiner der vorliegenden Aus­ gaben mehr dem Originaltext entsprechen. Beispielsweise sei die für Remarque charakteristische Unterkapitel-Struktur oftmals fehlerhaft oder in manchen Fällen sogar vollends verloren gegangen. Sowohl der herausgebende Verlag Kiepenheuer & Witsch als auch der Heraus­ geber Thomas Schneider verfolgen dabei nicht den Anspruch, wissenschaftliche oder historisch kritische Ausgaben zu erarbeiten, sondern kommentierte Lese­ ausgaben, die dem Leser einen Interpretationszugang bieten. Durch Hinzunahme von teils bislang unveröffentlichten Texten, Briefen und Interviews Remarques werden die Entwicklungsprozesse der jeweiligen Romane veranschaulicht, wo­ durch zum derzeitigen Forschungsstand zuverlässige Ausgaben vorliegen, die den Entstehungs- und Rezeptionskontext vermitteln. Die Struktur der Neuausga­ ben folgt dabei stets demselben Prinzip: Nach der originalgetreuen, von Thomas Schneider rekonstruierten und überarbeiteten Textfassung folgt ein Anhang, der sich im Umfang der textuellen Bearbeitung des Romans anpasst. Dementspre­ chend erklären sich die verhältnismäßig umfassenden Anhänge der Romane Der Funke Leben (2018) und Zeit zu leben und Zeit zu sterben (2018), die zahlreiche, zensurbedingte Kürzungen erfahren mussten, sowie Schatten im Paradies (2018), der nach kompromissloser, von Remarques damaliger Ehefrau Paulette Goddard in Auftrag gegebener Überarbeitung posthum veröffentlicht wurde. Diese drei Texte lagen bis zu ihrer Neuauflage im Jahr 2018 nicht in der Originalfassung vor und bedurften daher intensiverer Nachbearbeitung durch den Herausgeber. Neben einer in jeder Ausgabe enthaltenen editorischen Notiz sowie einem Bei­ trag des Herausgebers, in welchem Entstehungs- und Rezeptionskontext beleuch­ tet werden, finden sich insbesondere in den drei hier zuletzt genannten Romanen ebenfalls zeithistorische Dokumente, wie beispielsweise Korrespondenzen – häu­ fig zwischen Remarque und Verlegern –, Notizen Remarques, öffentliche Stel­ lungnahmen zu seinen Romanen, unter anderem von bekannten Schriftstellern wie Heinrich Böll und Rudolf Krämer-Badoni, sowie diverses zeitgenössisches Pressematerial. Bis heute7 hat der Kiepenheuer & Witsch Verlag mit den Neuausgaben der Remarque-Romane einen Absatz in Höhe von insgesamt 362.318 Exemplaren verzeichnet. Darüber hinaus entstehen auch abseits des Gedenkjahres 2014 diverse literari­ sche Produktionen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise vom Leben und Werk des Schriftstellers Remarque haben inspirieren lassen. Die wohl bedeutends­

7 Hier erfasster Zeitraum Oktober 2013– Dezember 2019. (Stand Februar 2020)

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te unter ihnen ist die bis dato erste umfassende Biografie,8 die der renommierte Journalist und Publizist Wilhelm von Sternburg zum 100. Geburtstag Remarques im Jahr 1998 veröffentlicht. Der Autor macht bei seinen Recherchen für die Bio­ grafie Gebrauch von Materialien wie Tagebüchern und Briefen, die der breiten Öffentlichkeit bis dahin nicht zugänglich waren, und bringt auf diese Weise die Lebensgeschichte Remarques sowie die Entstehungsgeschichte seiner Romane in den zeitgeschichtlichen Kontext ein. Die Historikerin und Autorin Gabriele Katz konzentriert sich hingegen in ih­ rem 2018 veröffentlichten Buch Liebe Mich! Erich Maria Remarque und die Frauen in erster Linie auf die »melancholischen Liebesgeschichten« des Schriftstellers, die er zeitlebens mit bekannten Hollywood-Schönheiten wie Marlene Dietrich, Greta Garbo und Paulette Goddard führte.9 Marlene Dietrich spielt auch in einer weite­ ren Publikation neben Remarque eine tragende Rolle: Unter dem Titel »Sag mir, daß du mich liebst«10 veröffentlichen Werner Fuld und Thomas Schneider im Jahr 2001 eine kommentierte Sammlung des lückenhaft erhalten gebliebenen Brief­ wechsels zwischen Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich, die zwischen 1937 und Ende 1940 eine leidenschaftliche und zugleich dramatische Liebesbe­ ziehung führten. Von den zahlreichen Liebesbeziehungen Remarques lässt sich auch Hans Boe­ ters inspirieren, der mit Krieg und Liebe. Erich Maria Remarque und die Frauen11 im Jahr 2018 sein Debüt als Romanautor gibt. Zwischen Literatur und Kunst – Remarque in Comic und Graphic Novel Eine ganz andere Form der literarischen Verarbeitung des Lebens und Werks Erich Maria Remarques mit stark künstlerischem Einfluss zeigt sich in Comicad­ aptionen und Graphic Novels, wo das Werk Remarques ebenfalls Einzug hält. Ins­ besondere der Roman Im Westen nichts Neues scheint der schier endlosen Phanta­ sie der Künstler keine Grenzen zu setzen, wie im Folgenden an einigen Beispielen erkenntlich wird.

8 von Sternburg. 9 Gabriele Katz. Liebe mich! Erich Maria Remarque und die Frauen. Berlin: Ebersmann & Si­ mon, 2018. 10 Werner Fuld, Thomas F. Schneider (Hgg.). »Sag mir, daß du mich liebst…«. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Zeugnisse einer Leidenschaft. Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2001. 11 Hans Boeters. Krieg und Frieden. Erich Maria Remarque und die Frauen. Salzburg, München: Benevento Publishing, 2018.

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Das Hamburger Team12 hinter der Comic-Reihe »Zombie International« veröf­ fentlicht im Jahr 2014 den Comic All Undead On The Western Front.13 Es handelt sich um die erste Ausgabe der Comicserie, die zusätzlich zum klassischen Print­ format als kurzer Animationsfilm sowie als interaktive App umgesetzt wird, in der die Print- und die animierte Fassung symbiotisch miteinander verschmelzen. Der von den Machern als Splatter-Horror bezeichnete und auf 32 Seiten in schwarzweiß gestaltete Comic wird im Jahr 2013 als Crowdfunding-Projekt ins Leben ge­ rufen, beruht aber trotz einer eindeutigen Anspielung auf den Titel des Romans Im Westen nichts Neues von Remarque inhaltlich nicht auf der Romanvorlage. Die Handlung ist zwar auch hier im Ersten Weltkrieg verortet, thematisiert aber ein missglücktes Experiment des deutschen Heeres, das die eigenen Soldaten in blut­ rünstige Zombies verwandelt. Die textliche Gestaltung des Comics beschränkt sich neben einer Vielzahl von Onomatopoetika auf wenige Sätze, die größtenteils in englischer Sprache verfasst und in serifenloser Schrift dargestellt sind. Kontras­ tiv dazu sprechen die deutschen Soldaten im Comic Deutsch – dargestellt in Frak­ turschrift –, was zudem noch einmal für den Leser ins Englische übersetzt wird. Durch das Format selbst und den hier kaum vorhandenen textuellen Bezug zum Original wird schnell ersichtlich, dass der Comic weniger dem Zweck einer Vermittlung des Anti-Kriegswerkes Remarques dient, sondern in erster Linie zur Unterhaltung der Leser beitragen soll. Ganz anders verhält sich folgendes Werk zum Original Erich Maria Re­ marques: Die 2014 erschienene Graphic Novel Im Westen nichts Neues14 von Peter Eickmeyer und Gabi von Borstel ist im Gegensatz zum o.g. Comic eine sehr text­ nahe Umsetzung der Romanvorlage. Die Graphic Novel, die keineswegs mit einem Comic zu vergleichen ist, ist eine Kunstform, die ihren Ursprung im 20. Jahrhundert hat und inzwischen Einzug in die Literaturwissenschaft gehalten hat. Das aus dem niedersächsischen Mel­ le stammende Künstlerehepaar sieht das Potential im sich in Deutschland stetig vermehrt etablierenden Medium und beschließt bereits 2010, den Klassiker Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque erstmals als Graphic Novel zu adaptieren. Im Zuge der Arbeiten reisen die beiden für Recherchen nach Belgien und Frankreich, wo sie Museen, Soldatenfriedhöfe, rekonstruierte Schützengrä­ ben und Mahnmale besichtigen. Auf den ehemaligen Schlachtfeldern des Ers­ ten Weltkrieges im belgischen Ypern entstehen bereits die ersten Skizzen für das Projekt, aus denen später in mehreren Schritten die teils plakatgroßen Gouache-

12 Illustrationen: Tim Möller, Text: Florian Schneider, Grafikdesign: Sascha Carl. 13 »All Undead On The Western Front«. Zombie International 1. Hamburg: Cappricorn Media, 2014. 14 Peter Eickmeyer, Gaby von Borstel. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Eine Graphic Novel nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Bielefeld: Splitter, 2014.

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Bilder entstehen. Laut Eickmeyer handelt es sich um unerlässliche Reisen, da die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg dort bedeutend höher angesiedelt ist als in Deutschland, wo die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges wesentlich präsenter sind und eine größere Rolle in der Erinnerungskultur einnehmen.15 Über einen Zeitraum von vier Jahren fertigt der Grafiker Peter Eickmeyer über einhundert kleine Illustrationen und Skizzen sowie 82 großformatige Bilder in Gouache-Technik an, die eng an die Romanvorlage von Remarque angelehnt sind. Ebenso stammt der Text, der in der Graphic Novel eine den grafischen Elemen­ ten gleichkommende Rolle spielt, aus der Romanvorlage und wird mit großem Augenmerk von Gaby von Borstel eigens für die Graphic Novel auf die Hälfte sei­ nes ursprünglichen Umfangs gekürzt. Die Darstellungen Eickmeyers sind an den oberen oder unteren Rand jeweils einer Doppelseite platziert, sodass dazwischen ausreichend Platz für die farblich hervorgehobenen Textblöcke bleibt, welche die elementaren Komponenten der Erzählung Remarques beinhalten. Ergänzt wird dieses ›Grundgerüst‹ durch vereinzelt eingebundene kleine Bilder, wobei hier je­ doch bewusst auf Bilderfolgen und Sprechblasen verzichtet wird, um so den typi­ schen Elementen eines Comics keinen Raum zu geben. Die grafische Umsetzung Eickmeyers ist von einer solchen Dynamik, dass es dem Betrachter mit Leichtigkeit gelingt, anhand der Illustrationen dem Gesche­ hen der Geschichte folgen zu können. Sie visualisieren bei näherer Betrachtung nicht bloß die vom Roman vorgegebene Handlung, sondern lassen das mehr oder minder geschulte Auge auch ›zwischen den Zeilen‹ durchaus bekannte Bezüge zur Kunstgeschichte erkennen: Eickmeyer zitiert aus Pablo Picassos Guernica, Otto Dix’ Sturmtruppe geht unter Gas vor und nicht zuletzt aus Egon Schieles Kriegsgefangener Russe, wobei er das Werk in ganz eigener Manier stilisiert und in die Graphic Novel einpasst. Auch aus der Hollywood-Verfilmung Lewis Milestones von 1930 zitiert Eickmeyer diverse Bildmotive sowie aus der TV-Produktion von Delbert Mann (1979), wie deutlich am drakonischen Ausbilder, dem Unteroffi­ zier Himmelstoß, zu erkennen ist, der in der Graphic Novel eindeutige Züge des Schauspieles Ian Holm aufweist. Bei der Übertragung des Textes Erich Maria Remarques in seine Visualisierun­ gen kommt Eickmeyer laut Selbstauskunft ein entscheidender Faktor zugute: »Re­ marque war sehr bildlich in seiner Sprache, das hat es einfacher gemacht.«16 Die drastische und eindrucksvolle Bildsprache Remarques bringt Eickmeyer mittels

15 Vgl. pm. »›Graphic Novel‹ dominiert. Eröffnung der Ausstellung ›Queerbeet‹ des Künstlers Peter Eickmeyer.« Meller Kreisblatt, 28.01.2014, 14. 16 Christoph Franken. »Remarques Bestseller als Graphic Novel. Zum Kriegsbeginn vor 100 Jahren.« Neue Osnabrücker Zeitung, 19.10.2013, 35.

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»rotziger Feder« aufs Papier, wodurch es ihm auf überzeugende Weise gelingt, die Atmosphäre des Romans spiegelbildlich in seine Graphic Novel zu übertragen.17 Das Erich Maria Remarque-Friedenszentrum zeigte bereits vor Erscheinen der Graphic Novel ca. 50 großformatige Bilder von Peter Eickmeyer in der Sonder­ ausstellung »Kein Entkommen«,18 in der die Besucher zugleich über den Entste­ hungsprozess der Graphic Novel informiert wurden. Die Originalbilder sind am 25.02.2015 als Dauerleihgabe in den Besitz des Erich Maria Remarque-Friedens­ zentrums übergegangen und werden seither an andere Häuser im Rahmen ihrer Ausstellungsprojekte verliehen. Drei Jahre später erscheint die zweite Graphic Novel des Künstlerehepaars un­ ter dem Titel Liebe deinen Nächsten. Sie ist das Ergebnis einer dreiwöchigen Ex­ pedition an Bord des Rettungsschiffes »MS Aquarius« der humanitären Initiative SOS Méditerranée, dessen Crew im Einsatz auf dem Mittelmeer Menschen aus akuter Seenot rettet. Von Borstel und Eickmeyer begleiten im Sommer 2016 die Crew der zivilen Hilfsorganisation auf ihrer Rettungsmission, um auf diese Wei­ se ihren Beitrag mit künstlerischen Mitteln zu leisten. Für die Comic-Reportage führt die Journalistin Gaby von Borstel zahlreiche Interviews sowohl mit Crew­ mitgliedern als auch mit Geflüchteten, während Eickmeyer fotografisch doku­ mentiert und bereits vor Ort die ersten Skizzen anfertigt. Den Titel wählen Eickmeyer und von Borstel ganz bewusst: »Liebe deinen Nächsten« nimmt eindeutig Bezug auf die Bibel und solle in diesem Kontext das christlich orientierte Europa dazu auffordern, »seine Asyl- und Einwanderungs­ politik menschlich zu gestalten, sodass niemand sein Leben riskieren muss, wenn er vor Gewalt und Armut flieht«.19 Trotz der Tatsache, dass die Graphic Novel keine unmittelbare Übertragung des Werkes Remarques darstellt, lässt sich der unverkennbare Remarque-Bezug nicht leugnen, wie die Autoren im Vorwort ebenfalls selbst bestätigen: Zugleich verweisen wir aber auf das Buch mit dem selben Titel von Erich Maria Remarque. […] »Liebe deinen Nächsten« ist sein erster Roman über Flüchtlinge. […] Sie werden innerhalb Europas immer wieder von einem Land in das nächste abgeschoben. […] Sie existieren nicht mehr als Menschen. Sie sind Schattenwesen, deren Zuhause die Grenze ist. […] Der englische Titel, unter dem das Buch zuerst im amerikanischen Exil erschienen ist, lautet »Flotsam«. Zu Deutsch »Strandgut« –

17 Christoph Franken. »›Mit sehr rotziger Feder gemalt‹. Peter Eickmeyer ist mit seiner Graphic Novel in Funk und Fernsehen«. Meller Kreisblatt, 20.01.2014, 9. 18 Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, 27.04.2014–27.07.2014. 19 Peter Eickmeyer. Gaby von Borstel. Liebe deinen Nächsten. Auf Rettungsfahrt im Mittelmeer an Bord der Aquarius. Bielefeld: Splitter, 2017, 3.

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mit einem durchaus negativen Beigeschmack. Man könnte es auch mit Abschaum übersetzen. Remarque hat nichts an Aktualität verloren.20

Der Titel der Graphic Novel, Liebe deinen Nächsten, verweist demnach eindeutig auf die deutschsprachige Erstausgabe des Romans, den Remarque unter demsel­ ben Titel im Jahr 1941 im Stockholmer Exilverlag Bermann-Fischer veröffent­ licht. Damit ist bewiesen, dass Remarques Roman in seiner Thematik nichts an Aktualität eingebüßt hat und insbesondere in der Migrationskrise in Europa ab 2015 seine unverkennbare und zugleich dramatische Zeitlosigkeit demonstriert. Remarque als künstlerisches Thema Erich Maria Remarques Begeisterung für die Kunst reicht bis in seine Jugend zu­ rück. Bereits im Schulalter zieht er durch die Straßen seiner Heimat Osnabrück, lässt sich an diversen Plätzen nieder und fertigt kleine Bleistiftzeichnungen an – einige sind bis heute erhalten. Seinen schwärmerischen Träumereien, eine berufli­ che Laufbahn als Maler oder gar als Musiker einzuschlagen, folgt er jedoch nicht, sondern entscheidet sich stattdessen, seiner schriftstellerischen Begabung nach­ zugehen – mit Erfolg. Dennoch bleibt seine Affinität für die schönen Künste be­ stehen, und er wird mit Einsetzen seines beruflichen und damit einhergehenden finanziellen Erfolges zum passionierten Kunstsammler. Seine Sammlung umfasst zahlreiche Gemälde sowie Skulpturen und orientalische Teppiche. Erich Maria Remarque, zu Lebzeiten leidenschaftlicher Kunstliebhaber, avan­ ciert post mortem durch das von ihm erschaffene Werk selbst zum Kunstobjekt. Sigmar Polke (1941–2010) gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Gegenwartskunst. Sein Werk zeichnet sich insbesondere durch die nicht selten eingesetzte ironische, humorvolle Ambiguität aus, die er in sei­ ner Kritik gegen die zeitgenössische Gesellschaft einsetzt. In seinem Vexierbild Im Westen nichts Neues, Himmelstoß, das er 2004/05 mit Dispersionstechnik auf durchschnittlichen Dekorationsstoffen aufbringt, erschafft Polke einen impliziten Brückenschlag vom Ersten Weltkrieg zum seinerzeit vom Künstler kritisch bewer­ teten Auslandseinsatz der Bundeswehr.21 Diese Einschätzung nimmt Dr. Martin

20 Ebd. 21 Vgl. Klaus M. Schmidt. »Serie ›Schlaglichter der Sammlung‹: Turnübung erschafft ein Monster«, Westdeutsche Zeitung Online, 10.10.2012. https://www.wz.de/nrw/krefeld/ kultur/serie-schlaglichter-der-sammlung-turnuebung-erschafft-ein-monster_aid-30195499 (abgerufen am 19.12.2019).

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Hentschel22 vor und nimmt dabei Bezug auf das auf den ersten Blick nur vage zu erahnende Motiv: ein Soldat bei Turnübungen auf dem Boden (auf dem Rücken liegend schwingt er Gesäß und Beine Richtung Kopf). Polke legt dem Motiv eine Fotografie aus dem Ersten Weltkrieg zugrunde und wählt den Ausschnitt so, dass der Betrachter darin vermutlich zunächst eine fremdartige Kreatur mit mensch­ lichen, nach vorne ausgestreckten Händen zu erkennen glaubt. Das dem ersten Anschein nach überaus rätselhafte Bild lässt dem Betrachter einen für Polkes Wer­ ke charakteristisch großen Interpretationsspielraum. In Anbetracht des Titels Im Westen nichts Neues, Himmelstoß ist zu mutmaßen, dass Polke mit seinem Werk ein Statement gegen den vorherrschenden Drill und Zwang im militärischen Sek­ tor setzt. Diese Kritik transportiert er über Remarques Romanfigur Himmelstoß, der unter den Soldaten um Paul Bäumer durch seine Schikanen als »der schärfste Schinder des Kasernenhofes«23 gilt. In seinem Bild lässt Polke den Unteroffizier Himmelstoß durch seinen rigiden Kasernenhofdrill einen jungen Soldaten in ein wahrhaftes Monster verwandeln. Auch der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb knüpft mit seiner Kunst­installation Damals nicht, jetzt nicht, niemals! (nach dem Roman der nieder­ ländischen Widerstandskämpferin Truus Menger-Oversteegen) eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und bedient sich dabei ein­ schlägiger Zitate aus Erich Maria Remarques Antikriegsroman Im Westen nichts Neues. Die ›Hauptakteure‹ seines Projektes sind stumme Zeitzeugen des Ersten Weltkrieges: Der Künstler verwendet Eichenholz aus der Region um das elsäs­ sische Hirtzbach, ein im Ersten Weltkrieg stark umkämpftes Gebiet. Die Haupt­ kampflinie verläuft damals unmittelbar westlich der kleinen Gemeinde Hirtzbach, deren Einwohner aufgrund der heftigen Gefechte, die hauptsächlich artilleristisch, aber auch mit Unterstützung von Kavallerie, Infanterie sowie der Luftstreitkräfte geführt wurden, im Dezember 1915 vollständig evakuiert werden mussten. Aus den von Trieb eigens für die Installation beschafften Eichenstämmen, in denen noch das Metall der Geschosse steckt, fertigt der Künstler mithilfe einer Kettensä­ ge 32 längliche Blöcke an. Dabei gleicht nach Fertigstellung kein Block dem ande­ ren. Auf den Holzstelen bringt Trieb in Eisenplatten gestanzte Botschaften an, die den Passanten durch die fehlenden Angaben zu ihrer Herkunft zum Nachdenken auffordern. Trieb klärt auf: Alle Sprüche kommen aus dem sechsten Kapitel [des Romans Im Westen nichts Neues], wo zum ersten Mal Artilleriebeschuss, Vorstoß, Rückzug, das sinnlose Hin- und 22 Dr. Martin Hentschel ist ausgewiesener Polke-Experte und war von 2001 bis 2016 Leiter der Krefelder Kunstmuseen, deren Sammlung auch das Werk Im Westen nichts Neues, Himmestoß beinhaltet. 23 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014 (kiwi 1367), 26.

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Herrennen im Grabenkrieg gezeigt wird. Wir fanden das richtig mit zum Teil auch harschen Zitaten die Situation zu schildern.24

Die Botschaften, so Trieb, sollen nicht provozieren, sondern Emotionen wecken.25 Und auch die Zahl 32 ist nicht zufällig gewählt, sondern nimmt zum einen Bezug auf die 32 Unterzeichnerstaaten des Versailler Friedensvertrages und der Pariser Vorortverträge. Und mit einem erneuten Blick in das sechste Kapitel des Romans Im Westen nichts Neues findet sich die Zahl auch hier wieder: Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir waren 150 Mann. […] »Eins – zwei – drei – vier –«, und bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt: »Noch jemand?« […] Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus. Zweiunddreißig Mann.

Die Mahnmale, die Teil der Veranstaltungsreihe »1914–2014. Hundert Jahre Ers­ ter Weltkrieg« der Stadt Osnabrück sind, platziert Trieb bewusst an Orten inner­ halb der Stadt, die eine Verbindung zum Ersten Weltkrieg aufweisen. Mehr als vier Jahre verweilen die stummen Zeitzeugen an den ihnen zugewiesenen Plätzen, bis sie im November 2018 für die Abschlussausstellung unter dem Titel »1914/1918 – Damals nicht, jetzt nicht, niemals!« auf dem Marktplatz der Stadt Osnabrück zu­ sammengetragen werden. Aber nicht nur in Remarques Heimatstadt Osnabrück sollten die Holzstelen platziert werden, auch in Berlin plante Trieb mindestens zwei Kunstinstallatio­ nen dieser Art. Eine davon hatte jedoch nur sechs Stunden Bestand und sorgte für verstärktes mediales Aufsehen. In der Nacht zum 1. August 2014, genau 100 Jahre nach der deutschen Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg, platziert Trieb vor dem Berliner Reichstag einen acht Meter langen Baumstamm, den er zuvor mit einem Schriftband aus Stahl versieht: »…und langsam häufen sich auf dem Feld die Toten. E. M. Remarque«. Auch hier handelt es sich um ein Zitat aus dem sechsten Kapitel von Im Westen nichts Neues. Trieb, der zusammen mit seinem Team den Stamm in einer ›Nacht-und-Nebel-Aktion‹ um vier Uhr in der Früh vor dem Reichstag deponiert, wird von Beamten der Berliner Behörden um 10 Uhr vormittags trotz Protesten dazu aufgefordert, den Eichenstamm vor laufen­

24 Birgit Schütte. »›Wenn die Bäume erzählen könnten…‹«. NDR.Online, 21.07.2014. http://www.ndr.de/kultur/kunst/niedersachsen/Baeume-als-Zeitzeugen-des-erstenWeltkriegs,niewiederkrieg100.html (abgerufen am 22.07.2014). 25 Vgl. Corinna Berghahn. »Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Volker-Johannes Trieb stellt 32 Eichenstämme mit Remarque-Zitaten in der Innenstadt aus«. Neue Osnabrücker Zeitung, 23.07.2019, 19.

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der Fernsehkamera wieder zu entfernen.26 Bezwecken wolle Trieb vor dem Hin­ tergrund der aktuellen Kämpfe in Libyen, im Nahen Osten und in der Ukraine vor allem eines: »Unsere Bundesregierung muss sich ihrer Verantwortung bewusst sein, friedenswahrend, friedensmehrend und friedensstiftend zu arbeiten.«27 In ganz anderer Manier bringt ein ebenfalls weltberühmter deutscher Schrift­ steller das Leben und Werk Remarques in sein künstlerisches Schaffen ein: Gün­ ter Grass widmet Erich Maria Remarque in seinem 1999 publizierten Werk Mein Jahrhundert gleich mehrere Seiten. Das Buch umfasst einhundert Kurzgeschich­ ten, in denen er einen Rückblick auf das 20. Jahrhundert wirft – einhundert Kurz­ geschichten für einhundert Jahre deutsche Zeitgeschichte. Überschrieben mit den fortlaufenden Jahreszahlen, widmet sich Grass chronologisch und in wechseln­ den Formaten dem Zeitgeschehen des vergangenen Jahrhunderts, wobei manche Geschichten zumindest teilweise ineinandergreifen. Die den Ersten Weltkrieg umfassenden Erzählungen »1914«, »1915«, »1916«, »1917« und »1918« verortet Grass in die ›neutrale‹ Schweiz und erdichtet eine Reihe von Treffen zwischen den beiden Veteranen Erich Maria Remarque und Ernst Jünger Mitte der 1960er Jahre in Zürich. Die beiden ›Zeitzeugen‹, die von ihrer Grundhaltung nicht ver­ schiedener sein könnten, tauschen sich bei Rotwein, Pflümli und Armagnac über ihre persönlichen Erfahrungen als Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg aus, wobei Grass die biografischen Fakten oft auf seine für ihn typische Art ins Skurrile drif­ ten lässt: »Und nun rief Remarque so laut, daß eine Serviertochter in der Nähe unseres Tisches erschrocken innehielt, dann aber davoneilte: ›Gasangriff! Gas! Gaaas!‹, worauf Jünger das Bimmeln der Alarmglocken mit Hilfe des Teelöffels nachahmte…«.28 Auch die Kontroverse, die nach Erscheinen des Romans Im Westen nichts Neues in Deutschland ihren Lauf nahm, lässt Grass in das Gespräch einfließen und lässt Remarque – wie bereits zu Lebzeiten – auch Jünger gegenüber für die ver­ meintlichen Tendenzen seines Kriegsromans Rechenschaft ablegen: »Geben Sie es ruhig zu, bester Remarque, selbst in ›Im Westen nichts Neues‹, Ihrem vortrefflichen Erstling, erzählten Sie, nicht ohne innere Rührung, von der Kraft sol­ datischer Kameradschaft, die bis in den Tod reichte.« Dieses Buch, sagte Remarque, reihe nicht Selbsterlebtes, sondern sammle die Fronterfahrung einer verheizten Ge­ neration. »Mein Lazarettdienst war mir Quelle genug.« 29

26 Vgl. Christoph Franken. »Baumstamm-Posse um Osnabrücker Künstler. Nacht-und-NebelAktion von Volker-Johannes Trieb vor Berliner Reichstag – Polizei schreitet ein.« Neue Osnabrücker Zeitung, 04.08.2004, 24. 27 Ebd. 28 Günter Grass. »1917«. Mein Jahrhundert. Göttingen: Steidl, 1999, 63–66; hier 64. 29 Grass, »1914«, ebd., 52–55; hier 54.

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[…] Schließlich lobten sie wechselseitig die Anschaulichkeit ihrer Frontberichte. »Wen gibt es denn noch außer uns?« fragte Jünger. »Bei den Franzosen allenfalls diesen verrückten Céline…«30

Erich Maria Remarque und der Film »Genie ist Arsch und Fleiß – wenigstens zum Teil – Erich Maria Remarque«. So lautet der Arbeitstitel der 90minütigen Fernsehdokumentation des preisgekrön­ ten Regisseurs Hanno Brühl nach dem Drehbuch von Ingo Regenbogen. Das in Hamburg, Bremen und Osnabrück gedrehte Doku-Drama Remarque – Sein Weg zum Ruhm31 (so der endgültige Titel) zeigt die Entstehungs- und die damit ein­ hergehende Erfolgsgeschichte des Romans Im Westen nichts Neues, die das Leben Remarques quasi über Nacht grundlegend veränderten. Der Film, der zu einem Drittel szenisch inszeniert ist, beginnt mit Einzug des damals 18-jährigen Erich Paul Remark in die Armee und beschränkt sich weitestgehend auf die Zeit von 1916 bis 1933. Seinen dokumentarischen Charakter erhält der Film durch das eingebundene Archiv- und Dokumentarmaterial sowie durch diverse Interviews mit Zeitzeugen und Remarque-Experten, die über zentrale Ereignisse aus dem Leben des Schriftstellers berichten. Unter ihnen die Bremer Journalistin und Li­ teraturdozentin Gudrun Boch, die seinerzeit Mitglied der Jury zur Vergabe des Bremer Literaturpreises ist. Die Historikerin sowie Herausgeberin der Tagebü­ cher von Joseph Goebbels, Elke Fröhlich. Josef Middendorf, Sohn des ehemaligen Schul- und Kriegskameraden Remarques, Georg Middendorf sowie Tilman West­ phalen und Thomas Schneider, dem ehemaligen und dem derzeitigen Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück. Mit Max von Thun gewinnt die Neue Mira Filmproduktion GmbH einen der­ zeit sehr gefragten Nachwuchsschauspieler, der zuvor in zahlreichen deutschen Produktionen, aber auch in einer kleinen Rolle in der mit zwei Emmys ausge­ zeichneten, US-amerikanisch-kanadischen TV-Produktion Hitler – Aufstieg des Bösen (2003) zu sehen und bis heute erfolgreich als Schauspieler und Moderator tätig ist. Er verkörpert in den Reenactmentszenen des Doku-Dramas die Rolle des Schriftstellers und Lebemanns Remarque, mit dessen Werk er auch privat schon früh in Kontakt gekommen war. In einem Interview äußert sich von Thun auf die Frage, was er mit dem Namen Erich Maria Remarque in Verbindung bringe:

30 Grass, »1916«, ebd., 59–62; hier 62. 31 Uraufführung Juni 2008 im Rahmen des 19. Internationalen Filmfestes Emden-Norderney. 9. Oktober 2008, 17.30 Uhr im Cinema Arthouse im Rahmen des 23. Unabhängigen Film­ Festes Osnabrück. Die Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen erfolgte am 21. Oktober 2008 um 23:00 Uhr im NDR.

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Ich muss gestehen, ich wusste vorher wenig über Remarque. Eigentlich nur das, was viele im Kopf behalten, wenn man irgendwann im Deutschunterricht »Im Westen nichts Neues« liest. Er hat damit ein Vermächtnis hinterlassen, das seit 1930 nichts an Aktualität eingebüßt hat. Die Sinnlosigkeit des Krieges – das kommt ungeheuer eindringlich rüber. Ein zeitloses Dokument!32

Am 21. Oktober 2008 erfolgte die Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen – fast auf den Tag genau 80 Jahre nach Beginn des Vorabdrucks von Im Westen nichts Neues in der Berliner Vossischen Zeitung. Erneute erhöhte Medienpräsenz kommt dem Doku-Drama im Folgejahr zu, als der deutsch-französische Fernsehsender ARTE ihn am 11. November 2009 ausstrahlt, der Tag an dem u.a. in Frankreich dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem »Armistice« gedacht wird. Das jüngste Filmprojekt verwirklicht der aus London stammende, private Film­ schaffende Mark Brian Mathew, der mit seiner Romanverfilmung Der schwarze Obelisk – Betrachtungen eines Romans im März 2020 Premiere feiert. In dem Jahr, in dem sich auch der Todestag Erich Maria Remarques zum 50. Mal jährt. Mit der Intention und Motivation, die Bekanntheit des in Osnabrück gebore­ nen Schriftstellers über seinen weltbekannten Roman Im Westen nichts Neues hi­ naus zu steigern, beginnen im April 2018 die Dreharbeiten zum Doku-Schauspiel Der schwarze Obelisk. Die Crew, bestehend aus 384 Personen, wirkt ausnahmslos ehrenamtlich unter der Leitung des Wahl-Osnabrückers Mathew am Film mit und beteiligt sich, nebst einiger Zuschüsse in Form von Spenden, auch an den Produktionskosten. Es ist nicht der erste Versuch, den Zwischenkriegs-Roman von Erich Maria Re­ marque zu verfilmen: Bereits im Jahr 1988, dem »Remarque-Jahr«33 verfilmt das ZDF im Auftrag der Deutschen Buchgesellschaft den Roman unter der Regie von Peter Deutsch. Das Drehbuch für die 90-minütige Verfilmung stammt von Gerd Angermann, der sich in seiner Umsetzung – kontrastierend zum Roman – in ers­ ter Linie auf die Liebesgeschichte zwischen den Romanfiguren Ludwig Bodmer und Isabelle konzentriert und die politischen Aspekte des Romans nur am Rande erwähnt. Ganz anders verhält es sich in der Produktion von Mark Mathew, dessen Film keine reine Buchverfilmung ist, sondern sich vielmehr als Dokumentation ver­ steht und neben der schauspielerischen Nachstellung des Romans auch die Bio­

32 Werner Hülsmann. »Eine Haltung erfühlen, ohne sie zu kennen. ON-Interview mit Schau­ spieler Max von Thun (30) über Remarque, Romantik & Rock’n’Roll«. Osnabrücker Nachrichten, 09.09.2007. 33 Eine Übersicht der zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen des »Remarque-Jahres« findet sich beispielsweise hier: Petra Oerke. »Presse- und Medienberichterstattung ›Remarque-Jahr 1997/98‹«. Erich Maria Remarque-Jahrbuch/Yearbook IX (1999), 84–133.

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grafie des Schriftstellers beleuchtet. Es werden Gespräche mit Experten wie Tho­ mas Schneider und Claudia Junk vom Erich Maria Remarque-Friedenszentrum geführt, die ihr Fachwissen zu den Hintergründen des Romans und des Autors in die Dokumentation einbringen. Eine ganz besondere Rolle kommt dem Schau­ spieler und Kabarettisten Mario Buletta zu, der den Schriftsteller Remarque mimt und den Zuschauer als ›Guide‹ durch die Dokumentation führt. Mathew zielt aber, wie oben erwähnt, nicht allein darauf ab, dem doch eher unbekannteren Roman Remarques zu mehr Aufmerksamkeit und Bekanntheit zu verhelfen, sondern intendiert ebenfalls, durch ein an die Zuschauer gerichtetes mahnendes Abschlussstatement auf gegenwärtige Themen hinzuweisen. Wie Re­ marque, der mit seinem Roman Der schwarze Obelisk auf einen drohenden Drit­ ten Weltkrieg aufmerksam machen wollte, beabsichtigt auch Mathew, auf aktuelle politische Probleme hinzuweisen und ruft seine Zuschauer dazu auf, sich wider der zahlreichen Bedrohungen von außen für die politische Ordnung und den Er­ halt der demokratischen Werte einzusetzen.34 Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang eine Produktion aus dem Jahr 2005, die zwar nicht das Leben und Werk Erich Maria Remarques the­ matisiert, sich aber dem Schicksal seiner jüngeren Schwester Elfriede widmet. Die Dokumentation mit dem Titel Zum Tode verurteilt – Elfriede Scholz, die Schwester von Erich Maria Remarque35 beleuchtet das Leben der Schwester Remarques und die Umstände, die zu ihrer Hinrichtung durch die Nationalsozialisten führten. Die Dokumentation wurde mit Unterstützung des Erich Maria Remarque-Frie­ denszentrums produziert. Kurz vor Redaktionsschluss wurde darüber hinaus eine spektakuläre Meldung in der Presse verlautet, dass es eine neue, mittlerweile dritte Verfilmung des An­ tikriegsepos Im Westen nichts Neues geben wird. Bereits 2010 kamen erste Ge­ rüchte über die Bestrebungen eines Remakes aus Hollywood auf, die sich bislang jedoch nicht bewahrheitet haben. Nun soll sich der mittlerweile weltweit erfolg­ reiche deutsche Schauspieler Daniel Brühl des Projektes angenommen haben und adaptiert den Klassiker zusammen mit dem Regisseur Edward Berger erstmals in deutscher Sprache. Das für die Hollywood-Produktion vorgesehene Drehbuch von Lesley Paterson und Ian Stokell soll laut Berichterstattung für das Projekt von Brühl erhalten bleiben und ins Deutsche übertragen werden. Für den Regisseur sei es unabdingbar, den Film in deutscher Sprache zu drehen, da er so ein ho­

34 Vgl. Louisa Wehling, Louisa Lütjen. Erich Maria Remarque – Eine Rezeption seiner Person in Form von Filmen/Dokumentationen – beispielhaft untersucht anhand der Filmproduktionen Sein Weg zum Ruhm und Der schwarze Obelisk. Osnabrück: Universität Osnabrück, 2020 [Seminararbeit], 13. 35 Kurt Rittig. Zum Tode verurteilt – Elfriede Scholz, die Schwester von Erich Maria Remarque. NFP, im Auftrag des SWR (43 Min.). Erstausstrahlung: 01.12.2005, 22:30 Uhr im SWR.

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hes Maß an Authentizität gewinne. Zudem sei es laut Berger »eine Lücke in der deutschen Filmgeschichte, dass es bislang keine deutschsprachige Filmversion des Stoffes gebe«. Die Dreharbeiten werden 2020 aufgenommen, sodass der Kinostart nach derzeitigem Stand für das Jahr 2021 oder 2022 erwartet werden kann.36 Vertonungen des Werkes Remarques Vertonungen in Form von Hörbüchern und Hörspielen der Romane Erich Ma­ ria Remarques können im deutschsprachigen Raum bereits für die 1950er Jahre nachgewiesen werden. Unter anderem produziert der WBH (Westdeutsche Bib­ liothek der Hörmedien für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen e.V.) bereits seit 1957 einen Großteil der Romane Remarques als Hörbuch und verleiht sie bis heute kostenlos an seh- und lesebehinderte sowie blinde Personen. Großes Medienecho erfährt eine Produktion des Hörverlags aus dem Jahr 2006, für deren Hörbuch Im Westen nichts Neues37 eine prominente Stimme gewonnen werden kann: August Diehl, einstweilen ein international bekannter deutscher Schauspieler, liest den Roman Remarques in ungekürzter Fassung und erntet für seine Vortragsweise vermehrt positive Kritik. In Hinblick auf das ›Kriegsjahr‹ 2014 erscheint im Oktober 2013 die unveränderte Neuauflage des Hörbuchs, und auch hier erfährt insbesondere die Darbietung Diehls in der Presse anerkennende Worte: In einer beeindruckend intensiven, aber ganz pathosfreien Weise hat der Schauspie­ ler August Diehl den Roman vollständig eingelesen. Man glaubt, den Ich-Erzähler Paul Bäumer […] sprechen zu hören. Mit seinem unprätentiösen, eindringlichen Vortrag gelingt August Diehl die richtige Tonlage für Remarques dramatisches Buch, das ganz im Zeichen bedrängender Gegenwärtigkeit des Erlebens steht.38

Ebenfalls unter prominenter Mitwirkung entsteht 2005 im Rahmen der Initiative »Laut gegen Nazis – Rechte Gewalt kann jeden treffen« die Hörbuchreihe unter dem Motto »Verbrannte Titel«.39 Initiiert wird das Projekt vom Hamburger Verein

36 Björn Becher. »Statt Hollywood-Version mit ›Harry Potter‹-Star: Neuverfilmung von ›Im Westen nichts Neues‹ kommt mit Daniel Brühl aus Deutschland«. FILMSTARTS, http:// www.filmstarts.de/nachrichten/18529610.html (abgerufen am 17.02.2020). 37 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Gelesen von August Diehl. München: Der Hörverlag, 2006. 367 Minuten auf 5 CDs. 38 (mls). »In sechs Stunden durch die Hölle.« Allgäuer Zeitung. 11.01.2014, V4. 39 Smudo liest: Erich Maria Remarque – Auszüge aus »Lieben deinen Nächsten« – von den Nazis verboten. Membran International GmbH, 20.08.2005.

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»Laut gegen Nazis e.V.«, der sich aktiv dem Rechtsextremismus entgegenstellt. Für die Hörbuchreihe übernehmen sechs deutsche Prominente eine sogenannte ›Pa­ tenschaft‹ für das Projekt, die aus einem vorab selbst ausgewählten Werk lesen. Die Werke stammen von Autoren, welche von den Promis selbst auch privat gelesen und geschätzt werden – Autoren, deren Werke von den Nationalsozialisten ver­ boten wurden. Smudo, Sänger der deutschen Hip-Hop-Band »Die Fantastischen Vier«, entscheidet sich für ein Werk Erich Maria Remarques und liest Auszüge aus dem Roman Liebe deinen Nächsten. Die Wahl, so Smudo, fällt auf ebenjenen Roman Remarques, weil er ein sehr realistisches Bild des damaligen gesellschaft­ lichen Alltages unter den Nationalsozialisten vermittelt und deutliche Parallelen zur Gegenwart aufweist.40 Mit teils atemloser und gehetzter Stimme liest Smudo die dialogreichen Auszüge aus Remarques Roman, womit der Sänger dem Zuhö­ rer die Aktualität des Themas Flucht ins Bewusstsein zu rufen beabsichtigt und an die Notwendigkeit der Nächstenliebe, besonders im Kampf gegen einen auf­ keimenden Rassismus und Extremismus in der deutschen Gesellschaft, appelliert. Ein künstlerisches Werk ganz besonderer Art feiert im September 2003 in der Heimatstadt Remarques seine Welturaufführung: Am Theater Osnabrück, das Erich Maria Remarque in jungen Jahren selbst häufig frequentierte, um Thea­ terkritiken für die hiesige Presse zu verfassen, feiert die Oper Im Westen nichts Neues der österreichisch-amerikanischen Komponistin Nancy Van de Vate am 28. September 2003 eine spektakuläre Premiere.41 Die erste und bis dato einzige Oper nach einem Werk Remarques ist als 90minütiger Dreiakter konzipiert und episodisch aus der Retrospektive zu erleben. Unter Einbezug des US-amerikani­ schen Filmskripts von 1929 und dem Roman Remarques für das deutschspra­ chige Libretto, kreiert die damals bereits namhafte Komponistin ein bildstarkes Bühnenwerk.42 Van de Vate meidet illustrative Schlachtfeldszenen, es tauchen weder Gewehre noch Uniformen im Bühnenbild auf. Stattdessen wird das The­ ma Krieg und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Leidtragenden auf eine hintergründig-psychologische Weise betrachtet.43 Es gehe in der Oper – so der Regisseur Thomas Münstermann – vielmehr darum, »was Krieg in der Kultur anrichtet und in den Seelen verwundet«. Ferner bringt Münstermann zum Aus­

40 Vgl. »Promis machen mobil gegen Rechts. Smudo fordert die weltoffene Gesellschaft«. lift Stuttgart, 26.09.2005, 11. 41 Im Vorfeld hat es eine Teilaufführung der englischen Fassung an der New York City Opera gegeben. 42 Vgl. Hermann Bäumer. »Remarque in der Oper – Eine Uraufführung. Die Oper ›Im Westen nichts Neues‹ von Nancy Van Vate ab 28. September 2003 im Stadttheater«. Neue Osnabrücker Zeitung, [Verlagsbeilage] Theater-Zeitung 26.08.2003, 5. 43 Vgl. »›Im Westen nichts Neues‹ – Uraufführung der Opernfassung von Nancy van de Vate«. mica [music information center austria online], 22.09.2003.

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druck, mit der Oper und dem Aufführungszeitpunkt ein politisches Statement setzen zu wollen: Eine weitere Besonderheit ist für mich die Tatsache, dass es sich um eine amerika­ nische Oper handelt […], in einer Zeit, in der sich Amerika deutlich entschieden hat, den Krieg als politisches Mittel zu benutzen, war es uns wichtig, das Werk einer amerikanischen Komponistin zu zeigen, das ein anderes amerikanisches Denken zeigt als das, was uns Bush, Rumsfeld und Co. präsentieren.44

Die Uraufführung wird in Anwesenheit der Komponistin Nancy Van de Vate mit einem gut viertelstündigen Applaus honoriert. Mit der Oper Im Westen nichts Neues stellen die Mitwirkenden willentlich einen Bezug zu tagespolitischen Ereig­ nissen her, indem sie ganz bewusst auf die Verantwortung der Vereinigten Staaten am Irak-Krieg hinweisen. Remarque als Thema dramatischer Inszenierungen In den Spielzeiten von 2013 bis 2015 ist es ebenfalls der Krieg, der die dramatur­ gischen Produktionen in diesem Zeitraum stark beeinflusst: Weltweit wird ins­ besondere das Theaterjahr 2014 von der Reminiszenz an den damals 100 Jahre zurückliegenden Ausbruch des Ersten Weltkrieges bestimmt. Auch auf deutschen Bühnen besteht ein sichtlich gesteigertes Interesse an einer Auseinandersetzung mit der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« anhand verschiedenster Textvor­ lagen. Neben bedeutenden Werken von Autoren wie Karl Kraus (Die letzten Tage der Menschheit), Miroslav Krleža (In Agonie) und Louis-Ferdinand Céline (Reise ans Ende der Nacht) dient Erich Maria Remarques Antikriegsroman Im Westen nichts Neues allein im Jahr 2014 gleich sieben Inszenierungen deutschlandweit45 als literarische Grundlage. Großes öffentliches und mediales Interesse erfährt insbesondere die multilin­ guale Darbietung des flämischen Theaterregisseurs Luk Perceval, der mit seinem Stück FRONT46 am 22. März 2014 am Hamburger Thalia Theater Premiere feiert. Entstanden ist die Polyphonie nach ›Im Westen nichts Neues‹ von Erich Maria Re-

44 Martina Binning. »Krieg ohne Gewehre und Kanonen. Nancy van de Vates Oper ›Im Westen nichts Neues‹ spielt im Pflegeheim«. Neue Osnabrücker Zeitung, 25.09.2003. 45 Thalia Theater Hamburg; rohestheater Aachen; Junges Theater Göttingen; Staatsschauspiel Hannover; MUT! Theater Hamburg; Staatstheater Braunschweig; Cactus Junges Theater Münster. 46 FRONT – Polyphonie nach ›Im Westen nichts Neues‹ von Erich Maria Remarque, ›Le Feu‹ von Henri Barbusse und Zeitdokumenten.

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marque, ›Le Feu‹ von Henri Barbusse und Zeitdokumenten in Koproduktion mit dem belgischen Theater Gent. Thematisch greift das Stück vier am Ersten Welt­ krieg involvierte Länder auf: Deutschland, England und Frankreich als sich an der Westfront gegenüberstehende Nationen sowie Belgien als neutraler Boden, der als Kriegsschauplatz dient und eigentlich gar nicht am Konflikt beteiligt ist. Bei musikalischer Begleitung muss der Zuschauer versuchen, einer Wirrnis aus vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Flämisch) zu folgen, die simultan über eine Digitalanzeige auf der Bühne übersetzt werden. Die internationalen Stimmen der Bühnengestalten stammen aus Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, aus Henri Barbusses Le Feu und aus authentischen Tagebuchauf­ zeichnungen sowie Feldpostbriefen. Perceval transportiert mittels multilingualer Textcollage nicht bloß den multinationalen Konflikt des Krieges, sondern zugleich auch die innere Verwirrung der Soldaten.47 Das Stück erregt in vielen Ländern großes Interesse und wird mit dreißig Gast­ spielen in ganz Europa gebucht – so auch in Sarajevo, wo am 28. Juni 1914 das Attentat auf Österreich-Ungarns Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, den Ersten Weltkrieg auslöste. Eine ebenfalls erwähnenswerte Theaterreihe bietet der deutsche Dramaturg, Theaterregisseur und Intendant Lars-Ole Walburg mit seiner Remarque-Trilogie, die er von 2014 bis 2018 am Staatsschauspiel Hannover inszeniert. Die drei Stücke basieren auf den Romanen Im Westen nichts Neues, Die Nacht von Lissabon und Der schwarze Obelisk. Mit Im Westen nichts Neues wagt sich Walburg im Gegensatz zur düsteren Adaption Percevals an eine expressive Umsetzung des Stoffes und schafft damit ein ausdruckstarkes Wirkungstheater. Unbeachtet der allgemeinen Tendenz, die Darstellung von Gewalt auf der Bühne grundlegend zu meiden, lässt Walburg seine Darsteller das zunächst beinahe steril weiße Bühnenbild innerhalb einer zweistündigen Laufzeit in eine vollends mit (Kunst-)Blut und Schlamm bedeck­ te Szenerie verwandeln. Der exzessive Farbrausch soll das Schlachten im Ersten Weltkrieg möglichst unverhüllt verbildlichen und löst angesichts der Thematik im Publikum ein Gefühl der Beklemmnis aus.48 Geplant war die Trilogie zu Beginn des Projektes nicht, sie »hat sich tatsächlich eher ergeben«, erzählt Walburg in einem Interview. Nachdem er 2014 Remarques Im Westen nichts Neues aus Anlass des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten

47 Vgl. Christine Dössel. »In Stimmgewittern. Unsere Großmütter, unsere Großväter: Mit der mehrsprachigen Produktion ›Front‹ zeiht Luk Perceval am Hamburger Thalia Theater in den Ersten Weltkrieg«. Süddeutsche Zeitung, 24.03.2014, 9. 48 Vgl. Till Briegleb. »Beklemmend. ›Im Westen nichts Neues‹, blutig gut am Staatsschauspiel Hannover«. Süddeutsche Zeitung, 24.10.2014, 12.

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Weltkrieges inszeniert, löst in ihm die ein paar Jahre später eintreffende Flücht­ lingswelle in Deutschland den Wunsch aus, sich dramaturgisch mit der Thema­ tik auseinanderzusetzen. Wo andere Dramaturgen in dieser Zeit die Geflüchteten selbst zu Protagonisten ihrer Stücke machen – für Walburg undenkbar –, bringt er die Realität als Übersetzung auf die Bühne. Remarques Roman Die Nacht von Lissabon sei für dieses Vorhaben die perfekte Wahl: Ich wollte eine Fluchtgeschichte erzählen, in deren Zentrum ein Deutscher auf Em­ pathie und Solidarität angewiesen ist und die historisch gesehen nur einen Wim­ pernschlag von uns heute entfernt ist.49

Erst danach habe er das Vorhaben gefasst, eine Trilogie zu erschaffen, und liefert als Abschluss seiner Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur im Jahr 2018 das Stück Der schwarze Obelisk. Die Wahl für seine letzte Remarque-Inszenierung dieser Reihe falle laut Wal­ burg auf eben jenen Roman, weil er zum Denken über das allgemeine und das persönliche Demokratieverständnis anrege50 und darüber hinaus durchaus »als Spiegel unserer heutigen, von (rechts-)populistischen Strömungen gefährdeten Zeit lesen« lasse.51 Die Zeitlosigkeit der Romane Remarques, insbesondere von Im Westen nichts Neues, beweist auch Theaterregisseurin Eva Lange mit ihrer gleichnamigen Adap­ tion des Weltkriegs-Romans im Jahr 2015 an der Landesbühne in Wilhelmshaven: Sie kombiniert den Originaltext mit Berichten von Bundeswehrsoldaten, die nach ihren Einsätzen in Afghanistan und dem Kosovo den vergeblichen Versuch unter­ nahmen, in ihr Leben heimzukehren.52 Mit ihrer Inszenierung schlägt Lange eine Brücke zur Gegenwart und betont nachdrücklich den Aktualitätswert Remarques: »Wir haben diesen Stoff ausgewählt, weil immer Krieg ist auf dieser Welt, und weil auch deutsche Soldaten heute im Krieg sind«.53 Gemeinsam mit der Dra­

49 Leonie Gratzel. »Schulterblicke. Im Gespräch mit Lars-Ole Walburg«. Stadtkind Hannovermagazin, 31.05.2018, 62–63; hier 62. 50 Jörg Worat. »›Dagegen ist die Volksbühne ein Kindergeburtstag‹. Lars-Ole Walburg über sei­ ne letzte Spielzeit am Schauspiel in Hannover«. Rotenburger Kreiszeitung, 28.04.2018. 51 »Herzensprojekte: Ein Abschied als Aufbruch. Die letzte Saison unter der Intendanz von Lars-Ole Walburg am Schauspiel Hannover steht unter dem Motto It’s better to burn than to fade away.« Spielzeit. Hannovers Theatermagazin 6, 25.05.2018, 12–13, hier 12. 52 Vgl. Jutta Przygoda. »Neue Lesart für ›Im Westen nichts Neues‹«. NDR Online 04.09.2015, http://www.ndr.de/kultur/Im-Westen-nichts-Neues-an-der-Landesbuehne-Nord,imwestennichtsneues142.html (abgerufen am 07.09.2015). 53 Désirée Warntjen. »Das Schwierigste am Einsatz ist die Rückkehr. Landesbühne – Spielzeit­ eröffnung mit Remarques Anti-Kriegs-Drama ›Im Westen nichts Neues‹«. Anzeiger für Harlingerland, 04.09.2015, 7.

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maturgin Lea Redlich habe die Regisseurin während der Textarbeiten feststellen müssen, dass viele der vor knapp 90 Jahren von Remarque verfassten Sätze auch von Afghanistan-Rückkehrern stammen könnten.54 Nach 2018 verlagert sich der Schwerpunkt der auf Remarques Werk basieren­ den Inszenierungen vom Thema Krieg in Richtung der aktuellen Flüchtlingsthe­ matik. Insbesondere den Roman Die Nacht von Lissabon nutzen die Dramaturgen, um auf die medienbeherrschende ›Flüchtlingsproblematik‹ aufmerksam zu ma­ chen. Neben der bereits erwähnten Inszenierung von Lars-Ole Walburg adaptiert auch Hakan Savas Mican den Roman Remarques. Der Text habe den in der Tür­ kei aufgewachsenen Regisseur besonders aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als »Sohn von Arbeitsmigranten«55 angesprochen. Für seine Vorbereitungen reist Mican durch Europa und verwebt in der am 11. Januar 2019 am Berliner Gorki Theater uraufgeführten Inszenierung die persönlichen Erlebnisse seiner Reise so­ wohl mit Remarques Geschichte als auch mit den aktuellen Entwicklungen der Flüchtlingspolitik.56 Auch in Remarques Heimatstadt Osnabrück wird im Jahr 2020 eine Adaption von Die Nacht von Lissabon Premiere feiern. In seiner multimedialen Inszenie­ rung zeigt Schauspieldirektor Dominique Schnitzer, wie aktuell die Geschichte Remarques auch heute noch ist, indem er sie ins Heute überträgt und somit die Grenzen zwischen den Zeiten aufhebt.57 Erich Maria Remarque heute Die Aktualität der Romane Erich Maria Remarques wird hinsichtlich der oben aufgeführten – und bei Weitem nicht vollständigen – Rezeption in Deutschland unverkennbar belegt und liefert einen kleinen Einblick in die Reichweite seiner Texte, die in allen heute verfügbaren Medien Verbreitung finden. Besonders Remarques weltberühmter Anti-Kriegsroman Im Westen nichts Neues erfährt ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Eine Gegebenheit, die insbesondere auf seine Zeitlosigkeit zurückzuführen ist, denn da der Roman weder konkrete Zeit- noch Ortsangaben enthält, kann er problemlos im Kontext anderer Kriege

54 Vgl. Ebd. 55 Sandra Luzina. »Hafen der Hoffnung. Gorki Theater: Hakas Savas Micas erzählt von Flucht und Heimatlosigkeit in ›Die Nacht von Lissabon‹«. Spielzeit (Der Tagesspiegel), 30.12.2018, 2. 56 Vgl. ebd. 57 Vgl. »Die Nacht von Lissabon. Erich Maria Remarque«. https://www.theater-osnabrueck.de/ spielplan/spielplandetail.html?stid=715&auid=935525 (abgerufen am 17.03.2020).

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der heutigen Zeit gesehen werden.58 Vor dem Hintergrund des Beginns sowie des Endes des Ersten Weltkrieges vor einem Jahrhundert in den Jahren 2014 und 2018 als auch der Erinnerung an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 tritt dieses Phänomen ganz besonders in Vorschein: Im Rahmen zahlreicher Lesungen und Veranstaltungen anlässlich dieser Jahrestage wird vor­ wiegend aus Remarques Roman Im Westen nichts Neues gelesen und zitiert. Dass sich jedoch nicht nur deutsche Leser mit den Geschehnissen, insbesondere mit den Gefühlen der einzelnen Protagonisten der Werke Remarques identifizieren können, wird mit einem Blick auf die weltweite Rezeption – in dieser Ausgabe an einigen Beispielen verdeutlicht – schnell ersichtlich. Solange es Kriege, Verfolgung und Vertreibung auf der Welt gibt, werden auch die Romane Remarques im Kontext dieser Zeit gelesen und als Mahnmale ver­ standen werden. Erich Maria Remarque beweist mit seinen Romanen jeden Tag aufs Neue, dass wir solcher Meisterwerke dringend bedürfen, da sie mit ihrer Kraft, ihrer Aktua­ lität und ihrem bleibenden Wert uns allen als Mahnung dienen sollten, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

58 Vgl. Thomas F. Schneider. »Das Kriegsbild des ›einfachen‹ Soldaten. Erich Maria Re­ marques ›Im Westen nichts Neues‹ und die westliche kulturelle Tradition«. Literaturkritik.de, 08.10.2008, https://literaturkritik.de/id/12392 (abgerufen am 19.12.2019).

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Peter Eickmeyers Illustration der Lehrerszene aus seiner und Gaby von Borstels Graphic novel Im Westen nichts Neues. Originalgraphik im Erich Maria Remarque-Friedenszen­ trum Osnabrück.

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Mit Remarque Schülerinnen und Schüler bewegen Ein Erfahrungsbericht

Dieses Buch gehört in die Schulstuben, die Lesehallen, die Universitäten, in alle Zeitungen, in alle Funksender, und das alles ist noch nicht genug.1

Carl Zuckmayer forderte 1929 sicherlich als einer der Ersten, Im Westen nichts Neues müsse in den Schulen gelesen werden, die Zeitung Dresdner vom 30.12.2019 bei Redaktionsschluss für diesen Artikel vermutlich als letztes: Im Westen nichts Neues. Ist das Buch eigentlich noch Schullektüre? Wenn nicht, sollte es das wohl unbedingt wieder sein. Nicht ohne Grund gilt der Roman von Erich Maria Remarque als der Antikriegsroman schlechthin. [...] Der Roman stellt auch die wichtigsten Fragen: Was macht ein Krieg mit einem Soldaten? Wie spricht man jenen gegenüber vom Krieg, die ihn nicht erlebt haben? Was ist Krieg in Zeiten des Friedens?2

Sollte Im Westen nichts Neues tatsächlich Schullektüre sein? Und wenn ja, für wen? Für welche Fächer? Mit welchem Ziel? Und nur Im Westen nichts Neues? Warum nicht auch die anderen Romane für andere Themen? Kann das funktionieren?

1 Carl Zuckmayer. »Erich Maria Remarque: ›Im Westen nichts Neues‹«. Berliner Illustrierte Zeitung, 31.01.1929, also direkt nach Erscheinen des Buches. Inwiefern sich die äußerst positive Rezension um eine Auftragsarbeit handelt, ist nicht gesichert. Auch Ernst Toller fordert dann in seiner Rezension zu »Im Westen nichts Neues«. Literarische Welt, 22.02.1929, eine Behandlung des Buches im Schulunterricht. Mit seiner Rezension des Romans Im Westen nichts Neues in der zu seiner Zeit bedeutendsten Literaturzeitschrift rückt Toller das Buch erstmals in die Nähe des Pazifismus, was in den Ullstein-Blättern bis dahin bewusst vermieden worden war, um der Rezeption keine Richtung vorzugeben. 2 »11. Samstag. Premiere«. Dresdner, 30.12.2019, 25; zugleich Hinweis auf eine der zahlreichen Theaterinszenierungen des Romans in den letzten Jahren in Deutschland.

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Wie reagieren Schülerinnen und Schüler (SuS) auf die nicht immer einfachen Stoffe, denen Remarque sich in seinen Romanen und anderen Texten widmete? Dieser Beitrag soll neben der Frage, welche Unterrichtsmaterialien und didaktischen Anregungen aktuell zur Verfügung stehen und wie sie eingesetzt werden können, auch beschreiben, welche Erfahrungen die MitarbeiterInnen des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in den letzten 20 Jahren gesammelt haben bei ihrem Versuch, SuS mit Remarques Leben und Werk zu bewegen, d.h. zu berühren, zum Nachdenken anzuregen, Kompetenzen zu entwickeln und mit ihnen zu diskutieren. Häufige Kritikpunkte von DeutschlehrerInnen an Im Westen nichts Neues sind bis heute u.a. die Fäkal- und Umgangssprache, die drastische Schilderung von Verwundung und Zerstörung – physisch wie psychisch – sowie erotische Szenen. Vor allem aber sorgen die hohen Verkaufszahlen – Im Westen nichts Neues war bereits 1929 ein ausgesprochener Bestseller und ist es weltweit bis heute – bei vielen LehrerInnen dafür, dass dem Roman die nötige Qualität zur Behandlung im Unterricht abgesprochen wird. Erich Maria Remarque formuliert es in einem Interview mit Friedrich Luft aus dem Jahr 1963 sehr zutreffend: Remarque: [...] in Deutschland ist der Erfolg ja nicht immer gleichbedeutend mit Qualität. In Amerika hat man eine ganz andere Auffassung davon. Da denkt man, Erfolg ist nicht gegen Qualität, sondern es kann auch mit Qualität zusammenhängen. Luft: Während es bei uns immer etwas den leichten Beigeschmack hat, nun, so wahnsinnig gut kann es nicht sein, es gefällt zu vielen. Remarque: Gefällt zu vielen, und es ist nicht langweilig, das ist auch eine wichtige Sache.3

Harald Kloiber, der eine der ersten umfassenden Unterrichtsreihen für die Mittelstufe entwickelt hat, hingegen liefert gute Gründe für eine Behandlung des Romans im Unterricht: Im Westen nichts Neues war nicht nur ein großer Publikumserfolg in Deutschland, sondern wurde auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt, so dass es zweifelsohne zur Weltliteratur zählt. Der Roman ist außerdem unbestreitbar ein Klassiker der Moderne und kann paradigmatisch für den Kriegsroman der Weimarer Republik stehen.4 3 Friedrich Luft. »Das Profil. Gespräch mit Erich Maria Remarque«. Sender Freies Berlin/ARD, 03.02.1963. 4 Harald Kloiber. »Im Westen nichts Neues – Ein Unterrichtsprojekt für die Mittelstufe«. Thomas F. Schneider (Hg.). Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1998 (Erich Maria Remarque-Jahrbuch/Yearbook 8; Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs 12), 500.

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Pädagogisch wertvoll ist die Beschäftigung mit Kriegs- und Antikriegsliteratur zweifelsohne, kann sie doch einen »konstruktiven Beitrag zur Friedenspädagogik« leisten.5 Ein Großteil der Jugendlichen in Deutschland hat – zum Glück – keine eigenen Kriegserlebnisse, aus denen sich eine Haltung für oder gegen Krieg gewinnen lassen. Zugleich aber nimmt durch die seit 2015 verstärkten Fluchtbewegungen aus u. a. Syrien, Iran, Irak, Afghanistan, der Türkei sowie zahlreicher nord- und zentralafrikanischer Länder die Zahl traumatisierter Kinder und Jugendlicher auch in deutschen Schulklassen zu. Sie stoßen häufig auf Grenzen, ihre Erfahrungen vermitteln zu können – ein Phänomen, das spätestens seit dem Ersten Weltkrieg in das Bewusstsein der Menschen rückte, als eine ganze Generation heimkehrte und nicht nur nahezu unfähig war, in das friedliche, bürgerliche Leben zurückzukehren, sondern sich auch nur schwer oder gar nicht mitteilen konnte. Der Roman sowie sicherlich auch die beiden Verfilmungen von Im Westen nichts Neues von 1930 und 1979 bieten daher eine gute Möglichkeit, die »furchtbare Realität [des Krieges] mit all ihren Folgelasten für die Menschen konkret kennenzulernen«.6 Dennoch befinden sich weder Buch noch Film in den Kerncurricula für das Fach Deutsch oder Geschichte, allenfalls Auszüge des Romans für den Themenkomplex »Neue Sachlichkeit«. Nicht einmal an den Schulen in Osnabrück, der Geburtsstadt des Autors, sind der Roman Im Westen nichts Neues oder ein Besuch des Remarque-Friedenszentrums verpflichtend. Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen, durch die Wiedereinführung des Abiturs nach 13 Jahren für die Klassen 10 oder 11 die Beschäftigung mit Remarque fest in den Unterricht einzubauen. Bisher konnten sich nur wenige Schulen dazu entschließen – Gründe dafür habe ich eingangs erwähnt. Unterrichtsmaterialien zu Im Westen nichts Neues Lediglich im Jahr 2016 war der Roman für das Zentralabitur in Niedersachsen im Fach Deutsch »verbindliche Lektüre« zur Behandlung des Themas »literarische Versuche zur Bewältigung der ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹«.7

5 Siehe Peter Bekes. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. München: Oldenbourg, 1998 (Oldenbourg Interpretationen 90), 97. 6 Ebd. 7 Siehe z.B. »Prüfungsrelevante Wahlpflichtmodule und Materialien«. Niedersächsisches Kultusministerium. Deutsch – Hinweise zur schriftlichen Abiturprüfung 2016, 07.2013, https://www.nibis.de/fachbezogene-hinweise-und-thematische-schwerpunkte-2016_8033 (letzter Zugriff 05.02.2020).

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Neben den wenigen, schon vorher entstandenen didaktischen Hilfestellungen8 wurden speziell für diese Abiturvorbereitung zwei Arbeitshefte entwickelt, die sich nach Aussagen von LehrerInnen und SuS gut eignen, einen im Schulalltag eher wenig berücksichtigten Themenkomplex aufzubereiten und zu vermitteln. Das im Klett-Verlag (Stuttgart) erschienene »Themenheft Zentralabitur« Literatur und Krieg. Prosa zum I. Weltkrieg – Remarque, Köppen, Jünger. Kriegsgedichte aus verschiedenen Jahrhunderten9 deckt neben dem o. g. Thema des Zentralabiturs auch »Krieg in Gedichten aus verschiedenen Jahrhunderten« ab und bietet somit ein umfassendes Angebot für ein komplettes Schulsemester. Ausgehend von der »Welt vor 1914 und nach 1914« erhalten die SuS Impulse (kurze Texte, Abbildungen, Grafiken) zu verschiedensten Fragestellungen, denen jeweils Auszüge aus den Werken der im Titel genannten Autoren zugeordnet werden. »Sichtweisen und Deutungen des Ersten Weltkrieges« sowie unterschiedliche Erzählformen bei Köppen und Jünger vertiefen den Themenkomplex Erster Weltkrieg. Der Bereich »Kriegsgedichte« vereint Texte, die zwischen 1663 (Andreas Gryphius) und 2003 (Iron Maiden) entstanden sind, wobei auch Udo Lindenberg mit seinem Liedtext Wozu sind Kriege da? nicht fehlt. Ergänzt um »Merkwissen zum Nachschlagen« und einem Schreibtraining ist das knapp 90seitige Heft eine umfassende und sichere Grundlage zur Vorbereitung, wobei die Möglichkeit zum Vergleich stilistisch und auch politisch unterschiedlichster Werke die Möglichkeit bietet, Kompetenzen zur kritischen Analyse zu entwickeln. Ebenfalls 2014 erschien im Schöningh-Verlag in der Reihe »EinFach Deutsch« eine von Christiane Mersiowsky verfasste Unterrichtshilfe zu Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues und weitere Texte zum Krieg,10 die »Lehrerinnen und Lehrern erprobte und an den Bedürfnissen der Schulpraxis orientierte Unterrichtsmodelle zu ausgewählten Ganzschriften und weiteren relevanten Themen des Faches Deutsch«11 bieten soll. Leider beziehen sich bei Mersiowsky – im Gegensatz zu der oben beschriebenen Handreichung im Klett-Verlag – sämtliche Angaben zum Roman auf die bereits 1998 im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienene Ausgabe von Im Westen nichts Neues und nicht auf die im gleichen Verlag

8 Neben Harald Kloiber und Peter Bekes seien hier noch erwähnt: Hubert Rüter. Remarque. Im Westen nichts Neues. Ein Bestseller der Kriegsliteratur im Kontext. Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh, 1980; Wolfhard Keiser. Textanalyse und Interpretation zu Erich Maria Remarque »Im Westen nichts Neues«. Hollfeld: Bange, 2012 (Königs Erläuterungen 433). 9 Maximilian Nutz. Literatur und Krieg. Prosa zum I. Weltkrieg – Remarque, Köppen, Jünger. Kriegsgedichte aus verschiedenen Jahrhunderten. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett, 2014 (Themenheft Zentralabitur). 10 Christine Mersiowsky. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues und weitere Texte zum Krieg. Hg. v. Johannes Diekhans. Paderborn: Schöningh, 2014 (EinFach Deutsch, Unterrichtsmodell). 11 Ebd., »Vorwort«, 5.

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2014 erschienene Neuausgabe, herausgegeben von Thomas F. Schneider,12 die eine andere Paginierung aufweist. Diese Neuausgabe wurde um zahlreiche Materialien ergänzt, die die Entstehung, Vermarktung und Rezeption des Romans beleuchten, vor allem im Hinblick auf die Frage, was Im Westen nichts Neues die weltweite Bedeutung als wichtigstem Antikriegsroman zukommen ließ – eine Frage, die auch im »EinFach Deutsch«-Heft behandelt wird. Da die hier zitierte Ausgabe seit 2014 im regulären Buchhandel nicht mehr erhältlich ist, ist es für LehrerInnen mühsam, die Angaben auf die neue Edition anzupassen. Ein Umstand, der sich hätte vermeiden lassen können, da sowohl die Neuausgabe lange im Voraus angekündigt wurde und auch die MitarbeiterInnen des Remarque-Friedenszentrums hätten Auskunft geben können – so sie denn gefragt worden wären. Christine Mersiowsky unterteilt ihre Handreichung in sechs Bausteine, die jeweils durch Arbeitsblätter und Unterrichtsvorschläge ergänzt werden: – Einstieg in den Roman (historischer Hintergrund, Titel und Vorwort, Lektürephase) – Figurenkonstellation des Romans (Protagonisten, Antagonisten) – Krieg als zentrales Thema des Romans (Darstellung und Bewertung, Die verlorene Generation, Krieg als moralisches Dilemma/Duval-Szene) – Erzähltechnik des Romans (Aufbau und Struktur, Sprache und Stil) – Rezeption und Wirkung des Romans (Zeitgenössische Kritik, Entstehung einer Legende, Eigene Rezeption) – Umgang mit Kriegserfahrung – Literatur im Vergleich (Köppen, Jünger, Böll)

Die 152 Seiten umfassende »EinFach Deutsch«-Ausgabe bietet einen umfassenden Zugang zum Roman, dem Kontext der Entstehung und Rezeption sowie der Darstellung und Interpretation von Kriegserlebnissen. Die Rückmeldungen von zahlreichen LehrerInnen sind durchweg positiv (abgesehen von den Seitenangaben), häufig sind sie dankbar für die komplexen, aber dennoch gut verständlichen Anleitungen sowie die kreativen und überwiegend einfach umzusetzende Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung. Unterrichtsmaterialien des Remarque-Friedenszentrums Die von Ulrike Franz zusammengestellten Unterrichtsmaterialien zu Im Westen nichts Neues13 enthalten außer der schon angesprochenen Unterrichtsreihe von 12 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Hg. von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014. 13 Ulrike Franz. Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Unterrichtsmaterialien für den Unterricht in den Sekundarstufen I und II und an Berufsbildenden Schulen. Osnabrück: Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, 2006.

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Harald Kloiber ausschließlich Materialien zur Erarbeitung der Entstehung und Wirkung des Romans: – – – – –

Erster Weltkrieg allgemein (Verdun, Ypern, Feldpostbriefe) Remarque im Ersten Weltkrieg Entstehung / Romanaufbau / Werbekampagne des Ullstein-Verlages Rezeptionsgeschichte Film- / Theater- / Opernadaption

Alle Materialien lassen sich mit Kloibers Vorschlägen zur Unterrichtsgestaltung kombinieren und stellen daher eine gute Basis dar, sich mit der Themenwelt rund um den Roman zu beschäftigen. Einen ganz anderen Zugang zum Roman Im Westen nichts Neues, dem Thema »Erster Weltkrieg/Krieg« sowie weiteren Genres wie Film, Kunst und Fotografie bietet die Graphic Novel von Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel,14 die insbesondere für die Fächer Deutsch, Kunst und Geschichte geeignet ist (Klasse 9 bis Sek. II). Zwei eigens zur Graphic Novel erstellte Wanderausstellungen15 – nicht 14 Peter Eickmeyer, Gaby von Borstel. Im Westen nichts Neues. Eine Graphic Novel nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Bielefeld: Splitter, 2014. 15 Erläuterungen zu den beiden Wanderausstellungen mit Orginal-Graphiken sowie Erläuterungen zur Graphic-Novel finden sich unter https://www.remarque.uni-osnabrueck.de/ wandern.htm.

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nur für Schulen – werden ergänzt durch Unterrichtsmaterialien von Anja Boklage und Olivia Pfeiffer.16 Boklage und Pfeiffer bieten eine »Sammlung an Erläuterungen und Ideen für eine Einbindung der Graphic Novel […] in den Unterricht« und somit »eine Hilfestellung für Lehrkräfte«. Formale Aspekte wie der Umgang mit Text, Farbe oder Perspektive, Panelgestaltung und Text-Bild-Beziehungen im Medium Graphic Novel werden ebenso übersichtlich erläutert und mit Arbeitsblättern vertieft wie inhaltliche Aspekte, wobei das Motiv der Mohnblumen, Picassos Guernica oder Zeichnungen von Egon Schiele oder Otto Dix ebenso in die Vermittlung einbezogen werden wie Fotografien. Medienästhetisches Lernen wird hier gleichermaßen unterstützt wie historisches Wissen zum Thema »Krieg«. Der zweite große Themenkomplex Remarques sind das Exil und alle damit verbundenen Erfahrungswelten. Die Romane Liebe Deinen Nächsten, Arc de Triomphe, Die Nacht von Lissabon und auch Schatten im Paradies bieten SuS einen guten Zugang zu der Frage, wie vertriebene und verfolgte Menschen sich fühlen, wenn sie über Grenzen hin und her geschoben werden, ihre Familien verlassen müssen, ums Überleben kämpfen und ihre Erwartungen an das »gelobte Land« doch nicht alle erfüllt werden (können). Nicht erst seit den größeren Fluchtbewegungen ab 2015 sind vor allem Liebe Deinen Nächsten und Die Nacht von Lissabon aktueller denn je. Allgemein zum Thema »Exilliteratur« hat ebenfalls Ulrike Franz Materialien zusammengestellt,17 die zu allen vier Exil-Romanen Hintergrundinformationen liefern. Dabei werden Forschungsergebnisse aus Examensarbeiten und wissenschaftlichen Publikationen ebenso integriert wie Rezensionen, Ankündigungen zu den Verfilmungen sowie Studien zu Remarques eigener Exil-Zeit. Speziell zum Roman Die Nacht von Lissabon ist aus einer erprobten Unterrichtsreihe an einer BBS in Osnabrück eine Materialsammlung entstanden,18 die neben dem Bezug zur Heimatstadt Remarques auch Schwerpunkte wie »Internierungslager«, »Liebe« oder »Mord als Befreiung?« beinhaltet, sich aber auch mit Remarques Biografie sowie seiner Zeit im Exil ebenso beschäftigt wie mit dem Osnabrücker Künstler Felix Nussbaum, der vermutlich 1944 in Ausschwitz ermordet wurde.

16 Anja Boklage, Olivia Pfeiffer. Peter Eickmeyers Graphic Novel zu Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Erläuterungen und Unterrichtsvorschläge. Fächer: Deutsch (Kunst und Geschichte), Klasse: 9 bis Sek. II. Osnabrück: Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, 2018. 17 Ulrike Franz. Exilliteratur. Unterrichtsmaterialien für den Unterricht an den Sekundarstufen I und II und an Berufsbildenden Schulen. Osnabrück: Erich Maria Remarque-Friedenszen­ trum, 2007. 18 Katrin Schaaf, Cornelia Wenning. Unterrichtsreihe zu dem Roman »Die Nacht von Lissabon« von Erich Maria Remarque in einer Klasse 12 der Fachoberschule. Osnabrück: BBS Natruper Straße, 2003/2004.

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Praktisches Arbeiten mit SuS Die Arbeit mit SuS im Remarque-Friedenszentrum begann – damals noch im Remarque-Archiv im Altbau der Universitätsbibliothek Osnabrück – Anfang der 1990er Jahre mangels geeigneter Räumlichkeiten zunächst in kleinen Gruppen mit ausgewählten Fotos, später dann als Dia-Vortrag zu Biografie und Werk. Schnell fiel auf, dass SuS ab der 8. Klasse sich durchaus für die Themen Krieg/Pazifismus, Werte/Ideale, Eigenverantwortung etc. begeistern lassen, wenn sie anhand der Lebensweise und der damit verbundenen Konsequenz Remarques geschildert bekommen, wie »durchschnittliche, ganz normale« Menschen diese Themen in ihr Leben integrieren können. Seit dem Umzug in die Räumlichkeiten am Markt und der Eröffnung einer Dauerausstellung zum 100. Geburtstag des Autors im Jahre 1998 bieten sich zusätzliche Möglichkeiten, mit SuS zu arbeiten. Führungen durch die Ausstellung inklusive kleinem Quiz, Führungen durch die Stadt »auf den Spuren Remarques« sowie Workshops mit Filmausschnitten oder Archivmaterial wurden von Anfang an gut genutzt. Abgesehen von den Jahren 2014 und 2015, in denen das Thema »100 Jahre Erster Weltkrieg« zu einem verstärkten Besuch auch von Schulklassen führte, nutzen jährlich etwa 50 Klassen das Angebot einer Führung durch die Dauerausstellung, oft ergänzt um die Stadtführung oder einen Workshop in den Räumlichkeiten des Remarque-Archivs, das sich direkt unterhalb des Ausstellungsbereichs befindet. Darüber hinaus buchen jedes Jahr bis zu 30 weitere SuSgruppen die sich intensiv mit einzelnen Fragestellungen beschäftigenden Workshops (also ohne Führung durch die Dauerausstellung). Das Angebot, diese Workshops auch in den Schulen durchzuführen wird angesichts schrumpfender Etats und gestrichener »Wandertage« von vielen LehrerInnen gerne wahrgenommen. Aber auch als »außerschuli124

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scher Lernort« gewinnt das Erich Maria Remarque-Friedenszentrum zunehmend an Bedeutung,19 so dass allein 2019 gut 1.600 SuS betreut werden konnten. Den MitarbeiterInnen des Remarque-Friedenszentrums geht es bei ihrer Arbeit mit SuS weniger darum, ausschließlich Im Westen nichts Neues vorzustellen oder das aufregende Leben Remarques mit seinen Kontakten zu berühmten Persönlichkeiten, Reisen in ferne Länder, seiner außergewöhnlichen Kunstsammlung oder seinem exklusiven Lebensstil näherzubringen. Auch die schriftstellerische Arbeit als solche mit den über 500 unselbständigen Veröffentlichungen (Essays, Gedichte, Reportagen, Werbetexte, Erzählungen, Fortsetzungsromane), 13 Romanen, einem zu Lebzeiten veröffentlichten Theaterstück und Drehbüchern soll nicht nur im literarischen Kontext vermittelt werden. Vielmehr werden die – Remarque selbst wichtigen – Themen, Ideale und Werte in den Vordergrund gestellt, die in seinen Texten und in seinem Leben den ›roten Faden‹ darstellen und die auch die Arbeit des Friedenszentrums insgesamt nachhaltig prägen: Pazifismus, Humanismus, Eigenverantwortung, kritisches Denken. Im Folgenden wird anhand eines Workshops dargestellt, wie sich mit Hilfe von Ausschnitten aus einer der Verfilmungen diese Werte und somit Remarques Intention vermitteln oder den SuS zumindest nahebringen lassen. Workshop »Was ist Krieg?« Der Workshop »Was ist Krieg? Was macht Krieg mit Menschen?« wird am häufigsten gewählt, da er zum einen bereits ab der 8. Klasse durchgeführt werden kann, zum anderen sich sowohl für das Fach Deutsch als auch für das Fach Geschichte eignet und im Grunde kaum Vorkenntnisse erfordert. Der Roman Im Westen nichts Neues muss nicht gelesen sein, sinnvoll ist es jedoch, wenn das Thema Erster Weltkrieg bereits im Unterricht behandelt wurde. Anhand von Filmausschnitten aus der Romanverfilmung Im Westen nichts Neues von 1930, die für das Genre Film/Kriegsfilm weltweit ähnliche Bedeutung gewonnen hat wie der Roman, wird der Frage nachgegangen, aus welchen Gründen junge Menschen sich 1914 freiwillig gemeldet haben – und wie das in der Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland wäre. Ebenso wird erarbeitet, welche sinnlichen Erfahrungen (Hören, Sehen, Fühlen) ein kämpfender Soldat im Krieg macht und welche psychischen Folgen daraus entstehen können (Posttraumatische Belastungsstörung). Die Diskussion mit Filmszenen dauert in der Regel 1,5 Stunden (= 2 Schulstunden) und wird wie alle Workshops sprachlich und hinsichtlich der Komplexität der Fragestellungen an das fachliche Niveau der SuS angepasst. 19 Zur Zeit entsteht an der Universität Osnabrück eine Masterarbeit zu Außerschulische Lernorte im Deutschunterricht und die Möglichkeiten des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums (Arbeitstitel) durch Jonas Gutendorf.

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Werbung für den Krieg In der Verfilmung von 1930 (Regie: Lewis Milestone) sind die Geschehnisse des Romans chronologisch geordnet, entsprechend beginnt der Film mit einer Szene in der Schule, wo der Lehrer Kantorek eine Schulklasse dazu überredet, sich geschlossen freiwillig zum Krieg zu melden. Für SuS, die das Buch bereits gelesen haben, erfolgt hier oft der erste »Aha-Effekt«, dass eine Verfilmung nicht mit der Romanvorlage gleichgesetzt werden und dass das Anschauen des Films das Lesen des Buches nicht ersetzen kann. Die SuS erhalten die Aufgabe, die Argumente des Lehrers zu notieren, warum die Klasse um Paul Bäumer sich melden sollte. Wie beschreibt Kantorek seine Erwartungen an die Schüler, welche Aufgaben liegen vor ihnen? Darüber hinaus sind die vom Lehrer verwendeten rhetorischen Mittel sowie die wichtigsten Begriffe zu erarbeiten, ebenso der Einsatz von Sprache, Mimik und Gestik und natürlich auch die Reaktion der Schulklasse. Vor allem der Wendepunkt, wenn auf Pauls Entscheidung als »Primus« der Klasse gewartet wird, spielt eine Rolle bei der Frage nach Autoritäten und Beweggründen, sich freiwillig zu melden (Gruppenzwang). Den SuS wird in der Regel schnell bewusst, dass Kantorek ausschließlich positiv über das Kriegserlebnis berichtet, dass alles Negative (Verwundungen, Tod) ausgespart oder heruntergespielt wird. Auch der Einsatz rhetorischer Fragen als manipulierendes Element wird hervorgehoben sowie die Betonung bestimmter Begriffe wie »eiserne Jugend«, »Ehre«, »Pflicht« und vor allem »Vaterland«. Ganz besonders der Einsatz zahlreicher Adjektive wie »eisern«, »stark«, »heldenhaft« etc. verdeutlicht die manipulierende Macht bildhafter Sprache, die in »guter« (=  wirkungsvoller) Werbung eingesetzt wird. Die SuS begreifen häufig schnell, dass die Wahl der Adjektive ausschlaggebend für die so genannten »inneren Bilder« und damit auch für Emotionen sind und nicht unbedingt die Realität abbilden, sondern lediglich attraktiv sein müssen. 126

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Eigene Meinung? Die Führungsrolle Paul Bäumers als »Primus« muss ausführlicher erklärt werden, da zum einen der Begriff »Primus« unbekannt und heute ja auch nicht mehr geläufig, zum anderen schwer verständlich ist, warum der Klassenbeste als Entscheidungsträger für eine so wichtige Frage wie den freiwilligen Kriegsdienst fungiert. Herausgearbeitet wird dann, dass zur damaligen Zeit dem Klassenbesten offensichtlich aufgrund seines Wissens und seiner Intelligenz die richtige Entscheidung zugetraut wird. Die dann anschließende Diskussion, welchen Stellenwert heutzutage Klassenbeste häufig haben (Streber, Außenseiter) führt zu der Frage, wie denn heute ein Klassensprecher gewählt wird. Dabei kommen ganz andere Kriterien zur Sprache wie beispielsweise Loyalität, Mut, Persönlichkeit, Fairness. Provokativ wird die These aufgestellt, dass der gewählte Klassensprecher dann ja wohl auch darüber entscheiden könne, ob die ganze Klasse sich freiwillig zum Kriegsdienst melden sollte oder nicht, was regelmäßig zu Entrüstung und Kopfschütteln führt – und ja auch dazu führen soll. Danach gefragt, wer denn dann für die SuS etwas so Wichtiges entscheiden würde, kommt in der Regel ein entschiedenes »Ich/Wir selber«, woraufhin durch weiteres Fragen herausgearbeitet wird, dass die Möglichkeit zur Meinungsfreiheit und freien Meinungsäußerung bereits im Grundgesetz verankert ist – also ein garantiertes Grundrecht ist, auch und gerade, um solche Manipulationen durch Autoritäten zu verhindern. In diesem Zusammenhang spielt auch das Ende der »Lehrerszene« eine wichtige Rolle, in der der Mitschüler Behm durch den Druck der Gruppe überredet wird, mitzugehen. Folgerichtig lässt Remarque Behm als ersten aus der Gruppe sterben – den SuS im Workshop wird schnell klar, dass Gruppenzwang fatal sein kann und dass man zum einen bei seiner Überzeugung bleiben und zum anderen die andere Meinung des Gegenübers gelten lassen sollte. Auch dass Krieg willkürlich tötet und es keine Rolle spielt, ob ein Soldat freiwillig oder gezwungenermaßen kämpft, wird hier mehr als deutlich. »Ich darf auch Nein sagen« ist hier ein wichtiges Lernziel. Wofür eigentlich? Die spezielle Formulierung »Für Kaiser, Gott und Vaterland« wird ausführlicher besprochen, vor allem im Vergleich zur aktuellen Situation in Deutschland. Beim Beschreiben der Unterschiede zwischen den Machtbefugnissen des damaligen Kaisers und der heutigen Bundesregierung, vertreten durch Kanzler/Kanzlerin und Präsident/Präsidentin ist den SuS zumeist klar, dass die heutige Demokratieform, mit u.a. der Gewaltenteilung, ein Ergebnis der Geschehnisse im so genannten »Dritten Reich« ist. In der Diskussion gelingt es dann, den ›roten Faden‹ bereits ausgehend vom Ersten Weltkrieg zu sehen und zu verstehen, dass die Schutzmechanismen der heutigen Verfassung ihren eigentlichen Ursprung in diesem Krieg haben. Bei der Diskussion, ob die Bürger der BRD »für Gott« in den Krieg geschickt werden könnten, werden sich die SuS darüber bewusst, dass neben Religions127

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freiheit auch die Vielzahl an Religionen, vor allem aber die strikte Trennung von Religion und Staat es heutzutage nicht mehr ermöglichen, dieses Argument anzubringen. »Religion ist Privatsache« wird als Vorteil gesehen und die erlaubte Parallelität von Nicht-Glauben und diversen Religionen als Freiheit. Den Begriff »Vaterland« zu erläutern, ist für viele SuS überraschend schwierig. Von »wo ich geboren bin«, »wo ich gerne leben möchte« bis schließlich »wo mein Vater/meine Vorfahren geboren sind« ist alles dabei. Nachdem bewusst gemacht wurde, dass es tatsächlich »das Land meiner Väter« bedeutet, wird auch schnell klar, warum es heutzutage wenig Sinn macht, diesen Begriff für die Motivation zum Kriegseinsatz zu nutzen. Es gäbe durch die Einwanderung, aus welchen Gründen auch immer, »zu viele Vaterländer« und zudem sei der Begriff durch den Missbrauch durch die Nationalsozialisten negativ geprägt. Nachdem bearbeitet wurde, dass die Begriffe »Kaiser, Gott und Vaterland« heute nicht mehr funktionieren, um Jugendliche dazu zu bewegen, sich freiwillig zu melden, stellt sich die Frage, worin denn die aktuelle Motivation liegen könnte, dass sich dennoch junge Menschen z.B. freiwillig zur Bundeswehr melden und damit die Möglichkeit aktiver Kriegseinsätze wählen. Es gibt keine Gruppe, die darauf nicht mit »Geld«, »Karriere« und »gute Ausbildung/gutes Studium« antwortet, was klar macht, dass es auch heute Gründe gibt, diesen Weg zu wählen. Dennoch ist eine Diskussion über den wichtigsten Leitspruch der Bundeswehr angebracht: »wir.dienen.deutschland.« Bei näherer Betrachtung fällt den SuS schnell auf, dass alle drei Begriffe denen des Lehrers Kantorek aus Im Westen nichts Neues ähneln, dass es auch heute um die Unterordnung des Individuums geht, das im wir verschwindet. Dass »dienen« ebenfalls ein sich Regeln fügen, sich einem höheren Wert unterzuordnen bedeutet und dass zwar nicht vom Vaterland, wohl aber vom Staat Deutschland die Rede ist – aus oben genannten Gründen. Ihnen wird ebenfalls bewusst, dass beim Eintreten in die Bundeswehr ein Vertrag geschlossen wird, der auf der einen Seite eine gute Besoldung, gute Ausbildung und Karriere ermöglicht, auf der anderen Seite aber gegebenenfalls mit dem Leben zu bezahlen ist. Lernziel dieser Diskussion ist nicht, diesen Weg abzulehnen, sondern im Falle der Entscheidung dies mit dem Wissen um mögliche Konsequenzen eigenverantwortlich zu tun. Den SuS wird verdeutlicht, dass die Werbung der Bundeswehr ähnlichen Mechanismen folgt wie die Rede Kantoreks, nämlich Bedürfnissen der jeweiligen Zeit folgt und dass es gilt, diese kritisch zu hinterfragen. Werbung vs. Realität Mit der Phrase »dann schauen wir mal, ob der Krieg hält, was die Werbung verspricht« wird zur zweiten Szene aus der 1930er-Verfilmung von Im Westen nichts Neues übergeleitet, zur so genannten »Schlachtsequenz«. Bei der Aufgabenstellung wird betont, dass es wenig Sinn macht, über die Unterschiede zu aktueller Kriegsführung (Terror-Kriege, unklare Fronten etc.) zu sprechen, ebenso wenig 128

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über größere Reichweiten von Waffen oder die Möglichkeit unbemannter Angriffe durch Drohnen etc. Vielmehr soll im Fokus der Betrachtung das sinnliche Erleben des einzelnen Soldaten stehen. Die SuS werden gebeten, genau zu beschreiben, was Paul Bäumer und seine Kameraden visuell, auditiv, kinästhetisch und emotional erfahren. Einige Beispiele für visuell (was genau bekommt der Soldat zu sehen): »Explosionen« z.B. soll näher differenziert bzw. beschrieben werden durch »umherfliegende Leichenteile«, »Rauch«, »spritzendes Wasser und Erde«; »Tote und Verwundete« durch »aufgerissene Körper«, »verrenkte Gliedmaßen«, »verzerrte Gesichter«; »zerstörte Landschaft« durch »Erde«, »tiefe Krater«, »abgestorbene Bäume«, »Stacheldraht«; ergänzt z.B. um »auf mich zu rennende Soldaten in Uniform mit Waffen in der Hand«. Einige Beispiele für auditiv (welche Geräusche nimmt er wahr): »Explosionen« soll näher bestimmt werden durch »Krachen«, »Knallen«, »Dröhnen«; »Granaten« durch »Pfeifen«, »Zischen«; »Maschinengewehr« durch »Knattern«, »Rattern«; »die Verwundeten« durch »Jammern«, »Stöhnen«, »Wimmern«, »um Hilfe rufen«; »Schreie« differenziert in »Schmerzensschreie«, »Befehle«, »Angriffsgebrüll«, »Angstschreie«; ergänzt um z.B. das »Atmen der Kameraden«, »Schritte der Angreifer«, »Platschen der Erde beim Herunterprasseln«. Einige Beispiele für kinästhetisch (was genau fühlt sein Körper): »Wärme«, »Kälte«, »Schmerz«, »Nässe«, »Hunger«, »Erschütterungen«. Einige Beispiele für emotional (welche Gefühle kannst du bei den Soldaten wahrnehmen): »Angst«, »Ekel«, »Entsetzen«, »emotionslose Starre«, »Konzentration«, »Aggressivität«, »Schuld«. Häufig fällt es SuS schwer, im Detail zu beschreiben, was sie gesehen und gehört haben, doch sobald sie den Unterschied zwischen »Tote und Verwundete« vs 129

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»herausquellende Därme« und »verrenkte Gliedmaßen« verstanden haben, werden die meisten sehr kreativ in der Beschreibung des Erlebten. Verglichen mit der Romanversion Im Westen nichts Neues wird festgestellt oder erläutert, dass genau diese Wörter von Remarque benutzt werden, um das Kriegserlebnis zu beschreiben, dass es dem Autor also vorrangig um das sinnliche Erleben jedes einzelnen Soldaten ging. Für die SuS ist es wichtig zu erfahren, dass Remarque das soeben von ihnen selbst gefundene Vokabular benutzte, sie also zum einen richtig in ihrer Beschreibung lagen und zum anderen der Autor im Roman ihre Sprache spricht. Die SuS sollen nun einen Vergleich mit dem sinnlichen Erleben von Soldaten in heutigen Kriegen bzw. kriegsähnlichen Situationen anstellen. Wenn auch manchmal auf die Möglichkeit unbemannter Angriffe ausgewichen wird, bei denen der Soldat dann ja »gar nicht mitbekomme, wen er tötet«, was allgemein als weniger schwerwiegend aufgefasst wird, wird dann doch schnell deutlich, dass der größere Teil der Klasse – sollte sie sich geschlossen melden – eher zum kämpfenden »Fußvolk« gehören würde wie eben die Gruppe um Paul Bäumer. Dann ist auch sofort klar, dass das Erleben von Soldaten, die aktiv kämpfen müssen, in allen Kriegen immer gleich ist – so wie durch die erarbeiteten Begriffe beschrieben. Ergänzt wird dieses Wissen durch Berichte heimgekehrter Bundeswehrsoldaten, die häufig dasselbe Vokabular benutzen bei der Beschreibung ihrer Erfahrungen. Die Allgemeingültigkeit von Remarques Roman wird ebenso erkannt wie auch die Grausamkeit von Krieg, egal aus welchen Gründen auch immer Menschen hineingehen (müssen). Immer wieder aufschlussreich ist die Erfahrung, dass nahezu in jeder Gruppe SuS sind, die sehr gut die möglichen psychischen Folgen solcher Erfahrungen beschreiben können. Häufig wird von Familienmitgliedern (Großeltern, Onkel...) berichtet, die nicht schlafen konnten, sich ständig erschrocken und versteckt haben, nicht über das Erlebte sprechen wollten, nicht arbeiten gehen konnten etc. Die »Posttraumatische Belastungsstörung« ist allgemein gut bekannt und wird anhand der gesehenen Szenen als sehr wahrscheinliche Folge von Kriegserleben herausgearbeitet. Plädoyer der verlorenen Generation Abschließend wird die Szene ziemlich am Schluss des Films gezeigt, in der Paul Bäumer während seines Heimaturlaubes noch einmal auf den Lehrer Kantorek trifft, der ihn bittet, den – nun viel jüngeren – Schülern zu berichten, wie es an der Front sei. Auch hier werden wieder die Kernbegriffe der Rede, diesmal gehalten von Paul, herausgearbeitet und seine Botschaft an die Schulklasse beschrieben, wobei festgestellt wird, dass Paul genau das zusammenfasst, was vorher im Workshop erarbeitet wurde. Auf die Frage, warum die jungen Schüler dem erfahrenen Soldaten nicht glauben wollen, ihn gar als »Feigling« beschimpfen, der doch zu Hause bleiben solle, 130

Mit Remarque Schülerinnen und Schüler bewegen

wird generell geantwortet, dass kein Mensch gerne das Schreckliche glaubt, sondern es vorzieht, den positiven Schilderungen zu vertrauen, vor allem wenn klar ist, dass man sich in eine ebensolche Situation zu begeben hat. Es ist ein natürlicher psychologischer Schutzmechanismus und wird von den SuS heute auch als solcher erkannt – durch die vorangegangene Diskussion ist ihnen aber bewusst, dass gerade überschwängliche Begeisterung hinterfragt werden muss und es sinnvoll ist, sich vor solch großen Entscheidungen umfassend über die Details und möglichen Konsequenzen zu informieren. Kritisches Denken/Hinterfragen Mit sehr vielen SuS entstehen intensive Diskussionen über die genannten Begriffe, über Verantwortlichkeiten, Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten der Information, über Eigenverantwortung, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung. Die traumatischen Erlebnisse von Soldaten oder allgemein Menschen im Krieg regen oft zum Nachdenken an, und viele SuS äußern nachdrücklich die Meinung, dass Kriege verhindert werden müssten und dass sie sich niemals freiwillig melden würden. Hier wäre es tatsächlich interessant, im Rahmen empirischer Erhebungen nachzuforschen, wie prägend und nachhaltig ein solcher Workshop sein kann und ob überhaupt. Spannend wäre ein »Vorher-Nachher«-Fragebogen hinsichtlich der Bewertung von Krieg, Kriegserlebnis etc. mit einer Verifizierung nach einigen Jahren. In Nachgesprächen mit LehrerInnen wird aber schon deutlich, dass die SuS nicht nur mehr Interesse an dem – für sie sehr alten – Buch von Remarque haben, sondern 131

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vor allem, dass sie kritischer auf z.B. Werbung durch die Bundeswehr schauen, sich ihrer Möglichkeiten zur Einflussnahme bewusster geworden sind  – mit welchen Konsequenzen auch immer. Damit ist eine der wichtigsten Intentionen Remarques erreicht – die Menschen zum kritischen Hinterfragen/Denken zu bewegen, um dadurch vielleicht zu pazifistischem, humanistischem Handeln zu gelangen. Weitere Workshops in Kürze Im Westen nichts Neues als Politikum Speziell zur Vorbereitung auf das Abitur 2016 wurde durch die MitarbeiterInnen des Remarque-Friedenszentrums ein neuer Workshop erarbeitet, in dem die SuS sich mit Hilfe von Archivmaterialien über Entstehung, Vermarktung und Rezeption von Im Westen nichts Neues informieren können. Hintergrund ist die Fragestellung: »Wie kam es eigentlich dazu, dass der Roman nach seinem Erscheinen so heftig diskutiert wurde und heute als der Anti-Kriegs-Roman weltweit gilt?« Die SuS finden durch den Workshop einen ›roten Faden‹, beginnend mit Remarques eigenem Kriegserlebnis über seine Tagebücher und ersten Romanskizzen von 1917 zur Werbestrategie des Ullstein-Verlages bis hin zur ersten Rezeption des Buches, die Im Westen nichts Neues ausschließlich als politisches Buch und eben nicht literarisch bewertete und somit eine »Stellvertreterdiskussion« um die Einordnung des Ersten Weltkrieges in Gang setzte.20 Grundlagen und Vermittlungsmöglichkeiten dieses Workshops wurden auch als Lehrerfortbildung an einigen Schulen durchgeführt. Sowohl SuS als auch LehrerInnen äußerten sich sehr positiv über die Möglichkeit, mit (z.T. Original-)Archivmaterialien zu arbeiten und somit speziell das Erich Maria Remarque-Archiv als außerschulischen Lernort zu nutzen. Vor allem aber konnten sich die SuS intensiver mit dem Thema beschäftigen, als es im normalen Unterricht möglich gewesen wäre, da die meisten Lehrer gar nicht die Möglichkeit gehabt hätten, sich so umfassend einzuarbeiten. Auch heute noch wird dieser Workshop angeboten und gut genutzt.

20 Siehe Thomas F. Schneider. »›Wir passen nicht mehr in die Welt hinein‹. Zur Entstehung und Publikation von Erich Maria Remarque Im Westen nichts Neues«. Nachwort in Remarque, Im Westen nichts Neues, 2014, 435–461. Die in dieser Ausgabe vorhandenen Materialien sind u.a. auch die Materialien des Workshops und reichen – zusammen mit dem Nachwort – aus, um den Kontext zu verstehen und mit SuS bearbeiten zu können. Es empfiehlt sich daher, diese Ausgabe für den Unterricht anzuschaffen.

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Medienkompetenz Medienkompetenz befähigt Schülerinnen und Schüler zu einem sachgerechten, selbstbestimmten und sozial verantwortlichen Umgang mit Medien. Mit umfangreichen Angeboten für die Qualifizierung von Lehrkräften und mit vielfältigen Maßnahmen für Kinder und Jugendliche verfügt das Land Niedersachsen über eine gute Infrastruktur für dieses Aufgabenfeld.21

Dennoch stoßen LehrerInnen häufig an ihre Grenzen z.B. im Bereich der Filmanalyse, die über inhaltliche Interpretationen und Vergleiche mit literarischen Vorlagen hinausgehen soll. Filmische Mittel, die analog zu sprachlichen Mitteln eines Textes vermittelt werden müssten, um die Intentionen von Regisseur und Film-Team zu hinterfragen und zu verstehen, sind oft nicht bekannt oder vertieft genug, um Analysen von Filmszenen adäquat durchführen zu können. Anhand des Themenfeldes »Kriegsfilm« bietet das Erich Maria Remarque-Friedenszen­ trum daher Workshops an, die sich mit dem Einsatz filmischer Mittel beschäftigen. »Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation zur Teilhabe an allen Bereichen des Lebens, d.h. an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft«.22 Daher wird in den Workshops immer auch durch die verwendeten Filme/Filmausschnitte die politische Haltung des Regisseurs herausgearbeitet, die dem Zuschauer vermittelt werden soll. Bei beiden im folgenden kurz vorgestellten Workshops ist immer wieder zu beobachten, dass vom meist unkritischen Konsumieren von Filmen übergegangen wird zum genaueren Betrachten von z.B. Kameraführung, Schnitten, Einsatz von Ton/Musik etc., so dass vom schlichten »Sich-Berieseln-Lassen« ein Wechsel zum Hinterfragen von Absichten von Filmen stattfindet. Sehr oft schließen sich Diskussionen an, ob die vom Regisseur gewünschte Wirkung funktioniert, ob sie überhaupt vom Zuschauer gewollt ist und wie man sich dieser gegebenenfalls entziehen kann. Die Erkenntnis, dass schon allein das Wissen über technische Einsatzmöglichkeiten und ihrer Wirkungsweise ausreichen kann, um »Tricks« der Manipulation durch bewegte Bilder und Ton zu durchschauen, lässt hoffen, dass einige SuS zukünftig mit mehr Kompetenz die Medienwelt Film betreten. Filmanalyse »Trichter-Szene« Drei verschiedene Verfilmungen, bzw. Synchronfassungen des Romans Im Westen nichts Neues werden bezüglich einer der Schlüsselszenen des Romans, der so genannten »Trichterszene/Duval-Szene«, miteinander verglichen. Dabei werden schauspielerische Leistung, Einsatz von filmtechnischen Mitteln (Musik, Schnitt,

21 https://www.medienkompetenz-niedersachsen.de/schulische-bildung/ (letzter Aufruf 26.02.2020). 22 https://www.medienkompetenz-niedersachsen.de/ueber-uns/ (letzter Aufruf 26.02.2020).

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Anordnung der Personen, Geräusche) ebenso untersucht wie die filmische Umsetzung einer Romanvorlage. a) Verfilmung 1930 (Regie Lew­is Milestone), originalsprachige Fassung (Lernziel: Filmtechnische Mittel haben immer eine Bedeutung für den Zuschauer, der Regisseur verfolgt ein Ziel; Regieanweisungen dienen zur Vertiefung des Inhalts, müssen dazu passen) b) Verfilmung 1930, deutsche Synchronisation von 1984 (Lernziel: eine Synchronisation richtet sich ebenfalls nach dem Publikum, für die sie gemacht wird, der Betrachter sieht nicht das Original, ggf. eine komplett andere Interpretation -> Änderung der Geräusche, Sprache, Text; Lernziel speziell: Bei dieser Synchronisation wird der deutsche Zuschauer von 1984 für nicht intelligent genug gehalten, den Einsatz der Original-Geräusche zu verstehen -> neue Geräusche etc. werden hinzugefügt) c) Verfilmung 1979 (Regie: Delbert Mann), originalsprachige Fassung (Lernziel: Eine Neuverfilmung (vs. »Remake«) setzt andere Akzente als das Original, ggf. gegenteilige; Fernsehpublikum setzt anderes voraus als Kinopublikum; Casting entscheidend für die Vermittlung bestimmter Werte) Allgemeine Lernziele: Die Entstehung einer Verfilmung (Synchronisation, Neuverfilmung), gerade von Stoffen mit auch politischem Inhalt, ist abhängig von gesellschaftlichen Umständen, vom zu erreichenden Publikum und von der Interpretation eines Regisseurs. Es sind so viele unterschiedliche Verfilmungen denkbar, wie es Leser des Romans gibt. Filmische Mittel sind mit sprachlichen Mitteln von Texten vergleichbar, der Regisseur verfolgt ebenso Absichten, Intentionen wie der Autor. Filmanalyse »Der moderne Krieg im Film« Anhand von zwei Schlachtsequenzen aus zwei Standards setzenden Kriegsfilmen – Im Westen nichts Neues (Regie Lewis Milestone, 1930) und Der Soldat James 134

Mit Remarque Schülerinnen und Schüler bewegen

Ryan (Regie Steven Spielberg, 1998) – wird der Frage nachgegangen, welche filmischen Mittel eingesetzt werden, um den modernen Krieg »realistisch« abzubilden. Ebenso wird erarbeitet, wie diese Mittel verwendet werden, um die Aufmerksamkeit und Emotionen des Zuschauers zu lenken und Meinungen und Einstellungen zu manipulieren. a) Schlachtsequenz aus Im Westen nichts Neues (Regie: Lewis Milestone, 1930): Analyse des Bildaufbaus, Bewegungsabläufe, Struktur der Sequenz (Lernziel: Filmtechnische Mittel und Methoden des filmischen Erzählens werden eingesetzt, um das Geschehen im Bild zu strukturieren und die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu lenken) b) Schlachtsequenz aus Der Soldat James Ryan (Regie: Steven Spielberg, 1998): Analyse des Bildaufbaus, Bewegungsabläufe, Struktur der Sequenz auf der Basis von a). Weiterführung und Vertiefung im Hinblick auf zeitgenössischen Film. (Lernziel: Filmische Mittel werden eingesetzt, um ein vorgeblich »realistisches« Bild des Krieges zu zeichnen, wobei der Anspruch auf »Authentizität« der Meinungslenkung und Manipulation dient). Allgemeine Lernziele: Erarbeitung und Erläuterung der Mittel filmischen Erzählens, der Mittel der Bildgestaltung und der Mittel des Erzählens im Bild; Film ist eine hoch strukturierte Form des Erzählens, die nie ›nur‹ die Realität abbildet, sondern immer Bedeutungen produziert, die stets auch zur Lenkung des Zuschauers und unbewusst zur Manipulation eingesetzt werden können. Auf weitere mögliche Workshops soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, nur so viel, dass es nicht immer zu den klassischen Remarque-Themen »Krieg« oder »Exil« sein muss. Bereits durchgeführt wurden u. a. »Remarque als Kunstsammler«, »Remarque und der Film«, »Remarque und Mode«, »Remarque und Sport«, »Musik im Film«, »Werbung durch Comics«. Fazit Im Westen nichts Neues sollte schon aufgrund seiner weltweiten Bedeutung als wichtigster Anti-Kriegs-Roman im Schulunterricht in Deutschland behandelt werden; ob in Gänze oder in Auszügen oder durch einen Workshop im RemarqueFriedenszentrum sei dahingestellt. Geeignet ist eine Behandlung des Themas sowie des Textes ab Klasse 8 aller Schulformen bis hin zu Leistungskursen – je nach Schwerpunkten der Fragestellung. Angesichts der seit 2015 wieder aktuellen Flüchtlingsthematik sind auch Remarques Exil-Romane hinsichtlich ihrer allgemeingültigen Beschreibung von Ursachen, Formen und Folgen von Flucht mehr als geeignet, über leicht verständliche und spannende Lektüre SuS einen Zugang zum Thema zu ermöglichen. 135

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Remarques umfangreiches literarisches, aber auch journalistisches Werk, seine eigenen Erfahrungen in Krieg und Exil, sein internationales Netzwerk im Bereich Kunst, Film, Literatur, Politik und Kultur allgemein sowie seine Einordnung als »Chronist des 20. Jahrhunderts« ermöglichen die unterschiedlichsten Schwerpunkte im Rahmen von Führungen, Vorträgen und Workshops, bei denen es neben der Vermittlung von Leben und Werk auch immer möglich ist, über Werte und Ideale, humanistisches Handeln und Wirken zu diskutieren. Das macht es den MitarbeiterInnen des Remarque-Friedenszentrum leicht, mit SuS verschiedenster Herkunft und Bildung ins Gespräch zu kommen und sie für die Person Remarques zu interessieren, wenn nicht sogar zu begeistern – mit Remarque Schülerinnen und Schüler zu bewegen ist somit eine der spannendsten Hauptaufgaben der museumspädagogischen Arbeit des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums.

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Ecos de Erich Maria Remarque en Argentina1 Argentinische Schriftsteller und Künstler der Gegenwart und ihre Remarque-Rezeption

Biografische Einführung Weltkriegssoldat, Volksschullehrer, Grabsteinverkäufer, Journalist, Redakteur und schließlich gefeierter Bestsellerautor – nicht nur das berufliche Leben von Erich Maria Remarque (eigentlich Erich Paul Remark) ist durch viele Wendungen und Veränderungen gekennzeichnet. Dieser berufliche ›Fluss‹ zeigt nicht nur die Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit seiner Person, sondern auch ihr Streben nach mehr, nach Erfolg, Ruhm und materiellem Wohlstand. Ein Biograf, Wilhelm von Sternburg, spricht von der »mondänen Oberflächlichkeit im Kreise der Kinostars«,2 in der sich Remarque im US-amerikanischen Exil bewegt. Er ist mit der Tänzerin Ilse Jutta Zambona verheiratet und später mit Marlene Dietrich liiert. Auch lernt er Greta Garbo kennen, und die letzten Jahre seines Lebens verbringt er an der Seite Paulette Goddards, der Ex-Frau von Charlie Chaplin, die ebenfalls ein großer US-Filmstar gewesen ist.3 Remarque hat das Bedürfnis, das Leben zu genießen, und sicherlich einen Hang zum Exzessiven, was seine Neigung zu schnellen Autos, seine zahleichen Beziehungen oder sein Alkoholkonsum offenbaren. Er sucht auch den Rausch, um zu vergessen, »weil er glaubt, dass die Schwermut ihn sonst überwältigen würde.«4 Innerhalb der deutschen Exil-Autorenschaft stoßen Remarques »Lebemann-Attitüden«,5 seine glitzernde »Hollywood-Existenz«, allerdings auf Unverständnis oder sogar Abneigung. 1 Span.: Erich Maria Remarques Echos in Argentinien. 2 Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. 2. Aufl. Köln 2009, 60. 3 Vgl. Gabriele Katz. Liebe mich! Erich Maria Remarque und die Frauen. 1. Aufl. Berlin 2018, 61ff., 82ff. und 109ff. 4 von Sternburg, 247. 5 Ebd., 188.

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Nicht nur das gleiche Geburtsjahr (1898) verbinde Ernest Hemingway und Erich Maria Remarque, sondern ebenso ihr Alkoholkonsum, so ein sarkastischer und ungerechtfertigter Kommentar im Magazin Der Spiegel aus dem Jahr 1952.6 In einem späteren Fernsehinterview mit dem Journalisten Friedrich Luft 1963 erwähnt Remarque, dass er Hemingway zwar gekannt, aber sie beide gar nicht so viel gemeinsam gehabt hätten.7 Deutlich setzt er sich von der Großspurigkeit und dem Abenteurer-Image seines Berufskollegen ab. Remarque gibt sich bescheiden, humorig, auch selbstironisch und wirkt auf Anhieb sympathisch: Jegliche Starallüren sind ihm fremd. Das Publikum hat es nicht mit einem abgehobenen, versnobten oder gar egomanischen Künstler zu tun. Hinter der schillernden, aber inszenierten großmännischen Pose findet man eine Persönlichkeit, die sich durch Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und Bescheidenheit auszeichnet. Denn im Gegensatz [...] zu manchem, der ähnlich wie Remarque von seiner kleinbürger­ lichen Herkunft geprägt worden ist, [bleibt] er ein zutiefst bescheidener Künstler [...], ein warmherziger, unaggressiver Freund, [...] eine souverän auftretende öffentliche Figur.8

Remarque hilft vielen Flüchtlingen finanziell und bringt sie zum Teil in seinem Haus in Porto Ronco bei Locarno unter, nachdem er 1932 selbst in die Schweiz emigriert ist.9 Remarque. Weltbürger wider Willen, titelt der zitierte Spiegel-Beitrag und spielt damit auf Remarques persönliches Gefühl der Entwurzelung und Heimatlosigkeit an, obwohl er langjährige Aufenthalte zunächst in der Schweiz und dann in den USA hinter sich hat und er die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Remarque wird das Leben im Ausland und im Exil durch den Nazi-Terror gegen seine Person aufgezwungen. Gegenüber Friedrich Luft bemerkt er folgendes: »Das was ich gelernt habe, war, dadurch, dass man mich gewissermaßen zu einem Weltbürger gegen meinen Willen gemacht hat, eben das Weltbürgertum, dass man das lernt, auch in seinen Arbeiten [...].«10 Remarque ist ein weltoffener, weltgewandter Mensch, aber er ist es nicht aus freien Stücken geworden. Er wird Zeit seines Lebens seine Herkunft und seine Heimat nicht vergessen. Somit finden sich viele sentimentale Reminiszenzen an

6 »Remarque. Weltbürger wider Willen«. Der Spiegel, 09.01.1952, 22; online unter: https:// www.spiegel.de/spiegel/print/d-21058617.html (Stand: 06.02.2020). 7 Vgl. Das Profil. Erich Maria Remarque im Gespräch mit Friedrich Luft (1963), D 31:17 Min. (11:56–12:18 Min.); https://www. youtube.com/watch?v=aOzROBGLkpE (Stand: 10.02.2020). 8 von Sternburg, 61. 9 Ebd., 239. 10 Vgl.: Das Profil, (25:22–25:45 Min.).

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seine Geburtsstadt in den meisten seiner Werke. Remarque steht während seiner Aufenthalte in Deutschland und Osnabrück 1952 und 1954 den überall sichtbaren Zerstörungen und Veränderungen dennoch distanziert und kühl gegenüber.11 Er empfindet kein Mitleid für seine Landsleute, von denen viele willfährige Täter und Teil der furchtbaren Nazi-Diktatur gewesen sind.12 Er hat es seinem Land nie vergessen, dass es ihn ausgebürgert hat. Kein Politiker wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft je wieder antragen, auch wird er selbst nie einen Antrag auf Wiedereinbürgerung stellen.13 Remarque bleibt ein Fremder, in der Fremde ist er an keinem seiner neuen Lebensorte vollständig angekommen und heimisch geworden. Er bleibt im Grunde seiner Person ein bodenständiger, im positiven Sinne provinzieller Mensch. Im Exil zeigt sich sehr bald, dass Remarque unter dem glamourösen, unsteten Leben, obwohl er dies aus freien Stücken gewählt hat, auch leidet. Er ist innerlich zerrissen, zuweilen unentschlossen und in seiner Arbeit antriebslos, weil er in sich eine große Leere fühlt.14 Die erzwungene Emigration prägt sein Leben tiefgehend, »trotz der Unabhängigkeit und dem Schutz, den [sein] Ruhm und sein Geld ihm [bieten]«.15 Seine Flucht aus Deutschland macht ihn lange zum Heimat- und Rastlosen, er bemerkt: »Ein Schriftsteller ohne Vaterland? Worüber sollte er denn schreiben? Woher seine Nahrung nehmen?«16 Und dennoch feiert Remarque mit seinen im Ausland verfassten Romanen große Triumphe. Sie werden in den USA zunächst auf Englisch, wenig später auf Deutsch erscheinen, wie z. B.: Liebe deinen Nächsten (1941), Arc de Triomphe (1945), Der Funke Leben (1952) oder Zeit zu leben und Zeit zu sterben (1954). Zentrale Themen seiner Romane sind Krieg, Vertreibung und Emigration, weil die Vita des Autors selbst dazu genügend Schreibgründe und -anlässe bietet. Remarque hat notwendigerweise über diese Dinge schreiben müssen, wie er im Gespräch mit Friedrich Luft deutlich macht: Wenn wir nicht dieses Schicksal gehabt haben, wenn man es so nennen will, dass wir also Deutschland haben verlassen müssen und dass wir uns draußen haben herumtreiben müssen, bis wir endlich wieder nach Europa zurückkehren konnten, dass man doch wahrscheinlich anders geschrieben hätte und auch über andere Dinge geschrieben hätte.17

11 von Sternburg, 367. 12 Ebd., 367. 13 Ebd., 278. 14 Ebd., 249. 15 Ebd., 294. 16 Thomas F. Schneider (Hg.). Erich Maria Remarque. Ein militanter Pazifist. Texte und Interviews 1929–1966. Köln 1994, 112, zitiert nach ebd., 294. 17 Vgl. Das Profil, (15:30–15:45 Min.).

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Er behandelt in seinem Romanwerk darüber hinaus die großen Themenfelder der Liebe, Humanität, Gerechtigkeit und des pazifistischen Denkens. Und hier haben Remarque und Hemingway tatsächlich etwas gemeinsam, da »in die Oede ihrer männlichen Heroen [...] todsicher der allesverklärende Stern der großen Liebe [fällt]«.18 Erich Maria Remarque präge für die deutsche Literatur den Begriff des »Bestsellers«, ja er habe ihn »erfunden«, stellt Friedrich Luft zu Beginn seines Interviews fest.19 Am 29.01.1929 wird sein Erfolgsroman Im Westen nichts Neues in Buchform auf den Markt gebracht. Bis zum Juli 1930 werden 1 Million Exemplare in Deutschland verkauft. Zum gleichen Zeitpunkt hat man in Frankreich bereits 440.000, in Großbritannien 360.000 und in den USA 325.000 Ausgaben verkauft.20 Remarque wird über Nacht nicht nur zu einem vielgelesenen und beachteten, sondern auch sehr wohlhabenden Schriftsteller. Sein Ruhm reicht weit über Deutschland und Europa hinaus, sodass sein Stern ebenfalls über Nord- und Südamerika aufgeht. Bereits im Jahr 1929 kommen in Argentinien die ersten spanischen Übersetzungen auf den Markt.21 Für viele Leser sind der Erste Weltkrieg und seine Folgen, die ebenfalls in Südamerika spürbar sind, von Bedeutung, weshalb Remarque und andere pazifistische Autoren Europas in Argentinien massenhaft gelesen und rezipiert werden. Geschichtliche Hintergründe: Der Erste Weltkrieg, seine politischen Folgen und die Rezeption seiner Anti-Kriegsliteratur (Deutschland/Argentinien) Der Erste Weltkrieg und sein Ende 1918 verändern den Blick Südamerikas auf das weit entfernte, aber lange Zeit strahlend erscheinende Europa. In Argentinien verblasst zunehmend das Bild eines wegweisenden Kontinents, der in vielerlei Hinsicht eine politische und kulturelle Vorbildfunktion gehabt hat. Europa hat nun nicht mehr diesen Stellenwert, es wird nicht mehr als Hort der Zivilisation

18 »Remarque. Weltbürger wider Willen«, 22. 19 Vgl. Das Profil, (1:05–1:28 Min.). 20 Vgl. dazu: Anzeige des Ullstein Verlags für Im Westen nichts Neues (ca. Juli 1930). Insgesamt werden hier 3,5 Mio Exemplare gezählt, ohne aber den südamerikanischen Markt zu berücksichtigen. Remarques Im Westen nichts Neues wird in 55 Sprachen übersetzt und international zur »adäquaten literarischen Abbildung des Kriegs« erklärt; vgl.: Thomas F. Schneider. »›Im Westen nichts Neues‹ und das Bild des ›modernen‹ Kriegs«. Text + Kritik 149 (2001): Erich Maria Remarque, 9. 21 Vgl. Erich Maria Remarque. Sin novedad en el frente. Novela de gran guerra. Prólogo de Alvaro Yunque. Buenos Aires: Claridad, 1929. Der Roman erscheint 1929 bei den Verlagen Claridad und Hispania in Buenos Aires.

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erkannt und ist somit »nicht mehr der Sehnsuchtsort für Argentinier«.22 Argentinien ist im 19. Jahrhundert das Haupteinwanderungsland Südamerikas, das die meisten europäischen Immigranten aufnimmt, was zu einem immensen Bevölkerungsanstieg führt. Von 1870 bis 1914 kommen fast 6 Millionen Einwanderer in das Land, und die Gesamtbevölkerung steigt von 4 Millionen Menschen im Jahr 1895 auf 7,9 Millionen im Jahr 1914 an.23 Es ist unbestritten, dass diese Immi­ grationswellen und die Beziehungen zu Europa ihren »konkreten Niederschlag in der Umwandlung der argentinischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts [finden].« Der südamerikanische Blick richtet sich demgemäß nach Europa, auch wenn man Innovationen unterschiedlicher Kultur- bzw. Literaturbereiche übernimmt. Im Literaturbetrieb manifestiert sich dies beispielsweise in der Übernahme literarischer Modelle.24 Gerade in Argentinien ist bis kurz vor Ende des Krieges eine Politik opportun, die an der Neutralität festhält, um die Landesinteressen gegenüber dem Deutschen Reich zu wahren, und die viel Rücksicht auf die Befürworter und Unterstützer deutscher Politik im Land nimmt. Die Regierung unter Präsident Hipólito Yrigoyen25 hält an der Neutralität Argentiniens fest, obwohl das Land ebenfalls vom deutschen U-Boot-Krieg betroffen ist. Argentinien reiht sich bis 1917 nicht bei den deutschen Kriegsgegnern wie z. B. Brasilien, Peru, Bolivien, Uruguay oder Ecuador ein.26 Es geht aber ein tiefer Riss durch die argentinische Gesellschaft, denn Gegner und Befürworter der Neutralitätspolitik stehen sich unversöhnlich gegenüber, es kommt zu zahlreichen gewalttätigen Protesten. Der Historiker Stefan Rinke stellt fest, dass es »kein anderes neutrales Land [gab], in dem in der Öffentlichkeit so heftig um die Haltung zum Krieg gerungen wurde, wie in Argentinien.«27 Nicht nur dort, sondern in ganz Südamerika war »[1917] der Krieg nicht mehr nur durch den Wirtschafts- und Propagandakrieg in Lateinamerika angekommen, sondern zog den Subkontinent auch in seiner politischen Dimen-

22 Sandra Carreras, Barbara Potthast. Eine kleine Geschichte Argentiniens. Berlin 2010, 106f., zitiert nach Katja Carrillo Zeiter. »Über den Tellerrand hinaus. Beziehungen zwischen Argentinien und Europa in populärkulturellen Zeitschriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts«. Martina Kopf, Sascha Seiler (Hg.). Komparatistische Blicke auf Lateinamerika und Europa. Heidelberg 2016, 81. 23 Carrillo Zeiter, 89, 94. 24 Ebd., 82. 25 Hipólito Yrigoyen (1852–1933), in frühester Jugend muss er seinen Lebensunterhalt mit schlechtbezahlten Arbeiten bestreiten, Jurastudium in Buenos Aires, zweimaliger Präsident der Republik Argentinien (1916–1922 und 1928–1930); vgl. https://www.biografiasyvidas. com/biografia/y/yrigoyen.htm (Stand: 29.02.2020). 26 Stefan Rinke. Im Sog der Katastrophe. Lateinamerika und der Erste Weltkrieg. Frankfurt a. M., New York 2015 (Globalgeschichte 19), 171. 27 Ebd., 181.

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sion in seinen Sog.«28 Dennoch gilt die Präsidentschaft von Marcelo Torcuato de Alvear29 nach dem Ersten Weltkrieg in Argentinien als eine des Aufschwungs und der demokratischen Konsolidierung. Es kommt besonders in den Jahren 1922–23 zu einem erheblichen Wirtschaftswachstum. Das Land ist vor und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs sehr importabhängig. Nach dem Krieg versucht man, sich von Einfuhren unabhängiger zu machen. Es wird eine eigene Leichtindustrie aufgebaut, um viele Güter nicht mehr importieren zu müssen. Es werden neue ausländische Firmen angesiedelt. Hinzu kommt der forcierte Ausbau der Infrastruktur (das Eisenbahnnetz umfasst 1928 bis zu 36.000 km, es befindet sich aber in britischer Hand) und die Verstaatlichungspolitik der Erdölindustrie. Letztere wird von argentinischen Intellektuellen unterstützt, die eine sozialistische, antiimperialistische und souveräne argentinische Politik unterstützen wollen.30 Welche Rolle spielen nun der Erste Weltkrieg und seine Folgen für die argentinische Gesellschaft und wie werden diese in der literarischen Szene debattiert und reflektiert? Bereits während des Krieges liefert Europa Themen und Handlungsorte für viele Theater- und Romanzeitschriften in Ar gentinien, al lerdings ist »es nicht [mehr] unbedingt ein zivilisiertes, beispielgebendes Europa, das hier gezeichnet wird«.31 Der Krieg ist ständig in den Medien präsent, in vielen Zeitschriften und Magazinen wird von den wichtigsten militärischen Aktionen und dem Frontverlauf berichtet oder auch der Alltag der Soldaten geschildert.32 Die literarisch-pazifistische Reflexion se tzt in Eu ropa be reits wä hrend de s Kr ieges ein, so zum Beispiel in Deutschland mit Leonhard Franks Novellensammlung Der Mensch ist gut (1917) oder in Frankreich mit Henri Barbusses Roman Le Feu (1916). In Deutschland bedeutet die militärische Niederlage zunächst einmal den Zusammenbruch des alten politischen Systems. Das Kaiserreich geht, und es folgt die schwere Geburt der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden. Millionen von Toten und Versehrten sind zu beklagen und nicht nur die Wirtschaft liegt ausgezehrt am Boden, auch das Selbstwertgefühl einer geschlagenen Nation. Diese hat sich bis 1918 nicht nur als eine tonangebende Wirtschafts- oder Militärmacht, sondern auch als große Kulturnation definiert. Die Auflagen und Reparationsverpflichtungen der Siegermächte, welche die junge Weimarer Republik akzeptieren und erfüllen muss, wirken sich langfristig als politisch destabili28 Ebd., 191; vgl. auch die Publikation des argentinischen Historikers Ramón D. Tarruela. 1914 Argentina y la Primera Guerra Mundial. Buenos Aires 2014. 29 Máximo Marcelo Torcuato de Alvear (1868–1942), Studium in Buenos Aires und Europa, Jurist, Zusammenarbeit mit Hipólito Yrigoyen und sein Nachfolger im Präsidentenamt von 1922 bis 1928, vgl. https://www.biografiasyvidas.com/biografia/a/alvear_maximo.htm (Stand: 29.02.2020). 30 Felix Luna. Historia integral de la Argentina. Buenos Aires 2006, 855–858 und 861. 31 Carrillo Zeiter, 83. 32 Ebd., 89.

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sierend aus. Sie führen nach einer kurzen politischen und wirtschaftlichen Konsolidierungsphase Ende der 1920er Jahre endgültig in das politische Chaos und ermöglichen den Aufstieg politisch radikaler Kräfte, die den demokratischen Staat mit allen Mitteln bekämpfen. Ab 1929 kommen viele Werke pazifistischer aber auch kriegsaffirmativer Weltkriegsliteratur auf, welche die deutsche Niederlage und ihre Folgen thematisieren. Diese Literatur findet in ihrer Vielzahl an Publikationen, vom Roman bis hin zum vermeintlichen Tatsachenbericht, massenhaft Leser, weil nach wie vor Millionen von Menschen durch den Krieg und seine negativen Folgen betroffen sind. Pazifistische Schriftsteller wie Ludwig Renn, Edlef Köppen, Theodor Plievier, Leonhard Frank, Arnold Zweig, Ernst Glaeser und natürlich Erich Maria Remarque dringen darauf, dass man sich des Kriegshorrors erinnert, nichts verschweigt oder beschönigt. Ihre Intention ist es, einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft vorzubeugen bzw. dem zunehmenden Einfluss und Machtgewinn radikaler Parteien und Gruppierungen, besonders der NSDAP unter Adolf Hitler, politisch bzw. intellektuell etwas entgegenzusetzen. Kriegsbegeisterte Autoren hingegen glorifizieren den Weltkrieg, geben sich ihren verherrlichenden und revanchistischen Ideen hin und deuten zum Teil die Geschichte in ihren Werken um.33 Ein Jahr vor der Veröffentlichung von Im Westen nichts Neues, im Jahr 1928, gründet sich der »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« (BPRS), eine der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) nahestehenden Schriftstellervereinigung, welcher »der radikalen Linken in der Literatur eine organisatorische Struktur«34 geben will. Hier treffen bürgerlich etablierte Autoren auf Arbeiterschriftsteller, und ein gemeinsames Ziel soll es sein, kommunistisch orientierte »Literatur und [deren] Schriftsteller zu organisieren und sie zu einem Faktor politischer Umgestaltung zu machen.«35 Antimilitaristische Autoren wie Ludwig Renn und Ernst Glaeser sind Mitglieder und engagieren sich in diesem Verband.

33 Zur kriegskritischen bzw. kriegsaffirmativen Literatur der Jahre 1919–1939 vgl.: Thomas F. Schneider. »›The Truth about the War Finally‹. Critics’ expectations of war literature during the Weimar Republic: the reception of Erich Maria Remarque’s Im Westen nichts Neues [All Quiet on the Western Front], 1928–1930«. Journalism Studies 17 (2015), 4, sowie ders.: »Endlich die ›Wahrheit‹ über den Krieg. Zu deutscher Kriegsliteratur«. Text + Kritik 124 (1994), 38–51. 34 Dieter Schiller. »Mehr als eine Episode«. Neues Deutschland, 19.10.1998; https://www.neuesdeutschland.de/artikel/734529.mehr-als-eine-episode.html (Stand: 20.02.2020). 35 Ebd.

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Zur Rezeption von Erich Maria Remarques Werk in Argentinien Eine vergleichbare Entwicklung hinsichtlich einer politisch-agitatorischen Literatur lässt sich in den 1920er Jahren in Argentinien verfolgen, weil sich hier ebenfalls marxistisch bis anarchistisch orientierte Künstler zusammenschließen. Die »Grupo Boedo«36 (1924) vereint Maler und Schriftsteller aus Argentinien und Uruguay, die avantgardistische Literaturkonzepte und Ideen mit sozial-politischen Themen verbinden. Vorrangige Ziele der Gruppe sind es, die große Masse der ärmeren Bevölkerung zu bilden, ihr kulturelles Niveau anzuheben und für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen.37 Der Deutsche Franz Munner gibt die Reihe Las Grandes Obras (dt.: Die großen Werke) heraus, die wöchentlich Werke der Weltliteratur (z.B. auch bekannter anarchistischer Autoren) in günstigen Ausgaben anbietet.38 Im Jahr 1922 wird der Verlag Claridad (dt.: Klarheit) gegründet, der zunächst als Publikationsplattform der »Grupo Boedo« gedacht ist, später aber auch viele Werke international anerkannter, vor allem französischer Autoren veröffentlicht.39 Hier erscheint bereits 1929 (im Erscheinungsjahr der deutschen Buchausgabe) die erste spanische Übersetzung von Remarques Im Westen nichts Neues (Sin novedad en el frente). Im Jahr 1931 erscheint erstmals Der Weg zurück (De regreso).40 Der Verlag gibt ab 1926 auch eine Zeitschrift mit dem Namen Claridad heraus, die zunächst sozialistische Positionen vertritt.41 Sie ist eine Plattform für junge Autoren, die veröffentlichen wollen.42 In der Claridad-Ausgabe Nr. 190 rezensiert M. Llinás Vilanova sehr wohlwollend Remarques Im Westen nichts Neues und reiht ihn in die Reihe renommierter Anti-Kriegsautoren wie Henri Barbusse, Andreas Latzko, Romain Rolland oder Leonhard Frank ein.43 In Heft Nr. 195 wird Remarques Ro-

36 Benannt nach einem Arbeiterviertel in Buenos Aires, dessen Namensgeber wiederum der argentinische Politiker Mariano Boedo (1782–1819) ist. 37 Vgl. https://4cp1ok2013poeking.blogspot.com/2013/05/grupo-boedo-y-florida.html (Stand: 28.02.2020). 38 Vgl. Diego Ruíz. »El Grupo de Boedo: mito fundacional«, 08.02.2016; http://www.periodicodesdeboedo.com.ar/el-grupo-de-boedo-mito-fundacional-2/ (Stand: 19.02.2020). 39 Carlos Araujo. »La Editorial Claridad: un verdadero faro cultural«, 27.03.2019; https://www. serargentino.com/gente/nostalgicos-y-apasionados/la-editorial-claridad-un-verdadero-faro-cultural (Stand: 02.02.2020). 40 Vgl. die Claridad-Ausgaben im Werkverzeichnis des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums, online unter https://www.remarque.uni-osnabrueck.de/ (Stand: 02.03.2020). 41 Araujo. 42 Der vollständige Titel lautet Claridad. Zeitschrift für Kunst, Kritik und Literatur. Tribüne linken Denkens. Vgl. https://lenguayliteratura4cp1ok2013ltu.blogspot.com/2013/05/grupoboedo-y-florida.html (Stand: 28.02.2020). 43 M. Llinás Vilanova. »Bibliografía. Libros buenos y malos libros«. Claridad 8 (1929), 190 (14.09.1929), 26.

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Porträtfoto von Erich Maria Remarque. Bildunterschrift, dt.: »Erich Maria Remarque, der mit seinem großartigen Werk Im Westen nichts Neues große Berühmtheit erlangt hat.« Claridad 8 (1929), 195 (23.11.1929).

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Werbung für Im Westen nichts Neues mit Abbildung eines verletzten Soldaten. Claridad 8 (1929), 195 (23.11.1929), 1. Werbetext, dt.: »Dies ist der Held der dunklen Geschichte des Ersten Weltkriegs, großartig von E. M. Remarque in seinem beeindruckenden Roman Im Westen nichts Neues dargestellt. Von diesem haben sich in nur wenigen Tagen 800.000 Exemplare in Deutschland, 600.000 in England und 400.000 in Frankreich verkauft. Bereiten Sie Ihre Seele auf das Verbrechen des Krieges vor. Erwerben Sie die kostengünstige Ausgabe von CLARIDAD. Mit einem Vorwort von Alvaro Yunque. Umfang 180 Seiten, 50 Centavos.« Die Verkaufszahlen sind z.T. zu hoch angesetzt. Zeigt die eingefügte Abbildung in der Werbung einen unbekannten verletzten Soldaten oder gar den Autor selbst? Das Bild könnte dem Leser suggerieren, dass es sich hier um Remarque und um einen quasi autobiographischen Roman handelt.

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man im großen Stil auf dem Umschlag und auf der folgenden Seite beworben.44 Auch in anderen vorausgehenden Ausgaben (14.09.–23.11.1929) findet sich eine Werbung für Remarques Bestseller. Am Ende von Heft 195 ist zudem ein Werbehinweis für den weltweit bekannten Antikriegsroman Das Feuer von Henri Barbusse enthalten, der ebenfalls im Verlag Claridad erschienen ist.45 Das Verlagsprogramm propagiert eine internationale, pazifistische und sozialistisch-kommunistische Romanliteratur und will diese in Argentinien etablieren. Barbusse verbringt wie Remarque mehrere Monate im Schützengraben, verarbeitet ebenso eigene Kriegserfahrungen und präsentiert nicht nur den französischen Lesern eine Anklage gegen die Gräuel des industriellen Krieges. In Argentinien werden also, und dies ist durchaus das Verdienst des Verlags Claridad, internationale Werke der Anti-Kriegsliteratur übersetzt und von einem Massenpublikum gelesen. Und somit ist Remarques Roman natürlich auch darunter. In einer der ersten argentinischen (bzw. südamerikanischen) Ausgaben des Romans formuliert Alvaro Yunque folgende einführenden Worte: Ein anderes großes Buch über den Krieg? Herzlich willkommen! Es heißt: Im Westen nichts Neues. Sein Autor ist ein Deutscher: Remarque. Sein Name erweitert die glorreiche Liste von Autoren, die ihren Verdienst der ultimativen großen Katastrophe verdanken, weil sie all den Horror und den Schmutz des Krieges vor unseren angewiderten Augen und erschrockenem Gewissen ausgebreitet haben: Rolland, Latzko, Duhamel, Barbusse, Frank ... jetzt Remarque. Herzlich willkommen! Er sei gerühmt! Er vollbringt die edelste Mission, die einem zeitgenössischen Autor zukommt: den Horror des Krieges der Welt nahebringen und ihn bekannt machen.46

Im Online-Katalog der argentinischen Nationalbibliothek (»Biblioteca Nacional Mariano Moreno«) finden sich weitere Ausgaben von Im Westen nichts Neues, Der Weg zurück sowie Drei Kameraden (Tres camaradas).47 Von den 1940er bis in die 1960er Jahre hinein sind ebenfalls viele andere bekannte Titel nachgewiesen, z.B.

44 Vgl. Claridad 8. (1929), 195 (23.11.1929), 1. 45 Vgl. ebd., 34. 46 Span.: »¿Otro gran libro contra la guerra? ¡Bienvenido! Se llama: Sin novedad en el frente. Su autor es un alemán: Remarque. Su nombre viene a aumentar la lista gloriosa de escritores, beneméritos de la última gran catástrofe, porque nos pusieron ante los ojos repugnados y las conciencias espantadas, todo el horror y la inmundicia de la guerra: Rolland, Latzko, Duhamel, Barbusse, Frank … Ahora, Remarque. ¡Bienvenido! ¡Loado sea! Cumple la misión más noble que cabe a un escritor contemporáneo: la de llevar, la de difundir por el mundo el horror a la guerra.« 47 Die Romane Der Weg zurück und Drei Kameraden erscheinen beide 1937 beim Verlag Anaconda in Buenos Aires.

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Die Nacht von Lissabon (Una noche larga), Der Himmel kennt keine Günstlinge (El cielo no tiene favoritos), Der Funke Leben (La chispa de la vida) oder Zeit zu leben und Zeit zu sterben (Tiempo de vivir y tiempo de morir).48 Die Vielfalt an Remarque-Übersetzungen und -Publikationen in unterschiedlichen Verlagen verweist auf eine langanhaltende Popularität des Autors in Argentinien. Allen voran ist der Peuser-Verlag bei der Veröffentlichtung von Remarques Werken federführend auf dem argentinischen Markt gewesen.49 Heute ist Erich Maria Remarques Bekanntheit in Südamerika zumeist vergangen, aber sein Stellenwert in der (Welt-)Literatur des 20. Jahrhunderts ist weiterhin unbestritten. Dieser beruht vor allem auf dem Erfolg und der Qualität seines Romans Im Westen nichts Neues. Im Lektürekanon deutscher Schullehrpläne und -curricula hat er zuweilen noch einen Platz, eben weil er zu den Klassikern der Moderne zählt. In Argentinien wie in anderen lateinamerikanischen Ländern sind weiterhin aus Spanien stammende Ausgaben von Im Westen nichts Neues, z.B. vom Verlag Edhasa, erhältlich. Auch wenn Remarques Werke nicht mehr zu den (Welt-)Bestsellern gehören, so üben sie nach wie vor ihren Einfluss in der Gegenwart aus. Sie beeinflussen und inspirieren Künstler und Autoren in ihrem Denken und ihrer Arbeit. Erich Maria Remarque in Argentinien: Persönliche Rezeptionserfahrungen Es sind von uns verschiedene Persönlichkeiten im gegenwärtigen argentinischen, im Fall Enrique Breccias italienischen, Kulturbetrieb befragt worden, welche Erfahrungen sie mit der Lektüre von Erich Maria Remarques Werken gemacht haben. Ist die pazifistische Literatur des Ersten Weltkrieges und ihr zeitgeschichtlicher Hintergrund noch relevant und welchen Stellenwert haben diese Werke, einschließlich der Remarques, für die heutige argentinische Literatur? Wären neue Adaptionen von Remarques Schriften in Südamerika oder Argentinien vielleicht lohnend? Sollten sich Künstler und Schriftsteller mit ihrem Werk pazifistisch äußern bzw. sich damit politisch engagieren? Abschließend sollte auch ermittelt werden, ob der Autor Remarque und seine zentralen Themen Krieg, Flucht und Exil im eigenen Werk der befragten Künstler und Autoren von Bedeutung waren bzw. noch sind.

48 Die Ausgaben 1 + 2 erscheinen 1965 und 1963 beim Verlag Ediciones Selectas und die Ausgaben 3 + 4 beide 1961 beim Verlag Peuser in Buenos Aires. 49 Der Verlag wird von dem in Camberg geboren und später nach Argentinien ausgewanderten Jakob Peuser (1843–1901) gegründet; vgl. http://www.revisionistas.com.ar/?p=20650 (Stand: 27.02.2020).

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Ana María Shua Ana María Shua ist eine bekannte zeitgenössische Autorin, die in Buenos Aires lebt und arbeitet. Einige ihrer Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt worden, u.a. ins Englische, Französische oder Deutsche. Zwei ihrer Romane sind auch verfilmt worden: Soy paciente von Rodolfo Corral und Los amores de Laurita von Antonio Ottone (beide 1986).50 Remarques Welterfolg Im Westen nichts Neues sei eine Pflichtlektüre ihrer Eltern und deren Generation gewesen, wie Shua berichtet.51 Man hätte diese sonst für ignorant gehalten, wäre ihnen der Roman nicht bekannt gewesen. In ihrer Generation sei es nicht mehr so gewesen, deshalb habe sie diese »bildungsbürgerliche Pflicht«, Remarque zu lesen, als Jugendliche nicht mehr gespürt. Sie selbst habe den Roman erst vor Kurzem, nach unserer Anfrage für diesen Artikel, gelesen. Shua beurteilt den Roman als herausragend, als literarischen »Präzedenzfall«, den man später häufig imitiert habe und der uns heute deshalb nicht mehr so originell erscheine wie dem Leser damals. Für sie wirkten besonders die Szenen im Roman nach, als Paul Bäumer den Tod seines Freundes Kemmerich schildert, oder auch die grausame Granatattacke, bei der sich auf einem Friedhof die getöteten Soldaten mit den dort Beerdigten vermischen, die durch die Einschläge und Explosionen aus ihren Gräbern gerissen werden. Remarques Arc de Triomphe sehe sie hingegen als misslungen an, obwohl der Roman ein interessantes Thema behandele, nämlich die Flucht deutscher Immigranten aus Nazi-Deutschland. Ihrer Meinung nach sei das Werk frauenfeindlich und moralisierend, es enthalte negative Aspekte, die in Im Westen nichts Neues überhaupt nicht zu Tage träten. Diese stimmten aber mit damaligen gültigen Ansichten überein, in der der Roman entstanden sei. Sie sehe in Remarque einen berühmten Autor, der seine Spuren weltweit hinterlassen habe, auch wenn seine Werke heute nicht mehr wie damals gelesen und zur Kenntnis genommen würden. Sie meine auch, dass Literatur nicht adaptiert werden sollte. Sie solle so, wie sie sei, veröffentlicht werden. Den Roman Arc de Triomphe z.B. sehe sie als zu antiquiert an, um ihn heute noch zu lesen. Aber Im Westen nichts Neues und weitere Romane Remarques seien ihrer Meinung nach weiterhin von Interesse, wertvoll und nach wie vor publikationswürdig. Für Shua ist das Thema Krieg gegenwärtig von zentraler Bedeutung, denn er ist das übergeordnete Thema ihrer Sammlung von Kürzestgeschichten Der Krieg (La Guerra).52 Kriegsbücher interessierten sie aber in erster Linie nicht wegen des Themas, sondern wegen der Art, wie sie geschrieben seien. Die beiden Weltkriege

50 Vgl. zu ihrer Biografie https://www.jewishvirtuallibrary.org/shua-ana-mar-x00ed-a sowie ihre eigene Homepage, online unter: URL: http://www.anamariashua.com.ar (Stand: 02.03.2020). 51 Ana María Shua hat sich schriftlich zu unseren Fragen am 07.02.2020 geäußert. 52 Vgl. http://www.anamariashua.com.ar/la-guerra/ (Stand: 03.03.2020).

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seien im argentinischen Erzählen momentan nicht mehr sehr präsent. In Patricia Suárez oder Lucía Larragione sehe sie aber zwei Autorinnen und Dramaturginnen, die der Thematik Krieg in der argentinischen Theaterliteratur Relevanz verleihen. Die nach wie vor sehr kritische Auseinandersetzung rund um den Konflikt mit Großbritannien und die Islas Malvinas (Falklandinseln) trieben Autoren wie Rodolfo Fogwill, Carlos Gamerro, Graciela Speranza, Gustavo Caso Rosendi, Juan Guinot, Vicente Zito Lema, Juan Terranova oder Sergio Olguín ihrer Ansicht nach weiter voran. Keiner dieser Autoren habe je eine positive Aussage über den Krieg gemacht, dennoch könne man sie nicht als engagierte Pazifisten bezeichnen. Den oder die politisch oder pazifistisch engagierte(n) Autor(-in) gebe es in Argentinien nicht mehr. Das politische Engagement sei bei den heutigen Schriftstellern generell nicht mehr so stark ausgeprägt, wie es in den 1960er und 1970er Jahren der Fall gewesen sei. Die politische Spaltung innerhalb der argentinischen Gesellschaft sei heute so groß, dass internationale Themen in der Literatur in den Hintergrund träten, auch wenn dies von außen vielleicht als absurd betrachtet werden könnte. Enrique und Patricia Breccia Enrique und Patricia Breccia sind heute zwei wichtige Comic-Künstler der Gegenwart. Patricia Breccia lebt und arbeitet in Buenos Aires,53 Enrique Breccia hingegen in Spoleto, Italien.54 Mit beiden haben wir uns zu Beginn dieses Jahres austauschen können.55 Der Vater, Alberto Breccia, gehört bis heute zu den weltweit bekanntesten und angesehensten Comic-Künstlern. Cristina Breccia, die Schwester der beiden, ist ebenfalls eine bekannte und nach wie vor tätige (Kinderbuch-)Illustratorin. Schon früh seien alle drei an das Genre Comic herangeführt und stark von ihrem Vater beeinflusst worden. Er sei stets bestrebt gewesen, ihre Entwicklung voranzubringen, wie Patricia Breccia erklärt. Enrique Breccia zeichnet 1968 mit seinem Vater zusammen eine Che Guevara-Biografie,56 die als unmittelbare Reaktion auf die Ermordung des Revolutionärs in Bolivien gedacht ist. Vater und Sohn zeigen mit dieser gemeinsamen Arbeit, dass sie die Realität und Aktualität politischer Ent-

53 Zu aktuellen Arbeiten und Projekten vgl. die Homepage von Patricia Breccia http://salvajeando.blogspot.com (Stand: 26.02.2020). Zu ihrer Biografie s. https://www.colihue.com.ar/ autores/fichaAutor?authorId=601 (Stand: 02.03.2020). 54 Vgl. z.B. https://www.perlentaucher.de/autor/ernesto-breccia.html oder die Homepage des Künstlers http://www.enriquebreccia.it/enrique-breccia (Stand: 26.02.2020). 55 Enrique Breccia hat sich schriftlich zu unseren Fragen 05.01.2020 geäußert, und Virginia Gallado hat mit Patricia Breccia ein persönliches Gespräch in Buenos Aires am 27.12.2019 geführt. 56 Vgl. die Ausgabe im Carlsen-Verlag: Alberto Breccia, Enrique Breccia, Héctor Oesterheld. Che. Hamburg 2008.

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wicklungen in Südamerika aufgreifen und vermitteln wollen. Als sich die Militärs schließlich 1976 in Argentinien an die Macht putschen, wird der Comic zensiert und die Originalzeichnungen aus Angst vor möglichen Repressionen zuhause vernichtet.57 In dieser Zeit sind alle tatsächlich oder vermeintlich linksgerichteten bzw. marxistischen Schriften und Publikationen verboten.58 Enrique Breccia bezeichnet sich nicht als Kriegsbefürworter, aber ebenso wenig als Pazifisten. Heutige Künstler in und außerhalb Argentiniens sollten seiner Ansicht nach berücksichtigen, dass der Krieg ein integraler Bestandteil menschlicher Zivilisation sei, ohne ihn glorifizieren zu wollen. In der heutigen Zeit werde institutionalisierte Gewalt unter dem Deckmantel des Mottos »Krieg, um alle Kriege zu beenden«, das schon von den Alliierten während der beiden Weltkriege in Anspruch genommen worden sei, legitimiert. Das Etikett »humaner Krieg« verberge heuchlerische Denk- und Handlungsweisen. Persönlich hat sich Enrique Breccia als junger Mann mit dem Krieg auseinandersetzen müssen. Nachdem die argentinischen Streitkräfte am 5. April 1982 die Kontrolle über die Islas Malvinas (Falklandinseln) übernehmen, meldet er sich als Freiwilliger und wird einer Einheit zugewiesen, die hinter den feindlichen Linien operieren und ab dem 25. Juni in Marsch gesetzt werden soll. Aber dazu kommt es nicht mehr, da die argentinische Armee am 14. Juni kapituliert. Die eigenen Erfahrungen in diesem folgenschweren Konflikt haben dazu geführt, dass Enrique Breccia die britische Territorialhoheit der Inseln nicht nur kritisiert, sondern auch verurteilt. Mit Blick auf die literarische und filmkünstlerische Verarbeitung dieses traumatischen Konfliktes unterscheidet er zwischen legitimen Antikriegs-Plädoyers und quasi defätistischen Haltungen, wie sie z.B. in den Verfilmungen Los chicos de la guerra und Iluminados por el fuego zum Tragen kämen.59 Seiner Meinung nach stechen die Werke von Max Beckmann, George Grosz und Otto Dix hervor, die Krieg und Pazifismus in der Zwischenkriegszeit herausragend darstellten. Alle drei haben im Ersten Weltkrieg gekämpft, und Enrique

57 Vgl. Peter Osteried. »E. Breccia. Im Schatten des Vaters«. Reddition. Zeitschrift für Graphische Literatur 68 (2018), 70–72; vgl. auch die Anmerkungen Enrique Breccias zur Person und zum Werk seines Vaters »Mi padre, Alberto Breccia, fue un historietista químicamente puro«, 15.04.2019; https://www.infobae.com/cultura/2019/04/15/mi-padre-alberto-brecciafue-un-historietista-quimicamente-puro/ (Stand: 26.02.2020). 58 Vgl. dazu Fernando Ruffa. »La censura y quema de libros durante la dictatura militar«, 22.03.2006; https://www.anred.org/2006/03/22/la-censura-y-quema-de-libros-durante-ladictadura-militar/ (Stand: 04.03.2020). 59 Vgl.: Los chicos de la guerra (Die Jungen des Krieges) (1984), Regie/Drehbuch: Bebe Kamin, ARG, 105 Min.; https://www.youtube.com/watch?v=y95uQDBcOyU (Stand: 28.02.2020); Iluminados por el fuego (Erleuchtete des Feuers) (2005), Regie: Tristán Bauer, ARG, 100 Min.; https: //www.youtube.com/results?search_query=iluminados+del+fuego (Stand: 28.02.2020).

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Alberto Breccia: Im Westen nichts Neues, Tod Paul Bäumers (Panel Nr. 95–97). Erich Maria Remarque, Alberto Breccia. Sin novedad en el frente. Versión autorizada de la película universal del mismo nombre. Colección Aventuras (Buenos Aires) 1 (1946), 10 (10.12.1946).

Breccia erwähnt Grosz’ Ölgemälde Metropolis (1916–1917), mit dem die Katastrophe beschrieben wird, die über Deutschland und die Welt hereingebrochen ist. Breccia habe als Jugendlicher im Alter von ungefähr 16 Jahren Remarques Roman (in seiner Erinnerung ist es eine Claridad-Ausgabe gewesen) gelesen, der ihn damals tief berührt habe. Das Schicksal der jugendlichen Protagonisten, allen voran das der Hauptfigur Paul Bäumer, der nur ein wenig älter als er damals ist, sowie die Sicht der Figur auf den Krieg beeindrucken ihn. So sieht er in dem Tod des gerade erwachsen werdenden Bäumers kurz vor Ende aller Kampfhandlungen ein wirkmächtiges, eindrückliches Bild, welches der Roman am Schluss präsentiert. Weitere Lektüren zum Ersten Weltkrieg sind Reise ans Ende der Nacht (Viaje al fin de la noche) von Louis Ferdinand Céline oder Paris, bombardiert (París, bombardeado) von Azorín (d. i. José Martínez Ruiz). Auch weist Enrique Breccia auf den falangistischen Autor Cecilio Benítez de Castro hin, der den Bürgerkriegsroman Kilometer 6 ist besetzt worden (Se ha ocupado el kilómetro 6), verfasst hat 152

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und der den Untertitel Antwort an Remarque (Contestación a Remarque) trägt. Beim Stöbern in Papieren entdeckt er eher zufällig die Comic-Adaption von Im Westen nichts Neues, die sein Vater gezeichnet hat. Auf Enrique Breccias Frage, warum sein Vater ihm gegenüber den Comic-Strip nie erwähnt habe, sagt dieser, dass es lediglich eine wenig ansprechende Arbeit aus seiner Jugendzeit gewesen sei. Alberto Breccia muss in den frühen Jahren seiner Karriere zunächst vielen Auftragsarbeiten nachkommen.60 Zu diesen zählen auch die Comics für die Reihe Colección Aventuras (ab 1946), die Film- und Literatur-Adaptionen herausbringt. Seine Comic-Versionen von Sin novedad en el frente (Im Westen nichts Neues) und De regreso (Der Weg zurück) gehören zu den ersten von Remarques Romanen weltweit. Im Gegensatz zum Vater beurteilt der Sohn die Adaption von Im Westen nichts Neuers positiv, denn in ihr werde die beklemmende und bedrückende Atmosphäre des Romans gekonnt wiedergegeben. Enrique Breccia genießt damals die Lektüre und nach wie vor stehen ihm die erschütternden Schlusspanels vor Augen, als Paul Bäumer nach einem Schmetterling greifen will, der auf seinem Maschinengewehr rastet und dabei erschossen wird.61 In gängigen Biografien fehlt der Hinweis, dass Alberto Breccia an Comic-Adaptionen zu Remarques Romanen gearbeitet hat, und Enrique Breccia kenne niemanden in Argentinien, der den Comic-Strip Im Westen nichts Neues gelesen habe. Der Schriftsteller, Journalist, Comic-Drehbuchautor und heutige Direktor der Argentinischen Nationalbibliothek Juan Sasturain hat uns ebenfalls Rede und Antwort gestanden und sich zu Alberto Breccias Remarque-Adaptionen geäußert.62 Sasturain und Breccia haben lange zusammengearbeitet, und eines der letzten Ergebnisse dieser Kooperation ist ein Buch über viele persönliche Gespräche, die beide miteinander geführt haben.63 Sasturain bestätigt hier, dass Breccia in den 1940er Jahren für die Colección Aventuras Remarques Romane Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück in Comics umgesetzt habe. Auch habe sich dieser von anderen Klassikern (Literatur/Film) zu weiteren Adaptionen inspirieren lassen, die ebenfalls in der genannten Reihe publiziert worden seien.64

60 Vgl. Caloi (d.i. Carlos Loiseau). Homenaje a Alberto Breccia 1 (Serie: Caloi en su tinta 1–4) (1993) ARG, 6:17 Min.; https://www.youtube.com/watch?v=TBHpSeWw3-o (engl. Fass.: The Roland Collection of Films on Art, online unter: URL: https://www.youtube.com/ watch?v=Ngn3lrOH3HY) (Stand: 01.05.2019). 61 Zur Analyse des Comics vgl. Marc Hieger. »E. M. Remarques Roman Im Westen nichts Neues in der Comic-Adaption von Alberto Winston Breccia«. Erich Maria Remarque Jahrbuch/­ Yearbook 29 (2019), 125–154. 62 Juan Sasturain hat sich schriftlich zu unseren Fragen am 29.01.2020 geäußert. 63 Vgl. Juan Sasturain. Breccia, el viejo. Conversaciónes con Juan Sasturain. Buenos Aires 2013. 64 Der argentinische Zeichner und Künstler Gustavo Ferrari hat uns bestätigt, dass er eine umfangreiche Comic-Sammlung besitzt, die auch die beiden Breccia-Hefte enthält. Auch das Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück hat beide Comics in seinem Bestand.

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Enrique Breccia: Les Sentinelles, Comic-Cover. Enrique Breccia, Xavier Dorison. Les Sentinelles. Bde. 1–4. Paris 2016.

Enrique Breccia hat sich in den vergangenen Jahren ebenfalls mit dem Ersten Weltkrieg befasst. Seine Graphic Novel Les Sentinelles (dt.: Die Wachsoldaten), die er vor vier Jahren gezeichnet und deren Text Xavier Dorison geschrieben hat, spielt in den Schützengräben und führt den Leser an die unterschiedlichsten Orte 154

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Patricia Breccia. Sin novedad en el frente. Buenos Aires 1999 (enedé, serie Freakciones, Colección narrativa dibujada), 45.

des Konflikts. Hier werden Motive des Superhero-Genres mit geschichtlichen Fakten verknüpft. Patricia Breccia hat den Titel Sin novedad en el frente für eine eigene Graphic Novel ausgewählt, in der sie den Lebensweg ihrer Frauenfiguren als Lebenskampf 155

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vorzeigt. Obwohl sie sich nicht als Feministin bezeichnet, sehe sie sich doch in dem Sinne als Streiterin für die Gleichberechtigung, wenn es generell um Gerechtigkeit in der Welt gehe. Sie habe den Titel für ihren Comic-Band übernommen, da er ihr gefallen und sie ihn damals für ihr Thema passend gefunden habe. Die Comic-Adaption ihres Vaters zu Remarques Im Westen nichts Neues habe sie nie zu Gesicht bekommen. Aber im Gespräch erinnert sich Patricia Breccia daran, dass ihr Vater zu Beginn der Diktaturzeit viele Skizzen, Zeichnungen etc. im eigenen Garten verbrannt habe. Vermutlich seien die Originalzeichnungen von Im Westen nichts Neues darunter gewesen, wie auch die Originalblätter der bereits erwähnten Che-Biografie. Ein Porträt des Revolutionärs, das ihr Bruder Enrique in dieser Zeit gemalt habe, sei von dem Vater mit einem Selbstbildnis übermalt worden. Bis heute hänge dieses Bild in ihrem Haus. Jegliche Kunstzeugnisse mit einer linken oder pazifistischen Aussage gefährdeten in den Jahren der Militärdiktatur das eigene Leben in hohem Maße. Patricia Breccia arbeitet mit dem Comic-/Film-Drehbuchautor Hernán Migoya Martínez derzeit an einer Comic-Adaption von Mary Shelleys Frankenstein und D. H. Lawrence’ Lady Chatterley (Arbeitstitel: Der Liebhaber von Lady Frankenstein). Für die Zukunft könnte sie sich vorstellen, eine Comic-Version von Remarques Im Westen nichts Neues zu zeichnen. Den Comic selbst sehe sie als lebendes Genre, das eine Art Parallelexistenz zu allen neuen medialen Entwicklungen führe und deshalb niemals aussterben werde. Pablo de Santis Der Schriftsteller Pablo de Santis verfasst in den 1990er Jahren Comic-Texte und Essays zum Comic-Genre.65 Er zeichnet z.B. in dieser Zeit für die Comic-Reihe beim Verlag Colihue verantwortlich, in der Patricias Breccias Graphic Novel Sin novedad en el frente erscheint.66 Remarques Im Westen nichts Neues liest er, ebenso wie Enrique Breccia, als Jugendlicher. Auch habe er damals eine alte Tor- oder Claridad-Ausgabe zur Hand. Der quasi dokumentarische Charakter des Romans und die Beschreibung der Soldatenexistenz beeindrucke ihn: »die Nahrungs- und Zigarettenrationen, das Verhältnis zu den Vorgesetzten, die Briefe, die sie geschrieben haben«. Das Leben des einfachen Soldaten sei seiner Meinung nach realistisch beschrieben, im Gegensatz zu manchen heroischen (Welt-)Kriegsversionen in der Literatur. Er zählt Remarque zu denjenigen Autoren, denen es über ihre Erfahrung gelinge, mit einer trockenen, einfachen Sprache eine dokumentarische Form zu erschaffen. Dieser nehme gewissermaßen die lakonische Art des Schreibens vorweg, wie sie Albert

65 Zur Biografie des Autors vgl. http://www.unionsverlag.com/info/person.asp?pers_id=1313 (Stand: 29.02.2020). 66 Pablo de Santis hat sich schriftlich zu unseren Fragen am 28.01.2020 geäußert.

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Camus später in seinem Roman Der Fremde verwende. Ihm sei die Existenz von Alberto Breccias Adaption von Im Westen nichts Neues bekannt. Er bezieht sich auf Juan Sasturain, der den Comic in seinen oben zitierten Gesprächen mit Breccia erwähne.67 Wie De Santis treffend beschreibt, müssen Comic-Zeichner in den 1940er Jahren mit einer unglaublichen hohen Geschwindigkeit arbeiten. Sie sind einem sehr hohen Arbeits- und Leistungsdruck ausgesetzt. Natürlich ist unter diesen Bedingungen eine korrekte historische Rekonstruktion, z.B. von Uniformen, Häuserfassaden, Landschaften, Bewaffnung etc., damals viel aufwändiger und schwieriger. Häufig seien diese »grafischen Informationen« Vorlagen für spätere Verfilmungen gewesen (auch wenn dies im Fall Breccias und seinen Comic-Adaptionen von Remarques Romanen umgekehrt gewesen ist). Neben Im Westen nichts Neues hätten andere Romane von Autoren und Weltkriegsteilnehmern wie In Stahlgewittern (Tempestades de acero) von Ernst Jünger, Reise ans Ende der Nacht (Viaje al fin de la noche) von Louis Ferdinand Céline, La rueda von Giàn Dauli (d. i. Giuseppe Ugo Nalato) oder die Gedichtsammlung Der begrabene Hafen (Il porto sepolto) von Giuseppe Ungaretti De Santis’ Bild vom Ersten Weltkrieg geprägt. In seinem Roman Die Tochter des Kryptografen (La hija de criptógrafo) spielt der Zweite Weltkrieg eine wesentliche Rolle. Weniger der Krieg, sondern der Terror und die Gewalt in den 1970er Jahren seien seiner Ansicht nach in der heutigen argentinischen Literatur von Belang. Die Aufarbeitung dieses Teils der argentinischen Geschichte sei ein zentrales Thema und Anliegen vieler zeitgenössischer Autoren. Carlos Chernov Carlos Chernov gehört wie Ana María Shua zu den wichtigsten Autoren seiner Generation. Schon als junger Mann verfasst er literarische Texte, studiert aber zunächst Medizin und praktiziert mehrere Jahre als Psychiater und Psychoanalytiker.68 Remarques Im Westen nichts Neues habe zu seiner Jugendlektüre gehört und auch sein Vater habe den Roman gelesen. Er sehe in ihm einen packenden Autor, der zu erzählen wisse. Im Alter von 14–15 Jahre habe er viele Werke über die beiden Weltkriege gelesen. Er habe zu diesen Lektüren nur noch verstreute Erinnerungen. Der Roman Im Westen nichts Neues habe in ihm aber damals wie heute eindrückliche Bilder erzeugt, wie die von Gasmasken und aufgeschlitzten Pferden mit heraushängenden Eingeweiden. Ohne Zweifel habe aber Remarques Der Funke Leben den größten Eindruck bei ihm hinterlassen. Viele Details stehen ihm noch vor Augen, so der Beginn des Romans: »Das Skelett 509 hob langsam den

67 Sasturain. 68 Vgl. zur Biografie z.B. die Homepage des Autors: www.carloschernov.com. Carlos Chernov hat sich schriftlich zu unseren Fragen am 15.01.2020 geäußert.

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Schädel und öffnete die Augen.«69 Hier werde sogleich die verzweifelte und miserable Lage der Gefangenen deutlich gemacht. Chernov hebt den Stil des Autors hervor, der realistisch und ganz und gar unprätentiös sei. Ob es nun Anti-Kriegsbücher bzw. pazifistische Romane gewesen seien, habe für ihn nicht so sehr eine Rolle gespielt. Er habe die Lektüre einfach genossen. Remarque sei seiner Ansicht nach mehr ein »Schreibtischautor« oder »-Arbeiter« gewesen, geübt, professionell und einflussreich. Künstlerisch habe man ihn unterbewertet, weil er nicht zu den avantgardistischen Autoren und nicht zur Höhenkammliteratur gezählt habe. Der Pazifismus verblasse heute angesichts moderner Kriege, die sich auf Ölund Geopolitik konzentrierten, mehr noch als es je bei der kolonialen Aufteilung der Welt der Fall gewesen sei. Man könne heute über alte Kriege sprechen, denn der Krieg käme nie aus der Mode. Aber anstatt dass Konflikte letztlich doch im Pazifismus mündeten, denkt Chernov, dass Kriege besonders in unserer Zeit eher zur weiteren Identifikation mit der Gewalt führten. Sich selbst bezeichnet er nicht als Pazifisten, da er dem Menschen gegenüber eine klare pessimistische Einstellung habe. Deshalb beurteilt er die pazifistische Literatur als widersprüchlich bzw. sogar sinnlos. Kriege hinterließen immer offene Traumata und sie zwingen dazu, dass man immer wieder zu diesem Thema zurückkehre und darüber nachdenke. In diesem Zusammenhang weist er auf Bernhard Schlinks Erfolgsroman Der Vorleser hin. Als Beispiel einer Rezeption deutscher Zeit- und Kriegsgeschichte in Argentinien führt Chernov die Kurzgeschichte Deutsches Requiem von Jorge Luis Borges an, in der eine typische Nazi- und SS-Militärkarriere beschrieben wird. Die Themen Krieg und Pazifismus spielten seiner Meinung nach in der aktuellen argentinischen Literatur bzw. Kunst nur eine untergeordnete Rolle, es sei denn, man betrachte die Zeit der Militärdiktatur oder den Konflikt um die Islas Malvinas. Der Blick sei in dieser Hinsicht eher nach innen als nach außen gerichtet. In Europa, den USA oder Israel gäbe es wesentlich mehr Literatur, die sich mit dem Thema Krieg befasse und dazu entwickelte pazifistische Positionen präsentiere. Im Gegensatz dazu, so Chernov sarkastisch, würde man sich in Argentinien mehr Gedanken über die schlechte Wirtschaftslage des Landes machen. Germán Padinger Der Politologe, Schriftsteller und Journalist Germán Padinger ist ein ausgewiesener Kenner von Remarques Werk.70

69 Erich Maria Remarque. Der Funke Leben. Köln 2018, 7. 70 Vgl. Germán Padinger. »La clásica película antibélica Sin novedad en el frente será filmada por primera vez desde la perspectiva alemana«. infobae, 20.02.2020; https://www.infobae.com/ america/cultura-america/2020/02/20/la-clasica-pelicula-antibelica-sin-novedad-en-el-frentesera-filmada-por-primera-vez-desde-la-perspectiva-alemana/ (Stand: 04.03.2020). Germán Padinger hat sich schriftlich zu unseren Fragen am 11.02.2020 geäußert.

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Er habe den Roman Im Westen nichts Neues bereits als Jugendlicher von 17 Jahren mehrere Male gelesen, ebenfalls kenne er Remarques Der Weg zurück. Sein Großvater väterlicherseits habe ihn mit Autor und Werk bekannt gemacht. Außerdem habe er ihm auch die Im Westen nichts Neues-Verfilmung von Lewis Milestone (1930) empfohlen. Remarques Anti-Kriegsroman habe ihn von der ersten Seite an fasziniert. Es sei der erste Roman über den Ersten Weltkrieg gewesen, den er gelesen und der sein Interesse für dieses Thema geweckt habe. Eine der Schlüsselszenen des Romans sei ihm bis zum heutigen Tag im Gedächtnis geblieben: Im Gefecht springt Paul Bäumer in einen Granattrichter, in dem bereits der französische Soldat Gérard Duval Schutz gesucht hat. Er tötet diesen und empfindet danach Schmerz und Scham, da ihm in diesem Moment bewusst wird, dass er einen Menschen getötet hat. Ein weiterer Aspekt, der ihn am Roman beeindrucke, sei dessen pazifistischer Ton, der stark mit den vielen und grausamen Schlachtbeschreibungen kontrastiere. Er erinnere sich an die Schilderung seines Großvaters, als Paul Bäumer im Niemandsland eine Margerite pflücken wolle und erschossen werde. Dies sei natürlich nicht das tatsächliche Ende von Remarques Im Westen nichts Neues, sondern eine imaginierte Szene zwischen Roman, Verfilmung und eigenen Erinnerungen gewesen. Diese sei vergleichbar mit der veränderten Schlussszene der Milestone-Verfilmung (1930), in der Paul Bäumer nach einem Schmetterling greifen will und dabei erschossen wird.71 Padinger betrachtet Remarques Im Westen nichts Neues als eines der wichtigsten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts und zusammen mit In Stahlgewittern von Ernst Jünger und Das Feuer von Henri Barbusse vielleicht als einen der wichtigsten Romane über den Ersten Weltkrieg überhaupt. Generell sehe er in diesem Werk das eindrücklichste und einflussreichste pazifistische Plädoyer unserer Zeit, obwohl es nach und nach durch die Geschichte verdeckt werde. Padinger erachte die Werke der Anti-Kriegsliteratur (von Jünger einmal abgesehen) als zentral für die Etablierung einer weltweiten Bewegung des Pazifismus. Und ohne sie würde es heute weder so viel Druck gegen kriegerische Konflikte, noch so viele institutionelle Gegenmaßnahmen gegen sie geben, wenn Literatur und Kunst nicht vorher Gewalt und industriellen Krieg thematisiert, offengelegt und angeprangert hätten. Er sieht sich durch diese pazifistische Literatur stark beeinflusst, auch was die Wahl eigener literarischer oder journalistischer Projekte angehe. Seine 2016 erschienener Roman Retrato de Marte befasst sich mit dem Tripel-Allianz-Krieg (Paraguay gegen Argentinien, Brasilien und Uruguay, 1864–1870). Er sei eine Art Hommage an Remarque, Jünger und Barbusse, weil er einen zu Unrecht in der argentinischen Geschichte vergessenen Konflikt in das Gedächtnis des heutigen Lesers zurückrufe, ähnlich wie dies die oben genannten Autoren mit dem Ersten Weltkrieg getan hätten.

71 Diese Szene hat Alberto Breccia auch in seinen Comic übernommen.

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Die Frage, ob sich Padinger zukünftig weitere Projekte vorstellen könne, die im Zusammenhang mit pazifistischer Literatur und dem Zeitraum 1914–1945 stehen, bejaht er eindeutig. Er äußert sich in einem Zeitungsbeitrag über die geplante deutsche Neuverfilmung von Im Westen nichts Neues, die im kommenden Jahr in die Kinos kommen soll. Wichtig sei, dass nach den großen Verfilmungen des Romans (1930) und (1979) nun eine moderne Version mit deutschen Schauspielern folge, die alle derzeit zur Verfügung stehenden technischen Mittel nutze. Die aktuellen britischen Produktionen 1917 oder die Dokumentation They Shall Not Grow Old72 zeigen ein wiedererwachtes Interesse am Ersten Weltkrieg, was grundsätzlich positiv zu werten sei. Padinger sieht das Problem, dass Produktionen rund um den Ersten Weltkrieg nicht notwendigerweise mit dem Pazifismus verbunden seien, sondern ganz im Gegenteil auch nationalpolitischen Interessen untergeordnet werden, die eine genehme, aber verzerrte Interpretationen der Geschichte vornehmen. Im Zusammenhang mit der Brexit-Politik z.B. sei Großbritannien einseitig in der Opferrolle gezeigt worden. Im Gegensatz dazu sei Delbert Manns Version von Remarques Im Westen nichts Neues (1979) zweifellos der pazifistischen Botschaft treu ergeben, aber die Zeit sei nun reif für eine deutsche Film-Adaption des Romans. Argentinien sei ein Land, so Padinger, das aufgrund der europäischen Herkunft eines großen Teils seiner Bevölkerung und seiner damaligen Regierungspolitik eng mit dem Drama des Ersten bzw. auch Zweiten Weltkrieges verbunden gewesen sei. Blicke man heute nach Südamerika, so werde häufig erwähnt, dass Lateinamerika der Kontinent ohne Kriege und des Friedens sei, da er von keinen großen bewaffneten Konflikten im 20. Jahrhundert betroffen gewesen sei. Padinger sehe ihn aber weiterhin als den Kontinent mit endloser zwischenmenschlicher Gewalt, rückwärtsgewandter gesellschaftspolitischer Entwicklung und anhaltenden zivilen Konflikten. Deshalb habe Remarques pazifistisches Plädoyer nach wie vor eine wichtige Bedeutung für Südamerika. Abschließende Bemerkungen und Ausblick Erich Maria Remarque hat Ende der 1920er Jahre mit seinen ersten Romanen dem Zeitgeist entsprochen, die Katastrophe des Ersten Weltkrieges erneut zu thematisieren. Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück sind Teil einer nicht nur nationalen gesellschaftlichen Aufarbeitung gewesen, sondern sollten auch international der zukünftigen Kriegsprävention und dem pazifistischen Denken

72 1917 (2019), GB, Regie: Sam Mendes, 119 Min.; und They Shall Not Grow Old (2018), GB, NZL, Regie: Peter Jackson, 99 Min.

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dienlich sein. Ein aus der norddeutschen Provinz stammender Schriftsteller erlangt Weltruhm, mit dem dieser lebenslang und in Bezug auf seine eigene Person bescheiden umgeht. Er wird in dem Sinne zu einem Weltbürger wider Willen, weil er auch bis an sein Lebensende unter dem eigenen Lebensweg und der eigenen Entwurzelung leidet. Remarque schöpft aus seinen eigenen Kriegs- und langjährigen Exilerfahrungen und verarbeitet sie in seinen Werken, die ihn lange vor der Globalisierung Ende des 20. Jahrhunderts zu einem weltweit rezipierten und geschätzten Autor machen. Mag Remarques Ruhm in Südamerika heute weitgehend verblasst sein, so bleibt er doch eine wichtige Inspirationsquelle und Vorbild pazifistischen Denkens. Die von uns befragten Autoren und Künstler machen in ihren Aussagen sehr deutlich, dass Remarque mit seinem Werk auch bei ihnen nachwirkt. Die unterschiedlichen Rezeptionserfahrungen zeigen, dass er zum einen bei künstlerischen Ideen, Konzepten, zum anderen in den einzelnen (Berufs-)Biografien fast durchgängig eine wichtige Rolle spielt. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass zu seiner Person bei den Befragten fast nichts bekannt ist. Remarque ist heute in Argentinien weder im öffentlichen Bewusstsein noch auf dem Buchmarkt sehr präsent. Aber sein Werk hat einen sicheren Stellenwert, zumindest bei den von uns befragten Autoren und Künstlern, die auf sein Denken und sein Werk in der eigenen Arbeit z.T. erheblich rekurrieren. Welche Rolle könnte Remarque in zukünftigen kulturellen bzw. literarischen Debatten bzw. Literatur in Argentinien (oder Südamerika) spielen? Diese Frage erscheint durchaus berechtigt, da man in der neueren lateinamerikanischen Literatur in den letzten Jahren eine »Zunahme deutscher Themen, Figuren und settings«73 beobachten kann. Hier hat aber vor allem die Thematik Nationalsozialismus im Vordergrund gestanden, was insofern nicht verwundert, da nach dem Zweiten Weltkrieg Südamerika zum Flucht- und neuem Lebensmittelpunkt für zahlreiche NS-Kriegsverbrecher geworden ist. Da die Schrecken und der Horror des zweiten Weltbrandes die des ersten verdecken, ist es genauso wenig erstaunlich, dass der Erste Weltkrieg eher weniger bis gar nicht von argentinischen Autoren aufgegriffen und in deren Literatur thematisiert wird. Die Antworten von unseren Befragten bestätigen deutlich, dass der Erste Weltkrieg und auch pazifistisches Denken gegenwärtig von geringer Bedeutung und die eigene jüngere Geschichte beherrschend in der argentinischen Literatur ist. In unserem Zeitalter der medialen Globalisierung ist es als große Chance und wichtige Perspektive zu sehen, »sich frei und zwischen Sprachen, Literaturen,

73 Marco Thomas Bosshard. »Der Blick der Täter: Nazis als Reflektorfiguren im argentinischen Roman und Film. Lejos de dónde von Edgardo Cozarinsky und Wakolda von Lucia Puenzo«. Kopf/Seiler, 185.

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Künsten und Kulturen zu bewegen«, denn »sprachliche, literarische, künstlerische und kulturelle Unterschiede [werden] nicht eingeebnet, sondern [...] mehr zum Vorschein gebracht als zuvor.«74 Die anhaltende Debatte um die Weltliteratur ist längst nicht mehr »im Rahmen komparatistischer Literaturforschung [...] ein beschränktes Unternehmen«, sondern sie bilde »ein weltumspannendes System«, so der italienische Literaturwissenschaftler Franco Moretti.75 In den vergangenen zehn Jahren habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden und nun wird das Konzept »Literaturen der Welt« diskutiert, welches – vom europäischen Standpunkt aus gesehen – betont anti-eurozentristisch ist.76 Erich Maria Remarques Werke sind nicht nur selbst Teil dieses Weltliteraturkonzepts, sondern sie inspirieren Autoren in und außerhalb Argentiniens weiterhin im eigenen Denken und Schreiben.

74 Sandro M. Moraldo. »Komparatistik gestern und heute – Perspektiven auf eine Disziplin im Übergang«. Sandro M. Moraldo (Hg.). Komparatistik gestern und heute. Perspektiven auf eine Disziplin im Übergang. Bonn 2019 (Global Poetics, Literatur- und kulturwissenschaftliche Studien zur Globalisierung 2), 26f. 75 Franco Moretti. »Conjectures on World Literature«. New Left Review 1 (2000), 54–68, zitiert nach Gesine Müller (Hg.). Verlag – Macht – Weltliteratur. Lateinamerikanisch-deutsche Kulturtransfers zwischen internationalem Literaturbetrieb und Übersetzungspolitik. Berlin 2014 (pointe 8), 7. 76 Gesine Müller. »Literaturen der Amerikas und ihre Rezeption in Deutschland. Weltliteratur als globales Verflechtungsprinzip«. Ebd., 119f.

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Installation All Quiet on the Western Front des peruanischen Künstlers Fernando Bryce im Rahmen seines Projektes To The Civilized World, 2014. Foto: curiator.com.

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Cover-Illustration des iranischen Künstlers Korosh Parsa für das Magazin Kaman (Tehe­ ran), 2002.

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Erich Maria Remarque und die moderne russische Literatur

Der Meinungsstreit um Remarque in der Sowjetunion, der die gesellschaftliche Aufmerksamkeit über einige Jahre auf sich zog, hat zum Ende der 1970er Jahre abgenommen. Gegenwärtig erregt der Name Remarque bei einem russischen Leser weder heiliges Zittern noch ungestümen Protest. Ungeachtet dessen genießt der Schriftsteller, von dem Leidenschaften in der Presse entbrannt wurden, beim Publikum wie früher einen unwandelbaren Erfolg. Wenn wir einen beliebigen Roman aufschlagen, verstehen wir, dass Remarque zweifellos ein talentvoller Schriftsteller ist, der sein Thema, seine gesellschaftliche Aufgabe, seine Weltanschauung hat. Die Themen, die er in seinen Werken aufwirft, haben die Aktualität auch in unserer Zeit nicht verloren, denn er verbreitet in seinen Werken allgemein-menschliche, ewige Ideale von Liebe, Freundschaft und gegenseitiger Hilfe. Die Witwe des Schriftstellers, Paulette Goddard, hat sein schöpferisches Credo so bestimmt: »Das Hauptthema seiner Bücher ist das antihumane Verhalten eines Menschen zu einem anderen Menschen. Das ist ein wütender Protestschrei«.1 Wäre damit vielleicht solch ein unerwarteter Erfolg des Schriftstellers in unserem Land zu erklären? Man kann nicht umhin festzustellen, dass Remarque im Großen und Ganzen kein Entdecker von irgendwelchen neuen Tendenzen in der Westliteratur ist, obwohl sein Beitrag zur Literaturentwicklung im 20. Jahrhundert nicht unbemerkt bleiben darf. Der Hauptstreit um Remarque ist in unserem Land in der Periode des sogenannten »Chruschtschow-Tauwetters« entstanden, das von einer Krise des »auf dem Wort« gegründeten totalitären Systems hervorgerufen wurde, die ihrerseits eine Literaturkrise ausgelöst hat. Auffallenderweise war die zensierte Literatur in der UdSSR (insbesondere die Literatur der Stalinepoche) die Hauptlinie nicht nur der offiziellen, sondern auch

1 В. Иванов. »Пишу о времени«. Советская Россия, 19 июня 1988.

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Oleg Pokhalenkov

der inoffiziellen Erinnerung. Unter den Umständen, dass die offiziell nicht zugelassenen Informationsquellen über die Vergangenheit verboten waren, hat die Literatur – wie eine ›persönliche‹ Meinung – den Charakter einer indirekten Legitimation des privaten biographischen Lesergedächtnisses erreicht.2 Dafür war sogar keine ›äsopische‹ Sprache» erforderlich, sondern ein System von Verschweigen, Besonderheiten der handelnden Personen und Anordung der Bedeutungsakzente, die dem Leser die Möglichkeit geben, hineinzuinterpretieren, was der Schriftsteller zwischen den Zeilen sagen wollte. Die damals herausgegebenen Werke über Krieg (einschließlich Werke, die zum offiziellen sowjetischen Kanon gehört haben) haben sich direkt oder indirekt auf die persönliche Erfahrung vieler Leser berufen, die aus diesen Texten mit Enthusiasmus das herausgelesen haben, wovon man in der Presse und im Rundfunk nicht gesprochen hat. Solches ›Herauslesen‹ hat zum System eines (für das sowjetische System prinzipiellen) nicht verlautbarten Vertrages zwischen Leser, Schriftsteller und Macht gehört. Die sowjetische Literatur, die sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre formiert hatte, war ein standfestes System, das gleichzeitig den Zielen der Propaganda und der Soziokulturadaptierung gedient hat. Aus der Literatur wurden nicht nur die Erwähnungen von Staatsterror und andere Tatsachen ›verdrängt‹, die vom Standpunkt der so­ wjetischen Ideologie aus ›unbequem‹ waren, sondern darin wurden auch beliebige unbehagliche Seelenzustände ›umkodiert‹: Der Tod wurde in den meisten sowjetischen Werken in erster Linie wie ein Opfer beschrieben, die Krankheit – wie eine Prüfung, die man bestehen muss, um »im Dienst zu stehen«, die Liebe konnte nicht erwidert werden, aber sie sollte nicht ein Einsamkeitsgefühl bedeuten. Dieses Gefühl durfte ein sowjetischer Mensch (im Land des allgemeinen Wohles und der Gleichheit) einfach nicht erleben. Einige besonders scharfsinnige oder historisch feinfühlige Menschen haben schon am Ende der 1930er Jahre auf einen Krieg auf dem Territorium der UdSSR (und nicht »mit kleinem Blut« und auf fremdem Territorium) gewartet. Trotzdem hat sich herausgestellt, dass die sowjetische Literatur zum Verteidigungskrieg nicht ganz bereit war – wie auch die gesamte sowjetische Propagandamaschine. 1941–1945 ist vor der sowjetischen Literatur die Notwendigkeit entstanden, jene Situationen zu überarbeiten und zu erklären, die vom sowjetischen ideologischen Schema nicht vorgesehen waren. Schon in den ersten Kriegsmonaten wurden unbehagliche und sogar katastrophale Seelenzustände zu einem Teil des Kulturbewusstseins – ohne Teilung in emotional unbehagliche oder existentiell unbehagliche. Wichtiger war es, dass diese Seelenzustände persönlich erkannt und beschrieben wurden, wie ein unannehmbares Element des Alltags jedes Menschen,

2 И. Кукулин. »Нечитаемая война«. Неприкосновенный запас, 2005, 2–3, 40–41.

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Remarque und die moderne russische Literatur

und nicht als das, was mit erfundenen Helden geschieht, die in einem abstrakten, mit Anstrengungen der Propaganda geschaffenen Raum Krieg führen. Die Periode des »Tauwetters« wurde nämlich zu einem Versuch, den sozialen Raum (also den Ideologie-, Politik-, Wirtschafts- und Kulturraum) den Regeln entsprechend umzugestalten, die mehr zur Möglichkeit beitragen, die Macht nicht zu stärken, denn einzuhalten unter der notwendigen Bedingung, das Bestehen neuer Positionen zuzulassen. Die Literatur sollte dem neuen Zustand der Ideologie und dem Parteikurs entsprechen. Die Entstehung des »neuen Rahmens« hat nämlich den Leserboom, den Anstieg der Zeitschriften- und Buchauflagen, die Erhöhung des Literaturstatus hervorgerufen. Teilweise ist es gelungen, die Meinung der sowjetischen Gesellschaft zu verändern und einen Teil der Westliteratur zu rehabilitieren, der in der Stalin-Periode verboten war. Die sowjetischen Leser (auch die junge Generation) haben einen Zutritt zur Westliteratur bekommen. Unter den Autoren, die herausgegeben wurden, war auch Remarque. Jede Einschätzung des Werkes eines Schriftstellers schließt natürlich verschiedene Meinungen von diesen oder jenen Besonderheiten seiner Weltanschauung, von seiner schöpferischen Methode, von seinen Werken nicht aus. In der kritischen Auseinandersetzung haben einige Kritiker Remarque den Lorbeerkranz gereicht und ihn in eine Reihe mit den Klassikern des 20. Jahrhunderts – T.  Mann, K. Capek, E. Hemingway usw. – gestellt. Der andere Teil der sowjetischen Gesellschaft hat den Schriftsteller wie »einen starken ideologischen Feind des Sozialismus« gebrandmarkt, hat ihn »Verführer der sowjetischen Jugend« genannt.3 Remarques Werk hat einen großen Einfluss auf die damals (1950–1960) sich formierende Generation junger Schriftsteller ausgeübt. Gerade diese Bewegung der jungen Schriftsteller, die ihre Aufgabe darin sehen, den Krieg unter einem bestimmten Gesichtswinkel zu betrachten, hat die sogenannte »Leutnantsprosa« gebildet. Das Kriegstrauma aber, wie es die Zeit zeigt, wurde sogar darin (im Werk von Wiktor Nekrasow, Jurij Bondarew, Wasil Bjukow, Grigorij Baklanow, Boris Balter, Bulat Okudsgawa, Noris Wasiljew) nicht ganz erfasst. Daraus entsteht die Frage: Darf man von der Fortsetzung der Remarque-Tradition in den Werken über moderne Konflikte sprechen? Unserer Meinung nach ist die positive Antwort vollkommen gesetzmäßig. Wenn man von moderner Kriegsprosa in unserem Land spricht, muss man bemerken, dass sie aus den Werken junger Autoren gebildet wird, die meisten von ihnen haben an bewaffneten Konflikten in Afghanistan, Tschetschenien (und anderen Republiken der kaukasischen Region) teilgenommen. Dazu können folgende gerechnet werden: Das Tierzeichen und Afghanische Erzählungen von

3 В. Иванов. »Пишу о времени«. Советская Россия, 19 июня 1988.

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Oleg Pokhalenkov

O. Ermakow (1992), die Erzählungen Zehn Serien vom Krieg von A. Babtschenko (2001), die Erzählungen Der Fang und Überläufer von K. Tariwerdieew (1992), die Erzählung Auf dem Balkan sind die Wege eng von А. Кireew (2003). Einen besonderen Platz in der modernen Prosa nimmt das Thema des Kriegs in Afghanistan ein. Dieser Krieg war einerseits der letzte ›erklärte‹ Krieg der UdSSR, andererseits war es ein ›verborgener‹ (oder unsichtbarer) Krieg. Der Krieg selbst hat 10 Jahre gedauert (1979–1989). Die Ursache war der Aufruf der afghanischen Regierung und die Entscheidung der UdSSR, sich in den Konflikt zwischen offizieller Macht und Opposition einzumischen, der in einen offenen Bürgerkrieg gemündet ist. Die Operation hat einen geheimen Charakter getragen und sich mit der Zeit in offene Kampfhandlungen verwandelt, in denen die Sowjetunion eine Niederlage erlitten hat. Die schreckliche Erfahrung, die unsere Soldaten in diesem ›verborgenen‹ Krieg gesammelt hatten, wurde in den Werken widergespiegelt, die gerade die afghanische Prosa (Erinnerungen, Novellen, Erzählungen, Romane) bilden. Das Hauptthema dieser Werke bleibt wie früher der Mensch im Krieg – seine Emotionen, Gefühle und innere Welt. In der Beschreibung des afghanischen Kriegs aber gab es Besonderheiten, die für seine Teilnehmer von ›neuen‹ Voraussetzungen gegeben wurden: Unverständnis der Soldaten für den Sinn dieses Krieges, die besondere geographische Lage und das Klima, der Kampf gegen Andersgläubige usw. Das alles hat die bestimmte Transformation der Traditionen hervorgerufen, die zuvor existierten. Nach der Meinung von I. Sukhikh bestehen die Besonderheiten des Kriegs in Afghanistan aus sinnlosen Erschießungen, verstümmelten Gefangenen, »ungeheuerer« Schikanen und überfressenen, Karriere auf dem Blut der Soldaten anstrebenden Militärberatern und Angehörigen der rückwärtigen Dienste, aus Schüssen in den Rücken und Zinksärgen, in denen die »Fracht 200« in die Union verschickt wurde. Und das Schrecklichste war die sich wie eine Sinnestäuschung, wie ein qualvoller Schlaf wiederholenden Erzählungen der Mütter und Witwen von dem Erhalt dieser Fracht: Die Särge haben auf engen Treppenhäusern unserer mehrstöckigen Gebäuden gelegen, die sowohl für das Leben, als auch für den Tod gleich schlecht geeignet waren.4

Wenn man die weitere Traditionsentwicklung betrachtet, darf man die Werke über den Tschetschenienkrieg nicht außer Acht lassen. Viele Kritiker meinen, dass ihre Autoren der Tradition folgen, die noch W. Nekrasow und sein In den Schützengräben von Stalingrad gegründet haben. W. Pustowal meint:

4 И. Сухих. »Мы были на войне, которой не было«. Литературное обозрение. 1991, 10, 55.

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Remarque und die moderne russische Literatur

Der Krieg bei ihm [Nekrasow] wurde nicht vermenschlicht, mit einer romantischen Wahrnehmung eines Jungen, der von Heldentaten zur Verherrlichung des Landes träumt, oder mit Weisheit eines sowjetischen Kommandeurs aus einem alten Film beseelt. Der Krieg bei Nekrasow ist in alltägliches Leben verwandelt, ist begriffsstutzig, endlos.5

Solche Kriegsdarstellungen kann man auch bei den »tschetschenischen« Prosaikern finden: In ihren Beschreibungen des Kriegsalltags fehlt auch jegliche Romantisierung, und die Taten der Protagonisten haben keinen Heldengeist. Man muss bemerken, dass die von den Kritikern ausgezeichneten spezifischen Züge der Kriegsprosa zum Tschetschenienkrieg in vielem mit den Charakteristiken nicht nur von In den Schützengräben von Stalingrad, sondern auch mit den Werken der Vertreter der »verlorenen Generation« zusammenfallen. Die Forschungen der Literaturwissenschaft geben jedoch keine endgültige Antwort auf die Frage, ob Remarque, Aldington oder Hemingway einen konkreten Einfluss auf die Prosaiker ausgeübt haben, die über den Tschetschenienkrieg schreiben. In den meisten literaturwissenschaftlichen Arbeiten (W. Pustowal, A. Rudalewa, W. Degoewa und andere) wird der Analyse der Poetik einzelner Werke solcher Schriftsteller wie Z. Prilepin, A. Karasjow, A. Babtschenko, J. Latjinina, W. Makanin, A. Prochanow usw. der Vorzug gegeben. Es werden auch ihre Thematik, das Heldensystem, das Motivniveau betrachtet. Es werden Parallelen zwischen den Autoren gezogen, auf die unscharfe Grenze zwischen Memoiren, Autobiografien und Kunstwerken hingewiesen. In vielem wiederholt sich die Diskussion, die in der Leserschaft beim Entstehen der Literatur zum Ersten Weltkrieg und den nachfolgenden Kriegen und Konflikten in Gang gebracht wurde. Wir haben aber keine Forschungen gefunden, die zum Ziel haben, eine vergleichend-gegenüberstellende Systemanalyse im Inneren der Literatur zum Tsche­ tschenienkrieg durchzuführen. Es scheint nicht möglich, von einer Analyse zu sprechen, die Traditionen von W. Nekrasow oder von Schriftstellern der »verlorenen Generation« erkennen konnte. L. M. Dowletkireewa (die Autorin einer der wenigen Dissertationsforschungen zu diesem Thema) betont zurecht: »Kriegsprosa«, die den Ereignissen in der Tschetschenischen Republik Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts gewidmet ist, wird in der tschetschenischen Literaturwissenschaft nicht gebührend betrachtet. Das ist mit objektiven Ursachen verbunden. Und die wichtigste davon – die tschetschenische »Kriegsprosa« stellt die Literatur »den Schmerzen nach« dar. Beredt ist die Tatsache, dass das Regime der

5 В. Пустовал. »Человек с ружьем: смертник, бунтарь, писатель«. Новый мир. 2005, 5, 153–154.

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Antiterror-Operation (TBO) in der Tschetschenischen Republik von der russischen Regierung offiziell erst im April 2009 widerrufen wurde (Befehl des Sicherheitsratsdirektors A. Bortnikow). Der Zeitraum, der den heutigen Tag von dieser vergangenen Kriegstragödie trennt, ist winzig klein. Er reicht nicht aus für das vollwertige und tiefe Begreifen des Geschehens.6

Dennoch kann man feststellen, dass der bestimmte Anklang an die Romane von Remarque, Hemingway usw. in einigen Werken sichtbar ist. Im Roman von P. Jakowenko Im Süden nichts Neues z. B. ist er schon im Titel zu sehen, der auf den Roman des deutschen Schriftstellers verweist. Damit enden die Parallelen nicht. Im Zentrum der Erzählung steht ein junger Offizier, der in einer Truppe im Nordkaukasus dient. P. Jakowenko, wie vor ihm Nekrasow und Remarque, beschreibt ausführlich den Kriegsalltag der Soldaten: ihre Probleme, Emotionen und Gefühle. Das Heldensystem bricht auch stark zusammen: Soldaten-Kameraden, die die Stimmung einer ganzen Generation ausdrücken, die man abkommandiert hat, um für illusorische Staatsideale zu kämpfen. Bei allem Zusammenbruch aber muss man Verschiedenheiten besprechen, die von den historisch-literarischen Besonderheiten zur Zeit der Entstehung des Werkes bedingt sind. In erster Linie sind das die unwillkürlichen Fragen nach den Ursachen des zu führenden Kampfes und nach dem Wert des Lebens: Plötzlich läuft es mir kalt den Rücken hinunter. »Hier, jetzt, – dachte ich, – ich sehe auf die Siedlung, die bald, vollkommen möglich, nicht mehr existieren wird. Ich sehe darauf, was noch lang leben könnte, aber jetzt sterben muss. Und die Bewohner? Wie sind sie? Ob sie sehen, dass ihre Häuser, in denen sie viele Jahre gewohnt haben, sich bald in Ruinen verwandeln?‹ In meinem Kopf ist sofort das Bild entstanden, wie mein Haus von Volltreffern in Stücke zerschlägt…« Ich habe den Kopf geschüttelt, und die Vision ist verschwunden.7

Zweitens ist das die Transformation des Feindes. In der berühmten Szene im Trichter war die Hauptperson von Remarque, die sich neben einem sterbenden Franzosen befindet, von einer seelischen Krise befallen und hat im getöteten Feind einen Menschen, nicht nur einen Kriegsgegner gesehen. Der Held von P. Jakowenko hat solche Verwandlungen nicht:

6 Л.М. Довлеткиреева. Современная чеченская «военная» проза: историко-культурный контекст, жанровый состав, поэтика (1990–2010 гг.). дис. … канд. филол. наук. Махачкала 2010, 14. 7 П. Яковенко. «На Южном фронте без перемен»: royal-lib.ru/book/yakovenko__pavel_/ na_yugnom_fronte_bez_peremen.html.

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Bandera hat etwas gefunden und mich gerufen. Ich bin ihm näher gekommen und habe das Foto aus seinen Händen genommen. Das war ein übliches schwarz-weißes, sogar nicht farbiges Foto. Irgendein bärtiger Mann, eine Frau mit schwarzem Tuch, Kinder. Ich habe den Blick von dem Foto zu den Toten gewandt. »Аh… Das ist er, derselbe Militante. In Gummistiefeln. Er hat das Foto mit Frau und Kinder am Herzen getragen. Unfassbar, wie sentimental! Ich weine jetzt!… Wäre er zu Hause, wäre er noch heil und unversehrt.‹» »Mehr nicht?« – fragte unser Sanitäter Bandera. »Nichts, leer«, – antwortete er und stieß einen der Toten mit dem Fuß an. »Was machen wir jetzt mit ihnen?« »Lassen wir sie hier«, – sagte ich. – »Wer braucht, der kommt und nimmt mit.«.

Das erklärt sich in vielem mit den Kriegsmotiven und Charakteristiken der Gestalt des Feindes. Unsere Soldaten haben ihren Sinn nicht verstanden, die Tschetschenen haben in den russischen Soldaten nicht nur einen Waffengegner, sondern auch einen ideologischen Feind und Eroberer gesehen (denn der Krieg fand auf ihrem Territorium statt). Darum hatten weder die einen noch die anderen Mitleid miteinander. Solche Situationen (wie in dem oben angeführtem Zitat) haben den Helden von P. Jakowenko zum Nachdenken über seinen Platz im Krieg und über die Notwendigkeit des Krieges gebracht. Er hat aber keine Antwort gefunden. Es gab aber den Wunsch, am Leben zu bleiben und nach Hause zurückzukehren: Manchmal denkst du: »Verdammt noch mal! Ganz vor kurzem, es sind noch keine 5 Jahre vergangen, waren sie sowjetische Bürger, haben in einem Land gelebt, in einer Armee gedient, dieselben Bücher gelesen und ferngesehen. Und jetzt fährst du durch dieses Tschetschenien und fühlst klar – das ist ein fremdes Land, ein feindliches Land. Uns ist hier nicht gut. Möchtest du nach Hause … Aber so, dass es diese Nationalität dort auch nicht gibt. Wir werden bei uns leben, sie mögen bei ihnen. Wir betreten ihr Haus mit keinem Fuβ mehr, sie aber – auch.«

Auf solche Weise kann man feststellen, dass sich bei der komparatistischen Betrachtung des Werkes von P. Jakowenko Parallelen zeigen, die die Traditionslinie zu den Vertretern der verlorenen Generation aufdecken. Im Kontext der Analyse der modernen russischen Kriegsprosa entsteht wieder die Frage nach den Ursachen, sich zum Werk von Remarque zu wenden. Warum wird gerade er als Orientierungspunkt in vielen Texten gewählt? Vielleicht steckt die Antwort hinter der Aufrichtigkeit seiner Beschreibung von Gefühlen und Emotionen, die ihn sowohl mit Zeitgenossen, als auch mit den nächsten Genera­ tionen verbindet. Der Kriegsberichterstatter aus dem Donezbecken Wadim Kandilinskij erklärt sein Interesse an Remarques Roman Im Westen nichts Neues so: 171

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Ich habe Im Westen nichts Neues zweimal gelesen. Ich habe in diesem Buch Antworten gesucht. Es steht jetzt auch auf dem Regal im Schrank auf dem Ehrenplatz. Es ist das einzige zwischen den Chevronen schon nicht mehr existierender Einheiten, verfallenen Akkreditierungen, Litzen und anderen Trophäen, die ich aus dem Donezbecken mitgebracht hatte. Welche Antworten habe ich gesucht? Vielleicht, wie muss ich mich mit mir selbst nach dem Erlebten umgehen. Nach dem Gesehenen. Wie kann man weiter leben und nicht an die Vergangenheit denken.8

8 В. Кандилинский. Фидель на Донбассе. Записки военкора. М.: Книжный мир, 2019, 67.

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Университет в Магадане – центр ремарковедения: наука и практика Die Universität in Magadan als Remarque-Zentrum: Wissenschaft und Praxis

Im Beitrag werden die Ergebnisse des gemeinsamen Forschungsprojekts »Übersetzungen der Werke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts ins Russische und ihre Rezeption« in den letzten 5 Jahren skizziert. Unter anderem handelt es sich dabei um die Rezeption der KZ-Literatur. Diese Ergebnisse entstanden im Rahmen der Partnerschaft zwischen dem Erich Maria Remarque-Friedenszentrum und dem Lehrstuhl für Fremdspachige Philologie der Nord-Östlichen Staatlichen Universität. Dabei werden die wichtigsten Gründe sowie Richtlinien der Untersuchung des Werkes Remarques sowie der Werke von modernen deutschen Autoren und deren Übersetzungen in Russland von Germanisten und Übersetzungsforschern aus Magadan beschrieben und die grundlegenden Ergebnisse der fruchtbaren und detaillierten Arbeit dargestellt. In diesem Zusammenhang ist das praktische Engagement zu diesem gemeinsamen Forschungsprojekt der Studenten und Schüler als neuer Generation russischer Leser und Forscher bemerkenswert. Партнерство между университетом г. Оснабрюка (Германия) и Северо-Восточным государственным университетом (Россия) возникло из совместного исследовательского интереса к Эриху Марии Ремарку, родившемуся в Оснабрюке и невероятно популярному в России писателю. На филологическом факультете СВГУ в г. Магадане, уже начиная с середины 90-х годов XX века, велись исследования по творчеству Ремарка, особенно по вопросам проблематики перевода его произведений на русский язык. И таким образом появился совместный исследовательский проект «Переводы произведений немецких авторов XX столетия на русский язык и их рецепция», который развился в рамках среднесрочного проекта, посвященному изучению наследия Ремарка. Может возникнуть вопрос: почему именно Э. М. Ремарк, а не Ф. Кафка или Г. Бёлль, Г. Грасс или П. Целан? Конечно, это могли бы быть и Г. Гессе, и Г. Тракль и многие другие. Ведь немецкая литература (впрочем, как и лю173

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бая другая), по словам Плиния Младшего, является лекарством для души. И мы выбрали этого писателя именно по зову нашей души. Читатель найдет исчерпывающий ответ на заданный выше вопрос в многочисленных публикациях кафедры зарубежной филологии филологического факультета Северо-Восточного государственного университета. Кроме того, особый интерес к творчеству Ремарка среди ученых, исследователей и студентов нашего университета связан с тем, что из-под пера этого самобытного писателя вышел антивоенный роман Der Funke Leben. Ремарк ярко и правдиво представил человеческую трагедию нахождения в концентрационном лагере. И это ему удалось, несмотря на то, что сам он избежал такой участи. Этот роман послужил импульсом не только к его научному изучению, но и к изучению отечественных произведений, которые объединяет понятие «лагерная литература», очень важное именно для нашего региона с его историей колымских лагерей. Иными словами, изучение творчества Ремарка стало необходимым импульсом для развития нашего научного интереса к произведениям отечественной и мировой литературы о лагерях. В этом направлении сделано за долгие годы немало. Мы же остановимся на результатах последних пяти лет нашего коллективного исследования, которые внедряются в научную, образовательную и культурную жизнь нашего региона. В первую очередь необходимо сказать о научных достижениях ученых кафедры зарубежной филологии филологического факультета СВГУ, на базе которой был начат этот исследовательский проект в 1998 году, продолжающийся по сей день. Одним из результатов стали 17 публикаций различного рода – от тезисов и научных статей до учебных пособий, вышедших в свет в Оснабрюке (Германия), Москве (Россия), Красноярске (Россия), Хабаровске (Россия), Комсомольске-на-Амуре (Россия) и, конечно, в Магадане (Россия). Романное творчество Ремарка, безусловно, находится в центре нашего внимания: другом за другом выходят статьи, опубликованные в сборниках Erich Maria Remarque Jahrbuch/Yearbook. Они посвящены истории переводов романов Der Weg zurück1 и Drei Kameraden.2 Эти глубокие литерату1 Р. Р. Чайковский. »Роман Э.М. Ремарка ›Der Weg zurück‹: история переводов на русский язык (1930-2015)«. Thomas F. Schneider (Hg.). Auszeiten vom Töten. Remarques Im Westen nichts Neues, Der Weg zurück und die Verfilmung Arch of Triumph. Göttingen: V&R unipress 2016 (Erich Maria Remarque Jahrbuch/Yearbook 26), 61–71. 2 Р. Р. Чайковский. »История переводов романа Э.М. Ремарка ›Три товарища‹ на русский язык«. Carl-Heinrich Bösling et al. (Hg.). Menschenbeben. Ursachen, Formen und Folgen der Flucht. Göttingen: V&R unipress, 2017 (Erich Maria Remarque Jahrbuch/Yearbook 27), 173–192.

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рографические работы явились результатом научного поиска профессора, доктора Романа Романовича Чайковского. Разносторонний характер переводоведческих проблем отразился также в его статьях, посвященных новым переводам прозы Ремарка и культурологическим вопросам перевода.3, 4 Р. Р. Чайковский отмечает, что «и время жизни писателя, и время жизни его произведений, а также их переводов состоит из «времен эпохи», в которую жил автор и в которую жили и продолжают жить его творения. Говоря о жизни Ремарка, его романов и их переводных версий, можно сказать, что их временами были как время культуры, так и время антикультуры, которые, несмотря на все исторические перипетии, вновь сменились временем культуры относительно позитивной».5 По мнению профессора Чайковского ценность романов Ремарка для российских читателей неизменно возрастала, хотя, как мы знаем, с течением времени художественная ценность многих произведений других авторов значительно ослабевала. О возрастающей ценности романов Ремарка свидетельствует и число языков, на которые они переводятся и количество изданий во всем мире.6 Творчество Ремарка в аспекте проблематики лагерной литературы изучает декан филологического факультета, кандидат наук, доцент Е. В. Нарбут, вовлекая в свою исследовательскую деятельность студентов бакалавриата и магистратуры филологического факультета.7, 8 Особый акцент делается на внедрении исследованного материала в практику вузовского преподавания. К основным проблемам, связанным с развитием компетенций в области литературного перевода у студентов, изучающих иностранные языки, Е.

3 Р. Р. Чайковский. »Новые переводы прозы Э.М. Ремарка: плюсы и минусы«. Актуальные проблемы лингвистики, переводоведения, литературоведения, лексикографии, теории и практики обучения иностранным языкам (к юбилею Дж. Р. Р. Толкина) : сборник материалов Международной научной конференции (г. Москва, 20 апреля 2017 г.). М.: ИИУ МГОУ, 2017, 109–111. 4. Р. Р. Чайковский. »Время оригинала – время перевода – время культуры (на материале переводов романа Э.М. Ремарка ›На Западном фронте без перемен‹ на русский язык)«. Язык, культура, перевод: Материалы III международной очно-заочной конференции (г. Магадан, 30 сентября 2016 г.). Красноярск: Научно-инновационный центр, 2016, 164–169. 5 Ebd. 165. 6 Ebd. 168. 7 Е. В. Нарбут. »Лагерная художественная литература: вчера и сегодня«. Вестник Московского государственного лингвистического университета. Гуманитарные науки. Выпуск 1 (789). Москва: ФГБОУ ВО МГЛУ, 2018, 120–127. 8 Е. В. Нарбут. »Перевод лагерной литературы: этический аспект«. Актуальные проблемы литературного перевода. Вестник МГЛУ. Вып. 11 (772). М.: ФГБОУ МГЛУ, 2015, 96–105.

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В. Нарбут относит группу проблем, связанных с методическим разрывом между полученными знаниями в языке и навыками их практического применения, а также с недостаточными возможностями по формированию знаний и навыков в отдельных видах переводческой деятельности. Для решения этих проблем необходимо и дальше проводить научные и научно-практические изыскания не только по онтологическим проблемам перевода, но и в области его методики и дидактики. При этом она с удовлетворением отмечает, что начало XXI века характеризуется высоким уровнем интереса к проблемам литературного перевода. Об этом свидетельствуют не только ежегодные материалы ведущих российских научных журналов, но и материалы международных научных и научно-практических конференций, проводимых на базе СВГУ и организованных кафедрой зарубежной филологии.9, 10 Эти работы обогащают науку о литературном переводе. С ними, как считает Е. В. Нарбут, обязательно должны знакомиться студенты, изучающие иностранные языки и перевод: «Мысль о том, что без постоянного обращения к научным достижениям в области литературного перевода не может получиться профессионала, должна стать внутренним содержанием каждого будущего переводчика».11 Практическим результатом такого подхода стали подготовка и внедрение в учебный процесс электронного учебного пособия для студентов филологического факультета.12 В данном учебном пособии последовательно представлены основные темы, необходимые студентам-филологам выпускного курса для успешной подготовки к государственному экзамену по немецкому языку. Представленный в пособии материал полезен и студентам младших курсов, да и не только студентам-филологам, а также любым филологам-германистам, занимающихся стилистическим анализом текстов художественной литературы на немецком языке. Поэтому в пособии среди образцов произведений немецких писателей заслуженное место занимают отрывки из романов и рассказов Э. М. Ремарка (Drei Kameraden, Im

9 Язык. Культура. Перевод: сборник материалов III Международной очно-заочной конференции (г. Магадан, 30 сентября 2016 г.). Красноярск: Научно-инновационный центр, 2016. 10 Язык. Культура. Перевод: сборник материалов IV Международной научной кон­фе­ ренции (г. Магадан, 30 сентября 2019 г.). Красноярск: Научно-инновационный центр, 2019. 11 Е. В. Нарбут. »Литературный перевод в вузе: проблемы, поиски, решения«. Вестник Московского государственного лингвистического университета. Серия: Языкознание 2016, 11 (750), 51–57. 12 Е. В. Нарбут, В. В. Михалева. Staatsprüfung fehlerfrei: Lehrmittel für die Studenten der philologischen Fakultät / Государственный экзамен без ошибок: учебное пособие для студентов филологического факультета. Магадан: СВГУ, 2016, 1 DVD-ROM.

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Westen nichts Neues, Das seltsame Schicksal des Johann Bartok, Die Geschichte von Annettes Liebe). К этому добавим, что помимо использования вышеуказанного пособия, в учебном процессе активно используются и другие материалы, наработанные в контексте проводимых кафедрой научных исследований творчества Ремарка. Они присутствуют в таких учебных курсах, как «Художественный перевод», «Стилистика и анализ текста», «Основы художественного перевода», а также «Творчество Ремарка-антифашиста». Как было сказано выше, именно творчество Ремарка стало сильнейшим импульсом к изучению всей мировой лагерной литературы и явилось одним из новых, но уже продуктивных направлений в кафедральных исследованиях. Под руководством Е. В. Нарбут студенты проводят научную работу, публикуют статьи, участвуют в конференциях, готовят к защите дипломные работы. За это время были подготовлены и успешно защищены дипломные работы О. А. Булыгиной «Художественные особенности использования лагерного жаргона в романе Э. М. Ремарка ›Der Funke Leben‹», А. В. Ишковой «Отражение лагерной проблематики в жанре комикса (на примере комикса ›Endstation GULAG‹», Н. В. Фетисовой «Проза Б. Шлинка и её место в современной немецкой литературе: особенности проблематики и стиля», Е. Д. Кульшан «›Maus: die Geschichte eines Überlebenden‹ А. Шпигельмана и ›Endstation Gulag‹ Г. Мумину как образцы жанра комикса в современной лагерной литературе», О. А. Мирошничено «Роман Э. М. Ремарка ›Im Westen nichts Neues‹ в русских переводах». В результате подобных исследований определяются новые жанры лагерной литературы, а в научный оборот вводятся новые тексты. В одной из последних выпускных работ «›Maus: die Geschichte eines Überlebenden‹ А. Шпигельмана и ›Endstation Gulag‹ Г. Мумину как образцы жанра комикса в современной лагерной литературе» (2019 год) представлены результаты изучения жанра комикса в современной лагерной проблематике. С полученными результатами также можно ознакомиться в статье «Жанр комикса в современной лагерной проблематике».13 Само понятие «лагерная литература» не располагает, на первый взгляд, к тому, чтобы связывать его с жанром комикса. Стереотипное отношение к комиксу не дает представить, что графические романы могут быть посвящены лагерной проблематике и нести более глубокий характер. Комикс как жанр художественной литературы до

13 Е. Д. Кульшан, Е. В. Нарбут. »Жанр комикса в современной лагерной проблематике«. Диалог культур – диалог о мире и во имя мира: материалы X Международной студенческой научно-практической конференции (г. Комсомольск-на-Амуре, 25 апреля 2019г.). Комсомольск-на-Амуре: АмГПГУ, 2019, 180–185.

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70-х годов не воспринимался как серьезная тема. Но к концу XX – началу XXI веков такие авторы, как Арт Шпигельман, Паскаль Крочи, Ги Мумину стали использовать именно эту «низкую» среду, чтобы изобразить одну из самых серьезных проблем для Европы – Холокост. Одним из самых известных комиксов, отражающих лагерную проблематику, стал Maus: die Geschichte eines Überlebenden А. Шпигельмана. Комикс был высоко оценен критиками и до сих пор считается одним из самых лучших графических романов. В 1992 году Арт Шпигельман был удостоен за него Пулитцеровской премии. Данный графический роман, по сути, является каноном для комиксов в жанре лагерной литературы. Изображение такой серьезной темы с помощью рисунков было воспринято читателями на первых порах неоднозначно. Связано это с тем, что, по мнению многих критиков, при чтении графических романов происходит потеря реальности: даже воспоминания очевидцев смешиваются с вымышленными дискурсами. Поэтому цель заключается в том, чтобы привнести лагерную историю в сознание, в память читателя, используя художественную литературу. При этом творчество Ремарка продолжает интересовать студентов. В 2015 году одной из лучших дипломных работ была признана работа О. А. Булыгиной «Художественные особенности использования лагерного жаргона в романе Э. М. Ремарка ›Der Funke Leben‹» – очень глубокое, самобытное исследование, в результате которого были сделаны следующие выводы: зарубежное литературоведение связывает в жанровом отношении KZ-Literatur с литературой холокоста (Holocaustliteratur). Оно также включает понятие KZ-Literatur в более широкое жанровое образование Gefangenenliteratur или Gefängnisliteratur (тюремная литература, литература заключенных); лексический анализ показывает, что из всех подгрупп лагерной лексики жаргонную подгруппу лагерной лексики большей частью представляет заимствования из солдатского жаргона, что связано с тем, что Э. М. Ремарк не имел собственного опыта пребывания в лагере; несмотря на отсутствие личного опыта пребывания в концентрационном лагере, автору удалось преломить в стилистических целях солдатский жаргон (Soldatensprache) и собственный опыт солдата Первой мировой войны. Многогранность творческой натуры Ремарка было явлено в том, что известный всему миру прозаик создал целый ряд ярких поэтических текстов. Долгое время они оставались неизвестными даже у себя в Германии. И только трепетное отношение и скрупулезный подход к творчеству великого творца, проявленные доктором, профессором Т.Ф. Шнайдером, директором Центра им. Э. М. Ремарка в Оснабрюке (Германия), позволило мировому читателю прикоснуться к поэтической грани этого таланта. Мы очень рады, что первые переводы этих стихотворений были выполнены в России, а именно на кафедре зарубежной филологии СВГУ, профес178

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сором, доктором Р. Р. Чайковским.14 При этом особой радостью для нас для всех, не только как для исследователей, но и как для любителей поэзии, стало продвижение сборника переводов поэзии Э. М. Ремарка в широкий круг российских читателей: известный литературно-художественный журнал «Изящная словесность» в 2015 году опубликовал большую статью об этом сборнике.15 На кафедре зарубежной филологии изучением поэтического наследия Ремарка занимается кандидат наук Е. А. Ковынева. Ею опубликован ряд работ, в которых рассматривается метрический справочник поэзии Ремарка начального периода,16 изучаются трехсложники в его поэтическом наследии17 и др. Результатом совместной со студентами исследовательской работы стала подготовка и защита дипломного сочинения З. А. Джигкаевой «Проблема перевода авторских неологизмов на русский язык (на материале поэзии Э. М. Ремарка)». Это первая дипломная работа, посвященная поэзии Ремарка. Автор не просто выбрал и проанализировал неологизмы, встретившиеся в анализируемых стихотворениях. Был дан хоть и предварительный, местами спорный, но любопытный литературоведческий анализ его поэтического наследия. Студентка считает, что поэтическое творчество Ремарка не относится ни к одному из направлений модернизма, в том числе и к такому исконно немецкому движению, каким является экспрессионизм. Его стихи в целом выдержаны в классической поэтической манере. Однако Ремарк был, безусловно, знаком с поэтическими течениями своего времени, и они не могли не повлиять на некоторые черты его поэтического стиля. Это, в первую очередь, касается того, что в его поэтическом наследии встречаются окказионализмы. Создание окказионализмов, хотя и не является одной из главных черт ремарковской поэтики, представляет интерес не только для исследователей его творчества в литературоведческой плоскости. Возникает также

14 Р. Р. Чайковский. Стихотворения. Пер. с нем. Р. Чайковского. Магадан: Кордис, 1999, 75с. 15 Р. Р. Чайковский. »Э. М. Ремарк. Стихи / Пер. с нем. Р. Чайковского«. Изящная словесность. Литературно-художественный журнал (СПб.), 2015, 2 (26), 89–93. 16 Е. А. Ковынева. »Метрический справочник поэзии Э. М. Ремарка начального периода«. Язык, культура, перевод: Материалы III международной очно-заочной конференции (г. Магадан, 30 сентября 2016 г.). Красноярск: Научно-инновационный центр, 2016, 74–78. 17. Е. А. Ковынева. »Трехсложники в поэтическом наследии Э.М. Ремарка и их переводы на русский язык«. Социальные и гуманитарные науки на Дальнем Востоке. Т. XV. Вып. 1. Хабаровск: Изд-во ДВГУПС, 2018, 78–83.

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интересная проблема для ученых-переводоведов: как русские переводчики справляются с этой задачей. Был проведен сравнительный анализ оригиналов и переводов, выполненных Р. Р. Чайковским и Н. Сидемон-Эристави. Анализ показал, что обнаруженные авторские неологизмы созданы по одной словообразовательной модели путем сложения основ. При этом переводчики, делая успешные попытки поэтического перевода с высоким уровнем адекватности, зачастую не ставят перед собой задачу отражения окказионального творчества поэта. Помимо научной деятельности кафедра зарубежной филологии проводит широкую просветительскую работу. Уже стали традиционными поэтические вечера, которые объединяют неравнодушных преподавателей и студентов разных факультетов нашего университета, и где звучит поэтическое слово Ремарка. Участники поэтических вечеров отмечают невероятную музыкальность некоторых стихотворений поэта. Неудивительно, что его стихи были положены на музыку известным магаданским бардом Альфредом Соколиковым. Одним из таких произведений стала Abendlied, исполненная на языке оригинала студентами филологического факультета. На литературных вечерах читаются не только лирические стихотворения Ремарка и их переводы на русский язык: в его поэтическом творчестве есть и экспериментальные стихи, стихотворения с нерегулярным ритмом, верлибр, стихотворения в прозе и пр. Слушатели всегда отмечают и разнообразие его поэзии в жанровом, стилистическом и тематическом аспектах. Просветительская работа кафедры зарубежной филологии не исчерпывается литературными вечерами. Уже три года нами реализуется социально-ориентированный проект «Немецкий в портфеле» для школьников города. Студенты филологического факультета под руководством наших преподавателей проводят уроки языковой анимации, что с интересом воспринимается детьми. Этот проект знакомит школьников не только с немецким языком, но и с немецкой культурой и литературой, где имя Ремарка занимает свое почетное место. Феномен его личности и творчества не перестает удивлять и восхищать в XXI веке, оставаясь близким и понятным нашему современнику. В контексте заявленной тематики нельзя не упомянуть о большом вкладе в поддержание интереса к изучению творческого наследия Ремарка нашего бессменного соавтора, соратника, подвижника и большого друга филологического факультета – доктора, профессора, Томаса Ф. Шнайдера, руководителя архива Э. М. Ремарка, который помогал и помогает протянуть ниточку между Оснабрюком, родным городом Ремарка, и Магаданом, на первый взгляд таким далеким, но ставшим для ценителей Ремарка в какой-то степени родным.

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Ein alter Freund Remarques Rezeption in Bulgarien nach der Wende

Meinen Beitrag im Erich Maria Remarque-Jahrbuch 1999 über die Rezeption von Remarque in Bulgarien bis 1998 habe ich mit den Worten beendet: »Erich Maria Remarque gehört in Bulgarien zu den Autoren, deren Bücher immer wieder gern gelesen werden.«1 Dieser Zusammenfassung kann ich mich auch heute mit Hinblick auf die Wiederveröffentlichungen und auf die Beiträge zu Remarque in Bulgarien ab 1999 anschließen. Die Liebe und das Interesse an Remarques Werke ist bei den bulgarischen Lesern ungebrochen. Dafür zeugen die zahlreichen Neuauflagen von bereits bekannten Büchern von Remarque2. Interessant ist, dass einige Werke erst ab 1998 den bulgarischen Leser erreichen. Es sind: Gam, Station am Horizont, Das gelobte Land, Der letzte Akt und Die letzte Station. Veröffentlicht wurden auch eine Sammlung mit kurzer Prosa und Poesie von Remarque unter dem Titel Die Stunde der Befreiung und eine Zitatensammlung von Remarque: Der romantische Fremde.3 Das Theaterstück Die letzte Station ist dem bulgarischen Leser nicht ganz unbekannt. 1958 hat man dieses Werk im Nationaltheater »Ivan Vasov« in Sofia aufgeführt. Die Veröffentlichung des Buches ließ jedoch zweiundvierzig Jahre auf sich warten. Ob dahinter ideologische Überlegungen stehen, ist heute schwer zu sagen. Es gibt keine Quellen darüber, die man auswerten könnte. Meine Vermutung ist, dass dies die Demokratisierung der bulgarischen Gesellschaft nach der Wende möglich gemacht hat. Dies ist auch die Erklärung, warum der Roman Gam ebenfalls zu dieser Zeit (1999) zum ersten Mal dem bulgarischen Leser vorge-

1 Mariana Parvanova. »Remarque-Rezeption in Bulgarien. Eine Retrospektive«. Erich Maria Remarque Jahrbuch 9 (1999), 150. 2 Vgl. die Tabelle der veröffentlichten Bücher von Remarque in Bulgarien am Ende dieses Beitrages. 3 Ebd.

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stellt wurde. Mit dem Roman Gam tut sich die bulgarische Kritik nach der Wende schwer. Dafür spricht die Tatsache, dass es nur ein paar Rezensionen dazu gibt. Der Roman wird als Reiseroman und als ein philosophisches Buch gewertet, in dem die einzige Frauenhauptfigur Remarques auf der Suche nach sich selbst und nach dem Sinn des Lebens ist. Gam ist exzentrisch, ungestüm und ungezwungen.4 Ihre Begegnungen mit unterschiedlichen Männern nutzt der Schriftsteller, um verschiedene Wertesysteme und Philosophien des Lebens zu präsentieren. Konstantina Zoneva beschreibt für den bulgarischen Leser das Ziel des Romans so: Remarque bietet den Lesern Einblicke in eine Vielzahl von Wertesystemen und setzt gekonnt die mystische asiatische Schönheit als Kulisse ein. Er baut die These über die Liebe auf, unterstützt sie mit Handlungen, um sie am Ende zu zerstören, um zu zeigen, dass man die Liebe, in welcher Form auch immer, immer wieder an erster Stelle setzen würde. [...] Die Handlung ist gespickt mit Remarques philosophischen Urteilen, mit seinen Analysen über den persönlichen Weg, über die Schönheit der Existenz, über die ewige Suche nach dem Nervenkitzel des Lebens, indem man nach allen Arten von Gefahr sucht.5

Zoneva stellt auch die Frage, ob sich Remarque mit einer von den männlichen Figuren identifiziert. Sie ist der Meinung, in der Figur von Lavalette den Schriftsteller wieder zu erkennen. Diese Meinung unterstützt sie mit Parallelen zu der Tatsache, dass Remarque in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Texte unter diesem Pseudonym veröffentlicht hat.6 Zoneva ist der Meinung, dass das Buch Gam darauf hinweist, wie Remarque als Schriftsteller wäre, wenn nicht der Krieg dazwischen gekommen wäre. Er wäre ein Schriftsteller wie aus der Belle Epoque – ein sinnlicher Träumer, sanft realistisch, gereist, sich verlierend und sich wieder findend in das Menschliche, auf den ersten Blick triviale Existenz, die mit Überlebenskampf und Liebe erfüllt ist. Es erinnert irgendwo an Exupéry. Zwei lyrische Philosophen, die von Natur aus und aus Pflicht Soldaten sind.7

Für Vassilena Vassileva ist Gam ein »Gegensatz zum bekannten antifaschistischen Stil Remarques und etwas Anderes als das Thema der verlorenen Generation.« In diesem Roman zeige uns der Schriftsteller ein anderes und wenig bekanntes

4 Konstantina Zoneva. »Gam – so wäre Remarque, wenn nicht der Krieg dazwischen gekommen wäre«. www.lira.bg, 02.08.2017 (https://lira.bg/archives/137542). 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd.

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Gesicht.8 Vassileva sieht in Gam einen Roman der Thesen. Remarque lässt hier unterschiedliche Blickperspektiven über Liebe und Leidenschaft, über den Sinn des Lebens, das Leiden und den Tod aufeinander prallen.9 Die Reise von Gam bezeichnet Vassileva als eine Entdeckerreise zu der eigenen Natur. Beide Analysen ähneln sich in diesem Punkt, dass sie keiner Ideologien dienen und freie Meinungen präsentieren. Das ist typisch für die Zeit nach der Wende in Bulgarien. Maria Jambolieva teilt richtigerweise die Remarque-Rezeption in Bulgarien in die Perioden vor 1944, von 1944 bis 1989 und nach 1989.10 Diese Aufteilung folgt der politisch-historischen Entwicklung in Bulgarien. Die erste Periode umfasst die Vorkriegszeit und die Kriegsjahre bis 1944. Am 9. September 1944 endet der Zweite Weltkrieg in Bulgarien. Die faschistische Regierung ist beseitigt. Es beginnt der Aufbau des Sozialismus. 1989 kommt die Wende in Bulgarien. Die unterschiedlichen politischen Stimmungen dieser Perioden sind natürlich entscheidend für die Rezeption von Remarques Büchern. Jambolieva schreibt, dass in der ersten Periode die Faktoren günstig für »eine wohlwollende Wahrnehmung wegen Remarques Pazifismus, seines charakteristischen Schreibstils, der dramatischen und mitreißenden Sujets, die seine Werke beherrschen«,11 waren. Gleichzeitig stellt sie in Bulgarien eine »kulturelle Autonomie« gegenüber Remarques Rezeption in Deutschland fest. Während seine Bücher dort verbrannt wurden und der Autor auswandern mußte, sind seine Werke in Bulgarien überwiegend positiv aufgenommen und gerne gelesen worden. Bulgarien vor dem Ersten Weltkrieg war in der Tat ein weltoffenes Land, und die Kulturereignisse in den großen europäischen Hauptstädten prägten auch das Kulturleben in Bulgarien. Die bulgarische Intelligenz stand in keiner Hinsicht der europäischen nach, da sie eine Ausbildung im europäischen Ausland genoss. Die neuen kulturellen Tendenzen, Bücher und Theaterstücke wurden gleich im Kreis der bulgarischen Intelligenz besprochen und ausgewertet. Die zweite Periode ist ideologisch geprägt. Aus diesem Grund wird Remarque nicht mehr als Pazifist, sondern als antifaschistischer Autor mit einer Passivität und mit einer gewissen Kurzsichtigkeit für die Klassenkämpfe und für die Rolle des Klassenkampfes des Proletariats stilisiert. Die Wertungen von den 50er bis in die 90er Jahre sind in ihrer Mehrheit gleichartig und schablonenhaft. [...] Die bulgarische Kritik hat solche »utopischen« Erscheinungen bei Remarque wie Pessimismus, Individualismus, sich Abschließen in der 8 Vassilena Vassileva. »›Gam‹ von Erich Maria Remarque – ein Roman über die unterschiedlichen Gesichter der Liebe«. www.cineboom.eu, 08.06.2017 (https://cineboom.eu/гам-отерих-мария-ремарк-роман-за/). 9 Ebd. 10 Maria Jambolieva. »Die bulgarische Rezeption von Erich Maria Remarque«. https://passbyhere.org/българската-рецепция-на-ерих-мария-ре/.

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eigenen privaten Welt und die Suche nach dem Sinn des Lebens in der Welt des Irrationalen angegriffen.12

Im Grunde genommen bleibt Remarque auch in dieser Zeit trotz der sozialistischen Kritik Liebling der bulgarischen Leser. Dafür spricht auch Dimitar Stajkov in seinem Artikel Remarque war Arznei gegen die Realität. Er bezeichnet Remarque als »Gegengift gegen den ganzen Irrsinn, in dem man lebt«.13 Er spricht dabei nicht von der Wahrnehmung der bulgarischen Literaturkritik. Er berichtet über die persönlich-private Wahrnehmung der bulgarischen Leser. Sie betrachten die Welt, die Remarque aufzeigt, als die Welt, wo sie gern sein würden. Die bulgarischen Leser fühlen sich beengt und verfolgt in der sozialistischen Realität. Stajkov schreibt davon, dass die Menschen und vor allem die jungen Menschen die drei Kameraden nachahmen möchten. Sie suchen den Zusammenhalt unter Freunden, das Leben in glitzernden Lokalen, (die es damals in Bulgarien nicht gab) und die Menschen, die trinkfest sind.14 Stajkov bezeichnet Remarques Helden als Individualisten und »wahre Männer, die Tag für Tag leben. Sie gehen keine Kompromisse wegen Geld oder Ruhm ein. Die Übergriffe und die Beleidigungen klären sie selbst und lieben ihren Geliebten wie mittelalterliche Ritter«.15 Dimitar Tanev ist ebenfalls von Remarques Helden angetan. Er beschreibt sie als Individualisten und Einzelgänger, die sich gewöhnlich nicht den Bewegungen, den Proklamationen und den Massen anschließen.16 Er sieht sie auch nicht als Pessimisten, Nihilisten, Schwarzseher, nicht als stolze Wanderer, die in ihrer distanzierten Welt eingekapselt sind und nicht als Zyniker.17 Für ihn sind der Individualismus und das Einzelgängertum von Remarques Helden Ausdruck von Selbstschutz, Selbstachtung und eine eigenartige Form von Ablehnung und Protest.18 Tanevs Wahrnehmung von Remarque ist, dass der Schriftsteller poetisch, nostalgisch, traurig und niedergeschlagen von seiner Sehnsucht nach Frieden auf der Erde und in den menschlichen Seelen ist.19 Die neue bulgarische Kritik nach der Wende sieht somit deutlich mehr Facetten in den Helden von Remarque als in der sozialistischen Periode. Das Abtauchen der Helden in der eigenen Welt als Selbstschutz wird nicht mehr als dekadent

11 Ebd. 12 Parvanova, 150. 13 Dimitar Stajkov. »Remarque war Arznei gegen die Realität«. 24 časa 166 (23.06.1998), 22. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Dimitar Tanev. »Besinnung auf Remarque«. Plamak – Monatliche Zeitschrift für Literatur, Kunst und Publizistik 42 (1998), 11–12, 20. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd.

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oder als eine Schwäche gewertet. Es wird dem Menschen zugestanden, dass er verletzlich und er selbst sein darf. Die grobe Einmischung der Ideologie, wie der einzelne Mensch sein und fühlen soll, ist weggefallen. Das Streben nach dem eigenen Wunschbild kommt zum Vorschein. Neben der Schönheit und der Wichtigkeit der Freundschaft und der uneigennützigen männlichen Kameradschaft preist Tanev die Liebe in Remarques Werken als Zuflucht und Lichtblick für Remarques Helden im Kampf um die geistige Unversehrtheit.20 Die Liebe in Remarques Büchern gehört für Stajkov zu der phantastischen, unbekannten und begehrten Welt Remarques. Der Kritiker schreibt, dass das Bild der Liebe und der Liebeswörter von Remarques Liebespaaren einen erschüttern. »Sie [die Liebespaare] lieben sich ohne Zärtlichkeit und fast ohne Wörter und mit einem außerirdischen Verständnis. Sie tun das bis zum Lebensende im wahrsten Sinne des Wortes.«21 Stajkov zeigt somit, dass es in dieser Periode in Bulgarien zwei Remarque-Rezeptionen gab. Auf der einen Seite gab es im Sozialismus die offizielle Rezeption, die der gewünschten ideologischen Linie der Partei folgte. Auf der anderen Seite gab es die private Perspektive des Lesers. Sie war mit Sehnsüchten nach einer anderen Realität und nach persönlicher Freiheit gespickt. Davon hat man wohl nur in privaten Kreisen gesprochen. Genau das ist der Grund, meiner Meinung nach, warum Remarque damals gern gelesen wurde. Seine Bücher waren frei erhältlich. Sie waren ein Fenster, das man für sich öffnen konnte, um einen Schluck Freiheit zu nehmen. Bezeichnend für diese doppelte Rezeption von Remarque ist auch die Tatsache, dass man erst nach der Wende über diese zweite Schiene der Wahrnehmung des Schriftstellers schreibt. Fairerweise muss man dazu sagen, dass dies keine typisch bulgarische Erscheinung ist. Es ist eine Erscheinung, die aus der sozialistischen Ideologie resultiert und mit dem Überleben im Sozialismus zu tun hat. Daher ist die Erscheinung der offiziellen und der privaten Wahrnehmung von Texten auch für die anderen (ex-)sozialistischen Länder gültig. Jambolieva bezeichnet Remarque in dieser Periode als »einen klassischen Autor für den bulgarischen Leser«.22 Für mich ist das eine Wertung, die nicht so sehr auf die offizielle Meinung der damaligen Kritik, sondern vielmehr auf die private Liebe der Leser für Remarques Werke hinweist. Jordan Kosturkov bezeichnet 2008 Remarque als »einen der populärsten deutschen Autoren der 20. Jahrhunderts. […] seine Bücher sind bekannt und werden mit viel Liebe von vielen Generationen bulgarischer Leser gelesen.«23 Er sucht nach den Gründen für den Erfolg des Schriftstellers in Bulgarien. Er zieht die

20 Ebd., 21. 21 Stajkov, 22. 22 Jambolieva. 23 Jordan Kosturkov. »Der geniale Sprachmeister Erich Maria Remarque«. Duma, 19 (2008), 127 (07.06.2008).

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Schlussfolgerung, dass der Schlüssel zu Remarques Erfolg in Bulgarien das Kriegsthema und die Themen der Liebe, der Einsamkeit und des Exils sind. Kosturkov ist sich sicher, dass Remarque ein neues Genre definiert. Das Genre des KriegsLiebes-Romans.24 Wie bei den anderen Kritikern haben es ihm besonders die Helden Remarques angetan. Sie haben für ihn eine besondere dreidimensionale Tiefe. Ein weiteres Element für Remarques Erfolg sieht Kosturkov in seiner Sprache, die »vereinfacht und emotional« ist.25 Die dritte Periode nach der Wende 1989 kennzeichnet sich laut Jambolieva dadurch, dass die Stimmung gegenüber Remarques Büchern freundlich ist und der Autor einer von den meist gelesenen Auslandsautoren in Bulgarien bleibt. Sie bemerkt richtigerweise, dass die Qualität der Wahrnehmung sich gewandelt hat. Im Brennpunkt der neuen kulturellen Situation steht »das Interesse an der Klatschpresse um den Autor herum. Das Ergebnis ist, dass viele Details aus dem Lebenslauf des Autors bekannt werden. Besonders groß ist das Interesse an seinem intimen Leben.«26 In der Tat gibt es einige Artikel, die sich mit der Liebesgeschichte mit Marlene Dietrich und mit seiner Ehefrau Paulette Goddard befassen. Jambolieva stellt eine »Banalisierung« der Rezeption Remarques fest, die sogar in einige Parodien und Anekdoten27 umkippt. Am Ende ihres Artikels kann Jambolieva jedoch positiv feststellen: Trotz der starken Abhängigkeit der Rezeption Remarques in den letzten zwei Jahrzehnten von der Kommerzialisierung, behält der Schriftsteller die Autorität eines der größten europäischen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts.28

Meine eigenen Recherchen unterstützen die Meinung von Jambolieva. Bei den meisten Veröffentlichungen überwiegt der Hang zur Sensation. Auch die vermehrte Veröffentlichung von Remarques frühen Werken spricht für die kommerziellen Interessen bei der Auswahl. Die Tatsache, dass Remarque sogar in Anekdoten auf-

24 Ebd. 25 Ebd. 26 Jambolieva. 27 »Das Rotkäppchen nach Erich Maria Remarque – eine Stilparodie ›Komm zu mir‹, sagte der Wolf. Das Rotkäppchen schenkte zwei Gläser Cognac ein und setzte sich auf das Bett. Sie atmeten den bekannten Cognacduft ein. Traurigkeit und Müdigkeit waren in diesem Duft. Es waren die Traurigkeit und die Müdigkeit des verblassenden Abends. Der Cognac war das Leben selbst. ›Es ist vorbei‹, sagte sie. ›Ich habe nichts mehr zu hoffen. Ich habe keine Zukunft mehr.‹ Der Wolf schwieg. Er stimmte ihr zu.« http://www.vicove.biz/search?q=ела+при+мен+-+каза+вълкът. 28 Jambolieva.

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taucht, werte ich positiv, weil dies ein Hinweis dafür ist, dass der Schriftsteller einen festen Platz im Bewusstsein und im Alltag der Bulgaren erlangt hat. Kalojan Angelov ist der Meinung, dass die Hauptmotive in den späten Werken von Remarque »die Autorennen und die Liebesabenteuer, die Musik, die Kunst, der ambulante Handel, die Emigration und die Antikriegsthematik sind«.29 Wie andere Kritiker auch sieht er die Fähigkeit des Schriftstellers, seine Erfahrungen realistisch weiterzugeben, als die Grundlage für Remarques Erfolg in Bulgarien.30 Der Schriftsteller berührt, seiner Meinung nach, den bulgarischen Leser durch seinen Humor und seine Traurigkeit und mit der Suche nach dem Sinn des Lebens. Laut Angelov gewinnt Remarque die Leser in Bulgarien durch seine Darstellung der menschlichen Schwäche und durch das Geständnis, dass der Mensch in der schwersten Stunde des Lebens schwach sein darf.31 In der Periode nach der Wende sind erfreulicherweise nicht alle, die über Remarque schreiben, auf eine Sensation aus. Todor Stoev schreibt 2007 einen kritischen Artikel über Remarque, in dem er mit zwei unheilbringenden Ideologien – mit dem Marxismus-Leninismus und mit dem Nationalsozialismus – abrechnet. Er nimmt Stellung zu dem frühen Roman Remarques, Die Traumbude. Für Stoev ist dieser Roman ein poetisches und romantisches Werk, »ausgefüllt mit Gedichten von Eichendorff und Goethe und durchtränkt mit Vergötterung für Beethoven«. Den Roman und seinen Inhalt bewertet er als schwach. Das sind für ihn die Gründe, warum das Buch den Leser und die Kritiker nicht beeindruckt.32 Stoev findet, dass die Helden aus Die Traumbude sich selbst so ausleben wollen, als ob sie außerhalb der sozialen Realität existieren und versuchen, der Realität naivstoisch zu widerstehen. Positiv wertet Stoev die Menschlichkeit und die Nächstenliebe, die Remarques Helden von der Mittelmäßigkeit abheben. Im Westen nichts Neues ist für Stoev dagegen viel interessanter. Er ist der Meinung, dass »der Krieg von niemanden bis jetzt so stark und wahrhaftig dargestellt worden« ist wie von Remarque.33 Der Kritiker widmet sich der Wahrnehmung dieses Buches in der UdSSR vor und nach 1941 in Verbindung mit der politischen Lage. Er berichtet, dass in den 1930er Jahren, als die Sowjetunion den Pakt des Nichtangriffs mit Hitler unterschrieben hat, Stalin eine negative Meinung zum Buch und zum Schriftsteller gehabt hat.

29 Kalojan Angelov. »Der erste Weltkrieg oder wie eine Generation verloren wurde aus der Perspektive von Erich Maria Remarque«. Unterlagen der wissenschaftlichen Konferenz: 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Krisen, Konflikte und Diplomatie im großen Krieg. Sofia, 2014, 198. 30 Ebd. 31 Ebd., 201. 32 Todor Stoev. »Erich Maria Remarque und der Krieg«. Edin zavet 16 (2007), 1, 30. 33 Ebd.

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Er [Stalin] sieht in Remarque einen deprimierten Kritiker ohne revolutionäres Pathos, ohne Wunsch, die Völker zum Handeln aufzuwecken, um das Proletariat zur vorherrschenden Klasse zu machen. An so einem Kommentar zum Kriegsgeschehen haben wir keinen Bedarf. Er [Stalin] sagte zu seinen engen Mitarbeitern. Solche feige Autoren in Russland kann man mit Schaufeln schaufeln.34

Nach 1941, als Deutschland die Sowjetunion überfällt, beginnt man die Bücher von Remarque in der Sowjetunion zu veröffentlichen. Somit stellt Stoev die These auf, dass die Rezeption von Remarque von den Stimmungen von Stalin und in Verbindung mit der Politik stehen. Er behauptet, dass Stalin Hitler zuerst gefallen und ihn später ärgern will. Es wundert mich, woher Stoev diese Informationen nimmt. Da es keine Quellennennung der Zitate gibt, kann man diese nicht überprüfen. Stoev geht weiter in seiner Wertung der sowjetischen Kritik zu Remarque. Er bemerkt richtig, dass Remarque für die offizielle sowjetische Kritik mit »ungeklärter politischer Position und mit Unverständnis für den Klassenkampf« ist.35 Daher, schreibt Stoev, »bleibt Remarque für die sowjetischen Menschen für immer ein feiger Mensch und bourgeoiser Abkömmling«.36 Für mich stellt sich die Frage, ob Stoev sich die Mühe gemacht hat, sich mit der gesamten sowjetischen und russischen Kritik über Remarque auseinanderzusetzen. Hätte er dies getan, würde er merken, dass es sehr unterschiedliche Stimmen zu diesem Autor gab. Die Meinung von Stoev, dass Remarque für immer für Generationen von russischen Lesern als Schwächling dasteht, ist eine sehr kategorische und einseitige. Hinzu kommt, dass die Quellenhinweise zu dieser Aussage fehlen. Dadurch entsteht der Eindruck von einer unbegründeten, parteiischen und privaten Aussage. Diese negative Linie der Wahrnehmung zieht sich weiter. Stoev äußert die These, dass »alle Bücher Remarques Variationen zu einem einzigen Thema« sind.37 Dieses Thema ist der Überlebenskampf, die damit verbundenen Schwierigkeiten und der Krieg, der immer mit diesem Kampf indirekt verbunden ist.38 Stoev wirft dem Schriftsteller vor, dass er die Gräueltaten des Faschismus kritisiert, aber »nie zum Kampf gegen die hitleristische Ordnung« aufruft. Mit seinem Antimilitarismus ist er kein passiver Beobachter der politischen Weltkämpfe. Er versteht und nimmt auch die andere Seite – den Kommunismus – nicht an. Er hat seine revolutionäre Theorie nicht verstanden, die die Freiheit des Individuums geraubt hat.39 34 Ebd., 32. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Ebd.

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Stoev ist ein Gegner des Faschismus. Offensichtlich ist er ein Anhänger des Sozialismus und ein Vertreter der »old school« kommunistischer Remarque-Literaturkritik. Aus diesem Zitat lässt sich schlussfolgern, dass er sich im Jahr 2007 einen reformierten Sozialismus mit mehr Freiheiten für den Einzelnen wünschen würde. Stoev beendet seinen Artikel versöhnlich und bescheinigt, dass Remarque »in seinen Büchern an erster Stelle das Recht auf Leben und Glück stellt«.40 Rossen Velčev widmet sich der Untersuchung des Romans Der Himmel kennt keine Günstlinge. Remarque ist für ihn ein Schriftsteller, der in einer Reihe mit Hemingway und Fitzgerald steht. Er hat sich »der Idee der Menschlichkeit« verschrieben.41 Der Roman ist für Velčev eine Apotheose des Lebens. Remarques Erfolg findet er in der Wahrhaftigkeit des Schreibstils. Der Schriftsteller bewegt durch die Themen, die Emotionen und die Philosophie in seinen Werken.42 Velčev unternimmt eine Motivanalyse. Er untersucht die Motive des Lebens und des Todes im Roman. Er vergleicht diese mit den Motiven bei Fitzgerald und Hemingway, um immer wieder Parallelen zu finden. Er sieht den Tod als fiktiven Gewinner. De-facto gewinnen Clerfayt und Lillian, die Momente des vollkommenen Glücks und Liebe erleben und sich somit ein Stück Ewigkeit holen. Ich finde es erfreulich, dass Velčev durch diese Motivstudie eine wenig erforschte aber sehr interessante Seite von Remarques Werk aufgreift. Er entdeckt vielfache Kopplungen und Gegensätze in der Darstellung von diesen zwei Motiven. Das Leben (Lil­lian) ist hinter die dicken Wände des Sanatoriums verbannt. Der Tod ist die Tuberkulose, an der sie leidet. Der Tod lauert auf Clerfayt hinter jeder Kurve bei jedem Rennen. In die Berge zu gehen, bedeutet für ihn, kurzfristig dem Tod zu entgehen. Beide tragen somit den Tod und das Leben gleichzeitig in sich. Velčev schreibt: Das Verflechten der Opposition Leben–Tod ist eine faktische Teilung von zwei gleichen Komponenten – eine Dichromatie der Gefühle, die einzeln danach streben, zu der anderen Seite zu wechseln.43

Remarque definiert laut Velčev die Essenz des Glücks in diesem Buch, und das ist die Freiheit. Es handelt sich hier um die Freiheit zu wählen, wie man sein Leben lebt und wie man stirbt. Velčev untersucht die Verbindung der Motive Leben und Tod mit dem Motiv des Lichts und der Nacht, die die ersten unterstützen und vertiefen.44 Besondere Bedeutung bemisst er dem Motiv des Lebens als Wun-

40 Ebd. 41 Rossen Velčev. »Geborgtes Leben: Eine Röntgenaufnahme des Lebens erschaffen von Remarque«. Wissenschaftlichen Arbeiten der Universität Russe 48 (2009), 10, 30. 42 Ebd. 43 Ebd. 44 Ebd., 31ff.

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der. Er widmet sich der Aussage von Lillian, dass man das Leben nicht vergeuden darf. Man darf sich an dieses Wunder nicht gewöhnen, sondern muss es ausleben. Letztendlich macht er klar, dass das Leben, das Licht und das Wunder des Lebens in Der Himmel kennt keine Günstlinge eins sind. Velčev sieht in Remarque einen der großen Humanisten des 20. Jahrhunderts, der den Menschen als unbesiegt darstellt.45 Nach der Wende klafft die Wahrnehmung von Remarque in Bulgarien sehr weit auseinander. Kosturkov bezeichnet die Bücher von Remarque als »Meisterwerke des Kriegsromans«.46 Für ihn ist Remarque ein Antikriegsautor. Die Wahrnehmung von anderen Kritikern schwankt von Antifaschist47 über Pazifist48, Humanist49 und lyrischer Naturalist50 zu Nihilist.51 Manche nennen seine Bücher »keine Trivialliteratur mehr«.52 Andere sehen bei Remarque soziale Kritik aus der humanistischen Perspektive.53 Für andere ist der Schriftsteller ein unvergleichlicher Kenner der menschlichen Seele.54 Ich stimme allen diesen Bewertungen mit einer Ausnahme zu. Ich stolpere über die Bewertung von Kalojan Angelov, dass Remarque Nihilist sei. Diese Bewertung ist interessant, weil Angelov zum Zeitpunkt der Niederschrift des Artikels Student des Faches »Vergangenheit und Gegenwart in Südosteuropa« an der Universität St. Kl. Ochridski, Sofia, ist.55 Er nähert sich Remarque aus der Perspektive eines Historikers. Er versucht, ein maximal objektives Bild einer Epoche aus nicht-historischen Quellen (in diesem Fall aus den Büchern von Remarque als einer literarischen Quelle) zu rekonstruieren. Als Grundlage für die Bewertung von Remarque als Nihilist greift Angelov das Thema der verlorenen Generation nach dem Ersten Weltkrieg auf. Für ihn ist diese Zeit eine Periode des allgemeinen Nihilismus. Die Menschen sind auf der Suche nach neuen Weltvorstellungen.

45 Ebd., 33. 46 Kosturkov. 47 Kosturkov, Tanev, Stoev. 48 Jambolieva, Stoev. 49 Velčev. 50 Mika. »›Geborgtes Leben‹ von Erich Maria Remarque – eine Roman-Abrechnung vom ›Meister des lyrischen Naturalismus‹». www.mikamagazine.com, 07.03.2018 (http://mikamagazine.com/живот-назаем-от-ерих-мария-ремарк/). 51 Angelov. 52 Velčev. 53 »Erich Maria Remarque – ein deutscher Schriftsteller«. www.presstv.bg, 27.07.2012 (http:// www.presstv.bg/големите-личности/07/27/ерих-мария-ремарк-немски-писател/). 54 Maria-Dessisslava Šiplijska, Helikon Slaveijkov. »Geborgtes Leben – Eine erschütternde Berührung mit Remarque«. www.lira.bg, 04.12.2016 (https://lira.bg/archives/131658). 55 Angelov.

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Die Weltideologien (wie z.B. Kommunismus und Nationalsozialismus) verbreiten sich. Für Angelov ist Remarque einer der größten Nihilisten, weil er mit seiner Zeit geht und das Alte verneint. Gleichzeitig ist er für Angelov der größte Gegner der Weltideologien. »Weil die Weltideologien, obwohl sie ideal in ihrer Vorstellung für die Zukunft sind, diese Ideen durch Krieg oder Revolution anstreben«.56 Weiter schreibt Angelov: Und auch wenn Remarque ein extremer Pazifist ist und seine Philosophie dem kommunistischen Internationalismus ähnelt, grenzt sich Remarque auch von denen ab. […] Seine kategorische Meinung zu den Nationalsozialisten und zu den Faschisten zeichnet Remarque als Gegner der Weltideologien [...].57

Meiner Meinung nach haben wir mit richtigen Beobachtungen zu tun, die leider zu einer falschen Bewertung führen. Nur weil der Schriftsteller sich von den sogenannten Weltideologien abgrenzt, bedeutet dass nicht, dass er alles negiert. Die Bewertung Nihilist ist, meiner Meinung nach, hier extrem und deplatziert. Der Schriftsteller verneint nicht alles. Remarque spricht sich durchaus für die Menschlichkeit, für den Frieden und für die Freiheit im Ganzen und des einzelnen Individuums aus. Das tut er in jedem seiner Werke. Angelovs finale Schlussfolgerung ist versöhnlich bezüglich der Rezeption Remarques in Bulgarien. Remarque ist einer von den ewigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er ist unter den heranwachsenden Generationen mit seiner emotionalen, ideologischen und nicht zuletzt nihilistischen Ladung populär.58

Was ich persönlich sehr interessant finde, ist eine große Anzahl von Artikeln, die vorwiegend von den Verlagen selbst stammen. Es sind eher Bekanntmachungen mit einer Inhaltswiedergabe bei einer (Wieder-)Veröffentlichung als wissenschaftliche Kritik. Die Verlage sprechen damit die junge Generation von bulgarischen Lesern an, die Remarque noch nicht kennen. Der jungen Generation werden Remarques Bücher durch diese Werbung schmackhaft gemacht. Besonders interessant ist die Wahl der Werbekanäle. Es handelt sich hier vorwiegend um Onlineartikel und kurze Videoclips. Die Buchverkaufsplattform www.book.store. bg macht kurze Werbevideos (unter einer Minute) als Präsentation für Bücher von Remarque (Neuerscheinungen im Verlagsprogramm), die sie verkaufen. Alles ist somit auf die Generation zugeschnitten, die sich alle Informationen im Internet holt und dort auch bestellt. Für die Beliebtheit des Autors wird mit modernen Me-

56 Ebd., 195–201. 57 Ebd., 200. 58 Ebd., 201.

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dien gesorgt, und die Aufmerksamkeit des Lesers dort gewonnen, wo er sich aufhält. Das finde ich gut gelungen. Das gestiegene Interesse an den Medien ist ebenfalls dadurch bemerkbar, dass mehrere von den oben genannten Kritikern über Remarques Filme berichten. Kosturkov bezeichnet z.B. Remarque als »großen Romanisten, der das Glück hat, dass nach seinen Büchern große Filme erschaffen werden«59 Todor Stoev beschreibt den Eindruck vom alten Film Im Westen nichts Neues trotz der schlechten Qualität der damaligen Technik als »erschütternd«.60 Positiv überrascht war ich von den Hörspielen, die vom »Bulgarischen Nationalradio« produziert und gesendet worden sind. Es handelt sich um die Radiohörspiele: Der Weg zurück (vom 17.02.2019), Die Nacht von Lissabon (vom 19.07.2012) und Arc de Triomphe (vom 16. und 17.02.2012). Diese Hörspiele kann man sich jederzeit auf YouTube anhören. Ich finde es schön, dass solche internationalen Plattformen benutzt werden, um Remarques Werke in so einem plastischen Format wie einem Radiohörspiel zur Verfügung zu stellen. Es freut mich dabei besonders die Anzahl der Klicks, die für ein reges Interesse an Remarques Werken zeugen (Stand 05.12.2019): Der Weg zurück – 1.264 Aufrufe, Die Nacht von Lissabon – 4.290 Aufrufe, und Arc de Triomphe – 4.805 Aufrufe. Ich habe auch die Bekanntmachung über einen Vortrag über Remarque und sein Buch Drei Kameraden gefunden. Der Vortrag fand am 10.08.2017 in Plovdiv statt und wurde vom Buchklub »Der blaue Hund« durchgeführt.61 Leider habe ich keine Rezensionen oder weiterführende Informationen über diese Veranstaltung gefunden. Für die dritte Periode in der Rezeption von Remarque in Bulgarien ist die mediale Vielfalt kennzeichnend. Es handelt sich um Rezensionen, Zeitungsartikel, Onlineartikel, Blogbeiträge, Witze, Videoclips, Hörspiele und Vorträge. Diese Vielfalt bringt vieles für den Zugewinn von neuen Generationen von Lesern, Zuschauern und Zuhörern. Ich sehe die Beliebtheit des Schriftstellers in meiner Heimat dadurch als gesichert. Ich möchte ein paar Worte über die Art und die Qualität der Remarque-Kritik in Bulgarien nach der Wende verlieren. Im Zeitalter des Internets leben wir in einer steigenden Informationsflut. Jeder glaubt, etwas sagen zu können und zu müssen. Dies führt zu einer sinkenden Qualität der Informationen und zu fortschreitender Schnelllebigkeit. Das widerspiegelt sich auch in der Art der Remarque-Kritik. Es überwiegen die journalistischen Artikel über die wissenschaftlichen Analysen. Somit gibt es viele Artikel über das (Privat-)Leben von Remarque und Inhaltswiedergaben von Remarques Büchern. Sie wiederholen oft flüchtig, mit einem Satz,

59 Kosturkov. 60 Stoev, 31. 61 »Erich Maria Remarque und die ›Drei Kameraden‹», ein Vortrag am 10.08.2017 in »Gegenüber«, Betovenstr. 12, Plovdiv, organisiert vom Buchklub »Der blaue Hund«. http://www. kapana.bg/kakvo-da-izberem/item/8826-ерих-мария-ремарк-и-трима-другари.

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Remarques Rezeption in Bulgarien nach der Wende

die bekannte Klassifizierung des Schriftstellers als Antifaschist oder Humanist, ohne weiter in die Tiefe zu gehen. Bei diesen Inhaltswiedergaben scheint es, dass das Ziel nicht die Werke selbst sind. Sie wollen dem Leser lediglich eine neue Ware präsentieren, um zum Kauf zu animieren. So entstehen viele kommerzielle Beiträge, die für die Literaturkritik obsolet sind. Dennoch üben sie eine wichtige Rolle für den jungen bulgarischen Leser aus. Sie machen ihn auf Remarque aufmerksam, ohne ihm das Klischee der sozialistischen Literaturkritik aufzudrücken. Sie nehmen ihn jedoch nicht an die Hand, um ihm die Tiefe der Werke des Autors aufzuzeigen. Tanev bewertet trotz dieses literaturkritischen Hintergrundes die (Wieder-)Auflage von Remarques Büchern positiv. Mit ihren bedeutenden Botschaften sprechen sie für sich und sind »eine neue Reaktion auf die alles verschlingende, farblose, unpersönliche, wenig anspruchsvolle megatonnenschwere Bücherflut«.62 Nach der Wende ist die Rezeption von Remarque vielseitiger und freier als davor. Die Meinungen über die politisch-philosophische Ausrichtung des Schriftstellers sind sehr unterschiedlich. Die Anzahl der literaturkritischen Beiträge ist geringer als zuvor. Dafür überwiegen die journalistischen Beiträge mit ihrem kommerziellen Interesse an Remarque und an seiner Person. Die Bloggerin Mika beschreibt trotzdem treffend den Grundton der bulgarischen Rezeption von Remarque: Erich Maria Remarque bleibt einer der beliebtesten deutschen Schriftsteller. Er wird als »Meister des lyrischen Naturalismus« beschrieben und hinterlässt ein reiches literarisches Erbe.63

Viele von den Quellen, die ich gefunden habe, hinterließen bei mir den positiven Eindruck, dass man das Erbe von Remarque unter den neuen Generationen bekannt machen möchte. Mir ist es ebenfalls positiv aufgefallen, dass die Zahl der Auflagen und Erstauflagen von Remarques Büchern weiterhin groß ist. Die Themen und die Botschaften des Schriftstellers werden auch heute als aktuell wahrgenommen. Tanev bewertet z.B. Remarque als »moderner, erstklassiger Autor«.64 Ich vermisse jedoch die neue literarische Debatte um Remarque. Ich kann das Gefühl nicht loswerden, dass Remarque trotz seiner Beliebtheit leider die Rolle einer Randnotiz in Bulgarien erhalten hat. Die moderne Literaturkritik fasst ihn nicht oft an. Es bleibt daher eine private Sache des Lesers, zu Remarques Büchern zu greifen und sich selbst eine Meinung zu bilden.

62 Tanev, 23. 63 Mika. 64 Tanev, 22.

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Mariana Parvanova-Brett

Veröffentlichungen von Remarques Büchern in Bulgarien Im Westen nichts Neues 1929 (Na zapadnia front nishcho novo) 1931 1932 1945 1982 1989 2008 2016

1. Auflage, Sofia: Bratja Miladinovi 2. Auflage, Sofia: Bratja Miladinovi 3. Auflage, Sofia: Grafika Plovdiv: Chr. G. Danov Plovdiv: Chr. G. Danov Sofia: Narisdat Sofia: НС на ОФ (Nationalrat der Vaterländischen Front) Sofia: НС на ОФ Sofia: Fama Sofia: Uniskorp Sofia: Siela

1930 Die Traumbude (Mansardata na bljanovete) 1991 1999 2017

Sofia: Perli na svetovnata literatura Sofia: Pravo Plovdiv: Chr. G. Danov Sofia: Delakort Sofia: Fama Sofia: Siela

1931 Der Weg zurück (Obratniat pat) 1956 1947 1982 1989

Sofia: Zvjat Sofia: Pravo Plovdiv: Plod Sofia: Pravo Sofia: Pravo Sofia: НС на ОФ

Drei Kameraden (Trima drugari)

Sofia: Smrikarov Sofia: Smrikarov Sofia: НС на ОФ Sofia: Astrala Sofia: Delakort Sofia: Kolibri Sofia: Fama

194

1940 1946 1984 1993 2000 2006 2017

Remarques Rezeption in Bulgarien nach der Wende

Liebe Deinen Nächsten (Flotsam) (Obichaj blizhnija si)

1945 1946 1992 1992 1997 1998 1999 2018

Sofia: Smrikarov Sofia: Znameniti savremenni romani Stara Zagora: F&B Plovdiv: Intel Sis Burgas: Diamant Sofia: Diamant Sofia: Delakort Sofia: ERA

Arc de Triomphe (Triumfalnata arka)

1946 1960 1981 1986 1998 2007 2011 2018

Sofia: Smrikarov Sofia: Narodna kultura Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: Regaliia 6 Sofia: Fama Sofia: Fama Sofia: Fama

Zeit zu leben und Zeit zu sterben 1956 (Vreme de se zhivee i vreme da se mre) 1986 1988 1999 2000 2018

Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: Delakort Sofia: Delakort Sofia: Hermes

Der Funke Leben 1957 1983 (Izkrica zhivot) 2016

Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: Fama Sofia: Hermes

Der schwarze Obelisk (Chernijat obelisk)

1958 1980 1982 1985 1988 1998 2008 2014

Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Sofia: НС на ОФ Veliko Tarnovo: Abagar Sofia: Uniskorp Sofia: Fama

Die letzte Station (Posledno dejstvie)

1958 gespielt im Nationaltheater Ivan Vasov, Sofia 2000 Sofia: Delakort

195

Mariana Parvanova-Brett

Geborgtes Leben 1972 Plovdiv: Medizina i fiskultura (Der Himmel kennt keine Günstlinge) 1985 Sofia: НС на ОФ (Zhivot na zhaem) 1998 Sofia: V. Ljuckanova 2009 Sofia: Siela 2018 Sofia: Siela Die Nacht von Lissabon (Nošt v Lisabon)

1981 1989 1998 2011

Schatten im Paradies (Senki v raja)

1983 Plovdiv: Chr. G. Danov 1987 Sofia: НС на ОФ 1999 Sofia: Regaliia 6 Sofia: ERA 2012 Sofia: Fama

Der Feind (Erzählungen) (Vragat)

1995 Varna: Galaktika 2014 Sofia: Siela

Station am Horizont (Spirka na horizonta)

1998 Sofia: Delakort

Das gelobte Land (Obetovana zemja)

1998 Sofia: Delakort 2018 Sofia: ERA

Die Stunde der Befreiung (Kurzprosa und Poesie)

1999 Sofia: Delakort

Gam

1999 Sofia: Delakort 2017 Sofia: Siela

Kurzprosa und Lyrik (Chasat na izbavlenieto)

1999 Sofia: Delakort 2000 Sofia: Delakort

Der letzte Akt (Posledno dejstvie)

2000 Sofia: Delakort

Der romatische Fremde (Zitatensammlung) (Romanticnija strannik)

2011 Sofia: Fama

196

Varna: Georgi Bakalov Sofia: НС на ОФ Sofia: ERA Sofia: Fama

Remarques Rezeption in Bulgarien nach der Wende

Quellen

Analysen Kalojan Angelov. »Der Erste Weltkrieg oder wie eine Generation verloren wurde aus der Perspektive von Erich Maria Remarque«. Unterlagen der wissenschaftlichen Konferenz: 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Krisen, Konflikte und Diplomatie im großen Krieg. Sofia, 2014, 195–201. Vesselin Djankov. »›Im Westen nichts Neues‹ in Bulgarien«. Demokratičeski pregled 47 (2001), 444–452. Express. »Erich Maria Remarque – Der letzte Romantiker«. www.glasove.com, 09.06.2017 (http://glasove.com/categories/svetyt-spored-muzata/news/erih-mariq-remark-posledniqt-romantik). Maria Jambolieva. »Die bulgarische Rezeption von Erich Maria Remarque«. https://passbyhere.org/българската-рецепция-на-ерих-мария-ре/. Jordan Kosturkov. »Der geniale Sprachmeister Erich Maria Remarque«. Duma 19 (2008), 127 (07.06.2008). Mika. »›Geborgtes Leben‹ von Erich Maria Remarque – einen Roman-Abrechnung vom ›Meister des lyrischen Naturalismus‹«. www.mikamagazine.com, 07.03.2018 (http:// mikamagazine.com/живот-назаем-от-ерих-мария-ремарк/). Emi Mirjanska (Redakteur). »Marlene Dietrich war Remarques Inspiration für Arc de Triomphe. Der Schriftsteller war schwer verliebt in die Schauspielerin. Hier sind seine Briefe an sie«. www.impressio.dir.bg, 02.07.2017 (https://impressio.dir.bg/ikoni/ remark-napisal-triumfalnata-arka-vdahnoven-ot-marlene-ditrih). »Erich Maria Remarque – ein deutscher Schriftsteller«. www.presstv.bg, 27.07.2012 (http:// www.presstv.bg/големите-личности/07/27/ерих-мария-ремарк-немски-писател/). »Wenig bekannte ›Gam‹ in einer neuen Ausgabe (Auszug)«. www.offnews.bg, 08.06.2017 (https://offnews.bg/knigi/malko-poznatiat-gam-na-erih-maria-remark-s-novo-izdanie-otkas-657691.html). http://www.vicove.biz/search?q=ела+при+мен+-+каза+вълкът. Milena Petkova. »Lebe für den Augenblick in ›Geborgtes Leben‹ von Remarque«. http:// azcheta.com, 25.08.2014, http://azcheta.com/zhivot-nazaem-erih-mariya-remark/. Maria-Dessisslava Šiplijska, Helikon Slaveijkov. »Geborgtes Leben – Eine erschütternde Berührung mit Remarque«. www.lira.bg, 04.12.2016 (https://lira.bg/archives/131658). Dimitar Stajkov. »Remarque war Arznei gegen die Realität«. 24 časa 8 (1998), 166 (23.06.1998), 22. Todor Stoev. »Erich Maria Remarque und der Krieg«. Edin zavet 16 (2007), 1, 30–32. Dimitar Tanev. »Besinnung auf Remarque«. Plamak – Monatliche Zeitschrift für Literatur, Kunst und Publizistik 42 (1998), 11–12, 19–23. Vassilena Vassileva. »›Gam‹ von Erich Maria Remarque – ein Roman über die unterschiedlichen Gesichter der Liebe«. www.cineboom.eu, 08.06.2017 (https://cineboom.eu/гамот-ерих-мария-ремарк-роман-за/).

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Mariana Parvanova-Brett

Rossen Velčev. »Geborgtes Leben: Eine Röntgenaufnahme des Lebens erschaffen von Remarque«. Wissenschaftliche Arbeiten der Universität Russe 48 (2009), Serie 10, S. 29–34. Konstantina Zoneva. »Gam – so wäre Remarque, wenn nicht der Krieg dazwischen gekommen wäre«. www.lira.bg, 02.08.2017 (https://lira.bg/archives/137542). Radiohörspiele Der Weg zurück. Hörspiel gesendet am 17.02.2019 auf BNR (Bulgarisches Nationalradio) im Programm Christo Botev, eine Aufnahme des Radiotheaters vom 1988, auf YouTube 1.186 Aufrufe. https://www.youtube.com/watch?v=fqwnuEEFuU4. Die Nacht von Lissabon. Hörspiel gesendet auf BNR (Bulgarisches Nationalradio) im am 19.07.2012, auf YouTube 3.995 Aufrufe. https://www.youtube.com/ watch?v=rJTRcpktXLY. Arc de Triomphe. Hörspiel gesendet am 16. und 17.02.2012 in zwei Teilen auf BNR (Bulgarisches Nationalradio), auf YouTube 4.481 Aufrufe. https://www.youtube.com/ watch?v=7HcaF8SYshQ.

Videos Die Buchverkaufsplattform www.book.store.bg macht kurze Werbevideos (unter eine Minute) als Präsentation der Bücher vonRemarque (Neuerscheinungen im Verlagsprogramm), die sie verkaufen. Geborgtes Leben: https://www.book.store.bg/p219401/zhivot-nazaem-erih-maria-remark. html. Die Traumbude: https://www.book.store.bg/p215028/mansardata-na-blianovete-erih-maria-remark.html. Das gelobte Land: https://www.book.store.bg/p235036/obetovana-zemia-erih-maria-remark.html. Zeit zu leben und Zeit zu sterben: https://www.book.store.bg/p169424/vreme-da-se-zhiveei-vreme-da-se-mre-luksozno-izdanie-erih-maria-remark.html. Vorträge »Erich Maria Remarque und die ›Drei Kameraden‹«, ein Vortrag am 10.08.2017 in »Gegenüber«, Betovenstr. 12, Plovdiv, organisiert vom Buchklub »Der blaue Hund«. http://www.kapana.bg/kakvo-da-izberem/item/8826-ерих-мария-ремарк-и-тримадругари.

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Alexandra Nicolaescu

»Auf fast jedem Nachttisch ein Roman von Remarque« Die Remarque-Rezeption in Rumänien*

Einführung Remarque gilt als einer der beliebtesten deutschsprachigen Schriftsteller in Rumänien. Fast alle seine Werke wurden ins Rumänische übersetzt und mehrfach neu aufgelegt, die ersten Übersetzungen wurden Ende der 1920er Jahre veröffentlicht, also kurz nach dem Erscheinen der Romane, und die jüngste Übersetzung stammt aus dem Jahr 2018. Im Westen nichts Neues zum Beispiel erschien in rumänischer Fassung 1929 und wurde dann 1934, 1965, 1992, 2010, 2016 und 2017 neu aufgelegt, Drei Kameraden erschien auf Rumänisch 1937 zum ersten Mal, und es gibt zehn weitere Editionen, die letzte stammt aus dem Jahr 2016. Die Übersetzungen von Der Weg zurück, Arc de Triomphe, Zeit zu leben und Zeit zu sterben, Liebe Deinen Nächsten und Die Nacht von Lissabon wurden jeweils mindestens vier Mal im Laufe der Zeit in Druck gegeben, vom Roman Das gelobte Land sind zwei rumänische Editionen wiederzufinden, und nur die Werke Der Himmel kennt keine Günstlinge und Der Funke Leben wurden leidiglich ein einziges Mal auf Rumänisch veröffentlicht. Es gibt allerdings hierzulande ein sehr ungleiches Verhältnis zwischen der Anzahl an Übersetzungen, beziehungsweise der zahlreichen Editionen dieser Übersetzungen, und den literaturkritischen oder literaturwissenschaftlichen Beiträgen zu Remarque. Die älteren Auflagen beinhalten weder Vorwort noch Nachwort und nicht einmal Klappentexte über das Werk oder den Autor. Was die neueren Auflagen angeht, findet man im Internet auf den Seiten der Verlage »Polirom« und »Vivaldi« ein paar Angaben, und die meisten auffindbaren Rezensionen stammen ebenfalls aus den letzten Jahren.

* Alle Aussagen, die ich in diesem Beitrag wiedergegeben habe, wurden von mir aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt.

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Alexandra Nicolaescu

In dem vorliegenden Beitrag möchte ich ein paar, aus meiner Sicht repräsentative Stellungnahmen zu Remarque besprechen, wobei ich auch zwei ältere Texte aus den Jahren 1965 beziehungsweise 1984 zur Diskussion bringen möchte, um zu analysieren, inwiefern sich die Remarque-Wahrnehmung in Rumänien im Laufe der Zeit geändert hat. Denn im zweiten Teil meiner Ausführungen widme ich meine Aufmerksamkeit den Beiträgen, die im Onlinemedium zu finden sind, und gebe auch die Perspektive einer leidenschaftlichen Remarque-Übersetzerin wieder. Ich bin mir dessen völlig bewusst, dass ich in dem vorliegenden Beitrag keine erschöpfende Analyse der Remarque-Rezeption in Rumänien darstelle, aber ich versuche, hiermit ein paar Leitfäden und Schlüsselgedanken in der rumänischen Perspektive auf Remarque konturieren zu können. Die Sechziger: Ein Humanist, aber leider kein Kommunist Die Übersetzung von Im Westen nichts Neues, die im Jahr 1965 veröffentlicht wurde, beinhaltet auch ein dreizehnseitiges Vorwort des Literaturhistorikers Constantin Măciucă.1 Der Verfasser des Vorworts äußert sich hier nicht nur zu Remarques Ersterfolg, er vergleicht Remarque mit anderen Schriftstellern, versucht die Texte verschiedenen Stilrichtungen zuzuordnen und kommentiert dann abschließend auch Remarques humanistische Botschaft. Zu Beginn des Vorworts bemerkt Constantin Măciucă, dass sich Remarque auf einer ständigen Suche nach Wahrheit befinden würde, und kommentiert die autobiografischen Aspekte aus seinem Gesamtwerk, wobei er aber hinzufügt, dass diese Aspekte nicht unbedingt als definitorisch für Remarques literarisches Gesamtkonzept zu verstehen seien. Der Literaturhistoriker meint, dass eher das tragische Schicksal Deutschlands in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Remarque zum Schreiben bewegt habe. Er versteht die Werke des Schriftstellers als Plädoyer für die Würde des Menschen und bezeichnet ihn als einen Intellektuellen, der vor dem Leid seiner Landsleute nicht gleichgültig bleiben konnte. Was die Thematik angeht, vergleicht er Remarque mit Henri Barbusse, Dos Passos, Ernest Hemingway, E.E. Cummings und Richard Aldington. Damit meint Măciucă in erster Linie das Thema der verlorenen Generation und erläutert dann für die Leser auf den folgenden paar Seiten, was damit gemeint ist. Als einzigen

1 Constantin Măciucă. »Prefaţă«. Erich Maria Remarque. Pe frontul de vest nimic nou. Bukarest: Editura pentru literatură, 1965, V–XXVII.

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Die Remarque-Rezeption in Rumänien

Vertreter der rumänischen Literatur, der sich mit diesem Thema befasst habe, erwähnt er Cezar Petrescu mit seinem Roman Întunecare [Verdunkelung]. Desweiteren kommentiert Măciucă auch Remarques Schreibweise und spricht von einem beeindruckenden Lyrismus, der aber stets von feiner Ironie geprägt sei. Obwohl seine Romane einen keineswegs essayartigen Charakter hätten, würden von Remarque Themen, die stark in der Realität verankert sind, literarisch zum Ausdruck gebracht, so der Autor des Vorworts. In diesem Zusammenhang fügt er noch hinzu, dass die Texte aus seiner Sicht nicht unbedingt einen naturalistischen Charakter haben, trotz der Realitätsbezogenheit, sondern einen eher expressionistischen. Seine These begründet er dadurch, dass Remarque bestimmte Einzelaspekte mit einer unglaublichen Genauigkeit beschreiben würde, um sein Gesamtbild darzustellen. Als Beispiele werden Details aus den Frontszenen in Im Westen nichts Neues genannt, die das Gesamtbild des grausamen Kriegs vermitteln sollen. Im zweiten Teil dieses Vorworts widmet der Autor seine Aufmerksamkeit auch weiteren Romanen von Remarque, wie Arc de Triomphe, Liebe Deinen Nächsten oder Zeit zu leben und Zeit zu sterben, und bemerkt schon zu Beginn seiner Ausführungen, dass Im Westen nichts Neues eigentlich alle Themen aus den Folgeromanen beinhalte wie zum Beispiel die Reintegration der verlorenen Generation in der Nachkriegsgesellschaft und die permanente Suche nach der menschlichen Würde in äußerst schwierigen Lebensumständen. Wie erwartet, sind hiermit Der Weg zurück, Drei Kameraden und Der schwarze Obelisk gemeint. Wenn Măciucă Arc de Triomphe, Liebe Deinen Nächsten und Die Nacht von Lissabon kommentiert, dann spricht er von antifaschistischen Romanhelden, die auf persönlicher Ebene ihre Protesthaltung einnehmen. Was Zeit zu leben und Zeit zu sterben anbelangt, meint der Autor, dass dieser Roman für die literarische Darstellung des Zweiten Weltkriegs von genauso großer Bedeutung sei wie Im Westen nichts Neues für die des Ersten Weltkriegs, und vergleicht Remarque in dieser Hinsicht mit Günter de Bruyn, Dieter Noll und Günter Hofé mit der Bemerkung, dass die Bücher dieser Schriftsteller ein weitgehendes Verständnis der sozialen Phänomene aufgrund der Theorie des Marxismus-Leninismus aufweisen würden. Und genau im Bezug zu der politischen Komponente besteht auch Măciucăs klarer Kritikpunkt an Remarque. Er wirft dem Schriftsteller vor, dass er die kommunistische Ideologie gar nicht verstehen würde, und erinnert dabei an die Kommunisten in Der Funke Leben und Zeit zu leben und Zeit zu sterben. Er fällt ein ganz klares Urteil: Diese Figuren seien oberflächlich konstruiert, und Remarque beweise damit, dass er die humanistische Seite des Kommunismus überhaupt nicht kenne und verstehe. Abschließend bemerkt der Literaturhistoriker, dass Remarque mit einem modernen Ikarus zu vergleichen sei, der aufgrund seiner begrenzten Lebensauffassungen nicht bis in die Höhen der grundlegenden Lebenswahrheiten fliegen kann. Aus diesen Zeilen ist herauszulesen, dass er unter den grundlegenden Wahrheiten die kommunistische Weltauffassung versteht. Während der Autor des Vorworts sich 201

Alexandra Nicolaescu

zu Beginn seiner Überlegungen eher auf einer literarisch-analytischen Ebene bewegt und ein größtenteils positives Bild vom Schriftsteller zeichnet, kommt erst in den letzten paar Zeilen seine eigentliche Meinung, die eine klar definierte politische Haltung aufweist, zum Ausdruck. Die Achtziger: Der Dichter der Liebe und der Kameradschaft Im Jahre 1984 hat der Dichter, Publizist und Übersetzer Petre Stoica ein Buch mit dem Titel Caligrafie și Culori [Handschriften und Farben] verfasst, in dem er eine Reihe von rumänischsprachigen und deutschsprachigen Schriftstellern analysiert. Zu den deutschsprachigen gehören unter anderem Erich Kästner, Ernst Jandl, Ernst Jünger, Peter Handke und auch Erich Maria Remarque, den er bereits im Titel des Kapitels als Dichter der Liebe und der Kameradschaft2 bezeichnet. Petre Stoica bespricht hier die bekanntesten Romane des Schriftstellers, kommentiert die thematischen Schwerpunkte und stellt Bezüge zu den geschichtlichen Ereignissen des zwanzigsten Jahrhunderts her. Zunächst diskutiert er Im Westen nichts Neues und versucht, den unermesslichen Erfolg des Romans zu erklären. Er meint, dass der riesige Erfolg darauf zurückzuführen sei, dass der Schriftsteller tiefgründige Wahrheiten des Kriegsalltags beschreibe, die die Herzen der Leser schnell eroberten. Er betrachtet den Roman als literarisches Denkmal, bemerkt aber zugleich, dass das Buch auf den Leser der achtziger Jahre zu sentimental wirken könne. Zu Der Weg zurück meint er, dass der Text eine pikareske Komponente aufweise, die durch die problematischen sozialen und ökonomischen Verhältnisse zur Entstehungszeit des Romans zu erklären sei. Drei Kameraden wird von Petre Stoica als eine Dichtung von Liebe und Kameradschaft definiert, und er erinnert daran, dass diese zwei Motive aus Remarques Werken nicht wegzudenken seien. Das Schöne an dem Romantext bestehe darin, dass es eine für den Menschen äußerst wichtige Problematik ans Licht bringe, nämlich die Suche nach dem persönlichen Glück in einer von Zynismus geprägten Welt. Insofern betrachtet er den Text als aktuell und spricht von einer immer noch erfrischenden Romanatmosphäre trotz der tragischen Facette. Im Zusammenhang mit Drei Kameraden erwähnt er auch den Roman Der schwarze Obelisk, da auch hier die Weimarer Republik als Handlungsschauplatz fungiert. Er meint, dass der schwarze Humor und die prägnante Ironie in diesem Romantext mit ei-

2 Petre Stoica. »Erich Maria Remarque, poetul dragostei şi camaraderiei«. Petre Stoica. Caligrafie şi culori. Bukarest: Editura Cartea Românească, 1984, 157–162.

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Die Remarque-Rezeption in Rumänien

ner Karikatur von Georg Grosz zu vergleichen sei, und schätzt hier den Schriftsteller als ausgezeichneten Kenner der menschlichen Seele ein. Als nächstes bespricht Petre Stoica Arc de Triomphe, Liebe deinen Nächsten und Die Nacht von Lissabon und bemerkt, dass das Thema des Emigrantendaseins von großer Bedeutung für Erich Maria Remarque war. Die Romangestalt Ravic betrachtet der Autor als eine der bemerkenswertesten Romangestalten der Weltliteratur überhaupt. Für ihn ist der Lyrismus der Erzählweise in Arc de Triomphe mit den Werken Hemingways zu vergleichen, und er lobt die Intensität der dargestellten Gefühlswelten in den drei hier besprochenen Remarque-Texten. Seiner Ansicht nach besteht Remarques Kernbotschaft darin, dass das Gute im Menschen trotz aller Widrigkeiten des Schicksals bestehen bleibe. Anschließend nennt er diese drei Romane Epen, die als Krönung des Gesamtwerks von Remarque zu betrachten seien. Der Funke Leben und Zeit zu leben und Zeit zu sterben wären hinsichtlich des schriftstellerischen Könnens nicht mit den Emigrationsromanen zu vergleichen, so der Autor. Er fügt allerdings noch hinzu, dass diese zwei Texte von Remarques Wunsch zeugten, stets die geschichtlich relevanten Ereignisse literarisch dar­ zustellen. Petre Stoica fehlt hier aber die dramatische Spannung, und er ist der Ansicht, dass die zwei Texte einen reportageähnlichen Charakter haben. Am interessantesten an diesem Beitrag fand ich die Aussagen zur Perspektive der Literaturwissenschaftler auf Remarque. Er stellt mit gutem Recht fest, dass Remarque aus wissenschaftlicher Sicht nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Stoica diese Zeilen schrieb. Und er findet auch die Erklärung dazu. Laut Stoica steht das Interesse der Literaturwissenschaftler in direktem Verhältnis zu einer von ihm sogenannten »Antiliteratur«. Je unverständlicher, experimenteller und verschlüsselter ein literarischer Text wirke, umso höher das Lob der Kritiker, erklärt der Autor seine These. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die Propaganda-Literatur, die er als vollkommen trocken und nichtssagend einschätzt, als beliebte Literaturform unter seinen Zeitgenossen. Abschließend bemerkt er noch, dass Remarques Prosa nicht die Komplexität oder Tiefgründigkeit Thomas Manns, Kafkas oder Robert Musils aufweise, aber sie hingegen von einer außerordentlichen Klarheit geprägt sei. Remarque suggeriere nichts, er stelle alles dar und behandele eine zugängliche Thematik, die keiner hyperintellektuellen Analyse bedürfe, so Stoica. Remarque schreibe über wohlbekannte Themen, wie Leben, Tod und Liebe, aber er schreibe in so einer Art und Weise, dass der Leser den Eindruck habe, als ob er diese Facetten des Lebens zusammen mit den Romangestalten zum ersten Mal entdecken würde. Darin läge Remarques Welterfolg, schließt Stoica. Heutzutage würde man wohl sagen, dass Stoica ein Remarque-Fan ist, der sich in seinen Überlegungen auf literarische und stilistische Aspekte beschränkt, ohne einen einzigen politisch gefärbten Kommentar zu formulieren. Das ist schon eine lobenswerte Haltung, denn man 203

Alexandra Nicolaescu

muss bedenken, dass dieser Text in einer Zeit erschienen ist, in der die Politik in Rumänien aus keinem einzigen Lebensbereich wegzudenken war. Erich Maria Remarque auf rumänischen Internetseiten Bei einer einfachen Suchanfrage zu Erich Maria Remarque auf rumänischen Webseiten erscheinen insgesamt sieben Seiten an Suchergebnissen. Diese Zahl ist aber irreführend, denn in den meisten Fällen geht es um Verlagsseiten oder Seiten von Buchhandlungen und Antiquariaten, auf denen man die auf Rumänisch übersetzten Werke von Remarque in den unterschiedlichsten Auflagen besorgen kann. Eine Wikipedia-Seite auf Rumänisch gibt es auch.3 Diese Seite wurde zum letzten Mal im September 2019 bearbeitet und beinhaltet eine relativ umfassende Biografie des Schriftstellers. Außerdem werden dreizehn seiner Werke aufgezählt und die Verfilmungen von Im Westen nichts Neues und Zeit zu leben und Zeit zu Sterben angeführt. Es gibt hier noch eine kurze Textpassage zu Remarque und seinen Kampf für Frieden, in der auch das »Erich Maria Remarque-Friedenszentrum« in Osnabrück genannt wird. Ebenfalls wird hier ein Operntext aus dem Jahr 1999 erwähnt, der von Nancy Van de Vate zu Im Westen nichts Neues verfasst wurde und im Jahre 2003 an der New York City Opera uraufgeführt wurde. Weiterführende Literaturlinks sind hier nicht zu finden. Es gibt allerdings unter den obengenannten Suchergebnissen auch ein paar wertvolle Rezensionen, die ich hier besprechen möchte. Dabei handelt es sich nur um die Texte Die Nacht von Lissabon und Im Westen nichts Neues, was höchstwahrscheinlich daran liegt, dass diese zwei Romane in übersetzter Fassung hierzulande im Jahre 2016 neu aufgelegt worden sind. Im Juli 2016 erschien im Kulturblog societateşicultură, der auf Initiative von zwei Doktoranden an der Geschichtsfakultät der Universität Bukarest entstanden ist, eine Rezension zu Im Westen nichts Neues. Diese Rezension ist »Metamorfozele generației înecate cu praf de pușca«4 [Die Metamorphosen der Generation, die an Schießpulver erstickt] betitelt und beginnt mit einer kategorischen Aussage zum Ersten Weltkrieg. Die Autorin meint nämlich, dass dieser Krieg einen weltverändernden Prüfstein für die ganze Menschheit dargestellt habe. Darauffolgend ergänzt sie, dass man sich in diesem Zusammenhang keineswegs nur auf geschichtlich-politische oder wirtschaftliche Aspekte, sondern auch auf die sozialpsychologischen Folgen des Kriegs, die die Durchschnittsmenschen, vor allem die Frontsoldaten, betroffen haben, konzentrieren sollte. Und gerade diese Facette des

3 https://ro.wikipedia.org/wiki/Erich_Maria_Remarque (Stand: 25.01.2020). 4 http://societatesicultura.ro/2016/07/pe-frontul-de-vest-nimic-nou/ (Stand: 25.01.2020).

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Die Remarque-Rezeption in Rumänien

Krieges werde von Erich Maria Remarque in Im Westen nichts Neues thematisiert, bemerkt die Autorin ganz zutreffend. Sie fügt noch hinzu, dass viele Historiker sich neben der Neukonfigurierung der Weltkarte infolge des Krieges auch mit der Spaltung der Gesellschaft befassen. Damit meint sie die Spaltung zwischen den jungen Kriegsteilnehmern, die die Grausamkeiten an der Front erlebt hatten, und den Daheimgebliebenen, Eltern oder Lehrer zum Beispiel, die den Krieg immer noch mit einem heroisierenden Blick betrachteten. Nach diesen Aussagen lobt sie den Schriftsteller, weil er gerade die psychologischen Auswirkungen des Kriegs auf die Soldaten, beziehungsweise dessen Einfluss auf ihre Gefühlswelt, darstelle. Anschließend widmet sie ein paar Zeilen auch der Biografie Remarques und ordnet den Schriftsteller der humanistischen Literaturtradition zu, ohne aber weiter diesen Punkt zu erläutern. Sie kommentiert außerdem die im Roman dargestellte Brutalität des Krieges und bemerkt, dass die unerfahrenen Soldaten darauf überhaupt nicht vorbereitet und deswegen permanent dem Tod ausgeliefert waren. Die Enthumanisierung und die Reintegrationsprobleme in der Nachkriegszeit werden ebenfalls von der Autorin der Rezension thematisiert und abschließend zählt sie die Wörter auf, die aus ihrer Sicht den Ersten Weltkrieg charakterisieren: Verzweiflung, Verlorenheit, Trauer und Tod. Im Oktober 2016 wurde eine Rezension zu Die Nacht von Lissabon vom Historiker und Schriftsteller Codruţ Constantinescu in der Kulturzeitschrift suplimentul de cultură5 aus Iaşi veröffentlicht. Im ersten Teil der Rezension fasst der Autor den Inhalt zusammen, wobei er den Text als unwiderrufliches Urteil gegen den Nationalsozialismus betrachtet und den Handlungsablauf als dynamisch bewertet. Der zweite Teil der Rezension ist aber wesentlich aussagekräftiger, da sich hier der Autor zu den Kerngedanken des Buches äußert. Diese Passage ist »Remarque a avut aceeaşi intuiţie precum Alexandr Soljenitin« [Remarque hatte dieselbe Intuition wie Alexander Solschenizyn] betitelt, und direkt danach erwähnt der Autor die zwei totalitären Regime des zwanzigsten Jahrhunderts, das rechtsextreme und das linksextreme, und vergleicht Die Nacht von Lissabon mit Solschenizyns Krebsstation. Außerdem bemerkt der Autor, dass Remarque hier nicht nur expressive Gestalten und eine spannende Handlung literarisch konstruiere, sondern auch eine gesamte Lebensphilosophie dem Leser vermitteln möchte. Es geht hier um Leben, Tod, die Vergänglichkeit der Zeit und des Glücks. Dabei interpretiert der Autor Remarques Betrachtungsweise als äußerst trüb und pessimistisch. Er erwähnt auch die direkten Bezüge zur Biografie des Schriftstellers, wobei er allerdings darauf aufmerksam macht, dass Remarque im Gegensatz zu seinen Romangestalten als Emigrant nicht verfolgt wurde, sondern ein eher privilegiertes Leben

5 http://suplimentuldecultura.ro/11686/noapte-la-lisabona/ (Stand: 25.01.2020).

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außerhalb Deutschlands geführt habe. Nichtsdestotrotz schätzt Constantinescu Remarques empathische Haltung sehr und zum Schluss erinnert er auch an die Krisensituation, die die Emigranten aus Syrien betrifft, und möchte damit auf die Wiederholbarkeit der Tragödien des letzten Jahrhunderts verweisen. Eine weitere, sehr interessante Rezension wurde im Literaturblog des Goethe Instituts Bukarest DLITE6 im Dezember 2016 veröffentlicht. Der junge Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Bogdan Coşa befasst sich hier ebenfalls mit dem Roman Die Nacht von Lissabon, den er schon im Titel als ersten und letzten Remarque bezeichnet. Warum gerade diese Bezeichnung, erfahren wir erst beim Lesen der gesamten Rezension. Zu Beginn versucht sich der Autor daran zu erinnern, wann und ob er die Verfilmung von Im Westen nichts Neues gesehen und wann und ob er schon etwas von Remarque gelesen hatte. In diesem Zusammenhang erinnert er sich an seine Studienzeit, als Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass und Oskar Pastior zu den Pflichtlektüren gehörten, und fragt sich zurückblickend, wann er noch überhaupt Zeit gehabt hätte, Remarque zu lesen. Zu Remarque kam er demzufolge erst später, als er schon als Literaturkritiker tätig war und die neue Auflage von Die Nacht von Lissabon, 2016 erschienen, entdeckte. Insofern gilt für Coşa laut eigener Angabe dieser Roman als das erste Werk von Remarque, dem er tatsächlich Aufmerksamkeit schenkte. Nach dieser kurzen Einführung kommt dann auch die eigentliche Analyse des Autors, und man spürt gleich zu Beginn einen äußerst kritischen Blick. Coşa meint, dass dieser Roman für ein Publikum mit sehr niedrigen Erwartungen verfasst wurde, dass die Dialoge wie aus einem zweitklassigen Film erscheinen und die Rahmenhandlung oberflächlich, wie von einem unerfahrenen Schriftsteller, aufgebaut und ausformuliert wurde. Den Handlungsablauf allgemein betrachtet er als extrem monoton und das Alternieren zwischen den zwei Handlungsebenen als voraussehbar und nicht gelungen. Zusammenfassend schließt er, dass Remarque zu Beginn seiner Karriere als Schriftsteller begabt war, aber sich in Die Nacht von Lissabon keine Mühe gegeben habe und nur ein von ihm bekanntes, schon längst erprobtes Rezept anwende. Wie ein Zahnarzttechniker, der zum tausendsten Mal in seinem Leben die gleichen Bewegungen ausführt, während er mit den Gedanken ganz woanders ist. Deshalb ist Die Nacht von Lissabon für Coşa der erste, aber auch der letzte Roman von Remarque, den er gelesen hat, beziehungsweise jemals lesen wird. Bei dieser offensichtlich negativ ausgefallenen Rezension ist aus meiner Sicht allerdings fraglich, inwiefern Coşa ein sogenanntes Remarque-Rezept entdecken konnte, wenn er laut eigener Aussage mit dem Gesamtwerk des Schriftstellers nicht gerade vertraut ist. Hätte er auch andere Romane von ihm gelesen,

6 https://blog.goethe.de/dlite/archives/192-Primul-i-ultimul-Remarque-Erich-Maria,-te-salut!.html (Stand: 25.01.2020).

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hätte er womöglich feststellen können, dass aufgrund der zwei Handlungsebenen Die Nacht von Lissabon als Remarques strukturell komplexester Text betrachtet werden kann. Einen Eintrag zu Im Westen nichts Neues gibt es auch im Literaturblog citeşte-mă! .7 Der Eintrag wurde im April 2019 verfasst und beinhaltet ein paar Gesprächs­auszüge aus dem Roman, die dann auch kommentiert sind. Es geht um ein Gespräch, in dem sich die Frontsoldaten an die Schulzeit erinnern und zu dem Schluss kommen, dass nichts, was sie in der Schule gelernt haben, ihnen im Kriegs­alltag hilft. Ausgehend von diesem Romanauszug bespricht die Autorin hier das Drama der verlorenen Generation. Sie spricht vom dargestellten Kriegs­ alltag, von den zahlreichen Schwierigkeiten, vom Überlebenskampf sowie von der starken psychischen Belastung, der Entfremdung und der Entwurzelung der viel zu jungen Frontsoldaten. Dabei bemerkt sie, dass im Roman der Humor eine sehr wichtige Rolle spiele, weil er eine Art Schutz gegen den tragischen Alltag biete. Abschließend fasst auch hier die Autorin Remarques Biografie kurz zusammen und zählt weitere Titel auf. Erwähnenswert wäre hier auch der Titel des Artikels selbst: »Când încetează melodia din vise şi cărţi« [Wenn die Melodie aus Träumen und Büchern aufhört]. Es gibt auch zwei weitere rumänische Blogs, in denen Die Nacht von Lissabon besprochen wird. Zmeubucureşti8 kann als Lifestyleblog betrachtet werden, denn es werden hier alle möglichen Themen behandelt, wie unter anderem kulinarische Experimente, Veranstaltungen in Bukarest, aber auch Film- und Literaturtipps. Und im Oktober 2016 erschien auch ein Eintrag zu Remarques Roman. Zunächst bemerkt die Autorin des Eintrags, dass wir Menschen mehr als je verstehen müssten, dass es keine Kriege mehr geben sollte. Allerdings hätten wir nichts aus den Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts gelernt, so ihre Ansicht. Anschließend fasst sie den Inhalt des Romans kurz zusammen und bemerkt, dass Remarque hier eine grausame, aber stark in der Realität verankerte Handlung konstruiere, eine Geschichte von Verlierern und Siegern, die zwischen den Zeilen der Geschichtsbücher verloren gegangen sei. Zum Schluss erwähnt sie ein paar Angaben aus der Biografie von Remarque und äußert sich dann auch zu seinem Gesamtwerk: Seine Romane beschrieben eine brutale Realität, aber sie wollten uns auch lehren, dass Gefühle und Emotionen wie Großzügigkeit und Güte auch in den schwierigsten Situationen ihren Platz fänden. Nur diese Gefühle könnten uns vor uns selbst retten.

7 https://citestema.ro/tag/erich-maria-remarque/ (Stand: 25.01.2020). 8 https://zmeubucuresti.com/2016/10/25/erich-maria-remarque-noapte-la-lisabona/ (Stand: 25.01.2020).

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In dem Literaturblog andreeabooks gibt es ebenfalls einen Eintrag zu Die Nacht von Lissabon.9 Weder das Datum noch der Autor sind bekannt, aber wir können davon ausgehen, dass er zwischen 2016 und 2020 verfasst wurde, denn es gibt auch ein Foto von dem Cover der Edition des Romans von 2016, die ich hier bereits erwähnt habe. Auch in diesem Eintrag wird zunächst einmal der Inhalt zusammengefasst, beziehungsweise fast wie in einem Krimi dargestellt. Der Autor spricht von Identitätsdiebstahl, Flucht, Verfolgungen, Liebe, Freundschaft und dem vollen Leben der Hauptgestalt. Abschließend wird bemerkt: Eine fesselnde Geschichte, ein exzellentes, lesenswertes Buch! Wenn man über Remarque auf rumänischen Internetseiten spricht, dann muss man auch die Webseite des Verlags Polirom erwähnen. Denn bei Polirom wurden 2016 die Übersetzungen von Im Westen nichts Neues,10 Zeit zu leben und Zeit zu sterben11 und Die Nacht von Lissabon12 neu aufgelegt und 2017 Der schwarze Obelisk.13 Jede einzelne dieser Editionen hat auch eine eigene Seite auf polirom.ro bekommen, wobei alle vier Seiten nach dem gleichen Format aufgebaut sind. Zu Beginn finden wir eine kurze Entstehungsgeschichte, dann eine Zusammenfassung, ein Buch-Zitat sowie ein oder zwei Zitate aus amerikanischen Rezensionen, meist aus der New York Times. Ich persönlich betrachte dieses Format als hilfreich, denn die potentiellen Leser, die Remarque noch gar nicht kennen, können sich hiermit ein erstes Bild von den jeweiligen Büchern machen. Wer aber in einen Roman von Remarque auf Rumänisch reinschnuppern möchte, ohne das Buch zu kaufen, hat auch diese Möglichkeit. Denn bei books. google stehen Auszüge aus Der schwarze Obelisk, Im Westen nichts Neues und Zeit zu leben und Zeit zu sterben zur Verfügung. In allen drei Fällen handelt es sich um die jüngsten Auflagen von Polirom. Auch auf der Internetseite der Publikation LaPunkt14 gibt es einen Auszug aus Im Westen nichts Neues zu lesen, ohne weitere Kommentare. Als Quelle wird auch hier die Polirom-Auflage angegeben.

9 https://andreeabooks.wordpress.com/2017/03/14/noapte-la-lisabona-erich-maria-remarque/ (Stand: 25.01.2020). 10 https://www.polirom.ro/carti/-/carte/6004 (Stand: 25.01.2020). 11 https://www.polirom.ro/carti/-/carte/6046 (Stand: 25.01.2020). 12 https://www.polirom.ro/carti/-/carte/6156 (Stand: 25.01.2020). 13 https://www.polirom.ro/carti/-/carte/6335 (Stand: 25.01.2020). 14 https://www.lapunkt.ro/2016/04/erich-maria-remarque-pe-frontul-de-vest-nimic-nou-1/ (Stand: 25.01.2020).

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Der Blick zurück: Eine Remarque-Übersetzerin im Gespräch Es gibt wohl kaum jemanden in Rumänien, der sich in den letzten paar Jahrzenten mit den Texten von Erich Maria Remarque intensiver befasst hat als Sanda Munteanu. Sanda Munteanu ist nämlich leidenschaftliche Übersetzerin, sie war aber auch 33 Jahre lang als Dozentin für Literaturwissenschaften am Germanistikdepartement der Universität Bukarest tätig und konnte sich erst nach der Pensionierung ihrer wahren Liebe, den Literaturübersetzungen, widmen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Verlag »Vivaldi« hat sie insgesamt sieben RemarqueRomane übersetzt, darunter die Jugendschriften Die Traumbude und Gam, sowie Der schwarze Obelisk und sein posthum veröffentlichtes Werk Das gelobte Land. Aus diesem Grund möchte ich in dem vorliegenden Beitrag auch ihre Perspektive darstellen, die ich im Rahmen eines Interviews, das ich in diesem Jahr geführt habe, erfassen konnte.15 Die erste Frage, die ich Sanda Munteanu gestellt habe, bezieht sich auf Remarques riesigen Erfolg in Rumänien. Ich wollte nämlich wissen, wie sie sich diesen Erfolg überhaupt erklärt. Die Übersetzerin meint, dass dieser Erfolg daran liegt, dass Remarque mit einem unglaublichen erzählerischen Talent sehr ernsthafte Problemstellungen literarisch verarbeite. Die Romanhandlungen selbst trügen auch zum Leserinteresse bei, da der Schriftsteller es schaffe, eine konstante Spannung aufzubauen, die den Leser pausenlos fessele. Was den Textaufbau angeht, hat die Übersetzerin die Texte als szenisch, fast kinematographisch aufgebaut empfunden. Ihrer Meinung nach hat Remarque seine Romane wie Zusammenführungen von filmartigen Szenen konstruiert, wobei jede einzelne Szene sehr gut abgerundet sei. Sie fragt sich, inwiefern das eine gut durchdachte Schreibtechnik war, oder ob es lediglich nur als Ausdruck des remarqueschen Schreibstils zu betrachten ist. In diesem Zusammenhang bemerkt sie noch, dass manchmal die Übergänge zwischen den Szenen fehlten, was aber die Lesefreude ganz und gar nicht behindere. Der zweite Grund, warum Remarque so beliebt sei, bezieht sich ihrer Ansicht nach auf die Konstruktion der Gestalten. Der Autor schaffe es mithilfe von nur ein paar Federstrichen, sehr klar konturierte Romangestalten zu präsentieren. Anhand von Details, wie zum Beispiel verbale Charakteristika, Kleidung oder Beschreibung von Gestik, könne der Leser sich die Gestalten ganz klar vorstellen, als ob er sie mit seinen eigenen Augen sehen würde. Die Leser könnten bei den Romangestalten Empfindungen und Gefühle aus der eigenen Lebenserfahrung wiedererkennen, und es falle ihnen deshalb ganz leicht, sich in die Gestalten hineinzuversetzen.

15 Sanda Munteanus Aussagen stammen aus einem Interview, das ich mit ihr auf Rumänisch am 20.01.2020 geführt habe.

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Die Romandialoge stellen laut Sanda Munteanu einen weiteren Grund für das Lesevergnügen dar. Unwiderstehlicher Humor und feine Ironie seien stets anwesend, und der Text bringe den Leser innerhalb von nur ein paar Zeilen sowohl zum Lachen als auch zum Weinen. Das Tragische und das Komische seien eng miteinander verbunden, aber dasselbe gelte doch auch für das Leben selbst, schließt Sanda Munteanu. Als ausgebildete Literarturwissenschaftlerin bemerkt sie, dass Remarques Prosawerke weder die stark deskriptiven Züge des Naturalismus, noch die Ausschweifungen des Romantismus aufwiesen. Es gehe hier eher um Handlungsabläufe, die sehr klar in der Realität verankert seien, pointiert und attraktiv verschriftlicht. Das Triviale und das Ernsthafte ergänzten sich, und mithilfe dieser Strategie beleuchte der Autor Themen, die einen tiefgründigen Sinn beinhalteten. Sie erwähnt in dieser Hinsicht den von ihr übersetzten Roman Der schwarze Obelisk, in dem die Inflation und die Suche nach dem eigenen Weg, beziehungsweise nach dem Sinn des Lebens in einer völlig verstörten Nachkriegsgesellschaft, im Mittelpunkt stünden. Ein weiterer Roman, dessen Übersetzung Sanda Munteanu viel Freude bereitet hat, war Der Funke Leben. Sie ist auch die einzige, die bisher diesen Roman ins Rumänische übertragen hat. Sie schätzt hier sehr das schriftstellerische Können von Remarque und betrachtet den Roman als Pendant zu Alexander Solschenizyns Gulag. Aus ihrer Sicht könne man die Handlung des Remarque-Romans pro­blemlos in den sozialpolitischen Kontext des Solschenizyn-Romans übertragen und umgekehrt. Der einzige Unterschied liege nur beim Namen der totalitären Regime, denn sowohl Nationalsozialismus als auch Kommunismus hätten vergleichbare Tragödien bei den betroffenen Menschen verursacht. Ein Gedanke, der eigentlich auch aus einer der Kernpassagen aus Der Funke Leben zu entnehmen sei. Gerade heutzutage sollten so viele Menschen wie möglich diese Romane lesen, denn die junge Generation, die nicht im Totalitarismus aufgewachsen ist, sollte vor den Gefahren gewarnt werden, meint Sanda Munteanu. Sie betrachtet Der Funke Leben als memento mori, und ganz im Sinne Remarques fügt sie noch hinzu: Die Vergangenheit, die in Vergessenheit geraten ist, kann sich jederzeit wiederholen. Da Sanda Munteanu, wie bereits erwähnt, auch Das gelobte Land übersetzt hat, hat sie sich im Gespräch in ein paar Sätzen auch dazu geäußert. Sie meint dazu, dass die Leser, die sich dessen nicht bewusst sind, dass der Roman unvollendet in Druck gegangen ist, davon ausgehen könnten, dass es sich hier lediglich um einen Roman mit offenem Ende handelt. Sie vertritt außerdem die Meinung, dass die Romankapitel auch unabhängig voneinander gelesen werden könnten, da jedes Einzelne sehr abgerundet wirke, wobei manchmal die Zusammenhänge fehlten. Zusammenfassend bemerkt sie, dass die Tragödie der Emigration auch hier mit einem unwiderstehlichen Humor literarisch verarbeitet würde. Sie spricht außerdem von den zwei Leitmotiven, die sie in den Texten entdeckt habe: Krieg und Rache. 210

Die Remarque-Rezeption in Rumänien

Was das Kriegsmotiv angeht, ist sie der Meinung, dass es nur einen Roman in der Weltliteratur gebe, den man als Vorgänger von Remarques Kriegsromanen betrachten könne, nämlich Le Feu von Henri Barbusse. Es sei der einzige Roman, der noch vor Im Westen nichts Neues die Froschperspektive der Soldaten dargestellt habe, alle anderen bis dahin veröffentlichten Kriegsromane würden eher heroisierende Kriegsbilder und Kriegsstrategien als Schwerpunkte haben und eben nicht den Kriegsalltag. Le Feu habe allerdings keineswegs so viel Erfolg wie Im Westen nichts Neues gehabt, und dementsprechend betrachtet sie den RemarqueBestseller als Wendepunkt der Kriegsliteratur. Zum zweiten von ihr erwähnten Leitmotiv, der Rache, meint Sanda Munteanu, dass dieses auf Remarques persönliches Leben zurückzuführen sei. Damit meint sie die Ermordung seiner viel geliebten Schwester durch die Nationalsozialisten und seine erzwungene Emigration. In diesem Zusammenhang bemerkt sie noch, dass die autobiografischen Züge in Remarques Romanen stets im Hintergrund aufträten, aber nicht grundlegend für die Interpretation betrachtet werden sollten. Als ich die Übersetzerin fragte, ob sie einen Lieblingsroman von Remarque habe, antwortete sie ohne zu zögern: Zeit zu leben und Zeit zu sterben. Aus ihrer Sicht sei dieser Roman ein äußerst zusammenhängender und ausgeglichener Text, in dem sich die ganze Handlung ohne jegliche Abschweifungen aus dem thematischen Kern entwickle. Zu guter Letzt wollte ich mit ihr noch besprechen, wieso sich die rumänische Germanistik so gut wie gar nicht mit Remarque befasst hat. Sie meint, dass liege wohl daran, dass die hiesigen Germanisten die Remarque-Texte nicht als Teil der sogenannten hohen Literatur betrachten würden. Freilich sei Remarque nicht mit Thomas Mann zu vergleichen, aber unter den rumänischen Lesern auf jeden Fall beliebter, fasst sie ihren Standpunkt zusammen. Zurückblickend erinnert sich Sanda Munteanu noch: Als ich noch ein Kind war, da stand auf fast jedem Nachttisch ein Roman von Erich Maria Remarque. Wenn man daran denkt, dass Remarque-Übersetzungen hierzulande immer neu aufgelegt werden, könnte man vermuten, dass sich daran auch nichts geändert habe. Genau wie die Übersetzung der Texte Sanda Munteanu viel Freude bereitet haben, hat auch mir das Gespräch mit ihr viel Freude bereitet. Denn ich habe in ihr eine bestens informierte und angesehene Literaturwissenschaftlerin gefunden. Leider hat sie ihre Überlegungen zu Remarque nie verschriftlicht und veröffentlicht, sonst hätte bestimmt die Remarque-Rezeption hierzulande ein paar wertvolle Beiträge aus wissenschaftlicher Perspektive gewinnen können. Schlussbetrachtungen Es wurde viel übersetzt und veröffentlicht, aber viel zu wenig geschrieben und analysiert. So könnte man in einem einzigen Satz die Remarque-Rezeption in 211

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Rumänien zusammenfassen. Was man aber den wenigen hier diskutierten Stellungnahmen entnehmen kann, ist, dass Remarque unter rumänischen Lesern und Kritikern beliebt ist. Mit einer einzigen Ausnahme sind alle Meinungen positiv ausgefallen, und nur was die politisch konnotierte Haltung gegenüber Remarque anbetrifft, gab es im Laufe der Zeit Änderungen. Während der Autor des Vorworts aus den sechziger Jahren eine klare politische Aussage macht, sind die späteren Ausführungen politisch völlig neutral und beziehen sich eher auf die Thematik und den Schreibstil Remarques. Es gibt auch ein paar gemeinsame Nenner, die aus meiner Sicht erwähnenswert sind. Die Rezensenten, beziehungsweise Literaturkritiker, schätzen die starke Realitätsbezogenheit des Schriftstellers und betrachten seine Schreibweise als zugänglich und dementsprechend umso attraktiver für jeden potentiellen Leser. Es kommen in den Überlegungen der hier zitierten Personen auch Parallelen zu anderen Schriftstellern vor, wobei die Namen Henri Barbusse und Alexander Solschenitzyn öfter auftreten. Das ist meiner Meinung nach nicht unbedingt überraschend, denn es gab hierzulande immer ein großes Interesse für die französische Sprache und Literatur und Russisch war jahrelang Pflichtfach in den Schulen, dementsprechend sind hier russischsprachige Autoren weitgehend bekannt. Warum aber hat sich die hiesige Germanistik so gut wie gar nicht mit Remarque beschäftigt? Es muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass es Germanistikabteilungen an mehreren rumänischen Universitäten gibt, wie zum Beispiel in Cluj, Sibiu, Braşov und in der Hauptstadt Bukarest. Man kann die Antwort mehr oder weniger explizit bei Petre Stoica, Bogdan Coşa und bei Sanda Munteanu finden. Die hiesige Germanistik befasste sich eher mit den sogenannten Großen der deutschen Literatur, wie zum Beispiel Thomas Mann, dessen Name auch in den vorliegenden Ausführungen mehrmals wiederzufinden ist. Dazu füge ich noch hinzu, dass hierzulande in den letzten Jahrzehnten auch die rumäniendeutsche Literatur sehr intensiv behandelt worden ist, umso mehr, nachdem der Banater Schriftstellerin Herta Müller der Nobelpreis für Literatur verliehen und der Begriff Rumäniendeutsch dadurch weltweit bekannt wurde. Was Erich Maria Remarque angeht, ist also eine Lücke entstanden, die ich zumindest teilweise zu füllen versucht habe, beziehungsweise immer noch versuche. Was ich aber im Laufe meiner wissenschaftlichen Vorhaben feststellen konnte, ist, dass hierzulande nicht das Interesse für Remarque fehlt, sondern eher eine Bereitschaft zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Viele unter meinen Kolleginnen und Kollegen haben gerne Remarque gelesen oder kennen zumindest jemanden, der großer Remarque-Fan ist, und viele sind auch mit der Biografie des Schriftstellers oder mit den Entstehungsgeschichten seiner Werke bestens vertraut. Aber genau wie im Falle von Sanda Munteanu haben sie ihre Gedanken leider nicht zu Papier gebracht. Was mich persönlich betrifft, beabsichtige ich, mich auch weiterhin auf die Suche nach wertvollen Quellen zwecks einer übergreifenden Analyse der Rezeption von Remarque in Rumänien zu begeben. 212

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»Noch ist Polen nicht verloren«1 Erich Maria Remarque im Polen des 21. Jahrhunderts

Erich Maria Remarque wurde in Polen bereits vor rund 90 Jahren bekannt. Mit dem damals noch debütierenden Autor des späteren Erfolgsromans Im Westen nichts Neues hat die polnischen Leser der Literat und Übersetzer Stefan Napierski vertraut gemacht, dem es gelungen war, mit dem Schriftsteller in dessen Berliner Wohnung eines der ersten Interviews überhaupt durchzuführen.2 Seit dieser Zeit hat sich der aus Osnabrück stammende Autor von zahlreichen Romanen in der polnischen Literaturkritik gut etabliert. Analysiert man die Tradition der literaturgeschichtlichen und -kritischen Rezeption von Remarques Schaffen in Polen, so stellt man fest, dass sie vor allem auf der Popularität seiner Werke beruht, von

1 Nach Jan Koprowski (1918–2004), dem polnischen Literaturkritiker, einer der beliebtesten Sprüche Remarques. Vgl. Jan Koprowski. »Jeszcze raz Remarque«. Nowe Książki, 1996, 6, 50. 2 Stefan Napierski besuchte Remarque im Mai 1929. Über dieses Treffen berichtete er in der Warschauer Literaturzeitschrift Wiadomości Literackie, Nr. 23, Juni 1929. Der Artikel »Rozmowa z Remarque’iem [Ein Gespräch mit Remarque]« wurde gleich nach der Veröffentlichung auch in der deutschen Presse besprochen. Vgl. Barmer Zeitung vom 19. Juni 1929. Napierskis Übersetzung von Im Westen nichts Neues erschien zuerst in Abschnitten, der gesamte Roman wurde am 17. September 1929, 7 Monate nach der deutschen Buchpremiere, herausgegeben. Vgl. dazu Roman Dziergwa. »Aus welcher Sprache? Zu den Übersetzungen von Remarques Romanen in der polnischen Literaturkritik«. Thomas F. Schneider, Roman Tschaikowski (Hgg.). In 60 Sprachen. Erich Maria Remarque: Übersetzungsgeschichte und -probleme. Osnabrück: Rasch, 2002, 33–46, insbesondere 36. Napierskis Interview eröffnet eine Reihe von Presserezensionen, die dem Roman Im Westen nichts Neues und dessen Autor gewidmet waren. Vgl. z.B. Cyrus Brooks. »Herr Remarque shuns literary honor«. The New York Times Magazine, 22.09.1929; »Not all quiet for Remarque«. Literary Digest (New York), 12.10.1929; »La nueva novela del autor de ›Sin novedad en el frente‹. Una conversación con Erich Maria Remarque«. ABC (Madrid), 18.11.1930.

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denen bis heute – in vielen Übersetzungsvarianten3 – 20 Titel erschienen sind. Remarques Romane erfreuten sich nämlich unter polnischen Lesern eines unablässigen Interesses, welches aber nicht immer mit politischen Tendenzen der Zeit übereinstimmte. Genauso wie in anderen Ländern wurde Remarques Roman Im Westen nichts Neues zu politischen Zwecken genutzt.4 Die polnischen Leser richteten sich allerdings gegen die Kritik am ›Remarquismus‹5 und fanden in den Werken des Schriftstellers die von ihm beabsichtigte Botschaft: die Idee des Pazifismus und des Menschlichen.6 70 Jahre nach dem Erscheinen von Remarques Bestsellerroman wurde unter den polnischen Lesern eine Umfrage durchgeführt, die den Kanon des 20. Jahrhunderts7 zu revidieren versuchte. Remarques Im Westen nichts Neues nahm damals den 38. Platz (von 40 Büchern) ein, was allerdings ein sehr gutes Ergebnis ist, wenn man bedenkt, dass die Kriegsproblematik den zeitgenössischen Leser immer weniger anspricht, geschweige denn ein Kriegsroman.8 Diese Umfrage

3 Fragmente dieses Romans wurden schon Anfang der 30er Jahre auch ins Jiddische übertragen und in der Warschauer Zeitschrift Literarisze Bleter veröffentlicht. Deren Übersetzer war der zukünftige Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer. 4 Remarques Rezeption in Polen in den Jahren 1929–1997 hat Roman Dziergwa gründlich untersucht, besonders im Hinblick auf deren politische Tendenzen. Vgl. Roman Dziergwa. »Wege und Abwege des polnischen ›Remarquismus‹. Zu politischen Aspekten der Remarque-Rezeption in Polen 1929–1997«. Thomas F. Schneider (Hg.). Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung. Osnabrück: Rasch, 1998, 411–430. 5 Unter dem Begriff »Remarquismus« versteht man die Nacheiferung von Erich Maria Remarques betont kritischer Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges in publikumswirksamer Romanform. Der »Remarquismus« stieß allerdings in Europa auf Kritik, deren Gründe am Beispiel von Russland ein Auszug aus der Frankfurter Zeitung sehr prägnant erläutert: »Die russische Zensurbehörde hat dem ›Remarquismus‹ in der Literatur den schärfsten Kampf angesagt. Die pazifistische Idee Remarques und des ›Remarquismus‹ untergrabe die Erziehung der sowjetischen Jugend, die zur Verteidigung der Sowjetrepublik gegen den kapitalistischen Einfall und die für die Idee der Weltrevolution bereit gehalten werden müsse«. Frankfurter Zeitung, 08.06.1931. Vgl. auch Dziergwa, »Wege und Abwege«, 411–430. Auf diesen Aspekt in der polnischen Literaturkritik des 21. Jhs. wird noch im 2. Teil des vorliegenden Beitrags eingegangen. 6 Erich Maria Remarque im Interview mit Friedrich Luft (für den Sender Freies Berlin am 3. Februar 1962 gesendet): »Man soll die Menschen haben und vielleicht ein menschliches Problem, aber kein Programm«. Vgl. www.youtube.com/watch?v=aOzROBGLkpE [Zugriff: 26.01.2019]. 7 Bücher aus dem von den Lesern gewählten Kanon sind schon im neuen Jahrhundert in der Serie »Kanon na koniec wieku [Kanon an der Jahrhundertwende]« erschienen. Man benutzte bei dieser Ausgabe von Na Zachodzie bez zmian (2001, Verlag: Porozumienie Wydawców) die Übersetzung von S. Napierski. 8 Vor Remarque haben sich deutschsprachige Werke von Günter Grass Die Blechtrommel (4.  Platz), Franz Kafka Der Prozess, Thomas Mann Der Zauberberg und Herrmann Hesse

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Remarque im Polen des 21. Jahrhunderts

nimmt schon teilweise Entwicklungslinien der polnischen Remarque-Rezeption im 21. Jahrhundert vorweg, die sich vor allem auf die Wahrnehmung der Werke unter den Lesern und weniger auf Forschungsarbeiten konzentriert. Versucht man diese Entwicklungstendenzen zu bestimmen, lassen sich drei Bereiche benennen, die die Präsenz von Remarques Werk in Polen innerhalb der letzten zwanzig Jahre widerspiegeln: 1. Übersetzungen von neuen, bisher unveröffentlichten Prosawerken und autobiographischen Schriften bzw. neue Übersetzungen von bisher veröffentlichten Romanen sowie Neuausgaben von alten Übersetzungen, 2. Pressekritik und Leserrezensionen, 3. Forschungsarbeiten. Es ist dabei hervorzuheben, dass die Intensität der Rezeptionsformen in die erste Dekade des 21. Jahrhunderts fällt, die zweite hingegen durch Stagnation gekennzeichnet ist. In beiden Dekaden bildet jeweils ein Jahr den Höhepunkt des Interesses und zwar 2014 und 2018, was auf die europäische Erinnerungskultur und die damit verbundenen Jahrestage des Ersten Weltkrieges zurückzuführen ist. Im vorliegenden Beitrag werden die drei genannten Entwicklungstendenzen charakterisiert, wobei nur auf ausgewählte, repräsentative Beispiele aus der Presse eingegangen wird, die übrigen werden in den Fußnoten vermerkt. Remarques Werke werden seit 1989 hauptsächlich im Verlag Rebis (Poznań) herausgegeben. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts (2001) sind hier zwei neu von Andrzej Zawilski ins Polnische übertragene Romane, Dom marzeń [Die Traumbude] und Gam, erschienen (2. Auflage 2004). Das Jahr 2002 bringt hauptsächlich Neuausgaben von Romanen mit sich, die den polnischen Lesern schon länger bekannt waren: Łuk Triumfalny [Arc de Triomphe] (Neuauflagen im Rebis-Verlag: 2001, 2002, 2004; Übersetzerin Wanda Melcer). Dieses Jahr zeichnete übrigens eine gute Konjunktur für diesen Roman aus, denn er wurde ebenfalls in zwei anderen Warschauer Verlagen (Libros und De Agostini) herausgebracht. Der Rebis-Verlag entschied sich im Jahr 2002, Czas życia i czas śmierci [Zeit zu leben und Zeit zu sterben] neu aufzulegen (Übersetzer Juliusz Stroynowski, 10. Auflage 2016) sowie der Leserschaft Iskra życia [Der Funke Leben] zum dritten Mal neu anzubieten (4. Auflage 2014; Übersetzer Ryszard Wojnakowski); auch Trzej towarszysze [Drei Kameraden] (erst zum zweiten Mal in Polen neu aufgelegt; Übersetzer Zbigniew Grabowski; 3. Auflage 2016) und Nim nadejdzie lato [Der Himmel kennt keine Günstlinge] (3. Auflage; Übersetzer Ryszard Wojnakowski; 5. Auflage 2019) konnten die Leser in neuer Fassung erneut erfreuen. Das Jahr 2002 ist jedoch für die polnische Remarque-Rezeption aus

Der Steppenwolf platziert. Vgl. »Kanon na koniec wieku«. Rzeczpospolita, 05.05.1999. https:// pl.wikipedia.org/wiki/Kanon_na_koniec_wieku [Zugriff: 26.01.2020].

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einem anderen Grund wichtig, denn das Erscheinen des Briefwechsels zwischen Marlene Dietrich und dem Schriftsteller regte sowohl die treuen Leser als auch die Literaturkritik zu einer Diskussion über dieses Werk an. Der Erfolg von »Powiedz, że mnie kochasz«. Listy Remarque’a do Marleny Dietrich [»Sag mir, dass du mich liebst«. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Zeugnisse einer Leidenschaft] ist unter anderem auf die Tatsache zurückzuführen, dass diesmal nicht der Verlag Rebis die Übersetzung anfertigen ließ, sondern ein mit prominenten Frauenzeitschriften verbundenes Presse- und Buchdruckhaus Twój Styl (Warszawa), das für eine entsprechende Werbung für dieses von Ewa Kowynia übersetzte Buch sorgte. Leider erfuhr dieser Briefband keine Neuauflage und geriet somit relativ schnell in Vergessenheit. Die Jahre 2003 und 2004 bringen sowohl Neuauflagen von Czarny obelisk [Der schwarze Obelisk] (Übersetzer Adam Kaska; weitere Auflagen: 2010, 2014, 2015, 2018) und Przystanek na horyzoncie [Station am Horizont] (Übersetzer Andrzej Zawilski) als auch neue Übersetzungen von zwei Romanen Cienie w raju [Schatten im Paradies] (Übersetzer Ryszard Wojnakowski; weitere Auflagen: 2010, 2012, 2014) und Noc w Lizbonie [Die Nacht von Lissabon] (Übersetzer Ryszard Wojnakowski; weitere Auflagen: 2010, 2012, 2015). Der sich nähernde 90. Jahrestag des Kriegsausbruchs wurde 2004 wiederum Anlass zur Neuauflage von Im Westen nichts Neues. Der Roman erschien diesmal in drei Verlagen (Rebis, Dolne [Wrocław], Mediasat [Kraków]) und wurde sogar gleich nachgedruckt (im Mediasat-Verlag viermal). Es ist hervorzuheben, dass seit 1929 der Roman nur in zwei Übersetzungsvarianten vorlag.9 Der Versuch, Stefan Napierskis Pionierleistung nachzueifern, wurde erst 1992 von Tadeusz Ostojski unternommen, wobei dessen translatorische Arbeit auf viel Kritik stieß.10 Die Neuauflagen von 2003 und 2004 machten auf die Notwendigkeit einer neuen Übersetzung aufmerksam. Diese Herausforderung nahm der erfahrene und preisgekrönte Krakauer Übersetzer Ryszard Wojnakowski11 an, der in den letzten

9 Wenn man die Zahl z.B. der spanischen Übertragungen von Im Westen nichts Neues betrachtet, wirkt dabei die polnische Übersetzungskunst eher spärlich. Napierskis Übersetzung stellte jedoch die Leser über viele Jahrzehnte zufrieden und gegen deren Niveau es nichts einzuwenden gab. Zu spanischen Übersetzungen von Im Westen nichts Neues vgl. Georg Pichler. »Bunte Bildchen vom Krieg. Die spanischen cromos von ›Im Westen nichts Neues‹«. Thomas F. Schneider (Hg.). Remarque und die Medien. Literatur, Musik, Film, Graphic Novel. Göttingen: V&R unipress, 2018, 33–44, hier 37f. 10 Napierskis und Ostojskis Übersetzungsvarianten vergleicht Roman Dziergwa und verweist dabei auf viele Ungeschicklichkeiten im Ausdruck der zweiten. Vgl. Dziergwa, »Aus welcher Sprache?«, 38–40. 11 Zu Ryszard Wojnakowskis Leistung als Übersetzer vgl. https://pl.wikipedia.org/wiki/Ryszard_Wojnakowski [Zugriff: 26.01.2020].

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zwei Jahrzehnten insgesamt sechs neue Übersetzungen von Remarques Prosawerken geliefert hat: An Im Westen nichts Neues (Rebis, 2008, weitere Auflagen: 2010, 2014, 2015, 2018) reihten sich in den kommenden Jahren noch Cienie w raju (Schatten im Paradies, 2004, weitere Auflagen: 2010, 2012, 2014), Łuk Triumfalny (Arc de Triomphe, 2009, weitere Auflagen: 2012, 2015, 2017, 2018), Noc w Lizbonie (Die Nacht von Lissabon, 2012, 2. Auflage 2015), Droga powrotna (Der Weg zurück, 2012) und Kochaj bliźniego swego (Liebe deinen Nächsten, 2015) an. Zusammen mit der von Ewa Ziegler-Brodnicka angefertigten Übersetzung von Das gelobte Land, die unter dem polnischen Titel Na ziemi obiecanej (Verlag Bellona, War­ szawa; 2011, 2. Auflage 2015) erschienen ist, bilden die neuen Übersetzungen von Remarques Werken zahlenmäßig eine bemerkenswerte Leistung, die allerdings einer gründlichen vergleichenden Analyse im Hinblick auf translatorische Aspekte, insbesondere linguistische und kulturelle, unterzogen werden sollte. Eine solche bleibt weiterhin ein Forschungsdesiderat. Die aufgelisteten Neuauflagen und Neuübersetzungen von Remarques Werken12 wurden in der polnischen, sowohl überregionalen als auch lokalen, Presse regelmäßig besprochen. Meistens wurden sie jedoch lediglich in Notizform oder als Buchempfehlung (Weihnachts- und Urlaubsgeschenk, Strandlektüre oder ein guter Lesehinweis einer Persönlichkeit) vermerkt.13 Die ausführlicheren Buchbesprechungen weisen eine sich wiederholende Struktur auf, die in erster Linie auf dem Vergleich mit früheren Werken dieses Autors beruht. Als Bezugspunkt gelten oft Im Westen nichts Neues oder Arc de Triomphe;14 die Kritiker sind dabei bemüht, den Inhalt und die Aussage des zu besprechenden Romans in möglichst wenige Worte zu fassen, was im Allgemeinen Wiederholungen von Floskeln und gängigen Urteilen evoziert. So wird Remarque als Klassiker der deutschen Literatur,15 Pazifist,16 Autor von Liebesromanen,17 Dichter des Humanen,18 Chronist der Nachkriegswirklichkeit,19 Meister des Humors20 und, oder vor allem, Verkünder

12 Eine komplette Auflistung von allen ins Polnische übersetzten, nachgedruckten und neu aufgelegten Romanen ist auf https://www.remarque.uni-osnabrueck.de/ (Ausgaben und Übersetzungen) zu finden. 13 Vgl. z.B. Tygodnik Powszechny, 17.09.2000; Gazeta Współczesna, 14.12.2000. 14 Vgl. z.B. Krzysztof Pasikowski. »Zmagania pacyfisty z epoką wojennych uniesień«. Dziennik Łódzki, 11./12.05.2002; Łukasz Gołębiewski. »Gra miłosna«. Rzeczpospolita, 06.12.2000. 15 Vgl. Newsweek, 30.01.2012, 91. 16 Agnieszka Kuehnl-Kinel. Wysokie Obcasy, 21./22.10.2000. 17 Vgl. Głos Szczeciński, 09.10.2000; Nowa Trybuna Opolska, 05./06.08.2000. 18 Vgl. Nowe Książki, 2000, 9. 19 Vgl. Polska Gazeta Krakowska, 24.09.2012, 19. 20 Vgl. Gazeta Wyborcza (Kraków), 11.07.2003; Dziennik Zachodni, 23.09.2011, 32.

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der unantastbaren Werte – der Freundschaft, Liebe und Freude am Leben21 – klassifiziert, der seine Leser nie enttäuscht.22 Auch autobiographische Bezüge spielen in vielen Notizen und Kommentaren eine wichtige Rolle.23 Obschon sich die Kritiker im Allgemeinen gewisser Darstellungsschemata bedienen, lassen sich unter den Pressestimmen auch solche finden, die den Fokus auf die Besprechung der Remarque’schen narrativen Strategien oder auf seine Kunst der Figurenkonstruktion legen. So wird in der Besprechung von Der Funke Leben (Iskra życia) die Erzählkunst des Autors hochgepriesen, der mit viel Menschenkenntnis die Charaktere und die Raumgestaltung kreiert;24 auch in der Kritik von Gam verweist man darüber hinaus auf eine gelungene Charakterführung und das narrative Konzept des Selbstbeobachtungsprozesses der Titelfigur25 oder man lobt die technische Fähigkeit des Erzählers,26 die sich zwar – in den Augen eines anderen Kritikers – mit der narrativen Breite von Thomas Mann nicht vergleichen lasse, hingegen übertreffe der Autor von Gam den Nobelpreisträger aber in seiner Menschenkenntnis und der künstlerischen Sensibilität.27 Einige Kritiker nutzen die Auseinandersetzung mit Remarques Romanen, um den Leser mit anderen Vertretern der deutschen Kultur vertraut zu machen. Grzegorz Pyszczek lenkt z.B. von der Charakteristik der Hauptfigur, Fritz Schramm, in Die Traumbude (Dom marzeń) ab, um dessen eigene Konzeption des Pantheismus mit den Theorien von Schelling, Schopenhauer oder östlichen Religionen zu vergleichen.28 In einen noch breiteren Kontext bettet die bekannte polnische Philosophin, Agata Bielik-Robson, ihre Interpretation des Romans Liebe deinen Nächsten (Kochaj bliźniego) ein, indem sie das Schicksal von Ruth und Ludwig, die auf ihrer Flucht auf vereinzelte Akte der Menschenliebe angewiesen sind, mit ausgewählten Nächstenliebe-Konzeptionen des Judaismus, Islams und Katholizismus vergleicht.29 Auch den anderen Besprechungen von Remarques Romanen ist eine komparatistische Darstellungsweise gemeinsam. So erblickt der Kritiker Andrzej Fabianowski in der Titelfigur von Gam einerseits viele Ähnlichkeiten mit einer femme fatale, andererseits mit Emma Bovary.30 Remarque wird auch oft mit anderen Autoren, besonders polnischen Schriftstellern, konfrontiert, z.B. in einem Artikel in Gazeta Krakowska, in dem der Verfasser von Gam mit dem Werk der polnischen

21 Vgl. Dziennik Polski, 03.10.2000. 22 Vgl. Newsweek, 30.01.2012, 91. 23 Vgl. Pasikowski, Zmagania pacyfisty. 24 Vgl. Dziennik Polski, 04.04.2000. 25 Vgl. Tomasz Lada. »Uciec jak najdalej stąd«. Życie, 16.03.2000, 3. 26 Vgl. Głos Pomorza, 29.04.2000. 27 Vgl. Andrzej Fabianowski. »Nieznana powieść Remarque’a«. Nowe Książki, 2000, 9. 28 Vgl. Grzegorz Pyszczek. »Marzenia młodego Remarque’a«. Nowe Książki, 2001, 1, 36–37. 29 Vgl. Agata Bielik-Robson. »Kochaj bliźniego!«. Wysokie Obcasy, 05.01.2013, 4. 30 Vgl. Fabianowski.

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Künstlerin Agnieszka Osiecka und dem Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer und seinem Roman Kunznmacher fun Lublin [Zauberer aus Lublin] im Hinblick auf die Suche nach Glück und Lebenssinn verglichen wird.31 Remarques Heldin findet das Glück in Liebe und Reisen, an den übrigen Figuren scheint es allerdings vorbeizukommen. Besprechungen komparatistischen Charakters kennzeichnen auch die Rezeption von Im Westen nichts Neues. Am Vorabend des 90. Jahrestages des Kriegsausbruchs reflektieren einige Kritiker über die Bedeutung des Remarque’schen Antikriegsromans. Ein deutlicher Unterschied ist in den Texten einer rechtsorientierten und einer liberalen Zeitung zu sehen. Die erste von ihnen setzt Im Westen nichts Neues Ernst Jüngers Roman In Stahlgewittern entgegen und hebt die Konzeption dessen Helden hervor, der aus dem Krieg als Sieger hervorgeht, im Gegensatz zu Paul Bäumer, der vom Krieg besiegt wird und ihn als »müder, entwurzelter und hoffnungsloser Greis« verlässt.32 Einen ähnlichen gegen den »Remarquismus« gerichteten Ton schlägt auch ein anderer Journalist dieser Zeitung an, der Remarque mit dem polnischen Schriftsteller Stanisław Rembek (1901– 1985) vergleicht und auf stilistische Ähnlichkeiten (Objektivismus) beider Autoren verweist; er bemerkt das Ausbleiben eines reportageartigen Stils und einer künstlichen Einfachheit bei dem polnischen Autor, welche hingegen in den Augen des Kritikers als ein Nachteil von Remarques Roman angesehen werden könne.33 Die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza widmete diesem Werk ebenfalls einen kurzen Artikel, in dem der Erfolgsroman als ein »geniales Buch« bezeichnet wird. Die von der Autorin Małgorzata Baranowska geschickt gewählte Zwischentitel (»Wir blieben alleine«, »Männerfreundschaft«, »Nicht mehr«) zeugen nicht nur von guten Kenntnissen des Inhalts, sondern vor allem von der Idee dieses Werkes und bekräftigen mit starker Stimme dessen pazifistischen Charakter.34 Das meiste Interesse der Literaturkritik erfuhr aber die Ausgabe von Remarques Briefen an Marlene Dietrich. Das Buch wurde zunächst in der Frauen-

31 Vgl. Gazeta Krakowska, 14.04.2000. 32 Vgl. Łukasz Moczydłowski. »Stalowa smuga cienia«. Nasz Dziennik, 01.02.2001. 33 Stanisław Rembek hat den polnisch-bolschewistischen Krieg im Jahre 1920 dargestellt. Vgl. Włodzimierz Fronczek. »Pisarz przemilczany«. Nasz Dziennik, 14./15.07.2001. Eine vergleichende Studie bietet auch ein anderer Artikel, in dem Remarque mit Gustaw Morcinek, dessen Werk thematisch mit Oberschlesien verbunden ist, verglichen wird. Vgl. Stanisław Krajski. »Notatki o kulturze. Morcinek und Remarque«. Nasz Dziennik, 2002, 128, 8. In einer anderen rechtsorientierten Zeitschrift Nowe Państwo wird Remarque wiederum Ernst Jünger und Stefan George entgegengesetzt, wobei der erste »gegen ein unnützliches Blutvergießen auftritt, der zweite von einem Führer träumt, der die verhasste Weimarer Republik zunichtemacht«. Vgl. Wiesław Chełmniak. »Wielka wojna białych ludzi«. Nowe Państwo, 2004, 9, 52–54. 34 Vgl. Małgorzata Baranowska. »Na świecie bez zmian«. Gazeta Wyborcza, 16.06.2004.

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zeitschrift Pani in Auszügen gedruckt, dann ist es im Jahr 2002 im Zeitschriften- und Buchdruckverlag Twój Styl erschienen, der an weibliche Leser adressiert ist. Gleich nach der Premiere dieses Briefbandes wurde in einem der Warschauer Musikclubs ein Leseabend veranstaltet, während dessen der berühmte polnische Schauspieler Krzysztof Kolberger ausgewählte Fragmente vorlas.35 Nach der Buchpremiere wurde »Powiedz, że mnie kochasz«. Listy Remarque’a do Marleny Dietrich [»Sag mir, dass du mich liebst«. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Zeugnisse einer Leidenschaft] zu einer oft besprochenen Veröffentlichung, der man insgesamt 16 dokumentierte Rezensionen bzw. Notizen gewidmet hat. Die Kritiker waren sich im Urteil dieses Werkes fast einig: Sie lobten die metaphorische Sprache des Schriftstellers, sein Vermögen, mit menschlichen Gefühlen spielen und deren Semantisierung beliebig betreiben zu können;36 sie fanden die Lektüre einfach faszinierend37 und empfehlenswert.38 Einige der Kritiker äußerten sich jedoch zurückhaltend über die Beziehung zwischen Remarque und Dietrich, welche nicht einem wahren Liebesgefühl, sondern Egoismus und Einsamkeit beider Partner entsprungen sei.39 Kritik erntete dabei Remarque selbst, über dessen mangelndes literarisches Talent sich Helena Zaworska in Nowe Książki einerseits extrem negativ äußerte, andererseits die Gabe des Schriftstellers, Menschen und Leben verstehen zu können, lobte.40 Von den kritischen Stimmen blieb auch Paulette Goddard nicht verschont, der Joanna Rawik, Sängerin und Journalistin, privat eine Liebhaberin von Remarques Prosa, insbesondere von Arc de Triomphe und dem Helden, Ravic, dessen Namen sie statt des eigenen annahm, die Übergabe des Remarque-Nachlasses an die Universitätsbibliothek in New York nicht verzeihen konnte.41 Liest man alle Besprechungen des Briefbandes, so bemerkt man, dass der Fokus des Interesses nicht mehr auf seinem Autor, seinem Leben und dem Erfolgsroman Im Westen nichts Neues liegt, sondern immer mehr der Erzählweise und der Auffassung von Liebe, besonders den Liebesmetaphern, gilt. Diese Tendenz mag

35 Die Veranstaltung fand am 10. Februar 2003 in Klub Dramatyczny Jazzgott statt und wurde von Wacław Sadkowski, dem polnischen Literaten und Chefredakteur der Zeitschrift Literatura na świecie, moderiert. 36 Vgl. Krystyna Lubelska. »Listy do Pumy«. Polityka, 15.02.2003, 53. 37 Vgl. »Pisząc do ukochanej«. Gazeta Wyborcza, 11.02.2003. 38 Vgl. z.B. Beata Kęczkowska. »Książki pod choinkę«. Gazeta Wyborcza, vom 21./22.12.2002; Gazeta Krakowska, 14.02.2003; Gazeta Pomorska, 18./19.01.2003. 39 Vgl. Natasza Czapska. »Do mojej Pumy«. Życie Warszawy, 14.02.2003. 40 Vgl. Helena Zaworska. Nowe Książki, 2003, 4. 41 Joanna Rawik. »Miłość Remarque’a«. Trybuna, 11.04.2003; Joanna Rawik. »Toast do księżyca«. Dziś, 2003, 5. Joanna Rawik hat im Jahre 2000 das Erich Maria Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück besichtigt und über diesen Besuch sehr begeistert berichtet. Vgl. Joanna Rawik. »Dramatyczne słowa«. Trybuna, 22.12.2000.

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von einem Wandel in der Remarque-Rezeption zeugen, die sich mehr nach Leser­ eindrücken und Gegenwartsbezug seiner Werke42 richtet. Nach 2000 findet man nämlich praktisch keine Besprechungen bzw. Kommentare von jenen Kritikern, die seit 1945 als Remarque-Kenner (z.B. Jan Koprowski, Egon Naganowski, Wilhelm Szewczyk) galten, was einen neuen leserorientierten Diskurs entstehen lässt. Der wachsende Einfluss von Social Media im 21. Jahrhundert auf Lesegewohnheiten und Bewertungsmaßstäbe führte auch zu einer neuen Herangehensweise an Remarques Werk. Eine gute Analysequelle mögen dabei alle Webseiten sein, die sich als ein Diskussionsforum für interessierte Leser präsentieren. Untersucht man ansatzweise eine der populärsten Webseiten dieser Art Lubimy czytać [Wir haben das Lesen gern], so stellt sich heraus, dass Remarque dort mit 22 Titeln präsent ist, von welchen die meiste Leser- und Kommentierungszahl Im Westen nichts Neues (11.347), Arc de Triomphe (6.298) und Zeit zu leben und Zeit zu sterben (2.725) erreichen;43 am geringsten fällt hingegen »Sag mir, dass du mich liebst«. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Zeugnisse einer Leidenschaft (48) aus. Will man die Rezensionstechnik der Web-Kritiker charakterisieren, muss man zunächst deren allgemein äußerst positive Einstellung zum Autor und eine vom literarischen Kanon (auch von früheren Wahrnehmungsarten und Kritikurteilen) freie Kommentierungsweise feststellen, die hauptsächlich auf persönliche Eindrücke abzielt. Hätte man erwarten können, Remarque erscheine den heutigen Lesern (untersucht wurden hauptsächlich Eintragungen aus den Jahren 2018–2019) als ein altmodischer, zum Didaktischen neigender Schriftsteller,44 so wird man überrascht. Die zeitgenössischen Leser, reich an Erfahrungen mit verschiedenen Medienformaten, stellen viele eigene Assoziationen mit Kulturtexten des 21. Jahrhunderts her, und aus diesem Vergleich, z.B. mit Kriegsfilmen aller Art, geht Remarque siegreich hervor. Seine Attribute sind vor allem »total realistische Bilder und Authentisches« (Eintragung vom 23.01.2020),45 aber auch eine einfache und zugleich schöne Sprache, die von jeglichen Vulgarismen frei ist und durch durchdachte,

42 Dieser Gegenwartsbezug zeigt sich z.B. auch am enormen Interesse am alkoholischen Getränk Calvados, welches in Arc de Triomphe leidenschaftlich konsumiert wird. Vgl. Sławomir Chrzanowicz. »Co pił Remarque?«. Dziennik Łódzki, 05./06.06.2004; Katarzyna Popiołkowska. »Jerzy Pilch ›Pod Mocny Aniołem‹«. Życie, 11.10.2001; Maria Szyszkowska. »Doznania zmysłowe«. Medycyna dla Ciebie, 2000, 10. 43 Die Eintragungen umfassen die zweite Hälfte der zweiten Dekade des 21. Jhs. Die Zahl der Leser ist mit der Zahl der Kommentierungen nicht identisch. Vgl. lubimyczytac.pl/Remarque [Zugriff: 28.01.2019]. 44 Solche vereinzelten kritischen Bemerkungen ließen sich nämlich in den früheren Kritiken finden. Vgl. z.B. Ł.G. »Miłość to fatamorgana«. Rzeczpospolita, 02./03.05.2000. 45 Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird im vorliegenden Beitrag nur das Datum der jeweiligen Eintragungen angegeben.

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präzise Sätze entzückt (Eintragung vom 16.10.2019). Die Lobsprüche lassen sich endlos fortsetzen: »ohne Pathos, voll von Leid, Blut und Schmerz«, »eine umwerfend dargestellte Sinnlosigkeit des Krieges«, »ein absolutes Meisterwerk der Kriegsliteratur«, »der Roman sollte zur Pflichtlektüre werden, besonders für Politiker« (Eintragungen vom 20.01.2020, 22.12.2019, 16.10.2019). Möge man hingegen denken, dass die Geschichte des Liebespaares in Arc de Triomphe der heutigen Leserschaft mehr entgegenkommt als ein Kriegsroman, so wird man enttäuscht. Vielen Lesern erscheint er zwar als ein Roman mit »wahrem Charakter«, der einen interessanten Überblick über die Geschehnisse im Vorkriegseuropa gibt (Eintragungen vom 13.01.2020, 12.08.2019) und in dessen Sprache man unbemerkt eintaucht (vom 24.10.2019), andere aber kommen von dieser »langweiligen« Lektüre eher enttäuscht weg. Es stört sie z.B. »zu viel Calvados, zu viel Herumtreiben durch Paris«, eine »prätentiös poetische Sprache« sowie schroffe und irritierende Helden (Ravic und Joan) (Eintragungen vom 10.12.2019, 29.11.2019, 21.02.2019). Eine »banale Geschichte, die nicht banal« erzählt wird, scheint doch viele Kommentierende letztendlich, ungeachtet des »Sentimentalismus und übertriebenen Pathos«, anzusprechen (Eintragungen vom 04.01.2019, 13.11.2019). Die freiwillig gemachten Eintragungen anonymer Leser scheinen, trotz oberflächlicher Analyse, die sich hier aus Platzgründen auf wenige Stichproben beschränken musste, ein guter Seismograf für die authentische Popularität und Urteilsfähigkeit der polnischen Leser zu sein. In den zwei letzten Dekaden hat sich die literaturwissenschaftliche Forschung mit Remarque und seinem Werk nur mäßig beschäftigt. Der polnische RemarqueKenner Roman Dziergwa (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza Poznań) hat die Übersetzungstechniken von Stefan Napierski und Tadeusz Ostojski, dem zweiten Übersetzer von Im Westen nichts Neues, ausgiebig untersucht. Dank dieser vergleichenden Analyse sind zum ersten Mal translatorische Probleme beim Übersetzen dieses Romans ans Licht gekommen und damit auch Napierskis Verdienste in diesem Bereich gewürdigt worden.46 Roman Dziergwa hat auch den polnischen Literaturforschern Wilhelm von Sternburgs Biografie näher gebracht. Auch in diesem Fall beschränkt er sich nicht nur auf eine Inhaltswiedergabe, sondern geht auf mehrere für einen Germanisten/eine Germanistin interessante Aspekte ein, z.B. auf andere biografische Bearbeitungen, auf die Darstellung vom literarischen Umfeld Remarques, seine Beziehungen zu Thomas Mann, Ernest Hemingway, William Faulkner u.a. sowie auf die vom Biografen genutzten Quellen.47

46 Vgl. Dziergwa, »Aus welcher Sprache?«. 47 Vgl. Roman Dziergwa. »›Als wäre alles das letzte Mal‹. Erich Maria Remarque. Eine Biographie Wilhelma von Sternburg«. Przegląd Zachodni, 2002, 4, 178–181.

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Abgesehen von diesen zwei Beiträgen,48 die Remarque literaturhistorisch und rezeptionsästhetisch einordnen, umkreisen die weiteren Forschungsarbeiten einen einzelnen Themenkomplex: die Darstellung des Ersten Weltkrieges in Im Westen nichts Neues. Diesem Thema sind die Studien von Paweł Meus (Uniwersytet Śląski, Katowice) gewidmet, der in Anlehnung an Michel Foucaults und Henri Lefebvres Theorien die Front in Remarques Beststeller als Raum deutet. Dieses methodologisch neue Konzept gewährt einen Einblick in die Erzählstrategie des Autors und ermöglicht es, die Front nicht nur als Kulisse des Geschehens wahrzunehmen, sondern als Handlungsträger, der die Ereignisse prägt und die Figurenkonzeption begründet. Diese Methode lässt sich auch beim Vergleich von Fronten des Ersten und Zweiten Weltkrieges effektiv einsetzen und den Wandel der Kriegsmittel anhand zweier Romane von Remarque und Heinrich Böll verdeutlichen.49 Weitere Arbeiten, die in der zweiten Dekade entstanden sind, korrespondieren mit Schwerpunkten der germanistischen Forscher und sind nicht Ergebnis ihres Interesses für Remarque als solchen. Dennoch sind sie erwähnenswert, weil sie durch ihren komparatistischen Ansatz neues Licht auf Remarques Leseart in Polen werfen. Eine interessante Analyse legte z.B. Anna Pruszyńska (Uniwersytet Jana Kochanowskiego w Kielcach, Filia Piotrków Trybunalski) vor, die nach Analogien zwischen Frauenfiguren in Arc de Triomphe und dem polnischen Roman Brudne czyny [Schmutzige Taten] (1964) von Marek Hłasko suchte. Beide Frauen, Joan und Katarzyna, sind mit neuen Lebensumständen und Herausforderungen konfrontiert und müssen einen Weg für sich selbst finden. Eine solche Interpretationslinie lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf die männlichen Gestalten und deren Charakterführung, sondern lässt die weiblichen Figuren agieren und den Handlungsraum aus ihrer Perspektive wahrnehmen.50

48 Roman Dziergwa hat zu dieser Zeit auch einen Beitrag in einer Lehrerzeitschrift veröffentlicht, in dem er Remarque, sein Werk und Verfilmungen von ausgewählten Romanen für didaktische Zwecke anbietet. Vgl. Roman Dziergwa. »Nauczyciel i żołnierz jako moralista«. Polonistyka, 2003, 6, 340–347. 49 Vgl. Paweł Meus. »›Im unheimlichen Strudel‹. Front als Raum im Roman ›Im Westen nichts Neues‹ von Erich Maria Remarque«. Thomas F. Schneider (Hg.). Remarque und die Medien. Literatur, Musik, Film, Graphic Novel. Göttingen: V&R unipress, 2018, 23–32; Paweł Meus. »Raum des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Räumliches Produkt oder Produktionsmittel? Einige Überlegungen zum Kriegsraum bei Erich Maria Remarque und Heinrich Böll«. Renata Dampc-Jarosz, Paweł Zimniak (Hgg.). Politischen Konjunkturen zum Trotz: Heinrich Bölls Wirklichkeitsrepräsentationen: Studien zum 100. Geburtstag des Schriftstellers. Göttingen: V&R unipress, 2018, 159–170. 50 Vgl. Anna Pruszyńska. »Frauengestalten in den Romanen ›Arc de Triomphe‹ von Erich Maria Remarque und ›Brudne czyny‹ von Marek Hłasko«. Zeszyty Filologii Germańskiej. Piotrków Trybunalski 2001, 2, 179–195.

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Eine andere vergleichende Analyse schlug Karsten Dahlmanns (Uniwersytet Śląski, Katowice) vor, der sich in seinem Beitrag mit dem Bild der Briten in den Kriegs- und Antikriegsromanen von Ernst Jünger, Erich Maria Remarque, Edlef Köppen und Edwin Erich Dwinger beschäftigte. Dem letztgenannten Schriftsteller schrieb der Autor Anglophobie zu, wobei andere das Bild »eines degenerierten Briten« entweder zurückweisen oder an dem Konzept gar kein Interesse zeigen.51 In die zweite Dekade fällt noch eine weitere Monographie, in der sich Michał Skop (Uniwersytet Śląski, Katowice) mit der Rezeption Remarques in den publizistischen Schriften von Wilhelm Szewczyk auseinandersetzt. Im Kontext der Rezeptionsforschung im 21. Jahrhundert scheint dieses auch den anderen deutschen Schriftstellern gewidmete Kapitel des Buches von Belang zu sein, denn es dokumentiert einen Wandel des Aufnahmeprozesses fremdsprachiger Literatur in Polen. Liest man Skops Besprechung von Szewczyks Kommentierungen und analytischen Passagen, so sticht ins Auge, wie komplex diese inhaltlich, trotz ihrer Knappheit und Konkretheit, sind, und wie treffend sie die Aspekte des Werkes Remarques (z.B. die Beobachtungsgabe, Schwächen einzelner Werke, autobiographische Kontexte) wiedergegeben haben. Eine solche Auffassung des Problems resultiert aus der Belesenheit Szewczyks, aus dessen guter Erforschung des Autors und der deutschsprachigen Kultur schlechthin.52 Die tiefgründige Kenntnis des Autors und seines Werkes, welche auch Jan Koprowski und Egon Naganowski eigen waren, scheint ein nicht mehr existierendes Merkmal des Rezensionsdiskurses zu sein. Das in diesem Beitrag gesammelte Forschungsmaterial ist nicht durch Homogenität gekennzeichnet, die die früheren Jahrzehnte charakterisierte, in denen Literaturzeitschriften regelmäßig erschienen sind und in denen Schriftstellern viel Platz gewidmet wurde. Die Rezeptionsformen scheinen einem freien Prinzip zu folgen und haben einen durchaus gelegentlichen Charakter. Die Presserezensionen beschränken sich zumeist auf eine flüchtige Inhaltswiedergabe und reproduzieren ausgewählte Urteile früherer Diskurse. Auch die Ergebnisse der germanistischen Forschung tragen nur im beschränkten Maße zum besseren Verständnis des Autors bei. Die Anwendung von modernen kulturwissenschaftlich orientierten Theo­rien eröffnet aber für germanistische Studien immerhin viele neue, in­ spirierende Möglichkeiten. Das rege Interesse der Leserschaft, das sich auf vielen Webseiten zeigt, bildet allerdings eine neue, auch im Hinblick auf Lesarten, eine Trost spendende Erscheinung, die den Lieblingsspruch Remarques, »Noch ist Polen nicht verloren«, berechtigterweise anführen lässt.

51 Vgl. Karsten Dahlmanns. »Zum Bilde Großbritaniens und der Briten bei Edwin Erich Dwinger, Ernst Jünger, Edlef Köppen und Erich Maria Remarque«. Studia Niemcoznawcze 60 (2017), 371–384. 52 Vgl. Michał Skop. Literatura niemiecka w publicystyce Wilhelma Szewczyka. Katowice: Śląsk, 2016, 124–131 und 240–242.

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Die Rezeption von Erich Maria Remarque in Italien 2000–2019

Rezeptionsübersicht Dass Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues in den beiden ersten Dekaden des neuen Jahrhunderts insgesamt 10 Ausgaben verzeichnen kann und eine Gesamtausgabe seiner Werke seit 2013 im Gange ist, wirft ein Licht auf Remarques Bekanntheitsgrad in Italien. Die Remarque-Rezeption steht vor allem im letzten Jahrfünft fast völlig im Zeichen des einhundertjährigen Gedenkens an den Ersten Weltkrieg, dauert doch der »Große Krieg«, wie er in Italien oft betitelt wird, für die Italiener von 1915 bis 1918. So sind 2015 und 2016 allein 4 Ausgaben von Im Westen nichts Neues erschienen. Von den insgesamt 13 ins Italienische übersetzten Büchern Remarques sind seit 2013 10 Bücher mit zumeist neuer oder revidierter Übersetzung neu oder wieder aufgelegt worden, was von einem breiteren Interesse zeugt; aber bei der Rezeption steht Im Westen nichts Neues absolut im Vordergrund. Von Thea­terstücken, die eine Reihe verschiedener antimilitaristischer Texte zusammenbringen, über Musik und Kunst bis zu Buchneuauflagen und Buchreihen, die als Zeitungsbeilage zum »Großen Krieg« erscheinen, ist Remarques Kriegsroman auf allen Kulturebenen präsent. Auch stammt der größte Teil der Quellen, die wir zu dieser Untersuchung gefunden haben, aus dem zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts. Neben Zeitungen entgegengesetzter politischer Couleur, dem Corriere della Sera und Il Giornale, die zu diesem Anlass Remarques Kriegsroman als Beilage vertrieben haben,1 finden sich auch in Literaturforen und -blogs Buchreihen zum Gedenkthema,2 in denen Remarques Kriegsroman sich

1 Der Corriere della Sera im Rahmen der Reihe »Narrativa della Grande Guerra [Erzählungen des Großen Krieges]«. Vgl. die Vorstellung der Reihe in der Ausgabe vom 23.05.2016. 2 Vgl. ebd., oder auch z.B. http://www.lastambergadeilettori.com/2015/05/speciale-grandeguerra-la-via-del.html.

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immer an prominenter Stelle befindet. Besprochen wird der Bestseller aber auch im Radio, bzw. Fernsehen in den dem »Großen Krieg« gewidmeten Sendungen, sei es der RSI (Schweizerisches Radio in italienischer Sprache), sei es der RAI (Italienisches [ehemalig Staats-]Radio und Fernsehen). Dass auch zahlreiche Internetseiten für die Schule Materialien zu Remarques Bestseller bieten, kann ebenfalls den Bekanntheitsgrad Remarques im neuen Jahrhundert erhellen. Und schließlich mag dafür auch noch sowohl die Verwendung von Remarque und seines Bestsellers in Kreuzworträtseln3 als auch die sprichwortartige Nutzung des Titels zeugen, wobei dieser freilich ohne inhaltlichen Bezug auf Roman oder Autor auf den Sinn von ›nichts Neues‹ reduziert wird. Solche Nutzung als Aufhänger für die Aufmerksamkeit wird im Übrigen durch die Übersetzung favorisiert, die wörtlich zurückübersetzt »Nichts Neues an der Westfront« lautet, somit ›das Neue‹ an den Anfang stellt. Wie etwa eine Buchwissenschaftlerin ihren Aufsatz »Niente di nuovo sul fronte occidentale del libro«, also »Nichts Neues an der Westfront des Buches«4 betitelt, so dient der Titel auch als Aufhänger im akademischen ›Krieg‹ zu Berufungsfragen.5 Zu Dutzenden finden sich solche Paraphrasen aber auch in Zeitungsleserkommentaren, wo es dann beispielsweise um die Kritik an Parteien, der Bürokratie, bestimmten Politikern u. Ä. geht. In diesen Fällen dient die Paraphrasierung des Titels, bei dem auch ohne inhaltlichen Bezug oft der Name Remarque fällt, lediglich dazu, eine breite literarische Kenntnis vorzutäuschen, um die Autorität der vorgetragenen Meinung rhetorisch zu stützen. Textausgaben Grundlage einer jeden Rezeption bilden die Ausgaben der Werke. Der Großverlag Mondadori (Milano), der Remarque seit 1931 verlegt hat, hat zwischen 2000 und 2015 allein 6 Auflagen von Im Westen nichts Neues wie auch teils mehrere Auflagen von anderen Romanen Remarques auf den Markt gebracht,6 die aber heute meist nur noch antiquarisch erworben werden können. Seit 2013 hat hingegen

3 Vgl. https://www.dizy.com/it/cruciverba/5446613591130112. 4 Roberta Cesana. »Niente di nuovo al fronte occidentale del libro?«. Doctor virtualis, 2012, 11. https://riviste.unimi.it/index.php/DoctorVirtualis/article/view/2201 (13.01.2020). 5 https://www.leggioggi.it/2011/12/16/concorsi-ricerca-niente-di-nuovo-sul-fronteoccidentale/. 6 Bei Mondadori wurde seit 2000 aufgelegt: Niente di nuovo sul fronte occidentale: 2004, 2006, 2007, 2008, 2011, 20015; Tempo di vivere, tempo di morire: 2001, 2002, 2009; Ama il tuo prossimo (Liebe deinen Nächsten) 2001. Vgl. Opac der italienischen Nationalbibliothek: https://opac. sbn.it/opacsbn/opaclib?db=solr_iccu&select_db=solr_iccu&nentries=10&from=1&search Form=opac/iccu/avanzata.jsp&resultForward=opac/iccu/brief.jsp&do_cmd=search_show_ cmd&rpnlabel=+Autore+%3D+Remarque+%28parole+in+AND%29++AND+Titolo+%3D

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der Verlag Neri Pozza (Vicenza) eine Gesamtausgabe der Werke Remarques begonnen, die angesichts der schon sehr angejahrten Übersetzungen zum größten Teil auf revidierten oder neuen Übersetzungen basiert. Dazu kommen als Veröffentlichungen von Im Westen nichts Neues zwei Zeitungsbeilagen (Corriere della Sera und Il Giornale),7 eine E-Book-Ausgabe8 sowie eine Audiobook-Ausgabe von 2010,9 die alle der Edition bei Neri Pozza folgen. Insgesamt finden sich beim Verlag Neri Pozza die sieben folgenden Romane neu übersetzt oder revidiert: Tre camerati (Drei Kameraden) 2013;10 La via del ritorno (Der Weg zurück) 2014;11 L’obelisco nero (Der schwarze Obelisk) 2015;12 La notte di Lisbona (Die Nacht von Lissabon) 2015;13 Niente di nuovo sul fronte occidentale (Im Westen nichts Neues) 2016;14 Tempo di vivere, tempo di morire (Zeit zu leben und Zeit zu sterben) 2017;15 La terra promessa (Das gelobte Land) 2019. Dazu kommt Dimmi che mi ami. Testimonianze di una passione. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich (»Sag mir, dass Du mich liebst«. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Zeugnisse einer Leidenschaft) 2002,16 das dann 2014 auch als Beilage zum Corriere della Sera erschienen ist.17 Als Zeitungs- bzw Zeitschriftenbeilagen sind außerdem noch fol-

+Niente+di+nuovo+sul+fronte+occidentale+%28parole+in+AND%29+&rpnquery=%40attrset+bib-1+%40and++%40attr+1%3D1003+%40attr+4%3D6+%22Remarque%22++%40attr +1%3D4+%40attr+4%3D6+%22Niente+nuovo+sul+fronte+occidentale%22&totalResult=80. 7 Erich Maria Remarque. Niente di nuovo sul fronte occidentale. Corriere della Sera 2016 und Il Giornale 2016. 8 Das E-book wird von allen großen Buchvertreibern im Internet angeboten: Amazon, IBS, Feltrinelli usw. Es ist auch gratis über verschiedene Internetsites erhältlich. 9 Erich Maria Remarque. Niente di nuovo sul fronte occidentale. Compact Disc, Stimme: Milena Martorana Filetta Comba, zugrundeliegender Text: Buchausgabe Mondadori 2009. Feltrer: Centro del libro parlato, 2010. 10 Erich Maria Remarque. Tre camerati. Übers. Chiara Ujka. Vicenza: Neri Pozza, 2013. 11 Erich Maria Remarque. La via del ritorno. Übers. Chiara Ujka. Vicenza: Neri Pozza, 2014. 12 Erich Maria Remarque. L’obelisco nero. Übers. Quirino Maffi u. Enrichetta Lupis. Vicenza: Neri Pozza, 2015. 13 Erich Maria Remarque. La notte di Lisbona. Übers. Ervino Pocar, Rev. Chiara Ujka. Vicenza: Neri Pozza, 2015. 14 Erich Maria Remarque. Niente di nuovo sul fronte occidentale. Übers. Stefano Jacini, Rev. Wolfgango della Croce. Vicenza: Neri Pozza, 2016. 15 Erich Maria Remarque. Tempo di vivere, tempo di morire. Übersetzung Ervino Pocar. Vicenza: Neri Pozza, 2013. 16 Erich Maria Remarque. Dimmi che mi ami. Testimonianze di una passione. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Übers. Carlo Mainoldi. Hg. v. Werner Fuld u. Thomas F. Schneider. Milano: Archinto, 2002. 17 Erich Maria Remarque. »Dimmi che mi ami«. Testimonianze di una passione. Erich Maria Remarque – Marlene Dietrich. Übers. Carlo Mainoldi. Hg. v. Werner Fuld u. Thomas F. Schneider. Milano: Corriere della Sera, 2014.

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gende Bücher zu nennen: La via del ritorno (Der Weg zurück, Corriere della Sera 2016) und Tre camerati (Drei Kameraden, Zeitschrift Famiglia Cristiana 2014).18 Kurios ist schließlich noch die italienische Übersetzung von Drei Kameraden durch Ana Kordzaia-Samadashvili, die 2013 in Georgien verlegt wurde.19 Literaturwissenschaftliche Rezeption Literaturgeschichten Für die Rezeption grundlegend sind als erste Orientierungen zunächst einmal – außer dem Internet – die Literaturgeschichten. Im ersten Jahrfünft dieses Jahrhunderts sind vier Literaturgeschichten erschienen, von denen allerdings drei Neuauflagen sind. Dazu kommt seit Dezember 2019 die ganz neue Letteratura Tedesca von C. M. Buglioni, M. Castellari, A. Goggio und M. Paleari.20 Letztere zählt Remarque freilich nur unter den der Neuen Sachlichkeit zugerechneten Schriftstellern auf (24) und erwähnt dann Im Westen Nichts Neues als antimilitaristischen Bestseller, der eine vom Massenpublikum gestützte literarische Mode eröffnet habe (28). Erwähnung findet dann noch die Verbrennung des Bestsellers durch die Nazis (75f.) und Remarques Name auf der geographischen Karte unter den Exilschriftstellern in den Vereinigten Staaten (109). Demgegenüber wird Remarque in den älteren, nach der Jahrtausendwende neu aufgelegten Literaturgeschichten mehr Raum gewidmet. Die verbreitete, 1964–77 erschienene und zuletzt 2002 wiederaufgelegte große Literaturgeschichte von Ladislao Mittner, die freilich mit dem Jahr 1970 endet, widmet nach einem Panorama der militaristischen und antimilitaristischen Romane Ende der zwanziger Jahre Remarque und Ludwig Renn einen eigenen, gleichlang unterteilten Paragraphen.21 Die Wirkung von Im Westen nichts Neues, dem fast der gesamte Remarque-Teil gilt, wird nicht so sehr dem »extrem vorbehaltlosen Realismus« zugeschrieben, als vielmehr der Identifikation erlaubenden Subjektivität. Kurze inhaltliche Zusammenfassungen oder Zitate führen zu generellen Klassifizierungen, wo beispielsweise die Duval-Episode dem Genre des Bildungsromans zu-

18 Erich Maria Remarque. Tre camerati. Übers. Chiara Ujka. Turin: San Paolo, Famiglia Christiana, 2014. 19 Erich Maria Remarque. Tre camerati. Übers. Ana Kordzaia-Samadashvili. Tbilissi: Arete, 2013. 20 C. M. Buglioni, M. Castellari, A. Goggio, M. Paleari. Storia della Letteratura Tedesca. Dal primo dopoguerra il nuovo millennio [Bd. II]. Milano: Mondadori Education, 2019. 21 Ladislao Mittner.  Storia della letteratura tedesca. III**. Dal Realismo alla sperimentazione (1820–1970). Dal fine secolo alla sperimentazione (1890–1970). Tuomo secondo. Torino: Einaudi, 2002, § 431, 1313–1315.

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geschrieben wird, und freilich wenig positiven Wertungen. Beeinflusst von Barbusses Le feu, ohne ebenso klare Ideen zu haben, sehe es der Roman vor allem auf Mitleid ab. Der Zynismus verhülle kaum die zugrundeliegende Untergangsmelancholie, während sich über die brutalen Schockbilder oft eine wässrige oder gar falsche Sentimentalität lege, was auch für die extreme Trostlosigkeit mancher Äußerungen gelte. Kurz werden noch Der Weg zurück mit seiner Darstellung der Schwierigkeiten der Wiedereingliederung der Soldaten als zugleich Vorankündigung der sozialen Auseinandersetzungen der 20er Jahre erwähnt und Arc de Triomphe als Roman der Exilanten. Die 2000 wiederaufgelegte und immer noch verbreitete Ausgabe der Breve storia della letteratura tedesca von Viktor Žmegač, Zdenko Škreb und Ljerka Sekulić, die mit den 80er Jahren endet, stellt die Übersetzung der 1993 im Cornelsen Verlag erschienenen Kleinen Geschichte der deutschen Literatur derselben Autoren dar. Auf etwas weniger als einer Seite22 wird der große Erfolg des Romans, der das Alltagsleben in den Schützengräben aus der Perspektive des kleinen Mannes erzähle, als u. a. auf die Unmittelbarkeit in der Darstellung der Grausamkeiten und Leiden, welche allen falschen Heroismus zerstöre, zurückgeführt und auf die Sinngebung der Sinnlosigkeitserfahrung der Soldaten durch die pazifistische Botschaft. So werde aber zugleich ein auf ohnmächtigem Pazifismus gegründeter naiver Idealismus artikuliert, der nicht zu den gesellschaftlichen Ursachen des Krieges gelange. Auch in der Erzählung von den Wiedereingliederungsschwierigkeiten der Kriegsheimkehrer in Der Weg zurück gelinge es nicht, den Alltagshorizont zu einem umfassenderen Blick zu erweitern. Keines der zahlreichen späteren Werke erreiche die Qualität der vorangegangenen und einige näherten sich gar der Trivialliteratur an. Remarque wird dann aber unter den anderen großen Schriftstellern im Exil aufgeführt (396 u. 398). Die 2005 erschienene erweiterte Neuauflage der zuerst 1986 publizierten Literaturgeschichte von Anton Reininger weist freilich – wie auch die beiden letzt­ erwähnten Literaturgeschichten – bezüglich Remarque keine Veränderung auf.23 Unter den literarischen Werken, denen erst 10 Jahre nach Kriegsende die Auseinandersetzung mit den Schrecken des Krieges gelungen wäre, wird an erster Stelle Im Westen nichts Neues als Sprachrohr einer aufgeopferten Generation genannt. Die Darstellungen der grausamen Absurdität und Unmenschlichkeit des Krieges wirke jedoch vor allem auf emotionaler Ebene, die es den Lesern erlaube, sich mit den Protagonisten zu identifizieren. Der Roman ziele auf eine kathartische Wirkung, die nicht Erkenntnis vermittle, sondern Emotionen errege.

22 V. Žmegač, Z. Škreb, und L. Sekulić. Breve storia della letteratura tedesca. Torino: Einaudi, 2000, 377. 23 Anton Reininger. Storia della letteratura tedesca. Dal settecento ai nostri giorni. Torino: Rosenberg & Sellier, 2005, 448f.

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Unter den Literaturgeschichten widmen Michael Dallapiazza und Claudio Santi in der ihren von 2001 Remarque noch den meisten Platz. Im Kapitel »Kriegsszenen«24 werden Remarque und Jünger als Vertreter entgegengesetzter Tendenzen der Kriegsromane, deren Ideologien sich auch im Stil spiegelten (79), einander entgegengestellt. Das trotz der politischen Anklage seitens der Expressionisten vorherrschende Verdrängungsverhalten der Bevölkerung gegenüber dem Krieg habe dann, gestützt u.a. durch die Friedensbedingungen, einer Ressentiment- und Revanchehaltung vorgearbeitet, die Anfang der 1920er Jahre eine nationalistische kriegsbejahende Literatur begünstigt habe, während eine kriegskritische Literatur, die in den literarischen Formen der Neuen Sachlichkeit die Unmenschlichkeit des Krieges denunziere, sich erst gegen Ende des Jahrzehnts mit der Konsolidierung der Republik entwickle, um dann aber kurz danach in der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten zu unterliegen. In der mehr als halbseitigen Inhaltsangabe von Im Westen nichts Neues wird der trockene Reportageton hervorgehoben, der gelegentlich mit Akzenten melancholischen Pathos’ und Verzweiflung durchsetzt sei. Für politische Diskussionen gebe es an der Front keinen Platz, Kritik bleibe gegebenenfalls abstrakt allgemein und gehe über moralische Indignation nicht hinaus. Wären diese jungen Männer 1916 nach Hause zurückgekehrt, hätte es einen Sturm gegeben, aber so seien sie innerlich völlig aufgelöst, hoffnungslos und unfähig, ein Gleichgewicht wie zuvor wiederzufinden. Das klassische Bildungsmodell werde hier umgekehrt, indem Paul zwar Lehrjahre durchmache, hernach aber eben alle herrschenden Ideale zurückweise. Der pazifistische Roman feiere nicht das Heroentum, das dem Tod Sinn verleihe und die Niederlage in einen Sieg wandle; vielmehr erwachse beim Helden aus dem Zusammenbruch Rebellion und Verweigerung der Kriegsideologie. Die Literaturgeschichte spricht alsdann kurz von den Folgen, dass nämlich Konservative und Nazis gegen die Verfilmung Tumulte organisieren und dann Film und Bücher wie dieses verbieten und verbrennen. So heben die Literaturgeschichten zwar sämtlich den ungeheuren Verkaufserfolg, Antimilitarismus und Pazifismus von Remarques Kriegsroman hervor und geben ihm angemessenen Raum, aber die älteren (Mittner, Žmegač/Škreb/ Sekulić, Reininger) sind noch deutlich durch ein rationalistisches Vorurteil geprägt, das die Sphäre der Affekte und Emotionen in der Tendenz als trivialliterarischen Sentimentalismus ohne Erkenntnisgewinn (»hilfloser Pazifismus«) betrachtet und nicht über Kategorien verfügt, deren Spezifik und Leistung sowie die stilistischen Neuerungen u.a. im Rahmen der Neuen Sachlichkeit einzuschätzen. Demgegenüber verorten Dallapiazza/Santi in ihrer Literaturgeschichte das Fehlen einer politischen Diskussion zum Krieg im Bedingungsfeld der Handlungsebene

24 Michael Dallapiazza, Claudio Santi. Storia della letteratura tedesca. 3. Il novecento. Bari: Laterza, 2001. Ich beziehe mich auf die digitale Ausgabe von 2016, 101 ff.

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des Romans, während sie seine politische Wirkung im gesellschaftlich-literarischen Kontext hervorheben, wobei sie durch die literaturgeschichtliche Einordnung in die Neue Sachlichkeit implizit auf mögliche neue Untersuchungsperspektiven hinweisen. In der allerneuesten Literaturgeschichte von 2019 wird dann zwar auf die Neue Sachlichkeit und den Antimilitarismus sowie die Verfolgung und Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten hingewiesen, aber durch die geschichtliche Relativierung als Eröffnung einer literarischen Mode werden Remarques Werke tendenziell ebenfalls zur Massen- oder Trivialliteratur abgewertet und, wie sich in dem wenigen ihm gewidmeten Raum spiegelt, künftige Erforschungsperspektiven tendenziell erstickt. Das steht nicht nur im Gegensatz zu den neuen literaturwissenschaftlichen Ansätzen, sondern auch zum großen Widerhall, den Remarque im letzten Jahrzehnt in öffentlichen Veranstaltungen, Internet-Literaturforen, Schule und auch in anderen Künsten gefunden hat. Literaturwissenschaftliche Aufsätze In der Literaturwissenschaft sind in den beiden letzten Jahrzehnten nur vier Beiträge in italienischer Sprache zu Remarque veröffentlicht worden, Disanti 2008, Fossaluzza 2013, De Pol 2015 und Kruse 2016; bei allen steht Im Westen nichts Neues im Zentrum. Hatte schon Mittner Im Westen nichts Neues auf den Bildungsroman bezogen und die Literaturgeschichte von Dallapiazza und Santo eine Umkehrung des klassischen Bildungsmodells festgestellt, so vertieft Giulia A. Disanti (2008)25 auf der einen Seite die letztgenannte Perspektive, indem sie statt eines Bildungsund Wachstumsprozesses eben den Verlust der Bildung und einen Prozess der schnellen Alterung diagnostiziert. Damit ordne Im Westen nichts Neues sich in eine Reihe von Antikriegsromanen der Jahre von 1927 bis 1930 ein, die Ähnliches aufwiesen und damit in Gegensatz stünden zu Bildungsprozessen, wie sie in Pro-Kriegsromanen wie dem Jüngers zu finden seien. In Im Westen nichts Neues stehe freilich die gesamte bisherige Kultur von Plato bis Goethe als von der Gewalt korrumpiert unter Anklage. Auf der anderen Seite stellt sie unter Berufung auf Remarques Oxymoron vom »militanten Pazifisten«26 heraus, dass der authentische Kern und rote Faden aller seiner Romane sich bei ihm, der sich früh vom Lehrerberuf verabschiedet habe, aus einer Lehrer- und Erzieherfunktion ergebe. Die habe er allerdings nicht als Lektion ins Werk gesetzt, sondern in Verbindung mit seiner Poetik der Erinnerung und Wahrheit. Erziehung sei für ihn die Ver-

25 Giulia A. Desanti. »Giovani soldati a confronto con i loro maestri. Sul capolavoro di Erich Maria Remarque«. F. Senardi (Hg.). Scrittori in trincea. La letteratura e la Grande Guerra. Roma: Carocci, 2008, 78–85. 26 Erich Maria Remarque. Ein militanter Pazifist. Texte und Interviews 1929–1966. Hg. von Th. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998.

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mittlung der Erinnerungen von einer Generation zur nächsten und binde den einzelnen durch die innere Bindung der Erinnerungen an die nationale Gemeinschaft. Die durch die Authentizität verbürgte Wahrheit der Erinnerung in seinen Romanen vollziehe dieses Erziehungswerk, wobei die Authentizität gerade durch die Fiktion erlangt werde. Von Anfang an habe sich Remarque der politischen Parteinahme entziehen wollen, auch wenn sein Kriegsroman große politische Reaktionen hervorgebracht habe, und noch 1962 jede Parteinahme zugunsten des Allgemeinmenschlichen abgelehnt. Diese Einstellung bringt Disanti abschließend mit Hannah Arendts Überzeugung in Einklang, dass es deswegen noch Kriege gebe, weil auf der politischen Ebene kein Mittel gefunden worden sei, diesen Schiedsrichter der internationalen Geschäfte zu ersetzen. Auch Cristina Fossaluzza (2011)27 will, nunmehr mit von Sigmund Freud geleiteten triebtheoretischen Kategorien, Im Westen nichts Neues als Umkehrung des Bildungsromans verstanden wissen. Der aus der Zivilgesellschaft ausschließende Wandel der Soldaten zu Tiermenschen wird aber aus der Perspektive von Freuds Gedanken zum Kriege untersucht, wobei sie eine strukturelle Parallele der Psychologie der Macht feststellt. Diese psychologische Reflexionsebene unterscheide sich ebenso grundlegend von der »kulturkriegerischen« bei Hofmannsthal, Thomas Mann oder Musil wie von der historisch-politischen – gleich ob zelebrativ, dokumentarisch oder pazifistisch – von Jünger bis Renn, von Glaeser bis Arnold Zweig. Angefangen von der auch bei anderen Autoren auffindbaren Sprachskepsis, von der Inkommunikabilitätsproblematik etwa bei Bäumers Heimaturlaub über die Verdrängungssprache unter den Soldaten, die das Grauen verdecke – »den Arsch zukneifen« für Tod – bis hin zum selbstauferlegten Denkverbot, wird der Prozess der Tierwerdung des Soldaten als Überlebensnotwendigkeit dargestellt, welche dem Regress zum Urmenschen bei Freud entspreche. Es handle sich nicht um eine Rückbildung auf moralischer Ebene, sondern zu elementaren Trieben jenseits von Gut und Böse auf vorzivilisatorischer Ebene. Diese Ebene, die in der Zivilisation unter Triebverzicht überwunden sei, latent aber weiterbestehe, trete im Krieg als Ausnahmezustand immer wieder hervor und führe zu jener Form des Miteinander von Recht und Gewalt, in der erlaubt ist, was im Staat verboten sei. Dieses Miteinander von einander ausschließenden Elementen, von Gesetz und Gewalt, von Regel und Ausnahme, die aber innerlich fest miteinander verbunden seien, wie Freud es in der Gleichzeitigkeit von manifesten Phasen und latenten Phasen psychologisch interpretiere, lasse die Persönlichkeitsspaltung der Figuren bei Remarque verstehen sowie ihr ambivalentes Verhältnis zu Autorität und Macht. Die Psychologie des Ausnahmezustandes, der in den 1920er Jahren von Carl Schmitt

27 Cristina Fossaluzza. »Psicologia e potere in Im Westen nichts Neues. Una lettura del romanzo di Remarque a partire da Freud«. Prospero. Rivista di Letterature e Culture Straniere 18 (2013), 103–119.

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und Walter Benjamin reflektiert worden sei, sei von Remarque literaturästhetisch untersucht worden. Das gelte auch für andere Werke, wie etwa die Darstellung des Lagerlebens und der SS in Der Funke Leben von 1952. Roberto De Pol (2013)28 hingegen setzt sich mit intertextuellen Bezügen von Im Westen nichts Neues auseinander. Dabei weist er zunächst entgegen allem Wirklichkeitsschein auf die ästhetisch-fiktionale Dimension von Im Westen nichts Neues hin, wo etwa die chaotische Undurchsichtigkeit des Krieges in der chronologischen, geographischen und historischen Unbestimmtheit reproduziert und damit zugleich Zeitunabhängigkeit und Allgemeingültigkeit dieser Erfahrungen ins Werk gesetzt werde. Darüber hinaus lasse sich die ästhetische Konstruiertheit in den Steigerungsstrukturen ebenso nachweisen wie in der Verarbeitung von durch Kameraden vermittelten Kriegsberichten. Bezeugt werde sie aber auch durch intertextuelle Bezüge wie das grausame Leiden der Pferde in Grimmelshausens Simplicissimus oder durch ihn vermittelt in Sidneys Arcadia sowie die Nahtötung eines Menschen beim russischen Schriftsteller Vsevolod Michailovic Garšin.29 Der Roman sei immer wieder auch von ehemaligen Kriegsteilnehmern als authentisch gelesen worden, was freilich die Fähigkeit der fiktionalen Literatur unter Beweis stelle, komplexe Phänomene viel tiefergreifender zu erfassen als das mit ›authentischen‹ Dokumenten wie Chroniken, Tagebüchern, Briefwechseln etc. möglich sei. Als unauthentisch und falsch hingegen sei der Roman vor allem von nationalistischen militaristischen Schreibern angegriffen worden, aber auch – privat – etwa von Ludwig Renn mit dem Vorwurf des Unrealistischen, das in »journalistischem Sensationsgelüst« seine wahre Ursache habe. Über Artikel und Pamphlete hinaus hätten aber einige ehemalige Frontsoldaten, die die Kriegserlebnisse vitalistisch wenden wollten, einen richtiggehenden »Krieg der Bücher« gegen Remarques Roman entfesselt. Joseph Magnus Wehner habe seinen Roman Sieben vor Verdun (1930) gegen Remarque geschrieben. Rassistische Urteile von Lob für die deutschen Soldaten und Verachtung für die französischen, vor allem die farbigen, kennzeichneten ebenfalls etwa Aufbruch der Nation (1929) von Franz Schauwecker oder Der Glaube an Deutschland (1931) von Hans Zöberlein. Diese Bücher hätten Remarque zugunsten einer kriegslüsternen Tendenz »korrigieren« wollen, was De Pol in diesen Romanen durch intertextuelle Bezüge nachweist. Wehner etwa spiele mit einer deutsch-französischen Doppelidentität bei dem betrunkenen Kriegskorrespondenten, der einen französischen Soldaten in einem Bombenloch getötet haben will und auf der Suche nach Nachrichten sei, da es »im Westen nichts Neues« gebe. Thor Goote klassifiziere

28 Roberto De Pol. »Libri contro. Autori e romanzi contro Remarque«. Quaderni di Palazzo Serra, 2015, 28, 245–257. 29 Vgl. Roberto De Pol. »›Io o lui‹: l’uccisione del nemico in testi letterari tedeschi dal Medioevo all’età moderna«. Anthropos & Iatria 11 (2007), 2, 88–96.

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in seinem Roman Wir fahren in den Tod (1930) einen abgestürzten Flieger wie Remarque den Franzosen in einer Bombenlochepisode als »Mensch«, ohne aber die Sequenz der Tötung des Feindes und nachfolgender Humanisierung zu vollziehen, handle es sich doch um einen Deutschen. Zur Übernahme von Episoden, die aber mit entgegengesetzter Tendenz ausgestattet würden, zählten weiterhin der Totenraum im Militärkrankenhaus, die Inkommunikabilität zwischen Soldaten und Zivilisten; der Versuch, die Mutter zu beruhigen; die Bombardierung der Särge auf dem Friedhof, das Leiden der Pferde und die Gedanken zum Sinn des Krieges. Hans Zöberlein setze Remarque sein Der Glaube an Deutschland mit dem Vorwort von Hitler entgegen. Zeitlich-räumlicher Unbestimmtheit setze er eine chronologische Tabelle und klar bestimmte Orte entgegen, dem Rhythmus von Kampf und Ruhepausen nur Frontszenen, als seien lediglich diese prägend. Die Perspektive bei Zöberlein sei ebenfalls die eines einfachen Soldaten. Wo aber diese Perspektive bei Remarque die Erfahrung des Unüberschaubaren und Chaotischen zur Darstellung bringe, wisse bei Zöberlein der Soldat um seinen individuellen kleinen Beitrag zum Sieg des Ganzen, während die Niederlage den Generälen und der Unterlegenheit der deutschen Industrie zuzuschreiben sei. Kampfbeschreibungen bei Zöberlein grenzen bei Hass und Verachtung des Gegners an Sadismus, und wo der Nahkampf bei Remarque zum Bewusstsein des Sinnlosen führe, erwecke er bei Zöberlein die Erleuchtung der Notwendigkeit des Krieges für die Kollektivität und mache den Einzelnen zum Mitglied dieser Kollektivität. Aus dem Krieg entstehe bei Zöberlein im Gegensatz zu Remarque dieserart ein neues Gesellschaftsmodell. Zöberleins, Wehners, Gootes Romane wären vielleicht nie geschrieben worden, wenn es Remarques Roman nicht gegeben hätte. Mein eigener Aufsatz30 hingegen ist im Kontext der Veranstaltungen zum hundertjährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg aus einer Tagung über die verschiedenen literarischen Verarbeitungen des Ersten Weltkriegs im deutschen wie englischen Kulturraum erwachsen und folgt daher eher der Absicht, Remarques Roman einem Publikum zu präsentieren, das ihn nicht oder nicht gut kennt. Neben orientierender Zusammenfassung, Hinweisen zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte und der Charakterisierung des Buchmarkts als völlig von affirmativer Kriegsliteratur dominiert, auf dem quantitativ gesehen einzig Remarques Roman als »Gegenerinnerung« sich Platz schafft, finden sich die Analyse des Verdrängungsmechanismus unter den Soldaten, der Sprachskepsis, des gesellschaftlichen Ausschlusses, der Kultur- und Gesellschaftskritik, der typischen Situationen

30 Bernhard Arnold Kruse. »La guerra come vuoto assoluto di senso e distruzione dell’umano«. Flora Di Giovanni, Lucia Perrone Capano (Hg.). »L’eccezionalità del presente«. Scrivere la Grande Guerra. Milano: Mimesis, 2016, 141–163.

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des Soldatenlebens, der neuen Qualität des Krieges, der Verdrängung als Überlebensstrategie u. a. m. Auch wird der Roman auf verschiedenen Ebenen gegen die Erfolgsromane von Manfred von Richthofen (Der rote Kampfflieger, 1917), Walter Flex (Der Wanderer zwischen zwei Welten, 1917), Hellmuth von Mücke (Ayesha, 1915) und Ernst Jünger (In Stahlgewittern, 1920) abgesetzt. Nicht zeitlich-geographische Genauigkeit, wie bei allen anderen, soll Authentizität verbürgen; diese artikuliert sich in Remarques Roman vielmehr wesentlich über die Fiktion als Realismus des Möglichen. Weitgehende Empathie in einer Reihe typischer Situationen, die einem jeden Soldaten an einer jeden Front begegnen können, produziert ein Authentizitätsgefühl. Dieses aber basiert entgegen dem Vorwurf der Strukturund Stillosigkeit auf einer Schreibweise, die der Neuen Sachlichkeit entspricht. Die ästhetische Strukturiertheit lässt sich u. a. in Episodenstruktur, Variation und Kontrast typischer Kriegssituationen, emotionalem Steigerungsprinzip u.a.m. nachweisen. Eine immer wieder von anscheinender Ruhe ausgehende Skala der Selbstübersteigerung des Schrecklichen führt zu einer Angstarbeit des Unbewussten, die dem Leser die typische Doppelstruktur von szenisch-sinnlichem Geschehen und verdrängter Angst erfahrbar macht. Kameradschaft als die einzige positive Erfahrung aber dient nicht dem Entwurf einer neuen Gesellschaft, sondern einzig dem vorläufigen Überleben in einer Gruppe von zum Tod Bestimmten. So konstruiert der Roman eine Skala der fortwährenden Selbstüberbietung des Schrecklichen und Grauenhaften, die den Leser in eine Welt des Schreckens und Unmenschlichen führt, in dessen ständiger Steigerung sich kein Ende absehen lässt. Diese Logik des Schreckens wird von der Technologie des modernen Krieges, der Entwicklung hin zur industriellen Tötung von Menschenmassen in Materialschlachten getragen, die ihrerseits den Menschen zur Maschine macht, bzw. zum Tier sich rückentwickeln lässt. Heroen sind in einem solchen Krieg nicht mehr möglich und auch die Natur bietet – wie im Bild der emporgeschleuderten Menschen und Bäume – keinen Fluchtort mehr. Der einzelne Mensch ist völlig dem Zufall ausgeliefert. Diese Darstellung steht dem Versuch nicht nur Richthofens gegenüber, überkommene ritterliche Heldenvorstellungen in die moderne Kriegstechnik zu projizieren. Das literaturwissenschaftliche Interesse an vor allem Remarques Kriegsroman hat mithin in Italien im letzten Jahrzehnt eine Reihe von Forschungsergebnissen erbracht, die auf den Gebieten Bildungsroman, Erziehungsfunktion von Literatur, Psychologie der Gewalt und überhaupt Erkenntnis durch Sinne und Gefühl und deren sprachlicher und stilistischer Artikulation, Authentizität, Erinnerung, Wahrheit und Geschichte, kontrastive und intertextuelle Literaturgeschichte verortet werden können. Diese Forschungen haben neue Perspektiven auf Remarque eröffnet, deren Forschungspotential weiter zu entwickeln ist. Das gilt sowohl für die Literaturgeschichtsschreibung und -forschung, aber angesichts der immer weiter voranschreitenden Entwicklung von Waffensystemen für die literarische Erforschung von Krieg und Gewalt und die ihnen entsprechenden psychischen 235

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Prozesse und Subjektivitätskonfigurationen überhaupt, leisten doch gerade Literatur und Film einen großen Beitrag zu deren Bildung. Film Der Film von Lewis Milestone von 1930, der aber erst 1956 in die italienischen Kinos kam und dessen italienischer Titel All’ovest niente di nuovo abweichend vom Buch den deutschen nachbildet, ist anlässlich der hundertjährigen Gedenkfeiern zum »Großen Krieg« gezeigt worden.31 Oft findet sich der Film Im Westen nichts Neues in den Kontext einer Reihe anderer Filme gestellt, die ebenfalls den Ersten Weltkrieg oder überhaupt den Krieg ins Zentrum stellen.32 In Rezensionen wird häufig der Film neben dem Buch genannt, der die Szenen teils sogar noch eindrucksvoller als das Buch darstelle.33 Daneben aber ist natürlich der Film von 1979 unter der Regie von Delbert Mann, diesmal mit dem Buchtitel Niente di nuovo sul fronte occidentale ebenso italienisch synchronisiert worden wie die Verfilmungen von anderen Werken Remarques: Arco di Trionfo (Arc de Triomphe, 1948), Regie Lewis Milestone, und 1985 Regie Warris Hussein, sowie Tempo di vivere, tempo di morire (Zeit zu leben und Zeit zu sterben, 1957), Regie Douglas Sirk, die alle noch im gleichen Jahr ihre italienische Synchronisation erhielten. Tre Camerati (Drei Kameraden, 1973) hingegen kann auf Italienisch nur als dreiteilige original italienische Fernsehserie (Regie Lydia C. Ripandelli) auf Italienisch gesehen werden.34 Alle diese Filme – und deswegen werden sie unter diesem Beitrag verbucht – sind über das Internet und/oder als DVD zu erhalten. Fernsehen und Radio Im Fernsehen gab es ein 1964 vom italienischen Staatsfernsehen RAI ausgestrahltes, aber schon 1963 aufgenommenes Interview Remarques über Im Westen nichts Neues. Ebenso wie dieses im Internet auffindbar35 ist die 1973 ausgestrahlte Minifernsehserie Tre Camerati (Drei Kameraden).36 Die Buchempfehlung von Im Wes31 https://www.regione.toscana.it/-/25-aprile-in-concerto-niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale. 32 Vgl. z.B. https://www.gqitalia.it/show/article/non-solo-1917-grandi-film-sulla-grande-guerra, http://www.sapere.it/sapere/search.html?q1=Remarque&x.x=5&x.y=8&srch=enciclopedia. 33 Vgl. z. B. http://www.icsm.it/world/cinema/remarque.html. 34 https://www.mymovies.it/filmografia/?s=24578. 35 http://www.grandeguerra.rai.it/articoli/erich-maria-remarque/23668/default.aspx. 36 https://www.youtube.com/watch?v=BHR7e_s3U0k; https://www.youtube.com/watch?v=jSr SG3r4beY&t=1658s; https://www.youtube.com/watch?v=c58Fi75YRd8.

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ten nichts Neues anläßlich der hundertjährigen Wiederkehr des Kriegsendes findet sich als Fernsehsendung37 ebenso wie die Nachricht, dass der Nobelpreisträger Bob Dylon außer Homer und Melville auch Remarques Im Westen nichts Neues zu den ihn prägenden Werken zählt.38 Aus dem gleichen Anlass haben auch Radiosendungen sich mit Remarques Kriegsroman befasst. Diese Sendungen gehen kurz auf das Leben von Remarque ein, fassen im Wesentlichen die Handlung des Romans zusammen und unterstreichen die antimilitaristische Haltung des Romans.39 Theater Die Gedenkveranstaltungen zum »Großen Krieg« gaben auch Anlass zu Theateraufführungen mit Texten aus Im Westen nichts Neues. Von einigen Schauspielgruppen ist der Roman zu einem Lektüre-Theater umgestaltet worden. So etwa von der Gruppe Aedopop aus Bergamo, von deren Aufführung sich Anzeigen finden.40 Amateurtheatergruppen, wie »Teatro Instabile ›Le gambe sotto il tavolo‹« oder »Out Pratello« haben Remarque rezipiert, wo sie etwa aus seinen Texten neben denen vieler anderer antimilitaristischer Schriftsteller zitieren und mit musikalischen Einlagen mischen.41 Die Theatertruppe »Berardi – Casolari« hat sich in ihrem von 2015 bis 2017 aufgeführten Stück Il primo, Il migliore explizit von Remarques Kriegsroman inspirieren lassen.42 Zeitungen und nichtwissenschaftliche Zeitschriften In den Zeitungen handelt es sich zumeist um Veranstaltungshinweise, die sich in der Regel auf das Gedenken an den »Großen Krieg« beziehen und Im Westen nichts Neues unter anderen literarischen Werken nennen. Freilich gibt es auch 37 https://www.youtube.com/watch?v=tMe2o5uzsio. 38 http://www.rainews.it/dl/rainews/media/Dylan-al-Nobel-Le-canzoni-non-si-leggono-sicantano-Lezione-e-assegno-cita-Omero-e-Melville-448ed0f1-eef5-4c28-8508-8d23001 9209a.html#foto-1. 39 https://www.rsi.ch/speciali/la-grande-guerra/aspetti-culturali/Erich-Maria-Remarque-e-laguerra-1514251.html. 40 https://fiatoailibri.it/spettacoli/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/; http://aedopop.com/ promozione-della-lettura/. 41 http://www.coroanamoncalieri.it/files/voci-nel-vento-di-guerra_pieghevole--Pecetto-.pdf; https://bologna.repubblica.it/cronaca/2015/04/25/news/gli_appuntamenti_di_sabato_25_ in_eta_di_guerra-112758682/. 42 Vgl. z.B. http://www.cesenatoday.it/eventi/teatro/teatro-bonci-27-28-novembre-2015-pri ma-migliore-gianfranco-berardi-gabriella-casolari.html oder https://www.oggiroma.it/even ti/spettacoli/la-prima-la-migliore/28121/.

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einige Artikel zur deutschen Geschichte, dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik, der Bücherverbrennung, dem Zweiten Weltkrieg usw. oder generell zu Kriegsromanen, wo unter vielen anderen zitierten Schriftstellern in verschiedenen Zusammenhängen immer auch Remarque genannt wird. Häufig auch handelt es sich um Artikel über andere Schriftsteller, bei denen aus den unterschiedlichsten Gründen marginal auch Remarque erwähnt wird. Dazu kommen dann Buchbesprechungen anlässlich der Neuausgaben von Werken Remarques. Auch dabei werden häufig Vergleiche und Beziehungen zu anderen Anti-Kriegsromanen hergestellt. Gelegentlich finden sich auch Bezüge auf aktuelle Ereignisse. So die Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises an Asli Erdoğan, die sich mit einer kritischen Sicht auf die politische Lage in der Türkei verbindet (vgl. La Repubblica, 10.03.2018, Il Manifesto, 01.09.2017) oder die Erwähnung von Im Westen nichts Neues anlässlich eines Treffens von Macron und Merkel (La Repubblica, 19.11.2018) oder anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Bob Dylan (La Repubblica u. Il Mattino, 06.06.2017, Il Corriere della Sera, 14.06.2017 u.a.), des Syrienkriegs (Corriere della Sera, 19.11.2015), des Waffenstillstands in der Ukraine, u.ä. Die Nacht von Lissabon hingegen legt zweifellos das Schicksal der Migranten nahe, wie es von Il Giornale vom 03.06.2015 angedeutet wird. Über eine Inhaltswiedergabe hinaus geht die Besprechung der Neuerscheinung von La Terra promessa (Das gelobte Land) bei Neri Pozza in Il Foglio vom 4. Dezember 2019. Hier wird hervorgehoben, dass das »gelobte Land« sich nicht auf der Erde, sondern im Kopf befinde, als die Ausmessung eines inneren Raumes, des Ich, in dem Vergangenheit und Zukunftsschicksal eines Jeden sich träfen. Nach zusammenfassenden Hinweisen auf den Inhalt des Romans heißt es aber, dass nicht Migrantenerlebnisse das Buch aktuell machten, sondern die Suche nach dem Selbst, nach einer Identität, die auch vom Protagonisten Ludwig Sommer gesucht werde. Ein unabschließbarer Prozeß, weswegen es zu dem Roman passe, dass er unabgeschlossen sei. Der Corriere della Sera hebt in einer Veranstaltungsankündigung zu Giorgio Fabre und dessen Buch Il Censore e l’Editore. Mussolini, i libri, Mondadori,43 die zugleich eine kleine Zusammenfassung des Buches enthält, besonders Simenon und Remarque als von Mussolinis Zensur Verfolgte hervor.44 In Frauenzeitschriften findet dann das Privatleben Remarques Widerhall,45 besonders seine Beziehung zu Marlene Dietrich, deren Briefwechsel ja auch Übersetzung gefunden hat.46 43 Giorgio Fabre. Il Censore e l’Editore. Mussolini, i libri, Mondadori. Milano: Fondazione Mondadori, 2018. 44 Corriere della Sera, 17.12.2018. 45 Vgl. z. B. https://www.iodonna.it/attualita/storie-e-reportage/2018/08/04/erich-maria-remar que-e-marlene-dietrich-il-barone-e-langelo-azzurro/. 46 http://www.archinto.eu/index.php/prodotto/dimmi-che-mi-ami/.

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Internet Einer eigenen Untersuchung bedürfte die Rezeption von Remarque in den sozialen Medien, angefangen von Facebook. Im vorliegenden Aufsatz ist – auch aus methodischen und methodologischen Gründen der Literaturrezeption im Netz – diese Untersuchung und Analyse ausgespart. Wikipedia In Wikipedia (italienisch) findet sich eine kurze Biographie mit den wichtigsten Werken,47 während sich in Wikiwand48 ebenso wie in Wikizero49 eine Zusammenfassung und analytische Elemente von Im Westen nichts Neues finden. Wikiquote50 bietet Zitate aus den Romanen. Lexika und Enzyklopädien online Die Biographie Remarques findet sich auch unter den Online-Biographien.51 Während sich die Enzyklopädie Treccani52 auf die Aufzählung der essentiellen Lebensdaten Remarques und die Titel von 10 seiner Werke beschränkt, geht »Sapere«53 mit einem eigenen Lemma zu Im Westen nichts Neues darüber hinaus. Ein eigenes Lemma erhält auch die Verfilmung von 1930. Lektüre-Blogs und Foren von kulturellen Vereinigungen mit Literaturseiten Die überwiegende Zahl von Texten im Internet thematisiert Im Westen nichts

47 https://it.wikipedia.org/wiki/Erich_Maria_Remarque. Daneben gibt es dann noch Wikipedia Artikel zu folgenden in Italien veröffentlichten Romanen, in denen die Zusammenfassung der Handlung und gelegentlich einige analytische Elemente zu finden sind: Niente di nuovo sul fronte occidentale (Im Westen nichts Neues), Tre camerati (Drei Kameraden) auch als Beilage zu Famiglia Cristiana als Band 5 der Reihe »La Grande Guerra« (https://www. famigliacristiana.it/iniziative/grandeguerra/uscita5.aspx), Arco di trionfo (Arc de Triomphe), Tempo di vivere, tempo di morire  (Zeit zu leben und Zeit zu sterben), L’obelisco nero  (Der schwarze Obelisk), La via del ritorno (Der Weg zurück), Ombre in Paradiso (Schatten im Paradies), L’ultima scintilla (Der Funke Leben), Il cielo non ha preferenze (Der Himmel kennt keine Günstlinge). 48 https://www.wikiwand.com/it/Niente_di_nuovo_sul_fronte_occidentale. 49 https://www.wikizero.com/it/Niente_di_nuovo_sul_fronte_occidentale_(romanzo). 50 https://it.wikiquote.org/wiki/Erich_Maria_Remarque. 51 https://biografieonline.it/biografia-erich-maria-remarque; https://www.wuz.it/biografia/ 472423/ Remarque-Erich-Maria.html. 52 http://www.treccani.it/enciclopedia/all-ovest-niente-di-nuovo_res-3b776bc4-b563-11e5b181-00271042e8d9/. 53 http://www.sapere.it/sapere/search.html?q1=Remarque&x.x=5&x.y=8&srch=enciclopedia.

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Neues, während nur wenige einen Überblick über die zumindest in Italien übersetzten Werke geben.54 Darüberhinaus wundert es nicht, dass sich Zusammenfassungen und Besprechungen mit durchgehend sehr positiven Werturteilen (unvergesslich; tief getroffen; ein »Muss«; als Schullektüre vorzuschreiben usw.) auch in vielen Lektüreblogs und Kulturvereinigungen finden.55 Zumeist handelt es sich um mehr oder weniger lange Besprechungen, die den Plot zusammenfassen, sowie einige Charakterisierungen, die natürlich den Antikriegscharakter und vor allem dann die Unmittelbarkeit der Gestaltung, den hohen Grad an Empathie, starke Emotionalität usw. hervorheben. Nicht selten werden auch der Biographie des Autors einige Zeilen gewidmet. Dabei finden sich gelegentlich kleine Ungenauigkeiten wie die, dass Remarque aus Nordrhein-Westfalen stamme, Im Westen nichts Neues sein erstes Buch sei, es sich um einen autobiographischen Roman handle56 u. ä. Dazu kommen mehr oder weniger lange Textauszüge. Gelegentlich werden auch Bezüge zu anderen Antikriegsromanen hergestellt, von Hemingway, In einem anderen Land,57 Lussu, Un anno sull’Altipiano (Ein Jahr auf der Hochebene), worin sich die Verbreitung von Remarques Roman im Rahmen von Buchreihen spiegelt, die anlässlich des hundertjährigen Gedenkens an den Ersten Weltkrieg als Zeitungsbeilagen erschienen sind. Gelegentlich findet auch die Rezeptionsgeschichte von Im Westen nichts Neues Erwähnung und die Verbindung zum Film,58 vom internationalen Erfolg von Buch und Film bis zu deren Verbot seitens der italienischen Faschisten und danach der Nationalsozialisten und deren Bücherverbrennung. Hingewiesen wird auch darauf, dass der Roman von Mondadori 1950 verbreitet wurde, der Film aber erst ab 1956 gezeigt werden durfte, weil er wohl den ästhetischen Maßstäben der Zeit nicht entsprochen habe.59 Manchmal wird die Lektüre von Im Westen nichts Neues in Blogkommentaren auch mit Familienerinnerungen verbunden, Großvätern beispielsweise, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.60 Gleichzeitig finden sich aber auch Bezüge auf die vielen gegenwärtigen Kriegsherde und menschliches Elend in Flüchtlingscamps.61

54 https://www.studenti.it/topic/erich-maria-remarque.html. 55 https://anatomiadiunindipendenza.wordpress.com/2018/02/21/erich-maria-remarque-unautore-in-cinque-romanzi/. Siehe auch die Liste der Blog-Einträge im Anhang. 56 https://www.rockol.it/recensioni-musicali/album/v-8109/modena-city-ramblers-niente-dinuovo-sul-fronte-occidentale. 57 https://www.ilcorriereapuano.it/2017/04/la-grande-guerra-narrata-forma-romanzo-heming way-remarque/. 58 http://www.undertrenta.it/cultura/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/. 59 https://sebastianoisaia.wordpress.com/2014/12/01/1914-2014-niente-di-nuovo-sul-fronteoccidentale-ieri-come-oggi/. 60 http://www.asiablog.it/2014/07/28/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/. 61 http://fioredelcappero.blogspot.com/2013/10/erich-maria-remarque-niente-di-nuovo.html.

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Zitatensammlungen Andere Internetblogs veranstalten mehr oder weniger lange Zitatensammlungen (Berühmte Sätze)62 aus zumeist verschiedenen Werken Remarques, vor allem aber Im Westen nichts Neues. So erhält Remarque neben mehr oder weniger bekannten italienischen Schriftstellern unter den von Kierkegaard bis Kafka und Nietzsche oder Mark Twain international berühmten zitierfähigen Dichtern seinen Platz im Alltagsbewusstsein. Schule und Empfehlungen für die Jugend In den Schulbüchern für den Deutschunterricht findet sich Remarque, soweit ich diesen Bereich überblicke, nicht, wenngleich in nicht wenigen Literaturforen aufgefordert wird, Im Westen nichts Neues für die Schule vorzuschreiben.63 Dass der Lebenslauf von Remarque und Zusammenfassungen von Im Westen nichts Neues sich auch in zahlreichen Internetblogs finden, die für Schüler konzipiert sind,64 sowie in für Universitätsstudenten konzipierten Foren,65 weist darauf hin, dass der Roman denn auch verbreitet in vielen Schulen behandelt wird. Bestätigt wird das durch zahlreiche Internet-Schulzeitungen. Zusammenfassungen, Textauszüge, aber auch kurze Analysen finden sich ebenso wie Angaben oder Beschreibungen zum Leben von Remarque. In einigen Lektüreblogs verweisen Leser auch darauf, dass sie das Buch zur Schulzeit gelesen haben.66 Darüberhinaus legen auch Gemeinden oder andere Institutionen Jugendlichen die Lektüre von Remarques Bestseller nahe. Der Verbreitungsumfang kann auch in diesem Falle freilich nicht abgeschätzt werden. Nicht immer sind alle Angaben sorgfältig bearbeitet. So wird beispielsweise Osnabrück gelegentlich Westfalen zugerechnet und Remarques Familie einschränkungslos als französischen Ursprungs bezeichnet. Auch dass der

62 https://www.frasicelebri.it/s-libro/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/; https://lamente emeravigliosa.it/frasi-di-erich-maria-remarque/; https://le-citazioni.it/autori/erich-mariaremarque/; https://aforismi.meglio.it/aforismi-di.htm?n=Erich+Maria+Remarque; https:// www.aforismidiunpazzo.org/words-of-fame/citazioni-erich-maria-remarque-la-guerra-ciresi-inetti.html; https://www.aphorism.it/erich_maria_remarque/; http://it.citatepedia.net/ by.php?a=Erich+Maria+Remarque. 63 Vgl. z. B. https://www.sololibri.net/Niente-di-nuovo-sul-fronte.html, wo eine Leserin Im Westen nichts Neues als Schullektüre sogar in der Verfassung festgeschrieben sehen möchte. https://www.sololibri.net/Tre-camerati-Erich-Maria-Remarque.html. 64 Siehe die Liste im Anhang. 65 Vgl. z. B. https://www.studocu.com/it/document/universita-degli-studi-di-udine/storia-con temporanea-e-delle-comunicazioni-di-massa/riassunti/niente-di-nuovo-sul-fronte-occiden tale-1/3875130/view. 66 https://tersiteblog.wordpress.com/2018/01/05/remarque-fronte-occidentale/.

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Roman die Gründe für den Ersten Weltkrieg als im Imperialismus liegend ausmache, lässt sich so gerade sicherlich nicht behaupten.67 Auch unter den »Filmen für die Schule« findet sich Im Westen nichts Neues, wenngleich Paul Bäumer und seine Kameraden hier auch schon einmal zu Österreichern werden.68 Frauenforum In Internetforen, beispielsweise einem Frauenforum,69 wird der Kriegsroman Remarques kurz zusammengefasst und als auch nach 90 Jahren noch aktuell gewertet. Dass viele Leser, bzw. Leserinnen des Deutschen offensichtlich unkundig sind (da wird z.B. Bäumer zu »Braumër«), zeichnet ebenfalls eine ganze Reihe solcher Foren aus. Revisionistische kulturpolitische Internetblogs In Italien gibt es zahlreiche geschichtsrevisionistische Internetblogs, in deren geschichtskulturellen Klitterungen und Phantasien hinsichtlich der jüngeren deutschen Geschichte auch Kriegsromane rezipiert werden. In diesem Kontext wird Remarque natürlich nicht übersehen. So werden in der Online-Zeitschrift Quaderni Culturali delle Venezie der »Accademia Adriatica di Filosofia ›Nuova Italia‹«,70 die sich in ein obskures Netz von rechten bis neofaschistischen Internetseiten einordnet, die Kriegsromane von Ernst Jünger und Erich Maria Remarque in klassisch völkischer Manier daraufhin befragt, wer denn besser »das Gefühl des deutschen Volkes« habe zum Ausdruck bringen können. Hier geht es in subtil manipulierender Schreibweise darum, den Erfolg Remarques als den Interessen der westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs geschuldet darzustellen, werde doch mit dem Antimilitarismus zugleich aller Patriotismus zersetzt. Trotz der »gigantischen Gehirnwäsche« des deutschen Volkes jedoch und der »ungeheuren einseitigen Schuldzuweisung« seitens der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, deren Interessen der Roman Remarques entgegenkomme, sei der Roman Jüngers jener, der dem »wahren Gefühl des deutschen Volkes« entspreche.

67 Vgl. z. B. https://docu.plus/it/doc/generale/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-schedadel-libro/1846/view/ und auch https://doc.studenti.it/download/niente-nuovo-fronte-occi dentale-scheda-libro_1.html. 68 https://www.comune.re.it/cinema/catfilm.nsf/PES_PerTitolo/EC4D1E214E3519DEC1256E 1E0036BA40?opendocument. 69 https://libri.robadadonne.it/libro/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/ Roba da Donne (13.01.2019). 70 http://www.accademianuovaitalia.it/index.php/storia-e-identita/storia-militare-e-le-grandibattaglie-navali/3305-juenger-o-remarque.

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Musik Was die Musik betrifft, so ist zunächst auf die Stummfilmversion des Films hinzuweisen, die von Musik unterlegt wird. So hat z.B. die Region Toskana anlässlich des »Tages der Republik« am 25. April 2015 den Film von Lewis Milestone (1930) im Teatro Verdi in Florenz gezeigt und mit der eigens dazu 2011 von Manfred Knaak komponierten Musik unterlegt.71 Die Modena City Ramblers hingegen haben 2013 eine LP mit dem Titel Niente di nuovo sul fronte occidentale aufgenommen.72 Es ist zugleich der Titel des ersten der 18 Lieder, dem andere mit anderen politisch-sozial orientierten Texten folgen. Der im Ton irischer Folksongs gesungene Text73 sucht ein Untergangsbild der Soldaten als auf den Schlamm gezeichnete Schatten wie Ratten auf einem untergehenden Schiff zu zeichnen, die sich aber noch mit den Fingernägeln an eine Zukunft aus Pappe festkrallen. In der Gegenüberstellung von Lügenversprechen der Führungsmarionetten, dass alles sich wandle, damit nichts sich wandle, und den hoffnungs- und unterschiedslos grauen Tagen der Soldaten ohne Munition, ohne Brot und von Krankheiten befallen, findet der Refrain, dass es an der Westfront nichts Neues gebe, seine Begründung. Ebenfalls Sterne in mondloser Nacht als allzuferne Hoffnungssymbole zeichnen freilich eher Bilder melancholischer Hoffnungslosigkeit als sie musikalisch auszudrücken. Kunst In den bildenden Künsten gibt es zwei Bezüge auf Im Westen nichts Neues. Zum einen wird auf der Internetsite »Modellbau«74 ein im Laufschritt stürmender Soldat mit Gewehr in der einen und Handgranate in der anderen gezeigt, der durch Pickelhaube und Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart als deutscher gekennzeichnet ist. Er läuft mit aggressiver Miene an einem mit Wasser gefüllten Bombentrichter entlang, in dem das Schreckbild eines auch im Tod noch sein Gewehr aufrecht haltenden Soldaten liegt, dessen Kopf im französischen Helm eine Mischung aus Gasmaske und Totenschädel darstellt. Wem die Duval-Szene in den Sinn kommen sollte, dürfte aber eben das Menschlich-Verbindende vermissen, so dass die in die Schrecken des Todes führende Aggressivität der Menschenmaschine Soldat in den Vordergrund tritt. 71 https://www.regione.toscana.it/-/25-aprile-in-concerto-niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale. 72 https://www.antiwarsongs.org/canzone.php?id=43463&lang=it. 73 https://www.youtube.com/watch?v=8ybNlOeIgcY&list=PL0obzoW36Zy_iSmmajFP Sk2KW0KCUyu0X. 74 http://guide.supereva.it/modellismo_statico/interventi/2010/02/niente_di_nuovo.

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Der Roman Im Westen nichts Neues ist hingegen dem Künstler Alessandro Rinaldi als Thema für die Zeitschrift My Monkey75 vorgegeben worden. Diese Kunstzeitschrift hat ein produktionsästhetisches Publikationsmodell entwickelt. Die Künstler bekommen den Auftrag, ein literarisches Werk als Druckkunstwerk zu gestalten, das dann in 50 handsignierten Zeitschriftenexemplaren verkauft wird. Die von Rinaldi gestaltete Ausgabe enthält 10 Drucke, denen 3- bis 14-zeilige Zitate aus Remarques Roman zur Seite stehen. Abschließende Bemerkung Für die Aktualität der Rezeption Remarques im Italien der ersten zwei Dezennien dieses Jahrhunderts lassen sich eine Reihe von Gründen anführen. Abgesehen von historischen Rückblicken auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, die nacherlebende Konstruktion von Geschichte – von den historischen Fakten über die unendlichen Möglichkeiten individueller Alltags- wie Ausnahmesituationen bis zu ihrer auch emotional vertieften Kenntnis – stellen sich einerseits Aktualitätsbeziehungen zur Migrantenlage her, die dazu beitragen möchten, besser die vor allem psychische Lage der nach Italien und Europa fliehen wollenden Menschen zu verstehen, ihre Ängste und Sorgen nachvollziehen zu können. Vor allem aber – und auch das beweist die Rezeption – besitzt der Roman Im Westen nichts Neues ein ungemindert antimilitaristisches Potential, denn gerade die ungehinderte technische Weiterentwicklung der Waffensysteme verschärft allenfalls noch jene psychisch-emotionalen Zustände, auf denen der Erfolg des Romans beruht und die zu jener kosmopolitischen Konzeption des Menschen führt, die nicht nur die Gegensätze der Nationen in Europa und damit ethnische und nationalistische Widerstände zum Bau eines geeinten Europa überwindet, sondern eine globale Perspektive bietet. Nicht nur was die Kriegsdarstellungen betrifft, möchte daher der Schreibstil Remarques, ausgehend von seinem Bezug zur Neuen Sachlichkeit, eine vertiefte Untersuchung erfahren. Das gilt für die Darstellungsweise und Erweckung der Emotionen, wie sie in zumindest seinerzeit ganz neuer Weise von Remarque entwickelt wurde, darüber hinaus aber auch für seine Werke als eine Form der Erforschung psychischer Prozesse und rechtsphilosophischer Reflexion. Ebenso aber möchte gerade auf der Ebene der psychischen Prozesse und Emotionalität die Fruchtbarkeit der Werke Remarques für die Musik und die bildenden Künste noch nicht erschöpft sein.

75 http://www.mymonkeyedizioni.com/.

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Anhang

Liste der Blog-Einträge zu einzelnen Romanen (Alle in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten sind in der Zeit vom 01.11.2019 bis zum 31.01.2020 besucht worden.)

Niente di nuovo sul fronte occidentale http://www.scrivielasciavivere.it/2017/10/29/niente-sul-fronte-occidentale-erich-mariaremarque/ https://www.mentinfuga.com/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-erich-mariaremarque/ http://www.artspecialday.com/9art/2017/06/24/grandi-classici-niente-di-nuovo-sul-fron te-occidentale/ https://www.fanpage.it/cultura/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-90-anni-fa-erichremarque-pubblicava-il-suo-capolavoro/ https://www.libriantichionline.com/divagazioni/erich_maria_remarque_niente_nuovo_ fronte_occidentale_incipit https://www.qlibri.it/narrativa-straniera/romanzi/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/ http://circolodeilibri.ch/recensioni/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale https://cultura.biografieonline.it/niente-fronte-occidentale/ http://www.mangialibri.com/libri/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale https://www.criticaletteraria.org/2019/09/remarque-niente-di-nuovo-sul-fronte-occiden tale.html https://www.enotecaletteraria.it/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-di-erich-mariaremarque.html http://www.oltreilchiostro.org/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/ https://tersiteblog.wordpress.com/2018/01/05/remarque-fronte-occidentale/ https://www.aforismidiunpazzo.org/radici/niente-fronte-occidentale.html http://cometradizione.altervista.org/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-–-erich-ma ria-remarque/ http://appuntario.blogspot.com/2018/07/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html http://athenaenoctua2013.blogspot.com/2014/11/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html https://www.masedomani.com/2014/09/08/recensione-niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale-di-eric-m-remarque/ http://feliceconunlibro.blogspot.com/2018/07/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html https://www.ilclubdellibro.it/forum/19-contemporaneo-attualita-sociale-psicologico/ 11870-niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-erich-maria-remarque.html?start=10 http://smell-ofbooks.blogspot.com/2016/10/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html https://lastanza101.com/2018/06/22/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-le-speranzedi-una-generazione-che-vanno-in-frantumi/

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http://diquestolibroedeglialtri.review/2014/11/remarque-niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale https://booklandia.altervista.org/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale/ https://inchiostrodigitalesite.wordpress.com/2017/02/18/niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale-erich-maria-remarque/ http://www.corrieredelsud.it/nsite/scuola-e-universita/9018-niente-di-nuovo-sul-fronteoccidentale-riflessioni-sulla-grande-guerra.html https://www.sololibri.net/Niente-di-nuovo-sul-fronte.html https://studio83.info/blog/2017/01/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-un-classicoal-mese/ http://leggiamo.altervista.org/classici_nientedinuovosulfronte.htm http://biblioteca.fermimn.edu.it/cibo/nientedinuovo.htm https://iduepunti.it/libri/8_settembre_2013/il-libroniente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale https://annamariaromanello.wordpress.com/2015/09/07/niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale-di-e-m-remarque/ http://live-bibi.blogspot.com/2012/02/il-libro-di-cui-tratto-oggi-e-un.html http://www.lafenicebook.com/2016/11/recensione-niente-di-nuovo-sul-fronte.html http://invitiallalettura.over-blog.it/article-niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-dierich-maria-remarque-121027123.html https://asinochinonlegge.wordpress.com/2014/04/14/erich-maria-remarque-niente-dinuovo-sul-fronte-occidentale/ http://handwrittenpoetry.blogspot.com/2011/08/recensione-erich-maria-remarque-nien te.html https://eugenioobber.wordpress.com/2014/10/28/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentaleerich-maria-remarque/ https://www.gliamantideilibri.it/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-erich-maria-re marque/ http://www.inutilestrage.it/chi-e-la-bestia/ https://libri.cx/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-erich-maria-remarque-epub/? redir=no http://leggerealumedicandela.blogspot.com/2014/03/erich-maria-remarque-niente-dinuovo.html http://www.unabandadiidioti.altervista.org/wayneREMARQUE.html Tre camerati http://www.liberolibro.it/erich-maria-remarque-tre-camerati/ https://www.nazioneindiana.com/2016/03/01/60160/ http://www.ceredaclaudio.it/wp/2013/03/tre-camerati-erich-maria-remarque/ https://www.meloleggo.it/in-libreria-tre-camerati-di-erich-maria-remarque_613/ https://ilmiolibro.kataweb.it/recensione/catalogo/1971/qualcosa-di-nuovo-sul-fronte-edi toriale-erich-maria-remarque/ https://www.sololibri.net/Tre-camerati-Erich-Maria-Remarque.html

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https://www.criticaletteraria.org/2013/11/erich-maria-remarque-tre-camerati-neri-pozzarecensione.html https://www.famigliacristiana.it/iniziative/grandeguerra/uscita5.aspx https://anatomiadiunindipendenza.wordpress.com/2018/05/05/tre-camerati-recensione/ L’obelisco nero http://www.riccardocaldara.net/?p=15120 http://www.succedeoggi.it/2016/12/lobelisco-della-vita/ https://marcofreccero.com/2017/09/26/cosa-ho-imparato-leggendo-lobelisco-nero/ https://www.youtube.com/watch?v=g_7Fv6z683c https://www.forumlibri.com/forum/showthread.php?t=5157 La notte di Lisbona https://www.recensionilibri.org/2015/07/la-notte-di-lisbona-di-erich-maria-remarque.html https://asinochinonlegge.wordpress.com/2015/09/29/erich-maria-remarque-la-notte-dilisbona/ https://www.leggoquandovoglio.it/libro/la-notte-di-lisbona https://zapgina.wordpress.com/2016/11/16/la-notte-di-lisbona/ https://www.youtube.com/watch?v=hwXYCY0sAGk https://www.youtube.com/watch?v=98eReRXw_r8 https://das-kabarett.blogspot.com/2015/07/remarque-la-notte-di-lisbona.html https://www.finanzaelambrusco.it/articoli/articoli/cultura/la-notte-di-lisbona-erich-ma ria-remarque/ http://www.paradisodegliorchi.com/La-vita-segnata-dalla-guerra-di-Erich-Maria-Rema rque-La-notte-di-Lisbona.31+M5ad9c4893a2.0.html https://www.forumlibri.com/forum/showthread.php?t=19048 https://affascinailtuocuore.net/2018/02/07/e-m-remarque-la-notte-di-lisbona-e-la-vertigi ne-del-fuoriuscito/ http://pennaevaligia.it/il-libro-la-notte-di-lisbona-erich-m-remarque/ http://www.informazionecorretta.com/main.php?mediaId=&sez=80&id=59725 https://ipensierielepoesie.blog/2016/03/25/erich-maria-remarque-la-notte-di-lisbona/ http://www.adirt.it/web/2015/11/06/la-notte-di-lisbona-di-e-m-remarque/ https://storiedililith.wordpress.com/2015/05/17/la-notte-di-lisbona/ http://forum.multiplayer.it/showthread.php?321201-La-notte-di-Lisbona-di-Erich-MariaRemarque https://ricerca.repubblica.it/repubblica/archivio/repubblica/2018/12/01/il-nazismo-e-laluce-di-lisbonaTorino10.html https://www.facebook.com/pg/Gruppo-di-Lettura-Castel-San-Pietro-Terme- 18238325245 08085/posts/?ref=page_internal

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Arco di trionfo http://paleomichilibri.blogspot.com/2010/09/arco-di-trionfo-di-erich-maria-remarque. html. Während diese Rezension von einem Meisterwerk spricht, sprechen die anderen drei ein sehr negatives Urteil aus. http://www.compagnosegreto.it/NUMERO11/scrivere7.htm. Der Roman wird vom Stil und Inhalt her als Kitsch kritisiert. In die gleiche Richtung geht die Rezension in https://nonsoloproust.wordpress.com/2008/10/05/arco-di-trionfo-erich-maria-remarque/ http://www.tempiduri.org/?p=5466. Die Sprache des Romanhelden Ravic kippe von »hardboild« zu melodramatisch, zu viel Zigaretten und Calvados für den aufrechten Doktor; Joan, hinter der sich Marlene Dietrich verbirgt, werde in Liebesschmökerheftstilkapiteln hingegen als undankbar gezeichnet. Bei der Langatmigkeit der meisten Kapitel seien dann die letzten noch die besten. Ombre in paradiso https://www.dols.it/2019/05/16/ombre-in-paradiso-erich-maria-remarque/ Remarque glaube zu schreiben, hingegen bezaubere er. https://www.forumlibri.com/forum/showthread.php?t=5272. Zusammenfassung. Tempo di vivere, tempo di morire https://www.sololibri.net/Tempo-di-vivere-tempo-di-morire-Remarque.html http://www.nuovepagine.it/2013/05/tempo-di-vivere-tempo-di-morire-erich-maria-rem arque/ https://kultunderground.org/art/17689/ http://www.mangialibri.com/libri/tempo-di-vivere-tempo-di-morire https://www.qlibri.it/narrativa-straniera/romanzi/tempo-di-vivere,-tempo-di-morire/ http://www.nuovepagine.it/2013/05/tempo-di-vivere-tempo-di-morire-erich-maria-rem arque/ http://www.oltreilchiostro.org/tempo-di-vivere-tempo-di-morire/ https://www.youtube.com/watch?v=S9X8Tz8q9TE https://gattigiusy.wordpress.com/2009/01/22/erich-maria-remarque-tempo-di-viveretempo-di-morire/ http://www.ceredaclaudio.it/wp/2013/03/tempo-di-vivere-douglas-sirk/ Positiv zum Film https://annamariaromanello.wordpress.com/2017/10/22/tempo-di-vivere-tempo-di-mor ire-di-e-m-remarque-capp-ixxv/ https://www.ilsuperuovo.it/quanto-puo-essere-letale-la-distorsione-dellinformazioneremarque-anticipa-le-fake-news-in-internet/ Remarques Roman als Antizipation der Fake-News. http://accademiadellaliberta.blogspot.com/2019/09/tempo-di-vivere-tempo-di-morire-diem.html http://blog.ilgiornale.it/borgia/2017/04/22/aleppo-come-dresda-ce-lo-dice-remarque/ ?repeat=w3tc. In diesem Blog wird die Geschichte mit auf die Gegenwart bezogen, Dresden mit Aleppo verglichen.

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Remarque-Rezeption in Italien

Il cielo non ha preferenze https://www.leggereacolori.com/letti-e-recensiti/libri-mondadori/il-cielo-non-ha-prefer enze/ http://www.compagnosegreto.it/NUMERO11/scrivere5.htm Dimmi che mi ami http://www.pensalibero.it/erich-maria-remarque-–-marlene-dietrich“dimmi-che-miami”/ https://ricerca.repubblica.it/repubblica/archivio/repubblica/2002/11/26/amore-folle-sen za-sesso.html La via del ritorno https://asinochinonlegge.wordpress.com/2015/04/27/erich-maria-remarque-la-via-delritorno/ https://blog.libero.it/sparwasser/2111727.html. Das Buch wird in dieser Besprechung vom 4. Januar 2007 den Mächtigen empfohlen, Mr. Bush zumal. https://www.youtube.com/watch?v=5vNMwphdkIo. Leseausschnitt des Buches. http://www.lastambergadeilettori.com/2015/05/speciale-grande-guerra-la-via-del.html http://riciclaggiodellamemoria.blogspot.com/2015/05/la-via-del-ritorno-e-la-guerra-inte riore.html https://milaviglioso.blogspot.com/2018/10/la-via-del-ritorno.html https://www.leggenditaly.com/libreria-dasolo-download/narrativa-e-letteratura/299050erichmariaremarque-laviadelritorno-epub-ita.html https://www.lastampa.it/topnews/tempi-moderni/2014/08/02/news/leggere-remarque-inuna-cella-siriana-1.35619832. Remarque wird mit dem Bürgerkrieg in Syrien zusammengebracht: Lektüre in einer Gefängniszelle. https://www.larena.it/home/cultura/la-guerra-il-dopo-1.3100463 https://www.corriere.it/cultura/18_settembre_17/saggio-giorgio-fabre-fondazione-monda dori-duce-censura-a5f42b8c-ba95-11e8-978e-190179f216e9.shtml Ama il tuo prossimo http://serenoregis.org/2007/12/27/erich-maria-remarque-ama-il-prossimo-tuo/ https://www.forumlibri.com/forum/showthread.php?t=23798 https://digilander.libero.it/argentia2/giornalino/recensioni/letti%20per%20voi/ama_il_ prossimo_tuo.htm http://serenoregis.org/2007/12/27/erich-maria-remarque-ama-il-prossimo-tuo/ https://digilander.libero.it/argentia2/giornalino/recensioni/letti%20per%20voi/ama_il_ prossimo_tuo.htm https://www.forumlibri.com/forum/showthread.php?t=23798. Mit Bezug auf »Flüchtlingswelle« am Ende.

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Bernhard Arnold Kruse

La terra promessa https://librerie.unicatt.it/scheda-libro/erich-maria-remarque/la-terra-promessa- 97888545 17516-674543.html https://www.ilfoglio.it/una-fogliata-di-libri/2019/12/04/news/la-terra-promessa-290592/ https://fidest.wordpress.com/2019/07/20/erich-maria-remarque-la-terra-promessa/ https://www.ilgiornale.it/news/cultura/quei-profughi-remarque-fuga-sullarca-lib ert-1135986.html https://www.qlibri.it/narrativa-italiana/avventura/la-terra-promessa/ https://zapgina.wordpress.com/2016/11/16/la-notte-di-lisbona/

Liste der blogs für Schüler https://www.docsity.com/it/riassunto-libro-niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-dierich-maria-remarque/4131289/ https://www.skuola.net/libri/niente-nuovo-fronte-occidentale-remarque.html https://www.informagiovani-italia.com/niente_di_nuovo_sul_fronte_occidentale_recensi one.htm https://campus.hubscuola.it/discipline-umanistiche/storia/niente-di-nuovo-sul-fronteoccidentale/ https://scuolallopera.files.wordpress.com/2014/11/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidental e.pdf https://scuola.repubblica.it/lazio-roma-icviaguicciardinimediabonghi/2017/01/05/nientedi-nuovo-sul-fronte-occidentale/ http://sugarpulp.it/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-la-recensione/ https://www.10elol.it/articolo/accessori-per-capelli-per-la-primavera-estate-2015-eccoquelli-da-non-perdere/108189/ https://comolagograndeguerra.wordpress.com/2015/09/23/riflessioni-sul-romanzo-nien te-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-di-erich-maria-remarque/ https://www.mondadorieducation.it/risorse/media/secondaria_secondo/italiano/leggere_ scrivere/percorsi_interdisciplinari/06grande_guerra/letteratura/letteratura_remarque. html https://www.scuolissima.com/2014/11/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-analisi. html https://locchiodelproperzio.wordpress.com/2017/02/05/vite-spezzate/ https://ilmaresierincarnato.wordpress.com/2014/10/18/niente-di-nuovo-sul-fronte-occide ntale-di-erich-maria-remarque/ http://uomoeguerra.blogspot.com/2016/06/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html https://econazionaledeigiovi.wordpress.com/2012/03/11/niente-di-nuovo-sul-fronte-occi dentale-di-erich-maria-remarque/ http://liceo.daverrazzano.it/wp-content/uploads/2019/05/Niente-di-nuovo-sul-fronteoccidentale.pdf https://www.marcopolocolico.edu.it/articolo-giornalino-distituto/recensioneniente-di-

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Remarque-Rezeption in Italien

nuovo-sul-fronte-occidentale http://eiar.blogspot.com/2013/09/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html http://lavocedelquartiere.it/rapsodia-per-paul-baumer/ https://iartemisia.weebly.com/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale.html http://www.ilcondominionews.it/?p=5266 https://www.studenti.it/topic/erich-maria-remarque.html https://library.weschool.com/lezione/niente-di-nuovo-sul-fronte-occidentale-remarqueriassunto-trama-personaggi-12188.html http://www.bibliolab.it/materiali_dida/mat_forum/lett_guerra/remarque98_buche.htm http://www.museoalessandroroccavilla.it/2018/10/15/erich-maria-remarque/ http://scuoladicittadinanzaeuropea.it/app/uploads/2017/03/04_Guerra-e-racconto_app rofondimenti.pdf https://digilander.libero.it/scuolepoirino/remarque-lussoagasso.htm http://kidslink.scuole.bo.it/fahr/fahr2000/msg00670.html

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Plakat der Musical-Produktion Arc de Triomphe am Tokyo Takarazuka Theatre, 2018.

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Kunio Adachi

Für Remarque wäre ich der fünfte Japaner gewesen

Es war der 29. Dezember, und das Jahr 2012 ging zu Ende. In meiner Wohnung in Okayama, einer Millionenstadt im Westen Japans, traf von meinem Verlag in Tokyo meine Remarque-Biographie in Form eines Buches ein. Als ich das Buch in die Hände nahm, wurde mir bewusst, dass die 10 Jahre beendet waren, in denen ich dem »langen Weg zwischen Liebe und Politik«, den dieser eine deutsche Schriftsteller 72 Jahre lang zurückgelegt hat, gefolgt war. Der erste Schritt, den ich gegangen war, Remarques Biographie zu schreiben, fällt auf den 3. September 2002. An diesem Tag besuchte ich die in Manhattan liegende Fales-Library der New York University. Diese Bibliothek besitzt umfangreiche Primärmaterialien zu Remarque, die ihr von seiner Ehefrau Paulette Goddard, einer Schauspielerin, gestiftet wurden. Fast ein Jahr zuvor, am 11. September 2001, waren von islamistischen Terroristen zwei amerikanische Passagierflugzeuge entführt und in das World Trade Center in New York gelenkt worden. Auch auf dem Universitätsgelände, das vom Unglücksort etwas entfernt liegt, breitete sich im Andenken an die Opfer wieder Trauerstimmung aus. Mich andererseits begann ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu erfassen, während ich in einem Kellerzimmer der Universität die auf Mikrofilm aufgezeichneten Bilder der von Remarque eigenhändig verfassten Tagebücher auf einem Display erscheinen ließ und Kopien davon machte. Remarque hatte auf ganzen 25 Heftbänden Notizen seines Lebens hinterlassen. Ob ich es wohl schaffen würde, während meines 9-tätigen Aufenthaltes in New York alle Seiten der Tagebücher unter ständiger Beschwichtigung des schlecht gelaunten Kopierers vollständig auf Papier zu bringen? (Das war letztlich unmöglich.) Und würde es mir möglich sein, die Kopien der von Remarque handschriftlich in Deutsch verfassten Texte auch korrekt zu lesen? Zwei Jahre später, im Sommer 2004, änderte ich meine Pläne und flog nach Osnabrück in Deutschland. Am Morgen des 31. August verließ ich mein Hotel und 253

Kunio Adachi

besuchte das Remarque-Zentrum. Ich erfuhr, dass dort Remarques Tagebücher entziffert, über eine Tastatur eingetippt und im Computer gespeichert worden waren. Ich war nun überzeugt, dass es möglich sein würde, Remarques Biographie niederzuschreiben. In den 1960er Jahren hatte ich 4 Jahre lang an der juristischen Fakultät der Staatlichen Universität Osaka studiert. Während des Studiums hatte mich fortwährend die Frage gequält, wie ein Richter beispielsweise in einer Strafsache beurteilen kann, ob der Angeklagte »schuldig« oder »unschuldig« ist. Ein Beispiel stellt der in Algeriens Hauptstadt Algier spielende Roman Der Fremde (L‘Étranger) des französischen Schriftstellers und Literatur-Nobelpreis-Trägers Albert Camus dar. Vor Gericht antwortet dort der Protagonist, vom vorsitzenden Richter nach dem Motiv für den von ihm begangenen Mord befragt, »Schuld an allem ist die Sonne«. Die glutheiße Sonne Algiers habe ihn zum Mord getrieben, antwortet der Beklagte. Aus den Reihen der Zuhörer kam Gelächter auf, aber die Frage ist, ob man die Antwort des Angeklagten als »Unsinn« abtun kann. Auch wenn diese Menschen mit »ja« antworten, obwohl sie »in Wirklichkeit meine ich ›nein‹« denken, so ist es doch auch in der heutigen Zeit mit ihren weit fortgeschrittenen Wissenschaften nicht möglich, in deren Gehirn einzudringen und diese Antwort »nein« aus ihnen herauszuziehen. Um diesem Dilemma zu entgehen, bleibt nichts anderes übrig, als so viel wie nur irgend möglich objektive Fakten zu sammeln, diese genau zu untersuchen und sich damit »uneingeschränkt der Wahrheit zu nähern«. Auch wenn mir bewusst war, dass die von Remarque hinterlassenen Tagebücher das Gerüst der Biographie bilden würden, hatte ich nicht gedacht, dass Remarque die ganze »Wahrheit« erzählt. Was ich tun musste, war die riesige Materialsammlung des Remarque-Zentrums gründlich durchzuarbeiten, gleichzeitig Remarques Werke noch einmal durchzusehen, Materialien von außerhalb des Zentrums einzubeziehen, für Remarque relevante Orte zu besuchen und auf meine eigene Art ein »Bild von Remarque« zu zeichnen. In diesen Tagen ging mir auf, wie tollkühn meine Pläne waren und wie schwierig es werden würde, als Japaner die Biographie eines Ausländers zu schreiben. Ich war Student und etwa im gleichen Alter wie der Protagonist, als ich Remarques Roman Im Westen nichts Neues begegnete. Dieser beklagte die Tragik des Ersten Weltkriegs, also des ersten Akts der modernen Kriege, in die neben Soldaten auch die Zivilbevölkerung verwickelt wurde, nicht mit lauter Stimme. Stattdessen stellte er mit den Augen der jungen Hauptperson, zuweilen auch mit Humor, ganz sanft dieses Elend dar und endete schließlich damit, dass dieser junge Held völlig sinnlos sein Leben an der Front verlor. Dieser Roman bewegte seine Leser und hatte den Stoff, der ihn zu einem Bestseller machte. Übersetzt aus dem Deutschen ins Japanische wurde dieser Roman von Toyokichi Hata (秦豊吉), der 6 Jahre älter als Remarque war und auch Wehrdiensterfahrung hatte. Hata hatte an der juristischen Fakultät der Staatlichen Universität Tokyo deutsches Recht studiert und war auch mit der deutschen Sprache gut ver254

Für Remarque wäre ich der fünfte Japaner gewesen

traut. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er bei einer japanischen Handelsgesellschaft und war ab 1920 sechseinhalb Jahre in Berlin wohnhaft. Auch mit literarischem Talent gesegnet, hat Hata in dieser Zeit Artikel für japanische Zeitschriften verfasst, in denen er über seine Erfahrungen in Berlin berichtete. Die japanische Übersetzung mit dem Titel 西部戦線異状なし wurde vom Verlag in Tokyo (dessen Nachfolger meine Biographie von Remarque veröffentlichte) mit nur 9 Monaten Abstand von der ersten Auflage der deutschen Vorlage am 4. Oktober 1929 auf den Markt gebracht. Der Roman wurde zum Teil dank der hervorragenden Übersetzung durch Hata zum Bestseller und erlebte auch danach zahlreiche Auflagen. Ich habe diesen Roman nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einer sprachlich moderneren, überarbeiteten Fassung der Übersetzung von Hata gelesen. Danach habe ich noch weitere ins Japanische übersetzte Romane von Remarque gelesen (viele von diesen waren von anderen Übersetzern aus der englischen Ausgabe ins Japanische übersetzt worden). Dennoch, damit endete meine Beziehung zu deutschen Romanen. Und dafür, dass sie damit endete, gab es einen Grund: An der Universität mussten wir neben einem Spezialgebiet als allgemeinbildendes Fach zwei Jahre lang eine Fremdsprache außer Englisch studieren, das wir bis dahin schon in den 6 Jahren an der Mittelschule und Oberschule gelernt hatten. Ich hatte Deutsch gewählt. Aber als die Grammatik-Vorlesung des Deutsch lehrenden Professors beendet war, warteten auf uns schreckliche Vorlesungen, in denen andere Professoren uns veranlassten, Gedichte von Friedrich Hölderlin und Romane von Heinrich von Kleist zu lesen. Deutsch war für mich zum Albtraum (Trauma) geworden. Mein Interesse richtete sich damals auf die nordamerikanische Literatur. Japan hatte den Krieg gegen die USA verloren, und der Sieger auf der anderen Seite des Pazifiks leuchtete in blendenden Farben. Als ich in späteren Jahren als Korrespondent eines japanischen Zeitungsverlags, dessen Zentrale in Tokyo lag, von 1983 bis 1989 in Bonn, der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, tätig war, hatte ich einmal Gelegenheit zu einem Interview mit der deutschen Schauspielerin Hanna Schygulla. Schygulla, die der gleichen Generation angehört wie ich, äußerte sich über die USA in gleicher Weise. Unter den amerikanischen Schriftstellern haben mich insbesondere die Werke von William Faulkner fasziniert. Er bekam den Nobelpreis für Literatur und war niemals aktiv an Kriegshandlungen beteiligt, aber hatte doch mit dem Ersten Weltkrieg zu tun. Faulkner versucht in seinen Romanen, die Erzähltechnik des im alltäglichen Leben von der unmittelbar wirkenden Realität abgelösten, unerwartet den Kopf durchfahrenden »Bewusstseinsstroms« des aus Irland stammenden Schriftstellers James Joyce anzuwenden. Tatsächlich kann man dieses Verfahren gelegentlich in Faulkners Werken erkennen. Faulkner hat nicht davor zurückgeschreckt, in das während meines Jura-Studiums als heiliger Bereich angesehene »menschliche Bewusstsein« einzudringen, und dieses experimentelle Verfahren, es in Romanen darzustellen, hat mein Interesse geweckt. 255

Kunio Adachi

Aber zum Leben gehört auch die Ironie der Dinge. Nach Abschluss des Studiums hatte ich bei dem zuvor genannten Zeitungsverlag als Journalist zu arbeiten begonnen. Dafür, dass ich diesen Zeitungsverlag wählte, gibt es Gründe. Der Zeitungsverlag hatte nämlich ein Fortbildungsprogramm für seine Mitarbeiter eingerichtet, in dessen Rahmen jedes Jahr 5 junge Journalisten jeweils für 2 Jahre in die USA, nach Großbritannien, Frankreich, Spanien oder Westdeutschland entsandt wurden. Den ausgewählten Mitarbeitern wurden nicht nur die Kosten des Flugtickets für eine Weltreise und für den Auslandsaufenthalt gezahlt, auch ihr Gehalt war gesichert, und es waren ihnen für die Zeit des Aufenthalts keinerlei Pflichten auferlegt: »Ihr könnt machen, was Ihr wollt.« Das war im Nachkriegsjapan, wo kaum jemand über Devisen verfügte, ein undenkbares und beispielloses System. Ich hatte die Auswahlprüfung bestanden und wünschte mir natürlich die USA als Ziel. Aber bei den Gesprächen mit dem Vorstand des Zeitungsverlags stellte sich heraus, dass in jenem Jahr niemand meiner Kollegen nach Deutschland gehen wollte. So kam es dazu, dass ich, der ja in der Studienzeit etwas Deutsch gelernt hatte, an der Reihe war. Mein Aufenthalt in Deutschland begann 1966 und dauerte zwei Jahre. Ein halbes Jahr davon verbrachte ich in den Deutsch-für-Ausländer-Kursen am Goethe-Institut und lernte die deutsche Sprache noch einmal neu. Danach war ich als Gasthörer an der Universität Köln eingeschrieben, aber in den späten 1960er Jahren kam es weltweit zur Rebellion der jungen Leute gegen die autoritäre Haltung der älteren Generation, und auch die Bildungseinrichtungen in Deutschland wurden von dem Durcheinander erfasst. Daher verwandte ich viel Zeit darauf, mich außer in Deutschland auch in den anderen westeuropäischen Ländern umzusehen (was die osteuropäischen Staaten angeht, so habe ich in meiner späteren Zeit als Korrespondent in Bonn die damalige Sowjetunion und weitere Staaten besucht). Überdies gab es auch Aufenthalte in Großbritannien und Frankreich, wo ich Sprachschulen besuchte, um Englisch und Französisch zu lernen. Mit diesen Erfahrungen bin ich in späteren Jahren als Zeitungskorrespondent nach Bonn gekommen. Mein »Wiedersehen mit Remarque« fand am 17. Juni 1988 in meiner Korrespondentenzeit in Bonn statt. An diesem Morgen las ich in meinem Büro die Frankfurter Allgemeine Zeitung und stieß im Feuilleton auf einen Artikel mit der Überschrift: »Ausstellung in Osnabrück: Erich Maria Remarque«. Der Artikel besagte, dass als ein Punkt des Veranstaltungsprogramms zum 90. Jahrestag der Geburt des Schriftstellers bis zum 29. Juni Materialien und Fotos von Remarque in seinem Geburtsort Osnabrück der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. Meine Erinnerung an die Lektüre von Im Westen nichts Neues kam zurück. Am 27. Juni fuhr ich mit der Bahn von Bonn gen Hannover. Ich wollte von der am 28. beginnenden Gipfelkonferenz der damaligen EG berichten. Auf dem Weg dorthin stieg ich in Osnabrück aus. Mit dem Taxi ging es zur Abendgalerie an der Bocksmauer, wo ich mir die dort veranstaltete Remarque-Ausstellung 256

Für Remarque wäre ich der fünfte Japaner gewesen

ansah. Ich stieß dort auf ein Foto von Remarques zweiter Schwester Elfriede aus der Zeit ihrer Kindheit. Es war in einer Ecke der Ausstellungshalle an der Wand aufgehängt. Von der Hinrichtung seiner Schwester durch die Nazis habe ich erst in dem FAZ-Artikel erfahren. Nach meiner Heimkehr im Juni 1992 erschien bei einem anderen großen Verlag in Tokyo ein Sachbuch, für das mir ein japanischer Literaturpreis verliehen wurde. Es stellt dar, wie die Westdeutschen nach dem Krieg einen harten Kampf zur Überwindung ihrer Nazi-Vergangenheit ausfechten und zu welchen Wirren es in dieser Zeit kam. In dem Buch komme ich auch auf Remarque und Elfriede zu sprechen. Seit dieser Zeit trage ich in mir eine drängende Frage herum, schwer wie ein Tumor: Wann hat Remarque vom Tod seiner Schwester erfahren? 1995 gab ich vorzeitig meine Tätigkeit beim Tokyoter Zeitungsverlag auf und wurde als Professor für Vorlesungen über Internationale Beziehungen an eine Universität einer traditionsreichen alten Stadt in der Nähe Okayamas berufen. Zeitlich hatte ich viel Freiraum gewonnen, aber ich brauchte auch einige Zeit, um mich an die neue Umgebung anzupassen. Die Antwort auf meine Frage sollte ich nicht bekommen, bis ich am Morgen des 31. August 2004 an der Tür des Remarque-Zentrums in Osnabrück klingelte. Über mein Buch, die erste Remarque Biographie in Japan, hatte ein Rezensent in einer Zeitschrift geschrieben »in der Biographie des durch Im Westen nichts Neues aufgestiegenen Remarque bekommt die ›Liebe‹ ein Gewicht, welches das Gewicht von ›Politik‹ und ›Literatur‹ weit übersteigt.« Auch meine Freunde und Bekannten waren angesichts der ihnen durch die Lektüre der Biographie erstmals bekannt gewordenen, hinreißenden Frauengeschichten von Remarque ausnahmslos verblüfft. Ich hatte erwartet, dass es zu solchen Einschätzungen und Eindrücken kommen würde. Daher hatte ich in der Biographie angedeutet, bezüglich Remarques Frauengeschichten gäbe es auch die Möglichkeit, dass es in seiner Kindheit zu seelischen Narben gekommen sei, weil seine Mutter, die sich stets um den kränklichen älteren Bruder auf ihrem Schoß kümmern musste, ihm nur wenig Aufmerksamkeit schenken konnte und dies zu den Frauengeschichten führte. Ich hatte auch nicht vergessen, im Nachwort der Biographie insbesondere folgendes zu erwähnen: Es muss berücksichtigt werden, dass Remarques Beziehungen zu Frauen nicht die eines Don Juan waren. Als Beweis dafür kann man Remarques Verhalten verstehen, der seine geschiedene Frau erneut heiratet, um sie davor zu schützen, in die Fänge der Nazis zu geraten. Wenn man jemanden als Feminist verstehen darf, der sich gut in die Lage von Frauen hineinversetzen kann, dann ist Remarque nun wirklich ein Feminist.

Da ich mich bemüht habe, das Leben eines Menschen von Geburt bis zum Tod in diesem einen Buch nachzuzeichnen, habe ich mich beim Schreiben mit Kritik 257

Kunio Adachi

zurückgehalten, aber die folgenden zwei Punkte, die mir dabei durch den Kopf gegangen sind, möchte ich besonders hervorheben. Auch in Deutschland (und übrigens auch in Japan) gibt es die Kategorien Belletristik und Unterhaltungsliteratur und die Auffassung »die Belletristik steht über der Unterhaltungsliteratur«. Das kann man etwa im Zusammenhang mit dem Exil-Schriftsteller Thomas Mann und Remarque erkennen. Zum Beispiel wurde ein Student, der an einer japanischen Universität deutsche Literatur als Hauptfach gewählt hatte, von seinem Professor angewiesen, er solle ein »Werk von Thomas Mann« nehmen, als er ihn wissen ließ, er wolle als Thema seiner Abschlussarbeit einen Roman von Remarque behandeln. Ist es aber nicht so, dass ein Roman, der im Herzen der Leser in irgendeiner Form verbleibt oder sie dazu bringt, gelegentlich über ihre eigene Lebensweise nachzudenken, seine Rolle hinreichend erfüllt hat? Das nächste ist das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, wenn ein Schriftsteller, der vom Umgang mit der Sprache lebt, plötzlich seine Heimat verlassen muss. Sprache ist die »Grundlage der Kultur« einer Nation (oder Landes). Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit eines Romanschriftstellers, der in einer fremden Kultur leben muss, kann man aus Remarques Tagebuch erahnen. Als ich in einem Kreis japanischer Intellektueller diese Frage aufwarf, war deren Antwort: »Wenn man einen japanischen Schriftsteller plötzlich in der kulturellen Fremde aussetzt, wird er sicher nicht lange überleben.« In Berlin lebt die japanische Schriftstellerin Yoko Tawada, die ihre Romane auf Japanisch oder auch auf Deutsch schreibt und dort auch mit dem Kleist-Preis für Literatur ausgezeichnet wurde. Das, so wird man wohl sagen können, wurde erst dadurch möglich, dass sie schon eine lange Zeit in Deutschland lebt und die dortige Kultur unwillkürlich in sich aufgesogen und verdaut hat und dies Hand in Hand mit ihrem literarischen Talent ging. Es wird im heutigen Japan wahrscheinlich keine Japaner gegeben haben, die bei der Lektüre meiner Remarque-Biographie an die Tragödie der deutschen Schriftsteller denken, die sich in der Fremde das Leben genommen haben, und sich dabei fragen, wie das gesellschaftliche System in der eigenen Heimat aussehen soll oder wie man es schützen kann. Im August 2007 landete ich auf dem Frankfurter Flughafen und, statt den direkten Weg nach Osnabrück zu nehmen, fuhr ich zunächst mit der Bahn nach Porto Ronco in der Schweiz. Ich besuchte am nächsten Tag die Villa, in der einst Remarque gelebt hatte. Bei meinem Besuch war die Villa im Besitz eines jungen Ehepaares, das einen Sohn hatte. Der Mann war Amerikaner, die Frau Britin und die Familie hatte früher im Zusammenhang mit deren Tätigkeit bei einem ITUnternehmen in Tokyo gelebt. Somit fiel es, nachdem ich erzählt hatte, worum es ging, der Ehefrau leichter, den unangemeldet auftauchenden Besucher für eine Besichtigung ins Haus und in den Garten zu lassen, obwohl sie ganz allein zuhause war. 258

Für Remarque wäre ich der fünfte Japaner gewesen

Toyokichi Hata, der Übersetzer von Im Westen nichts Neues war 74 Jahre zuvor, im Mai 1933, hier gewesen. Ich drückte wie Hata damals die niedrigen Torflügel am Straßenrand auf (Hata spricht in seinen Erinnerungen von »einem Eisentor«, aber bei meinem Besuch war es aus Holz) und ging den steinernen Stufen folgend hinunter. Am Ende der Steintreppe gab es einen Platz, der mit flachen Steinen ausgelegt war. Von dort führte eine weiße Treppe aus Beton nach oben und endete an der Terrasse. Als ich die Tür an der Terrasse öffnete, erreichte ich das große Wohnzimmer mit dem Kamin. Ich trat ein und stellte fest, dass – wenig überraschend – auf dem Vorsprung über dem Kamin die Sammlungsstücke von Remarque wie der antike griechische Krug aus Terrakotta, die alten chinesischen Statuetten von Musikerinnen und auch die antike ägyptische Katzenfigur nicht mehr vorhanden waren, und auch nicht die Gestalt von Remarque, der in lebhafter Weise auf Hatas Fragen antwortete und ihn zu einem Glas einlud. Draußen legte ich meine Hand auf das metallene Geländer an der Terrasse, und während ich meinen Blick auf die die Sommersonne spiegelnde Wasseroberfläche des Lago Maggiore warf, überkam mich das Gefühl eines leichten Bedauerns. Außer Hata waren drei japanische Journalisten Remarque jeweils in Berlin, Mexiko City beziehungsweise New York begegnet und hatten ihn interviewt. Wenn ich in der Zeit meines Aufenthaltes in Deutschland in den 1960er Jahren ihm hier einen Besuch abgestattet hätte, wäre ich vielleicht der fünfte Japaner gewesen, der ihm begegnete…

Aus dem Japanischen von Midori Mondon

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Aus Erich Maria Remarques Schallplattensammlung: Ludwig van Beethoven. III. Symphonie, Es-dur »Eroica«. Philharmonisches Orchester Berlin, Dirigent Hans Pfitzner. Berlin: Deutsche Grammophon, 1929.

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Heinrich Placke

Das Jahr 2020: Remarque und Beethoven1

Das Jahr 2020 ist ein Remarque-Jahr; der Verfasser von Im Westen nichts Neues ist vor fünfzig Jahren gestorben. Gleichzeitig feiert die gesamte Kulturwelt global die zweihundertfünfzigste Wiederkehr des Geburtsjahres eines weiteren weltbekannten deutschen Künstlers von ganz anderem Kaliber, das von Ludwig van Beethoven. Es ist also naheliegend, nach der Sicht Remarques auf Beethoven zu forschen. Wenn man das Thema Remarque und Beethoven aufgreifen will, fängt man am einfachsten mit dem Ende des Romans Der schwarze Obelisk (1956) an. Dort wird ein Lied gesungen, das folgenden Text hat: Heil’ge Nacht, o gieße du Himmelsfrieden in dies Herz – Schenk dem müden Pilger Ruh, holde Labung seinem Schmerz Hell schon erglühn die Sterne, leuchten in blauer Ferne – Möchte mit dir ziehn – himmelwärts.

Der Text von Friedrich von Matthisson (1761–1831) trägt ursprünglich den Titel Hymne an die Nacht. Den musikalischen Ideen liegt ein Thema aus dem 2. Satz

1 Kurze Vorbemerkung zum Familiennamen »van Beethoven«: Ludwig ist der Spross einer alten Musikerfamilie, die aus Zutphen im niederländischen Geldern zugezogen war. Der Name ist also niederländisch (niederfränkisch) und nicht niederdeutsch (niedersächsisch). Streng genommen könnte man Ludwig also als einen Deutschen mit Migrationshintergrund bezeichnen. Aber sowohl die sprachlichen als auch die regionalen Unterschiede sind unerheblich. Vgl. Kirsten Jüngling. Beethoven. Der Mensch hinter dem Mythos. Berlin: Propyläen, 2019, 13.

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Heinrich Placke

der Appassionata von Ludwig van Beethoven zugrunde, das im 19. Jahrhundert mehrfach bearbeitet wurde. Die hier vorgetragene Fassung für vierstimmigen Männerchor stammt von Ignaz Heim und wurde 1862 unter dem Titel Heilige Nacht veröffentlicht.2 In Remarques Briefen und Tagebüchern findet sich ein knappes Dutzend Erwähnungen des Namens Beethoven, so in einem Artikel über den Arbeiterdichter Gerrit Engelke (1890–1918).3 In einem Brief an ein Fräulein Mimi vom 18. Februar 1919 kommt zur Sprache, dass Remarque eine Beethovenmaske in seiner Wohnung anschaut, sodann heißt es in einem Brief an Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel in New York vom November 1942 etwas mysteriös: Liebe Freunde, man greift nicht nach den Sternen, nicht gerade von Beethoven, aber geliebt trotzdem, obschon dem Inhalt nach verachtet, und schließlich war es ja auch vier Uhr früh –4

Auch in Remarques Tagebüchern5 wird Beethoven mehrmals erwähnt, so in Duisburg am 20. August 1918: Auf dem Ofen brutzelten die Bratäpfel, und ihr Duft zog lieblich durchs Zimmer und umwehte und verschönerte fast auch den ehernen Beethoven in seiner Ecke. Ja, die Beethovenecke. Fritzens Bild »Frühlingssonate«, die wunderbare Radierung, die braunen Tänzer, die Totenmaske mit dem sie umwachsenden Immergrün, und die Blumen, das Opfer, – das ist das wesentliche der Beethovenecke –

Tagebuchnotiz vom 22. Januar 1939: »Vormittags Konzert Beethoven, Chopin, Grieg. Bilder angesehen in heiterer Luft. Sie leuchteten, besonders der Cézanne u. die Degas-Tänzerinnen.« Am 22. Dezember 1939 notiert Remarque in Los Angeles in seinem Tagebuch: »Gestern Platten gekauft. Violinkonzert u. Es-Dur-Klavierkonzert Beethoven. Heimat.« Am Sonntag, 15. Januar 1950 heißt es: »Abends, spät, etwas in Goethes Briefen. Die andere Welt. Man muss in America mehr Mühe aufwenden, eine Basis zu halten, als in Europa. Was drüben selbstverständlich ist, – dafür muss man hier kämpfen. […] Radio, WQXR, spielt 5. Klavierkonzert von Beethoven.« Notiz im Tagebuch vom 23. November 1950 in New York: »Hörte gestern Stück von Schumanns Karneval. Erinnerte mich an Hakenstr.: das Klavier; Noten; Schubert, Beethoven, Schumann; –«. Sodann eine Tagebuchnotiz vom Sonntag, 18. Oktober 1964 in Florenz; sie handelt von jemandem, der sein

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https://de.wikipedia.org/wiki/Hymne_an_die_Nacht_(Beethoven). Erich Maria Remarque. Das unbekannte Werk. Bd. 4. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 50. Alle Zitate nach Remarque, Bd. 5. Alle Zitate nach Remarque, Das unbekannte Werk.

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Remarque und Beethoven

Gedächtnis verliert: »Wie er sich nicht mehr erinnern kann an Namen in der Musik, die er hört: Ist es von Beethoven, Chopin, Debussy, Ravel, –[...]«. Aber das ist noch nicht alles. In Remarques Roman Der schwarze Obelisk6 gibt es ein Gespräch des Protagonisten mit dem Pferdeschlächter Watzek, der Bodmer fast abgestochen hätte, weil er der irrigen Meinung war, seine attraktive Frau Lisa, die gerne mal fremdgeht, betrüge ihn mit diesem Grabsteinhändler; in Wirklichkeit betrügt sie ihn mit dem anderen Grabsteinhändler. Watzek bringt in seiner Unterhaltung mit Bodmer zum Ausdruck, dass er sich gesellschaftlich herabgesetzt fühlt. Aber auch Bodmer, der nur über eine gewendete und gefärbte Uniform verfügt, kann keinen Staat machen. Darauf Watzek erstaunt: »Da sind wir ja fast sowas wie Brüder. [...]« »Ich habe mal irgendwo gelesen, alle Menschen wären Brüder. […] Und wir hätten uns fast erschlagen[…]« »Das tun Brüder häufig.« (505)

Das ist eine handfeste Anspielung auf Schillers Ode An die Freude, die Beethoven bekanntlich im Schlusssatz seiner Neunten Sinfonie vertont hat: Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische Dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder Was die Mode streng geteilt Alle Menschen werden Brüder Wo dein sanfter Flügel weilt.6

Im Kapitel 15 von Remarques KZ-Roman Der Funke Leben wird ein alliierter Bombenangriff auf die Stadt Mellern (der Name setzt sich aus denjenigen der Osnabrück benachbarten Orte Melle und Hellern zusammen) geschildert. Währenddessen spielt irgendwo jemand bei geöffnetem Fenster Klavier; man weiß nicht recht weshalb. Einige KZ-Häftlinge, die die Straßen vom Bombenschutt reinigen sollen, dürfen während des Angriffs wegen Fluchtgefahr nicht in Deckung ge-

6 Der leichteren Erreichbarkeit wegen werden die Seitenzahlen der jüngsten Ausgaben der zur Diskussion stehenden Romane angegeben: Erich Maria Remarque. Der Funke Leben. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018 (Ersterscheinungsjahr 1952), und Erich Maria Remarque. Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018 (Ersterscheinungsjahr 1956). 7 Walter Urbanek (Hg.). Lyrische Signaturen. 5. Aufl. Bamberg: c. c. buchners verlag, [o.J.], 145.

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Heinrich Placke

hen und werden von der SS aus Kellerfenstern mit MGs bedroht. Einer der KZHäftlinge, Werner, jetzt einer der Untergrundführer im Lager, erkennt, was da erklingt: Es ist der Chor der Gefangenen8 aus Beethovens Oper Fidelio, der Chor derjenigen Gefangenen, die gerettet werden: O welche Lust, in freier Luft Den Atem leicht zu heben! Nur hier, nur hier ist Leben, der Kerker eine Gruft.9

Und Werner begreift, dass das ein solidarischer Gruß ist. Andere verstehen dagegen nichts: »Die SS grinste. Einer tippte sich auf die Stirn.« (303) Man kann also sagen, dass Beethoven Remarque nie aus dem Blickfeld entschwunden ist. Wer aber ist nun Werner? »[…] Tüchtig. Kommunist. Theoretiker und Fanatiker seiner Partei ohne Privatleben und ohne Humor […].« (FL 390) Er ist also wahrhaftig kein Sympathieträger. Trotzdem ist er derjenige, den Remarque Beethovens »Chor der Gefangenen« aus Fidelio erkennen lässt, und es ist nicht 509, der sich »[…]. Für Menschlichkeit, Toleranz und das Recht des Einzelnen auf eine eigene Meinung einsetzt. […].« (FL 390) Es wäre sonst wohl auch zu schön, um nicht kitschig zu sein. Trotzdem wird Werner letztlich abgebürstet: [Werner:] »Wir werden unsere Kriege gewinnen. Wir führen sie anders. Von innen.« »Ja, von innen und nach innen. Ihr könnt die Lager hier gleich behalten. Und sie füllen.«

8 Um Verwechselungen vorzubeugen sei hier darauf hingewiesen, dass es zwei berühmte Gefangenenchöre gibt. Der eine ist von Giuseppe Verdi und entstammt der Oper Nabucco (1842) und beginnt mit den Worten »Va Pensiero« (Geh, Gedanke). Dieser beschäftigt sich mit der Babylonischen Gefangenschaft der Hebräer (722 vor Chr. bis 538 vor Chr.), vgl. hierzu das Spiritual »Let my people go!«. Verdi hat die Babylonische Gefangenschaft der Hebräer quasi als Mythos betrachtet, war aber keinesfalls ein Vertreter von Aufklärung und Humanismus, sondern vielmehr ein Symbol des Risorgimento und der Irredenta. Sein Name wurde als Akronym gedeutet und aufgelöst in »Vittorio Emanuele Re d’Italia«. Verdi war italienischer Nationalist, ein Vertreter des Risorgimento (nationale Einigung von 1815 bis 1871) und der Irredenta, der unerlösten, also unter Fremdherrschaft, z.B. des Kirchenstaats, stehenden Gebiete Italiens. Für die Rechte der bedrängten Juden hat er sich niemals eingesetzt. Um den Gefangenenchor aus Nabucco kann es also nicht gehen. Ganz anders verhält es sich mit dem Gefangenenchor in Beethovens Oper Fidelio (1814). Siehe hierzu den einschlägigen Artikel in Das Große Fischerlexikon in Farbe Bd. 10 Kea – Kynthos. Frankfurt am Main 1975/1976, 3233f. 9 Ludwig van Beethoven. Fidelio. Text und Erläuterungen zum vollen Verständnis des Werkes. München: Wilhelm Goldmann, 1979, 91.

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Remarque und Beethoven

»Das können wir«, sagte Werner völlig ernst. »Warum kommst du nicht zu uns?« wiederholte er dann. »Genau deshalb nicht. Wenn du draußen an die Macht kämst, würdest du mich liquidieren lassen. Ich dich nicht. Das ist der Grund.« (409)

An anderer Stelle stellt sich der unter der Nummer 509 bekannte Häftling vor: »›Ich heiße Koller‹, sagte er abwesend, ›Friedrich Koller.‹« (274) »Vor 1933 war ich Redakteur an einer Zeitung. Wir haben oft diskutiert. Und ich habe seine [Werners] Partei oft angegriffen. Seine Partei und die Nazis. Wir waren gegen beide.«10 »Und wofür wart ihr?« »Für etwas, das jetzt [im KZ] ziemlich pompös und lächerlich klingt. Für Menschlichkeit, Toleranz und das Recht des Einzelnen auf eine eigene Meinung. Komisch, was?« (390)

Man kann jedenfalls sagen, dass Remarque Beethoven stets konzentriert im Blickfeld hatte.

10 Vgl. Hannah Arendt, The Origins of Totalitarism, 1951, deutsch Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, 1955.

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BeiträgerInnen und HerausgeberInnen dieses Bandes

Kunio Adachi; Journalist und Autor einer in Japan veröffentlichten Biografie Remarques, er lebt in Okayama (Japan). Vanuhi Baghmanyan; Dr. phil.; ist literarische Übersetzerin u.a. von Werken Remarques und lebt in Eriwan (Armenien). Alice Cadeddu, M.A.; studierte Europäische Literatur und Kulturwissenschaften an der Universität Osnabrück und ist Mitarbeiterin am Erich Maria ­Remarque-Friedens­zen­trum, Universität Osnabrück (Deutschland). Ana R. Calero Valera; Prof. Dr. titular; lehrt deutsche Philologie an der Universidad Valencia und ist dort Vicedegana d’Internacionalització i Innovació der Facultat de Filologia, Traducció i Comunicació (Spanien). Renata Dampc-Jarosz; Prof. Dr. habil; ist Germanistin und Dekanin des Instytut Filologii Germańskiej der Uniwersytet Śląski in Sosnowiec/Katowice (Polen). Virginia Gallardo; ist Herausgeberin und Schriftstellerin und lebt in Buenos Aires. 2011 erhielt sie den Premio Casa de las Américas für ihr Buch El Porvenir. Emad Ghanim; Dr. phil.; ist Journalist bei der Deutschen Welle sowie literarischer Übersetzer und arbeitet als Berater an germanistischen Fakultäten verschiedener Universitäten im Irak. Marc Hieger; OStR; ist Germanist und lehrt an der Deutschen Schule/Colégio Alemán in Santa Cruz de la Sierra (Bolivien). Claudia Junk, M.A.; studierte Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Osnabrück und ist Mitarbeiterin am Erich Maria Remarque-Friedens­ zentrum, Universität Osnabrück (Deutschland). 267

BeiträgerInnen und HerausgeberInnen

Bernhard Arnold Kruse; Prof. Dr.; lehrt deutsche Literatur am Dipartimento di Studi Umanistici der Università di Napoli ›Federico II‹ (Italien). Elena Narbut; Prof. Dr. phil.; ist Germanistin und Dekanin der Fakultät für Fremdsprachen an der Staatlichen Nordöstlichen Universität in Magadan (Russland). Alexandra Nicolaescu; Dr. phil.; ist Germanistin und promovierte mit einer Arbeit zu Remarque, sie lehrt an der Facultatea de Limbi și Literaturi Străine der Universitatea din București sowie am Goethe-Institut in Bukarest (Rumänien). Mariana Parvanova-Brett; Dr. phil.; studierte Germanistik in Bulgarien und Berlin und ist Inhaberin der Maripar Team GmbH für Bildungsmanagement in München (Deutschland). Heinrich Placke; Dr. phil.; promovierte mit einer Arbeit zu den Romanen Remarques aus den 1950er Jahren und lebt in Osnabrück (Deutschland). Oleg E. Pokhalenkov; Dr. phil; lehrt Germanistik an der Universität Smolensk (Russland). Sebastian Ritscher; Lic. phil.; studierte Anglistik an der Universität Zürich und ist seit 2013 Inhaber und Geschäftsführer der Literaturagentur Mohrbooks in Zürich (Schweiz). Thomas F. Schneider; Dr. phil. habil.; ist Leiter des Erich Maria ­Remarque-Friedens­zen­trums, Universität Osnabrück, und lehrt dort sowie an der Universität der Bundeswehr München (Deutschland). Swen Steinberg; Dr. phil.; forscht und lehrt als Postdoctoral Fellow und Assistant Professor am De­partment of History der Queen’s University in Kingston/ Ontario (Kanada), zugleich Affiliated Scholar des Deutschen Historischen Instituts Washington/DC mit seinem Pacific Regional Office an der University of California in Berkeley (USA). Uwe Zagratzki; Prof. Dr.; ist Anglist mit Schwerpunkt Kanada und Schottland und war bis zu seiner Emeritierung 2019 Professor for Anglophone Literatures and Cultures und Chair of Literature am Institute of English an der Uniwersytet Szczecin (Polen).

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