Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf“ 9783515115018

Das Auslaufen der Urheberrechte an Hitlers Mein Kampf Ende 2015 rückte diesen zentralen Text des Nationalsozialismus ver

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German Pages 174 [178] Year 2016

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
VORBEMERKUNG
DOKUMENT I: DIE BIBEL DER DEUTSCHEN FASCHISTEN
Einleitung
Anmerkungen zur Edition
Dokument
DOKUMENT II: DIE IDEOLOGISCHEN GRUNDLAGEN DES NATIONALSOZIALISMUS
Einleitung
Anmerkungen zur Edition
Dokument
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENVERZEICHNIS
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Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf“
 9783515115018

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BKG - Band 29

Othmar Plöckinger (Hg.)

Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf “

Geschichte Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Kommunikationsgeschichte - Band 29

Othmar Plöckinger (Hg.) Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf“

beiträge zur kommunikationsgeschichte Herausgegeben von Bernd Sösemann Band 29

Othmar Plöckinger (Hg.)

Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf“

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11501-8 (Print) ISBN 978-3-515-11502-5 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort.......................................................................................................................... 7 Vorbemerkungen ........................................................................................................... 9 Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten .............................................................................11 Einleitung .................................................................................................................... 13 Anmerkungen zur Edition ........................................................................................... 14 Dokument.................................................................................................................... 17 Dokument II: Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus ........................................... 75 Einleitung .................................................................................................................... 77 Anmerkungen zur Edition ........................................................................................... 79 Dokument.................................................................................................................... 83 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 163 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 164 Personenverzeichnis .................................................................................................. 173

VORWORT Der vorliegende Band ist als Ergänzung zur Edition Quellen und Dokumente zur Geschichte von „Mein Kampf“. 1924–1945 zu sehen. Sie ist Ende 2015 erschienen und enthält die wichtigsten Dokumente zur Geschichte von Hitlers Buch in Deutschland. Verschiedene Umstände verzögerten immer wieder die Beschaffung der beiden nun vorgelegten Dokumente aus Moskau und dem Vatikan. Ohne die Unterstützung von Dr. Valery Brun-Zechowoj (Moskau) und Rosmarie Costanzo (Salzburg) wäre sie noch schwieriger oder gar unmöglich gewesen. Ihnen gilt daher mein Dank für ihre Bemühungen. Einmal mehr konnte ich mich dankenswerterweise auf die kritische Durchsicht des Manuskripts und der Druckfahnen durch Dr. Martin Moll (Graz) und Dr. Roman Töppel (München) verlassen. Die vor einigen Jahren begründete wissenschaftliche Kooperation zwischen dem Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin (Forschungsstelle AKiP) und mir führte im Frühjahr 2015 zu Vereinbarungen mit dem Russischen Staatlichen Archiv für Sozialpolitische Geschichte, Moskau, und dem Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Vatikanstadt, die letztlich in der hier vorgelegten Edition mündeten. Daher gilt mein Dank erneut Univ.-Prof. Dr. Bernd Sösemann, Leiter der Forschungsstelle AKiP, der auch diesen Band in seine Schriftenreihe beim Verlag Franz Steiner in Stuttgart aufgenommen hat. Gewidmet ist diese Edition meinem Vater. Über Jahrzehnte hinweg hat er meine wissenschaftliche Arbeit mit großem Interesse, unerschöpflicher Neugier und kritischen Fragen begleitet. Leider durfte er die Fertigstellung dieses Buches nicht mehr erleben. Salzburg, im Juli 2016

VORBEMERKUNG Wie schon in Deutschland vor 1933 ist die Beschäftigung mit Mein Kampf auch im Ausland als Teil der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus insgesamt zu sehen. Nicht selten spiegelten sich in den Analysen von Mein Kampf die Haltungen und Einstellungen der Analysten, ihre Interessen und Absichten in einem beträchtlichen Ausmaß wider. Dies gilt auch und gerade für die beiden in dieser Edition präsentierten Dokumente. Anders als in Großbritannien, den USA oder Frankreich, wo es nicht nur staatliche Analysen und für die Bevölkerung zugängliche Übersetzungen von Hitlers Buch, sondern auch zum Teil sehr heftige öffentliche Debatten darüber gab, war Ähnliches für den Vatikan und die Sowjetunion ausgeschlossen. Die Beschäftigung mit Mein Kampf blieb dort auf eine kleine Gruppe beschränkt, die freilich von entscheidender Bedeutung war. Entsprechend großes Gewicht kommt den dabei entstandenen Unterlagen und Texten zu, die der Forschung bisher nur schwer zugänglich waren.1 Ausgangslange und Zielsetzung der beiden Analysen sind denkbar unterschiedlich. Auf die ideologischen Diskrepanzen braucht nicht weiter eingegangen werden. Aber auch in anderen Punkten unterscheiden sie sich deutlich. Der Studie aus dem Vatikan über „Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus“ dient Mein Kampf als zentrale, aber keineswegs ausschließliche Basis. Auch liegt der Fokus auf dem nationalsozialistischen Rassismus und seinen Folgen für die Staats- und Rechtsauffassung des Nationalsozialismus. In Grigori Sinowjews „Die Bibel der deutschen Faschisten“ hingegen steht tatsächlich Hitlers Buch im Zentrum. Der Schwerpunkt seiner Darlegungen liegt darüber hinaus auf dem politischen Bereich, auf dem Verhältnis der Arbeiterbewegung zum Nationalsozialismus, den Sinowjew der kommunistischen Faschismustheorie entsprechend als Speerspitze des Kapitals im Kampf gegen die Arbeiterklasse betrachtet. Gemeinsam ist den beiden Dokumenten jedoch, dass der Antisemitismus kaum eine Rolle spielt. Nur das Dokument aus Moskau trägt einen Titel. Die verwendete Bezeichnung „Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus“ für das Dokument aus dem Vatikan ist daher eine Ergänzung des Editors.

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Vgl. den Überblick in: Plöckinger, Rezeption, S. 11–44.

DOKUMENT I: DIE BIBEL DER DEUTSCHEN FASCHISTEN

EINLEITUNG In Deutschland ist es von kommunistischer Seite selten zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit Mein Kampf gekommen. Eine wesentliche Ursache dafür war, dass der Nationalsozialismus nicht als Weltanschauung, sondern im Sinne der kommunistischen „Sozialfaschismus-These“ lediglich als Speerspitze der Sozialdemokratie und des Kapitals gegen die Arbeiterbewegung gesehen wurde. Hitlers Buch tauchte erst ab Ende 1931 gelegentlich in tagespolitischen Auseinandersetzungen auf, umfangreichere Darstellungen blieben jedoch die Ausnahme.1 Zu nennen sind dabei etwa die Rezension des Buches in der bayerischen Neuen Zeitung vom August 1925 oder Theodor Neubauers Analyse „Die auswärtige Politik des deutschen Nationalsozialismus“, die im Mai 1932 in der kommunistischen Internationalen Pressekorrespondenz (Inprekorr) erschien und weite Verbreitung fand.2 Die im Frühjahr und Sommer 1932 von der KPD in Verbindung mit der Kommunistischen Internationale (Komintern) eingeleitete „Antifaschistische Aktion“, die einen verschärften Kampf gegen die erstarkende NSDAP und eine Annäherung an die SPD vorsah, war nur von kurzer Dauer und änderte nichts daran. Diese Aktion wurde auf dem XII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) in Moskau am 12. September 1932 wieder zurückgenommen und durch eine erneute Konzentration auf den Kampf gegen die SPD als „Hauptstütze der Bourgeoisie“ ersetzt.3 An eine Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten glaubten die sowjetischen Führung und damit die Komintern bis zuletzt nicht.4 Dass sich in dieser Zeit Sinowjew um eine Übersetzung von Hitlers Buch bemühte, erscheint daher bemerkenswert. Grigori Jewsejewitsch Sinowjew (1883–1936) zählte zu den führenden Aktivisten der russischen Oktoberrevolution 1917 und zu den engsten Mitarbeitern Lenins. In den 1920er Jahren stieg er zum Leiter der Kommunistischen Internationale auf, verlor nach Lenins Tod Anfang 1924 jedoch rasch an Einfluss und wurde Ende der 1920er Jahre von Stalin entmachtet und schließlich 1936 hingerichtet.5 Sinowjew war 1932 in die Entstehung des „Bundes der Marxisten-Leninisten“ involviert, der wiederum mit der „Rjutin-Gruppe“ (benannt nach Martemjan Nikititsch Rjutin) in Verbindung stand, die sich gegen die Kollektivierungspolitik wandte und eine gewaltsame Beseitigung Stalins forderte. Im Herbst 1932 wurden diese Gruppen zerschlagen, Sinowjew in die Verbannung nach Kustanaj geschickt.6 Vor seiner Abreise 1 2 3 4 5 6

Vgl. Plöckinger, Geschichte, S. 381–389. Vgl. Plöckinger (Hg.), Quellen, S. 186–189, 521–528. Vgl. Luks, Entstehung, S. 153–157; Luks, Geschichte, S. 281 f.; Weber, Verhältnis, S. 94–99. Vgl. Luks, Entstehung, S. 157–161; Luks, Geschichte, S. 283 f. Vgl. Weber, Internationale, S. 381; Huber, Führungskorps, S. 197–200. Vgl. Rogowin, Kriegskommunismus, S. 316–321; Weber/Drabkin/Bayerlein (Hg.), Deutschland, Bd. II/1, S. 892–895. Beim Schauprozess gegen Sinowjew und zahlreiche andere Mitglieder des „Trotzkistisch-Sinowjewistischen terroristischen Zentrums“ im August 1936 wurde der Herbst 1932 als Zeitpunkt genannt, an dem diese neue Vereinigung zustande gekommen sei, wenngleich sie durch das Exil von Sinowjew und anderen in ihrer Tätigkeit zunächst beeinträchtigt gewesen wäre (vgl. Volks-

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

ins Exil hatte er sich mit dem sowjetischen „Staatsverlag für sozialökonomische Literatur“ darauf verständigt, eine Übersetzung von Mein Kampf anzufertigen, da er über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügte. Sie ist als Teil von Sinowjews Bemühungen zu sehen, sich zu rehabilitieren und wieder in die Partei aufgenommen zu werden. Die Arbeit an der Übersetzung der beiden Bände dauerte bis etwa März 1933, die Endfassung lag etwa im Juli 1933 vor.7 Welche Verbreitung die mit gelegentlichen Anmerkungen versehene Druckfassung gefunden hat, lässt sich nur vermuten. So ist das Exemplar von Michail Iwanowitsch Kalinin, bis 1946 formell Staatsoberhaupt der UdSSR, erhalten geblieben. Ob sich auch Stalins Exemplar erhalten hat, ist ebenso unklar wie die Fragen, wann und wie weit sich Stalin mit Hitlers Buch beschäftigt und wie er es letztlich beurteilt hat.8 Einerseits wird gerade für die Zeit im Vorfeld des Hitler-Stalin-Paktes 1939 über eine intensive Lektüre des Buches spekuliert.9 Auch Nikita Chruschtschow will sich spätestens in dieser Zeit mit der russischen Übersetzung von Mein Kampf beschäftigt haben.10 Andererseits wird in Verbindung mit Stalins Militärpolitik in den 1930er Jahren darauf verwiesen, er hätte Hitlers Buch nicht ernst genommen.11 Sinowjew war die Bedeutung des Buches klar. Denn parallel zu seiner Übersetzung verfasste er auch die hier präsentierte Analyse. Sie findet sich im Российский Государственный Архив Социально-Политической Истории (РГАСПИ)/Russisches Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte in Moskau unter der Signatur: ф. 24, о.1, д. 440. Die verschiedenen zeitgenössischen Hinweise und Bezüge in der Analyse sowie ihre Struktur, die verwendeten Schreibmaterialien und die Seitennummerierungen legen einen uneinheitlichen, von Unterbrechungen und Neuansätzen geprägten Entstehungsprozess nahe.12 Der Zweck der Analyse ist unklar. Eine längere, überarbeitete Passage deutet darauf hin, dass Sinowjew eine größere Verbreitung des Textes überlegte oder erhoffte. Hinweise, dass dies auch tatsächlich geschehen ist, gibt es allerdings nicht. So muss die Frage offen bleiben, ob und in welchem Zusammenhang der Text von anderen gelesen wurde. Freilich schmälert dies seine Bedeutung nicht, da er einen Einblick in die zeitgenössische Interpretation des Nationalsozialismus und Hitlers Politik um 1932/33 aus der Feder eines der bedeutendsten bolschewistischen Theoretikers gibt. Sie ist damit für ihre Zeit die umfangreichste Studie dieser Art. Anmerkungen zur Edition

Grundlage für Sinowjews Studie (und vermutlich auch für seine Übersetzung) war die 11. Auflage der Volksausgabe von Mein Kampf; sie erschien am 14.4.1932.13 Es wird

7 8 9 10 11 12 13

kommissariat (Hg.), Prozessbericht, S. 56, 155). Sinowjews in dieser Zeit begonnene Übersetzung von Mein Kampf wurde jedoch nicht angesprochen. Vgl. Hedeler, Archivdokumente, S. 298–303; Plöckinger, Geschichte, S. 520 f. Vgl. Plöckinger Geschichte, S. 514, 522 f. Vgl. Wolkogonow, Stalin, S. 471; Montefiore, Stalin, S. 349 f. Vgl. Talbott (Hg.), Chruschtschow, S. 126; Zeidler, Blaupause, S. 117 f. Vgl. Musial, Kampfplatz, S. 391 f. Vgl. dazu unten. Vgl. Plöckinger (Hg.), Quellen, S. 151; S. 18.

Einleitung

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daher bei Hinweisen auf und Zitaten aus Mein Kampf ebenfalls auf diese Ausgabe zurückgegriffen. Wie viele andere Übersetzer kämpfte auch Sinowjew erheblich mit Hitlers Text, wie er in einem Schreiben an den Staatsverlag ausführte. Insbesondere beschäftigte ihn die Frage, ob die Übersetzung Hitlers „Originalsprache“ oder eine verständliche Variante präsentieren sollte. Nach seinen eigenen Angaben entschied sich Sinowjew für die erste Variante.14 Nicht zuletzt aus diesem Grund werden den zahlreichen in dem Dokument verwendeten Zitaten aus Mein Kampf in den Anmerkungen auch die Originalstellen beigegeben. Ähnlich wurde auch bei anderen Zitaten aus deutschsprachigen Büchern vorgegangen: Die Rückübersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche werden in den Anmerkungen durch die Originalpassagen ergänzt.15 Es wird dabei deutlich, wie Sinowjew bei den Übersetzungen vorgegangen ist und in welchem Umfang er jenseits übersetzungstechnischer Notwendigkeiten in den Originaltext eingegriffen hat. Die Übersetzung des gesamten Dokuments aus dem Russischen wurde von Dr. Valery Brun-Zechowoj (Moskau) und Dr. Dennis Scheller-Boltz von der Universität Innsbruck angefertigt. Soweit möglich, wurde sie nahe am russischen Original gehalten, insbesondere sollte auch die bolschewistische Diktion erkennbar bleiben. Die Struktur des Dokuments ist komplex. Erhalten haben sich insgesamt 90 Blätter, von denen fünf kaum entzifferbare handschriftliche Notizen, Seitenkalkulationen etc. enthalten. Sie wurden nicht in diese Edition aufgenommen. Die restlichen 85 hier wiedergegebenen Blätter weisen keine einheitliche Struktur auf. Wie verschiedene Bezugnahmen im Text belegen, sind einzelne Abschnitte zu unterschiedlichen Zeiten entstanden.16 Bereits Sinowjew hat Umstellungen und Überarbeitungen einzelner Teile vorgenommen, ohne jedoch zu einer Endfassung gekommen zu sein.17 Die verschiedenen Seitenzählungen und nicht immer schlüssigen Kapitelnummerierungen legen dies nahe. Darüber hinaus wurden die Blätter offenbar auch bei der Archivierung noch einmal umgruppiert und neu nummeriert. Dies hat zur Folge, dass sich auf den meisten Blättern mehrere Seitenzählungen finden; das Blatt [43] etwa weist nicht weniger als vier unterschiedliche Zählungen auf. Als Grundlage wurde die letzte, vermutlich bei der Archivierung angefertigte Nummerierung gewählt, da sie die Blätter lückenlos durchzählt. Auf diese Zählung beziehen sich die in [eckigen Klammern] angegebenen Zahlen. Offensichtlich zusammengehörige Teile, die aus welchen Gründen auch immer auseinandergerissen wurden, finden sich wieder in ihrer sinnvollen Reihenfolge. Die dabei unveränderte Seitenzählung in eckigen Klammern macht diese Umstellungen nachvollziehbar. Insgesamt wurden jedoch nur wenige solche Eingriffe vorgenommen, in Zweifelsfällen blieb die Reihenfolge der Blätter unangetastet. 14 15 16

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Vgl. Plöckinger, Geschichte, S. 521. Ähnlich wird auch bei Zitaten aus russischen Quellen vorgegangen, sofern allgemein gebräuchliche Übersetzungen ins Deutsche vorliegen. Dies wird auch in den Verweisen auf Mein Kampf deutlich. In frühen Passagen der Analyse bezieht sich Sinowjew noch auf Seitenangaben im deutschen Original, später wechselt er zu Seitenangaben aus dem Manuskript seiner Übersetzung. In anderen Passagen wurden die Seitenangaben wiederum erst nachträglich handschriftlich eingefügt, was auf eine Art Übergangszeit hinweist, in der Sinowjew unschlüssig war, auf welchen der beiden Texte er sich beziehen sollte. Auch die verschiedenen verwendeten Schreibmaschinentypen weisen auf unterschiedliche Entstehungszeiten hin. Eine der Ursachen dafür dürften die sich überschlagenden Ereignisse in Deutschland gewesen sein, die manche Ausführungen bald schon wieder als überholt erscheinen ließen.

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

Gegen Ende des Dokumentes finden sich über einige Seiten hinweg Abschriften früherer Passagen, die an einigen wenigen Stellen überarbeitet wurden. Aus strukturellen Gründen wurden diese Abschriften im vollen Umfang wiedergegeben. Es wird damit deutlich, in welcher Form und in welchem Zusammenhang Sinowjew eine Überarbeitung und Neustrukturierung des Textes geplant hat.18 Die Zeichensetzung wurde vereinheitlicht. So verwendet Sinowjew bei Einschüben, Aufzählungen etc. manchmal Schrägstriche /, manchmal runde Klammern ( ). Ähnliches gilt für verschiedene Arten von Anführungsstrichen oder die manchmal vorhandene, manchmal fehlende Abkürzung „S.“ (стр.) bei Seitenangaben. Fehlende Satzzeichen wurden sofern notwendig ebenso stillschweigend eingefügt wie überflüssige getilgt. Im Original gestrichene Passagen werden in eckigen Klammern und [durchgestrichen] wiedergegeben. Nachträgliche Korrekturen und Ergänzungen werden nur dann kenntlich gemacht, wenn sie von inhaltlicher Relevanz sind. Ansonsten wurden sie stillschweigend übernommen. Bei Unterstreichungen wurde nicht zwischen maschinschriftlichen und nachträglich vorgenommenen handschriftlichen unterschieden. Besonderheiten wurden durch [!] gekennzeichnet. Bei russischen Namen und Bezeichnungen wurden die in der Literatur gängigen Schreibweisen verwendet, auf ein wissenschaftliches Transkriptionssystem wurde verzichtet.

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Vgl. S. 19–29 bzw. 62–70. Aus einigen Abweichungen zwischen den beiden Teilen geht hervor, dass die Fassung auf den Seiten 62–70 die überarbeitete jüngere ist. Deutlich stärker wurden zusätzlich auch Teile der Seite 30 überarbeitet (vgl. S. 71).

DI E BI BE L DE R D EU T S C H EN FA S C H I S T EN [1]

Vorwort. Hitlers Buch „Mein Kampf“ ist das Hauptwerk des deutschen Faschismus vor seinem Machtantritt. Es ist das „Buch der Bücher“ der deutschen Faschisten. Die ganze riesige Literatur der deutschen Faschisten, mit der sie, durch Großkapitalisten finanziert, in den vergangenen Jahren Deutschland überschütteten, baut auf diesem Buch auf. Bis 1933 war die gesamte faschistische Literatur eine einfache Nacherzählung, eine Übertragung dieses „Evangeliums“, dieser „Bibel“ der Hitlerbewegung in die Alltagssprache. Nach dem Machtantritt der Faschisten behielt dieses Buch äußerlich seine dominierende Bedeutung. Es wird nach wie vor „verehrt“ als das „größte“ Werk des Faschismus. Gleichzeitig fing es in verschiedener Hinsicht an, die Führer des deutschen Faschismus einzuengen. Das Buch gehört jener Epoche an, in der die Hitlerfaschisten gerade erst an die Macht kamen, als sie mit sozialen Versprechungen an das Kleinbürgertum, ja sogar an einen Teil der Arbeiter nicht sparten, als sie im Bemühen, die Massen zu gewinnen, versprachen, die „Zinsknechtschaft“ und das „Joch der Banken“ zu beenden, als sie Phrasen gegen das „Kapital“ und für den „Sozialismus“ benutzten usw. Jetzt ist das alles schon nicht mehr zeitgemäß. Jetzt werden diese Stellen des Buches des „Führers“, die fest im Gedächtnis der faschistischen „Basis“ verhaftet sind, zum Banner der da und dort sich erhebenden nationalsozialistischen Basis, darunter auch bekannter Kreise aus Hitlers SA, die bereits von der ersten Phase von Hitlers Machtausübung enttäuscht sind. Diese elenden Kreise des Hitlerapparates, die sich mit jenen Bevölkerungsschichten verbinden, die eine besonders schlimme [79]1 Not erdulden, greifen nun zu den Versprechungen, die von Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ gegeben wurden, und verlangen deren Umsetzung. „Mein Kampf“ ist das Hauptbuch der Epoche der Vorbereitung des faschistischen Regimes in Deutschland. Das Buch ist dumm2, blöd, boshaft, voller antisemitischer Pogrompredigten3 und riecht in jeder seiner Zeilen nach Hass gegen die Arbeiterklasse. Doch es ist ein Dokument der Epoche in dem Sinne, dass es in besonders greller und offener Form die sozialpolitischen „Bestrebungen“ des untergehenden, verfaulen1 2 3

Inhaltlich bilden die Blätter [1], [79] und [80] eine Einheit, was auch die ursprüngliche Blattnummerierung sowie die grammatikalische Struktur des Satzes im Übergang von Blatt [1] zu Blatt [79] bestätigen. Handschriftlich korrigiert aus einem unleserlichen Wort. Auf den Antisemitismus geht Sinowjew in seiner Untersuchung von Mein Kampf kaum ein. Tatsächlich blieb für die bolschewistischen Theoretiker der Antisemitismus als wesentlicher Kern des Nationalsozialismus weitgehend unverständlich (vgl. Luks, Anmerkungen, S. 307–311).

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

den Kapitalismus wiedergibt, der am Vorabend seines vollständigen Untergangs zu den räuberischen Mitteln des Faschismus greift. Ist das etwa kein Zeichen der Epoche, wenn es das entfesselte „Produkt“ eines närrischen Pogromisten4 schaffte, sich die Stellung echter „Gesetzestafeln“ für die Bourgeoisie eines solchen Landes wie Deutschland zu erobern? Umso wichtiger ist es für den Leser der Sowjetunion, sich mit diesem Hauptbuch des Führers der deutschen Faschisten vertraut zu machen. Den Feind möglichst gut zu kennen, ist notwendig, um ihn möglichst sicher zu besiegen. Das Buch Hitlers verspricht zu geben: erstens eine persönliche Autobiographie des „Propheten“ selbst; zweitens die Geschichte der ganzen deutschen faschistischen Bewegung; drittens die dogmatische Darstellung der ganzen nationalsozialistischen „Weltanschauung“; viertens das Programm des deutschen Faschismus sowohl auf dem Gebiet der Innen- als auch auf dem Gebiet der Außenpolitik. Das Buch wurde von Hitler in den Jahren 1924–1926 in der Festung Landsberg geschrieben, wo er nach dem misslungenen Münchener Putsch Anfang November 1923 eine Gefängnisstrafe absaß. Danach wurde das Buch Überarbeitungen und Änderungen unterzogen, erfuhr bis 1933 elf [80]5 Ausgaben und wurde das Handbuch jedes faschistischen „Funktionärs“ in Deutschland. Es wurde auch in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. [90]6 DIE BIBEL DER DEUTSCHEN FASCHISTEN „Mein Kampf“ von Adolf Hitler Zwei Bände in einem Band, ungekürzte Ausgabe Erster Band: Eine Abrechnung Zweiter Band: Die Nationalsozialistische Bewegung XI. Auflage, 115 bis 124 Tausend, München 1932, S. 7827 Es handelt sich um das Hauptwerk der deutschen faschistischen Literatur. Es handelt sich um das Buch Hitlers, das als „Bibel“ des deutschen Faschismus erscheint, um das Buch, das den Anspruch erhebt, „Gesetzestafeln“ zu geben […]8 [2] […]lich ihre Versprechen im Bereich der Außenpolitik, außer abermals eines Versprechens: Alles zu tun, um zu versuchen, die UdSSR zu beschmutzen. Beim Durchblättern von Hitlers Buch „Mein Kampf“ muss man sich stets vor Augen führen, dass es erstens vor dem Machtantritt der deutschen Faschisten geschrieben wurde, das heißt in jener Periode, als die Hitlerfaschisten noch nach den Stimmen breiter Wählerkreise jagten. Hitlers Buch ist deshalb eine Art Sammlung sämtlicher „popu4 5 6 7 8

Vgl. Anm. 24. Blatt [80] ist nur mit wenigen Zeilen beschrieben. Das Blatt ist datiert mit 29.III.[19]33. Es hat sich davon nur die obere Hälfte erhalten. Der gesamte Text wurde handschriftlich durchgestrichen. Sowohl inhaltlich als auch aufgrund des verwendeten Papiers gehört Blatt [90] zur Gruppe der Blätter [2] bis [18]. Diese Passage ist handschriftlich und auf Deutsch angeführt. Der Rest des Textes auf Blatt [90] fehlt, da er abgerissen wurde.

Dokument I: Analyse von Mein Kampf

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lärer“ (oder Popularität beanspruchender) Losungen, eine Art Warenhaus von allerlei Versprechungen, die jedem und jeder, nach rechts und nach links gegeben wurden – also allen, die nur gewillt waren zuzuhören. Das Zweite, das man bei der Durchsicht von Hitlers Buch notwendigerweise nicht außer Acht lassen darf, ist, dass sein wichtigster Teil jene Kapitel sind, die Fragen der Außenpolitik behandeln. Was Fragen der Innenpolitik betrifft, wiederholt Hitler fast vollständig Mussolini, er „adaptierte“ nur dessen „Lehre“ für die deutschen Bedingungen. Was die Fragen der Außenpolitik betrifft, haben auch hier die Hitlerfaschisten viel vom italienischen Faschismus abgeschrieben; da aber die Lage Deutschlands in der Welt in vieler Hinsicht eine ganz andere ist als jene Italiens, ist Hitler hier gezwungen, eigenständiger zu erscheinen. Während der gesamten Periode der Vorbereitung der deutschen Faschisten auf die Machtergreifung spielten in ihrer Agitation Fragen der Außenpolitik eine viel größere Rolle als dies in der entsprechenden Periode bei den italienischen Faschisten der Fall war. Und das ist gewiss kein Zufall. Sowohl der italienische als auch der deutsche Faschismus sind ein Produkt des imperialistischen Krieges. Grober Nationalismus, wilder Chauvinismus bilden eines der wichtigsten „Motive“ der Agitation sowohl der italienischen als auch der deutschen Faschisten. Die Bilanz Italiens nach dem imperialistischen Weltkrieg ist allerdings jener Deutschlands nicht ähnlich. Italien fühlt sich dadurch benachteiligt, dass es bei der Teilung der Beute „übergangen“ wurde. Deutschland selbst wurde [3] die Beute, die man teilte. Vor dem Weltkrieg gehörte Italien nicht zu den größten imperialistischen Mächten. Und die Macht des italienischen Imperialismus nahm infolge des Krieges relativ zu. Deutschland war vor dem Weltkrieg eine der größten imperialistischen Mächte, es stand an der Spitze der imperialistischen Koalition und brach als Folge des Krieges zusammen, es fiel in den Abgrund aus enormer „Höhe“. Die italienische Bourgeoisie ist damit unzufrieden, dass der Versailler Vertrag sie „benachteiligte“, dass ihr nicht der Anteil zuteilwurde, den sie ihrer Meinung nach „verdiente“.9 Die deutsche Bourgeoisie ist damit unzufrieden, dass sie der Versailler Vertrag um ihren weltweiten Einfluss brachte, dass er sie zum Vasallen der Bourgeoisie der Siegermächte machte, ihr die Armee und die Flotte nahm usw. Der italienische und der deutsche Faschismus sind insgesamt das Sprachrohr ein und desselben Kreises einer „Idee“. Ihr „Programm“ ist letzten Endes ein und dasselbe. Die Außenpolitik des faschistischen Deutschlands wird sich jedoch in vieler Hinsicht von der Außenpolitik des faschistischen Italiens sehr wesentlich unterscheiden. Darum ist das vor dem Machtantritt der Hitlerfaschisten geschriebene Hauptwerk des deutschen Faschismus vor allem in jenem Teil wichtig, der Fragen der auswärtigen Politik behandelt. Diesen Teil von Hitlers Buch zu kennen ist notwendig und auf ihn gehen wir daher auch in erster Linie ein. Den Fragen der auswärtigen Politik wurden in Hitlers Buch Hunderte von Seiten gewidmet (das ganze Buch umfasst 42 Druckbogen). Fragen der auswärtigen Politik nehmen im Buch eine zentrale Stelle ein. Zu ihnen kehrt Hitler auch in jenen Kapiteln zurück, die andere Themen zum Gegenstand haben. Fasst man alles zusammen, was zu 9

Tatsächlich waren für die Gebietserweiterungen Italiens nicht der Versailler Vertrag mit Deutschland, sondern die Verträge von St. Germain und Trianon mit Österreich und Ungarn von besonderer Relevanz.

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

Fragen der Außenpolitik in diesem Buch gesagt wird, dann lässt sich Hitlers Programm auf diesem Gebiet auf folgende 10 Punkte zurückführen: 1) Das Hauptziel der auswärtigen Politik Deutschlands darf nicht aus der Eroberung entfernter Kolonien, sondern in der Eroberung neuen Bodens in Europa bestehen. [4] 2) Diesen Boden kann man nur „finden“ im Osten Europas, nur in Russland. Und gerade dorthin muss das Hauptaugenmerk gerichtet werden – dies umso mehr, als Russland das Land des verhassten Bolschewismus ist. Das ist das Alpha und Omega von allem. 3) Deutschland braucht ein Bündnis mit England und Italien gegen Frankreich. Dieses Bündnis muss einen offensiven Charakter tragen. Das Bündnis ist möglich, weil England und Italien angeblich eine Hegemonie Frankreichs auf dem Kontinent nicht wollen. 4) Deutschland muss nicht nur einfach die Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914, sondern die grundlegende Neuaufteilung des Bodens anstreben, damit sich Deutschland sehr stark nach Osten ausweiten kann. 5) Deutschland muss Japan unterstützen, dieses Bündnis strebt auch England an. Japan ist der einzige Staat, auf den sich die Vorherrschaft des Judentums nicht erstreckt. Japan ist der „einzige gesunde“ Nationalstaat in Asien. Die Faschisten müssen darüber wachen, dass es den „Juden und Marxisten“ nicht gelingt, „unter dem Deckmantel des Krieges gegen den japanischen Kaiserismus und den japanischen Imperialismus“10 den Krieg gegen das japanische Bollwerk der faschistischen Ideen vorzubereiten (S. 722– 724). Über die Eroberung der Mandschurei durch Japan wird nichts direkt gesagt, dies gilt generell für die vergangenen Ereignisse im Fernen Osten, doch die „Gesamtlinie“ Hitlers – zum Bündnis mit Japan (und England). [!]11 Über seine Haltung zu den USA etwas Genaues zu sagen, entschließt sich Hitler nicht. Dies kann man nur zwischen den Zeilen an jenen Stellen des Buches lesen, in denen Hitler sich in freundschaftlichen Gefühlen zu Japan äußert. 6) Deutschland darf keine Annäherung welcher Art auch immer an unterdrückte Nationen vornehmen. Hitler überschüttet den Befreiungskampf Indiens und Ägyptens mit grobem Spott und Hohn und macht sich über die Idee eines Bündnisses der unterdrückten Nationen lustig. Deutschland braucht nach seinen Worten die Verbindung mit den Starken und Kräftigen, nicht aber mit den Schwachen, mit den Invaliden (zu den Letzteren wird auch die Türkei gerechnet). (S. 744–748). 7) Die „Germanen“ sind daran interessiert, dass Indien [5] gerade von England beherrscht wird und nicht von irgendeinem anderen Volk (S. 747). 8) Zum faschistischen Polen herrscht völliges Schweigen. Alle Kapitel zur Außenpolitik sind so geschrieben, dass sie ein Abkommen mit dem faschistischen Polen nicht völlig ausschließen, aber auch die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit ihm nicht ausschließen. 10 11

Hitler unterstellt den Juden den „Schlachtruf“: „Nieder mit dem japanischen Militarismus und Kaiserismus“ (Hitler, Kampf (1932), S. 724). Der Satz ist im Original unvollständig. Dass sich in Mein Kampf nichts zur japanischen Eroberung der Mandschurei findet, liegt freilich daran, dass sie erst 1931/32, also Jahre nach der Niederschrift des Buches stattfand. Hitler hat Aktualisierungen seines Buches stets abgelehnt (vgl. Plöckinger, Geschichte, S. 555).

Dokument I: Analyse von Mein Kampf

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9) Für das faschistische Deutschland ist es zuallererst notwendig, sich um jeden Preis zu bewaffnen, unter Ausnutzung jeder Gelegenheit. Einen ausgezeichneten Anlass bot die Besetzung des Ruhrbeckens im Jahr 1923. Diese Gelegenheit wurde versäumt. Jetzt darf man die Gelegenheit nicht versäumen, sobald sie sich nur bieten wird. Zu Kadern der künftigen deutschen Armee müssen die faschistischen SA-Männer werden.12 Von der Wiedergeburt der deutschen Flotte zu träumen, ist es zu früh, denn das reizt nur unnötig England (siehe das Kapitel „Gedanken über Bedeutung und organisatorischen Aufbau der Sturmabteilungen“13). 10) Damit Deutschland für England, Italien und Japan ein wertvoller Verbündeter wird, ist es notwendig, dass es a) über die Kommunisten und überhaupt über die „Marxisten“ innerhalb seines Landes ein Strafgericht abhält und b) dass es offen und unwiderruflich jegliches Kokettieren mit der Idee einer östlichen Orientierung ablehnt und beweist, dass es bereit ist, Rädelsführer im Kampf gegen die UdSSR zu werden. Dieses ganze „Programm“ ist gewürzt mit gröbstem Geschimpfe gegen die UdSSR und mit Zähneklappern vor dem Führer der Sowjetunion. xxx Den gesamten ersten Teil seines „Werkes“ widmet Hitler den „Abrechnungen mit der Vergangenheit“. Mit allen Kräften bemüht er sich hier zu beweisen, dass das wilhelminische Deutschland ganz und gar unschuldig war am Weltkrieg, dass ihm, ganz im Gegenteil, der Krieg aufgezwungen wurde. Die wilhelminische Diplomatie ist seiner Meinung nach nur daran schuld, dass es ihm nicht gelang, eine andere Kräfteverteilung [6] in diesem Krieg zu erlangen. Es musste ganz andere Bündnisse abschließen als jene, die es tatsächlich abschloss. Hört man Hitler zu, so ergibt sich, dass sich das wilhelminische Deutschland in einer schrecklichen Notlage befand. Der jährliche Bevölkerungszuwachs betrug in Deutschland 900 Tausend Menschen. Diese neue Armee an Bürgern zu ernähren, wurde von Jahr zu Jahr schwieriger. So hatte das damalige Deutschland laut Hitler vier mögliche Auswege: 1) entweder die Geburtenzahl nach französischem Vorbild künstlich zu begrenzen; 2) oder den Weg der inneren Kolonisation zu beschreiten, d. h. den Weg der Umverteilung der deutschen Bevölkerung innerhalb Deutschlands selbst; 3) oder den Weg der Gewinnung neuen Bodens in Europa auf Kosten Russlands zu wählen; 4) oder die Politik einer verstärkten Industrialisierung Deutschlands, einer verstärkten Entwicklung des Handels, der Schaffung einer Flotte, des Kampfes um Kolonien, des Wettbewerbs mit England. (S. 142–151). Das wilhelminische Deutschland machte, so Hitler, den Fehler, dass es den vierten Weg wählte, den Weg kolonialer Politik. Er, Hitler, meint, dass für Deutschland einzig der dritte Weg richtig war – das Bündnis mit England gegen Russland und die Eroberung neuen Bodens in Europa auf Kosten Russlands. Auf diesen Fehler ist alles Unglück Deutschlands zurückzuführen. Die Hauptlehre des Weltkriegs besteht für Hitler gerade in diesem Schluss. Und er sieht seine Hauptaufgabe darin, Deutschland zu helfen, auf diese oder jene Weise diesen grundsätzlichen Fehler zu korrigieren und „vom Weg Nr. 4“ auf den „Weg Nr. 3“ zurückzukehren. 12 13

Im Original „штурмовики“ („Schturmowiki“). Gemeint ist das neunte Kapitel des zweiten Bandes „Grundgedanken über Sinn und Organisation der SA.“. Der Titel des Kapitels wurde handschriftlich eingefügt.

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– „Stellen wir uns für eine Minute vor – schreibt Hitler – daß die deutsche Außenpolitik so klug gewesen wäre, um 1904 die Rolle Japans zu übernehmen. Stellen Sie sich das wenigstens für einen Augenblick vor, und Sie werden verstehen, welche wohltuenden Folgen dies für Deutschland gehabt hätte! Dann wäre es nicht zum „Welt“krieg gekommen. Das Blut, das im Jahre 1904 vergossen worden wäre, hätte uns hundertmal das Blut erspart, das 1914–18 vergossen wurde. Und welche mächtige Stellung würde Deutschland in diesem Fall jetzt einnehmen!“ (S. 155).14 [7] Natürlich ist seither schon viel Wasser geflossen. Und jetzt (Ende 1932, als die letzte „durchgesehene“ Auflage von Hitlers Buch erschien), veränderte sich die Lage in vielerlei Hinsicht. Allerdings ist Hitler jetzt noch mehr davon überzeugt, dass es für Deutschland nur einen Ausweg gibt – den Kampf gegen Russland, umso mehr, als es jetzt ein sowjetisches Russland ist. „Unser Staat – schreibt Hitler, wobei er hier einen faschistischen Staat meint – wird zuallererst danach streben, ein gesundes natürliches Lebensverhältnis zwischen der Zahl unserer Bevölkerung und dem Tempo ihres Zuwachses einerseits und der Quantität und Qualität unserer Territorien andererseits herzustellen. Nur so kann unsere auswärtige Politik das Schicksal unserer in unserem Staate vereinigten Rasse sichern“ (S. 728).15 Und weiter: „Die nationalsozialistische Bewegung ist um jeden Preis verpflichtet, das bestehende Missverhältnis zwischen der Zahl unserer Bevölkerung und dem Umfang unserer Territorien zu beseitigen, wobei hier das Territorium nicht nur als unmittelbare Ernährungsbasis, sondern als Faktor des Grenzschutzes gemeint ist. Erst dann vernichten wir die Ausweglosigkeit unserer derzeitigen Lage und nehmen den Platz ein, mit dem wir berechtigterweise kraft der Rolle rechnen dürfen, die wir in der Geschichte spielten“ (S. 731–732).16 Dann geht Hitler zur ausführlichen Entschlüsselung dessen über, was unter seinen „algebraischen“ Formeln zu verstehen ist. Die Grenzen des Jahres 1914 sind ihm zu wenig. „Die Forderung nach Wiederherstellung jener Grenzen, die bis 1914 existierten, ist ein politischer Unsinn und dabei ein solcher, der in seinen Dimensionen und Folgen einem Verbrechen gleichkommt.“ (S. 737–738).17 Welche Grenzen braucht er also? 14

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Man stelle sich aber vor, daß eine kluge deutsche Außenpolitik die Rolle Japans im Jahre 1904 übernommen hätte, und man kann kaum ermessen, welche Folgen dies für Deutschland gehabt haben würde. Es wäre niemals zu einem ‚Weltkriege‘ gekommen. Das Blut im Jahre 1904 hätte das Zehnfache der Jahre 1914 bis 1918 erspart. Welche Stellung aber würde Deutschland heute in der Welt einnehmen!“ (Hitler, Kampf (1932), S. 155). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Als Nationalsozialisten können wir weiter über das Wesen der Außenpolitik eines völkischen Staates folgenden Satz aufstellen: Die Außenpolitik des völkischen Staates hat die Existenz der durch den Staat zusammengefassten Rasse auf diesem Planeten sicherzustellen, indem sie zwischen der Zahl und dem Wachstum des Volkes einerseits und der Größe und Güte des Grund und Bodens andererseits ein gesundes, lebensfähiges, natürliches Verhältnis schafft.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 727 f.). Es handelt sich um eine Paraphrase der angegebenen Seiten. Ihr Kern ist die Stelle: „Die nationalsozialistische Bewegung muß versuchen, das Mißverhältnis zwischen unserer Volkszahl und unserer Bodenfläche – diese als Nährquelle sowohl wie auch als machtpolitischer Stützpunkt angesehen –, zwischen unserer historischen Vergangenheit und der Aussichtslosigkeit unserer Ohnmacht in der Gegenwart zu beseitigen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 732). In Mein Kampf lautet die Stelle, die sich allerdings auf Seite 736 findet: „Die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ist ein politischer Unsinn von Ausmaßen und Folgen, die ihn als Verbrechen erscheinen lassen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 736).

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– „Unsere Aufgabe besteht nicht in kolonialen Eroberungen. Die Lösung der vor uns stehenden Probleme sehen wir allein und ausschließlich in der Eroberung neuer Gebiete, die wir mit Deutschen besiedeln könnten. Dafür brauchen wir solche Gebiete, die sich unmittelbar dem angestammten [8] Land unserer Heimat anschließen. Nur in diesem Fall können unsere Übersiedler eine enge Verbindung mit der angestammten Bevölkerung Deutschlands beibehalten. Nur ein solcher Gebietszuwachs wird uns jenen Kraftzuwachs sichern, der durch ein großes kompaktes Territorium bedingt ist“ (S. 741).18 Hitlers Anspielung wird schon klar genug. Hitler fordert für sich neue Gebiete östlich von Deutschland, damit diese Gebiete dem deutschen Mutterland „unmittelbar angeschlossen werden“ und damit er ein großes durchgehendes deutsches Territorium erhält. Hören Sie nun aber weiter: „Wir Nationalsozialisten machen ganz bewusst ein Kreuz über die ganze deutsche auswärtige Politik der Vorkriegszeit. Wir wollen zu jenem Punkt zurückkehren, an dem unsere alte Entwicklung vor 600 Jahren unterbrochen wurde. Wir wollen das ewige germanische Streben nach dem Süden und Westen Europas anhalten und weisen mit dem Finger entschieden auf die Landgebiete, die im Osten liegen. Wir beenden die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit endgültig und gehen bewusst zu einer Politik der Eroberung neuen Landes in Europa über. Wenn wir von der Eroberung neuen Bodens in Europa reden, können wir natürlich in erster Linie nur an Russland und die Randstaaten denken, die ihm unterworfen sind“ (S. 742; Kursiv durch Hitler19).20 Der Henker der deutschen Arbeiter spricht hier mit maximaler Aufrichtigkeit.21 Wenn er von der Eroberung neuer „Gebiete“ spricht, meint er „nur Russland“ und jene Randstaaten, die ihm „unterworfen“ sind, d. h. in erster Linie die Ukraine! Die Tatsache, dass Russland ein bolschewistisches Land ist, verleiht der „Mission“ des faschistischen Deutschlands, wie man sieht, sogar eine religiöse Nuance. „Der allerhöchste Schöpfer“ (Hitler plaudert gern vom „Allerhöchsten Schöpfer“, vom „Herrgott“, mit dem er ganz intime Verbindungen unterhält, usw.) gibt, wie man sieht, Hitler einen Fingerzeig, fordert, dass genau er die „Erde säubert“ von den gottlosen Bolschewiki. [9] – „Das Schicksal selbst gibt uns hier einen Fingerzeig. Indem es Russland in die Hände der Bolschewiki auslieferte, raubte das Schicksal dem russischen Volke jene Intelligenz, auf die sich bisher seine staatliche Existenz stützte und die allein nur Ge18

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Denn nicht in einer kolonialen Erwerbung haben wir die Lösung dieser Frage zu erblicken, sondern ausschließlich im Gewinn eines Siedlungsgebietes, das die Grundfläche des Mutterlandes selbst erhöht und dadurch nicht nur die neuen Siedler in innigster Gemeinschaft mit dem Stammland erhält, sondern der gesamten Raummenge jene Vorteile sichert, die in ihrer vereinten Größe liegen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 741). Handschriftlich hinzugefügt. Tatsächlich ist die unterstrichene Passage in Mein Kampf gesperrt gedruckt. In Mein Kampf lautet die Stelle: „Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 742). Dieser Satz fehlt in der überarbeiteten Fassung dieses Abschnitts am Ende des Dokuments (vgl. S. 66).

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währ für eine gewisse Stabilität des Staates war. Nicht die staatlichen Begabungen des Slawentums gaben dem russischen Staat Kraft und Festigkeit. Das alles hatte das alte Russland germanischen Elementen zu verdanken – das vorzüglichste Beispiel jener ungeheuren staatstragenden Rolle, die zu spielen die germanischen Elemente fähig sind, wenn sie innerhalb einer niedereren Rasse wirken“ (S. 742–743).22 Man sieht, Russland hielt sich nur durch den „germanischen Kern“! „Jetzt ist dieser Kern restlos und endgültig ausgerottet. Den Platz der Germanen nahmen die Juden ein“ (S. 743).23 Um sich die Aufgabe zu erleichtern, setzt der faschistische Oberpogromist24 ständig die bolschewistische Macht mit „jüdischer“ Macht und die Bolschewiki mit den „Juden“ gleich. Er entscheidet sich dafür, mit der armen Bevölkerung unserer Sowjetunion Mitleid zu haben, und ist großzügig bereit, ihr zu helfen, sich vom „jüdischen übermächtigen Einfluss“ zu befreien. „Die Russen können nicht aus eigener selbstständiger Kraft das Joch der Juden abwerfen“ (S. 743–744)25 und Hitler hofft daher nun im Bündnis mit „England und Italien“ (d. h. im Bündnis mit englischen Konservativen und italienischen Faschisten), die Intervention gegen die UdSSR vorzubereiten. Zu diesem Zweck beginnt Hitler, das ehrwürdigste Publikum davon zu überzeugen, dass es gar nicht schwer sein wird, mit der UdSSR „umzugehen“. „Von Russland als einem ernstzunehmenden technischen Faktor im Krieg zu sprechen ist überhaupt nicht notwendig … Russland hat noch keine einzige Fabrik, die in der Lage wäre, etwa einen echten Lastkraftwagen herzustellen“ (S. 749).26 So steht es geschrieben!! Hitler selbst weiß natürlich sehr wohl, welches mächtige Industrieland die UdSSR heutzutage ist, wie sich die Sowjetunion während des ersten Fünfjahresplans steigerte, wie unaufhaltsam sie weiter durch die Umsetzung des Programms des zweiten Fünfjahresplans wächst.27 Er selbst kann nicht umhin zu wissen, dass, während bei ihnen, bei der Bourgeoisie (darunter [10] beim deutschen Bürgertum), der Zerfall voranschreitet und die Krise die Wirtschaft ruiniert, bei uns in der UdSSR ununterbrochener Aufstieg herrscht, ein gigantisches Wachstum stattfindet. Wenn man aber schon lügt, dann lügt man so! … Wenn sich Hitler & Co. irgendwann einmal tatsächlich dazu entschließen werden, vom Wort zur Tat überzugehen, dann werden sie die umfassende Gelegenheit haben, sich 22

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen. Indem es Russland dem Bolschewismus überantwortete, raubte es dem russischen Volke jene Intelligenz, die bisher dessen staatlichen Bestand herbeiführte und garantierte. Denn die Organisation eines russischen Staatsgebildes war nicht das Ergebnis der staatspolitischen Fähigkeiten des Slawentums in Russland, sondern vielmehr nur ein wundervolles Beispiel für die staatenbildende Wirksamkeit des germanischen Elementes in einer minderwertigen Rasse.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 742). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Er kann heute als fast restlos ausgerottet und ausgelöscht angesehen werden. An seine Stelle ist der Jude getreten.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 743). Wörtlich „Ober-Pogromschtschik“ (обер-погромщик). In Mein Kampf lautet die Stelle: „So unmöglich es dem Russen an sich ist, aus eigener Kraft das Joch der Juden abzuschütteln, so unmöglich ist es dem Juden, das mächtige Reich auf die Dauer zu erhalten.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 743). Es handelt sich um die Paraphrase einer längeren Stelle in Mein Kampf (vgl. Hitler, Kampf (1932), S. 748 f.). Der erste Fünfjahresplan wurde 1927/28 erstellt und endete 1932/33. Die darin vorangetriebene Industrialisierung der Sowjetunion wurde auch von scharfen Kritikern als Erfolg anerkannt. Gleichzeitig wurde aber auch auf die Folgen der Überbürokratisierung und die hohen sozialen Schäden hingewiesen (vgl. Schwarz, Fünfjahresplan, S. 2–5, 16). Auch wenn in keinem Bereich die vorgegebenen Ziele erreicht wurden, legte der erste Fünfjahresplan den Grundstein für die Industrialisierung der Sowjetunion (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 372 f.).

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davon zu überzeugen, über welche Kraft die UdSSR verfügt, welche Militärmacht sie hat, insbesondere welche Stärke ihre Fabriken haben, die für die Rüstungsindustrie arbeiten und dazu in der Lage sind. – „Dieser gigantische östliche Staat – fährt Hitler fort sich zu ereifern – ist zwangsläufig dem Untergang geweiht. Dazu sind bereits alle Voraussetzungen herangereift. Das Ende der jüdischen Herrschaft in Russland wird auch das Ende Russlands als Staat sein. Das Schicksal hat es uns vorherbestimmt, Zeugen einer Katastrophe zu sein, die besser als irgendetwas anderes die unbedingte Richtigkeit unserer Rassentheorie bestätigen wird.“ (S. 743).28 Dass das „Schicksal“ es den Faschisten vorherbestimmte, „Zeugen einer Katastrophe“ zu sein – das stimmt zweifelsohne, nur welcher? Ihrer eigenen, Ihr Herren Faschisten! Der Feldzug gegen die UdSSR –, setzt Hitler fort zu erklären, ist nicht nur vom Standpunkt Deutschlands, sondern auch vom Standpunkt „der ganzen Welt“ aus notwendig. Und nicht nur vom Standpunkt der Außenpolitik, sondern auch vom Standpunkt der Innenpolitik aus. „Auch Deutschland ist nicht von jener Gefahr frei, der Russland einst zum Opfer fiel. Nur bürgerliche Einfaltspinsel sind fähig zu meinen, dass der Bolschewismus in Deutschland bereits vernichtet ist … Um einen erfolgreichen Kampf gegen die jüdischen Versuche zur Bolschewisierung der ganzen Welt zu führen, müssen wir allen voran eine klare Position gegenüber Sowjetrussland einnehmen. Man kann nicht den Teufel mit der Hilfe von Beelzebub bekämpfen“ (S. 752).29 Der Bolschewismus in Deutschland „ist noch nicht vernichtet“, sagt Hitler in dem Ende 1932 erschienenen Buch.30 Er ist noch nicht vernichtet und kann nicht vernichtet werden, Herr Hitler! Der deutsche Bolschewismus wird früher oder später Sie vernichten, Ihr Herren Faschisten! [11] Hitler weiß, dass die Sowjetunion in den breitesten Schichten der werktätigen Bevölkerung Deutschlands eine ungeheure Popularität genießt. Er weiß, dass die auswärtige Politik der UdSSR, des einzigen Landes, das wirklich die Sache des Friedens und den Kampf gegen den Imperialismus verteidigt, Sympathien für die Sowjetunion weit über die Grenzen des rein kommunistischen Lagers hinaus hervorruft. Sogar Hitler ist gezwungen zuzugestehen, dass „sich selbst in ‚völkischen‘31 Kreisen noch Leute finden, die von einem Bündnis mit Russland träumen“.32 Und er „erklärt“ also all diesen Leuten: 28

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende Rußlands als Staat sein. Wir sind vom Schicksal ausersehen, Zeugen einer Katastrophe zu werden, die die gewaltigste Bestätigung für die Richtigkeit der völkischen Rassentheorie sein wird.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 743). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Die Gefahr, der Rußland einst unterlag, ist für Deutschland dauernd vorhanden. Nur der bürgerliche Einfaltspinsel ist fähig, sich einzubilden, dass der Bolschewismus gebannt ist. […] Der Kampf gegen die jüdische Weltbolschewisierung erfordert eine klare Einstellung zu Sowjet-Rußland. Man kann nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 750–752). Sinowjew lässt eine lange Passage aus, in der Hitler auf den „natürlichen Trieb“ der Juden zur Weltherrschaft eingeht und vor einem Bündnis mit einer Macht warnt, die „den Todfeind unserer eigenen Zukunft zum Herrn hat.“ Vgl. S. 14. Die Wendung „völkische“ (фелькише) im Original. Anspielung auf die folgende Stelle in Mein Kampf: „Wenn selbst völkische Kreise heute von einem Bündnis mit Rußland schwärmen, dann sollen diese nur in Deutschland Umschau halten und sich zum Bewußtsein bringen, wessen Unterstützung sie bei ihrem Beginnen finden.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 752).

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– „Wie könnten wir in der Tat unser eigenes Volk aus diesen giftigen Umarmungen befreien, wenn wir auf der anderen Seite selbst in diese Umarmungen kriechen? Wie könnten wir in der Tat die deutschen Arbeiter von bolschewistischen Einflüssen befreien, wie könnten wir sie davon überzeugen, dass der Bolschewismus Fluch und Verbrechen gegen die ganze Menschheit ist, wenn wir selbst einem Verband mit bolschewistischen Organisationen, mit dieser Höllenbrut, beitreten und diese Organisationen damit in erster Linie selbst anerkennen würden! Wie sollten wir dann in der Tat einen einfachen Menschen aus der Masse für seine Sympathie für bolschewistische Ansichten verurteilen, wenn sich die Führer unseres eigenen Staates die Vertreter der bolschewistischen Weltanschauung als Verbündete wählten“ (S. 752).33 Das zentrale Kapitel im ganzen riesigen Buch Hitlers ist gerade der Frage der UdSSR gewidmet. Dieses Kapitel heißt auch so: „Ostorientierung oder Ostpolitik“. Hitler lehnt entschieden jeden Gedanken an die Möglichkeit einer östlichen Orientierung für das faschistische Deutschland ab und vertritt die Idee einer „Ostpolitik“, wobei er unter Letzterem eine Politik der Eroberungen im Osten, eine Politik des Krieges gegen die UdSSR versteht. – „Heute sind wir nur 80 Millionen Deutsche in ganz Europa. Unsere auswärtige Politik kann man erst dann als richtig bezeichnen, wenn nach ein paar Dutzend Jahren auf unserem Kontinent nicht weniger als 250 Millionen Deutsche leben werden und sie dabei [12] nicht zusammengepfercht leben wie für andere Staaten der Welt arbeitende Fabrikkulis, sondern als Bauern und Arbeiter, die sich durch schöpferische Arbeit gegenseitig ergänzen.“ (S. 766).34 Von 80 auf 250 Millionen Menschen will Hitler die Bevölkerungszahl des faschistischen Deutschlands während einiger Jahrzehnte erhöhen! Und er beabsichtigt, das auf Kosten der UdSSR zu tun. Die deutschen Faschisten berufen sich gerne auf Bismarck. Der Name Bismarcks genießt Autorität unter ihnen. Und genau jene Kreise der deutschen Bourgeoisie, die die antirussische Orientierung Hitlers nicht wollen (oder diese ein wenig fürchten), versuchen, sich manchmal darauf zu berufen, dass sich Bismarck seinerzeit für enge Beziehungen mit Russland einsetzte. Darauf antwortet Hitler: „Bismarck, sagt man uns, legte seinerzeit immer sehr großen Wert auf den Erhalt guter Beziehungen zu Russland. Diese Tatsache selbst wurde bis zu einem gewissen Grad richtig aufgezeigt. Dabei vergisst man jedoch, dass Bismarck ebenso großen Wert auch auf gute Beziehungen etwa zu Italien legte, dass derselbe Bismarck seinerzeit sogar mit Italien ein Bündnis schloss, um Österreich etwas stärker zu bedrängen. Daraus wird jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen, dass auch wir jetzt eine derartige Politik fortsetzen müssen. Ja, wird man uns dazu sagen, wir können eine derartige Po33

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Wie will man unser eigenes Volk aus den Fesseln dieser giftigen Umarmung erlösen, wenn man sich selbst in sie begibt? Wie dem deutschen Arbeiter den Bolschewismus als fluchwürdiges Menschheitsverbrechen klarmachen, wenn man sich selbst mit den Organisationen dieser Ausgeburt der Hölle verbündet, sie also im großen anerkennt? Mit welchem Rechte verurteilt man dann den Angehörigen der breiten Masse ob seiner Sympathie für eine Weltanschauung, wenn die Führer des Staates selbst die Vertreter dieser Weltanschauung zum Verbündeten wählen?“ (Hitler, Kampf (1932), S. 752). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Heute zählen wir achtzig Millionen Deutsche in Europa! Erst dann aber wird jene Außenpolitik als richtig anerkannt werden, wenn nach kaum hundert Jahren zweihundertfünfzig Millionen Deutsche auf diesem Kontinent leben werden, und zwar nicht zusammengepreßt als Fabrikkulis der anderen Welt, sondern: als Bauern und Arbeiter, die sich durch ihr Schaffen gegenseitig das Leben gewähren.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 767).

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litik nicht wiederholen, weil das Italien von heute nicht das Italien der Epoche Bismarcks ist. Stimmt! Aber, verehrte Herrschaften, erlauben Sie mir dann, Sie an die Tatsache zu erinnern, dass auch das heutige Russland nicht mehr das ist, was Russland in der Epoche Bismarcks war. Es ist Bismarck niemals in den Sinn gekommen, diesen oder jenen taktischen Zug für alle Zeit zu verewigen. Bismarck war dafür ein zu großer Meister der Ausnutzung einer sich schnell verändernden Situation. Die Frage darf deshalb nicht so lauten: „Wie hätte Bismarck damals gehandelt?“, sondern so: „Wie würde Bismarck heute handeln?“ Mit dieser Formulierung der Probleme wird es leichter, sie zu beantworten. [13] Bismarck würde mit seiner politischen Weitsicht niemals das Schicksal Deutschlands mit dem Schicksal eines solchen Staates verbinden, der unvermeidlich dem Untergang geweiht ist.“ (S. 744).35 Alle diese Stellen aus Hitlers Buch wird der Leser im Gedächtnis behalten. So sieht das wahre „Innere“ der auswärtigen Politik des deutschen Faschismus aus! Im behandelten Buch lässt Hitler harsche Worte auch an die Adresse Frankreichs fallen, klirrt mit den Waffen gegen es, droht usw. Das wird aber nur deswegen getan, um das deutsche Kleinbürgertum, das gegen den Versailler Vertrag aufgebracht wurde, für seine Seite zu erobern. Das Programm des Kampfes gegen die UdSSR wird gepredigt, obwohl dieses Programm sogar in breiten Schichten des Kleinbürgertums Deutschlands nicht mit Popularität zu rechnen braucht. An die Adresse Frankreichs entglitt Hitler das folgende Bekenntnis: – „Wäre ich selbst Franzose und wäre mir Frankreichs Größe so lieb, wie mir die Größe Deutschlands jetzt heilig ist, so würde ich, letztlich, so handeln, wie Clemenceau handelte“ (S. 766).36 Wer ist dieser Clemenceau? Das Hauptzugpferd und der sichtbarste der Autoren des Versailler Vertrags! In seinem ganzen Buch schleudert Hitler Donner und Blitze gegen den Versailler Vertrag, aber was sind diese Donner wert, wenn selbst Hitler sagt, wäre er an Clemenceaus Stelle, hätte er genauso gehandelt wie dieses Zugpferd des Versailler Vertrags? Es ist klar, welchen Wert Hitlers Donner hat. Es ist klar, dass hier der Donner nicht aus der Wolke kommt … Worauf stützen sich die Hoffnungen Hitlers auf die Möglichkeit eines Bündnisses des faschistischen Deutschlands mit England und Italien? Diese Frage beantwortet ein

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Bismarck habe einst selbst immer Wert auf gute Beziehungen zu Rußland gelegt. Das ist bedingt richtig. Allein man vergißt dabei ganz, zu erwähnen, daß er ebenso großen Wert auf gute Beziehungen zum Beispiel zu Italien legte, ja, daß derselbe Herr von Bismarck sich einst mit Italien verband, um Österreich besser erledigen zu können. Warum setzt man denn nicht diese Politik ebenfalls fort? ‚Weil das Italien von heute nicht das Italien von damals ist‘, wird man sagen. Gut. Aber dann, verehrte Herrschaften, erlauben Sie den Einwand, daß das heutige Rußland auch nicht mehr das Rußland von damals ist. Es ist Bismarck niemals eingefallen, einen politischen Weg taktisch prinzipiell für immer festlegen zu wollen. Er war hier viel zu sehr der Meister des Augenblicks, als daß er sich selbst eine solche Bindung auferlegt hätte. Die Frage darf also nicht heißen: Was hat Bismarck damals getan?, sondern vielmehr: Was würde er heute tun? Und diese Frage ist leichter zu beantworten. Er würde sich bei seiner politischen Klugheit nie mit einem Staate verbinden, der dem Untergange geweiht ist.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 744). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Wäre ich selbst Franzose und wäre mir somit Frankreichs Größe so lieb, wie mir die Deutschlands heilig ist, so könnte und wollte auch ich nicht anders handeln, als es am Ende ein Clemenceau tut.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 766).

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ganzes Kapitel mit dem Titel „Auswärtige Politik Deutschlands nach dem Ende des Weltkrieges“.37 – „England ist bei weitem nicht daran interessiert, dass Deutschland von der Landkarte Europas vollständig verschwindet. Im Gegenteil, gerade der schreckliche Zusammenbruch Deutschlands, den es in den Novembertagen [14] 1918 erlebte, schuf für die britische Diplomatie eine völlig neue Situation, die früher niemand für wahrscheinlich gehalten hatte. Für viereinhalb Jahre führte das britische Weltreich einen Krieg gegen das Übergewicht einer ihm bedrohlich werdenden bestimmten kolonialen Macht, nämlich Deutschland. Und plötzlich kommt es zur Katastrophe, die droht, diese Macht gänzlich vom Antlitz der Erde zu wischen… Ganz unerwartet entsteht eine neue Lage: Deutschland ist vernichtet und zur stärksten kontinentalen Macht Europas wird Frankreich.“ (S. 692–693).38 Und weiter: „Was ergab sich denn tatsächlich? England setzte sich zum Ziel, eine übermäßige Stärkung Deutschlands nicht zuzulassen, und bekam tatsächlich eine französische Hegemonie auf dem europäischen Kontinent! Soweit zum gesamtpolitischen Resultat… Der Wunsch Englands ist und bleibt es, nicht zuzulassen, dass irgendeine europäische Kontinentalmacht zu einem weltpolitischen Faktor heranwächst, dazu ist es für England auch notwendig, dass sich die Kräfte der einzelnen europäischen Staaten gegenseitig ausgleichen. Darin sieht England die Voraussetzung seiner eigenen Welthegemonie.“ (S. 694–695).39 Was Italien betrifft, so stützt sich Hitler diesbezüglich auf zwei Hoffnungen: 1) darauf, dass sich Mussolini, dem Hitler im ganzen Buch Weihrauch darbringt wie „größter“ Staatsmann der Gegenwart, ein Bündnis mit einem faschistischen Deutschland aufgrund der Gemeinschaft der „Weltanschauung“ wünscht. Daraus ergibt sich auch, dass Hitler, der einige Male zur Frage Südtirols zurückkehrt, zu dem Schluss kommt, dass die Südtiroler Deutschen unter der „gesegneten“ Herrschaft Mussolinis ausgezeichnet leben; 2) darauf, dass Italien jetzt auch der auswärtigen Politik Frankreichs gegenüber feindlich eingestellt ist, „Italien nahm am Weltkrieg selbstverständlich nicht deshalb teil, um eine Erweiterung Frankreichs zu erreichen. Italien trieb nur der Wunsch danach in den Krieg, seinem Adria-Gegner den Todesstoß zu geben. Jede

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Gemeint ist das 13. Kapitel des zweiten Bandes mit dem Titel „Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege“. In Mein Kampf lautet die Stelle: „Ein Interesse an der vollständigen Auslöschung Deutschlands von der europäischen Landkarte liegt seitdem auch für England nicht mehr vor. Im Gegenteil, gerade der entsetzliche Niederbruch, der in den Novembertagen 1918 stattfand, stellte die britische Diplomatie vor eine neue, zunächst gar nicht für möglich gehaltene Lage: Viereinhalb Jahre lang hatte das britische Weltreich gefochten, um das vermeintliche Übergewicht einer kontinentalen Macht zu brechen. Nun trat plötzlich ein Sturz ein, der diese Macht überhaupt von der Bildfläche zu entfernen schien. Es zeigte sich ein derartiger Mangel selbst an primitivstem Selbsterhaltungstrieb, daß das europäische Gleichgewicht durch eine Tat von kaum achtundvierzig Stunden aus den Angeln gehoben schien: Deutschland vernichtet und Frankreich die erste kontinentalpolitische Macht Europas.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 693 f.). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Englands Wunsch ist und bleibt die Verhütung des übermäßigen Emporsteigens einer kontinentalen Macht zu weltpolitischer Bedeutung, d. h. also die Aufrechterhaltung einer bestimmten Ausgeglichenheit der Machtverhältnisse der europäischen Staaten untereinander; denn dies erscheint als Voraussetzung einer britischen Welt-Hegemonie.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 696).

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weitere [15] Stärkung Frankreichs auf dem europäischen Kontinent wird unvermeidlich eine Behinderung Italiens sein“ (S. 704).40 xxx Zur wichtigsten Voraussetzung für eine „erfolgreiche“ Durchführung einer derartigen auswärtigen Politik erklärt Hitler die vorausgehende Zerschlagung der Arbeiterbewegung in Deutschland. „An dem Tag, an dem Deutschland die Marxisten überwältigt, wird es in Wirklichkeit seine Fesseln für immer abwerfen“ – schreibt er in Kursivschrift (S. 775).41 Darin liegt eine gewisse Logik. Um tatsächlich zu versuchen, einen Krieg gegen die UdSSR zu führen, und um überhaupt zu versuchen, eine derartige Außenpolitik umzusetzen, ist es natürlich in erster Linie notwendig zu versuchen, die Arbeiterbewegung in Deutschland zu zerschlagen. Gerade darin besteht das ganze „Programm“ des deutschen Faschismus. In Hitlers „Werk“ wird die ganze „Weltanschauung“ des deutschen Faschismus ausführlich dargelegt, angefangen bei ihren „philosophischen“ Grundlagen bis schließlich zu den „Grundlagen“ des künftigen Kampfes der Faschisten gegen die Syphilis. Ganze Kapitel sind der Darlegung der „Rassentheorie“, der Schilderung der ausschließlichen Rolle und besonderen göttlichen Eigenschaften der „arischen Menschheit“, der „philosophischen“ Grundlagen des Antisemitismus usw. gewidmet. Ganze Kapitel sind weiter der Darlegung der künftigen Ordnung eines „nationalsozialistischen Staates“ gewidmet. Aber der Schwerpunkt des Buches liegt nicht in diesen Kapiteln, sondern in den Kapiteln, die der Außenpolitik des Faschismus gewidmet sind, und in den Kapiteln, die dem Kampf gegen den Marxismus gewidmet sind. […]42 [16] […]43 heißt national-sozialistisch – das bleibt ein Geheimnis des Autors. Jede Seite des Buches ist voller Demagogie. Erkennbar ist die Fähigkeit des Autors, die Saiten minderbemittelter Menschen anzuschlagen und diese Gefühle sofort auf eine falsche Spur zu lenken, um den Habenichts zu zwingen, der Bourgeoisie politisch zu dienen. Hitler kann die herrlichen Phrasen über die Großbourgeoisie fallen lassen, dass „diese Klasse dem Tod geweiht ist“ (S. 778)44 oder „Mit allen Fasern meines Herzens habe ich damals verstanden, dass die Mission der deutschen Bourgeoisie beendet

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In Mein Kampf lautet die Stelle: „Was Italien in den Krieg trieb, war wirklich nicht die Sucht, Frankreich zu vergrößern, sondern vielmehr die Absicht, dem verhaßten adriatischen Rivalen den Todesstoß zu geben. Jede weitere kontinentale Stärkung Frankreichs bedeutet jedoch für die Zukunft eine Hemmung Italiens, wobei man sich nie darüber täuschen soll, daß verwandtschaftliche Verhältnisse unter den Völkern in keinerlei Weise Rivalitäten auszuschalten vermögen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 700). In Mein Kampf lautet die Stelle: „An dem Tage, da in Deutschland der Marxismus zerbrochen wird, brechen in Wahrheit für ewig seine Fesseln.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 775). Das Ende der Seite fehlt, es wurde offenbar abgerissen. Ob allerdings dadurch auch Textteile fehlen, ist unklar, da die Wiederholung dieser Passagen gegen Ende des Dokuments mit dieser Stelle abschließt. Möglicherweise fehlen allerdings nachfolgend drei Seiten, da das folgende Blatt ursprünglich die Seitenzahl 19 trug, was handschriftlich auf 16 korrigiert wurde. Die Seite beginnt in der Mitte eines Satzes, dessen Anfang fehlt. Eine solche Formulierung findet sich in Mein Kampf nicht.

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war“ (S. 779).45 Hitler weiß, dass diese Phrasen in der heutigen Lage notwendig sind, um tatsächlich eben der Bourgeoisie besser zu dienen. Zwei Kapitel im Buch zeugen von gewissen diplomatischen Begabungen Hitlers. Das ist das Kapitel VШ. (2. Band), betitelt „Die Starken sind am kräftigsten in ihrer Selbstständigkeit“.46 Darin wendet sich Hitler gegen Blöcke mit verwandten „patriotischen“ Organisationen und lässt nur zeitweilige Vereinbarungen mit dem Ziel zu, den „Freund-Feind“ auszunutzen und nach der Ausnutzung wegzuwerfen. Dieses Kapitel durchzuarbeiten wäre jetzt für Hugenberg und Co. besonders nützlich. Daraus könnten sie viel über das Schicksal erfahren, das sie erwartet.47 Das gilt auch für das Kapitel X., betitelt „Föderalismus als Tarnung“, das hauptsächlich gegen die Bayerische Volkspartei (Zentrum)48 gerichtet ist. Darin windet sich Hitler nach Leibeskräften heraus, heuchelt einen „echten Föderalisten“, lässt sich aber gleichzeitig alle Hintertüren offen, die für die gewaltsame Abrechnung mit Bayern im Geist des März 1933 nötig waren.49 Der autobiographische Teil des Buches zeigt, dass Hitler ein typischer Vertreter des Kleinbürgertums ist, obwohl der s[ozial]d[emokratische] „Vorwärts“ von einer angeblichen „Arbeiter“-Herkunft des Führers des deutschen Faschismus schrieb.50 Über sich selbst erzählt Hitler schwülstig, mit Selbstverliebtheit, Prahlerei, mit Anspielungen auf jeder Seite auf [17] seine „Genialität“, sein „Auserwähltsein“ usw. Die Geschichte der faschistischen Bewegung ist von Anfang bis Ende frisiert. Vom Münchner Putsch und seinem Misserfolg spricht Hitler nur in unklaren Anspielungen. Darüber, dass die ganze Hitlerpartei von Anfang an durch das Großbürgertum finanziert wird – kein Wort! Die Geschichte der Sturmabteilungen ist in einem äußerst zuckersüßen Geist geschrieben. Jeder SA-Mann51, so sieht man, ist überzeugter „Idealist“ und eine „leuchtende Persönlichkeit“. Nicht uninteressant sind Hitlers Anspielungen darauf, dass sich die deutsche Regierung mit ihm (Hitler) während der französischen Besetzung der Ruhr einig war über die Umwandlung der Sturmabteilungen in reguläre Abteilungen (trotz des Versailler Vertrags) einer in Aufstellung begriffenen deutschen Armee. Aus „patriotischen“ Motiven verzichtet Hitler darauf, ausführlicher darüber zu berichten. 45 46 47

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In Mein Kampf lautet die Passage: „Damals wurde ich mir bis ins Innerste bewußt, daß das deutsche Bürgertum am Ende einer Mission steht und zu keiner weiteren Aufgabe mehr berufen ist.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 774). Gemeint sind das achte Kapitel des zweiten Bandes „Der Starke ist am mächtigsten allein“ und nachfolgend das zehnte Kapitel des zweiten Bandes „Der Föderalismus als Maske“. Gemeint sind Alfred Hugenberg und die DNVP, die gemeinsam mit Hitler und der NSDAP am 30.1.1933 eine Koalitionsregierung bildeten. Hugenberg trat Ende Juni 1933 zurück, die DNVP löste sich auf (vgl. Longerich, Hitler, S. 293, 335–338). Damit ist auch der Zeitrahmen abgesteckt, in dem diese Passagen entstanden sind. Die katholische Bayerische Volkspartei, die Schwesterpartei der Zentrumspartei, war bis 1933 die führende politische Kraft in Bayern und stark föderalistisch ausgerichtet (vgl. Becker, Sonderweg?, S. 39–64). Gemeint ist die Ausschaltung der bayerischen Regierung und die Gleichschaltung Bayerns Anfang März 1933 (vgl. Longerich, Hitler, S. 307 f.). Entgegen der Darstellung Sinowjews zählte Hitler zu den zentralen Angriffszielen der Berichterstattung in der führenden sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts. Vor allem seit der Ernennung Franz von Papens zum Reichskanzler im Juni 1932 wurde Hitler als eigentlicher Drahtzieher der „Regierung der Barone“ dargestellt (vgl. Engelmann, Auge, S. 86). Vgl. Anm. 12.

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Literarische Vorzüge hat das Buch nicht. Hitler weist nicht ohne Grund viele Male nach, dass die Geschichte durch die mündliche Rede bewegt wird, nicht aber durch das gedruckte Wort (es wird zwischen den Zeilen zu verstehen gegeben, dass er, Hitler, der genialste Redner unserer Epoche ist). Die Darstellung ist trocken, stellenweise nicht sehr sachkundig, stellenweise absichtlich verworren und doppeldeutig, um zu ermöglichen, dass es mal so und mal so zu verstehen sein könnte. Auf dem Gebiet der „Theorie“ lernt der Autor von niemandem. Er selbst hat alles mit seinem eigenen Verstand übertrumpft. Den ganzen Unsinn über die „Rasse“ als Grundlage all dessen, was sich auf der Erde abspielt, präsentiert er als eigene „Entdeckung“. Im ganzen Buch finden sich nur zwei Hinweise auf angesehene Autoren, von denen man etwas übernehmen kann. Bei dem einen handelt es sich um Clausewitz, beim anderen… um Hitler selbst. Gleichzeitig zeigt das Buch die gesamte Entwicklung des nachrevolutionären Deutschlands – allerdings in einem Zerrspiegel, stark verschmiert mit Blut. Wenn der Leser das Buch durchblättert, spürt er andauernd, wie langlebig der Nationalismus in den kleinbürgerlichen Kreisen des Landes ist, das im Krieg [18] eine Niederlage erlitt. Gerade vor diesem Hintergrund werden alle Pogrom-Melodien des Faschismus gespielt. In diesem Sinne ist Hitlers Buch zweifellos von großem Interesse. Es ist ekelhaft, diese Pogrom-„Bibel“ ist schrecklich. Es ist allerdings gleichzeitig äußerst wichtig als konterrevolutionäres Dokument der Epoche. Es zu kennen ist für jeden wichtig, der sich vornimmt, im Kampf gegen den Faschismus zu helfen. Der deutsche Faschismus hat sich vorgenommen, den Marxismus zu vernichten. Aber nicht ohne Grund wurde gesagt, dass es „unmöglich ist, den Marxismus zu vernichten, wie es auch unmöglich ist, das Gesetz der Geschichte zu vernichten“ (L. M. Kaganowitsch in der Rede zum 50. Todestag von K. Marx).52 Der deutsche Faschismus hat sich weiterhin vorgenommen, die UdSSR als den Staat zu vernichten, der die Ideen des Marxismus in die Tat umsetzte. Ein schrecklicher Traum! … Vor dem Hintergrund der faschistischen Räuberei, die in Deutschland und in einigen anderen Ländern vorübergehend triumphiert, wird die Sowjetunion den Arbeitern aller Länder, den Unterdrückten der ganzen Welt noch heller strahlen. Der Sieg der Arbeiterklasse über die Bourgeoisie ist unabwendbar, und das bedeutet, dass auch jene Spielart der bürgerlichen Diktatur besiegt werden wird, die Faschismus heißt. Die heldenhafte Kommunistische Partei Deutschlands bleibt auf ihrem Kampfplatz, trotz allem. Die fünf Millionen Stimmen, die für die deutsche Kommunistische Partei unter solchen Umständen abgegeben wurden, stellen einen politischen Riesensieg dar.53 Die kommunistische Weltpartei ist unbesiegbar. [19]54

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Gemeint ist Lasar Moissejewitsch Kaganowitsch, der Anfang der 1930er Jahre zu Stalins Stellvertreter und zum Parteichef der KPdSU in Moskau aufstieg (vgl. Rees, Lazar, S. 124, 146). Karl Marx starb am 14.3.1883; diese Passage ist daher nach dem 14.3.1933 entstanden. Anspielung auf die Reichstagswahlen am 5.3.1933, bei denen die KPD 4,8 Millionen Stimmen erhielt (vgl. Falter/Lindenberger/Schumann, Wahlen, S. 41). Hier endet der erste Teil des Dokuments, das Blatt [18] ist nicht mehr bis zum Ende beschrieben. Auch die (bereits ab Blatt [16] korrigierte) Seitennummerierung bricht hier ab. Ab Blatt [19] wurden die Blätter nur noch von Hand (vermutlich nachträglich) nummeriert. Handelt es sich bei den bisherigen Blättern um maschinschriftliche Originale, so sind die nachfolgenden nur noch Durchschläge.

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Volks-, vielleicht aber auch proletarische Revolution.55 Zur „Volks“revolution kam es in Deutschland im November 1918 nicht. Sie hätte in eine proletarische hinüberwachsen können, hätte es die obenerwähnten Umstände nicht gegeben. Das größte Unglück bestand darin, dass „es eine Partei von Verrätern gibt – eine revolutionäre Partei gibt es nicht“. „Gewiss“, fügt Lenin am Vorabend der deutschen Revolution hinzu, „kann eine mächtige revolutionäre Massenbewegung diesen Mangel beheben, er bleibt aber ein großes Unglück und eine große Gefahr“ (XXIII, [2]24).56 Diese Chance hatte die deutsche Revolution, die jedoch nicht realisiert wurde. Die Massenbewegung in Deutschland im Dezember 1918 – Januar 1919 erwies sich als sehr stark, insgesamt aber als nicht stark genug, um diesen Hauptmangel zu korrigieren. Letztendlich verwandelte sich gerade deshalb diese große Gefahr in großes Unglück. Die Volksrevolution wuchs nicht zur proletarischen, und gerade deshalb machte sie schnell kehrt, kam auf das Geleise des armseligen bürgerlichen Demokratismus und rollte daraufhin später eine gewisse Zeit auf den Faschismus zu. Der Schlüssel, mit dessen Hilfe sich die deutsche Bourgeoisie den Weg von der Novemberrevolution 1918 zur faschistischen Konterrevolution im März 1933 öffnete, war die deutsche Sozialdemokratie. Wenn für diesen Weg zum faschistischen Umsturz die deutsche Bourgeoisie fast 18 Jahre benötigte – im Unterschied zur italienischen Bourgeoisie, die dieses Ziel innerhalb einer viel kürzeren Zeitspanne erreichte –, erklärt sich dies aus dem Widerstand des besten Teils der deutschen Arbeiterklasse, die von der immer stärker werdenden und sich bolschewisierenden heldenhaften Kommunistischen Partei Deutschlands geleitet wurde. [20] Die russische Bourgeoisie beauftragte mit der Bändigung der „eigenen“ Arbeiter unmittelbar die Zarengeneräle Kornilow, Koltschak57 u. a. Die deutsche Bourgeoisie beauftragte mit dieser Sache die „eigenen“ Sozialdemokraten Ebert, Scheidemann und Co., die sich dabei auf Hindenburg, Gen[eral] Groener und andere Generäle Wilhelms stützten, jedoch unmittelbar im Namen der s[ozial]d[emokratischen] „Arbeiterpartei“ handelten. Für die russische Bourgeoisie entwickelte sich die Sache so, dass sie das blanke Generalsbajonett bereits einige Monate nach dem Machtantritt auf die Tagesordnung setzen musste58 und dass sie daran aufgrund der Existenz der mächtigen bolschewistischen Partei scheitern musste.59 Für die deutsche Bourgeoisie entwickelte sich die Sache so, dass sie einige Jahre auf Basis einer „sozialdemokratischen“ (tatsächlich sozialfaschistischen) Regierung durchhalten konnte, nach und nach bereitete sie offen den faschistischen „Wechsel“ vor. Dieser vorsichtigere, geschmeidigere Weg der 55 56 57

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Damit setzt offenbar ein neuer Teil der Untersuchung ein, dessen erster, unnummerierter Abschnitt hier beginnt. Dies legt die weiter unten verwendete Nummerierung nahe, die dort mit „II.“ fortsetzt (vgl. S. 36). Gemeint ist Band 23 der russischen Ausgabe der Werke Lenins bzw. der Artikel Lenins „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ vom 9.10.1918 (vgl. Lenin, Werke, Bd. 28, S. 103 f.). Gemeint sind der russische General Lawr Georgijewitsch Kornilow und der russische Admiral Alexander Wassiljewitsch Koltschak, die nach der Oktoberrevolution 1917 als Gegner der Bolschewiki eine führende Rolle im russischen Bürgerkrieg spielten (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 139–141; Luks, Geschichte, S. 40–42, 116–120). Vermutlich eine Anspielung auf die Mitte Juni 1917 unter der Führung von Generalstabschef Alexej Alexejewitsch Brussilow gestartete und bald darauf dramatisch gescheiterte russische Offensive sowie auf den dadurch ausgelösten, jedoch niedergeschlagenen bolschewistischen Putschversuch im Juli 1917 (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 83). Der Satz musste aufgrund grammatikalischer Unklarheiten sinngemäß übersetzt werden.

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Stützung einmal auf den Sozialfaschismus, einmal auf den Sozialfaschismus plus Faschismus, um sich danach nur auf den Faschismus zu stützen, erwies sich für die deutsche Bourgeoisie als viel günstiger. Seine Realisierung erwies sich gerade infolge der oben erwähnten Bedingungen als möglich. Lesen Sie Hitlers Lamentieren in Richtung der „Novemberverbrecher“ Ebert, Scheidemann und Co. aufmerksam durch. Hitler ist natürlich ein ausreichend erfahrener Demagoge, um sich nicht offen mit diesen Führern des deutschen Sozialfaschismus zu solidarisieren und ihnen nicht öffentlich Dankbarkeit zu zollen für ihre Abrechnung mit dem Januaraufstand 1919 der deutschen Arbeiter, für die Niederschlagung der Spartakisten, für die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, für das Auseinanderjagen der Räte60, für die Hetze gegen Sowjetrussland61, für die Heldentaten im Baltikum und in der Ukraine62, für die Niederwerfung [21] der finnischen sowjetischen Revolution63, für die Zerstörung der bayerischen Sowjetrepublik, am allerwichtigsten aber – für die Förderung der Gründung der ersten, dem Wesen nach faschistischen Freikorps.64 Im Gegenteil, mit Worten „donnert“ Hitler gegen die s[ozial]d[emokratischen] Führer. Aber aus der ganzen Hitlerschen Schilderung des Verlaufs der deutschen Revolution kann man sehen, dass er selbst den Wert der Dienste des deutschen Sozialfaschismus gerade während der Revolution gut kennt. Lesen Sie noch einmal aufmerksam jene Stellen, an denen Hitler in „Mein Kampf“ die Abrechnung der s[ozial]d[emokratischen] Regierung mit den Spartakisten beschreibt65, und es wird einfach sein, Hitlers heiße Dankbarkeit an die „freund-feindlichen“ Sozialfaschisten herauszulesen. Natürlich bemüht sich Hitler auch in diesen Stellen zu betonen, dass der Löwenanteil der „Verdienste“ den weißen Offizieren gehört, den ersten faschistischen „Frei“korps, dass ohne sie die „Bändigung“ der Arbeiter unmöglich gewesen wäre. Aber er kann nicht völlig das Gefühl der Dankbarkeit an Noske, an Ebert, an das ganze System der s[ozial] d[emokratischen] Politik unterdrücken, das es der Bourgeoisie erlaubte, die sozialde-

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Anfang Januar 1919 kam es in Berlin zu einem Aufstand der Spartakisten/Kommunisten, der allerdings bereits wenige Tage später unter der Führung des Sozialdemokraten Gustav Noske und mit Hilfe von Freikorps niederschlagen wurde. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, führende Figuren des deutschen Kommunismus, wurden wenig später von rechtsradikalen Militärs ermordet. Die Auflösung der Arbeiter- und Soldatenräte wurde im Frühjahr 1919 – etwa in Bayern – teilweise mit militärischen Mitteln erzwungen (vgl. Kluge, Republik, S. 61; Sontheimer, Beginn, S. 41–45; Wirsching, Republik, S. 8). Seit Ende 1918 verschärfte die Sozialdemokratie deutlich ihren Ton gegen die bolschewistische Regierung in Russland und verurteile deren Terrorherrschaft (vgl. Merz, Schreckbild, S. 172–181; Anm. 69). Anspielung auf den Separatfrieden Deutschlands mit der Ukraine im Januar 1918 und den Vertrag von Brest-Litowsk vom März 1918, in dem Russland u. a. auf die Ukraine, Finnland und die baltischen Staaten verzichtete (vgl. Luks, Geschichte, S. 79–81). Im Baltikum kämpften seit Anfang 1919 auch deutsche Freikorps gegen bolschewistische Truppen, die sich aber gegen Ende desselben Jahres zurückziehen mussten (vgl. Noske, Kiel, S. 179 f.). Nachdem sich Finnland im Dezember 1917 für unabhängig erklärt hatte, kam es Ende Januar 1918 zu einem bolschewistischen Revolutionsversuch, der allerdings mit Hilfe deutscher Truppen niedergeschlagen wurde (vgl. Goltz, Sendung, S. 40–75; Bohn, Finnland, S. 204–208). Vgl. Anm. 67. Mit der im russischen Original öfter benutzten Wendung „Freiwilligen-Trupp“ (добровольческий отряд) sind die 1918/19 entstandenen deutschen Freikorps gemeint. Sie wird daher entsprechend übersetzt. Vgl. Hitler, Kampf (1932), S. 590–592; Anm. 60.

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mokratische Partei und die sozialdemokratischen Gewerkschaften so geschmeidig gegen die Arbeiterklasse einzusetzen. In diesem Sinne sind die ersten Kapitel der Geschichte des deutschen Faschismus verflochten und verschmelzen stellenweise gerade mit den entsprechenden Kapiteln der Geschichte der „ruhmreichen“ Tätigkeit des deutschen Sozialfaschismus, insbesondere seit dem Augenblick der Novemberrevolution. Der Leser würde natürlich auf eine direkte Anerkennung dieser Tatsache durch Hitler vergeblich warten. Aus verständlichen Gründen verheimlicht der Führer der deutschen Faschisten diese Verbindung. Auch in dieser Hinsicht ist die Geschichte des deutschen Faschismus im Buch „Mein Kampf“ geradezu eine Verfälschung der Geschichte. Die echte Geschichte dieser wichtigsten Seiten der Entwicklung des deutschen Faschismus [22] muss man andernorts suchen. In der deutschen Literatur existieren zwei aufrichtige Bücher, die sich der deutschen Revolution 1918 und der ihr folgenden Konterrevolution widmen. Diese Bücher sind von ein und demselben Autor: Major a. D., ehem. Kollegiumsmitglied der Staatsarchive Erich Volkmann, der zur Spitze der deutschen Kaderoffiziere gehörte, mit persönlichen Verbindungen zu General Groener.66 Das eine dieser Bücher heißt „Der Marxismus und das deutsche Heer“, das andere „Revolution über Deutschland“. Der Hauptgedanke dieser Bücher: Deutschland wurde vor der bolschewistischen Revolution durch eine eigenartige „Koalition“ gerettet, die aus den Spitzen der deutschen Sozialdemokratie und Hauptoffizierskadern der alten Armee Wilhelms bestand. Der aufrichtige Autor bekräftigt mit einer Menge an Tatsachen diesen seinen Gedanken. Diese Bücher zeichnen gleichzeitig – obwohl sie sich diese spezielle Aufgabe nicht stellten – die Arbeit der s[ozial]d[emokratischen] Partei zur Schaffung erster Zellen des deutschen Faschismus. Was sonst als die Schaffung faschistischer Zellen war die Organisation spezieller Abteilungen weißgardistischer Offiziere unter der Leitung Gustav Noskes in den Jahren 1918–1919? Was sonst waren diese Abteilungen Pfeffers, Watters, Erhardts, Loewenfelds?67 Was sonst waren die „Organisation Escherich“ („Orgesch“)68 und andere, die unter der Fahne der Verteidigung der sozialdemokratischen Regierung zur Unterdrückung der revolutionären Arbeiter geschaffen wurden? Bildeten alle diese militärischen konterrevolutionären Zellen etwa nicht die Grundlage zur Schaffung der künftigen Organisationen der Faschisten? Und was sonst als die Begleitmusik zur faschistischen Agitation war die ganze Predigt der deutschen s[ozial]d[emokratischen] Partei gegen die Sowjetmacht in Russland? Ist es etwa nicht eine Tatsache, dass insbesondere die gegen den russischen Bol66

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Erich Otto Volkmann zählte zu den bekannten Militärhistorikern der Weimarer Republik und war seit 1920 Mitarbeiter im Reichsarchiv in Potsdam. Wilhelm Groener war als Nachfolger von Erich Ludendorff letzter Generalquartiermeister des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg, 1928 bis 1932 Reichswehrminister bzw. Reichsinnenminister (vgl. Hürter, Groener). Gemeint sind die Führer verschiedener Freikorps Franz Pfeffer von Salomon, Oscar von Watter, Hermann Ehrhardt und Wilfried von Loewenfeld. Besondere Bedeutung erlangte die „Brigade Ehrhardt“, die sowohl an der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik 1919 als auch am KappLüttwitz-Putsch 1920 beteiligt war. Franz Pfeffer von Salomon wurde 1926 von Hitler zum Obersten SA-Führer ernannt, was er bis 1930 blieb (vgl. Longerich, Bataillone, S. 52–59; Sprenger, Landsknechte, S. 39–48). Gemeint ist die von Georg Escherich geleitete „Organisation Escherich“ (Orgesch), die Anfang der 1920er Jahre in Bayern als Dachorganisation verschiedener Einwohnerwehren diente (vgl. Zuber, Netz, S. 151–157).

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schewismus und die Sowjetmacht gerichteten Broschüren Kautskys69 [23] kostenlos von den Begründern des deutschen Faschismus unter den Massen der Soldaten und Bauern verbreitet wurden?70 Hatte Lenin etwa nicht Recht, als er schrieb, wenn er Imperialist wäre, würde er große Summen aufwenden für die Bezahlung der „Werke“ Kautskys gegen die Diktatur des Proletariats?71 Stimmt es etwa nicht, dass, als 1919 [!]72 die Arbeiter durch einen Generalstreik den konterrevolutionären Putsch Kapps und des Generals Lüttwitz sprengten und dann von der von ihnen geretteten Regierung Ebert forderten, die weißgardistischen Abteilungen aufzulösen, insbesondere die Entlassung der Brigade Erhardt, der s[ozial]d[emokratische] Führer Ebert mit der Auflösung der Arbeitertruppen und der Beibehaltung der faschistischen militärischen Zellen antwortete sowie die faschistischen Häuptlinge des Putsches begnadigte, denen kein Haar gekrümmt wurde?73 An der Wiege der ersten faschistischen Zellen – darunter auch militärischer Zellen – standen exponierte Führer der Sozialfaschisten – Ebert, Noske und Co. Taufpaten der ersten militärischen faschistischen Zellen waren diese, mit Verlaub gesagt, Sozialdemokraten. Ihr „Verdienst“ bei der Schaffung dieser Zellen ist nicht geringer als das „Verdienst“ Hindenburgs, des Generals Groener, des Generals Epp74, ja sogar Hitlers „selbst“. So ist die geschichtliche Wahrheit. Von dieser Wahrheit wenden sich die Führer der II. Internationale75 jetzt verstärkt ab. Sie wollen diese Wahrheit um jeden Preis vertuschen. Im Juniheft der Zeitschrift der „Austromarxisten“ aus dem Jahr 1933 versucht Kautsky, die Ursachen des Sieges des deutschen Faschismus zu „untersuchen“. Seine „Erklärung“ lautet: „Die Nationalsozialisten kamen nicht zur Macht dank eines, sagen wir, Aufstandes einiger Regimenter (wie es beim Kapp-Putsch der Fall war), sondern dank des steten Anwachsens der Anteilnahme der Massen für sie“. („Kampf“, 1933, Nr. 6, S. 236).76 Die Anteilnahme [24] der Massen war ihnen angeblich aufgrund der durch die Weltkrise geschaffenen Lage 69

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Gemeint ist der bis zum Ende des Ersten Weltkriegs einflussreiche sozialistische Theoretiker und Politiker Karl Kautsky. Nach der Oktoberrevolution 1917 wandte sich Kautsky in mehreren Schriften gegen den Bolschewismus und die „Diktatur des Proletariats“. Lenin verfasste im Oktober/November 1918 gegen Kautsky und dessen Kritik eine Schrift unter dem Titel Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky. Auch später veröffentlichte Kautsky wiederholt Schriften gegen den Bolschewismus (vgl. Koth, Zeit, S. 179–185, 220–223). Gemeint sind vermutlich Schriften Kautskys wie Terrorismus und Kommunismus (1919), die von der Reichswehr verbreitet und empfohlen wurden (vgl. Plöckinger, Soldaten, S. 222, 243). Vgl. Lenin, Werke, Bd. 28, S. 243. Der Putsch unter Führung von Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz fand erst im März 1920 statt. Wörtlich: „von deren Kopf nicht ein Haar fiel“. Gemeint ist Franz Xaver von Epp, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine führende Figur in den bayerischen Freikorps und in der Reichswehr, nach 1933 Reichsstatthalter für Bayern (vgl. Zuber, Netz, S. 151). Die Angriffe auf Karl Kautsky und die II. Internationale gehen auch auf die Konflikte rund um die Gründung der III. (Kommunistischen) Internationale 1919 zurück. Galt Kautsky als „Theoretiker“ der II. Internationale, so stieg Sinowjew zum Vorsitzenden der III. Internationale auf (vgl. Koth, Zeit, S. 197). Gemeint ist die Zeitschrift Der Kampf der österreichischen Sozialdemokratie, für die Karl Kautsky seit 1922 als Mitarbeiter tätig war (vgl. Koth, Zeit, S. 204). Im Original lautet die Passage: „Ganz anders als die Kapp-Leute stehen heute die Hitler-Leute da. Nicht durch den Putsch einiger Regimenter sind sie emporgekommen, sondern durch steten Zuzug von Massen.“ (Der Kampf, Jg. 26, Nr. 6, Juni 1933).

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sicher.77 Kautsky wiederholt fast Wort für Wort seine „Argumentation“ nach dem Verrat am 4. August 1914.78 Man spricht vergeblich vom Verrat durch den s[ozial] d[emokratischen] Führer. Schuldig seien die „Massen selbst“, die mit dem Krieg sympathisierten (1914), mit dem Faschismus sympathisieren (1933). Genauso schreibt Kautsky jetzt: „Es wäre kleinlich, angesichts so gigantischer Faktoren die Schuld für das Geschehen in dem Verhalten [und der Tagesstimmung]79 einzelner Personen zu suchen“ („Kampf“, 1933, Nr. 6, S. 242).80 Kurzum, das ganze Arsenal gemeinster kautskyanischer Lügen! „Einzelne Personen“ vom Schlage Eberts und Noskes halfen den Faschisten 1918/19, ihre ersten Kampftruppen gegen die Arbeiter zu schaffen. „Einzelne Personen“ vom Schlage Kautskys und Scheidemanns halfen (und helfen) den Imperialisten, niederträchtigste Hetze zu betreiben und die Intervention gegen die UdSSR vorzubereiten. „Einzelne Personen“ vom Schlage Hilferdings und Wels’81 bewiesen jahrelang die Unmöglichkeit eines Generalstreiks gegen den Aufstieg Hitlers unter Verwendung gerade derselben Argumentation: Faschisten kommen, im Unterschied zu Kapp, zur Macht dank eines „ständigen Zuwachses der Teilnahme der Masse“ (der Lump Hilferding hielt schon 1931 darüber ein […]82 Referat auf der Versammlung der s[ozial] d[emokratisch] aktiven Berliner Organisation). Aber natürlich wissen fortschrittliche Arbeiter, dass diese „einzelnen Personen“ keine Bedeutung für sich selbst haben, sondern als Instrument in den Händen des Bürgertums, als Agentur des Imperialismus und des Faschismus im Arbeitermilieu. [25] II.83 Der Führer der deutschen Faschisten Hitler ist gezwungen, die wahre Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen dem Faschismus und dem Sozialfaschismus zu verheimlichen. Aber Hitler ist auf der anderen Seite gezwungen, auch die wahre Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen dem Faschismus und dem Finanzkapital, zwischen der faschistischen Partei und den Bank- und Industriekreisen, dem Lager der Monarchisten, den imperialistischen Kreisen Englands, Japans u. dgl. zu verheimlichen. Auch die Geschichte dieser Wechselbeziehungen muss man andernorts suchen. Erst jetzt kommt es zu Entlarvungen etwa durch das in London erschienene Buch von Johannes Still [!]84, das berichtet, wie der Vorsitzende der Reichsbank Schacht 77 78

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Der Satz ist im Original nur schwer lesbar, die Übersetzung daher unsicher. Gemeint ist die Erklärung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am 4.8.1914, mit der sie den Kriegskrediten zustimmte. Kautsky hatte darauf allerdings kaum Einfluss, sein Vorschlag einer nur bedingten Zustimmung wurde abgelehnt (vgl. Groh/Brandt, Gesellen, S. 158–169; Koth, Zeit, S. 156; Niemann, Geschichte, S. 15–18). Handschriftlich gestrichen. Im Original lautete die Passage: „Es wäre kleinlich, so riesenhaften Faktoren gegenüber die Schuld in dem gelegentlichen Verhalten einzelner Personen zu suchen.“ (Der Kampf, Jg. 26, Nr. 6, Juni 1933). Gemeint sind die beiden sozialdemokratischen Politiker Rudolf Hilferding und Otto Wels. Wort unleserlich. Vgl. Anm. 55. Gemeint ist das Buch Hitler as Frankenstein von Johannes Steel, das 1933 in London erschien. Hinter Steel verbarg sich der 1933 zunächst nach Frankreich und Großbritannien, dann in die USA emigrierte linksgerichtete deutsche Journalist Herbert Stahl (vgl. Schneider, Steel (1985), S. 79 f.;

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seinerzeit aus den USA85 Geld für die Hitlerbewegung herbeischaffte86, der die amerikanischen Faschisten davon überzeugte, dass Hitler berufen ist, das von den Amerikanern in deutschen Unternehmen eingesetzte Kapital zu bewahren; wie Morgan der nat[ional-]sozialistischen Partei Deutschlands 85 Tausend Dollar, Ford – 40 Tausend Dollar, General-Motors – 200 Tausend Dollar spendeten87; wie später Prinz Ferdinand von Preußen88 als Emissär Hitlers zu Ford kam, dem es gelang, für die Hitlerfaschisten noch 300 Tausend Dollar zu beschaffen; wie der schwedische Zündholzkönig Kreuger (der später Selbstmord beging)89 den deutschen Faschisten durch Göring eine riesige Summe übergab; wie die Hitlerbewegung durch große Waffenfabrikanten subventioniert wurde; wie Hitler über den bekannten deutschen Industriellen Rechberg Verbindungen mit der französischen Rüstungsindustrie unterhielt usw.90 Bei diesen Entlarvungen kommt das dicke Ende noch. Zu seiner Zeit wird das siegreiche Proletariat alle Verbindungsfäden zwischen den Galgenvögeln des Faschismus und ihren imperialistischen Drahtziehern aufdecken. Bis es dazu kommt, muss man zur [26] Beleuchtung der wahren Geschichte des deutschen Faschismus auch die Bücher verwenden, die von bürgerlichen Gegnern der Faschisten geschrieben wurden. Was sich Hitler im geschichtlichen Teil seines Buches zu verschweigen bemüht, was er sich zu unterdrücken bemüht, wurde noch vor kurzem von manchen bürgerlichliberalen Gegnern des Faschismus in Deutschland selbst entlarvt. In dieser Hinsicht kann einen gewissen Dienst das Buch des bürgerlichen Historikers Heiden leisten, Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung“ (bis zu ihrer „Umtaufe“ zum

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Schneider, Steel (1987), S. 62; Plöckinger, Geschichte, S. 473). Sinowjew bezieht sich nachfolgend auf das umfangreiche Kapitel in Steels Buch, das sich mit Hitlers Geldquellen beschäftigt (vgl. Steel, Hitler, S. 20–54). Das Vorwort zu Steels Buch ist auf Juni 1933 datiert, was darauf hinweist, dass diese Passagen erst im Sommer 1933 entstanden sind. Das groß geschriebene Kürzel ist nicht eindeutig lesbar, der Zusammenhang legt allerdings „США“ (USA) nahe. Hjalmar Schacht war seit 1923 Chef der deutschen Reichsbank und förderte in den 1930er Jahren den Aufstieg Hitlers. Nach 1933 wurde er als Reichswirtschaftsminister zu einer zentralen Figur der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik (vgl. Kopper, Schacht, S. 196–207). John Steel schrieb 1939 für die englische Übersetzung der von Norbert Mühlen verfassten Biografie Schachts Hitler’s Magician ein Vorwort. Das in der Schweiz veröffentlichte deutsche Original trug den Titel Der Zauberer (1938), das Vorwort dazu stammte wiederum von Konrad Heiden. Eine finanzielle Unterstützung der NSDAP durch den amerikanischen Industriellen Henry Ford wurde immer wieder vermutet und war sogar Thema in Gerichtsprozessen Anfang der 1930er Jahre. Belegbar ist sie jedoch nicht (vgl. IfZ (Hg.), Hitler, Bd. III/3, S. 74; Baldwin, Ford, S. 183–186). Der Unternehmer und Bankier John P. Morgan Jr. und General Motors hingegen werden sonst nicht mit der Finanzierung der NSDAP in Verbindung gebracht. Möglicherweise ist damit Prinz August Wilhelm von Preußen gemeint, der seit 1930 Mitglied der NSDAP war und Hitler aktiv unterstützte (vgl. Machtan, Kaisersohn, S. 171–182). Gemeint ist der schwedische „Zündholzkönig“ und Großspekulant Ivar Kreuger. Sein in den 1920er Jahren aufgebautes Finanzimperium kollabierte im Frühjahr 1932, woraufhin er Selbstmord beging (vgl. Partony, Zündholzkönig, S. 259–314). Gemeint ist der Publizist Arnold Rechberg, Sohn einer deutschen Unternehmerfamilie, der für eine Aussöhnung mit den Westmächten und eine militärische Intervention gegen die Sowjetunion eintrat. Anfang der 1920er Jahre veröffentliche er in konservativen und rechtsradikalen Blättern, darunter im Völkischen Beobachter, wandte sich dann jedoch liberalen Blättern zu (vgl. VB, 24.4.1920; Der Jungdeutsche, 27.8.1925; NDB, Bd. 21, S. 228 f.).

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Faschismus).91 Dieses Buch ergänzt in einigen Punkten den Hitlerschen [!] „Mein Kampf“ nicht schlecht, denn Heiden spricht davon, was Hitler verschweigen möchte. Auch die deutschen Faschisten gaben natürlich eine Reihe von Büchern heraus, die darauf Anspruch erheben, die Geschichte des Faschismus darzustellen. Das ist allen voran Hitlers „eigenes“ Buch „Mein Kampf“, das sind die zwei Bücher des „Theoretikers“ des deutschen Faschismus Alfred Rosenberg („Wesen, Grundsätze und Ziele der N.S.D.A.P.“, München 1923 und 1932, „H. St. Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft“, München, 1927)92 das ist R. Billungs Buch „Geschichte des National-Sozialismus in Deutschland“ („N.S.D.A.P. Die Geschichte einer Bewegung“, München, 1931)93 die Bücher Rudolph Jungs, Röhms94, das sind einige Hitler-Biographien, verfasst von Schott („Das Volksbuch vom Hitler“), Leers („Hitler“), Miltenberg („Adolf Hitler – Wilhelm III“, 1930), Jochberg („Hitler, Eine Deutsche Bewegung“ – 1931) usw.95 Aber all diese offiziellen und offiziösen Publikationen96 der deutschen Faschisten haben natürlich einen grob apologetischen, tendenziösen Markt- und Werbecharakter; [27] selbst die elementarsten Darstellungen der Tatsachen und Dokumente der faschistischen Bewegung sind in ihnen nicht zu finden. Einen etwas anderen Charakter hat das gerade erst (am Vorabend von Hitlers Machtantritt) herausgegebene, oben erwähnte Buch Konrad Heidens „Geschichte des Nationalsozialismus“ (Konrad Heiden „Geschichte des Nationalsozialismus“ 1932).97 Das genannte Buch wurde von einem bürgerlich-liberalen Schriftsteller geschrieben, der völlig unfähig (und nicht gewillt) ist, die sozialen Wurzeln der faschistischen Bewegung aufzudecken und ihren Klasseninhalt zu analysieren. Wer ist Konrad Heiden? Er ist nur einer der bedeutenden Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung“. Als Journalist lebte er jahrelang in München und schickte von dort Korrespondenzen an seine Zeitung gerade in der Zeit, als die deutsche faschistische Bewegung ihre ursprüngliche „bayerische“ Periode erlebte (d. h. bis zum Auftritt des deutschen Faschismus auf der gesamtdeutschen Bühne). In München befand sich das politische Hauptlabor des deutschen Faschismus. Die Periode von 1919 bis 1923, d. h. von der Entstehung der deutschen faschistischen Partei bis zum Münchner Putsch Hitlers, ist Heiden aus persönlichen Beobachtungen gut bekannt. Darin besteht ein großer Vorteil des Autors. Was das 91

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Gemeint ist die Schrift Geschichte des Nationalsozialismus von Konrad Heiden, die im Dezember 1932 erschien (vgl. Aust, Feind, S. 126). Heiden, als Journalist u. a. für die Frankfurter Zeitung und die Vossische Zeitung tätig, setzte sich früh mit dem Nationalsozialismus auseinander. Seiner ersten Studie über den Nationalsozialismus folgten zahlreiche weitere, im Exil publizierte Schriften (vgl. NDB, Bd. 8, S. 246 f.; Aust, Feind, S. 68–102). Die Titel und Daten der genannten Bücher sind auch im Original auf Deutsch angeführt. Der Titel des genannten Buches ist zunächst in russischer Übersetzung und dann in Klammern auf Deutsch angeführt. Gemeint sind die Schriften Der nationale Sozialismus (1919) von Rudolf Jung und Geschichte eines Hochverräters (1928) von Ernst Röhm. Die Titel der genannten Bücher sind auf Deutsch angeführt. Gemeint sind die Autoren Georg Schott, Johannes von Leers, Weigand von Miltenberg (ein Pseudonym von Herbert Blank) und Erich CzechJochberg (vgl. Plöckinger, Geschichte, S. 354, 359 f., 519; Plöckinger Texte, S. 108). Es erscheint bemerkenswert, in welchem Ausmaß Sinowjew über die zeitgenössischen deutschen Publikationen über Hitler und die NSDAP informiert war. Wörtlich „Ausgaben“ (издания). Vgl. Anm. 91. Autor und Titel des angesprochenen Buches sind einmal auf Russisch und einmal auf Deutsch angegeben.

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Jahrzehnt 1923–1932 betrifft, gelang es Heiden auch, viele wertvolle Materialien zu sammeln. Die Haltung des Autors ist aber die eines mittelmäßigen „demokratischen“ Bourgeois, der den Standpunkt der „normalen“ Entwicklung der bürgerlichen Demokratie verteidigt. Alles, was seine eigene „Vossische Zeitung“ über Heiden sagen kann, die (Nr. vom 20. November 1932) zu seinem Buch eine lobende Besprechung veröffentlichte, ist, dass „sich Heiden, dies erklärt sich von selbst, von der offiziösen [28] Historiographie des Braunen Hauses fernhält“ (d. h. von der Hitlerschen Metropole), und selbst das wurde mit großen Übertreibungen gesagt. Wie wir in der Tat weiter sehen werden, ist der Autor gar nicht so frei von der offiziösen Historiographie des Faschismus. In Heidens Buch findet sich eine bizarre Mischung aus „elegantem“ Skeptizismus in Bezug auf Hitler mit einem lakaienhaften Servilismus ihm gegenüber. Hitler wird als größter Volkstribun der gegenwärtigen Epoche, als größter Staatsmann Deutschlands, als fähigster Redner usw. dargestellt und gleichzeitig wird Hitler bei jeder Gelegenheit verspottet, über ihn werden „alltägliche“ Details äußerst kompromittierender Art erzählt. Diese Zwiespältigkeit prägt das ganze Werk Heidens. Der Autor weiß, dass es für die deutsche faschistische Partei notwendig ist, in der nächsten Zeit „entweder an die Spitze zu gelangen, oder sie stürzt mit Krachen nieder aus großer Höhe“ (S. 294)98, sie kann sich nicht mehr den Luxus erlauben, lange auf den Machtantritt zu warten, sie darf nicht, wie andere Parteien, ihren Wählern sagen: „Gebt mir mehr Stimmen, und ich bringe euch die Erfüllung eurer Wünsche“ (S. 294).99 Da jedoch Heiden selbst noch nicht weiß (Ende 1932), was gerade in der nächsten Zukunft geschieht, ob Hitler und Co. an die „Spitze“ der Macht aufsteigen oder mit Krachen niederstürzen werden; da Heiden für sich selbst nicht entschieden hat, was gerade in der heutigen komplizierten Lage für seine Klasse nützlicher wäre, so ist sein ganzes Buch, wie schon erwähnt, durch diese Zwiespältigkeit geprägt. Einerseits ist der Faschismus ein „Betrug der Massen“, „eine Verspottung der Wähler“ (S. 269) und seine Führer erscheinen als ein Häuflein von Betrügern und skrupellosen Demagogen, andererseits ist der Faschismus angeblich, trotz [29] seiner „Irrtümer“, eine große Bewegung, die Deutschland schon sehr viel gegeben hat; auch sind die Führer des gegenwärtigen deutschen Faschismus zwar keine fehlerlosen Menschen, aber sie führen die Massen angeblich immerhin auf neue Wege und, wer weiß, führen sie vielleicht hinein ins Gelobte Reich.100 Uns interessiert im behandelten Buch am meisten seine erste Seite – insbesondere, wenn der Autor hier Tatsachen und Dokumente anführt. Je zwiespältiger und doppelzüngiger die Position des Autors ist, desto gewichtiger sind jene Tatsachen, Zahlen und Materialien, die er anzuführen gezwungen ist gegen seine „Freunde-Feinde“, die deutschen Faschisten. Gerade sie verdienen die besondere Aufmerksamkeit unseres Lesers. Während der Münchner Periode des deutschen Faschismus, beweist Heiden, machten es sich Hitler und seine Gefolgsleute zur Aufgabe, eine Partei der „Auserwählten“, 98

Bei Heiden lautet die Stelle: „Auf ihrem bedenklichen Pfad hat die Partei sich schließlich so verstiegen, daß sie unbedingt zum Gipfel gelangen oder einen tiefen Fall tun muß.“ (Heiden, Geschichte, S. 294). 99 Bei Heiden lautet die Stelle: „Ihr [der NSDAP, d. V.] ist es nicht gegeben, wie andere Parteien ihren Wählern zu sagen: bringt mir mehr Stimmen, und ich bringe die Erfüllung.“ (Heiden, Geschichte, S. 294). 100 Sinowjew verwendet wohl ironisch den Begriff „Reich“ (царство) und nicht „Land“ (земля).

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aber keineswegs eine Partei der Massen zu schaffen. Heiden führt ein sehr charakteristisches „Gedicht“ an, abgedruckt etwa 1925 im Zentralorgan der deutschen Faschisten „Völkischer Beobachter“. Hier ist es:101 „Ich hasse die Masse die kleine gemeine, den Nacken gebeugt die isst und schläft und Kinder zeugt

Ich hasse die Masse die lahme die zahme, die heut an mich glaubt und die mir morgen mein Herzblut raubt.“

(Ich hasse die Masse: kleine und gemeine Leute mit gebeugten Rücken – die Masse, die isst, schläft und Kinder zeugt. Ich hasse [30] die Masse, feig, unentschlossen, die heute an mich glaubt und morgen mir den letzten Tropfen Blut nimmt).102 Die Arbeiterorganisationen, die unter dem Banner des Marxismus gehen, nennt Hitler „eine gigantische Organisation von Arbeitsvieh ohne Führung“ (Heiden, S. 93).103 Schon auf der Generalversammlung der faschistischen Partei im September 1928 in München erklärt Hitler: „Wir versammeln um uns herum eine historische Minderheit; sie beträgt in Deutschland 600 bis 800 Tsd. Personen. Wenn wir diese Zahl der Mitglieder in die Partei integrieren, so bilden wir dadurch ein gewichtiges Zentrum für den gesamten Staat. Für sie wäre es sehr schlecht, wenn sich um uns herum die enormen Massen versammeln würden, die nur in der Lage sind, Hurra zu schreien. Daher treffen wir eine Unterscheidung zwischen Parteimitgliedern und ihren Anhängern. Unter den Letzteren wird das gesamte deutsche Volk sein, denn die Parteimitglieder betragen lediglich 600 bis 800 Tsd. Personen. Das ist die Zahl, die was auch immer kostet; alles andere sind nur Mitläufer zu dem Zeitpunkt, wenn wir mit den Kampfkolonnen hinaustreten; dies sind einfache Zahlen, dies sind keine Personen, sondern Nummern, die die Wahlbulletins liefern.“ (S. 269).104 Aus wem also müssen diese 600–800 Tsd. Personen bestehen? Aus Arbeitern, aus Bauern? Zu Beginn der faschistischen Bewegung äußerte sich Hitler einmal darüber, dass die Führung örtlicher faschistischer Gruppen zu 2/3 aus Arbeitern bestand (S. 212). Das war jedoch bloße Demagogie. Einzelne Arbeiter, die den Faschisten noch nachtrabten, nehmen die Hitleristen auch jetzt in Ortsgruppen auf, aber gerade die Führung wird systematisch aus Vertretern vermögender Klassen ausgewählt, und auf die 101 Vgl. Heiden, Geschichte, S. 94. 102 Das Gedicht wird zunächst in Deutsch angeführt, dann ins Russische übersetzt. 103 Von Heiden wird Hitlers Äußerung über den Marxismus so zitiert: „Eine riesenhafte Organisation von Arbeitstieren ohne Führung.“ (Heiden, Geschichte, S. 93). 104 Von Heiden wird Hitlers Äußerung so zitiert: „Wir werden die historische Minorität sammeln, die vielleicht in Deutschland 600 000 bis 800 000 Menschen ausmacht. Wenn wir diese in der Mitgliedschaft vereinigt haben werden, dann haben wir das Schwergewicht des Staates geschaffen. Wenn aber die große Masse mit Hurrageschrei bei uns einschwenken würde, dann stünde es übel um uns. Deshalb unterscheiden wir zwischen Mitgliedern und Anhängern. Diese sind das ganze deutsche Volk, die Mitglieder 600 000 bis 800 000. Das ist die Zahl, die etwas taugt; alles andere geht nur mit, wenn wir in Marschkolonnen antreten. Das sind die bloßen Einser, nicht Personen, sondern Nummern, die den Wahlzettel abgeben.“ (Heiden, Geschichte, S. 269; vgl. IfZ (Hg.), Hitler, Bd. III/1, S. 53 f.).

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entscheidenden Posten werden größtenteils ehemalige Offiziere, [31] Fabrikantensöhnchen, die bürgerliche Intelligenz, ländliche Kulaken und ihre Nachkommen befördert. Die größte Rolle im Organisationssystem des deutschen Faschismus in der Periode vor 1933 spielen seine Hilfsorganisationen. Das sind: 1) Nationalsozialistischer Kampfbund für deutsche Kultur, entstanden 1927 auf Initiative Rosenbergs; 2) Bund sogenannter „Artamanen“ (das Wort „Artam“ bedeutet im Altgermanischen „jene, die das Land verteidigen“); 3) Nationalsozialistischer Lehrerbund; 4) Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen; 5) Nationalsozialistischer Ärztebund; 6) Faschistisches Rotes Kreuz (eine Frauenorganisation, aus dem früheren „Frauenorden“ entstanden; den Frauen wird bei den Faschisten nur die Rolle barmherziger Schwestern zugewiesen); 7) Hitlerjugend; 8) Nationalsozialistischer Schülerbund; Nationalsozialistischer Studentenbund. Im Jahr 1926 zählte die faschistische Partei 17.000 Mitglieder, im Jahr 1927 40.000 Mitglieder, 1932 zählte sie offiziell 1 Mil[lion] Mitglieder. Die faschistische Führung liegt in den Händen eines kleinen Häufleins, hierarchisch verwaltet durch einen einzelnen Diktator. Nicht wenig interessantes Material führt Heiden zur Frage des Geldes an, von dem die faschistische Partei Deutschlands bis zu ihrem Machtantritt lebte. Das Geld kam und kommt von der Bourgeoisie. Unter diesen Personen sind der Fabrikant Borsig (Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), die Frau des Fabrikanten Helene Bechstein, Frau von Seydlitz, eine Reihe bayerischer Großindustrieller, der Fabrikant Grandel aus Augsburg, Geheimer Kommerzienrat Hermann Aust u. a.105 Es wurden Versuche unternommen, [32] Geld vom amerikanischen Automobilfabrikanten Henry Ford zu bekommen – und nicht ohne Erfolg (siehe oben die Angaben aus den Entlarvungen Stills). Der englische Labour-Abgeordnete Morel behauptete offen, dass die deutschen Faschisten Geld auch von französischen Kapitalisten bekamen. Morel behauptet, dass er das von Mitgliedern der französischen Regierung wisse.106 Ferner wurde Geld auch von ausländischen Kapitalisten besorgt, die mit dem Faschismus sympathisieren – durch den schweizerischen Arzt Ganser u. a. Am meisten wurden in den Jahren der Inflation die Unterstützungen geschätzt, die in einer Auslandswährung getätigt wurden (auf den S. 144–147 in Heidens Buch kann der Leser eine Reihe von Vornamen, Nachnamen, Zahlen finden, die die Finanzquellen des deutschen Faschismus gar nicht schlecht beleuchten). Bereits während des Gerichtsprozesses zum Münchner Putsch 1923 wurden einige sensationelle Einzelheiten über die geheimen Beratungen Hitlers mit Großindustriellen aufgedeckt. Seit der Mitte des Jahres 1926 und dann im Jahre 1927 veranstaltete Hitler systematisch eine Reihe geschlossener, kleiner Versammlungen für Vertreter der Großkapitalisten im Ruhrbecken und andernorts. Bei diesen Beratungen spielte die Frage der finanziellen Unterstützung der faschistischen Bewegung nicht die letzte Rolle. In Heidens Buch (S. 222 u. a.) werden in dieser Hinsicht nicht unbedeutende Tatsachen dargelegt. 105 Gemeint sind der Großindustrielle Ernst von Borsig, Helene Bechstein, Frau des Klavierfabrikanten Edwin Bechstein, Gertude von Seydlitz, Gottfried Grandel und der Präsident der bayerischen Industriellenvereinigung Hermann Aust. Sie förderten in unterschiedlichem Ausmaß und zu verschiedenen Zeiten Hitler und die NSDAP (vgl. Turner, Großunternehmer, S. 69–72; Rösch, NSDAP, S. 131; Gotto, Kommunalpolitik, S. 21; Ullrich, Hitler, S. 140–142; Longerich, Hitler, S. 107). 106 Vermutlich ist der Labour-Abgeordnete Edmund D. Morel gemeint. Die angeführte Aussage lässt sich nicht nachweisen.

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Nicht uninteressant sind auch sachkundige Informationen, die Heiden über die Frage anführt, wie sich einzelne der derzeitigen Führer der deutschen Faschisten in die Hitlerpartei „einkauften“ (S. 58 u. a.). Es kaufte sich Dietrich Eckart, es kaufte sich der später „berühmt“ gewordene Gregor Strasser, es kauften sich „selbst“ Göring und andere reiche Führer ein. Die erste Zeitung Hitlers in München wurde mit 60.000 Mark gegründet, die über einige Generäle aus der Kasse der Reichswehr kamen. Die Führer [33] „kauften“ sich in den Generalstab des deutschen Faschismus ein und auf dieser Grundlage kam es manchmal zu einigen Skandalen. Es gelang manchmal nicht ganz, diese Skandale vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Einer der Troubadoure Hitlers, einer seiner engsten Freunde und Helfer, Hermann Esser107, geriet in eine sehr unschöne Geldgeschichte, die verbunden war mit intimen Beziehungen zu einer bürgerlichen Dame in Nürnberg. Als dieser Esser in die Enge getrieben wurde, erklärte er: Man möge ihm dieses Verhältnis nicht zur Last legen, denn nur dank seiner Freundschaft mit der genannten Dame gelang es ihm zu erreichen, dass der Mann dieser Dame in schweren Zeiten die Partei mit Geld unterstützte, das Hitler bisher nicht zurückgab (S. 217). Es kauften sich auch Personen vom Typ eines Grafen Reventlow ein.108 Je klarer der Zerfallsprozess der alten bürgerlichen Parteien wird, desto mehr gelingt es der sozialen Demagogie von Hitler und Co., unter Ausnutzung dieses Zerfalls, wenigstens vorübergehend gewisse Elemente des Kleinbürgertums, der Angestellten, der Beamten, der reichen Bauern um sich herum mobil zu machen, je klarer wurde, dass es den Nationalsozialisten vorübergehend gelingt, um sich herum eine ziemlich breite Massen zu sammeln, – in desto größerem Maß sahen sich „würdige“ Bourgeois, die beanspruchten und beanspruchen, in der gegenwärtigen Lage eine politische Rolle zu spielen, gezwungen, sich in die Reihen der Faschisten einzukaufen und bis zu einem gewissen Grad unter das Joch Hitlers zu gehen. „Ohne ein weiteres Wort unterwerfe ich mich vollständig Herrn Adolf Hitler. Warum tue ich das? Weil er bewiesen hat, dass er führen kann“ – erklärt Graf Reventlow 1927 (S. 236).109 Dennoch kämpfte Reventlow bis vor kurzem noch gegen Hitler und seine Partei. Hitler selbst sprengte an der Spitze einer großen Gruppe von SA-Leuten [34] noch kurz vor dieser Erklärung Versammlungen, die vom Grafen Reventlow veranstaltet wurden. Das geschah nicht nur einmal. „Die Nationalsozialisten selbst waren sich dessen vollkommen bewusst, dass sie selbst Erben des bürgerlichen Zerfalls sind und sie fühlten sich als solche“ – schreibt Heiden (S. 265). „Aber was bedeutete dieser Zerfall, wie genau spielte sich der Zerfallsprozess ab, was genau zerfiel“110 – das haben nach Meinung Heidens die Führer des deutschen Faschismus nicht verstanden. Die Bedingungen charakterisierend, die die Entwicklung des Faschismus in der gegenwärtigen Epoche begünstigen, verweist das Programm der Komintern darauf, 107 Hermann Esser zählte bis 1926 zum engeren Führungskreis der NSDAP, stieß jedoch zunehmend auf Widerstand innerhalb der Partei, sodass ihn Hitler letztlich fallen ließ (vgl. Ullrich, Hitler, S. 220– 224). 108 Gemeint ist Ernst von Reventlow, der die einflussreiche völkische Wochenschrift Reichswart herausgab. Er zählte zunächst zu den völkischen Konkurrenten Hitlers, trat jedoch Anfang 1927 der NSDAP bei (vgl. Neville, Count, S. 173–195). 109 Von Heiden wird Reventlows Äußerung so zitiert: „Ich ordne mich ohne weiteres Herrn Adolf Hitler unter. Warum? Er hat bewiesen, daß er führen kann.“ (Heiden, Geschichte, S. 236). 110 Bei Heiden lauten die Stellen: „Die Nationalsozialisten selbst haben sich, wie wir sahen, deutlich genug als Erben des bürgerlichen Zerfalls empfunden; aber was war dieser Zerfall, wie vollzog er sich, was zerfiel?“ (Heiden, Geschichte, S. 265).

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dass zu diesen Bedingungen allen voran folgende gehören: „Instabile kapitalistische Beziehungen; Existenz beträchtlicher deklassierter sozialer Elemente; Verarmung breiter Schichten des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz; Unzufriedenheit des ländlichen Kleinbürgertums; schließlich die ständige Gefahr eines Massenauftritts des Proletariats“.111 Zur Zahl dieser Bedingungen muss man in einem solchen Land wie Deutschland noch die Niederlage im Weltkrieg hinzurechnen, die u. a. ein unvermeidliches Anwachsen des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Patriotismus zur Folge hatte. Der Friede von Versailles, Deutschland mit allen sich aus ihm ergebenden Folgen aufgezwungen, schafft den Boden für das massenhafte Aufblühen eines kleinbürgerlichen Patriotismus, der sich in einem solchen Land wie Deutschland als echte Nährlösung112 für die „Ideen“ des Faschismus erweist. Damit lässt sich jene in Heidens Buch mehrmals festgestellte Tatsache erklären, dass im Umfeld113 des deutschen Faschismus Fragen der Außenpolitik einen der wichtigsten Plätze einnehmen. Hitlers erster öffentlicher Auftritt im Jahre 1919 in München (es waren nur 100 Menschen anwesend) war Fragen der Außenpolitik gewidmet. Darüber [35] berichtet auch Hitler im Buch „Mein Kampf“. Das Thema des Referats lautete: Brest-Litowsk und Versailles. Übrigens wurde wie immer Brest-Litowsk stark gebilligt und Versailles äußerst missbilligt. (Heiden, S. 20). Zur gleichen Zeit beschäftigte sich Hitler auch intensiv mit Fragen der „Innen“politik. Unmittelbar nach der Unterdrückung der Bayerischen Räterepublik erwirbt sich Hitler die ersten Sporen durch seine Zugehörigkeit zu einer Kommission, die das zweite Infanterieregiment mit dem Ziel der Aufdeckung von Sympathisanten der Sowjetmacht untersuchte. Die „Arbeit“ Hitlers in dieser Kommission bestand in der Anfertigung einer Reihe von Anklageschriften und Denunziationen revolutionär gesinnter Soldaten (Heiden, S. 18). So werden die „Innen“- und die „Außen“politik der deutschen Faschisten verflochten – die „Arbeit“ für das Abwürgen der proletarischen Revolution in „seinem“ Land und das Schüren des kleinbürgerlichen Patriotismus und Chauvinismus gegen die Siegerländer. Der verrückte Hass gegen die proletarische Revolution in der UdSSR überwiegt alle übrigen Erwägungen auf dem Gebiet der internationalen Politik. Wie ein roter Faden zieht sich der wütende, unversöhnliche Hass gegen die proletarische Revolution in Russland durch die ganze „internationale Politik“ des deutschen Faschismus. Das kann auch der diplomatische Heiden nicht verheimlichen, der ausgerechnet auf diesem Gebiet mehr als sonst dazu neigt, die deutschen Faschisten zu beschönigen114, ihre „Extreme“ zu vertuschen, sich mit ihnen abzufinden. „Polen gegen Lenin helfen“ – das war die Parole des deutschen Faschismus während des polnisch-sowjetischen Krieges (Heiden, S. 46).115 Diese Losung ist äußerst charakteristisch für die gesamte Politik des deutschen Faschismus. Der Kampf gegen Polen ist eines der Hauptmotive der bürgerlich-„patriotischen“ Politik der deutschen [36] Bourgeoisie insgesamt, des deutschen 111 Im Programm der Kommunistischen Internationale von 1928 lautet die Passage: „Labilität der kapitalistischen Beziehungen; das Vorhandensein sozial deklassierter Elemente in beträchtlicher Zahl; die Verarmung breiter Schichten des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz; die Unzufriedenheit der ländlichen Kleinbourgeoisie; schließlich die ständige Gefahr proletarischer Massenaktionen.“ (Weber, Internationale, S. 184). 112 Wörtlich: „echte nahrhafte Bouillon“ (настоящим питательным бульоном). 113 Wörtlich: „im Haushalt“ (в обиходе). 114 Wörtlich: „frisieren“ (причесать). 115 Gemeint ist der russisch-polnische Krieg 1919–1921.

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Faschismus insbesondere, und zur gleichen Zeit, als es zum Krieg zwischen den Sowjets und dem bürgerlichen Polen kam, hieß die Losung des deutschen Faschismus [dennoch]116: „Polen gegen die Sowjets helfen“. Im Januar 1921 nähern sich die deutschen Faschisten dem berüchtigten Arnold Rechberg117 an (vgl. die Äußerung über ihn im Vortrag des Gen[ossen] Stalin auf dem 16. Parteitag118), einem bekannten Befürworter einer Intervention gegen die UdSSR – gerade infolge des Kampfes gegen die Sowjetmacht in Russland (Heiden, S. 45). Die Vertreter russischer Weißgardisten im Ausland sind willkommene Gäste und Verbündete des deutschen Faschismus. Einer der wichtigsten Freunde Hitlers, Alfred Rosenberg, stellt sich als baltendeutscher Auswanderer dar. Als sich Ende Mai 1921 in Reichenhall russische Monarchisten auf ihrem „Kongress“ versammelten, unterhielten Rosenberg und Co. mit ihnen enge Verbindungen und leisteten ihnen im Namen des deutschen Faschismus Hilfe.119 Hitler, Rosenberg und Co. machen aus München ein Koblenz der russischen weißen Emigration gegen den „Juden“ Lenin.120 Heiden kann nicht verheimlichen, dass sich die Politik des deutschen Faschismus gegenüber der UdSSR als die Politik der russischen Weißgardisten erweist (S. 46). Im Frühling 1921 traten Hitler und Co. begeistert zur Verteidigung des konterrevolutionären Aufstands in Kronstadt auf.121 „Das bolschewistische Regime beginnt zu krachen, die russischen Arbeiter erheben sich im verzweifelten Kampf gegen die jüdischen Bluthunde“122 (S. 48) – ruft Hitler aus. Zur Täuschung der Werktätigen stellen es die Faschisten die ganze Zeit so dar, dass sie nicht gegen den Bolschewismus überhaupt, sondern „nur“ gegen den „jüdischen“ Bolschewismus kämpfen. In diesen Jahren treten die Faschisten gegen England feindlicher auf als gegen Frankreich, vor allem im Zusammenhang damit, dass ihrer Einschätzung nach das bürgerliche Frankreich energischer [37] als England den russischen Weißgardisten hilft (S. 48). Hitler hat in dieser Zeit sogar nichts dagegen, die Frage der Befreiung Irlands und Indiens aufzubauschen. „Antisemiten aller Länder, vereinigt Euch“ – das ist seine Parole. Monarchie oder Republik in Deutschland – das wird zu einer „Privatsache“ erklärt (S. 96), wenn sie nur gemeinsam gegen den „jüdischen Bolschewismus“ auftreten! Der 116 Das Beispiel sollte verdeutlichen, im welchem Ausmaß der „unversöhnliche Hass“ gegen Russland das außenpolitische Denken des deutschen Faschismus prägte, was erst durch diese sinngemäße Ergänzung deutlich wird. 117 Vgl. Anm. 90. 118 Stalin hat auf dem 16. Parteitag der KPdSU(B) in seinem Rechenschaftsbericht am 27.6.1930 ausgeführt: „Es gibt sogar Schlauköpfe, die die Ursache der Weltwirtschaftskrise in ‚Ränken der Bolschewiki‘ sehen. Ich denke dabei an den bekannten ‚Unternehmer‘ Rechberg, der eigentlich einem Unternehmer wenig ähnlich sieht und viel eher an einen ‚Unternehmer‘ unter den Literaten und an einen ‚Literaten‘ unter den Unternehmern erinnert.“ (Stalin, Werke, Bd. 12, S. 128). 119 Im Mai/Juni 1921 kam es im bayerischen Bad Reichenhall zu einem Kongress monarchistisch gesinnter russischer Emigranten, die aus 23 Ländern anreisten (vgl. Baur, Kolonie, S. 102–118). 120 Anspielung auf die Rolle von Koblenz als Zentrum der französischen Emigration während der Französischen Revolution. 121 Gemeint ist Hitlers Rede vom 8.4.1921, in der er den Aufstand in Kronstadt zwar ansprach, der jedoch keine wesentliche Rolle in seiner Rede spielte (vgl. Jäckel/Kuhn (Hg.), Hitler, S. 361). In Kronstadt war es im Frühjahr 1921 zu einem Aufstand der bis dahin revolutionären Matrosen gegen die bolschewistische Regierung gekommen, der blutig niedergeschlagen wurde (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 155). 122 Von Heiden, der Kronstadt nicht erwähnt, wird die Äußerung Hitlers so zitiert: „Das bolschewistische Regime beginnt zu wanken, in verzweifeltem Kampf bäumt sich der russische Arbeiter gegen die jüdischen Bluthunde auf.“ (Heiden, Geschichte, S. 49).

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siegreiche Marsch Mussolinis auf Rom im Jahre 1922 verstärkt noch mehr die antisowjetischen Hoffnungen der Hitleristen123 (S. 108). Nicht „nieder mit Frankreich“, sondern „nieder mit der russischen Revolution“; nicht nieder mit dem Unterdrücker in Tirol, sondern nieder mit den Sowjets! Die „Marxisten“ sind ein schlimmerer Feind als Frankreich. Südtirol kann und muss Italien überlassen werden, umso mehr als es von Mussolini geführt wird. Nicht ein Vertrag mit Sowjetrussland, sondern ein Bündnis mit dem faschistischen Italien – das ist die Forderung der Nationalsozialisten (S. 126). Je mehr die deutschen Faschisten zu einer Partei werden, desto näher sind sie bei den Leitern des Finanzkapitals, desto eher werden ihre Führer Minister, desto mehr „Flexibilität“ zeigen sie auf dem Gebiet der Außenpolitik. Hitler und Co. binden sich keineswegs selbst die Hände. Im Augenblick erweist sich ihre offiziöse Linie in der Außenpolitik als Kurs der Annäherung an England gegen Frankreich. Morgen aber, falls es notwendig sein wird, wenden sie um 90 Grad. Für das „Volk“ schreiben die Faschisten: „Wir wenden uns nicht an eine proletarische Klasse, sondern an proletarischen Nationen – unter ihnen ist Deutschland die erste“ (S. 249). Um aufzuhören, eine „proletarische Nation“ zu sein, so die Auffassung der Führer des Hitlerismus, muss Deutschland erneut eine imperialistische Nation werden, sich die Kolonien zurückholen und neue erwerben, sich die alte „Macht“stellung zurückholen. Dafür sind alle Mittel recht, dafür sind die schlimmsten [38] konterrevolutionären Generäle aus der Epoche Wilhelms erwünschte Verbündete; und demselben Wilhelm II. vergisst Rosenberg, die rechte Hand Hitlers, nicht, zu seinem 70. Geburtstage in einem Sonderartikel im Zentralorgan der Faschisten zu gratulieren.124 Der Hauptfeind ist die UdSSR, das ist das Alpha und Omega der Außenpolitik des deutschen Faschismus. Einer der Verdienste des angesprochenen Buches Heidens – wohl aber ungewollt, weil es den Absichten125 des Autors kaum entsprach – besteht darin, dass er eine Reihe von Tatsachen und Dokumenten nicht verheimlichte, die die Verbindung des deutschen Faschismus mit der russischen Weißgardisterei126 entlarven. Heiden gab in seinem Buch einen Abriss der Entwicklung der nationalsozialistischen Partei auch in einer Reihe einzelner Bezirke und Gebiete Deutschlands – mit allen Besonderheiten der Entwicklung, die sich aus den Bedingungen in der Provinz und den Gebieten ergeben. Verworren und unklar skizziert sind in seinem Buch die Wechselbeziehungen zwischen der nationalsozialistischen Organisation und der Reichswehr, der Bewegung der SA-Leute127, überhaupt allen militärischen Organisationen sowie freiwilligen und halbfreiwilligen Verbänden. Aber gerade diese Seite der Sache bedarf dabei einer besonders ausführlichen und sorgfältigen Beschreibung. Man spürt, dass der Autor auch auf diesem Gebiet mehr weiß, als er erzählen will. Der Autor will viele „Geheimnisse“ des deutschen Faschismus nicht verraten, angeblich aus Gründen desselben „Patriotismus“. Tatsächlich aber, weil auch für ihn die Reichswehr ein Heilig123 Übersetzung aus dem russischen Wort „гитлеровцев“. 124 Gemeint ist der Leitartikel „Wilhelm II.“ von Alfred Rosenberg im Völkischen Beobachter, den er mit dem Gruß beendete: „Unser Gruß heute gilt den guten Traditionen der Ehre und Pflicht des alten Deutschland. Auf ihnen gegründet soll der neue Bau des Dritten Reiches erstehen.“ (VB, 42. Jg., 23. Ausg., 27./28.1.1929). 125 Handschriftlich korrigiert aus ursprünglich „Plänen“ (планы). 126 Übersetzt aus „белогвардейщиной“. 127 Vgl. Anm. 12.

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tum ist, und militärische freiwillige und halbfreiwillige Organisationen sind die Hoffnung nicht nur gegen den „äußeren“ Feind, sondern hauptsächlich gegen den inneren: gegen eine proletarische Revolution in „seinem“ Land. Der Autor kritisiert die Bewegung der SA-Leute, kritisiert sie aber mit Liebe. [39] Er tadelt die SA-Leute128 dafür, dass sie manchmal schlecht kämpfen, er hält ihnen ohne Umschweife die Kommunisten entgegen, die während des bekannten Hamburger Aufstandes129 seinen Worten nach viel besser kämpften. Das wird angeblich im „objektiven“ Ton gesagt, tatsächlich aber zur Anspornung der Galgenvögel der SA. Heiden beschreibt in einer Reihe von Einzelheiten den Parteiapparat des deutschen Faschismus, aber auch hier verschweigt er viele Geheimnisse seiner Freund-Feinde. Der Autor kritisiert Hitler für den „übermäßigen“ Zentralismus. Er erzählt (S. 220) davon, wie sich Hitler außer allen sonstigen gefügigen Organen noch eine „ParteiTscheka“130 schuf, die sogenannte „Untersuchungs- und Versöhnungskommission“131, die nach seinen Worten eine scharfe Waffe in den Händen des Diktators ist. Gleichzeitig findet der Autor aber sofort eine Rechtfertigung für Hitler. „Hitler übernahm das Risiko des Kampfes und der Schuld, denn er wusste, dass Macht nicht ohne Schuld entstehen kann. Alle anderen fürchteten das und wurden deshalb liquidiert“ (S. 45).132 Heiden ist mit den Faschisten in Bezug auf vieles unzufrieden. Unter allen bürgerlichen Parteien und Fraktionen würde er im Grunde genommen das Bündnis mit …133 den Sozialfaschisten bevorzugen. Doch die deutsche s[ozial]-d[emokratische] Partei hat schon lange „ihr Vorkriegsprofil verloren“ (Heiden, 18). Er beweint offen in seinem Buch den Abtritt des sozialdemokratischen Kabinetts Hermann Müller von der Macht, ein Abtritt, der seiner Meinung nach wegen „Kleinigkeiten“ erfolgte.134 Wenn sich die Sache aber schon so gestaltete, so muss das deutsche Bürgertum, so Heiden, in der Lage sein, zu manövrieren und sich einmal auf die Nationalfaschisten, einmal auf die Sozialfaschisten zu stützen. Das ist die nicht ausgesprochene „Philosophie“ Heidens. Wenn Heiden die ersten Führungsfiguren des deutschen Faschismus schildert, [40] verweilt er mit besonderer Liebe bei jenen von ihnen, die wie Anton Drexler u. a. aus den Reihen der Handwerker und teilweise der Arbeiter hervorgingen (Drexler war Eisenbahnschlosser). Diese Führer, so Heidens Meinung, entfernten sich nicht weit von der II. Internationale (S. 9). Gerade sie gaben dem Faschismus die Möglichkeit, erste Breschen in die deutsche Arbeiterbewegung zu schlagen. Heiden gefällt besonders jener Abschnitt der Geschichte des deutschen Faschismus, in dem sich die nationalsozia128 Handschriftlich korrigiert aus „sie“ (их). 129 Gemeint ist der Aufstand der KPD in Hamburg Ende Oktober 1923, der bereits nach kurzer Zeit zusammengebrochen ist (vgl. Voß/Büttner/Weber, Aufstand, S. 9–15). 130 Übersetzt aus der russischen Wendung „партийную Ч. К.“, eine Anspielung auf die bolschewistische Geheimpolizei in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution 1917 (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 149 f.). 131 Gemeint ist der 1925 gegründete „Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss“ der NSDAP, der seit 1927 von Walter Buch geleitet und 1933 in das „Oberste Parteigericht“ umgewandelt wurde (vgl. Lilla (Bearb.), Statisten, S. 68 f.). 132 Bei Heiden lautet die Stelle: „Er [Hitler, d. V.] übernahm das Risiko des Kampfes und der Schuld, weil er wußte, daß Macht nicht ohne Schuld entstehen kann. Die anderen schraken zurück und wurden ausgelöscht.“ (Heiden, Geschichte, S. 45). 133 Die Punkte finden sich im Original. 134 Gemeint ist der letzte sozialdemokratische Reichskanzler der Weimarer Republik, Hermann Müller, der am 27.3.1930 zurückgetreten ist (vgl. Niemann, Geschichte, S. 371–379).

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listische Partei als eine „linke“ Partei sieht. Heiden verweist mehrmals auf die Nähe zwischen den Ideen des deutschen Faschismus und des gegenwärtigen deutschen Sozialfaschismus (S. 202–203). Doch die Führer der deutschen S[ozial]-D[emokratie] wollen nicht nur jetzt keine proletarische Revolution, sie wollten auch keinen Sturz der deutschen Monarchie im Jahr 1918. „Die Katastrophe Deutschlands im Kriege“, – schreibt Heiden, – „war ein Sieg der Revolution, die in Wahrheit überhaupt nicht passierte. Am wenigsten schuld an dieser Revolution waren die sogenannten Volksvertreter (d. h. s[ozial]-d[emokratische] Minister), die irrtümlich auf die Seiten der Weltgeschichte in der Rolle der Jakobiner gerieten.“ (S. 37).135 „Ideal“ für die Menschen vom Schlage Heidens erschien eine gewisse „Synthese“, eine Symbiose zwischen dem Nationalfaschismus und dem Sozialfaschismus. Den chamäleonartigen Charakter der Führer des deutschen Faschismus stellt Heiden als politische Flexibilität dar. Noch im März 1929 forderte Gregor Strasser in einer Rede, gehalten im Reichstag gegen „Generäle-Bürokraten“, General Schleicher an den Galgen zu befördern (Heiden, S. 273), und 1932 sehnt sich dann dieser viel zitierte Strasser so sehr danach, im Kabinett des Generals Schleicher Minister zu werden, dass er bereit war, bis zur Abspaltung von seinem Führer Hitler zu gehen. Gerade diese „Flexibilität“ schätzen die Ideologen der deutschen Bourgeoisie vom Schlage Heidens. Sie wissen, dass der verbale Radikalismus der Faschisten gerade dafür notwendig ist, damit sie [41] ihre Funktion in einigen Schichten der Kleinbourgeoisie wahrnehmen können, wie die sozialistische Phraseologie der sozialfaschistischen Führer dafür notwendig ist, dass sie den sozialen Auftrag in gewissen Schichten des Proletariats erfüllen können. Heiden zeichnet sachkundig eine ganze Porträtgalerie der Führer des deutschen Faschismus, die jetzt die wichtigsten Würdenträger des faschistischen Regimes sind, Frick, Göring, Rosenberg, Goebbels, Esser – sie alle wurden mit recht markantem Pinsel gezeichnet. Nebenbei wurden auch Porträts von Ludendorff, Graefe, Wulle, Hugenberg, der Generäle Hoffmann, Killinger, Klintzsch u. a. gemalt.136 Die Porträts wurden mit geschickter Hand retuschiert. Manche Wahrheit über die erwähnten Herren sickerte auch in der Schilderung Heidens durch, insgesamt aber malt er sie mit liebevoller Hand. „Um Hitler herum versammelten sich impulsive, teilweise abenteuerliche, sogar fragwürdige, jedenfalls aber interessante Gestalten, zu denen auch Hitler selbst gehört“ (S. 50).137 Die Schmeichelei in Richtung Hitler wird in unerhörten Mengen vergeudet. Hitler ist der „Cäsar der Propaganda“ (S. 51)138, und Hitler hat „gründliche Kenntnisse auf dem Gebiet der auswärtigen Politik“ (S. 230), Hitler ist eine „Person mit riesigem

135 Diese Passage findet sich in dieser Form nicht bei Heiden. Vielmehr handelt es sich um eine paraphrasierende Zusammenfassung seiner Darstellungen (vgl. Heiden, Geschichte, S. 37). 136 Gemeint sind die völkischen und deutschnationalen Politiker Erich Ludendorff, Albrecht von Graefe, Reinhold Wulle und Alfred Hugenberg sowie die Militärs Max Hoffmann, maßgeblich an den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk beteiligt und später gemeinsam mit Arnold Rechberg Propagandist für eine militärische Intervention gegen die Sowjetunion, sowie Manfred von Killinger und Hans Ulrich Klintzsch, beide Offiziere, Freikorpsmitglieder und spätere SA-Führer (vgl. Hoffmann, Enden, S. 52–62; NDB, Bd. 9, S. 401 f.; Longerich, Bataillone, S. 24 f., 145). 137 Bei Heiden lautet die Stelle: „Ein neuer Kreis zieht sich um Hitler, von verschiedener, aber selten kleinbürgerlicher Rangordnung; spritzige, abenteuerliche, auch zweifelhafte, aber jedenfalls interessante Naturen, wie Hitler selbst ist.“ (Heiden, Geschichte, S. 50). 138 Heiden verwendet diese Formulierung ironisch (vgl. Heiden, Geschichte, S. 51).

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Intellekt, wenn auch mit etwas zwiespältigem Charakter“ (S. 7)139, Hitler ist der größte Volksredner unserer Zeit, Hitler wird der „erste Meister der politischen Agitation, wie es sie nur in den vergangenen Jahrzehnten gab“ (S. 39).140 Mit hingebungsvoller Schmeichelei wird davon erzählt, welche Kleidung Hitler im Gefängnis nach dem Münchner Putsch trug, wie er dort in die Breite ging, wie sein ganzes Aussehen ist usw. Gleichzeitig vergisst der Autor aber nicht, auch davon zu erzählen, wie Hitler im Herbst 1929 von seiner ehemaligen Dreizimmerwohnung in eine Neunzimmerwohnung umzog, die sich gegenüber dem Palast des bayerischen Ministerpräsidenten befand (S. 258).141 Der Autor [42] informiert den Leser auch unbedingt darüber, dass der wirkliche Name Hitlers Schicklgruber ist und dass aus familiären Gründen dieser Name in „Hitler“ geändert wurde, was dem Volksführer sehr gelegen kommt, denn sein echter Name hätte auf Deutsch sehr komisch geklungen. Heiden versäumt es nicht einmal, davon zu erzählen, wie 1923 Parteikreise Hitler zur Ordnung riefen wegen einiger Umstände in seinem Privatleben (Wein, Damen). [S. 129.] Hitler vergleicht sich selbst mit Gambetta und Mussolini. Heiden ist geneigt, Hitler sogar mit Napoleon zu vergleichen. Gewiss, es gibt auch auf der Sonne Flecken. Als das Direktorium entstand, soll sich auch Napoleon nur mit unbedeutenden Personen umgeben haben [(S. 148–149)]. „Schwächen“ hat ja auch [der große] Hitler, aber daran, dass er ein Volksführer ist, der Verehrung verdient, zweifelt Heiden nicht. Wie Heiden den sozialen Kern des deutschen Faschismus nicht vertuscht, so reißt sein Buch Hitler in vielem die Maske herunter. Deshalb haben wir seinen Inhalt ziemlich ausführlich wiedergegeben, weil darin – von einem bürgerlichen Historiker – viel von dem erzählt wird, was Hitler in den geschichtlichen Teilen seines Buches „Mein Kampf“ sorgfältig verheimlicht. Wenn er das Buch Hitlers durchliest142, möge unser Leser die Fälschung, Lüge und Angeberei des Führers der deutschen Faschisten mit dem vergleichen, was (auf Tatsachen beruhend) der bürgerlich-liberale Historiker des Faschismus Heiden sagt. Wenn im Licht der von Heiden angeführten unbestreitbaren geschichtlichen Fakten der Leser den geschichtlichen Teil von Hitlers Buch „Mein Kampf“ aufmerksam durchblättert, wenn er es schafft, zwischen den Zeilen das zu lesen, was Hitler nicht sagen wollte, wenn er es schafft, diesen Teil des Buchs des Führers des deutschen Faschismus damit zu ergänzen, wovon dieser Führer bewusst schwieg, dann kann er jede Zeile von Hitlers „Mein Kampf“ gegen die Faschisten selbst verwenden. [43]143

139 Bei Heiden wird Hitler als ein Mann „von großer Intelligenz, aber schillerndem Charakter“ beschrieben (vgl. Heiden, Geschichte, S. 7). 140 Heiden schreibt vom „ersten Lehrmeister politischer Agitation, den wir im letzten Jahrzehnt besaßen.“ (Heiden, Geschichte, S. 39). 141 Im Oktober 1929 zog Hitler in eine Neunzimmerwohnung in der Prinzregentenstraße in München um (vgl. Ullrich, Hitler, S. 249). 142 Handschriftlich korrigiert aus „durchdringt“ (пронизывая). 143 Blatt 43 begann ursprünglich mit einer neuen maschinschriftlichen Zählung bei „I.“ Das wurde handschriftlich gestrichen. Auch wurde am Beginn der Seite der maschinschriftliche Vermerk „S. 35–41“ (стр. 35–41) gestrichen, ebenso die zunächst handschriftlich eingefügte Seitenzahl „33“, die schließlich durch die Seitenzahl „43“ ersetzt wurde.

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IV.144 Kehren wir unmittelbar zu Hitlers „Mein Kampf“ zurück. Eine besonders hervorragende Ehre erfahren in diesem „Programm“buch zwei Gruppen von Fragen: 1) Probleme des Kampfes gegen die Arbeiterbewegung, insbesondere die „Lösung“ der Gewerkschaftsfrage und 2) Probleme der Außenpolitik eines faschistischen Deutschlands. Hitlers Hausherren erraten in Minuten der Erleuchtung, dass die Arbeiterbewegung nur mit Gewalt zu zerschmettern in einem Land wie Deutschland unmöglich ist. Sie wünschen sich sehr, dass die Faschisten außer dem weißen Terror noch irgendwelche Maßnahmen zur ideellen Überzeugung der Arbeiter in Gang setzen, sie mit irgendeinem nicht allzu kostspieligen Programm verführen. Von solchen Launen ist das Kapitel in Hitlers Buch über die Gewerkschaften durchweht – eines der wichtigsten Kapitel in diesem Werk. Hitler erinnert zum Beispiel an Bismarck, dessen Experiment nicht gelang. Hitler stellt sich die Frage, warum es denn gerade dem eisernen Kanzler nicht gelang, die Arbeiterfrage zu „lösen“ und den Sozialismus zu „besiegen“? Und nach tiefsinnigen Überlegungen kommt er zu der Schlussfolgerung, dass Bismarck dafür – außer Repressionen – auch noch ein „politisches Programm“ fehlte. Bismarck konnte angeblich den „Marxismus“ deswegen nicht bekämpfen, weil es ihm nicht gelang, ihm eine andere „einheitliche Weltanschauung“ entgegenzusetzen. Gerade das macht Hitler in seinem Buch, insbesondere in den Kapiteln, die sich der Arbeiterfrage widmen. „Wir – schreibt Hitler – dachten systematisch darüber nach, auf welchen Wegen unsere Bewegung am einfachsten die Herzen der breiten Arbeitermassen gewinnen könnte. Bei diesen [seinen]145 Überlegungen stießen wir immer darauf, dass es solange für uns schwer ist, die Arbeiter zu erobern, solange die Vertretung der beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter in den Händen der Menschen liegt, die uns feindlich gesinnt sind, und solange die Gewerkschaften ein Gepräge [44] von uns fremden politischen Organisationen erhalten können. Wir waren gezwungen, ständig zu dieser Schlussfolgerung zu kommen.“146 Von den „freien“, d. h. sozialdemokratischen Gewerkschaften hat Hitler in seinem Buch eine sehr „hohe“ Meinung. „Die deutsche Revolution im November 1918 wurde nicht von den Gewerkschaften gemacht, sondern trotz der Gewerkschaften“, erklärt Hitler (S. 783 des russ[ischen] Manus[kripts]147). Dieses „höchste“ Lob haben die s[ozial]-d[emokratischen] konterrevolutionären Gewerkschaften völlig verdient. Hitler versucht weiterhin, den mittleren Kommandostand der „freien“ Gewerkschaften her144 Die Kapitelnummer „IV.“ wurde handschriftlich eingefügt. 145 Offensichtlich setzte Sinowjew kurz mit einer indirekten Wiedergabe von Hitlers Äußerungen fort, blieb dann jedoch beim direkten Zitat. 146 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Bei unseren Versuchen, diejenigen Methoden zu studieren, die am ehesten und leichtesten der Bewegung den Weg zum Herzen der breiten Masse bahnen konnten, stießen wir immer auf den Einwand, daß der Arbeiter uns nie vollständig gehören könne, solange seine Interessenvertretung auf rein beruflichem und wirtschaftlichem Gebiet in den Händen Andersgesinnter und deren politischen Organisationen ruhe.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 670). 147 Sinowjew bezieht sich hier und in den nachfolgenden Abschnitten auf das 875 Seiten umfassende Manuskript seiner Übersetzung von Mein Kampf. Da dies spätestens im März 1933 vorlag, ist davon auszugehen, dass diese Passagen danach verfasst wurden (vgl. S. 14). Die Hinweise auf verschiedene Ereignisse im Frühjahr 1933 (Zerschlagung der Gewerkschaften, Bücherverbrennung etc.) bestätigen dies.

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vorzuheben; er macht ihm ein Kompliment, das in Hitlers Munde sehr bezeichnend ist. Während Hitler den mittleren Stand der Führer der s[ozial]-d[emokratischen] politischen Organisationen der Arbeiterklasse zu den „Juden“ zählt, beehrt er den Offiziersstand der s[ozial]-d[emokratischen] Gewerkschaften mit dem Stand der Deutschen. Vor den Nationalsozialisten, sagt Hitler, lagen zwei Wege. „1. Man könnte sofort beginnen, seine eigene Gewerkschaft aufzubauen, und dann allmählich den Kampf gegen die internationalen marxistischen Gewerkschaften beginnen, oder man könnte 2. beginnen, in die marxistischen Gewerkschaften zu gehen, und versuchen, sie mit einem neuen Geiste von innen148 zu erfüllen, um aus ihnen ein Werkzeug der neuen Weltanschauung zu machen“ (S. 780–781 des russ[ischen] Manus[kripts]149).150 Hitler spricht sich für den zweiten Weg aus, weil er ihn für die Faschisten für sicherer hielt. Er meinte, dass „es gefährlich ist, einen großen151 prinzipiell-politischen Kampf zu früh [45] durch wirtschaftliche Probleme zu erschweren (!)“ (782).152 Er fürchtete, dass „solche Gewerkschaften, die wegen ihrer Geldnot nicht in der Lage wären, den Arbeitern materielle Unterstützung zu leisten, auch nicht mit ihrer Unterstützung rechnen könnten“ (781).153 „Selbstständige nationalsozialistische Gewerkschaften, meint Hitler, könnten unserer Bewegung und unserem Volk nur in dem Fall wirklichen Nutzen bringen, wenn sie bereits dermaßen von unseren Ideen durchdrungen wären, dass sie unter keinen Umständen ins Netz des Marxismus geraten können“ (784).154 Mit anderen Worten hatte Hitler Angst, dass selbstständige faschistische Gewerkschaften unter dem Druck der Arbeiter selbst Werkzeuge des wirtschaftlichen Kampfes gegen die Kapitalisten werden könnten, dass Arbeiter von diesen Gewerkschaften den Kampf um die Verbesserung des Lebens, gegen die Ausbeuter verlangen werden. Das nennt Hitler „ins Netz des Marxismus geraten“. Hitler sah von seinem Standpunkt aus richtig voraus, dass die faschistischen Gewerkschaften den Arbeitern absolut nichts im Sinne einer materiellen Verbesserung ihres Lebens geben könnten. Er fürchtete, wenn sich in nationalsozialistischen Gewerkschaften große Massen an Arbeitern ansammeln, dass das Spiel dann zu gefährlich werden kann. Deshalb wollte er auch nicht „zu früh“ 148 Das Wort „von innen“ (из[в]нутри) handschriftlich eingefügt. 149 Vgl. Anm. 147. 150 In Mein Kampf lautet die Stelle: „1. Man konnte eine eigene Gewerkschaft gründen und dann allmählich den Kampf gegen die internationalen marxistischen Gewerkschaften aufnehmen, oder man konnte 2. in die marxistischen Gewerkschaften eindringen und diese selbst mit dem neuen Geiste zu erfüllen trachten beziehungsweise zu Instrumenten der neuen Gedankenwelt umformen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 678). 151 Handschriftlich korrigiert aus „jeden“ (всякую). 152 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Ich hatte damals und besitze auch heute noch die unverrückbare Überzeugung, daß es gefährlich ist, einen großen politisch weltanschaulichen Kampf zu frühzeitig mit wirtschaftlichen Dingen zu verknüpfen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 680). 153 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Mit solchen finanziellen Möglichkeiten durften wir damals nicht rechnen; und es konnte niemanden verlocken, in eine neue Gewerkschaft einzutreten, die ihm infolge ihrer finanziellen Ohnmacht nicht das geringste zu bieten vermocht hätte.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 679). 154 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Wirklicher Nutzen für die Bewegung sowohl als für unser Volk überhaupt kann aber aus einer nationalsozialistischen Gewerkschaftsbewegung nur dann erwachsen, wenn diese weltanschaulich schon so stark von unseren nationalsozialistischen Ideen erfüllt ist, daß sie nicht mehr Gefahr läuft, in marxistische Spuren zu geraten.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 681).

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seinen politischen Kampf mit wirtschaftlichen Problemen „verkomplizieren“. Es war ihm bis zur gegebenen Zeit mehr von Vorteil, sich vor den Arbeitern auf die Kritik der existierenden s[ozial]-d[emokratischen]155 Gewerkschaften zu beschränken, als eine eigene zu gründen. Von seinem Standpunkt aus hatte er Recht, dass selbstständige faschistische Gewerkschaften, die den Arbeitern nichts gegeben hätten (und etwas zu geben haben die Faschisten nicht vor und können sie auch nicht), die Faschisten schon vor dem Machtantritt nur mehr kompromittiert hätten. [46] Hitler führt in seinem Buch noch ein Motiv an, aufgrund dessen er die Gründung selbstständiger faschistischer Gewerkschaften nicht wollte. „Mir stand damals nicht ein Kopf zur Verfügung, dem ich die Lösung dieser gigantischen Aufgabe übertragen könnte“ (S. 781).156 Und die Aufgabe wäre sehr groß. „Wer es in jener Zeit geschafft hätte, die marxistischen Gewerkschaften wirklich zu zerschlagen und statt dieser Maschine des vernichtenden Klassenkampfes nationalsozialistische Gewerkschaften zu gründen, den hätte man einen der größten Menschen Deutschlands nennen können. Wir würden diesem Menschen später Denkmäler errichten, dieser Mensch hätte zum Pantheon der größten Persönlichkeiten der Geschichte gezählt“ (S. 782).157 Als Hitler an die Macht kam, ließ sich solch ein „großer“ Mensch sofort finden: das unbedeutendste Subjekt, das Säuferlein158 Ley.159 Dieses Subjekt wurde beauftragt, die Gewerkschaften zu „zerschlagen“ und statt ihrer die sogenannte „Arbeitsfront“ zu schaffen. In Wirklichkeit lag es bis 1933 nicht am Fehlen eines Kandidaten für das faschistische „Pantheon“. Die Sache war folgende. Hitler und die Hitleristen rechneten vor dem Machtantritt damit, dass, wenn sie die Herren Deutschlands werden, es ihnen sofort gelingen wird, die Arbeiterbewegung so zu zerquetschen, dass es möglich sein wird, sich mit der Oberschicht der Führer der s[ozial]-d[emokratischen] Gewerkschaften offen abzusprechen und den ganzen mächtigen Apparat der Gewerkschaften für ihre Zwecke zu benutzen. Diese Hoffnung gaben die Faschisten auch jetzt noch nicht auf. Obwohl sich zum jetzigen Zeitpunkt die Leiparts und die Grassmanns160 in faschistischen Gefängnissen befinden, ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass nach einer gewissen Zeit die Faschisten ihnen eine gewisse bestimmte Legalität geben und sie für die Zähmung [47] eines Teils der Gewerkschaften benutzen, wie es die italienischen Faschisten mit ihren „eigenen“ D’Aragonas und Co. gemacht haben.161 Als die deutschen 155 Die Ergänzung „s[ozial]-d[emokratischen]“ (с.-д.) handschriftlich eingefügt. 156 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Ich hatte damals nicht einen einzigen Kopf, dem ich die Lösung dieser gewaltigen Aufgabe zugetraut hätte.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 679). 157 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Wer in jener Zeit die marxistischen Gewerkschaften wirklich zertrümmert hätte, um an Stelle dieser Institution des vernichtenden Klassenkampfes der nationalsozialistischen Gewerkschaftsidee zum Siege zu verhelfen, der gehörte mit zu den ganz großen Männern unseres Volkes und seine Büste hätte dereinst in der Walhalla zu Regensburg der Nachwelt gewidmet werden müssen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 679). 158 Übersetzt aus „пьянчужка“. 159 Gemeint ist Robert Ley, seit Mai 1933 Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), der für seinen Alkoholismus bekannt war (vgl. Smelser, Ley, S. 121–149; Schröder, Aufstieg, S. 243–245). 160 Gemeint sind die beiden führenden Gewerkschaftsfunktionäre Theodor Leipart und Peter Graßmann, die beide nach der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2.5.1933 verhaftet wurden (vgl. Buschak, Arbeit, S. 366). 161 Anspielung auf Ludovico d’Aragona, Generalsekretär des italienischen Gewerkschaftsbundes, der sich nach der Machtübernahme Mussolinis nach anfänglichem Zögern zu einer Zusammenarbeit mit dem faschistischen Regime bereit erklärte (vgl. Italicus, Gewerkschaftsführer, S. 129–136).

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Faschisten an die Macht kamen, fühlten sie, dass den Gewerkschaften, sogar den von Gewerkschaftsbürokraten wie Leipart geführten, jetzt die Legalität zu belassen – ein zu gefährliches Spiel ist. Zu einmütig ist der Hass der Arbeiter„basis“162 auf die faschistische Diktatur. Die Hitleristen fühlen diesen Hass bei jedem Schritt. Sie verstanden, in welchen Vereinigungen die Arbeiter auch immer waren – sogar in den von den Leiparts geführten –, sie sind für das faschistische Regime im höchsten Maße gefährlich. Sie beschlossen, zum gegebenen Zeitpunkt alle sogar nur potenziellen Widerstandsherde zu zertrümmern. Sie beschlossen, die Gewerkschaften durch irgendeine vage und amorphe „Arbeitsfront“ zu ersetzen. Ley wurde gerade nur mit dieser Aufgabe betraut. Die deutschen Faschisten bemühen sich auch hier, die Erfahrung des italienischen Faschismus zu nutzen. Mehr oder weniger faschistische Massengewerkschaften existieren auch im faschistischen Italien schon lange nicht mehr. Zunächst ließ der italienische Faschismus derartige Gewerkschaften zu. Bald aber überzeugte er sich davon, dass auch sie gefährlich sind, dass sie unter dem Druck der Arbeiter die Angelegenheit der ökonomischen Forderungen, die von den Kapitalisten geltend gemacht werden, unweigerlich „erschweren“. Auch die italienischen Faschisten löschten bald sogar diese Gewerkschaften aus und ließen nur eine Dekoration übrig. Die Hitleristen, durch Erfahrung klug geworden, beginnen gleich mit dem Letzteren, obwohl es nicht auszuschließen ist, dass, wenn sie noch mehr in der Klemme stecken werden, sie sich gezwungen sehen, Zuflucht bei anderen Formen des Experimentierens mit Arbeiterorganisationen zu suchen. Im Buch „Mein Kampf“, wie der Leser im Kapitel „Probleme der Gewerkschaften“163 sehen wird, umgibt sich Hitler mit dem Nimbus des Anhängers der „Harmonie der Klasseninteressen“164, eines Versöhners der Klassengegensätze [48], eines Vermittlers zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, mit dem Nimbus des „ehrlichen Maklers“, wie sich dieser Herr, bereits Kanzler seiend165, ausdrückt. Die Faschisten, schreibt Hitler in „Mein Kampf“, müssen „sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeiter umerziehen und sowohl die einen wie auch die anderen zu Trägern unserer Staatsidee machen“ (S. 776).166 Mit der Miene eines Menschen, der ein absolut neues Amerika entdeckt hat, wiederholt Hitler banalste abgedroschene Phrasen der „Sozial-Liberalen“ von der „Harmonie der Interessen der Arbeit und des Kapitals“ und verbreitet sich darüber, wie die Faschisten „beide Seiten umerziehen und ihre Gesichtspunkte im Wesentlichsten näherbringen“, die „Einheit der Interessen des ganzen Volkes“ herstellen u. dgl. „Der nationalsozialistische Staat kennt keine Klassen. Er kennt in politischer Hinsicht nur Bürger, die gleiche Rechte genießen und gleiche Pflichten tragen“! (S. 777).167 162 163 164 165

Eigentlich „Boden“ oder „Fußvolk“, übersetzt aus „рабочих низов“. Gemeint ist das zwölfte Kapitel „Die Gewerkschaftsfrage“ im zweiten Band von Mein Kampf. „Klassen“ (классовых) handschriftlich eingefügt, ursprünglich nur „Harmonie der Interessen“. Diese Formulierung ist nicht eindeutig aufzulösen. Es ist unklar, ob damit gemeint ist, dass Hitler als künftiger Kanzler so agieren würde, oder ob Hitler von Sinowjew bereits als Kanzler angesprochen wird. 166 Es handelt sich um paraphrasierende Zusammenfassungen verschiedener Darstellungen Hitlers (vgl. Hitler, Kampf (1932), S. 674–677). 167 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Der nationalsozialistische Staat kennt keine ‚Klassen‘, sondern in politischer Hinsicht nur Bürger mit vollständig gleichen Rechten und demgemäß auch gleichen allgemeinen Pflichten und daneben Staatsangehörige, die in staatspolitischer Hinsicht aber vollständig rechtlos sind.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 675).

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„Die Aufgabe der Gewerkschaften von unserem nationalsozialistischen Standpunkt aus – schreibt Hitler168 – besteht keineswegs darin, bestimmte Bevölkerungsgruppen innerhalb des Staates zusammenzufassen und sie in Klassen umzuwandeln, damit sie später den Kampf gegen andere, auch zusammengefasste Gruppen anderer Bevölkerungsschichten innerhalb des Staates führen. Wir können nicht meinen, dass eine derartige Aufgabe den Gewerkschaften als solchen eigen ist. Nein, diese Aufgabe haben die Marxisten den Gewerkschaften in dem Augenblick künstlich beigebracht169, als es ihnen gelang, die Gewerkschaften in ein Instrument ihrer Ziele zu verwandeln. ‚Der Geist des Klassenkampfes‘ ist nicht charakteristisch für die Gewerkschaften als solche, sondern nur charakteristisch für den Marxismus, der es schaffte, aus den Gewerkschaften ein Werkzeug seines Klassenkampfes zu machen“ – verkündet170 Hitler.171 [49] „Als Gegengewicht zu all dem müssen die nationalsozialistischen Gewerkschaften bestimmte Gruppen von Teilnehmern am nationalen Wirtschaftsprozess organisatorisch vereinigen mit dem Ziel, die nationale Wirtschaft zu stärken, ihre Kräfte zu erhöhen. Indem die Gewerkschaften die bestehenden Missbräuche beseitigen, welche dem nationalen Volksorganismus im Endeffekt nur Schaden zufügen, werden sie gegen alles kämpfen, was der Nation und damit auch dem Staat und letztlich der Wirtschaft selbst schadet.“172 „Wenn die nationalsozialistische Gewerkschaft sich deshalb dem Streik zuwendet, ist der Streik für sie kein Mittel der Zerstörung oder Erschütterung der nationalen Produktion, sondern ein Mittel zur Beseitigung jener Missbräuche, die wegen ihres antisozialen Charakters nur der Produktion und damit der Gesellschaft als Ganzes schaden. Die Interessen der Produktion, ihr Wachstum, ihre Macht werden sich unsere nationalsozialistischen Gewerkschaften sehr zu Herzen nehmen. Die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Werktätigen befindet sich stets in ursächlicher Abhängigkeit von der allge168 169 170 171

Dieser Einschub wurde handschriftlich hinzugefügt. Wörtlich „eingeimpft“ (привили). Korrigiert aus „schreibt“ (пишет). In Mein Kampf lautet die Stelle: „Die Gewerkschaft im nationalsozialistischen Sinne hat nicht die Aufgabe, durch Zusammenfassung bestimmter Menschen innerhalb eines Volkskörpers diese allmählich in eine Klasse umzuwandeln, um mit ihr dann den Kampf gegen andere, ähnlich organisierte Gebilde innerhalb der Volksgemeinschaft aufzunehmen. Diese Aufgabe können wir der Gewerkschaft an sich überhaupt nicht zuschreiben, sondern sie wurde ihr erst verliehen in dem Augenblick, in dem sie zum Kampfinstrument des Marxismus wurde. Nicht die Gewerkschaft ist ‚klassenkämpferisch‘, sondern der Marxismus hat aus ihr ein Instrument für seinen Klassenkampf gemacht.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 675). 172 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Die nationalsozialistische Gewerkschaft hat demgegenüber durch die organisatorische Zusammenfassung bestimmter Gruppen von Teilnehmern am nationalen Wirtschaftsprozeß die Sicherheit der nationalen Wirtschaft selbst zu erhöhen und deren Kraft zu stärken durch korrigierende Beseitigung all jener Mißstände, die in ihren letzten Folgeerscheinungen auf den nationalen Volkskörper destruktiv einwirken, die lebendige Kraft der Volksgemeinschaft, damit aber auch die des Staates schädigen und nicht zuletzt der Wirtschaft selbst zum Unheil und Verderben gereichen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 675). Bemerkenswert erscheint, dass Sinowjew jene Passage übergeht, die zwischen diesem und dem vorhergehenden Zitat liegt und in der sich Hitler über das „Weltfinanz-Judentum“ äußert: „Er [der Marxismus, d. V.] schuf die wirtschaftliche Waffe, die der internationale Weltjude anwendet zur Zertrümmerung der wirtschaftlichen Basis der freien, unabhängigen Nationalstaaten, zur Vernichtung ihrer nationalen Industrie und ihres nationalen Handels und damit zur Versklavung freier Völker im Dienste des überstaatlichen Weltfinanz-Judentums.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 675).

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mein-rechtlichen und sozialen Stellung, die er im Wirtschaftsprozess einnimmt. Nur dadurch lässt sich letztlich der Grad seiner Sorgen um den Arbeitsprozess insgesamt und das Verständnis dafür bestimmen, dass sein eigenes Schicksal auch vom Gedeihen der gesamten Wirtschaft als Ganzem abhängt.“173 „Die nationalsozialistischen Werktätigen müssen die Zuversicht haben, dass die Blüte der nationalen Wirtschaft auch ihr eigenes materielles Glück sichert.“174 „Die nationalsozialistischen Arbeitgeber müssen die Zuversicht haben, dass sich das Glück und die Zufriedenheit ihrer Arbeitnehmer als die Voraussetzung für die weitere Blüte ihrer eigenen Betriebe erweisen.“175 [50] „Sowohl die nationalsozialistischen Arbeiter als auch die nationalsozialistischen Arbeitgeber erweisen sich gleichermaßen nur als Diener der Gesellschaft und führen ihre Aufträge aus.“176 „Unser Aufbau gewährt sowohl den einen als auch den anderen maximale persönliche Freiheit bei der Erfüllung ihrer Pflichten“177 – setzt Hitler fort. „Unser Staat wird sich des Schutzes aller Rechte aller Bürger ohne Unterschied annehmen und damit selbst den Kampf zwischen den beiden großen Bevölkerungsgruppen, d. h. Arbeitgebern und Arbeitern, überflüssig machen. Dann wird dieser Kampf selbst, der ständig zu der bekannten Produktionskürzung führt und folglich der gesamten Gesellschaft Schaden zufügt, überflüssig. Unserer Wirtschaftskammer wird der Staat die Verpflichtung auferlegen, für einen normalen Verlauf der gesamten nationalen Produktion und für die rechtzeitige Beseitigung aller Mängel und Fehler zu sorgen, die der Produktion Schaden zufügen können. Was heute vielleicht nicht anders als durch den Kampf von Millionen beseitigt werden kann, wird dann in den Mauern der Ständekammer und des zentralen Wirtschaftsparlaments aus der Welt geschafft. Dann hört der Zustand auf, in dem Unternehmer und Arbeiter einen erbitterten Kampf um irgendwelche Tarife führen, was der gesamten Wirtschaft einen riesigen Schaden zufügt. Dann wird man all diese Probleme in einer viel höheren Einrichtung gemeinsam

173 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Für die nationalsozialistische Gewerkschaft ist damit der Streik nicht ein Mittel zur Zertrümmerung und Erschütterung der nationalen Produktion, sondern zu ihrer Steigerung und Flüssigmachung durch die Bekämpfung all jener Mißstände, die infolge ihres unsozialen Charakters die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und damit die Existenz der Gesamtheit behindern. Denn die Leistungsfähigkeit des einzelnen steht stets in ursächlichem Zusammenhange mit der allgemeinen rechtlichen und sozialen Stellung, die er im Wirtschaftsprozeß einnimmt und der nur daraus allein resultierenden Erkenntnis über die Notwendigkeit des Gedeihens dieses Prozesses zu seinem eigenen Vorteil.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 676). 174 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Der nationalsozialistische Arbeitnehmer muß wissen, daß die Blüte der nationalen Wirtschaft sein eigenes materielles Glück bedeutet.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 676). 175 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Der nationalsozialistische Arbeitgeber muß wissen, daß das Glück und die Zufriedenheit seiner Arbeitnehmer die Voraussetzung für die Existenz und Entwicklung seiner eigenen wirtschaftlichen Größe ist.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 676). 176 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Nationalsozialistische Arbeitnehmer und nationalsozialistische Arbeitgeber sind beide Beauftragte und Sachwalter der gesamten Volksgemeinschaft.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 676). 177 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Das hohe Maß persönlicher Freiheit, das ihnen in ihrem Wirken dabei zugebilligt wird, ist durch die Tatsache zu erklären, daß erfahrungsgemäß die Leistungsfähigkeit des einzelnen durch weitgehende Freiheitsgewährung mehr gesteigert wird als durch Zwang von oben.“ (Hitler, Kampf. S. 676).

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lösen, die das Wohl der Gesellschaft und des Staates insgesamt über alles stellen wird und für die kein anderes Kriterium gelten wird als dieses.“178 [51] „Auch in diesem Bereich, wie auch in allen anderen, wird bei uns jenes eiserne Gesetz herrschen, dass die Interessen des Vaterlandes als Ganzes über allem stehen und erst danach die Interessen der einzelnen Berufe, Gruppen usw. kommen.“179 So schrieb Hitler in „Mein Kampf“. Auch nahm er sich hier direkt vor, die organisatorische Form von den italienischen Faschisten zu übernehmen. „In den Gewerkschaften sehen wir den Keim unserer künftigen Wirtschaftskammern“180 – schreibt er. – „Damit diese künftigen Ständevertretungen und das künftige zentrale Wirtschaftsparlament tatsächlich nationalsozialistische Institutionen sind, ist es notwendig, dass schon die heutigen Keime dieser Einrichtungen vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen sind. Die Einrichtungen, Schöpfungen unserer Bewegung, werden sich zu ihrer Zeit in staatliche Einrichtungen verwandeln“ (775).181 „Wirtschaftskammern“, „zentrales Wirtschaftsparlament“, „Ständevertretung“, „Gleichheit der Herrschaft und der Arbeiter“, „Arbeitsfront“ u. dgl. – das alles klingt „stolz“. Tatsächlich aber mündete das alles – wie auch zu erwarten war – in einer unverhohlenen blutigen Diktatur des Finanzkapitals und in einer völligen Zertrümmerung aller Organisationen der Arbeiterklasse. Der zentrale „Wirtschaftsrat“, ernannt von Hitlers Regierung, besteht aus den räuberischsten Vertretern des Finanzkapitals.182 Der Arbeiter und seine Arbeit wurden im faschistischen Deutschland den frechen Kapitalisten zur Plünderung ausgeliefert. Im Buch „Mein Kampf“ ließ es Hitler noch bedingt zu, dass die faschistische Gewerkschaft manchmal im Streik ihre Zuflucht suchen kann als [52] ein Mittel zur „Beseitigung jener Missbräuche, die wegen ihres antisozialen Charakters nur der Produk178 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Dieser [der völkische Staat, d. V.] freilich soll an Stelle des Massenkampfes der beiden großen Gruppen – Arbeitgeber- und Arbeitnehmertum – (der in seinen Folgen als Produktionsverminderung stets die Volksgemeinschaft insgesamt schädigt!) die Rechtssorge und den Rechtsschutz aller übernehmen. Den Wirtschaftskammern selbst wird die Verpflichtung zur Inbetriebhaltung der nationalen Wirtschaft und zur Beseitigung von den diese schädigenden Mängeln und Fehlern obliegen. Was heute durch die Kämpfe von Millionen ausgefochten wird, muß dereinst in Ständekammern und im zentralen Wirtschaftsparlament seine Erledigung finden. Damit toben nicht mehr Unternehmertum und Arbeiter im Lohn- und Tarifkampf gegeneinander, die wirtschaftliche Existenz beider schädigend, sondern lösen diese Probleme gemeinsam an höherer Stelle, der über allem stets das Wohl der Volksgesamtheit und des Staates in leuchtenden Lettern vorschweben muß.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 677). 179 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Auch hier hat, wie durchwegs, der eherne Grundsatz zu gelten, daß erst das Vaterland und dann die Partei kommt.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 677). 180 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Wie schon betont, werden die Keimzellen zu den Wirtschaftskammern in den verschiedenen Berufsvertretungen, also vor allem in den Gewerkschaften, zu liegen haben.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 673 f.). 181 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Sollen aber diese spätere Ständevertretung und das zentrale Wirtschaftsparlament eine nationalsozialistische Institution darstellen, dann müssen auch diese wichtigen Keimzellen Träger einer nationalsozialistischen Gesinnung und Auffassung sein. Die Institutionen der Bewegung sind in den Staat überzuführen, aber der Staat kann nicht plötzlich entsprechende Einrichtungen aus dem Nichts hervorzaubern, wenn sie nicht vollkommen leblose Gebilde bleiben sollen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 674). 182 Gemeint ist der 1920 gegründete Reichswirtschaftsrat, der im April 1933 von der Regierung Hitler neu besetzt und damit wie zahlreiche andere Wirtschaftsverbände gleichgeschaltet wurde (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 110–131; Lilla, Mitglieder, S. 50–57; Longerich, Hitler, S. 319–322).

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tion und damit der Gesellschaft als Ganzes schaden“.183 Als die Hitleristen endlich gierig über die Macht herfielen, wurde jeder Streik der Arbeiter sofort zum Staatsverbrechen erklärt. Die Hitlerischen „Idealisten“ aus dem Lager der SA-Leute wurden offen als falsche Aufseher ausgegeben, die mit der Peitsche über die Köpfe der Mietsklaven des Kapitals schnalzen, sobald diese irgendwelche Absichten gegen die Sklavenhalter zeigen. So wurde die Arbeiterfrage im faschistischen Deutschland „gelöst“. Theoretisch wissen manche Faschisten (oder wussten es bis vor kurzem), dass man nur mit Gewalt allein mit der Arbeiterbewegung in einem solchen Land wie Deutschland nicht fertig wird. Zumindest einen Teil der Arbeiterklasse zu beherrschen, ist eine tödliche Lust! Die „Arbeiterfrage“ umkreisen die Führer der Faschisten verstärkt.184 Dennoch versprach Hitler nicht ohne Grund, als er sich als Verwalter des Finanzkapitals verdingte, die Arbeiterbewegung zu „nationalisieren“, sie „vaterländisch“, „national“ zu machen, die Arbeiterklasse in den Schoß des (bürgerlichen) Vaterlandes zurückzuholen usw. Tödliche Lust! Aber das „bittere Schicksal“ zwang die Herren Faschisten dazu, sich nur auf das Bajonett zu stützen, ihre Hoffnungen nur auf die Folter in Konzentrationslagern, auf die Ermordung beim „Fluchtversuch“ u. dgl. zu setzen. Hitlers Herren sind übrigens nicht sehr enttäuscht. Auf eine „ideelle“ Eroberung der Arbeiter durch die Faschisten hatten sie nie besondere Hoffnungen gesetzt. In die Regierung der Faschisten einzutreten bedeutet auch, das blanke blutbefleckte Bajonett auf die Tagesordnung zu setzen. Zu anderen Mitteln – darunter zum „sozial-demokratischen“ Betrug an den Arbeitern – griffen Hitlers Herren früher, als sie beschlossen, [53] die Meister der Folter Göring und Co. in die Regierung einzusetzen. Aber nach der Entscheidung, die Faschisten als Minister einzusetzen, wird das Kapital seinen faschistischen Verwaltern immer mehr die soziale Demagogie (wenigstens jene, die beträchtliches185 Geld kostet) und das „Kokettieren“ insbesondere mit den Arbeitern abgewöhnen. Und dieselben Anführer des Faschismus waren sich natürlich völlig eindeutig dessen bewusst, wofür sie gemietet werden. Sie wussten und wissen, dass Phrasen von der „Harmonie der Klasseninteressen“186, vom „ehrlichen Maklerwesen“, „Ständeparlamenten“ u. dgl. „Belletristik“ sind; die wirkliche „Spezialität“ des Faschismus sind [das blutbefleckte Bajonett,] das Pogrom an der Arbeiterbewegung, die Folterkammern in den Kasernen der SA-Leute, Scheiterhaufen, auf denen die Bücher der besten Köpfen der Menschheit verbrannt werden187, Brandstiftung und Morde.188 „Im Bewusstsein, dass sich die Tore der deutschen Freiheit erst dann öffnen, wenn der Marxismus besiegt 183 Vgl. S. 53 bzw. Anm. 173. 184 Übersetzt aus wörtlich: „Um die ‚Arbeiterfrage‘ herum setzen die Führer der Faschisten fort, verstärkt zu gehen.“ (Вокруг да около „рабочего вопроса“ вожди фашистов продолжают ходит усиленно.). 185 Wörtlich: „seriöses“ (серьёзных). 186 „Klassen“ (классовых) handschriftlich hinzugefügt. 187 Anspielung auf die Bücherverbrennungen am 10.5.1933. 188 Anspielung auf die Verfolgung und Misshandlung kommunistischer und sozialdemokratischer Politiker und Funktionäre, die nach dem Reichstagsbrand stark zunahmen. Sie wurden durch die Herausgabe eines Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hitlerterror und einen in London durchgeführten „Gegenprozess“ zum Reichstagsbrand-Prozess in Berlin weltweit bekannt (vgl. Palmier, Bemerkungen, S. 51). Ob Sinowjew das Braunbuch zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Analyse bereits kannte, ist allerdings unklar, da es erst im August 1933 veröffentlich wurde.

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wird, sehen wir unsere189 Aufgabe ausdrücklich im illusionslosen nüchternen Erlernen und Einschätzen der Kampfmittel des Gegners und im harten, brutalen, sentimentalitätslosen und kaltblütigen Kampf“ – schrieb über die Aufgaben des Faschismus bezüglich der Arbeiterklasse der wichtigste Leiter der faschistischen Betriebszellen190 Reinhold Muchow im Organ der Faschisten „Arbeitertum“191 im März 1930.192 Den Preis vor den Kapitalisten hoch treibend, erklärte Hitler „selbst“ in seiner Rede im Düsseldorfer Klub der Industriellen am 27. Januar 1932: „Ohne uns (d. h. ohne die Faschisten) gäbe es in Deutschland schon keine Bourgeoisie mehr. Die Frage – Bolschewismus oder Nicht-Bolschewismus – wäre schon lange entschieden“.193 Ja, als Vollstrecker des bürgerlichen weißen Terrors gegen die Arbeiter sind die Faschisten „unersetzlich“. Aber die Arbeiter Deutschlands „ideologisch“ zu erobern, ist ihnen natürlich nicht gegeben. Es ist ihnen auch nicht gegeben, [54] die Reihen der Grundkader194 des deutschen Proletariats zu spalten, wie ein Teil der Bourgeoisie spekulierte. Das Organ der Bonzen des Trustkapitals „Deutsche Führerbriefe“ schrieb im September 1932: „Notwendige Bedingung für jede Wiederherstellung und neue Festigung der bürgerlichen Herrschaft, die in Deutschland auch nach dem Krieg möglich ist, ist die Spaltung der Arbeiterbewegung. Jede geschlossene, von unten gewachsene Arbeiterbewegung wird unweigerlich revolutionär sein und gegen eine solche Arbeiterbewegung wäre es auf lange Sicht unmöglich, die Herrschaft der Bourgeoisie aufrechtzuerhalten, selbst unter Anwendung militärischer Gewaltmittel.“195 Das wurde offen und vom Standpunkt der Bourgeoisie aus richtig gesagt. Aber die Aufgabe, eine Spaltung in die Arbeiterbewegung hineinzutragen196, wurde leichter und „bequemer“ von den Sozialfaschisten ausgeführt. Sie führten diese Vor„arbeit“ im Auftrage „ihrer“ Bourgeoisie aus. Der jetzt in Deutschland herrschende Faschismus schließt, ohne das natürlich selbst zu wissen, im Hass gegen das faschistische Regime immer größere Arbeitermassen zusammen. Die faschistische Form der Diktatur hat die Tendenz, in einem be189 190 191 192

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Sinngemäß übersetzt aus fälschlich „seine“ (своей). Übersetzt aus „фабзавкомовских ячеёк“. Das deutsche Wort „Arbeiter“ nachträglich zu „Arbeitertum“ (Арбейтертум) ergänzt. Gemeint ist Reinhold Muchow, in der Reichsleitung der NSDAP für die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) zuständig (vgl. Kratzenberg, Arbeiter, S. 39–48). Allerdings ist seine Zeitschrift Arbeitertum. Blätter für Theorie und Praxis der nationalsozialistischen Betriebsorganisation erst ab 1931 erschienen, sodass unklar ist, worauf sich Sinowjew tatsächlich bezieht. Hitlers Rede vor dem einflussreichen Industrie-Club in Düsseldorf fand am 26.1.1932 statt und sorgte trotz der Bemühungen der NSDAP, möglichst wenig darüber publik werden zu lassen, für großes Aufsehen (vgl. IfZ (Hg.), Hitler, Bd. IV/3, S. 74). Im Original lautet die Passage: „Wenn wir nicht wären, gäbe es schon heute in Deutschland kein Bürgertum mehr (Sehr richtig!), die Frage: Bolschewismus oder nicht Bolschewismus wäre schon lange entschieden!“ (IfZ (Hg.), Hitler, Bd. IV/3, S. 104). Übersetzt aus „основных кадров“. Im Original lautet die Stelle: „Die notwendige Bedingung jeder sozialen Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft, die in Deutschland seit dem Kriege möglich ist, ist die Spaltung der Arbeiterschaft. Jede geschlossene, von unten hervorgewachsene Arbeiterbewegung müsste revolutionär sein, und gegen sie wäre diese Herrschaft dauernd nicht zu halten, auch nicht mit den Mitteln der militärischen Gewalt.“ (Deutsche Führerbriefe, 5. Jg., Nr. 73, 20.9.1932). Die von der deutschen Großindustrie unterstützten Deutschen Führerbriefe sprachen sich seit Herbst 1932 offen für Hitlers Kanzlerschaft aus (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 45 f.). Übersetzt aus wörtlich „Einzahlung einer Spaltung“ (внесения аскола).

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stimmten Entwicklungsstadium alle Fraktionen der Bourgeoisie gegen die „rote Gefahr“ zusammenzuschließen. Zu gleicher Zeit aber schließt sie unvermeidlich immer größere Arbeitermassen gegen die faschistische und jede andere Form der Diktatur der Bourgeoisie zusammen. Es wäre dem Kapital sehr lange gelungen, sich zu behaupten, würde es künftig einmal die Sozialfaschisten, einmal die Faschisten fördern, gäbe es auf der Welt keine revolutionäre Partei des Proletariats, die Partei der Kommunisten heißt. Aber die Letztere existiert. In Deutschland ist sie glücklicherweise schon sehr stark. Die faschistische Form der Diktatur [55] wird sie nicht daran hindern, sogar in der schwierigsten Lage das Mitgefühl der Mehrheit der Arbeiterklasse zu erobern; sie wird in der Lage sein, die Folgen der durch die Hände der sozialfaschistischen Knechte des Kapitals geschaffenen Spaltung zu liquidieren, und, wenn der Augenblick kommt, wird sie von der bürgerlich-faschistischen Herrschaft in Deutschland keinen Stein auf dem anderen lassen. [56] V.197 Hitler schreibt in seinem Buch über alles und darüber hinaus über noch etwas: sowohl über die Rassen-„Theorie“, als auch über den Kampf gegen die Syphilis, über die Gründung eines neuen Staates, über die verbindliche Ausbildung in Jiu-Jitsu sowie über die Eroberung der ganzen Welt durch nordgermanische „Arier“, über die Förderung frühzeitiger Ehen, über die Grundlagen der Außenpolitik und über den Sprachunterricht in der Mittelschule. Das Buch wurde vor dem Machtantritt der deutschen Faschisten geschrieben, d. h. in der Periode geschrieben, als die Hitleristen noch hinter den Stimmen breiter Wählerkreise herjagten. Hitlers Buch ist daher eine Art Sammlung von allerlei „populären“ (oder Popularität beanspruchenden) Losungеn, eine Art Warenhaus198 von allerlei Versprechen, die jedem und einer jeden, rechts und links, jedem Beliebigen gegeben wurden, der zuhören würde. An die Macht gekommen, mehr oder minder an der Macht „gefestigt“, „verliert“ der deutsche Faschismus199 ganz im Geist der im Programm der Komintern gegebenen Analyse „seine antikapitalistische Klapper“. Alle Versprechungen, die von ihm gegen den Kapitalismus gegeben wurden, sind bereits sehr gründlich vergessen. Auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik ist der deutsche Faschismus gezwungen, die Maske immer mehr abzulegen und offen als leitender Angestellter des Finanzkapitals aufzutreten. Daraus ergibt sich die Übertragung der höchsten Finanzposten an die höchsten Finanzbonzen Deutschlands, daraus ergeben sich die Rundschreiben darüber, dass die „nationale Revolution“ zu Ende ist, daraus ergeben sich die Befehle zur „Nichteinmischung“ der nationalsozialistischen Basis in die Verordnungen der Wirtschaftsorgane des Landes, daraus ergibt sich die ständige Unterstreichung200 des „großen“ Prinzips der Unantastbarkeit des Privateigentums.201 197 Die Kapitelzählung wurde handschriftlich hinzugefügt. Im Original findet sich am Rand noch die gestrichene Seitenzahl 5. 198 Handschriftlich korrigiert aus einem nicht mehr entzifferbaren Wort. 199 Handschriftlich korrigiert aus „Faschisten“ (фашистам). 200 Handschriftlich korrigiert aus „Unterstützung“ (поддерживание). 201 Der Absatz wurde handschriftlich eingefügt. Nachdem es in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer öfter zu Eingriffen regionaler NS-Funktionäre in den Wirt-

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Die Erhöhung der Zollgebühren [57] führte bereits zu einer Verteuerung der Waren, unter der die Arbeiter, die Bauern, die andere große Masse der werktätigen Bevölkerung leiden. Der Profit aus der Preiserhöhung fließt teilweise in die Taschen des Großbauerntums, hauptsächlich aber – in die Taschen der Großhändler. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt tagtäglich. Der Außenhandel nimmt ab. Die Zahlen sowohl der Ein- als auch der Ausfuhr sinken. Das „Arbeitsbeschaffungs“programm verlangte für seine Realisierung Kredite von 2 Milliarden von der Reichsbank; für die Durchführung der Arbeitspflicht wurden 5 000 Mio. bewilligt (während 3 Milliarden für die Organisation der Hilfe202 für 1 Million Arbeitslose gefordert wurden).203 Die faschistische Regierung entschied sich nicht sofort dazu, eine Generalrevision der Tarifverträge zu beginnen. Diese Maßnahme hat sie bis zum Herbst 1933 verschoben. Die Faschisten gewinnen Zeit, um sich besser vorzubereiten und auf den Real- [und Nominal-]Lohn loszuschlagen. Die Geschichten über eine scheinbare Verringerung der Arbeitslosen sind die reinste Lüge. Die „Reduzierung“ der Erwerbslosigkeit – auf dem Papier – ergibt sich nur als Resultat der Streichung einiger Kategorien von Erwerbslosen aus der Zahl der zu registrierenden Personen. In den Lagern, die noch aufgrund der Notverordnungen Brünings und Papens geschaffen wurden, befindet sich etwa eine halbe Million erwerbsloser Jugendlicher, die die Arbeitspflicht ableisten. Diese Jugend wird einfach auf die Rolle als Kanonenfutter im künftigen Krieg vorbereitet. Die „Zins“knechtschaft erblüht in ihrer vollen Schönheit. Die Banken existieren nach ihren früheren Grundsätzen. Die reichsten Kaufhäuser ebenso. Auf dem Gebiet der Nationalisierung der größten Industrie- und Handelsbranchen wurde rein gar nichts unternommen – und das trotz aller Versprechungen, die im Hitlerschen „Mein Kampf“ ausgestreut wurden. Man darf jedoch nicht sagen, dass die Regierung Hitlers nichts von dem204 ausführt, was [58] in diesem „Programm“-Buch des deutschen Faschismus versprochen wurde. Das versprochene Programm „des Kampfes gegen den Marxismus“ wird im Überfluss ausgeführt, wenn auch bei weitem nicht mit jenem Erfolg, mit dem Hitler in „Mein Kampf“ rechnete. Zur Frage der Zertrümmerung der deutschen Arbeiterbewegung kehrt Hitler mehrfach in seinem Buch zurück. Er beweint den „traurigen Fehler“ Wilhelms II., der die deutsche Arbeiterbewegung 1914 zu Beginn des Kriegs nicht zertrümmert hat. Er beklagt sich bitter darüber, dass es den Faschisten nicht gestattet wurde, die Arbeiterbewegung 1923 während der Besetzung des Ruhrbeckens durch die Franzosen zu zertrümmern. Das ist der Refrain des ganzen Buches. Die Technik der Zertrümmerung der Arbeiter wurde im Buch ziemlich ausführlich entwickelt, obwohl eigentlich dieses Thema nicht für den Druck205 [gedacht war], besonders als Hitler noch nicht an der

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schaftsbetrieb gekommen war, wurden im Mai 1933 von der Reichsleitung entsprechende Verbote erlassen (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 104–109; Longerich, Hitler, S. 323). Die Wendung „der Hilfe“ (помощи) handschriftlich eingefügt. Im Frühjahr 1933 setze die Regierung Hitler verschiedene steuerliche und finanzielle Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung, obwohl sie zunächst vor allem von den Programmen der Vorgängerregierungen profitierte. Eine der Maßnahmen war das „Reinhardt-Programm“, das etwa eine Milliarde Mark umfasste (vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, S. 150–159; Tooze, Ökonomie, S. 63–72; Buchheim, NSRegime, S. 387–397). Die Wendung „von dem“ (из того) handschriftlich eingefügt. „Druck“ handschriftlich korrigiert aus „Hitler“ (Гитлера).

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Macht war. Das sind zum Beispiel die „Gedanken zum Vorlesen“ hinsichtlich der „Zweckmäßigkeit“ oder „Unzweckmäßigkeit“ des individuellen Terrors gegen die Arbeiterführer. Wie sich herausstellt, hielt es Hitler für „unzweckmäßig“, solchen Terror anzuwenden, und er befürchtete, dass derartige „Akte“ den SA-Leuten zu teuer zu stehen kommen könnten. „Wen soll man tatsächlich schicken, um einen solchen kleinen Verräter aus dem Weg zu räumen? Soll man zu diesem Zweck auch eine kleine Kreatur oder einen echten Idealisten schicken? Im ersten Fall riskiert man, das notwendige Resultat nicht zu bekommen und früher oder später wird man dich unbedingt denunzieren. Im zweiten Fall wird ein kleiner Gauner tatsächlich beseitigt, dabei aber kommt es dazu, das wertvolle Leben eines vielleicht nicht zu ersetzenden Idealisten zu riskieren. Es wird weitaus besser sein, wenn wir206 in einem schönen Moment ein Nationaltribunal bilden, das in der Lage ist, einige Zehntausend Novemberverbrecher vor Gericht zu stellen und zu erschießen – jene, die die [59] Rolle der Organisatoren der Revolution spielten und deshalb die Hauptverantwortung tragen müssen“ (S. 611).207 An anderer Stelle schreibt Hitler, als er zu dieser Frage zurückkehrt: „Hätten wir uns zu Kriegsbeginn entschieden, 12–15 Tausend jüdische Anführer mit Giftgas zu erdrosseln, die unser Volk verderben, wären die Millionen Opfer, die wir auf Schlachtfeldern brachten, nicht vergeblich gewesen“ (S. 772).208 Die „Terminologie“ Hitlers wird niemanden verwirren. Indem er von „Verrätern“, „Juden“ usw. spricht, meint Hitler die ganze Zeit in Wirklichkeit die Vorhut der revolutionären deutschen Arbeiter, d. h. die Kommunisten. Die Anzahl der Opfer der künftigen „Bartholomäus“Nacht wurde, wie der Leser sieht, schon lange genannt: von 12 Tausend bis „einige Zigtausende“. Als Hitler an die Macht kam, beeilte er sich, diesen Teil seines „Programms“ mit einem Eifer auszuführen, auf den alle Henker der vergangenen Zeiten neidisch sein können. „Die marxistischen Verbrecher209 zu erdrosseln“ – so formulierte Hitler seine Aufgabe im zweiten Teil des behandelten Buchs. „Deutschland muss sich darüber klar werden, dass aus den blutigsten Bürgerkriegen oft ein gesunder stählerner Volksorganismus geboren wird, während der künstlich gehegte Frieden sehr häufig zur bösartigen Auflösung führt. Das Schicksal eines Volkes wird nicht mit Glacéhandschuhen entschieden“ (S. 773).210 206 Das Wort „wir“ (мы) handschriftlich eingefügt. 207 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Und da ist es doch eine wichtige Frage: Soll man solch eine verräterische kleine Kreatur wieder durch eine Kreatur beseitigen lassen oder durch einen Idealisten? Im einen Fall ist der Erfolg zweifelhaft und der Verrat für später fast sicher; im anderen Fall wird ein kleiner Schuft beseitigt und dabei das Leben eines vielleicht nicht zu ersetzenden Idealisten aufs Spiel gesetzt. Im übrigen ist in dieser Frage meine Stellungnahme die, daß man nicht kleine Diebe hängen soll, um große laufen zu lassen; sondern daß einst ein deutscher Nationalgerichtshof etliche Zehntausend der organisierenden und damit verantwortlichen Verbrecher des Novemberverrats und alles dessen, was dazugehört, abzuurteilen und hinzurichten hat.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 610 f.). 208 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölfoder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 772). 209 Wörtlich „Bösartigen“ (ехидну). 210 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Man mußte sich vergegenwärtigen, daß aus den blutigsten Bürgerkriegen häufig ein stahlharter, gesunder Volkskörper erwuchs, während aus künstlich gehegten Frie-

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Von wegen „Glacéhandschuhe“! Hier ist es passender, sich daran zu erinnern, was Shakespeare über Mörder sagte, die nicht in der Lage waren, mit allen Düften Arabiens den Blutgeruch an ihren Händen zu übertünchen. In diesem Teil wurde Hitlers Programm im Übermaß erfüllt. Die „Technik“ des weißen Terrors erwies sich als noch vielfältiger als das, was Hitler in seinem Buch versprach. Es kam allerdings nicht zur „Erstickung von 12–15 Tausend Menschen mit Giftgas“. [60] Aber wenn die Faschisten Zehntausende Gegner in Konzentrationslagern langsam zu Tode quälen, ist das keineswegs besser. Das versprochene „nationale Tribunal“ (aus Pogromisten211, närrischen Antisemiten, weißgardistischen Tieren) wurde auch bereits geschaffen und das Programm, „einige Zehntausende zu erschießen“, wird „erfolgreich“ ausgeführt. Genauso wurde die Frage der „Idealisten“ gelöst, die für hinterlistige Morde geeignet waren. Über solche „Idealisten“ verfügen die Hitleristen jetzt im Überfluss, da sie bis auf Weiteres straffrei handeln können. Erfüllt und „übererfüllt“ wurde das Programm des Kampfes gegen das „Judentum“. In dieser Hinsicht gingen die faschistischen Schergen so weit, dass sie Zweifel sogar bei ihren „Lehrern“, den italienischen Faschisten, hervorriefen und sie gezwungen waren, bis zu einem gewissen Grad nachzugeben … Was andere Teile des Programms in Hitlers „Mein Kampf“ betrifft, so ist auch in dieser Hinsicht der Inhalt des Buches erstaunlich. Der Autor versucht, das Bild des faschistischen „Zukunftsstaates“ zu zeichnen. Was aber erfahren wir konkret? Der Parlamentarismus wird vernichtet werden, obwohl für die erste Zeit ein gewisses „Parlament“ bleiben wird. Es werden „Ständekammern“ plus „Wirtschaftsparlament“ geschaffen werden. Streiks werden verboten. Arbeiter und Arbeitergeber werden miteinander „in voller Harmonie“ leben und sich in Konfliktfällen dem faschistischen Schiedsgericht unterordnen. Es ist unnötig, selbstständige faschistische Gewerkschaften zu schaffen, solange die Faschisten die Staatsmacht nicht ergreifen, und wenn sie sie ergreifen – dann werden sie nach italienischem Muster handeln. Die deutschen Faschisten werden die ganze Bevölkerung in drei Gruppen einteilen: 1) vollberechtigte Bürger (nur Deutsche „reinen“ Blutes, die fähig sind, die „Reinheit der Rasse“ einzuhalten), 2) Staatsangehörige und 3) Ausländer. [61] Die beiden letzten Gruppen werden keine politischen Rechte genießen. Auch Frauen werden keine derartigen Rechte genießen (außer einzelne Ausnahmen). Die Sache der Volksbildung wird umorganisiert werden, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Soldatenerziehung. Presse, Kunst wie überhaupt alle Werkzeuge der Propaganda werden unter die Monopolführung des Faschismus gestellt. Der faschistische Staat muss aus dem Schoß der faschistischen Partei herauswachsen und muss auf denselben großen „Grundsätzen“ aufgebaut werden: keine Entscheidungen nach dem Prinzip der Abstimmung, vollständige und unbedingte Macht der „hervorragenden Persönlichkeit“, der „Führer“ ist nur „dem Höchsten“ und seinem „Gewissen“ verantwortlich. Diese Teile von Hitlers Programm werden „erfolgreich“ erfüllt. Was der faschistische Staat sein wird – Republik212 oder Monarchie – will Hitler nicht sagen. Er kommt mit folgenden Phrasen davon: „Unsere Mission besteht nicht denszuständen öfter als einmal die Fäulnis zum Himmel emporstank. Völkerschicksale wendet man nicht mit Glacéhandschuhen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 773). 211 Übersetzt aus „погромшиков“. 212 Handschriftlich korrigiert aus „republikanisch“ (республиканской).

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darin, die Monarchie wiederherzustellen oder die Republik zu festigen, sondern darin, einen germanischen Staat zu schaffen. Die Frage nach den äußeren Formen des Staatsaufbaus wird schon seine Krönung sein. Diese Frage hat keine prinzipielle Bedeutung, sondern hängt vollständig von der praktischen Zweckmäßigkeit ab. Für ein Volk, das es vor allem schafft, die großen Probleme und Aufgaben seiner Existenz zu lösen, werden die Fragen äußerer Formalitäten keine große Rolle mehr spielen und jedenfalls nicht zum inneren Kampf führen“ (S. 380).213 Die Frage der Wiederherstellung der Monarchie ist für Hitler nur eine „Frage der Form“. Die ersten Monate der Macht der deutschen Faschisten zeigen, dass die Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland – wenn sie von den Hitleristen abhängen wird – jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Nicht ohne Grund lässt sich Hitler im „geschichtlichen“ Teil seines behandelten Buches ausführlich darüber aus, dass es [62] im alten Deutschland „drei herrliche Dinge“ gab: 1) das preußische Heer, 2) den unvergleichlichen staatlichen Beamtenkörper und 3) die monarchische Herrschaftsform mit der für sie charakteristischen „Stabilität“. Nicht ohne Grund hat Hitler in seinem engsten Gefolge schon jetzt einige Prinzen. Nicht ohne Grund half Wilhelm II. der Hitlerbewegung mit Geld. Nicht ohne Grund nimmt das erlauchte monarchistische Gesindel in Hitlers Führungsetagen mehr und mehr einflussreiche Stellen ein. [63] VI.214 Die zentrale Stelle in Hitlers Buch nehmen Fragen der auswärtigen Politik eines faschistischen Deutschlands ein. Dieser Teil des Buches ist für russische Leser schon deshalb besonders wichtig, weil das Programm der Außenpolitik Hitlers vollständig gegen die UdSSR gerichtet ist. Nach dem Machtantritt versuchen jetzt Hitler und seine Partei diesen Teil des Programms des Faschismus, wie es im Buch „Mein Kampf“ entwickelt wird, wirklich zu erfüllen. Wenn es ihnen bislang noch nicht gelingt – und es wird auch nicht gelingen! –, dann zumindest nicht durch ihre Schuld. Dieser Teil des Buches verdient die schärfste Aufmerksamkeit seitens unseres Lesers. 215Während der gesamten Periode der Vorbereitung der deutschen Faschisten auf die Machtergreifung spielten in ihrer Agitation Fragen der Außenpolitik eine viel größere Rolle als dies in der entsprechenden Periode bei den italienischen Faschisten der Fall war. Und das ist gewiss kein Zufall. Sowohl der italienische als auch der deutsche Faschismus sind ein Produkt des imperialistischen Krieges. Grober Nationalismus, wilder Chauvinismus bilden eines der wichtigsten „Motive“ der Agitation sowohl der italienischen als auch der deutschen Faschisten. Die Bilanz Italiens nach dem imperialistischen Weltkrieg ist allerdings je213 In Mein Kampf lautet die Stelle: „Ihre Mission [der NSDAP, d. V.] liegt nicht in der Begründung einer Monarchie oder der Festigung einer Republik, sondern in der Schaffung eines germanischen Staates. Die Frage der äußeren Ausgestaltung dieses Staates, also seine Krönung, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, sondern wird nur bedingt durch Fragen praktischer Zweckmäßigkeit. Bei einem Volk, das erst die großen Probleme und Aufgaben seines Daseins begriffen hat, werden die Fragen äußerer Formalitäten nicht mehr zu inneren Kämpfen führen.“ (Hitler, Kampf (1932), S. 380). 214 Die Nummerierung „VI.“ wurde zunächst handschriftlich durchgestrichen, was später wieder handschriftlich rückgängig gemacht wurde. 215 Die folgenden Passagen wiederholen Teile aus dem Beginn des Dokuments (vgl. S. 19–29). Sie wurden für diesen Abschnitt neu abgetippt, wie einige Korrekturen und geringfügige Änderungen belegen.

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ner Deutschlands nicht ähnlich. Italien fühlt sich dadurch benachteiligt, dass es bei der Teilung der Beute „übergangen“ wurde. Deutschland selbst wurde die Beute, die man teilte. Vor dem Weltkrieg gehörte Italien nicht zu den größten imperialistischen Mächten. Und die Macht des italienischen Imperialismus nahm infolge des Krieges relativ zu. Deutschland war vor dem Weltkrieg eine der größten imperialistischen Mächte, es stand an der Spitze der imperialistischen Koalition und brach als Folge des Krieges zusammen, es fiel in den Abgrund aus [64] enormer „Höhe“. Die italienische Bourgeoisie ist damit unzufrieden, dass der Versailler Vertrag sie „benachteiligte“, dass ihr nicht der Anteil zuteilwurde, den sie ihrer Meinung nach „verdiente“. Die deutsche Bourgeoisie ist damit unzufrieden, dass sie der Versailler Vertrag um ihren weltweiten Einfluss brachte, dass er sie zum Vasallen der Bourgeoisie der Siegermächte machte, ihr die Armee und die Flotte nahm usw. Sowohl der italienische als auch der deutsche Faschismus sind [insgesamt] das Sprachrohr ein und desselben Kreises einer „Idee“. Ihr „Programm“ ist letzten Endes ein und dasselbe. Die Außenpolitik des faschistischen Deutschlands wird sich jedoch in vieler Hinsicht von der Außenpolitik des faschistischen Italiens sehr wesentlich unterscheiden. Darum ist das vor dem Machtantritt der Hitlerfaschisten geschriebene Hauptwerk des deutschen Faschismus vor allem in jenem Teil wichtig, der Fragen der auswärtigen Politik behandelt. Diesen Teil von Hitlers Buch zu kennen ist notwendig und auf ihn gehen wir daher hier auch genauer ein. Den Fragen der auswärtigen Politik wurden in Hitlers Buch Hunderte von Seiten gewidmet. Fragen der auswärtigen Politik nehmen im Buch eine zentrale Stelle ein. Zu ihnen kehrt Hitler auch in jenen Kapiteln zurück, die andere Themen zum Gegenstand haben. Fasst man alles zusammen, was zu Fragen der Außenpolitik in diesem Buch gesagt wird, dann lässt sich Hitlers Programm auf diesem Gebiet auf folgende 10 Punkte zurückführen: 1) Das Hauptziel der auswärtigen Politik Deutschlands darf nicht in der Eroberung entfernter Kolonien, sondern in der Eroberung neuen Bodens in Europa bestehen. 2) Diesen Boden kann man nur „finden“ im Osten Europas, nur in Russland. Und gerade dorthin muss das Hauptaugenmerk gerichtet werden – dies umso mehr, als Russland das Land des verhassten [65] Bolschewismus ist. Das ist das Alpha und Omega von allem. 3) Deutschland braucht ein Bündnis mit England und Italien gegen Frankreich. Dieses Bündnis muss einen offensiven Charakter tragen. Das Bündnis ist möglich, weil England und Italien angeblich eine Hegemonie Frankreichs auf dem Kontinent nicht wollen. 4) Deutschland muss nicht nur einfach die Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914, sondern die grundlegende Neuaufteilung des Bodens anstreben, damit sich Deutschland sehr stark nach Osten ausweiten kann. 5) Deutschland muss Japan unterstützen, dieses Bündnis strebt England an. Japan ist der einzige Staat, auf den sich die Vorherrschaft des Judentums nicht erstreckt. Japan ist der „einzige gesunde“ Nationalstaat in Asien. Die Faschisten müssen darüber wachen, dass es den „Juden und Marxisten“ nicht gelingt, „unter dem Deckmantel des Krieges gegen den japanischen Kaiserismus und den japanischen Imperialismus“216 216 Vgl. Anm. 10.

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den Krieg gegen das japanische Bollwerk der faschistischen Ideen vorzubereiten (S. 722–724). Über die Eroberung der Mandschurei durch Japan wird nichts direkt gesagt, dies gilt generell für die vergangenen Ereignisse im Fernen Osten, doch die „Gesamtlinie“ Hitlers – zum Bündnis mit Japan (und England). [!]217 Über seine Haltung zu den USA etwas Genaues zu sagen, entschließt sich Hitler nicht. Dies kann man nur zwischen den Zeilen an jenen Stellen des Buches lesen, in denen Hitler sich in freundschaftlichen Gefühlen zu Japan äußert. 6) Deutschland darf keine Annäherung welcher Art auch immer an unterdrückte Nationen eingehen. Hitler überschüttet den Befreiungskampf Indiens und Ägyptens mit grobem Spott und Hohn und macht sich über die Idee eines Bündnisses der unterdrückten Nationen lustig. Deutschland braucht nach seinen Worten die Verbindung mit den Starken und Kräftigen, nicht aber mit den Schwachen, mit den „Invaliden“ (zu den Letzteren wird auch die Türkei gerechnet). (S. 744–748). 7) Die „Germanen“ sind daran interessiert, dass Indien [66] gerade von England beherrscht wird und nicht von irgendeinem anderen Volk (S. 747). 8) Zum faschistischen Polen herrscht völliges Schweigen. Alle Kapitel zur Außenpolitik sind so geschrieben, dass sie ein Abkommen mit dem faschistischen Polen nicht völlig ausschließen, aber auch die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit ihm nicht ausschließen. 9) Für das faschistische Deutschland ist es zuallererst notwendig, sich um jeden Preis zu bewaffnen, unter Ausnutzung jeder Gelegenheit. Einen ausgezeichneten Anlass bot die Besetzung des Ruhrbeckens im Jahr 1923. Diese Gelegenheit wurde versäumt. Jetzt darf man die Gelegenheit nicht versäumen, sobald sie sich nur bieten wird. Zu Kadern der künftigen deutschen Armee müssen die faschistischen SA-Männer werden. Von der Wiedergeburt der deutschen Flotte zu träumen, ist es zu früh, denn das würde bedeuten218, nur unnötig England zu reizen (siehe das Kapitel „Gedanken über Bedeutung und organisatorischen Aufbau der Sturmabteilungen“219). 10) Damit Deutschland für England, Italien und Japan ein wertvoller Verbündeter wird, ist es notwendig, dass es a) über die Kommunisten und überhaupt über die „Marxisten“ innerhalb seines Landes ein Strafgericht abhält und b) dass es offen und unwiderruflich jegliches Kokettieren mit der Idee einer östlichen Orientierung ablehnt und beweist, dass es bereit ist, Rädelsführer im Kampf gegen die UdSSR zu werden. Dieses ganze „Programm“ ist gewürzt mit gröbstem Geschimpfe gegen die UdSSR und gegen den Führer der Sowjetunion. Den gesamten ersten Teil seines „Werkes“ widmet Hitler den „Abrechnungen mit der Vergangenheit“. Mit allen Kräften bemüht er sich hier zu beweisen, dass das wilhelminische Deutschland ganz und gar unschuldig war am Weltkrieg, dass ihm, ganz im Gegenteil, der Krieg aufgezwungen wurde. Die wilhelminische Diplomatie ist seiner Meinung nach nur daran schuld, dass es ihm nicht gelang, eine andere Kräfteverteilung in diesem Krieg zu erlangen. Es musste ganz andere Bündnisse abschließen als jene, die es tatsächlich abschloss. Hört man Hitler zu, so ergibt sich, dass sich das wilhelminische Deutschland in einer schrecklichen Notlage befand. Der jährliche Bevölkerungs217 Vgl. Anm. 11. 218 Die Wendung „würde bedeuten“ (означало-бы) handschriftlich eingefügt. 219 Vgl. Anm. 13.

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zuwachs [67] betrug in Deutschland 900 Tausend Menschen. Diese neue Armee an Bürgern zu ernähren, wurde von Jahr zu Jahr schwieriger. So hatte das damalige Deutschland laut Hitler vier mögliche Auswege: 1) entweder die Geburtenzahl nach französischem Vorbild künstlich zu begrenzen; 2) oder den Weg der inneren Kolonisation zu beschreiten, d. h. den Weg der Umverteilung der deutschen Bevölkerung innerhalb Deutschlands selbst; 3) oder den Weg der Gewinnung neuen Bodens in Europa auf Kosten Russlands zu wählen; 4) oder die Politik einer verstärkten Industrialisierung Deutschlands, einer verstärkten Entwicklung des Handels, der Schaffung einer Flotte, des Kampfes um Kolonien, des Wettbewerbs mit England. (S. 142–151). Das wilhelminische Deutschland machte, so Hitler, den Fehler, dass es den vierten Weg wählte, den Weg kolonialer Politik. Er, Hitler, meint, dass für Deutschland einzig der dritte Weg richtig war – das Bündnis mit England gegen Russland und die Eroberung neuen Bodens in Europa auf Kosten Russlands. Auf diesen Fehler ist alles Unglück Deutschlands zurückzuführen. Die Hauptlehre des Weltkriegs besteht für Hitler gerade in diesem Schluss. Und er sieht seine Hauptaufgabe darin, Deutschland zu helfen, auf diese oder jene Weise diesen grundsätzlichen Fehler zu korrigieren und „vom Weg Nr. 4“ auf den „Weg Nr. 3“ zurückzukehren. – „Stellen wir uns für eine Minute vor – schreibt Hitler – daß die deutsche Außenpolitik so klug gewesen wäre, um 1904 die Rolle Japans zu übernehmen. Stellen Sie sich das wenigstens für einen Augenblick vor, und Sie werden verstehen, welche wohltuenden Folgen dies für Deutschland gehabt hätte. Dann wäre es nicht zum „Welt“krieg gekommen. Das Blut, das im Jahre 1904 vergossen worden wäre, hätte uns hundertmal das Blut erspart, das 1914–18 vergossen wurde. Und welche mächtige Stellung würde [68] Deutschland in diesem Fall jetzt einnehmen“! (S. 155).220 Natürlich ist seither schon viel Wasser geflossen. Und jetzt (Anfang 1933221, als die letzte „durchgesehene“ Auflage von Hitlers Buch erschien), veränderte sich die Lage in vielerlei Hinsicht. Allerdings ist Hitler jetzt noch mehr davon überzeugt, dass es für Deutschland nur einen Ausweg gibt – den Kampf gegen Russland, umso mehr, als es jetzt ein sowjetisches Russland ist. „Unser Staat – schreibt Hitler, wobei er hier einen faschistischen Staat meint – wird zuallererst danach streben, ein gesundes natürliches Lebensverhältnis zwischen der Zahl unserer Bevölkerung und dem Tempo ihres Zuwachses einerseits und der Quantität und Qualität unserer Territorien andererseits herzustellen. Nur so kann unsere auswärtige Politik das Schicksal unserer in unserem Staate vereinigten Rasse sichern“ (S. 728).222 Und weiter: „Die nationalsozialistische Bewegung ist um jeden Preis verpflichtet, das bestehende Missverhältnis zwischen der Zahl unserer Bevölkerung und dem Umfang unserer Territorien zu beseitigen, wobei hier das Territorium nicht nur als unmittelbare Ernährungsbasis, sondern als Faktor des Grenzschutzes gemeint ist. Erst dann vernichten wir die Ausweglosigkeit unserer derzeitigen Lage und nehmen den Platz ein, mit dem wir berechtigterweise kraft der Rolle rechnen dürfen, die wir in der Geschichte spielten“ (S. 731–732).223 220 Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 14. 221 Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese Passagen Anfang 1933 niedergeschrieben wurden. In der Variante am Beginn des Dokuments findet sich noch die Angabe „Ende 1932“ (vgl. S. 22). 222 Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 15. 223 Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 16.

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Dann geht Hitler zur ausführlichen Entschlüsselung dessen über, was unter seinen „algebraischen“ Formeln zu verstehen ist. Die Grenzen des Jahres 1914 sind ihm zu wenig. „Die Forderung nach Wiederherstellung jener Grenzen, die bis 1914 existierten, ist ein politischer Unsinn [69] und dabei ein solcher, der in seinen Dimensionen und Folgen einem Verbrechen gleichkommt.“ (S. 737–738).224 Welche Grenzen braucht er also? – „Unsere Aufgabe besteht nicht in kolonialen Eroberungen. Die Lösung der vor uns stehenden Probleme sehen wir allein und ausschließlich in der Eroberung neuer Gebiete, die wir mit Deutschen besiedeln könnten. Dafür brauchen wir solche Gebiete, die sich unmittelbar dem angestammten Land unserer Heimat anschließen. Nur in diesem Fall können unsere Übersiedler eine enge Verbindung mit der angestammten Bevölkerung Deutschlands beibehalten. Nur ein solcher Gebietszuwachs wird uns jenen Kraftzuwachs sichern, der durch ein großes kompaktes Territorium bedingt ist.“ (S. 741).225 Hitlers „Anspielung“ wird schon klar genug. Hitler fordert für sich neue Gebiete östlich von Deutschland, damit diese Gebiete dem deutschen Mutterland „unmittelbar angeschlossen werden“ und damit er ein großes durchgehendes deutsches Territorium erhält. Hören Sie nun aber weiter: „Wir Nationalsozialisten machen ganz bewusst ein Kreuz über die ganze deutsche auswärtige Politik der Vorkriegszeit. Wir wollen zu jenem Punkt zurückkehren, an dem unsere alte Entwicklung vor 600 Jahren unterbrochen wurde. Wir wollen das ewige germanische Streben nach dem Süden und Westen Europas anhalten und weisen mit dem Finger entschieden auf die Landgebiete, die im Osten liegen. Wir beenden die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit endgültig und gehen bewusst zu einer Politik der Eroberung neuen Landes in Europa über. Wenn wir von der Eroberung neuen Bodens in Europa reden, können wir natürlich in erster Linie nur an Russland und die Randstaaten denken, die ihm [70] unterworfen sind“ (S. 742; Kursiv durch Hitler).226 Wenn Hitler von der Eroberung neuer „Gebiete“ spricht, meint er „nur Russland“ und jene Randstaaten, die ihm „unterworfen“ sind, d. h. in erster Linie die Ukraine. Die Tatsache, dass Russland ein bolschewistisches Land ist, verleiht der „Mission“ des faschistischen Deutschlands, wie man sieht, sogar eine religiöse Nuance. „Der allerhöchste Schöpfer“ (Hitler plaudert gern vom „Allerhöchsten Schöpfer“, vom „Herrgott“, mit dem er ganz intime Verbindungen unterhält, usw.) gibt, wie man sieht, Hitler einen Fingerzeig, fordert, dass genau er die „Erde säubert“ von den gottlosen Bolschewiki. – „Das Schicksal selbst gibt uns für den Weg einen Fingerzeig. Indem es Russland in die Hände der Bolschewiki auslieferte, raubte das Schicksal dem russischen Volke jene Intelligenz, auf die sich bisher seine staatliche Existenz stützte und die allein nur Gewähr für eine gewisse Stabilität des Staates war. Nicht die staatlichen Begabungen des Slawentums gaben dem russischen Staat Kraft und Festigkeit. Das alles hatte das alte Russland germanischen Elementen zu verdanken – das vorzüglichste Beispiel jener ungeheuren staatstragenden Rolle, die zu spielen die germanischen Elemente fähig sind, wenn sie innerhalb einer niedereren Rasse wirken“ (S. 742–743).227 224 225 226 227

Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 17. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 18. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 20. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 22.

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Man sieht, Russland hielt sich nur durch den „germanischen Kern“. „Jetzt ist dieser Kern restlos und endgültig ausgerottet. Den Platz der Germanen nahmen die Juden ein“ (S. 743).228 Um sich die Aufgabe zu erleichtern, setzt der faschistische Oberpogromist229 ständig die bolschewistische Macht mit „jüdischer“ Macht und die Bolschewiki mit den „Juden“ gleich. Er entscheidet sich dafür, mit der armen Bevölkerung unserer Sowjetunion Mitleid zu haben, und ist großzügig bereit, ihr zu helfen, sich vom „jüdischen übermächtigen Einfluss“ zu befreien. „Die Russen können nicht aus eigener selbstständiger Kraft [71] das Joch der Juden abwerfen“ (S. 743–744)230 und Hitler hofft daher nun im Bündnis mit „England und Italien“ (d. h. im Bündnis mit englischen Konservativen und italienischen Faschisten), die Intervention gegen die UdSSR vorzubereiten. Zu diesem Zweck beginnt Hitler, das ehrwürdigste Publikum davon zu überzeugen, dass es gar nicht schwer sein wird, mit der UdSSR „umzugehen“. „Von Russland als einem ernstzunehmenden technischen Faktor im Krieg zu sprechen ist überhaupt nicht notwendig … Russland hat noch keine einzige Fabrik, die in der Lage wäre, etwa einen echten Lastkraftwagen herzustellen“ (S. 749).231 So steht es geschrieben! Hitler selbst weiß natürlich sehr wohl, welches mächtige Industrieland die UdSSR heutzutage ist, wie sich die Sowjetunion während des ersten Fünfjahresplans steigerte, wie unaufhaltsam sie weiter durch die Umsetzung des Programms des zweiten Fünfjahresplans wächst.232 Er selbst kann nicht umhin zu wissen, dass, während bei ihnen, bei der Bourgeoisie (darunter beim deutschen Bürgertum), der Zerfall voranschreitet und die Krise die Wirtschaft ruiniert, bei uns in der UdSSR ununterbrochener Aufstieg herrscht, ein gigantisches Wachstum stattfindet. Wenn man aber schon lügt, dann lügt man so.233 Wenn sich Hitler & Co. irgendwann einmal tatsächlich dazu entschließen werden, vom Wort zur Tat überzugehen, dann werden sie die umfassende Gelegenheit haben, sich davon zu überzeugen, über welche Kraft die UdSSR verfügt, welche Militärmacht sie hat, insbesondere welche Stärke ihre Fabriken haben, die für die Rüstungsindustrie arbeiten und dazu in der Lage sind. – „Dieser gigantische östliche Staat – fährt Hitler fort sich zu ereifern – ist zwangsläufig dem Untergang geweiht. Dazu sind bereits alle Voraussetzungen herangereift. Das Ende der jüdischen Herrschaft in Russland wird auch das Ende Russlands als Staat sein. Das Schicksal [72] hat es uns vorherbestimmt, Zeugen einer Katastrophe zu sein, die besser als irgendetwas anderes die unbedingte Richtigkeit unserer Rassentheorie bestätigen wird.“ (S. 743).234 Dass das „Schicksal“ es den Faschisten vorherbestimmte, „Zeugen einer Katastrophe“ zu sein – das stimmt zweifelsohne, nur welcher? Ihrer eigenen, Ihr Herren Faschisten! Der Feldzug gegen die UdSSR – setzt Hitler fort zu erklären – ist nicht nur vom Standpunkt Deutschlands, sondern auch vom Standpunkt „der ganzen Welt“ aus notwendig. Und nicht nur vom Standpunkt der Außenpolitik, sondern auch vom Standpunkt der Innenpolitik aus. „Auch Deutschland ist nicht von jener Gefahr frei, der 228 229 230 231 232 233 234

Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 23. Vgl. Anm. 24. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 25. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 26. Vgl. Anm. 27. Der Absatz wurde nachträglich handschriftlich eingefügt. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 28.

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Russland einst zum Opfer fiel. Nur bürgerliche Einfaltspinsel sind fähig zu meinen, dass der Bolschewismus in Deutschland bereits vernichtet ist … Um einen erfolgreichen Kampf gegen die jüdischen Versuche zur Bolschewisierung der ganzen Welt zu führen, müssen wir allen voran eine klare Position gegenüber Sowjetrussland einnehmen. Man kann nicht den Teufel mit der Hilfe von Beelzebub bekämpfen“ (S. 752).235 Der Bolschewismus in Deutschland „ist noch nicht vernichtet“, sagt Hitler in dem Anfang 1933 erschienenen Buch.236 Er ist noch nicht vernichtet und kann nicht vernichtet werden, Herr Hitler! Der deutsche Bolschewismus wird früher oder später Sie vernichten, Ihr Herren Faschisten! Hitler weiß, dass die Sowjetunion in den breitesten Schichten der werktätigen Bevölkerung Deutschlands eine ungeheure Popularität genießt. Er weiß, dass die auswärtige Politik der UdSSR, des einzigen Landes, das wirklich die Sache des Friedens und den Kampf gegen den Imperialismus verteidigt, Sympathien für die Sowjetunion weit über die Grenzen des rein kommunistischen Lagers hinaus hervorruft. Sogar Hitler ist gezwungen zuzugestehen, dass „sich selbst in völkischen237 Kreisen noch Leute finden, die von einem Bündnis mit Russland träumen“.238 Und er [73] „erklärt“ also all diesen Leuten: – „Wie könnten wir in der Tat unser eigenes Volk aus diesen giftigen Umarmungen befreien, wenn wir auf der anderen Seite selbst in diese Umarmungen kriechen? Wie könnten wir in der Tat die deutschen Arbeiter von bolschewistischen Einflüssen befreien, wie könnten wir sie davon überzeugen, dass der Bolschewismus Fluch und Verbrechen gegen die ganze Menschheit ist, wenn wir selbst einem Verband mit bolschewistischen Organisationen, mit dieser Höllenbrut, beitreten und diese Organisationen damit in erster Linie selbst anerkennen würden! Wie sollten wir dann in der Tat einen einfachen Menschen aus der Masse für seine Sympathie für bolschewistische Ansichten verurteilen, wenn sich die Führer unseres eigenen Staates die Vertreter der bolschewistischen Weltanschauung als Verbündete wählten.“ (S. 752).239 Das zentrale Kapitel im ganzen riesigen Buch Hitlers ist gerade der Frage der UdSSR gewidmet. Dieses Kapitel heißt auch so: „Ostorientierung oder Ostpolitik“. Hitler lehnt entschieden jeden Gedanken an die Möglichkeit einer östlichen Orientierung für das faschistische Deutschland ab und vertritt die Idee einer „Ostpolitik“, wobei er unter Letzterem eine Politik der Eroberungen im Osten, eine Politik des Krieges gegen die UdSSR versteht. – „Heute sind wir nur 80 Millionen Deutsche in ganz Europa. Unsere auswärtige Politik kann man erst dann als richtig bezeichnen, wenn nach ein paar Dutzend Jahren auf unserem Kontinent nicht weniger als 250 Millionen Deutsche leben werden und sie dabei nicht zusammengepfercht leben wie für andere Staaten der Welt arbeitende Fabrikkulis, sondern als Bauern und Arbeiter, die sich durch schöpferische Arbeit gegenseitig ergänzen.“ (S. 766).240 Von 80 auf 250 Millionen Menschen will Hitler die Bevölkerungszahl des faschistischen Deutschlands während einiger Jahrzehnte erhöhen. Und er beabsichtigt, das auf [74] Kosten der UdSSR zu tun. 235 236 237 238 239 240

Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 29. Vgl. Anm. 221. Vgl. Anm. 31. Vgl. Anm. 32. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 33. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 34.

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Die deutschen Faschisten berufen sich gerne auf Bismarck. Der Name Bismarcks genießt Autorität unter ihnen. Und genau jene Kreise der deutschen Bourgeoisie, die die antirussische Orientierung Hitlers nicht wollen (oder diese ein wenig fürchten), versuchen, sich manchmal darauf zu berufen, dass sich Bismarck seinerzeit für enge Beziehungen mit Russland einsetzte. Darauf241 antwortet Hitler: „Bismarck, sagt man uns, legte seinerzeit immer sehr großen Wert auf den Erhalt guter Beziehungen zu Russland. Diese Tatsache selbst wurde bis zu einem gewissen Grad richtig aufgezeigt. Dabei vergisst man jedoch, dass Bismarck ebenso großen Wert auch auf gute Beziehungen etwa zu Italien legte, dass derselbe Bismarck seinerzeit sogar mit Italien ein Bündnis schloss, um Österreich etwas stärker zu bedrängen. Daraus wird jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen, dass auch wir jetzt eine derartige Politik fortsetzen müssen. Ja, wird man uns dazu sagen, wir können eine derartige Politik nicht wiederholen, weil das Italien von heute nicht das Italien der Epoche Bismarcks ist. Stimmt! Aber, verehrte Herrschaften, erlauben Sie mir dann, Sie an die Tatsache zu erinnern, dass auch das heutige Russland nicht mehr das ist, was Russland in der Epoche Bismarcks war. Es ist Bismarck niemals in den Sinn gekommen, diesen oder jenen taktischen Zug für alle Zeit zu verewigen. Bismarck war dafür ein zu [großer]242 Meister der Ausnutzung einer sich schnell verändernden Situation. Die Frage darf deshalb nicht die Formulierung haben: „Wie hätte Bismarck damals gehandelt?“, sondern die Formulierung: „Wie würde Bismarck heute handeln?“ Mit dieser Formulierung der Probleme wird es leichter, sie zu beantworten. Bismarck würde mit seiner politischen Weitsicht niemals das Schicksal Deutschlands mit dem Schicksal eines solchen Staates verbinden, der unvermeidlich dem Untergang geweiht ist.“ (S. 744).243 [75] Alle diese Stellen aus Hitlers Buch wird der Leser im Gedächtnis behalten. So sieht das wahre „Innere“ der auswärtigen Politik des deutschen Faschismus aus. Im behandelten Buch lässt Hitler harsche Worte auch an die Adresse Frankreichs fallen, klirrt mit den Waffen gegen es, droht usw. Das wird aber nur deswegen getan, um das deutsche Kleinbürgertum, das gegen den Versailler Vertrag aufgebracht wurde, für seine Seite zu erobern. Das Programm des Kampfes gegen die UdSSR wird gepredigt, obwohl dieses Programm sogar in breiten Schichten des Kleinbürgertums Deutschlands nicht mit Popularität zu rechnen braucht. An die Adresse Frankreichs entglitt Hitler das folgende Bekenntnis: – „Wäre ich selbst Franzose und wäre mir Frankreichs Größe so lieb, wie mir die Größe Deutschlands jetzt heilig ist, so würde ich letztlich so handeln, wie Clemenceau handelte“ (S. 766).244 Wer ist dieser Clemenceau? Das Hauptzugpferd und der sichtbarste der Autoren des Versailler Vertrags! In seinem ganzen Buch schleudert Hitler Donner und Blitze gegen den Versailler Vertrag. Aber was sind diese Donner wert, wenn selbst Hitler sagt, wäre er an Clemenceaus Stelle, hätte er genauso gehandelt wie dieses Zugpferd des Versailler Vertrags! Es ist klar, welchen Wert Hitlers Donner hat. Es ist klar, dass hier der Donner nicht aus der Wolke kommt. 241 „Darauf“ (ето) handschriftlich eingefügt. 242 Das Adjektiv „großer“ („большим“), das sich in der entsprechenden Passage am Beginn des Dokuments findet, fehlt hier (vgl. S. 27). 243 Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 35. 244 Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 36.

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Worauf stützen sich die Hoffnungen Hitlers auf die Möglichkeit eines Bündnisses des faschistischen Deutschlands mit England und Italien? Diese Frage beantwortet ein ganzes Kapitel mit dem Titel „Auswärtige Politik Deutschlands nach dem Ende des Weltkrieges“.245 – „England ist bei weitem nicht daran interessiert, dass Deutschland von der Landkarte Europas vollständig verschwindet. Im Gegenteil, gerade der schreckliche Zusammenbruch Deutschlands, den es in den Novembertagen 1918 erlebte, schuf für die britische Diplomatie [76] eine völlig neue Situation, die früher niemand für wahrscheinlich gehalten hatte. Für viereinhalb Jahre führte das britische Weltreich einen Krieg gegen das Übergewicht einer ihm bedrohlich werdenden bestimmten kolonialen Macht, nämlich Deutschland. Und plötzlich kommt es zur Katastrophe, die droht, diese Macht gänzlich vom Antlitz der Erde zu wischen … Ganz unerwartet entsteht eine neue Lage: Deutschland ist vernichtet und zur stärksten kontinentalen Macht Europas wird Frankreich“ (S. 692–693).246 Und weiter: „Was ergab sich denn tatsächlich? England setzte sich zum Ziel, eine übermäßige Stärkung Deutschlands nicht zuzulassen, und bekam tatsächlich eine französische Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Soweit zum gesamtpolitischen Resultat … Der Wunsch Englands ist und bleibt es, nicht zuzulassen, dass irgendeine europäische Kontinentalmacht zu einem weltpolitischen Faktor heranwächst, dazu ist es für England auch notwendig, dass sich die Kräfte der einzelnen europäischen Staaten gegenseitig ausgleichen. Darin sieht England die Voraussetzung seiner eigenen Welthegemonie“. (S. 694–695).247 Was Italien betrifft, so stützt sich Hitler diesbezüglich auf zwei Hoffnungen: 1) darauf, dass sich Mussolini, dem Hitler im ganzen Buch Weihrauch darbringt wie „größter“ Staatsmann der Gegenwart, ein Bündnis mit einem faschistischen Deutschland aufgrund der Gemeinschaft der „Weltanschauung“ wünscht. Daraus ergibt sich auch, dass Hitler, der einige Male zur Frage Südtirols zurückkehrt, zu dem Schluss kommt, dass die Südtiroler Deutschen unter der „gesegneten“ Herrschaft Mussolinis ausgezeichnet leben; 2) darauf, dass Italien jetzt auch der auswärtigen Politik Frankreichs gegenüber feindlich eingestellt ist, „Italien nahm am Weltkrieg selbstverständlich nicht deshalb teil, um eine Erweiterung Frankreichs zu erreichen. Italien trieb nur der Wunsch danach in den Krieg, seinem Adria-Gegner [77] den Todesstoß zu geben. Jede weitere Stärkung Frankreichs auf dem europäischen Kontinent wird unvermeidlich eine Behinderung Italiens sein“ (S. 704).248 Zur wichtigsten Voraussetzung für eine „erfolgreiche“ Durchführung einer derartigen auswärtigen Politik erklärt Hitler die vorausgehende Zerschlagung der Arbeiterbewegung in Deutschland. „An dem Tag, an dem Deutschland die Marxisten überwältigt, wird es in Wirklichkeit seine Fesseln für immer abwerfen“ – schreibt er in Kursivschrift (S. 775).249 Darin liegt eine gewisse Logik. Um tatsächlich zu versuchen, einen Krieg gegen die UdSSR zu führen, und um überhaupt zu versuchen, die oben gekennzeich245 246 247 248 249

Vgl. Anm. 37. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 38. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 39. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 40. Zur Originalfassung der Stelle in Mein Kampf vgl. Anm. 41.

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nete250 Außenpolitik umzusetzen, ist es natürlich in erster Linie notwendig zu versuchen, die Arbeiterbewegung in Deutschland zu zerschlagen. Gerade darin besteht das ganze „Programm“ des deutschen Faschismus. In Hitlers „Werk“ wird die ganze „Weltanschauung“ des deutschen Faschismus ausführlich dargelegt, angefangen bei ihren „philosophischen“ Grundlagen bis schließlich zu den Grundlagen des künftigen Kampfes der Faschisten gegen die Syphilis. Ganze Kapitel sind der Darlegung der „Rassentheorie“, der Schilderung der ausschließlichen Rolle und besonderen göttlichen Eigenschaften der „arischen Menschheit“, der „philosophischen“ Grundlagen des Antisemitismus usw. gewidmet. Ganze Kapitel sind weiter der Darlegung der künftigen Ordnung eines „nationalsozialistischen Staates“ gewidmet. Aber der Schwerpunkt des Buches liegt nicht in diesen Kapiteln, sondern in den Kapiteln, die der Außenpolitik des Faschismus gewidmet sind, und in den Kapiteln, die dem Kampf gegen den Marxismus gewidmet sind. –251 [78] VII 252Einige

Worte sind besonders zu zwei Kapiteln des zweiten Teils von Hitlers Buch notwendig zu sagen – Kapitel 8 mit dem Titel „Der Starke ist am kräftigsten durch seine Selbstständigkeit“ und Kapitel 10 mit dem Titel „Föderalismus als Tarnung“.253 Diese beiden Kapitel zeigen, dass der Machtantritt der deutschen Faschisten lange vorbereitet wurde und dass eine Reihe damit verbundener Fragen von staatlicher Relevanz in Kreisen der Großbourgeoisie ernsthaft und rechtzeitig überdacht wurde. Im ersten dieser Kapitel wendet sich Hitler entschieden gegen dauerhafte Blöcke mit verwandten „patriotischen“ Organisationen und lässt nur eine zeitweilige episodische Vereinbarung mit ihnen für den Machtantritt zu. Das Schicksal der Partei Hugenbergs wurde in diesem Kapitel mit voller Offenheit vorausgesagt.254 Diesen Teil des Plans erfüllten die Faschisten „wie nach Noten“, was nur deshalb möglich war, weil der Plan im Voraus durch die Drahtzieher255 des Finanzkapitals gebilligt wurde. Im anderen dieser Kapitel legt Hitler den Plan einer Abrechnung mit dem „Föderalismus“ dar, mit der Selbstständigkeit der einzelnen deutschen Staaten, insbesondere mit Bayern und der Bayerischen Volkspartei (eine Filiale der Zentrumspartei). Auch hier wurde, wenn auch mit weniger Offenheit, jener Plan dargelegt, der jetzt von den Faschisten mit Leben erfüllt wird. Und auch dies war wiederum aus dem Grund möglich, weil der Plan im Voraus von den echten Herren Hitlers besprochen und gebilligt wurde – von den Drahtziehern des Finanzkapitals. In diesen Teilen wurden die „Versprechungen“ Hitlers erfüllt – das darf nicht geleugnet werden …256 [81]257 250 Die Wendung „oben gekennzeichnete“ (вышео черченную) korrigiert aus „eine solche“ (такую). 251 Hier endet die Wiederholung der Passagen aus dem Beginn des Dokuments (vgl. S. 29). 252 Die folgenden Passagen sind eine überarbeitete Fassung von Teilen aus dem Beginn des Dokuments (vgl. S. 30). 253 Vgl. Anm. 46. 254 Vgl. Anm. 47. 255 Handschriftlich korrigiert aus „Wortführer“ (выразителями). 256 Das Blatt ist nicht vollständig beschrieben. 257 Die Blätter [79] und [80] wurden am Beginn des Dokuments eingefügt.

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

II. Die wahre Geschichte des deutschen Faschismus wird der Leser in Hitlers Buch gewiss nicht finden. Hitler will und kann sie nicht darstellen. Am meisten verflucht Hitler in seinem Buch die Novemberrevolution im Jahr 1918 in Deutschland. Das ist verständlich. Aber er fällt auch über die s[ozial]-d[emokratischen] Führer, die „Novemberverbrecher“ her, die diese Revolution leiteten. Der Autor gibt sich den Anschein, als würde er nicht ahnen, dass gerade diese s[ozial]-d[emokratischen] Führer, die „Novemberverbrecher“, auch am meisten den Sieg des deutschen Faschismus vorbereiteten. Es ist in der Tat lächerlich, die Geschichte des deutschen Faschismus mit Mai 1919 zu beginnen, als nach dem Sturz der Bayerischen Räterepublik die aus 10 Personen bestehende „Deutsche Arbeiterpartei“ entstand. Die Geschichte des deutschen Faschismus muss zumindest mit dem imperialistischen Weltkrieg 1914 und mit dem offenen Übеrgang der deutschen Sozialdemokratie ins Lager des Sozialchauvinismus beginnen. Sie muss mit dem Studium der Umstände der Revolution und der Konterrevolution im November 1918, der Rolle des Versailler258 Vertrags, der Rolle der Sozialdemokratie bei der blutigen Niederschlagung der deutschen Arbeiterklasse fortsetzen. Daraufhin ist es notwendig, die Ereignisse der Jahre 1923–1933 und den Einfluss der Weltwirtschaftskrise auf die Entwicklung Deutschlands in den vergangenen Jahren zu verfolgen. Das sind die echten Meilensteine in der Geschichte des deutschen Faschismus bis zu seinem Machtantritt. Stellen wir uns für eine Minute vor, dass es auch in Russland keine starke bolschewistische Arbeiterpartei gegeben hätte; dass im Jahr 1914 die fast unbegrenzte Herrschaft über den Verstand der Arbeiterklasse bei „unseren“ Menschewiki geblieben wäre; dass infolge der Revolution 1917 die Macht in den Händen der Menschewiki und Sozialrevolutionäre geblieben wäre, [82] die sich mit dem Offizierskorps der alten Zarenarmee vereinigten; dass die Regierung der „revolutionären Demokratie“ einen Frieden geschlossen hätte, analog zu dem von Versailles; dass es den Menschewiki und Sozialrevolutionären gelungen wäre, die Versuche von Arbeiteraufständen im Blut der Arbeiter zu ertränken; dass die Polowzews, die Kornilows, die Generäle Alexejew, Duchonin259, die Räte der Kosakenabgeordneten, die Offiziersbataillone, die weißen Freiwilligentruppen weiter existierten und die Begünstigung der „demokratischen“ Regierung genössen; dass das Privateigentum erhalten bleibt und die Wirtschaft des Landes sich in den Händen von Gutschkows, Rjabuschinskis, Miljukows und Konowalows260 befindet; dass es nach dem „Versailler“ Frieden gelang, die nationalistischen Gefühle der breiten Massen des städtischen Kleinbürgertums, der Bauernschaft und Teilen der rückständigen Arbeiter anzufachen und zur Weißglut zu bringen; dass danach die Weltkrise binnen einiger Jahre ihre Verwüstungen auch in Russland hervorgerufen hätte, wobei der Einfluss kommunistischer Ideen vor dem Hintergrund der Krise und der Zerstörungen unweigerlich beginnen würde zu wachsen. Stellen wir uns das alles für 258 Handschriftlich korrigiert aus „Brester“ (Брестского). 259 Die Namen wurden handschriftlich in Plural gesetzt. Gemeint sind die russischen Generäle Pjotr Alexandrowitsch. Polowzew, Lawr Georgijewitsch Kornilow, Michail Wassiljewitsch Alexejew und Nikolai Nikolajewitsch Duchonin. 260 Gemeint sind die bürgerlichen Politiker und Industriellen Alexander Iwanowitsch Gutschkow, Stepan Pawlowitsch Rjabuschinski, Pawel Nikolajewitsch Miljukow und Alexander Iwanowitsch Konowalow.

Dokument I: Analyse von Mein Kampf

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eine Minute vor und fragen wir uns: Wozu sonst könnte es in Russland bei dieser Variante der Ereignisse denn kommen, wenn nicht zum Sieg des Faschismus? Im wirklichen, nicht hypothetischen Russland ereignet sich alles glücklicherweise „auf andere Weise“. In Deutschland sah aber der Lauf der Dinge genauso (oder in etwa so) aus, wie wir dies oben skizzierten. Daraus ergibt sich der Sieg des Faschismus. Er wurde in erster Linie und am meisten durch den vollständigen Übergang der deutschen Sozialdemokratie auf die Seite der Bourgeoisie bei einer in Deutschland in den Jahren 1914–1918–1919–1923 fehlenden recht starken bolschewistischen kommunistischen Partei vorbereitet. [83] Die Erfahrung des Oktobers 1917 in Russland musste den Vertretern der Weltbourgeoisie nützlich sein. Und sie schrieben sich tatsächlich die für sie wichtigste Lehre der ersten siegreichen proletarischen Revolution, die in unserem Lande vollzogen wurde, hinter die Ohren. Die russische Bourgeoisie versuchte ab Februar 1917, den „Krieg bis zum siegreichen Ende“ fortzusetzen und ist gerade daran auch am meisten gescheitert. Die deutsche Bourgeoisie stellte nach dem November 1918 den Krieg sofort ein und benutzte über ihre Sozialdemokratie die Losung des Friedens wie Gegengift gegen die Losung des Übergangs der Macht an die Räte. Die Weltbourgeoisie, darunter jene der Entente, gab ihr diesen Frieden – wenn auch unter äußerst schwierigen Bedingungen –, um ihr zu helfen, im Sattel zu bleiben. Clemenceau war unerbittlich dem besiegten Deutschland gegenüber. Aber auch er verlangte261 unmittelbar262 nichts Derartiges, was die deutsche Bourgeoisie daran gehindert hätte, die Macht über „ihre“ Arbeiterklasse zu behalten. Die russische Bourgeoisie nahm sich nach dem Februar 1917 auch die offizielle Macht und benutzte die „revolutionäre Demokratie“ durch das System der „Doppelherrschaft“ mit Hilfe solch wenig vollkommener Wirkungsinstrumente wie die berühmt-berüchtigte „Kontaktkommission“ u. dgl.263 Als die deutsche Bourgeoisie in Schwierigkeiten war, übergab sie im November 1918 die offizielle Macht den Sozialdemokraten und „Unabhängigen“ und beschränkte sich vorübergehend auf die Auswahl der Offiziersabteilungen durch das Hauptquartier und die bürgerlichen Freiwilligenabteilungen in den Städten zur „Bändigung“ der Spartakisten. Die Regierung des Fürsten Lwow konnte im Frühling 1917 auch nicht vom Auseinanderjagen der Arbeiterräte und der sowjetischen Abgeordneten der Räte träumen.264 Die Regierung EbertScheidemann konnte die Räte schon zu Beginn der deutschen Revolution auseinanderjagen und jagte sie auseinander. Sie erfüllte den Hauptteil des Programms der Konterrevolution viel gründlicher, als Lwow das hätte tun können. [84] In Russland spielte 1917 die Agrar- und Bauernfrage eine enorme Rolle. Riesige Massen der russischen Bauernschaft waren revolutionär gestimmt. Die Losungen des Friedens, des Brots, der Freiheit wurden in Russland 1917 durch die Losung „Boden“ 261 Korrigiert aus Konjunktiv „hätte verlangt“ (потребовал-бы). 262 Das Wort „unmittelbar“ (непосредственный) maschinschriftlich eingefügt. 263 Gemeint ist die durch die Februarrevolution entstandene politische Lage, in der neben der Provisorischen Regierung in Petrograd auch ein Sowjet existierte, die beide über eine Kommission miteinander Kontakt hielten (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 72–76). 264 Georgi Jewgenjewitsch Lwow war von März bis Juli 1917 Ministerpräsident der nach der Februarrevolution 1917 gebildeten Provisorischen Regierung (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 69, 87).

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Dokument I: Die Bibel der deutschen Faschisten

ergänzt.265 Eine Agrarrevolution von größtem Schwung fiel mit der Arbeiterrevolution zusammen und266 ergänzte sie. Die revolutionären Stimmungen der breiten Massen der Bauernschaft konnten nicht umhin, sich auf die Armee zu übertragen – was zur schnellen Revolutionierung der Soldatenmasse führte. In Deutschland verhielt sich 1918/19 all das völlig anders. Hier hatten die Bourgeoisie und ihre Sozialdemokratie die volle Möglichkeit, die gesamte reiche Bauernschaft und eine erhebliche Schicht der mittleren267 – gegen die revolutionären Arbeiter auszunutzen. Aber das Allerwichtigste: In Russland existierte 1917 bereits seit mehreren Jahren eine selbstständige bolschewistische Partei, die längst mit den Menschewiki gebrochen hatte, die sich ein klares und umfassendes Programm erarbeitet hatte, die im Kampf gegen rechte und „linke“ Opportunisten abgehärtet war, die die Schule der Revolution von 1905 hinter sich hatte und einen unvergleichlichen Führungsstab mit W. I. Lenin an der Spitze besaß. In Deutschland existierte 1918–1919 gar keine echte bolschewistische Partei. Die kommunistische Partei Deutschlands bildete sich erst Ende 1918 halbwegs heraus. Aber das war noch keine bolschewistische Partei. Sie bezahlte noch sehr ausgiebig Tribut für die ruinösen Fehler des Luxemburgianismus.268 Die Abspaltung von den Menschewiki verspätete sich in Deutschland fürchterlich. Die deutschen Linken schreckten lange vor der Abspaltung von der s[ozial]-d[emokratischen] Partei zurück, sie fürchteten diese Abspaltung. „Das größte Unglück und die größte Gefahr für Europa besteht darin, daß es dort keine revolutionäre Partei gibt. Es gibt eine Partei von Verrätern wie den Scheidemännern, den Renaudels, Hendersons, Webbs269 und Co. oder von Lakaienseelen wie Kautsky. Eine revolutionäre Partei gibt es nicht.“ – schrieb er im Oktober 1918, d. h. am Vorabend270 [85–89]271

265 Handschriftlich korrigiert aus „vorbereitet“ (готовились). Anspielung auf des „Dekret über den Boden“ vom 26.10.1917 (vgl. Hildermeier, Geschichte, S. 122). 266 Die Wendung „von größtem Schwung fiel mit der Arbeiterrevolution zusammen und“ handschriftlich eingefügt. 267 Das Wort „mittlere“ (среднего) handschriftlich eingefügt; vermutlich gemeint: „der mittleren Bauernschaft“. 268 Übersetzt aus „люксембургиадста“. Anspielung auf Rosa Luxemburg. Der Begriff wurde von Bolschewiki gelegentlich abwertend verwendet, wenn auf falsche „taktische Einstellungen“ und „falsche Beurteilungen“ aktueller Krisen verwiesen werden sollte (vgl. Weber/Drabkin/Bayerlein (Hg.), Deutschland, Bd. II/1, S. 840). 269 Neben Philipp Scheidemann sind Arthur Henderson, Vorsitzender der britischen Labour-Partei, der französische Sozialist Pierre Renaudel und die britischen Sozialisten Beatrice und Sidney Webb gemeint. 270 Hier bricht das Dokument ab. 271 Die Blätter [85] bis [89] enthalten handschriftliche Notizen, Stichwortsammlungen und Seitenlisten Sinowjews. Blatt [90] wurde an den Beginn des Dokuments verschoben.

DOKUMENT II: DIE IDEOLOGISCHEN GRUNDLAGEN DES NATIONALSOZIALISMUS

EINLEITUNG Die Auseinandersetzung der katholischen Kirche und der katholischen Publizistik in Deutschland mit Mein Kampf setzte Anfang der 1930er Jahre ein, nicht zuletzt intensiviert und beeinflusst durch die Publikation von Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts im Sommer 1930.1 Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Schriften spielte künftig eine wichtige Rolle vor allem in der Diskussion um das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Kirche und zum Christentum. Gleiches gilt für den Rassismus, dem eine wesentliche Bedeutung zugemessen wurde: Der Kapuzinerpater Ingbert Naab etwa schrieb über den „unchristlichen Rassismus“ Hitlers ebenso ausführlich wie der katholische Publizist Alfons Wild, um nur zwei Beispiele zu nennen.2 Trotz des Konkordats zwischen dem Vatikan und dem nationalsozialistischen Deutschland vom 20. Juli 1933 verschlechterte sich deren Verhältnis in der Folgezeit zusehends. So nahm auf ideologischer Ebene seit Ende 1933 die Auseinandersetzung um Alfred Rosenbergs Schrift zu und mündete letztlich darin, dass sie am 7. Februar 1934 von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt wurde, ohne damit allerdings eine generelle Kritik am Nationalsozialismus zu verbinden.3 Diese Strategie wurde auch weiter verfolgt, als im Herbst 1934 auf Anregung des aus Graz stammenden Bischofs Alois Hudal insbesondere die Rassenideologie des Nationalsozialismus vom Heiligen Offizium in Rom untersucht werden sollte. Hudal, seit 1923 Leiter des deutschsprachigen Priesterkollegs „Santa Maria dell’ Anima“ in Rom4, zählte zu den engsten Vertrauten von Papst Pius XI. und hatte in seinen Publikationen Sympathien für den Nationalsozialismus erkennen lassen.5 Er verfolgte die Linie einer Spaltung des Nationalsozialismus, indem der von ihm ausgemachte anti-christliche und aus seiner Sicht von liberalen protestantischen Theologen inspirierte Flügel der NSDAP, der in Alfred Rosenberg sein Sprachrohr gefunden habe, von jenem Teil der Partei separiert werden sollte, für den Hitler stehe und mit dem eine Kooperation durchaus für wünschenswert zu erachten wäre.6 Auf Alois Hudals Anregung wurden im Oktober 1934 die beiden deutschen Theologen und Jesuiten Franz Hürth und Johann Baptist Rabeneck7 vom Heiligen Offizium unter Vorsitz von Pius XI. damit beauftragt, Studien über die ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus anzufertigen.8 Dass Hudal dabei nicht selbst hinzugezogen wurde, deutet auf das zunehmende Misstrauen hin, das Pius XI. gegen ihn entwi1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Plöckinger, Geschichte, S. 274 f. Vgl. Plöckinger (Hg.), Quellen, S. 358–367, 394–398. Vgl. Burkard, Häresie, S. 41–52; Wolf, Zeitirrtümer, S. 5; Wolf, Papst, S. 280; Rotte, Außen- und Friedenspolitik, S. 254 f. Vgl. Langer, Hudal, S. 27. Nach Kriegsende unterstützte er auch die Flucht von Nationalsozialisten aus Europa (vgl. Godman, Vatikan, S. 73–77; Wolf, Zeitirrtümer, S 7 f.; Steinacher, Nazis, S. 136–147). Vgl. Burkard, Häresie, S. 173–180; Wolf, Papst, S. 285. Vgl. S. 79. Vgl. Godman, Vatikan, S. 96 f.; Wolf, Papst, S. 287 f.

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Dokument II: Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus

ckelte und das letztlich zu einem deutlich anderen Verlauf der Untersuchung führte als von Hudal intendiert.9 Die von den beiden Theologen vorgelegten Gutachten dienten als Grundlage für die Verhandlung des Heiligen Offiziums am 21. März 1935.10 Argumentierte Franz Hürth stark aus naturrechtlicher Sicht gegen den Rassismus des Nationalsozialismus11, so arbeitete Johann Baptist Rabeneck umfangreich mit der nationalsozialistischen Literatur. Seine Studie wird hier präsentiert.12 Sehr zum Leidwesen Hudals rückte dabei vor allem Mein Kampf ins Zentrum des Interesses, wohingegen Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts zur Marginalie geriet.13 Dies zeigt sich deutlich im zweiten Teil der Studie (siehe unten). Hudal reagierte darauf fast zeitgleich mit zwei Schriften, die seine Sichtweise präsentierten und als Gegenentwurf zur vatikanischen Untersuchung zu verstehen sind. Schon 1936 erschien die kurze Broschüre Das Rassenproblem14, ein Vorabdruck aus der ein Jahr später publizierten umfangreichen Studie Die Grundlagen des Nationalsozialismus.15 Letzterer stellte Hudal bezeichnenderweise ein Zitat aus Mein

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Vgl. Wolf, Zeitirrtümer, S. 13–15; Wolf, Papst, S. 288; Plöckinger, Rezeption, S. 43 f. Vgl. Wolf, Zeitirrtümer, S. 16. In den 1920er Jahren musste sich auch die katholische Kirche zunehmend mit Fragen der Eugenik, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik beschäftigen. Die Positionen gingen dabei zum Teil weit auseinander. Der Eugeniker und Jesuit Hermann Muckermann, bis 1933 am Kaiser-Wilhelm Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin tätig, stand beispielhaft dafür. Erst nach einigem Zögern schloss er sich der Anfang der 1930er Jahre von Rom ausgehenden ablehnenden Haltung zur besonders heftig umstrittenen Frage der Sterilisation an (vgl. Dietrich, Eugenics, S. 586 f.). Auch Franz Hürth, Professor für Moraltheologie an der Jesuiten-Hochschule in Valkenburg in den Niederlanden, hatte sich bereits in den 1920er Jahren einen Namen in der katholischen Kirche als Spezialist für eugenische Fragen gemacht und nahm eine Muckermann entgegengesetzte Position ein. Dementsprechend erstellte er für die Konferenz der deutschen Bischöfe Ende August 1933 ein Gutachten über das am 14.7.1933 beschlossene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, in dem er den Eheausschluss „nicht-ehefähiger“ Menschen zwar nicht beanstandete, die eugenisch motivierte Sterilisation jedoch verurteilte (vgl. Koch, Jesuiten-Lexikon, S. 835; Dietrich, Eugenics, S. 588; Richter, Katholizismus, S. 385–387; Godman, Vatikan, S. 94 f.). Die Studie Rabenecks wurde zwar ohne Nennung des Autorennamens vom Jesuitengeneral Wladimir Ledóchowski vorgelegt, doch die Entstehungsgeschichte der Untersuchungen legt Rabeneck als Autor nahe (vgl. Wolf, Zeitirrtümer, S. 14 f.; Wolf, Papst, S. 288). Allerdings finden sich im Nachlass Rabenecks im Provinzialarchiv der Jesuiten München keine Hinweise auf diese Studie, aber immerhin einige Texte von Franz Hürth, was eine Zusammenarbeit nahelegt (vgl. ADPSJ, NL Rabeneck, 47, 507). Wenngleich auch Hudal lediglich das Parteiprogramm und Hitlers Buch als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gelten lassen wollte, so ging die in der Studie von Rabeneck getroffene Zitatenauswahl und –deutung völlig an seinen Intentionen vorbei, da der Kontrapunkt von Rosenbergs Mythus wegfiel (vgl. Langer, Hudal, S. 70). Erstaunlicherweise erschien der Text in einem deutschen Verlag in der Tschechoslowakei und mit dem Imprimatur des Olmützer Generalvikars Johannes Martinu (vgl. Hudal, Rassenproblem, S. 2). Das Vorwort stammt allerdings bereits vom Juli 1936 (vgl. Hudal, Grundlagen, S. 20). Schon im Oktober 1934, also parallel zum Beginn der Arbeiten von Franz Hürth und Johann Baptist Rabeneck, hatte Hudal angekündigt, eine eigene Schrift verfassen zu wollen. Das Buch durfte in Deutschland mit ausdrücklicher Genehmigung Hitlers, aber nur in begrenztem Umfang vertrieben werden (vgl. Langer, Hudal, S. 76–81, 84–91; Burkard, Häresie, S. 209–212). In Rom verhinderte Kardinal Pacelli, der spätere Papst Pius XII., trotz seiner Bedenken schärfere Reaktionen gegen Hudals Schrift (vgl. Stehle, Geheimdiplomatie, S. 170; Stehle, Bischof, S. 300; Langer, Hudal, S. 81 f.; Burkard, Häresie, S. 212 f.).

Einleitung

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Kampf voraus, in dem Hitler jede religiöse Reformation durch politische Organisationen ablehnt.16 Johann Baptist Rabeneck (1874–1960), mit Unterbrechungen von 1909 bis 1942 Professor für Dogmatik und Biblische Theologie an der Jesuiten-Hochschule Valkenburg in den Niederlanden17, präsentierte ein weites Spektrum an Schriften zur Rassenund Staatstheorie national-konservativer, völkischer und nationalsozialistischer Provenienz und ging damit weit über eine Analyse von Hitlers Schrift hinaus, zu der er jedoch immer wieder zurückkehrt. Die Analyse von Rabeneck bildete gemeinsam mit jener von Hürth die Grundlage für weitere Gutachten, die ausgehend von der Verhandlung am 21. März 1935 angefertigt wurden. Zahlreiche Zitate aus und Bezüge auf Mein Kampf blieben dabei erhalten, zum Teil ins Lateinische und Italienische übersetzt.18 Als schließlich im Frühjahr 1936 mit der Ausarbeitung eines Syllabus’ gegen die Irrtümer des Nationalsozialismus begonnen werden sollte, wurde allerdings nicht mehr an eine eigenständige Behandlung des Nationalsozialismus gedacht, sondern dieser wurde zusammen mit dem Kommunismus betrachtet.19 Schließlich versandeten die Arbeit und damit auch eine indirekte Verurteilung von Mein Kampf im Sommer 1937. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes wurde die Beschäftigung mit diesen Fragen auf unbestimmte Zeit vertagt.20 Anmerkungen zur Edition

Die Studie von Rabeneck umfasst insgesamt 76 Seiten und findet sich im vatikanischen Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede (ADCF) unter der Signatur: Rerum Variarum (RV) 1934/29 (3373/34). Sie besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist im Akt Nr. 1 zusammengefasst und hat eine durchgehende Zählung seiner 31 Seiten. Gleiches gilt für den zweiten, im Akt Nr. 2 enthaltenen Teil, der insgesamt 45 Seiten

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An anderer Stelle diffamiert Hudal die gegen Hitler und sein Buch gerichtete Studie „Sein Kampf “ der Österreicherin Irene Harand als von Juden beeinflusst und verwarf sie daher als einseitig und nicht ernst zu nehmen (vgl. Hudal, Grundlagen, S. 273; Plöckinger, Geschichte, S. 571 f.). Auch enthält Hudals Buch ein eigenes Kapitel über die „Judenfrage“, während die Juden und der Antisemitismus im vatikanischen Dokument so gut wie keine Rolle spielen (vgl. Hudal, Grundlagen, S. 81–94). Für die Arbeit an seinem Buch hat sich Hudal mehr als 100 Bücher über den Nationalsozialismus und dessen Verhältnis zu Kirche und Vatikan besorgt (vgl. Langer, Hudal, S. 69). Vgl. ADPSJ, Abt. 292, Nr. 211, 7 (1959–1961, Nr. 13); Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender (1954), S. 1838; Godman, Vatikan, S. 97. Der Bestand Rerum Variarum (RV) 1934/29 (3373/34) enthält diese Unterlagen zum weiteren Verlauf der Untersuchungen, vor allem die Ausarbeitungen und Stellungnahmen verschiedener Mitglieder der Glaubenskongregation aus dem Jahr 1936 über die Themen Rassismus, Nationalismus, totalitärer Staat und – etwas später – Kommunismus. Die Unterlagen sind meist auf Italienisch oder Lateinisch, gelegentlich auch Französisch verfasst. Hinzu kommen offenbar zur weiteren Verbreitung gedachte gedruckte Unterlagen, die letzten datieren vom Oktober 1936. Die zunehmend schärfer gegen den Kommunismus und milder gegenüber dem Nationalsozialismus ausgerichtete Politik des Vatikans hatte auch mit den Entwicklungen im Spanischen Bürgerkrieg und dem zunehmend besseren Verhältnis zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien zu tun (vgl. Rotte, Außen- und Friedenpolitik, S. 242 f.). Vgl. Wolf, Zeitirrtümer, S. 18–25; Wolf, Papst, S. 296 f.

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Dokument II: Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus

aufweist.21 Im ersten Teil wird die nationalsozialistische Rassen- und Staatslehre dargestellt und aus katholischer Sicht analysiert. Der zweite Teil stellt den Anmerkungsapparat bzw. die mit Zitaten versehenen Endnoten für den ersten Teil dar. Die im ersten Teil mit Punkt und Klammern versehenen, hochgestellten Zahlen 1.) verweisen daher auf die entsprechenden Abschnitte im zweiten Teil. Vermutlich sind diese Endnoten erst später zusammengetragen bzw. dem ersten Teil zugeordnet worden, da die Verweise darauf im ersten Teil nachträglich handschriftlich eingefügt wurden. Der erste Teil der Studie wurde auf Lateinisch verfasst, der zweite führt zum allergrößten Teil Zitate aus deutschen Publikationen in der Originalsprache an; nur die gelegentlichen kurzen Einführungen oder Anmerkungen zu den Zitaten sind auf Lateinisch verfasst. Alle lateinischen Teile wurden von Dr. Margot Geelhaar mit Unterstützung von Herrn Anton Strobl von der Universität Salzburg übersetzt, eine Arbeit, die gerade bei Themen der Moderne eine besondere Herausforderung darstellt.22 Zitate aus Enzykliken oder anderen kirchlichen Quellen wurden aus dem vorliegenden Dokument übersetzt, in den Fußnoten finden sich ergänzend kirchenamtliche oder in der Forschung gebräuchliche Übersetzungen. Übersetzungen von Stellen aus der Bibel orientieren sich an der sogenannten „Menge-Bibel“, der von Hermann Menge Anfang des 20. Jahrhunderts erarbeiteten Übersetzung. Alle Zitate, die in dem Dokument auf Deutsch wiedergegeben werden (dies betrifft vor allem den zweiten Teil), wurden mit den Originalquellen verglichen. Abweichungen wurden in den Fußnoten nur angeführt, sofern sie über reine Überleitungs- oder Schreibfehler hinausgehen und inhaltlich relevant sind.23 Bei der ersten Nennung eines zitierten Autors bzw. einer zitierten Schrift wird in einer Anmerkung kurz auf sie eingegangen, bei weiteren Nennungen werden keine Rückverweise gegeben. Handschriftliche Ergänzungen bzw. Korrekturen werden nur dann als solche ausgewiesen, wenn sie umfangreich oder bedeutungstragend sind. Gelegentliche handschriftliche rote Unterstreichungen werden nicht gesondert ausgewiesen, zumal unklar ist, von wem sie stammen. Zwischen den einzelnen Abschnitten finden sich im Original häufig Leerzeilen. Sie wurden weitgehend getilgt. Offensichtliche Tippfehler wurden stillschweigend korrigiert. Ebenso wurde die Zeichensetzung stillschweigend vereinheitlicht bzw. ergänzt, insbesondere die stark schwankende Verwendung (und Auslassung) verschiedener Klammern und Anführungsstriche wurde angeglichen, soweit es im Sinne der Einheitlichkeit und der Lesbarkeit erforderlich erschien. Gleiches gilt für die überaus uneinheitliche Setzung von Auslassungspunkten. Auch fehlende Abkürzungen (etwa „S.“ vor Seitenangaben etc.) wurden stillschweigend ergänzt. Darüber hinausgehende Korrekturen wurden durch [eckige Klammern] kenntlich gemacht, Besonderheiten durch [!] gekennzeichnet. Kursiv gesetzte Begriffe finden sich im Original nur auf Deutsch angeführt, sind also keine Übersetzungen aus dem Lateinischen. Größere im Original gestrichene Passagen wurden durchgestrichen und in [eckige Klammern] gesetzt. 21 22 23

Die originale Seitenzählung wird – anders als im ersten Dokument dieser Edition – hier nicht wiedergegeben, da es keine Umstellungen oder Korrekturen der Reihenfolge gegeben hat. Vgl. Richter, Katholizismus, S. 258. Auch Wortumstellungen etc., die vorgenommen wurden, um ein Zitat in den Fließtext einzubauen, wurden nicht ausgewiesen.

Einleitung

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Die deutschen Zitate wurden behutsam der neuen Rechtschreibung angepasst. In Besonderheiten wurde jedoch nicht eingegriffen, was vor allem die ss/ß-Schreibung betrifft.

[ DI E I DE O L OG I SC H EN GR U N D L AG EN D ES N ATIONA L S OZIA L IS MU S ] [TEIL 1]

1. Eine neue Weltanschauung1 verbreitet sich mit außerordentlichem Fanatismus immer weiter, die als letzte Grundlage die Beschaffenheit des Blutes2 und die angeborene Anlage hat, durch die eine Rasse bestimmt wird.1.) 42–44.) Von den nicht wenigen Anhängern dieser Anschauung und dieses Systems werden falsche oder übertriebene Behauptungen über Bedeutung und Gewicht, die Blut, Rasse3, Volksgemeinschaft4 und Staat zuzuschreiben seien, aufgestellt (auch wenn nicht alle diese Behauptungen von allen und auch von keinem einzigen von ihnen im selben Sinn, Grad und Umfang aufgestellt werden). Es stellt sich die Frage, was von Seiten der christlichen Lehre und Ethik von diesen Behauptungen zu halten ist, inwieweit sie den „Primat“ des Blutes und der Rasse und ebenso das Prinzip des „totalen Staates“5 behaupten. I. Hinsichtlich dieser Punkte gibt das Folgende eine Zusammenfassung der Behauptungen, die aufgestellt werden: 2. Das gesamte Menschengeschlecht ist offenkundig von der Natur selbst in Rassen eingeteilt, die sich in körperlicher und geistiger Hinsicht sehr voneinander unterscheiden, und zwar aufgrund angeborener erblicher Anlage des Blutes und der generativen Substanz.6 Diese Anlage umfasst nicht nur einige wenige, sondern mehrere – nicht allen Menschen gemeinsame – Elemente und Merkmale, die zu einer Art geistig-körperlicher Einheit (Rassentyp)7 verbunden sind und die sich je nach Rasse nicht nur an wenigen Individuen zeigen, sondern an einer sehr großen Anzahl von Menschen.2.) 3. Diese angeborene spezifische Anlage des Volkes und des Blutes ist die alleinige und letzte Ursache – und diese ist in der Hauptsache nicht geistig, sondern physiolo1 2 3 4 5 6 7

Die ebenfalls angegebene lateinische Wendung lautet: „Nova quaedam naturae rerumque humanarum contemplatio“. Der ebenfalls angegebene lateinische Begriff lautet: „sanguinis qualitatas“. Die ebenfalls angegebene lateinische Wendung lautet „gentium typica forma“. Die lateinischen Begriffe „natio“ und „nationalis“ werden stets mit „Volksgemeinschaft“ und „völkisch“ wiedergegeben, da sie in den zugrunde gelegten deutschen Texten so verwendet werden (siehe zweiter Teil dieses Dokuments). Die ebenfalls angegebene lateinische Wendung lautet: „principium illimitati et universalissimi rei publicae iuris“. Der ebenfalls angegebene lateinische Begriff lautet: „plasma generativum“. Als „generative Substanzen“ wurden vor der Entdeckung der DNA in den 1950er Jahren neben Samen auch Blut und Milch gesehen (vgl. Arni/Saurer, Editorial, S. 7 f.). Der ebenfalls angegebene lateinische Begriff lautet: „typus generis“.

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Dokument II: Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus

gisch und körperlich –, durch die alles entsteht, was sich an einem Volk und einer Art findet, wie: Kraft des Körpers und des Geistes oder deren Schwäche und Stumpfheit, Charakter und Tugend, Kunst und Kultur, Art des Glaubens, Struktur und Form des gesamten gesellschaftlichen Lebens und alles andere, Gutes wie Schlechtes.3.) 4. Die Anlage, die die Natur einer bestimmten Rasse gleich einem Keim im Lauf der Zeit gegeben hat, entwickelt sich schneller oder langsamer, vollständiger oder weniger vollständig, je nachdem auf welches Klima oder welchen Boden sie trifft. Aber weder kann sich etwas entwickeln, das nicht bereits im Keim enthalten ist, noch kann etwas von außen darein hinzugefügt werden, damit es sich entwickelt. Falsch und im Widerspruch zu den Gesetzen der Natur ist daher die Meinung derer, die glauben, dass die angeborene spezifische Anlage eines Volkes oder anderes, das durch sie entsteht, durch menschliche Handlungen oder äußere Umstände zum Besseren verändert und gefestigt werden kann. Vielmehr sind die Rassen insofern unveränderlich, als sie sich nicht zum Besseren verändern können.4.) Verändern können sie sich dennoch, und zwar auf verschiedene Weisen zum Schlechteren, besonders durch geschlechtliche Vermischung mit einer minderwertigen Rasse, woraus in der Folge Bastarde8 entstehen, deren Anlage und Natur immer weniger vollkommen sind als die des vollkommeneren Volkes, aus dessen Vermischung mit einem anderen Volk sie entstanden sind. Daher muss man eine derartige Vermischung ein unnatürliches Verbrechen nennen, weil sie ein irreparables Verderben der angeborenen Anlage eines Volkes bedeutet;5.) es verstößt nämlich gegen das grundlegendste Gesetz der Natur, die seit vielen tausend Jahren durch das unablässige Fortschreiten der Evolution mit unaufhaltsamer Macht danach trachtet und strebt, immer größere Vollendung zu erlangen.6.) 5. Daher ist die Natur aller Menschen nicht eine einzige und gleiche, sondern das gesamte Menschengeschlecht ist durch die Natur selbst zudem in Rassen eingeteilt, die sich hinsichtlich ihrer inneren Vollendung so sehr voneinander unterscheiden, dass die höchste Menschenrasse von der niedrigsten, der kaum die Bezeichnung „Mensch“ zukommt, weiter entfernt ist als diese niedrigste von der höchsten Tierart.7.) Die Menschenrassen werden also nicht neben-, sondern untereinander eingeteilt. Und keinem, der auch nur oberflächlich die Vergangenheit durchforscht hat, kann es verborgen bleiben, dass es unter den verschiedenen Rassen eine gibt, die alle anderen übertrifft, da sie die beste Anlage des Blutes und der Natur erhalten hat: die sogenannte arische Rasse8.) und innerhalb dieser Rasse unter den verschiedenen Unterarten die „nördliche“ oder die sogenannte nordische Rasse. 6. Wenn man nach dem Ziel fragt, warum das gesamte Menschengeschlecht von der Natur selbst in Rassen eingeteilt ist, berufen sich die Verfechter des rassischen Systems auf das Prinzip eines universellen Evolutionismus, dem die Natur in allem folge. Sie sagen, die Natur strebe durch natürliche Auslese und die überlegene Kraft (und daher auch durch das natürliche „Recht“) des „Stärkeren“ danach, dass das jeweils Beste erhalten, zum Gipfel der Evolution und zur Herrschaft über alles andere geführt werde; dass dasjenige aber, dessen Anlage weniger gut ist und dessen Resistenz und Kraft geringer sind, gehemmt und den „Stärkeren“ unterworfen werde, oder wenn es besonders schwach und niedrig ist, dass es eliminiert und ganz und gar vernichtet werde.9.) Auch beim Menschengeschlecht ist es der Wille der Natur, dass das Beste sich im Lauf der Zeit vollständig zu einem vollendeten Idealbild der menschlichen Spezies 8

Der ebenfalls angegebene lateinische Begriff lautet: „bigeneri“.

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oder des „MENSCHEN“9 entwickelt und dass es über die anderen Rassen herrscht. Und das kann auf keinem anderen Weg geschehen als auf dem, dem die Natur überall folgt, dass nämlich die Rassen, die schwächer und niedriger sind, durch natürliche Auslese und die Überlegenheit der Kraft und des Rechts des „Stärkeren“ unterworfen, gehemmt oder, je nach Gegebenheit, vernichtet werden. Dieses Gesetz kann nur von denen unmenschlich und grausam genannt werden, die selbst schwach sind und eine träge Anlage haben, Menschen ohne Kraft und Stärke, die lieber wollen, dass die Evolution und die Weiterentwicklung der gesamten Welt behindert werden als dass das, was minderwertig, niedrig, krank und schwach ist, unterworfen oder vernichtet wird oder untergeht.5.) 7. Dass die Menschen dieser geradezu natürlichen Vorgangsweise – auf Drängen und unter Führung der Natur – wirklich immer gefolgt sind und folgen, zeigt und beweist von alters her bis zum heutigen Tag die Geschichte des Menschengeschlechts. Völker und Arten nämlich, die aufgrund der Anlage der Natur anderen an Körper und Geist überlegen waren, traten aus natürlichem Antrieb – wobei noch andere äußere Bedingungen hinzukamen – immer auf, um minder gute und schwächere Arten auf die eine oder andere Weise zu unterjochen. Und über diese herrschten sie, so lange sie das eigene Blut und die eigene Anlage rein und edel bewahrten, indem sie sich jeglicher Vermischung des Blutes enthielten. So geschah es, dass im Lauf der Jahrhunderte auf der ganzen Welt höhere Völker und Arten den Primat und die Vormachtstellung einnahmen; wenn sie diese aber irgendwo noch nicht eingenommen haben, versuchen sie mit unermüdlicher Anstrengung, sie einzunehmen. Dass bei diesem Verlauf der Evolution schwächere und minderwertige Menschenarten zurückgedrängt, ja mehrmals stark dezimiert oder vernichtet wurden, darf nicht als ein Geschehen bezeichnet werden, das gegen das Naturgesetz verstößt, sondern ihm gemäß ist, denn es vollzieht sich notwendigerweise aufgrund natürlicher Selektion und der Überlegenheit des Stärkeren über die weniger Starken.10.) 8. Weil aber die „arische Rasse“ den ersten Rang innehat, da sie von der Natur die beste Anlage des Körpers, des Blutes und daher auch des Geistes erhalten hat, sagen die Anhänger der Rassentheorie: Es stehe fest, dass der arischen Rasse von der Natur die Herrschaft und die Vormachtstellung über alle Rassen und Völker bestimmt seien. Diese aus den Prinzipien ihrer Theorie gewissermaßen a priori abgeleitete Behauptung wird ihrer Ansicht nach durch die vieltausendjährige Geschichte des Menschengeschlechts bewiesen. Denn sie behaupten, dass nirgends und zu keiner Zeit eine eigenständige „Kultur“ oder eine Bildung der Seele und des Geistes, die eine Betrachtung verdient hätten, geblüht hätten und keine Herrschaft eines Kulturvolkes über barbarische Rassen bestanden habe und von Dauer gewesen sei, außer wegen eines direkten oder indirekten Einflusses der „arischen Rasse“ und das nur, solange dieser Einfluss andauerte und überwog.11.) 9. Wegen dieser Vorrangstellung der arischen Rasse sei es, sagen sie, das größte Verbrechen, das edle Blut eben dieser Rasse und die vornehme naturgegebene Anlage durch Vermischung des Blutes zu verschlechtern und zu beflecken. Auf solche Weise nämlich werde derjenige Teil des gesamten Menschengeschlechts verdorben und verunreinigt, welcher der vollendetste von allen sei und dessen Entwicklung und Vollendung die Natur mit aller Kraft und Anstrengung betreibe, um das Menschengeschlecht 9

Großbuchstaben im Original.

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zum Gipfel und zur Spitze der Evolution und zur vollkommenen Ausprägung des „vollendeten und heldischen Menschen“ zu führen. Die Rasse aber zeigt sich nur an den Individuen, durch die sie gebildet wird. Daher muss untersucht werden, welche Pflichten sich aus dem, was über die verschiedenen Rassen gesagt worden ist, ergeben, damit die Individuen sie jeweils erfüllen. 10. Am allerwichtigsten ist es, dass alle und jeder Einzelne10 für sich erkennen und überzeugt sind, wie wichtig die angeborene natürliche Anlage und die unverfälschte Reinheit des edlen Blutes sind12.), um wieviel mehr als alles andere sie zu achten sind und wie alles andere nach dem Nutzen und Schaden für das Blut zu beurteilen ist, da sich auf Blut und naturgegebene Anlage – und zwar auf sie allein – letztlich jegliche körperliche und geistige Kraft gründet. 11. Daher gibt es kein größeres Vergehen und vor nichts darf der Einzelne11 mehr zurückschrecken als vor der Vermischung des Blutes, die durch fleischlichen Umgang – sei es innerhalb oder außerhalb der Ehe – mit Personen einer anderen Rasse entsteht, die minderwertiger als die eigene ist.13.) Wer das tut, hat als Verräter und Pflichtverletzer am eigenen Blut und an der Natur zu gelten. 12. Zu dieser treulosen Vermischung des Blutes kommt als nächstes das Vergehen der Zeugung von Nachkommen, die an Defekten leiden, hinzu, mögen die Eltern auch von demselben Blut und derselben Rasse sein; es stellt sich ebenso die Frage, ob eine Niedrigkeit der Nachkommen aufgrund einer erblichen Krankheit der Eltern oder eines Elternteils zu befürchten ist oder aufgrund einer nicht erblichen Schädigung. Die, die nur behinderte Nachkommen zeugen können, machen sich eines der schlimmsten Verbrechen schuldig, wenn sie den Zeugungsakt ausüben, durch den sie Nachkommen bekommen könnten, einmal deswegen, weil sie ihren Nachkommen Schwäche aufbürden, dann deswegen, weil sie die Kraft ihres Volkes und ihrer Art mindern.14.) Es ist ihre vornehme, aber sehr schwere Pflicht, auf die Zeugung eigener Nachkommen zu verzichten, mag ihnen auch das Ausleben ihrer sexuellen Anlage in einem unfruchtbaren Akt und in einer unfruchtbaren Ehe unangetastet bleiben. Dieser Verzicht wird damit begründet, dass jeder die Kraft des Blutes und der Rasse seinem gesamten eigenen Wohlergehen vorziehen muss, und zwar aufgrund des Grundgesetzes der Natur, die will, dass es einzelne Menschen nur wegen der Rassen gibt, um deren beste zum Gipfel der Evolution zu führen.15.) Schließlich müssen die Individuen aber aufgrund des Willens und des Gesetzes der Natur auf dieser Erde nichts anderes und nichts mehr leisten, als zur Entwicklung und zum Ruhm von Rasse und Volksgemeinschaft beizutragen – auch durch Hingabe ihres eigenen Lebens, wenn die Umstände es erfordern. 13. Den Einzelnen aber obliegt nicht nur diese negative Eugenik, es kommt noch eine positive hinzu, durch die diejenigen Menschen, die sich edlen Blutes und einer gesunden und starken Anlage ihrer Rasse erfreuen, angehalten werden, zahlreiche Nachkommen zu zeugen, damit die vornehme Rasse, der sie angehören, durch sie eine Vergrößerung erfährt und sich zu immer höherer Vollendung entwickeln kann. Aus demselben Grund werden alle dazu verpflichtet, dass sie sich intensiv um ihre körperliche Gesundheit sorgen, indem sie ihren Körper durch Ertüchtigungen, Spiele und auch 10 11

Die Wendung „alle und jeder Einzelne“ (omnes et singuli) handschriftlich eingefügt. Dass Wort „singulis“ handschriftlich hinzugefügt.

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durch auferlegte Strapazen stählen, damit er gesund, stark und schön werde. Diese körperlichen Ertüchtigungen sind höher einzuschätzen und mehr zu befürworten als die Ertüchtigungen des Geistes und der Seele. Denn in der edlen Anlage des Körpers und des Blutes, nicht aber in der Unterweisung des Geistes und des Willens, auch nicht in frommen Übungen des christlichen Glaubens liegen letztendlich die Quelle und die Wurzel, in denen die gesamte menschliche Kultur und die Evolution des Menschengeschlechts ihren Ursprung haben. 14. Weil die Natur und ihre würdige Vollendung nicht in allen Individuen derselben Rasse gleich sind, können daher auch die Rechte der einzelnen Menschen nicht gleich sein. Sie übertreffen einander in dem Grad und Umfang, in dem sie die Qualitäten und Merkmale der eigenen Rasse ausgeprägt haben.16.) Was ein bestimmter Mensch wert ist, hängt zuerst und ganz grundlegend von der Rasse ab, der er angehört, dann von den körperlich-geistigen Spezifika dieser Rasse, die an ihm mehr oder weniger ausgeprägt sind. Diese Beschaffenheit seiner Person ist eine Naturtatsache und ein naturgegebenes Geschenk, das er zwar entwickeln, zu dem er aber durch seine Handlungen nichts beitragen kann, da es (was seine „Verbesserung“ betrifft) im Inneren unveränderlich ist. 15. Wie die Natur an und für sich ferner will, dass die beste und edelste, also die arisch-nordische Rasse über die anderen herrscht, so werden von der Natur innerhalb der Grenzen dieser Rasse die Vormachtstellung und die Herrschaft über die anderen den Individuen oder dem Individuum zugewiesen, bei denen bzw. dem der arisch-nordische Typ am stärksten ausgeprägt ist.17.) Und dafür bedient sich die Natur keiner anderen Mittel als derer, die sie überall anwendet, nämlich der natürlichen Selektion und des Lebenskampfes, wodurch derjenige, der an Körper und Geist stärker ist, die anderen übertrifft und sie sich untertan macht.18.) Wie im Kampf zwischen den Rassen, so hat auch im rivalisierenden Wettstreit unter den einzelnen Menschen derselben Rasse der Ausgang hiervon nicht nur eine faktische, sondern eine rechtliche Bedeutung, indem er Führung und Herrschaft begründet. Aufgrund des Gesetzes der Natur wird entsprechend der Überlegenheit des Rechts des „Stärkeren“ der „Führer“ bestimmt und eingesetzt19.), die anderen werden nicht nur gezwungen, diesem zu folgen, sondern sie folgen ihm, wenn an ihnen der richtige Rasse-Instinkt ausgeprägt ist, sogleich oder nach kurzer Zeit freiwillig und aus eigenen Stücken, indem sie sich ihm ohne Zögern und ohne Vorbehalt ganz hingeben mit absolutem Vertrauen und vollster Ergebenheit. 16. Es ist auch Aufgabe des Führers, da an ihm selbst der Instinkt und der Geist des „Volkes“ am meisten lebendig und ausgeprägt ist, dass er als Künder und Vermittler des Instinkts handelt und die anderen, zu deren Führer er von der Natur bestimmt ist, über jenen zu belehren und jenem gemäß in allem zu lenken, da er nicht seiner selbst wegen, sondern des Volkes und der Art wegen die Führung übernommen hat.20.) Seinen Willen teilt er seinen Anhängern und Gefährten durch Gesetze, Weisungen oder andere allgemeine Richtlinien mit, durch die er nach seinem Belieben die Stimme des Blutes und der „Rasse“ und einen Sinn dafür ausbildet und verbreitet. 17. Auf die gleiche Weise der natürlichen Selektion und des Lebenskampfes, durch die der Führer von der Natur offenbart und zur Herrschaft emporgehoben wird, wird auch die Führerschicht ermittelt. Da diese geeigneter ist und den spezifischen Instinkt und Geist des Volkes vollständiger erhalten hat, betraut er selbst12 sie mit verschiedenen Aufgaben, um durch diese Vorsteher zweiten Ranges die gesamte ihm untergebene 12

Gemeint: der „Führer“ (Dux).

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Menge in Instinkt und Geist des Volkes zu unterweisen und um ihr diesen Instinkt bewusst zu machen.21.) Der Führer aber und die von ihm mit der Führung Betrauten stehen der Menge nicht gegenüber, als ob sie von ihr verschieden wären, sondern sie sind vielmehr in ihr und sollen sie in ihrem Geist als lebendiges Prinzip unterweisen, wodurch sie in allem geleitet werden und die Gestalt und Form, die der Rasse entsprechen, erhalten soll. 18. Was für die einzelnen Menschen gilt, gilt auch für die Zusammenschlüsse, die die Menschen über die biologische Einheit des gemeinsamen Blutes und der Anlage hinaus aus natürlichem Antrieb eingehen: Denn deren höchste Richtlinie sind und müssen dasselbe naturgegebene Gesetz und der Geist des Blutes und der „Rasse“ sein. 19. Im gesellschaftlichen Leben der Menschen sind zu beachten: die gemeinsamen Vorstellungen und Überzeugungen der Menschen, denen sie in alltäglichen Angelegenheiten folgen; die gemeinsame Kultur und Lebensweise; religiöse Vorstellungen und Praktiken; Erziehung der Jugend; Wirtschaft, Handel und Prinzipien der Wirtschaft; der Bereich des privaten und öffentlichen Rechts und der Staat selbst. 20. Nichts davon unterliegt nicht dem grundlegendsten Gesetz der Natur, das Wohl der Rasse vor allem anderen zu beachten und zu fördern. Daher fordern sie eine spezifische Form und Art all dieser Dinge: „Rassen-Geist“ und „Rassen-Seele“, „Rasse-Kultur“, „Rasse-Erziehung“, „Rasse-Religion“, „Rasse-Wirtschaft“, „Rasse-Recht“, „Rasse-Staat“. Dies ist nicht so zu verstehen, dass sie lediglich wollen, dass bei allen diesen Dingen gebührend Rücksicht auf die natürliche Anlage, die die Natur der „Rasse“ gegeben hat, genommen wird – was dem gesunden Verstand und der richtigen Ordnung nicht nur nicht widerspricht, sondern mit ihm völlig übereinstimmt und mit Fug und Recht gefordert wird –, sondern dass die Rücksicht auf Blut und Rasse bei ihnen als letzte und höchste Richtlinie festgesetzt wird, der alle diese Dinge absolut untergeordnet werden sollen, und an der sie ohne Ausnahme und Einschränkung Maß nehmen müssen. 21. Daher müssen unter den Vorstellungen und Überzeugungen, durch die ein „gemeinsames Empfinden“ in einer menschlichen Gemeinschaft geschaffen wird, Vorstellung und Anerkennung von Blut und Rasse die erste Stelle einnehmen, immer mehr propagiert und bewusster gemacht werden, sodass sie als lebendiger Instinkt und Geist der „Rasse“ allmählich Geist und Sinn aller einnehmen und erfüllen (Rasse-Instinkt, Rasse-Geist, Rasse-Sinn, Rasse-Seele), welche nicht auf nüchternen Überlegungen des Intellekts und Geboten der Dialektik beruhen, sondern auf spontaner Intuition und lebendigem inneren Empfinden, wodurch der Mensch unmittelbar erfährt, was mit seiner Rasse übereinstimmt und was nicht.22.) Wenn die Menschen von diesem Geist und Sinn erfüllt sind, muss die gesamte Kultur des gesellschaftlichen Lebens zwangsläufig denselben Charakter des Blutes und des Volkes annehmen. Bei der Pflege von Wissenschaft und Kunst, in Gebrauch und Gestaltung von Sprache, beim Verfassen von Literatur, bei der Art und Weise zu arbeiten und sich zu erholen und bei allem anderen („Rasse-Kultur“). 22. Am meisten muss bei der Erziehung der Jugend darauf geachtet und dafür gesorgt werden, dass die gesamte Jugend den Grundsatz der absoluten Vorrangstellung, die Blut und Rasse zusteht, mit fanatischem Enthusiasmus hochhält. Sie soll lernen, nach diesem Grundsatz als ihre Richtlinie ihr ganzes Leben einzurichten, ihn aber auch in fortschreitendem Alter mehr geistig aufzunehmen und für absolut wahr anzusehen.23.) Und da der richtige Geist und der richtige Instinkt der eigenen „Rasse“ ihre

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letzte Ursache und Quelle in Blut und Körper, nicht in Geist und Seele haben, müssen sie umsichtig dafür Sorge tragen, besonders den Körper zu formen und zu stählen.24.) 23. In welchem Verhältnis die Religion zu Rasse und Blut steht, darüber gibt es unter den Anhängern nicht nur eine einzige Auffassung, und auch die Vorgehensweise ist bei allen nicht dieselbe. [in den Dingen, die die Religion betrifft.] Die meisten sprechen sich stark dafür aus, auch die Religion dem Gesetz des Blutes und der Rasse unterzuordnen, wenn auch nicht im selben Grad und Umfang („Rasse-Religion“). Was sie von den Lehren und religiösen Praktiken als für die Anlage der Rasse unangemessen einschätzen, das muss ihrer Meinung nach abgelehnt und entfernt werden. Sie sagen, dass bestimmte religiöse Dogmen niemals der oberste Grundsatz des menschlichen Lebens und des Volkes sein können; auch seien nicht diese Dogmen oder ihre Ausübung, sondern das Blut und die angeborene Anlage der Rasse von der Natur als Richtlinie festgesetzt worden, nach der das gesamte Menschengeschlecht, die Rassen und die einzelnen Individuen vorgehen sollen. Sie gestatten zwar in religiösen Dingen Freiheit in Glauben und Denken, sofern Blut und Rasse nicht berührt werden; doch verweigern sie sie, wenn die Religion auch an Blut und Rasse rührt.25.) Was im Speziellen die christliche Religion betrifft, unterscheiden einige zwischen ihrem positiven und negativen Teil.40.) Den positiven, der Tapferkeit, Eifer, Kampf, gerechten Zorn, Sieg und Ehre verteidigt, lassen sie zu. Den negativen, bei dem es um die Ausübung von Demut, um Milde, um das Ertragen von Unrecht, um das Unterdrücken von Rache, um die Passion und den Tod Christi und um dergleichen mehr geht, lehnen sie ab, da diese Dinge der natürlichen Anlage der „nordischen“ Rasse widersprechen. Schließlich gibt es nicht wenige – und ihre Zahl wächst von Tag zu Tag –, die mit Fanatismus, durch den sie dazu gebracht werden, Blut und Anlage ihrer „nordischen“ Rasse als ihr höchstes Gut und ihre absolute Handlungsnorm anzusehen, die gesamte christliche Religion verwünschen und mit Hass verfolgen. Sie bekämpfen diese öffentlich und privat und verkünden, dass sie aus den Menschen der „nordischen Rasse“ ganz und gar herausgerissen werden muss, und streben wirklich danach sie auszurotten, um anstelle der christlichen Religion eine andere zu errichten, die die „arisch-nordische“ sei („Religion des nordischen Menschen“).26.) 24. Dass die Rechtsbeziehungen, die das gesellschaftliche Leben der Menschen stark betreffen, ebenfalls der Anlage des Blutes und der Rasse in jeder Hinsicht untergeordnet und unterworfen sein sollen, verteidigen sie auf die gleiche Weise („RasseRecht“), sowohl was das Privatrecht als auch was das öffentliche Recht betrifft.27.) Welcher Art aber dieses spezifische und der natürlichen Anlage entsprechende Recht ist, muss man, so meinen sie, erforschen, und zwar nicht durch Schlussfolgerungen, die mit Hilfe des Intellekts aus allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet werden, sondern indem man auf den Instinkt des Blutes und der „Rasse“ horcht, der durch Intuition und innere Erfahrung unmittelbar und sicherer als jegliche intellektuelle Schlussfolgerung eröffne, was Recht sein kann oder muss und was nicht.28.) Diese Findung des Rechts und seine weitere Ausformung aber obliegt ihrer Meinung nach nicht allen und jedem, sondern dem „Führer“ und anderen von ihm dazu Bestimmten, in denen der Instinkt des Blutes am besten ausgebildet und am lebendigsten ist; diese müssen daraufhin die anderen über das „richtige Recht“ belehren.29.) Darüber hinaus aber behaupten sie, dass die naturgegebene Anlage und der Instinkt nicht nur die Quelle seien, aus der das Recht geschöpft werde, sondern die letzte Ursache, warum das, was der Instinkt zeige, Recht genannt werden müsse und das auch sei.

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Durch den Instinkt nämlich offenbart die Natur das Ziel, zu dem sie jede einzelne „Rasse“ führen will, und drängt sie gleichzeitig dazu, zu diesem Ziel hinzustreben. Doch was dem natürlichen Ziel dient, muss Recht genannt werden; da es kein Recht gibt und Recht für kein anderes Ziel gewährt werden kann, außer dass dem, der im Besitz des Rechtes ist, beim Erreichen seines natürlichen Zieles geholfen wird. Daher muss keine weitere Ursache ermittelt oder bestimmt werden, durch die bewiesen werden kann, dass die Stimme des Instinkts das wahre Recht eröffnet und begründet. Denn eben dadurch, dass die Natur durch den Instinkt dazu drängt, zeigt sie, was der Evolution, das heißt dem natürlichen Ziel, nützt. Und so setzt sie ihn als absolutes Gesetz fest. Denn weder Individuen noch Rassen haben ein anderes Ziel, als zum Gipfel der natürlichen Evolution zu gelangen, die ihnen von Natur aus bestimmt ist. Daher ist auch klar, dass ein „Recht“, das allen gemeinsam ist und für alle gleich gilt, der Natur selbst widerspricht. Denn da die Quelle und das oberste Maß des Rechts Blut und naturgegebene Anlage sind13, diese aber bei den verschiedenen „Rassen“ des Menschengeschlechts völlig unterschiedlich sind, müssen auch die Rechte unterschiedlich sein, und zwar substanziell, da sich auch die Rassen substanziell unterscheiden. 25. Auch die Wirtschaft muss in ihrem gesamten Umfang von eben diesem obersten Gesetz des Blutes und der Rasse gelenkt und bestimmt werden („Rasse-Wirtschaft“). Mag jenes Prinzip, das besagt, dass es Individuen wegen Art und Volk gibt, in allen Bereichen gelten, so gilt es doch im Besonderen und muss nachdrücklich verfolgt werden im Umgang mit zeitlichen Gütern. Bei ihrer Verwendung und ihrem Erwerb trachten die Menschen nämlich für gewöhnlich nach Eigentum, ohne auf das eigene Volk und die eigene Rasse zu achten. Die Richtlinie für die Praxis, die hinsichtlich materieller Güter aus Instinkt und Geist der eigenen Art abzuleiten ist, lautet: Absolut und in allem, ohne Einschränkung und Ausnahme, geht das Gemeinwohl vor dem privaten Wohl („Gemeinnutz geht vor Eigennutz“). Nach diesem grundlegenden Prinzip müssen in Übereinstimmung mit Instinkt und Geist der „nordischen Rasse“ festgesetzt werden: Besitzrecht, Erbrecht – besonders des Hofes, Arbeitsrecht, Kapital- und Zinsenrecht, Lohnrecht, Binnen- und Außenhandelsrecht etc. Es kann auch nicht ausreichen, dass bei allen diesen Dingen die angeborene Anlage lediglich berücksichtigt wird, sondern Blut und Rasse müssen die oberste, umfassende und zwingende Richtlinie sein. 26. Nachdem all das bestimmt und betrachtet worden ist, darf sich niemand wundern, dass sie der Meinung sind, der gesamte Staat und die Staatsgewalt sollen durch eben dieses oberste Gesetz des Blutes und der „Rasse“ gelenkt werden30.), und sie allein sollen dazu bestimmt sein, ihre umfassende Vormachtstellung zu errichten, zu verwirklichen und zu festigen („Rasse-Staat“). 27. Zunächst einmal muss der Ursprung des Rasse-Staates aus dem gemeinsamen Blut und der angeborenen Anlage der „Rasse“ hergeleitet werden. Diejenigen nämlich, denen diese beiden Faktoren gemeinsam sind, entwickeln in der Hauptsache deswegen (aber auch aus anderen Gründen, wie: aufgrund des Bodens und des Klimas, derselben geschichtlichen Ereignisse und Begebenheiten) auch eine gemeinsame Art zu fühlen und zu denken, drücken ihre Gedanken in der gleichen Sprache aus und werden so ein „Volk“. Die Natur aber drängt durch den Instinkt des gemeinsamen Blutes, bald wirksamer und bewusst, bald aufgrund widriger Umstände nur langsam und unterbewusst, 13

Die Wendung „und die naturgegebene Anlage; diese [sind] alle verschieden“ (et naturae indoles; haec autem omnia diversa) handschriftlich eingefügt.

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doch unablässig darauf, dass die, die demselben Volk angehören, auch durch denselben Staat und dasselbe Territorium verbunden und geeint werden. Dieses Streben, eine politische Einheit zu bilden, geschieht nicht nach dem Gutdünken der Menschen, sondern aufgrund der naturgegebenen Anlage und des Willens und schafft daher ein natürliches Recht, das stärker als jedes andere Recht ist und sogar dann besteht, wenn ihm aufgrund temporärer widriger Umstände nicht Genüge getan werden kann. Ein so in einer politischen Gemeinschaft vereintes Volk wird von vielen als „Volksgemeinschaft“ bezeichnet.31.) 28. Aufgrund dieses Ursprungs der politischen Gemeinschaft beziehungsweise des Staates kann man leicht beurteilen und erkennen, was der Natur der Sache entsprechend sein14 und der Staatsgewalt Ziel ist: Der Staat und die Staatsgewalt müssen einzig und allein danach trachten und nur darauf hinwirken, dass das „Volk“ in der bürgerlichen Gesellschaft seiner angeborenen Anlage entsprechend sein, leben, handeln, sich entwickeln und zur Vollendung gelangen kann.32.) Dass das „Volk“ nach der angeborenen Anlage seines Blutes und seiner Art lebt und erblüht, ist das höchste, absolut notwendigste und eines edlen Menschen würdigste Ziel, das es gibt; einem Staat wird auch keine andere Pflicht und kein anderes Recht gegeben, als jenes Ziel zu erreichen, und dieses Recht und diese Pflicht15 gelten uneingeschränkt und absolut! 29. Fragt man nach der Regierungsform und der Verfassung des Staates, ergibt sich aus dem, was von der natürlichen Selektion und dem Lebenskampf unter den Menschen und Rassen, ebenso von der Überlegenheit des Rechts, das dem „Stärkeren“ zusteht (weil er „stärker“ ist), gesagt worden ist, Folgendes: Eine demokratische Regierung und jeglicher „Parlamentarismus“ stehen in völligem Widerspruch zum völkischen Staat33.), da sie wider die Natur sind, die will, dass es einen einzigen Führer gibt, und dass derjenige über die anderen herrscht, der die beste Anlage seines Volkes und seiner Art erlangt hat. Daher lässt ein wahrhaft völkischer und den Gesetzen der Natur angepasster Staat keine andere Regierungsform außer der „Alleinherrschaft eines Führers“ zu, die nur insofern vielleicht abgeschwächt ist, als dem Führer ein Rat zur Seite gestellt werden kann, dessen Mitglieder der Führer auswählt und die er, da sie von seinem Geist erfüllt sind, seinem Willen völlig unterworfen hat.34.) Die gesamte und volle Macht und Gewalt aber liegen beim Führer, und zwar einzig und allein bei ihm. Der Führer muss von denen, die ihm in der Leitung des Staates unterstehen, ohne Rücksicht auf die Person alle entfernen, deren Blut fremd und verunreinigt ist und die daher nicht den richtigen Rasse-Instinkt besitzen. Mit der Führung einzelner Ämter wird er die betrauen, die sich durch angeborene Anlage der Rasse sowie Instinkt und Geist derselben auszeichnen, nicht aber die, die sich zwar durch Wissen, Verhandlungsgeschick, vielleicht darüber hinaus durch Willensstärke hervortun, aber einen weniger entwickelten Rasse-Instinkt aufweisen. 30. Was die speziellen Pflichten und Aufgaben, die die Staatsgewalt zu erfüllen hat, betrifft, so wurde bereits oben ausgeführt, dass sie die Besorgung und Ausführung all der Dinge übernehmen muss, durch die das soziale Leben und der gesellschaftliche Umgang der Menschen gefördert werden. Die Staatsgewalt, das heißt der oberste Führer, wird also nachdrücklich durch Gesetze, Weisungen und auf jede andere zweckdienliche Art dafür sorgen, dass in erster Line alle erkennen und zur Überzeugung kommen, 14 15

Gemeint: des Staates. Die Wörter „Recht und Pflicht“ (ius et officium) handschriftlich eingefügt.

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dass die oberste und absolute Richtlinie das Heil und das Wohlergehen des „Volkes“ ist, die zu allererst in der angeborenen, vor jeglicher Verunreinigung bewahrten eigenen rassischen Anlage und in der Reinheit und edlen Art des Blutes begründet sind.35.) Daher muss er vor allem eifrig und umsichtig dafür sorgen, dass dieses biologische Fundament unversehrt bleibt, und zwar durch Verbot und Bestrafung geschlechtlicher Vermischung mit Personen einer fremden Rasse, ebenso jeglicher fruchtbaren, selbst innerhalb einer gültigen16 Ehe eingegangenen Verbindung von Menschen, die an einer erblichen Krankheit leiden oder bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie wegen anderer biologischer Defekte lediglich behinderte Nachkommen bekommen werden. Daher muss auf staatliche Verordnung hin eine nicht fakultative, sondern eine gesetzliche und obligatorische Sterilisation eingeführt werden, die auch gegen den Willen der Kranken durchgeführt werden muss. Außerdem muss aus demselben Grund die Durchführung einer Abtreibung aus „eugenischer Indikation“, wie sie es nennen, gestattet, wenn nicht sogar vorgeschrieben werden, damit die gute und edle Art des Blutes und der „Rasse“ durch behinderte Nachkommen keinen Schaden nimmt oder nicht bloß der Gefahr eines Schadens ausgesetzt wird. In dieser Sache nämlich muss das Wohl des Einzelnen sich gänzlich dem Gemeinwohl unterordnen.36.) 31. Durch staatliche Gesetze und behördliche Vollstreckung muss bewirkt werden, dass bei der Erziehung der Jugend das Heil und der Ruhm des „Volkes“ und die Sorge um Blut und Rasse die erste Stelle einnehmen, worauf das Heil in erster Linie beruhe. Daher muss die Staatsgewalt auf die Erziehung sehr viel Wert legen und sie zum größeren Teil sich selbst vorbehalten. Privatschulen – konfessionelle nicht ausgenommen – sollen so weit wie möglich unterdrückt werden, auch sollen nur Schulen zugelassen werden, die von der Zivilgewalt eingerichtet werden und völlig von ihr abhängen. Von den Schulen, ja vielmehr von jeglichem Einfluss, den sie auf die Jugend ausüben könnten, sollen alle ferngehalten werden, die das Heil des „Volkes“ und die edle Art des Blutes nicht für das oberste Prinzip der Erziehung und des Lebens halten. 32. Dass es darüber hinaus Aufgabe der Staatsgewalt ist, „Recht“, „Wirtschaft“, selbst „religiösen Unterricht“ an den Primat des Blutes und der Rasse als oberste und letzte Regel anzupassen, braucht nicht mit vielen Worten dargelegt werden. Es ergibt sich nämlich aus dem bis jetzt Gesagten und bezieht sich darauf, was oben über das gesellschaftliche Leben gesagt worden ist. 33. Nach diesen Ausführungen kann man auch leicht verstehen, was der so genannte „totale Staat“ ist und durch welches Recht er bestimmt wird. Es gibt keinen Bereich und kein Feld welcher Art auch immer (das heißt: der Kultur, Wissenschaft, Kunst, Technik, Handel und Wirtschaft, Recht, Erziehung, Religion etc., etc.), die einem Individuum oder Gruppen von Individuen so vorbehalten wären, dass der Staat und die Staatsgewalt nicht in irgendeiner Hinsicht Zugang dazu hätten; es gibt auch keine Rechte, welche Individuen oder Gruppen von Individuen besitzen oder für sich in Anspruch nehmen könnten, die nicht völlig von der Staatsgewalt abhängen würden oder ihr unterworfen wären. Dies wird folgendermaßen verstanden und dargelegt: Die Natur hat dadurch spezifische Rassen ausgebildet, dass sie den Individuen spezifisches Blut, eine spezifische

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Die Wendung „ebenso jeglicher fruchtbaren, selbst innerhalb einer gültigen“ (item quamlibet copulam fertilem, etsi in legitimo) handschriftlich eingefügt.

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generative Substanz17, Körpergestalt, geistiges Empfinden und Instinkt gab; in allen diesen Dingen strebt sie das Ziel an, durch natürliche Selektion und lebendigen Lebenskampf die beste Rasse unter den Menschenrassen zur Herrschaft und zur gänzlichen Vollendung der menschlichen Spezies oder – emphatisch ausgedrückt – des MENSCHEN18 zu führen. Die Individuen bilden also aufgrund einer „natürlichen Gegebenheit“ und natürlichen Notwendigkeit diese „Rasse“19, wegen der allein sie von der Natur erschaffen wurden, und können in keiner Weise ihr Ziel in sich selbst haben. Wenn zu eben diesen inneren Abläufen auch noch bestimmte äußere Umstände hinzukommen, entsteht aufgrund dieser biologischen Einheit ein „Volk“, eine Gemeinschaft mit gemeinsamer „Kultur“. Ein „Volk“ aber strebt aus natürlichem Instinkt und Antrieb danach, eine politische Einheit als notwendiges und umfassendes Instrument zu bilden, das allein für das Wohl, die Evolution und die Vollendung des „Volkes“ in ausreichender Weise sorgen kann. 34. In keiner Hinsicht also stehen „Individuen“ und „biologische Art“ oder „Rasse“ im Widerspruch zueinander: Individuen existieren wegen der „Rasse“, und Rasse zeigt sich nur an Individuen. Was also Aufgabe der Individuen ist, ist auch Aufgabe der Rasse, und was Aufgabe der Rasse ist, ist Aufgabe der Individuen. Auch „Rasse“ und „Volk“ widersprechen einander in keinerlei Hinsicht. Daher widersprechen einander auch „Volk“ und „Individuen“ nicht, sondern lassen sich auf dieselbe Weise wie „Individuen“ und „Rasse“ gleichsetzen. Alle haben ein und dasselbe Ziel: Evolution und Vollendung der unmittelbar von der Natur erschaffenen „Rasse“20 voranzutreiben. Schließlich existiert auch kein Widerspruch zwischen „Volk“ und „Staat“ oder „Staatsgewalt“, die lediglich Instrumente sind, die für das Heil und die Vollendung des „Volkes“ sorgen sollen. Alles fällt unter dieselbe Ordnung: Individuen, Rasse, Volk, Volksgemeinschaft oder Staat. Daraus soll aber niemand ableiten, dass die Individuen keine eigene Funktion oder keinen ihnen bestimmten und vorbehaltenen Tätigkeitsbereich hätten. Das haben sie, und zwar auf dieselbe Weise und im selben Grad, wie das auch die einzelnen Organe im gesamten Organismus haben. Der gesamte Organismus führt nicht die spezifische Funktion des Herzens, der Augen, der Hand, etc. aus, sondern diese Organe führen sie selbst aus. Doch führen sie sie nur im und wegen des gesamten Organismus aus und aufgrund der Gaben und Kräfte, die sie vom gesamten Organismus erhalten; was sie nämlich sind und was sie haben, haben sie nicht ihretwegen, sondern einzig wegen der Gesamtheit. Daher haben sie auch keinerlei Rechte auf irgendwelche Gaben (die eigene Existenz nicht ausgenommen), die sie als „ihre“ dem „Ganzen“ entgegensetzen und für sich beanspruchen könnten. Es kann daher auch kein Widerspruch zwischen „Individuen“ und „Staat“ existieren, da beide auf dasselbe Ziel ausgerichtet sind und in keiner Weise und Hinsicht um ihrer selbst willen existieren: Daher kann es auch keine individuellen oder persönlichen Rechte geben, die sich ein einzelner Mensch vorbehalten

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Vgl. Anm. 6. Großbuchstaben im Original. Hier wird für „Rasse“ der Begriff „biologische Einheit“ (unitas biologica) verwendet. Das deutsche Wort „Rasse“ handschriftlich hinzugefügt.

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könnte, und von denen die Staatsgewalt „de jure“ fern gehalten werden könnte, auch wenn sie sich de facto in sie nicht einmischt. 35. Es ist also klar, dass das Prinzip der „Totalität“ des Staates nicht nur nicht gegen die Natur der Dinge verstößt, sondern in höchstem Maß, wenn nicht sogar allein mit ihr übereinstimmt. 36. Die Vorstellungen und Theorien, die in dieser gesamten Exposition angeführt werden, leiten sich von derselben Grundlage her, die zu Beginn erwähnt wurde, nämlich der sogenannten „völkischen Weltanschauung“. Diese besagt, dass alles auf dieser Erde und im Leben der Menschen nach dem Heil und dem Gedeihen des „Volkes“ zu bemessen sei, sofern nur das Volk nicht gegen das Gesetz der Natur, sondern ihm gemäß gebildet und geformt ist, sich also aus dem biologischen Fundament desselben Blutes und derselben „Rasse“ erhebt und dieses21 rein und unverfälscht bewahrt. 37. Wenn schon nicht alle, so behaupten doch sehr viele, die dieser „Weltanschauung“ anhängen, dass diese die einzig wahre sei, weil sie der einzigen tatsächlichen Weltordnung entspreche. Daher könne auch sie allein als Richtlinie genommen werden, nach der alles Irdische eingerichtet und geleitet werden solle. Sie bestehen darauf, dass sie die Bedeutung eines „Dogmas“ habe, dem man22 hinsichtlich seines Inhalts und Wesens nicht einmal dem Anschein nach widersprechen oder zuwiderhandeln dürfe; wer nämlich etwas Derartiges tut, rührt an den Fundamenten des gesamten Staates und versucht, ihn zu erschüttern. Aufgabe des Staates und der Staatsgewalt sei es ihrer Meinung nach, diese Weltanschauung unablässig, auf jede Weise und immer zu verbreiten und einzuschärfen, insbesondere aber die Jugend mit diesen Vorstellungen vertraut zu machen; dieser Theorie seien Gesetze, Recht, Kultur, Religion, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und alle anderen Bereiche einer menschlichen Gemeinschaft anzupassen; und daher werde es zuletzt nur eine einzige Art zu denken und zu fühlen geben, die sich aus dem eigenen Blut und der angeborenen Anlage der eigenen Rasse entwickelt, und die edelste, arisch-nordische Rasse werde die Vormachtstellung über alle einnehmen und zum Gipfel und zur Spitze der Evolution aufsteigen, wozu sie von der Natur bestimmt sei. Thesen Die Hauptpunkte der Inhalte, die bis jetzt dargelegt worden sind, können durch folgende Thesen zusammengefasst werden: 1. Das gesamte Menschengeschlecht ist in mehrere „Rassen“ eingeteilt, die sich untereinander so sehr unterscheiden, dass eine [Rasse] in körperlicher und geistiger Hinsicht eine andere grundlegend und unabänderlich übertrifft oder von einer anderen übertroffen wird. 2. Die grundlegende Verschiedenheit dieser „Rassen“ gründet sich auf die angeborene Anlage des Blutes und der generativen Substanz; sie ist ererbt, muss an die Nachkommen weitergegeben werden und übt nicht nur einen größeren oder kleineren Einfluss auf Körper und Geist aus, sondern bestimmt als einzige und letzte Ursache beherrschend und endgültig das gesamte körperliche und geistige Leben. 21 22

Gemeint: Fundament. Eigentlich: „niemand“, doch das Wort „nemini“ wurde handschriftlich gestrichen und durch „ulli unquam“ (wörtlich: „irgendjemand jemals“) ersetzt.

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3. Das einzige und letzte von der Natur auf dieser Erde angestrebte Ziel, warum es Menschen-„Rassen“ gibt, liegt darin, die beste dieser Rassen, also die „arische“, mittels natürlicher Selektion und überlegener Kraft des „Stärkeren“ zum Gipfel der Evolution, also zur Ausformung eines vollendeten Idealbilds des „heldischen Menschen“ zu führen. 4. Natürliche Selektion und die Kraft des Stärkeren haben daher nicht nur eine faktische, sondern insofern auch eine rechtliche Bedeutung, als sie im Bereich von Moral und Recht aufgrund des Gesetzes der Natur ursächlich und vollständig begründen, warum sich eine Rasse, die eine bessere Anlage erhalten hat, die anderen unterwerfen und sie beherrschen soll. 5. Man begeht das allerschlimmste Verbrechen, wenn man das Blut und die angeborene Anlage durch Blutsvermischung, die zwischen einer Rasse mit höherer Anlage, insbesondere der „arischen“, und einer anderen minderwertigen (insbesondere der semitischen oder farbigen) stattfindet, verunreinigt. Dieses Verbrechen verstößt nämlich gegen das grundlegendste Streben der Natur und ihr höchstes Ziel, das Menschengeschlecht zum Gipfel und zur Spitze der Evolution zu führen. Ein ähnlich schlimmes Vergehen ist das Verbrechen derer, die, auch wenn sie an einer erblichen Krankheit oder an einer anderen Schädigung leiden, die eine Behinderung künftiger Nachkommen nach sich ziehen könnte, es aber trotzdem wagen, Nachkommen zu bekommen. 6. Jeder einzelne Mensch auf dieser Erde, insbesondere aber die, die der arischnordischen Rasse angehören, dürfen auf nichts größeren Wert legen und auf nichts mehr achten als auf das edle Blut, das sie von der Natur erhalten haben. Was aber dem Blut und der „Rasse“ zuträglich ist und was nicht, erfährt man durch den Instinkt der „Rasse“, nicht durch intellektuelle Schlussfolgerungen. 7. Das gesellschaftliche Leben hat in jeder Hinsicht in eben diesem Gesetz des Blutes und in der angeborenen Anlage der „Rasse“ seine oberste und entscheidende Richtlinie; dieses Gesetz enthüllt und erfasst man nicht durch Untersuchungen auf Basis des Verstandes, sondern durch den Instinkt der Rasse. 8. Ebenso werden auch die Erziehung der Jugend und das religiöse Leben, sofern sie außerhalb des Gewissens des Einzelnen und der häuslichen vier Wände in Erscheinung treten, durch das Gesetz des Blutes und der Rasse als oberste Richtlinie geleitet. 9. Der Bereich des privaten und öffentlichen Rechts wird nicht durch umfassende Prinzipien, die aus allgemeinen metaphysischen Prinzipien abgeleitet werden, sondern ebenso durch Geist und Instinkt der Rasse bestimmt. Wer sie hat, erkennt durch unmittelbare Intuition, was Recht sein muss. Dies gilt sowohl bei der Findung des Rechts als auch bei seiner Anwendung. Recht aber, das für alle Menschen gemeinsam und gleich gelten könnte, gibt es nicht und kann es nicht geben; denn es existiert nicht eine gemeinsame Menschenart, sondern lediglich mehrere verschiedene Menschenarten oder „Rassen“, die sich untereinander sehr unterscheiden. 10. Die Wirtschaft ist nicht weniger als die anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens völlig dem Gesetz und dem Instinkt des Blutes unterworfen; kraft dieser Unterwerfung gilt der Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ immer und ohne Unterschied. 11. Der Richtlinie der Natur gemäß entsteht und existiert ein Staat nur, wenn er aufgrund des Bandes und des Instinkts des gemeinsamen Blutes und der Rasse entsteht und in allem diesem Gesetz angepasst wird.

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12. Das Ziel des Staates und der Staatsgewalt besteht nur im Heil und Wohlergehen des „Volkes“, die letztlich einzig durch Instinkt und Geist des Blutes und der „Rasse“ festgelegt sind. 13. Daher hat die Staatsgewalt das höchste Recht und die Pflicht, dafür zu sorgen und zu bewirken (wenn nötig, auch mit Gewalt und Zwang), dass alle Bereiche des privaten, sozialen und staatlichen Lebens insgesamt und im Einzelnen, im Inneren und im Äußeren dieser obersten und letzten Richtlinie des Blutes und der „Rasse“ angepasst und unterworfen werden (nämlich: die gesamte Kultur, Religion, Erziehung der Jugend, privates und öffentliches Recht, Wirtschaft und Handel und alles andere). Denn von der Einhaltung dieser Richtlinie hängt letztlich das wahre Heil und Wohlergehen des Volkes ab. 14. Die Regierungsform des Staates kann nur die Alleinherrschaft eines Führers sein; denn aufgrund natürlicher Selektion und des rivalisierenden Kampfes der Menschen untereinander, welche die Natur überall als Mittel des Fortschritts und der Evolution anwendet, kann auf natürliche Weise keine andere Regierungsform entstehen. Daher widersprechen „Demokratie“ und „Parlamentarismus“ als Regierungsformen und -arten aufgrund ihrer inneren Struktur dem Gesetz der Natur. 15. Wer unter den einzelnen Menschen als oberster Führer zu gelten hat, wird nicht nur de facto, sondern auch de jure in derselben Weise bestimmt, wie auch die beste der unterschiedlichen Arten zur Vormachtstellung gelangt, nämlich durch natürliche Selektion und Kampf unter Rivalen. 16. Alle schulden dem Führer bedingungslos, ohne Einschränkung oder Rücksicht auf das eigene Gewissen, absoluten Gehorsam, da das, was der Führer festsetzt, immer als wahr und richtig zu gelten hat. 17. Der Grundsatz des „totalen Staates“, der besagt, dass alles in vollem Umfang der Staatsgewalt unterliegt, sodass es keine Rechte von Einzelnen oder von Gruppen von Menschen und keine Bereiche im menschlichen Leben gibt oder geben kann (wie: den der Wissenschaft, der Kunst, der Technik, der Kultur, des Rechts, der Erziehung, der Religion, der Wirtschaft, etc., etc.), die zumindest in irgendeinem Grad und Ausmaß, oder wenigstens hinsichtlich ihres bloßen Wesens nur den Einzelnen vorbehalten und daher dem Recht der Staatsgewalt laut des Rechts der Natur entzogen wären: Dieser Grundsatz der „Totalität“ ist unzweifelhaft und wahr und widerspricht nicht nur nicht der Natur, sondern stimmt einzig und allein mit ihr überein. 18. Auch wenn – in welchem Umfang auch immer – die sogenannte „völkische Weltanschauung“ die oben angeführten Thesen enthält und behauptet, verstößt sie nicht gegen menschliches oder göttliches Gesetz, sondern muss für absolut wahr und richtig gelten und als solche allen und jedem, am meisten jedoch der Jugend in der Erziehung, ja auch kleinen Buben und Mädchen dargelegt und eingeschärft werden. II. Nach Abschluss der Darstellung der gegnerischen Lehre ist es nun notwendig, zu Kritik und Urteil, das über sie zu fällen ist, überzugehen. Aber ehe zum eigentlichen Urteil geschritten wird, ist es nützlich, etwas über die biologischen Tatsachen vorauszuschicken, die für die Anhänger der Lehre, die widerlegt werden soll, Quelle und Fundament sind, von denen sie ihre Behauptungen ablei-

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ten und durch die sie sie beweisen wollen. Manche dieser Tatsachen werden nämlich eher beharrlich behauptet als bewiesen. 38. Es besteht kein Grund zu leugnen, dass sich verschiedene Arten des Menschengeschlechts finden, die sich untereinander durch spezifische Eigenheiten unterscheiden und die im engeren Sinn „Rassen“ genannt werden können. Es tritt aber nicht klar zutage, wieviel Bedeutung sie23 den „grundlegenden“ Unterschieden, die ihrer Meinung nach zwischen diesen „Rassen“ herrschen, zumessen. Wenn sie also derentwegen die Einheit und essenzielle Gleichheit des Menschengeschlechts leugnen wollen, so können sie diese Behauptung nicht auf solide Argumente, sondern lediglich auf apriorische Annahmen, die dem Lehrgebäude willkürlich entnommen sind, stützen. Wenn sie aber zugeben, dass das Menschengeschlecht zu Beginn eins und ungeteilt war, können sie nicht erklären, wie „Rassen“ entstehen konnten; denn nach ihren Theorien sind die Anlagen des Blutes und der „Rasse-Typ“ beständig und unveränderlich, wenn das auch in Wahrheit keineswegs sicher ist, da diese Beständigkeit und Unveränderlichkeit von nicht wenigen Anthropologen ersten Ranges geleugnet werden. Die nämlich sind der Meinung, dass sich „Rassen“ hinsichtlich ihrer inneren Anlage aus inneren wie äußeren Gründen ändern können, geändert haben und ändern werden; und dass die spezifische Anlage der Rasse und des Blutes nur dann beständig und erblich erscheint, wenn man sie in kürzeren erdgeschichtlichen oder paläontologischen Zeiträumen betrachtet. Auch lassen viele Gelehrte und Wissenschaftler nicht einmal gelten, dass es unmöglich sei, dass sich die angeborene Anlage aus psychischen Gründen verändert und ihre Veränderung an die Nachkommen vererbt wird, auch wenn uns unbekannt ist, wie genau eine solche Mutation stattfindet und wie viel Zeit es benötigt, dass sie auftritt und so auftritt, dass sie erblich wird. 39. Ebenso falsch wird von den Anhängern der Rassentheorie die These über das grundlegende Gesetz und die Absicht aufgestellt, denen die Natur bei der Entwicklung des Menschengeschlechts folge, dass sie nämlich „Rassen“ festlege, unter ihnen die arisch-nordische auswähle, zum Gipfel der Evolution führe und so das vollendete Idealbild der menschlichen Natur oder des „MENSCHEN“24 erschaffe. Was sie zum Beweis dieser These anführen, ist lediglich eine willkürliche Interpretation der Tatsachen nach Lehrsätzen, die ebenso willkürlich sind. Denn dass es heute Rassen gibt und schon seit vielen tausend Jahren gegeben hat, ist freilich etwas anderes, als dass sie um ihrer selbst willen in erster Linie und unmittelbar von der Natur beabsichtigt waren, gleichsam als Grundlage, auf der die gesamte Evolution und die Geschichte des Menschengeschlechts aufbauen. Für diese Erwägung und Behauptung wird kein schlagendes Argument vorgebracht. Den biologischen und prähistorischen Tatsachen nämlich wird gleich gut, ja besser durch die Annahme25 anderer Genüge getan, die – (wenn man denn überhaupt das Prinzip einer „unablässig voranschreitenden Evolution“ gelten lassen muss) – der Meinung sind, dass die Natur unmittelbar und um ihrer selbst willen danach strebe, die fruchtbarste angeborene Anlage, die auch in der „menschlichen Natur“ – je nachdem sie allen gemeinsam ist – verborgen ist, im Lauf der Zeit immer vollständiger zu entwickeln und sichtbar zu machen. Im Zuge dieses Evolutionsprozesses, so behaupten sie, 23 24 25

Gemeint: die Anhänger der Rassenlehre. Großbuchstaben im Original. Das Wort „coniectura“ („durch die Annahme“) handschriftlich korrigiert aus „suppositione“.

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treten zwar „Rassen“ auf, die sich aus äußeren wie inneren Gründe herausgebildet haben, die aber lediglich (gemessen an paläontologischen Zeiträumen) zeitlich begrenzte Begleiterscheinungen sind, die von der Natur nicht um ihrer selbst willen in erster Linie und unmittelbar beabsichtigt werden. Diese Betrachtungsweise der Tatsachen stimme ihrer Meinung nach viel besser damit überein, was bis jetzt über die Gesetze, denen die „Rassen“ im Laufe von vielen tausend Jahren Evolution offensichtlich unterliegen, wissenschaftlich erforscht werden konnte. 40. Ganz und gar abzulehnen ist, was ferner behauptet wird über die natürliche Selektion, über den Kampf der Lebewesen untereinander, über das Recht desjenigen, der stärker ist, Dinge, derer sich die Natur selbst als Mittel bediene, um die Evolution des Menschengeschlechts zu lenken, und die die „Rassen“ nicht bloß anwenden könnten, sondern auf Betreiben und Geheiß der Natur auch anwenden müssten. Was nämlich Tiere natürlicherweise machen, wird genau wider die Absicht der Natur und ohne jedes Recht als Regel festgesetzt, die auch die Menschen in ihren Handlungen beachten können und sollen. Denn wenn der Mensch überlegt handelt, handelt er nicht seiner Natur gemäß, wenn er nicht zusätzlich zu den angeborenen Instinkten auch noch das Licht der Vernunft, durch die er die natürliche Beschaffenheit und das Maß der Dinge sowie das moralische Gesetz, das sich auf diese gründet, erkennen kann, und ebenso seinen freien Willen beachtet, nach dem er sich gemäß der Erfahrung richten soll. „Jene Stimme der Natur“, auf die sie sich immer wieder berufen, zeigt sich zwar beim Tier zur Gänze im Instinkt und im angeborenen Trieb, beim Menschen aber ist sie nur natürlich, wenn diese blinden Impulse durch vernünftiges Urteil und die Macht des Willens ergänzt werden. Wenn also jemand das Licht der Vernunft nicht achtet und die Handlungsweise, an der die Tiere unter Anleitung der Natur festhalten, als vollständig ausreichende Regel festgelegt hat, nach der auch die Menschen untereinander handeln sollen, so handelt er nicht nach der, sondern gegen die Natur; er macht den Menschen dem Vieh gleich und behandelt ihn wie Vieh. Die Natur handelt nicht so. Wenn außerdem unter den Menschen uneingeschränkter Selektion, rivalisierendem Kampf gegeneinander und dem sogenannten Recht des „Stärkeren“ Raum gegeben wird, so kann es niemandem entgehen, dass sehr häufig nicht die als Sieger hervorgehen, deren Anlage wirklich in körperlicher, geistiger und moralischer Hinsicht tüchtiger und besser ist, sondern die, die sich durch rohe körperliche Gewalt auszeichnen, jedes göttliche und menschliche Recht missachten und an Hinterlist, Betrug und an jeder Art von Verbrechen andere, die durch das Gebot des Gewissens vom Gebrauch dieser Mittel Abstand nehmen, übertreffen. Dem gesunden Verstand und der richtigen Ordnung widerspricht es aber, dass von der Natur ein solcher Weg und eine solche Vorgehensweise, die mit aller Kraft dem Verbrechen Tür und Tor öffnen, als Regel festgelegt worden sind, nach der die Menschen untereinander handeln sollen, und nach der das Menschengeschlecht fortschreiten und sich entwickeln soll. Dies gilt in gleicher Weise von den Einzelmenschen wie von den unterschiedlichen Menschenarten. 41. Doch auch nach der präzisen Darstellung der biologischen Interpretation, die nach den Prinzipien ebendieser Wissenschaft erfolgen musste, widersprechen die Behauptungen, die über den Primat des Blutes und der rassischen Anlage aufgestellt werden, in vielerlei Hinsicht dem gesunden Verstand und der christlichen Wahrheit. 42. Zuerst freilich kehren sie die Ordnung um, welche die Natur selbst festgelegt hat und die die menschliche Vernunft auf den ersten Blick erkennen kann; denn was auf die menschliche Natur zufällig einwirkt, setzen sie an die erste Stelle, was an ihr subs-

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tanziell ist, an die zweite. Die Verschiedenheit des Blutes nämlich und die spezifische Anlage des Blutes stellen lediglich eine zufällige Modifikation eben der menschlichen Natur dar, die in allen Völkern dieser Erde essenziell dieselbe ist. Wenn es daher um die Erforschung der Natur geht, so müssen die Gesetze und Prinzipien, die sich aus der Substanz der menschlichen Natur ergeben, an die erste Stelle gesetzt werden; danach können auf diese, die hinsichtlich ihrer Substanz immer unangetastet bleiben, diejenigen Gesetze und Prinzipien aufgebaut werden, die von den zufälligen Modifikationen des Blutes und der spezifischen Anlage herrühren. Die umgekehrte Vorgangsweise verstößt gegen die Weltordnung und den gesunden Verstand. Bei der Beurteilung der widersinnigen Behauptungen muss dennoch darauf geachtet werden, dass die Bezeichnung „spezifische Anlage“ nicht immer im selben Sinn verwendet wird: Bald bedeutet sie die spezifisch modifizierte gesamte Natur, bald nur die Modifikation, je nachdem sie von der modifizierten Natur unterschieden wird. Nur im zweiten Fall wird, wenn die „spezifische Anlage“ als Richtlinie festgelegt wird, nach der alles eingerichtet werden müsse, die Ordnung umgekehrt, von der oben die Rede war. 43. Daher erweist sich die Ansicht, die aufgrund der Unterschiede des Blutes und der spezifischen Anlage leugnet, dass die menschliche Natur essenziell (und substanziell) in allen Menschen dieselbe sei und dass daher alle Völker denselben Gesetzen und Prinzipien, die sich unmittelbar aus der Substanz der menschlichen Natur ergeben, unterliegen – und zwar essenziell auf dieselbe Art und im selben Grad –, schon allein im Licht der Vernunft als falsch und irrig. 44. Um vieles mehr tritt dies in der Offenbarung klar zutage, durch die wir lernen, dass alle Menschen durch dieselben Ureltern mittels natürlicher Fortpflanzung dieselbe menschliche Natur erhalten haben, dass alle dasselbe Ziel haben, auf das sie zustreben, dass allen derselbe Weg bestimmt ist, also dieselben göttlichen und natürlichen Gesetze, durch deren Beachtung sie zum Ziel gelangen. Diese offenbarte Lehre leugnet bei diesen Gesetzen weder zufällige spezifische Modifikationen, die der den Völkern eigentümlichen Anlage entsprechen, noch schließt sie sie aus; dennoch behauptet und beansprucht sie hinsichtlich der Substanz ihre Einheit und Gleichheit. 45. Nicht weniger verderblich ist auch der Irrtum, den sie über die Seele des Menschen, über ihre Abhängigkeit von Körper und Materie und über ihre Bedeutung und ihren Einfluss im Vergleich zum Körper teils offen verkünden, teils (sei es bewusst oder unbewusst) unterschwellig behaupten. 46. Manche sprechen über die Natur der Seele so, dass sie ihre Geistigkeit und essenzielle Verschiedenheit von der tierischen Seele zu leugnen oder in Zweifel zu ziehen scheinen; nicht wenige leugnen die Freiheit des Menschen offen. 47. Die meisten behaupten eine so große Abhängigkeit der menschlichen Seele von Blut und spezifischer Anlage der Rasse, dass sie sie wenn schon nicht als innere, so doch als äußere und gleichsam alles vereinnahmende Hauptsache festlegen. Alles Gute und Große, das der Mensch leisten kann, kann er aufgrund der angeborenen Anlage des Blutes; wenn er in irgendeiner Sache Defizite aufweist (in Wissenschaft, Kunst, Mut und Tapferkeit, beim Ertragen von Mühen etc. etc.), dann aufgrund der Anlage, die er erhalten hat, oder weil er die Entwicklung einer guten Anlage vernachlässigt hat, wenn er eine solche von den Vorfahren besitzt. Damit sich außerdem die Fähigkeiten der Seele entwickeln, muss insbesondere Sorge für Köper und Blut getragen werden. Da-

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nach ergeben sich aus natürlicher Notwendigkeit Kraft und Stärke der Seele. All das wird falsch oder übertrieben dargestellt. 48. Im Licht der Vernunft nämlich steht eine gewisse äußere Abhängigkeit vom Körper und der körperlichen Veranlagung fest und wurde auch von der christlichen Philosophie immer vertreten. Keineswegs aber ergibt sich daraus, Kraft und Aktivität der Seele nach der Vollendung und Tauglichkeit des Körpers zu bemessen; ebenso nehmen auch Harmonie und Schönheit der Musik letztendlich nicht Maß an der Qualität des Instruments, sondern an der Qualität und Kunstfertigkeit des Menschen, der das Instrument spielt. Das bestätigt auch die Erfahrung. Es gibt nämlich Menschen, die trotz körperlicher Gebrechlichkeit dennoch durch die Kraft der Seele viel vermögen, und es gibt andere, die zwar ein erbliches Defizit aufweisen, aber durch Erziehung, Unterricht und eigene Tatkraft gleiche Mühen und Strapazen wie Gesunde ertragen und bewältigen. 49. Wenn das für die profanen Künste und Wissenschaften gilt, so gilt es umso mehr für das religiöse und moralische Leben; dieses hängt nicht in erster Linie von der körperlichen Verfassung und der angeborenen Anlage ab, sondern (sofern es durch die Kräfte des Menschen allein bewältigt wird) von den Kräften der Seele. 50. Ebenso, wie sie Falsches über die Abhängigkeit der Seele vom Körper behaupten, ist auch falsch, was sie über die Rangfolge vorbringen, die zwischen Blut und Seele herrsche: Tatsächlich nämlich weisen sie Blut und körperlicher Anlage den ersten Platz zu, an den zweiten setzen sie die Seele. Es ist aber gegen den gesunden Verstand, den Primat dem niedriger stehenden Teil des Menschen zuzuweisen; und den untergeordneten Rang dem höher stehenden Teil. Die Seele ist der unsterbliche Geist, der mit dem Licht der Vernunft und dem freien Willen ausgestattet ist; der Körper ist nur stofflich, sterblich und mit blinden und notwendigen Kräften und Instinkten versehen. Was der gesunde Verstand über die Beziehung und Vorrangstellung der Seele sagt, führen die Worte Leos XIII. aus: „Bei weitem anders ist die Natur des Menschen (nämlich als die der Tiere). In ihm findet sich die gesamte und vollkommene natürliche Kraft des Tieres, und daher ist es dem Menschen von dieser Seite her sicher nicht weniger als jeder Tierart gegeben, sinnliche Genüsse zu erfahren. Doch die tierische Natur, mag sie auch in noch so vollkommener Weise vorhanden sein, ist weit davon entfernt, die menschliche Natur zu umgrenzen, vielmehr ist sie um vieles geringer als die menschliche Natur und dazu geboren, ihr zu gehorchen und zu dienen. Worin wir uns hervortun und auszeichnen, was uns zu Menschen macht und was uns gänzlich vom Tier unterscheidet, sind Geist und Vernunft.“ (Rerum novarum, 5).26 Wenn aber jemand die notwendige äußerliche Abhängigkeit der Seele vom Körper als Argument verwenden wollte, um dadurch die Vorrangstellung des Körpers vor der Seele zu beweisen, müsste er aus demselben 26

Die Enzyklika „Rerum Novarum“ wurde von Leo XIII. am 15.5.1891 veröffentlicht. Sie setzte sich erstmals mit der Arbeiterfrage auseinander und stellt als erste päpstliche Sozialenzyklika einen wesentlichen Bezugspunkt der katholischen Soziallehre dar (vgl. Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 8 f.; Knorn, Arbeit, S. 3). Die offizielle Übersetzung lautet: „Weit davon verschieden ist die Natur des Menschen. In ihm finden sich einerseits das Wesen des Tieres in seiner Ganzheit und Vollkommenheit, und so besitzt er wie dieses das Vermögen sinnlichen Genusses; aber seine Natur geht nicht in einer tierischen auf, mag man sich letztere in ihm noch so vervollkommnet denken; er erhebt sich hoch über die tierische Seite seiner selbst und macht diese sich dienstbar. Was den Menschen adelt und ihn zu der ihm eigenen Würde erhebt, das ist der vernünftige Geist; dieser verleiht ihm seinen Charakter als Mensch und trennt ihn seiner ganzen Wesenheit nach vom Tiere.“ (Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 44).

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Grund Speise, Trank und Luft den Vorrang vor dem gesamten Menschen geben, da der Mensch ohne sie auf dieser Erde weder leben noch handeln könnte. 51. Dass die Seele also mehr gilt als Körper und Blut, steht, auch wenn man nur die natürlichen Gegebenheiten betrachtet, bereits im Licht der Vernunft untrüglich fest. Um vieles mehr steht es in der übernatürlichen Ordnung und im Licht des Glaubens fest. Der Mensch hat durch die geistige Seele Anteil an der göttlichen Natur, worüber die Schrift spricht (2. Petr 1,4), und erfährt durch sie die heiligende Gnade; sie allein kennt die offenbarte Wahrheit und die Mysterien Gottes; für sie allein sind die Sakramente des Neuen Testaments bestimmt, für sie allein alle anderen Gnadenmittel; nur sie kann durch heilbringende Taten zum letzten übernatürlichen Ziel streben, der Schau Gottes, unmittelbar sie selbst wird durch diese Schau beglückt. Also spricht der Herr: „Denn was könnte es einem Menschen helfen, wenn er die ganze Welt gewönne, aber seine Seele einbüßte?“ (Mt 16, 26). 52. Diejenigen also weichen sehr von der Wahrheit, die sowohl durch das Licht der Vernunft als auch durch die Offenbarung deutlich wird, ab, die behaupten, dass die Völker und jeder Einzelne auf dieser Erde keine edlere oder notwendigere Pflicht hätten als sorgsam darauf zu achten, die Reinheit des Blutes unberührt zu erhalten und die spezifische Anlage der Rasse zu entwickeln und zu vollenden. Es ist nicht verboten, dass sich jemand um die edle Art des Blutes und um die spezifische Anlage seiner Rasse sorgt, ja auch sehr sorgt, solange das am rechten Ort und in der richtigen Abfolge geschieht, mit der gebührender Mäßigung und unter Wahrung der Vernunftgesetze und der Offenbarung. Denn sowohl durch die Vernunft als auch durch die Offenbarung werden wir belehrt, dass die Sorge um die unsterbliche Seele die erste Pflicht des Menschen in diesem irdischen Leben und unter den irdischen Taten ist. „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“27, lehrt uns Christus, und das Buch Kohelet beschreibt die wichtigste Pflicht im Leben des Menschen durch das Wort: „Fürchte Gott und halte seine Gebote! Denn das kommt jedem Menschen zu“. (XII, 13).28 53. Was mit so großer Leidenschaft und mit so großem Fanatismus verbreitet wird, dass nämlich eine einzige Rasse, also die arisch-nordische, mehr als alle anderen Rassen der Erde gelte, und dass allgemein unter den verschiedenen Rassen eine Rangordnung festgelegt sei, bedarf keiner genaueren Untersuchung. Selbst wenn es eine solche Hierarchie gäbe, und die arisch-nordische Rasse alle anderen Rassen durch Blut und naturgegebene Anlage überträfe, so ergibt sich daraus weder ihre Vorrangstellung in der menschlichen Natur, in Stärke und Würde der menschlichen Seele, noch irgendein Vorrecht vor Gott – nicht in dieser und auch nicht in der zukünftigen Welt. 54. Den Irrtum derer, die behaupten, dass die wahre Würde und Bedeutung des Menschen in der spezifischen Anlage des Blutes und der Rasse bestehe, widerlegen auch die Worte des Vorläufers29, durch die er eine ebensolche anmaßende Forderung mancher Juden entkräftet: „Und lasst euch nicht in den Sinn kommen, bei euch zu sagen: ‚Wir haben ja Abraham zum Vater.‘ Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus den Steinen hier Kinder zu erwecken“ (Mt 3.9). Ebenso widerlegt ihn die

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Zitat aus: Mt 6, 33. Zitat aus: Prediger 12,13. Gemeint: Johannes der Täufer.

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Unterweisung des Lehrers der Völker30, die er oftmals in seinen Briefen wiederholte: In Christus Jesus gibt es keine Unterschiede zwischen einzelnen Rassen, zwischen Juden und Nicht-Juden, sondern alle sind zu einem Volk Gottes, zu einem Glauben, zu einem Körper berufen. „Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr in Christus getauft worden seid, habt damit Christus angezogen. Da gibt es nun nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Knechte und Freie, nicht mehr Mann und Frau: Nein, ihr seid allesamt Einer in Christus Jesus“ (Gal III. 27–28). „Denn weder auf die Beschneidung noch auf das Unbeschnittensein kommt es an, sondern nur auf eine ‚neue Schöpfung‘“ (Gal VI. 15). „Ein Leib und ein Geist, wie ihr ja auch bei eurer Berufung aufgrund einer Hoffnung berufen worden seid; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ (Eph IV. 4–6). 55. Durch diese Worte will die Schrift die vielfältigen natürlichen Unterschiede, die unter Volksgemeinschaften und Menschen bestehen, weder leugnen noch verwerfen; doch sie lehrt nachdrücklich, dass man bei deren Beurteilung das rechte Maß anlegen muss, und sie hütet sich, sie über Gebühr hervorzuheben. Die Schrift lehnt es aber auch nicht ab, dass ein Volk über ein anderes herrscht oder die Herrschaft über es erlangt, solange es in gesetzlichem Rahmen geschieht, nicht in dem ungesetzlichen der natürlichen Selektion und des sogenannten Rechts des Stärkeren allein, das sehr oft lediglich maskierte Gewalt und Ungerechtigkeit bedeutet. 56. Sie begehen ferner einen ganz furchtbaren Fehler, wenn sie das gesamte gesellschaftliche Leben auf eben diesem Gesetz des Blutes und der spezifischen rassischen Anlage als ihrem obersten und letzten Prinzip aufbauen. Es steht fest, dass das Fundament des gesellschaftlichen Lebens Gerechtigkeit und Liebe ist, die sich beide nicht auf Blut und rassische Anlage gründen, sondern auf die persönliche Vernunft, die der Mensch besitzt, auf seine besondere Verbindung mit Gott und ebenso auf das natürliche wie auf das positive Recht. Daher ist nicht für Blut und rassische Anlage Sorge zu tragen, sondern vor allem dafür, Gerechtigkeit und Liebe zu wahren und zu vollenden. Wenn das getan ist, wird auch Blut und Anlage nicht fehlen, was ihnen gebührt. 57. Wer außerdem Blut und Anlage der Rasse als oberste Regel des gesellschaftlichen Lebens festlegt, verstößt auch deswegen gegen die richtige Ordnung, weil er vernachlässigt oder leugnet, dass auch im gesellschaftlichen Umgang alles dem letzten Ziel und dem höchsten Gut untergeordnet und nach seiner Beziehung zu diesem letzten Ziel bemessen werden muss. Der übernatürlichen Ordnung aber handelt er darüber hinaus auch dadurch zuwider, dass er überhaupt nicht auf die Güter der übernatürlichen Ordnung achtet, oder wenn er auf sie achtet, er sie den natürlichen Gütern hintanstellt. Diesen Irrtum widerlegte Pius X. in der Enzyklika „Singulari quadam“ mit folgenden Worten: „Es ist dem Christen, was immer er tut, auch in der Ordnung der irdischen Dinge, nicht erlaubt, die übernatürlichen Güter zu vernachlässigen, vielmehr muss er alles auf das höchste Gut als sein letztes Ziel hinordnen gemäß den Vorschriften der christlichen Weisheit.“31 30 31

Gemeint: Paulus. Die Enzyklika „Singulari quadam“ von Pius X. wurde am 24.9.1912 veröffentlicht. Sie setzte sich mit der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland auseinander und duldete in engen Grenzen die Mitgliedschaft katholischer Arbeiter in interkonfessionellen Gewerkschaften (vgl. Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 9 f.). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Was immer der Christ

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58. Wenn das gesamte gesellschaftliche Leben auf einem falschen Fundament beruht, das der Natur und der Gnade widerspricht, dann verwundert es nicht, dass auch die einzelnen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens falschen Prinzipien unterliegen. Um konkreter zu werden: Sie irren darin, was sie über das Zeugen von Nachkommen und über die Ehe behaupten. Das oberste Gesetz, das auch die Fortpflanzung lenkt, ist nicht die Kraft der Rasse und die Vereinigung edlen Blutes – auch wenn man diesem untergeordneten Ziel die gebührende Sorge und Bedeutung geben kann und soll –, sondern die Erhaltung des Menschengeschlechts oder (wie in der Enzyklika „Casti connubii“ ausgedrückt32) die Fortpflanzung „des Menschen“, der „durch seine bloße Vernunft, die seine Natur auszeichnet, alle übrigen sichtbaren Geschöpfe übertrifft. Hierzu kommt noch, dass Gott will, dass die Menschen sich fortpflanzen, nicht nur um zu existieren und die Erde zu erfüllen, sondern vielmehr, um Gott zu verehren, zu erkennen, zu lieben und sich seiner dereinst im Himmel ewig zu erfreuen“ (Nr. 13).33 Dieses würdige Ziel wird um die übernatürliche Ordnung erweitert, worüber dieselbe Enzyklika fortfährt: „Die christlichen Eltern aber mögen außerdem bedenken, dass es nicht nur ihre Bestimmung ist, das Menschengeschlecht auf Erden zu vermehren und zu erhalten, auch nicht nur, Verehrer des wahren Gottes heranzuziehen, sondern der Kirche Christi Nachkommen zu schenken, die Gemeinschaft der Heiligen und die Gefolgschaft Gottes zu mehren, damit das dem Dienst an Gott und unserem Erlöser geweihte Volk von Tag zu Tag zunehme“ (Nr. 14).34 Das gilt ebenso, und die genannte Enzyklika betont es ausdrücklich, in Bezug auf Nachkommen, welche die Eltern schuldlos behindert zur Welt brachten: Gesetz und Ziel der Fortpflanzung werden nicht verletzt; die Menschen nämlich werden „vor allem nicht für die Welt und die Zeit, sondern für den Himmel und die Ewigkeit geboren“ (a. a. O., Nr. 6835).36

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tut, auch in der Ordnung der irdischen Dinge, es steht ihm nicht frei, die übernatürlichen Güter außer Acht zu lassen, er muss vielmehr den Vorschriften der christlichen Lebensweisheit gemäß zum höchsten Gut, als dem letzten Ziel, alles hinordnen.“ (Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 92). Die Enzyklika „Casti connubii“ von Pius XI. wurde am 31.12.1930 veröffentlicht und beschäftigte sich mit der katholischen Ehe- und Sexuallehre. Insbesondere verurteilte sie jede Form der Empfängnisverhütung, Abtreibung und direkten Sterilisation (vgl. Sartory/Sartory, Strukturkrise, S. 35 f.; Richter, Katholizismus, S. 259–267). Sie spielte bereits vor 1933 in Deutschland eine wichtige Rolle in der Diskussion eugenischer Fragen. Von katholischen Eugenikern wurde ausgeführt, dass sie keineswegs jede Eugenik verbieten würde, auch die katholische Zentrumspartei fühlte sich nicht in vollem Umfang daran gebunden (vgl. Muckermann (Hg.), Ehe-Enzyklika, S. 4; Grosch-Obenauer, Muckermann, S. 12; Dietrich, Eugenics, S. 579, 583 f.; Richter, Katholizismus, S. 77, 176, 267–287; Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 132 f.). In der offizielle Übersetzung lautet die Stelle: „Der Mensch überragt ja schon durch seine bloße Vernunft die ganze übrige sichtbare Schöpfung. Hierzu kommt noch, dass Gott die Menschen werden lässt, nicht nur damit sie da sind und die Erde erfüllen, sondern noch viel mehr, damit sie Verehrer des wahren Gottes seien, ihn erkennen und lieben und sich dereinst im Himmel seines beseligenden Besitzes ewig erfreuen.“ (Pius XI., Rundschreiben (1931), S. 8). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Die christlichen Eltern mögen außerdem bedenken, dass es nicht nur ihre Aufgabe ist, für die Erhaltung und Ausbreitung des Menschengeschlechtes auf Erden zu sorgen, ja nicht einmal, nur irgendwelche Verehrer des wahren Gottes heranzuziehen, sondern der Kirche Christi Nachkommenschaft zuzuführen, die Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes zu mehren, damit das dem Dienste Gottes und unseres Erlösers geweihte Volk von Tag zu Tag zunehme.“ (Pius XI., Rundschreiben (1931), S. 8 f.). Tatsächlich handelt es sich um Punkt 69 der Enzyklika. In der offizielle Übersetzung lautet die Stelle: „[…] dass die Menschen nicht an erster Stelle für die

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59. Daher stellt sich die Behauptung als völlig falsch heraus, dass es ein ganz schlimmes Verbrechen sei, das Blut der eigenen Rasse mit dem Blut einer anderen minderwertigen Rasse zu vermischen, und zwar einzig und allein aufgrund der Blutsvermischung. Natürlich können Gründe dafür vorliegen und tun es auch nicht selten, warum von einer Ehe und Blutsvermischung zwischen Personen verschiedener rassischer Anlage abgeraten, ja sie sogar verboten werden sollte; doch ein solches Verbot ist nicht das oberste Naturgesetz von der Reinheit des Blutes und der Nicht-Vermischung der rassischen Anlage; dieses Gesetz existiert überhaupt nicht. 60. Ebenso muss man die aus demselben grundlegenden Prinzip abgeleiteten Forderungen bezüglich der Eugenik ablehnen, die die eugenische Sterilisation betreffen, sowie das Verbot einer fruchtbaren Ehe für alle, die keine starken und gesunden Nachkommen zeugen können, mögen sie auch zu einer Ehe befähigt sein. Eine autoritative Ablehnung jeglicher eugenischer Sterilisation findet sich in der Enzyklika „Casti connubii“ (Nr. 68–71), und diese Ablehnung wird in dem Dekret des Hl. Offiziums vom 18. März 193137 wiederholt; außerdem in der Ansprache des Papstes vom 24. Dezember 193338, in der er deutlich verkündet hat, dass in den beiden authentischen Dokumenten, also der Enzyklika „Casti connubii“ und dem Dekret des Hl. Offiziums, ausreichend dargelegt und enthalten sei, wie die Gläubigen und die Hirten der Gläubigen dazu stehen und woran sie sich halten sollen. Schließlich wird dasselbe in einem Artikel der Zeitung „L’Osservatore Romano“ Nr. 157 vom 9.-10. Juli 1934 erörtert.39 Unter Berufung auf die ausdrückliche Befugnis, diesen Artikel zu verfassen, wird die anmaßende Behauptung eines Theologieprofessors aus Deutschland, dass das bekannte Gesetz über die Sterilisation mit der Enzyklika in Einklang gebracht werden könne, insgesamt für falsch und nicht fundiert erklärt.40

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Zeit und die Erde, sondern für den Himmel und die Ewigkeit geboren werden.“ (Pius XI., Rundschreiben (1931), S. 30). Gemeint ist das Dekret des Heiligen Offiziums in Rom vom 21.3.1931, nach dem die Sterilisation „völlig verwerflich und für falsch und verurteilt zu erachten sei“ (vgl. AAS, XXIII, S. 118 f.; Muckermann, Ehe-Enzyklika, S. 4; Nowak, Euthanasie, S. 110; Richter, Katholizismus, S. 291). Papst Pius XI. hatte auf Anraten des deutschen Episkopats seine Weihnachtsansprache deutlich abgeschwächt und das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nur indirekt kritisiert, sich hingegen scharf gegen die vermehrten Kontakte verschiedener Regierungen zur Sowjetunion gewandt (vgl. Stehle, Geheimdiplomatie, S. 166; Richter, Katholizismus, S. 403). Die Behauptung, dass sie zur Erbitterung des Papstes dennoch in der deutschen Presse völlig unterdrückt worden sei, trifft allerdings nicht zu. Der Bayerische Kurier hat sie mit Verweis auf eine ausdrückliche Genehmigung des Propagandaministeriums veröffentlicht. Der Text enthält auch die hier angesprochene Bekräftigung der beiden genannten Dokumente (vgl. Bayerischer Kurier, 77. Jg., Nr. 363, 29.12.1933). Ein solcher Artikel findet sich in der angegebenen Ausgabe des L’Osservatore Romano nicht, die sich vielmehr mit den Ereignissen in Deutschland rund um den „Röhm-Putsch“ beschäftigt. Gemeint ist der katholische Moraltheologe Joseph Mayer. Er zählte auf katholischer Seite zu den umstrittensten Exponenten der Eugenik-Diskussion in der Weimarer Republik. Mit seiner Schrift Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker (1927) stand er völkischen und nationalsozialistischen Vorstellungen nahe. Dementsprechend verteidigte er das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Besonderes Aufsehen erregte sein Artikel „Zum Gesetz gegen erbkranken Nachwuchs“, der am 13.8.1933 in der katholischen Tageszeitung Germania erschien (vgl. Dietrich, Eugenics, S. 587 f.; Richter, Katholizismus, S. 207–227, 327 f.). Anfang der 1930er Jahre hat allerdings insgesamt die katholische Haltung zu Fragen der Bevölkerungspolitik bei allen Vorbehalten zunehmend auch eugenische und damit „qualitative“ Überlegungen einbezogen, auch das katholische Zentrum vollzog 1932 eine deutliche Wende (vgl. Richter, Katholizismus, S. 71–73, 288–311). Ende Mai 1933, im Vorfeld des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das am 14.7.1933 be-

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Das Verbot einer fruchtbaren Ehe, das nur der Verhinderung behinderter Nachkommen dienen soll, hat Papst Pius XI. in derselben Enzyklika zurückgewiesen, sofern jene, denen eine Ehe deswegen verweigert wird, zur Ehe und nicht nur zur Fortpflanzung – (was auch Verrückten möglich ist) – fähig sind. Die Ablehnung wird damit begründet, dass jeder Mensch, der zur Ehe fähig ist, vom Schöpfer das Recht auf Ehe erhalten hat, das ihm von keinem menschlichen Gesetz gänzlich genommen werden kann, wie auch bereits Leo XIII. verkündet hat (vgl. „Casti connubii“, Nr. 8). 61. Falsch und verderblich muss auch genannt werden, was sie als oberste Richtlinie der Erziehung festlegen. Die wahren und richtigen Prinzipien der Erziehung der Jugend findet man in der Enzyklika „Divini illius Magistri“ Pius’ XI. (vom 31. Dezember 1929) dargelegt41; dass sie in vielem in direktem Widerspruch zu den rassischen Behauptungen und Forderungen stehen, ist für den Leser leicht ersichtlich. Mit dieser Enzyklika kann man nicht in Einklang bringen, was jene behaupten: Die Jugend müsse vor allem über die absolute Vorrangstellung des Blutes und der Rasse unterrichtet werden; bei der Erziehung müsse die Ausbildung des Körpers mehr Bedeutung haben als die der Seele; die Jugend müsse mit dem „Rasse“-Geist vertraut gemacht werden, damit sie ihn wirklich für das Allerheiligste halte und sich ihm voll und ganz weihe; ferner habe die Staatsgewalt als Lenkerin der Geschicke der „Rasse“ das vollste Recht auf die Erziehung der Jugend, das vor allem anderen gelte (Eltern und Kirche nicht ausgenommen); ihr allein stehe das Schulmonopol zu; sie allein müsse bestrebt sein, die schulische Einrichtung ganz und gar in den Dienst des spezifischen „Rasse“Geistes und -Instinkts zu stellen und dergleichen mehr. 62. Wie sehr das als falsch bezeichnet werden muss, drückt mit klaren Worten die oben angeführte Enzyklika über die christliche Erziehung der Jugend aus: „Weil jede Erziehungsmethode auf die Bildung des Menschen ausgerichtet ist, die er in diesem sterblichen Leben erlangen soll, um das ihm vom Schöpfer bestimmte höchste Ziel zu erreichen, ist es klar ersichtlich, dass es keine echte Erziehung geben kann, die nicht ganz auf das letzte Ziel hingeordnet ist, und ebenso, dass es in der gegenwärtigen, durch die Vorsehung Gottes eingerichteten Weltordnung – nachdem sich also Gott in seinem Eingeborenen, der allein ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ ist, offenbart hat –

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schlossen wurde, hatte sich auch der bayerische Kardinal Faulhaber der nationalsozialistischen Terminologie und Deutung der „Blutsgemeinschaft“ und deren eugenischen Implikationen angenähert. Konsequenterweise konnte sich der deutsche Klerus bei aller Ablehnung der Zwangssterilisation zu keinem größeren Protest entschließen, als das Gesetz am 1.1.1934 in Kraft trat (vgl. Richter, Katholizismus, S. 374–377, 391–418; Simon, Kriminalbiologie, 252 f.; Leugers, Faulhaber, o. S). Die Anspielung auf Mayer ist keineswegs zufällig, hatte doch Franz Hürth, der Autor der zweiten vatikanischen Studie über den Nationalsozialismus, mit ihm in den vorangegangenen Jahren wiederholt Konflikte etwa bei der Frage der medizinisch indizierten Abtreibung und vor allem der Sterilisation ausgetragen (vgl. Dietrich, Eugenics, S. 588; Richter, Katholizismus, S. 142–145, 218 f., 401; S. 77–79). Die Enzyklika „Divini illius Magistri“ von Pius XI. wurde am 31.12.1929 veröffentlicht und beschäftigte sich mit Blick auf das faschistische Italien und das bolschewistische Russland grundlegend mit Fragen des Erziehungsrechts der katholischen Kirche und des Bildungsanspruchs des Staates. Sie gilt als die „Magna Charta“ der katholischen Pädagogik (vgl. Schmitz-Stuhlträger, Recht, S. 300 f.).

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keine vollständige und vollkommene Erziehung geben kann, es sei denn die christliche“ (Nr. 5).42 Ebendort wird mit deutlichen und höchst feierlichen Worten die Vorrangstellung, die der Staat bei der Erziehung der Jugend vor Kirche und Familie beansprucht, abgelehnt; es wird gelehrt und festgelegt, dass das Erziehungsrecht vorrangig der Kirche und der Familie zusteht, auch wenn das Recht der Eltern der Fürsorge der Kirche und des Staates unterstellt ist; das vom Staat beanspruchte Monopol auf die Schulen wird zurückgewiesen. 63. In derselben Enzyklika wird auch die übertriebene Bedeutung und Wichtigkeit, die sie der körperlichen Ertüchtigung zuschreiben, abgelehnt: „In dieser unserer Zeit“, mahnt der Papst, „in der ein unmäßiger und falscher Nationalismus als Feind des wahren Friedens und des Wohlergehens sich immer weiter verbreitet, wird bei der sogenannten körperlichen Ertüchtigung der jungen Männer (und manchmal auch, im Widerspruch zur menschlichen Natur, der jungen Frauen) oft jegliches Maß überschritten, indem diese Ertüchtigung nach militärischer Art erfolgt; oft beansprucht sie, sogar am Tag des Herrn, zu viel von der Zeit, die den religiösen Pflichten und dem frommen häuslichen Leben gewidmet sein sollte. An dieser Stelle wollen Wir nicht die richtige disziplinäre Einstellung und die rechte geistige Kühnheit tadeln, wohl aber alles Maßlose, wie den Geist der Gewalttätigkeit, der freilich etwas anderes ist als der Mut des Herzens und der edle Sinn militärischer Tapferkeit zur Verteidigung von Vaterland und öffentlicher Ordnung; ebenso missbilligen Wir hier die allzu große Wertschätzung und Anerkennung des Sports, die auch zu heidnischen Zeiten Entartung und Niedergang echter körperlicher Erziehung nach sich zogen“ (Nr. 39).43 Was sie ferner von der edlen Reinheit des Blutes und der besten rassespezifischen Anlage als der notwendigen, aber auch ausreichenden Quelle aller Tugenden, mit denen die Jugend vertraut gemacht und in denen sie gebildet werden müsse, behaupten: All das widerspricht dem katholischen Dogma von der Erbsünde und dem aufrührerischen Verlangen und der Verderbtheit der menschlichen Natur, welche der Erbsünde entspringen, von denen kein Mensch, mit Ausnahme der Heiligen Jungfrau Maria, frei ist und 42

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In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Da die Erziehung ihrem Wesen nach in der Bildung des Menschen besteht, wie er sein und im Diesseits seine Lebensführung gestalten soll, um das erhabene Ziel zu erreichen, für das er geschaffen ist, so ist es klar, dass es keine wahre Erziehung geben kann, die nicht ganz auf das letzte Ziel hingerichtet ist, und dass es darum in der gegenwärtigen Ordnung der Vorsehung, nachdem Gott sich uns in seinem eingeborenen Sohne geoffenbart hat, der allein ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ ist, keine angemessene und vollkommene Erziehung außer der christlichen geben kann.“ (Pius XI., Rundschreiben (1930), S. 9). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Es dürfte nicht unnütz sein, diese Bemerkung hier eigens zu wiederholen, weil in unseren Tagen (in denen ein ebenso übertriebener wie falscher Nationalismus, ein Feind des wahren Friedens und der Wohlfahrt, sich immer breiter macht) die rechten Grenzen leicht überschritten werden, indem man die sog. körperliche Ertüchtigung der Jungmänner (und zuweilen auch, entgegen dem Sinn der Natur, der Jungmädchen) in militärischer Form vorschreibt und oft noch am Tag des Herrn über Gebühr die Zeit in Anspruch nimmt, die den religiösen Pflichten und dem Heiligtum der Familie gewidmet sein sollte. Im Übrigen beabsichtigen Wir nicht, das etwaige Gute zu tadeln, das bei solchen Methoden im Geiste der Zucht und der sich in geordneten Grenzen haltenden Kühnheit liegt. Wir wollen bloß jede Ausschreitung brandmarken, wie z. B. den Geist der Gewalttätigkeit, der nicht mit dem Geist der Stärke, noch mit der edlen soldatischen Tapferkeit in Verteidigung des Vaterlands und der öffentlichen Ordnung zu verwechseln ist, oder die Übertreibung des Sports, die auch für das heidnische klassische Altertum die Entartung und den Verfall echter körperlicher Erziehung bezeichnete.“ (Pius XI., Rundschreiben (1930), S. 39).

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die er auch durch eigene Kraft und Tugend des Blutes allein nicht überwinden kann. Dass auf die Gebrechlichkeit und Verderbtheit dieser Natur besonders bei der Erziehung der Jugend Rücksicht genommen werden muss, fordert dieselbe Enzyklika Pius’ XI. über die christliche Erziehung der Jugend aufs Nachdrücklichste ein. 64. Was den rechtlichen Bereich betrifft, so lehrt schon die Vernunft, dass die privaten Rechte der Menschen, ebenso das öffentliche Recht wesensgemäß und in der Hauptsache nicht in der Beschaffenheit des Blutes und in der spezifischen Anlage der Rasse begründet sind, sondern eben in der Natur des vernunftbegabten Menschen, so wie auch die Person einzigartig und in ihrem Wesen sozial ist. Darin stimmt die Lehre der christlichen Philosophie und Theologie völlig überein, und die Päpste haben es oftmals verkündet. Es ist hilfreich anzuführen, was Paul III., Urban VIII., Benedikt XIV. und Gregor XVI. festlegten, um das natürliche Recht der Schwarzen auf Leben, Freiheit, Frau und Kinder und auf zeitliche Güter zu verteidigen44; ebenso, was Leo XIII. in verschiedenen Enzykliken über den Ursprung und die Natur des Staates, die wahre Freiheit, das Eherecht etc. etc. lehrte. Dass die oberste Richtlinie auch bei der Wirtschaftsordnung nicht der Primat des Blutes und der rassischen Anlage ist, sondern dass als verbindliches Prinzip die Gerechtigkeit, insbesondere die sogenannte „soziale“, festgesetzt werden muss, steht in „Rerum novarum“45 Leos XIII. und in „Quadragesimo anno“46 Pius’ XI. 65. Diese authentischen Dokumente der Päpste berufen sich nicht auf die Anlage des Blutes und auf den Rasse-Typ, sondern auf die menschliche Natur, die individuell und sozial zugleich ist, und auf das Gesetz und den Willen Gottes, der der Schöpfer dieser Natur ist. Gestützt auf dieses Fundament und auf ihre höchste Autorität stärken und bestätigen sie die Rechte und Pflichten, die sich aus der zweifachen Anlage der menschlichen Natur ergeben: das Recht auf Leben und Lebensunterhalt, das Recht auf Zusammenkunft, das Recht auf die wahre Religion, das Recht auf Ehe und Familie; das Recht auf persönliche Freiheit, das Recht auf Eigentum; ebenso das Recht der Staatsgewalt festzulegen, was für das Gemeinwohl nötig ist, das heißt das Recht, eine bürgerliche Gesellschaft zu leiten, das Recht, Gesetze zu beantragen, das Recht, Steuern einzuheben, das militärische Einberufungsrecht; das Recht, vor Gericht Zivil- und Strafprozesse zu führen; das Recht zu strafen; das allgemeine Recht zu überwachen, dass das wahre irdische Gemeinwohl nicht durch unrechtmäßige Handlungen von Bürgern oder anderen gefährdet wird oder Schaden nimmt. 66. Dass man trotzdem Blut und spezifische rassische Anlage berücksichtigen kann und muss und tatsächlich tut, wird weder durch diese Dokumente noch durch die Natur der Dinge verboten oder geleugnet. Die Geschichte bezeugt eine vielfache und sehr weitreichende derartige Rechtsanpassung, ebenso die Enzykliken der Päpste. Denn dasselbe, was in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ (Nr. 49) über die verschiedenen Formen, die „Eigentum“ im Lauf der Jahrhunderte annehmen konnte, ausgesagt wird, 44 45 46

Gemeint ist etwa die Bulle „Sublimis Deus“ (1537) von Papst Paul III., in der das Menschsein, die Rechte sowie die Glaubensfähigkeit der Indios betont werden (vgl. Delgado, Konflikt, S. 89). Vgl. Anm. 26. Die Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Pius XI. wurde am 15.5.1931 aus Anlass des vierzigjährigen Jubiläums der Enzyklika „Rerum Novarum“ veröffentlicht. Sie geht über die in „Rerum Novarum“ angesprochene Arbeiterfrage hinaus und setzt sich mit Blick auf die Klassengesellschaft mit der modernen Gesellschaftsordnung insgesamt auseinander (vgl. Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 11).

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kann auch über die veränderliche und veränderte Form anderer Rechte gesagt werden. Dennoch muss immer unangetastet bleiben, dass die spezifische Anlage der Rassen nicht die ursprüngliche Grundlage ist, von der das Wesen und die Gegebenheit der Rechte herrühren, sondern lediglich47 der Grund für deren zufällige Verschiedenheit. 67. In jeder Hinsicht ist zurückweisen, dass sie sogar die Religion, sofern sie direkt oder indirekt nach außen sichtbar wird oder das gesellschaftliche Leben berührt, ihren Lehren von der Vorrangstellung des Blutes und der rassischen Anlage unterordnen wollen und es auch versuchen. Dieses Bestreben, auch wenn es sich lediglich um die natürliche Religion handelte, ist als irrig und verderblich zu bezeichnen. Denn die Religion liegt als natürliche Pflicht, die sie nun einmal ist, keineswegs in der Anlage des Blutes und der Rasse begründet und wird durch sie auch nicht gelenkt, sondern in der unendlichen Erhabenheit Gottes und in der vollständigen Abhängigkeit des Menschen und der menschlichen Natur von ihm48; dieses Fundament ist in jeder Hinsicht dasselbe, egal wie die Eigenheit des Blutes und der rassischen Anlage beschaffen ist. Vielmehr zeigt sich die Unwahrheit jenes Bestrebens in der übernatürlichen Ordnung. Die übernatürliche Religion wird hinsichtlich der Glaubenswahrheiten, des Kultes und aller religiösen und moralischen Praktiken einzig durch das Wort und das Gesetz Gottes bestimmt, dem sich der Mensch uneingeschränkt und ohne Vorbehalt beugen soll. Dass die christliche Religion aber als oberstes Gesetz die edle Art des Blutes und die spezifische rassische Anlage nicht zulässt, muss nicht erst mit vielen Worten dargelegt werden. Innerhalb der göttlichen Bestimmungen und Grenzen der christlichen Religion aber kann auch eine angemessene Sorge und Pflege der Rasse stattfinden; sie muss aber dem Gesetz Gottes untergeordnet sein und nicht umgekehrt das Gesetz Gottes und die Religion dem Blut und der Anlage. 68. Die Anhänger der Rasse-Theorie irren in vielfacher Weise darin, was sie über den Staat behaupten, über seinen Ursprung, sein Ziel, seine Regierungsform und im Speziellen über seine „Totalität“; also über sein Recht, uneingeschränkt zu befehlen und zu herrschen. Der Ursprung des staatlichen Gemeinwesens liegt nicht, wie jene es wollen, in gemeinsamem Blut und spezifischer Anlage der Rasse als ursprünglichem und uranfänglichem Grund, sondern in der menschlichen Natur selbst, die allen Menschen gemeinsam und in allen substanziell dieselbe ist. So lehrt es mit bestens bekannten Worten Leo XIII. in seiner Enzyklika „Immortale Dei“49 (1. November 1885): „Von Natur aus ist es dem Menschen angeboren“, sagt er, „in der bürgerlichen Gesellschaft zu leben: Da er nämlich in der Vereinzelung die für das Leben notwendigen und erforderlichen Mittel, ebenso auch die Vollendung des Geistes und Gemütes nicht erlangen kann, ist es von Gott bestimmt, dass er ein Leben in häuslicher und auch bürgerlicher Gemeinschaft führt, die allein seine Lebensbedürfnisse hinlänglich erfüllen kann.“50 47 48 49

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Das Wort „lediglich“ (non nisi) handschriftlichen hinzugefügt. Gemeint: Gott. Die Enzyklika „Immortale Dei“ von Leo XIII. wurde am 1.11.1885 veröffentlicht. Sie stellt die katholische Staatslehre dar und bezieht dabei vor allem Stellung gegen das liberale Freiheitsverständnis und die davon abgeleitete Staatsauffassung, anerkannte dabei jedoch, dass sowohl die kirchliche als auch die staatliche Gewalt auf ihre Art jeweils eine „höchste“ Gewalt darstellen (vgl. Zilkens, Christentum, S. 74; Rhonheimer, Christentum, S. 140 f.). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Es ist dem Menschen angeboren, in der bürgerlichen Gesellschaft zu leben. In der Vereinzelung ist ihm weder die notwendige Pflege und Verschönerung

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Daraus ergibt sich, dass es auch nicht das alleinige und oberste Ziel des Staates sein kann, für das Wohl des „Blutes und der rassischen Anlage“ zu sorgen, sondern dass es sein Ziel sein muss, „das Gemeinwohl auf Erden zu fördern.“ „Dieses Ziel aber“, – so die Enzyklika „Divini illius Magistri“ Pius’ XI., „das Gemeinwohl der irdischen Ordnung also, besteht in Friede und Sicherheit, welche Familien und jeder einzelne Bürger im Gebrauch ihrer Rechte genießen51, und zugleich im geistigen und materiellen52 Wohlstand, wie er sich jedenfalls in diesem Leben durch gemeinsame Bemühung aller bestmöglich53 erreichen lässt“ (Nr. 36).54 Gemäß diesen Worten des Papstes beruht das „Gemeinwohl“ in der Tat nicht darauf, die Anlage des Blutes und der Nachkommen emporzuheben und zu entwickeln. 69. Daher kann auch das Ziel der Staatsgewalt, welches darin liegt, die Untergebenen erfolgreich zum Ziel der bürgerlichen Gesellschaft hinzulenken, nicht in der vornehmlichen Sorge um Blut und angeborene Anlage liegen. – Dass ferner die Staatsgewalt ihren Ursprung nicht im Rasse-Instinkt und dem Recht des Stärkeren hat, lehren die rechte Vernunft und verschiedene päpstliche Enzykliken; vielmehr wird durch die Vorgangsweise, auf die sich Anhänger der Rasse-Theorie berufen, also auf die natürliche Selektion, die sich aus der Überlegenheit größerer Stärke und Kraft ergibt, die Rechtmäßigkeit nicht einmal zum Vorwand genommen, um durch sie eine Person, die im Besitz der Macht sein soll, zu bestimmen; das ist schon daraus ersichtlich, dass eine solche Selektion oft nur unter schwersten Ungerechtigkeiten und mit schmählichem Betrug zustande kommt. Darüber hinaus verwarf die Kirche den Satz: „Das Recht besteht in der realen Tatsache, … und alle menschlichen Taten haben Rechtskraft“; und einen weiteren Satz: „Eine erfolgreiche, aber ungerechte Tat bringt der Heiligkeit des Rechtes keinen Schaden.“ (Syll[abus errorum] Pius’ IX., prop[ositiones] 60 und 62).55 Über den wahren Ursprung der Staatsgewalt lehrt Leo XIII. Folgendes: „Weil aber eine Gesellschaft nur bestehen kann, wenn einer an ihrer Spitze steht und einen jeden erfolgreich und auf ähnliche Weise dahin lenkt, ein gemeinsames Ziel anzustreben, so ergibt sich für die bürgerliche Gemeinschaft der Menschen die Notwendigkeit einer Gewalt, welche sie regiert: wie die Gesellschaft selbst, hat auch sie ihren Ursprung in der Natur und somit in Gott selbst … Wer immer ein Herrscherrecht besitzt, hat es von

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des Lebens, noch auch die Ausbildung des Geistes und des Herzens erreichbar. Deshalb hat die göttliche Vorsehung es so angeordnet, dass er in eine innige Vereinigung und Gemeinschaft mit Menschen hineingeboren wird, die häusliche wie die bürgerliche.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 576). Die Wendung „Rechte genießen“ (iuribus fruantur) handschriftlich hinzugefügt. Das fehlende Wort „rerum“ wurde sinngemäß ergänzt. Die Wendung „durch gemeinsame Bemühung aller bestmöglich“ (simulque in maxima, quae in mortali hac) handschriftlich hinzugefügt. In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Dieser Zweck, das Gemeinwohl natürlicher Ordnung, besteht in Friede und Sicherheit, wovon dann die Familie und der Einzelbürger für den Gebrauch ihrer Rechte Gewinn haben, und zugleich im Höchstmaß geistigen und materiellen Wohles, soweit es sich durch einträchtige und geordnete Zusammenarbeit aller in diesem Leben verwirklichen lässt.“ (Pius XI., Rundschreiben (1930), S. 35) Tatsächlich handelt es sich um die Propositiones 59 und 61. Ein „Syllabus errorum“, eine Liste von Irrtümern, wurde erstmals 1864 gegen alle „gefährlichen“ Strömungen der Moderne veröffentlich. Seither war ein Syllabus ein ergänzendes Instrument des Vatikans zu Enzykliken (vgl. Wolf, Papst, S. 279).

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keinem andern empfangen als von Gott, dem Herrscher über alle. ‚Es gibt keine staatliche Macht, außer von Gott‘“ („Immortale Dei“).56 70. Als falsch und irrig muss auch das verworfen werden, was sie aufgrund der erfundenen Prinzipien ihrer Lehre über die Regierungsform des Staates behaupten, die nach dem Gesetz der Natur nur die Alleinherrschaft eines Führers, niemals aber die Demokratie sein könne, wobei sie insbesondere jede Art von Parlamentarismus im eigentlichen Sinn ablehnen, also eine Abgeordnetenkammer, die entscheidendes Stimmrecht besitzt. Als Grund führen sie an, dass die Natur nur den zur Vormachtstellung führen wolle und könne, der sich durch die natürlichen Mittel des Lebenskampfes und der natürlichen Selektion als tapferer und stärker als die anderen erwiesen hat. Dem steht entgegen, was Leo XIII. über die Regierungsform meint und in folgende Worte fasst: „Die Herrschergewalt ist aber an sich nicht notwendigerweise mit irgendeiner Staatsform verknüpft: sie kann die eine oder andere Form annehmen, wenn diese nur das gemeinsame Wohl und Gedeihen wirksam fördert“ 57, und in derselben Enzyklika an anderer Stelle: „Keine der unterschiedlichen Staatsformen ist an und für sich zu tadeln, da sie keine Widersprüche zur katholischen Lehre aufweisen und, wenn sie weise und gerecht eingesetzt werden, das Gemeinwesen in bestem Zustand erhalten können. Auch ist an sich durchaus nicht zu tadeln, dass sich das Volk in größerem oder kleinerem Umfang am Staat beteiligt: Eben das kann zu bestimmten Zeiten und unter bestimmter Gesetzeslage den Bürgern nicht nur Vorteile bringen, sondern sogar zu ihrer Pflicht werden“ („Immortale Dei“).58 Auf jene Darstellung der christlichen Wahrheit Leos XIII. pochte Pius X. in seinem Schreiben „Dès le début“ gegen die Sillon-Bewegung vom 25. August 1910, in dem er den Sillonisten zum Vorwurf macht, dass sie entgegen den bekannten Worten Leos XIII. nur eine einzige Regierungsform als rechtmäßig zulassen wollten und alle anderen außer der Demokratie verwarfen.59 71. Falsch und im Widerspruch zum natürlichen wie göttlichen Recht muss man auch das nennen, was sie über die „Totalität das Staates“ behaupten, also über das absolute und uneingeschränkte Recht, das der Staatsgewalt insgesamt und gegenüber je56

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In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Da aber keine Gesellschaft bestehen kann, wenn nicht einer an der Spitze aller steht, der mit wirksamem und gleichmäßigem Antrieb die einzelnen zum gemeinsamen Ziel hinlenkt, so folgt daraus, dass auch die bürgerliche Gemeinschaft eine Autorität braucht, die sie leitet. Diese ist, wie die Gesellschaft selbst, in der Natur begründet und hat daher Gott selbst zur letzten Ursache. […] Wer also das Befehlsrecht hat, empfängt es nicht anderswoher als von Gott, dem höchsten Herrn aller Dinge. Alle Gewalt kommt von Gott.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 576). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Das Befehlsrecht ist freilich an und für sich mit keiner Staatsform notwendigerweise verbunden. Es darf sich diese oder jene dienstbar machen, wenn sie nur imstande ist, Nutzen zu stiften und das Gemeinwohl tatkräftig zu fördern.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 576 f.). In der offiziellen Übersetzung lautet die Stelle: „Durch diese Aussprüche und Entscheidungen [der Enzyklika, d. V.] wird, wenn man unvoreingenommen urteilt, keine der verschiedenen Staatsformen an und für sich verworfen, falls sie nichts an sich haben, was der katholischen Lehre widerspricht; und sie können, weise und gerecht angewendet, den Staat im besten Zustand erhalten. – Auch das ist an sich durchaus nicht zu tadeln, dass das Volk mehr oder weniger teilnimmt am staatlichen Leben; zu gewissen Zeiten und auf Grund bestimmter Gesetze kann das nicht nur den Bürgern zum Vorteil gereichen, sondern auch zu ihren Pflichten gehören.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 594). Tatsächlich handelte es sich um die Bulle „Notre charge apostolique“, mit der Pius X. die katholische liberal-demokratische Sillon-Bewegung in Frankreich verurteilte. Die Bewegung war 1892 von Leo XIII. noch akzeptiert worden (vgl. Hübner, Rechtskatholiken, S. 316 f.).

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dem einzelnen Untergebenen sowie deren Bünden und Vereinigungen auf allen Gebieten und in allen Angelegenheiten des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens zustehe. 72. Soweit sich dieser geforderte Grundsatz der „Totalität“ auf den absoluten und uneingeschränkten Primat des Blutes stützt, dessen Bewahrung, Verteidigung und Vollendung das oberste Recht und die höchste Pflicht der Staatsgewalt sei, wurde er bereits verworfen und als falsch erwiesen, da dieses erfundene und irrige Fundament zurückgewiesen und widerlegt wurde. 73. Sieht man von der Rasse-Theorie ab, tritt aber auch sonst klar zutage, dass das Prinzip des „totalen Staates“ falsch und verkehrt ist. Innerhalb eines Staates besitzen auch andere, physische oder moralische Personen, bestimmte Rechte, die ihnen unmittelbar von der Natur oder dem Schöpfer verliehen wurden, die ihren Ursprung daher nicht in der bürgerlichen Gesellschaft haben und durch sie auch nicht genommen werden können; manche dieser Rechte entziehen sich dem Staat sogar völlig. 74. An erster Stelle ist die Kirche zu nennen, die von Christus, dem Herrn, als vollkommene Gesellschaft eingerichtet wurde, sich also in ihrer Ordnung völlig genügt, völlig unabhängig und keiner staatlichen Gewalt unterworfen ist. Wenn also die Staatsgewalt unter Berufung auf das Prinzip der Totalität sich in irgendeiner Form in Fragen der Religion, der Glaubensausübung oder der Sitten einmischt oder verhindert, dass die Kirche das christliche Gesetz verkündet und in allem auf seine Einhaltung drängt (Politik, privates und öffentliches Recht, Wirtschaft, Handel, Kultur, Erziehung etc. etc. nicht ausgenommen), dann überschreitet sie die Grenzen ihrer Macht und fügt dadurch der Kirche, die durch Gott, den Schöpfer allen Rechts, in ihrem Bereich mit vollem und unabhängigem Recht ausgestattet ist, Gewalt und Unrecht zu. Daher wurden von Pius IX. die Sätze, die derartige Ideen und Prinzipien enthalten, als verderbliche Irrtümer verworfen. Es sollen an dieser Stelle nur zwei allgemeinere angeführt werden: „Die Kirche ist keine wahre, vollkommene und freie Gesellschaft, besitzt keine eigenen und beständigen, von ihrem göttlichen Gründer verliehenen Rechte, sondern es obliegt der staatlichen Gewalt, die Rechte der Kirche und ihre Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer sie diese Rechte ausüben darf“ (Prop[ostitio] 19).60 „Die kirchliche Gewalt darf ihre Macht ohne Erlaubnis und Zustimmung der staatlichen Gewalt nicht ausüben.“61 Diese völlige Unabhängigkeit der Kirche hat Leo XIII. des Öfteren in seinen Enzykliken dargelegt, insbesondere in der „Über die christliche Staatsordnung“ („Immortale Dei“, 1. November 1885) und in einer weiteren „Über die wichtigsten Pflichten christlicher Staatsbürger“ („Sapientiae christianae“, 10. Januar 1890)62; Pius XI. forderte sie ebenfalls in den Enzykliken „Über die christliche Erziehung der Jugend“ („Divini illius Magistri“, 31. Dezember 1929) und „Über die christliche Ehe“ („Casti connubii“, 31. Dezember 1930). Diejenigen, die den Einfluss der Kirche auch aus Gesellschaft und 60

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Die offizielle Übersetzung der Stelle lautet: „Die Kirche ist keine wahre, vollkommene und völlig freie Gesellschaft; sie besitzt nicht eigene, dauernde Rechte, die sie von ihrem göttlichen Gründer erhalten hätte; sondern es ist Sache der staatlichen Macht, die Rechte der Kirche zu bestimmen, und sucht die Grenzen, innerhalb deren sie diese Rechte ausüben darf.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 46 f.). Die offizielle Übersetzung der Stelle (Propositio 20) lautet: „Die kirchliche Gewalt darf ihre Hoheit nicht ausüben ohne Erlaubnis und Zustimmung der staatlichen Regierung.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 47). Die Enzyklika „Sapientiae Christianae“ (1890) war eine der zahlreichen Schriften Leos XIII., die sich mit den verschiedenen Staatsformen beschäftigten (vgl. BBK, Bd. 4, Sp. 1454).

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Wirtschaft zu verbannen suchten, hat derselbe Leo XIII. getadelt, ebenso Pius IX. in seinem Schreiben gegen die Sillonisten („Dès le début“, 25. August 1910)63 und in der Enzyklika „Singulari quadam“ vom 24. September 1912. 75. Dem Prinzip der Totalität aber widersprechen nicht nur die Rechte der Kirche, sondern ebenso diejenigen Rechte, die die häusliche Gesellschaft bzw. die Familie besitzen. Den Beweis hierfür erbringen sowohl die Natur der Sache als auch die Autorität der Worte Leos XIII.: „Die Familie also oder die häusliche Gesellschaft ist zwar eine kleine, aber eine wahre Gesellschaft. Sie ist älter als jegliches andere Gemeinwesen und besitzt deshalb Rechte und Pflichten, die ganz und gar nicht vom Staat abhängen … Wie der Staat, so ist auch die Familie, wie schon gesagt, eine Gesellschaft im eigentlichen Sinn; in ihr regiert selbständige Gewalt, nämlich die väterliche. Innerhalb der durch ihren eigentlichen Zweck bestimmten Grenzen besitzt also die Familie in Wahl und Anwendung jener Mittel, die zu ihrer Erhaltung und ihrer gerechten Freiheit nötig sind, zumindest die gleichen Rechte wie der Staat. Wir sagen, zumindest die gleichen. Denn da das häusliche Zusammenleben sowohl der Idee als auch der Sache nach früher existiert hat als die bürgerliche Gemeinschaft, so folgt daraus, dass auch seine Rechte und seine Pflichten bereits früher existiert haben und natürlicher sind. Wenn Bürger und Familien als Teile der menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft statt Nutzen nur Schaden und statt Schutz nur Beschneidung ihrer Rechte im Staat vorfänden, so müsste man die Gesellschaft eher ablehnen als begehren. Ein großer und verderblicher Irrtum liegt also in dem Ansinnen, die Staatsmacht nach Gutdünken in das Innere des Hauses eindringen zu lassen“ („Rerum novarum“, Nr. 11).64 76. Es bleibt anzumerken, dass der Papst mit diesen Worten das Familienrecht im eigentlichen Sinn in Schutz nimmt, das unmittelbar vom Schöpfer der Natur verliehen wurde und sich nicht vom Staat65 ableitet; „Recht“ also und nicht nur einen bestimmten Handlungsspielraum, der der Familie wie Einzelpersonen zu Verfügung steht und den auch die Verteidiger des „totalen Staates“ nicht leugnen. 77. Dasselbe schärft auch Pius XI. in der Enzyklika „Über die christliche Erziehung der Jugend“ mit diesen Worten nachdrücklich ein: „Das allgemeine Empfinden des Menschengeschlechts stimmt darin überein, dass sich diejenigen zu ihm in offenen 63 64

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Vgl. Anm. 59. Die offizielle Übersetzung dieser Stelle, zusammengestellt aus Passagen aus den Punkten 9 bis 11 der Enzyklika „Rerum Novarum“, lautet: „Die Familie, die häusliche Gesellschaft, ist eine wahre Gesellschaft mit allen Rechten derselben, so klein immerhin diese Gesellschaft sich darstellt; sie ist älter als jegliches andere Gemeinwesen, und deshalb besitzt sie unabhängig vom Staate ihre innewohnenden Rechte und Pflichten. […] Wie der Staat, so ist auch die Familie, wie schon gesagt, im eigentlichen Sinne eine Gesellschaft, und es regiert selbständige Gewalt in ihr, nämlich die väterliche. Innerhalb der von ihrem nächsten Zwecke bestimmten Grenzen besitzt demgemäß die Familie zum wenigsten die gleichen Rechte wie der Staat in Wahl und Anwendung jener Mittel, die zu ihrer Erhaltung und ihrer berechtigten freien Bewegung unerlässlich sind. Wir sagen, zum wenigsten die gleichen Rechte. Denn da das häusliche Zusammenleben sowohl der Idee als der Sache nach früher ist als die bürgerliche Gemeinschaft, so haben auch seine Rechte und seine Pflichten den Vortritt, weil sie der Natur nahestehen. Wenn Individuum und Familie, nachdem sie im Verbande der staatlichen Gesellschaft sind, seitens der letzteren nur Schädigung fänden statt Nutzen, nur Verletzung des ureigenen Rechtes statt Schutz, so würde der Staatsverband eher als Gegenstand der Abneigung und des Hasses erscheinen müssen denn als ein begehrenswertes Gut. Ein großer und gefährlicher Irrtum liegt also in dem Ansinnen an den Staat, als müsse er nach seinem Gutdünken in das Innere der Familie, des Hauses eindringen.“ (Nell-Breuning/Schasching (Hg.), Texte, S. 46–48). Die Wendung „vom Staat“ (a re publica) handschriftlich eingefügt.

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Widerspruch setzen, die zu behaupten wagen, die Nachkommenschaft gehöre eher dem Staat als der Familie an und der Staat habe ein unbedingtes Anrecht auf die Erziehung. Hinfällig ist sodann der von ihnen dafür angeführte Grund, dass der Mensch als Bürger zur Welt komme und darum in erster Linie dem Staat angehöre. Sie bedenken nämlich gar nicht, dass der Mensch erst leben muss, bevor er Bürger sein kann, und dass er sein Leben nicht vom Staat, sondern von den Eltern erhält“ („Divini illius Magistri“, Nr. 30).66 78. Dass das Prinzip des „totalen Staates“ falsch und erfunden ist, zeigt sich schließlich auch an den individuellen und gesellschaftlichen Rechten, die die Natur selbst und daher Gott als ihr Schöpfer der menschlichen Person verliehen hat und als deren Verteidiger die Päpste durch Jahrhunderte immer gewirkt haben. Durch den Grundsatz des „totalen Staates“ wird gewissermaßen der bereits von Pius IX. geächtete Irrtum wiederholt und im Wesentlichen erneut begangen: „Der Staat als Ursprung und Quelle aller Rechte besitzt uneingeschränktes Recht“ (Syll[abus], prop[ositio] 39).67 Das betrifft besonders die persönlichen Rechte, die der Mensch von Gott eben dadurch erhält, dass er als vernunftbegabte Person oder Rechtssubjekt, wodurch er den Tieren essenziell überlegen ist, auf dieser Erde eine menschliche Natur erhält; Tiere erhalten zwar ebenso Güter, doch besitzen sie kein Recht auf sie, da sie nicht rechtsfähig sind. Darauf macht Leo XIII. in der Enzyklika „Rerum novarum“ (Nr. 5) aufmerksam. Um konkreter zu werden: Auf besagte Weise besitzt jeder Mensch von der Natur oder richtiger von Gott, dem Schöpfer der Natur, Rechte, die bereits oben aufgezählt worden sind: das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Erhaltung, das Recht, die natürlichen Möglichkeiten zu nützen, das Recht auf ein Ziel, das heißt das Recht, auf ein unmittelbar irdisches Ziel und auf das letzte Ziel hinzustreben; das Recht auf die wahre Religion, das Recht auf Lebensauskommen, das Recht auf Zusammenkunft, das Recht auf Ehe und Nachkommen, das Recht auf Freiheit (im Gegensatz zu dem, was man kurzum Knechtschaft nennt), das Recht auf Meinungsäußerung, das Recht, Eigentum zu erwerben, etc. etc. An dieser Stelle soll in Erinnerung gerufen werden, was oben über die Rechte der Schwarzen gesagt worden ist, die die Päpste mit Nachdruck verteidigten. Wie sehr Leo XIII. die Freiheit der Privatperson gegen den übertriebene Anspruch der staatlichen Gewalt verteidigt hat, ist keinem verborgen: So fordert er, um ein paar Enzykliken namentlich anzuführen, in „Rerum novarum“ das Recht auf Leben und Lebensauskommen, das Recht auf Ehe und Familie, das Recht auf Besitz beweglicher und unbeweglicher Güter, das Recht auf gerechten Lohn, das Recht auf Schutz vor körperlicher und seelischer Gefährdung; das Recht auf Zusammenkunft; und in „Immortale Dei“ das Recht auf die wahre und echte Freiheit. Pius IX. hat eben diese Rechte in seiner Enzyklika nochmals dargelegt und verteidigt; besonders (worauf in diesen unseren Zeiten bestanden werden muss) das 66

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Die offizielle Übersetzung der Stelle lautet: „In diesem Punkte ist der gesunde Menschenverstand ganz allgemein derart übereinstimmend, dass sich mit ihm in offenen Widerspruch setzen würde, wer zu behaupten wagte, die Nachkommenschaft gehöre eher dem Staat als der Familie an, und der Staat habe ein unbedingtes Anrecht auf die Erziehung. Hinfällig ist sodann der von jenen dafür angeführte Grund, der Mensch komme als Bürger zur Welt und gehöre darum in erster Linie dem Staate. Sie bedenken nicht, dass der Mensch erst existieren muss, bevor er Bürger sein kann; das Dasein hat er aber nicht vom Staate, sondern von den Eltern“ (Pius XI., Rundschreiben (1930), S. 29). Die offizielle Übersetzung der Stelle lautet: „Der Staat ist Ursprung und Quelle aller Rechte und verfügt daher über ein unumschränktes Recht.“ (Marmy (Hg.), Mensch, S. 48).

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Recht auf Ehe und Nachkommen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit gegen den Machtanspruch des Staates, eugenische Sterilisationen an Unschuldigen durchführen zu dürfen, und dies sogar gegen deren Willen. 79. Wenn aber der gesunde Verstand und die kirchliche Autorität die persönlichen Rechte, die dem Einzelnen von Gott gegeben sind, für den privaten Menschen beanspruchen, dann beanspruchen sie sie nicht als absolute Rechte, die in keiner Weise der staatlichen Gewalt unterworfen wären (was im Widerspruch zur Wahrheit stünde; da nämlich der Mensch aufgrund seiner Natur zur bürgerlichen Gesellschaft berufen wird und seine Rechte in ihr ausübt, unterliegt er innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit tatsächlich der Staatsgewalt); sie setzen jedoch fest, dass jene Rechte als Rechte Einzelner im eigentlichen Sinn gelten und weder ihren Ursprung aus der Macht des Staates nehmen noch seiner Gewalt unterworfen sind, außer soweit das wahre Gemeinwohl ihre Einschränkung erfordert. Diese individuellen Rechte wirken sich zwar aufgrund ihrer Natur und des Willens des Schöpfers auch zum Wohl der Gesellschaft aus (was auch die Enzykliken der Päpste nicht nur einmal verkünden), sie sind jedoch unmittelbar und als solche dem Einzelnen als seine eigenen Rechte gegeben und können ihm als solche nicht von der Staatsgewalt genommen werden; und dies insbesondere deswegen nicht, weil solch eine Wegnahme sich schlecht auf die Gesellschaft auswirkte (so wie der Kopf oder das Herz auch nicht wegen des gesamten Organismus entfernt werden können, weil dies zu dessen Untergang führen würde), sondern weil es eine Verletzung des Privatrechts darstellte, das dem Einzelnen von Gott unmittelbar als solches zu seinem Wohl gegeben wurde. 80. Falsch und aufs Geratewohl wird auch behauptet, dass derartige private Rechte, die hinsichtlich ihres Bestehens und ihres Wesens68 der Staatsgewalt entzogen sind, im Widerspruch zur sozialen Natur des Menschen und zum Gemeinwohl stünden. Dieser Behauptung liegt eine zu wenig präzise und [zu wenig] richtige Auffassung von „Gemeinwohl“ zugrunde. Das Gemeinwohl einer natürlichen Gesellschaft bezieht nämlich Beschaffenheit und Maß von der Natur der Lebewesen, die aus natürlichem Antrieb zu einer Gesellschaft verbunden sind. Der Mensch aber ist aufgrund seiner vernunftbegabten Natur eine Person, die aufgrund ihrer Anlage69 in vielem unabhängig ist, was ihre Beziehung zu den übrigen Geschöpfen betrifft, und die sich gemäß ihrer Substanz und ihres persönlichen Seins niemals nach einem anderen Geschöpf gleichsam als ihrem unmittelbaren Ziel ausrichtet. Daher verlangt die Auffassung von „Gemeinwohl“ einer Gesellschaft, die aus „Personen“ besteht, aufgrund ihrer inneren Natur, dass die persönlichen Rechte des Einzelnen hinsichtlich ihres Bestehens und ihrer Substanz immer unversehrt bleiben und die Staatsgewalt sie daher als solche nicht direkt berühren oder verletzen kann. 81. Es gibt also hinsichtlich der Beziehung zum Ganzen den folgenden essenziellen Unterschied zwischen den einzelnen, wenn auch wichtigen Teilen eines physischen Organismus und den Menschen als wichtigste Teile eines gesellschaftlichen Organismus, wie es der Staat ist: Was die physischen Organe, da sie eine Gesamtheit sind, können und erhalten, das besitzen, können und erhalten sie letztendlich einzig wegen des Ganzen, dessen Teile sie sind, mögen sie im Übrigen auch eigene Aktivität und 68 69

Der lateinische Begriff lautet „substantia“. Der lateinische Begriff lautet „conceptus“

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Funktion besitzen und mag für sie auch im gesamten Organismus bestens gesorgt sein; viel von dem aber, was die Menschen [können und erhalten], auch wenn sie aufgrund ihrer natürlichen Anlage moralische Glieder eines moralischen Organismus sind, haben und erhalten sie doch nicht einzig und zuletzt wegen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern zuerst und in erster Linie wegen ihrer selbst. 82. Ja, letzten Endes, wenn man die menschlichen Gesellschaften für sich genommen nicht in Beziehung zum letzten Ziel betrachtet (so wie sie nämlich auch selbst und in ihrem Selbstverständnis existieren, um Gott zu verherrlichen und seine unendliche Vollkommenheit zu offenbaren), sondern in Beziehung zu den Menschen, aus denen sie sich zusammensetzen, so existiert alles, was eine bürgerliche Gesellschaft ausmacht und was sie vermag, wegen der Menschen und zwar aller, aus denen sie besteht; nicht im individualistischen Sinn, wonach ein Individuum oder einzelne Individuen als solche einer organisierten Gesellschaft gegenüberstehen, sondern in dem Sinn, wonach es heißt, dass jedes Geschöpf, das auf dieser Erde existiert und kein Mensch ist, wegen des Menschen existiere und auch tatsächlich existiert; oder in dem Sinn, dass die bürgerliche Gesellschaft dafür eingerichtet werden soll, dass die menschliche Natur oder der MENSCH70 in dieser Gesellschaft durch gegenseitige Ergänzung, durch Geben und Nehmen dahin gelangen, die angeborene fruchtbarste Anlage der menschlichen Natur zu entwickeln und zu offenbaren, und dass alle den Gegebenheiten dieser Erde entsprechend auch die wahre irdische Glückseligkeit erlangen können. Doch auch in dem Sinn, dass das, was der bürgerlichen Gesellschaft in der Art zu eigen ist, dass es als solches nicht am Einzelnen vorhanden sein kann, weil es das übersteigt, was der Einzelne für sich allein vermag – (so wie der einzelne Sänger für sich genommen nicht leisten kann, was ein Chor aufgrund der Polyphonie und Harmonie aller gemeinsam leistet) –, wiederum unmittelbar wegen des Menschen und nicht wegen der Gesellschaft existiert (und beides letztlich freilich wegen Gott). Denn jedes Geschöpf, das auf dieser Erde existiert und nicht über Verstand und Willen verfügt, existiert deswegen, um von vernunftbegabten Wesen wahrgenommen und von ihnen durch Wahrnehmung, Erkenntnis und durch Akte der Bewunderung und des Lobes auf den Schöpfer von allem in Beziehung gesetzt zu werden. Denn die materielle Verherrlichung und Offenbarung der Vollkommenheit Gottes, die sich bereits in der Existenz und Vollkommenheit der bürgerlichen Gesellschaft selbst zeigen, sind nicht das höchste Ziel, sondern sind weiter zur formalen Verherrlichung Gottes bestimmt. Diese kann aber von der Gesellschaft als solcher nicht vollzogen werden, da sie weder Verstand noch Willen besitzt, sondern nur von den „Menschen“ oder physischen Personen (sowohl einzeln genommen als auch in der Gesellschaft vereint) geleistet werden. Aus dem Gesagten geht hervor, dass das Prinzip der Totalität des Staates, die eine vernunftbegabte Person letztendlich einem nicht-persönlichen Wesen unterordnet, das selbst in seinem Wesen der Erkenntnis und des Willens entbehrt, die letzten Prinzipien71 der rechten Ordnung und die Harmonie der Welt umkehrt. 83. Um aber Schwierigkeiten und falschen Interpretationen vorzubeugen, ist hinzuzufügen, dass es eine „Totalität“ (oder einen „Universalismus“) des Staates gibt, der nicht im Gegensatz zur christlichen Auffassung und Wahrheit steht, sondern in der Na70 71

Großbuchstaben im Original. Die Wendung „der Erkenntnis und des Willens entbehrt, die letzten Prinzi[pien]“ (caret essentialiter cognitione volitione, inverti ultima princi[pia]) handschriftlich eingefügt.

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tur der Sache begründet ist und auch von den Päpsten dargelegt wurde. Denn da die bürgerliche Gesellschaft eine vollkommene Gesellschaft ist, genügt sie sich selbst und umfasst de jure alles, was zu ihrem Ziel gehört. Das Ziel des Gemeinwesens aber ist das „Gemeinwohl“ oder die Gesamtheit aller Bedingungen, die für die wahre irdische Glückseligkeit benötigt werden. Es gibt aber kaum etwas, das nicht zu diesem sehr weiten Feld gehört, wenn man Religion und den Bereich des religiösen Lebens ausnimmt, da seine Pflege von Gott der Kirche anvertraut worden ist. Aber dieser Universalismus des Staates und daher auch der Staatsgewalt – (anders als die „Totalität“, die die Rassentheorie fordert) – vereinnahmt weder die wahren und eigentlichen Rechte des Einzelnen noch löscht er sie aus; denn eine derartige oberste Herrschaft des Staates ist diesen Rechten so übergeordnet oder so über sie errichtet, dass sie diese unter Wahrung von deren Existenz und Wesen72 mit den Notwendigkeiten des Gemeinwohls vereint. Dass diese Vereinigung stattfinden kann und auch kein innerer Widerspruch zwischen diesen Rechten und dem „Allgemeinwohl“ der Gesellschaft besteht und bestehen kann, ergibt sich schon daraus, dass beide von der Natur gegeben und festgesetzt sind. Die Natur aber und der Schöpfer der Natur widersprechen sich selbst nie. Dadurch jedoch, dass dem Staat oder der Staatsgewalt von den Päpsten keine unbedingte Pflicht übertragen wird, sondern eine „helfende“ oder ergänzende, nimmt die Staatsgewalt keinen Schaden und erleidet keinen Verlust, es schadet auch in keiner Weise der höchsten Würde, die Staat und Staatsgewalt, wie die Päpste oftmals verkündet haben, in ihrer Stellung innehaben. Es ist nämlich eine doppelte „Hilfe“, einerseits die des Dienens, andererseits die des Herrschens. Es gibt so hohe und schwierige Aufgaben, die dennoch für den Staat höchste Bedeutung haben und zu deren Erfüllung ein einzelner Bürger und private Vereinigungen nicht ausreichen; sie werden daher der Staatsgewalt überantwortet, welche die Unzulänglichkeit der Untergebenen aufgrund ihrer größeren Macht ausgleicht, nicht also aufgrund ihrer niedrigen Stellung, sondern aufgrund ihrer überlegenen Machtfülle. Dieser Ausgleich ist die „Hilfe“ der Vollendung und des Herrschens, nicht die der Unterwerfung und des Dienens. 84. Es bleibt noch, kurz ein Urteil über den „Rassegedanken“ selbst zu fällen, der die Quelle jeder einzelnen Behauptung ist, von der bis jetzt die Rede war, und der, wie sie sagen, ausschließlich wahr sei und daher überall verbreitet und standhaft behauptet werden müsse; den aber zu bekämpfen, anzuzweifeln oder falsch zu nennen, nicht Recht sein könne und keinem erlaubt sei; ebenso soll ein Urteil darüber gefällt werden, was sie über den absoluten und uneingeschränkten ergebenen Gehorsam behaupten, mit dem alle – ginge es nach den Anhängern der Rassetheorie – dem Führer folgen und sich ihm anschließen müssten; und zwar deswegen, weil der Führer durch die Stimme der Natur und des Blutes und durch natürliche Selektion als Herrscher eingesetzt sei, der den Primat des Blutes verkünden und bewirken soll, dass alles nach diesem Gesetz als dem grundlegenden „Dogma“ des Rassegedankens geleitet werde. 85. Diese Behauptungen sind ebenso verderblich, wie sie falsch und nichtig aufgestellt sind. Absolute Zustimmung und uneingeschränkter Gehorsam dürfen einem anderen nur dann geleistet werden, wenn derjenige, dem sie geleistet werden, von der Wahrheit und Ehrbarkeit nicht abweichen kann. Eine derartige Unfehlbarkeit hat Gott, und zwar uneingeschränkt und absolut. Die Kirche Christi erfreut sich der Unfehlbarkeit im Fällen von Urteilen in Angelegenheiten 72

Der lateinische Begriff lautet „substantia“.

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des Glaubens und der Sitten, sodass jeder Irrtum oder jede Abweichung von der objektiven Wahrheit ausgeschlossen ist; und innerhalb der Kirche [erfreut sich] auf dieselbe Weise wie die Kirche der Stellvertreter Christi auf Erden, der Bischof von Rom [der Unfehlbarkeit], wenn er ex cathedra spricht.73 Außer diesen ist keine andere Autorität auf Erden weder in der Theorie noch in der Praxis unfehlbar; es kann also kein anderer absolute Unterwerfung unter sein Urteil und absoluten Gehorsam bei dessen Vollstreckung fordern; und daher auch nicht das Rassesystem oder derjenige, der, zum Führer bestimmt, dessen Verkünder und Beschützer spielt. Es steht also im Widerspruch zum Gesetz Gottes und der Natur, dass die Anhänger des Rassesystems absolute Unterwerfung des Verstandes und absoluten Gehorsam in der äußeren Handlung fordern. Einer gesetzmäßigen staatlichen Gewalt ist innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit natürlich zu gehorchen; ebenso ist einem Führer und Herrscher die Treue zu halten; doch alle seine Behauptungen, alle seine Aufträge, Verordnungen und Taten haben wie alle Gebote, Worte und Taten von Menschen als unwiderlegbare Richtlinie das Gesetz Gottes und die Wahrheit der Sache über sich.

73

Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 wurde die Unfehlbarkeit des Papstes in Lehräußerungen zu Fragen des Glaubens und der Sitte zu einem Dogma erhoben (vgl. Hasler, Papst, S. 96–138; Schwaiger, Papsttum, S. 41–43).

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[ T E I L 2 ] 74

I. 1.) Dass die sogenannte „völkische Weltanschauung“ die Quelle ist, aus der sich alle weiteren Einzelbehauptungen ableiten lassen, wird von ihren Anhängern immer wieder erklärt, so zum Beispiel: Hitler (Mein Kampf, Bd. II, S. 423/24)75 „Deshalb sah ich meine Aufgabe besonders darin, aus dem umfangreichen und ungestalteten Stoff einer allgemeinen Weltanschauung diejenigen Kernideen herauszuschälen und in mehr oder minder dogmatische Formen umzugiessen, die in ihrer klaren Begrenztheit sich dazu eignen, jene Menschen, die sich darauf verpflichten, einheitlich zusammenzufassen. Mit anderen Worten: Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei übernimmt aus dem Grundgedanken einer allgemeinen völkischen Weltvorstellung die wesentlichen Grundzüge, bildet aus denselben, unter Berücksichtigung der praktischen Wirklichkeit, der Zeit und des vorhandenen Menschenmaterials sowie seiner Schwächen ein politisches Glaubensbekenntnis, das nun seinerseits in der so ermöglichten straffen organisatorischen Erfassung grosser Menschenmassen die Voraussetzung für die siegreiche Durchfechtung dieser Weltanschauung selber schafft“. Derselbe in einer Rede am Kongress der nationalsozialistischen Partei am 1. September 1933.76 Ähnlich Dr. H. Nicolai77: „Ziel der NSDAP ist die Errettung des deutschen Volkes durch Verwirklichung der völkischen Weltanschauung …78 Die letzten Folgerungen ihres Wollens ergeben sich deshalb aus dem Inbegriff der völkischen Weltanschauung. Die weltanschaulichen Grundgedanken des Nationalsozialismus werden aus den richtig erfassten Begriffen „Nationalismus“ und „Sozialismus“ abgeleitet. Der Nationalismus der NSDAP ist biologisch und rassenkundlich zu verstehen …79 Der Sozialismus im Sinne der NSDAP bedeutet Gemeinschaft der einem durch Blutsgenossenschaft verbundenen Volke angehörigen Menschen …80 Der Nationalsozialismus schmiedet also den nationalen und den sozialen Gedanken zu einem einheitlichen Gedanken, dem völkischen Gedanken, zusammen. Nationalsozialismus bedeutet die Zusammenfassung von Menschen gleicher Abstammung zur völkischen Gemeinschaft“ (Der Staat im Nationalistischen Weltbild81, 2. Aufl., S. 5/6). 74 75

76 77 78 79 80 81

Wie in der Einleitung angemerkt, handelt es sich bei diesem Teil um den Anmerkungsapparat zum ersten Teil. Es werden die Quellen und Zitate gebracht, auf die sich die Analysen im ersten Teil stützen. Aus welcher Ausgabe von Mein Kampf zitiert wird, ist unklar. Es ist lediglich aufgrund der durchgehenden Seitenzählung offensichtlich, dass es sich um eine einbändige „Volksausgabe“ handelt. Dementsprechend wurden die Zitate anhand einer Volksausgabe überprüft. Eine gekürzte italienische Übersetzung erschien erst am 15.3.1934 (vgl. Fabre, Contract, S. 56–61). Gemeint ist Hitlers Rede auf der Kulturtagung des Parteitags der NSDAP am 1.9.1933 in Nürnberg (vgl. Eikmeyer (Hg.), Hitler, S. 43–54). Gemeint ist Helmut Nicolai, der bereits seit 1931 als Jurist für die NSDAP tätig war, im Braunen Haus in München arbeitete und nach 1933 Karriere im Reichsjustizministerium in Berlin machte (vgl. Housden, Nicolai, S. 91, 110). Hier wird eine kurze Passage über Ziel und Zweck der Partei ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 5). Hier wird eine kurze Passage über das Wort „national“ ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 6). Hier wird eine kurze Passage über das Wort „sozial“ ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 6). Der Titel lautet richtig Der Staat im Nationalsozialistischen Weltbild.

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2.) Eine authentische und genaue Definition von „Rasse“, die von allen gleich verwendet werden kann, gibt es noch nicht; doch hinsichtlich der Sache unterscheiden sich die verschiedenen Formulierungen nicht sehr. Von Eickstedt82, der in dieser Sache höchste Autorität genießt, beschreibt „Rasse“ folgendermaßen: „Eine Menschenrasse ist eine Gruppe von Individuen, die eine kennzeichnende Vereinigung von normalen und erblichen Körpermerkmalen mit beschränkter Schwankungsbreite aufweist“. (Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit, S. 10). – Günther, H.83, ein Autor, auf den sich die Nationalsozialisten überall berufen, definiert „Rasse“ folgendermaßen: „Eine Rasse stellt sich dar in einer Menschengruppe, die sich durch ihr eignende Vereinigung körperlicher Merkmale und seelischer Eigenschaften von jeder andern in solcher Weise zusammengefassten Menschengruppe unterscheidet und immer wieder nur ihresgleichen zeugt“ (Rassenkunde Europas; nach Nicolai a. a. O., S. 36). 3.) Gewicht und Bedeutung der „rassischen Anlage“ beweisen sie bald, indem sie die Vorteile anführen, die sich aus der Bewahrung der Anlage ergeben, bald, indem sie die schlimmsten Nachteile aufzählen, die aus deren Vernachlässigung erwachsen. Einige Texte werden angeführt: „Alle großen Fragen der Zeit sind Fragen des Augenblicks und stellen nur Folgeerscheinungen bestimmter Ursachen dar. Ursächliche Bedeutung besitzt aber unter ihnen allen nur eine, die Frage der rassischen Erhaltung des Volkstums. Im Blute allein liegt sowohl die Kraft als auch die Schwäche des Menschen begründet. Völker, welche nicht die Bedeutung ihrer rassischen Grundlage erkennen und beachten, gleichen Menschen, die Möpsen die Eigenschaften von Windhunden anlernen möchten, ohne zu begreifen, dass die Schnelligkeit des Windhundes wie die Gelehrigkeit des Pudels keine angelernten, sondern in der Rasse liegenden Eigenschaften sind. Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in all ihren Äusserungen. Die Zerrissenheit ihres Wesens ist die naturnotwendige Folge der Zerrissenheit ihres Blutes, und die Veränderung ihrer geistigen und schöpferischen Kraft ist nur die Wirkung der Änderung ihrer rassischen Grundlagen.84 Ohne klarste Erkenntnis des Rassenproblems und damit der Judenfrage, wird ein Wiederaufstieg der deutschen Nation nicht mehr erfolgen. Die Rassenfrage gibt nicht nur den Schlüssel zur Weltgeschichte, sondern auch zur menschlichen Kultur überhaupt.“ (I., 372).85 Derselbe an anderer Stelle: „Alles auf der Erde ist zu bessern …86

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Gemeint ist Egon Freiherr von Eickstedt, der mit seiner 1935 gegründeten Zeitschrift für Rassenkunde und ihre Nachbargebiete zu den führenden Anthropologen in Deutschland zählte. Eickstedt hat sich trotz einer gewissen Ambivalenz einer Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus nicht entzogen (vgl. Hoßfeld, Geschichte, S. 337–339; Preuß, Wandlung, S. 238–240). Gemeint ist Hans F. K. Günther, der mit seinen Schriften wie der Rassenkunde des deutschen Volkes (1922) und Kleine Rassenkunde Europas (1925) (ab 1926 Rassenkunde Europas) zu den Vorreitern und Ideengebern des völkischen Rassismus zählte und zu einem der führenden Rassenhygieniker im nationalsozialistischen Deutschland aufstieg (vgl. Hoßfeld, Geschichte, S. 220–223). Hier wird eine kurze Passage ausgelassen, die die „Erlösung“ des deutschen Volkes vom „Erreger“ der ihm „wesensfremden Äußerungen und Untugenden“ verlangt (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 372). Zitat aus Mein Kampf (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 372). Hier wird eine Passage über den notwendigen Wiederaufstieg nach einer Niederlage ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 359).

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Die verlorene Blutsreinheit allein zerstört das innere Glück für immer, senkt den Menschen für ewig nieder, und die Folgen sind niemals mehr aus Körper und Geist zu beseitigen. Wenn man dieser einzigen Frage gegenüber alle anderen Probleme des Lebens prüft und vergleicht, dann wird man erst ersehen, wie lächerlich klein sie hieran gemessen sind. Sie alle sind zeitlich beschränkt – die Frage der Bluts-Reinerhaltung oder Nichtreinerhaltung aber wird bestehen, solange es Menschen gibt. Alle wirklich bedeutungsvollen Verfallserscheinungen der Vorkriegszeit gehen im letzten Grund auf rassische Ursachen zurück. Mag es sich um Fragen des allgemeinen Rechtes handeln oder um Auswüchse des wirtschaftlichen Lebens, um kulturelle Niedergangserscheinungen oder politische Entartungsvorgänge, um Fragen einer verfehlten Schulerziehung oder einer schlechten Beeinflussung durch die Presse87 usw., immer und überall ist es im tiefsten Grunde die Nichtbeachtung rassischer Belange des eigenen Volkes und das Nichtsehen einer fremden, rassischen Gefahr.“ (Mein Kampf, I., S. 359/60); und wieder: „Der Mensch, der die Rassengesetze verkennt und missachtet, bringt sich wirklich um das Glück, das ihm bestimmt erscheint. Er verhindert den Siegeszug der besten Rasse und damit aber auch die Vorbedingung zu allem menschlichen Fortschritt. Er begibt sich in der Folge, belastet mit der Empfindlichkeit des Menschen, ins [!] Bereich des hilflosen Tieres.“ (Mein Kampf, I., S. 317). Ähnlich Dr. Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat, Volksrecht und Volksrechtsprechung)88: „Gerade die hohe Bewertung der Logik machte aber unfähig, in die Tiefen menschlichen Seins hineinzuhorchen und dort die Urkräfte am Werke zu sehen, aus denen die Besonderheiten des Menschentums gegenüber untermenschlichen Lebewesen aufsteigen. Diese Urkräfte, deren Vorhandensein Inhalt und Kraft, möglicherweise in ihrer Endlichkeit Tragik des Menschendaseins sind, können in ihrem Vorhandensein nicht mehr auf allgemein menschliche Grössen zurückgeführt werden. Die verschiedenartigen Ausgestaltungen jener Urerscheinungen, ihre Richtung, ihre grössere oder geringere (bis zum völligen Fehlen absinkende) Kraft können dagegen erklärt werden und sie sind nur zu erklären durch die rassischen Grundlagen eines Menschen und eines Volkes. Wir haben es endlich gelernt, dass die Kopfform und sonstigen rassischen Merkmale des Menschen weder ein Zufall noch gleichgültig sind, sondern Ausdruck wie Grundlage seines innersten Fühlens und Wollens. „Seele bedeutet“, wie Alfred Rosenberg in seinem „Mythos89 des 20. Jahrhunderts“ so schön sagt: „Rasse von innen gesehen“. Und umgekehrt ist „Rasse die Aussenseite einer Seele“. (S. 21). 4.) Prof. F. Lenz90 verteidigt mit vielen anderen diesen Grundsatz von der (absoluten) Unveränderlichkeit der „Rasse“: „Es ist völlig hoffnungslos, durch Erziehung und 87 88 89 90

Im Original „Beeinflussung der Erwachsenen durch die Presse“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 360). Gemeint ist der Jurist Günther Küchenhoff, der nach 1933 an der Universität Breslau Karriere machte und dort 1943 zum Ordinarius für Staats- und Völkerrecht aufstieg (vgl. Klee, Personenlexikon, S. 347). „Mythos“ auch im Originaltext von Küchenhoff (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 21), obwohl es bei Rosenberg „Mythus“ heißt. Fritz Lenz zählte zu den wichtigsten Vertretern der Rassenhygiene in Deutschland. Gemeinsam mit Erwin Baur und Eugen Fischer veröffentlichte er 1921 das „Standardwerk“ zur Erblichkeitslehre Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, das bis 1940 fünf Auflagen erlebte (vgl. Fangerau, Standardwerk, S. 29–31, 38 f.).

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Übung das Menschengeschlecht dauernd heben zu wollen“ (nach Menghin, Osw. Prof.,91 ‚Geist und Blut‘, S. 51; vgl. ebendort S. 32–37 über Variabilität und Unveränderlichkeit der Rasse). – Hinsichtlich derselben Sache wiederholt Hitler in seinem Hauptwerk „Mein Kampf“ oftmals dasselbe Prinzip: „Es gibt Wahrheiten, die so sehr auf der Strasse liegen, dass sie gerade deshalb von der gewöhnlichen Welt nicht gesehen oder wenigstens nicht erkannt werden. Sie geht an solchen Binsenweisheiten manchmal wie blind vorbei und ist auf das höchste erstaunt, wenn plötzlich jemand entdeckt, was doch alle wissen müssten …92 So wandern die Menschen ausnahmslos im Garten der Natur umher, bilden sich ein, fast alles zu kennen und zu wissen und gehen doch mit wenigen Ausnahmen wie blind an einem der hervorstechendsten Grundsätze ihres Waltens vorbei: der inneren Abgeschlossenheit der Arten sämtlicher Lebewesen dieser Erde.93 Schon die oberflächliche Betrachtung zeigt als nahezu ehernes Grundgesetz all der unzähligen Ausdrucksformen des Lebenswillens der Natur ihre in sich begrenzte Form der Fortpflanzung und Vermehrung …94 Nur ausserordentliche Umstände vermögen dies zu ändern, in erster Linie der Zwang der Gefangenschaft sowie eine sonstige Unmöglichkeit der Paarung innerhalb der gleichen Art. Dann aber beginnt die Natur sich auch mit allen Mitteln dagegen zu stemmen, und ihr sichtbarster Protest besteht entweder in der Verweigerung der weiteren Zeugungsfähigkeit für die Bastarde, oder sie schränkt die Fruchtbarkeit der späteren Nachkommen ein; in den meisten Fällen aber raubt sie die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit oder feindliche Angriffe …95 Die Folge dieses in der Natur allgemein gültigen Triebes zur Rassenreinheit ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach aussen, sondern auch ihre gleichmässige Wesensart in sich selber. Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans, der Tiger ein Tiger usw., und der Unterschied kann höchstens im verschiedenen Masse der Kraft, der Stärke, der Klugheit, Gewandtheit, Ausdauer usw. der einzelnen Exemplare liegen. Es wird aber nie ein Fuchs zu finden sein, der seiner inneren Gesinnung nach etwa humane Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte, wie es ebenso auch keine Katze gibt mit freundlicher Zuneigung zu Mäusen.“ (S. 311/12). An anderer Stelle nennt Hitler die Auffassung, die die Gleichartigkeit der „Rassen“ und der Individuen vertritt, den größten Irrtum: „Unsere heutige landläufige politische Weltauffassung beruht im allgemeinen auf der Vorstellung, dass dem Staate zwar an sich schöpferische, kulturbildende Kraft zuzusprechen sei, dass er aber mit rassischen Voraussetzungen nichts zu tun habe, sondern eher noch ein Produkt wirtschaftlicher Notwendigkeiten, bestenfalls aber das natürliche Ergebnis politischen Machtdranges sei. Diese Grundanschauung führt in ihrer logisch-konsequenten Weiterbildung nicht nur zu einer Verkennung rassischer Urkräfte, sondern auch zu einer Minderbewertung der Person. 91

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Gemeint ist der Wiener Prähistoriker Oswald Menghin, der seit Anfang der 1930er Jahre den Nationalsozialisten nahe stand und nach dem Anschluss Österreichs 1938 kurzzeitig zum Unterrichtsminister aufstieg. In diese Zeit fielen die „Säuberungen“ der österreichischen Universitäten. Schon 1933 veröffentlichte er seine Schrift Geist und Blut (vgl. Urban, Mann, S. 4–9). Hier wird eine kurze Passage über die „Eier des Kolumbus“ ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 311). Die Stelle ist im Original nicht hervorgehoben (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 311). Hier wird eine kurze Passage über die Paarung verschiedener Tiere ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 311). Hier wird eine längere Passage über die Folgen von Rassenkreuzungen ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 312). Sie wird im nachfolgenden Punkt angeführt.

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Denn die Ableugnung der Verschiedenheit der einzelnen Rassen in Bezug auf ihre allgemeinen kulturbildenden Kräfte muss zwangsläufig diesen grössten Irrtum auch auf die Beurteilung der Einzelperson übertragen. Die Annahme von der Gleichartigkeit der Rassen wird dann zur Grundlage einer gleichen Betrachtungsweise für die Völker und weiterhin für die einzelnen Menschen.“ (S. 419/20). 5.) So Hitler mit deutlichen Worten, nicht nur an einer Stelle.96 „Jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen gibt als Produkt ein Mittelding zwischen der Höhe der beiden Eltern. Das heisst also: das Junge wird wohl höher stehen als die rassisch niedrige Hälfte des Elternpaares, allein nicht so hoch wie die höhere. Folglich wird es im Kampf gegen diese höhere später unterliegen. Solche Paarung widerspricht aber dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des Lebens überhaupt. Die Voraussetzung hierzu liegt nicht im Verbinden von Höher- und Minderwertigem, sondern im restlosen Sieg des ersteren. Der Stärkere hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so die eigene Grösse zu opfern. Nur der geborene Schwächling kann das als grausam empfinden; dafür aber ist er auch nur ein schwacher und beschränkter Mensch; denn würde dieses Gesetz nicht herrschen, wäre ja jede vorstellbare Höherentwicklung aller organischen Lebewesen undenkbar.“ (I., S. 312). Im selben Buch führt er folgendes aus: „Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung ist also, ganz kurz gefasst, immer folgendes: a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse; b) körperlicher und geistiger Rückgang und damit der Beginn eines, wenn auch langsam, so doch sicher fortschreitenden Siechtums. Eine solche Entwicklung herbeiführen, heisst aber dann doch nichts anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers. Als Sünde aber wird diese Tat auch gelohnt. Indem der Mensch versucht, sich gegen die eiserne Logik der Natur aufzubäumen, gerät er in Kampf mit den Grundsätzen, denen auch er selber sein Dasein als Mensch allein verdankt. So muss sein Handeln gegen die Natur zu seinem eigenen Untergang führen. Hier freilich kommt der echt judenhaft freche, aber ebenso dumme Einwand des modernen Pazifisten: „Der Mensch überwindet eben die Natur.“ Millionen plappern diesen jüdischen Unsinn gedankenlos nach und bilden sich am Ende wirklich ein, selbst eine Art von Naturüberwindern darzustellen.“ (I., S. 314). 6.) Hitler („Mein Kampf“): „So wenig sie (d. h. die Natur) eine Paarung von schwächeren Einzelwesen wünscht97, soviel weniger noch die Verschmelzung von höherer Rasse mit niederer, da ja anderenfalls ihre ganze sonstige, vielleicht jahrhunderttausendelange Arbeit der Höherzüchtung mit einem Schlage wieder hinfällig wäre“ (a. a. O., I., S. 313). – Und an anderer Stelle: „Doch ist die Gefahr sehr gross, dass der einmal blind gewordene Mensch die Rassenschranken immer mehr einreisst, bis endlich auch der letzte Rest seines besten Teiles verloren ist. Dann bleibt wirklich nur mehr ein Einheitsbrei übrig, wie er den famosen Weltverbesserern unserer Tage als Ideal vorschwebt; er würde aber aus dieser Welt in kurzer Zeit die Ideale verjagen. Freilich: eine grosse Herde könnte so gebildet werden, ein Herdentier kann man zusammenbrauen, einen Menschen als Kulturträger aber und besser noch als Kulturbegründer und Kulturschöpfer ergibt eine solche Mischung niemals. Die Mission der Menschheit könnte damit als beendigt angesehen werden.“ („Mein Kampf“, II., S. 444). 96 97

Nachfolgend Zitate aus Mein Kampf. Im Original lautet der Satz: „So wenig sie aber schon eine Paarung von schwächeren Einzelwesen mit stärkeren wünscht“ (Hitler, Kampf (1934), S. 313).

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7.) Hitler in einer Rede auf dem nationalsozialistischen Kongress am 3. September 193398: „Nur in primitiven Funktionen des Lebens kann eine Gleichheit für alle Menschen angenommen werden.99 Die Differenz100 zwischen den einzelnen Rassen kann z. T. sowohl äusserlich als damit selbstverständlich auch innerlich ganz enorm sein und ist es auch. Die Spanne, die zwischen dem niedersten, noch sogenannten Menschen und unseren höchsten Rassen liegt, ist grösser als die zwischen dem tiefsten Menschen und dem höchsten Affen.“ – Derselbe anderswo: „Dem gegenüber erkennt die völkische Weltanschauung die Bedeutung der Menschheit in deren rassischen Urelementen. Sie sieht im Staat prinzipiell nur ein Mittel zum Zweck und fasst als seinen Zweck die Erhaltung des rassischen Daseins der Menschen auf. Sie glaubt somit keineswegs an eine Gleichheit der Rassen, sondern erkennt mit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren oder minderen Wert und fühlt sich durch diese Erkenntnis verpflichtet, gemäss dem ewigen Wollen, das dieses Universum beherrscht, den Sieg des Besseren, Stärkeren zu fördern, die Unterordnung des Schlechteren und Schwächeren zu verlangen. Sie huldigt damit prinzipiell dem aristokratischen Grundgedanken der Natur und glaubt an die Geltung dieses Gesetzes bis herab zum letzten Einzelwesen. Sie sieht nicht nur den verschiedenen Wert der Rassen, sondern auch den verschiedenen Wert der Einzelwesen …101 Allein sie kann auch einer ethischen Idee das Existenzrecht nicht zubilligen, sofern diese Idee eine Gefahr für das rassische Leben der Träger einer höheren Ethik darstellt; denn in einer verbastardierten und vernegerten Welt wären auch alle Begriffe des menschlich Schönen und Erhabenen, sowie alle Vorstellungen einer idealisierten Zukunft unseres Menschentums für immer verloren. Menschliche Kultur und Zivilisation sind auf diesem Erdteil unzertrennlich gebunden an das Vorhandensein des Ariers. Sein Aussterben oder Untergehen wird auf diesen Erdball wieder die dunklen Schleier einer kulturlosen Zeit senken. Das Untergraben des Bestandes der menschlichen Kultur durch Vernichtung ihres Trägers aber erscheint in den Augen einer völkischen Weltanschauung als das fluchwürdigste Verbrechen. Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn zu legen wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Vertreibung aus dem Paradies. Damit entspricht die völkische Weltanschauung dem innersten Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muss, bis endlich dem besten Menschentum durch den erworbenen Besitz dieser Erde freie Bahn gegeben wird zur Betätigung auf Gebieten, die teils über, teils ausser ihr liegen.“102 (a. a. O., S. 420/21).103 8.) „Es ist ein müssiges Beginnen, darüber zu streiten, welche Rasse oder Rassen die ursprünglichen Träger der menschlichen Kultur waren und damit die wirklichen Begründer dessen, was wir mit dem Worte Menschheit alles umfassen. Einfacher ist es, 98 99 100 101 102 103

Gemeint ist Hitlers Abschlussrede auf dem „Reichsparteitag des Sieges“ der NSDAP am 3.9.1933 in Nürnberg (vgl. Domarus (Hg.), Hitler, Bd. I/1, S. 299). Hier wird der Satz ausgelassen: „Darüber hinaus aber beginnen sie sofort in ihrem Wesen, ihrer Veranlagung und in ihren Fähigkeiten auseinanderzufallen.“ (VB, Sonderausgabe, 4.9.1933). Im Original „Differenzen“ (vgl. VB, Sonderausgabe, 4.9.1933). Hier wird eine Passage über die Bedeutung der Person, den desorganisierenden Marxismus und die Idealisierung des Menschentums ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 421). Im Original „teils außer ihr liegen werden.“ (Hitler, Kampf (1934), S. 422). Zitat aus Mein Kampf.

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diese Frage für die Gegenwart zu stellen, und hier ergibt sich auch die Antwort leicht und deutlich. Was wir heute an menschlicher Kultur, an Ergebnissen von Kunst, Wissenschaft und Technik vor uns sehen, ist nahezu ausschliesslich schöpferisches Produkt des Ariers. Gerade diese Tatsache aber lässt den nicht unbegründeten Rückschluss zu, dass er allein der Begründer höheren Menschentums überhaupt war, mithin den Urtyp dessen darstellt, was wir unter dem Worte „Mensch“ verstehen. Er ist der Prometheus der Menschheit, aus dessen lichter Stirn der göttliche Funke des Genies zu allen Zeiten hervorsprang, immer von neuem jenes Feuer entzündend, das als Erkenntnis die Nacht der schweigenden Geheimnisse aufhellte und den Menschen so den Weg zum Beherrscher der anderen Wesen dieser Erde emporsteigen liess. Man schalte ihn aus – und tiefe Dunkelheit wird vielleicht schon nach wenigen Jahrtausenden sich abermals auf die Erde senken, die menschliche Kultur würde vergehen und die Welt veröden. Würde man die Menschheit in drei Arten einteilen: in Kulturbegründer, Kulturträger und Kulturzerstörer, dann käme als Vertreter der ersten wohl nur der Arier in Frage. Von ihm stammen die Fundamente und Mauern aller menschlichen Schöpfungen, und nur die äussere Form und Farbe sind bedingt durch die jeweiligen Charakterzüge der einzelnen Völker. Er liefert die gewaltigen Bausteine und Pläne zu allem menschlichen Fortschritt, und nur die Ausführung entspricht der Wesensart der jeweiligen Rassen.“ („Mein Kampf“, I., S. 317/18) 9.) Hitler: „… Die Natur sieht ruhig, ja befriedigt zu. Der Kampf um das tägliche Brot lässt alles Schwächliche104 und Kränkliche, weniger Entschlossene unterliegen, während der Kampf der Männchen um das Weibchen nur dem Gesündesten das Zeugungsrecht oder doch die Möglichkeit hierzu gewährt. Immer aber ist der Kampf ein Mittel zur Förderung der Gesundheit und Widerstandskraft der Art und mithin eine Ursache zur Höherentwicklung derselben. Wäre der Vorgang ein anderer, würde jede Weiter- und Höherbildung aufhören und eher das Gegenteil eintreten. Denn da das Minderwertige der Zahl nach gegenüber dem Besten immer überwiegt, würde bei gleicher Lebenserhaltung und Fortpflanzungsmöglichkeit das Schlechtere sich so viel schneller vermehren, dass endlich das Beste zwangsläufig in den Hintergrund treten müsste. Eine Korrektur zugunsten des Besseren muss also vorgenommen werden. Diese aber besorgt die Natur, indem sie den schwächeren Teil so schweren Lebensbedingungen unterwirft, dass schon durch sie die Zahl beschränkt wird, den Überrest aber endlich nicht wahllos zur Vermehrung zulässt, sondern hier eine neue, rücksichtslose Auswahl nach Kraft und Gesundheit trifft.“ („Mein Kampf“, I., S. 312/13). Vgl. auch, was oben in Fn. 5 gesagt wurde. – Hitler in einer Rede am nationalsozialistischen Kongress am 3. September 1933: „Die höhere Rasse – zunächst höher im organisationsfähigen Sinn gesehen – unterwirft sich eine niedere und geht damit ein Verhältnis ein, das nunmehr nicht gleichwertige Rassen umfasst. Damit erst erfolgt die Unterstellung einer Vielzahl von Menschen unter den Willen von nur105 wenigen, hergeleitet einfach aus dem Recht des Stärkeren, einem Recht, das, in der Natur gesehen, als einzig vorstellbar, weil vernünftig, gelten kann.“ (S. 1, Sp. 3, Abs. 1).106 10.) Vgl. oben Fn. 5 u. 6. 104 Im Original „Schwache“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 312). 105 Im Original „von oft nur“ (vgl. VB, Sonderausgabe, 4.9.1933). 106 Vgl. Anm. 98.

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11.) Vgl. oben Fn. 8. 12.) Hitler: „Es gibt nur ein heiligstes Menschenrecht, und dieses Recht ist zugleich die heiligste Verpflichtung, nämlich: dafür zu sorgen, dass das Blut rein erhalten bleibt, um durch die Bewahrung des besten Menschentums die Möglichkeit einer edleren Entwicklung dieser Wesen zu geben.“ („Mein Kampf“, II., S. 444). 13.) Hitler: „Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das Ende einer sich ihr ergebenden Menschheit.“ (Mein Kampf, I., S. 272); ebendort S. 359/60 siehe oben Fn. 3; und II., 444 vgl. oben Fn. 6. Dr. Nicolai: „Rassenschutz nach aussen: Zweck des Rassenschutzes nach aussen ist die Reinerhaltung der eigenen Rasse. Erreicht wird dieser Zweck durch Verhinderung der Vermischung deutschen Blutes mit rassisch fremden Völkern. (48) Mittel: 1) Verbot der Eheschliessung Deutscher mit Fremdrasse (49) 2) Verbot geschlechtlicher Vermischung mit Fremdrassischen (49) 3) Verhinderung der Einwanderung u. Ausweisung Fremdrassiger (42) 4) Ausschliessung von bestimmten Berufen, bzw. Beschränkung ihrer Ausübung durch Fremdrassige (49). („Der Staat usw.“, S. 48/49).107 14.) Hitler: Der Staat „muss dafür Sorge tragen, dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt; dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen, doch eine höchste Ehre darauf zu verzichten. Umgekehrt aber muss es als verwerflich gelten: gesunde Kinder der Nation vorzuenthalten. Der Staat muss dabei als Wahrer einer tausendjährigen Zukunft auftreten, der gegenüber der Wunsch und die Eigensucht des Einzelnen als nichts erscheinen und sich zu beugen haben. Er hat die modernsten ärztlichen Hilfsmittel in den Dienst dieser Erkenntnis zu stellen. Er hat, was irgendwie ersichtlich krank und erblich belastet und damit weiter belastend ist, zeugungsunfähig zu erklären und dies praktisch auch durchzusetzen. Er hat umgekehrt dafür zu sorgen, dass die Fruchtbarkeit des gesunden Weibes nicht beschränkt wird durch die finanzielle Luderwirtschaft eines Staatsregiments, das den Kindersegen zu einem Fluch für die Eltern gestaltet …108 Wer körperlich und geistig nicht gesund und würdig ist, darf sein Leid nicht im Körper seines Kindes verewigen. Der völkische Staat hat hier die ungeheuerste Erziehungsarbeit zu leisten. Sie wird aber dereinst auch als eine grössere Tat erscheinen, als es die siegreichsten Kriege unseres heutigen bürgerlichen Zeitalters sind. Er hat durch Erziehung den einzelnen zu belehren, dass es keine Schande, sondern nur ein bedauernswertes Unglück ist, krank und schwächlich zu sein, dass es aber ein Verbrechen und daher zugleich eine Schande ist, dieses Unglück durch eigenen Egoismus zu entehren, indem man es unschuldigen Wesen wieder aufbürdet; dass es demgegenüber von einem Adel höchster Gesinnung und bewundernswertester Menschlichkeit zeugt, wenn der unschuldig Kranke, unter Verzicht auf ein eigenes Kind, seine Liebe und Zärtlichkeit einem unbekannten armen, jungen Sprossen seines Volkstums schenkt, der in seiner Gesundheit verspricht, dereinst ein kraftvolles Glied einer kraftvollen Gemeinschaft zu werden. Und der Staat hat in dieser Erziehungsarbeit die rein geistige Ergänzung seiner praktischen Tätigkeit zu

107 Die Auflistung stellt eine Zusammenfassung verschiedener Abschnitte der Schrift von Nicolai dar (vgl. Nicolai, Staat, S. 49). 108 Hier wird eine Passage über die sozialen Voraussetzungen für kinderreiche Familien ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 447).

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leisten. Er muss ohne Rücksicht auf Verständnis oder Unverständnis, Billigung oder Missbilligung in diesem Sinne handeln. Eine nur sechshundertjährige Verhinderung der Zeugungsfähigkeit und Zeugungsmöglichkeit seitens körperlich Degenerierter und geistig Erkrankter würde die Menschheit nicht nur von einem unermesslichen Unglück befreien, sondern zu einer Gesundung beitragen, die heute kaum fassbar erscheint.“ („Mein Kampf, II., S. 446–448). 15.) Dr. Küchenhoff: „Das, was das Leben des einzelnen innerlich auszufüllen vermag, wenn er dem Sinne seines Daseins nachgrübelt, und wofür er opfern kann, ist nicht sein persönlicher Vorteil, seine wirtschaftliche Stellung, sondern der Gedanke der Erhaltung der Art, der Rasse und des Volkes und des sie schützenden Staates. Innerlich befriedigt nur die Arbeit im Lebensrhythmus der Volksgemeinschaft in gleicher Schicksalsverknüpfung, der einzelne wird nur wertvoll im Strome seines Volkes, das ihn in Jahrhunderten überleben soll, und für das zu wirken und zu arbeiten allein das Leben lohnt.“ (Nationaler Gemeinschaftsstaat, S. 10) – Schraut (Oberregierungsrat)109 trug auf dem Kongress der Juristen, der Ende September, Anfang Oktober 1933 stattfand, über die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft Folgendes eindringlich vor: „In der liberalistischen Zeit war die Einzelperson der Ausgangspunkt aller rechtlichen Betrachtung. Wir N[ational]-S[ozialist]en stellen im Gegensatz hierzu das Volksganze in den Mittelpunkt unseres rechtlichen Denkens, und Recht ist für uns, was dem eigenen Volke dient. Der einzelne ist nichts, das Volk alles.110 Der Schutz und die Erhaltung des Volkes ist oberstes Gebot. Im Vordergrund steht hier der Schutz unserer Rasse.“111 (Frankfurter Zeitung, 4. Oktober 1933. Nr. 735, S. 3) – Hitler: „Man bemüht sich nicht mehr, das Beste für die Nachwelt heranzuzüchten, sondern lässt die Dinge laufen, wie sie eben laufen. Dass sich dabei auch unsere Kirchen am Ebenbilde des Herrn versündigen, dessen Bedeutung von ihnen noch am allermeisten betont wird, liegt ganz in der Linie ihres heutigen Wirkens, das immer vom Geiste redet und den Träger desselben, den Menschen, zum verkommenen Proleten degenerieren lässt. Dann allerdings staunt man mit blöden Gesichtern über die geringe Wirkung des christlichen Glaubens im eigenen Lande, über die entsetzliche „Gottlosigkeit“ dieses körperlich verhunzten und damit natürlich auch geistig verlumpten Jammerpacks, und sucht sich dafür mit Erfolg bei Hottentotten und Zulukaffern mit dem Segen der Kirche zu entschädigen. Während unsere europäischen Völker Gott sei Lob und Dank in den Zustand eines körperlichen und moralischen Aussatzes verfallen, wandert der fromme Missionar nach Zentralafrika und errichtet Negermissionen, bis unsere „höhere Kultur“ aus gesunden, wenn auch primitiven und tief stehenden Menschenkindern auch dort eine faulige Bastardenbrut gemacht haben wird. Es würde dem Sinne des Edelsten auf dieser Welt mehr entsprechen, wenn unsere beiden christlichen Kirchen statt die Neger mit Missionen zu belästigen, die jene weder wünschen noch verstehen, unsere europäische Menschheit gütig, aber allen Ernstes belehren würden, dass es bei nicht gesunden Eltern ein Gott gefälligeres112 Werk ist, sich eines gesunden armen kleinen Waisenkindes zu erbarmen, um diesem Vater und Mutter 109 Der Jurist Rudolf Schraut war Oberregierungsrat im Reichjustizministerium, 1933 für kurze Zeit Leiter der rechtspolitischen Abteilung in der Reichsleitung der NSDAP und gab im selben Jahr den Sammelband Zum deutschen Juristentag heraus (vgl. Becker, Schritte, S. 94). 110 Unterstreichung nicht im Original. 111 Im Original gesperrt gedruckt. 112 Im Original „wohlgefälligeres“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 446).

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zu schenken, als selbst ein krankes, sich und der anderen Welt nur Unglück und Leid bringendes Kind ins Leben zu setzen.“ (Mein Kampf, II., S. 445/46). „Von Zeit zu Zeit wird in illustrierten Blättern dem deutschen Spiesser vor Augen geführt, dass da oder dort zum erstenmal ein Neger Advokat, Lehrer, gar Pastor, ja Heldentenor oder dergleichen geworden ist. Während das blödselige Bürgertum eine solche Wunderdressur staunend zur Kenntnis nimmt, voll von Respekt für dieses fabelhafte Resultat heutiger Erziehungskunst, versteht der Jude sehr schlau, daraus einen neuen Beweis für die Richtigkeit seiner den Völkern einzutrichternden Theorie von der Gleichheit der Menschen113 zu konstruieren. Es dämmert dieser verkommenen Welt nicht auf, dass es sich hier wahrhaft um eine Sünde an jeder Vernunft handelt; dass es ein verbrecherischer Wahnwitz ist, einen geborenen Halbaffen so lange zu dressieren, bis man glaubt, aus ihm einen Advokaten gemacht zu haben, während Millionen Angehörige der höchsten Kulturrasse in vollkommen unwürdigen Stellungen verbleiben müssen; dass es eine Versündigung am Willen des ewigen Schöpfers ist, wenn man Hunderttausende und Hunderttausende seiner begabtesten Wesen im heutigen proletarischen Sumpf verkommen lässt, während man Hottentotten und Zulukaffern zu geistigen Berufen hinaufdressiert. Denn um eine Dressur handelt es sich dabei, genau so wie bei der des Pudels, und nicht um eine wissenschaftliche „Ausbildung“. Die gleiche Mühe und Sorgfalt auf Intelligenzrassen angewendet, würde jeden einzelnen tausendmal eher zu gleichen Leistungen befähigen.“ (a. a. O., S. 478/79). 16.) Hitler (Mein Kampf, II., S. 492): „Es wäre Wahnwitz, den Wert des Menschen nach seiner Rassenzugehörigkeit abschätzen zu wollen, mithin dem marxistischen Standpunkt: ‚Mensch ist gleich Mensch‘ den Krieg zu erklären, wenn man dann doch nicht entschlossen ist, auch die letzten Konsequenzen zu ziehen. Die letzte Konsequenz der Anerkennung der Bedeutung des Blutes, also der rassenmässigen Grundlage im allgemeinen, ist aber die Übertragung dieser Einschätzung auf die einzelne Person. So wie ich im allgemeinen die Völker auf Grund ihrer rassischen Zugehörigkeit verschieden bewerten muss, so auch die einzelnen Menschen innerhalb einer Volksgemeinschaft. Die Feststellung, dass Volk nicht gleich Volk ist, überträgt sich dann auf den einzelnen Menschen innerhalb einer Volksgemeinschaft etwa in dem Sinne, dass Kopf nicht gleich Kopf sein kann, weil auch hier die blutsmässigen Bestandteile wohl in grossen Linien die gleichen sind, allein im Einzelnen doch tausendfältigen feinsten Differenzierungen unterliegen.“ Derselbe im selben Buch S. 478/79 vgl. oben Fn. 15. 17.) Hitler (Mein Kampf, II., S. 493): „Eine Weltanschauung, die sich bestrebt, unter Ablehnung des demokratischen Massengedankens, dem besten Volk, also den höchsten Menschen, diese Erde zu geben, muss logischerweise auch innerhalb des Volkes wieder dem gleichen aristokratischen Prinzip gehorchen und den besten Köpfen die Führung und den höchsten Einfluss im betreffenden Volke sichern. Damit baut sie nicht auf dem Gedanken der Majorität, sondern auf dem der Persönlichkeit auf.“ Derselbe im selben Buch S. 420/21; vgl. Fn. 7. 18.) Hitler (Mein Kampf, II., S. 497): Die Organisation „muss in sich selbst eine Verkörperung des Strebens sein, die Köpfe über die Masse zu stellen und diese mithin den Köpfen unterzuordnen …114 Sie hat dabei von dem Grundsatz auszugehen, dass für 113 Im Original gesperrt gedruckt (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 479). 114 Hier wird eine kurze Passage über das „Heraustreten der Köpfe aus der Masse“ ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 497).

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die Menschheit der Segen nie in der Masse lag, sondern in ihren schöpferischen Köpfen ruhte, …115 Das Aussuchen dieser Köpfe besorgt, wie schon gesagt, vor allem der harte Lebenskampf selbst. Vieles bricht und geht zugrunde, erweist sich also doch nicht als zum Letzten bestimmt, und wenige nur erscheinen zuletzt als auserwählt.“ 19.) Nicolai (Der Staat etc., S. 28): „Die Befähigung zum politischen Führer ergibt sich nicht aus Bildung und Wissen, sondern ist angeboren. Sie hängt von natürlicher Begabung116 ab in der gleichen Weise wie auch die Eignung für bestimmte Berufe von angeborenen Begabungen abhängig ist, …117 Die angeborenen Charaktereigenschaften des Führers sind insbesondere Mut, Idealismus, politischer Instinkt („Fingerspitzengefühl“), rednerische Begabung, logisches Denkvermögen, Fähigkeit zum Erfassen weltanschaulicher Zusammenhänge. Hierbei handelt es sich um ererbte Veranlagungen. Es steht erfahrungsgemäss fest, dass die Nachkommen von Männern, die in einem bestimmten Beruf Hervorragendes geleistet haben, in der Regel ebenfalls eine gute Veranlagung für diesen Beruf mit auf die Welt bringen. In der gleichen Weise vererbt sich auch die Führernatur auf spätere Generationen.“ – Hitler (Mein Kampf, II., S. 570/71): „Es liegt nun ganz im Wesen sogenannter grosser Zeitfragen, dass sich an ihrer Lösung Tausende betätigen, dass viele sich berufen glauben, ja dass das Schicksal selbst verschiedene zur Wahl vorschlägt, um nun im freien Spiel der Kräfte dem Stärkeren, Tüchtigeren endgültig den Sieg zu geben und ihm die Lösung des Problems anzuvertrauen. … 118 Sicher wird auch hier, kraft natürlicher Ordnung, der Stärkste dazu bestimmt sein, die grosse Mission zu erfüllen; allein die Erkenntnis, dass eben dieser eine119 der ausschliesslich Berufene sei, pflegt den andern meistens erst sehr spät zu kommen. Sie sehen sich im Gegenteil alle als gleichberechtigt und berufen zur Lösung der Aufgabe an, und die Mitwelt vermag gewöhnlich am allerwenigsten zu unterscheiden, wer von ihnen – weil allein zum Höchsten befähigt – einzig ihre Unterstützung verdient …120 Wie aber sollte die Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Weges von aussen her bestimmt werden, wenn nicht dem Spiel der Kräfte freie Bahn gegeben, die letzte Bestimmung dem doktrinären Entscheid menschlicher Besserwisser entzogen und der untrügerischen Beweisführung des sichtbaren Erfolges überantwortet worden wäre, der schliesslich der Richtigkeit einer Handlung immer die letzte Bestätigung geben wird!“ 20.) Stapel, Wilh., (Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, S. 17)121: „Das Volk weiss nicht, was es will, es hat nur den Instinkt. Der Führer aber weiss, was das Volk will. Das macht ihn zum Führer. Sofern er das Volk zwingt, zwingt er es zu seinem, des

115 Hier wird eine Passage über die Führung durch die dazu Befähigten ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 497). 116 Im Original „natürlichen Begabungen“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 28). 117 Hier wird eine Reihe von Beispielen im Originaltext von Nicolai ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 28). 118 Hier wird eine Passage über das Auftreten von Propheten im Laufe von Jahrhunderten ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 570). 119 Im Original gesperrt gedruckt (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 570). 120 Hier werden längere Passagen über das Entstehen verschiedener Bewegungen und religiöser Gruppen im Laufe der Jahrhunderte ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 571). 121 Gemeint sind der protestantische Publizist Wilhelm Stapel, einer der führenden Köpfe der „Konservativen Revolution“ in den 1920er Jahren und nach 1933 im „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ tätig, und seine Schrift Die Kirche Christi und der Staat Hitlers (1933) (vgl. Vordermayer, Bildungsbürgertum, S. 299–305).

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Volkes guten Willen, über blosse Launen und widersetzliche Stimmungen, die auch122 im Volke sind, hinweg. Das Ideal ist also nicht die in sich und ihrem Gewissen, ihrer Vernunft, ihrer Schönheit ruhende „freie“ Persönlichkeit, sondern der Mann, der das Notwendige, zu dem er um des Volkes willen berufen ist, vollzieht. Nicht die freie Persönlichkeit, sondern das Volk ist die Substanz des Lebens, von der aus die Gleichgeartetheit, die Hierarchie der Führung und die Totalität des Staates bestimmt wird.“ 21.) Nicolai (Der Staat usw., S. 28/29): „Die Auswahl der Führer.123 Die politische Führerschicht der NSDAP. hat sich im Laufe des revolutionären Kampfes der Partei von selbst herausgebildet. Sie ist eine natürliche Auswahl im Sinne einer Elite (Sorel).124 Die natürliche Bildung war ein einmaliger Vorgang, für den folgende Tatsachen von ausschlaggebender Bedeutung waren: Die völkische Ideenwelt der NSDAP zog nur solche Menschen an sich, die politischen Ideen von Natur aus zugänglich sind. Die Gefahren, mit denen das Eintreten für die NSDAP verbunden war, zogen nur die Mutigen herbei und schreckten die Feigen ab. Die Opfer, die der Kampf der NSDAP verlangte, veranlassten nur die Opferwilligen zum Mitgehen und stiessen die Selbstsüchtigen ab. Die Leistungen, die von der NSDAP verlangt wurden, ergaben von selbst die Notwendigkeit zur Ausmerzung Leistungsunfähiger.125 Da sich die Bildung einer „Elite“ nur im revolutionären Kampf vollziehen kann, ist zur Ergänzung der durch natürliche Auslese entstandenen Führerschaft in Zukunft die künstliche Heranbildung von Führern erforderlich.126 Für die Auswahl der Führer aus dem durch natürliche Auslese vorhandenen oder künstlich herangebildeten Kräfte-reservoir [!] gilt der Grundsatz der Leistungsfähigkeit.“ – Hitler (Mein Kampf, S. 501/02): „Der völkische Staat hat, angefangen bei der Gemeinde bis hinauf zur Leitung des Reiches, keinen Vertretungskörper, der etwas durch Majorität beschliesst, sondern nur Beratungskörper, die dem jeweilig gewählten Führer zur Seite stehen und von ihm in die Arbeit eingeteilt werden, um nach Bedarf selber auf gewissen Gebieten wieder unbedingte Verantwortung zu übernehmen, genau so wie sie im grösseren der Führer oder Vorsitzende der jeweiligen Korporation selbst besitzt …127 In keiner Kammer und in keinem Senate findet jemals eine Abstimmung statt. Sie sind Arbeitseinrichtungen und keine Abstimmungsmaschinen. Das einzelne Mitglied hat beratende Stimme, aber niemals beschliessende. Diese kommt ausschliesslich nur dem jeweils dafür verantwortlichen Vorsitzenden zu. Dieser Grundsatz unbedingter Verbindung von absoluter Verantwortlichkeit mit absoluter Autorität wird allmählich eine Führerauslese heranzüchten, wie dies heute im Zeitalter des verantwortungslosen Parlamentarismus gar nicht denkbar ist.“ 122 Im Original gesperrt gedruckt (vgl. Stapel, Kirche, S. 17). 123 Im Original hier ergänzend die Wendung „Natürliche Auslese.“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 28). 124 Gemeint ist der französische Philosoph Georges Sorel, ein Begründer des Syndikalismus und in seiner Mythisierung und Verherrlichung der Gewalt ein Ideengeber des Faschismus (vgl. Freund, Sorel, S. 222 f.; Steil, Revolte, S. 43–48). 125 Hier wird eine Passage über unerwünschte Mitläufer in der „Kampfzeit“ der NSDAP ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 28 f.). 126 Hier wird eine Passage über die Schulung von künftigen Führern ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 29). 127 Hier wird eine Passage über den ständischen Aufbau eines völkischen Staates ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 502).

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22.) Nicolai (Die rassengesetzliche Rechtslehre, S. 28128): „Die Rassenseele äussert sich im einzelnen Menschen durch das Gewissen oder durch das Gefühl. Es handelt sich hier um eine angeborene Eigenschaft, um einen Trieb, einen Instinkt, der das äussere Verhalten des Menschen regelt. Dieses Gefühl wird durch Erbgang übertragen. Es kommt also aus dem Gesetz des Lebens selbst, ist biologisch, lebensgesetzlich.“129 Derselbe im selben Buch S. 33130: „Es ist Aufgabe des Rechts, die reine Art zu erhalten, die Reinrassigkeit zu schützen, damit gleichzeitig aber auch das Rechtsgefühl und das Rechtsgewissen, also die Quelle allen Rechts zu erhalten. Recht ist demnach nur das, was der Erhaltung des Lebens, der Erhaltung einer Art dient. Zwangssätze, die die Rassenkreuzung, die Rassenschande zulassen oder gar fördern, verstossen gegen die natürlichen, sittlichen Grundlagen allen Rechtes überhaupt und stellen ein Scheinrecht, ein unrichtiges Recht, ein Unrecht dar.“ – Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat, S. 21–23): „Zu jenen in ihren verschiedenartigen Ausgestaltungen nur rassisch erklärbaren, sonst aber verständesmässig nicht mehr auflösbaren Urerscheinungen und Urgefühlen gehört nun ausser religiöser Sehnsucht und künstlerischem Gestaltungstrieb insbesondere: das Gewissen als instinkthaftes angeborenes Wissen um Gut und Böse …131 Man wollte oder konnte endlich in einer romanistisch und jüdisch verwirrten Lehre nicht mehr empfinden und anerkennen, dass in jedem einzelnen die innere Stimme des Gewissens in einem in Ausgestaltung und Äusserung rassisch bedingten Urgefühl lebt und vor unrechter Tat warnt und – vielfach den Gegensatz weisend – zu rechter Tat mahnt und treibt, und dass hier der Urgrund des Rechts liegt …132 ein Sichversenken in die Tiefen des menschlichen Bewusstseins führt zur Feststellung, dass hier das Rechtsgewissen vorhanden ist, aus dem instinkt- und gefühlsmässig aufsteigt, was im Zusammenleben mit anderen zu tun und zu unterlassen ist. Dieses Rechtsgewissen äussert sich unabhängig vom Staat, vor dem Wissen um den Staat, beim Einzelnen in seinen Beziehungen zu Familie und Volksgenossen unmittelbar, ist vorhanden ohne Nachdenken nur aus den rassischen Gegebenheiten heraus und leitet wiederholt unbewusst. Schon das Kind empfindet, wo Recht und Unrecht liegt. Der einzelne Volksgenosse fühlt sich nicht nur selbst in seinem Handeln von den Vorstellungen von Gut und Böse, Recht und Unrecht bestimmt, sondern entscheidet sofort und instinktiv einen ihm vorgetragenen Fall, ohne an Staat und Gesetz auch nur zu denken.“ – Vgl. auch Hitler, Mein Kampf, S. 443 ff.; außerdem, was oben über „Instinkt und Geist der Rasse“ als Quelle allen Rechts gesagt wird. 23.) Hitler (Mein Kampf, S. 475/76): „Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassensinn und das Rassengefühl instinkt- und verstandesmässig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein. Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die Erhaltung 128 Im Original auf Seite 27. 129 Es fehlt der Schlussteil des Satzes: „lebensgesetzlich und in der Rasse begründet.“ (vgl. Nicolai, Rechtslehre, S. 27). 130 Im Original auf Seite 31. 131 Hier wird eine längere Passage ausgelassen, in der sich Küchenhoff vor allem mit dem „Unterschied zwischen Sittlichkeit und Recht“ beschäftigt (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 22). 132 Hier wird eine kurze Passage ausgelesen, in der Küchenhoff auf das Rechtsverständnis von Sokrates, Platon und Goethe hinweist (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 22 f.).

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der rassenmässigen Grundlagen unseres Volkstums und durch sie wiederum die Sicherung der Vorbedingungen für die spätere kulturelle Weiterentwicklung. Denn alle körperliche und alle geistige Ausbildung würde im letzten Ende dennoch wertlos bleiben, wenn sie nicht einem Wesen zugutekäme, das grundsätzlich bereit und entschlossen ist, sich selbst und seine Eigenart zu erhalten.“ – Nicolai (Der Staat usw., S. 34/35): „Die Verwirklichung der nationalsozialistischen Gedankenwelt kann nicht nur durch staatlichen Zwang erfolgen, sondern erfordert ausserdem eine geistige Umstellung des gesamten Denkens des Volkes, die durch das Mittel der Erziehung erreicht wird. I. Die Forderungen, die der nationalsozialistische Staat hinsichtlich der Erziehung stellen muss, sind wesentlich weitergehende als im liberalen Staat. 1a) Im liberalen Staate beeinflusste der Staat die Erziehung fast nur durch Schulen. b) Im nationalsozialistischen Staate werden daneben auch weitestgehend andere Mittel in den Dienst der Volkserziehung gestellt, z. B. Einrichtung des Reichpropagandaministeriums, Einführung der Arbeitsdienstpflicht, Förderung des Sportes und der Wehrfähigkeit, die gesamte Gleichschaltung der Verbände, Beamtenschulung. 2a) Im liberalen Staat wurde auf die Wünsche der Erziehungsberechtigten weitgehendste133 Rücksicht genommen, z. B. Zulassung von Weltanschauungsschulen, grösste Freiheit der Kirchen. b) Im nationalsozialistischen Staate steht die gesamte Erziehung im Dienste der nationalsozialistischen Weltanschauung. Die Kirchen haben einerseits religiöse Lehrfreiheit, haben andererseits aber auf die staatlichen Ziele weitgehendste134 Rücksichten zu nehmen. Konkordate sind dementsprechend auszulegen. Diese Dinge sind aber noch im Flusse. II. Die Grundlagen der Erziehung (nicht nur des Lehrstoffes) sind völlig verändert worden. la) Nach liberaler Weltanschauung kann der Mensch durch Erziehung gebessert werden, und zwar nicht nur der Einzelmensch, sondern auch die Erbmasse des Volkes (Folge des Glaubens an die Vererbung erworbener Eigenschaften). b) Nach rassengesetzlicher Erkenntnis kann durch Erziehung nur der Einzelmensch erfasst werden, und auch dieser nur, insoweit die Erbanlagen dies zulassen. Es kann also nicht die angeborene Güte des Volkes verbessert werden. 2a) Nach liberaler Auffassung liegt der Wert der „Bildung“ in der Fülle des Wissens. b) Nach rassengesetzlicher Auffassung135 liegt der Wert im angeborenen Charakter, der durch Wissen nicht verändert, aber gepflegt und in richtiger Weise ausgebildet werden kann. 3a) Nach liberaler Auffassung sind Körper und Geist von einander getrennte Dinge. Man legte vor allem auf die geistige Ausbildung Wert.“ – Reichsminister Rust (gab Richtlinien heraus, nach denen die Jugend in den Schulen über die erb-biologische Lehre und die Ausbildung eines eigenen „Rasse“-geistes belehrt und unterrichtet werden soll; die wichtigsten Punkte sind folgende)136: „Ziel der Vererbungslehre und Ras133 134 135 136

Im Originaltext „weitestgehende“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 34). Im Originaltext „weitestgehende“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 34). Im Originaltext „Anschauung“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 34). Gemeint sind Bernhard Rust, ab 1933 Preußischer Kultusminister, von 1934 bis 1945 Reichminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (vgl. Nagel, Bildungsreformer, S. 50–69), und sein

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senkunde ist137, erstens „Einsicht zu gewinnen in die Zusammenhänge, die Ursachen und Folgen aller mit Vererbung und Rasse in Verbindung stehenden Fragen“, zweitens „Verständnis zu wecken für die Bedeutung, welche die Rassen- und die Vererbungserscheinungen für das Leben und Schicksal des deutschen Volkes und die Aufgaben der Staatsführung haben“ und drittens „in der Jugend Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber der Gesamtheit des Volkes, d. h. der Ahnen, den lebenden und den kommenden Geschlechtern zu stärken, Stolz auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volk als einem Hauptträger des nordischen Erbgutes zu wecken und auf138 den Willen der Schüler in der Richtung einzuwirken, dass sie an der rassischen Aufartung des deutschen Volkstums bewusst mitarbeiten.“ Diese Schulung von Sehen, Fühlen, Denken und Wollen soll bereits auf der Unterstufe einsetzen, so dass entsprechend dem Willen des Führers und Reichskanzlers139 „kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlässt, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinigung geführt zu sein.“140 …141 Der neue Staat sieht es als seine Pflicht an, die Schüler mit den wichtigsten Ergebnissen der Erb- und Familienforschung bekannt zu machen, um die schicksalhafte Bedeutung des Erbgutes und der Rasse für den Einzelnen wie für das ganze Volk deutlich zu machen. Der Schüler soll lernen, sich als Glied in der ewigen Kette seines Volkes zu fühlen; er muss wissen, dass die wichtigste Eigenschaft seines Volkes seine Rasse ist, die scharf von der Sprach-, Kultur- oder Bekenntnisgemeinschaft zu trennen ist. Für die Zukunft eines Volkes ist es entscheidend, ob die tüchtigsten Erbstämme im Laufe der Geschichte erhalten und gefördert werden, oder ob umgekehrt die weniger tüchtigen Erblinien sich allmählich wieder stärker ausbreiten, während die hochwertigen zugrunde gehen. Der Staat hat durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auf menschliche Weise die natürlichen Lebensgesetze wieder befolgt, die zugunsten einer falschen Lebensauffassung im letzten Jahrhundert immer mehr missachtet wurden … Da allen deutschen Stämmen und allen Volksgenossen Einschläge nordischen Blutes gemeinsam sind, und sie in Wahrheit blutsmässig zusammenhalten, so liegt hier die biologisch-rassenkundliche Grundlage des Erlebnisses der Volksgemeinschaft. Das sicherste Kennzeichen einer Rasse wird immer ihre charakterlich-seelische und geistige Haltung und Leistung sein … Die Gefahren der Rassenmischung mit fremdartigen Gruppen, besonders mit aussereuropäischen Bestandteilen, sollen nachdrücklichst dargestellt werden … Die Weltgeschichte ist als Geschichte rassisch bestimmter Volkstümer darzustellen. Die auf den wissenschaftlichen Ergebnissen der Erblehre und Biologie aufgebaute rassische Geschichtsbetrachtung widerlegt Auffassungen, wie sie etwa in der liberalen Fortschrittslehre zum Ausdruck kommen. Aus dem Rassengedanken ist weiterhin die Ablehnung der Demokratie oder anderer Gleichheitsbestrebungen (Paneuropa, Menschheitskultur) abzuleiten und der Sinn für den

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Erlass „Vererbungslehre und Rassenkunde im Unterricht“ vom 15.1.1935 (vgl. Fricke-Finkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 215–220). Die Einleitung ist eine Paraphrase der Einstiegsformulierungen des Originaltextes (vgl. FrickeFinkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 216). Im Original „und damit auf“ (vgl. Fricke-Finkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 216). Eine Paraphrase des Originaltextes (vgl. Fricke-Finkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 216). Ein Zitat aus Mein Kampf (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 476). Die folgenden Passagen sind keine Zitate aus dem Erlass „Vererbungslehre und Rassenkunde im Unterricht“ vom 15.1.1935, sondern paraphrasieren zum Teil sehr frei verschiedene Stellen daraus (vgl. Fricke-Finkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 216–220).

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Führergedanken zu stärken. Bei dieser lebensgeschichtlichen Art der Geschichtsbetrachtung erweist sich aber auch die ungeheure kulturelle Bedeutung der nationalsozialistischen Erneuerung unserer Tage. Denn sie ist vielleicht der letztmögliche Versuch, die nordrassische Kultur Europas vor dem Verderb durch Fremdtum zu bewahren und sie zu erneuern … Am Schluss des Erlasses spricht Reichsminister Rust die Erwartung aus, dass jeder Erzieher und jede Erzieherin vor der heranwachsenden Jugend jene charakterlich-seelische Haltung und Lebensführung entfalte, welche allein zur Nacheiferung anspornt … Nur wenn er sein eigenes Denken, Wollen und Handeln ganz aus völkischer Lebensschau gestalte, könne er am Werk unseres Führers mitschaffen und an seinem Teil dazu beitragen, dass uns eine völkisch gesinnte deutsche Jugend mit „strahlendem Geist in herrlichen Leibern“ heranwachse.“ 24.) Hitler (Mein Kampf, S. 451 f., 459): „Wie im allgemeinen die Voraussetzung geistiger Leistungsfähigkeit in der rassischen Qualität des gegebenen Menschenmaterials liegt, so muss auch im Einzelnen die Erziehung zuallererst die körperliche Gesundheit ins Auge fassen und fördern; denn in der Masse genommen wird sich ein gesunder, kraftvoller Geist auch nur in einem gesunden und kraftvollen Körper finden. Die Tatsache, dass Genies manches Mal körperlich wenig gebildete142, ja sogar kranke Wesen sind, hat nichts dagegen zu sagen. Hier handelt es sich um Ausnahmen, die – wie überall – die Regel nur bestätigen …143 Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen blossen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wird144 an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlusskraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als Letztes die wissenschaftliche Schulung …145 Analog mit der Erziehung des Knaben kann der völkische Staat auch die Erziehung des Mädchens von den gleichen Gesichtspunkten aus leiten. Auch dort ist das Hauptgewicht vor allem auf die körperliche Ausbildung zu legen, erst dann auf die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte.“ 25.) Mehr wird unten dazu gesagt, wo der Staat und seine „Totalität“ behandelt werden. Nur ein Text soll hier angeführt werden. Gauleiter und Oberpräsident Kube146 trug auf einem Kongress der Brandenburger Jugend Folgendes vor: „Wir werden dafür sorgen, dass Deutschlands Jugend im stolzen Geist von Langemark147 [!] und nicht in irgendwelchem Konfessionsgeist erzogen wird. Der Glaube der deutschen Jugend ist allein der Glaube an Deutschland.148 … Denn Sitte, meine deutschen Jungen, liegt im Blut und nicht in der Dressur, noch dazu, wenn diese aus Vorderasien bezogen ist … Darum sollt ihr auch heute in der konfessionellen Hetze euch eins merken: Gott will, 142 Im Original „gutgebildete“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 452). 143 Hier wird eine Passage über „körperliche Regeneraten“ ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 452). 144 Im Original „wieder“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 452). 145 Hier werden mehrere Seiten des Originals ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 459 f.). 146 Gemeint ist Wilhelm Kube, einer der Begründer der Bewegung „Deutsche Christen“ und ab 1933 Oberpräsident der Provinz Brandenburg-Berlin sowie Gauleiter des Gaues Kurland (vgl. NDB, Bd. 13, 156 f.; Lilla (Bearb.), Statisten, S. 348–350; Wilhelm, Diktaturen, S. 71). 147 Die Langemarck-Erzählung war eine der zentralen deutschen Mythen des Ersten Weltkriegs, wonach im Herbst 1914 die deutsche Jugend singend in den Tod marschiert sei (vgl. Dithmar (Hg.), Langemarck-Mythos, S. 7, 10). 148 Im Original gesperrt gedruckt.

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mein deutscher Junge, dass du auf Erden an Deutschland und sein unsterbliches Leben glaubst. Und wir werden dir das Recht auf diesen Glauben ertrotzen … Und dann wird ein Hitlerdeutschland sein ohne Reaktion, ohne Konfessionshader … Adolf Hitler, gestern, heute und in alle Ewigkeit: Siegheil!“ (Allgemeine - Lutherische Kirchenzeitung, Nr. 38, 21. September 1934).149 26.) Es reicht aus, die zwei wichtigsten Werke zu nennen, in denen die christliche Religion mit schlimmsten Vorwürfen überhäuft und ihre Ausrottung gefordert wird, und die vom Hl. Offizium auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden sind: A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts150, und E. Bergmann, Die deutsche Nationalkirche.151 Bergmann hat darüber hinaus noch eine kleine Schrift herausgegeben, die wie ein Katechismus verfasst ist. Darin hat er die wichtigsten Punkte der neuen „Deutschreligion“ kurz zusammengefasst; der Titel dieser Schrift lautet „Die 25 Thesen der Deutschreligion, Ein Katechismus“. Ein kurzer Text aus dieser Schrift möge angeführt werden; die erste These lautet folgendermaßen: „Der Deutsche hat seine eigene Religion, die lebendig aus seinem artgebundenen Schauen, Fühlen und Denken quillt. Wir nennen sie die Deutschreligion oder deutsch-völkische Religion und verstehen darunter den arteigenen und artechten152 deutschen Heimatglauben“ (S. 6); und bei der Erklärung dieser These liest man Folgendes: „Arteigen und artecht ist eine Religion, wenn sie aus Blut und Boden und Ahnenerbe eines Volkes ohne fremde Zutaten und Einflüsse gewachsen ist und infolgedessen den Seelenstil dieses Volkes rein und unverfälscht wiederspiegelt [!]. Eine nicht artechte153 oder Fremdreligion ist die einem Volke in einem bestimmten Zeitraum seiner Entwicklung aufgezwungene Fremdlehre, an deren Entstehung dieses Volk nicht mitgewirkt hat und deren Wesenszüge ihm innerlich nicht angepasst und auch niemals völlig anpassbar sind. Eine solche Fremdreligion ist für die Deutschen das Christentum, das vor 1200 Jahren durch den Sachsenschlächter Karl154 mit Feuer und Schwert in Germanien eingeführt wurde und heute noch in Deutschland als staatlich anerkannte Religion gilt. Diese Religion ist besonders deshalb dem deutschen Wesen artfremd, weil sie eine Schöpfung vorwiegend orientalischen Geistes ist und auf dem sakralen (heiligen) Schrifttum der Juden alten und neuen Bundes beruht. Sie widerspricht in fast allen Punkten dem germanischen Sittlichkeits- und Moralgefühl.“ (S. 6/7). 27.) Reichsjustizkommissar und Staatsminister Dr. Frank155 betonte (am 30. September 1933) auf dem deutschen Juristentag in Leipzig unter stärkstem Beifall, dass die nationalsozialistischen Juristen in jedem Recht nur das Mittel zu dem Zweck sehen, 149 Gemeint ist die Allgemeine Eangelisch-Lutherische Kirchenzeitung. Die Auslassungen im Text finden sich auch im Original. 150 Vgl. S. 77 f. 151 Die Schrift Die deutsche Nationalkirche (1933) des Philosophen und Nationalsozialisten Ernst Bergmann wurde – gemeinsam mit Rosenbergs Mythus – am 7.2.1934 von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt (vgl. Bahn, Bergmann, S. 239–241; Burkard, Häresie, S. 11; Wolf, Papst, S. 281). Auch seine Schrift Die natürliche Geistlehre (1937) wurde im Jahr ihres Erscheinens auf den Index gesetzt (vgl. Burkard, Häresie, S. 11). 152 Im Original „artrechten“ (vgl. Bergmann, Thesen, S. 6). 153 Im Original „artrechte“ (vgl. Bergmann, Thesen, S. 6). 154 Gemeint ist Karl der Große. 155 Gemeint ist Hans Frank, der bereits vor 1933 zu einem der wichtigsten Juristen innerhalb der NSDAP aufstieg, 1934 bayerischer Justizminister und Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz und 1939 Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete wurde. Auf dem Deutschen Juristentag

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einer Nation die heldischen Kräfte zum Wettstreit sicherzustellen. Eine notwendige Folge dieses Bekenntnisses sei es, dass die Rasse als leitender Gesichtspunkt eintrete in die Fülle der Rechtsbegriffe. Das Rassenproblem sei „der Ausgangspunkt für die Befreiung des gesunden Teils aller wertvollen Völker von dem Irrwahn der Dekadenz und seiner Trabanten.“156 – Nicolai (Der Staat usw., S. 14/15): „Die Rechtsphilosophie, die die Weltanschauung des Nationalsozialismus in sich birgt, ist die rassengesetzliche Rechtslehre. Aufgabe der deutschen Rechtswissenschaft der Zukunft ist der Ausbau der rassengesetzlichen Rechtsphilosophie und in Verbindung damit: a) Schaffung einer Rechtsgeschichte auf rassischer Grundlage zur Erforschung des Zusammenhanges von Rasse und Recht, der vor allem im Recht der nordischen Völker zutage tritt. b) Entfaltung einer zielbewussten Gesetzgebung nach rassengesetzlichem Ideal …157 Die rassengesetzliche Gesetzgebung des Nationalsozialismus hat folgende Grundgedanken158: 1. Das Recht ist angeboren. Es entspringt den natürlich gegebenen sozialen Instinkten der Menschen. Die sozialen Instinkte der Menschen sind verschieden nach den verschiedenen Rassen der Menschen. Daraus folgt: 2. Das Recht ist seinem Geiste nach bestimmt durch die Rasse der Menschen. Beispiele: a) Das germanisch-deutsche Recht als Recht einer ganz oder fast rassenreinen nordischen Menschengruppe. b) Das spätrömische Recht als Recht einer rassischen Mischbevölkerung …159 III. Dem Leben einer bestimmten Volksgemeinschaft kann nur ein Recht dienen, das der Artung (Rasse) des Volkes angemessen ist. 1. Das Recht darf nicht international sein, also nicht für alle Menschen gleich, sondern es muss verschieden sein nach der verschiedenen Artung der Menschen. Dem Deutschen gebührt das deutsche Recht. Deshalb sind das rezipierte römische Recht und die römisch-rechtliche Behandlung des Rechtsstoffes zu überwinden und durch deutschrechtliche Gestaltung und Behandlung zu ersetzen. 2. Im Mittelpunkt des gesamten Rechtslebens (als „zentrale Rechtsidee“) muss das rassengesetzliche Denken stehen oder als vorhanden angenommen werden. a) In Staatspolitik und Gesetzgebung muss beachtet werden, dass die Förderung und Erhaltung der rassischen Grundlagen des Volkstums an erster Stelle zu stehen hat, vor allen wirtschaftlichen und sonstigen Erwägungen. Dieses rassengesetzliche Denken ist auch bei der Anwendung und Auslegung der Gesetze zugrunde zu legen. b) Als rechtspolitisches Ideal muss, da die nordische Rasse durch ihre Veranlagung die vorzugsweise staatenbildende ist, eine Aufnordung, d. h. eine Vermehrung der nordrassischen Bestandteile im Volke angesehen werden.“ – Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat etc., S. 44): „Für160 die von nationalsozialistischer Weltanschauung ausgehende rassengesetzliche Rechtslehre ist Recht die blutmässig bedingte, aus dem Volksgewissen gewachsene – und daher je nach der Rasse verschiedene – Auffassung von gerechter und zweckmässiger Regelung menschlicher Angelegenheiten.“

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vom 30.9.-3.10.1933 in Leipzig wurde auch die „Akademie für Deutsches Recht“ eingerichtet, deren Präsident Hans Frank wurde (vgl. Schenk, Frank, S. 57–150). Die Darstellung ist eine Mischung aus Paraphrasen und Zitaten aus der Rede Franks (vgl. Schraut (Bearb.), Juristentag, S. 20 f.). Hier wird eine längere Passage über Vorläufer der „rassengesetzlichen Rechtslehre“ ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 14 f.). Hier wird eine kurze Passage über die Erhaltung der Volksgemeinschaft als Zweck des Rechts ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 15). Hier wird erneut eine längere Passage über Vorläufer der „rassengesetzlichen Rechtslehre“ ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 15). Im Originaltext „Gerade für“ (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 44).

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28.) Dass die Quelle des Rechts im Gefühl liege, das wiederum im angeborenen Instinkt der „rassischen Anlage“ begründet sei, betonen viele Juristen, die Anhänger des herrschenden Systems sind, nachdrücklich. Als Beispiel sollen die Worte Dr. Küchenhoffs (Nationaler Gemeinschaftsstaat etc., S.19/20) dienen: „Die Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse für sämtliche Lebenserscheinungen, insbesondere auf kulturellem Gebiete, führt auch dazu, das Recht als rassisch bedingt zu erkennen. So hat gegenüber dem Positivismus, der den Staat als Urgrund des Rechtes ansah, die „rassengesetzliche Rechtslehre“, haben insbesondere Helmut Nicolai, Walter Merk161, Erich Jung162 und (ihnen im Wesentlichen folgend) Robert Keimer163 eingehend ausgeführt, dass Urgrund und in diesem Sinne Quelle des Rechts das rassenmässig bedingte Rechtsgefühl, das völkische Rechtsgewissen ist, während der Staat das Recht nicht schafft, sondern nur formuliert, indem er im Gesetze ausspricht, was als Recht von ihm erkannt ist. Diese Lehre steht im Einklange mit den grundsätzlichen Darlegungen des Führers über den Staat in seinem Werk „Mein Kampf“, wo es (S. 431) heisst: „Die grundsätzliche Erkenntnis ist dann die, dass der Staat keinen Zweck, sondern ein Mittel darstellt. Er ist wohl die Voraussetzung zur Bildung einer höheren menschlichen Kultur, allein nicht die Ursache derselben. Diese liegt vielmehr ausschliesslich im Vorhandensein einer zur Kultur befähigten Rasse.““ – Dasselbe wird in einer kleinen Schrift Dr. Nicolais ausführlich dargelegt: Die rassengesetzliche Rechtslehre, München 1933.164 29.) Küchenhoff (a. a. O., S. 24): „In der rassengesetzlichen Rechtslehre ist nun bereits klargelegt und es folgt aus der Erkenntnis des rassisch bedingten Gewissens als Urgrund des Rechts ohne weiteres, dass das Rechtsgewissen einer Vielheit von Menschen einheitlich und sicher nur im rassenreinen Volke schlägt. Im rassisch gemischten Volke bedarf es der Klärung und Stütze. Hier greift nun der Staat ein, der diese Aufgabe übernimmt, zugleich Erziehungsarbeit leistet, die Rasse erhält, die edelsten Teile fördert und die in ihr schlummernden Kräfte zur Entwicklung bringt. Der Staat hat ferner die dem Gewissen des Volkes entsprechende Ausgestaltung der Rechtssätze im Einzelnen vorzunehmen dort, wo bei der Kompliziertheit der Lebensverhältnisse das Rechtsgewissen keine Einzelheiten mehr anzugeben vermag, sondern nur die grossen Grundsätze. Das haben Walter Merk und Helmut Nicolai bereits eingehend dargetan. Der Staat interpretiert das Recht und verwaltet es, indem er das Rechtsgewissen wie das Sehnen der rassisch besten Teile seines Volkes zur helleren Gestaltung zwingt und lichtet. Gerade diese Aufgabe hat der auf rassischer Grundlage nach dem Willen und der Erkenntnis seines Führers bewusst aufbauende Gemeinschaftsstaat übernommen und vollbringt sie bereits.“ 30.) Hitler (Mein Kampf, II., S. 446): Der völkische Staat „hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu stellen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sor161 Gemeint ist der völkische Rechtshistoriker und Professor Walther Merk, der sich nach 1933 verstärkt für eine „germanisch-deutsche Rechtserneuerung“ einsetzte (vgl. NDB, Bd. 17, S. 141 f.; Grüttner, Lexikon, S. 118). 162 Erich Jung, Jurist und Professor an der Universität Straßburg, war seit 1932 Mitglied der NSDAP (vgl. Mehring, Schmitt, S. 90; Grüttner, Lexikon, S. 86). 163 Gemeint ist der Nationalsozialist und Landesgerichtsrat Robert Keimer (vgl. Keimer, Recht, S. 81– 98). Im Originaltext von Küchenhoff werden in Fußnoten auch verschiedene Schriften der genannten Personen angeführt (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 20). 164 Tatsächlich ist die genannte Schrift von Nicolai bereits 1932 im nationalsozialistischen Eher-Verlag erscheinen.

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gen.“ „Als erste Aufgabe des Staates im Dienste und zum Wohle seines Volkstums erkennen wir die Erhalte [!]165, Pflege und Entwicklung der besten rassischen Elemente“ (a. a. O., S. 451). – Mehr darüber findet sich in einer Rede, die Hitler am 1. September 1933 anlässlich eines Kongresses der Nationalsozialisten in der Sektion „Kultur“ gehalten hat.166 31.) Über die Auffassung des Begriffs „Volk“ herrscht unter den Autoren nicht völlige Übereinstimmung; doch stimmen sie hinsichtlich der wichtigsten Elemente überein. Nicolai (Der Staat etc., S. 38): „Der Begriff des Volkstums lässt sich demnach aus der Rasse allein nicht ableiten, sondern muss wie folgt bestimmt werden: 1. Volkstum ist eine geschichtlich gewordene Blutsgemeinschaft, die zusammengehalten wird durch a) gleiche Rasse, b) gleiche Sprache, c) gleiche Geschichte, d) gleiche Kultur, e) gleiche Siedlungsstätten, ohne dass man sagen kann, dass eines von diesen Merkmalen allein ausschlaggebend sei oder alle zu gleicher Zeit vorliegen müssten. 2. Das Wesentliche im nationalsozialistischen Sinne ist, dass es sich um eine Blutsgemeinschaft handelt. Dadurch, dass die Blutsgemeinschaft und die Rasse beide durch Abstammung vermittelt werden, ergibt sich die besondere Bedeutung der Rasse für das Volkstum und die besondere Beachtung der Rasse im nationalsozialistischen Staate und dessen Politik.“ – Ähnlich von Eickstedt (Rassenkunde etc., S. 11): „Rasse ist eine rein zoologische Einheit (bestimmt durch das erblich bedingte äussere Erscheinungsbild der normalen Körperform)“.167 – Volk ist eine Individuengruppe, „durch ihre sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Traditionen miteinander verbunden“. Also „zunächst eine rein kulturelle Einheit.“168 – Nation: „Werden sich im Laufe der zoologischen Entwicklung die Völker ihrer kulturellen Gemeinschaft bewusst, so pflegt dies gewöhnlich im organisierten politischen Zusammenschluss seinen Ausdruck zu finden.“169 … „Der Begriff der Nation schliesst also das politische Moment mit ein. Mitunter ist dies heute auf Grund des soziologischen Werdegangs noch mit dem kulturellen Moment vereinigt, und Nation u[nd] Volk decken sich dann nahezu vollkommen. Aber das ist das Ideal, ein oft blutig umkämpftes Ideal.“170 … „Keineswegs brauchen sich also Rassengleichheit und Kulturgemeinschaft, und keineswegs Rassengleichheit und Staatsbürgertum zu decken. Kulturen und Sprachen, Rassen und Sozialwesen, wenn auch ursprünglich in engstem Zusammenhang mit einander entstanden, konnten sich später weitgehend unabhängig von einander entwickeln und verbreiten … So kommt es auch, dass sich heute in fast keinem einzigen Fall auf der Erde die genannten drei Begriffe völlig miteinander decken. Damit haben wir bei unseren folgenden Ausführungen scharf zu trennen zwischen: Rasse als soziologischer Einheit, Volk als kultureller Einheit, und Nation als politischer Einheit.“ – Dr. Forsthoff (Der totale Staat, S. 42)171: „Volk ist eine Gemeinschaft, die auf einer seinsmässigen, artmässigen Gleichartigkeit 165 Im Original „Erhaltung“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 451). Der Satz wurde paraphrasiert. 166 Vgl. Anm. 76. 167 Dieser Einschub in Klammern findet sich nicht im Original. Nachfolgend werden einzelne Sätze aus der angegebenen Seite zitiert. 168 Im Original lautet die Stelle: „zunächst nur eine rein kulturelle Einheit.“ (Eickstedt, Rassenkunde, S. 11). 169 Die Unterstreichung findet sich im Original nicht. 170 Die Unterstreichung findet sich im Original nicht. 171 Gemeint sind der Jurist Ernst Forsthoff, ein Schüler von Carl Schmitt, und seine Schrift Der totale Staat (1933) (vgl. Klee, Personenlexikon, S. 159; Hilger, Rechtsstaatsbegriffe, S. 187; Mehring, Schmitt, S. 177 f.).

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beruht. Die Gleichartigkeit geht hervor aus der Gleichheit der Rasse und des volklichen [!] Schicksals. Das politische Volk bildet sich in der letzten Einheit des Willens, die aus dem Bewusstsein seinsmässiger Gleichartigkeit erwächst. Das Bewusstsein der Artgleichheit und volklichen Zusammengehörigkeit aktualisiert sich vor allem in der Fähigkeit, die Artverschiedenheit zu erkennen und den Freund vom Feind zu unterscheiden.“ – Menghin, Oswald (Geist und Blut, S. 136/37): „Die in dem sozialen Gebilde eines Volkes zusammengeschlossenen rassischen Bestandteile drängen unter dem Drucke der gesamten geophysischen und geistigen Umweltbedingungen naturnotwendig zum Ausgleich, was nichts anderes bedeutet als die Bildung einer neuen Rasse durch spontane Veränderung und Auslese. Volk ist also seiner physischen Natur nach eigentlich nichts anderes als werdende Rasse; Rasse – in seiner Physis ausgereiftes Volk. Es kommt dabei nicht darauf an, dass dieser dynamische Vorgang auch tatsächlich zum Abschluss gelangt, dass Volk und Rasse zusammenfallen, sondern lediglich, dass er sich grundsätzlich nach dieser Richtung hin bewegt. Aber das eine steht wohl fest, dass ein Volkstum umso ausgeglichener und kraftvoller sein wird, je weiter die rassenbildenden Vorgänge in ihm gediehen sind und umgekehrt.“ … Hitler (Mein Kampf, I., S. 1): „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich.“ 32.) Hitler (Mein Kampf, S. 431): „Es ist deshalb erste Verpflichtung für eine auf dem Boden einer völkischen Weltanschauung beruhende neue Bewegung, dafür zu sorgen, dass die Auffassung über das Wesen und den Daseinszweck des Staates eine einheitliche klare Form erhält. Die grundsätzliche Erkenntnis ist dann die, dass der Staat keinen Zweck, sondern ein Mittel darstellt. Er ist wohl die Voraussetzung zur Bildung einer höheren menschlichen Kultur, allein nicht die Ursache derselben. Diese liegt vielmehr ausschliesslich im Vorhandensein einer zur Kultur befähigten Rasse.“ „Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck ist die Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen. Diese Erhaltung selber umfasst erstlich den rassenmässigen Bestand und gestattet dadurch die freie Entwicklung aller in dieser Rasse schlummernden Kräfte. Von ihnen wird immer wieder ein Teil in erster Linie der Erhaltung des physischen Lebens dienen und nur der andere der Förderung einer geistigen Weiterentwicklung. Tatsächlich schafft aber immer der eine die Voraussetzung für das andere. Staaten, die nicht diesem Zwecke dienen, sind Fehlerscheinungen, ja Missgeburten. Die Tatsache ihres Bestehens ändert so wenig daran, als etwa der Erfolg einer Filibustiergemeinschaft die Räuberei zu rechtfertigen vermag …172 … Wir (Nationalsozialisten) haben schärfstens zu unterscheiden zwischen dem Staat als einem Gefäss und der Rasse als dem Inhalt. Dieses Gefäss hat nur dann einen Sinn, wenn es den Inhalt zu erhalten und zu schützen vermag; im anderen Falle ist es wertlos. Somit ist der höchste Zweck des völkischen Staates die Sorge um die Erhaltung derjenigen rassischen Urelemente, die, als kulturspendend, die Schönheiten, Würde173 eines höheren Menschentums schaffen. Wir, als Arier, vermögen uns unter einem Staat also nur den lebendigen Organismus eines Volkstums vorzustellen, der die Erhaltung dieses Volkstums nicht nur sichert, sondern es auch durch Weiterbildung seiner geistigen und ideellen Fähigkeiten zur höchsten Freiheit führt.“ (a. a. O., S. 433/34). – Nico172 Hier wird eine kurze Passage über den abgelehnten „Boden der Tatsachen“ ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 434). 173 Im Original „Schönheit und Würde“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 434).

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lai (Der Staat etc., S. 48): „Der Nationalsozialismus wurzelt in der Erkenntnis, dass nur ein rassenmässig übereinstimmendes Volk die Fähigkeit besitzt, Träger eines lebenskräftigen Staates zu sein. Er weist deshalb dem Staate als oberste Pflicht zu, den Rassenbestand des Staates zu erhalten und zu heben. Diese Pflicht, die der liberale Staat nicht kannte, bedeutet zweierlei, nämlich: 1. Rassenschutz nach aussen, 2. Rassenschutz nach innen.“ Hitler (Reichstagsrede vom 30. Januar 1934): „Der neue Staat kann keine174 andere Aufgabe kennen, als die sinngemässe Erfüllung der zur Forterhaltung des Volkes notwendigen Bedingungen. Indem er sie aus allen rein formalen republikanischen, legitimistischen oder demokratischen Vorstellungen löst, wird seine Regierung ebenso sehr Volksführung sein, wie die aus den inneren völkischen Bedingungen erwachsene Führung des Volkes Regierung des Staates ist. Politische, kulturelle und wirtschaftliche Aufgaben sind damit nur von einem Standpunkt aus zu sehen, nach einheitlichen Gesichtspunkten zu behandeln und zu lösen. Dann wird dieser völkische Gedanke nicht nur zur Überbrückung aller bisherigen Klassengegensätze führen, die gegenüber den ewigen rassischen Grundlagen nicht nur dauernd veränderlich, sondern belanglos, weil vergänglich sind, sondern auch zu einer grundsätzlichen Klärung der Einstellung zu den aussenpolitischen Problemen. Der nationalsozialistische Rassengedanke und die ihm zugrunde liegende Rassenerkenntnis führt nicht zu einer Geringschätzung oder Minderbewertung anderer Völker, sondern vielmehr zur Erkenntnis der gestellten Aufgabe einer allein zweckmässigen Lebensbewahrung und Lebens-Forterhaltung des eigenen Volkes.“ (siehe Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches nach dem Reichsreformgesetz vom 30. Januar 1934). 33.) Hitler (Mein Kampf, S. 500): „Der völkische Staat hat demgemäss die gesamte, besonders aber die oberste, also die politische Leitung restlos vom parlamentarischen Prinzip der Majoritäts-, also Massenbestimmung zu befreien;“ andere Texte siehe oben Fn. 21 und Fn.17. 34.) Nicolai (Der Staat etc., S. 27): „An der Spitze des Staates steht der Führer, dessen Geist und Wille das Staatswesen beseelen. Der Führer ernennt die erforderlichen Unterführer höheren Grades und bevollmächtigt sie zur Ernennung von Unterführern niederen Grades. Die Unterführer führen die ihnen anvertrauten Geschäfte selbständig im Sinne des Führers und sind dem Führer für ihre Geschäftsführung verantwortlich.“ – Nach Rust, (Reichsminister, Richtlinien für den Unterricht in der Vererbungslehre und Rassenkunde, 1935)175, – seien die Jugendlichen zu unterweisen, die „Demokratie“ abzulehnen, da sie dem „Rassegedanken“ widerspreche: „Aus dem Rassengedanken ist weiterhin die Ablehnung der Democratie [!]176 oder anderer Gleichheitsbestrebungen (Paneuropa, Menschheitskultur) abzuleiten und der Sinn für den Führergedanken zu stärken.“ – Neef, Herm., („Die Aufgabe der Beamten im Dritten Reich“)177 sagt über die Verpflichtung, die sich aus dem Beamteneid ergibt, der dem 174 Im Original „Der neue Staat selbst kann aber dann keine“ (vgl. Nicolai, Neuaufbau, S. 20). 175 Vgl. Anm. 136. 176 Im Original „Ablehnung der sogenannten Demokratie“ (vgl. Fricke-Finkelnburg (Hg.), Nationalsozialismus, S. 219). 177 Gemeint sind Hermann Neef, nach 1933 Leiter des „Reichsbundes der Deutschen Beamten“ und „Reichsbeamtenführer“, und seine als Broschüre publizierte Rede Die Aufgaben des Beamten im Dritten Reich (1934) (vgl. Klee, Personenlexikon, S. 430).

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Führer geleistet wird: Der Beamteneid ist aber „nicht nur eine Bindung der Sache nach, sondern vor allem auch der Person, d. h. an den Führer und Reichskanzler, auf den der Schwur geleistet wird. Derjenige Beamte also würde nicht wahrhaft seinem Eid genügen, der in ihm nur die Verpflichtung gewissenhafter Diensterfüllung erblickt; der Eid der Treue und des Gehorsams fordert mehr. Er schliesst ein die unbedingte Hingabe der ganzen Person des Eidesleistenden und weiht die Gefolgschafts- und Mannentreue [!].“– Stapel, Wilh. („Die Kirche Christi und der Staat Hitlers“, S. 15): „Die Staatsbürgerlichkeit und nun gar die Gleichberechtigung des Staatsbürgers ist durchaus nicht mehr „das natürlichste unter allen Rechten des Menschen“, sondern ein sehr unnatürlicher Gedanke. Der Staat geht nicht von einem allgemeinen und gleichen Staatsbürgertum, sondern vom Führer aus. Die Person des Führers ist die Verkörperung des Staates, und vom Führer fliesst die Staatlichkeit auf immer sich erweiternde Kreise …178 Aus dem Ganzen eine einzige, ordnungsmässig geschlossene Staatshierarchie zu bilden, liegt in der Tendenz eines solchen Staates. Die allgemeinsten Grundlagen179 des Ganzen aber ist „der deutsche Mensch“. Wer nicht von Art Deutscher ist, gehört dem Staate nicht einmal als möglicher180 Träger an, sondern kann immer nur Objekt der staatlichen Ordnung und Fürsorge sein, Einwohner und Schutzbefohlener des Staates. Von Gleichheit ist hier nicht mehr die Rede, sondern die Rechte sind hierarchisch abgestuft je nach der Stellung, die der Einzelne im Gefüge einnimmt. Was Recht ist wird nicht vereinbart, sondern vom Führer bestimmt. Recht entsteht nicht aus einem Vertrag, sondern ist eine Setzung.“ – Dr. Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat etc., S. 16/17): „So erscheint der Gemeinschaftsstaat mit Führerprinzip als die edelste Staatsform. Denn Lebensinhalt und Lebenswert jedes einzelnen Volksgenossen ist seine Arbeit im nationalen Staate und für die Gemeinschaft. Gleiche Weltanschauung über Gemeinschaft und Staat und Vertrauen sind daher Grundlage von Befehl und Treue im Verhältnis von Führer und Volk. Diese – schon dem Begriff nach bestehende – Einheit von Staat, Führer, Volk und einzelnen Volksgenossen weist keine andere Staatsform auf.“ – Forsthoff (Der totale Staat, S. 36–38): „Mit der Erhebung der Führung zum tragenden Verfassungsgrundsatz ist in Deutschland eine Regierungsform verwirklicht worden, die wegen ihrer Neuartigkeit mit den überkommenen Kategorien und Kriterien, nach denen man Regierungsformen unterschied und als Demokratien, Monarchien, Aristokratien usw. bezeichnete, nicht begriffen werden kann. Führung ist nicht gleichbedeutend mit monarchischem Herrscherrecht, noch mit der Regierungsmacht des vom Volke erhobenen oder bestätigten Staatsoberhauptes, noch mit der Befehlsgewalt des militärischen oder amtshierarchischen Vorgesetzten …181 Es ist nicht möglich, der Führung als einem der politischen Erlebniswelt verhafteten Vorgang abstrakten Ausdruck zu geben …182 Das Wort Führung lässt sich ebenso-wenig [!] wie die sonstigen, spezifisch deutsche Empfindungen aussprechenden Worte (Volkstum, Heimat, Blut und Boden, Gemüt) in

178 Hier werden Passagen hinsichtlich des „Übergangs“ der „Staatlichkeit“ vom Führer auf verschiedene Staats- und Parteistellen ausgelassen (vgl. Stapel, Kirche, S. 15). 179 Im Original „die allgemeinste Grundlage“ (vgl. Stapel, Kirche, S. 15). 180 Im Original gesperrt gedruckt (vgl. Stapel, Kirche, S. 15). 181 Hier wird eine Passage über den Unterschied zwischen Demokratie und Führung ausgelassen (vgl. Forsthoff, Staat, S. 36 f.). 182 Hier wird ein Satz über die Schwierigkeit, Ausländern die Verfassung des NS-Staats zu erklären, ausgelassen (vgl. Forsthoff, Staat, S. 37).

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eine andere Sprache übersetzen. Darum kann hier nur zur Abgrenzung gegen überkommene Begriffe und politische Denkschemata einiges über Führung gesagt werden. Führung ist ein umfassender politischer Lebensvorgang, der eine Vielheit aktionsbereiter politischer Menschen in der Person des Führers eint, indem er sie zur Gefolgschaft macht, der anderseits den Führer aus dieser Gefolgschaft heraushebt, ohne ihn zum Vorgesetzten werden zu lassen und ihn auf diese Weise von ihr zu trennen. Der Führer wird darum Führer erst durch die Gefolgschaft, wie die Gefolgschaft erst durch den Führer Gefolgschaft wird. Führer und Gefolgschaft bilden eine Einheit, die nicht formal logisch begriffen, sondern nur erfahren werden kann. Man wird darum der Führung als einem umfassenden Vorgang nicht gerecht, wenn man nur die selbstverständliche Überlegenheit des Führerwillens als das Kennzeichen der Führung hinstellt. Ebenso verfehlt ist es, den Führer vorwiegend als den Exponenten der Gefolgschaft zu betrachten und sich damit den Lehren von der demokratischen Legitimität der Staatsgewalt zu nähern. Vielmehr ist es das Neue und Entscheidende der Führerverfassung, dass sie die demokratische Unterscheidung zwischen Regierenden und Regierten in einer Einheit überwindet, zu der Führer und Gefolgschaft verschmolzen sind. Diese Einheit bildet und erhält sich in einer ständigen Wechselbeziehung zwischen Führer und Gefolgschaft. Die Führung als totaler Lebensvorgang ist nur unter der Vorbedingung existenzieller Gleichartigkeit möglich, wie sie aus der Gemeinsamkeit der Rasse, der Geschichte und des volklichen Schicksals erwächst. Fehlt diese Voraussetzung, dann muss sich die geordnete Gemeinschaft notwendig auf eine äussere Disziplin beschränken. Auch die Befehlsgewalt des soldatischen oder beamteten Vorgesetzten erfasst nur die äussere, das heisst ins Sichtbare eintretende Disziplin. Darum ist auch der Offizier nicht Führer im vollen, politischen Sinne des Wortes.“ 35.) Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat etc., S. 28/29): „Urgrund des Rechts bleibt das rassisch bedingte Rechtsgewissen des Volkes. Soweit im Rahmen der Gewissensäusserungen Meinungsverschiedenheiten auftauchen, ist die Gewissensentscheidung der Führer allein massgebend. Gesetz und Führerbefehl, die auf dem Rechtsgewissen des Volkes aufbauen, gehen mithin einer etwa abweichenden Volksüberzeugung vor. Unter den Erscheinungsformen des Rechts ist [!] das auf dem Rechtsgewissen aufbauende Gesetz sowie der gleichbegründete Führerbefehl stärker als eine etwa abweichende Volksmeinung …183 Gesetz und Führerbefehl gehen bei Vorliegen des Gemeinschaftsstaates der Volksüberzeugung (im Sinne von Volksmeinung) vor. Diese kommt ferner in184 Betracht, wenn und soweit die Führer noch nicht gesprochen haben. Denn wenn die Führer gesprochen haben, so kann nur die Frage auftauchen, ob ihr Spruch Ausdruck und Auslegung des Rechtsgewissens des Volkes ist, was bei Trägern der nationalsozialistischen Weltanschauung, die der des rassisch beachtlichen Teiles unseres Volkes entspricht, ohne weiteres feststeht. Die abweichende Volksmeinung über die Ausführung im Einzelnen kann aber nicht mehr in Betracht kommen. Die Erscheinungsform des Rechts: Volksüberzeugung (im Sinne von Volksmeinung) ist also gegenüber dem Führerbefehl auch subsidiär.“ Vgl., was oben in Fn. 32 gesagt wurde. 183 Hier wird eine längere Passage über die möglichen Arten von „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Volk und Führer und die möglichen Konsequenzen für das „Rechtsgewissen“ ausgelassen (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 29). 184 Im Original „ferner erst in“ (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 29).

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– Forsthoff (Der totale Staat185): „Die planmässige Aufklärung des Volkes in Rassefragen durch Staat und Partei hat in dem Volk ein lebendiges Rassenbewusstsein wachgerufen, das die wirksamste Sicherung gegen eine Verfälschung der deutschen Rasse darstellt. Die Aufgabe, diesem in seiner rassischen Substanz gesicherten Volke eine ihm gemässe Gliederung und Lebensform zu geben, ist darum die umfassendste, die der nationalsozialistischen Staatsführung gestellt ist, weil sie in ihrer Verwirklichung am tiefsten in die Lebensverhältnisse eingreift.“ 36.) Über die Beachtung der Eugenik siehe die oben in Fn.14 angeführten Texte. – Der Hamburger Gerichtshof186, der zusammengetreten war, um über die Vornahme von Sterilisation zu urteilen, hat auch die Durchführung von Abtreibung aufgrund eugenischer Indikation für erlaubt erklärt: „Das Erbgesundheitsgericht Hamburg hat unter dem 16. März 1934 (Erb. 199/34) die Schwangerschaftsunterbrechung aus rassehygienischen Gründen für straffrei erklärt … Die Begründung des Hamburger Gerichts besagt nun: Um des Bestandes und der Gesundheit des deutschen Volkes willen darf ungeborenes Leben, das voraussichtlich erbkrank werden wird, vernichtet werden, auch wenn damit die Bestimmung des § 218187 durchbrochen wird. Denn, so sagt das Gericht u. a. weiter, der Sinn allen Rechts liege in Maßnahmen zur Erhaltung der Art. Dies sei der einzige Maßstab, mit dem Rechtsgüter überhaupt aneinander gemessen werden dürfen. Die Erbgesundheit des deutschen Volkes sei auch ausdrücklich seit dem Erlass des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘188 ein allgemein geschütztes Rechtsgut. Aber die Maßnahmen, die da vorbereitend getroffen seien, reichten nicht aus. Erst nach und nach lasse sich die Unfruchtbarmachung Minderwertiger durchführen. In der Zwischenzeit aber würden dann noch so manche erbkranke Kinder geboren werden, eine Gefährdung des Volkes, welche unerträglich sei. Das einzige Mittel, um diese Gefahr zu beseitigen, liege in der Zulassung der Schwangerschaftsunterbrechung aus eugenischer Indikation189 … Jenes Hamburger Erbgesundheitsgericht hat inzwischen schon 29 Schwangerschaften aus eugenischen Gründen im Verlaufe des Jahres 1934 unterbrechen lassen … Dieselbe Hamburger Stelle hat nun in einem zweiten Beschluss vom 17. Oktober 1934 (Erb. 1777/34) entschieden, dass die Schwangerschaft mit Einverständnis der Schwangeren ohne jede gerichtliche Anweisung von jedem Arzt unterbrochen werden dürfe, falls Vater oder Mutter durch Gerichtsbeschluss rechtsgültig für erbkrank erklärt worden seien.“ (Frankfurter Zeitung, 26.I.1935, Nr. 47, S. 3, Spalte 3). 37.) Siehe, was oben in Fn. 23 und 24 über die Erziehung der Jugend bereits gesagt wurde. – Außerdem soll angemerkt werden, dass Hitler der bis jetzt gebräuchlichen Erziehungsmethode die heutige Methode entgegenstellt, die bewirkt, was jene nicht bewirken wollte oder konnte: „den nationalen Stolz zu entflammen“ und „die berauschende Leidenschaft höchsten nationalen Stolzes“ (Mein Kampf, S. 471). Auch die Unterweisung des Verstandes muss vor allem anderen darauf abzielen, „nationalen Fa185 Seitenangabe 44 f. fehlt. 186 Gemeinsam mit Bremen und Lübeck wurde in Hamburg am 15.2.1934 ein Erbgesundheitsgericht eingerichtet, zusätzlich beim Oberlandesgericht Hamburg ein Erbgesundheitsobergericht (vgl. Brücks/ Gross/Pfäfflin/Rothmaler, Sterilisation, S. 172 f.). 187 Gemeint ist der § 218 zum Schwangerschaftsabbruch. 188 Vgl. Anm. 11 der Einleitung und 40. 189 Diese Passagen finden sich an der angegebenen Stelle in der Frankfurter Zeitung nicht.

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natismus und Enthusiasmus“ in den Jugendlichen zu entzünden: „Auch in der Wissenschaft hat der völkische Staat ein Mittel190 zu erblicken zur Förderung des Nationalstolzes …191 Damit dieses Nationalgefühl von Anfang an echt sei und nicht bloss in hohlem Schein bestehe, muss schon in der Jugend ein eiserner Grundsatz in die noch bildungsfähigen Köpfe hineingehämmert werden: Wer sein Volk liebt, beweist es einzig durch die Opfer, die er für dieses zu bringen bereit ist“ …192 „Dann wird dereinst ein Volk von Staatsbürgern entstehen, miteinander verbunden und zusammengeschmiedet durch eine gemeinsame Liebe und einen gemeinsamen Stolz, unerschütterlich und unbesiegbar für immer. Die Angst unserer Zeit vor dem Chauvinismus ist das Zeichen ihrer Impotenz. Da ihr jede überschäumende Kraft nicht nur fehlt, sondern sogar unangenehm erscheint, ist sie auch für eine grosse Tat vom Schicksal nicht mehr ausersehen. Denn die grössten Umwälzungen auf dieser Erde wären nicht denkbar gewesen, wenn ihre Triebkraft statt fanatischer, ja hysterischer Leidenschaften nur die bürgerlichen Tugenden der Ruhe und Ordnung gewesen wären. Sicher aber geht diese Welt einer grossen Umwälzung entgegen. Und es kann nur die eine Frage sein, ob sie zum Heil der arischen Menschheit oder zum Nutzen des ewigen Juden ausschlägt. Der völkische Staat wird dafür sorgen müssen, durch eine passende Erziehung der Jugend dereinst das für die letzten und grössten Entscheidungen auf diesem Erdball reife Geschlecht zu erhalten. Das Volk aber, das diesen Weg zuerst betritt, wird siegen. Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassensinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmässig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein. Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die Erhaltung der rassenmässigen Grundlagen unseres Volkstums und durch sie wiederum die Sicherung der Vorbedingungen für die spätere kulturelle Weiterentwicklung. Denn alle körperliche und geistige Ausbildung würde im letzten Grunde dennoch wertlos bleiben, wenn sie nicht einem Wesen zugutekäme, das grundsätzlich bereit und entschlossen ist, sich selbst und seine Eigenart zu erhalten.“ (a. a. O., S. 474/75).193 38.) Siehe die obigen Ausführungen in den Fn. 27–29. – Nicolai (Der Staat etc., S. l6): „Die Staatsgewalt muss dem Zweck des Rechts dienen, sie muss also völkisch bestimmt sein. Eine internationale oder widervölkische Staatsgewalt194 kann zwar einen tatsächlichen, aber keinen rechtlichen Zustand herbeiführen. Die Staatsgewalt steht nicht über, sondern unter dem Recht (Unterschied von Rechtsstaat und Gewaltherrschaft). a) Die Gesetzgebung des Staates schafft nicht 190 Im Original „Hilfsmittel“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 473). 191 Hier wird eine längere Passage über die Bedeutung großer Männer für den Nationalstolz ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 473 f.). 192 Hier wird eine längere Passage über die Notwendigkeit von Nationalstolz ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 474 f.). 193 Zitat aus Mein Kampf. Die richtigen Seitenzahlen sind 473–475. 194 Die Passage „wie z. B. ein fremder Usurpator, eine marxistische Herrschaft“ ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 16).

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Recht, sondern der Staat formuliert und verwaltet nur das Recht (Gegensatz: der Positivismus). b) Der Richter hat in zweifelhaften Fällen das Recht aus seinem Gewissen zu finden (induktiv), nicht auf dem Wege der Konstruktion (deduktiv).195 Die Rechtsordnung kann nur bestehen, wenn ihr bestimmte sittliche Überzeugungen zugrunde liegen. Für die deutsche Rechtsordnung sind dies die germanischen Ideale der Ehre und Treue, Wahrheit und Freiheit, Opfermut und Heldentum.“ Derselbe vergleicht auf den folgenden Seiten das deutsche Recht mit dem römischen Recht (Justinians); das deutsche übertreffe seiner Meinung nach das römische bei weitem, da dieses nicht auf Blut und nordischer Anlage beruhe, sondern das Recht der „Dekadenz“ sei und das [Recht] eines Volkes, das durch Blutsvermischung entartet sei. Danach bringt er über Ausbildung und Wahl der Juristen Folgendes vor: „Neben der rein technischen juristischen Ausbildung muss aber die ethische Seite des Rechts stärker als bisher beachtet werden, d. h. die Ausrichtung allen Rechts auf die „zentrale Rechtsidee“ der völkischen Weltanschauung. Die Auswahl der Juristen darf deshalb nicht ausschliesslich nach der logisch-formalen Intelligenz erfolgen, sondern auch nach der Veranlagung zur weltanschaulichen Erfassung des nationalsozialistischen Staatsgeistes, also nach rassischen Gesichtspunkten …“ (a. a. O., S. 35). – Siehe schließlich, was oben (Fn. 28) aus dem Buch Dr. Küchenhoffs über die Rolle, die die staatlichen Autorität bei der Findung und Anwendung des Rechts spiele, angeführt wurde. 39.) Vgl. Fn. 25 und 26. – Prof. Dr. Edg. Tatarin-Tarnheyden behandelt in seinem Buch „Werdendes Staatsrecht“ (Berlin 1934)196 die heutige Beziehung zwischen Religion (Kirche) und bürgerlicher Gesellschaft ein wenig ausführlicher; er bewahrt der Kirche eine gewisse Lehr- und Handlungsfreiheit; doch zugleich unterwirft er die Kirche der staatlichen Gewalt. Unter anderem hält er Folgendes fest: „Das über die Freiheit persönlicher religiöser Betätigung grundsätzlich Ausgeführte steckt zugleich die Schranken ab, die sich auch der durch staatliche Anerkennung fundierten kirchlichen Autonomie ebenso entgegenstellen müssen, wie der Tätigkeit der blossen Religionsgesellschaften (d. h. der nicht als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Bekenner- und Kulturverbände). Sie liegen, wie auch Kunst und Wissenschaft gegenüber, grundsätzlich dort, wo die ungehemmte Verbreitung der Lehre im Volke und besonders auf dem Wege der Jugenderziehung in Frage steht, zumal wenn staatliche Institutionen wie die Schule hierzu benutzt werden sollen. Persönliches religiöses Bekenntnis und gemeinsamer Kult auch für „Religionsgesellschaften“ sind selbstverständlich frei, und bis hierher reichen in jedem Falle die autonomen Körperschaftsrechte auch der Kirchen. Nicht aber kann der Staat sich gleichgültig zur Organisation der Kirche und zu ihrer Zuständigkeitsordnung verhalten; vor allem ist er ausschlaggebend für die Verleihung von öffentlichen Körperschaftsrechten an Religionsgesellschaften und dadurch, sofern es sich um das christliche Bekenntnis handelt, für die Anerkennung als „Kirche“ (nicht nur Religionsgesellschaft bzw. Sekte). Jedoch auch die religiöse Individualethik der Kirche bzw. der Religionsgesellschaften oder religiösen Bewegungen kann dem 195 Hier wird eine Passage über den Zusammenhang zwischen Recht, Rasse und Volksgemeinschaft ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 16). 196 Gemeint sind der baltendeutsche Jurist Edgar Adolf Tatarin-Tarnheyden, der zunächst ständestaatlichen, dann zunehmend völkischen Vorstellungen nahestand und nach 1933 mit Carl Schmitt im NSRechtswahrerbund zusammenarbeitete, und seine Schrift Werdendes Staatsrecht (1934) (vgl. NDB, Bd. 25, S. 794 f.; Hilger, Rechtsstaatsbegriffe, S. 167–178).

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Staat in dem Augenblicke nicht gleichgültig sein, wo sie ihre Bekenner in eine Richtung führen, die dem nationalen Glaubensbekenntnis des neuen Staats und damit seiner staatsbürgerlichen Ethik zuwiderläuft. Mit anderen Worten der Staat wird dort auch der religiösen Politik einer197 grundsätzlich autonomen Kirche seinen Hemmschuh anlegen, wo sie bei Verbreitung ihrer Lehre drohen, aus der rein kirchlichen in die staatspolitische Sphäre hinüberzugreifen; solches ist durch das Reichskonkordat mit Rom in den Art. 31, 32 eindeutig zum Ausdruck gebracht worden. Insbesondere wird der Staat, wo es sich um speziell deutsche (nicht internationale) Kirchen handelt, für die Verfassung und sonstige grundlegende normensetzende Beschlüsse der Spitzenorgane seine Zustimmung (Placet) in Anspruch nehmen …“ (a. a. O., S. 172/73). 40.) Den Unterschied zwischen positiver und negativer christlicher Religion beschreibt Alfr. Rosenberg in seinem Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, S. 77– 79198 durch eben diese Begriffe; Weniges soll angeführt werden: „… Die ‚beglaubigte‘ Auferstehung und Himmelfahrt nach dem Martertode, das alles war der eigentliche ‚tatsächliche‘ Ausgangspunkt des Christentums und erzeugte zweifellos starke Kraft des Leidens. Nicht vom Leben des Soter (des Heilandes) ging also die Welt aus, sondern von seinem Tode und dessen wunderbaren Folgen, dem einzigen Motiv der paulinischen Briefe. Goethe aber empfand gerade das Leben Christi als wichtig, nicht den Tod, und bezeugte dadurch die Seele des germanischen Abendlandes, das positive199 Christentum gegenüber dem negativen der auf etrusko-asiatischen Vorstellungen zurückgehenden Priesterherrschaft und des Hexenwahns“ …200 „Das negative und das positive Christentum standen von je im Kampfe und ringen noch erbitterter als früher gerade in unseren Tagen. Das negative pocht auf seine syrisch-etruskische Überlieferung, auf abstrakte Dogmen und altgeheiligte Gebräuche, das positive ruft erneut die Kräfte des nordischen Blutes wach, bewusst, so wie einst naiv die ersten Germanen, als sie in Italien eindrangen und dem siechen Lande neues Leben schenkten.“ (a. a. O., S. 77, 78/79). 41.) „Die Totalität des Staates“ begründet sich durch einen „ganz fundamentalen Lehrsatz“; die wichtigsten Punkte dieser Lehre von der „Totalität“ sollen durch verschiedene Texte deutlich gemacht werden: 1) Über Bestehen und Wesen der „Totalität“. Nicolai (Der Staat etc., S. 21 ff.): „Weil der nationalsozialistische Staat den Staatsgeist und nicht die formalrechtliche Verfassung als das Wesentlichste erachtet, fordert er die vollkommene Durchdringung des gesamten Volks- und Staatslebens mit seinem Staatsgeist, d. h. der nationalsozialistische Staat erhebt Anspruch auf Totalität. Totalität bedeutet: Es gibt grundsätzlich keine Erscheinung des öffentlichen und des privaten Lebens, die den Staat nichts angeht.

197 Im Original „religiösen Politik bzw. der Kirchenpolitik einer grundsätzlich“ (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 173). 198 Vgl. S. 77–79. 199 Im Original nur „positive“ gesperrt gedruckt, sonst keines der unterstrichenen Wörter hervorgehoben (vgl. Rosenberg, Mythus, S. 78). 200 Hier wird eine längere Passage über germanische Religionsvorstellungen ausgelassen (vgl. Rosenberg, Mythus, S. 78 f.).

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An alle Dinge wird als Maßstab angelegt, ob sie dem Volke nützlich sind. Es gibt keinen Lebenskreis, der pflichtlos ist. Es gibt keine Lebenssphäre, an der der Staat kein Interesse nimmt. Es gibt folglich auch keinen Gegensatz von Staat und Volk. Den Gegensatz der Totalität bildet der Dualismus, der die Grundlage des liberalen Staates ist. Im liberalen Staat stehen sich das Volk einerseits und der Staat andererseits gegensätzlich, ja feindlich gegenüber. Der Einzelmensch (das Individuum) und das Volk (als Summe der Einzelmenschen) werden als ursprünglich unumschränkt „frei“, d. h. ungebunden gedacht …201 Der Staat hat deshalb dem einzelnen gegenüber nur so viel Recht, als ihm ausdrücklich zuerkannt ist. Er darf in die „private“ Freiheit des einzelnen nur eingreifen, soweit Recht und Gesetz dies ausdrücklich gestatten. Die staatsrechtliche Vermutung spricht für die Freiheit des einzelnen oder des Volkes. (Diese Vermutung widerspricht der geschichtlichen Entwicklung; der deutschrechtliche Grundsatz Recht-Pflicht bedeutete das Totalitätsprinzip. Die Entwicklung des Begriffs „Freiheit“ im Sinne der Ungebundenheit ist erst das Ergebnis eines Zerfalls). Es bestehen staats- und verwaltungsrechtliche Sicherungen für die Freiheit des einzelnen, die von Misstrauen gegen den Staat getragen sind und verhindern sollen, dass sich der Staat mehr Recht zulegt, als ihm auf Grund ausdrücklicher Gesetzesvorschriften zukommen …202 Innerhalb seiner Freiheitssphäre, d. h. soweit der Staat nicht ausdrücklich Rechte eingeräumt erhält, ist der einzelne oder das Volk pflichtenlos gegenüber dem Staate oder der Gesamtheit …203 Der Sieg des Nationalsozialismus über die dualistische Staatsauffassung ergibt als wesentliche staatsrechtliche Folgerungen: 1. Abschaffung der Grundrechte. 2. Abschaffungen der Volksvertretungen. 3. Abschaffungen der Parteien. 4. Gleichschaltung der öffentlichen und privaten Körperschaften. Grundrechte der Staatsbürger, wie sie das bisherige Recht herausgebildet hatte, kennt der nationalsozialistische Staat nicht. Die Grundrechte bedeuten nach ihrer204 liberalen Anschauung eine Gewährleistung von Freiheitsgebieten, die von staatlichen Eingriffen völlig oder doch wenigstens grundsätzlich unberührt bleiben sollten. Die Grundrechte sind mit dem Totalitätsprinzip unvereinbar. Dem Staate ist freigestellt, alle Gebiete des menschlichen Lebens rechtlich oder tatsächlich zu regeln. Infolgedessen kann es im nationalsozialistischen Staate keine von jeglicher Verpflichtung gegenüber dem Staate freien Lebensgebiete geben. An die Stelle der Grundrechte setzt der nationalsozialistische Staat die Pflicht des Staates zur Rechtswahrung, d. h. die Verpflichtung des Staates auf den Rechtsgedanken schlechthin. 201 Hier wird ein Hinweis auf Rousseau ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 22). 202 Hier werden einige Beispiele ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 22). 203 Auslassung der Zwischenüberschrift „Die Durchführung des Totalitätsprinzips“ (vgl. Nicolai, Staat, S. 22). 204 Das Wort „ihrer“ nicht im Original (vgl. Nicolai, Staat, S. 23).

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In diesem Sinne gibt es im nationalsozialistischen Staate nur ein Grundrecht des Staatsbürgers, nämlich das (ideelle) Recht auf Tätigwerden des Staates zur Durchführung des völkischen Rechts …205 Unter „Gleichschaltung“ versteht man die organisatorische Eingliederung von Körperschaften, Verbänden, Vereinen usw. in das Gesamtgefüge des nationalsozialistischen Staates.“ … Tatarin-Tarnheyden (Werdendes Staatsrecht, S. 145–149): „Totalität des Staats bedeutet206, dass es kein Gebiet sozialer Betätigung der Menschen geben kann, in welches der Staat nicht eingreifen könnte. Aber der letzte Sinn der Totalität ist doch der, dass es in der machtpolitischen Ordnung des Ganzen nur eine, dieses Ganze legitimierende inhaltlich bestimmte nationale Weltanschauung geben kann, neben der alle anderen Staatsauffassungen unwahr und verwerflich werden. So konnte auch Dr. Goebbels sagen, der Nationalsozialismus wollte im Grunde nicht die Totalität des Staats, sondern die Totalität der Idee. Er wolle, dass die Art der Anschauung, für die er gekämpft und die er zum Siege geführt hat, total im ganzen öffentlichen Leben zur Anwendung kommt. Eine solche feste, glaubensmässig, d. h. metaphysisch fundierte Weltanschauung macht der neue Staat zu der seinen, weil er aus ihr selber geboren wurde. Der Glaube des Nationalsozialismus hat den Staat erschaffen. Die Totalität einer solchen Weltanschauung ist allemal bestimmend, sofern es sich um das Problem Individuum und Gemeinschaft handelt. Der neue Staat muss alle Tätigkeit des Einzelnen in Relation zu sich setzen.“ …207 Man kann zwar nicht sagen, der totale Staat absorbiere den ganzen Menschen, wohl aber, dass der totale Staat Anspruch auf das Walten über alles soziale Leben der Menschen erhebt.“ …208 „Der totale Staat muss grundsätzlich das Einzelhandeln in Relation zu sich bringen. Das gilt zunächst für das Kulturschaffen. Für den totalen Staat sind auch Religion, Kunst und Wissenschaft keine gleichgültigen Dinge, denn ohne sie lässt sich die Totalität einer Weltanschauung nicht bestimmen. Aber das bedeutet nicht, dass es kein freies künstlerisches Schaffen, kein freies wissenschaftliches Forschen, kein freies Verhältnis zu Gott geben darf …209 „Zwar kann der totale Staat dem Einzelnen sein freies unpolitisches Schöpfertum lassen, aber in dem Augenblick, in dem der Künstler, der Gelehrte, der Gottesmensch um die Anerkennung der andern zu werben beginnt – durch Ausstellung, Veröffentlichung, Verbreitung ihres Kunstwerks, durch Verbreitung ihrer wissenschaftlichen Lehre, durch Predigen ihres religiösen Bekenntnisses, geraten sie alle in den Bannkreis der Gemeinschaftsgestaltung und damit der Politik. Hier kann sich der totale Staat nicht mehr gleichgültig verhalten. Er wird es vielleicht bis zu einem gewissen Grade der Wissenschaft gegenüber tun, denn diese richtet sich meist an einen mehr oder weniger 205 Hier werden längere Passagen über die Abschaffung der Parlamente und der Parteien ausgelassen (vgl. Nicolai, Staat, S. 23 f.). 206 Im Original „bedeutet gewiß“ (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 145). 207 Hier wird eine längere Passage über den Begriff der Freiheit und seine Bedeutung für den Einzelnen ausgelassen (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 146). 208 Hier wird nur eine Zwischenüberschrift ausgelassen (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 146). 209 Hier werden längere Passagen über das Verhältnis von Künstlern, Wissenschaftlern und Priestern zum „vollen Menschentum“ und zur „Plicht zur Politik“ ausgelassen (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 147).

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engen Kreis; alle Wissenschaft wird, trotz des Bestrebens volksnah zu sein, in gewisser Hinsicht – oder wenigstens stückweise – „schwarze Kunst“ sein müssen und insofern wenigstens zum Teil für die Zukunft210 bestimmt bleiben. Absolute Popularität ist gerade der Wissenschaft unerreichbar. Aber auch hier wird der totale Staat wachsam sein, sofern es sich um Lehren handelt, die die Staatsgestaltung berühren – das gilt vor allem dem Staatsrechtler und wissenschaftlichen Politiker, dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, dem Historiker gegenüber; ganz besonders wird es dann ins Gewicht fallen, wenn die Belehrung der Jugend in Frage steht. Der neue Staat wird der Forschung ihre Freiheit lassen; jedoch wo es sich um Verbreitung innerhalb weiterer Volkskreise und vor allem der Jugend handelt, da wird er die Schranke seiner Totalität zu errichten wissen“ …211 „Noch stärker gilt das für das Gebiet der Wirtschaft“ …212 „Die vier Grundlagen des kapitalistisch-liberalen Staats – Eigentum, Erbrecht, Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit – wird der totale Staat zwar nicht aufheben, wie es der Marxismus wollte, er wird aber gerade diese Institute ihrer Absolutheit entkleiden. Sie alle werden eingeschränkt durch das wirtschaftlich massgebende staatliche „Grundbekenntnis“: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.213 Aus der entwickelten kulturellen und wirtschaftlichen Grundplattform des neuen Staates entspringen vor allem Pflichten für den Einzelnen. Dass sich aus einer solchen Ausdehnung des staatlichen Ur-Nomos auf das Problem „Individuum und Gemeinschaft“ für den Einzelnen nicht „echte subjektive öffentliche Rechte“, sondern bloss sog. „Reflexrechte“ ergeben können, also „subjektive öffentliche Rechte“ höchstens in einem weiteren Sinne, ist ohne weiteres klar.“ – Forsthoff (Der totale Staat, S. 46): „Der totale Staat muss ein Staat der totalen Verantwortung sein. Er stellt die totale Inpflichtnahme jedes Einzelnen für die Nation dar. Diese Inpflichtnahme hebt den privaten Charakter der Einzelexistenz auf. In allem und jedem, in seinem öffentlichen Handeln und Auftreten ebenso wie innerhalb der Familie und häuslichen Gemeinschaft verantwortet jeder Einzelne das Schicksal der Nation. Nicht, dass der Staat bis in die kleinsten Zellen des Volkslebens hinein Gesetze und Befehle ergehen lässt, sondern214, dass er auch hier eine Verantwortung geltend machen kann, dass er den Einzelnen zur Rechenschaft ziehen kann, der sein persönliches Geschick nicht dem der Nation völlig unterordnet. Dieser Anspruch des Staates, der ein totaler ist, und an jeden Volksgenossen gestellt ist, macht das neue Wesen des Staates aus.“ …215 „Das eigentliche, tragende Fundament des neuen Staates ist eine neue Staatsgesinnung, die bereitwillige Aufgabe der bisherigen privaten Existenz und die Unterstellung unter das innerlich bejahte neue, totale Lebensgesetz des Staates. Nur ein Staat, der auf 210 Im Original „Zunft“ (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 148). 211 Hier wird eine Passage über die Verhinderung der Verbreitung von „Schädlichem“ im Volk ausgelassen (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 148). 212 Hier wird eine längere Passage über die Unterordnung der Wirtschaft unter den Staat ausgelassen (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 148 f.). 213 Im Original gesperrt gedruckt (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 149). 214 Im Original „ergehen läßt, ist wesentlich, sondern“ (Forsthoff, Staat, S. 46). 215 Hier wird eine Passage über Max Weber und die Befolgung einer Ordnung ausgelassen (vgl. Forsthoff, Staat, S. 46).

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einem solchen, breiten Fundament ruht, kann dem Rückfall Einzelner in die private Existenz wirksam begegnen, indem er seinen totalen Anspruch an die Verantwortung des Einzelnen geltend macht.“ – Stapel (Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, S.14–16): „Die Grundsätze, auf denen der Hitler-Staat beruht, sind Totalität und Aktivismus des Staates, Hierarchie der Staatsträger, Artgleichheit der Staatsbürger, Volksgemeinschaft. Wie einst die private Lebenssphäre allmählich den Staat aufzehrte, so greift nun umgekehrt der Staat ohne Hemmung in alle privaten Verhältnisse ein und nimmt alles Leben in seinen Dienst: Wirtschaft, Beruf, Familie, Vereine. Die Wirtschaft wird staatlich ausgerichtet, die Berufswahl wird staatlich beeinflusst, die Familie wird von Staats wegen der Rassenhygiene unterworfen, und die Vereine werden gleichgeschaltet. Diese totale Einbeziehung des Lebens in den Staat hat einen aktivistischen Sinn: die Bildung einer deutschen Macht. Recht ist nicht, was dem Einzelmenschen die möglichst freie und weite Bewegung schafft, sondern Recht ist, was die grösste Machtbildung des Staates bewirkt. Das Rechtsgefühl ist nicht am Einzelmenschen, sondern am Staat ausgerichtet. Darum ist nichts vor dem Zugriff des Staates „sicher“. Der totalen Privatisierung des Staates von einst steht die totale Verstaatlichung des Privatlebens von heute gegenüber216: alles Leben wird in den Dienst des Staates gestellt …“ „Die Staatsbürgerlichkeit und nun gar die Gleichberechtigung des Staatsbürgers ist durchaus nicht mehr „das natürlichste unter allen Rechten des Menschen“, sondern ein sehr unnatürlicher Gedanke. Der Staat geht nicht von einem allgemeinen und gleichen Staatsbürgertum, sondern vom Führer aus. Die Person des Führers ist die Verkörperung des Staates, und vom Führer fliesst die Staatlichkeit auf immer sich erweiternde Kreise …“217 „Aus dem Ganzen eine einzige, ordensmässig geschlossene Staatshierarchie zu bilden, liegt in der Tendenz eines solchen Staates. Die allgemeinste Grundlage des Ganzen aber ist „der deutsche Mensch“. Wer nicht von Art Deutscher ist, gehört dem Staate nicht einmal als möglicher Träger an, sondern kann immer nur Objekt der staatlichen Ordnung und Fürsorge sein, Einwohner und Schutzbefohlener des Staates. Von Gleichheit ist hier nicht mehr die Rede, sondern die Rechte sind hierarchisch abgestuft je nach der Stellung, die der Einzelne im Gefüge einnimmt. Was Recht ist, wird nicht vereinbart, sondern vom Führer bestimmt. Recht entsteht nicht aus einem Vertrag, sondern ist eine Setzung. Es besteht kein freier Wettbewerb der Gedanken mehr im Staate, sondern es gibt Gedanken, die gelten, Gedanken, die nicht gelten, und Gedanken, die ausgerottet werden. Eine bestimmte Weltanschauung und ein bestimmtes Staatsdenken hat das Vorrecht auf Geltung. Wer Staatsträger sein will, hat nicht eine beliebige, sondern eine bestimmte Gesinnung zu haben, eben die Gesinnung, die zu diesem Staate wesentlich und innerlich gehört. Hat er sie nicht, so bleibt er besser der Sphäre des Staates fern und versucht nicht Staatsträger zu werden. Er kann freilich die geltende Staatsgesinnung heucheln, aber dann darf er seine wahre Gesinnung nicht wirksam werden lassen, denn er würde sich alsbald in Gefahr bringen. Ein Staatsbürger218 mit verheimlichter anderer Gesinnung gilt als Verräter. Einst gehörte zum Wesen des Staates die Opposition. Aus dem Wechsel von Regierung und Opposition ergab sich in schwankendem Hin und Her 216 Im Original nicht hervorgehoben (vgl. Stapel, Kirche, S. 14). 217 Diese und die folgende Passage wurden oben schon einmal zitiert. 218 Im Original „Staatsträger“ (vgl. Stapel, Kirche, S. 16).

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der Weg des Staates durch die Weltgeschichte. In dem neuen Staate kann es keine Opposition mehr geben. Es gibt nur Zustimmung und Ablehnung. Wer gegen die Regierung ist, der ist, weil der Staat führerhaft geordnet ist, zugleich gegen den Staat. Opposition ist Staatsfeindschaft. Opposition hat kein moralisches Recht mehr. Wer „gegen die Regierung“ und also gegen den Staat ist, dem bleibt kein anderer Weg als der Kampf, mit allen Gefahren des Kampfes. Da Geist und Gesinnung nicht freischwebend, sondern artgebunden sind, da menschliche Art und menschlicher Geist, Rasse und Geistigkeit untrennbar zusammengehören, so erstrebt der Staat, weil er eine bestimmte Gesinnung, eine einheitliche Moral will, die Artgleichheit seiner Bürger. (Formulierung nach Carl Schmitt219). Staatsbürger kann nicht jeder beliebige werden, sondern die Staatsbürgerschaft ist an eine bestimmte menschliche Artung gebunden. Der Hitler-Staat lässt nur die deutsche Artung zu. Damit ist gesagt, dass er auch in Wissenschaft, Kunst, Kultur, Recht, Sitte usw. nur eine bestimmte Art zulässt. Die Geistesfreiheit im Sinne von Beliebigkeit und Willkürlichkeit hat ein Ende. Dieser Staat will in allen Äusserungen des Lebens das artgerecht Deutsche und nimmt das Fremdartige nicht in „gleichberechtigte“ Pflege.“ 2) Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen totalem Staat und Individuen steht aufgrund der angeführten Texte bereits als wichtigster Punkt fest, dass Individualrechte im eigentlichen Sinn nicht mehr existieren; dennoch werden den Individuen ein gewisser „persönlicher Handlungsspielraum“ und ein gewisser „staatlicher Schutz“ dieses Handlungsspielraums und der [daraus resultierenden] Verantwortung „zugestanden“. Einige Texte werden darüber hinaus hinzugefügt, um gewisse Teilaspekte sichtbarer zu machen. Zunächst siehe oben (Fn. 15) die Worte Herrn Schrauts220 über die völlige Unterordnung des Individuums unter die Totalität der Gemeinschaft. – Tatarin-Tarnheyden (Werdendes Staatsrecht, S. 152, 153, 160, 162, 166): „Es ist selbstverständlich, dass es im totalen Volksstaat keine absoluten Rechte des Einzelnen gegen den Staat geben kann. Die subjektiven „Grundrechte“, wie sie der liberale Staat auffasste, waren metastaatlich, sie bedeuteten die Sicherstellung einer staatsfreien und in diesem Sinne menschenrechtlichen oder naturrechtlichen Individualsphäre einer ausserstaatlichen „Gesellschafts“-ordnung, die gegen den Zugriff des Staates teilweise absolut geschützt sein sollte. Sie bedeuteten u. a. auch den Vorrang des Internationalrechtlichen vor dem Staatsrechtlichen. Solches kann es selbstverständlich im Dritten Reiche nicht geben. Die subjektiven Grundrechte in diesem Sinne gehören einem überwundenen Zeitalter an, das nicht wiederkehrt. Man kann es vorläufig so formulieren: die „Grundrechte“ sind tot.“ … (a. a. O., S. 152). „Richtig erkennt Forsthoff: „Ein persönlicher Handlungsspielraum muss dem einfachen Volksgliede wie dem staatlichen Funktionär schon darum verbleiben, weil ohne ihn eine Verantwortung nicht denkbar ist. Gegenstand der Verantwortung sind immer nur persönliche Entscheidungen.““ „Wie ausgeführt, kann von absoluten gegen den Staat zu entrichtenden221 Individualrechten nicht mehr die Rede sein. Wenn trotzdem im neuen Staate „nationale persönliche Rechtsgüter“ in die Verfassung aufzunehmen sind, so kann es sich dabei nur um 219 Carl Schmitt zählte zu den wichtigsten und einflussreichsten nationalkonservativen Juristen Deutschlands und stieg nach 1933 mit seiner These vom „totalen Staat“ zum „Kronjuristen“ der Nationalsozialisten auf (vgl. Mehring, Schmitt, S. 304–436). 220 Vgl. Anm. 109. 221 Im Original „errichtenden“ (vgl. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 153).

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Rechtsgüter handeln, die dem Einzelnen nicht um seiner selbst willen, sondern um der Nation willen, nicht im materiellen, sondern nur im sittlichen Interesse sicherzustellen sind. Im Grunde handelt es sich auch hier nur um national-kulturhafte Gemeinschaftswerte, nur dass sie sich nicht verwirklichen lassen, wenn sie nicht zugleich individuell garantiert werden.“ … (a. a. O., S. 153). „Dass es, wie schon erwähnt im Dritten Reiche keine absoluten subjektiven Rechte geben kann, muss sich zunächst darin äussern, dass alle solche „Rechte“ zur Verfügung des Gesetzgebers stehen müssen …“ (a. a. O., S. 160). „Es muss nochmals wiederholt werden: „Rechtsstaat“ kann nur bedeuten die Selbstbeschränkung der ihrem Wesen nach den Staatserfassten gegenüber unbeschränkten staatlichen Gewalt durch eine staatliche Rechtsordnung unter Errichtung von Garantien für ihre Durchführung. Diese Beschränkung ist zufolge des Wesens der Souveränität ein Selbstbindungsakt der Staatsgewalt …“ (a. a. O., S. l62). „Ein Grund, der für die verfassungsmässige Garantie solcher persönlicher nationaler Rechtsgüter spricht, ist der, dass gerade der totale Staat, um seine Totalität unmissverständlich klarzustellen, ein Interesse daran hat, auch normativ genau von sich aus zu bestimmen, worin und auf welche Weise er der Einzelpsyche einen vom Staate grundsätzlich unabhängigen Bereich zu lassen vermag …“ (a. a. O., S. 166). „Gegen den Träger höchster Gewalt, der zugleich auch das Schwergewicht der Gesetzgebung bildet, gibt es kein Eigenrecht des Einzelnen; es muss durch die Verfassung des neuen Staates möglichste Gewähr dafür gegeben werden, dass der Führer auch in Zukunft die Form der Gerechtigkeit in sich selber trägt …“ (a. a. O., S. 175). Auf der anderen Seite betont er, dass den Einzelindividuen vom totalen Staat ein Bereich für persönlichen Handlungsspielraum überlassen werde: „Totalität des Staates bedeutet demnach nicht, dass der Staat nun das gesamte menschliche Wesen erfassen wollte, dass es nun keine menschliche seelische Regung mehr geben könnte, die vom Staate nicht rechtlich geregelt, nicht politisch befehlsmässig erfasst würde. Diejenigen, die meinen, die Totalität des Staates so auffassen zu müssen, befinden sich im Irrtum …“ (a. a. O., S. 144). – Dr. Küchenhoff (Nationaler Gemeinschaftsstaat etc., S. 11–12): „Die Stärkung des Staats- und Gemeinschaftsgedankens ergibt ferner eine grundlegende Änderung in dem Verhältnis von dem die Volksgemeinschaft verkörpernden Staat zum einzelnen Volksgenossen. Während der Staat im Zeitalter des Liberalismus ehrfürchtig vor dem Strome des Lebens und den ihm eigenen Gesetzen haltmachte, laissez faire, laissez passer, übernimmt er es wieder, jede Einzelheit dieses Daseins zu ordnen und zu regeln. Die staatsfreie Sphäre des Individuums, die in der alten Staatsrechtslehre eine so grosse Rolle spielte, verschwindet. Grundsatz ist nicht mehr: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“, sondern: „Was nicht erlaubt ist, ist verboten.“ …222 „Wo dem einzelnen Berufsstande oder sogar dem Einzelnen, z. B. dem, der eine Ehe eingehen will, geholfen wird, geschieht das nicht um seiner selbst willen, also nicht individualistisch, sondern allein im Interesse der Volksgemeinschaft, entsprechend der Bedeutung des Berufsstandes oder des Einzelnen für die Allgemeinheit …“ – Nicolai (Grundlagen der kommenden Verfassung. Berlin 1933) schreibt hier gegen das Individualrecht, das er in jeder Hinsicht zurückweist: „Der Grundgedanke (‚Grundrechte‘ = Individualrechte) ist, wie sich aus der Rechtsgeschichte ergibt, ein durchaus liberaler: 222 Hier wird eine längere Passage über die Bedeutung des „Gemeinschaftsgedankens“ für die Wirtschaft ausgelassen (vgl. Küchenhoff, Gemeinschaftsstaat, S. 11).

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man will das Individuum vor dem Staate, den man mindestens gefühlsmässig als „Feind“ des „freien“ Menschen ansieht, schützen und deshalb der Staatsallmacht bestimmte Schranken setzen. Hinter den „Grundrechten der Deutschen“ verbergen sich die „Menschenrechte“. Tatsächlich haben diese Grundrechte, wie allgemein erkannt ist, nur eine geringe rechtliche und praktische Bedeutung …“ „… Es ist notwendig, die Verfassung von verlogenen Redensarten frei zu halten, wie sie in den „Grundrechten“ zum Ausdruck kommen. Der Aufmarsch der Eigensucht des einzelnen gegen den Staat, das Volk, wie sie in den „Grundrechten“ zum Ausdruck kommt, ist für einen organischen Staat unerträglich. Die Pflicht des Opferns für die Gesamtheit hat keine Grenzen, wenn wir das Volk als das höchste Gut auf Erden ansehen, und es gibt in Wahrheit nur ein Grundrecht, das Recht als solches überhaupt, und nur eine Grundpflicht für jeden Deutschen, überhaupt für jedermann: das Recht zu hüten und zu wahren. Das Recht aber ist ewig nur das Lebensrecht des Volkes, aus dem es erwächst und dem es dient. Dient die Staatsgewalt, dienen wir dem Volke, aus dem wir sind, so wahren wir das Recht, das Ausdruck ist des göttlichen Willens, der die Deutschen geschaffen hat, dass sie ihre Bestimmung erfüllen und Zeugnis sind von dem Wirken des Göttlichen auf Erden.“ (a. a. O., S. 92–94223). 3) Über das Verhältnis zwischen totalem Staat und Religion (Kirche) Stapel (Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, S. 64, 65, 67): „Die ‚una sancta‘224 wird also in ihrer Substanz nicht getroffen und in ihrer Würde nicht beleidigt, wenn der Staat alles, was zur irdischen Ordnung und zur Sittlichkeit als der innersten Richtungskraft der irdischen Ordnung gehört, selbst ausübt. Der Staat hat das Recht, die sittliche Erziehung des Volkes im ganzen Umfang zu übernehmen. Darum hat er auch das Recht, über die Kirche zu wachen, dass nicht eine unziemliche Sittlichkeit in ihr gelehrt werde, die sich in ihren Wirkungen politisch gegen den Staat und seine Kraft richtet (Pazifismus, Gleichheitsmoral, Geistesfreiheit usw.). Wenn eine Kirche ihre irdische Ordnung und eine vom Staat verworfene sittliche Anschauung in ihr Bekenntnis aufnimmt, so kann der Staat diese nicht der Una sancta gehörenden, also im transzendenten Sinne „unorganischen“ Teile des Bekenntnisses beseitigen, denn sie sind Übergriffe in seinen Bereich. Der Kirche aber gebührt alles, was das Bekenntnis zu Jesus angeht in Wort und Werk …225 So gibt es keinen Konflikt226 zwischen Kirche und Staat. Ein Konflikt entsteht nur da, wo eine der beiden Mächte in den Bereich der anderen übergreift. Beispiele: Wenn der Staat Theologen und Religionslehrer anstellt, die nicht das Evangelium rein lehren. Wenn der Staat das Gebet verbietet. Wenn der Staat verhindert, dass die Sakramente gereicht werden, wo immer man ihrer begehrt. Wenn die Kirche politische Parteiungen macht. Wenn die Kirche defaitistische Strömungen in der Moral begünstigt. Wenn die Kirche ihre rechtlichen Ordnungen allein ohne den Staat bestimmen will …227

223 224 225 226 227

Die angegeben Stellen stehen im Original auf den Seiten 86–88. Gemeint ist die katholische Kirche. Im Original ohne Anführungsstriche (vgl. Stapel, Kirche, S. 64). Hier wird eine längere Passage über den Religionsunterricht ausgelassen (vgl. Stapel, Kirche, S. 64). Im Original das Wort „Konflikt“ in Anführungsstrichen (vgl. Stapel, Kirche, S. 64). Hier wird eine kürzere Passage mit einem Paulus-Zitat ausgelassen (vgl. Stapel, Kirche, S. 65).

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Wir haben von der Una sancta her Kirche und totalen Staat abgegrenzt. Zum totalen Staat gehört alles, was das Recht, und alles, was die Sittlichkeit betrifft. Zur Kirche gehört alles, was das Himmelreich betrifft. Ordnung und Recht der Kirche untersteht dem Staate. Was der Kirche zugestanden werden muss, ist, dass sich ihre Glieder in Jesu Christi Namen ungestört versammeln können, dass ihnen das Evangelium recht gepredigt und die Sakramente richtig dargeboten werden. Wie das geschieht, in welcher Ordnung und unter welchem Recht, ist bereits irdische Angelegenheit. Wenn der Staat der Kirche Selbstverwaltung zugesteht, so tut er das aus praktischen Gründen. Fordern kann die Kirche in diesen Dingen nichts. Hätte sie ein Recht darauf, etwas zu fordern, so müsste sie auch die Gewalt oder wenigstens ein Recht auf Gewalt haben, eine solche Forderung durchzusetzen. Damit ist gesagt, dass sie Macht haben müsste nach staatlicher Art. Aber Petrus muss sein Schwert in die Scheide stecken und der ewigen Canaille ihren schlimmen Willen lassen. Jesus hat ausdrücklich auf die Legion von Engeln verzichtet, mit denen er hätte dem Staate das Unrechttun verwehren können (Mt 26,53). Jesu Diener dürfen nicht kämpfen, um ihn vor den Juden zu schützen (Joh 18,36). Die Kirche muss ohne die Legionen der Macht und ohne Soldaten und Polizei sein: „es muss so sein“ …“228 „Die Sittlichkeit, welche die Kirche lehrt, kann keine andere sein als die, welche in den Herzen des Volkes erwächst, dem die Kirche das Evangelium bringt, denn die Sittlichkeit gehört zum „Nomos“ des Volkes. Zum Nomos eines Volkes gehören alle kultischen Anschauungen (auch die Entscheidung, ob verinnerlichter oder veräusserlichter Kult, Schlichtheit oder Pomp usw.), alle sittlichen Anschauungen, alle Volkssitten (bis in gewisse Grußformeln und Grußformen hinein wie z. B. Handschlag, Entblössen des Hauptes usw.), alles Volksrecht, soweit diese Dinge sakralen Ursprunges sind. Sie hängen mit der Art und also mit den Stammes- und Heimatgöttern des Volkes zusammen, sie sind metaphysisch begründet …“ – Vgl. hierzu den oben in Fn. 39 angeführten Text Professor Dr. Tatarin-Tarnheydens! – 4) Über das Verhältnis zwischen totalem Staat und Verbindlichkeit des Rechts. Der „totale“ Staat besitzt nicht nur die totale Macht, sondern drängt und zwingt die Untergebenen auch, diese anzuerkennen. Prof. Dr. H. Henkel (Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, Hamburg 1934, S. 65 und 66)229: „Die nationalsozialistische Gesetzgebung wendet sich an den gemeinschaftsgebundenen, durch Dienst am Volksganzen innerlich verpflichteten Menschen, und wird mit Härte durchgreifen, wo die Hingabe an Volk und Staat fehlt. Die nationalsozialistische Bewegung hat den volksverbundenen, aus freien Stücken zu Hingabe und Opfer bereiten Menschen als deutschen Menschentyp geschaffen. Die Gesetzgebung des nationalistischen Staates kann auf ihm als dem realen deutschen Menschentypus der Gegenwart aufbauen und braucht sich hierbei keiner Fiktion zu bedienen. Wenn der Einzelne sein Schicksal und seine Lebenshaltung in der Lebensgesetzlichkeit des Ganzen aufgehen lässt, so kann sich aus dieser Geistes- und Willenshaltung nur ein transpersonalistisches Rechtsdenken ergeben, das seinerseits einen artgemässen Begriff der Rechtssicherheit hervorbringt. Wie sich das Lebensgesetz des Einzelnen aus der Ge228 Hier werden längere, mehrseitige Passagen ausgelassen (vgl. Stapel, Kirche, S. 65–67). 229 Gemeint sind der antisemitische Jurist und Richter Heinrich Henkel, der nach 1933 zum Rektor der Universität Breslau aufstieg, und seine Schrift Strafrichter und Gesetz im neuen Staat. Die geistigen Grundlagen (1934) (Grüttner, Lexikon, S. 74; Ditt, Stoßtruppfakultät, S. 99–105).

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setzlichkeit des Volksganzen bestimmt, so ergibt sich der Rechtssicherheitsbegriff aus der Funktion der Rechtsordnung, die nur vom Ganzen aus betrachtet werden darf …230 Der neue Rechtsicherheitsbegriff nimmt seinen Ausgangspunkt und erhält seine Zielrichtung von der Lebensgesetzlichkeit des Volksganzen. Damit verlieren die individualistischen Grundelemente des bisherigen Rechtssicherheitsdenkens, Freiheit und Gleichheit, ihre beherrschende Bedeutung, womit keineswegs gesagt ist, dass das Problem der Freiheit und Gleichheit bei der Rechtsbildung und Rechtsanwendung nunmehr gänzlich zu verschwinden hätte. Der nationalsozialistische Staat mit seinem total-autoritären Herrschaftsanspruch kennt allerdings den Freiheitsbegriff nicht im Sinne einer Freiheit vom Staat, wohl aber eine Freiheit als persönlichen Handlungsspielraum innerhalb der Bindung an das Volksganze. Schon das in jeder Rechtsbildung und Rechtsanwendung liegende Ordnungsmoment bringt die Frage eines Ausgleiches zwischen Freiheit und Bindung mit sich. Jeder rechtlichen Ordnung sind Bindung und Freiheit in wechselseitigem Ausgleich begriffswesentlich; beide sind gleichzeitig in ihr vorhanden, weil es im Rechtsleben Nur-Bindung und NurFreiheit nicht gibt, so dass es im Wesentlichen darauf ankommt, innerhalb dieser unendlichen Reihe möglicher Abstufungen den entscheidenden Grundwert zu treffen. Als solcher kann allerdings die aufklärerisch und grundrechtlich verstandene Freiheit als Freiheit vom Staat, als maximal zu gewährende Freiheit innerhalb des Privatbereiches, nicht mehr gelten, daher auch nicht mehr den Ausgangspunkt für eine Begriffsbildung der Rechtssicherheit darstellen. In derselben Weise bestimmt sich das Schicksal des Gleichheitsgedankens innerhalb einer transpersonalistisch geprägten Rechtssicherheitsauffassung. Wie in jeder Ordnung das Element einer Gleichmässigkeit begründet liegt, so kann auch die Rechtsordnung der Gleichmässigkeit der Rechtsanwendung nicht entbehren. Auch hier aber ist entscheidend, ob sich das Gleichmass nach den Erwartungen des eigensüchtigen, dem Staat als Gegenspieler fremd entgegentretenden Einzelnen oder aber nach der höheren Planung des rechtlich geordneten Gemeinwesens selbst richten soll. Freiheit und Gleichmass bestimmen sich in der nationalsozialistischen Rechtsordnung nach der Eigengesetzlichkeit des Volks- und Staatsganzen; diese allein ist Grundelement des neuen Rechtssicherheitsbegriffes. Auf eine kurze Formel gebracht bedeutete Rechtssicherheit bisher: Sicherheit gegenüber dem Recht durch Beschränkung des rechtlichen Eingriffes auf Grund freiheitlicher Garantien; Rechtssicherheit in der nationalistischen Rechtsordnung wird bedeuten: Gewissheit der Durchsetzung des Rechtes im Sinne des Rechtsdenkens der Volksgesamtheit.“ – Vgl. oben Fn. 29. 42.) Siehe die oben in Fn. 1 angeführten Texte. Gegebenheit und Gegenstand der „rassischen Anschauung“ beschreibt Neef (Die Aufgaben der Beamten im Dritten Reich, S. 4 und 5, Berlin 1934) folgendermaßen: „Nicht wenige unter den deutschen Volksgenossen, die sich an sich zum Nationalsozialismus bekennen, die seinem Schöpfer und Führer Adolf Hitler in aufrichtiger Überzeugung zujubeln, sehen ihn heute zu einem guten Teil mehr als Staatslehre, als volksgenossenschaftliches System, als dass sie ihn als politische Weltanschauung empfänden. Wie die Erringung der politischen Macht für die NSDAP Voraussetzung dafür war, dass die nationalsozialistische Lehre im Volke Fuss fasste und staatlich verankert 230 Hier wird eine Passage über den Schutzzweck der nationalsozialistischen Rechtsordnung für die „Wahrung und Förderung des Volkstums“ ausgelassen (vgl. Henkel, Strafrichter, S. 65).

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wurde, so wird der Nationalsozialismus in seinem eigentlichen Gehalt erst dann von der ganzen deutschen Nation Besitz ergriffen haben, wenn jedem deutschen Volksgenossen das Bewusstsein innewohnt, mit dem Nationalsozialismus eine Weltanschauung in sich zu tragen. Wer sich ihr allerdings mit Begriffsspaltereien zu nähern versuchen wollte, wer Scholastik triebe, für den gälte das Goethesche Wort: „Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr werdet’s nie erjagen.“ Der Nationalsozialismus muss jedem, der sein Träger sein will, urkräftig aus der Seele dringen. Der Nationalsozialismus ruft also im Menschen nicht zuerst die Überlegung, sondern vor allem die Seele an. Nur wer diesem Rufe entsprechen, ihm antworten kann, wird Nationalsozialist sein oder werden. Dem Nationalsozialisten wohnt es als tiefes, unmittelbares Wissen inne, dass der Denkprozess allein das Leben nicht nur nicht meistert, sondern vom wahren Kern des Daseins wegführt, unfruchtbare Spekulationen zeitigt und Irrtümer hervorbringt. Richtiges, gesundes, fruchtbares Denken braucht die Grundlage des naturverbundenen Menschen. Mittelalterliche Scholastik in ihrer Überspitzung, moderne Industrialisierung, Entwurzelung vom Boden, Verleugnung des rassischen Blutsgedankens hat verloren gehen lassen, was Adolf Hitler wieder erweckt und unter Aufrichtung der Volkstumsidee neu begründet hat. Der Nationalsozialist setzt alles zum Volkstum in Beziehung. Hierin sieht er die ewige Gegebenheit irdischen Wirkens …231 Es haben sich Fragen und hat sich Streit darum erhoben, ob der Nationalsozialismus mit Recht von sich als einer Weltanschauung spricht. Der Beweis dafür, dass der Nationalsozialismus den Rang einer Weltanschauung trägt, ist leicht erbracht, wenn nicht mit philosophischen oder auch theologischen Spitzfindigkeiten geprüft wird. Der Nationalsozialismus ist eine Lehre der Pflichten gegenüber dem Leben. Nicht das Recht des Einzelnen ist es, das der Nationalsozialismus zuerst lehrt, sondern die Pflicht, und zwar die Pflicht gegenüber der Volksgesamtheit, die zugleich die grundlegende Pflicht gegen sich selbst ist. Jedes Pflichtgefühl232 ist moralisch und ethisch fundamentiert. Sittengebote wie die des Nationalsozialismus wurzeln nicht in einer mechanistischen oder materialistischen Auffassung des Lebens. Sie verbinden und tragen Generationen und Zeiträume. Sie erblicken die Welt von dem Gebot des Opfers aus. Nationalsozialisten erfüllen darum die233 Bestimmung im kämpferischen, unegoistischen Leben. Das ist Weltanschauung. Als Weltanschauung erhebt der Nationalsozialismus den selbstverständlichen Anspruch der Totalität, d. h. der Durchdringung aller Lebensgebiete.“ Dr. Nicolai (Der Staat etc., S. 21): „Der nationalsozialistische Staat wird durch ein weltanschauliches Band, den Staatsgeist zusammengehalten. Für ihn ist der weltanschauliche Inhalt des Staatswesens von ausschlaggebender Bedeutung.“ 43.) Nicolai (Der Staat etc., S. 20): „Der Nationalsozialismus fordert für sich Ausschliesslichkeit. Er kann keine andere Weltanschauung oder politische Auffassung neben sich als richtig oder berechtigt anerkennen. Es kann eben nur Eines richtig sein, nicht Verschiedenes, was sich widerspricht. Der Nationalsozialismus ist in der Lage, aus der nationalsozialistischen Weltanschauung einen einheitlich-geschlossenen Staats- und Rechtsgeist als „zentrale Recht-

231 Hier wird eine Passage über den Zusammenhang zwischen Charakter und Wert eines Menschen und dem Volkstum ausgelassen (vgl. Neef, Aufgaben, S. 5). 232 Im Original „Pflichtgebot“ (vgl. Neef, Aufgaben, S. 5). 233 Im Original „ihre“ (vgl. Neef, Aufgaben, S. 5).

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sidee“ einzuführen und auf diese Weise Volksüberzeugung und Rechtsgestaltung wieder zu einer Einheit zu verbinden. Der Nationalsozialismus hat den dem Liberalismus fremden und feindlichen Rassengedanken als beherrschenden Grundsatz des ganzen Denkens aufgestellt. Der Staat „hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu stellen.“234“ Hitler (Mein Kampf. S. 506): „Die Weltanschauung ist unduldsam und kann sich mit der Rolle einer „Partei neben anderen“ nicht begnügen, sondern fordert gebieterisch ihre eigene, ausschliessliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen. Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustandes nicht dulden. Das gilt genauso für Religionen.“ – Derselbe an anderer Stelle: „Die organisatorische Erfassung einer Weltanschauung kann aber ewig nur auf Grund einer bestimmten Formulierung derselben stattfinden, und was für den Glauben die Dogmen darstellen, sind für die sich bildende politische Partei die Parteigrundsätze. Damit muss also der völkischen Weltanschauung ein Instrument geschaffen werden, das ihr die Möglichkeit einer kampfesmässigen Vertretung gewährt, ähnlich wie die marxistische Parteiorganisation für den Internationalismus freie Bahn schafft. Dieses Ziel verfolgt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.“ (a. a. O., S. 422). – Und wieder anderswo: „Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit …“235 „Da eine Weltanschauung niemals bereit ist, mit einer zweiten zu teilen, so kann sie auch nicht bereit sein, an einem bestehenden Zustand, den sie verurteilt, mitzuarbeiten, sondern fühlt die Verpflichtung, diesen Zustand und die gesamte gegnerische Ideenwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen, d. h. deren Einsturz vorzubereiten …“ „Während das Programm einer nur politischen Partei das Rezept für einen gesunden nächsten Wahlausgang ist, bedeutet das Programm einer Weltanschauung die Formulierung einer Kriegserklärung gegen eine bestehende Ordnung, gegen einen bestehenden Zustand, kurz gegen eine bestehende Weltauffassung überhaupt. Es ist dabei nicht nötig, dass jeder einzelne, der für diese Weltanschauung kämpft, vollen Einblick und genaue Kenntnis in die letzten Ideen und Gedankengänge der Führer der Bewegung erhält. Notwendig ist vielmehr, dass ihm einige wenige, ganz grosse Gesichtspunkte klargemacht werden und die wesentlichen Grundlinien sich ihm unauslöschlich einbrennen, so dass er von der Notwendigkeit des Sieges seiner Bewegung und ihrer Lehre restlos durchdrungen ist. Es wird auch der einzelne Soldat nicht in die Gedankengänge höherer Strategie eingeweiht. So wie er vielmehr zu straffer Disziplin und zur fanatischen Überzeugung von dem Recht und der Kraft seiner Sache und zu restloser Einstellung auf sie erzogen wird, so muss dies auch beim einzelnen Anhänger einer Bewegung von grossem Ausmaß und großer Zukunft und grösstem Willen geschehen.“ (a. a. O., S. 507–509). 44.) Hitler vergleicht die einzelnen Lehrsätze seines „Programms“ insofern mit denen eines kirchlichen Dogmas, als man weder diese noch jene anzweifeln darf: „Will man Menschen mit blindem Glauben an die Richtigkeit einer Lehre erfüllen, wenn man

234 Ein Zitat aus Hitlers Mein Kampf (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 446). 235 Hier werden nur einzelne Sätze aus den unten angegebenen Seiten in Mein Kampf wiedergegeben.

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durch dauernde Veränderungen am äusseren Bau derselben selbst Unsicherheit und Zweifel verbreitet? Das Wesentliche darf eben nie in der äusseren Fassung, sondern stets nur im inneren Sinn gesucht werden. Und dieser ist unveränderlich …236 Auch hier hat man an der katholischen Kirche zu lernen. Obwohl ihr Lehrgebäude in manchen Punkten, und zum Teil ganz überflüssigerweise, mit der exakten Wissenschaft und der Forschung in Kollision gerät, ist sie dennoch nicht bereit, auch nur eine kleine Silbe von ihren Lehrsätzen zu opfern. Sie hat richtig237 erkannt, dass ihre Widerstandskraft nicht in einer mehr oder minder grossen Anpassung an die jeweiligen wissenschaftlichen Ergebnisse liegt, die in Wirklichkeit doch ewig schwanken, sondern vielmehr im starren Festhalten an einmal niedergelegten Dogmen, die dem Ganzen erst den Glaubenscharakter verleihen …238 Wer also den Sieg einer völkischen Weltanschauung wirklich und ernstlich wünscht, der muss nicht nur erkennen, dass zur Erringung eines solchen Erfolges erstens nur eine kampffähige Bewegung geeignet ist, sondern dass zweitens eine solche Bewegung selbst nur standhalten wird unter Zugrundelegung einer unerschütterlichen Sicherheit und Festigkeit ihres Programms. Sie darf sich nicht unterstehen, in der Formulierung desselben dem jeweiligen Zeitgeist Konzessionen zu machen, sondern muss eine einmal als günstig befundene Form für immer beibehalten, auf alle Fälle aber so lange, bis sie der Sieg gekrönt hat.“ (Mein Kampf, S. 513/14239). 45.) Was andere hochrangige Doktoren und Wissenschaftler der Anthropologie zu den bis jetzt dargelegten verschiedenen Behauptungen meinen, soll lediglich durch zwei Zeugnisse veranschaulicht werden: Prof. Dr. Oswald Menghin (Wien) hält in seinem Buch „Geist und Blut“, Wien 1934, Folgendes fest: „Der Rassebegriff ist für viele geradezu ein Gegenstand des Abscheus geworden, weil man ihn in verallgemeinerter Weise mit Eigenschaften und Folgerungen beladen hat, für die er nicht tragfähig ist. Man hat der Rasse erstens Unveränderlichkeit240 zugesprochen, eine Fehlmeinung, die einfach durch die geschichtliche Tatsache erledigt wird, dass alle grossen Rassen der Gegenwart erst im Laufe der prähistorischen Zeit aus älteren Rassen entstanden sind, wobei die noch stark umstrittene Frage des „Wie“ für unseren Zusammenhang keine Rolle spielt. Es lässt sich aber auch nicht beweisen, dass die von einem gewissen Zeitpunkt ab anscheinend fixierten Rassen vollkommen unveränderlich bleiben, es ist vielmehr wahrscheinlich, dass uns nur vorderhand noch die wissenschaftlichen Methoden fehlen, um die langsam fortschreitende Transformation der Rassen zu erkennen. Zweitens hat man den Rassen Ungleichwertigkeit241 nachgesagt, d. h. nicht nur verschiedene Leistungsfähigkeit auf kulturellem Gebiete, sondern auch eine verschieden gute Grundeinstellung im Denken, Urteilen, Empfinden und sittlichen Verhalten. Nun kann gar keine Frage darüber bestehen, dass es eine Verschiedenartigkeit der Ras236 Hier wird eine kurze Passage über die Gefahren einer Zersplitterung ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 512). 237 Im Original „Sie hat sehr richtig erkannt“ (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 512). 238 Hier wird eine kurze Passage über die Zunahme der Zahl blinder Anhänger der katholischen Kirche ausgelassen (vgl. Hitler, Kampf (1934), S. 513). 239 Richtig: 512–514. 240 Im Original nicht unterstrichen (vgl. Menghin, Geist, S. 92). 241 Im Original nicht unterstrichen (vgl. Menghin, Geist, S. 92).

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sen auf all diesen Gebieten tatsächlich gibt. Aber erstens muss betont werden, dass die Erforschung dieser Dinge noch viel zu wenig fortgeschritten ist, um endgültige Feststellungen zu erlauben, und zweitens ist ihre Wertung eine Angelegenheit, die klärlich [!] in einen mehr oder weniger fragwürdigen Subjektivismus ausarten muss, wenn sie nicht auf Grund einer tiefen philosophischen Überlegung, d. h. der Schaffung einer Stufenleiter der Werte, durchgeführt wird. Damit ist auch schon gesagt, dass solche Wertung im engsten Zusammenhang mit Weltanschauung steht242, solange es eine einheitliche Wertgesinnung der Menschen nicht gibt, sehr verschieden ausfallen wird. Damit wollen wir nun keineswegs einem philosophischen Weltrelativismus243 das Wort reden; der Mensch ist zweifellos vor sich selbst verpflichtet, in den Wertfragen eine Entscheidung zu fällen. Aber in jeder grundsätzlichen Diskussion muss der Ausblick auf die Ebene vollkommener Neutralität und Objektivität offen gelassen werden, von der die reine Vernunft aufbricht, um irgendwo der praktischen Vernunft zu begegnen. Im Übrigen ist es für den gegenwärtigen Zusammenhang nicht notwendig, diese Begegnung hier herbeizuführen. Denn die wirkliche Angriffsfläche der Rassentheorien244 liegt nicht in der Problematik der Wertermittlung (die behebbar ist oder wenigstens stark gemildert werden kam, worüber später noch mehr zu sagen sein wird), sondern in der Verknüpfung der Wertungen mit dem auch auf die geistigen Rasseneigentümlichkeiten ausgedehnten Unveränderlichkeitsdogma. Und hier liegt denn tatsächlich ein Einbruch materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkens in das Reich des Geistigen vor, vor dem nicht genug gewarnt werden kann. Darum wiederholen wir schon oben Gesagtes: So sicher es ist, dass es auch geistige Rassenmerkmale gibt, und so gewiss diese einen erhaltungswürdigen Wert darstellen können, so absolut unzulässig ist es, aus diesen Tatsachen einen Primat des Körperlichen über das Seelische abzuleiten, wohin extreme Rassentheorien letzten Endes abirren müssen. Mehr Ehrfurcht vor dem Unerfasslichen und Unerforschlichen ist hier am Platze. Wo sie fehlt, sollte wenigstens wissenschaftliche Bescheidenheit vor solchen Übergriffen bewahren. Denn kein ehrlicher Forscher wird bestreiten, dass wir über die Möglichkeiten spontaner Veränderungen geistiger Erbanlagen sowohl beim Einzelindividuum als bei ganzen Menschengruppen überhaupt nichts wissen.“ (a. a. O., S. 92–94). – Was die Einheit des Menschengeschlechts betrifft, gelangt Menghin von den Prinzipien seiner Wissenschaft geleitet zur Ansicht, dass man aufgrund verschiedener Kriterien und objektiver Fakten sagen kann, dass es zu Beginn eine einzige rassische Anlage, „Kultur“ und Sprache aller gegeben hat: „Es liegt auf der Hand, dass die Ausbildung scharf umrissener Kultureinheiten nicht ohne einschneidende Parallelwirkungen auf sprachlichem und körperlichem Gebiete vor sich gegangen sein kann. Wir dürfen auch ohne weiteres annehmen, dass diese Wirkungen umso stärker waren, je stärker die erdgeschichtlichen und anthropogeographischen Voraussetzungen die gegenseitige Abschliessung der Menschengruppen ermöglichten und begünstigten. Das berechtigt uns, den allgemeinen Grundsatz aufzustellen, dass wir, je weiter wir in der Menschheitsgeschichte zurückgehen, mit desto stärkerem Zusammenfallen von Kultur, Rasse und Sprache rechnen dürfen.“ (a. a. O., S. 30). Prof. Dr. von Eickstedt (Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit, Suttgart 1934) stellt die wichtigsten Punkte betreffend Ursprung, Beständigkeit und Verän242 Im Original „steht, und somit, solange“ (vgl. Menghin, Geist, S. 93) 243 Im Original „Wertrelativismus“ (vgl. Menghin, Geist, S. 93). 244 Im Original „Rassenwerttheorien“ (vgl. Menghin, Geist, S. 93).

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derlichkeit spezifischer Rassen folgendermaßen dar: „Jeder Lebensprozess äussert sich in Veränderlichkeit und Abwandlung, in der Vererbung, also in der Abwandlung der Erbanlagen. Das Einzelleben von Rassen und Populationen liegt aber245 nicht in der gleichmässigen Wiederkehr der spaltenden Vererbung, sondern in dem Aufspringen neuer Mutationen. Osborn246 fügt neben diese noch den Begriff der Speciation [!] und meint sogar, dass Mutation eine anormale aussergewöhnliche Weise des Ursprungs sei, fast eine Störung des gewöhnlichen normalen Laufs des Anpassungsprozesses der Speciation.247 Das wäre ein Versuch, die grosse unklare Erscheinungsmasse der Mutationen logisch zu gliedern. Auch Osborn setzt Mutation und Erblichkeit in scharfen Gegensatz. Hier liegt aber der Schlüssel zum Verständnis des ganzen Problems, soweit wir vom rassenkundlichen Standpunkt daran beteiligt sind. Erblichkeit und Artentwicklung sind Gegensätze, und zwar deshalb, weil das eine einen passiven und starren Faktor, das andere einen aktiven und schöpferischen Faktor darstellt. Diese beiden Prinzipien liegen bei jeder Tiergruppe und zu jeder Zeit gewissermassen im Kampf; bald überwiegt das eine und für Jahrmillionen bleibt sich die Art formgleich, bald überwiegt das andere und vielleicht schon in wenigen Jahrtausenden248 springen neue Unterarten auf. Man muss sich unbedingt von dem Gedanken frei machen, dass irgendwelche lebenden Formen und also auch die Menschenrassen etwa als starre und stabile Grössen angesehen werden könnten, und man darf nicht übersehen, dass den Regeln der Erblichkeit nicht mehr als eine, rassengeschichtlich gesprochen, ephemere Bedeutung zukommt. Erblichkeit gilt grundlegend für Familienforschung und Eugenik; [sie] ist hier unentbehrlich und von der grössten Bedeutung; denn hier handelt es sich um ganz kurze Zeiten, bestenfalls um einige Dutzend Generationen. Das sind aber keine Zeitspannen, mit denen paläontologische Prozesse, wie das dauernde (ruckweise vor sich gehende) Werden und Fliessen der Hominidenentwicklung, auch nur anrechnend [!]249 rechnen können. Hier gelten längere Zeiträume und wirken andere Prinzipien, nämlich Entwicklungskapazität und Harmonisation, die Prinzipien der fortschreitenden Artbildung, nicht der vorübergehenden Artkonstanz. Erblichkeit ist also ein konservatives und retardierendes Prinzip, über das ausnahmslos, bald eher, bald später, die Entwicklung der Art hinwegschreitet. Deshalb sind auch Bastardforschung im Sinne rezenter Familienkunde und Bastardforschung im Sinne von rassengeschichtlichen Prozessen trotz manchem Ineinandergreifen zwei prinzipiell verschiedene Dinge…“ (130). … „So bilden also Mutation und Erblichkeit, Artentwicklung und Artkonstanz, Teilfaktoren der Entwicklung. Diese Verhältnisse erklären vieles von der oben beschriebenen Plastizität250 menschlicher (und tierischer) Population. Jede durch Mischung zertrümmerte Rasse muss schliesslich wieder harmonisiert werden, und im Laufe geologisch langer Zeiten entstehen wieder neue morphologisch mehr[-]minder251 einheitliche Gruppen. Sonst könnte es nie Rassen geben. Was wir heute auf der Welt vor 245 Im Original „daher“ statt „aber“ (vgl. Eickstedt, Rassenkunde, S. 130). 246 Gemeint ist die Schrift Speciation and mutation (1927) des amerikanische Anthropologen Henry Fairfield Osborn. Er zählte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu den einflussreichsten Wissenschaftlern Amerikas (vgl. Regal, Osborn, S. XII). 247 Es handelt sich um ein Zitat aus dem Buch von Osborn. 248 Im Original „Jahrzehntausenden“ (vgl. Eickstedt, Rassenkunde, S. 130). 249 Im Original „annähernd“ (vgl. Eickstedt, Rassenkunde, S. 130). 250 Unterstreichung nicht im Original. 251 So auch im Original.

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uns haben, ist mithin nichts anderes als ein augenblicklicher Querschnitt durch den dauernden ungleichmässigen Fluss der Formungserscheinungen im Rasseleben, und nichts ist verständlicher, als dass wir neben stark harmonisierten Gruppen – also fast „reinen“ Rassen – andere Bevölkerungsaggregate haben, die eine mehr oder minder starke und mehr oder minder zeitlich weit zurückliegende Zertrümmerung aufweisen und daher auch mehr oder minder deutlich die Abstufungen von Rassen über Zwischenformen zu Gautypen und schliesslich rezentesten Bastardpopulationen zeigen. Wir sehen alle Übergänge. Sie stellen die Harmonisationsstufen dar, die die Hominiden in der letzten geologischen Epoche, in der Nacheiszeit, erreichten…“ (S. 130–131). „Damit sei unsere Behandlung der Ursachen des Typenverfalles der Hominiden abgeschlossen. Aus Material, Raum, Zeit, den Grundelementen jeglicher menschlicher Betätigung und Beobachtung haben sich wenigstens die grossen Züge der Menschwerdung und Rassenbildung herausschälen lassen, soweit dies überhaupt unser derzeitiges Wissen und Erkenntnisvermögen zulassen. Als ihr Ergebnis, einem im tiefen252 Sinne des Wortes naturhistorischen Ergebnis, liegt das reiche und bunte Bild der Rassen- und Typenverteilung auf der Erde vor uns. Ihm wenden wir uns zum Abschluss zu.“ (S. 131). 46.) Über Veränderlichkeit und Variabilität der „rassischen Anlage“ und überdies über den Einfluss psychischer Ursachen bringt Menghin am angegebenen Ort mehr vor. „Es bedeutet zweifellos einen grossen Fortschritt der biologischen Forschung, dass man heute drei nächstliegende Ursachen für die Variabilität der Rassen unterscheiden kann: die Einflüsse der Umwelt (Peristase), die überkommene Erbmasse von rassenverschiedenen Eltern und die spontane Mutation. Man spricht demgemäss von Paravariation, Mixovariation und Idiovariation oder Para-, Mixo-, und Idiokinese. Nach Ansicht der Erblichkeitsforscher bringen nur die beiden letzteren Arten der Variation erbliche Veränderungen des Idioplasmas, d. h. desjenigen Teils der Zellen eines Organismus, in dem dessen Rassenbesonderheit begründet ist, hervor…“ „Es ist unzulässig, nur die Paravariationen als durch Umwelteinflüsse erworben zu bezeichnen; auch die Idiovariationen, neue Erbanlagen, entstehen durch erbändernde Umweltwirkungen; ob immer, ist eine andere, vorderhand unlösbare Frage. Da nun aber beim Menschen die Erwerbung physischer Eigenschaften auch gewollt sein kann, so besteht die Möglichkeit, dass psychische Faktoren bis an die Wurzel scheinbar rein naturwissenschaftlicher Tatbestände sich auswirken. Wo die Tätigkeit der Psyche, der Wille, die Freiheit des Handelns beginnt, dort beginnt auch253 die Geschichte. Damit ist festgestellt, dass sich die an den Rassenbegriff geknüpften Probleme nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln allein erledigen lassen, selbst wenn man zunächst nur die physische Seite des Menschen im Auge hat. Die körperliche Verschiedenheit der Menschheit ist zweifellos das Ergebnis von Vorgängen, die mit den Wanderungen und Betätigungen des Menschen zusammenhängen, somit seinem Willen unterworfen waren. Der Rassenbegriff ragt also zu einem gewissen Teil über das rein naturgesetzlich Bedingte hinaus. Jene Vorgänge haben sich in einer fernen Urzeit abgespielt. Rassenkunde kann daher nur im Zusammenhange mit den übrigen Fächern der Urgeschichte erfolgreich betrieben werden, sofern man als ihren Gegenstand nicht nur die Feststellung und Beschreibung der ausgestorbenen und lebenden Rassen betrachtet, 252 Im Original „tieferen“ (vgl. Eickstedt, Rassenkunde, S. 131). 253 Im Original „dort beginnt aber auch“ (vgl. Menghin, Geist, S. 35).

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sondern auch die Klärung aller kausalen Fragen, die sich an die Entstehung und Fortentwicklung der Rassen knüpfen.“ (Geist und Blut, S. 32, 34, 35) und ebendort S. 51: „Ebenso wichtich [!]254 ist die Erkenntnis, dass es sich bei dem Erbgefüge einer Rasse um einen augenblicklichen, wenn auch erfahrungsgemäss in den allgemeinen Umrissen sehr lange dauernden Zustand und nicht um etwas Unveränderliches handelt. Dem von dem ausgezeichneten Erblichkeitsforscher Fritz Lenz geprägten Satz: „Es ist völlig hoffnungslos, durch Erziehung und Übung das Menschengeschlecht dauernd heben zu wollen“ kann von diesem Standpunkte aus nicht scharf genug widersprochen werden. Verantwortungsbewusste Forscher von Rang sollten mit Äusserungen, deren wissenschaftliche Erweisbarkeit in keinem Verhältnis zu der ungeheueren Tragweite steht, die ihnen für die Weltanschauung und, in die Praxis umgesetzt, für das gesamte öffentliche Leben zukommt, vorsichtiger sein. Die Frage nach der Erziehungsfähigkeit der Rassen ist eine Angelegenheit, in die die Naturwissenschaft überhaupt nur wenig hineinzureden hat, und zwar ausschliesslich durch Tatbestandsfeststellungen; das übrige bleibt den Geschichtswissenschaften, der Psychologie und der Pädagogik vorbehalten.“ – (a. a. O., S. 51). Und S. 63: „Im grossen und ganzen wird man255 annehmen dürfen, dass das in der Kultur sich objektivierende geistige Prinzip einen Einfluss auf die physische Erbmasse auszuüben in der Lage ist; wo die Dinge umgekehrt zu liegen scheinen, dürfte es sich eher um sekundäre Rückwirkungen handeln.“ – Zum größeren oder geringeren Wert einer Rasse vor einer anderen Rasse meint Menghin Folgendes: „Was die Wertung der Rassen anlangt, so …256 hängt dieses Problem natürlich enge mit der Dynamik257 zusammen. Möglich, dass es um die Menschheit besser stünde, wenn es bei den primären Menschheitsvarianten einer fernen Urzeit geblieben wäre. Es ist aber durchaus fraglich, ob die höchstentwickelten und leistungsfähigsten Rassen der Gegenwart als unveränderte Sprossen jener Vorfahren gelten dürfen. Viel wahrscheinlicher ist, von allen Mischungen abgesehen, ihre Entstehung starken idiokinetischen Vorgängen zu danken, die vor allem auch das Geistige betroffen haben mögen. Eine Rückbildung ist daher wohl nicht erreichbar und wäre wahrscheinlich auch nicht wünschenswert. Liegt es aber im Interesse der Menschheit, eine Weiterbildung zu verhindern? Hat es einen Sinn, auch die angenommenermassen beste der gegenwärtigen Rassen als ewige Norm zu erklären und für immer stabilisieren zu wollen? Ganz gewiss nicht, denn wer weiss, ob sich nicht eine noch bessere Rasse entwickelt.“ (a. a. O., S. 51–52). Vgl. auch die in Fn. 45 angeführten Worte desselben Autors (Menghin, a. a. O., S. 95); mehr wird in demselben Buch auf S. 138 ff. festgehalten, wo er auch die Frage der Vermischung der Rassen und des Blutes berührt.

254 Im Original „wichtig“ (vgl. Menghin, Geist, S. 51). 255 Im Original hier der Einschub „– unseren schon früher gewonnenen Erkenntnissen folgend –“ (vgl. Menghin, Geist, S. 63). 256 Im Original „so soll darüber in späteren Aufsätzen ausführlicher gehandelt werden. Auch dieses Problem hängt natürlich“ (vgl. Menghin, Geist, S. 51). 257 Im Original „Dynamik des Rassenbegriffes“ (vgl. Menghin, Geist, S. 51).

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS a. a. O. AAS Abt. ADPSJ Bd. Bde. BBK DAF DNVP d. V. EKKI Fn. IfZ Komintern KPD NDB NS/ns NSBO NSDAP o. S. Sp. VB VfZ

am angegebenen Ort Acta Apostolicae Sedis Abteilung Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten (München) Band Bände Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Deutsche Arbeitsfront Deutschnationale Volkspartei der Verfasser Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Fußnote Institut für Zeitgeschichte (München) Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Deutschlands Neue Deutsche Biographie Nationalsozialismus/nationalsozialistisch Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ohne Seitenangabe Spalte Völkischer Beobachter Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

LITERATURVERZEICHNIS Dokumentationen, Handbücher, Quellensammlungen, Lexika, Editionen

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PERSONENVERZEICHNIS Der Name Hitler wurde nicht ins Personenverzeichnis aufgenommen Alexejew, Michail W. 72 August Wilhelm von Preußen 37 Aust, Hermann 41 Baur, Erwin 120 Bechstein, Helene 41 Bechstein, Edwin 41 Benedikt XIV. 107 Bergmann, Ernst 134 Billung, Rudolf 38 Bismarck, Otto von 26 f., 49, 69 Blank, Herbert 38 Borsig, Ernst von 41 Brüning, Heinrich 59 Brussilow, Alexej A. 32 Buch, Walter 46 Cäsar 47 Chamberlain, Houston St. 38 Chruschtschow, Nikita S. 14 Clausewitz, Carl von 31 Clemenceau, Georges 27, 69, 73 Czech-Jochberg, Erich 38 d’Aragona, Ludovico 51 Drexler, Anton 46 Duchonin, Nikolai N. 72 Ebert, Friedrich 32 f., 35 f., 73 Eckart, Dietrich 42 Ehrhardt, Hermann 34 Eickstedt, Egon von 119, 137, 158 Epp, Franz Xaver von 35 Escherich, Georg 34 Esser, Hermann 42, 47 Faulhaber, Michael von 105 Fischer, Eugen 120 Ford, Henry 37, 41 Forsthoff, Ernst 137, 140, 142, 148, 150 Frank, Hans 134 f. Frick, Wilhelm 47

Gambetta, Léon 48 Ganser, Emil 41 Goebbels, Joseph 47, 147 Göring, Hermann 37, 42, 47, 56 Graefe, Albrecht von 47 Grandel, Gottfried 41 Graßmann, Peter 51 Gregor XVI. 107 Groener, Wilhelm 32, 34 f. Günther, Hans F. K. 119 Gutschkow, Alexander I. 72 Harand, Irene 79 Heiden, Konrad 37–48 Henderson, Arthur 74 Henkel, Heinrich 153 Hilferding, Rudolf 36 Hindenburg, Paul von 32, 35 Hoffmann, Max 47 Hudal, Alois 77–79 Hugenberg, Alfred 30, 47, 71 Hürth, Franz 77–79, 105 Jesus 102, 152 f. Johannes der Täufer 101 Jung, Erich 136 Jung, Rudolf 38 Justinian 144 Kaganowitsch, Lasar M. 31 Kalinin, Michail I. 14 Kapp, Wolfgang 34–36 Karl der Große 134 Kautsky, Karl 32, 35 f., 74 Keimer, Robert 136 Killinger, Manfred von 47 Klintzsch, Hans Ulrich 47 Koltschak, Alexander W. 32 Konowalow, Alexander I. 72 Kornilow, Lawr G. 32, 72

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Personenverzeichnis

Kreuger, Ivar 37 Kube, Wilhelm 133 Küchenhoff, Günther 120, 126, 130, 135 f., 140 f., 144, 151 Lenin, Wladimir I. 13, 32, 35, 43 f., 74 Lenz, Fritz 120, 161 Ledóchowski, Wladimir 78 Leers, Johannes von 38 Leipart, Theodor 51 f. Leo XIII. 100, 105, 107–113 Ley, Robert 51 f. Liebknecht, Karl 33 Loewenfeld, Wilfried von 34 Ludendorff, Erich 34, 47 Lüttwitz, Walther von 34 f. Luxemburg, Rosa 33, 74 Lwow, Georgi J. 73 Maria 106 Martinu, Johannes 78 Marx, Karl 31 Mayer, Joseph 104 f. Menge, Hermann 80 Menghin, Oswald 121, 138, 157 f., 160 f. Merk, Walther 136 Miljukow, Pawel N. 72 Miltenberg, Weigand von (siehe Blank, Herbert) Morgan, John P. Jr. 37 Morel, Edmund D. 41 Muchow, Reinhold 57 Muckermann, Hermann 78 Mühlen, Norbert 37 Müller, Hermann 46 Mussolini, Benito 19, 28, 45, 48, 51, 70 Naab, Ingbert 77 Napoleon Bonaparte 48 Neef, Hermann 139, 154 Neubauer, Theodor 13 Nicolai, Helmut 118 f., 125, 128–131, 135, 137, 139, 143, 145, 151, 155 Noske, Gustav 33–36 Osborn, Henry F. 159 Papen, Franz von 30, 59 Paul III. 107 Paulus 102, 152 Pfeffer von Salomon, Franz 34 Pius IX. 109, 111–113

Pius X. 102, 110 Pius XI. 77, 103–105, 107, 109, 111 f. Pius XII. 78 Polowzew, Pjotr A. 72 Rabeneck, Johann Baptist 77–79 Rechberg, Arnold 37, 44, 47 Renaudel, Pierre 74 Reventlow, Ernst von 42 Rjabuschinski, Stepan P. 72 Rjutin, Martemjan N. 13 Röhm, Ernst 38, 104 Rosenberg, Alfred 38, 41, 44 f., 47, 77 f., 120, 134, 145 Rousseau, Jean-Jacques 146 Rust, Bernhard 131, 133, 139 Schacht, Hjalmar 36 f. Scheidemann, Philipp 32 f., 36, 73 f. Schleicher, Kurt von 47 Schmitt, Carl 137, 144, 150 Schott, Georg 38 Schraut, Rudolf 126, 150 Seydlitz, Gertude von 41 Shakespeare, William 61 Sinowjew Grigori J. 9, 13–17, 25, 30, 35, 37–39, 49, 52 f., 56 f., 74 Sorel, Georges 129 Stahl, Herbert 36 f., 41 Stalin, Josef W. 13 f., 31, 44 Stapel, Wilhelm 128, 140, 149, 152 Steel, Johannes/Still, Johannes (siehe Stahl, Herbert) Straßer, Gregor 42, 47 Tatarin-Tarnheyden, Edgar 144, 147, 150, 153 Urban VIII. 107 Volkmann, Erich Otto 34 Watter, Oscar von 34 Webb, Beatrice 74 Webb, Sidney 74 Weber, Max 148 Wels, Otto 36 Wild, Alfons 77 Wilhelm II. 32, 34, 45, 59, 62 Wulle, Reinhold 47

b e i t r äg e z u r ko m m u n i k at i o n s g e s c h i c h t e

Herausgegeben von Carsten Kretschmann, Bernd Sösemann und Rudolf Stöber. Die Bände 1–8 sind im Verlag Walter de Gruyter (Berlin) erschienen.

Franz Steiner Verlag

ISSN 1617–853x

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26. Daniel Bellingradt Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700 Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches 2011. 548 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09810-6 27. Franziska Brüning Frankreich und Heinrich Brüning Ein deutscher Kanzler in der französischen Wahrnehmung 2012. 462 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10096-0 28. Othmar Plöckinger (Hg.) Quellen und Dokumente zur Geschichte von „Mein Kampf“ 1924–1945 2016. 695 S., geb. ISBN 978-3-515-11164-5

Das Auslaufen der Urheberrechte an Hitlers Mein Kampf Ende 2015 rückte diesen zentralen Text des Nationalsozialismus verstärkt ins Blickfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Es ist dabei nicht allein ihr Inhalt, der die Schrift so bedeutsam macht – es sind auch die Reaktionen der Zeitgenossen darauf. Das gilt nicht nur für Deutschland. Inzwischen hat die Forschung für Länder wie Großbritannien, die USA oder Frankreich wichtige Erkenntnisse zutage gefördert. Schwieriger liegen die Verhältnisse in Russland und im Vatikan. Mit der vorliegenden Edition macht Othmar Plöckinger erstmals

zwei umfangreiche Dokumente aus den russischen und vatikanischen Archiven der Forschung im vollen Umfang zugänglich. Grigori Sinowjew, der Mein Kampf 1932/33 ins Russische übersetzte, analysierte das Buch ausführlich aus bolschewistischer Sicht. Auch das Heilige Offizium in Rom untersuchte 1934/35 die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus und stützte sich dabei in hohem Maße auf Hitlers Kampfschrift. Diesen beiden Dokumenten kommt daher, bei allen Unterschieden, eine zentrale Bedeutung in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11501-8